Kommunikation + Zivilcourage Orte der Roten Kapelle in Brandenburg

Eine Projektdokumentation herausgegeben vom Liebenberger Freundeskreis e. V. und Zeitpfeil e. V. Die Beschäftigung mit dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime ist ein immer­währender Prozess der Annäherung an die Geschichte und an die Handlungsmög­ Die »Rote Kapelle« gehörte zu den größten Widerstandsgruppierungen in den ersten Kriegs­ lich­keiten von Menschen. Die Auseinandersetzung mit der Thematik schärft den Blick für jahren. Durch persönliche Kontakte bildete sich 1940/41 ein loses Netzwerk von sieben Ber­ ei­­gene Entscheidungen, aber auch für Rechtsextremismus und seine Ursachen, den Trä­ liner Freundes- und Widerstandskreisen heraus, in deren Mittelpunkt Harro Schulze-Boy­ gern und den Erscheinungsformen von Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus. His­ sen und standen. Diesem Netzwerk gehörten mehr als 150 Regimegegner, torische­ Zusammenhänge vermitteln Wissen und emotionale Zugänge zu gelebter Zivil­ Frauen und Männer unterschiedlicher sozialer Herkunft und weltanschaulicher Auf­assun­ courage, die heute und morgen benötigt wird. gen an. Arbeiter, Angestellte, Unternehmer, Intellektuelle, Künstler, Ärzte, Soldaten und Verschiedene Orte in Brandenburg waren Orte der Kommunikation und des informellen Offiziere, Marxisten und Christen diskutierten politische und künstlerische Fragen, halfen Austausches von Mitgliedern des Widerstandes in . Durch ihre Abgeschiedenheit, politisch und jüdisch Verfolgten sowie Zwangsarbeitern, dokumentierten NS-Gewalt­ Landschaften und Kulturorte boten sie kommunikative Freiräume für Verständigung und verbrechen und riefen in Flugschriften und Zettelklebeaktionen zum Widerstand auf. Es verbotene kulturelle Praxis. Die Idee des Projektes »Kommunikation + Zivilcourage. Orte be­standen Kontakte zu Widerstandsgruppen in Berlin und Hamburg, zu französischen der ›Roten Kapelle‹ in Brandenburg« war es, die Beschäftigung mit historischem Wider­ Zwangs­arbeitern und Vertretern der amerikanischen und sowjetischen Botschaft. Im stand mit der Reflexion über Kommunikation und Zivilcourage und entsprechende Hand­ Herbst 1942 nahm die über 120 Personen fest und ordnete sie dem Fahndungs­ lungsmöglichkeiten im heutigen Brandenburg zu verbinden. komplex »Rote Kapelle« zu, woher die heutige Bezeichnung der Kreise stammt. 92 Frauen und Männer wurden vom Reichskriegsgericht und dem Volksgerichtshof angeklagt. 50 von Vier Projektgruppen aus unterschiedlichen Orten im Land Brandenburg sind den Spuren ihnen wurden in den Hinrichtungsstätten Plötzensee und Halle ermordet oder starben in der »Roten Kapelle« in Brandenburg nachgegangen, haben zu einzelnen Biografien der Mit­ der Haft. glie­der geforscht, ehemaligen Arbeits- und Lebensorten nachgespürt. Dabei sind unter­ Bereits der dreißiger Jahre hatte sich in Freundeskreisen ein regimekritischer Zusam­ schiedliche Projekte entstanden, die auf die Vielschichtigkeit des damaligen Widerstandes menhalt herausgebildet. Hier kamen Aktivisten des Widerstandes und dem NS-Regime ebenso verweisen wie auf heutige Handlungsformen angesichts von Gewalt, Rechtsextre­ kritisch gegenüberstehende Menschen ins Gespräch, entdeckten Berührungspunkte und mismus und Fremdenfeindlichkeit. So arbeiteten Studierende der Germanistik an der Uni­ Gemeinsamkeiten. Da wurde eine andere Sprache, ein anderer Ton angeschlagen, aus­ versität Pots­dam zur Biografie des Schriftstellers und Dramatikers Günther Weisenborn, ländische Rundfunksender abgehört, illegale Literatur, Flugblätter und Positionspapiere der als Mitglied der »Roten Kapelle« verhaftet und im Zuchthaus Luckau inhaftiert war. Das zirkulierten. Unter den Bedingungen einer gleichgeschalteten Presse und Öfentlichkeit Seminar ge­staltete eine Veranstaltung zu Günther Weisenborns Beitrag zur Widerstands­ wurde der ins Private zurückgenommene Meinungsaustausch zum entscheidenden Kom­ erinnerung im Filmmuseum Potsdam. In deren Rahmen wurde der Film »Der 20. Juli« (1955) munikationsmittel. All dies führte zu einer Immunisierung gegenüber der nationalsozia­ gezeigt, für den Weisenborn das Drehbuch geschrieben hatte. Das Gesamtprojekt wurde listischen Ideologie, richtete sich gegen die Vereinnahmung durch den Staat und seine von zahlreichen weiteren Veranstaltungen begleitet. Im Mittelpunkt stand dabei die Vor­ Organisationen. Die Regimegegner trugen mit ihren Aktionen die eigene Unruhe nach stellung von Bio­grafien, z. B. von Harro Schulze-Boysen, der zu seinem 100. Geburtstag mit außen, durchbrachen das Schweigen und machten für eine kleine Öfentlichkeit sichtbar, einer Aus­stel­lung im Bundesministerium für Finanzen, dem ehemaligen Reichsluftfahrtmi­ dass die Gegner im Inneren noch da und wieder aktiv waren. Die Freundeskreise bildeten nisterium, ge­­ehrt wurde, oder von Marta Wolter-Husemann, die 1932 in dem Filmklassiker ein Refugium, in dem auch Spannungen ausgetragen und selbst persönliche Krisen aus­ »Kuhle Wampe« mitspielte. gehalten werden konnten, ohne den Zusammenhalt in Frage zu stellen. Dabei entstand Die vorliegende Broschüre möchte einen Einblick in die entstandenen Projekte geben, die ein der Nazi-Ideologie entgegengesetzter und sie zugleich unterlaufender kultureller und die Projektgruppen selber vorstellen und an denen sie zum Teil noch arbeiten. politischer Zusammenhalt, eine identitätsfördernde Subkultur, die den Zusammenhalt der Nazi-Gegner stärkte und förderte. Von diesen subversiven Begegnungen ging Ermutigung Das Projekt wurde von Kulturland Brandenburg im Rahmen des Themenjahres »Freiheit. aus, sie bestärkten die Beteiligten in ihrer nazikritischen Haltung und Selbstbehauptung. Gleichheit. Brandenburg. Demokratie und Demokratiebewegungen« gefördert. Wir danken Vertrauen und Verlässlichkeit, Hilfe füreinander und für andere prägten die Zusammen­ den Mitarbeiterinnen von Kulturland Brandenburg, insbesondere Frau Dr. Faber-Schmidt, künfte. Es wurde geredet, gesungen, gelacht, Angst, Alleinsein und Misstrauen überwun­ Frau Dr. Chmura und Frau Deponte für die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit und den. Mit ihrem Zusammensein, ihren versteckten und ofenen Zeichen bewiesen sie, dass die tatkräftige Unterstützung. Bei der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, dem Filmmu­ ein anderes Leben möglich war. seum Potsdam und der DKB Stiftung bedanken wir uns für die Kooperation.

Liebenberger Freundeskreis Libertas e.V. und Zeitpfeil e. V.

wählten sie die Mole in Marquardt bei Potsdam für ihre Begegnungen aus. Diese Trefen bedeuteten einen Austritt aus dem engen NS-Alltag und boten einen Rückzugsort unter Viele Begegnungen der unterschiedlichen Freundeskreise fanden im Berliner Umland statt. Freunden. Hier verbrachten die Mitstreiter ihre Wochenenden. An Orten wie der Schmölde bei Prieros, Im Sommer 1934/35 fuhren Heinrich Scheel und Hans Lautenschläger, einstige Schüler am Lehnsee, in der Schorfheide, in Liebenberg, in Lehnitz, am Liepnitzsee, im Spreewald, der Schulfarm Scharfenberg, einer Internatsschule am Tegeler See, die auf der Weimarer in Velten, im Kremmener Luch, in Bad Saarow, an der Mole in Marquardt bei Potsdam, im Reformpädagogik aufbaute, mit ihren Fahrrädern an die Schmölde bei Prieros. Auf einer Summter Wald, in Teupitz und anderswo konnten sie sich frei bewegen, sich ofen äußern abgelegenen Wiese trafen sie weitere Freunde, sangen ihre Lieder, redeten am Lagerfeuer und austauschen. Ihre Freizeitaktivitäten knüpften sie an Begegnungsformen aus der Wei­ über Politik, Kultur, verbotene Bücher und tauschten sich über Möglichkeiten aus, Wider­ marer Republik an, so der Arbeiterjugendbewegung, der bündischen Jugend, der Frei­ stand zu leisten und weitere Mitstreiter zu gewinnen. körper­kultur und freier Sportgemeinschaften. Von 1940 bis 1942 stellten , ebenfalls ehemaliger Schüler der Schulfarm Schar­ Die Trefpunkte in Brandenburg waren mit vergangenen und gegenwärtigen Lebensorten fenberg, seine spätere Frau Hilde und weitere Freunde in einem Bootshaus in Lehnitz der einzelnen Mitglieder verbunden. Libertas Schulze-Boysen, Enkelin des 1921 verstor­ ihre Faltboote unter und errichteten auf einer nahe gelegenen Wiese ihre Zelte. Sonn­ benen Fürsten Philipp Eulenburg zu Hertefeld, wuchs auf dessen Gut in Liebenberg auf. tagvormittags waren sie häufig gemeinsam unterwegs, badeten, setzten sich zusammen, Im Juli 1936 heiratete sie den Referenten des Reichsluftfahrtministeriums Harro Schulze- diskutierten Probleme und trafen für weitere Aktivitäten Absprachen. In den Schränken Boysen. Gelegentlich besuchten sie die Liebenberger Verwandten. Pfingsten 1939 und im Bootshaus bewahrten sie illegales Material, Flugblätter, Zeitungen und Bücher auf. Hans 1940 trafen sich Libertas und Harro Schulze-Boysen mit alten und neuen Freunden am Coppi kümmerte sich im August 1942 um den aus Moskau eingetrofenen Fallschirmsprin­ Liebenberger Lankesee. Im Sommer 1938 fuhren sie mit ihren Freunden, dem Bildhauer ger Albert Hößler und brachte ihn einige Tage in einem Zelt in Lehnitz unter. Der spätere Kurt Schumacher und seiner Frau Elisabeth, der Ärztin und ihrem Lebens­ Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium, Dr. Arvid Harnack, hatte am Kirchplatz gefährten Walter Küchenmeister sowie dessen Söhnen Rainer und Claus, dem Schriftsteller in Bad Saarow ein Zimmer, wohin er sich mit seiner Frau Mildred, einer amerikanischen Günther Weisenborn und der aus dem Frauenkonzentrationslager Moringen entlassenen Literaturwissenschaftlerin, gelegentlich zurückzog. Kommu­nis­tin Marta Wolter an den Grimnitzsee in der Schorfheide. Pfingsten 1941 und 1942

Die beiden brandenburgischen Orte Kleinmachnow und Stahnsdorf wurden zu Trefpunk­ ten für einzelne Mitglieder der Freundeskreise. Adolf Grimme, religiöser Sozialist und von 1930 bis 1932 preußischer Kultusminister, wohnte mit seiner Frau Maria in Kleinmachnow. In ihrem Haus kam es zu Gesprächen mit seinem Studienfreund, dem Schriftsteller Adam Kuckhof. Ende der dreißiger Jahre zogen sie Arvid Harnack und den Reichsbahnarbeiter , bis 1933 Redakteur der KPD-Zeitung »Die Rote Fahne«, hinzu. , vor 1933 Journalist bei der »United Press« und der »New York Times«, lebte seit Mitte der dreißiger Jahre in Stahnsdorf. Er war als Industrievertreter tätig, unterstützte gemeinsam mit seiner Nachbarin Annie Krauss Verfolgte des Naziregimes, half beim Druck und der Verteilung von Flugblättern. Seit 1940 war er mit Harro Schulze-Boysen befreundet.

Harro Schulze-Boysen war 1941 im Generalstab der Luftwafe in Wildpark-West tätig. Dort beherbergt heute die Henning-von-Tresckow-Kaserne das Einsatzführungskommando der Bundeswehr. Harnack und später Schulze-Boysen informierten den Mitarbeiter der sowje­ v. l. n. r.: Kurt Schuhmacher, Elfriede Paul, Rainer Küchenmeister, Harro Schulze-Boysen in Liebenberg tischen Botschaft Alexander Korotkow über die im Januar 1941 einsetzenden Vorbereitun­ am Lankesee, Pfingsten 1939 (GdW). gen zum militärischen Angrif auf die Sowjetunion. Am 15. Juni 1941 teilte Schulze-Boysen schen Jugend kommende Wolfgang Thiess hatte 1931 die Hitlerjugend verlassen und war dem Kommunistischen Jugendverband beigetreten. Der in Petersburg aufgewachsene Sinologe Philipp Schaefer schloss sich unter dem Einfluss von Anna Seghers – sie studier­ ten gemeinsam Sinologie – der KPD an. Der sprachbegabte Redakteur der »Roten Fahne« hatte nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Sachsenhau­ sen zahlreiche Kontakte zu politisch und weltanschaulich unterschiedlichen oppositionel­ len Kreisen. Nach ihrer erneuten Verhaftung wurden Thiess und Guddorf 1943 zum Tode verurteilt. Die im Herbst 1942 festgenommenen Mitstreiter Adolf Grimme und Günther Weisenborn waren von 1943 bis zu ihrer Befreiung im Mai 1945 in Luckau inhaftiert. Im Frühjahr 1943 wurde Leo Skrzypczynski, Unternehmer und an dem Diskussionskreis um Arvid Harnack beteiligt, vom Reichskriegsgericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Die Gestapo ordnete seine Überführung in das Konzentrationslager Sachsenhausen an. Als Schreiber in den Heinkelwerken überlebte er. Der 38-jährige Albert Voigts, Patentingenieur und Kommunist, dem Kreis um Harro Schulze-Boysen angehörend, kam Anfang Juni 1943 nach Einstellung des Gerichtsverfahrens in das Konzentrationslager Sachsenhausen und verstarb dort am 30. Juni 1943. Der 19-jährige Helmut Marquart erhielt nach einem Frei­ spruch einen Schutzhaftbefehl und ebenfalls eine Einweisung in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Über ein Drittel der Mitstreiter waren Frauen. 19 von ihnen wurden zum Tode verurteilt Hans und , Gerhard Kurzer beim Zelten in Lehnitz (GdW). und in Plötzensee hingerichtet. Ilse Schaefer wurde ohne einen Prozess im Juni 1943 in das Konzentrationslager Ravensbrück überstellt. Die 18-jährige Hannelore Thiel, ihre Tochter bei einem letzten Gespräch auf der Mole in Marquardt Korotkow mit, dass alle Vorberei­ kam vier Monate vor ihrer Festnahme zur Welt, kam nach einer Gefängnisstrafe Ende 1943 tungen abgeschlossen seien und in den nächsten Tagen mit dem Angrif zu rechnen sei. in das Fabrikkommando Rathenow des Konzentrationslagers Ravensbrück. Greta Kuckhof, Stalin schenkte diesen Warnungen keinen Glauben und bezeichnete am 17. Juni 1941 den Elfriede Paul, Ruthild Hahne, Jutta Dubinsky, Lotte Schleif und Ina Lautenschläger ver­ Informanten aus dem Generalstab als »Desinformator«. brachten die längste Zeit ihrer Haft im Frauenzuchthaus . Der Bildhauer Kurt Schumacher gehörte zu den aktivsten Mitstreitern in dem Widerstands­ kreis um Schulze-Boysen. Er übernahm 1938 einen größeren Auftrag für die künstlerische Ausgestaltung des Eingangsbereiches des Kasernengeländes in Krampnitz bei Potsdam. Kurt Schumacher dachte an seine Freunde im Widerstand und all ihre Anstrengungen, als Die in Terrakotta gehaltenen Keramikplatten zeigen das Leben in einem westgermani­ er am 27. November 1942, gefesselt und mit einem selbst gemachtem Bleistift, in seiner schen Dorf vor 2.000 Jahren. Bei Ausgrabungen waren auf dem Gelände Spuren des Dor­ Zelle im Hausgefängnis der Gestapozentrale niederschrieb: fes gefunden worden. Außerdem fertigte er auf dem Kasernengelände ein monumentales »Ich habe getan, was ich konnte, bis zuletzt und falle für meine Idee und nicht für eine Hoheitszeichen aus Muschelkalk, einen das Hakenkreuz umschließenden Adler. Dieses fremde, feindliche. […] Ich weiß, daß meine, unsere Idee siegt, wenn auch die kleine Vor­ Emblem wurde an der Spitze des noch heute weithin sichtbaren Turms angebracht. hut fällt. Wir hätten gerne dem deutschen Volk das Härteste erspart. Unsere kleine Schar An ihren Arbeitsplätzen konnten die Mitstreiter der »Roten Kapelle« ihre Meinung nicht frei hat aufrecht und tapfer gekämpft. Wir haben für die Freiheit gekämpft und konnten nicht äußern und mussten ihre regimekritischen Gesinnungen verbergen. Sie versuchten jedoch feige sein.« vorsichtig, regimekritische Stimmungen zu bestärken.

Coppi, Hans; Andresen, Geertje: Dieser Tod paßt zu mir. Harro Schulze-Boysen – Grenzgänger im Mitte Februar 1934 wurde Hans Coppi nach seiner Festnahme in Berlin für sechs Wochen in Widerstand. Berlin 2002. das von der SA-Standarte Oranienburg errichtete Konzentrationslager in der alten Brauerei Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hg.): Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nati­ eingewiesen. Mit 18 Jahren war er einer der jüngsten Häftlinge. Anschließend verurteilte onalsozialismus. Berlin 1994. ihn das Kammergericht zu einem Jahr Jugendhaft. Griebel, Regina; Coburger, Marlies; Scheel, Heinrich: Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Im Zuchthaus Luckau inhaftierte kommunistische Hitlergegner fanden nach ihrer Entlas­­ Eine Fotodokumentation. Halle 1992. sung wieder Anschluss an informelle Freundes- und Widerstandskreise. Der aus der bündi­

von ihnen zu erforschenden Orte enthalten waren. Diese sollten Anregungen für eigene Recherchen und die Entwicklung von eigenen Ideen geben. Bei der Konzeption des Projektes »Kommunikation + Zivilcourage« standen teilnehmer­ aktive Methoden und forschend-entdeckendes Lernen im Mittelpunkt. Es beteiligten sich Nach der Vorbereitungsphase durch die Modulworkshops und dem gemeinsamen Seminar­ vier Projektgruppen bestehend aus Jugendlichen zwischen 12 und 20 Jahren aus unter­ wochenende in Berlin verfassten die Projektgruppen ein Projektkonzept und einen Ablauf­ schiedlichen Orten im Land Brandenburg. Sie entwickelten eigene Projektideen, um sich plan für dessen Umsetzung. Die Gruppe aus Velten entschied sich für die Erarbeitung mit der Geschichte der »Roten Kapelle« an den Orten Liebenberg, Oranienburg, Velten und eines Dokumentarfilms, der den Spuren der »Roten Kapelle« in und um Velten nachgeht. Wildpark-West auseinanderzusetzen. Die Potsdamer Gruppe orientierte sich an dem Konzept der Stadtrallye und entwickelte eine individuelle historische Stadtführung durch Potsdam. Darüber hinaus recherchier­ Da die Voraussetzungen der Projektgruppen sehr unterschiedlich waren und ein Teil der ten sie zum Arbeitsort von Harro Schulze-Boysen in Wildpark-West. Die jüngste Gruppe jugendlichen Teilnehmer/-innen das Thema Nationalsozialismus noch nicht im Unterricht des Gesamtprojektes aus Oranienburg stellte das Leben von Libertas Schulze-Boysen ins behandelt hatte, wurde von den Projektträgern ein Konzept erarbeitet, um für die Projekt­ Zentrum ihrer Nachforschungen. Daraus ergab sich die Idee, ein eigenes Theaterstück zur gruppen eine gemeinsame und ausreichende Grundlage zur Beschäftigung mit den Orten »Roten Kapelle« zu schreiben. der »Roten Kapelle« zu schafen. Dazu wurden vier Einführungsmodule entwickelt, die aus Materialien und damit verbundenen Workshopkonzepten bzw. Arbeitshilfen zum Selbst­ Bei der Konzeption, Arbeitsplanung und Umsetzung ihrer Projektideen wurden die einzel­ studium bestehen. Sie beinhalten ebenfalls Übungen im Umgang mit unterschiedlichen nen Gruppen von Mitgliedern des Teams beraten, um ihnen einen erfolgreichen Abschluss Typen von Quellen. ihrer Arbeiten zu erleichtern. Bis Ende des Sommers 2010 dauern die Projekte noch an. Am Schluss wird ein gemeinsamer Seminartag stehen, an dem die Teilnehmer/-innen sich Die inhaltliche Konzeption der Module gliedert sich in: nicht nur wieder sehen, sondern sich ihre Projekte gegenseitig vorstellen, bevor sie einer Modul 1: Nationalsozialismus: Grundlagen und Ideologie breiten Öfentlichkeit auf der Homepage www.kommunikation-zivilcourage.de präsentiert Modul 2: Nationalsozialismus: Krieg, Verfolgung, Vernichtung werden. Modul 3: Widerstand gegen den Nationalsozialismus: Überblick Modul 4: Historische Arbeit vor Ort: Recherchemöglichkeiten, Umgang mit Quellen, Präsentations­formen Modul 1 Nationalsozialismus: In einer Reihe von Workshops mit den einzelnen Projektgruppen und Selbststudien auf der Grundlagen und Grundlage der vier Module, die die Projektträger sowie Honorarkräfte begleiteten, wurden Ideologie die für die weitere Projektarbeit notwendigen Grundkenntnisse erarbeitet.

Während eines Seminarwochenendes im Oktober 2009 in Berlin lernten sich die Projekt­ gruppen kennen und erkundeten gemeinsam die Spuren der »Roten Kapelle« und ihrer Widerstandshandlungen als Übung für die eigenen Projektumsetzungen. Bei einer selbst Modul 4 Modul 2 geführten Stadtrallye, die sie an wichtige Orte der Freundes- und Widerstandskreise führte, Historische Arbeit Nationalsozialismus: erprobten sie eigene Zugänge der Recherche und erstellten eine kleine Ausstellung, u. a. vor Ort Krieg, Verfolgung, zu Harro Schulze-Boysens Arbeitsort im ehemaligen Reichsluftfahrtministerium, zum ehe­ Vernichtung maligen Gestapogefängnis auf dem heutigen Gelände der Stiftung Topographie des Terrors, in dem Günther Weisenborn inhaftiert war, und zum ehemaligen Polizeigefängnis am Alexanderplatz. Darüber hinaus wurde bei einem Zeitzeugengespräch in die Arbeit mit Zeitzeugen eingeführt und weitere Aspekte zur »Roten Kapelle» und der Widerstands­ Modul 3 thematik während einer von Hans Coppi geleiteten Führung durch die Gedenkstätte Deut­ Widerstand gegen den scher Widerstand vermittelt. Nationalsozialismus: Überblick Die Projektträger erstellten für jede Gruppe eine eigens entwickelte Materialmappe, in der Berichte und Fotos aus Archivbeständen zu Ereignissen und Personen im Hinblick auf die Hinblick auf unsere Konfirmation in den kommenden Monaten intensiv vorbereiten. Wir werden Fra­gen des christlichen Glaubens diskutieren, unsere Fragen stellen und uns eine eigene Posi­tion im Blick auf den christlichen Glauben erarbeiten. Dabei können uns geschicht­liche Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus helfen. Wenn Menschen Wir, Konfirmanden der Evangelischen Kirchengemeinde Oranienburg im Alter von 12 und sich gegen Dis­kri­mi­nie­rung, Ausgrenzung, Verfolgung und Krieg bekannt haben, hatte 13 Jahren, haben im September 2009 mit unserem zweijährigen Konfirmandenkurs begon­ dies für ihr Leben­­ meist tragische und zum Teil tödliche Folgen. Dies ist heute nicht mehr nen. Wir kommen aus der Stadt Oranienburg, umliegenden Dörfern und aus der Stadt in dem Maße der Fall, jedoch verlangt auch unser Bekenntnis Konsequenzen im täglichen Berlin. Leben und Handeln. Die Frauen und Männer der Freundes- und Widerstandskreise der »Roten Kapelle« wussten um die Folgen ihres Bekenntnisses für den Fall, dass man sie enttarnen würde. Und dennoch Am Beginn unserer Konfirmandenzeit haben wir uns kennengelernt und sind thematisch haben sie an ihrer Überzeugung festgehalten und sich konsequent gegen das national­ gleich zum Thema »Bekenntnis« übergegangen. sozialistische Regime bekannt. Dem gebührt unsere Anerkennung und Hochachtung. Wenn wir uns am Sonntag vor Pfingsten 2011 konfirmieren lassen, bekennen wir uns zum Aber wer war die »Rote Kapelle«? Welche Menschen steckten hinter dieser von der Gestapo christlichen Glauben und zu unserer Mitgliedschaft in der Evangelischen Kirche. Dieses verwendeten Bezeichnung? Welche einzelnen Schicksale sind mit diesem Namen ver­bun­ Bekenntnis wollen wir nicht so einfach dahinsagen, es soll ehrlich sein. Aber was bedeutet den? Es sind ja immer Menschen, die hinter solchen festen Begrifen stehen. es, sich zu bekennen? Hat ein Bekenntnis für uns heute auch Konsequenzen? An welchen anderen Orten und Stellen legen wir Bekenntnisse ab? Was bedeutet das für unser Leben hier und heute? Wir waren gemeinsam in der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand und haben Über diese Fragen haben wir uns ausgetauscht und sind so auf das Projekt der Vereine unterschiedliche Biografien von Männern und Frauen kennengelernt. Sicherlich ein wenig Lieben­­berger Freundeskreis Libertas e.V. und Zeitpfeil e.V. über die »Rote Kapelle« ge­ älter als wir selbst, aber nicht viel. Es waren Menschen, die verliebt waren, gern Ausflüge stoßen. Dabei haben wir festgestellt, dass Bekenntnisse Konsequenzen fordern. Ein persön­ im Land Brandenburg unternommen haben, miteinander gelacht haben, einander getrös­ liches Bekennt­­ ­nis darf nicht einfach so dahingesagt werden. Darauf werden wir uns im tet haben… Menschen wie wir! Das hat uns sehr beeindruckt. Und dies sowie die Lebens­ geschichten der Einzelnen möchten wir anderen Menschen nicht vorenthalten. Nach dem Besuch der Gedenkstätte und einem Workshop zum Thema Widerstand und Nationalsozialismus kamen wir auf die Idee, die Erfahrungen der Vergangenheit und unseres heutigen Lebens, mit ihren jeweiligen Bekenntnissen, in einem Theaterstück um­ zusetzen. Wir schreiben, gemeinsam mit dem Dramaturgen Sebastian Odin James, an einem Stück, welches auf zwei Zeitschienen verlaufen wird: Vergangenheit und Gegen­ wart. Anhand eines Gesprächs zwischen einem Großvater und seinen Enkeln wird die Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Der Großvater erzählt die Geschichte der »Roten Kapelle« und ihrer Widerstandshandlungen. Er erzählt zum Beispiel über Libertas Schulze- Boysen, die innerhalb ihrer Tätigkeit bei der Deutschen Kulturfilmzentrale Filmmaterial über die NS-Verbrechen sammelte. Mit dem Theaterstück wollen wir unsere Fragen und Erkenntnisse im Hinblick auf Vergan­ genes und Gegenwärtiges reflektieren und gemeinsam zu Handlungsoptionen gelangen. Mit dem Theaterstück wollen wir den Zuschauern deutlich machen, dass auch heute keine Lippenbekenntnisse gefragt sind, sondern Worten Taten folgen müssen. Dafür stehen wir ein. Dies möchten wir gern weitervermitteln. Wir freuen uns auf das Theaterstück, welches wir u. a. in Schulen vorstellen werden. Im Augenblick schreiben wir an dem Stück, lassen uns die notwendige Zeit, um qualitativ eine gute Arbeit zu leisten. Und wir träumen schon ein wenig von unserem ersten Auftritt und hofen, Menschen für ein klares Bekenntnis begeistern zu können.

Konfirmandengruppe Oranienburg Neuhäsen Wir werden uns mit dem Fahrrad von Velten nach Liebenberg vorarbeiten und an ver­ Neulöwenberg Falkenthal schie­denen Orten Zwischenstationen einle­­ Löwenberg Liebenberg gen. Diese Orte sind Germendorf, Oranien­ Im Jahr 2007 wurden, wie in anderen Jahren auch, viele Jugendliche konfirmiert. Die Kon­ burg, Lehnitz, Sachsenhausen und Freien­ Grüneberg firmanden aus Velten schlossen sich jedoch anschließend zu einer Gruppe zusammen, die hagen und stehen in Verbindung mit Wackerberge Neuholland sich fortan JEBDA (Junge Engel bei der Arbeit) nannte. einigen Mitgliedern der »Roten Kapelle«. Teschendorf Pappelhof Es verließen viele die Gruppe, einige neue (auch Atheisten) kamen hinzu. Die Konstella­ Für den Dokumentarfilm haben wir ein Dreh­ tion vom Oktober 2009, mit der wir nach Berlin zum Seminarwochenende über die »Rote ­buch entwickelt. Dazu arbeiteten wir das L 213 Kapelle« reisten, entstand größtenteils während der Mixed-Pickles-Wochen 2008 und 2009. Infor­mationsmaterial, welches uns die Pro­ Freienhagen Diese Wochen stellen eine mittlerweile alljährlich stattfindende Antirassismusaktion dar, jekt­leitung zur Verfügung gestellt hatte, Nassenheide die auch 2010 in der ersten Sommerferienwoche in Velten unter dem Motto »Hart an der sorg­fältig mehrere Male durch. Dabei stell­ Neuhof-Siedlung Malz Grenze« durchgeführt wird. ten wir fest: wir benötigen noch viel, viel Friedrichsthal Die Anregung bei dem Projekt »Kommunikation + Zivilcourage« mitzumachen, kam von mehr … unserer örtlichen Pfarrerin Ute Gniewoß, die auch den Kontakt zu Libertas und Zeitpfeil e. V. Deshalb streckten wir unsere Fühler aus und L 29 herstellte. erkundigten uns bei mehreren, sehr hilfs­ Schmachtenhagen bereiten Personen und machten uns auf zur Oranienburg Recherche. Germendorf Lehnitz Unser Ziel ist es, andere Menschen auf das Schicksal der Widerstandskämpfer der »Roten So bekamen wir zum Beispiel Zugang zum Kapelle« aufmerksam zu machen, aber auch zu zeigen, dass sie ganz normale Menschen, Archiv Gedenkstätte und Museum Sachsen­ L 211 Leegebruch Ehepartner, Eltern und Freunde waren. Dies wollen wir mit einem Dokumentarfilm einer hausen und durchforschten die Stadtarchive etwas anderen Art bewerkstelligen, dessen Konzept wir hier vorstellen. in Oranienburg, Velten und Hennigsdorf Pinnow Briese nach Material. Neben diesen Quellen nutz­ ten wir auch die Informationen der Gedenk­ Velten Birkenwerder Summt Hohen Neuendorf stätte Deutscher Widerstand und der Ge­ 2,5 km © OpenStreetMap Contributors, Lizenz CC-BY-SAFeldheim 2.0 denk­stätte Plötzensee, vor allem aber er­­hiel­ ten wir Hilfe von Hans Coppi. Hans Coppi ist mu­nistischen Hitlergegner Erna und Fritz der Sohn des gleichnamigen Widerstands­ Gabbe – erfahren. kämpfers, der mit Harro Schulze-­Boysen, Außerdem lasen wir mehrere Bücher zum Arvid Harnack, Kurt Schumacher u. a. am Thema Nationalsozialismus und Verfolgung, 22. Dezember 1942 hingerichtet wurde. wie die Biografie über Libertas Schulze- Hans Coppi wurde 1934 mit 18 Jahren das Boysen »Erzähl allen, allen von mir« von erste Mal verhaftet. Er kam einige Wochen Silke Kettelhake, die Autobiografie »Neger, in das Konzentrationslager Oranienburg Neger, Schornsteinfeger« von Hans-Jürgen und dann in das Jugendgefängnis Plötzen­ Massaquoi oder das Buch »Das Heinkel- see. Auch Fritz Gabbe wurde von den Nazis Flugzeugwerk Oranienburg«. verhaftet und erst 1936 aus dem Zuchthaus Brandenburg entlassen. Hans Coppi und Im Moment arbeiten wir intensiv an den Fritz Gabbe wurden nach dessen Freilassung Vor­bereitungen für den Dokumentarfilm. Freunde und führten gemeinsame Wider­ Erste Drehversuche haben wir bereits unter­ stands­­tätigkeiten aus, wie das Verteilen von nommen. Bis Ende des Sommers 2010 soll Flugblättern oder halfen Verfolgten, die aus der Film fertig gestellt sein. Wir möchten Deutschland fliehen mussten. Dies haben ihn dann in Form einer kleinen Filmpremi­ wir von Hans Coppi und durch ein Interview ere den anderen Projektgruppen und allen JEBDA (v.l.n.r.): Tim, Marie, Christian, Sarah, Lisa, Moritz mit einem Zeitzeugen – dem Sohn der kom­ Interessierten vorstellen. Boysen herauszufinden. Bei diesen ganzen Überlegungen hatten wir eines Nachmittags die Idee, einen alternativen Stadtplan von Potsdam und Umgebung zu entwerfen. Wir haben recherchiert, Orte ausgewählt und Texte geschrieben. Hier sind unsere ersten Ergebnisse. Es fing mit einer ganz einfachen Frage an, die durch die neunten Klassen des Hermann- von-Helmholtz-Gymnasiums in Potsdam ging: Wer hat Lust, an einem Projekt zur »Roten Kapelle« teilzunehmen? Die erste Gegenfrage war natürlich gleich: Was ist die »Rote Kapelle«? Diese Frage wurde teilweise durch die an diesem Thema interessierte Lehrerin Wo heute das Einsatzführungskommando für Auslandseinsätze der Bundeswehr unterge­ Frau Moschcau geklärt. Die meisten Schüler, die hörten, dass es sich um eine Widerstands­ bracht ist, arbeitete im Jahr 1941 Oberleutnant Harro Schulze-Boysen im Generalstab der gruppe gegen den Nationalsozialismus handelte, nickten nur mit dem Kopf und wandten Luftwafe. Seine Aufgabe bestand darin, Berichte und Telegramme von Luftattachés aus sich dann wieder ihrer Arbeit zu. Schließlich fanden sich jedoch sechs neugierige Schüler deutschen Botschaften auszuwerten. Durch die Möglichkeit auf geheimste Informationen zusammen: Alexandra, Johanna, Kyra, Anne, Hannah und Roman. Wir besprachen, was die zugreifen zu können, konnte er diese heimlich sammeln und verdeckt Widerstand leisten. »Rote Kapelle« überhaupt sei, und frischten unser bisheriges Wissen zum Nationalsozialis­ Über den Oberregierungsrat im Wirtschaftsministerium, Arvid Harnack, lernte er Alexan­ mus mit interessanten Hörbeispielen und Texten auf. Nach ein paar Wochen Recherche der Korotkow, einen Mitarbeiter der sowjetischen Botschaft, kennen. Daraufhin kam es zu fuhren wir zum ersten Trefen nach Berlin, wo auch die anderen Gruppen anwesend waren. Trefen zwischen Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack und Alexander Korotkow. Ihre wei­ Dort erzählten uns die Initiatoren des Projektes, die Vereine Liebenberger Freundeskreis tergegebenen Warnungen über den bevorstehenden Angrif auf die Sowjetunion, wurden und Zeitpfeil, noch einmal sehr ausführlich über die Geschichte und Widerstandshand­ von Stalin allerdings nicht geglaubt. lungen der »Roten Kapelle« und regten unsere Gedanken mit tollen Exkursionen an. Am Äußerlich ließ sich Schulze-Boysen nicht anmerken, dass er Widerstand leistete. Er er­wähnte letzten Tag des Gruppentrefens überlegten wir, welchen Fragen wir nachgehen und wie nur in einigen Briefen an seinen Vater seine Kritik an den Ansichten seiner Kollegen. Harro wir unsere Ergebnisse präsentieren wollen. Uns kam ziemlich schnell die Idee, für die ande­ Schulze-Boysen fühlte sich im Wildpark einerseits sehr wohl. Er genoss die frische Luft und ren Gruppen einen kleinen Stadtrundgang durch Potsdam zu gestalten, eine Collage zu wandelte oft durch das Gelände. Andererseits fühlte er sich jedoch eingeengt und war erstellen und mehr über die Kaserne in Wildpark-West als Arbeitsplatz von Harro Schulze- häufig überarbeitet. Er beschwerte sich über zu wenig Freizeit, schafte es jedoch, lange Briefe zu schreiben. Nebenbei hatte er eine Afäre, machte sich Sorgen um die Gesundheit seines Bruders und traf sich ab und zu am Wochenende mit einigen Freunden aus dem Kreis der »Roten Kapelle« in Marquardt. Bei unserem Besuch im Wildpark sah man fast nichts mehr, was an die Zeit des Zweiten Weltkriegs erinnert. Die Gebäude von damals wurden stehen gelassen oder abgerissen. Die stehen gelassenen Gebäude sind modernisiert und renoviert worden und die Bunker sind sicher verschlossen. Neben den Gebäuden, in denen man arbeitet, gibt es auch ein Kino, ein Schwimmbad und einen Sportplatz. Das Gelände wird auch heute noch streng bewacht. Spuren, die auf den Widerstand von Harro Schulze-Boysen hinweisen, findet man keine mehr, außer dass mit einer jährlichen Gedenkfeier an Henning von Tresckow, Mit­ glied der Widerstandsgruppe des 20. Julis, erinnert wird.

Das Haus Lindenstraße 54/55 wurde bis 1737 als Wohnhaus genutzt, dann wurde es zum preußischen Kommandantenhaus, französischen Pferdelazarett, Sitz des ersten Potsdamer Stadtparlaments und schließlich zum Gefängnis und Gerichtsgebäude im Kaiserreich und in der Weimarer Republik umfunktioniert. 1935 wurde in dem Gebäude ein »Erbgesundheitsgericht« entsprechend des NS-Gesetzes zur »Verhütung erbkranken Nachwuchses« errichtet. Dieses entschied über Zwangsste­ rilisierungen. Nach diesem Gesetz konnten Menschen mit »angeborenem Schwachsinn, Schizo­phrenie und erblicher körperlicher Missbildung« zur Zwangssterilisation verurteilt werden. Auch chronische Alkoholiker fielen unter das Gesetz. Die Erbgesundheitsrichter v. l. n. r.: Ulrike Moschcau, Roman, Hannah, Anne, Alexandra und Johanna und die zuständigen Ärzte waren maßgeblich an der Durchsetzung der (weiter Seite 17) Von-Stechow-Straße

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Kavallerieschule­ genutzt. l 2003 der Künstler Gunter Am 3. Juli 2008 wurden die

d e Später nutzten die sowjeti­ Kirschallee B 2 N Dem­nig. Mit den Stolper­ ersten Stolpersteine in schen Truppen den Kom­ Ketziner Straße steinen sollen Schicksale Potsdam verlegt. Krampnitz plex und erweiterten ihn von Opfern des Nazi-Terrors, durch einige Platten­

Am Schragen bauten. Seit dem Abzug Alleestraße Krampnitzsee 1994 steht das Gelände leer. Reiterweg Der Bildhauer Kurt Schu- macher, er gehörte zum Sp Berliner Straße it Jägerallee z Widerstandskreis um w e g

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Schulze-Boysen, übernahm s s 1938 einen größeren Auf­- e ­trag für die künstlerische Hegelallee e aß Ausgestaltung des Ein­ tr S - l Behringstraße e g gangs­bereiches für das neu Potsdam r ü B - Nuthestraße . H erbaute Kasernengelände - o

n Am Kanal u Pasteurstraße r Filchnerstraße in Krampnitz. Am Neuen Palais B

Lindenstraße Zeppelinstraße Breite Straße Kuhfort Freundschaftsinsel Lessingstraße

Karl-Liebknecht-Straße

Tannenweg Heinrich-Mann-Allee

Wildpark West In der früheren Bergstraße 1 Am Ufer Tornowstraße Amselweg (der heutigen Spitzweg­

H Brauhausberg a v gasse) befand sich ab 1940 e l pr Hermannswerder Leipziger Straße om das »jüdische Siechen- und en a d Am Teich e Altenheim«. In Wirklichkeit 500 m © OpenStreetMap Contributors, Lizenz CC-BY-SA 2.0 diente es als Sammelstelle für Potsdamer Juden, die

Wildpark-West: In Wildpark- Gedenkstätte für die Opfer Das Stadtschloss, eines der Markt. Nach dem Luft­Wildpark Jahren 1959 und 1960 ge­ von hier in die Vernich­tungs­ West befand sich von 1941 politischer Gewalt im bedeutendsten Werke des angrif auf Potsdam in der sprengt und endgültig lager deportiert wur­den. Werderwiesen bis 1942 der Arbeitsort von 20. Jahr­hundert, s. S. 14 Friderizianischen Rokoko, Nacht auf den 14. Mai 1945 abgerissen. 1943 transportierte die Am Markt Harro Schulze-Boysen, befand sich in der Innen­ brannte das Schloss kom­­- Gestapo die letzten 52 s. S. 14. stadt Potsdams am Alten plett aus und wurde in den Juden aus der Stadt ab.

Werder (Havel) NS-Erbgesundheitspolitik in Potsdam beteiligt: Mehr als 4.200 Frauen und Männer wurden zur Zwangssterilisation verurteilt. Das jüngste Opfer war ein 11-jähriges Mädchen. Ab 1943 diente das Gerichtsgefängnis zunehmend als politisches Gefängnis für Angeklagte des Potsdamer Volksgerichtshofes, der nach Luftangrifen auf das Gerichtsgelände an der Im Sommer 2006 haben die Freunde der Libertas-Kapelle den Verein Liebenberger Freun­ Bellevuestraße in Berlin nach Potsdam ins Landgericht (das heutige Amtsgericht) an der deskreis Libertas e.V. gegründet und damit einer bis dahin 15-jährigen Arbeit einen institu­ Kaiser-Wilhelm-Straße (heute Hegelallee) verlegt worden war. So kam es, dass in der Lin­ tionellen Rahmen gegeben. Das Anliegen der Freunde und Förderer des Freundeskreises ist denstraße viele politische Häftlinge inhaftiert waren und dort auch zum Tode verurteilt es, die Erinnerung an den Widerstand der Frauen und Männer der »Roten Kapelle« gegen wurden. Nach Kriegsende wurde das Gebäude erneut als Untersuchungsgefängnis genutzt, das nationalsozialistische Regime wachzuhalten und ihren mutigen Einsatz zu würdigen. nämlich vom NKWD, dem sowjetischen Geheimdienst. Vom Militärtribunal wurden hier Zudem wollen wir selbst aktiv gegen Rechtsradikalismus Stellung beziehen. Wir möchten für die folgenden sieben Jahre Urteile gefällt – langjährige Haftstrafen in deutschen oder jungen Menschen helfen, fit zu werden gegen rechtsextremes Gedankengut. sowjetischen Lagern (GULags) oder Todesstrafen. Mit der Wende wurde am 27. Oktober Der Verein stellt regelmäßig bei seiner Herbstkonferenz in Liebenberg neue Arbeiten zu 1989 durch die Amnestie das Ende von Inhaftierungen aus politischen Gründen erreicht. Libertas Schulze-Boysen und der »Roten Kapelle« vor. Unsere Homepage informiert über Die Staatssicherheit gab das »Lindenhotel« auf und Anfang 1990 wurde das Gebäude als unsere Arbeit und alle aktuellen Termine: www.liebenberg-libertas.com. erster Amtssitz von politischen Bewegungen aus Brandenburg, wie dem »Neuen Forum«, in Besitz genommen. Seit 1995 ist das Gebäude Teil des Potsdam-Museums. Hier wurde auch eine Projektwerk­ Zeitpfeil – Studienwerk Berlin/Brandenburg im Politischen Arbeitskreis Schulen e.V. ist ein statt eröfnet, deren Ziel die Aufklärung über die Geschichte des Hauses und seine Bedeu­ Verein junger Menschen mit Sitz in Potsdam, der durch Seminare, Studienreisen und inter­ tung als Gefängnis zu DDR-Zeiten ist. Dort können Schulklassen Führungen machen oder nationale Jugendbegegnungen politisches und gesellschaftliches Handeln fördert. Zeit­ Zeitzeugengespräche führen. pfeil steht dabei für kritisches Nachdenken über Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Die Veranstaltungen des Vereins sind als Kommunikationsräume für Dialoge der Standpunkte und Generationen konzipiert und sollen zur Bildung von Kompetenzen für eine lebendige Demokratie beitragen. Informationen zu Zeitpfeil unter www.zeitpfeil.org. Ausführliche Informationen zum Projekt »Kommunikation + Zivilcourage. Orte der »Roten Kapelle« in Brandenburg« und den einzelnen Projektgruppen gibt es unter www.kommunikation-zivilcourage.de.

1 Vorwort 2 Auf den Spuren der »Roten Kapelle« in Brandenburg Das Projekt wurde von Kulturland Brandenburg im Rahmen des Themenjahres 2009 »Frei­ 7 Zur Projektmethode heit. Gleichheit. Brandenburg. Demokratie und Demokratiebewegungen« gefördert. 9 Vorstellung der Projekte Informationen unter www.kulturland-brandenburg.de 9 Die Projektgruppe aus Oranienburg – Ein Theaterstück zur »Roten Kapelle« Die DKB Stiftung für gesellschaftliches Engagement förderte ein Seminarwochenende. 11 JEBDA auf den Spuren der »Roten Kapelle« zwischen Velten und Liebenberg 13 Die Potsdamer Projektgruppe – Ein historischer Stadtrundgang durch Potsdam und Umgebung Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin Informationen unter www.gdw-berlin.de 18 Impressum Filmmuseum Potsdam Informationen unter www.filmmuseum-potsdam.de Liebenberger Freundeskreis Libertas e. V. Zeitpfeil e. V.