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Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V. Potsdamer Str. 68, 10785 , Tel. (030) 2655 0864, Fax (030) 2655 1263, E-Mail: [email protected]

Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e.V.  Potsdamer Str. 68  10785 Berlin S.T.E.R.N. GmbH Bearbeiter: A.Stavorinus (BLN)

Straßburger Straße 55,

10405 Berlin Per E-Mail: haselhorst-@stern-berlin.de stadtplanung@ba-.berlin

Betr.: Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept Haselhorst / Siemensstadt

Unser Zeichen: 4/2005.2/VE/10 Berlin, 25.05.2020 hier: Stellungnahme der BLN, des BUND (LV Berlin), des NABU (LV Berlin), der Baumschutzgemein- schaft Berlin, der GRÜNEN LIGA Berlin, der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (LV Berlin), des Naturschutzzentrums Ökowerk Berlin, der NaturFreunde (LV Berlin) und der übrigen BLN- Mitgliedsverbände

Bezug: Internetveröffentlichung

Sehr geehrte Damen und Herren, wir haben uns in mehreren z. T. umliegenden FNP-Änderungen und B-Planungen bereits geäußert, z. B. FNP-Änderungen 01/19, 08/19, B-Pläne 5-105 VE, 5-107, 5-110 sowie 5-113. Die darin genannten Hinweise sollten im städtebaulichen Entwicklungskonzept berücksichtigt werden.

Berlin ist eine vielfältige Stadt, auch in Bezug auf Architektur, Kultur und Natur. Nicht zuletzt diese Viel- falt zieht immer mehr Menschen an. Berlin wächst. Für dieses Wachstum werden Tiere umgesiedelt, Biotope „neu geschaffen“, und Pflanzen künstlich nachgezüchtet. Wir vernichten und verschieben die Natur für den Platzbedarf des Menschen auf die letzten vorhandenen unbebauten Flächen. Doch auch hier siedeln bereits Tiere und Pflanzen. Der jahrelange Umbau zugunsten neuer Bewohner und zu Las- ten der Natur hat inzwischen dazu geführt, dass es fast keine Ausgleichsflächen mehr gibt. So wird, statt den gesetzlichen Vorgaben von Erhalt und Minderung zu folgen, versucht, auch die Natur immer weiter zu verdichten. Das wird dann Multifunktionalität und Mehrwehrt genannt. Bereits jetzt sind die Grenzen dessen erreicht, was die Natur aufnehmen, ausgleichen und regenerieren kann. Das zeigt sich in aller Deutlichkeit durch den Artenrückgang bei Insekten und Vögeln. Die hochgelobte Vielfalt der Berliner Natur schwindet.

Daher sollten die wenigen vorhandenen Grünflächen (incl. Kleingärten) im Bereich keinesfalls reduziert, sondern naturnah gestaltet und gepflegt und wo möglich erweitert werden. Die Gestaltung der Freiflä- chensollte so geplant werden, dass Vögeln Rückzugs- und Versteckmöglichkeiten (möglichst in ruhiger Lage) geboten werden. Für die Flächenbepflanzung empfiehlt sich die Verwendung von heimischen

Entwicklungskonzept Haselhorst - Siemensstadt BLN-Schreiben vom 25.05.2020 – Entwicklungskonzept Haselhorst - Siemensstadt Seite 2

Hecken, Sträuchern, (Obst-)gehölzen (u.a. Birke, Erle, Ulme) sowie Koniferen und die Pflanzung von samentragenden Stauden und Kräutern (u.a. Wiesen-Löwenzahn, Vogelmiere, Vogel-Knöterich, Hirten- täschelkraut). Der Randbereich sollte aus einer samentragenden Krautschicht bestehen und extensiv gepflegt werden. So können auch im urbanen Bereich Lebensräume, z. B. für Insekten und Vögel, ge- schaffen werden.

Besonders im B-Plan 5-107, in dem die Vernichtung der Kleingartenkolonie Saatwinkler Damm geplant ist, sollte nochmals überdacht werden. (s. unsere Stellungnahme vom 29.08.2019 in der Anlage)

Nördlich vom Vorhabengebiet befindet sich der Rohrbruchteich. Dort wurden in einer Kartierung im Jahr 2016 von der Stiftung Naturschutz Berlin vier besonders geschützte Amphibienarten nachgewiesen, Erdkröte, Teichmolch, Teichfrosch und Grasfrosch. Besonders die Erdkröte legt weite Wanderwege zwischen Laichgewässer, Sommer- und Winterquartier zurück (bis zu 2,2 km). Demzufolge sind Bau- vorhaben im Rahmen der weiteren Untersuchungen auch bzgl. dieser Arten zu betrachten und zu be- werten. Es sind Schutzmaßnahmen gegen ein Einwandern in die Baustelle (Tötungsverbot nach § 44 BNatSchG) und ggf. Ausgleichsmaßnahmen zu planen und umzusetzen.

Zusammen mit dem Rohrbruchteich, dem Rohrbruch und den Grünflächen um den Grützmachergraben stellt dieser Grünzug nicht nur eine grüne fußläufige Verbindung zwischen Tegeler See/Hohenzollern- kanal und Spree dar, sondern ist zugleich auch wichtiger Lebensraum und Biotopverbindung (siehe Landschaftsprogramm).

Zum Wohl der Biber an der Rhenaniastraße sollte im Grützmachergraben für genügend Wasser in hei- ßen Sommern gesorgt werden. In den beiden vergangenen Sommern war der vom Biber aufgestaute Bereich soweit abgesunken, dass der Biberbau nicht nutzbar war.

Der Bau einer überörtlichen Verbindungsstraße würde diesen Bereich für die Fauna und als Erholungs- raum für die Menschen völlig entwerten. Gleichzeitig entsteht durch die geplante Trasse eine erhebliche Lärm- und Abgasbelastung für neue Wohngebiete. Die Forderung nach einem öffentlichen schienenge- bundenen Nahverkehrstrasse kann durch die Wiedereröffnung der S-Bahn in ausreichender Weise be- friedigt werden. Dafür gibt es bisher jedoch keinerlei Planungen. Die geplante Straßentrasse, auch der Bau einer unterirdischen ÖPNV-Trasse widerspricht völlig den Zielen der „Berliner Strategie zur biolo- gischen Vielfalt http://www.stadtentwicklung.berlin.de/natur_gruen/naturschutz/downloads/....

Die Realisierung neuer Planungen beeinträchtigt den Lebensraum streng geschützter Arten, z. B. Biber, Fischotter, etc. Demzufolge sind Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen vor Realisierung der Planung vor- zunehmen. Multifunktionale Grünflächen können diesen Ausgleich nicht gewährleisten. An den Ufern, welche künftig höherem Nutzungsdruck aufgrund der Wohnbebauung ausgesetzt sein wer-den, müssen Rückzugsräume für die streng geschützten Arten geschaffen werden, um eine dauerhafte Vergrämung zu verhindern. Renaturierungen derzeit verbauter Ufer können dazu beitragen, Platz für solche Rück- zugsgebiete zu schaffen.

Gleisanlage bergen die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens mind. einer streng geschützten Art (Zau- neidechse, Fledermaus) in sich. Das muss unbedingt untersucht werden.

Außerdem wäre zu bedenken, ob der Denkmalschutz in Haselhorster Siedlungen an der Gartenfelder Straße so weit gehen darf, dass ein naturnahes Regime bei der Grünflächenpflege ausgeschlossen wird. Muss der Rasen aus Denkmalschutzgründen ständig kurz gehalten werden?

Bei der Anordnung der Bebauung sollte darauf geachtet werden, dass neue Quartiere ausreichend durchlüftet werden, um Hitzestauungen, die sich erheblich auf die menschliche Gesundheit besonders BLN-Schreiben vom 25.05.2020 – Entwicklungskonzept Haselhorst - Siemensstadt Seite 3 nachts auswirken, zu vermeiden. Dauerhaft hohe Temperaturen führen zu gesundheitlichen Mehrbe- lastungen besonders bei älteren Menschen. Mit den genannten Punkten befasst sich auch der Leitfaden StEP Klima KONKRET1, der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt herausgege- ben wurde. Für die beiden Leitthemen der hitzeangepassten Stadt und der wassersensiblen Stadtent- wicklung zeigt er, wie sich bekannte Anpassungsmaßnahmen (etwa Dach- oder Fassadenbegrünung, Albedo) in ihrer Wirkung optimieren lassen. Dachbegrünungen sollten mindestens 50% der Dachflächen in den allgemeinen Wohngebieten betragen.

Wenn die Gebäudestrukturen eine direkte Fassadenbegrünung nicht hergeben, gibt es andere Sys- teme, mit der eine Begrünung ohne Eingriff in die Fassade stattfinden kann. Zum Beispiel gibt es Kalksandstein-Bauelemente „Biolit Vertical Green“2 für eine individuelle Fassadenbegrünung, welche vom Fraunhofer UMSICHT3 (Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits-und Energietechnik) in Zusam- menarbeit mit UNIKA GmbH4 entwickelt wurde, aber auch weitere Möglichkeiten.

Tiefgaragen sollten eine Erdüberdeckung sowie Begrünung erhalten. Die Erdschicht über Tiefgaragen sollte mindestens 0,80 m betragen, um auch Sträucher und kleinere Bäume pflanzen zu können. Wir empfehlen biozidfreie Dachabdichtungen, um die Belastung der Umwelt mit Bioziden wie Mecoprop zu vermeiden (SenStadtUm und LaGeSo 2013).

Altbaumbestände sollten erhalten werden, da sie einen wichtigen Faktor als Filter- und Pufferfunktion darstellen. Das sollte nicht nur in geplanten Grün- und Parkanlagen sondern auch zwischen sämtlichen Neubauten angestrebt werden. Ausgleichspflanzungen mittels großkroniger Bäume gebietseigener Herkunft führen zudem zur Verbesserung der Luftqualität und einer langfristigen Senkung der Lufttem- peratur innerhalb zukünftiger Quartiere.

Bei Neuplanungen bietet es sich an, Konzepte für die Regenentwässerung von Dach- und Fassaden- flächen zu entwickeln und in die Planung mit einzubeziehen. In der Wasserschutzzone III B (B-Plan 5- 105) ist jedes Vorhaben verboten, was zur Verunreinigung oder geschmacklichen Beeinträchtigung des Grundwassers führen könnte. Hierzu gehört das Einleiten von Abwasser, von Kühl- und Kondenswasser oder auch von Niederschlagswasser von Stellplätzen und Straßen in den Untergrund. Im gesamten Planungsgebiet gibt es großräumige Altlasten. Diese können durch die Bebauung mobilisiert werden und das benachbarte Wasserschutz- und Trinkwassergewinnungsgebiet gefährden.

Gesetzlich geschützten Biotope und Grünflächen müssen bei grenznaher Bebauung entsprechend ge- gen Immissionen jeglicher Art geschützt werden. (B-Plan 5-105)

Vor Abriss alter Hallengebäude und Fällung von Bäumen müssen diese nach Baumschutzverordnung aktuell auf Niststätten von Gebäude sowie Höhlenbrütern und Fledermäusen untersucht und Land- schaftsplanerische Fachbeiträge erstellt werden. Das Vorkommen der Avifauna und der Fledermäuse fordert zudem einen Niststättenschutz. Deren Vorkommen muss vorab geprüft und bei Betroffenheit durch Fällmaßnahmen, Umbauten an Dächern und Fassaden sowie allgemeines Baugeschehen aus- geglichen werden.

Des Weiteren empfehlen wir bei der Planung der Wohngebäude den Verzicht auf großflächig verglaste und/oder spiegelnde Außenfassaden, die von Vögeln nicht als Hindernis erkennbar sind, um Vogel- schlag zu vermeiden.

1 Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Hrsg.) (2016): Stadtentwicklungsplan KlimaKONKRET – Klimaanpassung in der Wachsenden Stadt; Abrufdatum: 27.11.2018, online verfügbar unter: https://www.stadtent- wicklung.berlin.de/planen/stadtentwicklungsplanung/de/klima/konkret.shtm 2 https://www.unika-kalksandstein.de/downloads-unika/category/17-bausysteme-produkte.html?download=85:biolit-vertical-green 3 https://www.umsicht.fraunhofer.de/ 4 https://www.unika-kalksandstein.de/ BLN-Schreiben vom 25.05.2020 – Entwicklungskonzept Haselhorst - Siemensstadt Seite 4

In Zeiten des Artenrückgangs besonders bei Insekten, aber auch zum Schutz der menschlichen Ge- sundheit sowie im Sinne der Stromersparnis sollte bei der Beleuchtung der Gebäude und der Umgebung darauf geachtet werden, Lichtverschmutzung zu minimieren. Bspw. könnte die Beleuchtungs-stärke an die zeitliche Nutzung mittels Dimmungstechnologie angepasst werden. Licht sollte möglichst nur auf die zu beleuchtende Fläche scheinen (Lampenausrichtung, Abschirmung, etc.). Vollabgeschirmte Leuch- ten, die nur Licht unterhalb der Horizontalen abstrahlen und möglichst wenig blenden z. B. entsprechend einer Lichtstärkeklasse G6, bieten bisher die nachhaltigste Form für Außenraumbeleuchtungen. Vor- zugsweise sollte warmweißes Licht mit möglichst geringem Blaulichtanteil für Außen-beleuchtungen verwendet werden. Wir empfehlen daher u.a. die Verwendung von insekt- und umweltfreundlichen Nat- riumdampflampen. Die Schweizerische Vogelwarte Sempach hat sich beiden Problemstellungen ange- nommen und eine Broschüre5 mit tierfreundlichen Lösungsansätzen und Fallbeispielen veröffentlicht.

Weiterhin sollte im Anbetracht des Klimawandels und dem Ziel des Landes Berlin, bis 2050 klimaneutral zu werden, die Verwendung energieeffizienter Technologien in die Planungen aufgenommen werden.

Mit der Schaffung von Wohnraum steigt der Bedarf an Stellplätzen. Diese müssen in ausreichender Zahl neu geschaffen werden. Für die Ermittlung des Bedarfs an Stellplätzen sowie der zukünftigen Im- missionsbelastungen durch die Erhöhung des Parksuchverkehrs bzw. der Nutzungen der Wohnungen muss eine Verkehrsuntersuchung durchgeführt werden.

Mit freundlichem Gruß

Manfred Schubert Geschäftsführer für unsere nach § 63 BNatSchG anerkannten Mitgliedsverbände: gez. R. Altenkamp (Naturschutzbund Deutschland, LV Berlin) gez. L. Miller (GRÜNE LIGA, Berlin) gez. V. Graichen (Bund für Umwelt und Naturschutz, LV Berlin) gez. C. Schwanitz (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, LV Berlin) gez. A. Solmsdorf (Baumschutzgemeinschaft Berlin) gez. G. Strüven (NaturFreunde, LV Berlin) gez. Dr. P. Warnecke (Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin)

5 Schmid, H., Doppler, W. et al. (2012): Vogelfreundliches Bauen mit Glas und Licht, 2. Auflage, Abrufdatum: 06.11.2018, online verfügbar unter: https://vogelglas.vogelwarte.ch