Plenarprotokoll 12/131

Deutscher

Stenographischer Bericht

131. Sitzung

Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Inhalt:

Glückwünsche zu den Geburtstagen der eines Gesetzes zur Durchführung Abgeordneten Theo Magin, Karl Stock-- der Elften Richtlinie des Rates der hausen und Helmut Schäfer 11299A Europäischen Gemeinschaften auf - dem Gebiet des Gesellschaftsrechts Verzicht des Abgeordneten Dr. Hans über die Offenlegung von Zweignie- Joachim Sopart auf die Mitgliedschaft im derlassungen, die in einem Mit- Deutschen Bundestag 11299B gliedstaat von Gesellschaften be- stimmter Rechtsformen errichtet Eintritt des Abgeordneten Jürgen Wohl- wurden, die dem Recht eines ande- rabe in den Deutschen Bundestag . 11299B ren Staates unterliegen, und zur Wiederbeitritt des als fraktionslos geführ- Änderung des Handelsvertreter- ten Bernd Henn in die Gruppe der PDS/ rechts (Drucksache 12/3908) Linke Liste . . . . . 11299B b) Erste Beratung des von den Abge- Wahl des Abgeordneten Gerhard Neu- ordneten Dieter Heistermann, Ange- mann (Gotha) als stellvertretendes Mitglied lika Barbe, Anni Brandt-Elsweier, in der Parlamentarischen Versammlung des weiteren Abgeordneten und der Europarats für den ausgeschiedenen Abge- Fraktion der SPD eingebrachten Ent- ordneten . . 11299B wurfs eines Gesetzes zur Herabset- zung des Einberufungshöchstalters Erweiterung und Abwicklung der Tages- (Drucksache 12/3856) ordnung sowie Absetzung des Tagesord- nungspunktes 12a und b . . 11299C c) Erste Beratung des von der Bundes- Nachträgliche Überweisung eines Gesetz- regierung eingebrachten Entwurfs entwurfes an weitere Ausschüsse . . 11299D eines Gesetzes zu dem Abkommen Dr. Peter Struck SPD (zur GO) . . . . . 11300A vom 4. Dezember 1991 zur Erhal- tung der Fledermäuse in Europa Dr. Jürgen Rüttgers CDU/CSU (zur GO) . 11300C (Drucksache 12/3916) Dr. F.D.P. (zur GO) . . . 11301A Dr. PDS/Linke Liste (zur d) Beratung des Antrags der Abgeord- GO) 11301 D neten Ingrid Köppe, Gerd Poppe, Dr. und der Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- GRÜNEN (zur GO) 11302 A NEN: Ergänzung des Beamten- Tagesordnungspunkt 3: rechtsrahmengesetzes: Einheitliche Grundsätze für die Beschäftigung Überweisungen im vereinfachten Ver- ehemaliger Mitarbeiter des Mini- fahren steriums für Staatssicherheit im a) Erste Beratung des von der Bundes- öffentlichen Dienst (Drucksache regierung eingebrachten Entwurfs 12/4002) 11303B II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. , Donnerstag, den 14. Januar 1993

Tagesordnungspunkt 4: c) Beratung der Beschlußempfehlung und Abschließende Beratungen ohne Aus- des Berichts des Ausschusses für Um- sprache welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Zweite Beratung und Schlußabstim- a) Dr. Christian Ruck, Dr. Winfried Pinger, mung des von der Bundesregierung Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abge- eingebrachten Entwurfs eines Ge- ordneter und der Fraktion der CDU/ setzes zu dem Abkommen vom CSU sowie der Abgeordneten Ulrich 18. Juni 1991 zwischen der Bun- Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van desrepublik Deutschland und dem Essen, weiterer Abgeordneter und der Staat Bahrain über den Luftverkehr Fraktion der F.D.P.: Die Schöpfung (Drucksachen 12/2661, 12/4008) bewahren, privates Engagement för- b) Zweite Beratung und Schlußabstim- dern, die Umsetzung von Umweltmaß- mung des von der Bundesregierung nahmen in Entwicklungsländern be- eingebrachten Entwurfs eines Ge- schleunigen (Drucksachen 12/2715, setzes zu dem Abkommen vom 12/3583) 22. Oktober 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik d) Beratung der Beschlußempfehlung des Deutschland und der Regierung von Haushaltsausschusses zu der Unter- Rumänien über die Schiffahrt auf richtung durch die Bundesregierung: den Binnenwasserstraßen (Drucksa- Überplanmäßige Ausgabe bei Kapi- chen 12/2804, 12/3996) tel 23 02 Titel 686 08 (Förderung von Ernährungssicherungsprogrammen in c) Zweite Beratung und Schlußabstim- Entwicklungsländern) (Drucksachen mung des von der Bundesregierung 12/3188, 12/3585) eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen -vom e) Beratung der Beschlußempfehlung und 8. November 1991 zwischen der des Berichts des Ausschusses für wirt- Regierung der Bundesrepublik schaftliche Zusammenarbeit Deutschland und der Regierung der zu dem Antrag der Abgeordneten Alois Republik Polen über die Binnen- Graf von Waldburg-Zeil, Dr. Winfried schiffahrt (Drucksachen 12/2805, Pinger, Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer 12/3997) Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten d) Beratung der Beschlußempfehlung Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg und des Berichts des Verteidigungs- van Essen, weiterer Abgeordneter und ausschusses zu dem Antrag der der Fraktion der F.D.P.: Abgeordneten und der Entwicklungs- politische Chancen in Umbruchsitua- Gruppe PDS/Linke Liste: Sofortige tionen nutzen — entwicklungspoliti- Auflösung des „Koordinierungsaus- sche Herausforderungen an den Bei- schuß Wehrmaterial fremder Staa- ten" des Bundesnachrichtendienstes spielen Äthiopien einschließlich Eri- trea, Somalia, Sudan und Angola und der Bundeswehr (Drucksachen 12/1505, 12/3806) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans- Günther Toetemeyer, , e) Beratung der Beschlußempfehlung , weiterer Abgeordneter des Rechtsausschusses: Übersicht und der Fraktion der SPD: Unterstüt- über die dem Deutschen Bundestag zung des Friedensprozesses in Angola zugeleiteten Streitsachen vor dem (Drucksachen 12/1814, 12/2211, 12/ Bundesverfassungsgericht (Druck- 3681) sache 12/3955) ...... 11303 C f) Beratung der Beschlußempfehlung und Tagesordnungspunkt 5: des Berichts des Ausschusses für wirt- schaftliche Zusammenarbeit zu dem a) Beratung des Antrags der Abgeordne- Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner ten Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauch- Schuster, Brigitte Adler, Hans Gottfried ler, Ingrid Becker-Inglau, weiterer Ab- Bernrath, weiterer Abgeordneter und geordneter und der Fraktion der SPD: der Fraktion der SPD: Dauerhafte Ernährungssicherung in Förderung von Nichtregierungsorganisationen Afrika (Drucksache 12/3645) (Drucksachen 12/1977, 12/3714) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirt- g) Beratung der Beschlußempfehlung und schaftliche Zusammenarbeit zu der Un- des Berichts des Ausschusses für wirt- terrichtung durch die Bundesregierung: schaftliche Zusammenarbeit Bericht über die Armutsbekämpfung in zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. der Dritten Welt durch Hilfe zur Selbst- Uwe Holtz, Christoph Matschie, Verena hilfe (Drucksachen 12/924, 12/3574) Wohlleben, weiterer Abgeordneter und

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 III

der Fraktion der SPD: Bekämpfung von Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . . 11312A, Fluchtursachen 11321D zu dem Antrag der Abgeordneten Alois Konrad Weiß () BÜNDNIS 90/DIE Graf von Waldburg-Zeil, Dr. Winfried GRÜNEN 11313B, 11324 C Pinger, Klaus Jürgen Hedrich, weiterer Carl-Dieter Spranger, Bundesminister Abgeordneter und der Fraktion der BMZ 11315A CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg Dieter Schanz SPD 11317D van Essen, weiterer Abgeordneter und Ulrich Irmer F.D.P. 11318D der Fraktion der F.D.P.: Entwicklungs- Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 11319C politische Maßnahmen zur Minderung der Asyl- und Flüchtlingsprobleme Arno Schmidt () F.D.P. . . , . . 11322C (Drucksachen 12/1824, 12/2726. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister AA 11325D 12/3761) Verena Wohlleben SPD 11327 C h) Beratung der Beschlußempfehlung und Dr. Christian Ruck CDU/CSU 11329 B des Berichts des Ausschusses für wirt- Brigitte Adler SPD 11331A schaftliche Zusammenarbeit Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär BMU 11332B zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Holtz, Günter Verheugen, Bri- Dr. R. Werner Schuster SPD 11333D gitte Adler, weiterer Abgeordneter und Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 11335 C der Fraktion der SPD: Kuba Ingrid Becker-Inglau SPD 11337 B zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Jung (Limburg) CDU/CSU 11338D Dr. Ursula Fischer und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Kuba (Drucksachen Joachim Tappe SPD 11339 D 12/1855, 12/2683, 12/3778) - Michael Wonneberger CDU/CSU , . . 11341A i) Beratung der Beschlußempfehlung und Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 11342C des Berichts des Ausschusses für wirt- Karin Jeltsch CDU/CSU 11343 C schaftliche Zusammenarbeit zu dem Dr. Klaus Kübler SPD . . . , . . . . . 11344 B Antrag der Abgeordneten Hans-Gün- ther Toetemeyer, Brigitte Adler, Rudolf Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . 11344D Bindig, weiterer Abgeordneter und der Burkhard Zurheide F.D.P 11346B Fraktion der SPD: Umfassende Hilfe . beim Aufbau eines unabhängigen Na- Dr. Uwe I Ioltz SPD 11346 C mibia (Drucksachen 12/2303, 12/3866) Hans-Günther Toetemeyer SPD . . . . . 11348 B Joachim Graf von Schönburg-Glauchau j) Beratung der Beschlußempfehlung und CDU/CSU ...... 11349D des Berichts des Ausschusses für wirt- schaftliche Zusammenarbeit zu dem Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/ Antrag des Abgeordneten Konrad Weiß CSU ...... 11350D (Berlin) und der Gruppe BÜNDNIS 90/ Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 11351 B DIE GRÜNEN: Erzbergbau am Ok Tedi Dr. Ingomar Hauchler SPD , . . . , . . 11352D in Papua-Neuguinea (Drucksachen 12/2462, 12/3883) Tagesordnungspunkt 2: k) Beratung des Antrags des Abgeordne- Fragestunde ten Konrad Weiß (Berlin) und der — Drucksache 12/4079 vom 8. Januar Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 1993 — Schuldenerlaß für Mosambik (Druck- Versagen des Bundesnachrichtendienstes sache 12/4003) bei der Beschaffung von Informationen 1) Beratung des Antrags der Gruppe über die DDR; Zeitpunkt der Kenntnis von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unter- willkürlichen Verhaftungen zur Devisen- zeichnung und Ratifizierung des Über- beschaffung über den Häftlingsfreikauf einkommens 169 über eingeborene und MdlAnfr 5, 6 in Stämmen lebende Völker in unab- Ortwin Lowack fraktionslos hängigen Ländern der Internationalen Antw StM BK . . . 11354C, Arbeiter Organisation (ILO) (Druck- 11355C sache 12/3824) ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . , . 11354D, Dr. Winfried Pinger CDU/CSU . . . . . 11305 D 11355 D Dr. Ingomar Hauchler SPD 11307 CZusFr Dr. Kail-Heinz Klejdzinski SPD , . 11355B

Dr. Uwe Holtz SPD 11307 D Zurverfügungstellung des Gästehauses des Auswärtigen Amtes in Bonn für die F.D.P.- Ingrid Walz F.D.P. . . . . . . 11310A Präsidiumssitzung am 3. Januar 1993 IV Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

MdlAnfr 23 Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA 11361B, D SPD Norbert Gansel ZusFr SPD ... 11361B, 11362A Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA 11356A ZusFr Norbert Gansel SPD 11356B Zusatztagesordnungspunkt 1: ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 11356 D Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- desregierung zu dem Tankerunglück Lieferung von Rüstungsgütern aus Bestän- vor den Shetland-Inseln den der früheren NVA durch die türkische Manfred Richter (Bremerhaven) F.D.P. 11362B Regierung an die muslimische Seite in Aserbaidschan Dietmar Schütz SPD 11363 B MdlAnfr 24 Dr. , Parl. Staatssekretär Horst Kubatschka SPD BMV 11364C Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA 11357A Dr. Wolfgang von Geldern CDU/CSU . 11365B ZusFr Horst Kubatschka SPD 11357A Bernd Henn PDS/Linke Liste 11366B Karl-Heinz Klejdzinski SPD . 11357B ZusFr Dr. Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 11357 C GRÜNEN ...... 11367 B Straf- und Umerziehungslager für politi- Dirk Fischer (Hamburg) CDU/CSU . . . 11368B sche Häftlinge in der Volksrepublik Dr. SPD 11369B China Gerhart Rudolf Baum F D P 11370B MdlAnfr 25 Claus Jäger CDU/CSU Bärbel Sothmann CDU/CSU 11371 A Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA 11357D Ernst Waltemathe SPD 11371 D ZusFr Claus Jäger CDU/CSU 11357 D Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 11372D 11358A ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD Gabriele Iwersen SPD 11373 C ZusFr Bärbel Sothmann CDU/CSU . . . 11358B Dr. Maria Böhmer CDU/CSU . . . . . 11374 C ZusFr Ortwin Lowack fraktionslos . . . . 11358C Tagesordnungspunkt 6: Aufbau von Kernforschungseinrichtungen im Iran; iranisch- chinesische Zusammen- a) Beratung der Beschlußempfehlung und arbeit bei den Forschungsschwerpunkten des Berichts des Verteidigungsaus- Reaktortechnologie, Kernbrennstoffkreis- schusses zu dem Antrag der Abgeordne- lauf, Urananreicherung und -wiederauf- ten Gernot Erler, Dr. Dietmar Matterne, bereitung Gerhard Neumann (Gotha), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: MdlAnfr 28, 29 Verminderung der Truppenübungs- Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD plätze in der Bundesrepublik Deutsch- Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA . 11358D, land und künftiges Truppenübungs- 11359D platz-Konzept für Streitkräfte (Druck- ZusFr Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . 11359A, sachen 12/1487, 12/3689) 11360 A b) Beratung der Beschlußempfehlung und ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD ...... 11359 C des Berichts des Verteidigungsaus- schusses zu dem Antrag der Abgeordne- Zusammenarbeit mit polnischen und russi- ten Reinhard Weis (Stendal), Walter Kol- schen Behörden bei der Bekämpfung bow, Hans Gottfried Bernrath, weiterer rechtsextremistischer Aktivitäten von Bür- Abgeordneter und der Fraktion der SPD: gern der Bundesrepublik Deutschland in Zivile Nutzung des Truppenübungs- den ehemaligen Ostgebieten platzes Colbitz-Letzlinger Heide nach MdlAnfr 30 dem Abzug der Westgruppe der ehema- Dr. Klaus Kübler SPD ligen sowjetischen Streitkräfte (Druck- sachen 12/1997, 12/3690) Antw StM'in Ursula Seiler-Albring AA . 11360B c) Beratung der Beschlußempfehlung und ZusFr Dr. Klaus Kübler SPD 11360 C des Berichts des Verteidigungsaus- ZusFr Gernot Erler SPD ...... 11361 A schusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundes- Intervention für einen rechtsstaatlichen regierung zu den Möglichkeiten der Verlauf des Prozesses gegen den deutschen Verringerung der Belastungen für die Journalisten Stephan Waldberg in der Tür- Bevölkerung im Raum Soltau-Lüne- kei burg durch militärische Ausbildungs- MdlAnfr 31, 32 und Übungsaktivitäten (Drucksachen Gernot Erler SPD 12/463, 12/3692) Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 V

Ulrich Adam CDU/CSU ...... 11375 D Klaus Lennartz SPD 11405A Heinz-Alfred Steiner SPD ...... 11377 B Günther Bredehorn F.D.P...... 11406 C Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . . 11379D Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Dr. Dietmar Matterne SPD ...... 11380A, Linke Liste 11408A 11388 C Albert Deß CDU/CSU 11409C Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 11381C, 11383C, 11389D Karl-Heinz Schröter SPD 11411B

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski SPD . . . . 11382A Birgit Homburger F D P 11413B Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/DIE CDU/CSU 11416A GRÜNEN ...... 11382 D Horst Kubatschka SPD 11417 B Dr. PDS/Linke Liste 11383 D Dr. Werner Münch, Ministerpräsident des Bartholomäus Kalb CDU/CSU 11419A

Landes Sachsen-Anhalt 11384 C Birgit Homburger F D P 11419C Reinhard Weis (Stendal) SPD 11386A Ulrich Heinrich F.D.P. ...... 11420 C Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 11387C Dr. Manfred Lischewski CDU/CSU . . 11421C Reinhard Weis (Stendal) SPD . . . . . 11389 B Rosemarie Priebus CDU/CSU (Erklärung Tagesordnungspunkt 9: nach § 31 GO) ...... 11390B Beratung der Beschlußempfehlung und Namentliche Abstimmung ...... 11391 A des Berichts des Ausschusses für Wirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Ergebnis ...... 11397B Wolfgang Weiermann, Brigitte Adler, (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Hermann Bachmaier, weiterer Abge- GRÜNEN (zur GO) ...... 11391 A ordneter und der Fraktion der SPD: Betriebsbeauftragte für Umweltschutz Dr. Peter Struck SPD (zur GO) . . . . 11391 B (Drucksachen 12/1085, 12/3305) Namentliche Abstimmung ...... 11391 D Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ Ergebnis 11399B CSU . . . . ...... 11423 A Wolfgang Weiermann SPD ...... 11424 C Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundes- Klaus Beckmann F.D.P. 11426 C regierung eingebrachten Entwurf eines Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 11427B Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. März 1992 zur Erhaltung der Klein- Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär wale in der Nord- und Ostsee (Druck- BMWi ...... 11427 D sache 12/3917) Dr. Marliese Dobberthien SPD . . . . . 11428 C Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär BMU 11392A Jürgen Koppelin F.D.P. . . . . . . . 11429 B Ulrike Mehl SPD ...... 11392 D Erich G. Fritz CDU/CSU ...... 11430 C Gerhart Rudolf Baum F.D.P. . . , . . . . 11394 C Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE Tagesordnungspunkt 10: GRÜNEN . . . . ...... 11395 B Beratung der Beschlußempfehlung und (Nordstrand) des Berichts des Ausschusses für Ge- CDU/CSU ...... 11396A sundheit Dr. Norbert Rieder CDU/CSU ...... 11396B zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Lennartz, Susanne Kastner, Marion Cas- Tagesordnungspunkt 8: pers-Merk, weiterer Abgeordneter und Beratung der Großen Anfrage der Abge- der Fraktion der SPD: Sanierung der ordneten Horst Kubatschka, Josef Vo- Trinkwasserversorgung in den neuen sen, Horst Sielaff, weiterer Abgeordne- Bundesländern ter und der Fraktion der SPD: Chancen zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich und Risiken nachwachsender Rohstoffe (Drucksachen 12/2275, 12/3493) Adam, , , weiterer Abgeordneter und der Klaus Lennartz SPD 11401B Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- Peter Harry Carstensen (Nordstrand) ordneten Dr. Dieter Thomae, Gerhart CDU/CSU 11402A, 11414A, 11418B, 11420B Rudolf Baum, Birgit Homburger, weite- Peter Harry Carstensen (Nords trand) CDU/ rer Abgeordneter und der Fraktion der CSU 11404A F.D.P.: Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität in den neuen Horst Sielaff (SPD) ...... 11404 C Bundesländern (Drucksachen 12/1477, Jan Oostergetelo SPD . . . 11404C, 11414D 12/2735, 12/3929) VI Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Susanne Kastner SPD 11431D Burkhard Zurheide F.D.P...... 11453 C Dr. Sabine Bergmann Pohl, Parl. Staats- Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . . . 11454 B sekretärin BMG ...... 11433 C Peter Conradi SPD 11455A Susanne Kastner SPD . . . 11434D, 11437B Dr. Jürgen Schmude SPD ...... 11455 C Dr. Bruno Menzel F D P 11436B Stefan Schwarz CDU/CSU . . . . . 11456 A Dr. PDS/Linke Liste 11438B Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/DIE Nächste Sitzung ...... 11457 C GRÜNEN ...... 11439D, 11442 C Wolfgang Ehlers CDU/CSU ...... 11440D Anlage i Dr. Helga Otto SPD 11442 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . 11459' A Editha Limbach CDU/CSU . . . . . 11444 B Namentliche Abstimmung ...... 11445 C Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Ergebnis ...... 1144 8 C Jürgen Türk (F.D.P.) zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 2: die Beschlußempfehlung zu dem Antrag: Verminderung der Truppenübungsplätze Beratung des Antrags der Fraktionen in der Bundesrepublik Deutschland und der CDU/CSU, SPD und F.D.P.: Öffnung künftiges Truppenübungsplatz-Konzept des Flughafens Tuzla in Nordost-Bos- für Streitkräfte (Tagesordnungspunkt 6a) 11459* C nien (Drucksache 12/4091) SPD ...... 11445 D Anlage 3 Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . 11446B - Zu Protokoll gegebene Rede zu Zusatz- Ulrich Irmer F.D.P. ...... 11446 D tagesordnungspunkt 2 (Antrag: Öffnung Helmut Schäfer, Staatsminister AA . . 11446D des Flughafens Tuzla in Nordost-Bosnien) Freimut Duve SPD 11447B Heribert Scharrenbroich CDU/CSU . . . 11460* A Stefan Schwarz CDU/CSU 11447 B Dr. PDS/Linke Liste . . 11448A Anlage 4 Tagesordnungspunkt 11: Aufklärung der Regierungs- und Vereini- gungskriminalität angesichts des hohen Zweite und dritte Beratung des von den Vermögensschadens Abgeordneten Ingrid Köppe, Dr. Klaus- Dieter Feige, Gerd Poppe, weiteren MdlAnfr 13 — Drs 12/4079 — Abgeordneten und der Gruppe BÜND- Horst Kubatschka SPD NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten SchrAntw PStSekr BMJ . . 11461* A Entwurfs eines Gesetzes zur Befreiung von Militärsteuern (Drucksachen 12/74, 12/4088) Anlage 5 Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE Erkenntnisse über die Einhaltung des UN GRÜNEN 11450C Waffenembargos gegen Rest-Jugoslawien; Erkenntnisse über die Einhaltung des Wirt- Dr. CDU/CSU 11451B schaftsembargos gegen Serbien und Mon- Peter Conradi SPD 11451C tenegro Dr. Wolfgang Ullmann BÜNDNIS 90/DIE MdlAnfr 26, 27 — Drs 12/4079 — GRÜNEN 11451D Klaus Kirschner SPD Dr. Konrad Elmer SPD . . . 11452B, 11453A SchrAntw StMin Ursula Seiler-Albring Dr. Jürgen Schmude SPD . , ...... 11452 C AA . , . . 11461* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11299

131. Sitzung

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Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen einverstanden? — Da ich keinen Widerspruch sehe, und Kollegen, die Sitzung ist eröffnet. stelle ich fest, daß der Kolleg e Gerhard Neumann als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Zu Beginn der heutigen Sitzung möchte ich auch Versammlung des Europarates gewählt ist. von hier aus mit den guten Wünschen zum neuen Jahr unseren Kollegen zum Geburtstag nachträglich herz- Ferner: Interfraktionell ist vereinbart worden, die lich gratulieren. verbundene Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen vorliegenden Zusatzpunktliste auf- Der Kollege Theo Magin ist am 15. Dezember - geführt: 60 Jahre alt geworden und feierte seinen Geburtstag, und wir gratulieren ihm ganz herzlich. 1. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zu dem Tankerunglück vor den Shetland-Inseln (Beifall) 2. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Öffnung des Dies erweitere ich: Der Kollege Karl Stockhausen ist Flughafens Tuzla in Nordost-Bosnien am 4. Januar 65 Jahre alt geworden — Drucksache 12/4091 — (Beifall) 3. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur klar- und der Staatsminister Helmut Schäfer am 9. Januar stellenden Ergänzung des Grundgesetzes 60 Jahre. Auch ihm gelten unsere herzlichen Glück- — Drucksache 12/4107 — wünsche nachträglich. 4. Aktuelle Stunde: Haltung der Bundesregierung zur Krise der (Beifall) Stahlindustrie in der Bundesrepublik Deutschland

Des weiteren teile ich Ihnen mit, daß der Abgeord- Von der Frist für den Beginn der Beratung soll nete Dr. Hans-Joachim Sopart am 3. Januar 1993 auf — soweit dies bei einzelnen Punkten der verbundenen seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ver- Tagesordnung erforderlich ist — abgewichen wer- zichtet hat. Als sein Nachfolger hat der Abgeordnete den. Jürgen Wohlrabe — kein Neuling — am 5. Januar 1993 die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag Darüber hinaus soll der Tagesordnungspunkt 12 a wieder erworben. und b abgesetzt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Der bereits überwiesene Entwurf des Investitionser- ordneten der F.D.P., der SPD und des BÜND leichterungs- und Wohnbaulandgesetzes auf Druck- NISSES 90/DIE GRÜNEN) sache 12/3944 soll nachträglich auch dem Rechtsaus- Herzlich willkommen, Herr Kollege Wohlrabe. Ich schuß, dem Wirtschaftsausschuß und dem Ausschuß hoffe, Sie fühlen sich wieder wohl. für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Mitbe- ratung überwiesen werden. Sind Sie damit einver- Sodann teile ich Ihnen mit, daß der als fraktionslos standen? — Kein Widerspruch. Dann ist das so geführte Kollege Bernd Henn am 1. Januar 1993 beschlossen. wieder der Gruppe der PDS/Linke Liste beigetreten ist. Schließlich möchte ich noch mitteilen, daß die (Heiterkeit) Fraktion der SPD ihr Verlangen nach einer Aktuellen Stunde auf Grund der Situation erst einmal zurückge- Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, daß der Abge- zogen hat. ordnete Christoph Matschie als stellvertretendes Mit- glied der Parlamentarischen Versammlung des Euro- Die Fraktion der SPD hat fristgemäß die Erweite- parats ausscheidet. Sie schlägt als Nachfolger den rung der Tagesordnung beantragt. Die Tagesord- Abgeordneten Gerhard Neumann vor. Sind Sie damit nung soll um die Beratung des Antrags der Fraktion 11300 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth der SPD zur Abgabe eines Berichts zur Lage der Dr. Jürgen Rüttgers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Nation, Drucksache 12/4090, ergänzt werden. Werte Kolleginnen und Kollegen! Wer es noch nicht Wird zu diesem Aufsetzungsantrag das Wort gewußt hat, der hat es nach diesem Beitrag erkennen gewünscht? — Das Wort zur Geschäftsordnung hat der können: Die Forderung nach einem Bericht zur Lage Kollege Struck. der Nation ist doch wohl eine Ausrede für eigene Handlungsverweigerung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich den Was wir brauchen, ist kein Bericht, sondern was wir Geschäftsordnungsantrag der SPD-Fraktion be- brauchen, sind Beschlüsse und Taten. gründe, möchte ich — ich denke, im Namen aller Mitglieder dieses Hauses — Ihnen, Frau Präsidentin, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — sehr herzlich zur Wiedergenesung gratulieren und Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Fangen sagen, daß wir uns freuen, daß Sie wieder hier oben Sie einmal an!) sitzen können. Wer nicht weiß, welche Probleme auf der Tagesord- (Beifall im ganzen Hause) nung stehen, wer nicht weiß, was zu entscheiden ist, Es ist an der Zeit, meine Damen und Herren, daß der war zumindest bei der letzten Haushaltsberatung sich die Bundesregierung endlich den wichtigen Fra- — das ist erst wenige Wochen her — nicht hier. Jeder gen der Zeit wieder zuwendet und sich nicht beispiels- weiß, daß die Kräfte des Landes stark angespannt weise mit der, wie wir glauben, für unsere Bevölke- sind: Das gilt für einen schärferen weltwirtschaftli- rung und für die Menschen in Deutschland absolut chen Wettbewerb. Das gilt für die öffentlichen Haus- nicht überragenden Frage, wo überall deutsche Sol- halte, die durch die Folgekosten von Sozialismus und daten in der Welt mit Waffen auftreten sollen, beschäf- die Konjunkturschwäche unter doppeltem Druck ste- tigt, sondern mit den tatsächlichen Fragen der Zeit, hen. Das gilt für Fragen wie Asyl und Bundeswehrein- die unsere Menschen bewegen. sätze. In allen diesen Punkten erwarten die Bürger von der Politik schnelles Umschalten von der deutschen - (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sondersituation zu einer europäischen Normalität. DIE GRÜNEN) Diese angespannte Sondersituation, die den Men- Das sind die Fragen: Wie soll es denn weitergehen schen in ganz Deutschland sozial, ökonomisch und hier in Deutschland? Wie soll denn z. B. ein Solidar- geistig eine Menge zumutet, ist wahrlich keine Test- pakt aussehen? Wer soll denn mit wem — angeblich — strecke für Oppositionsstrategien. solidarisch sein? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zurufe von der CDU/CSU: Ihr!) — Ja, Moment mal! Sie haben in Regierungszeiten der SPD einmal das Motto geprägt, man wolle die Belastbarkeit der Wirt- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaft testen. Wenn ich mir die Erklärungen über den angebli- chen Solidarpakt, die überall, in Kreuth und (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! — anderswo, von dem Herrn Finanzminister, dem Herrn Hans-Ulrich Klose [SPD]: Sie testen jetzt die Bundeskanzler oder dem Herrn Arbeitsminister abge- Belastbarkeit der Verfassung!) geben werden, anhöre, dann wissen wir Sozialdemo- Die Folgen sind bekannt. Weit schlimmer noch wären kraten nur so viel von diesem angeblichen Solidar- die Folgen, wenn Sie heute die Belastbarkeit der pakt: Er läuft darauf hinaus, daß die Armen bezahlen Demokratie testen wollten. sollen, damit die Reichen noch Steuern gesenkt bekommen. So etwas machen wir hier doch nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mit! Lassen Sie die Versuche, Verdruß zu schüren und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ daraus Kapital zu schlagen! Es tut unserem Gemein- DIE GRÜNEN) wesen nicht gut, und es wird auch Ihnen letztlich nicht Es geht um die Frage: Wie soll denn Wohnungsnot helfen. in Deutschland bekämpft werden? Was haben Sie denn für Vorschläge? Es geht ferner um die Frage: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Was wird denn in den neuen Bundesländern passie- ordneten der F.D.P.) ren? Wir können es nicht mehr ertragen, daß sich die Bundesregierung tage- und wochenlang mit Personal- Jeder weiß in Deutschland, daß die SPD in einer fragen beschäftigt und die F.D.P. nahezu über eine Krise im ursprünglichen Wortsinne steckt, nämlich Ausschreibung einen Wirtschaftsminister suchen „Krise" verstanden als Entscheidungssituation zwi- muß. Wir wollen, daß die Bundesregierung ihre Haus- schen Verweigerung und Mitverantwortung. Wer dies aufgaben erledigt, und wir wollen, daß der Bundes- noch nicht gewußt hat, hat dies gestern nachmittag in kanzler dazu hier Rede und Antwort steht. der fünfstündigen Debatte hier merken können. Anscheinend hat der Blockadeflügel in der SPD die (Beifall bei der SPD) Oberhand gewonnen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Rütt- Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Wer ist gers. das?) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11301

Dr. Jürgen Rüttgers Aber ich appelliere an die verantwortungsvollen Zu der längst überfälligen Klärung der Verfassungs- Kräfte in der SPD, das Heft des Handelns im Interesse grundlagen für mögliche Bundeswehreinsätze im unseres Landes wieder an sich zu nehmen Rahmen der Vereinten Nationen hat die Koalition (Detlev von Larcher [SPD]: Mensch, was ist durch ihren gestrigen Vorschlag zur Grundgesetzän- das für ein Geschwätz!) derung Handlungswillen und Durchsetzungsstärke bewiesen und zugleich — ich bitte, das wirklich und hier eine konstruktive Oppositionsarbeit zu lei- sorgfältig zu prüfen — ein faires Gesprächsangebot sten. an die Sozialdemokraten unterbreitet. Wir werden den Antrag, der nach einer neunein- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) halbstündigen Krisensitzung der SPD-Fraktion an- scheinend zustande gekommen ist, ablehnen. Von diesem an der Sache orientierten Weg läßt sich die Koalition durch durchsichtige Geschäftsordnungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — mätzchen nicht abbringen. Lachen und Zurufe von der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — Eckart Kuhlwein [SPD]: Wieso sind das Mätz- chen? — Gegenruf des Abg. Dr. Jürgen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter Hoyer, Sie haben das Wort. Rüttgers [CDU/CSU]: Weil das dumm ist!) — Mit Ihrer lärmigen und im Ergebnis ineffizienten politischen Auseinandersetzung werden Sie Ihre Dr. Werner Hoyer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit kaum erhö- sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es wird Sie hen. nicht wundern, wenn ich zu demselben Ergebnis wie Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Jürgen Rüttgers komme. Sie haben, liebe Kolleginnen Menschen erwarten von uns allen — von Regierung und Kollegen von der SPD, gestern schon einen ganz und Parlament — Handeln. Genau das tut die Regie- bemerkenswerten Beitrag zur Förderung von Politik- rung. Genau das tut das :lament. Herumschwadro- verdrossenheit in diesem Lande geleistet. - nieren hilft hier nicht weiter. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Die F.D.P.-Fraktion wird Ihren Antrag geschlossen Wenn Sie diese Seifenoper von gestern nunmehr in ablehnen. akuter Katerstimmung fortsetzen wollen, dann nicht mit uns. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P.) Sie sollten das dann möglicherweise bis zu den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Abgeordnete Veranstaltungen am Aschermittwoch aufschieben, Fischer. die ja demnächst bevorstehen. Dieses Parlament hatte unmittelbar vor der parla- mentarischen Sommerpause hinreichend Gelegen- Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- heit, über die zentralen Fragen deutscher Politik zu tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß ganz debattieren — insbesondere in der Generaldebatte ehrlich sagen, daß ich es fast unerträglich finde, wie zur zweiten und dritten Lesung des Bundeshaushalts. mit Problemen, die die Menschen in diesem Land Allerdings waren Sie da ebensowenig in der Lage, bewegen, umgegangen wird. Punkte zu machen und einen überzeugenden Politik- (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Zuruf entwurf gegen den der Koalition zu setzen wie bei von der CDU/CSU: Ausgerechnet Sie müs anderen Gelegenheiten. sen das sagen!) (Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Dieser Ich habe selbstverständlich nichts dagegen, wenn hier Haushalt ist doch Makulatur! — Weiterer einmal ausführlich zwei oder drei Tage ausschließlich Zuruf von der SPD: Aber Möllemann!) über die Situation in Deutschland in aller Ruhe und in Wir haben über die zunehmende Gewaltbereit- aller Sachlichkeit gesprochen wird. schaft in diesem Lande, die uns alle sehr bedrückt, (Zuruf von der CDU/CSU: Wie gestern!) diskutiert. Wir haben über Ausländerfeindlichkeit gesprochen. Wir haben über die Gesundheitsreform Die Regierung zeigt zwar Handlungswillen. Aber ich — auch ein wirklich bewegendes Thema — ausführ- beobachte, daß die Regierung sehr oft Handlungswil- lich debattiert. Wir haben über das Vertragswerk von len ohne das Parlament zeigt. Deshalb können Sie der Maastricht intensiv debattiert. Alle diese Fragen sind SPD bei Gott auch keinen Vorwurf machen, daß sie hier im Hause in aller Breite und Tiefe behandelt diese Debatte hier verlangt. worden. Die bewegende Asylproblematik steht nach (Beifall bei Abgeordneten der SPD) einem besonderen Kraftakt vor der unmittelbaren Sie hat sie gestern verlangt. Aus meiner Sicht war parlamentarischen Behandlung und — so unser fester das gestern aber eine sehr unsachliche Debatte, die Wille — Verabschiedung. Da muß die SPD endlich weiter zur Politikverdrossenheit beigetragen haben handeln. wird. Es wird hier über Probleme debattiert. Es wer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — den Probleme weggeschoben. Mehr wird nicht getan Horst Jungmann [Wittmoldt] [SPD]: Was? — ein Schauspiel nach dem anderen. Ich denke, daß Wer ist denn in der Regierungsverantwor wir uns die Zeit nehmen sollten, über die wirklichen tung?!) Probleme in Deutschland zu reden. 11302 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Ursula Fischer Herr Rüttgers, Ihnen möchte ich sagen, daß sich die gelasten zum Inhalt hat, die bisher noch nicht ausge- Parole von den „Folgekosten des Sozialismus" lang- glichen sind. sam irgendwann einmal abwetzen wird. Es geht zweitens um eine Bestandsaufnahme — (Zurufe von der CDU/CSU: Nie, niemals!) nicht der Parteien, nicht der Gruppen und auch nicht Auch über diese ganzen Probleme sollten wir reden. allein von BÜNDNIS 90 und den GRÜNEN, sondern — Sie irren, meine Damen und Herren. Die Leute in um eine Bestandsaufnahme der ganzen Gesellschaft. den neuen Bundesländern interessiert das schon nicht Wer in der Gemeinsamen Verfassungskommission mehr. Es interessieren jetzt auch die Probleme, wie mitarbeitet, der hat Gelegenheit, wahrzunehmen, wie die Vereinigung stattgefunden hat, wer durch die groß die Initiativen unserer Bürger und Bürgerinnen Einheit gewonnen hat und wie man diese Mittel von den verschiedensten Seiten sind. Aber eines fehlt: umverteilen kann. Ich sage Ihnen eines: Die Mittel die Bündelung zu einer politischen Willenseinheit, so sind da. Die Mittel müssen nur gerecht und ordentlich daß die Lage der Nation in einer demokratischen umverteilt werden. Dagegen haben Sie etwas. Willensbildung bestimmt ist. Deswegen bin ich schon der Meinung, daß man dem Hier wäre die Mitwirkung der Parteien, von der Antrag der SPD auf alle Fälle zustimmen und ausführ- unsere Verfassung spricht, sehr willkommen. Aber wo lich über die Probleme in Deutschland debattieren ist sie denn? Woher soll denn die Kraft zur gemeinsa- sollte. men Willensbildung in diesem Lande kommen, meine Damen und Herren, wenn die einen offen sagen (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei „Deutschland den Deutschen" und die anderen es Abgeordneten der SPD) zwar nicht offen sagen, aber eine solche Politik betreiben, oder wenn die einen offen sagen „Ich bin Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter stolz, ein Deutscher zu sein" und die anderen mit dem Dr. Ullmann. besseren Geschmack es zwar nicht offen sagen, aber genauso denken? Ich frage mich: Woher soll denn eine gemeinsame Willensbildung kommen, wenn man Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- - nicht einmal weiß, wer diejenigen sind, die irgend NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! etwas allein besitzen wollen, und worauf die eigent- Ein Mätzchen kann ich das ja nun nicht gerade lich stolz sein wollen, die irgendeinen Stolz beanspru- nennen, wenn die Lage der Nation zu wesentlichen chen, ohne daß sie sagen können, was sie denn Teilen identisch ist mit der Lage der Regierung, die eigentlich getan haben, daß dieser Stolz berechtigt gestern abend offenbar geworden ist. sei? (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Ich frage die Nation, wie stolz sie eigentlich nach Liste) dem gestrigen Ende des Verfahrens gegen Erich Meine Damen und Herren, was soll denn nun eine Honecker zu sein gedenkt. Daß ein deutsches Gericht Nation tun, deren Regierung sich weigert, zur Lage ein Verfahren gegen einen Todkranken einstellt, das der Nation etwas zu sagen? ist eine Forderung der Humanität. Aber, meine (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Damen und Herren, es ist kein Anlaß zu Triumphge- Liste) fühlen, aber auch kein Anlaß zu haßerfüllten Epilo- gen. Zumindest kann das Parlament an diesem Ort hier sagen, wo die Aufgaben der Nation — — Die Entscheidung der Berliner Gerichte macht eine Dimension offenbar — (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Herr Ull — mann, gucken Sie mal! Wo sind Ihre Leute? Liegen die alle noch im Bett? Herr Ullmann, wo sind die denn?) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ullmann, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie zu einem — Das ist jetzt nicht das Thema. Sie wissen ganz Geschäftsordnungsantrag reden. genau, Herr Rüttgers, wo meine Kollegen jetzt alle herumj agen.

(Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Im Bett! — Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Lachen und weitere Zurufe von der CDU/ NEN): Ja, ich weiß. — Mein letzter Satz: Es geht um die CSU) Lage der Nation. Ich möchte sagen: Durch diese Und ich kann da gleich hinzufügen: Das hat auf die Entscheidungen wird offenbar, daß es eine Dimension Lage der Nation keinen Einfluß. gibt, von der die Lage der Nation offenkundig viel (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Lachen mehr abhängt, als wir denken, nämlich von der, wie bei der CDU/CSU — Dr. Jürgen Rüttgers eine Gesellschaft mit 80jährigen und Todkranken [CDU/CSU]: Das ist wahr!) umgeht. Was aber haben wir jetzt hier zu tun? Ich denke, wir (Unruhe bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben die Nation an die Aufgaben zu erinnern, damit Wenn wir diese Dimension wahrnehmen, dann, denke die Bürger und Bürgerinnen sich in ihre eigenen ich, wären wir dem Schritt zu einer gemeinsamen Angelegenheiten einmischen können, die von der Willensbildung tatsächlich nähergekommen. Regierung nicht erledigt werden. Natürlich geht es Danke. um den Solidarpakt. Aber dieser Solidarpakt wird seinen Namen nur dann zu Recht tragen, wenn er (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke einen Chancenausgleich für Kriegs- und Teilungsfol- Liste) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11303

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Damit kommen wir Ich fahre in der Sitzung fort. Ich wiederhole: Inter- zur Abstimmung. Ich frage: Wer stimmt für diesen fraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in Aufsetzungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltun- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über- gen? — Damit ist der Aufsetzungsantrag abgelehnt. weisen. Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Ergänzung des Beamtenrechtsrahmengesetzes Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: auf Drucksache 12/4002 soll zusätzlich zur Mitbera- Überweisung im vereinfachten Verfahren tung dem Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sind Sie damit einverstanden? — Dann sind die Durchführung der Elften Richtlinie des Rates Überweisungen so beschlossen. der Europäischen Gemeinschaften auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über die Offen- legung von Zweigniederlassungen, die in Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: einem Mitgliedstaat von Gesellschaften be- Abschließende Beratungen ohne Aussprache stimmter Rechtsformen errichtet wurden, die a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des dem Recht eines anderen Staates unterliegen, von der Bundesregierung eingebrachten Ent- und zur Änderung des Handelsvertreter- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom rechts 18. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik — Drucksache 12/3908 Deutschland und dem Staat Bahrain über den —Überweisungsvorschlag: Luftverkehr Rechtsausschuß (federführend) — Drucksache 12/2661 — Ausschuß für Wirtschaft EG-Ausschuß Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- b) Erste Beratung des von den Abgeordneten schusses für Verkehr (16. Ausschuß) Dieter Heistermann, , Anni — Drucksache 12/4008 — Brandt-Elsweier, weiteren Abgeordneten und Berichterstattung: der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs Abgeordneter Ferdi Tillmann eines Gesetzes zur Herabsetzung des Einberu- (Erste Beratung 97. Sitzung) fungshöchstalters Zweite Beratung und Schlußabstimmung des — Drucksache 12/3856 b) von der Bundesregierung eingebrachten Ent- —Überweisungsvorschlag: wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom Verteidigungsausschuß (federführend) 22. Oktober 1991 zwischen der Regierung der Ausschuß für Frauen und Jugend Bundesrepublik Deutschland und der Regie- c) Erste Beratung des von der Bundesregierung rung von Rumänien über die Schiffahrt auf den eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Binnenwasserstraßen Abkommen vom 4. Dezember 1991 zur Erhal- — Drucksache 12/2804 — tung der Fledermäuse in Europa Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- — Drucksache 12/3916 schusses für Verkehr (16. Ausschuß) —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit — Drucksache 12/3996 — d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ingrid Berichterstattung: Köppe, Gerd Poppe, Dr. Wolfgang Ullmann und Abgeordnete der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Erste Beratung 107. Sitzung) Ergänzung des Beamtenrechtsrahmengeset- c) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des zes; Einheitliche Grundsätze für die Beschäfti- von der Bundesregierung eingebrachten Ent- gung ehemaliger Mitarbeiter des Ministeri- wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom ums für Staatssicherheit im öffentlichen 8. November 1991 zwischen der Regierung der Dienst Bundesrepublik Deutschland und der Regie- — Drucksache 12/4002 — rung der Republik Polen über die Binnen- Überweisungsvorschlag: schiffahrt Innenausschuß — Drucksache 12/2805 — Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- schusses für Verkehr (16. Ausschuß) ten Verfahren ohne Debatte. — Drucksache 12/3997 — Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse Berichterstattung: Abgeordnete Renate Blank zu überweisen. (Unruhe) (Erste Beratung 107. Sitzung) Bevor ich darüber abstimmen lasse, warte ich, bis d) Beratung der Beschlußempfehlung und des der Saal überhaupt wieder zur Abstimmung in der Berichts des Verteidigungsausschusses Lage ist. — (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- 11304 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth ten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS/Linke ker-Inglau, weiterer Abgeordneten und der Liste Fraktion der SPD Sofortige Auflösung des „Koordinierungsaus- Dauerhafte Ernährungssicherung in Afrika schuß Wehrmaterial fremder Staaten" des — Drucksache 12/3645 — Bundesnachrichtendienstes und der Bundes- Überweisungsvorschlag: wehr Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federfüh- — Drucksachen 12/1505, 12/3806 — rend) Auswärtiger Ausschuß Berichterstattung: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Abgeordnete Gernot Erler b) Beratung der Beschlußempfehlung und de s Thomas Kossendey Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche e) Beratung der Beschlußempfehlung des Rechts- Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu der Unter- ausschusses (6. Ausschuß) richtung durch die Bundesregierung Übersicht über die dem Deutschen Bundestag Bericht über die Armutsbekämpfung in der zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesver- Dritten Welt durch Hilfe zur Selbsthilfe fassungsgericht — Drucksachen 12/924, 12/3574 — — Drucksache 12/3955 — Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michaela Blunk (Lübeck) Berichterstattung: Dr. Winfried Pinger Abgeordneter Dieter Schanz Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- c) Beratung der Beschlußempfehlungen und des gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu Ich beginne mit Tagesordnungspunkt 4 a bis c: dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ch ristian Zweite Beratung und Schlußabstimmung von drei - Ruck, Dr. Winfried Pinger, Klaus-Jürgen Hed- Vertragsgesetzentwürfen mit dem Staat Bahrain über rich, weiterer Abgeordneter und der Fraktion den Luftverkehr und mit Rumänien und der Republik der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulrich Polen über die Binnenschiffahrt, Drucksachen Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van Essen, 12/2661, 12/2804 und 12/2805. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf den Druck- F.D.P. sachen 12/4008, 12/3996 und 12/3997, die drei Die Schöpfung bewahren, privates Engage- Gesetzentwürfe unverändert anzunehmen. Wenn Sie ment fördern, die Umsetzung von Umweltmaß- damit einverstanden sind, lasse ich über die drei nahmen in Entwicklungsländern beschleuni- Gesetzentwürfe gemeinsam abstimmen. — Einver- gen standen. Dann können wir so verfahren. — Drucksachen 12/2715, 12/3583 — Ich bitte diejenigen, die den Gesetzentwürfen Berichterstattung: zustimmen wollen, sich zu erheben. — Wer stimmt Abgeordnete Dr. Peter Paziorek dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die Gesetz- Dr. Klaus Kübler entwürfe bei Enthaltungen von Stimmen der PDS und Gerhart Rudolf Baum des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN angenommen. d) Beratung der Beschlußempfehlung des Haus- Tagesordnungspunkt 4 d: Beschlußempfehlung des haltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unter- Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Gruppe richtung durch die Bundesregierung der PDS/Linke Liste zur sofortigen Auflösung des Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 23 02 „Koordinierungsausschusses Wehrmaterial fremder Titel 686 08 (Förderung von Ernährungssiche- Staaten", Drucksache 12/3806. rungsprogrammen in Entwicklungsländern) Der Verteidigungsausschuß empfiehlt, den Antrag — Drucksachen 12/3188, 12/3585 — der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/1505 Berichterstattung: abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlußempfeh- Abgeordnete Helmut Esters lung? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Damit ist Dr. Christian Neuling diese Beschlußempfehlung bei drei Gegenstimmen Werner Zywietz der PDS/Linke Liste angenommen. e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Tagesordnungspunkt 4 e: Beschlußempfehlung des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Rechtsausschusses zu Streitsachen vor dem Bundes- Zusammenarbeit (22. Ausschuß) verfassungsgericht, Drucksache 12/3955. Wer stimmt zu dem Antrag der Abgeordneten Alois Graf für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — von Waldburg-Zeil, Dr. Winfried Pinger, Klaus- Enthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfeh- Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und lung bei drei Enthaltungen der PDS/Linke Liste ange- der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- nommen. neten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg van Essen, weiterer Abgeordneter und der Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: Fraktion der F.D.P. a) Beratung des Antrags der Abgeordneter Bri- Entwicklungspolitische Chancen in Umbruch gitte Adler, Dr. Ingomar Hauchler, Ingrid Bek- sitautionen nutzen — entwicklungspolitische Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11305

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Herausforderungen an den Beispielen Athio- Berichterstattung: pien einschließlich Eritrea, Somalia, Sudan Abgeordnete Dr. Uwe Holtz und Angola Michael Jung (Limburg) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Gün- Burkhard Zurheide ther Toetemeyer, Brigitte Adler, Rudolf Bindig, i) Beratung der Beschlußempfehlung und des weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche SPD Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem Antrag Unterstützung des Friedensprozesses in An- der Abgeordneten Hans-Günther Toetemeyer, gola Brigitte Adler, Rudolf Bindig, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD — Drucksachen 12/1814, 12/2211, 12/3681 — Umfassende Hilfe beim Aufbau eines unab- Berichterstattung: hängigen Namibia Abgeordnete Ingrid Becker-Inglau Dr. Michaela Blunk (Lübeck) — Drucksachen 12/2303, 12/3866 — Alois Graf von Waldburg-Zeil Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Michaela Blunk (Lübeck) f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Hans-Günther Toetemeyer Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner Schuster, j) Beratung der Beschlußempfehlung und des Brigitte Adler, Hans Gottfried Bernrath, weite- Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Zusammenarbeit (22. Ausschuß) zu dem Antrag Förderung von Nichtregierungsorganisatio- des Abgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und nen der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erzbergbau am Ok Tedi in Papua-Neugui- — Drucksachen 12/1977, 12/3714 — nea Berichterstattung: — Drucksachen 12/2462, 12/3883 -- Abgeordnete Dr. Michaela Blunk (Lübeck) Dr. R. Werner Schuster Berichterstattung: Wolfgang Vogt (Düren) Abgeordnete Dr. Christian Ruck Verena Wohlleben g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Burkhard Zurheide Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche k) Beratung des Antrags des Abgeordneten Kon- Zusammenarbeit (22. Ausschuß) rad Weiß (Berlin) und der Gruppe BÜND- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe NIS 90/DIE GRÜNEN Holtz, Christoph Matschie, Verena Wohlleben, Schuldenerlaß für Mosambik weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD — Drucksache 12/4003 Bekämpfung von Fluchtursachen —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federfüh- zu dem Antrag der Abgeordneten Alois Graf rend) von Waldburg-Zeil, Dr. Winfried Pinger, Klaus Auswärtiger Ausschuß Jürgen Hedrich, weiterer Abgeordneter und Finanzausschuß der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- 1) Beratung des Antrags der Gruppe BÜND- neten Ulrich Irmer, Günther Bredehorn, Jörg NIS 90/DIE GRÜNEN van Essen, weiterer Abgeordneter und der Unterzeichnung und Ratifizierung des Ober- Fraktion der F.D.P. einkommens 169 über eingeborene und in Entwicklungspolitische Maßnahmen zur Min- Stämmen lebende Völker in unabhängigen derung der Asyl- und Flüchtlingsprobleme Ländern der Internationalen Arbeiter Organi- — Drucksachen 12/1824, 12/2726, 12/3761 — sation (ILO) Berichterstattung: — Drucksache 12/3824 Abgeordnete Alois Graf von Waldburg-Zeil —Überweisungsvorschlag: Ingrid Walz Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federfüh- Verena Wohlleben rend) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung h) Beratung der Beschlußempfehlung und des Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche gemeinsame Aussprache 4 Stunden vorgesehen. — Zusammenarbeit (22. Ausschuß) Dagegen sehe ich keinen Widerspruch. zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Uwe Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege Holtz, Günther Verheugen, Brigitte Adler, wei- Professor Dr. Winfried Pinger. terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Kuba Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Ursula Meine Damen und Herren! Versuch und Irrtum haben Fischer und der Gruppe der PDS/Linke Liste die entwicklungspolitische Programmatik in den letz- Kuba ten drei Jahrzehnten national und international — Drucksachen 12/1855, 12/2683, 12/3778 — bestimmt. 11306 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Winfried Pinger Heute können wir für uns in Anspruch nehmen, daß weitere Markthallen geschaffen worden. 91 % der wir aus Fehlern gelernt haben und daß die neue öffentlichen Verkehrsleistung werden vom informel- Entwicklungspolitik, wie sie von Entwicklungshilfe- len Sektor erbracht. minister Spranger und der Koalition vertreten wird, Ich spreche immer noch von Lima. Im Wohnungs- eine wirksame Waffe zur Bekämpfung von Armut und Elend in der Welt ist. bau werden für Arme nur 10 % des Investitionsvolu- mens im formellen Sektor vom Staat, aber 90 % vom (Beifall bei der CDU/CSU) informellen privaten Wirtschaftssektor erbracht. Diese neue Entwicklungspolitik wird denn auch Auch die Leistungsfähigkeit der Grameen-Bank in allgemein zu Recht in der Öffentlichkeit positiv Bangladesch mit ihren inzwischen 1,4 Millionen gewürdigt. Es ist gut, daß sich die Opposition im Bankkunden — alles Arme und Ärmste —, darunter Deutschen Bundestag dabei nicht ausschließt. Sie hat sind 1,3 Millionen Frauen, sich damit bisher der Versuchung' widersetzt — und ich hoffe, daß es dabei bleibt —, die Entwicklungspo- (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist litik als innenpolitischen Schlagstock zu mißbrau- der entscheidende Punkt!) chen. beweist die enorme potentielle Wirtschaftskraft der Gewiß gibt es Meinungsverschiedenheiten — die Armen und Ärmsten — und das nicht nur in Bangla- müssen auch ausgetragen werden — und die werden desch, sondern auch in anderen Ländern. sicher auch heute wieder Gegenstand der Debatte sein. Die Verbindung, das „Linkage", der Banken mit den Sparern und Kreditvereinen der Armen ist die (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das muß entscheidende organisatorische und entwicklungspo- so sein! — Rudolf Bindig [SPD]: Das hat der litische Aufgabe und Leistung, die zu erbringen ist. Todenhöfer immer gemacht!) Nicht der Kunde geht zur Bank, sondern die Bank Höchste Priorität in der neuen Entwicklungspo litik kommt zu den Kunden, die über eine Gruppenhaftung hat die Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbst- der Bank die erforderliche Sicherheit gewähren. Es hilfe. Diese läßt sich durch folgende Grundsätze- kurz zeigt sich, daß die produktiven Kräfte dieser Kunden, charakterisieren: dieser Ärmsten, so stark sind, daß 16 % Realzinsen erwirtschaftet werden können und daß die Rückzah- Erstens: Unmittelbare Armutsbekämpfung statt lungsquote über 98 % liegt. Hoffnung auf den Sickereffekt eines künstlich geschaffenen modernen Sektors. Zinssubventionen sind von Übel, da sie nicht zu Zweitens: Kleingewerbe-, Handwerks- und Klein- einem selbsttragenden System führen. Das beweist bauernförderung anstelle der Finanzierung industri- eigentlich durchweg: Armutsbekämpfung ist keine eller Großprojekte. Subventionspolitik, sondern sie ist die Starthilfe, die notwendig ist, damit die Armen dann tatsächlich ihre Drittens: Rahmenbedingungen, die private Initia- Probleme selber lösen können. tive ermöglichen und Wettbewerb sichern, anstelle von Staatswirtschaft und Dirigismus. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Viertens: Einsatz für Menschenrecht und Partizipa- tion statt eines Dogmas der Nichteinmischung. Die Ziele der neuen Entwicklungspolitik sind klar Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe bestimmt. Der eingeschlagene Kurs mit seinen Schwerpunkten ist richtig. Allerdings müssen wir beruht auf der einfachen und doch jahrzehntelang in den meisten Ländern der Dritten Welt ignorierten zugestehen, daß der Supert anker „Entwicklungszu- Grundeinsicht, daß auch Arme und Ärmste sich selbst sammenarbeit" nur langsam auf diesen Kurs ein- schwenkt. helfen können, wenn die dafür erforderlichen Kräfte freigesetzt und unterstützt werden. Eine Armutsbe- Immer noch — das müssen wir leider feststellen — kämpfung ist deshalb das Gegenteil von Betreuung gibt es zu viele Entscheidungsträger in den großen oder der Gewährung von Almosen. Ihre Leitidee Apparaten der Entwicklungszuammenarbeit, die besteht darin, gezielt die schöpferischen Kräfte der nicht bereit sind, den Kurswechsel mitzuvollziehen. Masse der armen Bevölkerung in den Entwicklungs- Immer noch fehlt die Einsicht, oder aber man geht ländern freizusetzen und dadurch einen selbsttragen- schlicht weiter den einfachen Weg. Das Antragsprin- den Entwicklungsprozeß einzuleiten. zip ist dann der Vorwand, auf egoistische Wünsche Die Lage der armen Bevölkerung kann auf Dauer der Machteliten in den Entwicklungsländern einzuge- nur verbessert werden, wenn deren Produktivkraft hen. entfaltet wird. Hier liegt ein unermeßlicher, noch nicht Das Großprojekt alter Art bietet die Möglichkeit, gehobener Schatz von wirtschaft lichem Entwick- natürlich abgesichert durch zahlreiche Gutachten und lungspotential. damit ohne Risiko, in relativ kurzer Zeit hohe finan- Dies zeigt sich im informellen Sektor, dem Wirt- zielle Mittel ohne großen Aufwand zu plazieren. schaftssektor der Welt, in dem die ganz überwiegende Bei dieser Interessenlage können wir auf der ande- Mehrheit der Armen tätig ist. ren Seite mit großem Respekt und Hochachtung die Dem peruanischen Wirtschaftswissenschaftler de Anstrengungen registrieren, die bereits jetzt in vielen Soto verdanken wir beeindruckende Beispiele aus Projekten der Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Lima: Je staatlich errichteter Markthalle sind in den Selbsthilfe gemacht werden. Wir treffen immer wie- letzten 20 Jahren im privaten informellen Sektor 12 der auf ein vorbildliches Engagement im BMZ und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11307

Dr. Winfried Pinger auch bei den staatlichen Durchführungsorganisatio- hat. Dabei ging es vor allem um die Feststellung, daß nen. auch in diesem informellen Sektor ohne Soziale (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Marktwirtschaft keine Entwicklung stattfinden kann. ordneten der F.D.P.) Da geht es um die notwendigen Rahmenbedingungen für die Projekthilfe. Die Bereitschaft, den langwierigen und schwierigen Weg der Selbsthilfe mit den Menschen zu gehen und Herr Kollege Pinger, dabei zu einem selbsttragenden und breitenwirksa- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: men Entwicklungsprozeß zu kommen, ist vorhanden. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dieser Weg wird zunehmend begangen. Hauchler? So beeindruckend die neue Entwicklungspolitik in (CDU/CSU): Sehr gerne, Herr der Praxis ist — jeder von uns kann sehr beeindruk- Dr. Winfried Pinger Kollege Hauchler. kende Beispiele aus der Praxis nennen und hat sie in der Projektpolitik vor Ort sehen können —, müssen wir dennoch bescheiden und selbstkritisch feststellen, Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Sehr geehrter Herr daß wir dabei noch am Anfang der Aufgabenbewäl- Kollege Pinger, sind sie bereit, zur Kenntnis zu neh- tigung stehen. men, daß die SPD sehr wohl dafür ist, daß auf breiter Ebene unternehmerische Initiative in Entwicklungs- Die Zahlen zeigen die Erfolge; sie offenbaren aber ländern stattfindet und gefördert wird, daß wir aber auch die Herausforderung, die sich uns stellt. Für die der Meinung sind, daß Sie den falschen Weg einschla- Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe sind in gen, um dies wirksam zu tun? Hier liegt unsere der Rahmenplanung für 1993 in der FZ 149 Millionen Differenz: in der Methode, nicht im Ziel. DM, in der TZ 206 Millionen DM vorgesehen, insge- samt also 355 Millionen DM. Hinter dieser Zahl verbirgt sich eine gewaltige Leistung, denn bei einer Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Kollege Hilfe zur Selbsthilfe, können zumindest am Anfang Hauchler, ich nehme gern zur Kenntnis, daß Sie betonen, den Weg im Prinzip mit uns gehen zu wollen. nur sehr kleine Beträge abfließen, wenn -man nicht gleich mit großen Summen die Eigenanstrengungen Wir stellen aber fest, daß Sie, indem Sie immer wieder korrumpieren will. So muß man also die Zahlen — auch gestern bei der Ablehnung des Antrags —, wie betrachten. wir meinen, zu einseitig auf die notwendigen interna- tionalen Rahmenbedingungen abheben, aus unserer Auf der anderen Seite und in der Relation zu Sicht ein Alibi finden, um nicht die notwendigen, auch anderen Projekten wird deutlich, wieviel Arbeit noch ordnungspolitischen, Konsequenzen für Hilfe zur vor uns liegt: Die 149 Millionen DM, die in der FZ für Selbsthilfe in den Entwicklungsländern zu ziehen. Projekte in der Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe eingesetzt werden, machen nur 5,7 % der Die neue Entwicklungspolitik mit ihrer Kernidee gesamten Entwicklungshilfe in der FZ aus; bei der TZ der Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe ist sind es aber immerhin schon 17 %. das Mittel, um Hoffnungslosigkeit und Resignation in vielen Entwicklungsländern zu überwinden. Diese Gewiß können und müssen wir gleichzeitig feststel- neue Entwicklungspolitik, die wir beharrlich, langfri- len, daß für die Grundbedürfnisbefriedigung 51 % der stig und intensiv durchsetzen wollen, ist die Chance, Mittel ausgegeben werden. Das zeigt, daß die Ent- Hunger und Elend in der Dritten Welt wirksam zu wicklungszusammenarbeit in einem entscheidenden überwinden. Wir wollen diese Chance nutzen. Punkt den Durchbruch geschafft hat: Die armen Bevölkerungsschichten sind die Zielgruppe von über Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. 50 % der finanziellen Entwicklungsanstrengungen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das war und ist der erste wichtige Schritt, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich gebe dem Abge- Der nächste Schritt muß aber darin bestehen, daß ordneten Professor Dr. Uwe Holtz das Wort. aus der Grundbedürfnisbefriedigung als Fremdhilfe und Betreuung durch den Staat eine Hilfe zur Selbst- Dr. Uwe Holtz (SPD): Frau Präsidentin! Sehr geehrte hilfe wird. Konkret muß dies für FZ und TZ heißen: In Damen und Herren! Hauptgefahren der Neuzeit sind einem längeren Prozeß müssen diese 51 % voll für Hunger, große Völkerwanderungen, das Erstarken selbsthilfeorientierte Armutsbekämpfung eingesetzt fundamentalistischer Kreuzzugsideologien, Umwelt- werden. tod, Bevölkerungsexplosion, Kriege; sie müssen auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und gerade jenseits europäischer Grenzen in den Entwicklungsländern gebannt werden. Das ist eine gewaltige Herausforderung, die vor uns liegt. Deshalb setzt der Deutsche Bundestag ein richtiges Zeichen, indem er zu Beginn dieses Jahres eine große Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen entwicklungspolitische Debatte führt. sind fest entschlossen, ihre neue Entwicklungspolitik konsequent durchzusetzen. Ob die Opposition, insbe- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sondere die SPD, die uns zunächst folgt — was wir DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der durchaus anerkennen —, tatsächlich mit gleicher CDU/CSU und der F.D.P. — Hans-Günther Intensität an diesem Thema mitwirken will, müssen Toetemeyer [SPD]: Am Vormittag!) wir bezweifeln, nachdem sie gestern im Ausschuß den Mit den heute zur Verabschiedung anstehenden Koalitionsantrag „Entfaltung der privaten unterneh- Anträgen wollen wir Orientierung geben, zuallererst merischen Initiative in der Dritten Welt" abgelehnt Orientierung für Regierungshandeln, aber auch für 11308 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Uwe Holtz unsere Bevölkerung, Orientierung für den Nord-Süd- einiges nachgeholt; aber in entscheidenden Punkten Ausgleich, Orientierung für eine neue Südpolitik. kneifen Sie. Eine neue Südpolitik darf aber nicht zur Verschickung (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, Sie!) von Bundeswehrsoldaten verkommen. Wer Fluchtursachen konsequent und wahrhaftig (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bekämpfen will, der muß Diktaturen überzeugend DIE GRÜNEN) bekämpfen, der darf sie nicht noch mit Entwicklungs- Heute geht es um so umfassende Beschlußempfeh- hilfe — siehe China und Malawi — unterstützen, lungen, Unterrichtungen und Anträge wie zur (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Armutsbekämpfung in der Dritten Welt und zur dau- DIE GRÜNEN) erhaften Ernährungssicherung in Afrika, um einzelne Länder wie Somalia, Angola und Namibia und auch zu der muß eine viel restriktivere Waffenexportpolitik wichtigen Trägern der entwicklungspolitischen Zu- betreiben, sammenarbeit, etwa den Nichtregierungsorganisatio- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) nen. der muß für eine neue internationale Wirtschafts- und Mit diesen Anträgen will der Deutsche Bundestag Sozialordnung einstehen — wir Sozialdemokraten auch dazu beitragen, daß aus dem Hungerkontinent wollen globale Wirtschaftsfairneß —, und der muß Afrika ein Kontinent der Hoffnung und der Zuversicht auch zu einer stärkeren entwicklungspolitischen wird. Dies wird nur im Verein aller Kräfte: der EG, der Zusammenarbeit bereit sein. anderen Industrieländer, der internationalen Hilfsor- Deshalb fordern wir in unserem Antrag eine Ver- ganisationen und der betroffenen Länder selbst, gelin- doppelung der Entwicklungshilfe in den 90er Jahren, gen. also eine stufenweise Steigerung der öffentlichen Mit dieser Debatte machen wir deutlich: Neben die Mittel für entwicklungspolitische Maßnahmen von Politik gen Westen und Osten gehört eine kraftvolle, jetzt 0,35 % Anteil am Bruttosozialprodukt auf konstruktive die sich nach dem Ende des 0,7 %. Südpolitik, - Ost-West-Konflikts endlich der Überwindung des All das haben Sie im Ausschuß für wirtschaftliche Nord-Süd-Konflikts zuwendet. Aber diese Regierung Zusammenarbeit abgelehnt. Jetzt im Plenum haben ist ja viel zu sehr mit sich selbst und ihren Affären Sie eine neue Chance: Stimmen Sie doch unserem beschäftigt, als daß sie diese Herausforderung mei- Antrag zu! Immerhin hat der Unions-Fraktionsvorsit- stern könnte. zende in einem Neujahrsbrief an seine Fraktionsmit- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ glieder — wie interessanterweise der Bundeskanzler DIE GRÜNEN — Dr. Karl-Heinz Hornhues und seine Entwicklungs- und Umweltminister auch [CDU/CSU]: Dummes Zeug ist das!) früher schon — die Steigerung der Entwicklungshilfe- leistungen gefordert. Oder ist auch all das wieder nur Die von uns Sozialdemokraten mitgetragenen und Salbe gewesen? die von uns eingebrachten Anträge, die hier heute zur Verabschiedung anstehen, sind ein Kompaß für den Unerläßlich ist natürlich, daß auch die Entwick- lungsländer alles in ihren Kräften Liegende tun, um Weg zu mehr Verantwortung, Mitmenschlichkeit und Solidarität. Für die Verfassungsdiskussion fordern wir Entwicklungshindernisse bei sich zu beseitigen. Sozialdemokraten, in die Präambel des Grundgeset- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: An ihren Taten zes die zusätzliche Verpflichtung aufzunehmen, daß werdet ihr sie erkennen!) das deutsche Volk als gleichberechtigtes Glied in — Ja, Sie haben recht: Es klafft eben ein großer Pfad einem vereinten Europa auch der Solidarität in der zwischen Wort und Tat. Das ist der Vorwurf, den wir einen Welt zu dienen hat. der Bundesregierung und auch Ihnen, Herr Minister, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ machen. DIE GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Was soll da alles rein?) DIE GRÜNEN) Wir würden uns freuen, wenn diese Ergänzung von Wie dringend notwendig die Eigenanstrengungen Ihnen allen mitgetragen würde. sind, hat vor drei Jahrzehnten — heute immer noch Über eine Milliarde Menschen hat nicht genug zu aktuell — der erste Generalsekretär der Welternäh- essen. Es gibt eine Massenwanderung des Elends. Die rungsorganisation (FAO), der Inder Dr. Sen, deutlich große Asyldebatte blendet oft die eigentliche Heraus- gemacht: forderung, die sich daraus ergibt, aus, nämlich nicht Der Bevölkerung eines Dorfes irgendwo in der die Asylbewerber hier zu bekämpfen, sondern die Welt ist auf Dauer nicht mit ein paar Zentnern Ursachen der Flucht mit bekämpfen zu helfen. Reis oder Weizen gedient. Sie muß vor allem (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lernen, ihre Felder besser zu bestellen, gesundes Vieh zu züchten und tüchtige Handwerker aus- DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Alois zubilden. Die Bauern müssen mit den Methoden Graf von Waldburg-Zeil [CDU/CSU]) genossenschaftlicher Zusammenarbeit in Pro- Daher hat die SPD schon Ende 1991 als erste duktion und Absatz bekannt werden und lernen, Fraktion im Deutschen Bundestag dazu einen dem- selbst etwas gegen die Not zu unternehmen. Es entsprechenden Antrag eingebracht, dessen An- wird darauf ankommen, nicht nur die Symptome nahme wir empfehlen. In dem Koalitionsantrag wird von Hunger und Krankheit, sondern deren Ursa- Deutscher Bundestag — 12, Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14, Januar 1993 11309

Dr. Uwe Holtz chen zu bekämpfen ... Die explosive Bevölke- Zweitens. Entwicklungspolitisch ist heute ein Epo- rungsvermehrung in den ärmsten Gebieten der chenwechsel in Richtung auf eine neue Entspan- Welt ist besonders bedrohlich, nicht nur deshalb, nungspolitik im globalen Stil erforderlich. Wir fordern weil die landwirtschaftliche Produktion nicht aus- eine wirtschaftliche, eine soziale, eine ökologische reicht, sondern weil die Menschen aus Mangel an Entspannungspolitik; sie ist auch ein Stück notwendi- Beschäftigung kein Geld haben, die Lebensmit- ger Friedenspolitik. Entwicklung ist heute der andere tel, die sie brauchen, zu bezahlen. Die Menschen Name für Frieden. müssen in die Lage versetzt werden, produktive Arbeit zu leisten; dann brauchen sie nicht zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hungern . DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Heri bert Scharrenbroich [CDU/CSU]) Das ist eine wichtige und richtige Erkenntnis. In Drittens. Der Kommunismus steht vor dem Konkurs- bezug auf die Bevölkerungsexplosion füge ich hinzu: richter der Welt, Die Bundesregierung muß noch mehr tun, um mit anderen Gebern und den betroffenen Ländern dafür (Ulrich Schmalz [CDU/CSU]: Der Sozialis zu sorgen, daß der Wettlauf zwischen Storch und Pflug mus!) vom Pflug gewonnen wird. und dennoch kann der Westen nur vor Triumphalis- (Beifall bei der SPD) mus gewarnt werden. Ein Großteil der globalen Bedrohungen geht auf das Konto des Westens. Der Die Bundesregierung muß eine präventive Ent- Markt ist doch nicht der Wunderheiler für alle Übel in wicklungspolitik betreiben, auch mit dem Ziel, der Welt. zumindest auf längere Sicht neue und größere Flücht- lingsströme vermindern zu helfen. Oberstes Ziel der (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das kann Politik muß es sein, zu seiner menschenwürdigen, man wohl sagen!) wirtschaftlich produktiven, sozial gerechten, umwelt- Die SPD steht für eine effiziente, ökologisch- und verträglichen und auf Dauer tragfähigen Entwicklung sozialverträgliche Marktwirtschaft, für eine rationale in den Entwicklungsländern und in den- Ländern verantwortungsethische Wirtschaftspolitik, nicht nur Osteuropas beizutragen. Dazu bedarf es auch und bei uns, sondern im globalen Maßstab, gerade einer entwicklungsverträglichen Umgestal- (Beifall bei der SPD — Dr. Winfried Pinger tung der internationalen Rahmenbedingungen, die [CDU/CSU]: Also doch teilweise ein real die Entwicklungsländer häufig benachteiligen und existierender Sozialismus!) deren Bedeutung von den Regierungsparteien syste- matisch heruntergespielt wird. Es ist wichtig, diese und für ihre Einbindung in eine demokratische, die internationalen Rahmenbedingungen zugunsten Menschenrechte verwirklichende Ordnung. auch der anderen Länder zu verbessern. Deshalb haben wir zu Recht, wie ich finde — das (Beifall bei der SPD — Dr. Ingomar Hauchler wird von Ihnen geteilt —, zu Kuba mit seinem men- [SPD]: Man zwingt sie ja in diese Wirt schenrechtsfeindlichen Kommunismus vor gut einem schaft!) Jahr einen Antrag vorgelegt, der zur Unterstützung eines reformbereiten und sich demokratisierenden — Man zwingt sie in wirtschaftspolitische Strangulie- Kubas aufruft. Wir wollen nicht die Unterstützung der rungen hinein. kommunistischen Diktatur. Soziale und kulturelle Entwurzelung stellt oft einen Wenn der von einer großen Mehrheit im Auswärti- Fluchtgrund dar. Deshalb sollte die Bundesregierung gen Ausschuß und im Ausschuß für wirtschaftliche das Ratifizierungsverfahren zum ILO - Übereinkom- Zusammenarbeit gebilligte Antrag heute vom Bun- men 169 formell einleiten. Mit diesem Übereinkom- destag angenommen wird, dann setzt er ein deutliches men soll ein besserer Schutz der sozialen und kultu- Zeichen für einen friedlichen demokratischen Über- rellen Identität der eingeborenen und in Stämmen gang. In diesem Sinne fordert der Antrag die Bundes- lebenden Bevölkerungsgruppen erreicht werden. regierung auch auf, gegenüber den USA auf eine Deshalb begrüßen wir Sozialdemokraten die dement- Lockerung des Embargos zu drängen. Um Bürger- sprechende Initiative, die uns hier vorliegt. kriegsverhältnisse zu verhindern, sollte die internatio- nale Gemeinschaft Castro zum Einlenken bewegen. Ich sehe vier wichtige Aufgaben für eine verant- Sonst drohen rumänische Verhältnisse. wortliche Politik. Viertens und letztens. Anders als bei der deutschen Erstens. Bei allen Anstrengungen und sozial gerecht Einheit darf den Menschen in den reichen Ländern die zu verteilenden Opfern für das Zusammenwachsen Bedeutung einer neuen Entspannungspolitik für ihre und das Wohlergehen des geeinten Deutschlands und Lebens- und vor allem Konsumwirklichkeit nicht für Europa dürfen wir die Notlagen, denen die Mehr- verschwiegen werden. heit der Menschen ausgesetzt ist, nicht vergessen — aus Humanität und aus wohlverstandenem Eigen- Deshalb gebe ich ein Beispiel: Es wäre gut, wenn die interesse. Deutsch-deutsch, zugleich europäisch und Konsumenten in den Industrieländern endlich wieder global zu denken und zu handeln — das ist die fairere Preise für Kaffee bezahlen würden. Da ich Aufgabe, die uns abverlangt wird, keinen Vetter oder andere Verwandte im Geschäft habe, scheue ich mich nicht, Werbung für ein (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bestimmtes Produkt im Deutschen Bundestag zu DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der machen, nämlich für den ab Februar in deutschen CDU/CSU) Geschäften erhältlichen und teureren „Kaffee der 11310 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Uwe Holtz Hoffnung" aus guten Sorten und ökologischem Auch die Industrienationen sind vom Wind des Anbau, dessen Mehrpreis direkt den produzierenden Wandels ergriffen. Strukturveränderungen mit dem Bauern zugute kommen soll. Ziel der Strukturanpassung — wir reden immer nur von Strukturanpassungsprogrammen in der Dritten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Welt —, die auch für uns schmerzlich sind, bleiben uns nicht erspart. Die Umweltzerstörung auf Grund von Dieses Beispiel verdeutlicht, daß Nord-Süd-Ent- Armut und die hemmungslose Ausbeutung der natür- spannungspolitik auch mit unserem Lebensstil zu tun lichen Ressourcen ohne ökologische Verantwortung hat und daß jeder einzelne einen Beitrag dazu leisten haben verheerende Folgen nicht nur für die Entwick- kann. Wir müssen anders leben, damit andere überle- lungsländer, sondern für die eine Welt, von der wir ben können. Zur Wahrhaftigkeit der Politik gehört es, immer reden sollten, also auch für uns. uns selber im Bundestag und unsere Bevölkerung auf diese Herausforderungen hinzuweisen. In vielen Ländern werden die Menschen, werden die Volkswirtschaften durch unverantwortliche Wirt Danke schön. anders kann ich sie nicht nennen —-schaftspiraten — (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS um ihre ökologische, aber auch um ihre ökonomische 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Zukunft gebracht. Beispiele dafür sind die Waldver- der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS/Linke nichtung in den Tropen und, bisher übersehen, die Liste) Waldvernichtung in den Tiefen von Mittelasien. Die Industrieländer — dieses ist der Unterschied — Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht können auf Grund von Kapital und technischem zu diesem Thema die Abgeordnete Ingrid Walz. Know-how Altschäden beheben — das ist sehr teuer —, begrenzen und, was noch viel, viel wichtiger ist, vermeiden. Das können jedoch nicht die Entwick- Ingrid Walz (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine lungsländer, die sich zu industrialisieren beginnen. Damen! Meine Herren! Als der Club of Rome, an den Hier liegt ein weites Feld der Entwicklungshilfe und es immer wieder zu erinnern gilt, vor Jahr und Tag der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, also der Han- seine Thesen für eine mögliche Entwicklung der Welt delspolitik. nach dem Jahr 2000 vorlegte, waren wir geschockt, Die rasante Bevölkerungsentwicklung in vielen aber eigentlich nur in der Theorie. Ländern, die auf Grund natürlicher Gegebenheiten Heute holt uns aber die Praxis dieser damaligen bisher nur so viele Menschen ernähren konnten, wie Vorahnungen ein. Was kluge und weit vorausschau- der Boden hergab, hat zur Verelendung und Hoff- ende Wissenschaftler damals diagnostizierten, wird in nungslosigkeit geführt. Afrika ist das Synonym dafür. Teilen dieser Welt schneller Wirklichkeit, als gedacht. Auf seinem Weg zu Selbstbestimmung und Demokra- Die Vernichtung der natürlichen Ressourcen, die tie macht es zudem eine Phase der Barbarei und der Verschmutzung der Luft und der Meere, das Ozonloch Anarchie mit. und die Klimaveränderungen sind keine wissen- Die Forderung der Unterstützung der Demokrati- schaftlichen Hirngespinste mehr, sondern tägliche sierung von unten auf Grund gewachsener Strukturen Realität. in Afrika ist neben der Linderung der Not unsere (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wohl wichtigste Verpflichtung diesem Kontinent gegen- wahr!) über. Auch in anderen Punkten hat der Club of Rome (Beifall bei der F.D.P.) leider recht behalten. Die Bevölkerungszunahme bei In all dies eingebettet — nun komme ich zu uns — vielfach stagnierenden Volkswirtschaften und alles liegt die Wohlstandsinsel Europa. In all dies eingebet- zerstörende Bürgerkriege haben Wanderungs- und tet und verflochten sind unsere Außen-, Entwick- Flüchtlingsbewegungen ungeahnten Ausmaßes aus- lungs- und Umweltpolitik. Die eine Welt mit ihren gelöst. Die Wanderungs- und Flüchtlingsbewegun- Problemen und mit ihren Wandlungen hat auch bei gen in Europa sind, wie wir wissen, nur der kleinere uns Prozesse der Veränderung ausgelöst. Die Men- Teil dieser Entwicklungen. schen, die zu uns kommen, die über unsere Grenze Nicht vorausgesehen hat der Club of Rome — na- heute und auch morgen drängen, haben wie alle türlich wie wir alle — den Zusammenbruch des Menschen zu allen Zeiten den Wunsch, ihre Lebens- Sozialismus und die schwierige Suche nach Markt- umstände zu verbessern. Sie wollen dem Hunger, dem wirtschaft und Märkten. Die Regionen dieser Welt Elend und dem wirtschaftlichen Chaos entfliehen. werden ganz unterschiedlich von den Wandlungen Dies bedeutet jedoch nicht Endzeitstimmung im betrof- durch den Zerfall der bisherigen Strukturen Sinn des Club of Rome, sondern signalisiert, daß sich fen. Die Modernisierungsprozesse, um die es sich unsere Politik für neue gewaltige Herausforderungen eigentlich handelt — sie sind weltweit in Gang nach innen und auch nach außen wappnen muß. gekommen —, verlaufen auf Grund der Geschichte, der soziokulturellen Hintergründe und der jeweiligen Die Schwierigkeit im Umgang mit Ausländern, mit wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingun- Fremden beruht nicht nur auf unverständlichem gen, aber auch auf Grund der weltwirtschaftlichen Fremdenhaß und auf Fremdenangst, sondern ist auch Verflechtungen vielfältig. Die hinlänglich bekannten die hilflose Reaktion auf Zukunftsängste und Perspek- Barrieren und Hemmnisse sind für die wirtschaftliche tivlosigkeit. Das ist aber auch die Antwort auf lange Entwicklung vieler Länder die eigentlichen Entwick- ausgebliebene Konzepte einer neuen Zusammenar- lungshemmnisse. beit in Europa und mit der Welt. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11311

Ingrid Walz Viele Menschen in unserem Land erkennen instink- Die Entwicklung in Asien ist heute geprägt von tiv, daß es immer wichtiger wird, Hilfen beim Aufbau wachstumsstarken Ländern. Der Kontinent Afrika von zukunfts- und tragfähigen Strukturen in den zerfällt. Diese beiden Pole ein und derselben Entwick- Ländern zu leisten, aus denen die Flüchtlinge kom- lung, ein und derselben Zeitläufte brauchen natürlich men. Wir meinen — vielleicht ist das etwas optimi- unterschiedliche Instrumente. stisch gedacht —, daß die Stunde der Entwicklungs- politik eigentlich erst jetzt gekommen ist. Nun ein letztes, meine Damen und Herren: Die heutige entwicklungspolitische Debatte findet zu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) einem Zeitpunkt statt, der Anlaß zu Sorge und Nach- denklichkeit, aber auch zu konsequentem Handeln Die wirtschaftliche Zusammenarbeit — meine gibt — nicht nur im Hinblick auf den Vernichtungs- Damen und Herren, das werden Sie bei allen Diskus- und Vertreibungskrieg auf dem Balkan, sondern auch sionen, bei allen Gesprächen mit der Bevölkerung angesichts der Gefahr einer erneuten militärischen spüren — gewinnt eine neue, nunmehr auch für Konfrontation mit Irak mit all seinen Auswirkungen in unsere Bevölkerung einsichtige Dimension und Posi- der Region. Alte und neue Krisenherde schwelen; tion. Wir können Entwicklungspolitik nicht weiter mit Kambodscha ist noch nicht befriedet. Zur Bewältigung Etiketten machen — das ist völlig sinnlos —, sondern dieser Probleme muß auch die Bundesrepublik ihren nur mit weitsichtiger Gestaltung der Politik. Nur so Beitrag leisten. können wir die Ursachen der Fluchtbewegung beein- flussen. Der Besuch von UN-Generalsekretär Boutros Ghali in dieser Woche erinnert uns an die in der Charta der Das heißt bei uns die Lösung der Asylfrage mit dem Vereinten Nationen enthaltene Verpflichtung. Nach- Ziel der Erhaltung des politischen Asyls; darüber sind dem Deutschland seine volle Souveränität wiederer- wir uns alle einig. Das heißt weiterhin — ich sage dies langt hat, muß es alle Rechte und Pflichten eines jetzt etwas ungeschützt —: Als einzige und richtige Mitglieds der Vereinten Nationen übernehmen. Konsequenz brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, das aus mißliebigen Asylbewerbern willkommene (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Fremde macht. - CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und Ihre Vorstellungen, meine Damen und Herren von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Hans der SPD, den Einsatz unserer Streitkräfte auf soge- Günther Toetemeyer [SPD]: Einverstan nannte Blauhelm-Aktionen und die Sicherung huma- den!) nitärer Aktionen zu beschränken, sind unrealistisch Die Bekämpfung von Fluchtursachen gewinnt eine und überholt, herausragende Bedeutung. Wir sollten uns allerdings (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der davor hüten — am Anfang habe auch ich gemeint, das CDU/CSU) sei ein sehr einfacher Weg —, das zur Verfügung stehende Instrumentarium und die doch sehr begrenz- wenn Teile dieser Welt im Mahlstrom von Gewalt ten finanziellen Möglichkeiten im Hinblick auf die unterzugehen drohen und damit eigentlich alle Bemü- gigantische Aufgabe zu unterschätzen. Wir müssen hungen der Entwicklungszusammenarbeit zunichte alle Facetten der Entwicklungspolitik diesem Ziel gemacht haben. Ich bitte Sie herzlich, dies so zu unterordnen. sehen. Aber daraus ergeben sich natürlich für die Entwick- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lungspolitik neue Aufgaben. Die Wurzeln der Ent- Die künftige Entwicklungszusammenarbeit muß wicklungshilfe im guten Sinne, die in der Caritas und der Entfaltung privatwirtschaftlicher unternehmeri- der Diakonie liegen, wollen wir nicht leugnen. scher Initiative gelten. Den Reformprozeß, der sich in Nächstenliebe, Achtung der Menschenwürde und vielen Ländern vollzieht, müssen wir stützen, denn er das Einfordern von Menschenrechten sind natürlich ist der eigentliche Beitrag zur Überwindung von die Grundvoraussetzungen für menschliches, für part- Armut. Wirtschaftlicher Erfolg bedeutet: Soziale nerschaftliches Zusammenleben in jeder Form. Doch Sicherheit ist Garant für eine verantwortungsbewußte inzwischen sind auch andere Elemente der Zusam- Familienplanung. menarbeit wichtig geworden: Die Modernisierungs- Strategien zur Überwindung von Armut dürfen prozesse, die Verflechtungen mit der Weltwirtschaft aber nicht nur im Mittelpunkt unserer Entwicklungs- — dem kann sich kein Land entziehen, oder soll es zusammenarbeit stehen. Armutsbekämpfung muß vielleicht versuchen, als Zoo zu überleben? — erfor- oberstes Staatsziel aller unserer Partnerländer sein. dern neue Formen des Verständnisses von Entwick- Wir können dabei helfen, aber unsere Partner können lung und internationaler Zusammenarbeit. damit nicht aus ihrer eigenen Verantwortung entlas- Jetzt sage ich etwas, was wir uns immer wieder ins sen werden. Das muß ich an dieser Stelle auch Stammbuch schreiben sollten: Weil die Welt sich sagen. heute unterschiedlich entwickelt, weil wir heute nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mehr von der Dritten Welt schlechthin sprechen können — ich wehre mich dagegen, weil wir nicht Durch unsere Zusammenarbeit geben wir ein Bei- mehr von den Entwicklungsländern unisono reden spiel für sozialstaatliches Handeln, aber wir können können —, müssen wir auch unterschiedliche Instru- nicht die Verantwortung für alle Armen dieser Welt mente der Entwicklungszusammenarbeit entwik- übernehmen. Wir können nur ein Beispiel geben, wie keln. die Armutsfragen gelöst werden können. 11312 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Ingrid Walz Die aufgezeigten Linien decken sich mit denen der sowie vor politischer Diskriminierung und Gewalt Bundesregierung. In der Zusammenarbeit zwischen flüchtenden Menschen. Nord und Süd, aber auch mit Ost muß neuer Realismus Manchmal frage ich mich, ob und was unsere einkehren. Schuldzuweisung führt nicht weiter, denn entwicklungspolitischen Debatten in diesem Haus wir haben es mit einem gewachsenen Selbstbewußt- eigentlich in den Entwicklungsländern letztendlich sein unserer Partner zu tun, die Zusammenarbeit bewirken. Je öfter ich an solchen Debatten teilnehme wünschen und nicht das Aufarbeiten von Versäumnis- und je mehr ich Gelegenheit habe, Entwicklungslän- sen auf der einen oder anderen Seite. der kennenzulernen, desto mehr verstärken sich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Zweifel über Sinn und Zweck dieser Aussprachen im Bundestag. Zu realitätsfremd, zu unkritisch, zu ego- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht istisch und wenig solidarisch sind wir in unserer Politik die Abgeordnete Ursula Fischer. gegenüber der Dritten Welt. Wir haben dennoch die Hoffnung nicht verloren, daß die höchste gesetzgebe- rische Institution der Bundesrepublik Deutschland Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- tin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Walz, Sie eines Tages zu neuem Denken fähig sein wird und haben Ihre tiefe Besorgnis über die Situation in der eine andere Entwicklungspolitik befördern wird, Golfregion hier zum Ausdruck gebracht. Auch ich zumindest dann, wenn die SPD, wie ich von Professor Holtz hörte, 1994 die Wahl gewinnt. Ich habe aller- möchte das so sagen. Sie kennen meine große Wert- schätzung für Sie. Allerdings sehe ich das so, daß dings Zweifel daran. inzwischen Kriege wieder zum probaten Mittel (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: geworden sind, um Konflikte zu lösen. Ich kann mir Wir auch!) nicht vorstellen, daß dies in irgendeiner Art und Weise zur Erhaltung der Schöpfung beiträgt. Ich möchte uns Je früher dies geschieht, um so besser für die Bewah- alle auffordern, dafür Sorge zu tragen, daß gerade rung der Schöpfung auf unserem Planeten. Kriege nicht wieder führbar gemacht werden, wie es Ich muß mich jetzt auf bestimmte Anträge beschrän- im Moment aussieht. Ich war wiederholt- im Irak. Ich ken. Dem Bundestag liegt der Antrag zur Förderung kenne die Situation, vor allem der Kinder dort. Ich bin von Nichtregierungsorganisationen zur Bestätigung sehr, sehr besorgt. vor. Wie im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammen- (Zuruf von der CDU/CSU: Was ist mit Bos arbeit möchte ich auch hier dem Antrag der SPD nien, Somalia, Kambodscha?) meine generelle Zustimmung geben. Viele Bürger — Ich könnte Ihnen auch dazu einiges sagen; leider dieses Landes leisten in den vielfältigsten NGOs einen habe ich nicht so viel Redezeit wie Sie in dieser unverzichtbaren und unverwechselbaren Beitrag zur entwicklungspolitischen Debatte. Ich muß mich leider Bewahrung der Schöpfung, zur Verbesserung des beschränken. Lebens, oftmals auch zum Überleben von Menschen in der sogenannten Dritten Welt. Alles spricht dafür, Kolleginnen und Kollegen, das Überwälzen von diesen wirksamen unverzichtbaren Beitrag zu erhö- Entwicklungskosten und - folgen vom Nordwesten hen und die Aktivitäten der NGOs allseitig zu för- auf den Süden und zunehmend auch auf den Osten dern. führt in Wechselwirkung mit Korruption, Mißwirt- schaft, Überrüstung und anderen Entwicklungs- Meine Damen und Herren, bereits die Diskussion hemmnissen in den Ländern Asiens, Afrikas und im AWZ und die heutige Debatte bestätigen, daß Lateinamerikas dazu, daß heute auf drei Viertel der engstirnige parteipolitische Motive z. B. bei der Ent- Erdbevölkerung weniger als 20 % der Weltproduktion scheidung, ob NGOs eine gezielte Förderung erfahren entfallen und das Gefälle im Pro-Kopf-Einkommen sollten, nicht angebracht sind und auch keineswegs zwischen den OECD-Ländern und den 125 klassi- hilfreich sind. Die Besorgnis der CDU/CSU im Aus- schen Entwicklungslände rn heute 20 : 1 beträgt. schuß, daß verstärkte staatliche Unterstützung den In bezug auf die am wenigsten entwickelten Länder NGO - Status der betreffenden Organisationen gefähr- hat dieses Verhältnis inzwischen die Dimension von den würde, ist schlichtweg absurd. Es ist, wie mir 50 : 1 erreicht. Gleichzeitig stieg die Zahl der absolut scheint, eher ein vorgeschobenes Argument und Armen mit einem Pro-Kopf-Einkommen von weniger zeugt entweder von Unterschätzung der Rolle der als 1 Dollar pro Tag auf 1,1 Milliarden Menschen. Die NGOs oder vom entmündigenden Verhalten gegen- Zahl der chronisch Hungernden erhöhte sich auf über jenen Menschen, die frau oder manns genug 800 Millionen. Darüber hinaus haben 1,75 Milliarden sind, um den Nichtregierungsstatus ihrer Organisa- Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. tion auch dann zu wahren, wenn sie vom Staat Seuchen, die bereits als ausgerottet galten, wie z. B. verstärkte Unterstützung erfahren. die Pest, treten neuerdings in einigen Regionen Afri- Nicht nur die Zuspitzung solch globaler Probleme kas wieder auf. wie Unterentwicklung und Verschuldungskrise der Frauen und Kinder sind die Hauptleidtragenden der Länder des Südens sowie die gravierenden Auswir- komplexen Entwicklungskatastrophe, die sich im kungen machen die dringende Notwendigkeit sogenannten verlorenen Jahrzehnt der 80er Jahre im bewußtseinsbildender Arbeit sichtbar. Problematisch Osten und im Süden ereignet hat. Da Frauen inzwi- ist nach Auffassung der PDS deshalb nicht, wie die schen weltweit zu den Ärmsten der Armen gehören, CDU/CSU befürchtet, die Bewilligung von Mitteln für muß von einer globalen Feminisierung der Armut entwicklungspolitische Bildungsarbeit der NGOs, gesprochen werden. Sie stellen längst auch die Mehr- sondern die sinnlose Vergeudung enormer Mittel der zahl der vor Umweltzerstörung und Verelendung Steuerzahler für militärische Zwecke. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11313

Dr. Ursula Fischer Noch deutlicher ist die F.D.P. in ihrer parteipoliti- Besonders die Länder Afrikas liegen wirtschaftlich am schen Arroganz in bezug auf die NGOs. Sie schreibt Boden und sind durch anhaltende Bürgerkriege aus- ihnen vor, geblutet. Der Anteil der afrikanischen Volkswirtschaf- nicht Politik zu machen, sondern behilflich zu ten am Welthandel ist seit 1980 von 3 % auf 1 % sein, in den Entwicklungsländern demokratische abgesunken. Gleichzeitig ist die Verschuldung konti- und marktwirtschaftliche Strukturen aufzu- nuierlich angewachsen. Nach Schätzung der Afrika- bauen. nischen Entwicklungsbank sind die afrikanischen Staaten gegenwärtig mit insgesamt 264 Milliarden Mit anderen Worten: Die NGOs sollen schon Politik Dollar verschuldet. Der Einkommensrückgang verur- machen, aber bitte eine solche, die den Koalitionspar- sacht eine drastische Reduzierung der Staatshaus- teien in den Kram paßt. Die Frage sei erlaubt: Welchen halte. Spielraum hätten die NGOs dieses demokratischen Rechtsstaates, wenn die Entwicklungsländer nun (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Unter anderem durch andere Verhältnisse als marktwirtschaftliche Verhält- den Kaffeepreisverfall!) nisse westeuropäischer Ausprägung anstreben wür- den? Die Konsequenz ist die stete Verschlechterung der Versorgung der Bevölkerung mit den sozialen Dien- Meine Damen und Herren, indem wir dem Antrag sten des Bildungs- und Gesundheitswesens. der SPD aus den bereits genannten Gründen generell zustimmen, möchten wir ebenso deutlich unsere Die Situation im südlichen Afrika wird zusätzlich Zweifel darüber äußern, daß gegenwärtig eine Förde- durch die anhaltende Dürre erschwert. Die Entwick- rung der lokalen privaten Initiativen „einer der lung von demokratischen und rechtsstaatlichen Struk- zentralen strategischen Ansatzpunkte einer rationa- turen, die vielfach versucht wurde, ist fast überall len Entwicklungspolitik" ist. Ich sage nochmals, um gescheitert. Aber auch die wenigen Länder, die Mißverständnissen vorzubeugen: Wir messen den befriedet und wirtschaftlich entwickelt sind, haben entwicklungspolitischen und bewußtseinsbildenden bislang noch nicht die Formen eines modernen Aktivitäten der NGOs eine bedeutende Rolle bei. Gemeinwesens gefunden, die afrikagemäß wären und in denen sich soziale, wirtschaftliche und kultu- Unter veränderten nationalen und internationalen- Bedingungen könnten sie eine noch wesentlich grö- relle Traditionen mit den modernen Vorstellungen ßere Rolle spielen. Die auf gegenseitigem Vorteil von Menschenrechten und Demokratie verbinden. basierenden Wirtschaftsbeziehungen, wobei be- In Angola herrscht nach einem kurzen Hoffnungs- kanntlich der Vorteil des ökonomisch Stärkeren schimmer wieder ein Bürgerkrieg, der grausamer und immer eindeutiger und weniger gegenseitig ausfällt schrecklicher als in den Jahren zuvor ist. Obwohl die — ich erinnere an die durchaus eigennützige Entwick- Wahlen unter internationaler Beobachtung stattge- lungspolitik der Bundesregierung —, können jedoch funden haben und weitgehend korrekt verliefen, sind nicht durch den uneigennützigen entwicklungspoliti- die Ergebnisse nach Abreise der internationalen schen und bewußtseinsfördernden Einsatz kompen- Beobachter offenbar verfälscht worden. Die Men- siert werden. Ihren Aktivitäten sind vielmehr Grenzen schen, die sich mit eindrucksvollem Engagement an gesetzt, die die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht unerheb- den Wahlen beteiligt hatten, wurden um ihre Hoff- lich beeinträchtigen. nung auf Frieden und Entwicklung betrogen. Die Strategie und Politik von zahlreichen äußerst kostspieligen Regierungsinstitutionen der G 7 sowie In Somalia ist die Situation gegenwärtig katastro- die Mittel und Methoden des entwicklungspolitischen phal. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vorgehens internationaler Konzerne haben im ver- Strukturen sind zerstört. Verfeindete Räuberbanden gangenen Jahrzehnt zweifellos eines bewirkt, näm- drangsalieren das Land. Hilfe scheint ohne militäri- lich daß die Kluft zwischen Nord und Süd noch nie so schen Einsatz nicht möglich. tief war wie heute. (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Sehr rich An dieser Stelle möchte ich meinen ersten Beitrag tig!) schließen und Sie auffordern, dem Antrag der SPD, — Sie scheint ohne militärischen Einsatz nicht mög- der mir zwar nicht weitreichend genug ist, weil die lich. — Statt frühzeitig den Strom von Waffen in das Ostländer in den Richtlinien nicht ausreichend genug kollabierende Land zu unterbinden, haben die Indu- Berücksichtigung gefunden haben, zuzustimmen. striestaaten — auch Deutschland — die reichliche Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Versorgung mit Militärgütern unterstützt, aber min- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und bei destens aber geduldet. Heute muß die humanitäre Abgeordneten der SPD) Hilfe des Westens gewaltsam durchgesetzt werden. Das ist wohl die äußerste Perversion der Humanität, an Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der wir nicht unschuldig sind. der Kollege Konrad Weiß zu uns. Experten der Vereinten Nationen sagen für weite Regionen Afrikas eine drastische Zunahme von Hun- Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gersnöten, ethnischen Konflikten und Bürgerkriegen Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! voraus. Gleichzeitig aber werden die Konflikte Afri- Trotz aller Bemühungen von 40 Jahren Entwicklungs- kas kaum noch wahrgenommen. Der Kontinent ist hilfe nimmt die Zahl der Menschen, die nicht das abgeschrieben; er ist wirtschaftlich und politisch unin- Notwendigste zum Leben und zum Überleben haben, teressant. Die internationale Gemeinschaft fühlt sich stetig zu. Die absolute Zahl der Armen hat in den immer erst zum Eingreifen verpflichtet, wenn die vergangenen 20 Jahren um 40 % zugenommen. traumatischen Fernsehbilder von Hunger und Elend 11314 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Konrad WeiB (Berlin) schier unerträglich werden. Mit unserer Hilfeleistung paßt sein als die an nördlichen Schreibtischen ausge- bekämpfen wir immer nur die Symptome, nicht aber dachten Programme. die Ursachen. Diese Form der Hilfe ist ineffizient und grausam. Sie beruhigt das Gewissen, aber sie verän- Aus diesem Grund ist für uns die stärkere Förde- dert nichts. rung der Nichtregierungsorganisationen so wichtig. Deren Mitarbeiter haben oftmals durch den engen Die Bindung der Entwicklungshilfe an die Einhal- Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung einen tung der Menschenrechte, an die Einführung der tieferen Einblick in Mentalität und soziale Strukturen. Demokratie, an ökologische Kriterien wirkt ange- Sie kennen Traditionen und Bräuche, auch traditio- sichts der gewaltigen Defizite, die der Kontinent hat, nelle Anbauverfahren oder Produktionstechniken, die absurd, so sinnvoll das Konzept an sich auch ist. Auch dann oft mit gutem Erfolg revitalisiert, den veränder- hier wäre ein ganzheitliches Vorgehen notwendig, ten Bedingungen angepaßt oder mit europäischen denn wenn die Bundesregierung nur Projekte kondi- Erfahrungen verknüpft werden können. tioniert, die in der Entwicklungszusammenarbeit gefördert werden, alle anderen außenwirtschaftlichen Projekte werden an den konkreten Bedürfnissen der Verflechtungen aber unberührt läßt, werden wirkli- betroffenen Bevölkerung ausgerichtet und mit ihr che Veränderungen nicht gelingen. geplant. Komplizierte Verwaltungsvorschriften und eingeschränkte Förderbereiche behindern diese Ar- Es ist Zeit, unser bisheriges Entwicklungskonzept beit. Der Gegensatz zwischen armen und reichen einer kritischen Systemanalyse zu unterziehen und Ländern kann nur durch ein wirklich gerechtes Welt- theoretische Erkenntnisse alsbald in praktische Politik wirtschaftssystem aufgebrochen werden, das sich umzusetzen. Notwendig ist ein neuer Ansatz, der nicht in Ernährungsprogrammen und Katastrophen- Entwicklungspolitik wirklich als Querschnittsauf- hilfe erschöpft, sondern Freiräume schafft und die gabe begreift. Die vom Ministerium für wirtschaftliche selbständige Entwicklung der wirtschaftlich schwa- Zusammenarbeit vorgelegten Entwürfe werden den chen Länder gewährt. Herausforderungen der Zeit nur ungenügend gerecht. Teilweise werden alte Modelle als neue verkauft. An Das setzt voraus, diese als gleichberechtigte Partner der eurozentristischen Betrachtungsweise- wird weit- anzuerkennen und sie wirtschaftlich und sozial gehend festgehalten. gleichrangig zu behandeln. Das setzt ferner voraus, So betont beispielsweise die Bundesregierung in daß das Ungleichgewicht im Welthandel ausgegli- chen wird, daß Entwicklungsländer ungehinderten der von ihr vorgelegten Studie zur Entwicklungszu- und unbeschränkten Zugang zu allen Märkten haben sammenarbeit mit den Ländern Afrikas südlich der Sahara in den 90er Jahren, daß sich die Hilfe der und daß ihnen nicht durch Subventionen und Quotie- rung von vornherein die Chancen genommen wer- Geber in ein Konzept der Strukturanpassung, das in aller Regel die Weltbank und der Internationale den. Währungsfonds vorzeichnen, einfügen müsse. Die seit (Beifall bei der F.D.P.) Jahren bekannte Überlegung zu einer afrikanischen Das setzt auch die Bereitschaft der Verbraucher, Alternative zu den orthodoxen Strukturanpassungen also von uns allen, voraus, solche Preise zu bezahlen, werden nicht berücksichtigt, obwohl die vom IWF und die den Produzenten und Arbeitern in den Entwick- von der Weltbank verordneten Anpassungspro- lungsländern die gleichen Lebensbedingungen wie gramme seit langem kritisch angefragt sind. uns ermöglichen. Es ist unmoralisch und hält die Dritte Die vernünftigen Prinzipien der Hilfe zur Selbst- Welt ewig in Abhängigkeit und Unterentwicklung, hilfe und der Partizipation der Bevölkerung werden wenn die Arbeitsstunde eines Deutschen oder eines in mancherlei Programmen hochgelobt und fehlen in Amerikaners das Zehn- oder Fünfzig- oder gar Hun- keiner Sonntagsrede. In die entwicklungspolitische dertfache von dem wert ist, was ein Bauer in Peru oder Praxis aber sind sie zuwenig eingegangen. ein Arbeiter in Indien erhält. Hierin Gerechtigkeit herzustellen ist die eigentliche Aufgabe, die vor uns (Beifall der Abg. Dr. Ursula Fischer [PDS/ allen steht. Linke Liste]) Zu dem, was notwendig ist, gehört auch die weitrei- Noch immer scheint der Grundsatz zu gelten, daß die chende Schuldenreduzierung. Der für viele Länder Bevölkerung in der Dritten Welt unfähig ist, ihr noch immer bestehende Zwang, den Schuldendienst Schicksal eigenverantwortlich in die Hand zu neh- zu bedienen, verurteilt viele Initiativen von vornher- men. Eigeninitiativen der einheimischen Bevölke- ein zum Scheitern. Insgesamt beträgt die Auslands- rung, die nicht unseren Wertvorstellungen entspre- verschuldung aller Entwicklungsländer nach Schät- chen, werden vielfach ignoriert oder nicht ernst genug zungen der Weltbank 1,7 Billionen Dollar. Durch die genommen. Trotz ausbleibendem Erfolg wird nach Bedingungen der internationalen Kreditgeber wer- wie vor versucht, die Probleme dieser Länder nach den fast immer zuerst die Ausgaben für Erziehung europäischem Muster zu lösen. und Gesundheit gekürzt. Mit den finanziellen Mitteln Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist weder des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam- für eine isolationistische Politik von Entwicklungslän- menarbeit, beispielsweise zur Bekämpfung des An- dern noch plädiert sie für die Glorifizierung des alphabetismus und zur Förderung der Berufsausbil- sogenannten guten Wilden. Aber wir sind der Mei- dung in Lateinamerika, wird versucht, die einschnei- nung, daß die Einheimischen am besten wissen, wie denden Auflagen der Strukturanpassungsprogramme ein Ausweg aus Schwierigkeiten zu finden ist und wie abzufedern. Der unglückliche Vorschlag von Bundes- sie Probleme lösen können. Ihre Konzepte werden in minister Spranger, einen AIDS-Zwangstest für Asyl- der Regel besser an die Bedingungen vor Ort ange- bewerber einzuführen, hat eine tragische Konse- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11315

Konrad Weiß (Berlin) quenz der mangelnden Fürsorge in den armen Län- Hier gebe ich ausnahmsweise der Frau Fischer dern in Erinnerung gebracht. recht. Ein anderes Beispiel ist die Kindersterblichkeit. Nach den neuesten Zahlen des Kinderhilfswerks der (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Da können selbst die Vereinten Nationen sterben Woche für Woche eigenen Kollegen nicht klatschen!) 250 000 Kinder an Unterernährung und Krankheit, 13 Millionen Kinder pro Jahr. Warum zählt die Kredit- Meine Damen und Herren, die Probleme vieler würdigkeit eines Landes mehr als das Wohl der Entwicklungsländer sind 1993 drängender denn je, nachwachsenden Generation? obwohl die Aufmerksamkeit der meisten Deutschen derzeit von anderen Themen in Anspruch genommen Ich muß an dieser Stelle unterbrechen. Es ist eine wird. Die Bewältigung der Erblasten des Kommunis- Plenardebatte mit Unterbrecherwerbung. mus in Deutschland ist eine gewaltige Aufgabe. Der Vielen Dank. brutale Krieg im ehemaligen Jugoslawien mit den dort begangenen Greueltaten erschüttert die zivilisierte (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joachim Welt. Der grausame Völkermord serbischer Kommu- Graf von Schönburg-Glauchau [CDU/ nisten und Nationalisten, Massenvergewaltigungen, CSU]) unzählige Folter- und Mordtaten durch die blindwü- tige serbische Soldateska, deren Einzelheiten und Ausmaß schlimmste Horrorvisionen übertreffen, sind Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nach der Unterbre- beispiellose Verbrechen an der Menschlichkeit, und chung spricht nun Herr Bundesminister Carl-Dieter das mitten in Europa. Spranger. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Ulrich Briefs [fraktionslos]: Das ist die Werbung! — Eckart Kuhlwein [SPD]: Wenn Diese Horrorbilder drängen in der Öffentlichkeit wir den Kohl schon nicht hören dürfen!) das Anliegen der Entwicklungsländer in den Hinter- - grund. Wir dürfen jedoch nicht den Blick davor verschließen, daß unzählige Menschen in den Ent- wicklungsländern auch in diesem Jahr Hunger, Bür- Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- gerkrieg, Armut und Elend erleiden müssen. Denken schaftliche Zusammenarbeit: Frau Präsidentin! Meine wir an die Bilder aus Somalia. In vielen Ländern ist die sehr geehrten Damen und Herren! Not und Elend, Gewalt und Terror prägen die aktuelle Situation in Situation ähnlich. Seit Jahren herrscht Bürgerkrieg in Liberia. Im Sudan benutzen die Bürgerkriegsparteien vielen Ländern dieser Erde. Es ist daher wichtig und notwendig, daß der Deutsche Bundestag gleich zu Hunger als Waffe. In Kambodscha verbreiten die Roten Khmer trotz UNO-Friedenstruppen weiter Ter- Beginn des neuen Jahres eine entwicklungspolitische ror und Gewalt. Die Bevölkerung Afghanistans leidet Debatte führt. Insofern stimme ich mit dem Kollegen Holtz völlig überein. immer noch unter den Folgen jahrelanger kommuni- stischer Diktatur und sowjetischer Okkupation. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Und das auch noch am Vormittag statt um Mitter Meine Damen und Herren, wenn nun behauptet nacht!) wird, der Westen sei für globale Probleme in der Welt Sie sind insofern — das freut mich wiederum — mit der hauptverantwortlich: Allein diese Beispiele widerle- Gesamtkonzeption der Entwicklungspolitik durch die gen die pauschale Behauptung und zeigen zusätzlich Bundesregierung und die Koalition einverstanden. auf, wie begrenzt unsere Möglichkeiten sind, offensiv Sie haben das mit dem Zitat des FAO-Generalsekre- und präventiv Fluchtursachen zu bekämpfen. tärs bestätigt, Kollege Holtz. Ich habe Somalia erwähnt. In der Zwischenzeit (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Großzügige Interpre müßte jeder Kritiker eingesehen haben, daß es nicht tation!) an der rechtzeitigen Bereitstellung von Nahrungsmit- Das einzige, was immer wieder auftaucht, ist die teln gefehlt hat. Wir haben im letzten Jahr 183 Millio- Behauptung des Unterschiedes zwischen Wort und nen DM für Nahrungsmittelhilfe in Afrika südlich der Tat. Es ist eine pauschale Behauptung, die bisher aber Sahara eingesetzt. Dazu haben wir noch ein Vielfa- noch nie belegt worden ist. ches über die Europäische Gemeinschaft finanziert. Daß wir unsere eigentliche Entwicklungszusammen- (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Höhe der Entwick arbeit nicht fortsetzen konnten, ist auf die desolate lungshilfe!) Sicherheitslage zurückzuführen. Wenn Hilfslieferun- Ich darf Ihnen versichern: Diese Behauptung wird gen die Hungernden nicht erreichen, weil sich maro- durch Wiederholung nicht besser und nicht substan- dierende Banden daran zu bereichern versuchen, ist tieller. die Einsatzbereitschaft der Helfer nicht nur nutzlos, (Beifall bei der CDU/CSU) sondern auch persönlich höchst gefährlich. Die Es wird Ihnen auch zukünftig nicht gelingen, diesen bekanntgewordenen Anschläge auf UN-Personal Beweis anzutreten. Insofern besteht entwicklungs- belegen das nur allzu deutlich. Mangelnde Sicherheit politisch keinerlei Anlaß, ab 1994 auf die SPD setzen hat nicht nur in Somalia verhindert, daß die Bürger- zu müssen. kriegsopfer mit Hilfslieferungen erreicht werden konnten, sondern auch in Äthiopien, in Mosambik und (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Doch!) in Angola. Ich meine, wir können es auch nicht 11316 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Bundesminister Carl-Dieter Spranger verantworten, die Gelder der Steuerzahler an rivali- gefunden, als er von einer notwendigen „Konversion sierende Rebellen zu verschleudern. der Mentalitäten" sprach. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. (Beifall des Abg. Dr. R. Werner Schuster sowie Zustimmung bei Abgeordneten der [SPD] —Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das SPD) gilt auch für uns!) Dieser Umwandlungsprozeß braucht Zeit. Er braucht Wir wollen helfen, aber hier stoßen wir an unse- viel Zeit. Wir können von den Menschen nicht verlan- re Grenzen. Ich stimme dem UN-Generalsekretär gen, daß sie z. B. über 70 Jahre kommunistischer Boutros Ghali ausdrücklich zu, der mir persönlich Indoktrination und die damit einhergehende mate- gesagt hat: Erst kommt die Befreiung und danach der rielle und geistige Verelendung und Entmündigung Wiederaufbau. von heute auf morgen überwinden. Wir haben die Das Beispiel Somalia verdeutlicht aber auch in Pflicht, diesen Prozeß zu unterstützen. Erst wenn die erschreckender Klarheit, daß unsere entwicklungs- Menschen erkannt haben, wieviel mehr Lebensquali- politischen Bemühungen vergeblich sind, wenn Bür- tät Frieden in Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlich- gerkriege die Aufbauerfolge zunichte machen. keit und Sozialer Marktwirtschaft bieten, erst dann ist der Aufbau eines Landes möglich. Erst dann werden (Beifall des Abg. Alois Graf von Waldburg wir Armut und Elend nachhaltig überwinden kön- Zeil [CDU/CSU]) nen. Es zeigt sich auch hier: Die internen Rahmenbedin- (Hans Wallow [SPD]: Was machen wir in der gungen in den Entwicklungsländern sind entschei- Zwischenzeit?) dend für Fortschritt und Entwicklung oder aber Rück- Armutsbekämpfung ist nach wie vor der entschei- schritt. dende Schlüsselbereich. Ich freue mich deshalb, daß (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. R. Werner die vorliegende Beschlußempfehlung zur „Armutsbe- Schuster [SPD]: Und wo kommen die Waffen kämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe" unsere ent- her?) wicklungspolitische Konzeption bestätigt. Besonders Ich hätte gern gewußt, was in bezug auf- Somalia im wichtig ist der Hinweis auf die wirtschaftlichen, poli- Bereich der Entwicklungspolitik unter einem SPD tischen und sozialen Rahmenbedingungen, die Minister anderes präventiv hätte getan werden kön- armutsreduzierend ausgerichtet sein müssen. Erst nen, um die jetzige Entwicklung in Somalia zu verhin- dadurch wird die gewünschte Breitenwirkung er- dern. zielt. Die Beschlußempfehlung hat diesen Ansatz des (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Da haben Sie BMZ aufgegriffen. Wir können somit in einem Kern- recht! Entwicklungspolitik!) bereich der deutschen Entwicklungszusammenarbeit Ich glaube, in Angola ist die Situation nicht viel weiter von einem breiten Konsens ausgehen. anders. Die internationale Völkergemeinschaft war (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist erleichtert — das ist von Herrn Weiß schon angespro- gut so!) chen worden —, als das blutige Morden beendet Meine Damen und Herren, wir wollen nicht an wurde. Der Wiederaufbau des Landes sollte beginnen. Symptomen herumdoktern, sondern Strukturen ver- Aber auch die lange herbeigesehnten Wahlen brach- ändern. Deshalb brauchen wir auch bei der Armuts- ten nicht den demokratischen Neubeginn und den bekämpfung langen Atem. Der Fall Namibia zeigt Frieden. Der Bürgerkrieg ist wieder aufgeflammt. Er — der entsprechende Antrag liegt heute wieder vor, verhindert die zügige Aufnahme der Entwicklungszu- und es ist notwendig, daß man auch hier einmal eine sammenarbeit. Auch hier können wir die Entsendung Stellungnahme abgibt —, daß es selbst bei relativ deutschen Personals aus Sicherheitsgründen nicht günstigen Rahmenbedingungen keinen Sinn macht, verantworten. hektische Aktivitäten zu entfalten. Es ist eine Tatsa- Die Empfehlung des Ausschusses für wirtschaftli- che, daß die Mittel dort langsamer abfließen, als sie che Zusammenarbeit, über Nichtregierungsorganisa- von uns bereitgestellt wurden und als wir es wün- tionen die Entwicklung demokratischer Strukturen in schen. Angola zu fördern, erlangt vor diesem Hintergrund Ich weise die Kritik der Opposition an unserer noch mehr Gewicht. Wir werden die uns vorliegenden Entwicklungszusammenarbeit mit Namibia ganz ent- Anträge der politischen Stiftungen so bald wie mög- schieden zurück. Vorwürfe an Mitarbeiter des BMZ lich umsetzen. Aber auch diese Programme, meine sind völlig unberechtigt und auch unhaltbar. Jeder Damen und Herren, können nur verwirklicht werden, weiß, daß die Gründe ganz woanders liegen. wenn die Sicherheitslage befriedigend ist. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Nein!) Das Hauptziel der Entwicklungszusammenarbeit Bevor wir neue Projekte beginnen, müssen wir ganz muß deshalb weiterhin bleiben, Frieden und Sicher- exakt die Bevölkerungsgruppe bestimmen, mit der heit nach außen und innen zu sichern. Ethnische und wir zusammenarbeiten wollen. Wir müssen noch insti- religiöse Konflikte zeigen uns, wie begrenzt unsere tutionelle Fragen klären, wir wollen kritische Umwelt- Einwirkungsmöglichkeiten sind, wenn die Bevölke- aspekte bereinigen. Das hat die namibische Regie- rung in gewalttätige Ausschreitungen verwickelt ist. rung bei den Regierungsverhandlungen im Septem- Hier helfen einzelne Projekte und Maßnahmen wenig. ber letzten Jahres ausdrücklich anerkannt. Wir wollen Die Menschen müssen zu Einsichten finden. Der schließlich keine Entwicklungsruinen erstellen. Wir Präsident von Weißrußland, Schuschkewitsch, hat mir wollen uns auch nicht dem Vorwurf aussetzen, unsere gegenüber hierfür eine treffende Formulierung Maßnahmen unzureichend vorbereitet zu haben. Wir Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11317

Bundesminister Carl-Dieter Spranger wollen nachhaltige Hilfe leisten. Das sind wir nicht Meine Damen und Herren, die Fülle der Anträge, nur den Menschen vor Ort, sondern wiederum auch über die wir heute abstimmen, unterstreicht einmal dem deutschen Steuerzahler schuldig. mehr, wie groß die globalen Probleme Armut, Umweltzerstörung und Wanderungsbewegungen (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das sind. Wir müssen sie lösen, denn sie beeinflussen auch braucht aber nicht drei Jahre zu dauern!) unsere eigene Zukunft immer mehr. Entwicklungszu- Dazu brauchen wir alle Instrumente der Entwick- sammenarbeit bedeutet heute harte Arbeit. Länder lungszusammenarbeit, insbesondere auch die Nicht- wie Somalia, Sudan und Angola zeigen uns, welch regierungsorganisationen. schwere Rückschläge wir immer wieder hinnehmen müssen. Aber Resignation können und dürfen wir uns (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Er ist nicht erlauben. schlecht informiert!) (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist Allerdings unterscheiden sich unsere Vorstellungen richtig!) über die Verfahren der Zusammenarbeit mit den Unser Ziel ist und bleibt es, die Verbesserung der Nichtregierungsorganisationen von denen der Oppo- wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen in sition. den Entwicklungsländern mit zu bewirken und dazu Das Gesamtkonzept, das der SPD-Antrag fordert, ist beizutragen. Auf dem steinigen Weg dorthin müssen gleichmacherisch. wir mit Hindernissen und Rückschlägen rechnen. Wir müssen auch von der Vorstellung abkommen, daß wir (Widerspruch bei der SPD) schnell sichtbare und dauerhafte Erfolge erzielen Wir würden, wenn wir diesem Konzept folgen, Kir- könnten. In der Entwicklungspolitik sind Geduld, chen, politische Stiftungen und die privaten Träger Realismus und Vernunft gefragt. Ideologien und über- alle nach den gleichen Verfahrensregeln mit dem zogene Hoffnungen schaden mehr, als daß sie nüt- BMZ zusammenarbeiten lassen. Wir wollen aber zen. gerade die unterschiedlichen Ansätze dieser Organi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — sationen berücksichtigen und anerkennen.- Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Aber auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ein vernünftiger Haushaltsplan, Herr Mini ster!) Den sozialen Charakter der kirchlichen Arbeit, die Ich bitte weiter um Ihre Unterstützung bei dem gesellschaftspolitische Einflußnahme der Stiftungen, Bemühen, deutlich zu machen, wie notwendig ver- die mehr fachliche Orientierung der p rivaten Träger, stärkte Entwicklungszusammenarbeit auch in einer wie beispielsweise der Welthungerhilfe, all diese Zeit ist, in der viele andere Aufgaben ebenfalls Mut eigenen Ausrichtungen wollen wir erhalten. Das ver- und Entschlossenheit von uns allen erfordern. stehen wir jedenfalls unter sinnvoller Förderung und Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisa- Eines sollten wir jedoch bei allen Problemen den tionen — nicht nach Rasenmähermethode für alle das Menschen bei uns immer wieder sagen. Bei uns geht gleiche. es um Ausbau oder Erhalt des Wohlstandes, in vielen (Zustimmung bei der CDU/CSU) Ländern der Welt um das tägliche Überleben. Dieses Bewußtsein sollte uns allen Ansporn zum Handeln Meine Damen und Herren, die Zerstörung der sein. natürlichen Lebensgrundlagen ist neben kriegeri- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. schen Auseinandersetzungen die Hauptursache für sowie bei Abgeordneten der SPD — Hans die Wanderungsbewegungen, die in bedrohlichem Günther Toetemeyer [SPD]: Deswegen kön Ausmaß zugenommen haben. Das ist heute schon nen wir nicht weiter ausbauen!) wiederholt erwähnt worden. Wir müssen alle entwick- lungspolitischen Instrumente entschlossen einsetzen, um die Lebensbedingungen in den Entwicklungslän- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nun hat das Wort in dern gerade auch in ökologischer Hinsicht zu verbes- dieser Debatte der Abgeordnete Dieter Schanz. sern. Dies ist neben einer aktiven Friedens- und Befriedungspolitik die einzige erfolgversprechende Dieter Schanz (SPD): Frau Präsidentin! Verehrte Strategie, um Fluchtursachen zu beseitigen. Wenn Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte nicht über Flüchtlinge bei uns angelangt sind, können wir nur Wahl und Wahlausgang 1994 spekulieren, zumal wir noch reagieren. In den Entwicklungsländern — dar- alle ja sehr genau wissen, daß ein Regierungswechsel über sind wir uns sicherlich einig — können wir nicht unbedingt eine bessere Entwicklungspolitik präventive Arbeit leisten. bedeutet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig! Das gilt für Sie, und das gilt für uns. Einverstanden!) Ich möchte zum Beschlußvorschlag be treffend Ich begrüße daher die Anträge zur Flüchtlingspro- Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbsthilfe in der blematik. Sie bewirken, daß dieses Thema stärker in Dritten Welt reden und noch einmal festhalten, daß die Öffentlichkeit kommt. Wir haben noch viel Infor- der Deutsche Bundestag am 10. Mai 1990 mit großer mationsarbeit zu leisten, bis sich allgemein die Mehrheit einen solchen Antrag beschlossen hat und Erkenntnis durchgesetzt haben wird, daß Entwick- damit der Bundesregierung ein neues, ich hoffe, lungszusammenarbeit auch Fluchtursachenbekämp- erfolgreiches Instrument zur Entwicklungszusam- fung ist. menarbeit gegeben hat. Die Bundesregierung hat 11318 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dieter Schanz dann am 11. Juli 1991 einen ersten Erfahrungsbericht an der Elfenbeinküste den Aufbau einer Rinder vorgelegt, den wir im Ausschuß für wirtschaftliche mastfarm zu fördern, andererseits subventionier- Zusammenarbeit zur Kenntnis genommen und in tes Rindfleisch aus der EG dort für umgerechnet einigen Teilen auch gelobt haben. Wir haben dann 1,70 DM pro Kilogramm anzubieten? gemeinsam eine Beschlußempfehlung erarbeitet, die (Beifall bei der F.D.P. — Hans-Günther mit Sicherheit heute einstimmig beschlossen wird. Ich Toetemeyer [SPD]: Ein Skandal!) will damit unterstreichen, daß sich an diesem Teil der Hans-Peter Repnik schlägt hier eine denkbar einfache Politik die Opposition konstruktiv beteiligt hat. Lösung vor: (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Nicht nur Die Subventionsmittel für landwirtschaftliche hier!) Erzeugnisse sollten den europäischen Bauern zur Wir haben uns damit ein Instrument gegeben in der Landschaftspflege zur Verfügung gestellt wer- Hoffnung, wir würden die Entwicklung in der Dritten den. Freier Handel, Welt befördern. Ich möchte aber vor der Illusion — sagt er — warnen, Kolleginnen und Kollegen, daß es bei der ist für viele Entwicklungsländer die wirksamste Verliebtheit in Instrumente und Projekte automatisch Form von Entwicklungshilfe. Die Forderung nach zu einer Verbesserung der Situation in der Dritten entwicklungsförderlichen Rahmenbedingungen Welt kommen könnte. kann und darf keine Einbahnstraße sein. Ich kann es gar nicht besser ausdrücken als der Herr Kollege Repnik, besten Dank. Besser kann ich Parlamentarische Staatssekretär Repnik, der in einem es nicht ausdrücken. Vortrag bei der Konrad-Adenauer-Stiftung folgendes (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gesagt hat: F.D.P.) Längst sehen dabei Entwicklungspolitiker den Wenn dann Sie, Frau Kollegin Walz, ganz besonders Begriff von der Dritten Welt kritisch an. Flücht- betonen, daß privatwirtschaftliche Initiativen ge- lings- und Wanderungsbewegungen, wachsende stärkt werden sollten, dann stimmen wir dem in der Umweltzerstörung, die fortschreitende- Überbe- Sache auch zu; aber die Rahmenbedingungen, die der völkerung sind globale Probleme, die nur Kollege Repnik fordert, müssen zuerst dasein. Das gemeinsam zu lösen sind. Unsere Zukunft ist die heißt: staatliches Handeln. — Das können Sie in der Zukunft der einen Welt, die Nord und Süd, Arme Regierung. Sie stellen den Wirtschaftsminister, Sie und Reiche gemeinsam sichern müssen. stellen den Landwirtschaftsminister, Sie stellen den Dem kann ich nur zustimmen. Außenminister und auch den Entwicklungsminister. Nun handeln Sie! (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der (Beifall bei der SPD) F.D.P.) Sorgen Sie dafür, daß die Entwicklungspolitik nicht Das heißt, Kolleginnen und Kollegen, Entwicklungs- isoliert — wie wir ja alle beklagen — be trachtet wird. politik liegt in unserem eigenen Interesse, und wir Man fühlt sich ja fast wie ein Exot. Geben wir es doch sollten das den Menschen mit allem Freimut sagen. einmal zu! Ich komme aus einem Wahlkreis, der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und geprägt ist von Kohle und Stahl und von hoher der F.D.P.) Massenarbeitslosigkeit. Da werde ich, wenn ich für die Interessen der Dritten Welt eintrete, als Exot Wenn wir sagen, daß 20 Millionen Menschen auf betrachtet. der Flucht sind, dann wissen wir doch sehr genau, daß es nicht die Ärmsten der Armen sind, die jetzt schon zu (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist richtig!) uns gekommen sind, mit all den damit verbundenen Wir selber als Entwicklungspolitiker leben in einem Lasten und Belastungen auch für unsere Bevölkerung. Umfeld, in dem wir nicht wahrnehmen,daß wir eigent- Wenn sie dann kommen, möchte ich nicht wissen, was lich nur eine Randerscheinung sind. Wenn es also in diesem Land und woanders noch alles passiert. Es nicht gelingt, die Politiken, von denen wir hier spre- liegt in unserem Interesse. chen, zusammenzufügen zu einem einheitlichen Gan- zen, dann werden wir es nicht schaffen; wir bleiben Hans-Peter Repnik fährt fort: dann Exoten und Randfiguren. Ebenso beunruhigend und erschreckend sind die Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung ... Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Abgeordneter Lösungsansätze der Entwicklungspolitik zielen Schanz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- deshalb heute in ihren Forderungen auch auf die ordneten Irmer? westliche Wirtschaftspolitik und deren Auswir- kungen auf die benachteiligten Staaten. Der Dieter Schanz (SPD): Bitte! Entwicklungspolitiker Repnik stellt den Protek- Ulrich Irmer (F.D.P.): Vielen Dank. — Herr Kollege, tionismus der Industrieländer an den Pranger. Die Sie haben die Bundesregierung zum Handeln aufge- Industrieländer können es sich offenbar immer fordert und haben die Ressorts aufgezählt, die hier noch leisten, ihre landwirtschaftlichen Erzeug- handeln könnten. Ist Ihnen denn nicht, wie uns allen, nisse mit rd. 100 Milliarden DM zu subventionie- bewußt, daß die Bundesregierung z. B. im Bereich der ren. Welchen Sinn macht es, einerseits mit Ent- Agrarsubventionen allein überhaupt nicht handeln wicklungshilfe kann, sondern daß hierfür die ausschließliche Zustän- — ich füge hinzu: mit den Instrumenten, die wir so digkeit bei der Europäischen Gemeinschaft liegt, feiern — wobei z. B. die sozialistische Regierung in Frankreich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11319

Ulrich Irmer eher gegen vernünftige Regelungen ist als die deut- Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem sche Bundesregierung? Kollegen Alois Graf von Waldburg-Zeil.

Dieter Schanz (SPD): Herr Kollege, ich bin mir Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr dieser Problematik durchaus bewußt. Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das hatte ich vermu Wenn ich aus unserer heutigen großen entwicklungs- tet!) politischen Tagesordnung zwei Anträge herausgreife, Das schließt aber nicht aus, daß Sie mehr Druck nämlich zum einen den Koalitionsantrag mit der machen müssen auf europäische Partner und daß wir Überschrift „Entwicklungspolitische Chancen in Um- uns in dem Zusammenhang bemühen sollten, hier bruchsituationen nutzen — entwicklungspolitische gemeinsam vorzugehen. Herausforderungen an den Beispielen Äthiopien ein- schließlich Eritrea, Somalia, Sudan und Angola" und (Beifall bei der SPD) zum anderen den Koalitionsantrag mit der Überschrfit Ich habe jetzt noch Stellung zu nehmen zu Ihrem „Entwicklungspolitische Maßnahmen zur Minderung Antrag mit der Überschrift „Die Schöpfung bewah- der Asyl- und Flüchtlingsprobleme", so möchte ich zu ren ... " etc. Ich muß mich kurz fassen. Zunächst beiden ein Wort des Bedauerns voranschicken. einmal möchte ich sagen: Schon die Überschrift ver- Zum ersten Antrag. Manche Beratungsgänge die- dient es, das zumindest nicht abzulehnen. Es ist zwar ses Hauses dauern zu lange. ein klassisch konservativer, aber durchaus positiver Grundbegriff, wenn man formuliert: Wir wollen die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schöpfung bewahren. — Ich kann das nur so sagen. Hochaktuelle Wünsche aus der Mitte des Parlaments Der Antrag, der zuerst genannt ist und den wahr- werden von der Wirklichkeit überholt; dringende scheinlich Herr Dr. Ruck formuliert hat, Forderungen kommen zu spät; inakzeptable, men- schenrechtsverletzende Zustände dauern an, gehen (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: So ist es!) - unter in der Flut von Greueltaten in anderen Gegen- geht auch in die richtige Richtung; aber ich habe den den der Welt. Verdacht, Herr Dr. Ruck, daß Sie nicht alles hinein- Niemand wird bestreiten, daß wir uns in einer der schreiben konnten, was Sie eigentlich hineinschrei- größten Umbruchsituationen der modernen Ge- ben wollten. So wie ich Sie kenne, ist der Antrag ein schichte befinden. Die Weltordnung der Supermächte bißchen knapp geraten, aus Ihrer Sicht wahrschein- ist zusammengebrochen. Damit ist auch die Option lich auch. Ich vermute, daß Sie Probleme mit dem von Schaukelpolitik zwischen Ost und West entfallen. Koalitionspartner gehabt haben, daß sich ordnungs- Das könnte zwar dazu führen, daß wir ein neues politische Vorstellungen des kleineren Partners haben Bewußtsein von der e in e n Welt bekommen; das kann durchsetzen können. aber auch leider dazu führen, daß die Probleme ( V o r sitz: Vizepräsident Hans Klein) ganzer Kontinente ins Abseits geraten. Ich will zum Audruck bringen, daß wir, wie wir es Scheidewege eröffnen immer auch Chancen. Der auch im Ausschuß gemacht haben, uns hier der hier zu behandelnde Antrag will dies an vier afrikani- Stimme enthalten werden, weil ganz bestimmte For- schen Fallbeispielen aufzeigen. derungen, die wir und wahrscheinlich auch Sie auf- Erstens: Äthiopien einschließlich Eritrea. Wenn ich stellen und die mit dem Begriff Armutsbekämpfung in die Chance in ein Stichwort fassen darf: Ein lange Zusammenhang stehen, in dem Antrag nicht enthal- schwelender Bürgerkrieg gegen die Unabhängig- ten sind. Sie betonen nicht die besondere Mitverant- keitsbewegung von Eritrea und die Rebellion von wortung der Industrieländer. Sie sagen nicht, daß es schließlich neun der vierzehn Provinzen des Vielvöl- nicht möglich und denkbar ist, unser Entwicklungs- kerstaates können auf dem Wege über die Selbstbe- modell oder Wirtschaftsmodell auf die Dritte Welt zu stimmung der verschiedenen Nationalitäten Äthio- übertragen. Überlegen Sie einmal, was 1 Milliarden piens im Rahmen einer demokratischen Verfassung Chinesen und mehr, 850 Millionen Inder bei einer beendet werden. Besonders wichtig: In Eritrea steht ja Verkehrsdichte wie in Deutschland oder in Europa für die Abstimmung zu der Frage bevor, ob sie nun unser Weltklima bedeuten würden. Das alles sind unabhängig werden wollen oder nicht. — Wenn das Fragestellungen, die Sie in Ihrem Antrag nicht aufge- gelänge, dann wäre dies ein Beispiel für andere, worfen haben. Sie haben nicht Stellung genommen zu ähnliche Fälle. Jede nur denkbare Unterstützung muß der Frage des Ressourcenverbrauchs; Sie haben nicht gewährt werden. Stellung genommen zu den Problemen bzw. Fragen, wie wir wirtschaften und leben, wie wir zu Lasten der Das bedeutet von unserer Seite insbesondere Hilfe- Dritten Welt und auch der Umwelt über unsere stellung beim Aufbau einer dezentralen Verwaltungs- Verhältnisse leben. struktur. Haben Sie bitte Verständnis dafür, daß wir deshalb (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht zustimmen. Aber wir gehen davon aus, daß Sie Das bedeutet aber auch — ich greife damit vor auf den mit uns daran weiterarbeiten wollen. Aus dem Grunde Antrag zu den Weltflüchtlingsproblemen —, hier werden wir uns bei der Abstimmung hier enthalten. erworbene Fähigkeiten z. B. eritreischer Flüchtlinge Herzlichen Dank. durch Rückkehrhilfe so zu nutzen, daß entwicklungs- fördernde Effekte entstehen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) 11320 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Alois Graf von Waldburg-Zeil Ein schönes Beispiel hierfür ist, daß einer der Minister zungen der Menschenrechte, insbesondere der Reli- in Eritrea früher als Flüchtling in der Bundesrepublik gionsfreiheit. Die Zustände in Flüchtlingslagern, vor gewesen ist. allem nach der Umsiedlung solcher Lager in Wüsten- Zweitens: Somalia. Während der Beratungen mußte gebiete, sind trostlos. der Text stets der sich verschlechternden Situation Dennoch gibt es Chancen zur Einwirkung auf den angepaßt werden. Der schließlich erreichte Zustand Konflikt. Eingewirkt werden muß nicht nur auf die totaler Anarchie, in dem Plünderer und Banden die Regierung im Norden, sondern auch auf die Rebellen- Bevölkerung terrorisierten und eine effektive Vertei- bewegung im Süden, deren Spaltung das Elend noch lung der Hilfsgüter unmöglich machten, zeigt, daß die vergrößert hat. Der einzige Lichtblick in der Vielvölkerfamilie Verantwortung übernehmen muß, Geschichte des Sudan war der auf Vermittlung des um — so absurd dies klingt — mit Waffengewalt Vatikans und Äthiopiens 1972 leider nur für kurze Zeit humanitäre Hilfe abzusichern. Dieser Zustand kann zustande gekommene Autonomiestatus des Südens. aber sowenig bleiben wie z. B. der Zustand der Der Weg der Befriedung wird vermutlich nur über Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe. Der nächste eine Wiederbelebung dieser Idee gelingen. schwierige Schritt ist der Wiederaufbau staatlicher Strukturen. Der Deutsche Bundestag hat schon 1989 die Bun- desregierung aufgefordert, innerhalb der EG auf Wenn man eine Lehre ziehen darf, dann vielleicht gemeinsame Befriedungsbemühungen zu dringen. die: Wo Entwicklungen derartigen Zerfalls absehbar Das Ansehen der Bundesrepublik als eines Landes, werden, müssen hilfreiche Einflußmaßnahmen das schon 1919 aus der Kolonialgeschichte ausge- schneller erfolgen. Humanitäre und Katastrophen- schieden ist, würde allerdings durchaus Anlaß geben, hilfe, Außenpolitik und Entwicklungspolitik müssen von europäischer Seite führend an Vermittlungsbe- solche Problemfälle koordinierter angehen. Der näch- mühungen teilzunehmen. ste Fall steht mit Liberia ja im Grunde unmittelbar vor der Tür. Die Hauptlast wird bei den schwarzafrikanischen Regierungen liegen. Die Bemühungen Nigerias müs- Drittens: Sudan. Die große Tragödie des nun schon sen in diesem Zusammenhang ausdrücklich gewür- seit der Unabhängigkeit mit kurzer Unterbrechung digt werden. Sie werden aber keinen Erfolg haben andauernden Bürgerkriegs im Sudan ist, daß sie können, wenn sie nicht von weltweitem Interesse zunächst durch geschicktes Taktieren im Ost-West- flankiert werden. Konflikt von der Weltöffentlichkeit weitgehend aus- geblendet wurde und nunmehr unter dem Eindruck Viertens. Angola. Das Bedauern über die Langsam- der Bilder aus dem zerfallenen Jugoslawien oder der keit unserer Beratungen und auch unserer Aktionen Ereignisse in Somalia in den Schatten der Berichter- befällt mich vor allem beim Stichwort Angola. Natür- stattung gerückt wird. Dabei hat die am 30. Juni 1989 lich wird es auf dem Weg zur pluralistisch-demokra- durch einen Putsch arabisch-moslemischer Offiziere tischen Lösung in Afrika noch viele Rückschläge an die Macht gekommene Regierung Bashir den geben. Die Einwirkung auf solche Prozesse muß auf Konflikt durch kompromißlose fundamentalistische einheitsparteiengewohnte Regierungen in dem Sinne Politik wie die Durchsetzung der Scharia auch in erfolgen, daß demokratische Siege kein Freibrief zur nichtmoslemischen Gebieten den von vielfältigen Erschießung der Opposition sind, aber ebensosehr Faktoren geprägten Nord-Süd-Konflikt noch erheb- muß gegenüber potentiellen Oppositionsparteien lich verstärkt. klargemacht werden, daß jede Wahl sinnlos ist, wenn der Unterliegende den Kampf mit Waffen fortsetzt. Meine Damen und Herren, ich möchte eine Berner- kung zum Fundamentalismus machen. Bei uns (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. besteht vielfach der Irrtum, der Fundamentalismus sei sowie bei Abgeordneten der SPD) eine besonders religiöse Form des Islam. Dies trifft nicht zu. Der Fundamentalismus hat mit dem religiö- Herr Außenminister, ich möchte Sie zu einer Initia- sen Islam soviel zu tun, wie es mit dem Christentum zu tive beglückwünschen, die derzeit in Ihrem Hause tun hatte, wenn Adolf Hitler von der Vorsehung vorbereitet wird, nämlich bei den bevorstehenden gesprochen hat. Wahlen in Burundi durch ein Büro Wahlhilfe zu geben, das zu gleicher Zeit Vertrauen bei der Regie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. rung und neuen Oppositionsparteien wecken kann. sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten den Mut haben, glaube ich, mit solchen Der Fundamentalismus ist eine Instrumentalisierung Pilotprojekten zu versuchen, auf solche Prozesse ein- gläubiger Massen für politische Zwecke. zuwirken und vertrauensbildende Maßnahmen in beide Richtungen zu verstärken. (Zuruf von der SPD: Richtig! — Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Mit den Gläubigen des Islam läßt sich ein wunderba- rer Dialog führen. Den müssen wir führen. Was hier Der Antrag hat vor allem in der Hoffnung auf eine geschieht, ist etwas ganz anderes. demokratische Entwicklung die Priorität für die Unterstützung eines Reintegrationsprogrammes für Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen wie 200 000 ehemalige Soldaten in Angola genannt. Massaker, Mord, Folter, Vergewaltigung und Plünde- Heute denke ich mir, daß man mit diesem Programm rung sind an der Tagesordnung. Der Hunger wird nicht bis nach den Wahlen hätte warten sollen. bewußt als Waffe eingesetzt. Neben dem gnadenlosen Kampf im Süden häufen sich auch im Norden Verlet- (Zuruf von der SPD: Richtig!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11321

Alois Graf von Waldburg-Zeil Sinnvoll umgeschulte Soldaten hätten es weniger Der Antrag nimmt auch die Problematik ins Visier, leichtgemacht, den Kampf fortzusetzen. daß Hauptflüchtlingsströme aus ärmsten Ländern in ärmste Länder gehen. Die Beispiele sind heute nicht (Zuruf von der F.D.P.: Richtig!) mehr auf die Entwicklungsländer beschränkt. Wir Als dieser Antrag verfaßt wurde, bestand Anlaß zu haben ein Beispiel in Europa unmittelbar vor der mehr Hoffnung. Wenn er heute beschlossen wird, so Haustür. Hier wird der Wille des Flüchtlings beson- soll er zumindest eines bewirken: nicht zu resignie- ders deutlich, in der Nähe seiner Heimat zu bleiben, ren. im Kreise der gewohnten Kultur. Hilfe in Nachbarlän- dern von Fluchtursprungsländern ist aber zugleich Auch dem zweiten Antrag, zu dem ich sprechen wesentlich wirkungsvoller, was den Mitteleinsatz will, ist ein Wort des Bedauerns vorauszuschicken. — angeht, als eine Unterbringung nach Maßstäben einer Es gab zwei Anträge, nämlich den Antrag „Bekämp- hochindustrialisierten Gesellschaft. fung von Fluchtursachen" und unseren Antrag „Ent- wicklungspolitische Maßnahmen zur Minderung der (Klaus-Jürgen Hedrich [CDU/CSU]: So ist Asyl- und Flüchtlingsprobleme". Die Anträge sind im es!) Kern eigentlich weitgehend gleich. Das Problem war, Besonders wichtig ist der Teil des Antrags, der sich daß der Antrag der Sozialdemokratie von dem mit dem Nutzen befaßt, den kulturelle Begegnung Gesamtaspekt „neue Weltordnung, neue Weltwirt- und Lernen im Gastland für die Rückkehr von Flücht- schaftsordnung" ausgegangen ist, während unser lingen bedeuten kann. Es ist unerläßlich, die bei uns Antrag mehr von dem Aspekt der Einzelprobleme geführte Asyldiskussion durch das ernsthafte Überle- ausgegangen ist. Wir haben uns in redlichen Bemü- gen zu begleiten und zu ergänzen, wie Flüchtlingen hungen — ich möchte mich bei beiden Berichterstat- geholfen werden kann, ihre hier erworbenen Kennt- terinnen ausdrücklich für diese gemeinsamen Bemü- nisse beim Wiederaufbau ihrer Heimat nach Befrie- hungen bedanken — geplagt, das Ganze zusammen- dung einzusetzen, zufügen. Aber es gibt Grenzen redaktioneller Mög- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lichkeiten, wenn es darum geht, so etwas zusammen- wie Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonven- zufügen. Wir mußten dann im Ausschuß Ihren Antrag tion die Möglichkeit gegeben werden kann, in Zonen ablehnen und unserem zustimmen; so wird es auch im und Ländern der Sicherheit zu leben, und wie dieser Plenum sein, aber ich darf hier ausdrücklich sagen: Prozeß absichernd begleitet werden kann. Dies geschieht mit dem Bedauern darüber, daß es nicht gelungen ist, beide zusammenzufügen, weil im Ich darf mit der Feststellung schließen, daß der neue Grunde das Anliegen dasselbe war. Antrag nicht mehr von der Lösung von Weltflücht- lingsproblemen spricht — wie der Antrag, den wir (Zuruf von der SPD: Nobel!) 1989 bereits gestellt hatten —, sondern von der Gerade in der gegenwärtigen Situation, in der mit Minderung von Asyl- und Flüchtlingsproblemen. Das Sorge weltweite Flüchtlingsbewegungen diskutiert ist realistischer und bescheidener, aber gerade darin werden, ist es unerläßlich, noch einmal darauf hinzu- liegt vielleicht die Stärke des Antrags. weisen, warum Menschen die Heimat verlassen. Sie Ich danke Ihnen. fliehen vor wirtschaftlicher Unterentwicklung und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Überbevölkerung, vor regionalen Konflikten und Bür- sowie bei Abgeordneten der SPD) gerkriegen, vor ökologischen Katastrophen und Men- schenrechtsverletzungen sowie vor Verfolgung und Unterdrückung. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Dr. Ursula Fischer. Mobilität ist in dieser modernen Welt selbstver- ständlich. Der freie Verkehr von Gütern und Dienst- leistungen ist in einer arbeitsteiligen Weltwirtschaft Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- unerläßlich. Dazu gehört auch die Beweglichkeit der dent! Meine Damen und Herren! Die Vielzahl der in Menschen. Sie wird von uns gar nicht wahrgenom- dieser Debatte zusammengefaßten entwicklungspoli- men. So gab es im vergangenen Jahr Einreisen von tischen Themen erlaubt es mir nicht, jedes einzelne Ausländern in der Größenordnung von mehr als Problem angemessen zu behandeln. Ich gedenke 140 Millionen, also wesentlich mehr als das Doppelte daher, aus der Not eine Tugend zu machen und mich der Zahl unserer Bürger. Das ist die völlig normale wenigstens einem Thema intensiver zu widmen. Die- Mobilität von Menschen dort, wo sie Handel und ses Thema ist die Lage in Kuba und die Behandlung Wandel, Bildung, Tourismus und Kultur dient. Kubas. Die Lage der kubanischen Bevölkerung hat sich in Ins Blickfeld rückt sie erst, wenn sie von Not den vergangenen Monaten weiter verschlechtert. begleitet ist. Dort aber, wo Not die Ursache von Flucht Trotz intensiver Anstrengungen und größter Opfer, ist, ist der erste Wunsch des Flüchtlings zu bleiben, wo durch maximale Einsparung und die Ausschöpfung er ist, und die Not beseitigt zu sehen. Hier liegt der aller inneren Ressourcen die Grundversorgung der Kern der Anträge. Bevölkerung aufrechtzuerhalten, hat sich die Lage Die vorgenannten Fallbeispiele haben gezeigt, daß weiter zugespitzt. Inmitten zusammengebrochener das effektivste Mittel zur Fluchtursachenbekämpfung Wirtschaftsbeziehungen, Devisen-, Rohstoff- und die Hilfe zur Beseitigung regionaler und ethnischer Energiemangel und der anhaltenden verbissenen Konflikte ist. Zu schlichten und Frieden zu stiften ist Blockadepolitik der USA und ihrer Verbündeten zwar schwierig, aber unendlich einfacher und billiger kämpft das Land buchstäblich ums Überleben. Das als ein Eingreifen der Völkergemeinschaft. Toricelli-Gesetz, das US-amerikanischen Firmen mit 11322 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Ursula Fischer Sitz in Drittländern bei Strafe verbietet, Handelsbe- oder meinen Sie entscheiden zu können, daß es für die ziehungen zu Kuba zu unterhalten, stellt eine erneute Kubaner besser ist, in „Freiheit" ihrer sozialen Men- Verschärfung der Konfrontationspolitik der USA schenrechte beraubt zu werden? Denn darauf läuft es gegenüber dem Karibikstaat dar. ja hinaus. Schauen Sie z. B. nach Nicaragua oder auch in die neuen Bundesländer. Vielleicht mag Ihnen Diese offensichtliche Verletzung internationalen gerade dieser Vergleich unangemessen erscheinen, Handelsrechts hat aber nur in England und Kanada der Parallelen gibt es aber sicherlich mehr, als Sie nachhaltigen Protest ausgelöst. Die Reaktion der EG annehmen. fiel eher gedämpft aus, während sich die Bundesrepu- blik sogar darauf beschränkt, die EG für sich sprechen (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Brot und Freiheit, zu lassen. Bis heute gibt es keine offizielle Stellung- beides ist doch wichtig!) nahme der Bundesregierung zu diesem skandalösen — Das ist richtig, das sehe ich ganz genauso. Aber das Gesetz. Brot will ich dann auch haben, Herr Professor Holtz. Unbedingt! Ich habe andere Erfahrungen gemacht; Es ist nicht meine Absicht, die kubanische Gesell- das muß ich Ihnen sagen. schaft als den Idealfall menschlichen Zusammenle- bens zu verteidigen. (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Das sagen wir auch! Das steht in unserem Antrag!) (Karl Stockhausen [CDU/CSU]: Da haben Sie Meine Damen und Herren, ich bitte Sie darum an recht!) dieser Stelle, sich den Antrag zu Kuba noch einmal Es gibt Probleme, Widersprüche und Mängel inner- ganz genau anzusehen, den Antrag in dieser Form halb des politischen Systems auf Kuba, wie übrigens abzulehnen und dem PDS-Antrag zuzustimmen. in jedem anderen politischen System, das ich kenne, Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. auch, das Land der Freiheitsstatue einbegriffen. Es sollte allerdings die Angelegenheit der Menschen auf (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Kuba sein, diese Probleme und Widersprüche zu lösen. Dazu bedarf es jedoch entsprechender innerer und äußerer Bedingungen. Ein ständiger, von außen Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen verschärfter wirtschaftlicher Notstand ist einem sol- Arno Schmidt das Wort. chen Anliegen in keiner Weise förderlich. Was nicht nur die USA, sondern auch ihre Verbündeten prakti- zieren, ist eine bewußte Verletzung der Souveränität Amo Schmidt (Dresden) (F.D.P.): Herr Präsident! Kubas und des Selbstbestimmungsrechts des kubani- Meine Damen und Herren! Hungerkatastrophen, schen Volkes auf eine eigene Entwicklung. massive gewalttätige Auseinandersetzungen bela- Nun betont die Bundesregierung zwar, sich dem sten nach wie vor weite Teile des afrikanischen Embargo der USA gegenüber Kuba nicht angeschlos- Kontinents. Hinter diese Schrecken treten die nicht sen zu haben. Die Auswirkungen der bundesdeut- minder einzuschätzenden Probleme der Bevölke- schen Kubapolitik kommen jedoch denen einer Blok- rungsexplosion und der unverminderten Ausbreitung kade sehr nahe. Das betrifft nicht nur die Weigerung der Aidsseuche fast schon in den Hintergrund. Hilfe- der Bundesregierung, mit Kuba auch Beziehungen stellungen müssen sich deshalb maßgeblich auf die der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aufzunehmen. Unterstützung politischer und wirtschaftlicher Refor- Selbst existierende, bis 1995 datierte Verträge zwi- men in den Entwicklungsländern konzentrieren. schen der DDR und Kuba, zu deren Einhaltung die Die Anerkennung marktwirtschaftlicher Strukturen Bundesregierung laut Einigungsvertrag verpflichtet durch diese Lander ist eine wesentliche Vorausset- ist, werden ignoriert oder mit dem Hinweis auf den zung auch für ihren Entwicklungsprozeß. Rahmenbe- marktwirtschaftlichen Rahmen der Bundesrepublik dingungen müssen geschaffen werden, die unter als nicht durchführbar abgelehnt. Ein konkretes Bei- Beachtung soziokultureller Strukturen die politische spiel sind die Verträge über die Lieferungen von und wirtschaftliche Selbständigkeit zum Ziel haben. Trockenmilchpulver gegen Futterhefe. Das Ausblei- Hier ordnen sich auch das Engagement der Bundes- ben der Milchpulverlieferungen gefährdet das Ernäh- regierung sowie die Zusicherung des Außenministers rungsprogramm der kubanischen Regierung. Das ist ein, Afrika auch weiterhin zum Schwerpunkt unserer jedem bekannt. Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Ich habe mich beim Lesen des SPD-Antrages immer Die primäre Verantwortung für ihre eigene Ent- wieder gefragt, was denn nun eigentlich die Absicht wicklung kann den Entwicklungsländern jedoch mit der Kollegen und Kolleginnen war, die diesen Antrag keiner noch so gutgemeinten Hilfe abgenommen erarbeitet haben. Einige der Forderungen an die werden. Schwer wiegen jedoch solche Rückschläge Bundesregierung sind ja im Grunde unterstützens- wie in Angola, wo der Friedensprozeß mittlerweile wert, der gesamte Einleitungstext allerdings erscheint zum Erliegen gekommen ist. An die Adresse derer, die mir wirklich sehr problematisch. Glauben Sie wirk- dort das Wahlergebnis des letzten Herbstes nicht lich, daß die auch von Ihnen anerkannten Leistungen anerkennen wollen, sei gesagt: Der Idee und Durch- Kubas im Bildungs- und Gesundheitswesen, in der führung allgemeiner und direkter Wahlen nur zu Grundversorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln huldigen, wenn sie zur Sicherung der eigenen Macht- auch nur den Hauch einer Ch ance hätten, angesichts position beitragen, konterkariert unsere Demokratie- der von Ihnen geforderten Veränderungen bei den verfassung. gegebenen Rahmenbedingungen zu überdauern, (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Da haben Sie recht!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11323

Arno Schmidt (Dresden) Daher fordern wir vor allem die UNITA auf, sich, bevor konnten und wurden und deren wirtschaftliche Unsin- die Kämpfe weiter eskalieren, endlich an den Ver- nigkeit sich auch schon sehr wenig später heraus- handlungstisch zu setzen. stellte. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Da haben Mit Blick auf Somalia ist zu begrüßen, daß die deutsche Firmen großen Profit gemacht, Herr Vereinten Nationen — ich akzeptiere das, was Sie, Kollege!) Herr Weiß, in diesem Zusammenhang gesagt haben, — Das kann man nicht anders sagen. Es wurden natürlich auch — nach langem Zögern und mit beson- Fehler gemacht. Ich möchte jetzt keine Schuldzuwei- derer Unterstützung der USA jetzt dabei sind, dem sung vornehmen, aber Fehler wurden gemacht, und Bandenkrieg ein Ende zu setzen. Dieser Einsatz muß man sieht sie auch. und wird der Hilfe, die weltweit für das hungernde Staatlich gelenkte Preisverzerrung und landwirt- Somalia aufgebracht wurde und noch wird, endlich zu schaftliche Unterproduktion gehen letztlich immer auf ihrer Wirkung verhelfen. Inzwischen berichtet ja auch Kosten der Grundversorgung der Bevölkerung dort. die Welternährungsorganisation FAO, daß die Hun- gerkatastrophe merklich zurückgegangen ist. Auch (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne das sollte man erwähnen. ten der SPD) Dies ist auch zu nicht unerheblichen Teilen der In vielen Entwicklungsländern hat erfreulicherweise staatlichen und privaten Hilfe zu verdanken, die auch seit Ende der achtziger Jahre eine Korrektur dieser von Deutschland aus geleistet wurde. Es besteht kein Fehlentwicklung eingesetzt. Die Abkehr von plan- Zweifel, daß im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine wirtschaftlichem Denken und staatlichem Dirigismus Unterstützung der UN-Truppen auch durch die Bun- sind deshalb dringend notwendige Voraussetzungen desrepublik hier besonders angebracht erscheint. für die Gesundung der maroden Volkswirtschaften Uns mahnen natürlich auch die über 300 000 Toten der meisten Entwicklungsländer. Diese Bemühungen und die immer noch vom Hungertod Bedrohten, daß müssen von seiten der Industrieländer unbedingt mit Somalia kein abgeschlossenes Kapitel ist. Auch- ange- einer weiteren Liberalisierung der internationalen sichts des Zusammenbruchs der somalischen Wirt- Handelspolitik belohnt werden. Den Entwicklungs- schaft sind sicherlich noch auf weite Sicht Hilfspro- ländern müssen endlich gleiche Marktchancen einge- gramme vonnöten. räumt werden. Deutschland nimmt im internationalen Vergleich im (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne

Bereich Nahrungsmittelhilfe — ich möchte--- das auch ten der CDU/CSU) einmal sagen — durchaus eine Spitzenposition ein. Für die positive Entwicklung aller Entwicklungslän- Allein für Somalia und die Flüchtlingslager in den der gilt, daß das große Potential, das besonders im angrenzenden Regionen hat die gesamte deutsche privaten Sektor verborgen liegt, entschieden geför- Soforthilfe 1992 mehr als 94 Millionen DM zur Verfü- dert werden muß. Die Hilfe beim Aufbau von Verbän- gung gestellt. den, landwirtschaftlichen Genossenschaften, Wirt- Die Probleme in Afrika sind aber nicht auf den schaftsinstitutionen und anderem mehr muß vorange- Mangel von Nahrungsmitteln zu reduzieren. Es ist trieben werden. Mit Aufgaben dieser Art sollten längst an der Zeit, mit allem Nachdruck bei den verstärkt NGOs beauftragt werden, die auf Grund entsprechenden Regierungen die Durchführung ihres zumeist sehr qualifizierten und engagierten überfälliger Reformen im Agrarbereich anzumahnen. Personals häufig besseren Zugang zu den eigentli- In den meisten Entwicklungsländern herrscht seit chen Zielgruppen von Entwicklungszusammenarbeit Jahrzehnten eine massive Benachteiligung des Lan- haben. des und der Landwirtschaft zugunsten städtischer (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Richtig! Sie Einseitigkeit vor. müssen sie nur besser unterstützen!) (Beifall bei der F.D.P. und des Abg. Hans — Das tun wir, Herr Schuster, ganz effizient sogar. Günther Toetemeyer [SPD]) (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Ein gro Dabei ist die Landwirtschaft — das muß man sich ßes Wort!) einmal vorstellen — mit durchschnittlich 30 % besteu- ert worden; in einigen Ländern lag die Besteuerung — Ja, ich komme noch darauf. sogar bei über 50 %. Eine selbstverständliche Folge Für eine effiziente und erfolgsorientierte Entwick- davon war, daß auf diesem Wege die Agrarproduktion lungszusammenarbeit der Bundesrepublik sind die unverantwortlich niedrig gehalten wurde. Eine wei- verschiedenen NGOs ohnehin von besonderer Bedeu- tere zwangsläufige Folge war die Landflucht, die tung. Ihr unermüdliches Wirken vor Ort, ihre Fach- zusammen mit dem explosionsartigen Bevölkerungs- kompetenz, enge Kontakte und Abstimmungen mit wachstum zum Überquellen der Städte beigetragen direkten Empfängern von Entwicklungshilfe werden hat. durch die hohe Akzeptanz, die sie genießen, und die (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) oft beispielhafte Effektivität ihrer Arbeit bestätigt. Daher befürworten wir unbedingt die Prüfung weite- Oft genug wurde in der Vergangenheit prestige- rer administrativer Erleichterungen in der Zusam- trächtigen industriellen Großprojekten — man hat sie menarbeit zwischen dem BMZ und den NGOs. selber gesehen — nachgehangen, die in den meisten Fällen erst mit westlicher Hilfe, also Entwicklungs- Die SPD fordert in ihrem Antrag ein Gesamtkonzept hilfe — so muß man es sagen —, realisiert werden für eine grundlegende Reform der Förderung der 11324 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Arno Schmidt (Dresden) NGOs. Dazu besteht nach unserer Ansicht jedoch Amo Schmidt (Dresden) (F.D.P.): Nichtregierungs- keine Notwendigkeit. organisation! Ich nehme also diesen Hilferuf vom (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Aha!) Präsidenten auf und werde mich bemühen, nicht mehr NGO zu sagen. — Das meine ich wirklich, Herr Toetemeyer. Die Öffentlichkeitsarbeit der Nichtregierungsorga- (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Haben nisationen gehört also im Interesse ihrer Sache zu Sie einmal mit denen darüber gesprochen?) ihren ureigensten Aufgaben. Hier sehe ich einen — Ja, das habe ich wirklich getan; warten Sie nur Unterschied zu dem, was im wesentlichen Frau ab. Fischer vorgetragen hat. Deswegen halten wir eine (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Und?) Finanzierung dieser Arbeit für problematisch und Ich meine, wir sollten die Suche nach solchen können ihr auch nicht zustimmen; aus diesem Grunde allein. Auch können wir die gelegentlich anzutref- Gesamtkonzepten gerade im Bereich der Entwick- lungszusammenarbeit allmählich aufgeben. Ange- fende Tendenz, sich als Ersatzfunktion für politische sichts der Notwendigkeit, auf sehr unterschiedliche, Parteien zu verstehen, nicht unterstützen. Die nicht oft komplexe Sachverhalte differenziert zu reagieren, hoch genug einzuschätzende praktische Entwick- gaukeln solche Konzepte immer auch die Möglichkeit lungszusammenarbeit der Nichtregierungsorganisa- einer pauschalen Antwort im Hauruckverfahren vor. tionen soll auch weiterhin die volle Unterstützung des Bundes erfahren. (Beifall bei der F.D.P.) Schönen Dank. Zu Recht verweisen die NGOs auf ihren regie- rungsunabhängigen Status. Schade, nun ist die Frau (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Fischer nicht mehr da. Deshalb gehört Öffentlichkeits- arbeit — — Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Kollegen Konrad Weiß. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, darf ich Sie (Zuruf von der F.D.P.: Fortsetzung folgt!) eine Sekunde unterbrechen?

(Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Arno Schmidt (Dresden) (F.D.P.): — im Interesse Konrad Weiß ihrer Sache — ich komme zum letzten Satz — zu ihren Ja, die Fortsetzung folgt. ureigensten Aufgaben. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte zum Schluß des ersten Teils meiner Rede daran erinnert, daß Woche für Woche 250 000 Kinder an Sie sind gar nicht am Vizepräsident Hans Klein: Unterernährung und Krankheiten sterben, an Krank- Ende Ihrer Redezeit; Sie haben noch über eine heiten, die durch geringe Mittel zu beseitigen wären. Minute. Um den Kindern Unterernährung und Analphabetis- Ich wollte Sie nur — das wird Ihnen abgezogen, mus zu ersparen, wäre nur eine relativ geringe Summe natürlich — mit einem Hinweis unterbrechen, den ich notwendig. 25 Milliarden Dollar jährlich würden nach für die Debatte insgesamt gern machen würde, um ihr Angaben der UNICEF ausreichen, um die beim Welt- den Charakter einer gehobenen Ausschußsitzung zu kindergipfel festgelegten Ziele zu verwirklichen. nehmen. Da ist beispielsweise der Begriff NGO. 25 Milliarden Dollar — das ist weniger, als die Europäer in einem Jahr für Wein ausgeben. Arno Schmidt (Dresden) (F.D.P.): Nichtregierungs- (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) organisation! Es ist noch nicht einmal die Hälfte dessen, was die armen Länder jedes Jahr an die Industrienationen im Vizepräsident Hans Klein: NGO heißt non-govern- Rahmen des Schuldendienstes überweisen. mental organisation. Zunächst einmal ist es die (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: So ist Abkürzung des englischen Begriffs. es!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der Mit diesen Mitteln könnten u. a. die Kindersterb- F.D.P.) lichkeit um ein Drittel reduziert, die Unterernährung Es gibt auch einen deutschen Ausdruck dafür. bei Kindern unter fünf Jahren um die Hälfte vermin- dert, der Zugang zu Trinkwasser und sanitären Anla- Arno Schmidt (Dresden) (F.D.P.): Herr Präsident, da gen für alle Familien ermöglicht und die Grundschul- muß ich Sie unterbrechen. Sie sind ja noch schlimmer erziehung für alle Kinder mit einer Abschlußrate von als ich. mindestens 80 % gesichert werden. Selbst beim Stand (Zuruf von der SPD: NRO!) der gegenwärtigen Mittel — so stellt UNICEF fest — wären die notwendigen Beträge aufzubringen, wenn 20 % der internationalen Entwicklungshilfe und 20 % Vizepräsident Hans Klein: Entschuldigung, Sie der Regierungsausgaben in den Entwicklungsländern haben die Abkürzung des englischen Begriffs selbst zur Befriedigung der Grundbedürfnisse inve- gebraucht. Ich bin nicht schlimmer als Sie, sondern stiert würden. Ich bitte Sie, meine Kolleginnen und genauer als Sie. Zweitens bitte ich hier Begriffe zu Kollegen, einmal darüber nachzudenken, ob wir das verwenden, die unsere Bürgerinnen und Bürger auch nicht zu einer weiteren Kondition bei der Realisierung verstehen. deutscher Entwicklungszusammenarbeit machen (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) sollten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11325

Konrad Weiß (Berlin) Zum anderen bestehen auch enge Zusammen- so bewertet. Gleichwohl fördert die Weltbank z. B. das hänge zwischen fortschreitender Verarmung und hochumstrittene Narmada-Projekt in Indien weiter. Umweltkrise. Laut Jahresbericht des World-Watch- Auch das Beispiel der Ok-Tedi-Mine, die von der Instituts, der soeben vorgelegt wurde, schlagen Bundesregierung über die Deutsche Investitions- und Umweltschäden bei Weide- und Anbaugebieten in Entwicklungsgesellschaft gefördert wird, belegt, wel- der Welt durch Ernteausfälle und Reduzierung des cher Schaden Mensch und Natur von einseitig auf Viehbestandes mit mittlerweile 42 Milliarden Dollar wirtschaftliche Vorteile ausgerichteten Projekten jährlich zu Buche. Betroffen davon sind vor allem die zugefügt werden kann. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE Entwicklungsländer. Allein in Afrika entsteht jedes GRÜNEN hält nach wie vor eine Schließung der Mine Jahr durch Überweidung ein Schaden in Höhe von für erforderlich, wenn die Umweltbelastungen nicht 7 Milliarden Dollar — mehr, als das Bruttosozialpro- mindestens auf das bei uns zulässige Niveau reduziert dukt von Uganda und Äthiopien zusammengenom- werden. men ausmacht. Wir halten eine entwicklungs- und umweltpoliti- Längst machen neben den politischen, den Gewalt- sche Prüfung aller außenwirtschaftlichen Vorhaben und Armutsflüchtlingen auch die Umweltflüchtlinge für erforderlich. Nur so macht die entwicklungspoliti- einen erheblichen Anteil aus. Die Belastungen der sche Konditionierung einen Sinn, nur so kann eine Flüchtlingsströme tragen vorwiegend die Entwick- Verschiebung in der Wertehierarchie erreicht wer- lungsländer selbst. Sie nehmen zwischen 80 und 90 % den, die eine langfristige, ausgeglichene und verant- der Flüchtlinge auf. Umwelt- und Entwicklungspolitik wortliche Entwicklung möglich macht. Negativpro- gehören deshalb wie die Gewährleistung von Frieden jekte wie der Narmada-Staudamm in Indien und die und Menschenrechten zur Prävention von Flucht. Ok-Tedi-Mine in Papua-Neuguinea wären nicht mehr möglich, wenn sich die Bundesregierung durch die Das Bekenntnis zu einer dauerhaften Entwicklung, die das gemeinsame Überleben von Arm und Reich, Unterzeichnung und Ratifizierung des Übereinkom- von Mensch und Natur möglich machen so ll , war in mens 169 der Internationalen Arbeitsorganisation Rio noch Standardformel. Ein halbes Jahr danach über Eingeborene und in Stämmen lebende Völker in - scheint alles beim alten. Das deutsche Versprechen, unabhängigen Ländern selbst zur Einhaltung sozialer und ökologischer Standards verpflichten würde, wie 0,7 % unseres Bruttosozialproduktes für Entwick- lungshilfe bereitzustellen, ist nach wie vor nicht ein- das unser Antrag vorsieht, um dessen Unterstützung gelöst. ich Sie bitte. Vielen Dank. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Es ent wickelt sich umgekehrt!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) — So ist es. — Noch immer verfügen 15 % der Weltbevölkerung über 71 % des Weltsozialproduk- tes. Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen, Klaus Kinkel. Mit Protektionismus und Handelsbarrieren schot- ten sich die reichen Industrienationen von potentiel- len Konkurrenten in den Ländern der Dritten Welt ab. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Der Agrarstreit zwischen der EG und den USA hätte Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Ende beinah zu einem Handelskrieg geführt. Auf die des Ost-West-Konflikts wurde leider nicht zum berechtigten Interessen der armen Staaten wurde Anfang des ewigen Friedens, weder in Europa noch in dennoch kaum Rücksicht genommen. der Dritten Welt. Herr Spranger hat darauf hingewie- sen: Die Barbarei in Bosnien-Herzegowina, die neu Der ausgehandelte GATT-Kompromiß trifft die aufgeflammten Kämpfe in Angola, Anarchie in Soma- Bauern der Dritten Welt ungleich härter als die Bauern lia, das Verhalten der Roten Khmer sind schlimme der Europäischen Gemeinschaft. Das ohnehin nied- Beispiele hierfür. rige Stützungsniveau führt in diesen Ländern prak- Dennoch dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren: tisch zur Marktöffnung. Länder, die überwiegend Das Ende der Stellvertreterkriege, das Ende des Nahrungsmittel importieren, werden durch den zu Ideologieexports von Nord nach Süd ist eine große erwartenden Anstieg der Weltmarktpreise ein größe- Chance für den Neubeginn zwischen Nord und Süd res Defizit erwirtschaften. Besonders die Länder süd- und für eine globale Entwicklungs- und Umweltpart- lich der Sahara müssen mit Einbußen in der Außen- nerschaft ohne ideologische Scheuklappen und von handels- und Devisenbilanz rechnen. Gleich zu Gleich. Trotz aller Erkenntnisse und Analysen werden Ent- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der scheidungen nach kurzfristigen wirtschaftlichen Vor- SPD) teilen getroffen. Unter dem Deckmantel der Entwick- lungshilfe werden auch Projekte gefördert, die der Die beiden großen Nord-Süd-Konferenzen des ver- einheimischen Industrie mehr nutzen als den Ent- gangenen Jahres in Cartagena und in Rio haben dies wicklungsländern. gezeigt. Diese Debatte heute gibt, wie ich finde, eine gute Gelegenheit, über den Weg, den Nord und Süd (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wohl wahr!) gemeinsam gehen sollten, zu sprechen. Gerade Großprojekte, die von der Weltbank befür- Die vorliegenden Anträge mit den Themen Armuts- wortet und finanziert wurden, waren oftmals Fehl- bekämpfung, Ernährungssicherung, Umwelt- und griffe. Mehr als ein Drittel der 1991 abgeschlossenen Flüchtlingsproblematik zur Stabilisierung krisenan- Projekte werden intern nach Angaben der Weltbank fälliger Länder besonders in Afrika führen uns, wenn 11326 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel ich es richtig betrachte, dreierlei vor Augen. Erstens. uns alle vornehmen, daß wir auf der bevorstehenden Der Abbau der Wohlstandskluft zwischen Nord und Weltmenschenrechtskonferenz in Wien dies auch zum Süd bleibt über alle aktuellen Probleme hinaus die zentralen Thema machen. zentrale Friedensaufgabe für die 90er Jahre. Sicher- Zweitens. Natürlich tragen die Industrieländer die heit ist eben nicht mehr vorrangig militärisch zu Hauptverantwortung, insbesondere für die Öffnung sehen. Armut, Umweltzerstörung, Bevölkerungsex- ihrer Märkte, stabiles weltwirtschaftliches Wachstum, plosion, Menschenrechtsverletzungen und dadurch und natürlich sind sie alle aufgerufen, Hilfe zur ausgelöste Fluchtbewegungen, Drogen, AIDS und Selbsthilfe zu geben. Alle diese Forderungen sind Kriminalität machen an unseren Grenzen nicht halt; nicht neu. Sie sind natürlich in wirtschaftlich schwie- sie kommen zu uns, wenn wir nicht vor Ort mithelfen, rigen Zeiten, wo die Finanzen knapp sind, schwer sie zu bekämpfen. umzusetzen. Die Schwierigkeiten, beim GATT zu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU einer Einigung zu kommen, sind nun wirklich ein sowie bei Abgeordneten der SPD) schlimmer Anschauungsunterricht, wie er schlimmer nicht sein könnte. Aber bei diesen Verhandlungen Ob Ozonloch, Vergiftung der Meere oder Reaktor- geht es eben nicht nur um die Interessen des Nordens. gefahren, all das zeigt uns doch längst: Die Mensch- Hier steht auch unsere entwicklungspolitische Glaub- heit sitzt in einem gemeinsamen Boot, und wenn würdigkeit auf dem Spiel. irgendwo ein Leck entsteht, sind wir alle betroffen. Wenn wir im Norden mithelfen, ein Leck im Süden zu (Zuruf von der SPD: Richtig!) schließen, dann sind das keine Almosen, dann han- Der Verlust der Entwicklungsländer durch den deln wir in unserem gemeinsamen Überlebensinter- Protektionismus der Industrieländer ist hoch; nach esse. einer Weltbankschätzung mindestens so hoch wie die (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Aber es ist kein gesamte staatliche Entwicklungshilfe, nämlich rund Geld dafür da!) 50 Milliarden US-Dollar. Das Wort „Handel ist besser als Hilfe" darf vor allem in einer Zeit kein Lippenbe- Es geht jetzt aber um mehr als ums Ausbessern. kenntnis bleiben, wo die Perspektiven für einen Worauf es jetzt ankommt, ist, dieses Boot- auf Über- Zuwachs an Hilfe bei den meisten Gebern nicht lebenskurs zu halten. günstig sind. Leider sind zu viele — wir auch — bei Zweitens. Entwicklungspolitische Zusammenarbeit den zur Verfügung stehenden Mitteln eingeschränkt. allein genügt nicht. Wir brauchen einen breiten kohä- Trotzdem müssen wir natürlich aufpassen, daß wir renten Politikansatz, der Außen-, Sicherheits-, Han- Signalwirkungen für Entwicklungspolitik nicht da- dels-, Agrar- und Finanzpolitik zusammenbringt. durch verlieren, daß wir zu sehr einschränken. Ich bin eigentlich stolz darauf, daß wir trotz unserer Belastun- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU gen noch relativ viel für die Entwicklungspolitik sowie bei Abgeordneten der SPD) aufwenden. Drittens. Ohne Frieden und politische Stabilität (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne keine wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Frie- denssicherung kann auf Dauer eben nur gemeinsam ten der CDU/CSU) geschehen. Unsere Politik gegenüber den Entwicklungslän- Diese Themen waren wichtige Punkte bei den dern muß den schnellen und tiefgreifenden Verände- Gesprächen, die ich in dieser Woche mit Generalse- rungen auch in diesem Teil der Welt Rechnung tragen. Notwendig sind differenzierte Antworten auf völlig kretär Boutros Ghali geführt habe. Wir waren uns einig, daß die globalen Herausforderungen, vor denen unterschiedliche Entwicklungen. Ost - und Südost- wir stehen, eben nicht mehr bilateral — nicht im asien sind dank frühzeitiger Reform zur dynamischen entferntesten — bewältigt werden können. Klar ist Wachstumsregi on der Weltwirtschaft geworden; in Teilen Lateinamerikas ist es ganz genauso. In beiden dabei, daß den Vereinten Nationen eine ganz, ganz wichtige Rolle zukommt und damit eben auch der Regionen entstehen dadurch auch große Chancen für Reform der Vereinten Nationen. Handel und Investitionen. Zu allergrößter Sorge gibt nach wie vor der Konti- Die angestrebte Entwicklungs- und Umweltpart- nent Afrika Anlaß, insbesondere Ich nerschaft muß sich auf folgende Grundlagen stützen. Schwarzafrika. werde Mitte Mai versuchen, in einer Konferenz der Erstens. Die Entwicklungsländer sind für ihre Ent- Botschafter des Gesamtkontinents in Jaunde Möglich- wicklung zunächst selbst verantwortlich. Erfolgreiche keiten zu suchen, wie geholfen werden kann. Die Entwicklung setzt good government, d. h. gute Regie- rungsführung voraus, was insbesondere marktwirt- Bilder der Not und des Leidens, die wir aus Afrika schaftliche Orientierung und Förderung der Privatin- empfangen, sind erschütternd. Sie machen uns nach wie vor bewußt, wie ungeheuer ungerecht diese Welt itiative bedeutet. Das heißt aber nicht minder demo- ist. Zum dritten oder vierten Mal sage ich von diesem kratische Kontrolle und Rechtsstaatlichkeit, Beach- Pult im Deutschen Bundestag: Bei allem und jedem, tung der Menschenrechte. Menschenrechte und was wir tun, sollten wir daran denken, daß ein nicht gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung lassen sich unerheblicher Teil dieser Menschheit von der ersten nicht trennen. Sekunde seiner Geburt an keine keine! — Chance (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne hat, ein auch nur einigermaßen menschenwürdiges ten der CDU/CSU und der SPD) Leben zu führen. Die Verpflichtungserklärung von Cartagena erkennt Ich habe gestern mit dem südafrikanischen Außen- diesen Zusammenhang ausdrücklich an. Wir müssen minister Botha ein langes Gespräch geführt, der vom Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11327

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel sterbenden Kontinent Afrika sprach. Lassen Sie die Nun sind wir im Norden auch gefordert. Der Verlauf Auseinandersetzungen zwischen Südafrika und den dieser Debatte hat ja — jedenfalls, soweit ich das schwarzafrikanischen Ländern weg; nehmen Sie zur bisher mitverfolgen konnte — gezeigt, daß es darüber Kenntnis, daß die 40 Länder Afrikas südlich der in unserem Land relativ große Übereinstimmung gibt. Sahara in etwa ein Bruttosozialprodukt erwirtschaf- Ich finde, das ist ein gutes Signal, und ich möchte noch ten, das Südafrika allein erwirtschaftet. Das ist etwas, einmal sagen, daß wir mit allen Kräften, die wir haben, was uns zu denken geben sollte. Wir müssen uns von trotz all der Sorgen, die bei uns vorliegen, nicht Europa aus um diesen schwierigen, in mancher Bezie- vergessen sollten, daß diese zweite große Weltgeißel hung in der Tat leider sterbenden Kontinent küm- noch der Lösung harrt und daß gerade auch uns in der mern. Bundesrepublik Deutschland nach der Wiederverei- Was ist zu tun? Erstens. Wir müssen im Dialog mit nigung, aus unserer Vergangenheit herrührend, für den Entwicklungsländern auf politische und wirt- diese Aufgabe eine zusätzliche große Verantwortung schaftliche Reformen drängen. Feinabstimmung in zugewachsen ist. diesem Zusammenhang ist außerordentlich wichtig. Vielen Dank. Wir müssen insbesondere auch auf Menschenrechte (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU hinweisen; ich habe es gesagt. Es kommt im wesent- sowie bei Abgeordneten der SPD) lichen darauf an, ob die Richtung der Politik stimmt. Ungeduld kann in diesem Zusammenhang manchmal mehr schaden als nützen. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile der Kollegin Zweitens. Generalsekretär Boutros Ghali hat im Verena Wohlleben das Wort. Sicherheitsrat eine Agenda für den Frieden vorge- legt, ein Programm, das die Sicherung und Wieder- herstellung des Friedens mit der Entwicklungszusam- Verena Wohlleben (SPD): Herr Präsident! Verehrte menarbeit verbindet. Unsere finanzielle Unterstüt- Kollegen und Kolleginnen! Ich bin froh, daß wir heute zung für das Krisenmanagement der Vereinten Natio- diese entwicklungspolitische Debatte führen und daß nen für deren humanitäre Hilfe kann sich wahrhaftig dies auch noch zu dieser Tageszeit geschieht. Das läßt sehen lassen. Ich will es jetzt nicht im einzelnen mich doch Hoffnung schöpfen, daß die Entwicklungs- aufführen; es ist zum Teil schon geschehen. Aber die politik in diesem Haus einen höheren Stellenwert Gespräche mit Boutros Ghali haben eben gezeigt, daß erhält, als sie ihn bisher hatte. dies allein nicht ausreicht, sondern daß von uns mehr (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Ein guter erwartet wird. Trotz aller Streitereien, die wir im Start ins neue Jahr!) Zusammenhang mit der notwendigen Verfassungsän-- Unter anderem stehen heute die Beschlußempfehlung derung hatten, hoffe ich, insbesondere auch nach dem und der Bericht zum SPD-Antrag „Bekämpfung der Kompromiß, den die Koalition und die Regierung Fluchtursachen" und zum Koalitionsantrag „Entwick- gestern jedenfalls unter sich gefunden haben, daß sich lungspolitische Maßnahmen zur Minderung der Asyl- die SPD dem Gespräch und auch der notwendigen und Flüchtlingsprobleme" auf der Tagesordnung. Ich Verfassungsänderung, die — das meine ich als hätte mir gewünscht, daß wir einen interfraktionellen Außenminister — zwingend über einen Blauhelm Antrag zustande gebracht hätten. Meine Damen und Einsatz hinausgehen muß, nicht verschließt, sondern Herren von der Koalition, ich bedaure, daß Sie um des mithilft, zu einer Lösung zu kommen. Koalitionsfriedens willen auf unsere Forderungen nur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) teilweise eingehen konnten. Sie haben zwar einiges aus unserem Antrag übernommen, aber die gravie- Darüber wird ja morgen zu reden sein. renden Punkte haben Sie schlicht und einfach unter Meine Damen und Herren, unser freiheitliches den Tisch fallen lassen. westliches Gesellschaftssystem hat die Auseinander- (Zuruf von der SPD: Ja, leider!) setzung mit der Unfreiheit gewonnen. Wir haben uns mit unserem System insoweit als überlegen erwiesen. Das ist sehr, sehr schade. Jetzt müssen wir erst beweisen, daß unsere Wirt- Ich hätte mir auch gewünscht, daß Sie als Abgeord- schaftsweise und unser Lebensstil eine langfristig nete etwas selbstbewußter wären und auch einmal tragfähige Entwicklung auch im Osten und im Süden etwas gegen Ihre Regierung zustande gebracht hät- unserer Erde sichern können. Denn nach dem Wegfall ten. Denn nicht alles, was eine Regierung tut, ist der Ost-West-Auseinandersetzung ist die große Gei- richtig, auch wenn sie aus den eigenen Reihen ßel der Süd-Nord-Problematik, das zweite giganti- kommt. sche Problem, das wir bewältigen müssen, geblieben. (Beifall bei der SPD — Der Weg dahin ist nicht einfach. Wir wissen das [CDU/CSU]: Aber fast alles!) gemeinsam. — Beschränkt, beschränkt! Gute Demokratie ist, auch (Brigitte Adler [SPD]: Ist das erste gelöst?) einmal zu widersprechen und sich auseinanderzuset- Aber Resignation, es sei zu spät, es sei alles umsonst, zen. Wenn die anderen Ressorts wie Außen, Wirt- wäre das Falscheste, was wir tun könnten. Ich habe schaft, Finanzen und auch Umwelt nicht mit der jedenfalls den Eindruck, daß auch bei den Entwick- Wirtschaftlichen Zusammenarbeit kooperieren — und lungsländern die Einsicht für Eigenverantwortung daran ist der interfraktionelle Antrag ja eigentlich wächst. Neben allem anderen sollte uns auch dieser gescheitert —, muß unsere Entwicklungspolitik schei- Bewußtseinswandel für die Anstrengungen, die wir tern. anstellen müssen, Mut machen. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) 11328 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Verena Wohlleben Die bisherige Handlungsweise zeigt, daß Entwick- schaftspolitischen Aspekten, die zum Wohle der Men- lungspolitik aus unserem Haus nur eine Gewissensbe- schen in Papua-Neuguinea beitragen. Das hat die ruhigung im Blick auf die Verantwortung bedeutet, Starnberger Studie nachgewiesen. Aus diesen Tatsa- die wir gegenüber den Entwicklungsländern haben. chen müssen wir lernen, was zukünftige Entwick- Solange das so bleibt, sind unsere Maßnahmen zur lungspolitik anbelangt. Ich hoffe und wünsche mir, Hilfe für die Menschen in den Entwicklungslände rn daß wir nicht dasselbe in den Ländern Osteuropas Peanuts. Das muß sich ändern. wiederholen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zur Bekämpfung der Fluchtursachen gehört aber Es wurde Zeit, daß wir diese Debatte führen. Hinter auch, daß die Industriestaaten den Verbrauch der uns liegen schreckliche Wochen und Monate, in beschränkten natürlichen Ressourcen so gestalten, denen Ausbrüche von Haß und Gewalt gegen Auslän- daß das ökologische System nicht in Unordnung gerät der und Flüchtlinge den Namen Deutschlands verdü- und daß der Verbrauch weltweit eingedämmt wird. stert haben wie noch nie seit 1945. Wir haben zwar (Beifall bei Abgeordneten der SPD) intensiv über die Ursachen dieses Hasses und dieser Gewaltexzesse diskutiert. Das war auch gut so. Aber Wir haben doch bereits genug Profit aus diesen dabei ist einfach die Frage viel zu kurz gekommen, Ländern gezogen. Wir haben zugelassen, daß aus warum Menschen in so großer Zahl ihre Heimat diesen Ländern Leichtlohnländer gemacht wurden, ohne darüber nachzudenken, wie denn die verlassen und in ein Land kommen, dessen Sprache soziale und Kultur ihnen fremd sind. Komponente für die Bevölkerung aussieht. Jetzt haben wir die Chance, in Osteuropa nicht wieder Warum begeben sich Menschen auf die Flucht? Es dieselben Fehler zuzulassen. muß für uns doch selbstverständlich sein, daß wir uns Gedanken über die Gründe und Ursachen machen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Menschen zu Flüchtlingen werden lassen. Wir Und was tun wir? müssen die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in ihren Heimatländern und ihre Zukunftsperspektive in (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Freie Fahrt für Unter den Mittelpunkt der Debatte stellen. Sicher fällt es nehmer ohne soziales Gewissen!) schwer, zwischen politischen Flüchtlingen, Armuts-, Wir importieren weiterhin den Wohlstand in unser Umwelt- und Wirtschaftsflüchtlingen zu unterschei- Land und exportieren weiterhin alle Schlechtigkeiten, den. Aber eines haben sie ja doch alle gemeinsam: Sie die Schadstoffe der Umwelt, den dadurch bedingten sehen für sich in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. sozialen Unfrieden, die Unterdrückung und Ausbeu- Fluchtursachen sind vor allem — das ist heute auch tung der Menschheit, die sexuelle Ausnutzung, die schon angeklungen — die katastrophalen Lebensbe-- Ausbeutung der armen Länder. Und da verlangt z. B. dingungen in weiten Teilen unserer Erde: die krasse der Herr Spranger, Aids - Zwangsuntersuchungen bei Armut, Hunger, Kriege, Bürgerkriege, ethnische Kon- einreisenden Flüchtlingen aus Ländern mit hohem flikte, Umweltzerstörung und Katastrophen, Men- Durchseuchungsgrad — so hat er es wortwörtlich schenrechtsverletzungen und dramatischer Bevölke- verlangt — zu machen, und das auch noch in regel- rungsanstieg. mäßigen Abständen, solange diese armen Menschen Was können wir tun? Es liegt doch auf der Hand, daß bei uns im Lande sind. Herr Spranger, kommen Sie das Problem der Völkerwanderung in unserer Zeit nur denn nicht auf die Idee, daß Sie, statt rassistische gelöst werden kann, wenn die Lebensbedingungen in Äußerungen zu machen, den Hunger- und Elendsgebieten der Erde verbessert (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist doch gar werden. Ich weiß, das sagt sich sehr leicht, und ich nicht wahr! — Das ist doch nicht rassi weiß auch, wie schwer dieses Ziel auch nur ansatz- stisch!) weise zu realisieren sein wird. Aber wir müssen endlich damit beginnen. Solange Entwicklungspoli- mehr für die Gesundheit in den Entwicklungslände rn tik als Instrument der Förderung deutscher Exporte Prävention tun müssen, tun müssen, mehr für die betrachtet wird, solange Milliarden für Prestigepro- (Beifall bei der SPD) jekte fließen, so lange kommen wir nicht weiter. daß wir mehr für die Aufklärung tun müssen, nicht nur (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) dort, sondern auch bei uns? Wäre es nicht allemal Ein gutes Beispiel für die unsinnige Entwicklungspo- besser, statt Kontrolluntersuchungen an unseren litik ist auch die indirekte Beteiligung der Bundesre- Grenzen zu veranstalten, etwas gegen die Plage des publik durch die Anteile der DEG an der Ok - Tedi- Sextourismus zu unternehmen, die Werbung zu Mine in Papua-Neuguinea. untersagen, egal, ob sie direkt oder verdeckt geschieht, zu handeln, und zwar bevor die „Sexbom- (Beifall bei der SPD) ber" in diese armen Länder starten, mit Männern aus

Gerade Papua - Neuguinea ist ein Beispiel dafür, daß unserem Land an Bord, die sich einen Dreck darum ausländisch dominierte Sektoren und die Abholzung kümmern, ob sie Kinder mißbrauchen und Krankhei- von Tropenwaldgebieten zu enormen Wanderungs- ten verbreiten, und die sich nicht einmal darum bewegungen, zu sozialer Desintegration und zur Zer- sorgen, daß diese armen Frauen und Kinder ein Dach störung der natürlichen Lebensgrundlagen führen. über dem Kopf haben und sich sattessen können, Die Ok-Tedi-Mine verursacht gigantische Umwelt- geschweige denn über diese Ausbeutung und Schän- schäden und eine für das Land höchst zweifelhafte dung auch noch nachdenken. Hier müssen wir anset- wirtschaftlich-finanzielle Wirkung. Die Erlöse stehen zen und nicht bei der Schikane an unseren Gren- in keinem Verhältnis zu arbeits-, sozial- und wirt- zen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11329

Verena Wohlleben Herzlichen Dank. International Development Agency, Herr Präsident — (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke aufzustocken. Liste) (Heiterkeit und Beifall — Hans-Günther Toe temeyer [SPD]: Ins Deutsche übersetzt! Machen Sie es in Deutsch, Herr Kollege!) Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, gestatten — Ich gehe davon aus, daß der Präsident das ins Sie mir bitte eine etwas ernstere und eine etwas Deutsche übersetzen kann. fröhlichere Bemerkung. Die ernstere ist: Ich würde mit der Qualifikation „rassistische Äußerungen" nicht so (Erneute Heiterkeit) leicht umgehen und das sehr viel sorgfältiger prüfen, bevor ich sie benutze. (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Sehr gut!) Vizepräsident Hans Klein: Verzeihung, Herr Kol- lege, jetzt muß ich doch einschreiten. Ich bitte sehr Die fröhlichere Bemerkung ist, daß ich mit meiner herzlich, die Funktion des Präsidenten nicht mit der Intervention bei dem Kollegen Arno Schmidt in eines Dolmetschers zu verwechseln. puncto NGO offenbar etwas losgetreten habe; denn in der Zwischenzeit hat sich die CDU/CSU-Fraktion bei (Heiterkeit und Beifall — Hans-Günther Toe mir beschwert, daß ich bei dem Gebrauch des Worts temeyer [SPD]: Wer hat das angefangen?) „Peanuts" bei Ihnen nicht eingegriffen habe. Aber das hat ja einen wirklich ernsten Hintergrund: (Heiterkeit — Hans-Günther Toetemeyer Wir bedienen uns, wenn wir in einem Kreis wie diesem [SPD]: Ein gängiger Begriff!) über ein Fachthema sprechen, oft so vieler Fachaus- drücke, daß es für die Bürgerinnen und Bürger schwer Ich darf aber, sozusagen für das Protokoll, erklären: wird, mitzubekommen, was wir eigentlich meinen. Die korrekte Übersetzung des Worts heißt „Erd- Das war auch der Grund meiner Intervention vor- nüsse". hin. (Erneute Heiterkeit) (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) Es wird im amerikanischen Sprachgebrauch aller- dings so genutzt, daß es einen geringen Wert — etwa Die Sache mit den Peanuts sollte eigentlich nur der wie bei uns „Pfifferlinge" — Auflockerung der Debatte dienen. (Zuruf: Die sind teuer!) (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: „Peanuts" ist ja deutsch! — Dr. Uwe Holtz [SPD]: Neuhoch andeuten soll. deutsch!) (Beifall bei der CDU/CSU — Brigitte Baumei- - ster [CDU/CSU]: Vielen Dank für die Erläu- terung!) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Viele Entwick- Ich erteile als nächstem dem Kollegen Dr. Christian lungsländer ihrerseits haben noch nicht erkennen Ruck das Wort. lassen, daß sie tatsächlich zu dem stehen, wozu sie sich in Rio verpflichtet haben. Die letzte Studie der Welt- ernährungsorganisation vom Oktober letzten Jahres Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr zeigt auf, daß die jährliche Tropenentwaldungsrate Präsident! Meine Damen und Herren! Obwohl es zwischen 1980 und 1990 um 50 % auf fast 170 000 km 2 schon mehrfach gesagt worden ist, wird es nicht gestiegen ist — mit all den verheerenden Folgen für falsch, und ich sage es noch einmal: Auch ich halte es das regionale und globale Klima und die Vielfalt der für ein gutes Zeichen, daß die erste große Debatte des Schöpfung. Eine grundlegende Wende ist auch hier Jahres 1993 in diesem Hause trotz aller Alltagssorgen ein halbes Jahr nach Rio nicht in Sicht. den globalen, fundamentalen Problemen der Nord- Wir dürfen uns jedoch bei allem, was auch für Süd-Auseinandersetzung gewidmet ist. Dies läßt hof- kommende Generationen hier auf dem Spiel steht, in fen, daß unser aller Schwüre, die Rio-Konferenz dürfe keinster Weise entmutigen lassen, sondern müssen im kein Momentereignis bleiben, nicht nur Lippenbe- Gegenteil unsere Anstrengungen verstärken. Es gibt kenntnisse waren. Der Rio-Prozeß soll dem Zusam- ja auch einiges an Positivem zu vermelden: So hat z. B. menleben von Nord und Süd wie der Koexistenz von das neue amerikanische Präsidentengespann eine Ökologie und Ökonomie weltweit eine neue Qualität Änderung in der Umwelt- und Entwicklungspolitik verleihen. Aber dieser Prozeß befindet sich Anfang 1993 in einem schwierigen und labilen Umfeld. angekündigt. Die Konjunktur in den westlichen Industrieländern (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Ja, das ist ist eher trübe, die staatlichen Kassen leer, und in gut!) solchen Zeiten schwindet auch bei uns der Weitblick Die jüngst eingerichtete deutsch-japanische Kommis- für Probleme, die zwar entscheidend für die Zukunft, sion hat der internationalen Tropenwaldpolitik der aber nicht unbedingt entscheidend für die nächsten Japaner erste Zugeständnisse abringen können. Wahlen zu sein scheinen. Es schwindet die Solidarität Erfreulich ist auch der konsequente Einsatz und die untereinander, wie die auf Eis gelegte europäische Arbeit der Umwelt- und Enwicklungsressorts bei uns CO2-Abgabe zeigt, und es schwindet die beschwo- vor, während und vor allem auch nach Rio. Ich möchte rene Solidarität mit der Dritten Welt, siehe das an dieser Stelle schon einmal darauf hinweisen, welch groteske Beispiel der Bananenabwehr oder der feh- großen Einsatz hier auch die zuständigen Beamten lenden Bereitschaft, die zur Umsetzung von Rio so trotz knappster Besetzung geleistet haben und lei- dringend benötigten Mittel der IDA — „IDA" heißt sten. 11330 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Christian Ruck Die Ressourcenschutzprojekte des BMZ haben die nach wie vor z. B. mit ihrer Agrarpolitik manche unter der Amtsführung von Herrn Minister Spranger Projekte, auch solche der Bundesrepublik, sinnlos und seinen Vorgängern in den letzten Jahren qualita- macht. tiv und quantitativ einen großen Sprung nach vorne (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) gemacht. Auf die berühmte Fleischgeschichte in Abidschan (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das wäre wurde ja bereits hingewiesen; ich brauche dem nichts schön!) hinzuzufügen. — Das ist schön, Herr Kollege. Wir dürfen uns jedoch auch nicht scheuen, den Druck auf unsere Partner im bilateralen Politdialog zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — erhöhen. Das gilt auch im Falle der Kupfermine Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das wäre Ok - Tedi in Papua - Neuguinea. Den ursprünglichen schön!) Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben wir Nein, im Ernst: Die Projekte sind wesentlich langfri- abgelehnt, weil er uns in vielen Details nicht stichhal- stiger als früher angelegt tig erscheint und wir auch die wirtschaftlichen Aussa- gen des Antrags für teilweise falsch halten. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist richtig!) In unserer Modifizierung des Antrags zu Ok-Tedi wird gleichwohl die Bundesregierung aufgefordert, und auf einen geduldigen Interessensausgleich unter auf die deutschen Anteilseigner an der Mine und die den Betroffenen ausgelegt. Regierung von Papua-Neuguinea einzuwirken, daß Der sektorübergreifende Ansatz von Rio wird in die Umweltbelastungen reduziert, die Entschädi- vielen deutschen Entwicklungsprojekten bereits seit gungsregelungen verbessert und die Nutzen des Pro- Jahren betrieben und jetzt in den Planungen mit Blick jektes breiter gestreut werden. Im Gegenzug soll die Bundesregierung der Regierung von Papua-Neu- auf die Agenda 21 noch verstärkt. Aber auch ich bin natürlich nicht so vermessen, zu glauben, daß sich der guinea verstärkt umwelt- und entwicklungspolitische Hilfestellung anbieten. Geist von Rio nur mit deutschen Entwicklungsprojek- ten — auch wenn man sich in sie verlieben könnte — Einem weiteren wichtigen Anliegen trägt unser durchsetzen läßt. Wir müssen in allen Politikbereichen Antrag „Die Schöpfung bewahren" Rechnung, näm- noch viel mehr Überzeugungsarbeit leisten, Verbün- lich der staatlichen Unterstützung privater deutscher dete gewinnen, koordinieren und überwachen, natio- und internationaler Umweltprojekte im Entwick- nal wie international. Lassen Sie mich dazu einige lungsbereich. Ich halte es für ganz entscheidend, die Beispiele nennen. Mitarbeit und Zuarbeit privater Trager auch im Umweltbereich zu gewinnen und deren Engagement Die Weltbank, die vielleicht einflußreichste Ent- und Komptenz mit unseren Anstrengungen zu koordi- wicklungsinstitution, hat beispielhafte Umwelt - und nieren. Sozialrichtlinien für ihre Projekte erarbeitet. Aber die Diskussion um den Narmada-Staudamm in Indien Noch eine kleine Bemerkung zu den Äußerungen zeigt, daß sich manche wichtigen Akteure der Bank an von Herrn Schanz zu diesem Antrag. Natürlich kann ihre eigenen Richtlinien nicht halten. ich alle Umweltprobleme in den Entwicklungsländern aus dem Bundestag heraus in einem großen Wurf, in (Beifall des Abg. Hans-Günther Toetemeyer einem großen Antrag zumindest ansprechen und [SPD]) Lösungsvorschläge unterbreiten. Es gibt aber auch Dies müssen wir auch im Bundestag 1993 zum Thema eine andere, vielleicht klügere Taktik, daß man näm- machen. lich den Gesamtzusammenhang möglichst im Kopf hat und dann scheibchenweise versucht, die einzel- (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Sehr nen Partien durchzusetzen. Besonders wenn es ums gut!) Geld geht, halte ich die letztere Vorgehensweise für die schlauere. 1993 muß auch das Jahr für die deutschen Vor- schläge einer Reform der Vereinten Nationen wer- Sie haben gesagt, Sie hätten sich eine weitreichen- den. dere Erhöhung der Mittel vorstellen können. Ich war über diese Bemerkung der SPD beglückt, weil ich (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) nächstes Jahr sicher darauf zurückkommen werde. Dabei müssen wir deutlich machen, daß und wie wir (Zustimmung bei der CDU/CSU) uns eine Stärkung und Straffung der entwicklungs- Abschließend noch eine Bemerkung zum Thema politischen und umweltpolitischen Arbeit der Verein- der Einlösung von Zusagen: Die deutsche Regierungs- ten Nationen vorstellen. delegation hat, getragen von einer breiten Unterstüt- (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Stärkere zung des deutschen Parlaments, in Rio große Erfolge parlamentarische Kontrolle!) erzielt. Dazu beigetragen haben auch Versprechen, die wir der Welt und vor allem der Dritten Welt 1993 sollte auch das Jahr sein, in dem wir die gemacht haben. Entwicklungspolitik der EG kritisch unter die Lupe nehmen, Wenn wir erkennen lassen, daß wir unsere eigenen Zusagen nicht ganz ernst nehmen, wird das unsere (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Einver- internationale Verhandlungsposition entscheidend standen!) schwächen. Insofern müssen wir 1993 auch einen Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11331

Dr. Christian Ruck deutlichen Schritt im nationalen Umwelt- und Natur- kratie einzuschlagen, gekennzeichnet ist, brauchen schutz vorankommen, und wir müssen dafür Sorge die Menschen Perspektiven. tragen, daß die nächste mittelfristige Finanzplanung Was sie nicht brauchen können, sind ideologisch konkrete Hinweise für eine deutliche Steigerung des Entwicklungshaushalts zumindest in der zweiten eingefärbte Konzepte, wie sie im Antrag der Regie- Hälfte der 90er Jahre enthält, rungskoalition zur Förderung der privaten unterneh- merischen Initiative zum Ausdruck kommen. Die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Voraussetzungen für eine Entfaltung privater wirt- der SPD) schaftlicher Aktivitäten zu schaffen ist sicherlich eine da wir dann davon ausgehen können, daß wir im unumgängliche Notwendigkeit. Aber dieses Ziel zu eigenen Land das Gröbste überstanden haben. Inso- erreichen verlangt einen gesunden Pragmatismus, fern ist es, wie auch schon vor Rio, so, daß die der sich an den spezifischen Bedingungen und den Entwicklungspolitiker den Umweltpolitikern die Dau- vorhandenen Strukturen in den betroffenen Ländern men drücken und umgekehrt, so hoffe ich, auch die orientieren muß. Umweltpolitiker den Entwicklungspolitikern. Der vorliegende Antrag läßt differenzierte Ansätze Vielen Dank. vermissen, glänzt allerdings mit seiner kapitalisti- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. schen Schlagseite, die den Erfordernissen eines sozial sowie bei Abgeordneten der SPD) und ökologisch ausgewogenen Entwicklungsprozes- ses nicht gerecht wird. Er ignoriert auch die Proble- matik, daß die Übertragung unseres Wirtschaftssy- Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Brigitte stems auf die Dritte Welt gleichzeitig eine Übertra- Adler, Sie haben das Wort. gung der Umweltbelastungen bedeuten würde. Vor dem Hintergrund der globalen ökologischen Bedro- Brigitte Adler (SPD): Herr Präsident! Verehrte Kol- hung ist dies nicht zu verantworten. leginnen und Kollegen! Es stimmt bedenklich, daß Und noch eines wird in diesem Antrag nicht beach- sich in der Öffentlichkeit mehr und mehr ein „ Afro- tet, nämlich der Einfluß der weltwirtschaftlichen Rah- Pessimismus " breitmacht, der viel zu einseitig Miß- menbedingungen. Ohne deren Veränderung werden stände in zahlreichen afrikanischen Ländern anpran- wir vor allem in Afrika keine Konzepte mit Erfolg gert. Diese Kritik kommt nicht selten zu dem Schluß, durchführen können. daß die afrikanischen Staaten unfähig seien, ihre Probleme selber zu lösen. Sollte Afrika nicht seinem (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Schicksal überlassen werden, oder sollte durch noch Liste) massivere Eingriffe von außen endlich wieder Ruhe Dort müssen jetzt vor allem die Voraussetzungen für und Ordnung hergestellt werden? eine dauerhafte Ernährungssicherung geschaffen Meine Damen und Herren, derartige Vereinfachun- werden, um den Hunger nachhaltig zu bekämpfen. gen sind gefährlich und entsprechen nicht den Tatsa- Wo Hunger herrscht, geht die so dringend notwendige chen. Zum einen übersehen sie allzu gerne die Mit- Gestaltungskraft verloren. Schon lange bemüht sich verantwortung des reichen Nordens und dessen der reiche Norden, dieses Übel zu bekämpfen. Aber Handlungsdefizite. Zum anderen leisten sie rassisti- viele Landwirtschaftsprojekte in Afrika sind kläglich schen Neigungen Vorschub und tragen mit zu einem gescheitert. Wie soll sich auch eine funktionstüchtige auf Schwarze gerichteten Fremdenhaß bei. Landwirtschaft entwickeln, wenn die von uns diktier- Keiner wird bestreiten können, daß die weltwirt- ten Rahmenbedingungen keine Entfaltungschancen schaftlichen Rahmenbedingungen maßgeblich zur beinhalten? wirtschaftlichen Stagnation Afrikas beigetragen ha- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke ben, so die stetige Verschlechterung der terms of trade, fallende Rohstoffpreise, hohe Schuldenlasten Liste) und ein für Afrika verheerender Protektionismus der Denn solange wir Afrika als Absatzmarkt unserer Industrieländer. verbilligten Agrarprodukte benutzen, muß die afrika- Diese Faktoren haben den Entwicklungsprozeß nische Landwirtschaft brachliegen. permanent blockiert und tragen immer noch zur (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: So ist Wohlstandsentwicklung in den Industrieländern bei. es!) Nach der Kolonialzeit, deren negative Auswirkungen noch jetzt spürbar sind, und nach dem Ende des Kalten Solange kein Abbau der drückenden Schuldenlast Krieges, der zur militärischen Aufrüstung Afrikas stattfindet, sehen sich viele afrikanische Länder in der führte und im Verlauf dessen wir nicht nur keine Zwangslage, den Anbau landwirtschaftlicher Export- Schwierigkeiten hatten, uns auf korrupte Diktatoren kulturen — häufig Monokulturen — auszudehnen, einzulassen, sondern die Selbstbereicherungsstruktu- statt das knappe Kapital und die knappen Ressourcen ren teilweise sogar selbst herangezüchtet haben, darf in ihre Nahrungsmittelerzeugung zu investieren. nun die Chance für eine selbstbestimmte Neuorientie- Was bleibt, ist die Nahrungsmittelhilfe, sind huma- rung nicht vertan werden. nitäre Maßnahmen. Obwohl die Durchführung huma- Dazu braucht Afrika Handlungsspielräume, die wir nitärer Maßnahmen dringend erforderlich bleibt und mit eröffnen können. Gerade in der gegenwärtigen auch verbessert werden muß, dürfen wir uns keines- Umbruchsituation, die von Dürrekatastrophen und falls mit Katastrophenhilfe und humanitären Maßnah- Bürgerkriegen, aber auch vom Versuch, einen neuen men zufrieden geben. Viel entscheidender ist die politischen Kurs in Richtung Partizipation und Demo- Unterstützung der potentiell vom Hunger bedrohten 11332 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Brigitte Adler I afrikanischen Länder bei der Ausgestaltung einer unserem eigenen Verhalten als Produzenten und Agrarentwicklungspolitik, Konsumenten. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) (Rudolf Bindig [SPD]: Und was folgt dar aus?) die primär eine Selbstversorgung mit Nahrungsmit- teln zumindest in der Region zum Ziel haben muß. Es muß deutlich gesagt werden: Wir in den Industrie ländern tragen als Hauptverursacher der weltweiten Hier liegen die Aufgaben, die bewältigt werden müssen. Aber die Bundesregierung hat es bis heute Umweltbelastungen eine besondere Verantwortung. versäumt, konkrete Konzepte vorzulegen. Wir müssen vorbildlich vorangehen und dafür Sorge tragen, daß die technische Zivilisation, die vom (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist Norden ausging, sich weltweit ausgebreitet und tief in genau der Punkt! Jetzt ist der Spranger nicht die natürlichen Lebensgrundlagen eingegriffen hat, mehr da! — Gegenrufe: Doch! — Hans- dauerhaft tragfähig, d. h. umweltverträglich, gemacht Günther Toetemeyer [SPD]: Wo ist er denn? wird. — Bitte zuhören!) Ich denke in diesem Zusammenhang z. B. an die Deshalb plädiert meine Fraktion für ein langfristig schleichende Veränderung der Erdatmosphäre durch Programm zum Aufbau und zur Weiter- angelegtes Anreicherung mit Spurengasen wie etwa Kohlen- entwicklung der Landwirtschaft in Afrika. Ökolo- dioxid, und ich verweise auf das ehrgeizige CO2 gisch nachhaltige Landnutzungssysteme, die an tradi- Minderungsprogramm der Bundesregierung, das anknüpfen, müssen dabei tionelle Wirtschaftsweisen umgesetzt werden muß und nicht zur Disposition vorrangig gefördert werden. steht. Die Förderung der Landwirtschaft beinhaltet Nachhaltige Entwicklungsstrategien weltweit zu gleichzeitig einen Multiplikatoreffekt, der das Hand- fördern ist ein zentrales Anliegen gerade auch in werk und den Dienstleistungsbereich berührt und zur unserer Entwicklungszusammenarbeit. Dabei haben Einkommensbildung im ländlichen Raum beiträgt. wir von bedrückenden Grundtatbeständen auszuge- Hierzu sind Produktionsanreize auf den regionalen hen. und lokalen Märkten erforderlich — eine wichtige Voraussetzung, die in den laufenden GATT-Verhand- Auf der internationalen Konferenz in Rio de Janeiro lungen nicht vergessen werden darf. wurde der enge Zusammenhang zwischen Armutsbe- kämpfung und Erhalt der natürlichen Lebensgrund- Diese Ziele müssen auf internationaler Ebene in lagen so deutlich gesehen und dargestellt wie nie Zusammenarbeit mit der FAO, im Rahmen der Struk- zuvor. Die Armut der Bevölkerung — Ursache und turanpassungsprogramme der Weltbank und der EG Bedingung des Bevölkerungswachstums in den Ent- - Hilfen für die AKP-Staaten von der Bundesregierung wicklungsländern — ist ursächlich auch für die Über- ) forciert werden. Der SPD-Antrag zeigt auf, wo konkret beanspruchung der natürlichen Ressourcen. Noch gehandelt werden kann und muß, um eine dauerhafte immer gilt das Wort von Indira Gandhi auf der Ernährungssicherung in Afrika, aber auch in anderen Stockholmer Konferenz von 1972, daß die Armut der Teilen der Welt zu erreichen. größte Umweltverschmutzer ist. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Richtig!) Liste) Wenn wir also unseren Beitrag einbringen, um die Zukunft der Menschheit in Frieden und Freiheit zu Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem sichern, dann geht es zuerst darum, die Armut zu Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesmi- bekämpfen und damit zugleich die natürlichen nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Lebensgrundlagen einer weiterhin dramatisch anstei- Herrn Dr. Paul Laufs. genden Weltbevölkerung zu erhalten, einer Weltbe- völkerung, die gegenwärtig pro Tag um 200 000 Menschen anwächst. Man muß sich diese Größe immer wieder vor Augen halten, um zu wissen, welche Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Aufgaben allein für die umweltverträgliche Ver- und Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Entsorgung des täglichen Bedarfs daraus resultie- Herren! Die zentrale Bedeutung der Konferenz der ren. Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung im Unzureichende Gesundheitsvorsorge, mangelnde Juni vergangenen Jahres liegt vor allem darin, daß das Bildung und Ausbildung verschärfen die Problematik. Konzept einer nachhaltigen Entwicklung zu einem Strukturelle Veränderungen in den meisten Entwick- übergreifenden Leitbild für Industrie- und Entwick- lungsländern werden daher erforderlich sein. lungsländer wurde. Die Orientierung des weltweit Zur Erzielung der dringend notwendigen Fort- notwendigen ökonomischen, sozialen und institutio- schritte bei der Verwirklichung des von der Rio- nellen Strukturwandels an der langfristigen ökologi- Konferenz verabschiedeten Aktionsprogramms soll- schen Tragfähigkeit von Natur und Umwelt ist die ten auf nationaler wie auf internationaler Ebene alle große Herausforderung des 21. Jahrhunderts. verfügbaren Kräfte mobilisiert werden. Die Einbin- Zu den nachhaltigen Entwicklungsstrategien ge- dung der Nichtregierungsorganisationen, und die hört an erster Stelle die umweltverträgliche Ausrich- Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit sind tung der Wirtschafts- und Lebensweisen des Nordens. dabei für uns von großer Bedeutung. Die entsprechen- Unerläßlich für eine auf Dauer tragfähige Wirtschafts- den Forderungen im vorliegenden Antrag „Die und Lebensweise sind vor allem Änderungen in Schöpfung bewahren, privates Engagement fördern, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11333

Parl. Staatssekretär Dr. Paul Laufs die Umsetzung von Umweltmaßnahmen in Entwick- Zweitens. Es konnte sichergestellt werden, daß zu lungsländern beschleunigen" zur verstärkten Ein- allen wichtigen Themen die internationalen Verhand- schaltung qualifizierter in- und ausländischer Regie- lungen zügig fortgeführt werden. So wird das Thema rungsorganisationen begrüße ich daher seitens des „Wald" in der künftigen UN-Kommission für nachhal- Umweltministeriums ausdrücklich. tige Entwicklung weiter beraten werden. Wir streben an, auf der Wald-Erklärung von Rio aufzubauen mit Nachhaltige Entwicklung wird in den Staaten der dem Ziel, die waldbesitzenden Länder zu überzeu- Dritten Welt insbesondere und unverzichtbar auch gen, daß wir eine völkerrechtlich verbindliche Wald- durch intensive technologische Zusammenarbeit und Konvention brauchen, um allen Notwendigkeiten durch Technologietransfer zu erreichen sein. Techno- gerecht zu werden. logietransfer heißt nicht nur Transfer von technischen Komponenten und Anlagen, sondern in wenigstens Drittens. Die UN-Generalversammlung hat die Ein- dem gleichen Umfang auch von Wissen und Erfah- ladung seitens der Bundesregierung für die Abhal- rung. Die Vermittlung von Know-how, also von Wis- tung der ersten Vertragsstaatenkonferenz zur Klima- sen und Erfahrung, für den Einsatz von Umwelttech- rahmenkonvention in Deutschland ausdrücklich be- nik und Umweltverantwortung muß eine prioritäre grüßt. Damit wird die besondere Vorreiterrolle der Aufgabe der bi- und multilateralen Entwicklungszu- Bundesrepublik Deutschland im Themenbereich Um- sammenarbeit sein, weit über das hinaus, was bisher welt und Entwicklung erneut hervorgehoben. hierzu an Leistungen erbracht wird, wie z. B. die sehr Nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts darf notwendige und richtige Prüfung der Umweltverträg- es nicht zu einem neuen Konflikt zwischen Nord und lichkeit jedes einzelnen Projekts, eine Prüfung übri- Süd, zwischen Arm und Reich kommen. gens, die diese Bundesregierung eingeführt hat. (Zuruf von der SPD: Den gibt es schon!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Konferenz von Rio und die jüngsten Beschlüsse In Asien sind erfreuliche Ansätze für neue Wege zu von New York haben die erforderlichen Grundlagen beobachten. Das Bundesumweltministerium hat be- für eine partnerschaftliche nachhaltige Entwicklung reits Ende 1990 mit Singapur die Einrichtung einer geschaffen. Die Bundesregierung setzt sich mit allem deutsch-singapurischen Umwelttechnologieagentur Nachdruck dafür ein, daß mit der weltweiten Umset- für die asiatisch-pazifische Region beschlossen, die zung dieser Beschlüsse zielstrebig begonnen wird. Anfang 1991 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die Euro- Die drängenden Probleme von Umwelt und Entwick- päische Gemeinschaft wird in Kürze ebenfalls zusam- lung vertragen keinen Aufschub. men mit Singapur dort ein Umwelttechnologiezen- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. trum mit Schwerpunkt Industrieberatung aufbauen.- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Japan hat in Osaka ein Zentrum für Umwelttechno- logietransfer unter der Schirmherrschaft des Umwelt- programms der Vereinten Nationen (UNEP) Ende Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege letzten Jahres eingerichtet. Dr. Werner Schuster. Bedarf an Transfer von Know-how, Technologie und insbesondere Umwelttechnologie besteht in ka, Lateinamerika sowie hohem Maße ebenfalls in Afri Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Präsident! in Mittel- und Osteuropa. Die Bundesregierung tritt Meine Damen und Herren! Mein Thema in dieser dafür ein, daß in diesen Regionen in internationaler entwicklungspolitischen Debatte ist der Antrag zur Kooperation weitere Umwelttechnologiezentren ge- Unterstützung der Nichtregierungsorganisationen, gründet werden. Die Bundesregierung hat gemein- abgekürzt NRO. sam mit der deutschen Wirtschaft bereits ein Umwelt- infozentrum in Berlin eingerichtet, welches insbeson- Doch gestatten Sie mir vorab, symbolisch auf das dere der Russischen Föderation beim wirtschaftlichen ursächliche Problem hinzuweisen. Ich habe hier in Aufbau Umweltinformationen zur Verfügung stellen meiner Hand einen Lufballon, welcher aufgeblasen wird. die Weltkugel mit den sechs Erdteilen symbolisiert. Sie sehen, hier oben im Norden ballen sich die reichen Die gegenseitige Abhängigkeit von Umwelt und Industrienationen. Dort wohnt und lebt nur knapp ein Entwicklung spiegeln auch die jüngsten New Yorker Viertel der Weltbevölkerung, und die Zahlen, die jetzt Beschlüsse der UN-Generalversammlung zum Nach folgen, haben Sie selbst bei den unterschiedlichsten folgeprozeß nach Rio deutlich wider. Zu diesen Anlässen immer wieder zitiert: Beschlüssen, an denen die Bundesregierung mit ihren Dieses Viertel der Menschheit verschwendet fast Partnern in der EG entscheidenden Anteil hatte, zählt vier Fünftel der Energie. Immerhin verbraucht ein unter anderem: Westeuropäer fast 20mal soviel Energie wie ein Erstens. Die künftige UN-Kommission für nachhal- Schwarzafrikaner. Er verbraucht fast 80 Prozent der tige Entwicklung, die im Nachfolgeprozeß zu Rio die Rohstoffe und ist bei den wichtigsten Umweltbela- treibende und entscheidende Kraft sein soll, wird bei stungsfaktoren für einen Anteil von 65 bis 75 Prozent ihren jährlichen Sitzungen auch auf Ministerebene verantwortlich. Meine Damen und Herren, wenn zusammenkommen. Die Verhandlungen in den letz- unsere gemeinsamen schwarzen Freunde im Süden ten Tagen des Gipfels in Rio haben gezeigt, daß das gleiche Recht auf automobile Freiheit für sich wichtige kontroverse Probleme häufig nur auf dieser beanspruchen würden, dann gäbe es auf der Welt statt Ebene gelöst werden können. bisher 0,5 Milliarden Autos derer 3 Milliarden. 11334 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schuster, Aufwartung machen, wie wir es bei den Sportvereinen soll ich Ihnen den Ballon zumachen, damit — — selbstverständlich gewohnt sind. (Heiterkeit — Beifall bei der CDU/CSU und (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Und beim der F.D.P.) ADAC auch!) Dieser regelmäßige Besuch sollte nicht nur von uns Entwicklungspolitikern, sondern auch von den Dr. R. Werner Schuster (SPD): Das Ergebnis, Herr Agrar-, Wirtschafts- und Finanzpolitikern, schlicht Präsident, dieser „nordischen" Überlegenheit ist vor- von allen Abgeordneten, gemacht werden. Meine herzusehen: Unserer Weltkugel geht die Luft aus. Damen und Herren, Sie werden mir uneingeschränkt zustimmen: Der Bewußtseinswandel in der Öffentlich- (Der Redner läßt die Luft aus dem Ballon) keit, aber auch bei uns Politikern wäre enorm. Daß Meine Damen und Herren, diese „diagnostischen" und wie solche Lobbyarbeit funktioniert, kann man Zusammenhänge sind zwischen den politischen Par- nicht nur an den Sportvereinen, sondern auch an den teien schon seit langer Zeit nicht mehr strittig. Schließ- vielen Bürgerinitiativen in unserem Lande nachvoll- lich sind die einschlägigen Berichte (Club of Rome, ziehen. Brandt-Kommission, Süd-Kommission und andere) Warum übernehmen wir das Lobby-Modell nicht seit langem hinlänglich bekannt. Unklar ist derzeit auch für unsere Nord-Süd-, für unsere Eine-Welt- nur, ob der Rückfall in diesen vorbiblischen Zustand Politik? Ist es nicht vordringlichste Aufgabe von uns „und die Erde war wüst und leer" erst im Jahre 2200 Entwicklungspolitikern und gerade auch vom zustän- oder vielleicht schon im Jahre 2100 zu erwarten ist. digen BMZ, genau für diese Lobby zu sorgen? Ist es Auch die „therapeutischen" Konsequenzen sind, nicht eigentlich unsere strategische Aufgabe, Men- zumindest in den Sonntagsreden, zwischen den gro- schen in Deutschland zu ermutigen, sich für einen ßen Parteien weitgehend unstrittig — ich darf auf das fairen Nord - Süd - Ausgleich und das Überleben in der Zitat des Kollegen Schanz von Ihnen, Herr Repnik, einen Welt aktiv zu engagieren? hinweisen —: Wir bedürfen einer grundsätzlichen Jeder von Ihnen, der einen persönlichen Zugang zu Verhaltensänderung bei uns im Norden; wir brauchen solchen NROs hat, weiß aus praktischer Erfahrung, qualitatives statt quantitatives Wachstum; wir müssen daß Betroffenheit, persönliches Engagement, Be- teilen lernen zugunsten gerechter Entwicklungschan- wußtseinsbildung und Überzeugungsarbeit die her- cen aller Menschen auf dieser Weltkugel. ausragenden Kennzeichen dieser NROs sind. Oder, wie ich es lieber formuliere: Wir brauchen Betrachtet man aber, Herr Minister Spranger, die primär nicht Strukturanpassungsprogramme im Sü- „offizielle" Politik der Bundesregierung und des BMZ den, sondern bei uns im Norden. gegenüber den NROs, so kann man sich des Eindrucks (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke nicht erwehren, daß kleinere und kritische NROs Liste) oftmals als lästige „Ruhestörer" Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum (Widerspruch bei der CDU/CSU und der Thema. F.D.P.) (Lachen bei der CDU/CSU) im etablierten Entwicklungsgeschäft angesehen und Was tun eigentlich wir Politiker? Warum tun wir entsprechend behandelt werden. Die jahrelangen Politiker nicht das, wovon wir wissen, daß wir es Querelen zwischen dem BMZ und dem BUKO, einem eigentlich tun müßten? Das Buch des zukünftigen Dachverband von immerhin über 260 Nord-Süd- amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore „Wege zum Initiativen, gehören hoffentlich als schlechtes Beispiel Gleichgewicht" ist hierfür ein plastisches Beispiel. Die bald der Vergangenheit an. Wahrheit ist simpel: weil wir uns als Politiker nicht Es war deshalb sehr zu begrüßen, daß diese Vertre- trauen, unseren Wählerinnen und Wählern diese terinnen und Vertreter von NROs (Bensheimer Kreis Wahrheiten konsequent zu sagen. Da ist doch der von und BUKO) im Oktober 1992 anläßlich der Behand- mir sehr geschätzte Herr Bundespräsident eher die lung unseres Antrags um Ausschuß für wirtschaftliche exotische Ausnahme als die Regel. Umgekehrt bin ich Zusammenarbeit ausführlich Gelegenheit hatten, ganz sicher, daß wir als Politiker dies alles sofort aus über Erfolge und Schwierigkeiten ihre Arbeit zu Opportunismus tun würden, wenn nur eine signifi- informieren. Diese Vertreterinnen und Vertreter der kante Anzahl unserer Wählerschaft genau dies laut- NROs verdeutlichten nochmals die wesentlichen fünf stark von uns fordern würde. Forderungen, welche aus ihrer Sicht an ein Gesamt- Damit aber, meine Damen und Herren, bin ich beim konzept für eine Förderung von NROs zu richten sind eigentlichen Anliegen des SPD-Antrags. Diese Eine und denen sich die Fraktion der SPD ausdrücklich Welt braucht eine Lobby, um uns Politikern Dampf zu anschließt: machen, das Richtige zu entscheiden. Stellen Sie sich Erstens Globalbewilligung und Programmförde- bitte vor, wir hätten in Deutschland — vergleichbar rung. Bei vielen leistungsstarken NROs haben sich zum Sport — eine Eine - Welt - Lobby mit 5 bis 6 Millio- Qualität und Umfang ihrer Projekte bereits über Jahre nen Mitgliedern! Es würde in jedem Dorf und jedem bewährt; dem sollte das BMZ durch volle Ausschöp- Stadtteil eine, zwei oder sogar drei Eine-Welt- oder fung des haushaltsrechtlichen Spielraums (analog zu Dritte - Welt - Initiativen kirchlicher, kommunaler oder den Kirchen) Rechnung tragen und damit einen ver- privater Art geben. Wir als Politiker würden diesen besserten und sinnvollen „Abfluß" der bereitgestell- Nichtregierungsorganisationen so regelmäßig unsere ten Haushaltsmittel fördern. Deutscher Bundestag 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11335

Dr. R. Werner Schuster Zweitens Gewährleistung einer angemessenen Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern." Verwaltungskostenpauschale. Es ist nicht einzuse- Wir sollten diesen kleinen Leuten unsere spezifische hen, warum die „Großen", z. B. die Kirchen, eine Unterstützung heute nicht versagen. solche Unterstützung erhalten, während die „Klei- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke nen" 100 % der Verwaltungskosten selbst tragen Liste) müssen.

Drittens Flexibilisierung des Jährlichkeitsprinzips Ich erteile dem Kollegen Verwaltungserleichterun- Vizepräsident Hans Klein: und vor allem allgemeine Dr. Peter Paziorek das Wort. gen. Viele kleine NROs klagen darüber, daß sie ohne professionelle hauptamtliche Kräfte die Kompliziert- heit des gesamten Antrags- und Abrechnungsverfah- Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! rens nicht mehr bewältigen können. Meine Damen und Herren! Herr Schuster, ich möchte Viertens Erweiterung des Förderungsinstrumenta- jetzt nicht hinsichtlich Ihrer Luftballon-Aufblasaktion Rückschlüsse auf das Lungenvolumen vornehmen. In riums. Eine institutionelle Förderung von Süd-NROs, die bislang vom BMZ nicht finanziert wird, muß einer Beziehung, Herr Schuster, möchte ich Ihnen ermöglicht werden, ebenso wie eine Erweiterung der aber voll und ganz recht geben: Es ist heute auch Förderung der Öffentlichkeitsarbeit, was bisher nur Aufgabe unseres Bundestages — gegenüber einer oft für die Bildungsveranstaltungen möglich ist. Der geäußerten Meinung in unserer Bevölkerung —, daß sogenannte „ 1000-DM"-Topf ist für größere Aktionen es auch im Interesse Deutschlands liegt, wenn wir von NROs völlig unzureichend. zukünftig eine engagierte internationale Entwick- lungszusammenarbeit durchführen. Insoweit kann ich (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Ihnen auch seitens der CDU/CSU-Fraktion nur eine Fünftens Verbesserung der Förderung entwick- Zustimmung anbieten. lungspolitischer Bildung. Obwohl der besondere Es stimmt auch — wie Sie gesagt haben, Herr Schwerpunkt der meisten NROs in der entwicklungs- Schuster —, daß drei Viertel der Menschen im soge- politischen Bildungsarbeit liegt, erhalten sie dafür nannten Süden unserer Erdkugel leben. Die Armut, seitens des BMZ keine nennenswerte Unterstützung. die in diesen Teilen der Erde anzutreffen ist, ist eine Auch hier werden wieder die „Großen", z. B. die konkrete Umweltschädigerin, so daß eine wirksame Stiftungen, mit großen Pauschalbeträgen bedacht, Strategie zur Beseitigung der Armut in letzter Konse- während die „Kleinen" bei jeder Kleinstausgabe quenz auch eine zielgerichtete Umweltstrategie ist. genau belegen müssen, daß auch ja keine regierungs- In vielen Entwicklungsländern stellen die Schäden kritischen Äußerungen gefördert werden. Herr Mini- an Boden, Wasser und Wäldern bereits eine ernsthafte ster Spranger, dies hat nichts mit Gleichmacherei, Bedrohung der Dauerhaftigkeit des Entwicklungspro- sondern mit Chancengleichheit zu tun. zesses dar, von der Umweltsituation in den ausufern- Ich fasse zusammen: Die Diskussion im Ausschuß den Mega-Städten ganz zu schweigen. für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat deutlich Nicht wirtschaftlicher Aufstieg, sondern die ökolo- gemacht, daß die Nichtregierungsorganisationen, gische Zerstörung mit ihren dramatischen Konse- wenn sie nicht an ihrer Selbstausbeutung resignieren, quenzen für die Zukunftsentwicklung der Menschen sondern weiter wachsen sollen, eine andere und in den Entwicklungsländern ist heute leider kenn- bessere Förderung benötigen als bisher. Staatliche zeichnend für die Situation in diesen Staaten. Förderung soll ehrenamtliches Engagement ermuti- Diese Entwicklung -- das sage ich als Mitglied der gen und nicht durch unnötige bürokratische Regle- Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" — mentierungen behindern. Hierbei, Herr Minister, ste- wird noch dramatischer werden, denn aus meiner hen Ihnen die NROs gerne mit Rat zur Seite. Sicht wird der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten Das kostet natürlich etwas Geld. Aber diese Beträge sein. Er wird eintreten; wir denken also noch viel zu liegen immer noch deutlich unter 1 % der Gesamtauf- wenig über Anpassungsstrategien nach. Selbst diese wendungen für Entwicklungspolitik. Die Förderung Anpassungsstrategien werden uns gewaltige finan- der entwicklungspolitischen Lobby-, Bildungs- und zielle Opfer abverlangen. Öffentlichkeitsarbeit muß einen ebenso großen Stel- Natürlich ist der Norden mit seinem verschwende- lenwert erhalten, wie die klassischen entwicklungs- rischen Lebensstil für den Großteil der global einge- politischen Instrumente. tretenen Umweltschäden verantwortlich. Die Länder (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke des Südens dürfen aber keine Zeit mehr verlieren, um ökologische Fragen in ihren Entwicklungsprozeß zu Liste) integrieren. Umweltpolitische Fragen müssen bei den Fünf Millionen „rührige Vertreter" oder, wenn Sie so Entwicklungsstrategien und Entwicklungsplanungen wollen, „erfolgreiche Verkäufer" einer gerechten vorrangig mitbehandelt werden. Nord-Süd-Politik wären doch für unsere gemeinsame Der Süden kann dies natürlich nicht alleine. Es ist politische Arbeit ein ungeheurer Fortschritt. aber mit der Konferenz von Rio ein äußerst wichtiger Darum zum Schluß meine herzliche Bitte an Sie, umwelt- und entwicklungspolitischer Meilenstein meine Damen und Herren von der Regierungskoali- gesetzt worden. Die Konferenz der Vereinten Natio- tion: Springen Sie über Ihren Schatten, und stimmen nen, die Anfang Juni 1992 in Rio de Janeiro stattfand Sie dem SPD-Antrag doch noch zu! Sie kennen alle und an der mehr als 160 Staaten teilgenommen haben, das Motto der Eine-Welt-Bewegung: „Viele kleine war insgesamt gesehen ein Erfolg, u. a. auch — das Leute, welche an vielen kleinen Orten viele kleine sollten wir einmal ganz selbstbewußt sagen — dank 11336 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Peter Paziorek des Einsatzes unseres Bundesumweltministers Profes- Gesamtmittel im Bereich dieser Zusammenarbeit für sor Töpfer und dank Ihres Einsatzes, Herr Staatssekre- ganz konkrete Umweltprojekte ausgegeben worden. tär Repnik, in den vielen Gesprächen am Rande dieser Das waren rund 265 Millionen DM. Im Bereich der Konferenz, die dazu geführt haben, daß wir nachher finanziellen Zusammenarbeit liegen wir in diesem eine solche positive Schlußakte erreicht haben. Noch Zusammenhang nach dem Bericht, den Sie vorgelegt einmal recht herzlichen Dank, Herr Repnik. haben, bei 18 %. Das sind Projekte im Umfang von rund 500 Millionen DM. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Spranger, ich glaube, es ist gut, daß wir heute Mit den Ergebnissen dieser Konferenz ist die hier herausstellen, daß gerade auch durch Ihre Akti- Grundlage für eine qualitativ neue weltweite Zusam- vitäten der Druck Deutschlands auf die Weltbank menarbeit in der Umwelt- und Entwicklungspolitik verstärkt worden ist dabei meine ich „Druck" im geschaffen worden. Die Verabschiedung der Schluß- positiven Sinne —, daß auch bei den Projekten, die die akte von Rio darf nicht — das haben wir immer gesagt Weltbank fördert, verstärkt Umweltverträglichkeits- — als Endpunkt, als Abschluß einer globalen Umwelt- prüfungen berücksichtigt werden müssen. Es wäre und Entwicklungspartnerschaft verstanden werden. schön, wenn die Opposition diese Aktivitäten unseres Das Konferenzergebnis von Rio ist vielmehr die Eröff- Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit beson- nung einer Chance zu einer neuen globalen Umwelt- ders herausstreichen würde, weil das eine Rücken- politik. Das bedeutet: Wir müssen jetzt an die Ausge- deckung aus dem Parlament heraus für seine Aktivi- staltung eines weltweiten Prozesses für wirtschaftli- täten bedeuten würde. che und ökologische Zusammenarbeit gehen, ähnlich der Ausgestaltung des Helsinki-Prozesses für Sicher- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — heit und Zusammenarbeit in Europa vor einigen Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wir wollen Jahren. mehr!) Als eine der führenden Industrienationen ist selbst-- Meine Damen und Herren, unbestritten sind natür- verständlich unser Land bei der Umsetzung der Rio lich die Verwaltungsdefizite in den Ländern der Schlußakte besonders gefordert. sogenannten Dritten Welt, gerade im Bereich der Umweltverwaltungen. Es ist gut, daß wir Defizite in Ziel dieses globalen Prozesses muß es sein — diese den Umweltverwaltungen durch eine verstärkte Wortwahl treffen wir christlichen Demokraten ganz Beteiligung der sogenannten Nichtregierungsorgani- bewußt; vorhin wurde nur auf konservative Ursprünge sationen auffangen. Ich glaube, Herr Minister, wir dieses Begriffes hingewiesen —, die Schöpfung zu können das tun, ohne daß wir sofort Richtlinien bewahren, die Unterentwicklung ganzer Erdteile so ändern. Die Praxis der letzten Monate zeigt, daß wir weit wie möglich zu überwinden und die Umweltzer- dies mit den bisher vorliegenden Richtlinien durchaus störung zu stoppen. Das wird nicht in einem großen effektiv und sinnvoll ausgestalten können. Wurf gelingen, das wird nicht in einem großen Schritt durchsetzbar sein. Aber auch Teilerfolge sind nur Sagen wir es ganz deutlich: In der Zeit der Regie- dann zu erreichen, wenn alle Staaten dieser Welt dies rungskoalition von CDU/CSU und F.D.P. ist der Mit- als eine gemeinsame Aufgabe ansehen, so daß wir telansatz für Nichtregierungsorganisationen — au- zukünftig in dieser Welt ganz bewußt von einer ßerhalb des kirchlichen Bereichs — von 17 auf 30 Mil- Umweltaußenpolitik als einer neuen Qualität der lionen DM erhöht worden. In den letzten Haushalts- internationalen Beziehungen sprechen können. planberatungen ist der Ansatz für private Nichtregie- rungsorganisationen in Deutschland um weitere Um die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu 2 Millionen DM erhöht worden. Das sind ganz kon- verbessern, benötigen die Entwicklungsländer natür- krete Zahlen, die wir heute als Erfolg für unsere lich die Stärkung und die Nutzung des eigenen Arbeitsweise vortragen können. Entwicklungspotentials durch Hilfestellungen und nicht in erster Linie die umfassende Hilfeleistung von Natürlich ist die Einschaltung der Nichtregierungs- außen. Es geht also um Hilfe zur Selbsthilfe und nicht organisationen kein Allheilmittel für alle Umwelt- und um die vollständige Leistungserbringung von außer- Entwicklungsprobleme, halb. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Völlig rich Natürlich haben die Erkenntnisse über die Zerstö- tig!) rung von Umwelt und Natur in den Staaten der Dritten Wir müssen auch immer konkret prüfen, wer sich Welt bereits zu einer Reihe von wichtigen Änderun- manchmal hinter sogenannten Nichtregierungsorga- gen bei der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit nisationen verbirgt, ob das nicht der Vetter irgendei- geführt, soweit es hierbei in den Entwicklungsländern nes ganz bekannten Ministers ist. um Projekte des Umwelt- und Naturschutzes gegan- gen ist. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Da wäre ich vorsichtig!) Es ist nicht so, wie Herr Weiß ausgeführt hat, der jetzt sicherlich über den Fernseher zuhören wird, oder Wir müssen also immer prüfen, wer dahintersteht. wie einige Vertreter Ihrer Fraktion erklärt haben, daß Wir müssen Sorgfalt walten lassen — das ist gerade bei vielen Projekten in der Dritten Welt, die von gegen Ihre pauschale Aussage gerichtet; schönen Deutschland finanziert wurden, vom Umweltschutz Dank für den Beifall aus Ihren Reihen — bei der Frage, keine Rede gewesen sei. Ich glaube, wir können ganz ob die Deklaration als Nichtregierungsorganisation selbstbewußt auf die Ergebnisse hinweisen. 1991 sind von den tatsächlichen Verhältnissen gedeckt wird. im Bereich der technischen Zusammenarbeit durch Ich glaube, wir können deutlich machen: Losgelöst Ihr Haus, Herr Minister Spranger, rund 25 % der von diesen Einzelfallproblemen wollen CDU/CSU Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11337

Dr. Peter Paziorek und Regierungskoalition den Follow-up-Prozeß zu Diese Frage stelle ich voran, wenn ich über den Rio. Hier sind Nichtregierungsorganisationen will- Antrag „Entwicklungspolitische Chancen in Um- kommen und für uns geeignete Partner. bruchsituationen nutzen ..." am Beispiel von vier Es ist auch klar und deutlich herauszustellen, daß afrikanischen Ländern spreche, vor allem, wenn ich in unsere Regierung großen Wert darauf legt, daß bei meinem eigenen politischen Wirken davon ausgehe, allen Projekten der Entwicklungshilfearbeit die daß es in der Bundesrepublik ein Grundgedanke ist, Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt wer- daß sozialer Frieden immer Voraussetzung für Frie- den. Es gibt kein Projekt im Bereich der Entwicklungs- den in einem Land in dem Zusammenleben von hilfe durch Ihr Haus, Herr Spranger — auch das kann Menschen und Völkern ist. man positiv herausstellen —, bei dem nicht vorab mit Deshalb richte ich die Frage an die Bundesregie- Hilfe einer Umweltverträglichkeitsprüfung nachge- rung: Welchen Stellenwert mißt sie der Beseitigung wiesen wird, daß dieses Projekt in den Gesamtrahmen von sozialen Konfliktlagen in Entwicklungsländern einer ökologisch ausgerichteten Umwelt- und Ent- bei, um Bürgerkriege, wie sie in Somalia und im wicklungspartnerschaft paßt. Das ist methodisch rich- Sudan entbrannt sind, zu verhindern? Was will sie tig und muß heute hier positiv herausgestellt wer- verantwortungsvoll und verantwortungsbewußt tun, den. um z. B. in Äthiopien die zarten seidenfadenähnlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Demokratisierungsbestrebungen zu unterstützen? Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die Oder muß sich unsere Bundesregierung, wenn sie Umwelt- und Naturzerstörung in der Dritten Welt jetzt nichts tut, später wieder vorwerfen lassen, dort nimmt weiter zu. Der Mangel an geeigneten Institu- für eine gleiche Situation wie in Somalia oder im tionen und Personal im Umweltschutz kann durchaus Sudan mitverantwortlich zu sein? zu Engpässen bei Planung und Durchführung von Hätte die Bundesregierung im Wissen um die Situa- Umweltprojekten in der Dritten Welt führen. Das tion, daß Hunger und daraus folgend Bürgerkrieg in bedeutet: Wir werden verstärkt auf Nichtregierungs- Somalia drohte, nicht schon vor mindestens einem organisationen zurückgehen. Es wird natürlich auch Jahr ihren Einfluß geltend machen müssen, z. B. die einmal der Fall sein, daß wir, wenn eine Umweltver- Mobilisierung der UNO fordern müssen, um die träglichkeitsprüfung negativ ausgefallen ist, ganz Ernährungssituation zu sichern, und demokratische gezielt sagen, daß wir dieses Entwicklungshilfepro- Bestrebungen nach der Vertreibung von Siad Barre jekt nicht unterstützen können. gemeinsam mit der EG und der UNO unterstützen Da dies alles in unserem Antrag „Die Schöpfung müssen? Dies wäre meines Erachtens lebensrettend bewahren, privates Engagement fördern" steht, habe für Tausende und Abertausende von Menschen in ich die Frage, ob die Opposition diesen Antrag nicht Somalia gewesen. unterstützen kann. Wir würden dies auf jeden Fall (Beifall bei der SPD) begrüßen. Statt dessen läßt sich international feststellen, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) erst die massive und aggressive Darstellung der katastrophalen Lage der Somalis in den Medien die Regierungen und auch die UN aufgerüttelt hat. Das Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Becker- bedeutet, daß nicht die Situation in einem Land, Inglau, Sie haben das Wort. sondern erst ihre besondere Darstellung in den Medien und der Druck der Öffentlichkeit Motivatio- nen für Handlungen und das Ergreifen von Maßnah- Ingrid Becker-Inglau (SPD): Herr Präsident! Meine men sind. lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich war über den Beitrag von Herrn Dr. Paziorek sehr erfreut, weil ich Das genau ist ein Beispiel dafür, was mein Kollege denke, er ist ein Zeichen dafür, daß auch aus der Uwe Holtz heute morgen angesprochen hat, nämlich Umweltpolitik heraus Positives in die Entwicklungs- daß man über einen langen Zeitraum redet, aber politik hineinspielt. Dies ist natürlich ein Zeichen, daß Maßnahmen und Taten nicht sofort folgen läßt. Dieser hoffen läßt, wenn wir uns die Projekte anschauen. Ich Antrag, den wir hier gestellt haben, zeigt auch, daß meine, wir dürfen das, was wir auf diese Weise man ein ganzes Jahr benötigt hat, um diesen Antrag gutmachen, nicht wieder dadurch verschlechtern, daß endlich umsetzen zu können. wir auf der anderen Seite die Entwicklungsländer als So hat der Bundeskanzler erst im Dezember — ich Müllabladeplätze für Giftmüll und ähnliches nut- begrüße es, daß er im Dezember diese Initiative zen. ergriffen hat — Projekte von der Berufsausbildung (Beifall bei der SPD) über den Aufbau einer Gemeindeinfrastruktur, über Wasserversorgung für Vieh und Mensch, über Veteri- Ich muß dann aber auch fragen: Muß nicht Entwick- närmedizin bis zur Umwelt und die Bereitstellung von lungspolitik überwiegend präventive Friedens- und Saatgut und landwirtschaftlichem Gerät für die befrie- Sicherheitpolitik sein — präventiv gleich vor- deten Gebiete Somalias in Aussicht gestellt. beugend —, oder ist sie letztlich immer nur humani- tärer Notstopfen? (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das war Latein und kein Englisch!) Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin, darf ich Sie eine Sekunde unterbrechen? —Vielleicht kann ich die — Das ist hier ja noch ungewöhnlicher. — von mir durchweg hochgeschätzten alten Kollegen (Heiterkeit) aus dem BMZ veranlassen, ihre ministeriumsinternen 11338 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsident Hans Klein Gespräche im Ministerium und nicht auf der Regie- soziale Friede in Somalia nach der Vertreibung von rungsbank zu führen. Siad Barre hergestellt werden konnte? (Zuruf von der CDU/CSU) Ingrid Becker-Inglau (SPD): Manchmal ist eine sol- — Oder das Außenministerium; ich denke, die Bun- che Sitzung auch dafür gut, daß man alle gleichzeitig desregierung ist immer eins, und sie spricht überwie- zusammen hat und man dann vieles besprechen kann. gend durch den Bundeskanzler hier zu uns. Wir Abgeordnete machen das auch. Ich entschuldige das. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Du bist sehr stark im Glauben!) — Manchmal muß man auch etwas glauben. Vizepräsident Hans Klein: Also, wenn Sie es als Rednerin nicht stört, dann eröffne ich die Konferenz Ich denke, bei dieser Erkenntnis, daß der soziale auf der Regierungsbank. Friede auch in diesem Fall von ethnischen Macht- kämpfen abhängig ist, hätte die UNO damals Somalia (Heiterkeit und Beifall im ganzen Hause) zu einem UNO-Mandatsgebiet erklären und dadurch So war es nicht gemeint, wenn Sie daraus jetzt Nutzen verhindern können, daß es zu einer solchen chaoti- ziehen wollen. schen und anarchischen Situation kommt. (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Man sollte die Vor- Wenn wir in Somalia humanitäre Hilfe leisten wol- schläge der Kollegin sofort aufgreifen!) len, können wir das jetzt nur noch über militärische Gewalt. Ich denke, dieses darf nicht der Weg zukünf- Ingrid Becker-Inglau (SPD): Wenn man schon etwas tiger Entwicklungspolitik sein. kritisiert, dann muß man, denke ich, auch einmal (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke etwas Positives sagen dürfen. Liste) Ich frage mich vor allem: Was bleibt von unseren Vizepräsident Hans Klein: Also reden Sie ruhig Grundsätzen übrig, die wir hier im Budestag beschlos- weiter. sen haben, um die entwicklungspolitische Zusam- (Heiterkeit) menarbeit zu fördern? Die Menschenrechte sind in Somalia verletzt — das brauchen wir, glaube ich, hier nicht zu diskutieren —, die Demokratisierungspro- (SPD): Ich frage jetzt die Bun- Ingrid Becker-Inglau zesse sind ad absurdum geführt, und Umweltschutz desregierung — die Gespräche gerade lassen ja findet nicht statt. Nein, in der Welt versucht man hoffen, daß das Thema nun aufgegriffen wird —: sogar, Giftmüll nach Somalia zu bringen, um sie damit Warum hat man die Initiative nicht bereits vor einem noch locken zu können. Deswegen müßten wir eigent- Jahr ergriffen? Denn ich glaube, die Notwendigkeit lich sagen: Das ist kein Land, dem wir helfen. Aber wir war auch schon vor einem Jahr gegeben. müssen es dennoch tun. Wenn wir gleichzeitig immer wieder sagen, wie wir das auch heute morgen mehrfach bekundet haben, Wenn wir eine solche verkehrte Entwicklungspoli- tik und eine Ausweitung der Konflikte auch in den daß wir Fluchtursachenbekämpfung betreiben wol- len, sollte das nicht erst dann geschehen, wenn alle anderen Staaten des Ho rns sofort und zukünftig Menschen geflohen sind, sondern bereits vorher. vermeiden wollen, dann müssen wir die gemeinsame Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaft- (Beifall bei der SPD) liche Zusammenarbeit zu diesem Antrag ernst neh- Meiner Ansicht nach hätte m an das in Angriff nehmen men und deren unverzügliche Umsetzung von der können, ohne zu zögern, ohne zu sparen. Daß es an Bundesregierung einfordern. finanziellen Mitteln gefehlt haben könnte, ist immer Vielen Dank. wieder mit dem Beispiel zu widerlegen, daß für den Golfkrieg von dem Finanzminister kurzfristig 17 Mil- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke liarden DM aufgebracht werden konnten. Dieses Liste) Beispiel wird uns begleiten, solange wir in dieser Welt negative Vorkommnisse haben, für die wir hätten Geld ausgeben können. Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Jung. (Beifall bei der SPD) Denn diese vorbeugenden Maßnahmen hätten sicher- lich niemals solche Kosten ausgemacht. Michael Jung (Limburg) (CDU/CSU): Herr Präsi- Ich will jetzt hier nicht Zahlen nennen, wieviel die dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundesregierung für die Maßnahmen der wirtschaft- Vielleicht darf ich, Frau Kollegin, zum Thema Somalia lichen Entwicklungszusammenarbeit in Somalia bei- noch einige Worte der Aufklärung sagen, weil nach spielsweise über das zunnächst beschlossene Maß Ihrem Beitrag davon ausgegangen werden könnte, hinaus zur Verfügung gestellt hat. Nur, das ist ein daß die Bundesregierung nicht ausreichende Hilfe winzigster Bruchteil dessen, was wir für diese kriege- geleistet hat. rische, militärische Maßnahme zur Verfügung gestellt Ich will als erstes sagen: Wir alle wissen um die haben. Schwierigkeiten, humanitäre Hilfe, Nahrungsmittel- Ich frage: Warum hat nicht die Bundesregierung hilfe tatsächlich den Betroffenen zukommen zu lassen. damals gemeinsam mit der EG und der UNO ihren Das ist eine der Ursachen für das Eingreifen, das jetzt Einfluß dahin gehend geltend gemacht, daß der dort stattfindet. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11339

Michael Jung (Limburg) Aber wenn man sich die Zahlen ansieht, wird erwähne Gewerbe- und Vereinigungsfreiheit, Sitz- deutlich, daß die Bundesrepublik Deutschland hier in und Eigentumsgarantie, Geldwertstabilität, Vertrags- einem außerordentlich großen Umfange geholfen hat. freiheit und Tarifautonomie, Entwicklung eines Ich nenne nur die Leistungen des Jahres 1992: Die Rechtssystems, in dem wirtschaftliche Tätigkeit sach- bilaterale Hilfe über das Auswärtige Amt und das gerecht ablaufen kann, Transparenz staatlichen Han- BMZ beträgt insgesamt über 45 Millionen DM. Dann delns, Beteiligung an Entscheidungen der Regierung, kommt noch der deutsche Anteil bei der EG-Hilfe in Rechtsschutz, unabhängige Rechtsprechung, Be- Höhe von über 51 Millionen DM dazu, so daß wir im schränkung auf sinnvolle Staatsausgaben. Ich glaube, Jahre 1992 im Bereich dieser humanitären Hilfe, auch in den Entwicklungsländern wächst das Bewußt- Nahrungsmittelhilfe, eine Größenordnung von insge- sein, daß die Soziale Marktwirtschaft nicht nur wirt- samt knapp 97 Millionen DM hatten. Im Vergleich schaftspolitisch erfolgreich, sondern auch gesell- dazu: Großbritannien 72 Millionen, Frankreich schaftspolitisch und sozialpolitisch bedeutsam ist, daß 52 Millionen, Japan keine 37 Millionen. Das macht sie die Würde des Menschen schützt und die freie deutlich, daß wir uns dieser Problematik sehr wohl Entfaltung seiner Persönlichkeit am besten gewähr- gestellt haben und im Rahmen unserer Möglichkeiten leisten kann. die notwendige Hilfe geleistet haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der F.D.P.) Meine dritte Anmerkung betrifft Lassen Sie mich in dieser Debatte zu drei Bereichen Kuba. Es ist gut, daß wir mit einer sehr breiten Mehrheit im Ausschuß Stellung nehmen. Heute ist wiederholt betont worden, die Meinung artikuliert haben. Wir haben dabei wie wichtig diese Diskussion sei, aber ich glaube, daß festgestellt, daß die Planwirtschaft auch in diesem wir alle miteinander als Politiker, die in diesem Bereich tätig sind, die Bedeutung des Themas nicht Land zu Ineffizienz und Mangel, zu Verschwendung von Arbeitskraft, Material und Rohstoffen sowie zu deutlich rüberbringen können. Das wird sich morgen in der Berichterstattung niederschlagen, und es weitgehender Abtötung von Eigeninitiative und Krea- schlägt sich tagtäglich auch in den Schwierigkeiten tivität geführt hat. Dem steht auch nicht entgegen, daß nieder, die wir haben, unserer Bevölkerung bei all den die kubanische Führung, durch die Notlage stimuliert, Problemen in unserem Land deutlich zu machen, daß ausländisches Kapital in größerem Umfang insbeson- dere im Tourismus zu aktivieren versucht. Insbeson- es auch eine essentielle Frage für uns ist, hier zu helfen. dere durch den Wegfall der Hilfe des Ostblocks haben (Zuruf von der SPD) sich die großen Probleme auf Kuba verstärkt und zu einer echten Notsituation geführt. Aus diesem Grunde — Herr Kollege, das Thema ist eigentlich zu ernst, als haben wir die USA aufgefordert — das wollen wir daß man es so parteipolitisch sehen dürfte. nachher auch hier tun —, auf eine Lockerung des Die Akzeptanz in der Bevölkerung, die nicht Wirtschaftsembargos hinzuwirken. Vor einer konzentrierten, innerhalb der EG abge- besteht, muß gestärkt werden . Wir müssen deshalb zu einer stärkeren Beteiligung der Bevölkerung kom- stimmten Hilfsaktion bedarf es aber einer Änderung men. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausdrück- der Situation auf Kuba. Dort gibt es keine pluralisti- lich all diejenigen loben, die in vielen Gruppen, sche parlamentarische Demokratie, sondern eine Dik- Verbänden und Organisationen vor Ort -- Herr Schu- tatur, die politische Grund- und Freiheitsrechte ver- ster, in diesem Zusammenhang ist auch beispielhaft, letzt und die Bevölkerung mit einem Polizei- und was Sie vor Ihrer Zeit als Mitglied des Bundestages vor Überwachungsstaat versieht. Ort geleistet haben — engagiert arbeiten, Wir drängen deshalb auf die Freilassung der politi- schen Gefangenen, die Respektierung der Menschen- (Dr. Karl-Heinz Hornhues [CDU/CSU]: Sehr rechte und freie Wahlen. Wir wollen Demokratie und wahr!) Rechtsstaatlichkeit auf Kuba. Wir vergessen dabei Ich glaube, daß die Akzeptanz der Bevölkerung dann nicht, daß insbesondere im Vergleich zu anderen wächst, wenn sie an konkreten Projekten mithilft und mittel- und zentralamerikanischen Staaten auf Kuba sehen kann, was mit ihrem Geld bewirkt wurde. Ich durchaus erhebliche Fortschritte verzeichnet werden glaube, daß es notwendig ist, diese Unterstützung in konnten. Ich nenne dabei die Bereiche Bildungs- und Zukunft noch zu verstärken. Gesundheitswesen. Dies droht allerdings verlorenzu- gehen. Wir fordern deshalb von dieser Stelle die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kubanische Führung auf, gerade zur Rettung der Ich möchte eine zweite Anmerkung machen. Die Werte, die die Revolution angeblich verwirklichen Welt hat sich verändert. Der Zusammenbruch des sollte, und im Interesse ihres Volkes Demokratie und Ostblocks hat gravierende Auswirkungen; u. a. am wirtschaftliche Liberalisierung herbeizuführen. Beispiel Kuba, das ich gleich noch behandeln werde, Vielen Dank. wird dies deutlich. Gleichzeitig hat sich damit die (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie Überlegenheit einer marktwirtschaftlichen Ordnung bei Abgeordneten der SPD) gezeigt, deren soziale und ökologische Komponenten gerade auch im Bereich der Entwicklungshilfe beson- ders wichtig sind. Die Schaffung geeigneter politi- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege scher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen ist Joachim Tappe. deshalb die beste Voraussetzung für eine wirksame und wirkungsvolle Entwicklung. Als vordringlich Joachim Tappe (SPD): Herr Präsident! Meine hierfür sind bestimmte Kriterien zu nennen. Ich Damen und Herren! Wir stehen nicht nur in nationaler 11340 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Joachim Tappe Hinsicht, sondern vor allen Dingen im globalen Maß- Bei allen unterstellten Fehlerquellen, die dieses stab vor großen politischen Herausforderungen. Dazu Rechenbeispiel haben mag, macht es in der Tendenz zähle ich die von uns mitverursachte drohende welt- doch eines deutlich: Die Probleme der Welternäh- weite ökologische Katastrophe, die wiederum rungssituation sind in Wahrheit nicht so groß, als daß ursächlich zum sozialen Elend in dieser Welt in sie nicht mit Hilfe überschaubarer Maßnahmen gelöst Wechselwirkung steht. werden könnten, oder, anders gesagt, etwas mehr als 18 000 t, also noch nicht einmal ein Tausendstel der 800 Millionen Menschen werden täglich nicht satt; zur Zeit eingelagerten EG-Getreideüberproduktion weitere 2 Milliarden Menschen leiden an Mangeler- von zirka 20 Millionen t, reichte aus, um jährlich nährung durch fehlende Mikronährstoffe. Internatio- 40 Millionen Menschen vor dem Hungertod zu nale Politik, aber auch die Politik der Bundesregie- bewahren. rung begegnet diesen Herausforderungen nur in (Beifall bei der SPD) unzureichendem Maße. Zwar gibt es verbal durchaus vielfältige brauchbare Ansätze und auch von uns Jedem in diesem Hause ist klar: Die Ernährungssi- akzeptierbare politische Zielbestimmungen, aber cherheit der Menschen in den armen Ländern und dem stehen unübersehbare Realisierungsmängel ge- deren Entwicklung hängen dauerhaft von einer genüber. Ich erinnere beispielhaft an fehlende Umset- grundlegenden Verbesserung der sozialen und der zungsfristen in den ständig wiederholten Absichtser- gesamtwirtschaftlichen Lage dieser hilfsbedürftigen klärungen, einschließlich der von Rio, an fehlende Länder ab. Jeder von uns weiß ebenso, daß dauerhafte umfassende Finanzierungskonzepte oder gar an die wirkungsvolle Entwicklung nur möglich ist, wenn die nicht vorhandene Bereitschaft, den notwendigen Eigenverantwortung der Entwicklungsländer sowie Finanzierungsaufwand spürbar zu erweitern. die Motivation und der Selbsthilfewille der betroffe- Man kann sich nicht oft genug die Realitäten vor nen Menschen gestärkt werden. Augen führen: Allein in dieser Sitzungswoche nimmt - Dabei kommt der Entwicklung der Landwirtschaft die Weltbevölkerung um rund 2 Millionen Menschen und der Stabilisierung der ländlichen Räume in den zu. Allein in dieser Sitzungswoche sterben fast Ländern der sogenannten Dritten Welt eine gewich- 800 000 Menschen an Unterernährung, davon allein tige Rolle zu. Das heißt, wir müssen alles tun, um die fast 300 000 Kinder. Allein in dieser Sitzungswoche Vor-Ort-Produktion zu stimulieren und den Selbstver- gehen 300 000 ha Siedlungs- und Wirtschaftsfläche sorgungsgrad zu erhöhen. unwiederbringlich verloren und sind 1 000 weitere Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Im (Beifall bei der SPD und der F.D.P.) gleichen Zeitraum wird es weltweit rund 1 Million Kfz-Neuzulassungen geben und fließen rund 800 000 Das ist auch deshalb notwendig, um der zunehmen- Fässer Rohöl ins Meer. Eine beängstigende, eine den Urbanisierung mit all den damit verbundenen bedrückende Bilanz. Massenverelendungstendenzen entgegenzuwirken.

Obwohl wir alle die Folgen dieser Realitäten ken- (Zustimmung bei der SPD und der F.D.P.) nen, leben wir vom Nichtwissen oder, besser gesagt, vom Nichtwissenwollen. Südamerikanische und afrikanische Großstädte sind (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke hierfür abschreckende Beispiele. Liste) Unsere sozialdemokratischen, den Landwirtschafts- Nur so wird für mich erklärbar, warum die Politik sektor konkret betreffenden Vorschläge, über die es darauf zur Zeit nur unzureichend reagiert, sich not- keinen nennenswerten Dissens zur Regierungsseite dürftig auf Reparaturversuche der Folgen beschränkt gibt, liegen auf dem Tisch. Ich möchte einige wichtige und wirksame Ursachenbekämpfung nur äußerst zum Schluß noch einmal nennen: Es geht um die halbherzig betreibt. landwirtschaftliche Verfügbarmachung von Tal- und Ich möchte die Halbherzigkeit und die Phantasielo- Sumpfflächen. Es geht um Aufforsten bzw. Wieder- sigkeit deutscher Entwicklungspolitik auf der Hand- aufforstung von Steillagen oder anderweitig landwirt- lungsebene an einem — zugegebenermaßen abstrak- schaftlich nicht mehr nutzbare Fläche, was, nebenbei ten, aber verblüffenden — Rechenbeispiel verdeutli- gesagt, auch bei uns notwendig wäre. Es geht um die chen, das freilich nur einen Teilaspekt des Problems Produktionssteigerung von Exportkulturen, aber, da- erfaßt, aber zugleich einen Hinweis darauf bietet, wo mit verbunden, auch um eine weitere Öffnung unserer an einer entscheidenden Stelle in den Teufelskreis der Märkte für eben diese Produkte. Es geht um Sorten- Armut eingeschnitten werden könnte. verbreiterung des Gemüseanbaus, um die Auswei- tung der Kleintierhaltung und der Milchwirtschaft. Wie jeder weiß, sterben täglich 100 000 Menschen Schließlich muß es darum gehen, einen verbesserten an Unter - und Mangelernährung. Wenn jedem dieser biologischen Erosionsschutz durch Optimierung der 100 000 täglich nur ein halbes Kilogramm Getreide Mistbereitung und der Kompostwirtschaft herzustel- zur Verfügung stünde, könnte jeder von ihnen über- len. Die Förderung solcher Maßnahmen ist in diesem leben. Mithin bedarf es lediglich einer Gesamttages Hause sicherlich politisch unumstritten, und soweit ration von 50 t. Diese benötigte Menge wird in Europa ich weiß, sind diese Maßnahmen auch wissenschaft- auf einer Fläche von 10 ha produziert. Das entspricht lich unumstritten. schließlich einem Jahresbedarf an landwirtschaftli- cher Produktionsfläche von gerade einmal 3 650 ha, Ich komme aus einer Stadt — aus Witzenhausen —, der Größe eines landwirtschaftlichen Betriebs in der die eine lange tropenagrar- und entwicklungswissen- ehemaligen DDR. schaftliche Tradition hat. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11341

Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, bitte keine — Gerade beim Narmada-Staudamm sind wir eigent- größeren Erläuterungen Ihrer Herkunft, denn Ihre lich Partner und verfolgen gemeinsam das Ziel, die Redezeit ist bereits weit überschritten. Fehler, die dort begangen wurden, im nachhinein noch auszumerzen. — Joachim Tappe (SPD): Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. — Dort werden diese Vorstellungen schon (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Uwe Holtz lange unterstützt. [SPD]: Hoffentlich klappt es!) Wir dürfen bei allen wirtschaftlichen Problemen im Dazu gehört auch die Vermittlung ökologischen Wis- eigenen Land nicht nur kleckern, sondern hier müssen sens, die Schädlingsbekämpfung oder umfassende wir klotzen, auch aus wohlverstandenem Eigeninter- Hilfe bei der Züchtung neuer, den Standorten ange- esse. Nur so bekommt der Satz einen Sinn, der jedem paßter Tierrassen und Pflanzensorten. Besucher im Gebäude der Vereinten Nationen in großen Buchstaben ins Auge fällt: „Development is Trotz all dieser langfristig auf Ernährungssicherung another word for peace." angelegten Maßnahmen ist die Bundesrepublik natürlich immer bereit, Nahrungsmittel in von Hun- (Beifall bei der SPD, der F.D.P., der PDS/ gerkatastrophen heimgesuchten Regionen als Not- Linke Liste und beim BÜNDNIS 90/DIE hilfe zu schicken. Im vergangenen Jahr wurden dafür GRÜNEN) weltweit 534 Millionen DM zur Verfügung gestellt, davon allein 182 Millionen DM für die am schwersten Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen betroffene Region Afrikas, die Subsaharazone. Michael Wonneberger das Wort . Die Gefahr, die dieser Art Entwicklungshilfe inne- Michael Wonneberger (CDU/CSU): Sehr geehrter wohnt, liegt darin, daß Katastrophenhilfen zu Dauer- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! einrichtungen werden, Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben mit - Ihrem Antrag zur dauerhaften Ernährungssicherung (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Sehr rich tig!) in Afrika auf Drucksache 12/3645 ein Problem ange- sprochen, das bereits seit Jahren zur anerkannten weil die einheimische Landwirtschaft, sofern die Hil- Politik dieser Bundesrepublik und dieser Bundesre- fen nach dem Ende einer Notsituation fortgesetzt gierung gehört. In dem Bemühen, möglichst allen werden, vom eigenen Markt verdrängt wurde. Hungernden in der Welt helfen zu wollen, besteht somit Einmütigkeit. Differenzen — das wird in Ihrem (Beifall bei der CDU/CSU — Hans-Günther Antrag deutlich — gibt es lediglich in Teilen der Toetemeyer [SPD]: Das ist richtig!) Auffassung, wie dies am wirkungsvollsten und am Dies führt unweigerlich zu einer Katastrophe ohne nachhaltigsten geschehen kann. Ende. Sie fordern von der Bundesregierung ein Aktions- programm zur Bewältigung der Hungerkatastrophe in (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Richtig!) Afrika. Wer den Hunger in Afrika und die Hungerka- Nahrungsmittelhilfe, wie wir sie verstehen, soll den tastrophen, die dort jährlich eintreten, jedoch dauer- jeweiligen Regierungen Raum und Zeit für struktu- haft bekämpfen will, darf nicht auf kurzlebigen Aktio- relle Veränderungen geben. Dauerhafte Nahrungs- nismus bauen. Das ist eine Generationenaufgabe. mitteldefizite sind ausnahmslos das traurige Ergebnis Aber sie ist, wenn ich an die erreichte Selbstversor- falscher Politik, was zahlreiche in- und ausländische gung mit Nahrungsmitteln in Ländern wie Indien, Studien beweisen. China oder auch Indonesien denke, lösbar. Die einfache Formel, die in diesem ursprünglich Die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesre- immer wieder von Hungerkatastrophen heimgesuch- publik mit Regierungen und Nichtregierungsorgani- ten Ländern zum Erfolg geführt hat und letztendlich sationen in den Entwicklungsländern muß deshalb auch in Afrika nur zum Erfolg führen kann, ist, Hilfe eine friedliche Umkehr der Politik dieser Länder im zur Selbsthilfe anzubieten. Inneren bewirken. Dort, wo das am ehesten und In den Grundlinien der Entwicklungspolitik dieser deutlichsten sichtbar wird, kann gleichermaßen die Bundesregierung bereits aus dem Jahre 1986, die Entwicklungshilfe dieser Bundesregierung einset- heute aber noch Gültigkeit besitzen, heißt es: „Vor- zen. rangiges Ziel der Entwicklungspolitik der Bundesre- Ein Wort noch zu Ihrer Forderung, verehrte Kolle- gierung ist es, den Entwicklungsländern zu helfen, ginnen und Kollegen der SPD, daß sich die Bundesre- ihre Ernährung aus eigener Kraft zu sichern. " — An gierung zukünftig für eine verbesserte Koordinierung dieser Prämisse hat sich bis heute nichts geändert. und Durchführung von Nothilfemaßnahmen im Kata- Praktisch bedeutet das, das gesamte entwicklungs- strophenfall auf der Ebene der Vereinten Nationen politische Instrumentarium einzusetzen, beispiels-und der EG einsetzen solle. Was, so frage ich Sie, weise Landwirtschaftsexperten zur Unterstützung von wenn die Vereinten Nationen in extremen Situationen Reformen als Berater zur Verfügung zu stellen, tech- wie in Somalia entscheiden müssen? Die derzeitige nische und finanzielle Hilfe für Kleinbauern und politische Haltung der SPD zur Durchsetzung drin- Kleingewerbebetriebe zu gewähren, Unterstützung gendster Hilfsmaßnahmen am Horn von Afrika mittels von Bewässerungsprojekten, Vergabe von Kleinkre- UNO-Truppen degradiert Ihre Forderungen zur diten, Hilfen bei der Bekämpfung der Bodenero- Sprechblase. sion. (Zuruf von der SPD) (Rudolf Bindig [SPD]: Das ist doch Unsinn!) 11342 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Michael Wonneberger Wer nicht bereit ist, den Tausenden vor den Augen der hilfe sinnvoller ist als der Ausgleich von Haushalts- Weltöffentlichkeit Verhungernden in Somalia lücken. Deutsche Entwicklungshilfe in Namibia ist grundbedürfnisorientiert und richtet sich an bisher (Rudolf Bindig [SPD]: Niemand ist dagegen, benachteiligte Bevölkerungsschichten. den Hungernden zu helfen!) Obwohl Entwicklungspolitiker verträgliche Men- auch unter dem Schutz von Waffen Lebensmittel zu schen sind — das hat unsere Debatte heute morgen liefern, kann nicht der Anwalt von 170 Millionen gezeigt; es soll auch so bleiben —, bleibt meine chronisch unterernährter Afrikaner sein. Fraktion bei der in der Ausschußsitzung vom 11. No- (Beifall bei der CDU/CSU) vember 1992 erklärten Ablehnung des Antrags auf Drucksache 12/3866. Meine Damen und Herren, ein weiterer Antrag der SPD die heutige entwicklungspolitische Debatte Danke schön. mahnt auf Drucksache 12/3866 die Änderung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge deutschen Entwicklungspolitik gegenüber Namibia ordneten der F.D.P.) an. Ich habe nicht das Gefühl, daß die Entwicklungs- politik gegenüber diesem Land geändert werden muß. Gleichwohl verbindet uns die Hoffnung auf Vizepräsidentin : Als nächste hat schnellere Ergebnisse bei der Umsetzung der im unsere Kollegin Ingeborg Philipp das Wort. Zeitraum von 1990 bis 1992 bereitgestellten Mittel in Höhe von 180 Millionen DM. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Das ist Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- der Punkt!) tin! Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem Oberbegriff unserer Debatte, nämlich zur Bewahrung Das sind ca. 33 DM an Entwicklungshilfe pro Einwoh- - der Schöpfung, einige Gedanken vortragen ner und Jahr: ein einzigartiges Ergebnis deutscher Schöpfung ist jetzt konkret verstehbar geworden. Entwicklungshilfe Die von der Tradition getragene Verkündigung der (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Wenn sie Kirche ist mit dem von Wissenschaft und Technik denn kommt!) geprägten Wissen in einen immer größeren Wider- Dennoch werfen Sie, meine Damen und Herren von spruch geraten. Jetzt kehrt sich dieser Zustand um. der Opposition, der Bundesregierung vor, Namibia Die Überlieferungen der Kirche sind kein Wider- nicht als LD-Land zu behandeln, was die Vergabe spruch zu modernem Wissen mehr, sondern mit diesen von finanziellen Mitteln als Zuschuß ermöglichen qualitativ neu erklärbar. Wunderheilungen, Jung- würde. frauengeburt, Auferstehung und Himmelfahrt sowie (V o r s i t z : Vizepräsidentin Renate Wiederkunft sind rational verstehbar, wenn eine Kon- Schmidt) kretheit Gottes angenommen wird. Sie wurde von Menschen beobachtet, die vor Jahrtausenden leb- Wir wissen um die Beschaffung eines Flugzeugs durch ten. den namibischen Präsidenten im Wert von 80 Millio- Die Beobachtungen und Wahrnehmungen dieser nen Rand aus einem von Frankreich angebotenen Menschen können heute mit einem qualitativ neuen entwicklungspolitischen Gesamtpaket. Das sollte es Wissen neu interpretiert werden. Im kosmischen Zeit- Ihnen ermöglichen, die Entscheidung des Bundesfi- alter der Menschheit ist eine mit dem Wissensstand nanzministeriums, Entwicklungshilfe nicht als Haus- übereinstimmende rationale Erklärung für das vor haltszuschuß an Namibia zu gewähren, zumindest zu Jahrtausenden abgelaufene Geschehen möglich. Das tolerieren. Hierzu gab es übrigens auch in Namiba Glaubensbekenntnis ist rational annehmbar gewor- heftige innenpolitische Debatten. den. Dennoch ist es zutreffend, daß der Mittelabfluß (Rudolf Bindig [SPD]: Sind Sie sicher, daß Sie nicht befriedigen kann. Bundesminister Spranger hat auf der richtigen Veranstaltung sind?) das für die Bundesregierung heute schon erklärt. Bei aller Kritik sollte man jedoch bedenken, daß die Im Zeitalter von Raumfahrttechnik und Fernerkun- wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Namibia erst dung von Planeten ist die Hypothese einer Fremdbe- reichlich zwei Jahre währt und anfängliche Irritatio- siedlung der Erde durch Gott eine mögliche und nen und Schwierigkeiten jetzt ausgeräumt sind. Sie seriöse Denkvariante. Die im Schöpfungsbericht waren vor allem in einer unzureichenden Datenlage, genannte Reihenfolge der Entstehung des Lebens auf kritischen Umweltaspekten, ungeklärten institutio- der Erde wurde von der Wissenschaft dieses Jahrhun- nellen Fragen und Zielgruppendefinitionen sowie derts bestätigt. Veränderungen der Prioritäten von Entwicklungspro- (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Und durch den Fund jekten begründet. des Neandertalers im letzten Jahrhundert Ihr Antrag entspricht mit seiner Kritik jedoch nicht widerlegt!) dem guten Stand deutscher Entwicklungszusammen- Viele in der Bibel aufgeschriebene Wahrnehmun- arbeit mit Namibia. Das wurde bei den Regierungs- gen sind rational neu interpretierbar: die Beschrei- konsulationen im Mai 1992 und bei den Regierungs- bung technischer Geräte bei Hesekiel, die „Feuer- verhandlungen im September 1992 vom Vorsitzenden säule" und „Wolkensäule" bei der Wüstenwande- der namibischen Planungskommission nachdrücklich rung, das „Auffahren" und „Herabfahren" im Alten unterstrichen. Gleichzeitig bestätigte die namibische und im Neuen Testament, die Herbeiführung von Delegation, daß sorgfältig vorbereitete Programm- Schwangerschaften durch Gott, die technischen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11343

Ingeborg Philipp Wahrnehmungen bei der Übergabe der Gesetzesta- Ich danke Ihnen. feln. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Gott ist nicht allmächtig. der F.D.P. — Michael Wonneberger [CDU/ CSU]: Respekt, Respekt!) (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Was?) Die Lebenskultur in der Welt Gottes ist der unseren Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste hat überlegen. Nächstenliebe und Feindesliebe sind rea- Kollegin Karin Jeltsch das Wort. lisiert. Dieser Entwicklungsstand konnte mit dem Schöpfungsakt nicht übertragen werden. Die Gebote Karin Jeltsch (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine waren eine Hilfsmaßnahme, die Zerstörung von Damen und Herren! Zunächst einmal ist mir wichtig, Sodom und Gomorrha sowie die Sintflut eine Ver- anzumerken, daß auch mit Ihnen, liebe Kolleginnen zweiflungstat Gottes zur Abwendung des Leids, das und Kollegen von der SPD, im Ausschuß Einverneh- wir Menschen einander zufügen, damals wie heute. men darüber besteht, daß die Nichtregierungsorgani- Mit dem Regenbogen hat Gott ein Zeichen dafür sationen, also die privaten Träger, wie unser Präsident gesetzt, daß er sich weiter um seine Schöpfung und vorhin gewünscht hat, einen immens wichtigen Bei- seine Menschheit kümmern will. trag zur deutschen Entwicklungshilfe leisten. Ihr Der nächste Schritt zum Begreifen der Konkretheit beispielhaftes Engagement hat eine Schlüsselstellung Gottes und seines Wollens für die Menschheit war bei der Bekämpfung der Armut in den Entwicklungs- Jesus. Er ist die große Experimentalgestalt Gottes für ländern. die Menschheit, für kosmisches Wissen, kosmische Die Projekte dieser privaten Träger zeichnen sich Weisheit und kosmisches Wollen. dadurch aus, daß sie sich in besonderem Maße um die Verbesserung der Lebensbedingungen der ärmsten (Rudolf Bindig [SPD]: Sind Sie auf der richti- Bevölkerungsschichten, der Randgruppen und der gen Veranstaltung?) - Frauen kümmern. Die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen — Doch, doch. Wir müssen neue Denkhorizonte ist nicht zuletzt auf die engmaschige Präsenz selbst in erschließen. Das ist notwendig. den entlegensten Gebieten der Dritten Welt zurück- zuführen. Ihre umfangreiche Kenntnis der dortigen Jesus ist die Experimentalgestalt dafür, daß eine Bevölkerung, der sozialen, wirtschaftlichen und kul- Zeugung menschlichen Lebens durch Gott möglich turellen Gegebenheiten ist ein wichtiger Faktor für die ist, daß der Sohn das soziale Wissen der Welt Gottes an optimale Einbeziehung der Menschen vor Ort in die Menschen weitergibt, daß „Wunder" geschehen vielfältige Entwicklungsinitiativen. Bei dem Ziel, und tote Menschen in das Leben zurückgeholt wer- Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren, kann ihre Ro lle den. Daß Jesus selbst Opfer des Nichtverstehens der deshalb gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Menschen wird — so ist es auch heute , wußten Gott und Jesus im voraus. Es wurde dadurch der Beweis für (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der die Möglichkeit des „ewigen Lebens" gegeben, das SPD) wir in seiner Konkretheit noch gar nicht erfassen Die Bedeutung der privaten Träger erschöpft sich können. Wir wissen nur, daß es den Begriff „ewig" im jedoch nicht in konkreten Hilfen für die Menschen in Hebräischen nicht gibt. Es heißt dort: „von Weltzeit zu den Entwicklungsländern. Nicht zu unterschätzen Weltzeit". sind die Verdienste bei der Bewußtseinsschärfung der für die Probleme der Entwick- Ich bin davon überzeugt, daß an der Konkretheit der Menschen im Norden lungsländer durch Informationskampagnen, durch Welt Gottes nicht zu zweifeln ist, und davon, daß eine Aufrufe zur Unterstützung bestimmter Projekte, durch große Fülle sehr interessanter Entdeckungen durch zielgruppenorientierte pädagogische Maßnahmen. die Forschung und viele neu nachdenkende Men- schen erarbeitet werden wird. Gott ist mit seiner Die Bundesregierung schätzt die Leistungen der Menschheit nicht am Ende. Er hat seine nächsten privaten Träger in besonderem Maße und fördert die Schritte für uns schon lange eingeleitet. eigenverantwortliche Arbeit deutscher nichtstaatli- cher Organisationen in den Entwicklungsländern. Die Erkenntnis der Konkretheit Gottes ist ein Para- Staatliche Entwicklungszusammenarbeit und die Ar- digma — d. h. eine grundlegende Erkenntnis unserer beit von privaten Trägern ergänzen sich gegenseitig Zeit —, das den Denkfortschritt der Menschheit ent- in ihrem Bestreben, immer mehr Menschen an der scheidend beeinflussen wird. Das soziale Wissen der Entwicklung teilhaben zu lassen. Bibel wird eine neue und angemessene Bedeutung Für die Zusammenarbeit zwischen staatlichen bekommen. Auch die teilweise Umsetzung dieser Organisationen und privaten Trägern gelten die Erkenntnisse in die Lebenspraxis wird Menschheits- Prinzipien der Komplementarität und der fortschritt bewirken, weil die Angst vor einer dunklen Subsidiari- tät. Das heißt, im Interesse größtmöglicher Wirksam- Zukunft nicht mehr als inneres Schreckgespenst vor keit richten die Organisationen ihre Förderung vor- den Menschen steht. Rational erfaßbare Hoffnung ist nehmlich auf ihre jeweiligen spezifischen Erfahrungs- möglich geworden. bereiche und Aufgabenfelder aus. Konkret bedeutet Menschheitgeschichtlich gesehen leben wir im dies: Die Regierung versucht, geeignete Rahmenbe- Zeitraum der Apokalypse. Das bedeutet Schrecken, dingungen zu schaffen, die Prioritäten festzulegen zugleich aber auch Hoffnung in einer ansonsten und entsprechende Vorhaben durchzuführen. Die hoffnungslosen Zeit. Diesen Hoffnungshorizont eines privaten Träger bringen ihre basisorientierten Erfah- neuen Denkens sollten wir für viele Menschen rungen ein und agieren in entsprechenden Projek- erschließen. Auch das gehört in die Politik. ten. 11344 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Karin Jeltsch Der Antrag der SPD vermittelt den falschen Ein- vor: „Die Schöpfung bewahren, p rivates Engagement druck, als habe es ein solches tragfähiges System der fördern, die Umsetzung von Umweltmaßnahmen in Zusammenarbeit zwischen privaten Trägern und dem Entwicklungsländern beschleunigen" . BMZ bisher nicht gegeben. Sieht man sich aber, Herr Dr. Ruck und Herr (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Da unter- Dr. Paziorek, den Antrag genauer an, dann kann man scheiden wir uns!) sich wirklich nicht des Eindrucks erwehren — und ich Der SPD-Antrag fordert ein Gesamtkonzept für eine werde diese Behauptung gleich begründen —: Der Förderung von privaten Trägern. Dies kann nicht der Berg hat gekreißt, und herausgekommen ist ein Maul- richtige Weg sein. Gerade in der Vielfalt der privaten wurfshügel. Träger ist doch ein positiver Faktor für flexible und Vielleicht haben nicht alle den Antrag gelesen. Ich phantasievolle Entwicklungsinitiativen zu sehen. wiederhole noch einmal: Der eine Punkt ist, man solle (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Nichtregierungsorganisationen beteiligen. Das ist ordneten der F.D.P. — Hans-Günther Toete- eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit und meyer [SPD]:Das ist kein Widerspruch!) keine strukturelle Neuerung. Wenn man in der entwicklungspolitischen Zusam- Der zweite Punkt ist, man solle bei p rivaten For- menarbeit inzwischen von der Forderung nach einem schungsprojekten die Akzente noch mehr auf Armuts- Gesamtkonzept abgegangen ist, weil die Vielfalt bekämpfung setzen — auch keine Neuerung. einzelner Probleme unterschiedlich und differenziert Der dritte Punkt ist, 10 Millionen DM, die von angegangen werden muß, wäre es doch geradezu woanders herkommen, für Nichtregierungsorganisa- absurd, bei der Förderung von privaten Trägern ein tionen auszuweisen. solches Gesamtkonzept wieder einzuführen. Dies unter den Titel „Die Schöpfung bewahren" zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stellen ist das Bedauerliche, und es führt mit zu Die von der SPD geforderte Beratungsstelle für Politikverdrossenheit. Ich habe versucht, das völlig private Träger wird vom BMZ seit 1988 finanziert. Die unpolemisch zu machen. Ich gebe auch zu Ihren Beratungsstelle ist heute voll leistungsfähig und Gunsten zu, daß die Koalitionsfraktionen erfrischend erfüllt ihre Aufgaben bei der Beseitigung administra- ehrlich sind, und dazu zitiere ich aus dem Protokoll des tiver Schwierigkeiten. Die 1989 in Kraft getretenen Umweltausschusses: Förderrichtlinien brachten hier bereits spürbare Der Ansicht der Fraktion der SPD, der Antrag Erleichterungen und wesentlich mehr Flexibilität. erreiche die mit seinem Anspruch gesetzten Ziele Weitere Vereinfachungen werden von uns ange- nicht und werde den Diskussionen über die strebt. Der von der SPD vorgesehene Aufsichtsrat für Empfehlungen der Enquete-Kommission Klima- diese Beratungsstelle birgt die Gefahr, zu einem schutz oder über die Konsequenzen der auf der Wirrwarr an Verantwortlichkeiten zu führen. Die UNCED gefaßten Beschlüsse nicht gerecht, ent- Erfahrung zeigt, daß die Schaffung neuer Instanzen gegneten die Koalitionsfraktionen mit der Pro- nur selten geeignet ist, die Effizienz der Zusammen- gnose, es seien in nächster Zeit weitere Anträge, arbeit mit den Entwicklungsländern zu steigern. auch solche der Fraktion der SPD, zu der Gesamt- (Beifall bei der CDU/CSU) problematik zu erwarten. Es sei daher nicht Der Antrag der SPD fordert auch, die Mittel für die erforderlich, den Antrag ... zu überarbeiten. Förderung von privaten Trägern drastisch auf zustok- Dies erspart mir jeden weiteren Kommentar. Ich kann ken. Dazu muß gesagt werden: Das Wachstum der sagen, indem ich die Harmoniedebatte fortführe, daß Mittel zur Förderung privater Träger überstieg im Sie mit einer Enthaltung seitens unserer Fraktion zu Zeitraum 1982 bis 1993 prozentual das Wachstum des diesen Punkten, gegen die man natürlich gar nicht Einzelplanes 23 deutlich. In absoluten Zahlen ausge- sein kann, die sich aber überhaupt nicht mit dem drückt, stieg der Titel im genannten Zeitraum von Anspruch decken, den Sie selbst formuliert haben, gut 17 Millionen auf 32 Millionen DM. bedient sind. Seien wir jedoch auch vorsichtig! Eine zu große Abhängigkeit vom Staatssäckel könnte den privaten Trägern genau das nehmen, was ihre Flexibilität ja Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Kübler, gerade ausmacht: ihre Autonomie. Institutionelle För- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Pin- derung und NRO-Status schließen einander einfach ger? aus. Es kann nicht das Ziel sein, aus privaten Trägern quasistaatliche Organisationen zu machen. Deshalb lehnt die CDU diesen Antrag ab. Dr. Klaus Kübler (SPD): Ja, gern. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Kollege, Sie haben gesagt, daß Sie unpolemisch an die Sache Vizepräsidentin Renate Schmidt: Jetzt spricht unser herangehen wollen. Ich gehe davon aus, daß Sie den Kollege Klaus Kübler. Antrag gelesen haben und mit uns der Meinung sind, daß Entwicklungszusammenarbeit auch konkret sein Dr. Klaus Kübler (SPD): Frau Präsidentin! Meine soll. Würden Sie mir zugestehen, daß der Antrag den Damen und Herren! Uns liegt ein Antrag der Koali- Akzent hat, die Nichtregierungsorganisationen in tionsfraktionen mit einem vielversprechenden Titel verstärktem Maße einzubeziehen, und daß dies bisher Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11345

Dr. Winfried Pinger noch nicht in dem erforderlichen Maße geschehen ster Kinkel ist jetzt leider nicht mehr hier; Entschuldi- ist? gung, Herr Staatsminister Schäfer ist ja hier —; aber (Brigitte Adler [SPD]: Das ist doch ein Einge- ich könnte an einer Reihe von sehr gravierenden ständnis, prima!) Beispielen aus dem letzten halben Jahr hier belegen, daß tatsächlich leider das Gegenteil der Fall ist. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch Dr. Klaus Kübler (SPD): Herr Pinger, ich stimme mit folgendes sagen: Ich führe die Verantwortung bei Ihnen doch völlig überein. Es hätte dazu eigentlich diesen Fragen nicht immer nur auf europäische oder lediglich eines Briefes Ihrer Fraktion bzw. Ihres Frak- auf japanische oder auf US-Regierungen zurück; auch tionsvorsitzenden an den zuständigen Minister die sogenannten Eliten in vielen Ländern sind für uns bedurft. Ich komme nachher noch dazu, warum ich die ein großes Problem. Vielleicht können wir — Herr Erfüllung Ihres eigenen Anspruchs „Schöpfung Schäfer kennt meine Meinung dazu — mit diesen bewahren" für zu dünn halte. Sie werden es dann sogenannten Eliten das eine oder andere einmal merken und damit vielleicht die Antwort auf das wesentlich deutlicher besprechen. Auch dies gehört bekommen, was Sie auf dem Umweg über die Zwi- zur Außenpolitik, zur Umweltpolitik, zur Entwick- schenfrage jetzt herausfragen wollten. lungspolitik. Lassen Sie mich jetzt sagen, was in einem solchen (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Das sind meist klep Antrag zum Ausdruck gebracht werden müßte. Wenn tokratische, diktatorische Eliten!) wir eine Enquete-Kommission haben, wenn wir uns auf die größte Klimakatastrophe berufen, wenn Sie Ich habe auch den von Umweltminister Töpfer als sich in diesem Antrag auf UNCED berufen, dann muß Mitglied dieses Bundeskabinetts vor etwa einem Jahr ich dazu folgendes sagen. Bei der Frage nach den geprägten Satz vermißt, daß vom industrialisierten Ursachen für die Umweltzerstörung in der Dritten Norden die Umweltzerstörung, die Klimakatastro- phen am meisten ausgehen. Werner Schuster hat dies Welt — dies möchte ich mit allem Nachdruck sagen — - verweisen Sie allein auf das Bevölkerungswachstum. schon gesagt. Ich brauche das jetzt nicht mit Zahlen zu Ich sage: Dies ist Folge und nicht Ursache der sozialen wiederholen. Situation. Ich glaube, das ist ein ganz entscheidender Ich möchte daraus zwei Konsequenzen ziehen: Punkt. (Beifall bei der SPD) Der Treibhauseffekt ist, wenn es um 1 Grad wärmer wird, in Deutschland einigermaßen beherrschbar Kein Wort fällt in diesem Antrag oder in den — wenn ich das auch nicht verharmlosen will —, aber Erläuterungen dazu zu den Faktoren „Verschuldung er ist nicht mehr beherrschbar in Afrika, oder er hat der Länder der Dritten Welt" , „Termes of Trade". Kein ganz andere Auswirkungen in Afrika oder in Bangla- Wort fällt dazu! — Ich spreche hier immer noch zu dem desh oder in Grönland. Dies muß man wissen. Stichwort „Schöpfung bewahren". — Es steht kein Wort darin von Überrüstung oder von Bürgerkrieg. Es Die zweite Folgerung, die ich daraus ziehen möchte, steht kein Wort darin — ich sage dies einfach einmal, ist die: Wir sprechen immer so intensiv — die SPD um es auch öffentlich zu machen — zu der Frage fordert das, die CDU macht dies zum Teil auch — von Waffenexporte. der Entschuldung dieser Länder. Vielleicht wäre Meine Kollegin Becker-Inglau hat das Beispiel wirklich einmal zu überlegen, ob der Schuldenerlaß, Somalia genannt. Ich nehme nur einmal dieses Bei- der immer so etwas Gnadenhaftes an sich hat, nicht in spiel: Erst waren da russische Waffen, dann amerika- der Tat ein Ausgleich ist für die Schäden, für die. nische Waffen. Jetzt holen die Amerikaner sowohl die Belastungen, die aus den Industrienationen kom- russischen als auch die amerikanischen Waffen men. — Gott sei Dank — dort weg. — Dies kann in einem (Beifall bei der SPD) solchen von der Formulierung her eigentlich sehr Damit würde man in eine ganz andere, in eine hoffnungsvollen Antrag doch wohl nicht außen vor gleichberechtigte, partnerschaftliche Debatte auch bleiben, wenn wir hier wirklich ernsthaft über mit den Ländern der Dritten Welt kommen. Umweltpolitik und Entwicklungspolitik diskutieren. Lassen Sie mich noch eines sagen. Hier sitzen ja die Der zweite Punkt: Es muß doch mit aller Deutlich- beiden Staatssekretäre Kolb und Laufs. — Nein, Herr keit auf die politischen Konditionen der Umweltzer- Kolb sitzt jetzt nicht mehr da; bis vor kurzem saß er störung — ich ergänze immer: und der Entwicklung noch da. eines Landes — hingewiesen werden. Lassen Sie mich hier sagen: Nur in Demokratien gibt es eine Chance (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Der ist schon weg!) für eine echte Umweltpolitik und damit auch Entwick- — Er ist schon weg. Das wird er hoffentlich bedauern. lungspolitik. Mindestens zwei Drittel der Staaten sind — Eine der Kernfragen für Umwelt und Entwicklung jedoch kaum als Demokratien zu bezeichnen, und bei ist die: Wie ernst machen wir als große Industrienation den Ländern des Südens liegt der Prozentsatz noch mit der Reduzierung der CO2 - Emissionen? viel höher. (Brigitte Adler [SPD]: Sehr richtig!) Folgerung: Wir müssen noch viel massiver als bisher Demokratisierungsbewegungen, Menschenrechtssi- Da gibt es eine Aussage von Herrn Kolb vom Montag tuationen, Minoritätenprobleme im postiven Sinne dieser Woche und eine Aussage auch von Ihnen, Herr betreiben bzw. lösen, und zwar nicht nur dadurch, daß Laufs — ich glaube, vom Dienstag dieser Woche oder wir heute hier darüber sprechen. Im Verbalen sind wir vom Freitag letzter Woche —, sowie eine Aussage von vielleicht fast alle einer Meinung — Herr Außenmini- Herrn Töpfer; ganz unterschiedliche Aussagen. Wenn 11346 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Klaus Kübler wir wirklich ernsthaft Entwicklungspolitik betreiben führt werden. Hier ist mit Behutsamkeit vorzugehen, wollen, im vernünftigen Sinne über Umweltpolitik, damit überhaupt etwas erreicht wird. dann muß die Bundesregierung wenigstens ihre (Beifall bei der F.D.P.) eigene Verpflichtung, die sie hierzu eingegangen ist, Wenn wir ernsthaft fordern wollten — dies zu sagen erfüllen. erfordert die Ehrlichkeit —, daß entwicklungspoliti- (Beifall bei der SPD) sche Projekte nur noch dann mit deutschen Mitteln Ich hätte gern auch hier eine klare Antwort. Aber ich finanziert werden dürften, wenn damit automatisch will hier nicht eine Wiederholung der Debatte von die deutschen Umweltstandards Geltung erlangten, gestern: innerhalb der Bundesregierung unterschied- so wäre ein solches Vorgehen, wie ich fürchte, im liche Meinungen. Ergebnis kontraproduktiv. Dadurch würde nämlich Wenn man es einmal an diesen fünf oder sechs verhindert, daß in der entwicklungspolitischen Punkten mißt, dann glaube ich, daß Ihr Antrag — ich Zusammenarbeit behutsam und langsam auf die Ent- darf es wiederholen — mit unserer Enthaltung wirk- wicklung umweltschonenderer und ökologisch ver- lich gut bedient ist. Auch diesen Punkten stimmen wir, träglicherer Wege hingewirkt werden kann. wenn wir uns der Stimme enthalten, insofern zu. (Abg. Dr. Uwe Holtz [SPD] meldet sich zu Da hier auch viele Mitglieder der Enquete-Kommis- einer Zwischenfrage) sion anwesend sind — Herr Paziorek ist gerade — Bitte. hinausgegangen —, möchte ich mit der Bemerkung schließen, daß dieser Antrag der Bundestagsfraktio- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie dürfen Ihren nen der CDU/CSU und der F.D.P. nicht ein Zeichen Satz schon noch zu Ende bringen. Ich hätte Sie dann dafür sein sollte, wie wir in Zukunft Umweltpolitik schon gefragt. — Also, bitte, Herr Kollege Holtz. unter dem Aspekt auch der Entwicklungspolitik als Folgerung aus den Empfehlungen der Enquete-Kom- mission Klimaschutz und als Folgerung, als Follow-up Dr. Uwe Holtz (SPD): Danke schön, Frau Präsiden- des Rio-Gipfels betreiben. Dies wäre einganz bedau- tin, und danke, Herr Kollege Zurheide. — Meinen Sie erliches Zeichen. nach dem von Ihnen zuletzt Gesagten nicht trotzdem, daß wir dann, wenn z. B. über die entwicklungspoliti- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. sche Zusammenarbeit Kohlekraftwerke gefördert (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/- werden, darauf achten sollten, daß das keine Dreck- DIE GRÜNEN) schleudern sind?

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Burkhard Zurheide (F.D.P.): Herr Kollege Holtz, da spricht der Kollege Burkhard Zurheide. stimme ich mit Ihnen völlig überein. Ich sagte ja: Das Ziel muß natürlich sein, auch in den Entwicklungslän- dern europäische oder deutsche Umweltstandards Burkhard Zurheide (F.D.P.): Frau Präsidentin! einzuhalten. Nur, wir sollten nicht so tun, als könnten Meine Damen und Herren! Im Zentrum des für viele wir das schon morgen erreichen. Dies braucht eine Entwicklungsländer bestehenden tödlichen Kreis- gewisse Zeit. Für eine gewisse Zeit müssen wir uns laufs, der sich aus vorhandener Armut, Unterentwick- auch mit Zwischenlösungen zufriedengeben, wobei lung, Bevölkerungswachstum, Umweltzerstörung natürlich gravierende Umweltfolgen — das ist über- und daraus folgender noch schärferer Armut zusam- haupt keine Frage — nicht eintreten dürfen. mensetzt, steht häufig die Umweltzerstörung. Die Ein weiterer Schwerpunkt unserer zukünftigen Ent- Überwindung dieses Kreislaufs, was vielleicht schon wicklungspolitik muß und wird die Demokratieförde- durch das Herausbrechen eines einzelnen Bestand- rung sein. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts teils möglich ist, ist und bleibt das Ziel der Entwick- beginnt sich weltweit die Erkenntnis durchzusetzen, lungspolitik dieser Regierungskoalition. daß die Schaffung demokratischer Strukturen unab- Wichtig ist dabei die Erkenntnis, daß unsere eige- dingbare Voraussetzung auch für eine prosperierende nen Entwicklungsstandards, die Entwicklungsstan- Volkswirtschaft ist. Dabei kommt es gar nicht so dards der Staaten des industrialisierten Nordens, nicht entscheidend darauf an, ob ein Land der Dritten Welt die allein maßgeblichen sein können. Die Besonder- die Westminster-Demokratie oder die Bonner Demo- heiten der Entwicklungsländer und ihre Interessen kratie einführt. müssen verstanden und respektiert werden. (Dr. Klaus Kübler [SPD]: Aber nicht die Die Bundesregierung hat daraus schon vor langem mauretanische!) die Konsequenz gezogen, Projekte der Entwicklungs- — Selbstverständlich nicht, Herr Kübler; da sind wir zusammenarbeit vor Durchführung auf ihre Umwelt- ausnahmsweise einer Meinung. — Entscheidend ist, verträglichkeit hin zu überprüfen. Trotzdem wird es daß ein politisches System existiert, in dem jeder auch in der Zukunft immer wieder mit deutschen Bürger grundsätzlich am politischen Entscheidungs- Mitteln finanzierte entwicklungspolitische Projekte prozeß teilnehmen kann, in dem das Recht und keine geben, die Veranlassung geben werden, darüber Willkür herrscht und in dem die Menschenrechte nicht nachzudenken, inwieweit ökologische Gesichts- nur verbrieft, sondern auch in der Realität gewährt punkte vernachlässigt wurden. werden. Nur vor einem sollten wir uns hüten: Wir sollten Durch viele Entwicklungsländer ist in den vergan- nicht so tun, als könnten deutsche Umweltstandards genen Jahren der Wind der Demokratie geweht. In von heute auf morgen in Entwicklungsländern einge- einer Vielzahl von Ländern haben sich demokratische Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11347

Burkhard Zurheide Strukturen etablieren können. In vielen Ländern hat gewillt sind, die Marktwirtschaft in vollem Umfang es auch Rückschläge gegeben. Auch hier gilt die durchzusetzen. Dieser etwas alberne, aber symptoma- Erkenntnis, daß das Ende des Ost-West-Konflikts kein tische Bananenstreit in der Europäischen Gemein- Zeitalter des ewigen Friedens eingeleitet hat und daß schaft hat ja gezeigt, wohin Protektionismus führt und der Ost-West-Konflikt nicht allein verantwortlich für daß er zu Lasten der Entwicklungsländer geht. das Entstehen von Diktaturen oder Willkürherrschaf- ten gewesen ist. Allein die Öffnung unserer Märkte könnte Entwick- lungshilfe ersetzen. Durch die Öffnung unserer Ich kann nur hoffen, daß sich diese Erkenntnis auch Märkte könnten die Entwicklungsländer viel mehr in Kuba durchsetzen wird. Leider gibt es aber noch Geld in ihre Kassen bekommen, als wir ihnen durch immer viel zu wenige Anhaltspunkte dafür, daß die unsere Mittel, derzeit 8 Milliarden, geben können, kubanischen Machthaber ernsthaft einen Demokrati- wenn auf der anderen Seite nicht 100 Milliarden im sierungsprozeß einleiten wollen. Man muß den Ein- Jahr dadurch verlorengingen, daß wir protektionisti- druck gewinnen, daß Kuba in einer gewissen Trotz- sche Handlungen begehen. Also liegt es auch an uns stellung verharrt in der Annahme, man könne die Idee selbst. des Kommunismus in Kuba überwintern lassen, bis wieder bessere Zeiten kommen. Dies allerdings ist ein Es geht aber nicht um die Schaffung einer gerechten schrecklicher Irrtum. Weltwirtschaftsordnung, wie heute morgen gesagt worden ist. Eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Richtig!) was immer dies sein mag, kann nicht verordnet Wenn der Kommunismus jemals einen wirklichen werden; sie muß sich ergeben. Sie kann sich nur ideologischen Überbau gehabt hat und nicht immer daraus ergeben, daß der Westen selber mit gutem schon nichts anderes als eine Unterart eines totalitä- Beispiel vorangeht. ren Systems gewesen ist, dann gilt dies für Kuba in ganz besonderer Weise. Ich habe Verständnis dafür, Noch immer gibt es einige Begriffe, die die Vermu- daß sich die Situation in Kuba nur langsam ändert. tung nahelegen, daß noch nicht vollständig begriffen Aber ich habe kein Verständnis dafür, daß sie sich worden ist, daß das Geheimnis für die Prosperität auch überhaupt nicht ändert. von Entwicklungsländern in privatwirtschaftlichen Strukturen liegt. Es wird noch von kapitalistischer (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Richtig!) Schlagseite, die irgendwo vorhanden sein soll, oder Auf der anderen Seite sollte auch der Westen ein auch von einer gerechten Weltwirtschaftsordnung, Zeichen setzen. Wir vergäben uns wirklich nichts, die endlich eingeführt werden sollte, geredet. glaube ich, wenn wir deutlich machten, daß bei Meine Damen und Herren, die Nichtregierungsor- Erfüllung bestimmter Bedingungen und bei sichtba- ganisationen, die auch am heutigen Vormittag in der ren Veränderungen in Kuba das Wirtschaftsembargo Debatte eine Rolle gespielt haben, leisten einen ganz gelockert würde. wichtigen Beitrag für die Entwicklungspolitik. Aber (Beifall des Abg. Uwe Holtz [SPD]) — darüber darf zwischen uns kein Zweifel beste- hen —: Auch die Nichtregierungsorganisationen sind, Dies entspricht im übrigen auch unserer Forderung, wenn sie öffentliche Mittel in Anspruch nehmen, in daß die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer die deutsche Entwicklungspolitik eingebunden. belohnt werden sollen. (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Eine Castroika ist Heute morgen ist der F.D.P. vorgehalten worden, in nötig!) ihrem Parteiprogramm oder wo auch immer stehe, die Nichtregierungsorganisationen sollten selber keine — Eine Castroika, so ist es; vielleicht sogar etwas Politik machen, sondern bei der Demokratisierung mehr. helfen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist kein Vorwurf. Bei dem was die Kollegin Fischer gesagt hat, die Das ist genau das, was wir möchten. Wir möchten eben nicht mehr hier sein kann, sträuben sich mir in der Tat nicht, daß Nichtregierungsorganisationen quasi Poli- die Nackenhaare. Wenn sie sagt, die USA verhinder- tik in Entwicklungsländern machen. Wenn es sich um ten in Kuba die Selbstbestimmung des Volkes, dann Organisationen handelt, die Demokratieförderung ist das in der Tat — vorsichtig ausgedrückt — eine betreiben, sollen sie eben tatsächlich beim Aufbau der ganz grobe Verkennung der Tatsachen. Ich kann mich Demokratie helfen. nicht daran erinnern, daß der amerikanische Präsi- Meine Damen und Herren, es wurde auch gesagt, dent darum gebeten hat, in Kuba keine Wahlen wir dürften uns nicht an militärischen Aktionen der durchzuführen. Wenn dort keine Demokratie stattfin- internationalen Staatengemeinschaft bei Konflikten det, dann liegt dies ganz allein an den kubanischen in Ländern der Dritten Welt beteiligen, damit Kriege Machthabern und nicht an den USA. nicht wieder führbar gemacht werden. — Ja, in der Meine Damen und Herren, wenn wir im Westen und Tat: Dies ist eine Gefahr. In der gegenwärtigen wenn die nördlichen Geberländer die Einführung von Umbruchsituation treten in dieser Welt Konflikte, Marktwirtschaft verlangen, dann sollten wir aller- kriegerische Konflikte auf, aus nationalen, aus ethni- dings mit gutem Beispiel vorangehen. Nicht immer ist schen, aus sonstigen Anlässen, aus welchen Gründen es so, daß der Westen nichtprotektionistisch und auch immer. Solche Kriege müssen verhindert wer- marktwirtschaftlich handelt. Am heutigen Morgen ist den. Wenn die Kraft dazu nicht ausreicht, müssen schon mehrmals darüber gesprochen worden: Die solche Kriege ausgetreten werden. Wenn wir dies Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft ist alles nicht täten — umgekehrt wird also ein Schuh dar- andere als ein Zeichen dafür, daß auch wir in Europa aus —, wenn wir diese Kriege nicht auszutreten 11348 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Burkhard Zurheide mithülfen, dann würden Kriege wieder führbar, auf sam! Darin steht, wo überall Worte und Taten ausein- lange Sicht und auf mittlere Sicht. anderklaffen. (Beifall des Abg. Joachim Hörster [CDU/- Ich will nur ein Beispiel nennen. Sie selbst sagen CSU]) immer wieder, Grundbildung sei wesentlich für die Nur die internationale Staatengemeinschaft ist Entwicklungsländer. Wir stimmen da überein. Aber: berufen, solche Kriege zu beenden, Aggressionen und Der Zuwachs im Soll/Ist-Vergleich 1990 war 0 %, und staatlichen Terror zu beenden. Wir in Deutschland der Zuwachs 1991 war 0,9 %. Bedarf es noch eines haben keine Nische mehr, in die wir uns zurückziehen weiteren Beweises, um zu zeigen, wie Worte und könnten, um von dort aus dem Treiben auf unserer Taten auseinanderklaffen? Welt zuschauen zu können. Auch von uns wird (Beifall bei der SPD) verlangt, daß wir uns nicht darauf beschränken, gute Ratschläge zu geben und zu sagen, was alles hätte Ich sage Ihnen jetzt sehr persönlich: Ich hätte mir besser gemacht werden können, wenn man vor vielen gewünscht, Herr Kollege — Sie sind ja auch Kol- Jahrzehnten anders gehandelt hätte. Nein, wir sind lege —, Herr Minister, wenn Sie diese böse Äußerung aufgefordert, heute, jetzt zu handeln. über die Seuchen hier und heute offiziell zurückge- nommen hätten. Das, was Sie da gesagt haben, war (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht gut. Man kann über dieses Thema sehr sachlich Wenn wir denn schon immer von der einen Welt miteinander diskutieren. Aber so darf man es nicht sprechen, dann sollten wir dies nicht als bloße Formel, machen. Ich würde Ihnen empfehlen: Werden Sie sondern umfassend verstehen. Dann sind wir nämlich bitte im Kabinett tätig! Denn wenn ich an die Äuße- auch mit verantwortlich für das, was in Somalia, in rungen von Schwarz-Schilling und von Würzbach Angola, in Kambodscha oder in Bosnien geschieht. denke, dann halte ich das größte Seuchenproblem im Wenn man die eine Welt ernst nimmt, dann kann man gegenwärtigen Bundeskabinett für gegeben. Da ist sich nicht aussuchen, für was man verantwortlich sein- Seuchengefahr. möchte. (Heiterkeit bei der SPD — Beifall des Abg. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Dr. R. Werner Schuster [SPD]) In dieser einen Welt sind wir eben auch für die Werden Sie da tätig! unappetitlichen, dunklen und unangenehmen Seiten mit verantwortlich, die diese Welt leider noch immer Die zweite Bemerkung. Zum Außenminister. Herr zu bieten hat. Minister Kinkel ist leider nicht mehr hier, aber die Frau Staatsministerin wird das sicherlich noch über- Vorbeugung ist wichtig. Aber wenn sie nicht hilft, mitteln. muß eben eingegriffen werden. Niemand ist kriegslü- stern, auch Deutschland selbstverständlich nicht. (Staatsministerin Ursula Seiler-Albring: Was Deutschland soll auch nicht allein handeln können, heißt „noch"?) sondern nur in der internationalen Gemeinschaft. — Ich weiß es nicht. Das wissen Sie besser als ich. Der Beschluß, den die Koalition der Opposition gestern vorgelegt hat, ist, glaube ich, ein guter, ein (Staatsministerin Ursula Seiler-Albring: richtiger Schritt auf diesem Wege. Eben!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich bin da noch etwas unbedarft. Ich bitte, es zu übermitteln. Ich lege großen Wert darauf. Wirkungsvoll kann der deutsche Beitrag für die Zukunft dieser einen Welt nur erbracht werden, wenn Ein Ostpreuße hätte nach der Rede des Außenmi- ein breiter politischer Konsens besteht. Verantwor- nisters gesagt: „Scheene Rede, aber wat nu?" tung für die eine Welt heißt mithin, Hilfe, die man Ich habe mich über eine Aussage gefreut, Frau leisten kann, nicht zu verweigern. Staatsministerin. Er hat gesagt: Die deutsche Außen- Vielen Dank. politik wird Afrika in Zukunft größere Bedeutung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zumessen als bisher. Nun, auch hier Worte und Taten: Ich bitte, dann im Auswärtigen Amt die Bedeutung der Afrikaabteilung endlich aufzuwerten. Nun spricht unser Vizepräsidentin Renate Schmidt: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kollege Hans-Günther Toetemeyer. DIE GRÜNEN sowie des Abg. Joachim Graf von Schönburg-Glauchau [CDU/CSU] — Dr. Hans-Günther Toetemeyer (SPD): Frau Präsidentin! R. Werner Schuster [SPD]: Und die Botschaf Liebe verbliebenen Kolleginnen und Kollegen! Ich ten!) möchte zum Schluß für meine Fraktion die Debatte in Die dritte Bemerkung. Zu Angola: Wir stimmen ja fünf Punkten zusammenfassen und einige Bemerkun- hier überein. Wir sind völlig einer Meinung, daß es gen zu den Reden machen, die von Mitgliedern der unmöglich ist, ein Wahlergebnis, das wirklich korrekt, Regierung und der Regierungsparteien gehalten wor- demokratisch zustande gekommen ist — und wir den sind. waren ja dort, Frau Kollegin —, nicht zu akzeptieren, Erster Punkt. Herr Minister Spranger, Sie haben sondern zu sagen: Ich akzeptiere das nicht; ich greife hier gesagt, Worte und Taten stimmten überein; es sei zu den Waffen. Ich würde das genauso konsequent in falsch, was wir sagten. Ich empfehle Ihnen: Lesen Sie Kenia sagen, wenn diejenigen, die dort jetzt unterle- das Protokoll der Sitzung des Ausschusses für wirt- gen sind, sagen würden: Jetzt greifen wir zu den schaftliche Zusammenarbeit von gestern aufmerk- Waffen. Dies kann keine Methode sein. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11349

Hans-Günther Toetemeyer Ich nenne hier keine Namen; aber wer in der Wonneberger: Was will denn ein Verhandlungsführer Vergangenheit auch aus unserem Hause dem eines Entwicklungslandes machen, wenn eine Ver- Savimbi mit treuen Augen begegnet ist und ihn handlung beginnt? Soll er dann dem, von dem er unterstützt hat, etwas Neues haben will, sagen: Ich greife dich (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Er ist doch zunächst einmal an!? — Das ist doch wohl kaum immer von der CDU/CSU unterstützt wor- vorstellbar. Das Zitat eines Verhandlungsführers den!) eines Entwicklungslandes bringt uns also nicht wei- ter. der soll sich heute nicht wundern, daß er damals einen (Michael Wonneberger [CDU/CSU]: Riesenfehler gemacht hat. September 1992!) (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Ja!) — Ja, ja, Sie haben es ja zitiert. Ich wollte nur sagen, Wir Sozialdemokraten haben immer darauf hingewie- unter welchem Aspekt. Ich bleibe dabei und wieder- sen: Dies ist gefährlich; unterstützt diesen Mann nicht! hole im Plenum des Deutschen Bundestags das, was — Es war schlimm genug, daß die USA ihn unterstützt wir im März 1989 gemeinsam wollten: Schnelle Hilfe! haben. Die Waffen, die er jetzt hat, sind Waffen der Darum geht es. Das ist vom BMZ nicht exekutiert USA, und er hat 50 000 Landminen Ihres Kollegen worden. Ich stehe mit dieser Meinung ja nicht Eppelmann, die der noch in seiner Funktion als allein. Verteidigungsminister nach Angola geliefert hat. (Dr. Uwe Holtz [SPD]: So ist es!) Der Auswärtige Ausschuß — das sind Leute, Frau (Zurufe von der SPD: Hört! Hört! — Dr. Ingo- Staatsministerin, die unter außenpolitischen Gesichts- mar Hauchler [SPD]: Das ist ein Skandal! — punkten urteilen, und das ist ein ganz wichtiger Joachim Hörster [CDU/CSU]: Ach du meine Faktor — hat gesagt: Wir schließen uns im Grundsatz Güte! — Michael Wonneberger [CDU/CSU]: dieser Meinung an. Darunter waren auch Ihre Außen- Alte Verträge!) - politiker. — Ich sage nur — das kann ja keiner bestreiten —: Wir Deswegen sage ich je tzt hier — und das ist der sollten vorsichtiger sein beim Umgang mit Politikern formale Änderungsantrag meiner Fraktion, Frau Prä- aus Entwicklungsländern. Bei Savimbi ist dieses Ver- sidentin —: Auf der Seite 4 der Drucksache 12/3866 ist halten ein Fehler gewesen. Ich wiederhole das. das Votum des Auswärtigen Ausschusses abgedruckt. Mosambik: Wir sollten dankbar sein, daß sich in Wir machen uns dieses Votum als formalen Ände- Mosambik jetzt eine demokratische Entwicklung rungsantrag zu eigen. Wir bitten, zunächst darüber abzeichnet. Das hat noch sehr viel länger als in Angola abstimmen zu lassen, weil das mit Sicherheit der gedauert. Aber, Frau Staatsministerin, das würde weitergehende Antrag ist. Das also als Änderungsan- bedeuten, daß wir in diesem Punkt dem Antrag vom trag meiner Fraktion in Übernahme des Votums des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zustimmen. Ich glaube, Auswärtigen Ausschusses. Ich halte die Zustimmung darüber müssen wir diskutieren. Nicht alles kann man zu diesem Antrag aus außenpolitischen Gründen für so akzeptieren; aber in diesem Punkt sollte man außerordentlich wichtig. zustimmen. Einer der Kollegen hat das ja heute sehr (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ deutlich gesagt: Nicht wieder wie in Angola zu spät DIE GRÜNEN) mit der Hilfe zur Demokratie einsetzen — Sie haben es gesagt, Herr Kollege Graf Waldburg-Zeil —, eher morgen, und zwar ganz massiv! Die Mittel dafür Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der stehen im Haushalt zur Verfügung. Das sollten wir Kollege Joachim Graf von Schönburg-Glauchau. tun, damit wir nicht eines Tages in Mosambik das gleiche erleben: Weil wir nicht rechtzeitig geholfen haben, greift der Verlierer der Wahl wieder zu den Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ Waffen. CSU): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle- gen! Bei wohl tradtionell gefülltem Haus habe ich (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wieder ein paar Schlußbemerkungen, ein paar Sie hätten sich gewundert, wenn ich nichts zu Anmerkungen vor allem zu Somalia zu machen, die Namibia gesagt hätte. Herr Kollege Wonneberger, bei vielleicht die Dinge nicht ändern werden, aber es doch aller persönlichen Wertschätzung: Es wäre ja schön, wert sind, einmal ausgesprochen zu werden. wenn das stimmte, was das BMZ Ihnen da aufge- Als erstes möchte ich aber die verehrte Kollegin schrieben hat. herzlich einladen, bei einer Tasse Kaffee mit mir über (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt Somalia zu reden. Ich habe bemerkt, daß Sie an aber!) diesem Land sehr interessiert sind. Hier können wir das jetzt nicht in allen Details besprechen. Auch das — Es stimmt eben leider nicht. Buch von Michels hat noch nicht alle Aspekte erfaßt. (Michael Wonneberger [CDU/CSU]: Dar- Es ist zum Teil faszinierend und zum Teil ganz anders, über haben wir im November im Ausschuß als die Dinge dort gelaufen sind. beraten!) Eine Bemerkung hat mir gut gefallen: Vor zweiein Ich will die ganze Diskussion im Ausschuß hier nicht halb Jahren wäre ein guter Moment für eine Über- wiederholen und sage nur zum Kernpunkt: Ich räume nahme der Vormundschaft der UNO über Somalia gern ein, Herr Minister, daß es da in der organisatori- gewesen. Nur, die Welt war damals noch nicht so weit, schen Struktur — ich denke an die Planungskommis- die UNO war noch nicht so weit, niemand war so weit. sion Namibias — Probleme gibt. Nur, Herr Kollege Vor zweieinhalb Jahren — lassen Sie sich das von 11350 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Joachim Graf von Schönburg-Glauchau außenpolitisch erfahrenen Kollegen sagen — hätte Wer das formuliert hat, hat von Somalia keine sich leider Gottes jeder lächerlich gemacht, der das Ahnung. ernsthaft gefordert hätte. Damals war leider Gottes (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU der Popanz der absoluten Selbstbestimmung oder der sowie des Abg. Konrad Weiß [Berlin] [BÜND Nichteinmischung der UNO in innere Angelegenhei- NIS 90/DIE GRÜNEN]) ten noch viel stärker als heute. Die Wirklichkeit dort schaut anders aus. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Was jetzt ganz besonders erschreckend ist, ist das, Das hat unendlich viel Blut und Schmerzen gebracht. was uns als Entwicklungspolitiker angeht, nämlich, Wir kommen erst langsam darüber hinweg. Wir kom- wie es weitergeht. Da sind die ersten Ansätze tatsäch- men jetzt darüber hinweg, aber noch sehr unvorberei- lich katastrophal. tet. Die UNO bringt dort tatsächlich nichts fertig, als die Als es noch nirgendwo anders gesagt wurde, haben Bandenführer und Räuberhäuptlinge aufzuwerten. wir hier gesagt: Wenn wir in Somalia ein Stück Brot (Zuruf von der SPD: Sehr richtig!) geben wollen, müssen wir leider mit der anderen Viele von uns haben echte, gute Freunde unter den Hand einen Knüppel schwingen. Das ist gräßlich, das Somaliern. ist grotesk; aber wir wissen mittlerweile alle, die Welt (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Dann weiß jetzt, daß es notwendig ist. Nur, es ist nicht darf man einen Kriegsverbrecher nicht vorgeplant, es ist nicht durchdacht, was da behandeln wie einen Staatsmann!) geschieht. — Sie haben völlig recht. Das heißt, wir müssen uns Niemand, der sich auskennt, ist furchtbar glücklich, mindestens beim nächsten Mal überlegen, wie m an so daß ausgerechnet die amerikanischen Berufsmilitärs etwas machen kann. Vielleicht läßt sich ja noch etwas mit ihrer — keinem Menschen einen Vorwurf! -- nicht reparieren. gerade sprichtwörtlichen Feinfühligkeit dort einmar- - Es gibt in Somalia z. B. die Stammesältesten und die schieren mußten. Schwamm drüber! Diese Berufsmi- Sandonas, also die Heiligen, die wichtigen Männer, litärs sind ja nicht dazu ausgebildet, das zu tun, was sie die eine große Rolle spielen. Die kann man in so einem in Somalia tun müßten. Sie sind ausgebildet, eine Fall zusammenholen, aber doch nicht die Bandenfüh- Anhöhe, eine Brücke zu erobern, oder was immer man rer. Jetzt haben sie die Bandenführer nach Addis beim Militär lernt. Aber in Somalia dreht es sich Abeba geschafft, um sie dort behandeln zu lassen. darum, daß die Jungen, die 14-, 15-, 16jährigen, ihre Kalaschnikows, oder was es ist, unter einem Dorn- (Rudolf Bindig [SPD]: Und da wollen wir busch versteckt haben. einfach mitmachen bei der ganzen Aktion!) Wir Deutschen haben erstens die Weisheit auch (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: So ist nicht sofort und jeder mit dem Löffel gefressen, und es!) zweitens wartet die Welt nicht auf unsere Unterstüt- Wenn da ein amerikanischer Panzer vorbeirollt, juckt zung; aber wir sollten uns tatsächlich bemühen, in sie das nicht, da ändert sich nichts. diese Richtung tätig zu werden. Wir sollten diejeni- gen, die sich in diesen Ländern auskennen, heranho- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Aber woher len. haben sie denn die Kalaschnikows?) Wir sollten jetzt auch schon überlegen: Wie kann Es wird immer gesagt, die Soldaten sollten doch die man dann Somalia aufbauen? Bestimmt nicht als Waffen einsammeln. Darauf antworten sie, sie seien Zentralstaat. Womit wir erst einmal helfen sollten, nicht deswegen hingekommen, sie seien eine Armee wäre, sie irgendwie in ihren Stämmen und Siedlungs- und keine Gendarmen. Also da gibt es noch dicke gebieten dazu zu bringen — im Land sind es mehr die Probleme. Stämme, an der Küste sind es mehr die Stadtkonglo- Ich nenne sie nicht, um irgend jemandem einen merationen —, etwa Urwahlen abzuhalten, damit ihre Vorwurf zu machen, sondern ich nenne sie, weil es ja Urvertreter dann etwas Gemeinsames aufbauen, aber leider nicht der letzte Fall sein wird, weil diese Dinge um Gottes willen nicht gleich das ganze Land als auf uns zukommen zentralistischen Staat und dann auch noch mit den Bandenführern und Kriegsverbrechern. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und weil wir die Dinge gedanklich vorarbeiten müs- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gestatten Sie eine sen. Das muß geplant, das muß durchdacht werden. Zwischenfrage, Graf Schönburg-Glauchau, von Graf Es gibt ja Menschen, die sich in diesen Ländern Waldburg-Zeil? auskennen. Es gibt senior experts — heute sollen ausländische Worte nicht gebraucht werden —, es gibt Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/ alte oder ehemalige Experten, die sich in einem Land CSU): Ich könnte mir vorstellen, daß sie sogar wertvoll gut auskennen. Es ist erschreckend, wenn man sieht, ist. mit wie „profunder" Kenntnis nicht nur bei der UNO, sondern auch bei uns selber hier geplant wird. Das ist keine Beschmutzung des eigenen Nests. Aber wenn Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Lieber ich höre, daß man plant, die Bundeswehr nur in Kollege! Gehe ich bei der Erörterung des Problems der ausgesprochen beruhigten Gebieten, wo nichts pas- Stämme richtig davon aus, daß es ein Fehler ist, das sieren kann, in Somalia einzusetzen, muß ich sagen: Wort Tribalismus abwertend ständig so zu gebrau- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11351

Alois Graf von Waldburg-Zeil chen, als ob die Stammeskultur etwas wäre, was die letzten Beitrag tut, denke ich, ein Akzent aus einer Einheit zerstört? Ist es nicht umgekehrt so, daß wir als ganz anderen Ecke wieder ganz gut. Europäer durch das Zerschneiden dieser Stammes- Ich habe so meine Bedenken, ob Begriffe wie wirklichkeit mit Bleistiftgrenzen viel von dem Tribalismus und die Vorstellungswelt, die da hinter geschaffen haben, steht, geeignet sein können, um für die Probleme, mit (Zurufe von der SPD) denen wir es in Afrika zu tun haben, wirklich Lösun- was heute als Krise vorhanden ist? gen vorzusehen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Aber zum Thema: Der gute Wille zum Helfen, zur der SPD) Hilfe für den Süden des Planeten — das zeigt die Debatte hier und heute, und das ist das Positive — ist Joachim Graf von Schönburg-Glauchau (CDU/- vorhanden, zumindest den Worten nach; das ist ja CSU): Das ist zu 100 % richtig. Ich meine, nachdem wir schon etwas. Die Taten reden jedoch eine andere als Europäer das verbockt haben, müßten wir als Sprache. Die reiche Bundesrepublik, das reiche Deutsche, als Föderalisten, als Menschen, die Sachsen Deutschland erfüllt im Gegensatz zu Norwegen, im und Schwaben und Bayern sind, Missionare des Gegensatz zu den Niederlanden, im Gegensatz zu Tribalismus sein und wir müßten sagen: Das ist die Frankreich noch nicht einmal die UN-Norm für Ent- Struktur, auf der man aufbauen kann. wicklungshilfe von 0,7 % des Bruttosozialprodukts. (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- Mein Antrag, vor etwa einem Jahr gestellt, 17,5 % NIS 90/DIE GRÜNEN — Heiterkeit und Bei- des Rüstungsetats dem Umweltschutz und insbeson- fall bei der SPD) dere der Entwicklungshilfe zu widmen, als Gruppen- Aber wir sind tatsächlich mit in diese internationale antrag gedacht, ist hier im Hause leider versickert. Falle gegangen und haben uns — ich nicht — am Aber wir werden darauf zurückkommen. In diesem Verurteilen des Tribalismus beteiligt. Doch leider ist Jahr geht die deutsche Entwicklungshilfe sogar auf es nicht Aufgabe unserer Botschafter gewesen, bei 0,35 % des Bruttosozialprodukts zurück — 0,35 %! jeder Gelegenheit zu sagen: Auch wir Deutsche sind (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: 0,32 %!) tribalistisch; wir haben unseren Staat tribalistisch aufgebaut. Ich wünschte mir, Frau Staatsministerin, Obwohl sich die Verschuldung der Länder der daß unsere Botschafter die Aufgabe bekommen, so Dritten Welt allein von 1982 bis heute noch einmal fast etwas in der Welt zu verbreiten. Wir sind Tribalisten, verdoppelt hat, gibt es kein Zeichen der Bereitschaft, und wir wissen, warum, aus gutem Grund. diese Schulden zu streichen — weder hier noch bei unseren reichen europäischen Nachbarn und schon (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der gar nicht in der Triade Europa, USA, Japan. Aber SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN selbst eine Erhöhung der Entwicklungshilfe des rei- sowie bei der F.D.P. — Hans-Günther Toete- chen Nordens auf die UN-Norm von 0,7 % des Brutto- meyer [SPD]: Wir stellen fest: Gräfliche Ü ber sozialprodukts — so führt z. B. Alain Lipietz von den -einstimmung!) französischen GRÜNEN aus — erbrächte nur jährlich Nur um eines bitte ich. Wenn wir hier übereinstim- 110 Milliarden Dollar. Nötig wären jedoch nach men, sollten wir nicht die Vergangenheit bewältigen, Berechnungen der UNCTAD jährlich mindestens sondern in die Zukunft schauen. Es kommt leider — es 125 Milliarden Dollar, um das vielberufene „sustai- wird gar nicht lange dauern — hier die Aktuelle nable development" , die nachhaltige Entwicklung, Stunde, in der wir über ein anderes afrikanisches Land des Südens zu erreichen, zu ermöglichen. Das zeigt mit ganz analogen Problemen reden müssen. Da aber auch, wie weit wir noch vor einer Lösung dieses wünschte ich mir, daß blue prints — er ist nicht mehr Teils der weltweiten ökologischen Krise in den Taten da, der Klein — entfernt sind. (Heiterkeit) Vergessen wird in dieser Debatte aber vor allem, gemacht sind, damit wir nicht mehr blindlings darüber daß wir den Süden dieses Planeten und die Menschen sprechen, sondern daß die Dinge, die wir tatsächlich in dieses Südens an die Sklavenkette unseres auf Expan- solchen Fällen brauchen, rechtzeitig geschaffen sion und damit auf weitere Umweltzerstörung orien- sind. tierten und darauf beruhenden Wirtschaftssystems Für die Somalier kann ich nur eines wünschen. Man gelegt haben. Dieses ökonomische System, in dem begrüßt sich dort so wie wir mit „Grüß Gott" oder Reichtum den Druck zu noch mehr Reichtumsproduk- „Guten Tag" mit „Nowod mia?", und die Antwort ist tion hier bei uns hervorbringt, fesselt den Süden, raubt „Nowod wei". „Nowod mia?" heißt: Ist Frieden? Die die Völker der Dritten Welt — dessen, was auch Antwort „Nowod wei" heißt: Es ist Frieden. Ich fortschrittliche Ökologen etwas willkürlich als „Dritte wünschte mir, daß dieses Land wieder wirklich ehrlich Welt" bezeichnen — aus, zerstört die Natur hier bei sagen kann: „Nowod wei". uns und im Süden des Planeten. (Beifall im ganzen Hause) Solange wir nicht bereit sind, dieses ökonomische System so zu ändern, so zu ergänzen, so zu korrigie- ren, daß den Menschen in der Dritten Welt eine eigene Nun hat der Kol- Vizepräsidentin Renate Schmidt: und selbstbestimmte nachhaltige Entwicklung mög- lege Dr. Ulrich Briefs das Wort. lich wird, bleiben alle Worte hier im Hause über „Hilfe zur Selbsthilfe" und über die „Bekämpfung der Ursa- Dr. Ulrich Briefs (fraktionslos): Frau Präsidentin! chen für die weltweite Fluchtbewegung" Worte, Meine Damen und Herren! Gerade nach diesem denen nicht die notwendigen Tagen folgen. Wir 11352 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Ulrich Briefs müssen lernen, daß wesentliche Ursachen für die Die Antwort muß die Entwicklung und Produktion weltweite Fluchtbewegung und für die esklalierende angepaßter Technologien sein, die bei uns mit nied- Natur- und Umweltzerstörung in der Dritten Welt hier riger oder mittlerer Kapitalintensität produziert wer- bei uns, in unserer Wirtschafts- und Produktionsweise den und die in den Ländern der Dritten Welt unauf- liegen. Insbesondere der Wettlauf um die Spitzenpro- wendig installiert werden können. Die Antwort muß duktion in der weiteren industriellen Aufrüstung mit der Verzicht auf die Deckung von Teilen der wach- High-Tech-Systemen, mit Spitzentechnologiesyste- senden Fixkosten hier bei uns sein, wenn wir in die men in der Triade Europa, USA, Japan treibt die Dritte Dritte Welt liefern. Die Antwort muß vielleicht so Welt zwangsläufig immer weiter in die ökonomische etwas wie eine Politische Mischkalkulation sein, nach Abhängigkeit und in den Zwang, ihre natürlichen der wir Exporte in der Triade z. B. stärker belasten, um Ressourcen und Reichttümer noch wirksamer zu plün- Exporte in die Dritte Welt zu entlasten. Die Antwort dern. Sie müssen nämlich immer mehr von ihrem muß eine Forschungs- und Technologiepolitik sein, natürlichen Reichtum und ihrer Arbeitsproduktivität gerade auch in der EG, die nicht den Wettlauf um die hingeben, damit wir unsere High-tech-, High-speed-, technologische und industrielle Spitzenstellung in der High-performance-Wirtschaft, unsere auf Hochtech- Welt zum Ziel hat, sondern die unser Know-how so nologien, Spitzentechnologien, auf hohen und weiter organisiert, daß sie den lokalen und regionalen Bedin- höher werdenden Geschwindigkeiten, auf immer gungen der Dritten Welt angepaßte Lösungen bereit- weiter vorangetriebenen hohen Leistungsgraden be- stellt. Die Antwort darf nicht eine Entwicklungshilfe ruhende Wirtschaft zu noch abenteuerlicheren Spit- sein, die sich wesentlicht als Exportförderung für zenleistungen hochputschen können. Um im erbar- unsere hochpotente und mit reichlichen Überkapazi- mungslosen Konkurrenzkampf gegen die Triade, täten versehene hochmoderne Industriewirtschaft gegen die hochentwickelte Welt überleben zu kön- versteht. nen, müssen die Länder der Dritten Welt unsere Das Wort von der notwendigen Umkehr — hier High-tech-Produkte, insbesondere unsere High-tech- heute mehrfach zu hören, insofern ist das gut — zur Investitionsgüter kaufen und immer teurer bezahlen. Lösung der Krise des Planeten ist bitter ernst. Umkeh- Diese High-tech-Investitionsgüter aber werden hier ren müssen aber vor allem wir hier. bei uns wegen der neuen Technologien mit weiterhin Ich danke Ihnen. stark steigenden Fixkosten für unsere modernen Fabriken nämlich, für unsere Transportsysteme usw. hergestellt. In den Investitionsgüterindustrien in Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält noch Deutschland be trug der Anteil der Fixkosten in den einmal der Kollege Hauchler zur Begründung von 70er Jahren 39 %, heute liegt er bei nahezu 50 %. Das zwei Änderungsanträgen kurz das Wort. beleuchtet schlagartig dieses Problem. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Frau Präsidentin! Mit dem Einsatz von immer mehr Spitzentechnolo- Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion bean- gien in immer moderneren Fabriken hier bei uns tragt, daß über ihre Anträge zu den Tagesordnungs- müssen wegen der rasant steigenden Kapitalintensi- punkten 5 f — es handelt sich um den Antrag zu tät eben immer höhere — jetzt einmal ökonomisches Nichtregierungsorganisationen — und 5 g, Bekämp- Einmaleins — Abschreibungen, Zinsen, Wagnisse fung von Fluchtursachen, getrennt abgestimmt wird, usw. kalkuliert werden und in der Folge von den und zwar vor den Abstimmungen über die Beschluß- Ländern der Dritten Welt auf den internationalen empfehlungen zu diesen beiden Punkten. Märkten bezahlt werden. Das ist ein wichtiger, wenn Ich will das ganz kurz begründen. Meine Damen auch nicht der ausschließliche Teil dieser harten und Herren, wir haben, glaube ich, eine gute und Wahrheit. Das heißt aber in der Konseqenz: Selbst große entwicklungspolitische Debatte geführt. Wir wenn irgendwann einmal die Schuldenstreichung haben in dieser Debatte auch erneut erfahren, daß in durchgesetzt wird — wir alle wissen, daß das noch in vielen Punkten die Opposition, also die SPD-Fraktion, den Sternen steht — und selbst wenn es gelingen auch mit Positionen der CDU und umgekehrt überein- sollte, die Terms of Trade gerecht zu gestalten, was stimmt. Das gilt insbesondere sicher für das folgende immer das sein mag, müssen die Länder der Dritten Anliegen: Wir brauchen mehr Akzeptanz für Entwick- Welt in den Preisen unserer High-tech-Produkte lungspolitik, Nord-Süd-Fragen, globale Fragen in erneut riesige und weiter wachsende Zinsen auf unser der Bevölkerung. Das hat damit zu tun, Menschen an modernes und mit neuen Technologien weiter wach- der Basis der Gesellschaft zu aktivieren, und das hat sendes und weiter moderner werdendes industrielles mit Nichtregierungsorganisationen und ihrer Unter- und sonstiges Anlagevermögen zahlen. stützung zu tun. Da hoffen wir sehr, daß Sie im Lauf der Debatte vielleicht doch sehen, daß unser Antrag Allein durch das unkontrollierte Wirken der Welt- hierfür eine wichtige Basis bietet. Wir möchten also an marktverhältnisse und unsere Technologieverliebt- Ihre Lernfähigkeit appellieren, sich doch in dieser heit würde der arme Süden nach einer Schuldenstrei- Debatte überlegt zu haben, daß es sinnvoll wäre, chung in wenigen Jahren wieder in eine Verschul- unseren Antrag durch das Parlament beschließen zu dungskrise hineingetrieben. Es ist also unser Wirt- lassen. schaftssystem hier, unsere Produktionslogik, unser Das gleiche gilt für den Antrag — Herr Minister, ich gelegentlich geradezu naiver Glaube an das Heil spreche Sie da besonders an — „Bekämpfung von durch neue moderne Technologien, die verhindern, Fluchtursachen". Ich hoffe doch, daß Sie sehen, daß daß wir wirklich in allen wesentlichen Ursachen gerade unser Antrag Ihre Anliegen, die Sie hier ansetzen. vorgetragen haben, sehr stark unterstützt. Da ich nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11353

Dr. Ingomar Hauchler denke, daß Ihre Worte heiße Luft bleiben sollen, da ich enthaltungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung denke, daß auch Sie unter der Situation leiden, daß Sie bei vielen Stimmenthaltungen angenommen. sich in der Regierung nicht damit durchsetzen kön- nen, die Mittel für Entwicklungspolitik zu erhöhen, Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 5 d. Dabei statt sie abzusenken, sollten auch Sie unseren Antrag handelt es sich um die Beschlußempfehlung des zur Bekämpfung der Fluchtursachen unterstützen. Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Ausga- Gerade der Entwicklungsminister sollte der Bekämp- ben im Haushaltsjahr 1992 zur Förderung von Ernäh- fung von Fluchtursachen das Gewicht geben und sich rungssicherungsprogrammen in Entwicklungslän- nicht als Entwicklungsminister hauptsächlich zur dern. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Abschreckung von Asylbewerbern betätigen. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenom- (Beifall bei der SPD) men. Also ein Appell an Sie, sich das noch einmal zu Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5 e: überlegen. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaft- Ich denke, es wäre auch ein Zeichen für die Lern- liche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktionen fähigkeit, für die Kultur des Parlaments, daß es mög- der CDU/CSU und F.D.P. zur Nutzung entwicklungs- lich wäre, nach einer großen Debatte von vier Stunden politischer Chancen in Umbruchsituationen in Afrika zu sagen: Gut, wir haben etwas gelernt, wir sind in und zu dem Antrag der Fraktion der SPD zur Unter- diesem Parlament zwischen den Fraktionen vielleicht stützung des Friedensprozesses in Angola auf den aufeinander zugegangen, und wir ändern unsere Drucksachen 12/1814, 12/2211 und 12/3681. Wer Meinung. stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Die Gegen- Deshalb der Appell: Stimmen Sie bitte getrennt ab probe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist diese über unsere Anträge zu Nichtregierungsorganisatio- Beschlußempfehlung bei wenigen Stimmenthaltun- nen, Tagesordnungspunkt 5 f, und Fluchtursachen, gen ebenfalls einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 5 g. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5 f. Machen Sie mit, damit wir in diesen beiden wichti- Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des gen Fragen weiterkommen! Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu Vielen Dank. dem Antrag der Fraktion der SPD zur Förderung von Nichtregierungsorganisationen auf der Drucksache (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/- 12/3714. Dazu ist eben vom Kollegen Hauchler der DIE GRÜNEN) Antrag gestellt worden, den Antrag in der von der SPD-Fraktion eingebrachten Fassung anzunehmen. Wer stimmt für diesen Antrag der SPD-Fraktion? — Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Damit ist dungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die dieser Antrag abgelehnt. Aussprache. Dann lasse ich über die Beschlußempfehlung des Wir kommen nun zu den Abstimmungen, und zwar Ausschusses, die die Ablehnung dieses Antrags zum zuerst zu Tagesordnungspunkt 5 a. Der Ältestenrat Inhalt hat, nicht noch einmal gesondert abstimmen, schlägt die Überweisung des Antrags der Fraktion der sondern über die Beschlußempfehlung. Wer stimmt SPD zur dauerhaften Ernährungssicherung in Afrika für diese Beschlußempfehlung in diesem Punkt? — auf Drucksache 12/3645 an die in der Tagesordnung Gegenstimmen? — Stimmenthaltungen? — Damit ist aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit einver- diese Beschlußempfehlung zu diesem Punkt so ange- standen? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung nommen. so beschlossen. Zum Tagesordnungspunkt 5 b. Dabei handelt es Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 5 g. sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Bericht der Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu Bundesregierung über die Armutsbekämpfung in der dem Antrag der Fraktion der SPD zur Bekämpfung Dritten Welt durch Hilfe zur Selbsthilfe auf den von Fluchtursachen und zu dem Antrag der Fraktion Drucksachen 12/924 und 12/3574. Wer stimmt für der CDU/CSU und der Fraktion der F.D.P. zu entwick- diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — lungspolitischen Maßnahmen zur Minderung der Stimmenthaltungen? — Damit ist dieser Antrag bei Asyl- und Flüchtlingsprobleme auf der Drucksache wenigen Stimmenthaltungen angenommen. 12/3761. Dazu hat die Fraktion der SPD durch den Kollegen Hauchler soeben ebenfalls beantragt, ihren Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 5 c. Antrag in der mit der Drucksache 12/1824 einge- Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des brachten Fassung anzunehmen. Wer stimmt für die- Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- sen Antrag der SPD-Fraktion? — Gegenstimmen? — cherheit zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU Enthaltungen? — Damit ist dieser Antrag abge- und der F.D.P. mit dem Titel „Die Schöpfung bewah- lehnt. ren, privates Engagement fördern, die Umsetzung von Umweltmaßnahmen in Entwicklungsländern be- Ich lasse nun über die Beschlußempfehlung in der schleunigen" auf der Drucksache 12/3583. Der Aus- unveränderten Fassung abstimmen. Wer stimmt für schuß empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 12/2715 diese Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — unverändert anzunehmen. Wer stimmt für diese Stimmenthaltungen? — Damit ist die Beschlußemp- Beschlußempfehlung? — Gegenstimmen? — Stimm- fehlung in der unveränderten Form angenommen. 11354 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit anderweitige Vorschläge? — Dies ist nicht der Fall. empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfeh- Dann sind die Überweisungen so beschlossen. lung weiterhin, den Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und der F.D.P. auf der Drucksache 12/2726 in der Ich komme zum Tagesordnungspunkt 2: Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Fragestunde Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- — Drucksache 12/4079 — haltungen? — Die Beschlußempfehlung, über die wir Wir kommen als erstes zum Geschäftsbereich des jetzt übrigens zweimal abgestimmt haben, ist damit Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. angenommen. Darf ich die Kollegen, die jetzt den Saal verlassen Nun zu Tagesordnungspunkt 5h: Beschlußempfeh- wollen, weil sie nicht an der Fragestunde beteiligt lung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammen- sind, bitten, das möglichst schnell zu tun, weil die arbeit zu den Anträgen der Fraktion der SPD und der anderen Kollegen schon mehr als eine Viertelstunde Gruppe PDS/Linke Liste zu Kuba auf Drucksache auf die Fragestunde warten. — Ich bedanke mich. 12/3778. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Ich bedanke mich ebenfalls bei Herrn Staatsmini- Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1855 in der ster Bernd Schmidbauer, der zur Beantwortung zur Ausschußfassung anzunehmen. Wer stimmt für diese Verfügung steht, und rufe als erstes die Frage 5 des Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Stimment- Kollegen Ortwin Lowack auf: haltungen? — Die Beschlußempfehlung ist damit bei Was sind die Ursachen für das völlige Versagen des Bundes- wenigen Gegenstimmen angenommen. nachrichtendienstes bei der Beschaffung von Informationen Der Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit über die wirtschaftliche und politische Entwicklung der früheren DDR, ein Versagen, das dazu geführt hat, daß die Bundesregie- empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlußempfeh- rung von der Entwicklung zur deutschen Einheit und der lung weiterhin, den Antrag der Gruppe PDS/Linke Haltung der Menschen in den neuen Bundesländern „völlig Liste auf Drucksache 12/2683 abzulehnen. Wer überrascht" wurde? stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen-- probe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußemp- Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- fehlung ist damit angenommen. kanzler: Herr Kollege Lowack, der Ausgangspunkt Ihrer Frage, was das Versagen des BND anbelangt, Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 5i: trifft nicht zu. Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaft- liche Zusammenarbeit zu dem Antrag der Fraktion der Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr SPD zu einer umfassenden Hilfe beim Aufbau eines Kollege. unabhängigen Namibia auf Drucksache 12/3866. Dazu hat die Fraktion der SPD durch den Kollegen Ortwin Lowack (fraktionslos): Sehr verehrter Herr Toetemeyer soeben beantragt, den Antrag in der vom Kollege, wie erklären Sie sich dann, daß der Bundes- Auswärtigen Ausschuß aktualisierten Fassung anzu- kanzler in zahllosen Redebeiträgen und Regierungs- nehmen. Wer stimmt für diesen Antrag? — Gegen- erklärungen immer wieder darauf hingewiesen hat, probe! — daß man in höchster Regierungsspitze nicht über die (Zuruf von der SPD: Gegen den Auswärtigen wahren Zustände in der früheren DDR informiert Ausschuß!) gewesen sei und deshalb möglicherweise falsche politische Entscheidungen getroffen habe? Enthaltungen? — Der Antrag ist damit abgelehnt. Wer stimmt dann für die Beschlußempfehlung in der Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, unveränderten Fassung? — Gegenprobe! — Enthal- der BND hat laufend und insgesamt zutreffend über tungen? — Damit ist die Beschlußempfehlung in der die wirtschaftliche und politische Entwicklung in der unveränderten Fassung angenommen. früheren DDR berichtet. Abgesehen davon gehörte es seit den Volkskammerwahlen im März 1990 nicht Nun zum Tagesordnungspunkt 5j. Dabei handelt es mehr zu seinen Aufgaben, die wirtschaftlichen und sich um die Beschlußempfehlung des Ausschusses für politischen Verhältnisse in der DDR nachrichten- wirtschaftliche Zusammenarbeit zu dem Antrag der dienstlich aufzuklären. Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Erzbergbau Auf Ihre Zusatzfrage will ich aber gern eingehen: am Ok Tedi in Papua-Neuguinea auf der Drucksache , 12/3883. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Die Entwicklung vom Niedergang des SED-Regi- mes zur deutschen Einheit vollzog sich im übrigen, Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache wie Sie wissen, in einer Geschwindigkeit, die alle 12/2462 in der Ausschußfassung anzunehmen. Wer anfänglichen Vorstellungen von einer möglichen stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Gegen- schrittweisen Erreichung dieses Ziels, das lange Zeit probe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung unerreichbar erschien, überrollte. Insofern war diese ist damit angenommen. Entwicklung in der Tat überraschend — Sie zitieren Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunk- das ja auch —, auch wenn die Bundesregierung ten 5k und 1. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die letztlich selbst einen entscheidenden Anteil an diesem Anträge der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Vorgang hatte. Vor diesem Hintergrund wäre es, so Schuldenerlaß für Mosambik und zur Ratifizierung denke ich, eine naive Betrachtung, aus der Perspek- des Übereinkommens über eingeborene Völker in tive nachträglicher Besserwisserei zu behaupten, die unabhängigen Ländern auf den Drucksachen 12/4003 Bundesregierung hätte auf der Basis der BND und 12/3824 an die in der Tagesordnung genannten Erkenntnisse über die DDR-Entwicklung unter dem Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu eventuell SED-Regime schon alle Probleme vorhersehen kön- Deutscher Bundestaa — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11355

Staatsminister Bernd Schmidbauer nen, die sich aus dem Einigungsprozeß in der Gegen- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege wart ergeben haben. Lowack, auf ihre zweite Frage: Die Bundesregierung hat keinen Nachweis dafür, daß die DDR seit 1983 Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zweite Zusatz- mehr oder weniger willkürliche Verhaftungen zu frage, Herr Kollege. dem Zweck vorgenommen hätte, um über den Häft- lingsfreikauf erhebliche Deviseneinnahmen für das Ortwin Lowack (fraktionslos): Herr Kollege, gehen DDR-Regime zu erwirtschaften. Festnahmen und Ver- Sie nicht von der völlig falschen These aus, daß sich urteilungen aus politischen Gründen waren system- die Entwicklung der DDR innerhalb kürzester Zeit im immanent. Sie gehörten zum Erscheinungsbild der Hinblick auf ein bankrottes System vollzogen hätte, DDR. Die Bundesregierung verfügte auf Grund der und hat hier nicht — wenn ich einmal unterstellen Gewährung anwaltlichen Rechtsschutzes und der darf, was Sie gerade gesagt haben: daß der BND das Erkenntnisse aus den Häftlingsfreikäufen stets über Bundeskanzleramt immer rechtzeitig und umfassend Informationen zu einer erheblichen Anzahl politisch informiert hat — im Bundeskanzleramt offenbar eine bedingter Verhaftungen und Verurteilungen sowie Fehleinschätzung und ein Nichtberücksichtigen statt- über die angezogenen Straftatbestände. gefunden? Aus diesen Erkenntnissen und der Beobachtung der Entwicklung in der DDR, wo immer mehr Menschen Bernd Schmidbauer, Staatsminster: Herr Kollege, die Verhältnisse dieses Staates nicht mehr ertragen ich will erstens festhalten: Der BND hat insgesamt wollten, sondern in den Westen strebten, und die zutreffend berichtet, zeitnahe berichtet zu einer Zeit, Staatsführung letztlich vergeblich versuchte, gegen- als wir eine sehr statische Betrachtung hatten und als zusteuern, lassen sich Ihre Annahmen und anschlie- es nicht diese Dynamik gab. Ab diesem Zeitpunkt ßenden Schlußfolgerungen nicht belegen. 1990, wo es nicht mehr Aufgabe des BND war, hat sich Ich will Ihnen aber gerne etwas zur Entwicklung ja diese Dynamik, von der auch Sie sprechen, heraus- - dieser Zahlen hinzufügen: Die Bundesregierung regi- gestellt. Aber man kann nicht — wie in Ihrer Frage strierte von 1983 bis 1989 folgende Festnahmezahlen, angezogen — behaupten, daß die Berichterstattung hauptsächlich im Zusammenhang mit Ausreisebemü- nicht zutreffend war. Ich glaube — ich sage das noch hungen und versuchter Flucht, nämlich 1983 etwa einmal —, daß insgesamt während dieser Zeit der 1 725 bis 1989 mit 3 528 aus diesen Straftatbeständen. Beobachtung die Informationen jeweils allen Regie- Diese Zahlen spiegeln auch das Bemühen der DDR rungen zu jedem Zeitpunkt zugegangen sind und Führung wider, die einsetzende Massenbewegung in diese Informationen über die politische und wirt- Richtung Bundesrepublik Deutschland in den Griff zu schaftliche Entwicklung der ehemaligen DDR insge- bekommen — „das ab 1984 durch die Erteilung von samt durchaus zutreffend waren, was sicherlich nicht Ausreisegenehmigungen in bisher nicht dagewese- für alle Meldungen gilt. Das will ich Ihnen auch gern nen Größenordnungen, aber auch durch Verhaftun- konzedieren. gen und Verurteilungen".

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Kol- Frage vom Kollegen Klejdzinski. lege Lowack.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Staatsmini- Ortwin Lowack (fraktionslos): Lieber Kollege, ster, Sie haben inhaltlich gesagt: „zu dem Zeitpunkt, warum haben Sie eigentlich die Zahlen für 1982, als als der BND nicht mehr zuständig war". Welche sich die Zahl der politischen Häftlinge noch im Bereich Zuständigkeitsordnung hatte sich denn da verändert von unter 300 befunden hat, ausgespart, und wie gehabt? erklärt sich denn die Bundesregierung, daß die Ver- urteilungen auf einmal zwar herabgesetzt wurden, Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Klej- aber immer eine Höhe erreicht haben, bei der die dzinski, Sie wissen ja, daß ab 1990, ab dem Zeitpunkt Bundesregierung gesagt hat, man würde, weil die der Volkskammerwahl, die Bundesregierung davon Freiheitsstrafe bei über einem Jahr liegt, den Häftling abgesehen hat, die in den vergangenen Jahrzehnten freikaufen. übliche Beobachtung aufrechtzuerhalten, und diese Beobachtung eingestellt hat. Auch hier hat sich natür- Bernd Schmidbauer, Staatsminister: Herr Kollege, lich erst nachträglich die rechtliche Situation verän- ich habe die Zahlen nicht bewußt weggelassen, son- dert. Trotzdem wurde zum damaligen Zeitpunkt die dern ich habe über die Regierungsverantwortung in übliche Beobachtung der DDR eingestellt. dem Zeitraum von 1983 bis 1989 berichtet. Das verändert aber das Bild insgesamt nicht. Ich will Ihnen (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Also Ein- jedoch auf Ihre Frage gern antworten, daß auch der stellung bezeichnen Sie als Änderung der Umstand, daß die Bundesregierung mit einer weitge- Zuständigkeit!) hend willkürlichen Verhaftungspraxis der DDR und mit der wirtschaftlichen Vermarktung von Häftlingen Weitere Zusatz- Vizepräsidentin Renate Schmidt: im Wege des Häftlingsfreikaufs rechnen mußte, die fragen liegen nicht vor. Bundesregierung nicht daran hindern konnte und Damit kommen wir zur Frage 6 des Kollegen durfte — das hat sie auch nicht daran gehindert —, die Lowack: von ihr verfolgten humanitären Zwecke mit Zahlun- Seit wann war der Bundesregierung bekannt, daß die DDR seit gen an das DDR-Regime zu erreichen. 1983 mehr oder weniger willkürliche Verhaftungen vornahm, um über den Häftlingsfreikauf erhebliche Deviseneinnahmen Ich weiß, Herr Kollege — aus diesem Grund stellen für das DDR-Regime zu erwirtschaften? Sie ja die Frage —: Auch wenn das so war, auch wenn 11356 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Staatsminister Bernd Schmidbauer wir diesen enormen Anstieg an Verhaftungen — will- behandelt worden sind. Ich denke, es ist ein vernünf- kürlichen Verhaftungen, wie Sie formulieren — regi- tiger Usus, diese Räumlichkeiten dann, wenn sie nach strieren konnten und auch wenn sie wußte, daß sich den Richtlinien des Rechnungshofes benutzt werden, damit die wirtschaftliche Situation nicht verschlech- wie Sie es in diesem Falle nachvollziehen können, zur tert, konnte das die Bundesregierung nicht daran Verfügung zu stellen. hindern, entsprechende Geldleistungen aus humani- tären Gründen zu leisten. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zweite Zusatz- frage des Kollegen Gansel. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine zweite Zusatzfrage. Norbert Gansel (SPD): Also wohlgemerkt: Ich frage nicht nach dem Petersberg, sondern nach dem Gäste- Ortwin Lowack (fraktionslos): Ich erspare mir eine haus des Auswärtigen Amtes auf dem Venusberg, das zweite Frage. Danke. vom Auswärtigen Amt bewirtschaftet wird. Deshalb Vizepräsidentin Renate Schmidt: Damit sind wir am frage ich: Steht diese besondere Räumlichkeit allen Ende dieses Geschäftsbereichs angekommen — noch Parteien und allen ihren Gremien zur Verfügung oder einmal herzlichen Dank, Herr Staatsminister — und nur bestimmten Parteien und darin wieder nur kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesmini- bestimmten Gremien? Sieht die Bundesregierung sters des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Frau nicht die Problematik, die sich daraus ergeben kann? Staatsministerin Ursula Seiler-Albring zur Verfü- Ist es nicht, wenn sich bestimmte Usancen ergeben gung. haben, sinnvoll, Problembewußtsein zu entwickeln und sie zu verändern? Wir kommen zur Frage 23 des Kollegen Norbert Gansel: Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Wie bewertet die Bundesregierung, daß die turnusmäßige lege Gansel, ich verwies ja schon vorhin darauf, daß Tagung des F.D.P.-Parteipräsidiums am Sonntag, dem 3. Januar auch die Sozialdemokratische Partei diese Räumlich- 1993, im Gästehaus des Auswärtigen Amtes auf dem Venusberg stattgefunden hat, und zu welchen Bedingungen stellt die keiten in Anspruch genommen hat, wie ich dem Bundesregierung Parteien ihre Räumlichkeiten für Tagungen Bericht des Rechnungshofes entnehme, eben diesen zur Verfügung? Richtlinien. Ich muß darauf hinweisen, daß diese Räumlichkeiten auf dem Venusberg u. a. auch dem Staatsministerin im Auswärti- Ursula Seiler-Albring, Personalrat des Auswärtigen Amtes für Veranstaltun- gen Amt: Vielen Dank, Frau Präsidentin. — Herr Kollege Gansel, im gen zur Verfügung stehen. Man wird im Einzelfall Gästehaus des Auswärtigen sicherlich prüfen können, ob diese Räumlichkeiten, Amtes haben in der Vergangenheit unter allen Bun- desregierungen auch die auch als Dienstwohnung des Bundesaußenmini- Zusammenkünfte von Partei- sters, nachdem das offizielle Gästehaus der Bundesre- gremien stattgefunden. Für solche Veranstaltungen gierung der Petersberg geworden ist, dienen, auch für wird nach Richtlinien des Bundesrechnungshofes der andere Zwecke zur Verfügung gestellt werden kön- Partei ein Nutzungsgeld in Rechnung gestellt. So war nen, natürlich immer nach den Kriterien des Bundes- es auch im angegebenen Fall. rechnungshofes. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage des Kollegen Gansel. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Jäger. Norbert Gansel (SPD): Ich habe nicht danach gefragt, ob es schon immer so war. Eine Unsitte wird ja Claus Jäger (CDU/CSU): Frau Staatsminister, dadurch nicht zur Sitte, daß sie weiterbetrieben wird. gehört es nicht zu den Grundsätzen eines sparsamen Deshalb frage ich, ob Sie die Einschätzung der „Zeit" Umgangs mit öffentlichen Geldern, daß öffentliche vom 8. Januar dieses Jahres teilen, die es — ich Räume dieser Art in Zeiten, in denen sie leer stehen, so zitiere — „als eine schon niemanden mehr erregende sinnvoll wie möglich genutzt werden, d. h auch durch Tatsache" bezeichnete, „daß sich das F.D.P.-Präsi- politische Parteien, wenn sie gerade diese Räumlich- dium ausgerechnet, um den Stab über den Strauchler keiten für eine Tagung brauchen können? Möllemann zu brechen, selbstverständlich im Gäste- haus des Außenministers trifft, als gehöre die Tren- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Sicher, diese Meinung, Herr Kollege Jäger, hat ja auch die nung von Partei und Staat in die Mottenkiste politi- SPD geteilt. scher Sittlichkeit" . Sehen Sie die Problematik? (Norbert Gansel [SPD]: Sie haben noch Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- immer nicht kapiert, worum es geht!) lege Gansel, diese Veranstaltung ist nach klar vorlie- genden und eingehaltenen Richtlinien des unabhän- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun kommen wir gigen Rechnungshofes abgelaufen. Die Bewertung zur nächsten Frage, nachdem mir keine Zusatzfragen obliegt der „Zeit". Wir können z. B. darauf verweisen, mehr vorliegen, nämlich zur Frage 24 des Kollegen Herr Kollege Gansel — ich stelle Ihnen diese Liste zur Horst Kubatschka: Verfügung —, daß in den Jahren 1975 und 1976 eine Treffen Pressemeldungen zu, wonach die türkische Regierung Vielzahl von Parteiveranstaltungen der Sozialdemo- der muslimischen Seite in Aserbaidschan auch sowjetische kratischen Partei an eben diesem Orte stattgefunden Rüstungsgüter aus dem Bestand der früheren Nationalen Volks- armee der DDR geliefert hat, und was wird die Bundesregierung haben. dagegen unternehmen? (Claus Jäger [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Norbert Gansel [SPD]: Danach habe ich Es ist im Moment sicherlich nicht nachzuvollziehen, doch gar nicht gefragt! Man kann doch auch welche Themen anläßlich dieser Tagungen dort klüger werden!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11357

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Entschuldi- rial an die Türkei und dann an Aserbaidschan geliefert gung, Frau Präsidentin, ich war noch mit dem Kolle- worden ist. gen Gansel beschäftigt. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Kübler, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frage 24 des Kol- bitte. legen Kubatschka. Sie haben das Wort zur Beantwor- tung. Dr. Klaus Kübler (SPD): Ich habe nur eine ganz kurze Zusatzfrage. Nachdem Bundesaußenminister Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Danke. — Kinkel die Freigabe der von Herrn Genscher damals Herr Kollege, der Bundesregierung sind keine Hin- gesperrten 25 Millionen DM erreicht hat und dann weise bekannt, daß die Türkei von Deutschland auch wieder weitere militärische Güter geliefert wor- erhaltene Waffen der ehemaligen NVA nach Aser- den sind, frage ich: Ist eine Vereinbarung getroffen baidschan geliefert oder die Lieferung von Waffen worden, daß es gewisse Kontrollmechanismen über zugelassen hat. Wie Sie wissen, steht in dem deutsch- die Verwendung innerhalb der Türkei für diese Waf- türkischen Abkommen über NATO-Verteidigungs- fen gibt? Falls es einen solchen Kontrollmechanismus hilfe, Materialhilfe sowie Rüstungssonderhilfe, daß — in welcher Form auch immer — gibt, so hätte ich die Türkei verpflichtet ist, dritten Personen, die nicht gern gewußt: Wäre das ein Fall, wo man ihn prakti- im Dienste ihrer Regierung stehen, und dritten Staa- zieren müßte? ten nicht ohne vorherige Zustimmung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland den Besitz oder die Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Wenn es so Nutzung an den Vertragsgegenständen oder diesen wäre, könnte man sich einer solchen Klausel bedie- das Eigentum hieran zu übertragen. nen. Herr Kollege Kübler, mir ist der genaue Text im Moment nicht geläufig. Ich werde ihn Ihnen gerne Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr zusenden. Kollege. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Horst Kubatschka (SPD): Hat die Bundesregierung, fragen liegen nicht vor. nachdem diese Pressemeldung jetzt aufgetaucht ist, Wir kommen zur Frage 25 des Kollegen Claus ihren Wahrheitsgehalt mit den Mitteln, die ihr zur Jäger: Verfügung stehen, noch einmal überprüft? Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über Zahl und Beschaffenheit von Straf- und Umerziehungslagern mit politi- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- schen Häftlingen in der Volksrepublik China, und wie viele lege, uns liegen, wie ich Ihnen eben gesagt habe, Menschen sind nach diesen Erkenntnissen ungefähr darin wirklich keinerlei Hinweise über den Mißbrauch in eingekerkert? der Richtung, die Sie hier anführen, vor. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- lege Jäger, über die Zahl der chinesischen Straf- und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zweite Zusatz- liegen keine gesicherten Er- frage, Herr Kollege. Umerziehungslager kenntnisse vor. Horst Kubatsrhka (SPD): Die Regierung kann also Chinesische Quellen sprechen von 680 Arbeitsla- ausschließen, daß die türkische Regierung der mosle- gern. Menschenrechtsorganisationen gehen von einer mischen Seite in Aserbaidschan auch sowjetische wesentlich höheren Zahl aus, ohne aber präzise Anga- Rüstungsgüter aus dem Bestand der früheren Natio- ben machen zu können. Auch die Zahl der Insassen nalen Armee der DDR geliefert hat? solcher Lager variiert. Nach chinesischen Angaben sollen es rund 160 000 sein. Menschenrechtsorganisa- tionen sprechen hingegen von Millionen. Die Zahlen Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Nach dem Informationsstand der Bundesregierung kann sie die- sind nicht überprüfbar. ses ausschließen. Über die Lebensbedingungen der Inhaftierten gibt es Zeugenberichte. Am wichtigsten erscheint mir hier Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere die Dokumentation von Harry Wu. Dies ist ein in Zusatzfrage des Kollegen Klejdzinski. Amerika lebender Exilchinese, der selber in solchen Lagern inhaftiert war und es sich zur Aufgabe gemacht hat, ihre Existenz im Ausland bekanntzuma- Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Frau Staatsmi- nisterin, da man darüber streiten kann, was sowjeti- chen. sche Rüstungsgüter aus Beständen der NVA sind, Diese Berichte lassen sich zusammenfassen: Ar- frage ich Sie, ob Rüstungsgüter aus den Beständen der beitslager und die Institutionen der „administrativen NVA — möglicherweise über die Vebeg an die Türkei Haft" sind ein Beispiel für grundlegende Menschen- geliefert — diesen Weg gegangen sind. rechtsverletzungen in China.

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Herr lege Klejdzinski, der Bundesregierung ist die Sensibi- Kollege Jäger. lität dieses Themas doch bewußt. Das wissen Sie. Wir haben uns darüber hier im Deutschen Bundestag Claus Jäger (CDU/CSU): Frau Staatsministerin, gibt mehrfach unterhalten. Mir liegen keine Hinweise es, nachdem Sie sich jetzt im wesentlichen auf zwei dafür vor, daß über die Vebeg entsprechendes Mate- Quellen gestützt haben, nämlich auf die Menschen- 11358 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Claus Jäger rechtsorganisationen einerseits und auf die offiziellen werde dem aber nachgehen und Ihnen eine schriftli- chinesischen Quellen andererseits, nicht auch Unter- che Antwort zukommen lassen. suchungen der US-Regierung bzw. des Menschen- rechtsausschusses des Senats der Vereinigten Staaten Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Das ist nett. Schönen von Amerika, die ja in diesen Fragen meistens die Dank. besten Informationen haben? Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Es trifft zu, Zusatzfrage des Kollegen Lowack. daß die Vereinigten Staaten entsprechende Untersu- chungen und Ermittlungen anstellen. Ortwin Lowack (fraktionslos): Frau Staatsministerin, wie läßt sich die Tatsache, daß ein besonders angese- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zweite Zusatz- hener Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes — ich frage, Herr Kollege Jäger. kann ihn namentlich erwähnen: Per Fischer —, der in seinen Kenntnissen über die Situation in China dem Claus Jäger (CDU/CSU): Wenn das so ist, Frau derzeitigen Außenminister weit überlegen ist und sich Staatsministerin: Hat sich die Bundesregierung diese wegen der furchtbaren Menschenrechtsverletzungen Erkenntnisse verschafft? Wären Sie notfalls bereit, mit dramatischen Appellen an die Bundesregierung wenn dies noch nicht der Fall ist, mir diese nachträg- gewandt hat, und die Tatsache, daß sogar ein 73 Jahre lich schriftlich zur Verfügung zu stellen? alter Priester in ein Umerziehungslager gesteckt wird, und die Tatsache, daß die Menschenrechtsorganisa- Staatsministerin: Gerne, Herr Ursula Seiler-Albring, tionen von einem Gulag von bis zu 10 Millionen Kollege. Menschen sprechen, damit vereinbaren, daß der Außenminister nach Peking fährt und dort von einer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Kübler. Normalisierung der Beziehungen spricht?

Dr. Klaus Kübler (SPD): Ich darf eine Zusatzfrage Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- stellen, die gegebenenfalls auch nachträglich beant- lege Lowack, auch dieses war bereits Gegenstand wortet werden könnte. Hat Herr Bundesaußenmini- ausführlicher Debatten hier. Ich verweise noch einmal ster Kinkel bei seinem letzten Chinabesuch diese auf den Schluß meiner ersten Antwort, die ich gege- Frage angesprochen, und falls ja, mit welchem Ergeb- ben habe, daß nämlich die Bundesregierung die nis? Institutionen der „administrativen Haft" und der Arbeitslager als ein Beispiel für grundlegende Men- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- schenrechtsverletzungen in China betrachtet. lege Kübler, wie der Bundesaußenminister in der Der Außenminister hat mehrfach Gelegenheit Folge seines Besuches in China mehrfach deutlich genommen, hier im Plenum des Deutschen Bundesta- gemacht hat, hat er mit allen Gesprächspartnern über ges darauf hinzuweisen, daß Menschenrechte nie Fragen der Menschenrechtsverletzungen bzw. über relativ sind, aber daß man sich sehr wohl darüber die Menschenrechtssituation in China gesprochen. unterhalten kann und unterhalten muß, wie man zu Die Frage der Arbeitslager bzw. die Erörterung der Lösungen im Sinne der be troffenen Menschen gelan- dort möglicherweise produzierten Waren, die mögli- gen kann. cherweise auch auf den europäischen Markt und Also: Menschenrechte stehen nicht zur Disposition. möglicherweise auf den deutschen Markt kommen, Aber man kann sehr wohl darüber diskutieren oder hat dann dazu geführt, wenn ich mich richtig erinnere, streiten, welches der beste Lösungsansatz ist. auch nach einer Diskussion im Auswärtigen Aus- schuß, daß sich der deutsche Außenminister in Schrei- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- ben an die Organisationen der Spitzenverbände der fragen liegen nicht vor. deutschen Wirtschaft gewandt und darum gebeten Die Fragen 26 und 27 des Kollegen Klaus Kirschner hat, sich im Falle der Erkenntnis solcher Tatbestände werden schriftlich beantwortet. Die Antworten wer- entsprechend einzulassen bzw. darauf zu reagieren, den als Anlagen abgedruckt. daß solche Waren in der Bundesrepublik Deutschland Wir kommen damit zur Frage 28 des Kollegen nicht in den Handel kommen können. Daraus können Dr. Karl-Heinz Klejdzinski: Sie ersehen, daß diese Thematik den Außenminister sehr intensiv beschäftigt hat. Sind der Bundesregierung nachrichtendienstliche Erkennt- nisse bekannt, aus denen zu entnehmen ist, daß der Iran seit 1983 wieder energisch am Aufbau von Kernforschungseinrichtungen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- arbeitet, deren Zielsetzung ist die Beherrschung des gesamten frage der Kollegin Sothmann. Kernbrennstoffkreislaufes, verbunden mit der Fähigkeit, nu- kleare Sprengköpfe herzustellen? Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Frau Staatsminister, hat die chinesische Regierung Vertretern der Verein- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- ten Nationen oder Vertretern von Menschenrechtsor- lege, die Bundesregierung kann Fragen, die auf die ganisationen jeweils Zutritt zu den Straf- und Umer- konkrete Mitteilung speziell nachrichtendienstlicher ziehungslagern gestattet, und wenn ja, mit welchem Erkenntnisse gerichtet sind, nur vor den für die Ergebnis? Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit zustän- digen Gremien des Deutschen Bundestages beant- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Dieses kann worten. Sie kann aber auf Grund ihrer Gesamter- ich, Frau Kollegin, jetzt hier nicht beantworten. Ich kenntnisse zusammenfassend zum angesprochenen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11359

Staatsministerin Ursula Seiler-Albring Fragenkomplex Stellung nehmen. Das möchte ich Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- jetzt tun. lege Klejdzinski, ich kann ja verstehen, daß Sie Iran hat das unter dem Schah bereits vorhandene versuchen, mich ein wenig aufs Eis zu führen. Kernenergieprogramm seit etwa 1983 wieder aufle- (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Wir haben ben lassen und strebt offenbar mit wachsendem per- ja Januar, da ist das sehr angenehm!) sonellen und finanziellen Aufwand die Beherrschung — Wenn es mal richtig kalt wäre, wäre es ja schön. des gesamten Kernbrennstoffkreislaufes an. Iran ver- Aber ernsthaft, Herr Kollege Klejdzinski: Wie ich fügt nach heutigem Kenntnisstand jedoch bisher nicht am Ende meiner Ausführungen sagte, hat auch die über die erforderlichen funktionsfähigen Einrichtun- internationale Behörde — nach dem, was sie uns gen zur Herstellung von waffenfähigem Material. mitgeteilt hat — keine konkreten Hinweise darauf, Es läßt sich auch nicht mit Sicherheit belegen, ob daß Verstöße gegen das Abkommen vorliegen. Dies Iran an der Entwicklung von Kernwaffen arbeitet. kann ich Ihnen hier sagen. Zwar gibt es Hinweise in dieser Richtung; insbeson- Falls Sie über weitergehende Erkenntnisse verfü- dere wurden in den letzten Jahren iranische Versuche gen, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie uns diese zur zur Beschaffung von Einrichtungen, Geräten und Verfügung stellen könnten. Es mag ja sein, daß Sie Materialien beobachtet, die sowohl für zivile Zwecke bessere Quellen haben als die Geheimdienste der und für militärische Zwecke in der konventionellen deutschen Bundesregierung. Waffentechnik als auch in der Kernwaffentechnik Verwendung finden können, andererseits ist Iran Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage des Mitglied im Vertrag über die Nichtverbreitung von Kollegen Kübler. Kernwaffen und hat ein Abkommen über umfassende Sicherungsmaßnahmen mit der Internationalen Dr. Klaus Kübler (SPD): Frau Staatsministerin, wäre Atomenergie-Organisation abgeschlossen. Die IAEO die Bundesregierung bereit, noch einmal in eine sehr hat, soweit der Bundesregierung bekannt, noch keine intensive Prüfung dieser Frage einzutreten und dar- Verletzung der daraus erwachsenden Verpflichtun- über zu berichten, weil ich ohne jeden Vorwurf sage, gen festgestellt. daß es sicherlich auch blauäugig ist, zu glauben, daß der Iran sich nicht bemühen würde? Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage, Kol- lege Klejdzinski. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Das habe ich auch nicht abgestritten, Herr Kollege. Aber ich kann Ihnen versichern, daß ich diese Frage oder diese Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Da Sie, Frau Anregung gerne aufnehme, und angesichts der Staatsministerin, auf der anderen Seite gesagt haben, Bedeutung des Ganzen ist es sicherlich möglich, in Sie würden zusammenfassend erklären, ich aber nicht Ihrem Sinne zu verfahren und Ihnen dann das Ergeb- gefragt worden bin, ob Sie zusammenfassend meine nis mitzuteilen. Fragen 28 und 29 beantworten sollen — — Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Die fragen zu dieser Frage liegen nicht vor. Frage 29 kommt anschließend. Dann kommen wir zur Frage 29 des Kollegen Dr. Karl-Heinz Klejdzinski: Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Danke schön. Ist der Bundesregierung bekannt, daß gegenwärtig in fünf Zentren mit Hilfe der Volksrepublik China geforscht wird und deren Forschungsschwerpunkte Reaktortechnologie, Kern- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Soll ich sie brennstoffkreislauf, Urananreicherung und Uranwiederaufbe- jetzt beantworten? reitung sind?

Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Nein, ich habe lege, Iran und die Volksrepublik China arbeiten seit noch eine Zusatzfrage zu meiner Frage 28. Ich habe etwa 1985 im Bereich der Kernforschung zusam- insgesamt immer die Möglichkeit zu zwei Zusatzfra- men. gen. Soweit der Bundesregierung bekannt, unterstützt in Sie haben mich völlig zu Recht darauf verwiesen, diesem Rahmen die Volksrepublik China den Iran in daß die Bundesregierung nicht verpflichtet ist, nach- folgenden Bereichen: Uranprospektion und -explora- richtendienstliche Erkenntnisse hier im Plenum kund- tion, Bau einer Uranerzaufbereitungsanlage, Ausbau zutun, sondern nur in den Gremien, die dafür vorge- des Kernforschungszentrums Isfahan, insbesondere sehen sind. Lieferung von Forschungsreaktoren, Errichtung von Das hat mich auf der einen Seite natürlich schon Produktionseinrichtungen für die Brennelementher- beflügelt, nachzufragen — insbesondere wenn Sie in stellung, Errichtung einer Fluorwasserstoffproduk- Ihrer Antwort sagen, es gebe Hinweise dafür —, weil tionsanlage, Ausbildung des wissenschaftlichen ich der Meinung bin, daß wir als Parlament auch schon Nachwuchses. auf Hinweise reagieren müssen. Insofern will ich Sie Ferner wurde im vergangenen Jahr die Errichtung noch einmal fragen, ob die Hinweise, die nach meinen von zwei chinesischen Kernkraftwerken zur Stromer- Erkenntnissen vorliegen, wirklich auch nach Ein- zeugung im Iran ins Auge gefaßt. schätzung der Bundesregierung so klar sind, daß die Bundesregierung überlegt, bestimmte Handlungen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage des vorbeugend dort einzuleiten. Kollegen Klejdzinski. 11360 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Frau Staatsmini- Weitere Möglichkeiten einer Zusammenarbeit im sterin, kann ich aus Ihrer Aufzählung folgern, daß man Rahmen der Rechtsvorschriften beider Staaten wer- bei einer anderen Interpretation waffenfähiges Mate- den geprüft. Mögliche Grundlage der bilateralen rial — zumindest in den angesprochenen Kreisläu- Zusammenarbeit ist z. B. auch das Regierungsabkom- fen — a) produzieren oder b) abzweigen kann? men zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, das allerdings schwere Straftaten und organisatori- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- sche Strukturen voraussetzt. lege Klejdzinski, das können Sie nach meiner nicht Der Bundesregierung sind Versuche deutscher wissenschaftlichen Bewertung nicht; denn wir haben Rechtsextremisten bekannt, sich im nördlichen keinen Anlaß, anzunehmen, daß kernwaffenfähiges Gebiet des ehemaligen Ostpreußen zu engagieren, Material vorhanden bzw. produziert worden ist. Das insbesondere durch Unterstützung rußlanddeutscher kann ich Ihnen auf Grund meiner Kenntnisse, der Siedler. Auch diese Aktivitäten müssen sorgfältig Vorlagen, die ich hier habe, sagen. Aber wenn Sie beobachtet werden. möchten, werde ich das von den Fachleuten im Amt Eine Zusammenarbeit auf diesem Gebiet mit russi- noch einmal prüfen lassen und Ihnen das Ergebnis schen Behörden hat noch nicht stattgefunden. dann ebenfalls schriftlich zur Verfügung stellen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage des Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zweite Zusatz- Kollegen Kübler. frage des Abgeordneten Klejdzinski. Dr. Klaus Kübler (SPD): Ich gestehe ganz offen, ich Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Ich würde Sie hätte eigentlich lieber eine Antwort des Innenmini- bitten und fragen, ob Sie in bezug auf meine Frage 28 sters gehabt. Deshalb auch meine Frage. betreffend nukleare Sprengköpfe und den gesamten Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es Kernbrennstoffkreislauf, den Sie mit der Beantwor- bislang keine Formen der Zusammenarbeit, auch tung der Frage 29 indirekt bejaht haben, noch einmal nicht mit Polen. Sie haben das bezüglich des nördli- in eine Prüfung eintreten wollen, möglicherweise chen Teiles des ehemaligen Ostpreußen gesagt, aber auch in eine Prüfung nicht nur von den Ihnen oder mir Sie haben es nicht so klar formuliert hinsichtlich der normal zugänglichen Quellen aus, sondern auch von Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den Quellen ausgehend, die Sie vorhin genannt Polen. haben, aber die Sie nicht bereit waren, mir kundzutun, sondern nur den Gremien, die dafür zuständig sind. Es Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- geht mir darum, diese Frage unter den sogenannten lege Kübler, die russischen Behörden sind noch nicht wichtigen außenpolitischen und sicherheitsrelevan- auf uns zugekommen. Wie gesagt, wir haben Anzei- ten Bedingungen, Erkenntnissen oder Möglichkeiten chen dafür, daß es Aktivitäten auch dort gibt, aber die zu prüfen. russischen Behörden sind noch nicht auf uns zuge- kommen. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- lege Klejdzinski, wie schon dem Kollegen Dr. Kübler, Mit den Polen sind wir in einem Dialog und disku- will ich auch Ihnen gerne zusichern, diese Frage tieren darüber, inwieweit man z. B. dieses Regie- sorgfältig prüfen zu lassen und das, was tatsächlich rungsabkommen, das ich Ihnen eben genannt habe, ohne Verletzung der von mir eingangs erwähnten das sich allerdings auf Straftatbestände schwererer Vorschriften möglich ist, Ihnen auch zukommen zu Art und auch auf die organisierten Strukturen bezieht, lassen. auch für diesen Bereich anwenden kann. Gerade weil die Beziehungen zwischen Polen und der Bundesre- publik Deutschland besonders sensibel sind und wir Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun kommen wir zur Frage 30 des Kollegen Dr. Klaus Kübler: hier alles tun müssen, um Schaden von diesen Bezie- hungen abzuwenden, sind wir in hohem Maße Sind der Bundesregierung rechtsextremistische Aktivitäten deutscher Staatsbürger aus der Bundesrepublik Deutschland in bestrebt, diese Aktivitäten mit den uns zur Verfügung den ehemaligen Ostgebieten, die heute zu Rußland und Polen stehenden Mitteln zu bekämpfen bzw. die dort Aus- gehören, bekannt, und findet eine Zusammenarbeit zwischen gewiesenen dann, wenn es sich nach bundesdeut- deutschen und russischen und deutschen und polnischen Behör- schen Maßstäben um strafrechtlich relevante Tatbe- den bei der Beobachtung und Bekämpfung dieser Aktivitäten statt? stände handelt, den deutschen Justizbehörden zuzu- führen. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- lege Kühler, der Bundesregierung ist bekannt, daß Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die zweite Zu- deutsche Rechtsextremisten auf polnischem Gebiet, satzfrage, Herr Kollege. insbesondere im ehemaligen Oberschlesien, Aktivitä- (SPD): Frau Staatsministerin, teilt ten entfalten. Dr. Klaus Kübler die Bundesregierung meine Auffassung, daß es zeit- Diese sind zur Zeit auf einige kleinere Ortschaften lich sehr dringend ist, hier sehr konkret zu verhan- beschränkt. Planmäßige großräumige Aktivitäten deln, und weiß die Bundesregierung auch, daß die sind der Bundesregierung nicht bekannt. polnische Seite großes Interesse daran hat, hier in eine Die Bundesregierung nimmt die Vorfälle ernst und echte Form der Kooperation zu kommen? beobachtet die weitere Entwicklung der Situation sorgfältig. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Die polnischen Behörden haben die Bundesregie- lege Kübler, die polnische Seite hat bisher sehr rung über bisherige Vorfälle unterrichtet. zurückhaltend reagiert, aber wir haben natürlich allen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11361

Staatsministerin Ursula Seiler-Albring Anlaß, wie ich vorhin schon ausgeführt habe, diesen dritten Runde vor Gericht steht, sich fortsetzen Vorkommnissen sehr genau nachzugehen und alles wird? zu tun, was jetzt getan werden kann — möglicher- weise durch eine entsprechende Änderung dieses Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Regierungsabkommens oder durch die Abfassung lege Erler, bei der bereits erwähnten Demarche vom eines neuen —, um solchen Vorgängen in Zukunft 8. Januar dieses Jahres betonte die deutsche Botschaft sehr schnell, sehr umfassend und nachdrücklich ent- in Ankara die Unzufriedenheit der Bundesregierung gegentreten zu können. und der deutschen Öffentlichkeit mit dem bisherigen Prozeßverlauf und der schleppenden Behandlung des Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zusatzfrage des Falles durch die türkische Justiz. Nach dem Eindruck Kollegen Erler. der internationalen Prozeßbeobachter ist es nur schwer nachvollziehbar, daß es nicht bereits in der Gernot Erler (SPD): Frau Staatsministerin, wie kann ersten Gerichtsverhandlung zu einem Freispruch oder die Bundesregierung auf eine Anregung reagieren, zumindest zu einer Haftverschonung auf Kaution die wir gestern in einem Gespräch mit Abgeordneten- gekommen ist. kollegen von der Demokratischen Union im Sejm Ich möchte hier sehr nachdrücklich betonen, daß die erhalten haben und die darauf hinausläuft, daß auf die deutsche Bundesregierung erwartet, daß Stephan massenweise Verteilung von billigen rechtsradikalen Waldberg nach dem morgigen Tag unverzüglich in Pamphleten unter den Vertretern der deutschen Min- die Bundesrepublik Deutschland ausreisen kann. derheit in Polen reagiert werden müßte mit einem Zugänglichmaach emokratisch orientiertem en von d Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gibt es weitere Schriftgut, das aus Kostengründen für die Vertreter Zusatzfragen? der deutschen Minderheit in Polen nicht zugänglich ist? Sehen Sie da eine Möglichkeit, aktiv zu wer- Gernot Erler (SPD): Frau Staatsministerin, ich kann den? Ihren Eindruck nur bestätigen, da ich selber als Prozeßbeobachter an der ersten Runde dieses Prozes- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- ses in Diyarbakir teilgenommen habe. Ich habe fol- lege Erler, ein sicherlich gut gangbarer Weg wäre, gende Frage: Welche Mittel stünden denn der Bun- wenn die deutschen Vertriebenenverbände, die ja mit desregierung zur Verfügung, wenn weder Ihre Erwar- nicht unbeträchtlichen Mitteln aus dem Bundeshaus- tung, die Sie eben ausgedrückt haben, erfüllt wird halt bezuschußt werden, sich an dieser Arbeit beteili- noch Ihre Demarche Erfolg haben wird? gen. Ich nehme diese Anregung sehr gerne auf. Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Erler, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- zunächst einmal gehen wir von der Hoffnung aus, daß fragen zu dieser Frage liegen nicht vor. es morgen zu einer Freilassung kommt. Wenn dies Wir kommen damit zur Frage 31 des Kollegen nicht der Fall sein sollte und es zu einer Verurteilung Erler: mit einer Haftstrafe oder dergleichen kommen sollte, Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung, darauf ein- wovon wir zunächst nicht ausgehen, dann wird sich zuwirken, daß der Prozeß gegen den deutschen Journalisten die deutsche Bundesregierung — speziell das Aus- Stephan Waldberg aus Waldkirch in Diyarbakir (Türkei) nicht weiter in die Länge gezogen und in rechtsstaatlich einwandfreier wärtige Amt — überlegen müssen, welche der uns zur Weise zu Ende geführt wird? Verfügung stehenden Instrumente wir zunächst anwenden. Ich kann Ihnen versichern, daß die türki- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- sche Regierung über sich daraus möglicherweise lege Erler, die Bundesregierung setzt sich seit ergebende Konsequenzen für die Qualität unserer Bekanntwerden der Inhaftierung dafür ein, daß Herr Beziehungen nicht im unklaren gelassen wird. Waldberg korrekt behandelt wird und ein rasches und Erlauben Sie mir aber, zunächst einmal auf die rechtsstaatliches Verfahren erhält. Die letzte Demar- Darstellung möglicher Konsequenzen zu verzichten. che in diesem Sinne erfolgte am 8. Januar 1993. Herr Die Tatsache aber, daß wir dieses Thema heute hier Waldberg wird kontinuierlich von der Botschaft noch einmal in dieser Deutlichkeit ansprechen, wird Ankara konsularisch betreut. Ein Botschaftsvertreter wohl auch eine Möglichkeit sein, der türkischen Seite nimmt als Prozeßbeobachter an den Verhandlungen einen Hinweis darauf zu geben, was die deutsche teil. Bundesregierung in bezug auf diesen wirklich schlim- men Fall erwartet. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine Zusatzfrage des Kollegen Erler. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Zusatz- fragen zu dieser Frage liegen nicht vor. Gernot Erler (SPD): Frau Staatsministerin, halten Sie Wir kommen dann zur Frage 32 des Kollegen es für einen normalen Akt zwischenstaatlicher Umge- Erler: hensweise, daß ein deutscher Staatsbürger in einem Staatssicherheitsgefängnis in Diyarbakir festgehalten Wie reagiert die Bundesregierung auf Nachrichten darüber, daß gegen den inhaftierten deutschen Bürger Stephan Wald- wird, dem Kurierdienste für die PKK vorgeworfen berg durch türkische Behörden folterähnliche Verhörmethoden werden, obwohl er mehrfach auf seine Funktion und angewandt wurden? seine Arbeitsweise als Journalist hingewiesen hat, und welche Folgerungen für die deutsch-türkischen Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- Beziehungen wird es denn haben, wenn dieses Fest- lege Erler, die deutsche Botschaft in Ankara hat die halten von Herrn Waldberg, der morgen erneut in der von Ihnen erwähnten Vorwürfe im türkischen Außen- 11362 Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Staatsministerin Ursula Seiler-Albring ministerium zur Sprache gebracht. Die türkische Seite Die Betroffenheit über dieses Unglück darf uns nicht hat uns zugesagt, den Vorwürfen, die geschildert den Blick dafür verstellen, daß die Seeschiffahrt worden sind, nachzugehen. Ich bitte, darauf zu war- insgesamt ein sicherer und umweltfreundlicher Ver- ten, bis wir eine entsprechende Antwort haben. kehrsträger ist. Die Seeschiffahrtsmärkte und auch die Tankschiffahrtsmärkte sind internationale Märkte. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Der Kollege Erler Die Mehrzahl der international eingesetzten Tank- hat eine Zusatzfrage. schiffe fährt unter Billigflaggen. Nationale Maßnah- men und selbst Maßnahmen der EG stoßen angesichts dieser Struktur schnell an ihre Grenzen. Gernot Erler (SPD): Frau Staatsministerin, die Vor- gänge, die Sie eben angesprochen haben, sind in Die F.D.P. hat sich seit Beginn der siebziger Jahre ihrem Charakter wohl einmalig. Ein deutscher Staats- für eine Verschärfung der Standards der Internatio- bürger ist in türkischer Untersuchungshaft mit folter- nal Maritime Organization (IMO) eingesetzt. In meh-

ähnlichen Methoden behandelt worden. Sie wissen, reren Abkommen — MARPOL 73 und 78 sowie daß er in den sogenannten Doktorraum geführt Solas — konnten die Bau - und Zulassungsvorschrif- wurde, daß er ausgezogen, hin- und hergestoßen und ten erheblich verschärft werden. Für Tanker, die nach geschlagen wurde. Schließlich wurde ihm sogar psy- dem 6. Juli 1993 gebaut werden, wird eine Doppel- chischer Terror durch die Exerzierung einer Schein- hülle vorgeschrieben. exekution zugemutet. Er mußte auch die Schreie von anderen Gefolterten hören. Bei den Übergangsfristen wird es allerdings proble- Halten Sie diese Vorgänge nicht für so gravierend, matisch. Zeiträume von 25 bis 30 Jahren sind deutlich daß man selbst dann, wenn es zu einem guten längere Zeiträume, als sie andere, wie z. B. die USA, Ausgang des Prozesses morgen kommt, was wir alle vorschreiben. Es darf aber nicht sein, daß die sicheren hoffen, nicht zur Tagesordnung übergehen kann, und Schiffe im US-Verkehr unterwegs sind, während der sieht die Bundesregierung Veranlassung, nachdem Rest munter nach Europa schippert. Deshalb ist die sie nun von diesen Vorgängen weiß, zu einer grund- Bundesregierung aufgefordert, im Rahmen der IMO sätzlichen Erörterung der Menschenrechtsfrage mit auf eine Verkürzung der Übergangsfristen zu drän- unseren türkischen Kollegen und Freunden? gen. Aber was nützen die besten Standards, wenn die Einhaltung der Vorschriften nicht oder nur unzurei- chend kontrolliert wird? Die Überprüfung der Sicher- Ursula Seiler-Albring, Staatsministerin: Herr Kol- heitsstandards ist Aufgabe der nationalen Behörden lege Erler, ich glaube, wir müssen zunächst einmal der des Flaggenstaats und der Anlaufhäfen. In deutschen türkischen Seite Gelegenheit geben, zu den Ihnen Häfen ist es also eine Aufgabe deutscher Sicherheits- und auch uns aus einem Gespräch mit Stephan behörden. Waldberg bekannten Vorwürfen Stellung zu nehmen. Ich glaube, daß muß zunächst einmal möglich sein. Zusätzlich zu den staatlichen Inspektionen werden Darüber hinaus kann es aber gar keine Frage sein die Schiffe im Regelfall vor Abschluß des Charterver- — wir praktizieren dies auch —, daß Fragen von trags von Beauftragten des Charterers und der Versi- Verletzungen der Menschenrechte insgesamt auch in cherung besichtigt. Diese Kontrollen müssen weiter den Gesprächen mit unseren türkischen Partnern intensiviert werden. ständiges Thema sein müssen; dies ist auch der Das geht aber nicht für einen Staat allein. Es nützt Fall. nichts — das gilt auch für die Küste —, wenn eine Rostlaube zwar nicht nach Wilhelmshaven darf, wohl Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es liegt keine aber etwa ein paar Meilen weiter nach Holland, von Meldung für eine weitere Zusatzfrage vor. den Wettbewerbsnachteilen unserer Häfen ganz zu Wir sind damit am Ende unserer Fragestunde ange- schweigen. kommen. Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin. Gerade für Deutschland als Staat mit zwei Küsten ist die Verbesserung der Verkehrssicherung an gefähr- Wir kommen zu Zusatzpunkt 1: deten Küstenregionen lebenswichtig. Aktuelle Stunde Haltung der Bundesregierung zu dem Tanker- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) unglück vor den Shetland-Inseln Die F.D.P. setzt sich dafür ein, Sonderrouten für die Die Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. haben zu Großschiffahrt, insbesondere für die Tankschiffahrt, dem genannten Thema eine Aktuelle Stunde bean- einzurichten. Die Bundesrepublik hat mit der Einfüh- tragt. Als erster Redner in dieser Aktuellen Stunde rung des Weitbereichs für die Führung von Seeschif- spricht zu uns der Kollege Manfred Richter, fen in der Nordsee einen wichtigen Beitrag zur Ver- besserung der Verkehrssicherheit in den Küstenge- Manfred Richter (Bremerhaven) (F.D.P.): Frau Prä- wässern geleistet. Wie bereits auf der Nordsee-Mini- sidentin! Meine Damen und Herren! Die Katastrophe sterkonferenz in Paris im letzten Jahr gefordert, sollen vor den Shetlandinseln hat uns wieder einmal deut- die deutschen Hoheitsgewässer auf 12 Seemeilen lich vor Augen geführt, wie sehr der Mensch die Natur ausgedehnt und eine ausschließliche Wirtschaftszone schädigen kann. Die Bilder, die uns das Fernsehen von 200 Seemeilen eingerichtet werden. Damit erhält tagtäglich ins Haus bringt, haben wohl jeden von uns die Bundesrepublik Deutschland besondere Kontroll- berührt. Für die F.D.P.-Fraktion war dies Anlaß rechte gerade zum Schutz der Umwelt. Bei dem genug, diese Aktuelle Stunde anzuregen. Unglück, das uns beschäftigt, hätte nämlich vermut- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11363

Manfred Richter (Bremerhaven) lich auch eine Doppelhülle nichts genutzt. Hier hilft alle nicht neu. Verbesserungsvorschläge für Schiffs- nur, die Schiffahrt weiträumig herumzuführen. bautechnik, Qualifikation der Besatzungen und (Vorsitz: Vizepräsident Dieter-Julius Cro- Schiffahrtsrouten wurden schon in den letzten Jahren nenberg) mit derselben Regelmäßigkeit gemacht, mit der sich zuvor entsprechende Unglücke ereignet haben. Den- Meine Damen und Herren, in diesem Zusammen- noch wurden sie bislang nicht mit dem erforderlichen hang darf ich darauf hinweisen, daß sich die F.D.P. für Nachdruck weiterverfolgt, der angesichts der enor- das Schutzboot des Bundesgrenzschutzes eingesetzt men Risiken für die Umwelt angebracht wäre. Wir hat, das für den harten Einsatz in der Nordsee ausge- müssen handeln, nicht reden. legt worden ist, so daß es seine Kontrollaufgaben auch wahrnehmen kann. Wir begrüßen, daß durch den Gerade Deutschland hat in Anbetracht seiner öko- Umbau eines vorhandenen Bootes für den Ostseebe- logisch hochempfindlichen Küsten ein besonders gro- reich auch dort eine effektive Überwachung möglich ßes Interesse daran, endlich die überfälligen Maßnah- wird. men durchzusetzen. Das Zerbrechen eines Schiffes 80 % aller Unfälle auf See werden durch menschli- wie der „Braer" mit über 80 000 t Öl vor der deutschen ches Versagen verursacht. Nordseeküste würde aller Voraussicht nach einen noch größeren Katastrophenfall auslösen als an den (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE schroffen Felslandschaften der schottischen Nord- GRÜNEN]: Das sagt der VDR!) westküste. Gerade hier im Bereich des Schiffsmanagements ist (Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Da die internationale Staatengemeinschaft gefordert. Ich glaube, es besteht Einigkeit in diesem Hause, daß hat er recht!) auch hier die entsprechenden IMO-Konventionen Die Gefahr an unserer Küste ist wegen des in der dringend verbesserungsbedürftig sind. Vor allem ist Welt einzigartigen Biotops Wattenmeer mit seinem angesichts des internationalen Arbeitskräftemarkts Kapillarsystem im Boden und seinen Abertausenden die obligatorische Einführung einer international ein- von Lebewesen auf einem Kubikmeter Wattenboden heitlichen Arbeitssprache in der Seeschiffahrt ein wesentlich größer. Das Wattenmeer stellt diesbezüg- entscheidender Beitrag zur Schiffssicherheit. Es lich — vielleicht vergleichbar mit den Mangrovenwäl- kommt nämlich nicht auf die Nationalität der Besat- dern — die größte Problematik dar. Im Gegensatz zur zung an , sondern auf ihre Qualität. Hier ist, wie auch Felsküste der Shetlandinseln wird sich hier das 01 in der Luftfahrt, die Einführung einer einheitlichen wahrscheinlich relativ schnell auf den Boden legen Arbeitssprache ein wichtiger Schritt. und Tiere und Pflanzen auf lange Zeit vergiften. Bei allen Forderungen müssen Sie bedenken, daß Auch ein strömungs- und windbedingtes Heraus- wir nur bei Schiffen unter deutscher Flagge direkten treiben der Ölteppiche auf die hohe See, wie vor Einfluß ausüben können. Die Rohöltankschiffahrt Schottland möglich, wäre an der deutschen Nordsee- unter deutscher Flagge hat aber praktisch aufgegeben küste wegen der Strömungsverhältnisse kaum zu werden müssen, weil der deutsche Standort auf Grund erwarten. Die Ölbekämpfung im Wattenmeer wäre hoher Arbeitskosten und Steuerbelastung nicht aus- also insgesamt weitaus schwieriger, der Schaden noch reichend wettbewerbsfähig ist. weitaus größer. Das gilt sowohl in der Schadenshöhe Die F.D.P. setzt sich für die Erhaltung einer lei- als auch in der Dauerhaftigkeit der Schadensverursa- stungsfähigen deutschen Handelsflotte mit hohen chung, die ein Tankerunglück im Wattenmeer zur Sicherheitsstandards ein. Mit dem Zusatzregister Folge hätte. sowie mit der Fortführung der Finanzbeiträge für die Staatssekretär Stroetmann hat gestern in der Sit- deutsche Seeschiffahrt haben wir dazu einen wichti- zung des Umweltausschusses gesagt, dieser Unfall sei gen Beitrag geleistet. für die Bundesregierung kein Anlaß, die vorhandenen Meine Damen und Herren, das Unglück vor den Möglichkeiten zur Bekämpfung von Ölunfällen Shetlandinseln hat uns die Gefahren der modernen nachhaltig zu verbessern. Welt deutlich vor Augen geführt. Die F.D.P. — ich denke: wir alle — fordert wirksame Maßnahmen, (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Nur die örtli- damit sich ein solches Unglück nicht wiederholt. chen, hat er gesagt!) (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE — Er meinte damit die Kapazitäten, die vorgehalten GRÜNEN]: Und welche?) werden. Diese Aussage zeugt trotzdem von einer Sorglosigkeit, die angesichts der jüngsten Ereignisse Nur wenn die Vorschriften über Zulassung, Kontrollen fast schon ignorant ist. und Schiffsbesatzung verschärft werden, wird die Seeschiffahrt ein umweltfreundlicher und ein sicherer (Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Verkehrsträger bleiben. Diese Kritik ist nicht berechtigt!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Obwohl auch das Förderland Großbritannien über moderne technische Ölbekämpfungsmittel verfügt, konnte die Katastrophe nicht abgewendet werden. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Dietmar Schütz. Worauf — so muß man fragen — stützt eigentlich das Umweltministerium seine Vermutung, daß ausge- rechnet bei uns das Equipment ausreichend ist? Ein Dietmar Schütz (SPD): Herr Präsident! Meine Ölbekämpfungsschiff wie die „Mellum", das weder Damen und Herren! Die Forderungen, die jetzt wieder bei Niedrigwasser noch bei Windstärken über 5 ein- erhoben werden — auch von Herrn Richter —, sind satzfähig ist, und schwimmende Barrieren, die bei 11364 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dietmar Schütz Sturm ihre Wirkung verlieren, sollten Grund genug Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile sein, die deutschen Sicherheitsvorkehrungen zu nunmehr dem Parlamentarischen Staatssekretär Die- überprüfen und zu verbessern. Wir müssen Fragen: ter Schulte das Wort. Was wird da getan? Parl. Staatssekretär beim Bun- In diesem Zusammenhang muß auch klar sein, daß Dr. Dieter Schulte, desminister für Verkehr: Herr Präsident! Meine der andernorts allgemein übliche Einsatz von Chemi- Damen und Herren! Ich möchte als erstes sagen, daß kalien zur Abbindung des Öls vor der deutschen wir heute mit Erschütterung die Nachricht von einem Nordseeküste ausgeschlossen ist. Durch die geringe weiteren Unglück erfahren haben. Be troffen von die- Wassertiefe und die zu erwartenden toxischen Effekte sem Unglück ist eine polnische Fähre. Ich glaube, wir des Öls wäre eine zusätzliche Schwächung des Öko- sollten der polnischen Bevölkerung unsere Anteil- systems Wattenmeer die Folge. nahme aussprechen. Darüber hinaus haben die Ereignisse vor der schot- Mit großer Sorge, meine Damen und Herren, tischen Küste auf drastische Weise gezeigt, daß die betrachtet die Bundesregierung die Häufung schwe- Anwendung solcher chemischen Bindemittel letztlich rer Tankerunfälle und die verhängnisvollen Folgen zur direkten Gefahr für die Küstenbewohner selbst für die Meeresumwelt, aber auch für die Menschen an wird, wenn die Windverhältnisse ungünstig sind. der Küste. Ohne der Auswertung der jüngsten Unfälle vorzugreifen, hält die Bundesregierung Verbesserun- Dies alles zeigt, wie wichtig und unaufschiebbar die gen der Sicherheit des Tankerverkehrs für notwendig, Umsetzung der auch in der jetzigen Diskussion vorge- aber auch für möglich. Wegen des internationalen tragenen Instrumente zur Vermeidung von derartigen Charakters der Seeschiffahrt können allerdings natio- Katastrophen ist. Reeder, Schiffseigner und Ölgesell- nale Alleingänge diese Verbesserungen nicht herbei- schaften müssen umgehend gezwungen werden, die führen. Die Staatengemeinschaft einschließlich der notwendigen und richtigen Forderungen, die zum Teil Europäischen Gemeinschaft ist gefordert, und die bereits geäußert wurden, sofort umzusetzen. Wir Bundesrepublik Deutschland bzw. die Bundesregie- haben dazu einen Antrag vorbereitet, den wir in der rung muß und wird hier eine aktive Rolle spielen. nächsten Woche einbringen werden, damit über diese Die Internationale Seeschiffahrtsorganisation, IMO, Dinge in Ruhe in den Ausschüssen diskutiert werden hat die Vorschriften für Bau und Ausrüstung von kann. Tankern im letzten Jahr erheblich verschärft. Ab Mitte Wenn beispielsweise in den USA schon jetzt stren- dieses Jahres sind für Neubauten die Doppelhülle gere Forderungen durchgesetzt werden, dann müssen oder gleichwertige Konstruktionen vorgeschrieben. wir uns fragen, welche Hindernisse denn bei uns im Das Lebensalter vorhandener Tanker wurde be- Wege stehen und warum das bei uns noch nicht der grenzt. Ein verschärftes Investitionsprogramm wird Fall ist. diese Maßnahmen ergänzen. Nur, bis diese Maßnah- men greifen, dauert es viel zu lange. Neben den entsprechenden Geboten und Verboten Die Bundesregierung sieht deshalb folgenden aus technischer und verkehrlicher Sicht, die jetzt alle Handlungsbedarf. Erstens. Bis die heutige Flotte erörtert werden, scheint mir ein Dreh- und Angel- durch die neuen Tanker ersetzt ist, müssen die vor- punkt in der Ausgestaltung der Schadensersatzpflicht handenen Tanker besser kontrolliert werden. Nur so für die Betreiber, für die Reeder und die Flaggenstaa- können altersbedingte Mängel schneller erkannt und ten zu liegen. Haftungsübereinkommen sind bereits behoben werden. seit 1984 geschlossen worden. Sie sind aber interna- (Ernst Waltemathe [SPD]: Umrüsten oder tional zum Teil gar nicht in Kraft. abwracken!) Obwohl es richtig war und ist, die Gefährdungshaf- — Herr Kollege Waltemathe, das ist genau die Forde- tung des Eigentümers eines Seeschiffes und das rung, die Sie gerade erheben. — Die Bundesregierung Einstehen des von den Ölgesellschaften gespeisten wird sich daher dafür einsetzen, daß in den Häfen der internationalen Fonds verschuldensunabhängig zu EG Sonderkontrollen für Öltanker eingeführt wer- gestalten, ist die bisherige gesetzliche Regelung völlig den, die nicht von anerkannten Klassifikationsgesell- unzureichend, weil die Haftung durch Höchstsummen schaften besichtigt werden. limitiert wird, die überhaupt nicht an den jetzt einge- Zweitens. Tanker sollten soweit wie möglich von tretenen Schäden orientiert sind. Wir müssen wesent- der Küste ferngehalten werden. Deshalb müssen lich höhere Haftungsmargen haben. Diese wesentlich international verbindliche Routen in größerer Entfer- höheren Haftungsmargen werden hoffentlich dazu nung von den Küsten festgelegt und muß die Einhal- führen, daß die Versicherungsgesellschaften auch tung dieser Routen durch landgestützte Überwa- nachhaltiger prüfen werden, um so die Reeder und die chungssysteme sichergestellt werden. Die Bundesre- Eigner zu zwingen, vernünftige Schiffe mit vernünfti- gierung unterstützt eine entsprechende Initiative des gen Besatzungen auf die Meere zu schicken. Diese Europäischen Parlaments. Ich verweise auf den in Rostlauben und die Schiffe, die wir teilweise vorfin- einer Entfernung von rund 50 km vor der deutschen den, dürfen wir nicht mehr zulassen. Wir sollten das Nordseeküste verlaufenden Tiefwasserweg für Tan- verhindern. ker und auf das zu seiner Überwachung installierte Radarsystem. Ich danke Ihnen. Drittens. Um den Schutz unserer Küsten weiter zu (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und verbessern, sollte das deutsche Küstenmeer, d. h. das dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hoheitsgebiet von derzeit 3 auf bis zu 12 Seemeilen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11365

Parl. Staatssekretär Dr. Dieter Schulte ausgedehnt und zusätzlich eine Wirtschaftszone ein- bereich einer besseren künftigen Prävention, also der gerichtet werden. Hierdurch wird es möglich, die Verhütung von Tankerunglücken, und verzichte dar- Einhaltung internationaler Bestimmungen wirkungs- auf, andere Dinge wie die der effektivsten Bekämp- voller durchzusetzen. fung von einmal eingetretenen Ölunfällen, Haftungs- Viertens. Wir halten es für erforderlich, das Schiffs- fragen usw. zu behandeln, denn wie immer im Leben management weiter zu verbessern. Die Bundesregie- ist Vorbeugen besser als Heilen. Es muß uns ja vor rung setzt sich daher im Rahmen der IMO für die allem darum gehen, alle nur denkbare Vorsorge zu Schaffung eines obligatorischen Systems für das treffen, um zu verhindern, daß die deutsche Küste Management des sicheren Schiffsbetriebs und für jemals von einem solchen schweren Unglück betrof- Maßnahmen zur Verhütung der Meeresverschmut- fen wird wie jetzt leider die Shetlandinseln. zung ein. Im übrigen kann ich, was andere Aspekte dieses Fünftens. Darüber hinaus wird auf Initiative der wichtigen Themas betrifft, darauf verweisen, daß sich Bundesregierung in der IMO eine international ein- der Deutsche Bundestag immer wieder mit dieser heitliche Arbeitssprache entwickelt, um Verständi- Frage beschäftigt hat. Ich selbst habe hier 1979 zum gungsschwierigkeiten unter den Besatzungen und mit erstenmal im Namen meiner Fraktion Vorschläge den landseitigen Verkehrssicherungseinrichtungen eingebracht, von denen im übrigen viele in der zu beseitigen. Zwischenzeit auch umgesetzt worden sind. Es hat Meine Damen und Herren, andere Maßnahmen dazu im Plenum des Deutschen Bundestages immer sind zu prüfen. Dazu gehören die weitere Verkürzung wieder Debatten gegeben. der Lebensdauer vorhandener Tanker und die Verrin- Inzwischen sind wir auch alle von der Auskunft weit gerung der Tankgrößen. Um die Bemühungen für entfernt, die die CDU/CSU-Bundestagsfraktion 1978 mehr Sicherheit zu forcieren, hat sich Bundesver- auf eine entsprechende Anfrage von der damaligen kehrsminister Professor Krause in einem Schreiben an Bundesregierung bekommen hatte und die lautete, die EG für die unverzügliche Einberufung einer Fach- daß wegen der anderen geographischen und morpho- konferenz der EG ausgesprochen. Innerhalb der Bun- logischen Situation ein Unglück wie das der Amoco desregierung arbeitet bereits eine Arbeitsgruppe an Cadiz damals in der Bretagne für die deutsche Küste der Weiterentwicklung der Sicherheit. nicht denkbar sei. Wir wissen, daß ein Unglück für die Schließlich muß eine schnelle Verbesserung der deutsche Küste leider nicht nur denkbar ist, sondern Haftungsregelungen erfolgen. Die Bundesregierung daß es auch sehr viel gravierendere Auswirkungen wird das schnelle Inkrafttreten der Protokolle von hätte, weil der Ölschaden nicht durch die hohe See, 1992 — es geht dabei um eine Haftungssumme bis sondern durch das weltweit einmalige Ökosystem 450 Millionen DM, und dies auch ohne Verschulden — Wattenmeer getragen und erlitten werden müßte. zügig vorbereiten. Herr Kollege Schütz, wir sind also Torrey Canyon 1967, Amoco Cadiz 1978, Exxon insgesamt weiter, als Ihre Forderung vorhin beinhaltet Valdez 1989, Aragon 1990, Mega Borg 1990, Haven hat. 1991, Aegean Sea 1992, Braer 1993: Die Abstände Ich glaube, dies ist ein wichtiges Paket, um insge- werden immer kürzer. Das Risiko wird offenbar trotz samt mehr Sicherheit zu erzielen, aber auch schlimme aller internationalen Bemühungen nicht geringer, es Folgen nachher besser zu bewältigen. scheint größer geworden zu sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der weltweit bekannteste deutsche Segler und große Meeresumweitschützer Rollo Gebhard hat mir dazu gesagt: Es liegt an den Menschen. Er selbst habe Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort immer wieder erlebt, daß eine mangelnde Seemann- hat nunmehr der Abgeordnete Dr. von Geldern. schaft zu großen Gefahren führt. So hat er mir z. B. von dem Freudenfest erzählt, das auf einem griechischen Frachter stattfand, als Kapitän und Mannschaft wider (CDU/CSU): Herr Präsi- Dr. Wolfgang von Geldern alles Erwarten die Straße von Gibraltar gefunden dent! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst hatten. etwas tun, was ich als meine Verpflichtung als Vorsit- zender des Umweltausschusses ansehe: Die Kritik, die Die Anerkennung von ausländischen Prüfungen im Herr Kollege Schütz an dem Beitrag des Staatssekre- akademischen Bereich wird zu Recht von den deut- tärs Stroetmann geäußert hat, halte ich wirklich für schen Behörden sehr streng gehandhabt. Seemänni- unberechtigt. Er hat nicht Sorglosigkeit, sondern Ver- sche Prüfungen kann man aber in aller Welt ablegen, antwortungsbewußtsein in der gestrigen Sitzung des zum Teil auch Prüfungstestate kaufen, und man trägt Umweltausschusses an den Tag gelegt. dann die riesigen Gefahren eines modernen Öltan- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kers über das Meer zu uns und zu anderen. Das muß geändert werden. Das zweite ist: Ich bin für das, was Herr Staatsse- kretär Dr. Schulte zu diesem Katalog, der abgearbeitet So haben sich z. B. im konkreten Fall die britischen werden soll, aus der Sicht des Bundesverkehrsmini- Behörden die Frage gestellt, weshalb der Tanker vom sters gerade vorgetragen hat, sehr dankbar. Ich norwegischen Hafen Bergen die südlich gelegene, glaube, dies trifft ganz wesentlich den jetzt vorhande- viel schwierigere und gefährlichere Route zwischen nen und wieder sichtbar gewordenen Handlungsbe- den Shetlandinseln und den Orkneyinseln gewählt darf. hat. Aus Unkenntnis oder um Zeit zu sparen? In meinem kurzen Beitrag in dieser Aktuellen Zur Ursache des Unfalls wurde von den britischen Stunde beschränke ich mich bewußt auf den Fragen- Experten erklärt, daß der Ausfall des Schiffsantriebs 11366 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Wolfgang von Geldern durch Wasser im Tank in jedem Fall früher hätte So gerät die augenblickliche hektische Betriebsam- verhindert werden können. Schon das Vorhandensein keit zu einem Ablenkungsmanöver von der Mitver- von Wasser im Treibstoff hätte rechtzeitig bemerkt antwortung an dem, was letzte Woche vor den Shet- werden müssen. Selbst der Ausfall der Maschine hätte landinseln passiert ist. Es ist doch allen Verantwortli- zügig behoben werden können. Als Grund für das chen seit langem bekannt, daß mehrere tausend Versagen der Mannschaft wird von den Experten die Tanker über die Weltmeere schippern, von denen mangelnde Ausbildung angeführt, aber auch die 50 % älter als 15 Jahre sind. fehlende Verständigung zwischen den aus mehreren Wenn Experten sagen, daß Tanker, auch wenn sie Nationen bestehenden Mannschaftsmitgliedern. regelmäßig gewartet und repariert werden, nach 12 Über das aktuelle Ereignis hinaus zeigt eine Ana- bis 15 Jahren reif zum Abwracken sind, dann bedeutet lyse der schweren Tankerunfälle der letzten 25 Jahre, das, daß einige tausend Zeitbomben mit Millionen daß immer wieder menschliches Versagen im Spiel Tonnen Öl an Bord über die Meere fahren und daß es war. Verständigungsschwierigkeiten bei den multi- nur eine Frage der Zeit ist, bis es auch die deutsche nationalen Mannschaften und unzureichende Ausbil- Bucht erwischt. dung sind offenbar ein entscheidender Mangel. Aber die Verantwortlichkeit der Bundesregierung Deswegen meine ich zum Schluß, daß die von erstreckt sich nicht nur auf das Nichthandeln bei der deutscher Seite initiierte Einführung einer internatio- Durchsetzung von mehr Sicherheit. Sie ist auch mit- nalen einheitlichen Arbeitssprache für die Kommuni- verantwortlich für den technischen Zustand der kation an Bord, wie sie im Luftverkehr längst üblich Schiffe und für die Qualität der Schiffsbesatzungen. ist, ebenso schnell beschlossen werden sollte wie die Alle Wirtschaftsminister, angefangen mit Graf Lambs- dringend erforderliche Revision der veralteten inter- dorff in der Regierung Schmidt/Genscher, haben das nationalen Normen für die Ausbildung, die Erteilung Ausflaggen der Schiffe gefördert. Graf Lambsdorff von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von sagte am 7. März 1980 in einer Rede zum 60. Ostasia- Seeleuten. tischen Liebesmahl in Hamburg vor Unternehmern: Ich glaube, daß auch zunächst eine deutsche, dann eine europäische Küstenwache hier hilfreich sein Ich muß j edoch ebenso offen zugestehen, daß das könnte, die von einer interfraktionellen Initiative Fahren unter billigen Flaggen in einem markt- dieses Deutschen Bundestages angeregt worden ist wirtschaftlichen System systemkonform und legi- und zu der mittlerweile eine Arbeitsgruppe der Bun- tim ist. desregierung gebildet worden ist. Ich begrüße das Wer so redet, muß sich zurechnen lassen, daß die sehr und hoffe, daß es bald zu konkreten Ergebnissen größte Tankertonnage heute unter der Flagge Libe- kommt. rias fährt, eines Landes, in dem seit Jahren Bürger- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) krieg herrscht, wo Regierungskontrolle über die Sicherheit von Schiffen nicht gerade das wichtigste Problem sein kann. Im Gegenteil: Man wirbt dort Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile sogar mit der totalen Freiheit für Reeder. Es heißt in nunmehr dem Abgeordneten Bernd Henn das Wort. einer liberianischen Broschüre:

Bernd Henn (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Liberia erlaubt es dem Reeder, seine Besatzung Meine Damen und Herren! Nach der Auflistung im dort anzuheuern, wo sie nach seinem Dafürhalten „Stern" von dieser Woche hat sich vor den Shetland- die geringsten Personalkosten verursacht. inseln die 17. Tankerkatastrophe seit 1978 ereignet. Das Ergebnis sind alte, schlecht gewartete Schiffe, Dabei sind rund 1,5 Millionen t Rohöl ins Meer geführt von völlig überforderten Mannschaften. geflossen, 100 000 t jährlich im Schnitt der letzten 15 Jahre. Diese Daten zeugen schon von einer fatalen Diese Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen Normalität. haben fast zwei Jahrzehnte zugesehen, wie der inter- nationale Sicherheitsstandard auf See durch das Ver- Nun hört man, daß die Bundesregierung weitrei- bringen von Schiffen unter Billigflaggen reduziert chende Konsequenzen aus dem Tankerunglück vor wurde. Das macht ihre Mitschuld an Tankerkatastro- den Shetlandinseln für unerläßlich hält und schon eine phen aus. Deswegen muß die wichtigste Forderung Arbeitsgruppe eingesetzt hat. Es gibt sogar schon sein, den Prozeß der Ausflaggung wieder umzukeh- diesen Fünf-Punkte-Katalog. ren. Das ist zwar lobenswert, aber ich würde dem Verkehrsminister dringend empfehlen, sich einmal Der zweite Punkt notwendiger Maßnahmen betrifft die Verschärfung der Kontrollen von Tankern, die in den gemeinsamen Forderungskatalog der Gewerk- die einfahren, verbunden mit der schaften ÖTV und IG Metall aus dem Jahre 1978 EG-Wirtschaftszone heraussuchen zu lassen. Das Papier trägt die Über- Möglichkeit, die Schiffe 200 Meilen vor der Küste schrift „Neue Arbeitsplätze auf Werften und mehr abweisen zu können, wenn sie den Sicherheitsanfor- Sicherheit für Tanker" . In diesem Papier finden Sie derungen nicht entsprechen. In diese Richtung geht vieles, was die Arbeitsgruppe offensichtlich erst the- auch der Fünf-Punkte-Katalog des Verkehrsministe- matisch erfassen will. Wenn die Bundesregierung und riums. ihre Vorgängerinnen die Warnungen und Forderun- Aber dann müßten natürlich schärfere Anforderun- gen der Sachverständigen der sich mit Schiffahrt gen für die Freigabe von Schiffen vorliegen, als das befassenden Gewerkschaften ernst genommen und zur Zeit der Fall ist. Denn ganz offensichtlich folgen rechtzeitig gehandelt hätten, dann könnte heute auf die Klassifikationsgesellschaften eher den Interessen den Weltmeeren schon einiges anders sein. der Reeder als den Forderungen für Mensch und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11367

Bernd Henn Natur. Ein Beispiel: Im letzten Jahr wurde im Ham- wenn das Unglück praktisch vor der Haustür pas- burger Hafen im Rahmen der Staatenkontrolle ein siert. Schrottkahn festgemacht, aber von der Klassifika- (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Bei Ihnen tionsgesellschaft mit der Auflage freigegeben, nur bei nicht?) gutem Wetter durch die Biskaya fahren zu dürfen. So nützt die beste Kontrolle herzlich wenig. — Ich bin auch nicht frei von Fehlern. Ich bin nicht für eine Ausweitung der EG-Bürokra- Eine solche Ölkatastrophe ist tatsächlich auch in der tie, aber anstatt sich mit der Beschaffenheit und Nordsee möglich. Die nächste Tankerroute läuft nur Normierung von Traktorsitzen auf EG-Ebene zu 28 Seemeilen vor den Friesischen Inseln. Angesichts befassen, wäre eine EG-behördliche Klassifikation der hier herrschenden Wind- und Gezeitenverhält- von Tankern und Schiffen für Gefahrgüter eine sinn- nisse wäre ein Tankerunglück vor unserer Küste volle Ausweitung der EG-Zuständigkeit. tatsächlich eine Katastrophe. Herr Schütz, der nicht mehr da ist, hat das vorhin sehr deutlich und makaber (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei beschrieben. Das würde nicht nur heißen, daß das Abgeordneten der SPD) Wattenmeer biologisch tot ist, sondern das würde Der dritte Punkt betrifft die Nachrüstung der Tan- auch in großem Umfang Arbeitsplätze kosten, und das ker auf doppelwandige Ausführungen, wobei ein- touristische Geschäft vor Ort wäre damit erledigt. zelne Tanks maximal 10 000 t Inhalt haben sollten. Wieso das Verkehrsministerium in diesem Zusam- Im Umweltausschuß versicherte uns gestern Staats- menhang staatliche Förderhilfe erwägt, damit das vor sekretär Stroetmann, daß kein Anlaß für die Bundes- dem Jahr 2000 passiert, habe ich allerdings nicht ganz regierung besteht, die vorhandenen Möglichkeiten verstanden. Für den einzigen Tanker, der noch unter zur Bekämpfung von Ölunfällen nachhaltig zu verbes- deutscher Flagge fährt, die „Bayern" von der VEBA, sern. Aber die Faktenlage ist doch eine andere. So ist das sicher schnell zu klären. Nachdenkenswert kann z. B. das Ölbekämpfungsschiff „Mellum" prak- erscheint mir das erst, wenn diese Förderung im tisch nur unter Schönwetterbedingungen helfen. Zusammenhang mit der Schaffung von Arbeitsplätzen Überlegungen im Bundesverkehrsministerium zur auf den Werften gegeben würde — natürlich ein- Ersetzung der Lotsen an Bord nach Einführung des schließlich Mecklenburg-Vorpommern — und für neuen Radarleitsystems 1994 sind angesichts der Schiffe, die unter der Flagge eines Landes fahren, das aktuellen Situation unverantwortlich. Bei aller techni- auch für Ausbildung und soziale Rechte der Mann- schen Hilfe kann das Reagieren des Lotsen an Bord schaften garantiert. nicht durch Computer ersetzt werden. Skandalös ist in Schönen Dank. diesem Zusammenhang auch die Befreiung von der Lotsenannahmepflicht bei schlechtem Wetter für die (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Containerriesen der Hapag-Lloyd durch einen Erlaß des Bundesverkehrsministeriums. Es gibt also nicht den geringsten Grund, sich in Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort Sicherheit zu wiegen. Herrn Stroetmanns Sprüche, hat nunmehr der Abgeordnete Klaus-Dieter Feige. wie „Wir haben eine gute Feuerwehr, aber daß es ab und zu doch brennt, können wir nicht verhindern", sind doch fahrlässig. Er hat es vielleicht nicht so Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gemeint, Herr von Geldern, aber so locker kann man NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen es nicht sagen. und Herren! Vor allem für die elektronischen Medien Ich denke, daß gegen reine Gewinnsucht um der war die Strandung des Großtankers „Braer" eine der Natur und der Umwelt willen sowohl in technischer billigsten Fernsehserien des Jahres mit ziemlich guten Hinsicht als auch bei der Logistik der Tankerschiffahrt Einschaltquoten. Man hatte manchmal den Eindruck, doch noch einiges machbar ist. Die vorgeschlagene als wären die Berichterstatter vor Ort fast enttäuscht Verkleinerung der Tanks, die Reduzierung der Nut- gewesen, wäre das Wrack nicht doch noch zerborsten. zungsdauer der veralteten Tanker und selbst doppel- So schauerlich solche Seifenopern im Fernsehen wandige Tanker bringen aber auch keine hinrei- grundsätzlich sind, so bleibt vielleicht als einzig Trö- chende Sicherheit. Restriktionen bei der Wahl der stendes an dieser Berichterstattung, daß sie die Auf- Tankerschiffahrtlinien und ähnliches gehen an der merksamkeit der Bevölkerung erneut auf eines der eigentlichen Ursache der Tankerunfälle vorbei. Diese brisantesten Kapitel der Schiffahrt gelenkt hat. besteht nämlich in der immer größer werdenden Gier (Gerhart Rudolf Baum [F.D.P.]: Das ist ja wohl der Länder der Ersten Welt nach Mineralölenergie. die Aufgabe der Presse!) Bei Berücksichtigung der Aussagen der Umwelt- Es ist nur bedauerlich, daß wir dieses Thema immer konferenz von Rio de Janeiro kann mittelfristig die wieder und wieder beraten müssen, ohne daß erkenn- Zielsetzung nur heißen: Ausstieg aus der Mineralöl- bar etwas wirklich Durchgreifendes passiert. wirtschaft. Da viele meiner Kollegen diese logische Forderung wieder für grüne Ideologie halten und Innerhalb weniger Wochen ist nun also ein weiterer einfach sagen, man brauche noch mehr Erkenntnisse, Supertanker auseinandergebrochen, und das auslau- auch aus der Enquete-Kommission, mache ich einige fende Öl hat eine weitere Umweltkatastrophe hervor- Übergangsvorschläge. gerufen. Schade nur, daß die Phantasie der Menschen in unserem Land und vielleicht auch die mancher So erscheint mir der Vorschlag von Herrn Schulte Kollegen zumeist erst dann besonders angeregt wird, zur Erhöhung der Haftungsvorsorge auf 450 Millio- 11368 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Klaus-Dieter Feige nen DM bei weitem noch nicht ausreichend. Allein bei Auch das muß man weiterhin in Erinnerung behal- der „Exxon-Valdez" sind über 2 Milliarden DM Scha- ten. den entstanden. Dies müßte die Mindesthaftung sein, (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: So ist es!) die in den Forderungskatalog aufzunehmen ist. Dann würden wir uns auch die ganze Geschichte mit den Ich möchte sodann dem Kollegen Dr. Feige sagen: Billigflaggenländern sparen. Die Frage der Lotsenannahmepflicht wird ja — teil- weise auch wegen spezieller Interessenlagen — Bei der Feststellung des Katastrophenumfangs darf immer wieder falsch dargestellt. Hier geht es nur aber auch die Natur nicht mehr mit der Schadens- darum, bis zu einem Punkt, bei dem auch bei stürmi- summe Null angesetzt werden. Natürlich ist hier eine scher See ein Seelotse sicher übernommen werden geldliche Bewertung schwierig. Herr Schütz brachte kann, eine Befreiung auszusprechen. Die Übernahme das Beispiel, einen Haubentaucher mit 1,50 DM zu muß aber auf jeden Fall stattfinden, bevor das Schiff berechnen. Aber wir müssen beginnen, den Schaden Bremerhaven oder Brunsbüttel erreicht. an der Natur, die Kosten für die Wiederherstellung von Biotopen, Lebensräumen und das Wiederansie- (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE deln von Tieren zu berechnen, so unpopulär das auch GRÜNEN]: Wer entscheidet das?) ist; sonst kommen wir nicht aus der Misere heraus. Dies muß hier richtig dargestellt werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und der PDS/Linke Liste) Ich glaube, ich bin nicht technikgläubig, wenn ich In diesem Sinne fordere ich die Bundesregierung sage: dennoch ist der Mensch auch hier immer das auf, alles zu tun, um zu erreichen, daß sich auch die schwächste Glied in der Kette. Auf der Elbe haben sich Schiffahrtnationen selbst an der Haftung durch inter- in der Vergangenheit viele Schiffsunglücke, auch national verbindliche Verträge beteiligen. Nur so Tankerunglücke, ereignet. Sie alle ereigneten sich kann verhindert werden, daß es billiger ist, schlecht trotz eines Lotsen an Bord. ausgebildetes Personal auf Schrottdampfern unter (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Billigflaggen fahren zu lassen. GRÜNEN]: Lotse und Computer!) All das wird nur etwas nutzen, wenn wir die Hauptverbrauchsquellen von Mineralölnutzung Das darf man auch nicht verdrängen. Den Menschen schließen. Ich denke dabei auch an ein Umdenken im zu suggerieren, daß nur ein Lotse an Bord totale Verkehrsbereich. Ich kann es Ihnen nicht ersparen: Sicherheit verheißt, ist der größte Quatsch. Der Luft- Die Geschwindigkeitsbegrenzung gehört dazu. verkehr ist nicht deswegen sicher, weil ein Flutlotse in personam an Bord wäre, sondern er ist im wesentli- Wir haben zwar eine gute Feuerwehr, aber ich chen deswegen sicher, weil dem Menschen überle- glaube, daß die Bundesregierung noch oft genug zu gene Technik immer weiter optimiert wird und der den Brandstiftern zählt. In diesem Zusammenhang Mensch, der sie anzuwenden hat, immer besser aus- denke ich an manchen Minister wirklich nur mit gebildet wird. Das muß man sich klarmachen. „Krausen". Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Ich freue mich, daß die Zahl der Schiffsanlandungen über die Elbe auf Grund des Baus der Pipeline weitgehend zurückgegangen ist; 1992 sind nur noch Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr 70 Öltanker gekommen. Ich finde, das ist ein großer erteile ich dem Abgeordneten Dirk Fischer das Fortschritt. Wir sind für den Bau der Pipeline sehr Wort. dankbar. Ich will zu dem Thema, über das wir diskutieren, nur Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Herr Präsi- folgendes sagen: Das, was passiert ist, ist nicht nur dent! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte eine regionale Katastrophe, sondern auch eine Kata- zwei Vorbemerkungen machen. Zum einen möchte strophe für die ganze Nordsee und für unser Land. Ich ich Herrn Kollegen Henn daran erinnern, daß zu der danke der Bundesregierung, daß sie ihre Hilfe bei der Zeit, als Sie noch Mitglied der SPD waren, die mit Ölschadensbekämpfung sofort angeboten hat. Abstand größte Ausflaggungswelle überhaupt abge- Wir sind uns darüber einig — ich will nicht alles, was laufen ist. Das war zur Regierungszeit des Bundes- hier soeben gesagt worden ist, wiederholen —, daß kanzlers Schmidt. Dies dürfen wir nicht verdrängen das Alter und der schlechte Erhaltungszustand der oder falsch darstellen. In dieser Zeit ist die Zahl Schiffe Veranlassung dazu geben muß, daß solche deutscher Seeleute von 55 000 auf etwa 19 000 Tonnage so schnell wie möglich ersetzt wird und daß zurückgegangen, eine Zahl, die wir cum grano salis auch Tonnage ohne Doppelhülle so schnell wie mög- seit 1982 völlig stabil halten konnten. lich ersetzt wird. Wir müssen kürzere Übergangsfri- (Beifall bei der CDU/CSU — Bernd Henn sten festlegen und versuchen, diese Schiffe schnell [PDS/Linke Liste]: Ich habe von vor 20 Jahren auszutauschen. gesprochen!) Die Bundesregierung ist vor allem nach dem letzten Die Regierung, die von der Partei getragen wurde, Unglück, dem Unglück der „Exxon Valdez", Trend- der Sie damals noch angehörten, hat es seinerzeit setter in der IMO gewesen. Sie hat Initiativen ergrif- auch abgelehnt, sich international für die Schließung fen, um verschärfte Regelungen durchzusetzen. der offenen Register einzusetzen, und zwar bis zu Dabei sind wir erfolgreich gewesen. Man kann dieser ihrem letzten Tag. Bundesregierung dafür, wie ich finde, nur Anerken- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) nung aussprechen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11369

Dirk Fischer (Hamburg) Wir müssen alles tun, um Verbesserungen zu errei- nicht nur auf die internationale Ebene abschieben. Ich chen. Insbesondere dem Risikofaktor Mensch muß so - denke vielmehr, es gibt im nationalen Bereich Verant- weit wie möglich entgegengewirkt werden. Das, was wortlichkeiten, denen wir auch sehr konkret gerecht hier zu der Routenführung gesagt worden ist, halte ich werden können. für weitreichend und sehr, sehr vernünftig. Dies kann Wir sind uns in vielen Punkten einig. Die Festlegung für uns auch unter ökologischen Gesichtspunkten internationaler Schiffahrtsrouten mit Meldepflicht eine echte Schutzfunktion in der Zukunft haben. Das für Schiffe mit erheblichem Gefährdungspotential ist gleiche gilt für die Qualitätssicherung bei den Reede- ebenso wichtig wie die Ausdehung der deutschen reien. Wir müssen uns international dafür einsetzen, Hoheitsgewässer, damit Küstensperrzonen einge- einen Schiffsmanagement - Code einzuführen, der richtet werden können. Aber das reicht nicht, denn land- wie bordseitig zu einer deutlichen Erhöhung der Küstensperrzonen nutzen nichts beim Einlaufen in Sicherheit führen soll. Damit können wir die Reede- Bundeswasserstraßen oder Küstenhäfen. Wir müssen reien wie die Schiffsführung im Hinblick auf die dort also etwas tun, zumal Öl- und Chemikalienun- Einhaltung der Sicherheitsregeln überprüfen. Wir fälle in unseren Randmeeren auch immer Auswirkun- müssen — wie im Luftverkehr — über die IMO eine gen auf die nordeuropäischen Küsten haben. international einheitliche Arbeitssprache auf den Schiffen, zwischen den Schiffen, aber auch zwischen Wenn wir unsere Küsten wirksamer schützen wol- Schiffen und Landstationen, die eingesetzt sind, len, dann brauchen wir für die Nord- und für die durchsetzen. Wir müssen die Hafenstaatenkontrolle Ostsee eine Gefährdungsanalyse, die zugleich die in Europa weiter verschärfen, um veraltete, schlecht Rahmenbedingungen für die Gefährdungsminimie- gepflegte Tonnage und schwarze Schafe auszumer- rung aufzeigt. Ich denke, wir können außerdem eine zen. Wir müssen uns hier als Europäer entsprechend Wirtschaftlichkeitsanalyse verlangen, die den opti- verantwortlich fühlen. malen Bereich wirtschaftlich zu betreibender Tanker- Wir sind uns, glaube ich, zwischen den Fraktionen größen im Verhältnis zur Minimierung der ökologi- darin einig, daß dieses Thema dringend einer vertie- schen Folgeschäden untersucht. fenden Behandlung mit Experten in der einen oder Ich bin der Meinung, daß wir im Interesse unserer anderen Weise im Ausschuß bedarf. Dem werden wir Küstensicherheit die Lotsenannahmepflicht unverän- uns im Verkehrsausschuß demnächst zuwenden. dert lassen sollten, in diesem Zusammenhang viel- Meine Fraktion, die CDU/CSU-Fraktion, fordert die leicht auch bei Streitigkeiten im Detail. Der Schlecht- Bundesregierung auf, in der IMO, in der EG, in allen wettererlaß ist ein erster Einstieg in eine Reduzierung internationalen Gremien weiterhin eine offensive und der Lotsenannahmepflicht. Ich denke, wir müssen ihn führende Rolle zu spielen und sich insbesondere dafür ernsthaft überprüfen und gegebenenfalls zurückzie- einzusetzen — Herr Kollege Schütz hat es angespro- hen. chen —, daß eine Haftungsregelung, in der der Umfang der Haftung mehr als verdreifacht wird, so Wir können keinerlei Risiko wegen unzureichender schnell wie möglich in Kraft treten kann. Revierkenntnis oder bei Unsicherheiten in der Schiffs- führung bei schwerem Wetter in unseren engen Bun- (Beifall bei der CDU/CSU) deswasserstraßenrevieren zulassen. Das ist nicht zu Ich möchte dem Herrn Staatssekretär und der Bun- verantworten. Die Betriebswirtschaftlichkeit des Lot- desregierung im Namen meiner Fraktion unsere senwesens steht in keinem Verhältnis zu den mögli- Anerkennung für die heutige Erklärung aussprechen chen ökologischen Folgeschäden. und sagen: Wir unterstützen diese Erklärung vollin- haltlich. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- 84 % der Schiffsunfälle sind auf menschliches Ver- geordneter Fischer, während der Aktuellen Stunde sagen zurückzuführen. Ich denke, daß ist eine Folge muß ich, was die Redezeit angeht, etwas genauer sein der Politik, die es nicht geschafft hat, den ruinösen als normalerweise. Unterbietungswettbewerb der Billigflaggen zu bre- chen. Sicherheit hat ihren Preis, und die Frachtraten Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Ich komme sind zu niedrig. Die Situation verbessern wir dann, zum Schluß! Meine Fraktion weiß dieses Thema bei wenn wir daran arbeiten, die Qualität sowohl der der Bundesregierung in den allerbesten Händen. Besatzungen als auch der Schiffe zu verändern. Es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nützt nichts, wenn wir uns darauf einlassen, immer nur über die Weiterentwicklung der technischen oder der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile konstruktiven Sicherheit der Schiffe zu diskutieren, nunmehr der Abgeordneten Frau Margrit Wetzel das wenn es uns nicht gelingt, zumindest die IMO Wort. Standards auch gegenüber der Billigtonnage durch- zusetzen. Wir müssen dafür sorgen, daß die Besatzun- Dr. Margrit Wetzel (SPD): Herr Präsident! Liebe gen geprüft werden, daß Wartung und Instandsetzung Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Schulte, zunächst der Schiffe gegenüber der Billigtonnage überwacht einmal zolle ich Ihnen echte Anerkennung dafür, daß und durchgesetzt werden. Deswegen erwarten wir die Regierung in Bewegung geraten ist, daß es Pläne von Herrn Krause in diesem Zusammenhang sowohl gibt, tätig zu werden, um die Küstensicherung zu auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ganz verbessern. Ich denke aber, der Verweis darauf, daß konkrete Maßnahmen. Ich nenne zunächst die Ein- die nationalen Betroffenheiten nicht so leicht umzu- führung von Haftungsvorschriften, die unbegrenzt, setzen sind, reicht nicht. Wir können die Diskussion verschuldensunabhängig, in gemeinsamer Verant- 11370 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Margrit Wetzel wortung der Ölkonzerne, der Ladungseigner und der wichtig wird, sich um die Einhaltung der Vorschriften Reeder vorgesehen werden sollten und diese auch in selbst mit zu kümmern. die Verantwortung für die Kosten der Umweltfolge- schäden nehmen. (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir brauchen keine Verdachtssonderkontrollen, sondern drastische und umfassende Verschärfungen Dasselbe gilt für die Reeder, wenn sie sonst keine und Kompetenzerweiterungen der Hafenstaatenkon- Versicherung mehr bekommen und keine Schiffe trollen, bei denen hohe Bußgelder verhängt, fehlende mehr laufen lassen können. Ich finde das, was die Instandsetzungen erzwungen und Ein- und Auslauf- Amerikaner in den letzten Jahren auf diesem Gebiet verbote für unqualifizierte Schiffe ausgesprochen gemacht haben, vorbildhaft. werden können. Wir müssen ferner die Rolle und (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!) Wirksamkeit der Klassifikationsgesellschaften ernst- Sie haben die Haftung ausgedehnt. Ihr innerstaatli- haft in Frage stellen und überdenken. Unseriosität ches Haftungsrecht ist allerdings ganz anders als bei einzelner im Konkurrenzkampf, Vorwürfe möglicher uns. Sie haben jetzt eine unbeschränkte Haftung. Das Unlauterkeit und Bestechlichkeit können wir nicht wird große Schwierigkeiten auf den internationalen ständig ignorieren. Wir sollten dem Vorschlag des Versicherungsmärkten bringen. Man hört schon jetzt Präsidenten der amerikanischen Klassifikationsge- Klagen über mangelnde Rückversicherungsmöglich- sellschaft ABS folgen und verbindlich Besichtigungs- keiten. teams vorschreiben, die z. B. aus Vertretern der Ree- der, der Versicherer und der Regierung zusammenge- Ich meine, die Bundesregierung sollte sich nach- setzt sind. Dann sind die Vorwürfe vom Tisch. drücklich weiter dafür einsetzen, daß — ähnlich wie wir es im Umwelthaftungsrecht gemacht haben — Noch ein letzter Satz: Wir sollten die USA und Kanada als Vorbild nehmen und ein europäisches über die Haftung die Kontrollen verstärkt werden, Board of Transport Safety ins Auge fassen. Wir sollten weil sonst die Prämien nicht zu bezahlen sind oder gar keine Versicherung mehr zu erhalten ist. außerdem versuchen, eine europäische Seeunfall- Untersuchungskommission durchzusetzen, um auch (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hier mehr Zusammenarbeit zu fördern. Wir müssen also das Verhalten der an den ganzen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Prozessen Beteiligten verändern: der Reeder und der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE Charterer, möglicherweise auch der Staaten, in denen GRÜNEN) solche Ladungen aufgenommen werden. Sie müßten sich überlegen, in welchen rostigen Schiffskörpern sie 80 000 Tonnen abfüllen, und müßten das unterlas- sen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Es spricht nunmehr der Abgeordnete Gerhart Rudolf Baum. Die Sache mit den Mannschaften ist ein Problem für sich. Es gibt ganz lapidare menschliche Versagens- muster. Damals in Kanada war es der Alkohol. Ich Gerhart Rudolf Baum (F.D.P.): Herr Präsident! habe gehört — ich weiß nicht, ob es stimmt —, daß Mannschaften auf Billigflaggenfrachtern sehr viel Meine Damen und Herren! Es ist leider so, daß immer wieder etwas passieren muß, damit das Recht und die länger an Bord sind, ohne ausgetauscht zu werden Kontrolle weiterentwickelt werden. Auf der anderen — viele Monate —, als Mannschaften auf unseren Schiffen. Dem Seite gibt es in diesen Debatten das Ritual, die menschlichen Versagen muß nachge- gangen werden. jeweilige Bundesregierung für Vorfälle, die irgendwo passieren, mitverantwortlich zu machen. Wir sollten die Bundesregierung ermutigen, gegen Ich bedauere einerseits, daß es immer wieder sol- mögliche Widerstände in der EG aufzutreten. In der cher spektakulärer Unfälle bedarf, um Staaten an den Tat ist richtig, was hier gesagt worden ist: Die Ameri- Verhandlungstisch zu bekommen. Aber ich wehre kaner haben zusammen mit den Kanadiern Regelun- mich dagegen, die Bundesregierung, die sich seit gen getroffen. Eine Folge dieser Regelungen könnte sein, daß die unsicheren Schiffe in die europäischen einigen Jahren nachdrücklich bemüht, die internatio- nalen Regeln zu verbessern, hier zu kritisieren. Gewässer geschickt werden und der amerikanische Seeraum relativ sicher wird. (Beifall des Abg. Wolfgang Börnsen [Bön- strup] [CDU/CSU]) (Zuruf von der CDU/CSU: Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen!) Es gibt eine ganze Reihe internationaler Regelun- gen, die aber nicht voll durchgesetzt werden. Das ist Ich möchte Sie ermutigen, in der EG vorzugehen, beispielsweise bei den Klassifizierungsgesellschaften wie Sie das vorhaben, und sich durch den Widerstand der Fall. Wir haben gestern im Ausschuß gehört: Von von ein oder zwei EG-Staaten nicht beirren zu lassen. den 50 Gesellschaften werden nur 11 wirklich kontrol- Hier sind Griechenland und Italien offen zu nennen. liert. Wir müssen uns ernsthaft fragen, wie wir das Das können wir uns als Europäische Gemeinschaft Recht, das es gibt, zur Anwendung bringen. Das ist ja nicht leisten. Hier muß die Situation verbessert wer- wohl der erste Schritt. Wir haben verschiedene den! Schlüssel in der Hand: einmal unsere eigenen Häfen, Wir wissen eigentlich ganz gut, wo die Schwachstel- also die Hafenkontrolle, und dann — ganz entschei- len liegen. Wir haben uns das heute noch einmal vor dend — die Versicherungen. Wir müssen einen Augen geführt. Tun wir alles, um Instrumente zu Zustand herstellen, wonach es für die Versicherer sehr schaffen — auch marktwirtschaftliche Anreize sind Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11371

Gerhart Rudolf Baum diskutiert worden; der Verband Deutscher Reeder hat setzt und nicht eingehalten werden? Die von der IMO das vorgeschlagen —, um bei denen, die Verantwor- beschlossene verschärfte Inspektionsverpflichtung tung tragen, das Interesse zu wecken, die Regelungen der Flaggenstaaten muß sofort in Kraft treten. Sonder- wirklich einzuhalten. Tun wir alles, um die Regelun- kontrollen für Alttanker in den Hafenstaaten sind gen zu verbessern — das ist hier in großer Überein- unabdingbar. Der Unsicherheitsfaktor Mensch kann stimmung gesagt worden —, um zu vermeiden, was nur durch bessere Ausbildung der Besatzung, die bei uns verheerend wäre. Herr von Geldern, Sie haben Einführung einer einheitlichen Arbeitssprache im es gesagt: Unsere Küstenstruktur des Wattenmeeres Schiffsverkehr und insgesamt durch besseres Schiffs- ist außerordentlich empfindlich. Wenn dort etwas management ausgeschaltet werden. passiert, wäre es eine ganz andere Katastrophe, als wir Vor allem müssen die internationalen Schiffahrts- sie jetzt von den Shetlandinseln vor Augen haben. wege besser gesichert werden. Es gilt, international Vielen Dank. festgelegte Fahrtrouten für Tankschiffe in größtmög- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) licher Entfernung von den Küsten und empfindlichen Gebieten festzulegen. Die Hoheitsgewässer müssen ausgedehnt, eine ausschließliche Wirtschaftszone mit Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort besonderen Kontrollrechten zum Schutz der Umwelt hat nunmehr die Abgeordnete Frau Bärbel Soth- muß eingerichtet, die entsprechenden Beschlüsse mann. müssen noch in diesem Jahr gefaßt werden. Der Schwerpunkt des deutschen Engagements muß bei Bärbel Sothmann (CDU/CSU): Herr Präsident! allen Maßnahmen im Rahmen der internationalen Meine Damen und Herren! Angesichts der jüngsten Organisationen liegen. Ich begrüße es daher sehr, daß Katastrophe vor den Shetlandinseln müssen wir uns der von der Bundesregierung aufgestellte Fünf- fragen: Ist ein sicherer Rohöltranport auf See eine Punkte-Katalog dringender Maßnahmen zur Siche- Utopie? Ist das nächste Tankerunglück nur noch eine rung des Mineralöltransports auf See bereits am Frage der Zeit? Die Häufung schwerer Tankerunfälle 25. Januar beim Treffen der EG-Umweltminister in in letzter Zeit läßt das befürchten. Von 1978 bis 1991 Brüssel erörtert werden wird. haben sich weltweit 28 große Öltankerunfälle ereig- Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine net. Wir haben das alles schon gehört. Welt, die darauf besteht, daß jedes Jahr 3 Milliarden Bei der Ursachenforschung wird man schnell fün- Tonnen Öl produziert werden, hat Ölseuchen und dig. Die Mehrzahl der Öltanker fahren unter Billig- damit verbundene Katastrophen selbst bestellt. Wir flaggen und sind schwimmende Zeitbomben. Durch müssen uns darüber klar sein, daß wir über unsere Überalterung, schlechte Wartung und Überwachung, Verhältnisse leben. Wir müssen unseren Energiever- unqualifizierte Besatzung und schlechte Arbeitsbe- brauch drastisch einschränken und unsere Transport- dingungen ist das nächste Tankerunglück bereits gewohnheiten ändern. vorprogrammiert. (Beifall bei der F.D.P., der SPD und dem Meine Damen und Herren, so kann es nicht weiter- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Dionys gehen. Wir müssen jetzt international verbindliche Jobst [CDU/CSU]: Dann müssen wir Kohle Regelungen für den sicheren Mineralöltransport auf verfeuern!) See forcieren, die bereits vorhandenen Abkommen Oberstes Ziel ist der Schutz unserer natürlichen drastisch verschärfen und deren Einhaltung mit allen Lebensgrundlagen. Mitteln durchsetzen. Dabei steht die Forderung nach strengeren Sicherheitsstandards für den Bau und die (Dr. Dionys Jobst [CDU/CSU]: Die Arbeit in Ausrüstung der Öltanker an erster Stelle. Der BMFT Bergwerken ist nicht minder gefährlich!) hat von 1980 bis 1985 Forschungsvorhaben zur Tan- Gerade deshalb müssen wir alle Risiken, die zu kersicherheit mit rund 2,3 Millionen DM gefördert. solchen Tankerunglücken führen können, unverzüg- Der europäische Hochtechnologietanker E 3 wird lich ausschalten. Der sichere Mineralöltransport auf allen heutigen Umweltbestimmungen gerecht, ist See, meine Damen und Herren, darf keine Utopie jedoch aus Kostengründen nicht konkurrenzfähig. bleiben. Meine Damen und Herren, der Wettbewerb darf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) aber nicht länger auf Kosten der Sicherheit gehen. Die internationale Schiffahrtsorganisation IMO hat zur Das Wort Verbesserung der Tankersicherheit 1992 ein umfang- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: hat nunmehr der Abgeordnete Ernst Waltemathe. reiches Maßnahmenbündel verabschiedet. Die Über- gangsregelungen, die die IMO für die Alttanker zugestanden hat, sind jedoch bei weitem zu großzü- Ernst Waltemathe (SPD): Herr Präsident! Meine gig. Wenn die Lebensdauer der Alttanker noch 25 bis Damen und Herren! Auch ich will mich in einer 30 Jahre betragen darf, werden die letzten Schiffe solchen Aktuellen Stunde auf einige Bemerkungen — Herr Kollege, Sie sprachen soeben von Rostlau- ohne Anspruch auf Vollständigkeit beschränken. ben — nicht vor dem Jahre 2012 von den Weltmeeren Als erstes stelle ich fest, daß Seefahrt not tut. Wir verschwinden. Diese Übergangszeit muß deshalb dürfen nicht den Eindruck erwecken, als ob der erheblich verkürzt werden. Herr Staatssekretär internationale Austausch von Gütern und ein florie- Schulte hat das vorhin ebenfalls gefordert. render Außenhandel an sich etwas Schädliches Herr Präsident, meine Damen und Herren, was wären. Aber das heißt umgekehrt: Seefahrt darf für die nutzen die besten Forschungsergebnisse, was nutzen natürliche Umwelt und das Leben der Menschen nicht die besten Sicherheitsregeln, wenn sie nicht umge- Not erzeugen. 11372 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Ernst Waltemathe Manfred Richter, der vorhin eingeleitet hat, hat Schutz gegen die auslaufenden 85 000 t Öl bieten. vielfach aus dem Schreiben des Verbandes Deutscher- Durch die Gezeiten in der Nordsee würde die Flut das Reeder zitiert, das uns allen per Fax zugegangen ist, ausgelaufene 01 bis nach Geesthacht an der Elbe, bis und immer auf das menschliche Versagen abgestellt. ans Weserwehr in Bremen und bis nach Varel am Mir mißfällt es, wenn man einerseits keinen Wert auf Jadebusen bringen. Millionen von Menschen an der qualifiziert ausgebildetes Personal legt und anderer- Elbe, der Weser, der Jade, der Ems wären in ihrer seits von menschlichem Versagen redet. Vielleicht wirtschaftlichen und natürlichen Existenz bedroht. haben wir die falschen Rahmenbedingungen geschaf- Deshalb, meine Damen und Herren: Seefahrt tut not; fen, und es ist unser menschliches Versagen. Billigtransporte mit Billigpersonal tun nicht not. Zweitens. Als im März 1989 der amerikanische Noch ein ganz kleines Beispiel: Finnland erhebt Supertanker „Exxon Valdez" vor Alaska auf einen eine Umweltschutzabgabe auf jede Tonne von oder Felsen gelaufen war, haben die US-Regierung und der nach Finnland transportierten Ols, aber nur eine Mark Kongreß in sehr kurzer Zeit reagiert. Der Oil Pollution je Tonne, wenn dieses Produkt mit einem Doppelhül- Act von 1990 besagt unter anderen, daß Tankschiffe, lentanker gebracht oder geholt wird. Man kann also die ab 1. Juli 1990 gebaut werden, nur dann in auch ökonomische Rahmenbedingungen stellen. US-Häfen einfahren dürfen, wenn ihre Rümpfe eine Letzter Satz: Unsere Küstenländer — sie sind auch Doppelhülle aufweisen. Die Doppelhülle ist der wirk- gefordert — samste Schutz vor Ölkatastrophen, wie sie nun erneut (Dr. Wolfgang von Geldern [CDU/CSU]: Wo in Europa — vor Spanien und jetzt bei den Shetland- sind überhaupt die Vertreter der Küstenlän inseln — eingetreten sind. der? Die ganze Bundesratsbank ist leer!) Drittens. Es ist natürlich wahr: Schiffahrt ist interna- und die Bundesregierung sollten schnellstens über tional, und deshalb müssen auch Sicherheitsstan- nationale und europäische Hafenregime und über von Schiffen und für die sie bedienenden dards verschärfte Sicherheitsbestimmungen und deren Mannschaften, die nicht versagen dürfen, mühselig Überwachung zur Tat schreiten. international heraufgeschraubt werden. Das aber darf keine Ausrede dafür sein, daß wir auf nationaler und Danke schön. europäischer Ebene nicht etwa sofort tätig werden (Beifall bei der SPD) können und dies im Hinblick auf IMO etc. verzö- gern. Das Wort Wenn Europa erst drei Jahre später als die USA, ab Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: hat nunmehr der Abgeordnete Wolfgang Börnsen. Mitte dieses Jahres, die Doppelhülle für neu zu bauende Tankschiffe verbindlich festlegt, muß gefragt werden, ob das nicht mit schärferen Vorschrif- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Herr ten gegenüber Tankschiffen älterer Bauart verbun- Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind schwim- den werden muß. mende Gefahrgüter, die Supertanker, die uns mit Öl Viertens. Die Bedeutung der deutschen Tanker- versorgen. Etwa 6 000 von diesen großen Tankern flotte ist mit 50 Öl- und Chemikalientankern, von fahren durch die Weltmeere. Weitgehend sicher durch denen 15 zwischen 15 und 25 Jahre alt sind, gegen- Doppelhülle und Kollisionsschutz sind nur ganz über einer Welttankerflotte von über 6 000 Schiffsein- wenige. Jedes zweite Schiff ist älter als 15 Jahre. Doch heiten, von denen annähernd 3 600 ein stattliches bei den Belastungen, denen diese Riesenpötte ausge- Alter von 15 bis weit über 25 Jahre aufweisen, setzt sind, müßte man eigentlich nach 15 Jahren mit vergleichsweise gering. Es ist also zu fragen, was mit der Verschrottung beginnen. Niedrige Frachtraten den zahlreichen schwimmenden Zeitbomben gesche- und Dumpingpreise führen jedoch bei vielen zu einer hen soll, die deutsche bzw. europäische Häfen anlau- gegenteiligen Strategie. Auch der rostigste Seelen- fen wollen. verkäufer wird eher aufgemöbelt als abgewrackt. Fünftens. Schadensbekämpfung mit Ölauffang- Doch alte Schiffe sind viel häufiger von Havarien schiffen, mit Verkehrsüberwachung und Verkehrs- betroffen. 1991 betrug der Anteil der über 15 Jahre lenkung ist natürlich bedeutsam; das ist alles schön alten Schiffe an allen Havarien 82 %. Die Konsequenz und gut. Aber Ölkatastrophen können nur durch den muß die sein, die die Amerikaner gezogen haben: Nur Bau oder den Umbau von präventiv sicheren Tankern Doppelhüllentanker dürfen noch vor deutschen und ihre Handhabung durch gut ausgebildetes, qua- Hafenstädten anlanden. lifiziertes Personal vermieden werden. (Zustimmung bei der CDU/CSU) So, wie wir in jedem privaten Haushalt bei uns Die dafür vorgesehene Umstellungsfrist muß so kurz durch den TÜV überprüfen lassen und von ihm wie möglich sein. Das gilt nicht nur für uns. Das gilt fordern, daß für Ölheizungen Auffangvorrichtungen europäisch und weltweit. Es ist ein Thema, mit dem bzw. für die Erdtanks doppelte Innenhüllen notwen- sich auch die Staatschefs der großen Industrienatio- dig sind, helfen auch nur gesetzliche und ordnungs- nen bei ihrem kommenden Treffen befassen sollten. politische Maßnahmen weiter, die eine Ölkatastrophe Unser Bundeskanzler hat mehr als einmal Umwelt- durch Tankerhavarien in der Deutschen Bucht gar schutzaspekte auf die Tagesordnung setzen lassen. nicht erst eintreten lassen. Wäre nämlich die „Braer" Die Tankerproblematik hat höchste Priorität. nicht vor den Shetlands, sondern in der Deutschen Bucht auseinandergebrochen, so könnten auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) unsere Auffangschiffe bei den jetzt herrschenden Dabei könnte man der modernen Tankertechnologie Windverhältnissen von über Windstärke 6 keinerlei zum Durchbruch verhelfen, an der jetzt von der Kieler Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11373

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Howaldtswerft und der Bremer Vulkanwerft gemein- wurde, das sollte in der Schiffahrt nicht unmöglich sam mit drei europäischen Werften mit Volldampf sein.- gearbeitet wird. Der 3-E-Tanker, der weltweit Stan- (Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeord dard werden könnte, ist eine Optimierung der bishe- neten der SPD) rigen modernen Technik. Wenn Sie die Berichte über die Unglücksursache Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort lesen, werden Sie allerdings feststellen, daß der Ger- hat nunmehr die Abgeordnete Gabriele Iwersen. manische Lloyd darauf hinweist, daß die Macht des Orkans vor den Shetlandinseln auch einen Tanker mit Doppelhülle, mit großem Kollisionswiderstand, ge- Gabriele Iwersen (SPD): Herr Präsident! Meine troffen hätte. Technik ist also nicht alles. Das größte Damen und Herren! Seit 1958 ist Wilhelmshaven der Sicherheitsrisiko bleibt der Mensch. 90 % aller Kata- größte Ölhafen der Bundesrepublik. Seit 1974 erlaubt strophen werden durch menschliches Fehlverhalten das auf 20,8 m unter Seekartennull vertiefte verursacht. Kein Tanker ohne nautisches Rückgrat! Jadefahrwasser, daß dieser einzige Tiefwasserhafen Kein Tanker ohne kompetente Crew! Kein Tanker an der Deutschen Bucht von vollabgeladenen ohne eine gemeinsam beherrschte Bordsprache! 250 000-Tonnern befahren werden kann. Der größte Keine Tankorder ohne Sicherheitsroute! Kein Auftrag Tanker, der die Ölpier in Wilhelmshaven bisher ohne Sicherheitsinspektion! Kein Unfall ohne ein- erreichte, konnte 413 000 TDW tragen. Die Explosion schneidende Schadenersatzforderungen! Das muß so einer überdimensionalen Zeitbombe ist leider nicht unser Ziel sein. auszuschließen. Allein in den vergangenen 25 Jahren hat es zwölf Damit will ich sagen, daß die Tankschiffe, die weit besonders schwere Öltankerunglücke gegeben. Milli- von Norden kommen und, die Fahrwasser der Außen- arden von Litern 01 sind ins Wasser geflossen. Sie elbe und der Außenweser überquerend, in die Jade haben Flora und Fauna zerstört, Küsten kahlgemacht, einlaufen, ein nicht zu übersehendes Gefahrenpoten- Tourismusregionen ihren Reiz genommen. tial für die Deutsche Bucht darstellen. Doch diese Unfälle sind nur der geringere Teil der Dem Bund verdanken wir die Begradigung der See-Ölverschmutzung. Das darf man bei dem Fahrwasser, gute, wenn auch nicht immer praxis- Unglück nicht vergessen. Ihr Anteil beträgt nach einer orientierte Betonnung und das Radarleitsystem, das Shell-Studie 5 % von 2 Millionen Litern 01, die jährlich alle Schiffsbewegungen in der Deutschen Bucht koor- in die See gepumpt werden, die jährlich die Meere diniert. Dies sei ausdrücklich erwähnt. Dafür gilt der verschmutzen. Dank der Küstenbewohner dem Deutschen Bundes- tag und der Bundesregierung. Es genügt daher nicht, eine weltweite Kampagne Trotzdem sind die Risiken damit nicht aus der Welt für sichere Öltransporte zu fahren, sondern den unauf- geschafft. Erst im vergangenen Jahr kollidierten zwei fälligen, nicht so spektakulären Ölsündern muß Frachter vor Wangerooge, einer sank. Die Zahl der genauso auf die Finger geklopft werden. An unseren Beinaheunfälle wird vom Umweltbundesamt als über- versuchen wir das durch Küsten von Nord- und Ostsee aus besorgniserregend bezeichnet. Trotzdem hat das eine intensive Kontrolle. Bundesverkehrsministerium in all den Jahren seine So hat das Glücksburger Flottenkommando Anfang Verpflichtung zum Feuerschutz, der die Vorsorge für des Jahres mitgeteilt: Die ständige Überwachung von Öl- und Chemieunfälle einschließt, nicht ausreichend Ölsündern durch die Bundesmarine und andere Ein- wahrgenommen, auch wenn hier häufig von der satzorganisationen hat zu einer deutlichen Abnahme „guten Feuerwehr" gesprochen worden ist. der Verschmutzung beider Meere geführt. Einsatz (Unruhe bei der CDU/CSU) und Aufwand haben sich gelohnt. Alle, die dort tätig — Meine Herren, soll ich leiser reden? Ich will Sie gewesen sind, haben dafür gesorgt, daß die Ver- nicht allzusehr stören. — Dies, obwohl eine Verwal- schmutzung reduziert worden ist. Das ist der richtige tungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern Weg. besteht. Aber die Abgrenzung der Kompetenzen hat Wir müssen schnell, scharf und kontrolliert bis hin den Charakter eines Tidegewässers behalten: Alles zum Konzessionsentzug reagieren. Wer leichtsinnig fließt. oder mutwillig Öl abläßt, begeht nicht nur ein Verbre- Die Stadt Wilhelmshaven und der angrenzende chen an der Natur, sondern auch an den Menschen. Landkreis Friesland sind zuständig bis zur mittleren Allein 80 000 bis 200 000 t Öl gelangen nach däni- Tidehochwasserlinie. Der Bund als Eigentümer der schen Untersuchungen jährlich in die Nordsee. Das ist Bundeswasserstraßen ist für die Vorsorge zur Verhin- so viel, wie der liberianische Tanker geladen hatte. derung von Unfällen auf See zuständig und zustands- Aber es geht nicht nur um die sichtbaren Ölmassen, haftig. Ist das Öl aber bereits im Wasser, so ist das Land die die Nord- und Ostseenatur bedrohen. Der auf den wegen seiner höchstrichterlich zugesprochenen Auf- Grund gesunkene Ölschlamm hat noch zwei Jahre gabe der Gefahrenabwehr wieder zuständig. später eine Pflanzen vernichtende und Tiere tötende Ähnlich vielseitig ist der Alarmplan für außerge- Wirkung. Die Langzeitfolgen gilt es zu erkennen. wöhnliche Ölverschmutzungen. Gut 20 Dienststellen „Nach uns die Sintflut" darf es einfach nicht geben. In zwischen Norden und Cuxhaven müssen benachrich- Verantwortung vor den kommenden Generationen tigt werden, abgesehen von denjenigen, die über gilt es, zügig weltweit und national zu handeln. Was in Geräte, Schlepper, Ölauffangschiffe oder Transport- der internationalen Luftfahrt an Sicherheit erreicht kapazitäten für ausgelaufenes Öl verfügen. 11374 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Gabriele Iwersen 1992, also 35 Jahre nach Inbetriebnahme des Ölha- Verkehrspolitikern bereits im Detail vorgetragen wor- fens, ist endlich eine Vereinbarung zwischen dem- den — und das nicht zum ersten Mal. Bundesverkehrsministerium und dem Land Nieder- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste, sachsen zustande gekommen, durch die der Bund beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des seine Verantwortung auf das Land abwälzt und in der Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ festgelegt ist, wer nun endlich ein Konzept zum CSU]) Brandschutz für das Jaderevier erarbeiten soll. Das heißt also nicht, daß das schon vorhanden ist. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr Fest steht bisher nur, daß der Bundesverkehrsmini- hat die Abgeordnete Dr. Maria Böhmer das Wort. ster seine Verantwortung für den Brandschutz auf dieser Bundeswasserstraße nicht übernehmen will Dr. Maria Böhmer (CDU/CSU): Herr Präsident! und daß die Werks- und Berufsfeuerwehren an der Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit den Ölkatastro- friesländischen Küste und in Wilhelmshaven für die phen haben wir mittlerweile einen Grad der Zerstö- Bekämpfung von Schiffsbränden weder ausgebildet rung erreicht, bei dem wir sagen müssen: Dem ist mit noch ausgerüstet sind. aller Kraft entgegenzutreten. — Ich bin sehr froh, daß die Bundesregierung so schnell zu Entscheidungen Die seit 20 Jahren erhobene Forderung nach einem gekommen ist und einen Fünf-Punkte-Plan aufge- Verbot von einwandigen Tankern muß endlich erfüllt stellt hat werden, wie es in den USA bereits der Fall ist. Dort hat (Zuruf von der SPD: Plan!) man aus der Ölkatastrophe durch die „Exxon Valdez" und diesen nicht nur im nationalen Rahmen, sondern gelernt. Hoffentlich lernen die Europäer aus den vor allem auch im internationalen Rahmen umsetzen Havarien vor La Coruna und vor den Shetlands. will. Alle Katastrophenübungen, die in unserem Revier Wir erleben wieder einmal, daß Naturschutzgebiete bislang stattgefunden haben, zeigen das gleiche vor der Zerstörung stehen. Wir erleben wieder einmal, Ergebnis: Größere Ölunfälle sind zur Zeit auch bei uns daß wir mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen nicht zu beherrschen. Die Umweltkatastrophe von Menschen konfrontiert sind. Was sich derzeit auf — heute schon häufig angesprochen — würde den den Shetlandinseln bzw. vor den Shetlandinseln menschlichen Siedlungsraum an der Nordseeküste abspielt, das kann sich morgen auch in einer anderen und das Wattenmeer auf Jahre zerstören. Region, auch vor unserer eigenen Küste, ereignen. Ich habe die große Sorge, daß wir dann mit noch größeren Das Verbot von einwandigen Tankern muß endlich Schäden umgehen müssen und daß die Dimension, erfüllt werden und darf nicht weiterhin dem Konkur- die wir jetzt beobachten, dann weit übertroffen wer- renzkampf z. B. zwischen Rotterdam und Wilhelmsha- den wird. Das sollte uns nachhaltig Antrieb geben, ven geopfert werden. Eine einvernehmliche Beurtei- hier alle Initiativen zu verstärken. lung der Risiken zwischen Umwelt- und Verkehrsmi- Wir haben viel und Übereinstimmendes von allen nisterium und eine konsequente Durchsetzung aller Fraktionen gehört, wo Handeln notwendig ist, und zur Zeit technisch und rechtlich möglichen Maßnah- zwar im technischen Bereich und was die Ausbil- men zur Gefahrenabwehr sowie die Einrichtung der dungsstandards und die Sprache auf den Schiffen schon erwähnten Küstenwache heißt das Gebot der anbetrifft. Mich hat es schon sehr erschreckt, als ich Stunde. hörte, daß es bei dem jüngsten Unglück zu erhebli- chen Verständigungsproblemen zwischen der Schiffs- Die Behauptung von Fernsehkommentatoren, daß führung und der Schiffsmannschaft gekommen ist. So erst jetzt die Politiker aufwachten und Forderungen etwas darf heute, in einer Zeit der Internationalität, in stellten, ist jedenfalls falsch. Zutreffend ist, daß leider der Kommunikation groß geschrieben wird, doch Katastrophen dafür herhalten müssen, um endlich einfach nicht mehr der Fall sein. Was für den Luftver- mehr öffentliches Interesse für diese Gefahren zu kehrsbereich gilt, das muß also eindeutig auch für die erzeugen. Schiffahrt gelten. Ich habe die nachdrückliche Bitte an die Bundesre- Da es keine Rohöltanker unter deutscher Flagge gierung, die Initiativen, die in diesem Bereich mit dem gibt, kann Deutschland seine Sicherheitsvorstellun- Ziel, zu Abkommen zu gelangen, eingeleitet sind, mit gen nur durch Kontrolle in deutschen Häfen durch- allem Nachdruck zu verfolgen. Jeder Monat, um den setzen. Um innerhalb der EG nicht die Gesamtum- ein solches Abkommen früher geschlossen wird, zählt schlagsraten an konkurrierende Häfen zu verlieren, hier; denn jeder Monat früher bedeutet auch, daß wir kann eine Optimierung des Sicherheitsstandards für mit der Umsetzung schneller vorankommen und daß Schiffe und deren Besatzung nur durch verbindliche die Gefahr eines weiteren Unglücks in diesem Bereich Vereinbarungen errreicht werden, die von allen weiter verringert wird. Häfen der Europäischen Gemeinschaft angewendet werden. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, (Beifall bei der CDU/CSU) im Interesse der europäischen Küsten das Stadium des Was die Technik anbetrifft, haben wir allerdings Wunschdenkens endlich zu überwinden und sich in gehört, daß wir noch mit Übergangsfristen zu kämp- den EG-Verhandlungen durchzusetzen, natürlich fen haben. Wenn wir uns alle hier gemeinsam dafür entsprechend ihrem Leitspruch: Das größer gewor- aussprechen, daß diese Übergangsfristen verkürzt dene Deutschland muß größere Verantwortung tra- werden — es war die Rede von 20 Jahren und gen. — Die detaillierten Forderungen für bessere 30 Jahren, bis die letzten Rostlauben aus dem Verkehr Sicherheitsstandards sind Ihnen von Umwelt- und gezogen werden, und das heißt ja, daß in diesem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11375

Dr. Maria Böhmer Zeitraum die Gefahr immer noch sehr groß ist —, dann Berichterstattung: müssen wir unseren Blick aber auch genauso darauf Abgeordnete Gernot Erler richten, wirksame Schutzmaßnahmen in unserem Benno Zierer eigenen Küstenbereich für den Fall zu haben, daß es b) Beratung der Beschlußempfehlung und des auch hier wirklich einmal zu einer solchen Katastro- Berichts des Verteidigungsausschusses phe kommen sollte, wobei wir alle hoffen, daß es eben (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- nicht dazu kommt. ten Reinhard Weis (Stendal), , Das heißt, wir brauchen eine Überprüfung der Hans Gottfried Bernrath, weiterer Abgeordne- Koordination von Material und Experten, und wir ter und der Fraktion der SPD brauchen auch noch eine technische Verbesserung im Zivile Nutzung des Truppenübungsplatzes Bereich der Systeme, durch die dafür gesorgt wird, Colbitz-Letzlinger Heide nach dem Abzug der daß eine Umweltgefährdung möglichst wirksam Westgruppe der ehemaligen sowjetischen bekämpft werden kann. Regionale Ölwehren und Streitkräfte international arbeitende Ölwehren sind das eine, — Drucksachen 12/1997, 12/3690 — technisches Know-how und technische Verbesserun- gen sind das andere. Berichterstattung: Ich plädiere nachdrücklich dafür, daß gerade im Abgeordnete Gerhard Neumann (Gotha) Ufer-, im Watt- und im Strandbereich wirklich watt- Benno Zierer gängige Ölsammelfahrzeuge zum Einsatz kommen c) Beratung der Beschlußempfehlung und des und daß wir an der Nordsee Renaturierungszellen Berichts des Verteidigungsausschusses schaffen, so daß wir im Vorfeld von Katastrophen (12. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die bereits eine wirksame Vorsorge haben, um nicht eines Bundesregierung Tages dazustehen und nur noch reagieren zu können. Bericht der Bundesregierung zu den Möglich- Hier gilt — wie stets im Umweltschutzbereich —: keiten der Verringerung der Belastungen für Vorsorge ist absolut notwendig. die Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg Lassen Sich mich noch auf folgendes deutlich hin- durch militärische Ausbildungs- und Übungs- weisen — ich habe das auch in anderen Beiträgen aktivitäten immer wieder gehört —: Wir müssen bei den Haf- — Drucksachen 12/463, 12/3692 — tungsgrenzen zu einer deutlichen Erhöhung kommen. Berichterstattung: Hier bietet sich ein eindeutiges marktwirtschaftliches Abgeordnete Thomas Kossendey Instrumentarium an, das es zu nutzen gilt. Wir sehen Dieter Heistermann jetzt, daß für den Unfall der „Braer" ganze 156 Mil- lionen DM zur Verfügung stehen. Das kann nicht Zur Beschlußempfehlung zu dem Antrag der Frak- ausreichen. tion der SPD auf Drucksache 12/3690 liegt ein Ände- rungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn wir eine Erhöhung der Haftungsgrenzen auf auf Drucksache 12/4097 vor. 750 Millionen DM insgesamt erreichen, dann ist das zwar eine Verbesserung, aber eine weitere Erhöhung Nach einer Vereinbarung des Ältestenrats ist eine der Haftungsgrenzen ist unerläßlich, damit in Zukunft Aussprache von einer Stunde vorgesehen. Ist das sichergestellt ist, daß die Kosten abgedeckt werden, Haus damit einverstanden? Das ist offensichtlich und damit alle diejenigen, die Tanker auf den Weg der Fall. schicken, gewarnt sind und sich klarmachen, was es Dann können wir mit der Debatte beginnen. Das für sie letztlich auch finanziell bedeutet, wenn es zu Wort hat zunächst der Abgeordnete . einer solchen Katastrophe kommt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ulrich Adam (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Neuaufbau der Bundeswehr Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine als Armee der Einheit ist eine Aufgabe von histori- Damen und Herren, damit sind wir am Ende der scher Tragweite. Wenn man bedenkt, daß die Wieder- Aktuellen Stunde. erlangung der deutschen Einheit noch nicht einmal 1 000 Tage her ist, so ist das um so mehr hervorzuhe- ben. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 6 a bis Deshalb ist es zu begrüßen, daß das vorliegende 6c auf: Truppenübungsplatz-Konzept Deutschland als eine a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Einheit betrachtet, in die alle Länder ihren Teil als Berichts des Verteidigungsausschuss es Grundlage gegenseitiger Ergänzung für den gemein- (12. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordne- samen Neuaufbau der Bundeswehr einbringen. ten Gernot Erler, Dr. Dietmar Matterne, Ger- Als einem Vertreter des Deutschen Bundestages aus hard Neumann (Gotha), weiterer Abgeordneter den neuen Ländern sei mir gestattet, das Truppen- und der Fraktion der SPD übungsplatz-Konzept in bezug auf die fünf neuen Verminderung der Truppenübungsplätze in Bundesländer zu betrachten: der Bundesrepublik Deutschland und künfti- Am 3. Oktober 1990 gab es auf dem Gebiet der fünf ges Truppenübungsplatz-Konzept für Streit- neuen Bundesländer 65 Truppenübungsplätze, insge- kräfte samt mehr als 400 Übungsflächen mit einer Gesamt- — Drucksachen 12/1487, 12/3689 — fläche von 370 000 ha — eine gewaltige Fläche, die 11376 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Ulrich Adam der Bevölkerung absolut nicht zugänglich und herme-- Mitte vergangenen Jahres an einer solchen Diskus- tisch abgeriegelt war! sionsrunde in Eggesin bei der Heimatschutzbrigade Vorpommern teilgenommen. An dieser Gesprächs- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) runde nahmen neben Abgeordneten des Deutschen Bis zum heutigen Tag ist noch nicht abzusehen, Bundestages Vertreter der Bundeswehr, der umlie- welche Umweltbelastungen wir auf diesen Flächen genden Kommunen und natürlich auch Bürgervertre- haben. Es wird immer deutlicher, daß es Milliarden ter teil. In dieser Runde wurde sehr schnell deutlich, von D-Mark kosten wird, diese Schäden zu beseitigen. welch gravierender Unterschied in der Nutzung der Bei der Hinterlassenschaft der Übungsflächen handelt Truppenübungsplätze durch die ehemalige NVA und es sich nicht nur um Flächen der ehemaligen NVA, durch die Bundeswehr besteht. sondern auch um solche der WGT der ehemaligen (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Sowj etarmee. Wie schon vor einem Jahr bei der Debatte über die Die Schießzeiten in Eggesin wurden von 64 Stunden Verwertung von Material der ehemaligen NVA auf 34 Stunden pro Woche reduziert. Die Bundeswehr möchte ich heute an Hand des Truppenübungsplatz schießt im Gegensatz zur ehemaligen NVA grund- Konzeptes deutlich machen, welcher bedeutende, ja, sätzlich nicht an Wochenenden und nur zweimal pro ich glaube, in seiner Dimension noch nicht dagewe- Woche nachts. Im Sommer gibt es mindestens eine sene Abrüstungsschritt durch die deutsche Einheit vierwöchige Feuerpause. Dieser gravierende Unter- vollzogen wurde. schied wird natürlich auch in der Schießintensität sehr deutlich. Beim Panzerschießen über 70 mm Kaliber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) z. B.: ehemalige NVA ca. 5 500 Schuß, Bundeswehr Das Truppenübungsplatz-Konzept sieht für die fünf ca. 1 500 Schuß pro Jahr. neuen Bundesländer nur noch elf Truppenübungs- In der Gesprächsrunde wurden diese Unterschiede plätze und einen Luft - Boden - Schießplatz vor. Das ist gerade auch von den Bürgervertretern anerkannt und eine gewaltige Reduzierung. Damit können erhebli- gewürdigt. Es wurde sehr deutlich, daß beide Seiten, che Flächen Kommunen und privaten Besitzern sowohl die Vertreter der Bundeswehr wie auch die zurückgegeben oder auch neu zur Verfügung gestellt Vertreter der Kommunen und die Bürger, bereit werden. Als noch wichtiger erachte ich das für die fünf waren, aufeinander zuzugehen und in beiderseitigem neuen Bundesländer völlig neue Nutzungskonzept Interesse bei Problemen einen Kompromiß zu errei- der Truppenübungsplätze. chen. Die anwesenden Bürgermeister hoben beson- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist das Ent- ders auch die wirtschaftliche Bedeutung der Bundes- scheidende!) wehr für ihre strukturschwache Region hervor. Damit beweist die Bundeswehr den völlig neuen Geist Auf zwei Standorte möchte ich noch besonders gegenüber den Vornutzem dieser Truppenübungs- eingehen, nämlich auf den Truppenübungsplatz Col- plätze. bitz-Letzlinger Heide und den Luft-Boden-Schieß- platz Wittstock: (Beifall bei der CDU/CSU) Der Truppenübungsplatz Colbitz - Letzlinger Heide Das wesentliche Ziel der neuen Nutzungskonzep- liegt in einem wichtigen Trinkwasserschutzgebiet. tion ist die Reduzierung von Belastungen für Mensch Deshalb steht es für mich und meine Fraktionskolle- und Umwelt. Es wird möglich, fast ganz auf Übungen gen fest: Über eine endgültige Nutzung kann erst im freien Gelände zu verzichten. Das ökologische entschieden werden, wenn eine von einer eventuellen Gleichgewicht wird durch verstärkte landschaftspfle- Kontaminierung des Platzes ausgehende Gefährdung gerische, forstwirtschaftliche und geländebauliche der Trinkwasserversorgung der Bevölkerung unter- Maßnahmen, durch die Einplanung von Renaturie- sucht worden ist. rungsflächen und durch die Verkürzung von Nut- zungsphasen stärker gefördert. Am Beispiel des Luft-Boden-Schießplatzes Witt- stock wird deutlich, daß Übungsplätze natürlich auch Durch die Schaffung von Lärmschutzzonen auf in der Zukunft Belastungen beinhalten. In Wittstock Truppenübungsplätzen, die vom Übungsbetrieb aus- reduzieren sich die Flugeinsätze von 18 000 auf 3 000 genommen sind, wird besonders den Belangen der an pro Jahr. Wie bei allen Plätzen wird die Nutzung den Truppenübungsplätzen wohnenden Menschen erheblich eingeschränkt. Es werden nur noch Rechnung getragen. Für besonders wichtig halte ich Übungsbomben geworfen. Durch die Stationierung die erhebliche Reduzierung der Zahl der Schießbah- von rund 1 000 Bundeswehrsoldaten wird ein bedeu- nen von 100 auf 20. tender Beitrag zur Verbesserung der wirtschaftlichen (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Situation in der Region geleistet. Damit wird eine deutliche Verminderung der Lärmbe- (Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: lastung durch Truppenübungsplätze erreicht. Die will aber gar keiner!) Durch die Bundeswehr fand vor Verabschiedung Ich habe großes Verständnis für die Vorbehalte der des Truppenübungsplatz-Konzeptes eine sehr inten- anwohnenden Bürger auf Grund ihrer in der Vergan- sive Diskussion mit den betroffenen Landesregierun- genheit gemachten Erfahrungen mit ehemaliger NVA gen, Kommunen und anwohnenden Bürgern über fast und WGT. Ich denke aber auch deutlich gemacht zu zwei Jahre statt. Ich habe z. B. unter anderem in haben, daß die Nutzung durch die Bundeswehr eine meinem Heimatland Mecklenburg -Vorpommern völlig andere ist, und ich hoffe, daß durch das Angebot Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11377

Ulrich Adam des Bundesministers der Verteidigung an die Kreise übungsplatz-Konzeptes verantwortungsvoll mitwir- und Kommunen die Ausgestaltung der konkreten ken wollten. Als Beweis dafür nenne ich unseren Nutzung, gerade auch des Übungsplatzes Wittstock, Antrag vom 6. November 1991, mit dem wir die in Arbeitsgemeinschaften vor Ort möglichst einver- Bundesregierung aufgefordert haben, ein solches nehmlich zu regeln ist. Konzept vorzulegen mit dem Kriterium für den künf- Meine Damen und Herren, eine Bundeswehr, die tigen Umfang noch benötigter Truppenübungsplätze nicht ausbildet und übt, ist das Geld nicht wert, das der — ein Konzept, das den erheblich verminderten Steuerzahler für sie ausgibt. Umfang der Bundeswehr, den erheblichen Teilabzug der alliierten Streitkräfte sowie den Totalabzug der (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte berücksich- Die Bundeswehr muß ausbilden und üben, um ihren tigen sollte. verfassungsgemäßen Auftrag erfüllen zu können. Wir haben in unserem Antrag dargelegt, was wir in ( [CDU/CSU]: Damit wir auch Anbetracht der revolutionär geänderten Rahmenbe- verantworten können, sie überhaupt einzu-dingungen konzeptionell erwarten konnten. Wir setzen!) haben keineswegs einen Übungsplatzbedarf in Frage Es macht keinen Sinn, in diesem Hohen Hause über gestellt. Wir waren uns dessen bewußt, daß auch unser friedenserhaltende und friedenschaffende Maßnah- Bekenntnis zur Notwendigkeit von Streitkräften die men zu diskutieren und das, wie ich angesichts der Bereitstellung von ausreichenden Ausbildungsmög- täglichen Greueltaten und des unsäglichen Leids im lichkeiten bedeutet. Trotzdem hat die Bundesregie- ehemaligen Jugoslawien hoffe, auch bald zu entschei- rung die einmalige Gelegenheit ungenutzt verstrei- den, wenn unsere Bundeswehr nicht entsprechend chen lassen, durch eine Verringerung der Truppen- ausgebildet ist. übungs- und Schießplätze im Westen und durch eine maßvolle und an den vorgesehenen Stationierungen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) von Truppenteilen in den neuen Ländern ausgerich- Das vorliegende Truppenübungsplatz-Konzept ist tete Weiternutzung von Plätzen in den neuen Bundes- eine wichtige Voraussetzung dafür. Deshalb bitte ich ländern ein deutliches Zeichen zu setzen. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Beschluß- Auch bei unseren Reisen mit dem Unterausschuß empfehlungen des Verteidigungsausschusses zuzu- Streitkräftefragen in den neuen Bundesländern habe stimmen. ich insbesondere in Gesprächen mit Landräten, Bür- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) germeistern, Sprechern von Bürgerinitiativen und in Bürgerversammlungen stets darauf hingewiesen, daß es nicht allein darum gehen könne, örtliche oder Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile persönliche Interessen aufzugreifen und zur vollen nunmehr dem Abgeordneten Heinz-Alfred Steiner Zufriedenheit zu verwirklichen, sondern daß wir auch das Wort. die Pflicht hätten, die Übungsmöglichkeiten zu schaf- fen, die unsere Streitkräfte benötigen. Ich glaube, das Heinz-Alfred Steiner (SPD): Herr Präsident! Meine hat mir als Oppositionspolitiker nicht nur Beifall sehr verehrten Damen und Herren! Das Truppen- eingetragen. übungsplatz-Konzept für Streitkräfte, über das wir (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Dann heute hier zu beraten haben, hat bereits einen sehr stehen Sie doch jetzt auch dazu!) zeitaufwendigen und anstrengenden parlamentari- Die Kolleginnen und Kollegen, die mit mir in den schen Beratungsgang im Fachausschuß und auch im neuen Bundesländern unterwegs waren und miterlebt Unterausschuß Streitkräftefragen in den neuen Bun- haben, wie wir gemeinsam mit den Bürgerinitiativen desländern hinter sich. Ich meine sagen zu können, an den verschiedenen Standorten diskutiert haben, daß es sehr lebhafte, teilweise auch leidenschaftliche werden mir da mit Sicherheit nicht widersprechen Debatten ausgelöst hat. wollen. Die vorliegende Beschlußempfehlung, die das vom Wir alle waren uns seit 1991 dessen bewußt, daß die Bundesminister der Verteidigung entschiedene Trup- psychologische Ausgangslage für große Teile der penübungsplatz-Konzept begrüßt, dieses Konzept als Bevölkerung in den neuen Bundesländern geprägt gerechte Lösung bezeichnet und eine umfangreiche war von dem Erleben einer Übungstätigkeit der WGD Entlastung für die Bevölkerung sowohl in den alten als und der Nationalen Volksarmee, die schlimm gewe- auch in den neuen Ländern vorhersagt, ist meiner sen sein muß. Was diese Menschen, die in der Nähe Meinung nach nicht gelungen. der ehemals über 60 Truppenübungsplätze wohnten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) über Jahrzehnte haben erdulden müssen, hat tiefe Diese Beschlußempfehlung ist ein Musterbeispiel für Spuren bei ihnen überlassen. Und wenn wir dann administrative Kopflastigkeit und mangelndes politi- noch feststellen müssen, daß eine nicht geringe Zahl sches Gespür. von Übungsplätzen erst nach dem Zweiten Weltkrieg angelegt wurde, dann läßt sich der Unmut dieser (Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!) Menschen verstehen. Viele von ihnen sind persönlich Ich meine für mich in Anspruch nehmen zu können betroffen von dem Unrechtsverfahren, durch das ihre — und das gilt auch für meine Kolleginnen und Eltern, Großeltern oder sie selbst enteignet wurden Kollegen in der Arbeitsgruppe Sicherheitsfragen der und ihr Grund und Boden in Übungsplätze umgewan- SPD-Bundestagsfraktion im Verteidigungsaus- delt wurde. Sie haben miterlebt, wie eine ursprünglich schuß —, daß ich, daß wir an der Ausgestaltung eines intakte Naturlandschaft der militärischen Nutzung bedarfsgerechten und ausgewogenen Truppen- geopfert wurde. Sie sind geprägt von den negativen 11378 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. 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Heinz-Alfred Steiner Erfahrungen der letzten 40 .Jahre, und daher sitzt ihre müssen, wie bis Mitte der 40er Jahre rein zivil - Wut heute auch tiefer, als viele von uns das wahrha- genutzte Wald- und Heidelandschaft gewaltsam ben wollen. durch die sowjetische Besatzungsmacht in Anspruch Die Kolleginnen und Kollegen aus den neuen Bun- genommen wurde. desländern, in deren Wahlkreisen sich Truppen- Hier muß der Verteidigungsminister beim Wort übungsplätze befinden und die sich daher eingehen- genommen werden. Wir müssen Rücksicht nehmen der als manch anderer mit dieser Problematik auf eine Bevölkerung, die jahrzehntelang unter star- beschäftigt haben, werden mir uneingeschränkt ker militärischer Präsenz gelitten hat. Außerdem müs- zustimmen, wenn ich hier sage: Wir müssen bei sen wir Wünsche der Regierung des Landes Br anden- unseren Entscheidungen besonders rücksichtsvoll mit burg, der Synode der Evangelischen Kirche Berlin- den neuen Bundesländern umgehen, Brandenburg und der Kommunalvertretungen gebüh- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber das rend berücksichtigen. wird doch getan!) Herr Rühe, ich kann Ihnen nur empfehlen: Nehmen Sie die Proteste auch der Bürgerinitiative „Freie weil der Unrechtsstaat DDR durch Nationale Volks- Heide" ernst! Ich glaube, daß nicht Eigennutz hinter armee und WGD die Umwelt und die dort lebenden den großen Demonstrationen dieser Bürgerbewegung Menschen jahrzehntelang in brutaler, gewissenloser steht, sondern ein tief verletztes Rechtsempfinden der Weise belastet hat. Menschen dieser Region. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Gün Verteidigungsminister Volker Rühe hat während ther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Zum Großteil einer Beratung des Truppenübungsplatz-Konzepts im Desinformation, Herr Kollege, das wissen Sie Verteidigungsausschuß richtigerweise gesagt: doch!) Wir müssen die Befindlichkeiten der Bevölke- Wir dürfen nicht zulassen, daß unsere Bundeswehr auf rung berücksichtigen. Brachiale Entscheidungen unrechtmäßig enteignetem Gelände übt und damit in erschüttern das Vertrauen in die Demokratie, den Augen der dort lebenden Menschen möglicher- weil es Entscheidungen gegen den ausdrück- weise zum Unrechtsnachfolger der Nationalen Volks- lichen Mehrheitswillen der Bevölkerung sind. armee wird. Er hat mit seiner Aussage das wiedergegeben, was Was ich über Wittstock gesagt habe, läßt sich viele von uns auch so sehen. Er hat sich dann aber uneingeschränkt auch auf den Übungsplatz Colbitz- bedauerlicherweise bei seiner Entscheidung aus- Letzlinger Heide übertragen. Auch hier setzt sich der schließlich von den Maximalwünschen der Streit- Minister mit seinem Konzept, das von den Koalitions- kräfte leiten lassen. fraktionen leider vorbehaltlos mitgetragen wird, rigo- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber, ros über die eindeutigen Willensbekundungen der Herr Kollege, Sie wissen es doch besser!) Regierung des Landes Sachsen-Anhalt, der betroffe- nen Kreistage und Gemeinden sowie der Bevölkerung Dazu gehört auch, daß der Verteidigungsminister hinweg, zwar nach scharfen und anhaltenden Protesten der betroffenen Bevölkerung und auch der SPD-Bundes- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warten tagsfraktion seine Vorstellungen über die Zahl der wir mal die nächste Woche ab!) ursprünglich 20 vorgesehenen Truppenübungsplätze die keine weitere militärische Nutzung dieses Gelän- auf elf korrigiert hat, die aber in ihrem Gesamtumfang des wollen. Warum eigentlich hält die Hardthöhe an noch immer weit über dem Bedarf der dort stationier- diesem Stückchen Erde so hartnäckig fest, wo es doch ten Truppenteile der Bundeswehr liegen. Ausweichmöglichkeiten, die von der Landesregie- Ich war während der Fachausschuß- und Unteraus- rung angeboten wurden, an anderer Stelle gibt? schußberatung auch nicht immer ganz sicher, ob (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wo meine Maßstäbe für die Beurteilung der möglichen denn?) richtig gewählt wa- Truppenübungsplatzstandorte Warum setzt die Hardthöhe auf ein hydrogeologi- Wittstock. In ren. Das galt insbesondere auch für sches Gutachten, das noch gar nicht vorliegt? diesem Fall war ich sogar unter dem Eindruck der großen Belastung der Anlieger der Luftwaffen- (Gudrun Weyel [SPD]: Das möchten wir auch übungsplätze Siegenburg und Nordhorn-Range zeit- wissen!) weise zu einer weiteren, wenn auch stark reduzierten Möglicherweise muß sowieso neu geplant werden. Nutzung für Wittstock bereit. Diese Bereitschaft war Warum werden nicht sofort die angebotenen Aus- geprägt von dem Bemühen, vorhandene Belastungen weichmöglichkeiten genutzt, und warum wird damit gerechter zu verteilen. Heute weiß ich, daß auf Grund nicht weiteren Konfrontationen aus dem Weg gegan- der radikal veränderten sicherheitspolitischen Land- gen? schaft die in Nordhorn - Range und Siegenburg auftre- tenden Probleme auch anders gelöst werden könn- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Nennen Sie die ten. doch!) Es wäre eine unsensible Entscheidung, den ehema- Das sind alles Fragen, auf die es keine plausiblen ligen sowjetischen Truppenübungsplatz Wittstock als Antworten gibt. Schieß- und Bombenabwurfplatz für die Luftwaffe Aus meiner Sicht kann man die Kritik am Truppen- und als Übungsplatz für das Heer weiter zu nutzen; übungsplatz-Konzept allerdings nicht nur mit Zahlen denn die Bevölkerung dieser Region hat miterleben begründen. Es ist auch nicht schlüssig, den zukünfti- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11379

Heinz-Alfred Steiner gen Flächenbedarf der Bundeswehr allein auf Grund - Wir bleiben bei unserem Antrag auf zivile Nutzung der bekannten Umfangszahlen der Bundeswehr und des Truppenübungsplatzes Colbitz-Letzlinger der alliierten Streitkräfte zu berechnen. Das heißt, daß Heide, diese Bezugsgrößen zwar nicht unbedeutend sind, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) aber für die gebotene differenzierte Begründung und Bewertung des Konzepts allein nicht ausreichen. mit dem wir bereits vor einem Jahr auf diesen sensi- blen Bereich hingewiesen haben. Wer die bisherigen Übungen mit mechanisierten Wir wollen deshalb gegen die vorliegende Be- Kräften vom freien Gelände auf Truppenübungs- schlußempfehlung stimmen, mit der unser Antrag plätze verlagern will, wer den Erfordernissen des abgelehnt werden soll. Wir beantragen, über diesen Umwelt- und Naturschutzes besondere Bedeutung Antrag wie auch über das künftige Truppenübungs- beimessen will, wer größere Pufferzonen zu den platzkonzept namentlich abzustimmen. besiedelten Bereichen fordert, wer die Übungsinten- sität auf den Übungsplätzen der alten Bundesländer (Zuruf von der F.D.P.: Das machen wir!) senken, tageszeitlich und jahreszeitlich begrenzen Dem Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- möchte, der wird mit abnehmender Truppenstärke NEN werden wir aus formalen Gründen nicht zustim- nicht eine prozentual entsprechende Abnahme der men. Übungsfläche erwarten können. (Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Immer dasselbe!) Was die Bundeswehr jedoch an Bedarf angemeldet hat, sind nach unserer Beurteilung Maximalforderun- Die darin enthaltenen Forderungen sind durch gen, die so nicht realisiert werden müssen. Wir müssen unsere Anträge hinreichend deutlich abgedeckt. Über doch nicht mehr so üben, als müßten wir übermorgen die zivile Nutzung von Wittstock haben wir darüber um drei Uhr einen Großangriff abwehren können. Wir hinaus einen für uns verbindlichen Parteitagsbe- strukturieren die Bundeswehr zu Recht auch um, weil schluß. Wir werden uns deshalb zu diesem Punkt der sich deren Aufgabenstellung verändert hat. Wir redu- Stimme enthalten. zieren die Panzerwaffe und verstärken die leichten (Zuruf von der F.D.P.: Brauchen Sie dazu Infanteriekräfte, die einen wesentlich anderen einen Parteitagsbeschluß?) Übungsbedarf haben als beispielsweise die schwere Der Beschlußempfehlung zu dem Bericht der Bun- Panzerwaffe. Das wird jedoch in dem zur Entschei- desregierung über die Verringerung der Belastung dung anstehenden Nutzungskonzept für die vorgese- der Bevölkerung im Raum Soltau-Lüneburg durch henen Truppenübungsplätze nicht hinreichend be- militärische Ausbildungs- und Übungsaktivitäten rücksichtigt. werden wir in der Hoffnung zustimmen, daß die Für mich ist auch nicht einsehbar, warum plötzlich britischen Truppenteile nicht erst 1994, sondern so alle Übungen zu jeder Jahreszeit und für jede Einheit schnell wie möglich ihre Ausbildungs- und Übungstä- oder jeden Verband auf einem Truppenübungsplatz tigkeit dort einstellen. stattfinden müssen. Ist das nicht eine Hilfskrücke, um Vielen Dank. einen möglichst großen Flächenbedarf nachweisen zu (Paul Breuer [CDU/CSU]: Aber die Aus können? weichmöglichkeiten haben Sie nicht ge (Zuruf von der F.D.P.: Das ist doch eine nannt! — Beifall bei der SPD) Forderung auch von Ihnen gewesen!) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Ich wiederhole deshalb hier für die SPD-Fraktion, nunmehr dem Abgeordneten Günther Nolting das was wir dazu auch schon im Verteidigungsausschuß Wort. gesagt haben. Wir können dem vorliegenden Trup- penübungsplatzkonzept nicht zustimmen, Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident! (Beifall bei der SPD) Meine Damen und Herren! Die entscheidende Frage, weil es die Besonderheiten in den neuen Bundeslän- die hier heute beantwortet werden muß, lautet: Wol- dern nicht berücksichtigt len wir auch zukünftig die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Bündnis mit Hilfe (Paul Breuer [CDU/CSU]: Jede Woche stim- moderner und gut ausgebildeter Streitkräfte gewähr- men Sie weniger zu, jede Woche weniger! — leisten oder nicht? Zuruf von der F.D.P.: Bei Wittstock hat er Wenn man diese Frage bejaht — und für die noch mitgemacht!) F.D.P.-Bundestagsfraktion möchte ich das an dieser Stelle ausdrücklich tun —, muß man auch bereit sein, und der diesem Konzept zugrundeliegende Bedarf diesen Streitkräften ausreichende und optimale Aus- nicht nachgewiesen ist. Hinzu kommt, daß der Vertei- bildungs - und Übungsmöglichkeiten zur Verfügung digungsminister bis heute nicht erklärt hat, in wel- zu stellen, chem Umfang er künftig Standortübungsplätze in den neuen Bundesländern einzurichten und zu nutzen (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten gedenkt. Außerdem wird aus dem vorgelegten Nut- der CDU/CSU) zungskonzept nicht deutlich, welche Manöver und und, Herr Kollege, dazu gehören auch Truppen- Übungen in welchem Umfang zukünftig auf Truppen- übungsplätze. Mit dem jetzt vorliegenden Truppen- übungsplätze verlegt und dort durchgeführt werden übungsplatzkonzept des Bundesministers der Vertei- können. digung ist einer seit langem bestehenden Forderung 11380 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Günther Friedrich Nolting Rechnung getragen worden, Übungen vom freien und wie es der Kollege Steiner hier leider auch falsch Gelände auf Übungsplätze zu verlegen, - vorgetragen hat. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und bei um Belästigungen der Bevölkerung zu verringern, die der CDU/CSU) entstehenden Kosten zu reduzieren und dem Umwelt- schutz stärker Rechnung zu tragen. Dies war auch, Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Herr Kollege Steiner, eine Forderung der SPD. geordneter Nolting, sind Sie auch bereit, eine weitere Frage zu beantworten? (Paul Breuer [CDU/CSU]: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!) Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident, Mit diesem Konzept wird auch der besonderen psy- Sie denken an meine Zeit? chologischen Situation in den neuen Bundesländern Rechnung getragen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich denke Herr Kollege Steiner, ich gehe jetzt auf die angeb- an Ihre Zeit. lichen Maximalforderungen ein. In den neuen Län- dern verringert sich die Zahl von früher 65 Truppen- Dr. Dietmar Matterne (SPD): Entschuldigung, die übungsplätzen der ehemaligen NVA und der früheren Antwort entsprach nicht meiner Fragestellung. Ich sowjetischen Truppen auf ganze 11. Die Gesamtfläche habe Sie danach gefragt, wo die entsprechenden von ca. 370 000 Hektar wird auf künftig zu benut- Übungen, z. B. im Herbst nächsten Jahres, stattfinden zende 107 000 Hektar reduziert, also auf weniger als werden. Sie haben bisher im freien Gelände stattge- ein Drittel. funden. Sie haben nun gesagt: Wir können jetzt in die Übungsplätze hineingehen. Wo üben bei großen, komplexen Übungen unsere bayerischen Soldaten? Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten? (Paul Breuer [CDU/CSU]: Die können auch bei mir im Siegener Land üben!) (F.D.P.): Ich bin bereit. Günther Friedrich Nolting Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Auch in Zukunft auf den Truppenübungsplätzen, wo sie bisher schon Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, geübt haben, d. h. also in ortsnahen Regionen in den Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter. jeweiligen Bundesländern; denn das Ziel dieses Kon- zepts ist es, daß alle Bundesländer einschließlich der Dr. Dietmar Matterne (SPD): Herr Abgeordneter, Sie neuen Bundesländer an dieser Aufgabe beteiligt wer- sprachen davon, daß nunmehr die Brigaden auf Trup- den. penübungsplätzen üben können statt wie früher im (Zuruf von der SPD: Da bin ich ja gespannt, Gelände. Ich frage Sie deshalb: Wo werden z. B. welche Truppen nach Sachsen-Anhalt kom niedersächsische und bayerische Truppenkontin- men! — Gegenruf von der CDU/CSU: Erst gente in Zukunft üben? Ist dort eine Änderung einge- einmal gehen ja welche weg!) treten? Gibt es dort mehr Truppenübungsplätze, oder haben sich dort die Soldatenzahlen so weit verringert? Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nun, Herr Wo werden die bayerischen Soldaten üben? Abgeordneter, fahren Sie in Ihrer Rede fort.

Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident, Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Kollege, ich will Ihnen dazu sagen: In den westlichen Ländern wird ich habe darauf hingewiesen, daß die Fläche auf ein es keine Verringerung der Zahl der Truppenübungs- Drittel reduziert wird, und ich will dazusagen, daß diese zukünftigen Flächen Bruttoflächen sind. Das plätze geben. Sämtliche Truppenübungsplätze in den westlichen Ländern bleiben erhalten. Die westlichen heißt, die eigentlich benutzte Fläche ist bedeutend Kontingente — so sage ich jetzt einmal — werden kleiner, da umfangreiche Lärmschutzgürtel und weiterhin auf westlichen Truppenübungsplätzen Ruhezonen eingerichtet werden. üben. Das heißt, hier wird es bei den Übungsplätzen Ich habe auf Grund der Fragen, die von Kollegen keine Verringerung geben. gekommen sind, die Zahl der Schießbahnen genannt; ich brauche nicht näher darauf einzugehen. Ich will an (Zuruf der Abg. Gudrun Weyel [SPD]) dieser Stelle noch einmal betonen, dieses Konzept — Bei den Schießbahnen sieht es so aus, und ich betrachtet zu Recht Deutschland als Einheit, d. h., daß denke, wenn Sie danach fragen, daß es hier ja eine alle Bundesländer Belastungen aus militärischer besondere Belastung gibt, die nicht von den eigentli- Sicherheitsvorsorge gemeinsam tragen werden. chen Truppenübungsplätzen ausgeht, sondern von Meine Damen und Herren, die F.D.P.-Bundestags- den Schießbahnen. fraktion hat in einem Beschluß begrüßt, daß der Hier haben wir in den alten Ländern eine Reduzie- Bundesminister der Verteidigung vor einer endgülti- rung von rund 100 auf 79, also nur um ein Viertel, In gen Entscheidung über die Nutzung des Truppen- den neuen Bundesländern haben wir aber eine Redu- übungsplatzes Colbitz-Letzlinger Heide eine Unter- zierung von 100 auf 25, also um drei Viertel. Das heißt, suchung auf mögliche Gefährdung des Trinkwassers gerade in den neuen Bundesländern wird weitaus durchführen lassen will. Damit wird den Bürgern in mehr reduziert, als Sie es bisher wahrhaben wollen den anliegenden Kommunen gezeigt, daß die Bewah- (Gudrun Weyel [SPD]: Der Vergleich hinkt rung einer gesunden Umwelt ein wichtiges Anliegen doch!) der Bundeswehr ist. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11381

Günther Friedrich Nolting Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal - Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- darauf hinweisen, daß die Bundeswehr in Colbitz- geordneter Nolting, der Abgeordnete Weiß möchte Letzlinger Heide keinen scharfen Schuß abgeben Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen. wird, sondern dort ein modernes Gefechtsübungszen- trum mit Simulationstechnik aufgebaut werden soll. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Aber Sie denken Ich will an dieser Stelle auch auf den Wirtschaftsfaktor wieder an meine Zeit. verweisen, den dieses Gefechtsübungszentrum in Zukunft in dieser Region darstellt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ja, es wird Eine Gleichverteilung der Belastungen durch mili- nicht angerechnet. tärische Übungstätigkeit über das gesamte Bundesge- biet muß letztlich auch für die Luftwaffe gelten. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deshalb wird auch der Übungsplatz Wittstock benö- Herr Kollege, wie stehen Sie zu der Tatsache, daß es tigt werden. Ich weiß, welche Widerstände die sich bei diesem Truppenübungsplatz um ein Gelände geplante Weiternutzung durch die Bundeswehr her- handelt, das nach 1948, ab 1949 enteignet worden ist, vorgerufen hat. Ich denke aber, daß ein Teil dieser wo heute die Eigentümer noch da sind, die dort gern Bedenken auf nicht genauer Kenntnis über die Form unternehmerisch tätig werden wollen, um in dieser der künftigen Nutzung durch die Bundeswehr, aber Region etwas aufzubauen, was es dort auch vor dem auch über den wahren ökologischen Zustand des Kriege gegeben hat, was aber durch stalinistischen Platzes beruhen. Es wird ja auch befürchtet, daß der Terror enteignet worden ist? Sind Sie der Auffassung, Aufbau des Tourismus behindert werden könnte. Ich daß die Fortsetzung dieser Praxis durch die Bundes- will dazu sagen: Im Westen bestehen Übungsplätze wehr richtig ist? gleichzeitig neben dem Tourismus und neben dem Naturschutz. Hier zeigt sich, daß sich diese drei Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Erstens verweise Bereiche sehr wohl miteinander vertragen können ich noch einmal darauf, daß ich auch Sie bitte, Herr und nicht einander ausschließen. Kollege, keine Vergleiche zwischen der NVA der ehemaligen DDR-Zeit, der ehemaligen Sowjetarmee (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der zur Bundesrepublik Deutschland und zur Bundeswehr CDU/CSU) herzustellen. In Briefen an uns Verteidigungspolitiker wurde (Zuruf von der SPD: Das ist aber ein Pro leider eine konstante Linie von den sowjetischen blem!) Streitkräften und der ehemaligen NVA zur Bundes- wehr gezogen. Ich möchte dem an dieser Stelle — Unterschwellig wird dies, Frau Kollegin, doch energisch widersprechen. immer wieder getan. Sie selbst bekommen doch auch Briefe aus dieser Region, in denen dies immer wieder (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) unterstellt wird. Ich kann Ihnen sonst die B riefe, die Die Sowjetarmee hat in den letzten Jahren auf diesem ich bekomme, gern zeigen. Platz ausschließlich mit scharfer Munition aller Kali- Zweiter Punkt. Herr Kollege, Sie wissen, daß ber und scharfen Bomben bis zu 500 kg Gewicht Arbeitsgruppen eingesetzt werden sollen. Ich hoffe, geübt. Die Bundesluftwaffe wird nur bis zu 12,5 kg daß diese unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen — dies schwere Übungsbomben einsetzen, also keine schar- ist auch meine Bitte an den Minister —, indem mit den fen Bomben. Während bisher durch die Sowjets bis zu betroffenen Gemeinden darüber gesprochen wird, 450 Einsätze pro Tag geflogen wurden — dies waren wie denn die konkrete Ausgestaltung der zukünftigen zwischen 20 000 und 25 000 Einsätze pro Jahr und bis Nutzung der Truppenübungsplätze aussehen soll. zu 36 Maschinen gleichzeitig —, wird die Bundesluft- Dritter Punkt — da komme ich einen Schritt auf Sie waffe maximal ein Soll von 3 000 Einsätzen pro Jahr zu —: Auch hier muß dann geklärt werden, wie denn, fliegen. Das sind an 150 Flugtagen ca. 20 Einsätze pro wenn die Aussage, die Sie vorgetragen haben, zutref- Tag. Ich denke, auch dies ist ein absoluter Unterschied fen sollte, an der ich im Moment keinen Zweifel habe, zu dem, was wir bisher gehabt haben. die Entschädigungen der ehemaligen Besitzer ausse- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hen sollen. Weiterhin werden Mittagspausen und Sommerpau- (Vera Wollenberger [BÜNDNIS 90/DIE sen eingehalten. Um den Übungsplatz wird ein Flug- GRÜNEN]: „Rückgabe vor Entschädi beschränkungsgebiet eingerichtet werden. Und die gung" !) An- und Abflüge zum Flugplatz werden in einer Dies ist eine Frage, die dann auch noch geklärt Mindestflughöhe von über 1 000 Fuß erfolgen. werden muß. (Heinz-Alfred Steiner [SPD]: Da habt ihr Ich denke, die Argumente, die ich zur Nutzung dieses einzigen Luft/Boden-Übungsplatzes in den euch einfangen lassen!) neuen Bundesländern vorgebracht habe, sollten auch Auch dies ist neu, Herr Kollege Steiner, auch dies hat Sie überzeugen, daß die Bundesluftwaffe auf diesen es früher nicht gegeben. Ich bitte Sie, hier keine Platz auch in Zukunft angewiesen ist. Vergleiche mit den Sowjets herzustellen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich

Ich denke, daß dies, meine Damen und Herren, möchte zum Schluß kurz auf das Soltau - Lüneburg- Argumente sind, mit denen zivile Belange der umlie- Abkommen eingehen. Dieses ist vor Jahrzehnten mit genden Gemeinde und Übungstätigkeit der Bundes- der britischen Rheinarmee und den Kanadiern wehr miteinander in Einklang gebracht werden kön- geschlossen worden. Eine Beendigung dieses Abkom- nen. mens nach Ende des Ost-West-Konflikts hat die F.D.P. 11382 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Günther Friedrich Nolting bereits 1990 gefordert. Ich bin froh, daß dieser Forde- ten Flächen vorgenommen werden können. Die Erfas- rung im Rahmen der Neuverhandlungen des Zusatz- sung und Bestandsaufnahme der belasteten Flächen abkommens zum NATO-Truppenstatut stattgegeben ist die erste Aufgabe. Dabei sind Bodenuntersuchun- wurde und ab Mitte 1994 alle Übungsaktivitäten in gen vorzunehmen, um Gefahren durch Ölverschmut- der Heide eingestellt werden, also schon im nächsten zungen, Munitionsreste und Verwüstung bzw. Ver- Jahr. dichtung des Heidebodens zu entschärfen und zu (Beifall bei der F.D.P.) beseitigen. Landwirtschaftliche und fremdenver- kehrliche Nutzung der belasteten Fläche muß wieder Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- möglich werden. Die Gemeinden müssen in die Lage geordneter Nolting, Entschuldigung, wenn ich Sie versetzt werden, ihre Planungsvorstellungen in die unterbreche, aber der wieder zurückgekommene Kol- Gespräche mit dem Bund einzubringen. Die Rück- lege Klejdzinski will gern eine Zwischenfrage stel- gabe des Eigentums und die Schadensaufbereitung len. sollten zügig vorgenommen werden, damit in abseh- barer Zeit die renaturierten Flächen wieder Teil einer Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Dem Kollegen seit Jahrhunderten vom Menschen genutzten Kultur- Klejdzinski kann ich eine Zwischenfrage nicht ver- landschaft werden können. Ich denke, dies ist ein wehren, da es sich um einen sehr angenehmen Anliegen, daß besonders der Kollege Hansen aus Kollegen handelt. Lüneburg in der dortigen Region gemeinsam mit der (Heiterkeit bei der SPD) F.D.P.-Bundestagsfraktion energisch vertritt. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Danke, Herr Kol- Und erfolgreich!) lege Nolting. Hoffentlich sind Sie davon noch über- Meine Damen und Herren, nach dem, was ich hier zeugt, nachdem ich meine Frage gestellt habe. vorgetragen habe, kann ich nur dafür plädieren, dem Anliegen der SPD nicht zuzustimmen. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ich kenne ja Ihre Zwischenbemerkungen auch vom Ausschuß her. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Insofern bin ich auf alles vorbereitet. geordneter Nolting, dank der mildtätigen Hilfe der Zwischenfrager sind Sie inzwischen auf 13 Minuten Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD): Herr Kollege Nol- gekommen. Ich mache nur darauf aufmerksam. ting, alles das, was Sie angeführt haben, auch das, was die Belastung betrifft usw., ist sicherlich ein ernst zu Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Dank der Für- nehmendes Problem. Stimmen Sie mir zu, daß unter sorge auch des Präsidenten. Ich bedanke mich bei den Kriterien, die Sie genannt haben, beispielsweise Ihnen. Ich hoffe, daß Sie dem Antrag der Koalition die Belastung des Platzes Nordhorn-Range auch unter zustimmen werden. den veränderten sicherheitspolitischen Bedingungen so einzuschätzen ist, daß die Bevölkerung, die schon Vielen Dank. 40 Jahre lang diese Belastung dort in einem Übermaß (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hat ertragen müssen, in erster Linie Anspruch darauf hat, daß die Übungsplatztätigkeit endlich einmal Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort abgebaut wird, um die erheblichen Lärmbelästigun- hat nunmehr die Abgeordnete Frau Vera Wollenber- gen zu reduzieren? ger.

Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Ich bedanke Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mich ausdrücklich für diese Frage; denn mir ist vorhin Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei den von den Geschäftsführern signalisiert worden, daß ich Festlegungen, die das heute zu beratende Konzept für meine Redezeit kürzen müßte, insofern bin ich u. a. die Weiternutzung von Truppenübungsplätzen trifft, auf den Übungsplatz Nordhorn - Range nicht einge- ist in zum Teil gravierender Weise der Wille der gangen. Ich stimme mit Ihnen fürwahr überein, daß betroffenen Menschen mißachtet worden. Dafür ste- wir in diesen Regionen auch in den westlichen Län- hen vor allen Dingen die Beispiele Colbitz-Letzlinger dern, hier speziell Nordhorn-Range, zu einer Entla- Heide und Wittstock, die Herr Kollege Steiner schon stung kommen wollen und müssen. Wenn Sie sich das erwähnt hat. Truppenübungsplatzkonzept ansehen, dann werden Sie genau feststellen, daß Ihrem Petitum hier Rech- Bevor ich aber auf besondere Aspekte des Verhal- nung getragen wurde. Es wird zu einer Entlastung in tens von Politikern in bezug auf die genannten Trup- Nordhorn-Range kommen. Insofern stimmen wir in penübungsplätze eingehe, möchte ich noch erwäh- dieser Frage überein, und ich sehe mein Urteil über nen, daß es keinesfalls nur die Menschen in Ost- Sie bestätigt. deutschland sind, die entschiedenen Widerstand gegen die militärische Weiternutzung von Truppen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) übungsplätzen leisten. Es gibt auch im Westen sol- Meine Damen und Herren, ich hatte das Soltau- chen Widerstand gegen Truppenübungsplätze. Seit Lüneburg-Abkommen angesprochen, das im näch- Jahren kämpft eine Bürgerinitiative für die Verringe- sten Jahr ausläuft. Ab dem nächsten Jahr wird also in rung der militärischen Belastung in der Lüneburger der Heide nicht mehr geübt werden. Nach diesem Heide. Ich erwähne das ausdrücklich, um dem Ein- Erfolg muß jetzt allerdings die Frage gestellt werden, druck vorzubeugen, uns würden nur die Truppen- wie und in welchem Umfang Entschädigungen und übungsplätze im Osten interessieren. Es kann nicht Renaturierungsmaßnahmen in den sogenannten ro- um eine Verlagerung der Übungsplätze gehen, nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11383

Vera Wollenberger darum, anderen zuzuschieben, was man vor der von Truppenteilen sei als Alternative, nicht als Aus- eigenen Haustür nicht haben will, sondern es kann gleich angeregt worden. nur um eine drastische Verringerung der Truppenü- Die Thüringer Landesregierung hat seinerzeit die bungsplatzfläche weit über das im Konzept angege- Weiternutzung des Übungsplatzes Weberstedt/Kün- bene Maß hinaus gehen. kel ohne Wenn und Aber abgelehnt. Daraufhin wurde er aus dem Nutzungskonzept herausgenommen. In Was Colbitz-Letzlinger Heide betrifft, so ist der Verteidigungsminister im Wort. Er hat gesagt, er Brandenburg müssen die Bürgerinitiativen weiter würde nicht zulassen, daß der gute Name der Bundes- kämpfen, nicht nur gegen uneinsichtige Bundespoli- wehr beschädigt wird, indem sie ein Lebensmittel, tikerinnen und -politiker, sondern auch gegen die nämlich Trinkwasser, verdirbt. Damit ist nach unserer uneindeutige — ich würde sagen: typisch Stolpe- Auffassung die Gefahr für Colbitz-Letzlinger Heide sche — Haltung ihrer Regierung. gebannt. Denn ein hydrogeologisches Gutachten wird Unsere Gruppe lehnt das Übungsplatzkonzept ab ergeben, daß durch militärische Übungstätigkeit in und hat einen Änderungsantrag zum Antrag der SPD diesem sensiblen Gebiet die Trinkwasservorräte der vorgelegt, zu dem wir getrennte namentliche Abstim- Stadt Magdeburg und Umgebung beeinträchtigt wer- mung beantragen. den. Frau Ab- Bleibt also Jedes Mitglied des Bundesta- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Wittstock. geordnete, der Abgeordnete Weiß will Ihnen eine ges hat in den vergangenen Tagen einen offenen Brief Frage stellen, die Sie vielleicht beantworten wollen. der Bürgerinitiative Freie Heide erhalten. Für alle, die ihn nicht gelesen haben und die das Problem nicht kennen, möchte ich aus diesem Brief zitieren: Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Kollegin Wollenberger, würden Sie mir recht Seit Bekanntwerden der Absicht der Bundesre- geben, daß es eine eindeutige Beschlußlage seitens gierung reißt der Protest nicht ab. Monatliche des Landesparlaments von Brandenburg gibt, die die Protestwanderungen und zwei große Demonstra- militärische Weiternutzung von Wittstock aus- tionen mit ca. 10 000 Teilnehmern, über 40 000 schließt, und daß es auch im Raum Berlin starken gesammelte Unterschriften, Tausende Briefe an Widerstand dagegen gibt, weil für die Landeshaupt- Parlamentarier, Minister und andere Persönlich- stadt dieses Gebiet natürlich als Naherholungsgebiet keiten des politischen Lebens zeigen dies ein- gebraucht wird, nicht aber als Bombenübungsplatz? drucksvoll. Nicht Eigennutz hat diese massive Reaktion hervor- Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gerufen, sondern ein tief verletztes Rechtsempfinden Es gibt den eindeutigen Beschluß des Brandenburgi- der jahrzehntelang rücksichtslos militärisch überla- schen Landesparlaments, es gibt den Widerstand in steten Bevölkerung. Denn diese erlebt eine moralisch Berlin, und es gibt ja auch den Beschluß der Evange- verhängnisvolle Kontinuität zur sowjetischen Besat- lischen Synoden gegen diesen Truppenübungsplatz. zungspolitik, wenn dieses nach dem Zweiten Welt- Gegen alle diese ausdrücklichen Willenskundgebun- krieg aus der bis dahin rein zivil genutzten Wald- und gen würde verstoßen, wenn eine militärische Weiter- Heidelandschaft gewaltsam herausgeschnittene Ge- nutzung von Wittstock beschlossen werden würde. biet weiter durch Militärs in Anspruch genommen werden soll. Stalins Bombodrom darf nicht zum Bom- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile bodrom der Bundesluftwaffe werden. Zudem würden nunmehr der Abgeordneten Frau Dr. Ruth Fuchs das damit Hunderte von Arbeitsplätzen im touristischen Wort. Gewerbe unserer wald- und seenreichen Region auf Grund erneuten Tiefflug- und Geschützlärms gefähr- Dr. Ruth Fuchs (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! det sowie Hunderte Millionen Deutsche Mark unnüt- Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zum zer militärischer Investitionen, u. a. für — jetzt, Herr Truppenübungsplatz Colbitz-Letzlinger Heide spre- Kollege Kossendey, passen Sie auf! — die von nieman- chen, weil der Streit um diesen Übungsplatz ein dem gewollte Umsiedlung von Garnisonen von West Lehrstück demokratischer Willensbildung darstellt nach Ost verpulvert werden. und unter Umständen zu einem Lehrstück der Miß- Letztere Bemerkung nimmt Bezug auf zweifelhafte achtung eben dieser Willensbildung werden kann. Anregungen der Brandenburger Landesregierung zur Im Truppenübungsplatzkonzept trägt dieser Platz Stationierung von Truppenteilen in der Wittstocker den Namen „Magdeburg". In der Kurzbeschreibung Region, die bei einem Gespräch des Verteidigungsmi- dessen heißt es u. a.: nisteriums im Brandenburgischen Umweltministe- Der Platz liegt im Landschaftsschutzgebiet. rium und von Ministerpräsident Stolpe in einem Große Trinkwasservorkommen dienen zur Trink- Gespräch mit dem Verteidigungsminister gegeben wasserversorgung für den Raum Magdeburg. wurden. Zwar meldet die Brandenburgische Landes- Und jetzt kommt es: regierung größte Bedenken gegen den Truppenü- bungsplatz an; nirgends steht aber, daß sie ihn Nach bisherigen Erkenntnissen besteht durch ablehnt. Bedenken können bekanntlich ausgeräumt militärische Nutzung keine Gefährdung des werden. Die von der Brandenburger Landesregierung Trinkwassers. beantragte Lärmquantifizierung wirkt da wie eine Gelinde ausgedrückt: Hier wurde ein Wunsch schon Hilfestellung. Es nützt nichts, wenn Minister Platzeck zur Tatsache gemacht. Bei allen Diskussionen um hinterher klarzustellen versucht, die Stationierung diesen Platz wird immer der Eindruck erweckt, die 11384 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Ruth Fuchs endgültige Entscheidung auf den Termin des Abzugs Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. der sowjetischen Truppen zu verschieben, d. h. auf (Beifall bei der PDS/Linke Liste, der SPD und 1994, um die Entscheidung von einem dann zu erstel- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lenden Trinkwassergutachten abhängig zu machen. Ein solches Gutachten gibt es noch nicht. Also soll dieser Truppenübungsplatz zunächst als Gefechtsü- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine bungszentrum in der weiteren Nutzungsplanung ver- Damen und Herren, ich erteile nunmehr dem Mi- bleiben. nisterpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Profes- sor Werner Münch, das Wort. — Zu Ihrer Information Ich halte alle diese Feststellungen für eine Verzöge- darf ich noch sagen: Die namentliche Abstimmung rungstaktik, die mit der Hoffnung einhergeht, die wird voraussichtlich gegen 17.30 Uhr statttfinden. Bevölkerung und die Vertretungskörperschaften des Landes Sachsen-Anhalt doch noch umstimmen zu Ministerpräsident Dr. Werner Münch (Sachsen- können, nach dem Prinzip: Kommt Zeit, kommt Rat. Anhalt): Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Sie debattieren heute über das Trup- Das in Aussicht gestellte Trinkwassergutachten penübungsplatzkonzept des Bundesministeriums der stellt meiner Auffassung nach eine viel zu enge Sicht Verteidigung und insonderheit über die zukünftige auf das Gesamtproblem dar. Es geht in diesem Fall um Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide. Dieser Trup- mehr. Es geht um die Glaubwürdigkeit demokrati- penübungsplatz — dies ist bekannt — liegt in Sach- scher Willensbildung im vereinten Deutschland, um sen-Anhalt, dem Land, das ich politisch zu repräsen- die ernsthafte Berücksichtigung der Befindlichkeiten tieren habe. Die Diskussion um seine Zukunft wird der ostdeutschen Bevölkerung und um die tatsächli- von der Bevölkerung unseres Landes, nicht nur von che Durchsetzung föderalistischer Prinzipien. Ein Ja den unmittelbaren Anrainern, mit hohem Engage- zum Übungsplatz Colbitz-Letzlinger Heide bedeutet ment, aber auch mit großer Sorge begleitet. Das ist der ein Nein zum Willen von Landtag und Landesregie- Grund, weswegen ich zu diesem speziellen Punkt rung, von Kreistagen, Gemeinden und Bürgerinitiati- — ausschließlich darum geht es mir — das Wort ven und zu dem schon vor der Einheit erklärten Willen ergreife. der Menschen, der be troffenen Bevölkerung. Meine Damen und Herren, die eindeutige Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Sachsen-Anhalts will in Bitte bedenken Sie: Die CDU Sachsen-Anhalt hatte Zukunft eine ausschließlich zivile Nutzung der Col- mit dem Versprechen der zivilen Nutzung der Colbitz- bitz-Letzlinger Heide. Letzlinger Heide schon Wahlkampf gemacht. Danach hat der Landtag mit großer Mehrheit einen Beschluß (Beifall bei der Abgeordneten der CDU/CSU zur zivilen Nutzung und naturräumlichen Sicherung sowie bei der SPD, der PDS/Linke Liste und der Colbitz-Letzlinger Heide angenommen, und auch dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Landesregierung lehnt den Truppenübungsplatz Bürgerinitiativen, Kreistage und Gemeinderäte der ab. 24 von 26 Gemeinden haben sich nach dem umliegenden Kommunen, der Landtag unseres Lan- Ergebnis einer Befragung gegen den Truppen- des mit allen Fraktionen und ebenso die Landesregie- übungsplatz entschieden. Mit über 70 000 Unter- rung stimmen darin überein: Wir lehnen gemeinsam schriften hat sich die Bevölkerung für eine zivile eine weitere militärische Nutzung dieses Gebietes Nutzung ausgesprochen. ab. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Hinzu kommt: Strittig ist der Eigentumsanspruch dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Bundes. 1947 hatte der Alliierte Kontrollrat als Das Bundesverteidigungsministerium befindet sich Gesetzgeber beschlossen, daß alle Besitztümer Preu- mit seinen Plänen mithin in diesem Fall in eindeuti- ßens an die damals neugegründeten Länder zu über- gem Gegensatz zu den Betroffenen. Sein Konzept der geben sind. Die Gesetze wurden nie außer Kraft Errichtung eines Gefechtsübungszentrums auf dem gesetzt und im Einigungsvertrag auch respektiert. Das bisherigen Übungsplatzgelände beruht allein auf Land Sachsen-Anhalt und seine Bevölkerung haben Überlegungen der militärischen Führung. Andere, somit gegenüber dem Bund einen vorrangigen wichtige Gesichtspunkte sind unseres Erachtens nicht Anspruch auf die Colbitz-Letzlinger Heide. oder zuwenig angemessen berücksichtigt. Ich denke, daß dies — jedenfalls nach unserer Einschätzung — Somit frage ich Sie: Wie ist es um unsere vielgeprie- nicht gutgehen kann. Ich habe dies in der Vergangen- sene Demokratie bestellt, wenn diese und viele heit mehrfach klar und deutlich, auch gegenüber dem andere Fakten negiert werden und das Problem allein Bundesverteidigungsminister, zum Ausdruck ge- und ausschließlich auf das zu erwartende Ergebnis bracht. Unabhängig von der bisher unterschiedlichen eines Trinkwassergutachtens reduziert wird? Position in der Sache würdige ich aber ausdrücklich seine ständige Bereitschaft und Offenheit zu Gesprä- Es gibt deshalb für diesen Truppenübungsplatz nur chen hierüber. eine mögliche Entscheidung: Respektierung der Beschlüsse der Vertretungskörperschaften des Lan- (Beifall bei der CDU/CSU) des Sachsen-Anhalt und des mehrheitlichen Willens Ich möchte Sie, verehrte Damen und Herren, heute der Bevölkerung. Und das heißt: Streichung des nachhaltig darum bitten: Lassen Sie bei Ihrer Ent- Übungsplatzes Colbitz-Letzlinger Heide aus dem scheidung die Interessen unseres Landes und den Truppenübungsplatzkonzept des Verteidigungsmini- Wunsch unserer Bürgerinnen und Bürger nicht außer steriums. acht! Ich möchte in aller gebotenen Kürze zu den Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11385

Ministerpräsident Dr. Werner Münch (Sachsen-Anhalt) Hintergründen nur einige wenige Anmerkungen chungen müssen zügig und in enger Abstimmung machen. - zwischen Bund und L and vorgenommen werden. (V o r sitz: Vizepräsidentin Renate Als Trinkwasserreservoir, aber auch als Biotop muß Schmidt) die Heide regeneriert und geschützt werden und Erstens. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, ausschließlich behutsamer ziviler Nutzung vorbehal- ten sein. daß auch unser Land Sachsen - Anhalt seinen Beitrag zur Sicherung der zukünftigen Verteidigungsfähig- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU keit Deutschlands zu leisten hat und auch leisten will. sowie bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Eine Armee, die nicht üben kann, ist nicht viel wert. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deshalb werden Übungsplätze benötigt. Sachsen- Anhalt hat daher gegen die weitere militärische Entsprechende Festlegungen sind in unserem Lan- Nutzung der Truppenübungsplätze Klietz und Alten- desentwicklungsprogramm getroffen. Vorgesehen ist grabow keine Einwände erhoben. Darüber hinaus dabei ein Naturpark Colbitz-Letzlinger Heide mit könnte Annaburg eine geeignete Alternative zur einer Gesamtfläche von etwa 90 000 ha. Soweit eine Colbitz-Letzlinger Heide sein. Nutzung in Betracht kommt, sollte nach dem Willen des Landes und der betroffenen Kommunen die Ent- (Heinz-Alfred Steiner [SPD], zur CDU/CSU wicklung zum Erholungsgebiet absoluten Vorrang gewandt: Jetzt habt ihr eure Möglichkei- haben. Die Entwicklungsmöglichkeiten für den Tou- ten!) rismus werden von Experten positiv eingeschätzt. Zweitens. Die veränderte verteidigungspolitische Eine Untersuchung allein für die südliche Heide Situation in Europa, die getroffenen Abrüstungsver- prognostiziert beispielsweise 2 000 bis 2 500 zivile einbarungen und der Zwei-plus-Vier-Vertrag sowie Arbeitsplätze. Gegenwärtig erarbeitet die Landesre- eine neue Aufgabenstellung machen für die Bundes- gierung ein umweltverträgliches Strukturkonzept für wehr eine Neuverteilung der ihr verbleibenden Trup- die Heide. penübungsplätze notwendig. Damit sind Vor- und Meine Damen und Herren, dem allen stehen die Nachteile verbunden. Um so mehr sollte die Vertei- Planungen des Bundesverteidigungsministeriums lung bundesweit ausgewogen sein. So empfiehlt es ja diametral entgegen. Sie sehen 20 000 ha Übungsflä- auch der Verteidigungsausschuß in seiner entspre- che im Zentrum der Heide vor. Beim gleichzeitigen chenden Entschließung, Drucksache 12/3689. Üben von zwei Panzerbataillonen auf dem Gelände

Im Falle von Sachsen - Anhalt kann davon nach dem sind Lärmbelastungen und natürlich ebenso die Bela- derzeitigen Planungsstand leider nicht die Rede sein. stung von Boden, Luft und Wasser unbestreitbar, auch Mit 2,64 % seiner Fläche soll unser Land einerseits den wenn auf das Schießen mit schweren Waffen verzich- höchsten Übungsplatzanteil unter allen Ländern tet wird. erhalten. Mit rechnerisch 0,3 Soldaten pro Quadratki- lometer hat es andererseits die geringste Stationie- (Susanne Kastner [SPD]: Haben Sie das rungsdichte. Ein derartiges Mißverhältnis können wir gehört, Herr Nolting? Recht hat er!) nicht akzeptieren. M an muß im übrigen vielleicht Aus Sicht der Landesregierung genauso wichtig ist auch einmal erwähnen dürfen, daß gerade das Gebiet aber noch eine weitere Überlegung. Ich möchte des heutigen Landes Sachsen-Anhalt seit Kriegsende darum bitten, daß folgendes bedacht wird: In der immer am stärksten von der Stationierung sowjeti- Colbitz - Letzlinger Heide sind seit dem Mai 1935, d. h. scher Truppen be troffen — das heißt in diesem Fall: seit bald 60 Jahren, ohne Unterbrechung militärische damit belastet — war. Übungen abgelaufen, ohne daß die Bevölkerung auch nur ein einziges mal nach ihrer Zustimmung gefragt Drittens. Im Falle der Colbitz - Letzlinger Heide sprechen gewichtige und überzeugende Gründe worden wäre. Zwei Diktaturen haben den Menschen gegen eine weitere militärische Nutzung. Die Heide dort den Zugang zu ihrer heimatlichen Umgebung besitzt einen einzigartigen Wert als Trinkwasser- verwehrt, und viele von ihnen haben persönliche reservoir. Sie versorgt derzeit etwa 600 000 und Erinnerungen an Schikanen und an noch schlimmere perspektivisch bis zu 1,2 Millionen Menschen mit Dinge, die nicht vergessen sind. bestem Trinkwasser. Die bisher in der Heide beste- Gerade weil ich nicht möchte, daß die Bundeswehr henden Wasserschutzgebiete konnten allerdings undifferenziert mit den Armeen von Diktaturen aus nicht den hydrogeologischen Erfordernissen ange- der Vergangenheit verglichen wird, liegt mir daran, paßt werden, sondern enden meist an der Grenze des daß die Bundeswehr in diesem besonderen Fall Rück- Truppenübungsplatzes. Sie müssen erweitert werden. sicht nimmt und nicht in die Heide kommt. Nach derzeitigem Kenntnisstand lassen sich die für die Wassergewinnung relevanten Strömungsfelder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und alleine dadurch sachgerecht abschirmen, daß die der F.D.P. sowie bei der SPD, der PDS/Linke gesamte Heide unter Schutz gestellt wird. Dies bele- Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ gen übrigens erste Probeentnahmen in einem Teil des NEN) noch von den GUS-Truppen genutzten Gebietes. Ich sehe die Gefahr, daß die gute und die erfolgreiche Das Ergebnis eines ersten hydrogeologischen Gut- Aufbauarbeit der Bundeswehr in den neuen Bundes- achtens wird in Kürze vorliegen und weitere Auskunft ländern und ihr Ansehen bei den Menschen in Sach- über diesen Sachverhalt geben. Es besteht weiterer sen-Anhalt, wozu die Landesregierung und auch ich erheblicher Bedarf zur Untersuchung und zur Neu- persönlich einen Beitrag leisten, dauerhaften Schaden ausweisung der Wasserschutzgebiete. Diese Untersu- nehmen werden, wenn dem dringenden Wunsch der 11386 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Ministerpräsident Dr. Werner Münch (Sachsen-Anhalt) Bevölkerung ein weiteres Mal nicht entsprochen wer- ten Truppenübungsplatz in der DDR aus — 23 000 ha den sollte. - Wüste zum Üben von Panzerkriegen. Auf Grund der vorgetragenen Argumente vertritt Das letzte Jahr in der DDR ließ dann Träume über die Landesregierung die Ansicht, daß die Colbitz- ein endliches Ende der militärischen Okkupation der Letzlinger Heide nicht länger Bestandteil der Nut- Heide reifen. Ein Naturparkkonzept wurde entwik- zungsplanung des Verteidigungsministeriums sein kelt. Bereits zum Zeitpunkt der Vereinigung hatten sollte. Insofern findet die Entschließung des Verteidi- Bürgerinitiativen über 35 000 Unterschriften von gungsausschusses in diesem Punkt nicht unsere Befürwortern einer zivilen Nutzung der Heide gesam- Zustimmung. Ich möchte gerne, daß das Bundesver- melt. Bis heute sind Zehntausende hinzugekom- teidigungsministerium über Alternativen für eine men. andere Planung nachdenkt, damit wir uns im kom- menden Jahr nicht gemeinsam in einer Sackgasse Seit jedoch die Reden zur deutschen Einheit ver- wiederfinden. klungen sind, hat die Bundeswehr Interesse an dem Gelände angemeldet. Ihre Vorstellungen sind in dem An der notwendigen Kooperationsbereitschaft der Truppenübungsplatzkonzept konkretisiert worden Landesregierung wird es auch in Zukunft nicht feh- und — wie Herr Münch schon sagte — stehen im len. Ich habe Alternativen genannt. Über die Nutzung Gegensatz zur großen Mehrheit aller direkt oder der Heide allerdings gibt es mit uns nichts zu verhan- indirekt Betroffenen. deln. Dafür stehen wir bei unserer Bevölkerung im Wort. Der Landtag Sachsen-Anhalt, die Landesregierung, Vielen Dank. alle umliegenden Kreistage, 102 Gemeinden, die Kirchen und Verbände der Region haben sich gegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und eine weitere militärische Nutzung der Colbitz-Letzlin- der F.D.P. sowie bei der SPD, der PDS/Linke ger Heide ausgesprochen. Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) Die Bundeswehr versucht mit der Rückendeckung eines offensichtlich immer noch zu gut gefüllten Verteidigungshaushalts, für ihre Interessen zu wer- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- ben: lege Reinhard Weis das Wort. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Davon haben Sie keine Ahnung!) Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte meinem Mini- Man wolle ja ohnehin das Gelände zunächst gründlich sterpräsidenten des L andes Sachsen-Anhalt meinen von Altlasten befreien, zivile Arbeitsplätze seien in ausdrücklichen Respekt für seine Argumentation für großer Zahl zu erwarten, und überhaupt gäbe es eine zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide nichts, was der Colbitz-Letzlinger Heide besser täte bekunden. als ein Gefechtsübungszentrum der deutschen Bun- deswehr. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zurufe von der CDU/CSU: So ist es! — Das Sie schließt nahtlos an die Argumentation der SPD- ist richtig!) Fraktion an. Ich möchte auch speziell deshalb zur Schließlich wird immer wieder hervorgehoben, daß Colbitz-Letzlinger Heide sprechen, weil ich zu den die Bundeswehr ja im Gegensatz zur Roten Armee Betroffenen gehöre. demokratisch strukturiert und damit auch an Wie Sie wissen, geht es in dieser Debatte nicht nur Gesetze, um das, was hier sehr unverfänglich unter dem (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Genauso Stichwort „Truppenübungsplatzkonzeption" abge- ist es!) handelt wird, sondern es geht auch um die Frage der Glaubwürdigkeit unseres Staates an ganz konkreten im besonderen auch an die Umweltgesetzgebung, Orten in unserem Land, gebunden sei, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Stellen DIE GRÜNEN) Sie das in Frage? — Paul Breuer [CDU/CSU]: hier speziell in jener Gegend im Norden des Landes Welche Meinung haben Sie denn?) Sachsen-Anhalt, in der die Colbitz-Letzlinger Heide weshalb die Aversionen der Bürgerinnen und Bürger liegt. gegen das Militär völlig unverständlich seien. Lassen Sie mich für diejenigen, die die Debatte in den letzten zwölf Monaten — solange liegt unser Das ist richtig. Aber diese Argumentation berück- Antrag nämlich dem Hohen Hause schon vor — nicht sichtigt nicht die Erfahrungen von über 60 Jahren so genau kennen, die Hintergründe zusammenfassen Diktatur — speziell in dieser Region. Frau Wollenber- und die notwendigen Schlußfolgerungen ziehen. ger und Herr Münch haben auf diese Zusammen- hänge hingewiesen. Wie Herr Münch schon sagte: Seit 1935 betrieb zuerst die deutsche Rüstungsindustrie in der Colbitz- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Letzlinger Heide einen Schießplatz mit 25 km langen 90/DIE GRÜNEN — Paul Breuer [CDU/ Schießbahnen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam CSU]: Wenn Sie für diese Ordnung eintreten, der Schießplatz Heide neue Platzherren. Die Rote dann müssen Sie mal auf den Bürger zuge Armee baute die Colbitz-Letzlinger Heide zum größ- hen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11387

Reinhard Weis (Stendal) — Also, daß ich auf die Bürger in meiner Region, im Das jüngst erschienene Buch des bekannten deut- Umfeld der Colbitz-Letzlinger Heide, zugehe, dessen schen Publizisten Rolf Winter fragt provozierend: können Sie sicher sein. „Wer zur Hölle ist der Staat?" Immer mehr Menschen in unserem Land werden sich dies fragen, (Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: Was haben Sie denn in den zurückliegenden (Zuruf von der CDU/CSU: Billige Polemik!) Jahren gemacht?) wenn sogenannte Sicherheitsexperten auf demokrati- pfeifen und die echten Ich kann gegen diese Argumentation allerdings sche Entscheidungsprozesse die nach sechs Jahrzehn- einiges einwenden, das über das bisher Gesagte Bedürfnisse von Menschen, ten des Militärs in ihrer Heimat ohne diesen Übungs- hinausgeht: platz leben wollen, ignorieren. Erstens. Gegen eine notwendige Sanierung des Ich bitte Sie: Lassen Sie dies nicht zu! Stimmen Sie Geländes auf Kosten des Bundes hat niemand etwas. für eine zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Doch dazu bedarf es nicht der Bundeswehr. Es mutet Heide! geradezu grotesk an, ein durch militärischen Miß- brauch stark gefährdetes Trinkwassereinzugsgebiet (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und für 600 000 Menschen für die langfristige Weiternut- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zung von Militärs sanieren zu lassen. Wirklicher Trinkwasserschutz muß eine langfristige militärische Nun hat Herr Nutzung ausschließen. Der Herr Verteidigungsmini- Vizepräsidentin Renate Schmidt: ster könnte deshalb jene Mittel, die er für die Sanie- Bundesverteidigungsminister Volker Rühe das rung der Colbitz-Letzlinger Heide einzusetzen Wort. gedenkt, dem Umweltminister für denselben Zweck zur Verfügung stellen. Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 90/DIE GRÜNEN) Am 29. Oktober letzten Jahres habe ich das Truppen- übungsplatzkonzept der Bundeswehr im Verteidi- Zweitens. Recherchen haben inzwischen ergeben, gungsausschuß zur abschließenden Beratung vorge- daß die Arbeitsplatzversprechungen der Bundeswehr stellt. für die Region auf höchst tönernen Füßen stehen. Ob insgesamt in dem geplanten Gefechtsübungszentrum Zuvor ist das Konzept auch mit den Landesregierun- überhaupt die langfristig angekündigten 1 600 Men- gen und kommunalen Körperschaften in den fünf schen beschäftigt werden können, ist nach einem neuen Bundesländern gründlich beraten worden, und Vergleich mit ähnlichen Einrichtungen unwahr- es hat eine breite öffentliche Debatte gegeben. scheinlich. Im besonderen dürfte sich die Zahl der Das Truppenübungsplatzkonzept ist von klaren tatsächlich für die Region wirksamen Arbeitsplätze Grundprinzipien und Zielen bestimmt. Wir wollen die auf höchstens 600 bis 700 belaufen. Dem stehen Bürger insgesamt entlasten. Wir verzichten in Zukunft kurzfristig mehr als 2 000 Arbeitsplätze in zivilen fast vollständig auf Übungen mit Panzern oder ande- Projekten gegenüber, die teilweise schon angelaufen ren Kettenfahrzeugen im Gelände außerhalb von sind. Übungsplätzen. Allein in den alten Bundesländern hat es 1990 noch rund 8 000 solcher Übungen gegeben. Drittens. Eine Armee, die wie die Bundeswehr in der Öffentlichkeit immer darauf hinweist, wie wichtig ihr Das Ausbildungskonzept unserer Streitkräfte än- das Primat der Politik sei, müßte sich auch den dert sich. Künftig muß sich die Bundeswehr auf ein demokratischen Spielregeln dieser Politik unterwer- breites Spektrum von Aufgaben einstellen, die sich fen. aus dem neuen Auftrag ergeben. Ich bin als Verteidi- gungsminister dafür verantwortlich, daß unsere Sol- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das tut sie auch! daten bestmöglich ausgebildet sind, um ihre Aufga- Ohne Zweifel!) ben zu erfüllen. Das jedoch würde sie nicht tun, wenn sie gegen den Ausbildung kann nicht ausschließlich in Kasernen erklärten Willen der betroffenen Menschen ihren stattfinden. Also brauchen wir eine hinreichende Zahl Willen bezüglich der Colbitz-Letzlinger Heide durch- an Übungsplatzflächen, setzt. (Zuruf von der SPD: Gibt es doch!) Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, die Bun- wenn ich nicht nur die Bevölkerung von Übungen im deswehr zur Anerkennung des Primats der Politik und „freien Gelände" entlasten will, sondern auch auf die des Bürgerwillens zu zwingen. Natur und auf die Belange der Anwohner eines (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Übungsgeländes Rücksicht nehmen will. Liste) Wir wollen nicht auf Kosten der Natur üben. Das heißt: Ökologie und Umweltschutz haben zu Recht Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt in Ihrer einen hohen Stellenwert, auch und gerade für die Hand, ob Sie heute — ich sage es hart und meine es Bundeswehr. Das heißt: Wir können bestimmte Flä- auch so — einem Betrug an den Menschen, an den chen eines Übungsplatzes nur für eine gewisse Zeit Bürgerinnen und Bürgern des Landes Sachsen-Anhalt nutzen. Dann muß diese Fläche die Chance erhalten, zustimmen. sich zu erholen. Also weichen wir auf andere Platzteile (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/- aus. Wir wollen gerade nicht, daß Übungsplätze — wie CSU: Na, na, na!) ich es mit großem Erschrecken in den neuen Bundes- 11388 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Bundesminister Volker Rühe ländern festgestellt habe — wie Mondlandschaften 11 Übungsplätze — davon einen Platz auch als Luft- aussehen. - Boden-Schießplatz — in den neuen Bundesländern in Meine Damen und Herren, es ist der Gipfel der Nutzung zu halten. Heuchelei, wenn sich hier Sprecher der PDS zu Darüber hinaus soll die Mitnutzung von Übungs- Anwälten der Bevölkerung aufschwingen. Sie haben plätzen im Ausland fortgesetzt werden. Das gilt für die Verantwortung für die systematische Zerstörung Castlemartin/Großbritannien, Shilo/Kanada und für dieses Geländes. Kreta. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Konzept ermöglicht in den alten Bundesländern die Einstellung der Nutzung des Soltau-Lüneburg- Den SPD-Kollegen aus dem Osten darf ich sagen: Gebietes durch britische und kanadische Streitkräfte Ich verstehe Ihren Einsatz für die Anwohner. Nur bis Mitte 1994, weil diese nun Übungsmöglichkeiten nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Bundeswehr und NVA, auf anderen Plätzen erhalten. das ist wie Feuer und Wasser. Unterlassen Sie bitte solche Vergleiche! Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Minister, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gestatten Sie eine Zwischenfrage? Die unmittelbaren Anrainer von Übungsplatzflä- chen sollen so wenig wie möglich belastet werden. Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Im Auch dazu wird ausreichend Fläche benötigt, um Augenblick nicht, tut mir leid. Die Zeit ist hier im Lämschutzpufferzonen anlegen zu können, so daß Bundestag so knapp bemessen. sich das eigentliche Üben, das natürlich mit Lärm verbunden ist, auf die Platzmitte konzentieren Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie dürfen, sie kann. wird Ihnen nicht angerechnet. (Zuruf von der PDS/Linke Liste) — Ich gehe immer davon aus, daß die Menschen in Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: den neuen Bundesländern sehr wohl hören wollen, Dann jederzeit. was der Verteidigungsminister hier zu sagen hat. — Je mehr Plätze verfügbar sind, desto eher kann auf Dr. Dietmar Matterne (SPD): Herr Minister, Sie individuelle Wünsche und Belange von Anrainern im sagten gerade „zugunsten der neuen Bundesländer". Platzrandbereich eingegangen werden, bis hin zur Ich frage Sie, weshalb Sie angesichts der dramati- Abgabe von Teilen des Platzes. schen politischen Lage — ich sehe das im positiven All dies führt dazu, daß wir trotz einer kleiner Sinne — jetzt so beharrlich, so intensiv auf einer werdenden Bundeswehr — und obwohl die Alliierten Verdreifachung der Übungsfläche für die Bundes- ihren Streitkräfteumfang in Deutschland reduzie- wehr beharren. Diese Verdreifachung kommt einzig ren — mehr Übungsplatzfläche brauchen. und allein durch den Zuwachs in den neuen Bundes- ländern zustande. Also, ausgehend von „zugunsten Im Verlauf des intensiven Dialogs auf allen Ebenen der neuen Bundesländer": Wie können Sie diese sind wir auf viel Verständnis für diese Zielsetzung Verdreifachung begründen? gestoßen. Aber ich habe auch Verständnis gehabt für eine Reihe von Einwänden gegen die Nutzung Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Ich bestimmter Plätze, und das scheint mir in der Debatte habe Ihnen ja gesagt, wir wollen völlig aus dem zu kurz gekommen zu sein. Deshalb habe ich mich „freien Gelände" herausgehen. Wir wollen weniger entschieden, gerade zugunsten der neuen Bundeslän- intensiv nutzen, gerade um des Umweltschutzes wil- der erhebliche Abstriche an der ursprünglichen Pla- len. Und wenn wir von Zahlen reden: 80 % der aus nung des Konzepts vorzunehmen, ohne das Gesamt- DDR-Zeiten übernommenen Truppenübungsplätze ziel zu gefährden. werden aufgegeben. Der Schwerpunkt der lärminten- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) siven Schießausbildung bleibt in den alten Bundes- ländern, 80 % der Schießausbildung in den alten Ich bin froh, feststellen zu können, daß wir für fast alle der im Konzept vorgesehenen Plätze mit den Bundesländern! Landesregierungen und Kommunen Konsens erzielen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) konnten. Ich glaube, hier wird klar, wer die Hauptlast trägt. (Zuruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]) Deswegen ist der Vorwurf des Übungstourismus unbegründet. — Ich weiß ja auch, wo wir keinen Konsens haben, (Abg. Dr. Dietmar Matterne [SPD] meldet aber trotzdem ist das richtig. Für fast alle Plätze haben sich zu einer weiteren Zwischenfrage) wir dadurch einen Konsens erzielt, daß ich mit großen Schritten gerade den neuen Bundesländern entge- — Entschuldigung, ich möchte gerne weiterreden. gengekommen bin und zusätzliche Lasten in den alten Ich habe verzichtet: auf die Plätze Zingst in Meck- Bundesländern auf mich genommen habe. lenburg-Vorpommern, auf Annaburg in Sachsen Anhalt, den Teil Heidehof des Platzes Jüterbog in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Brandenburg, Weberstedt/Künkel sowie Königsbrück Wir beabsichtigen, wie bisher die 20 Truppen- und den Teil Dauban des Platzes Nochten in Sachsen. übungsplätze und zwei Luft-Boden-Schießplätze in In Brandenburg wird das zusätzlich je nach Ent- den alten Bundesländern zu nutzen, also keinerlei scheidung für das Großflughafenprojekt Berlin — Abstriche an der Zahl vorzunehmen, und zukünftig entweder Jüterbog oder Lehnin betreffen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11389

Bundesminister Volker Rühe Lassen Sie mich noch einige Worte zu den hier am gen habe, nicht durchführbar sein. Das heißt, dann meisten diskutieren Übungsplätzen Colbitz-Letzlin- - müßten wir in einem gewissen Umfang auch im ger Heide und Wittstock sagen, gegen deren Nutzung „freien Gelände" in Deutschland, und zwar in Ost und sehr intensiv argumentiert wird. West, üben. Die Planung für den Übungsplatz Colbitz-Letzlin- So, jetzt möchte ich gern mal jemanden aus den ger Heide als Gefechtsübungszentrum ohne Schieß- neuen Bundesländern sprechen, der mir begründet, betrieb bleibt bestehen. Wir brauchen diesen Platz, warum, wenn ich drei Geschwader der Luftwaffe mit weil er auf Grund seiner Größe der einzige ist, der das Kosten in Milliardenhöhe in den Osten Deutschlands Üben geschlossener Verbände bei gleichzeitiger verlege, alle Übungen dieser Luftwaffe weiterhin im Beachtung unserer hohen Forderungen an den ökolo- Westen Deutschlands, nämlich in Nordhorn und Sie- gischen Schutz erlaubt. Ohne diesen Platz wird es genburg, durchzuführen sind. Kann jemand begrün- schwierig, unseren Verzicht auf Übungen mit Ketten- den, daß das ausschließlich im Westen zu geschehen fahrzeugen im „ freien Gelände" durchzuhalten. Über hat? Ich glaube, das ist nicht möglich. Und deswegen die tatsächliche Nutzung — das habe ich ja in vielen müssen auch die Lasten gemeinsam getragen werden, Gesprächen mit den Betroffenen und auch mit den wenn die Bundeswehr vernünftig zusammenwachsen Ministerpräsidenten ganz klar gesagt — wird aller- soll. dings erst entschieden, wenn nach gründlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hydrogeologischen Untersuchungen eine Gefähr- Der geplante Nutzungsumfang in Wittstock beträgt dung des Grundwassers durch den militärischen 3 000 Einsätze pro Jahr, also weniger als ein Sechstel Übungsbetrieb der Bundeswehr praktisch ausge- der durch die WGT-Streitkräfte geflogenen Ein- schlossen werden kann. Und ich wiederhole es: Die sätze. Bundeswehr hat einen guten Ruf. Wir werden nur dann dorthin gehen, wenn das mit Blick auf das Außerhalb des Platzes wird die für das gesamte Trinkwasser ökologisch verantwortet werden kann. Bundesgebiet geltende Mindestflughöhe von 300 Me- tern strikt eingehalten; geübt wird ausschließlich mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Übungsmunition. Die Übungsflüge erfolgen nach ein- Die Luftwaffe wird drei Geschwader in den neuen geschränkten Betriebszeiten. Ländern stationieren. Und das möchte ich den Kolle- Trotz dieser wesentlichen Entlastungen werden gen aus den neuen Bundesländern gern auch einmal Belastungen durch den Übungsbetrieb bleiben. Auf sagen: Wir geben Milliarden aus, um aus politischen Anregung der brandenburgischen Landesregierung Gründen des Zusammenwachsens der Streitkräfte ist daher beabsichtigt, als Ausgleich dafür nunmehr Geschwader der Luftwaffe in den Osten Deutschlands im Raum Wittstock rund 1 500 Soldaten zu stationie- zu verlegen. Dann müssen sie natürlich auch eine ren. Dies bedeutet allerdings auch eine Nutzung von Übungsmöglichkeit im Osten haben. Das ist doch Wittstock als Truppenübungsplatz des Heeres. wohl ganz eindeutig. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Minister, ich muß Sie leider noch einmal stören. Der Abgeordnete Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Minister, Konrad Weiß hat auch noch den Wunsch nach einer gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kolle- Zwischenfrage. gen Weis?

Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin, wenn sie meine Redezeit verlän- Sehr gerne. gern, jederzeit. Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich verlängere sie Herr Verteidigungsminister, Sie haben darauf hinge- nicht, sondern die Kollegen verlängern sie. Sie gestat- wiesen, daß sehr viele Truppenübungsplätze und ten sie also? — Herr Weis. Truppen nach Ostdeutschland verlegt werden. Wer außer den ehemaligen Volksarmeeoffizieren, die Reinhard Weis (Stendal) (SPD): Herr Minister, ich jetzt als Kommunisten in der Bundeswehr Dienst tun, möchte Sie fragen, ob Sie für den Fall des in Ihrem hat Sie darum gebeten, das zu tun? Sinne negativen Ausgangs des hydrogeologischen (Paul Breuer [CDU/CSU]: Schämen Sie sich, Gutachtens eine Alternative zu der Ihnen dann feh- Herr Weiß! Das ist Ihrem Niveau nicht ange lenden Fläche der Colbitz-Letzlinger Heide sehen. Sie messen!) rechnen ja prinzipiell mit dieser Möglichkeit und müssen ja auch mit dieser Möglichkeit planen. Und wenn ja, warum gehen Sie nicht von vornherein auf Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: diese Alternative ein, um den Bevölkerungswillen zu Lieber Herr Weiß, Sie wissen, daß ich zu denen berücksichtigen? gehöre, die für eine sorgfältige und deutliche Aufar- beitung der Vergangenheit sind. Aber ich verwahre Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Ich mich dagegen, daß die Soldaten aus der ehemaligen habe verstanden. Wenn durch die Stationierung der NVA, die wir nach gründlicher Prüfung in diese Bundeswehr, durch die Nutzung der Bundeswehr eine demokratische Bundeswehr übernommen haben, von Gefährdung für das Trinkwasser entstehen würde, Ihnen in dieser Weise verdächtigt werden. würden wir dort nicht hingehen. Dann würde dieses (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Truppenübungsplatzkonzept so, wie ich es vorgetra- sowie bei Abgeordneten der SPD) 11390 Deutscher Bundestag — 12.Wahloeriode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Bundesminister Volker Rühe Ich muß Ihnen sagen: Wenn Sie nicht bereit sind, zweitens, weil ich mitverantwortlich bin für den wirt- jungen Soldaten, die früher in der NVA Dienst schaftlichen Aufschwung, d. h. die Errichtung von gemacht haben, wie vielen anderen in der Bevölke- Arbeitsplätzen, drittens, weil die Altlastensanierung rung zuzubilligen, daß sie ihren Platz in dieser demo- und damit der Schutz der Bevölkerung durch die kratischen Gesellschaft in Deutschland finden, dann Bundeswehr in beträchtlicher finanzieller Höhe über- verbauen Sie sich selbst den Weg in die Zukunft. Dies nommen werden, viertens, weil ich es leid bin, miter- sind hervorragende Soldaten. leben zu müssen, wie dieses Problem vor Ort von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einigen Parteien zur parteipolitischen Profilierung benutzt wird Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Entscheidung zum Übungsplatz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — konzept ist der Dialog mit dem Bürger nicht beendet. Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen uns weiter darum bemühen, die aus den — wie die teilweise berechtigten Einwände der Bür- schlimmen Erfahrungen der Vergangenheit vorhan- ger, bedingt durch die unangenehme Erfahrung des denen Vorbehalte bei der Bevölkerung in den neuen 40jährigen Flugbetriebs der Sowjettruppen, zur Stim- Bundesländern abzubauen. mungsmache gegen die Bundeswehr ausgenutzt wer- Wir haben deshalb für jeden Übungsplatz in den den, ist für mich unlauter —, neuen Bundesländern Arbeitsgruppen eingerichtet, zu denen Vertreter der Landesregierungen, der Kreise (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und der Gemeinden eingeladen werden. Hier sollen und fünftens, weil ich mich zwei Tage lang im Informationen ausgetauscht, Einzelheiten der vorge- Landkreis Coesfeld vom Zustand der Truppen- sehenen Nutzung erörtert und Detailplanungen fest- übungsplätze in Westdeutschland überzeugt habe. gelegt werden. Nachdem mir bekannt geworden war, daß es der Lassen Sie mich zum Schluß noch einmal auf die SPD letztendlich nur um die Nicht-Nachnutzung der Sitzung des Verteidigungsausschusses am 29. Okto- Colbitz-Letzlinger Heide ging, habe ich mich intensiv ber 1992 zurückkommen. Ich begrüße nachdrücklich um die zusätzliche Stationierung von Soldaten die Feststellung der Ausschußmehrheit, mit der sie bemüht. Ich bin froh, daß ich es mit erreicht habe, daß dem Deutschen Bundestag die Annahme des Trup- nicht nur 1 000, sondern 1 535 Soldaten nach Witt- penübungsplatzkonzepts empfiehlt. Ich darf zitie- stock kommen werden. ren: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Das Bekenntnis zur Notwendigkeit von S treit- Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kräften bedingt die Bereitstellung der Möglich- keiten einer wirksamen, am Auftrag der S treit- Damit sind ca. 160 zivile Dauerarbeitsplätze verbun- kräfte orientierten gefechtsnahen Ausbildung. den u. a. mit einem Geldwertvorteil von 8,5 Millionen Diese Notwendigkeit steht im Spannungsfeld mit DM. Was diese Sache für den Aufschwung der lokalen der gesellschaftspolitischen Forderung, bei allem Wirtschaft bedeutet, brauche ich hoffentlich nieman- staatlichen Handeln das Wohl, insbesondere die dem zu erklären. Gesundheit, der Bevölkerung und die Erhaltung Deshalb stimme ich heute für das Truppenübungs- einer menschlichen Umwelt zu beachten. platzkonzept und damit für die militärische Nachnut- Soweit der Beschluß der Mehrheit des Verteidigungs- zung des Truppenübungsplatzes Wittstock. ausschusses. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich bin mit dieser Mehrheit der Meinung: Das Truppenübungsplatzkonzept wird eben diesem Span- nungsfeld gerecht. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zu den Abstimmungen. Ich darf Sie Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es liegt mir noch darauf hinweisen, daß es zu dieser Frage mehrere eine Wortmeldung zu einer Erklärung nach § 31 strittige Abstimmungen gibt. Wir haben also nach der unserer Geschäftsordnung vor. Das Wort hat dazu die namentlichen Abstimmung noch andere strittige Kollegin Rosemarie Priebus. Abstimmungen hinter uns zu bringen. Wir kommen als erstes zur Abstimmung zu dem Rosemarie Priebus (CDU/CSU): Sehr geehrte Prä- Tagesordnungspunkt 6 a, der Beschlußempfehlung sidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Schweren Herzens werde ich mein Ja zum Truppen- Fraktion der SPD zur Verminderung der Truppen- übungsplatzkonzept geben. übungsplätze und zu einem künftigen Truppen- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) übungsplatz-Konzept für Streitkräfte, Drucksache Ich habe diesen für viele Bürger meines Wahlkreises 12/3689. Wittstock nicht nachvollziehbaren Schritt getan, Die Fraktion der SPD verlangt dazu namentliche erstens, weil ich die Notwendigkeit der Nachnutzung Abstimmung. Ich eröffne diese Abstimmung. *) — von Übungsplätzen durch die Bundeswehr in den neuen Ländern voll unterstütze, *) Eine Erklärung zur Abstimmung ist als Anlage 2 abge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) druckt Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11391

Vizepräsidentin Renate Schmidt Darf ich fragen, ob es Kollegen und Kolleginnen - Wir kommen nun zur Abstimmung über die gibt, die ihre Stimme abzugeben wünschen und Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses. hierzu noch keine Gelegenheit hatten? — Dazu liegt ein Änderungsantrag der Gruppe BÜND- Darf ich noch einmal fragen, ob es Kollegen und NIS 90/DIE GRÜNEN auf der Drucksache 12/4097 Kolleginnen gibt, die ihre Stimme noch abzugeben vor. Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wünscht wünschen? — Dies scheint der Fall zu sein. — getrennte Abstimmung. Diesem Antrag wird gefolgt. Ich frage zum letzten Mal, ob es jemanden gibt, der Ich lasse also jetzt zuerst über die zivile Nutzung des noch nicht abgestimmt hat. — Dies ist nicht erkennbar. Truppenübungsplatzes Colbitz-Letzlinger Heide ab- stimmen und bitte die um das Handzeichen, die dem Ich schließe die Abstimmung.*) Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE Wir kommen zu den weiteren Abstimmungen, und GRÜNEN zum Truppenübungsplatz Colbitz-Letzlin- zwar zunächst zu dem Tagesordnungspunkt 6 b. ger Heide folgen wollen. Dabei handelt es sich um die Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Frak- (Vera Wollenberger [BÜNDNIS 90/DIE tion der SPD zur zivilen Nutzung des Truppenübungs- GRÜNEN]: Wir wollen über Wittstock platzes Colbitz-Letzlinger Heide nach dem Abzug der abstimmen!) Westgruppe der ehemaligen sowjetischen S treit- — Frau Kollegin, Sie müssen es mir überlassen: Wenn kräfte, Drucksache 12/3690. Sie eine getrennte Abstimmung über beide Truppen- Der Kollege Schulz erhält das Wort zur Geschäfts- übungsplätze verlangen, werde ich über beide ordnung. abstimmen lassen, nachdem Sie einen Änderungsan- trag für beide gestellt haben und auf getrennter Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Abstimmung bestehen; ich mache das jetzt genauso, NEN): Frau Präsidentin! Zu diesem Antrag liegt ein wie Sie es verlangt haben, nur nicht mit namentlicher Änderungsantrag unserer Gruppe auf Drucksache Abstimmung. 12/1997 vor. Ich stelle den Antrag, das erforderliche Ich darf jetzt noch einmal bitten: Wer für den Quorum für eine namentliche Abstimmung von Ihnen Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE feststellen zu lassen und über diesen Antrag ge trennt GRÜNEN bezüglich des Truppenübungsplatzes Col- — zur Colbitz-Letzlinger Heide und zu Wittstock — bitz-Letzlinger Heide ist, den bitte ich um das Hand- abstimmen zu lassen. zeichen. — Gegenstimmen? — Stimmenthaltun- gen? — Dieser Änderungsantrag ist damit abge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Zur Geschäftsord- lehnt. nung erteile ich dem Kollegen Struck das Wort. Nun lasse ich über den zweiten Truppenübungs- platz, nämlich Wittstock, ebenfalls entsprechend dem (SPD): Frau Präsidentin! Ich möchte Dr. Peter Struck Änderungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE hier für die anwesenden Kolleginnen und Kollegen, GRÜNEN abstimmen. Wer für den Änderungsantrag die die Debatte nicht verfolgen konnten, mitteilen, der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bezüglich daß der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Herr des Truppenübungsplatzes Wittstock ist, den bitte ich Kollege Steiner, zu diesem Antrag, der uns bekannt um das Handzeichen. — Gegenstimmen? — Stimm- war, schon erklärt hat, daß wir den Antrag auf enthaltungen? — Damit ist auch dieser Änderungsan- namentliche Abstimmung nicht unterstützen werden, trag abgelehnt. weil wir glauben, daß das durch unsere namentliche Abstimmung, die gleich ansteht, mit abgedeckt ist. Jetzt kommen wir zu der Abstimmung über die Was das Abstimmungsverhalten angeht — das dann Beschlußempfehlung des Verteidigungsausschusses. offen wäre —, wird es sich zu gegebener Zeit zei- Die Fraktion der SPD verlangt auch hierüber nament- gen. liche Abstimmung. Ich eröffne diese Abstimmung. — Darf ich fragen, ob noch ein Mitglied des Hauses Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es ist beantragt, seine Stimme abzugeben wünscht? — festzustellen, ob es das notwendige Quorum für eine namentliche Abstimmung gibt. Ich lasse zuerst dar- Darf ich noch einmal fragen, ob Mitglieder des über abstimmen, wobei die namentliche Abstimmung Hauses noch ihre Stimme abzugeben wünschen? dann aus zwei namentlichen Abstimmungen über die — Das ist nicht der Fall. Damit ist die Abstimmung beiden Truppenübungsplätze bestände; die getrennte geschlossen. Abstimmung über die beiden Truppenübungsplätze Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu wird dann so, wie gewünscht, vorgenommen. beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen Ich bitte diejenigen von Ihnen um das Handzeichen, später bekanntgegeben.*) die dem Antrag vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf getrennte namentliche Abstimmung zu den beiden Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesord- Truppenübungsplätzen folgen wollen. Wer dafür ist, nungspunkt 6 c, nämlich die Beschlußempfehlung des den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenstim- Verteidigungsausschusses zum Bericht der Bundesre- men? — Stimmenthaltungen? — Das notwendige gierung zu den Möglichkeiten der Verringerung der Quorum von 34 Stimmen ist nicht erreicht. Die Belastungen für die Bevölkerung im Raum Soltau namentliche Abstimmung kann also nicht stattfin- Lüneburg durch militärische Ausbildungs- und den. Übungsaktivitäten, Drucksache 12/3692. Wer stimmt

Ergebnis Seite 11397B Ergebnis Seite 11399B 11392 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt für diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — mögliche Bedrohungen aufgedeckt werden, denen Enthaltungen? — Diese Beschlußempfehlung ist ein- die verschiedenen Arten ausgesetzt sind. stimmig bei wenigen Enthaltungen angenommen. Drittens. Fischfangmethoden und -geräte sollen entwickelt werden, die die Beifänge verringern und Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 7 auf: das Abtreiben oder Zurücklassen von Fischfanggerä- Erste Beratung des von der Bundesregierung ten auf See verhindern. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Viertens. Die Öffentlichkeit wird mit Informationen Abkommen vom 31. März 1992 zur Erhaltung versorgt, um ihr zu ermöglichen, bei der Umsetzung der Kleinwale in der Nord- und Ostsee des Abkommens unterstützend mitzuwirken, und ihr — Drucksache 12/3917 — insbesondere die Meldung gesichteter und gestrande- Überweisungsvorschlag: ter Tiere zu erleichtern. Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Mit dem Abkommen wird ein umfassender Schutz Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die der Kleinwale, die durch die Walfangkonvention nicht Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es geschützt sind und bei denen EG-Recht nur die Widerspruch? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Es kommerzielle Einfuhr in die EG verbietet, vor der ist so beschlossen. Entnahme aus der Natur gewährt. Schon bisher war es in der Bundesrepublik verboten, Kleinwale absicht- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem lich der Natur zu entnehmen. dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Paul Laufs das Wort. Mit dem Gesetz wird nunmehr die Entnahme jegli- cher Kleinwale aus Gewässern auch außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland von Dr. Paul Laufs, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Schiffen aus, die unter bundesdeutscher Flagge fah- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: ren, gesetzlich verboten. Dies gilt entsprechend für Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und alle Vertragsstaaten. Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt Das Kleinwalabkommen ist ein sogenanntes „Re- die Bundesregierung das Ziel, das Abkommen vorn gionalabkommen des Bonner Übereinkommens zur 31. März 1992 zur Erhaltung der Kleinwale in der Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten" Nord- und der Ostsee zu ratifizieren und, soweit aus dem Jahr 1979. Dieses sieht vor, daß die Vertrags- notwendig, in nationales Recht umzusetzen. Das staaten durch Einzelabkommen wandernde wildle- Gesetz ist ein weiterer Baustein in der Umweltpolitik bende Tierarten schützen, deren Verbreitungsgebiet der Bundesregierung dort, wo sie darauf abzielt, sich nicht auf einen geographisch fest abgrenzbaren Lebensräume für gefährdete Arten zu erhalten und zu Raum bezieht. Ziel ist es, Einflüsse, die die Erhaltung erweitern. der Arten bedrohen, zurückzuführen. Die Bestände der Kleinwale in der Nord- und Im Bundesrat sind dem vorliegenden Gesetzent- Ostsee, wie Schweins- und Gründelwale und Del- wurf zur Erhaltung der Kleinwale in der Nord- und phine, sind stark zurückgegangen und gefährdet. Vor Ostsee keine Bedenken entgegengebracht worden. allem die Verschlechterung der Wasserqualität und Ich bitte auch Sie, nach Abschluß der Beratungen dem die Störung der Populationen durch menschliche vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Aktivitäten sind dafür die Hauptursache. Insbeson- dere werden die Bestände auch durch Beifänge der Danke. Fischerei vermindert. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Um Kleinwale als einen wesentlichen Bestandteil sowie bei Abgeordneten der SPD) der Meeresökosysteme zu sichern, muß ihre Situation verbessert werden. Dazu ist es erforderlich, in enger internationaler Zusammenarbeit Informationen zu Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste spricht die Kollegin Ulrike Mehl. sammeln und folgerichtige Beschlüsse zur Erhaltung, Hege und Nutzung zu treffen. Das Abkommen beinhaltet bestimmte Maßnahmen, Ulrike Mehl (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! die zur Erforschung, Erhaltung, Hege und Nutzung Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bundestag fühlt der Kleinwale notwendig sind. sich selten bemüßigt, über Naturschutz, geschweige Erstens. Die Freisetzung von schädlichen Stoffen in denn über Artenschutz zu sprechen. Um so erfreuli- der Nord- und Ostsee wird daraufhin überprüft, ob sie cher ist die Tatsache, daß wir heute über Arten eine mögliche Bedrohung für die Gesundheit der sprechen, die international geschützt sind. Tiere darstellt und künftig verhütet werden muß. Es wäre mir sehr lieb, wenn dieses Thema hier Zweitens. Untersuchungen werden durchgeführt, häufiger eine Rolle spielen würde — z. B. in bezug auf um die Erhaltungssituation und die saisonabhängigen die EG-Artenschutzverordnung, die wahrscheinlich Bewegungen der be treffenden Bestände zu beurtei- für den Artenschutz eine Katastrophe bedeuten wird, len. Insbesondere soll untersucht werden, wodurch wenn sie so bleibt, wie sie ist —, damit deutlich wird, die Nahrungsquellen der Kleinwale ernsthaft beein- daß sich das Parlament nicht nur bevorzugt mit trächtigt werden und durch welche Regelungen diese Vorhaben der Naturbelastung und der Naturzerstö- Schmälerung ihrer Lebensgrundlagen behoben wer- rung eingehend befaßt, sondern auch mit Vorhaben, den kann. Außerdem sollen Gebiete festgestellt wer- die die Natur und die Lebewesen schützen. den, die für den Fortbestand der Populationen von Wir wissen seit vielen Jahren, daß weltweit eine besonderer Bedeutung sind, sowie vorhandene und immer weiter fortschreitende Gefährdung von Tier- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11393

Ulrike Mehl und Pflanzenarten zu verzeichnen ist. Bei uns sind fast gern nicht geortet werden können. Es bedarf intensi- - 50 % der heimischen Arten gefährdet. Wir benehmen ver Forschungsanstrengungen, um Fangnetze und uns jedoch so, als wäre das Thema irgendeine uner- Fangmethoden zu entwickeln, die geschützte Arten wünschte Randerscheinung, wie ein schmerzhafter wenigstens vor dem tödlichen Fang schützen. Hier ist Pickel im Gesicht, mit dem man eine Zeitlang leben dringend ein umfassendes Konzept zu einer umwelt- muß. bzw meeresökologisch verträglichen Fischerei gefor- dert. Tatsache aber ist, daß all unsere Bemühungen im (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Umwelt- und Naturschutz dazu dienen müßten, Natur, Leben und Lebensräume — dazu gehören Gleichzeitig fordere ich die Bundesregierung auf, natürlich auch die Menschen — zu schützen. den Bericht der EG-Kommission zur Industriefische- rei in Nordsee, Skagerrak und Kattegatt hinsichtlich Statt dessen wird Natur- und Artenschutz in der der Kleinwalgefährdung schnell und kritisch zu prü- Regel als Kleingärtnergeschäft im Vorgarten behan- fen und die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. delt. Das kann man z. B. daran sehen, daß wir, obwohl Ein weiteres Augenmerk muß den enormen Schad- seit langem bekannt ist, daß jede Menge von Seelen- stoffeinträgen in Nord - und Ostsee gelten. Seit fast verkäufern mit gefährlichen Ladungen an Bord auf zwei Jahrzehnten wird auf nationaler und internatio- den Weltmeeren herumschippern, ungeniert mit der naler Ebene über die beiden todkranken Meere ständigen Gefahr von Unglücken wie bei den Shet- diskutiert. Es wird untersucht und geforscht, es wer- landinseln leben. Wir wissen seit langem, daß eine den Ursachen gesucht, und viel Papier wird beschrie- solche Bedrohung auch für unser Wattenmeer besteht. ben. Gleichzeitig rieseln ungeheure Mengen hochgif- lch bin gespannt, was die Bundesregierung sagt, tigen Kadmiums, Quecksilbers und Bleis über die wenn ein solcher Fall einmal eintritt. Atmosphäre in die Meere und Millionen bzw. zigtaus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) end Tonnen Stickstoff und Phosphor über die Flüsse, in maßgeblicher Weise durch die Landwirtschaft ver- Auch hier wird wieder Nachsorgepolitik bet rieben ursacht, und kein Vorsorgeprinzip angewendet. (Zuruf von der CDU/CSU: Na, na, na!) Heute geht es im besonderen um den Schutz von und dies neben all den anderen Giften und Stoffen, die

Kleinwalen in Nord - und Ostsee. Das von der Bun- man sonst eigentlich nur einer modernen und gut desregierung vorgelegte Gesetz zum Abkommen vom gesicherten Mülldeponie anvertrauen würde. März 1992 ist grundsätzlich zu begrüßen, obwohl mir Das Abkommen sieht in seiner Anlage Maßnahmen nicht klar ist, wie die Bundesregierung die Anforde- zur Erhaltung des Lebensraums der Kleinwale sowie rungen dieses Abkommens in ihrem eigenen Wir- zur Hege und Nutzung vor. kungsbereich realisieren will. (Abg. Peter Harry Carstensen [Nordstrand] Es geht um Kleinwale, die sich regelmäßig in Nord- [CDU/CSU] meldet sich zur einer Zwischen und Ostsee aufhalten. Besonders zu nennen sind der frage) Schweinswal und der Weißschnauzendelphin. Beson- — Das war kein Angriff. Sie sehen schon angeschla- ders die Zahl der Schweinswale ist in den 60er Jahren gen aus. drastisch zurückgegangen. Damals war die entschei- (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) dende Ursache die Überfischung der Heringsbe- stände und der Anstieg der Schadstoffe im Meer. Gestatten Sie dem Während von einer Überfischung als Ursache für die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollegen eine Zwischenfrage? Bedrohung der Kleinwale nicht mehr geredet werden kann, so ist aber die Art der Befischung der Meere eine entscheidende Frage des Überlebens dieser Wale Ulrike Mehl (SPD): Nein. Heute nicht. geworden. An deutschen Küsten wurden 1991 Es sollen u. a. Arbeiten zur Verhütung der Freiset- 134 Kleinwale registriert, davon 102 Totfunde an den zung von Stoffen, die eine mögliche Bedrohung für die Stränden und 30 Beifänge. In Dänemark wurden Gesundheit der Tiere darstellen, erfolgen. Daß das, allein im August 1991 in einer einzigen Woche was bisher in den Meeren endgelagert wird, der 100 Scheinswale tot aufgefunden, davon 50 % mit Gesundheit der Wale nicht zuträglich ist, ist Stand der abgeschnitten Flossen oder Netzmalen, was die Her- Wissenschaft. Man hat bei Schweinswalen in einem kunft als Beifänge belegt. Allein in Dänemark schät- Kilogramm Fett zwischen 50 und 150 mg PCB gefun- zen Wissenschaftler die Zahlen der Beifänge auf den, was einer zehn- bis dreißigmillionenfachen mehrere Tausend Schweinswale pro Jahr. Genaue Anreicherung gegenüber dem reinen Meerwasser Abschätzungen über die Zahl der Beifänge gibt es bei entspräche. uns nicht, weil der Informationsfluß zwischen Fische- rei und Wissenschaft nicht so gut funktioniert wie in Aus den Erkenntnissen des katastrophalen See- Dänemark. hundsterbens in der Nordsee ist bekannt, daß so hohe Schadstoffanreicherungen Auswirkungen auf das Die sogenannte Gammelfischerei hat nach bisheri- Immunsystem der Tiere haben und die Tiere anfälli- gem Wissensstand erhebliche Auswirkungen auf die ger für Krankheiten werden. Also müßten Sie als Ökologie der Nordsee und auch auf Kleinwale, die als Bundesregierung sowohl bei uns als auch bei den Beifang Opfer dieses Tierfutterfangs werden. Es müs- weiteren internationalen Gesprächen und weiteren sen also die Fangmethoden geändert werden, weil die Vereinbarungen verlangen, daß alle Unterzeichner- heute zum Fang benutzen Netze von den Meeressäu- staaten dieses Abkommens schnellstens dafür sorgen, 11394 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Ulrike Mehl wäre es ihnen wahrscheinlich schon so gegangen wie daß das Bedrohungspotential für diese Meere und ihre- Bewohner zumindest reduziert, letztlich aber abge- den Elefanten. stellt wird. (Abg. Peter Harry Carstensen [Nordstrand] (Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS [CDU/CSU]: Ich finde es unerhört, was Sie 90/DIE GRÜNEN) sagen!) Da wird natürlich die Suche nach dem Schuldigen Zumindest in dem Punkt hatten die Schweinswale beginnen. Bei Naturschutzfragen hat der Bund bisher Glück. Wenn nun auch noch die Bundesregierung ihre das Problem einfach bei den Ländern belassen, aber vertraglichen Ziele der Erhaltung eines intakten spätestens bei der Frage nach umweltfreundlicher Lebensraums für Kleinwale in Nord- und Ostsee in die Landwirtschaft, umweltverträglicher Produktion ent- Wirklichkeit umsetzt, können wir sie wenigstens an sprechender Produkte, bei umweltverträglichen Ver- dieser Stelle beglückwünschen. kehrskonzepten und der Energiepolitik ist der Bund (Beifall bei der SPD) gefragt. Wenn ich mir Ihre Landwirtschaftspolitik ansehe und be trachte, wie zäh und nur getrieben Sie die wenigen guten Ansätze der EG zur Ökologisie- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- rung der Landwirtschaft nur im kleinstmöglichen lege das Wort. Rahmen aufgreifen, habe ich wenig Hoffnung, daß die Meeresbewohner von Nord- und Ostsee jemals aufat- men können. Gerhart Rudolf Baum (F.D.P.): Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kolle- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gin, Sie haben ein Beispiel für eine allgemeine Regie- Auch der Entwurf des Bundesverkehrswegeplans rungsbeschimpfung gegeben. Das ist keine sachliche und des Bundesfernstraßenbedarfplans geben keiner- Auseinandersetzung mit dem Thema. Sie können lei Anlaß zu Optimismus. Die Freisetzung von CO2, doch die Bundesregierung nicht für alle Übel dieser S02, Treibhausgasen verschiedenster Art geht munter Welt verantwortlich machen. weiter, und wenn die Meere nicht als enorme CO2 (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Senke fungieren würden, sähe alles noch viel schlim- mer aus. Ich gestehe Ihnen gerne zu, daß bei der ökologischen Umgestaltung unserer Gesellschaft mehr getan wer- (Abg. Helmut Lamp [CDU/CSU] meldet sich den müßte und Versäumnisse zu verzeichnen sind, die zu einer Zwischenfrage) aber sowohl in Ihre als auch in unsere Regierungszeit fallen. Es ist sehr schwer, die Leute vom Autofahren Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Kollegin abzubringen; es ist sehr schwer, angesichts der Mehl, ein weiterer Kollege möchte eine Zwischen- Finanzlage in den Kommunen Reinigungsstufen ein- frage stellen. zuführen usw. Aber das können Sie doch nicht alles der gegenwärtigen Regierung zuschreiben. Ulrike Mehl (SPD): Ich lasse heute keine Zwischen- Auch die Novellierung des Bundesnaturschutzge- fragen zu. setzes ist eine Finanzierungsfrage. Ich kämpfe seit vielen Jahren dafür, daß dieses Gesetz endlich Obwohl sich die Bundesregierung dazu bekannt kommt, aber ich nehme zur Kenntnis, daß der Bundes- hat, die Welt nicht verfrühstücken zu wollen und sich finanzminister wie die Finanzminister der Länder selbst wesentlich mehr abzufordern als den Entwick- diesem Gesetz im Moment nicht zustimmen würden, lungsländern, geschieht fast nichts, was einen echten weil es neue Leistungen an die Landwirtschaft bein- Trendwechsel bedeuten würde, halten würde, die im Moment dort nicht finanzierbar (Dr. Monika Ganseforth [SPD]: Leider sind. wahr!) (Beifall bei der F.D.P.) Selbst die freundlichen Worte und unverbindlichen Kommen wir zum eigentlichen Gegenstand, dem Reden zu diesem Thema seitens der Regierungspar- regionalen Übereinkommen zum Schutze der Klein- teien sind weniger geworden. Man hält sich lieber an wale . Wir stimmen ihm zu. Es ist ein wichtiger. Schritt das, was der Vertrag von Maastricht zum Motto hat: auf dem Wege des Schutzes von Arten. Herr Laufs hat „Handel, Handel über alles, und dies hemmungs die zu verzeichnenden Defizite schon genannt. Die nein —, hemmnislos". Gefährdung der Beifänge durch Fischer ist nicht Ich habe nicht den Eindruck, daß die Bundesregie- ausgeschlossen. Wir müssen hier auf eine Änderung rung in den vergangenen zehn Jahren in Sachen der Fangmethoden dringen. Ich habe heute einem Umwelt irgend etwas dazugelernt hat. Sie hat sogar Artikel entnommen, daß es auch Kontrollmöglichkei- die Stirn, auf die Novellierung des Bundesnatur- ten gibt. Man kann aus der Luft feststellen, wo solche schutzgesetzes zu verzichten, dafür aber den Natur- Fangmethoden angewendet werden. schutz zugunsten des Bauens in Teilen auszusetzen. Die Brutgebiete müssen geschützt werden. Schutz- (Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. maßnahmen sind nicht Inhalt des Abkommens; sie Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE liegen in nationaler Verantwortung. Das ist das zweite GRÜNEN]) Defizit. Was schert Sie das Gerade vom intelligenten, flächen- Natürlich gibt es einen Zusammenhang — den sparenden, vorhandene Reserven mobilisierenden streite ich gar nicht ab, Frau Kollegin Mehl — zwi- Bauen, wenn es um Geld geht. Wenn man mit schen dem Eintrag von Schadstoffen in die Nordsee Schweinswalen dicke Geschäfte machen könnte, und dem Zustand von Fauna und Flora. Deshalb muß Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11395

Gerhart Rudolf Baum hier an das Abkommen der Nordseeschutz-Konferenz - Abkommens zur Erhaltung der Kleinwale zu, wie ich erinnert werden, das ja sehr, sehr stringente Vorgaben es auch schon bei dem vom Kollegen Baum erwähnten für die Reduzierung der Schadstoffe in den nächsten interfraktionellen Treffen mit Greenpeace dem Anlie- Jahren macht. Das wird eine große Leistung sein. Sie gen entsprechend getan habe. ist ein bißchen aus dem Auge geraten, weil wir uns hier mit den neuen Bundesländern auseinanderge- Aber oft steckt der Teufel ja schon im Detail. So ist es setzt haben und die Anstrengung hier wohl etwas ins auch in dem vorgelegten Gesetzentwurf. In Art. 2 Hintertreffen geraten ist. Es gibt auch Leute, die werden Sonderregelungen für räumlich und zeitlich sagen, wir sollten hier kürzer treten. Es gibt ja einen beschränkte Forschungsfänge definiert. Die Tiere gewissen Stillstand im Umweltschutz, über den ich sollen nach dem Fang wieder unversehrt in die hier jetzt aus Gründen der Zeit nicht reden kann. Freiheit entlassen werden. So weit so gut. Aber das Ziel solcher Forschung kann ja doch wohl nur die Ich möchte noch eine allgemeine Bemerkung zum Erhaltung der Art oder die Bewahrung der Schöpfung Schutz der Wale machen. Wir haben eine Stellung- sein. nahme von Greenpeace zu der generellen Frage des kommerziellen und wissenschaftlichen Walfangs be- Um so verdächtiger erscheint mir aber die Zuord- kommen. Ich würde es sehr begrüßen — wir haben mit nung der Zulassungsbefugnis für diese Forschungsge- unserem Koalitionspartner ja schon darüber gespro- nehmigung zum Bundesamt für Ernährung und Forst- chen —, wenn es möglich wäre, in diesem Parlament wirtschaft. Damit verstärkt sich bei mir wieder der eine gemeinsame Entschließung zu erreichen, um der Verdacht, daß es sich doch nicht um die Bewahrung Bundesregierung den Rücken zu stärken bei der der Schöpfung handelt, sondern daß die Kleinwale Verbesserung des weltweiten Schutzes der Wale. wieder hochgepäppelt werden sollen bis zur Schlacht- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des reife der Population. Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/- DIE GRÜNEN]) (Zurufe von der CDU/CSU: Nicht so miß trauisch!) Es gibt einen sehr interessanten Vorschlag der französischen Regierung. Sie hat vorgeschlagen — Vielleicht ist mein Mißtrauen unberechtigt; das ist — das war ja auch einmal Gegenstand einer Diskus- durchaus möglich. Aber ich glaube, daß es völlig sion, die wir im Ausschuß geführt haben —, die Meere unproblematisch, richtiger und auch fachkompetener um die Antarktis bis zum 40. Grad südlicher Breite wäre, diese Zulassungsbefugnis nicht dem Bundes- zum Walschutzgebiet zu erklären. amt für Ernährung und Forstwirtschaft, sondern lieber Ich schlage vor, daß wir uns interfraktionell verstän- dem in Aufbau befindlichen Bundesamt für Natur- digen, um zu diesem wichtigen Thema nicht nur schutz zu übertragen. Ich denke, wir werden hierzu weltweit, sondern zunächst einmal auch in unserem einen Änderungsantrag einbringen. Ich glaube, daß Parlament eine Übereinstimmung zu erzielen. Wir wir eine aus fachlicher Sicht vernünftige Regelung stimmen dem Abkommen, das uns heute auf dem finden können. Tisch liegt, ohne Vorbehalte zu. Es ist ein wichtiger Schritt zum Schutz von gefährdeten Arten. Insgesamt werde ich aber stutzig, wenn ich feststel- len muß, daß diese Hilfe jährlich nur 30 000 Pfund Vielen Dank. kosten soll. Dies steht doch wohl kaum in einem (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) realistischen Verhältnis zu der durch die Bundesrepu- blik verursachten Belastung der Ost- und Nordsee, selbst ohne entsprechende Maßnahmen, die verhin- dern, daß die in die See fließenden Ströme und Flüsse Nun spricht der Vizepräsidentin Renate Schmidt: weiterhin gewaltige Mengen an Chemikalien trans- Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige. portieren. Ich will gar nicht mehr die Situation von (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ Rhein und Elbe kritisieren. Es sind manchmal schon CSU]: Zu wem eigentlich? — Peter Kittel- viel kleinere Flüsse, die problemtisch erscheinen. So mann [CDU/CSU]: Aber nicht hinterher nenne ich einfach einmal die Warnow in Mecklen- gehen! Dann seid ihr gar nicht mehr vertre- burg-Vorpommern, die auf Grund der intensiven ten!) landwirtschaftlichen Nutzung der letzten Jahre bis zur Wende, aber auch danach schlechtes Wasser führte. Dort ist die Belastung bereits so hoch, daß die Wasser- wirtschaft in Rostock Fernleitungen plant, um das (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Klaus-Dieter Feige Wasser aus dem tiefen Mecklenburg zu holen. Das NEN): Ich gehe nie vor Ende der Debatte. kostet Milliarden und ist, glaube ich, unsinnig und Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und geht an den Walen vorbei. Herren! Die Erhaltung der Wale ist wohl jedem wirklichen Naturfreund eine Herzensangelegenheit. Ein wirklicher Schutz von Kleinwalen kann also nur Angesichts der insgesamt bedrohlichen Populations- in einer vernünftigen Nutzung bzw. in einer geringen entwicklung nahezu aller Walarten kann es wohl kein Belastung der Flüsse liegen, d. h. in einer ökologi- Verständnis geben, wenn diese immer noch zum schen Landwirtschaft. Dies bedeutet aber nicht, nach Zwecke der Beschaffung besonderer kulinarischer neuen Ressourcen Ausschau zu halten, sondern beste- Genüsse von einigen Ländern abgeschlachtet wer- hende zu sanieren. Das hilft letztendlich nicht nur den den, und sei es unter dem Deckmäntelchen angebli- Kleinwalen, sondern auch allen Lebewesen in Nord- cher Forschung. Ich stimme dem Gedanken eines und Ostsee. 11396 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Klaus-Dieter Feige Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. früheren Ostblockstaaten — eingebunden sind. Ein (Abg. Peter Harry Carstensen [Nordstrand] großflächiger Schutz ist damit sichergestellt, der über [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischen- den nationalen Rahmen hinausgeht. Nach diesem frage) Abkommen wird eine absichtliche Entnahme von Tieren ohne eine s treng reglementierte Sonderge- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wenn Sie, nach- nehmigung auch für wissenschaftliche Zwecke nicht dem der Kollege heute so dringlich um Zwischenfra- mehr erlaubt sein. Damit ist allerdings der Beifang von gen nachgesucht hat, die Frage noch zulassen wollen, einzelnen Tieren — quasi aus Versehen — noch nicht würde ich sie auch noch zulassen, auch wenn Ihre verboten bzw. noch nicht reglementiert. Um diese Redezeit zu Ende ist, Herr Kollege. Grauzone in den Griff zu bekommen, soll ein wirksa- mes System zur Meldung und auch zur wissenschaft- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lichen Nutzbarmachung von Beifängen und gestran- NEN): Ich lasse sie gern zu. deten Tieren entwickelt werden. Die Tötung von Tieren zu wissenschaftlichen Zwecken ist nicht zuläs- Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): sig. Es kann aber auch auf sie verzichtet werden, da Herr Kollege, ist es, wenn man über die Belastung aus den Beifängen derzeit leider noch mehr als genug durch Stickstoff und Phosphor aus der Landwirtschaft tote Tiere für Untersuchungen zur Verfügung ste- spricht, wie Sie es gerade am Beispiel Mecklenburg- hen. Vorpommerns getan haben, nicht auch notwendig, einmal zu sagen, wie viele Einwohner z. B. in Rostock Zweitens sollen nach diesem Abkommen Methoden entwickelt werden, um die Zahl der zu oder in anderen Städten wohnen? Wird dort kein Beifänge verringern. Das ist ein wesentlicher Bestandteil dieses Stickstoff und kein Phosphor erzeugt? Abkommens. Dies ist absolut notwendig, da die Bei- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fänge in der intensivst fischereilich genutzten Nord- NEN): Das bestreite ich nicht. Ich glaube, daß es eine und Ostsee verringert werden müssen. Gerade in der große Menge von wichtigen Aufgaben gibt, die wir Nordsee, die nach wie vor einer der produktivsten insgesamt zu lösen haben. Aber das, was in Rostock an Meeresteile der Welt ist, ist das ungemein wichtig. Die Stickstoff eingetragen wird, ist nicht mehr Ursache bei Methoden, die in der Nordsee entwickelt werden, der Trinkwassergewinnung. Was in dem Bereich, in können aber nicht nur bei uns, sondern auch weltweit dem die Trinkwasserentnahme erfolgt, ankommt, angewendet werden. Daß unbeabsichtigte Beifänge stammt eindeutig — darüber brauchen wir gar nicht ein weltweit wichtiger Faktor für den Rückgang der zu diskutieren — aus dem landwirtschaftlichen Zahl der Kleinwale ist, ist ja wohl allgemein Bereich. In dem Sinne stimmen wir zwar in dem ersten bekannt. Teil der Frage überein, aber ich glaube, die Landwirt- Drittens werden nach diesem Abkommen biologi- schaft hat trotzdem eine ganze Menge Chemie am sche Grunddaten, die bisher leider nur völlig unzurei- Stecken. chend bekannt sind, erhoben werden. Dazu gehören Schönen Dank. u. a. die Wanderungsbewegungen dieser Tiere, die (Beifall bei der SPD und bei der PDS/Linke Erfassung der Gebiete, die für die Fortpflanzung und Liste) die Aufzucht der Jungen wichtig sind, die Nahrungs- menge und die Nahrungsauswahl und im Zusammen- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat der Kol- hang damit natürlich die Erfassung der Gebiete, in lege Professor Dr. Norbert Rieder das Wort. denen Verschmutzung, Störungen, aber auch Wech- selwirkungen mit der Fischerei besonders kritisch Dr. Norbert Rieder (CDU/CSU): Frau Präsidentin! sind. Meine Damen und Herren! Manchmal hat man in Viertens sieht das Abkommen die konsequente diesem Hohen Hause tatsächlich die Gelegenheit, Umsetzung der gewonnenen Daten in einen verbes- über erfreuliche Dinge diskutieren zu dürfen. So ist es serten Schutz, der ohne Zweifel nötig ist, vor. Dieser auch in diesem Falle, denn dem Gesetzentwurf zur verbesserte Schutz kann bisher nicht gut genug Erhaltung der Kleinwale in der Nord - und Ostsee gemacht werden, es sei denn, man würde die utopi- kann ich im Namen der CDU/CSU vorbehaltlos sche Forderung etwa nach dem Verbot der gesamten zustimmen, wird doch mit diesem Gesetz ein substan- Fischerei in der Nord- und Ostsee als gangbare tieller Fortschritt zur Erhaltung dieser interessanten Möglichkeit betrachten. und für das Ökosystem des Meeres wichtigen Tier- gruppe erreicht. Zu dieser Gruppe gehören übrigens Die konsequente Umsetzung dieser Ergebnisse in nicht nur die Delphine, die vorhin bereits angespro- die Praxis müssen wir als Parlament in den nächsten chen wurden und die ja den meisten bekannt sind, Jahren und Jahrzehnten kontrollieren und gegebe- sondern auch die Belugas oder Weißwale, von denen nenfalls immer wieder einfordern. Unberührt von sich im Frühjahr 1966 ein Exemplar etwa einen Monat diesem Abkommen bleibt aber die Umsetzung von lang im Rhein aufgehalten hat und übrigens — das ist solchen Forderungen, die auch aus anderen Gründen ganz interessant — auch hier in Bonn gleich nebenan notwendig sind und nicht nur den Kleinwalen nützen, aufgetaucht ist und offensichtlich nach dem Rechten sondern uns allen. Ich nenne die wichtigsten: gesehen hat. Da ist — um das aktuelle Beispiel zu nennen, über Was genau bringt nun dieses Gesetz, über das wir das heute in diesem Hause schon debattiert wurde — uns heute unterhalten? Zuerst ist zu sagen, daß in das die Reduzierung der Meeresbelastung durch die zugrunde liegende Abkommen alle Anliegerstaaten Schiffahrt, besonders durch 01, unter anderem bei der Nord- und Ostsee — allerdings noch außer den Unglücken, aber auch die Reduktion der allgemeinen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11397

Dr. Norbert Rieder Meeresverschmutzung, die gerade in der Nord- und Fockenberg, Winfried Dr. Laufs, Paul - Ostsee trotz aller Erfolge immer noch bedenklich ist, Francke (Hamburg), Klaus Laumann, Karl-Josef und außerdem die Reduktion der zumindest partiellen Dr. Friedrich, Gerhard Lehne, Klaus-Heiner Fritz, Erich G. Dr. Lehr, Ursula-Maria Überfischung in der Nord- und Ostsee. Fuchtel, Hans-Joachim Lenzer, Christian Insofern ist dieser Gesetzentwurf, so nebensächlich Ganz (St. Wendel), Johannes Dr. Lieberoth, Immo Geiger, Michaela Limbach, Editha im Vergleich zu vielen anderen Problemen dem einen Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Link (Diepholz), Walter oder anderen eine Debatte über den Schutz der Geis, Norbert Lintner, Eduard Kleinwale in der Nord- und Ostsee vielleicht erschei- Dr. von Geldern, Wolfgang Dr. Lippold (Offenbach), nen mag, ein weiteres Beispiel dafür, daß Probleme Gibtner, Horst Klaus W. Glos, Michael Dr. s.c. Lischewski, Manfred des Natur- und Umweltschutzes immer in einem Göttsching, Martin Löwisch, Sigrun größeren Zusammenhang zu sehen sind und uns Götz, Peter Lohmann (Lüdenscheid), zeigen, daß auch wir in ein vernetztes System einge- Gres, Joachim Wolfgang bunden sind, das zu erhalten für uns eine Existenz- Grochtmann, Elisabeth Louven, Julius frage ist. Gröbl, Wolfgang Lummer, Heinrich Grotz, Claus-Peter Dr. Luther, Michael Vielen Dank. Dr. Grünewald, Joachim Maaß (Wilhelmshaven), Erich Günther (Duisburg), Horst Magin, Theo (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Frhr. von Hammerstein, Marienfeld, Claire ordneten der F.D.P. und der SPD) Carl-Detlev Marschewski, Erwin Harries, Klaus Marten, Günter Haschke (Großhennersdorf), Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Gottfried Martin Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- Haschke (Jena-Ost), Udo Meinl, Rudolf dungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Aus- Hasselfeldt, Gerda Dr. Meyer zu Bentrup, Haungs, Rainer Reinhard sprache. Hauser (Esslingen), Otto Michalk, Maria Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Hauser (Rednitzhembach), Michels, Meinolf Gesetzentwurfs auf Drucksache 12/3917 an den in der Hansgeorg Dr. Möller, Franz Hedrich, Klaus-Jürgen Dr. Müller, Günther Tagesordnung aufgeführten Ausschuß vor. Gibt es Heise, Manfred Müller (Kirchheim), Elmar dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Müller (Wadern), Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Hinsken, Ernst Hans-Werner Hörsken, Heinz-Adolf Dr. Neuling, Christian Ich darf Ihnen jetzt das von den Schriftführern und Hörster, Joachim Nitsch, Johannes Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der namentli- Dr. Hoffacker, Paul Nolte, Claudia chen Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Hollerith, Josef Dr. Olderog, Rolf Dr. Hornhues, Karl-Heinz Ost, Friedhelm Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Frak- Hornung, Siegfried Oswald, Eduard tion der SPD zum Truppenübungsplatz-Konzept auf Hüppe, Hubert Otto (Erfurt), Norbert Drucksache 12/3689 bekanntgeben: abgegebene Jäger, Claus Dr. Päselt, Gerhard Stimmen: 530, davon ungültige Stimmen: keine. Mit Jaffke, Susanne Dr. Paziorek, Peter Paul Jagoda, Bernhard Pesch, Hans-Wilhelm Ja haben 316 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Dr. Jahn (Münster), Pfeffermann, Gerhard O. Nein 205. Es gab 9 Enthaltungen. Friedrich-Adolf Pfeifer, Anton Janovsky, Georg Pfeiffer, Angelika Jeltsch, Karin Dr. Pfennig, Gero Endgültiges Ergebnis Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Dr. Jobst, Dionys Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Bötsch, Wolfgang Dr.-Ing. Jork, Rainer Dr. Pinger, Winfried Abgegebene Stimmen: 526; Bohlsen, Wilfried Dr. Jüttner, Egon Pofalla, Ronald davon: Borchert, Jochen Jung (Limburg), Michael Dr. Pohler, Hermann Breuer, Paul Junghanns, Ulrich Priebus, Rosemarie ja: 314 Brudlewsky, Monika Dr. Kahl, Harald Dr. Probst, Albert Brunnhuber, Georg Kalb, Bartholomäus Dr. Protzner, Bernd nein: 203 Bühler (Bruchsal), Klaus Kampeter, Steffen Rahardt-Vahldieck, Susanne enthalten: 9 Büttner (Schönebeck), Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Raidel, Hans Hartmut Karwatzki, Irmgard Dr. Ramsauer, Peter Buwitt, Dankward Kauder, Volker Rau, Rolf Ja Carstensen (Nordstrand), Keller, Peter Rawe, Wilhelm Peter Harry Kittelmann, Peter Regenspurger, Otto CDU/CSU Clemens, Joachim Klein (Bremen), Günter Reichenbach, Klaus Dehnel, Wolfgang Klinkert, Ulrich Dr. Reinartz, Bertold Dr. Ackermann, Else Dempwolf, Gertrud Köhler (Hainspitz), Reinhardt, Erika Adam, Ulrich Deres, Karl Hans-Ulrich Dr. Rieder, Norbert Dr. Altherr, Walter Deß, Albert Dr. Köhler (Wolfsburg), Riegert, Klaus Augustin, Anneliese Diemers, Renate Volkmar Dr. Riesenhuber, Heinz Augustinowitz, Jürgen Dörflinger, Werner Kors, Eva-Maria Ringkamp, Werner Austermann, Dietrich Echternach, Jürgen Koschyk, Hartmut Rode (Wietzen), Helmut Bargfrede, Heinz-Günter Ehlers, Wolfgang Kossendey, Thomas Rönsch (Wiesbaden), Dr. Bauer, Wolf Ehrbar, Udo Kraus, Rudolf Hannelore Bayha, Richard Eichhorn, Maria Krause (Dessau), Wolfgang Romer, Franz Belle, Meinrad Engelmann, Wolfgang Krey, Franz Heinrich Dr. Rose, Klaus Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Eppelmann, Rainer Kriedner, Arnulf Rossmanith, Kurt J. Bierling, Hans-Dirk Eylmann, Horst Kronberg, Heinz-Jürgen Roth (Gießen), Adolf Dr. Blank, Joseph-Theodor Eymer, Anke Dr.-Ing. Krüger, Paul Rother, Heinz Blank, Renate Falk, Ilse Krziskewitz, Reiner Eberhard Dr. Ruck, Christian Dr. Blens, Heribert Dr. Faltlhauser, Kurt Lamers, Karl Rühe, Volker Bleser, Peter Feilcke, Jochen Dr. Lammert, Norbert Dr. Rüttgers, Jürgen Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Fell, Karl Lamp, Helmut Sauer (Stuttgart), Roland Dr. Böhmer, Maria Fischer (Unna), Leni Lattmann, Herbert Scharrenbroich, Heribert 11398 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Dr. Penner, Willfried Schätzle, Ortrun Cronenberg (Arnsberg), Dr. Ehmke (Bonn), Horst Peter (Kassel), Horst Schemken, Heinz Dieter-Julius Eich, Ludwig Dr. Pfaff, Ma rtin Scheu, Gerhard Eimer (Fürth), Norbert Dr. Elmer, Konrad Schmalz, Ulrich Engelhard, Hans A. Erler, Gernot Dr. Pick, Eckha rt Schmidbauer, Bernd van Essen, Jörg Esters, Helmut Rappe (Hildesheim), Hermann Schmidt (Fürth), Christian Friedhoff, Paul Ewen, Carl von Renesse, Margot Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Friedrich, Horst Ferner, Elke Rennebach, Renate Joachim Funke, Rainer Fischer (Gräfenhainichen), Reuter, Bernd Schmidt (Mülheim), Andreas Dr. Funke-Schmitt-Rink, Evelin Rixe, Günter Roth, Wolfgang Schmidt (Spiesen), Trudi Margret Fischer (Homburg), Lothar Schmitz (Baesweiler), Ganschow, Jörg Fuchs (Köln), Anke Schanz, Dieter Hans Peter Gries, Ekkehard Fuchs (Verl), Katrin Scheffler, Siegfried Willy Dr. Schneider (Nürnberg), Grüner, Martin Fuhrmann, Arne Schloten, Dieter Schluckebier, Günter Oscar Günther (Plauen), Joachim Ganseforth, Monika Dr. Schockenhoff, Andreas Hansen, Dirk Gansel, Norbert Schmidbauer (Nürnberg), Graf von Schönburg Heinrich, Ulrich Gleicke, Iris Horst -Glauchau, Joachim Dr. Hitschler, Walter Dr. Glotz, Peter Schmidt (Nürnberg), Renate Dr. Scholz, Rupert Homburger, Birgit Großmann, Achim Schmidt-Zadel, Regina Jürgen Frhr. von Schorlemer, Dr. Hoyer, Werner Haack (Extertal), Dr. Schmude, Reinhard Irmer, Ulrich Karl Hermann Dr. Schnell, Emil Dr. Schreiber, Harald Kleinert (Hannover), Detlef Habermann, Frank-Michael Dr. Schöfberger, Rudolf Schulhoff, Wolfgang Kohn, Roland Hacker, Hans-Joachim Schöler, Walter Dr. Schulte (Schwäbisch Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Hampel, Manfred Schreiner, Ottmar Gmünd), Dieter Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Hanewinckel, Christel Schröter, Karl-Heinz Schulz (Leipzig), Gerhard Dr. Graf Lambsdorff, Otto Heistermann, Dieter Schutz, Dietmar Schwalbe, Clemens Lüder, Wolfgang Hiller (Lübeck), Reinhold Schulte (Hameln), Brigitte Schwarz, Stefan Mischnick, Wolfgang Hilsberg, Stephan Dr. Schuster, R. Werner Dr. Schwörer, Hermann Nolting, Günther Friedrich Dr. Holtz, Uwe Schwanitz, Rolf Seehofer, Horst Otto (Frankfurt), Horn, Erwin Seidenthal, Bodo Seesing, Heinrich Hans-Joachim Ibrügger, Lothar Seuster, Lisa Sikora, Jürgen Paintner, Johann Iwersen, Gabriele Sielaff, Horst Skowron, Werner H. Dr. Pohl, Eva Jäger, Renate Simm, Erika Sothmann, Bärbel Richter (Bremerhaven), Janz, Ilse Singer, Johannes Spilker, Karl-Heinz Manfred Dr. Jens, Uwe Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Sprung, Rudolf Rind, Hermann Jung (Düsseldorf), Volker Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Steinbach-Hermann, Erika Dr. Röhl, Klaus Jungmann (Wittmoldt), Horst Sorge, Wieland Dr. Stercken, Hans Schäfer (Mainz), Helmut Kastner, Susanne Dr. Sperling, Dietrich Dr. Frhr. von Stetten, Schmalz-Jacobsen, Cornelia Kastning, Ernst Steen, Antje-Marie Wolfgang Schüßler, Gerhard Kirschner, Klaus Steiner, Heinz-Alfred Stockhausen, Karl Sehn, Marita Klappert, Marianne Dr. Struck, Peter Dr. Stoltenberg, Gerhard Seiler-Albring, Ursula Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Tappe, Joachim Strube, Hans-Gerd Dr. Starnick, Jürgen Klemmer, Siegrun Thierse, Wolfgang ,Stübgen, Michael Dr. Thomae, Dieter Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Titze, Uta Susset, Egon Timm, Jürgen Körper, Fritz Rudolf Toetemeyer, Hans-Günther Tillmann, Ferdinand Walz, Ingrid Kolbe, Regina Urbaniak, Hans-Eberhard Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Dr. Weng (Gerlingen), Kolbow, Walter Vergin, Siegfried Uldall, Gunnar Wolfgang Koltzsch, Rolf Dr. Vogel, Hans-Jochen Verhülsdonk, Roswitha Wolfgramm (Göttingen), Kubatschka, Horst Voigt (Frankfurt), Karsten D. Vogel (Ennepetal), Friedrich Torsten Dr. Kübler, Klaus Wagner, Hans Georg Vogt (Düren), Wolfgang Würfel, Uta Kuessner, Hinrich Wallow, Hans Dr. Vondran, Ruprecht Zurheide, Burkhard Dr. Küster, Uwe Waltemathe, Ernst Graf von Waldburg-Zeil, Alois Zywietz, Werner Kuhlwein, Eckart Walter (Cochem), Ralf Dr. Warnke, Jürgen Lambinus, Uwe Dr. Wegner, Konstanze Dr. Warrikoff, Alexander Lange, Brigitte Weiermann, Wolfgang Werner (Ulm), Herbert von Larcher, Detlev Weiler, Barbara Wetzel, Kersten Nein Lennartz, Klaus Weis (Stendal), Reinhard Wiechatzek, Gabriele Dr. Leonhard-Schmid, Elke Weisheit, Matthias Dr. Wieczorek (Auerbach), SPD Dr. Lucyga, Christine Weißgerber, Gunter Bertram Maaß (Herne), Dieter Dr. Wernitz, Axel Dr. Wilms, Dorothee Adler, Brigitte Mascher, Ulrike Wester, Hildegard Wilz, Bernd Andres, Gerd Dr. Matterne, Dietmar Westrich, Lydia Dr. Wisniewski, Roswitha Bachmaier, Hermann Matthäus-Maier, Ingrid Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Wittmann, Fritz Bartsch, Holger Mattischeck, Heide Dr. Wetzel, Margrit Wittmann (Tännesberg), Becker (Nienberge), Helmuth Meckel, Markus Weyel, Gudrun Simon Becker-Inglau, Ingrid Mehl, Ulrike Dr. Wieczorek, Norbert Wonneberger, Michael Beucher, Friedhelm Julius Meißner, Herbert Wiefelspütz, Dieter Wülfing, Elke Bindig, Rudolf Dr. Mertens (Bottrop), Wimmer (Neuötting), Würzbach, Peter Kurt Bock, Thea Franz-Josef Hermann Yzer, Cornelia Dr. Böhme (Unna), Ulrich Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Dr. de With, Hans Zeitlmann, Wolfgang Brandt-Elsweier, Anni Müller (Pleisweiler), Albrecht Wittich, Berthold Zöller, Wolfgang Dr. Brecht, Eberhard Müller (Schweinfurt), Rudolf Wohlleben, Verena Büchner (Speyer), Peter Müller (Völklingen), Jutta Wolf, Hanna Büttner (Ingolstadt), Hans Müller (Zittau), Christian Zapf, Uta Bulmahn, Edelgard Neumann (Bramsche), Volker Burchardt, Ursula Dr. Niehuis, Edith F.D.P. Bury, Hans Martin Dr. Niese, Rolf F.D.P. Conradi, Peter Odendahl, Doris Albowitz, Ina Daubertshäuser, Klaus Oostergetelo, Jan Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Babel, Gisela Diller, Karl Opel, Manfred Koppelin, Jürgen Baum, Gerhart Rudolf Dr. Dobberthien, Marliese Ostertag, Adolf Peters, Lisa Beckmann, Klaus Dreßler, Rudolf Dr. Otto, Helga Schuster, Hans Bredehorn, Günther Dr. Eckardt, Peter Paterna, Peter Türk, Jürgen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11399

Vizepräsidentin Renate Schmidt PDS/Linke Liste Weiß (Berlin), Konrad Dr. von Geldern, Wolfgang Löwisch, Sigrun Wollenberger, Vera Gibtner, Horst Lohmann (Lüdenscheid), Bläss, Petra Glos, Michael Wolfgang Louven, Julius Dr. Enkelmann, Dagmar Fraktionslos Göttsching, Martin Dr. Fischer, Ursula Götz, Peter Lummer, Heinrich Dr. Fuchs, Ruth Dr. Briefs, Ulrich Gres, Joachim Dr. Luther, Michael Dr. Gysi, Gregor Grochtmann, Elisabeth Maaß (Wilhelmshaven), Erich Henn, Bernd Gröbl, Wolfgang Magin, Theo Dr. Heuer, Uwe-Jens Grotz, Claus-Peter Marienfeld, Claire Dr. Höll, Barbara Enthalten Dr. Grünewald, Joachim Marschewski, Erwin Jelpke, Ulla Günther (Duisburg), Horst Marten, Günter Dr. Keller, Dietmar CDU/CSU Frhr. von Hammerstein, Meinl, Rudolf Lederer, Andrea Carl-Detlev Dr. Meyer zu Bentrup, Dr. Modrow, Hans Petzold, Ulrich Harries, Klaus Reinhard Philipp, Ingeborg Haschke (Großhennersdorf), Michalk, Maria Dr. Schumann (Kroppenstedt), Gottfried Michels, Meinolf Fritz F.D.P. Haschke (Jena-Ost), Udo Dr. Möller, Franz Dr. Seifert, Ilja Hasselfeldt, Gerda Dr. Müller, Günther Dr. Feldmann, Olaf Stachowa, Angela Haungs, Rainer Müller (Kirchheim), Elmar Dr. Hoth, Sigrid Hauser (Esslingen), Otto Müller (Wadern), Lühr, Uwe Hauser (Rednitzhembach), Hans-Werner Dr. Menzel, Bruno Hansgeorg Dr. Neuling, Christian Schmidt (Dresden), Arno BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Hedrich, Klaus-Jürgen Nitsch, Johannes Dr. Schnittler, Christoph Heise, Manfred . Nolte, Claudia Dr. Semper, Sigrid Dr. Feige, Klaus-Dieter Dr. h. c. Herkenrath, Adolf Dr. Olderog, Rolf Köppe, Ingrid Hinsken, Ernst Ost. Friedhelm Poppe, Gerd Hörsken, Heinz-Adolf Oswald, Eduard Schenk, Christina Fraktionslos Hörster, Joachim Otto (Erfurt), Norbert Schulz (Berlin), Werner Dr. Hoffacker, Paul Dr. Päselt, Gerhard Dr. Ullmann, Wolfgang Lowack, Ortwin Hollerith, Josef Dr. Paziorek, Peter Paul Dr. Hornhues, Karl-Heinz Pesch, Hans-Wilhelm Damit ist der Antrag angenommen. Hornung, Siegfried Pfeffermann, Gerhard O. Hüppe, Hubert Pfeifer, Anton Nun gebe ich das von den Schriftführern und Jäger, Claus Dr. Pfennig, Gero Schriftführerinnen ermittelte Ergebnis der zweiten Jaffke, Susanne Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Pinger, Winfried bekannt, nämlich zum Jagoda, Bernhard namentlichen Abstimmung Dr. Jahn (Münster), Pofalla, Ronald Antrag der Fraktion der SPD zum Truppenübungs- Friedrich-Adolf Dr. Pohler, Hermann platz Colbitz-Letzlinger Heide auf Drucksache Janovsky, Georg Priebus, Rosemarie 12/3690.525 Stimmen wurden abgegeben. Davon war Jeltsch, Karin Dr. Probst, Albert Dr. Protzner, Bernd wiederum keine ungültig. Mit Ja haben 300 Kollegin- Dr. Jobst, Dionys Dr.-Ing. Jork, Rainer Rahardt-Vahldieck, Susanne nen und Kollegen gestimmt, mit Nein 218. Enthalten Dr. Jüttner, Egon Raidel, Hans haben sich 7. Jung (Limburg), Michael Dr. Ramsauer, Peter Junghanns, Ulrich Rau, Rolf Dr. Kahl, Harald Rawe, Wilhelm Endgültiges Ergebnis Borchert, Jochen Kalb, Bartholomäus Regenspurger, Otto Breuer, Paul Kampeter, Steffen Reichenbach, Klaus Abgegebene Stimmen: 525; Brunnhuber, Georg Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Dr. Reinartz, Bertold davon: Bühler (Bruchsal), Klaus Karwatzki, Irmgard Reinhardt, Erika Buwitt, Dankward Kauder, Volker Dr. Rieder, Norbert ja: 301 Carstensen (Nordstrand), Keller, Peter Riegert, Klaus Peter Harry Kittelmann, Peter Dr. Riesenhuber, Heinz nein: 217 Clemens, Joachim Klein (Bremen), Günter Ringkamp, Werner enthalten: 7 Dehnel, Wolfgang Klinkert, Ulrich Rode (Wietzen), Helmut Dempwolf, Gertrud Köhler (Hainspitz), Rönsch (Wiesbaden), Deres, Karl Hans-Ulrich Hannelore Ja Deß, Albert Dr. Köhler (Wolfsburg), Romer, Franz Diemers, Renate Volkmar Dr. Rose, Klaus Rossmanith, Kurt J. CDU/CSU Dörflinger, Werner Kors, Eva-Maria Echternach, Jürgen Koschyk, Hartmut Roth (Gießen), Adolf Dr. Ruck, Christian Dr. Ackermann, Else Ehlers, Wolfgang Kossendey, Thomas Rühe, Volker Adam, Ulrich Ehrbar, Udo Kraus, Rudolf Dr. Rüttgers, Jürgen Dr. Altherr, Walter Franz Eichhorn, Maria Krey, Franz Heinrich Sauer (Stuttgart), Roland Augustin, Anneliese Engelmann, Wolfgang Kriedner, Arnulf Augustinowitz, Jürgen Eppelmann, Rainer Kronberg, Heinz-Jürgen Scharrenbroich, Heribert Austermann, Dietrich Eylmann, Horst Dr.-Ing. Krüger, Paul Schätzle, Ortrun Bargfrede, Heinz-Günter Eymer, Anke L.arners, Karl Schemken, Heinz Dr. Bauer, Wolf Falk, Ilse Dr. Lammert, Norbert Scheu, Gerhard Bayha, Richard Dr. Faltlhauser, Kurt Lamp, Helmut Schmalz, Ulrich Belle, Meinrad Feilcke, Jochen Lattmann, Herbert Schmidbauer, Bernd Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Dr. Fell, Karl H. Dr. Laufs, Paul Schmidt (Fürth), Christian Bierling, Hans-Dirk Fischer (Unna), Leni Laumann, Karl-Josef Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Dr. Blank, Joseph-Theodor Fockenberg, Winfried Lehne, Klaus-Heiner Joachim Blank, Renate Francke (Hamburg), Klaus Dr. Lehr, Ursula Maria Schmidt (Mülheim), Andreas Dr. Blens, Heribert Dr. Friedrich, Gerhard Lenzer, Christian Schmitz (Baesweiler), Bleser, Peter Fritz, Erich G. Dr. Lieberoth, Immo Hans Peter Böhm (Melsungen), Wilfried Fuchtel, Hans-Joachim Limbach, Editha Dr. Schneider (Nürnberg), Dr. Böhmer, Maria Ganz (St. Wendel), Johannes Link (Diepholz), Walter Oscar Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Geiger, Michaela Lintner, Eduard Dr. Schockenhoff, Andreas Dr. Bötsch, Wolfgang Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Dr. Lippold (Offenbach), Graf von Schönburg Bohlsen, Wilfried Geis, Norbert Klaus W. -Glauchau, Joachim 11400 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Dr. Scholz, Rupert Kleinert (Hannover), Detlef Fischer (Gräfenhainichen), Reuter, Bernd Frhr. von Schorlemer, Kohn, Roland Evelin Rixe, Günter Reinhard Dr. Kolb, Heinrich Leonhard Fischer (Homburg), Lothar Roth, , Wolfgang Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Fuchs (Köln), Anke Schanz, Dieter Dr. Schulte (Schwäbisch Dr. Graf Lambsdorff, Otto Fuchs (Verl), Katrin Scheffler, Siegfried Willy Gmünd), Dieter Mischnick, Wolfgang Fuhrmann, Arne Schloten, Dieter Schulz (Leipzig), Gerhard Nolting, Günther Friedrich Ganseforth, Monika Schluckebier, Günter Schwarz, Stefan Otto (Frankfurt), Gansel, Norbert Schmidbauer (Nürnberg), Dr. Schwörer, Hermann Hans-Joachim Gleicke, Iris , Horst Paintner, Johann Dr. Glotz, Peter Schmidt (Nürnberg), Renate Seesing, Heinrich Dr. Pohl, Eva Großmann, Achim Schmidt-Zadel, Regina Sikora, Jürgen Richter (Bremerhaven), Haack (Extertal), Dr. Schmude, Jürgen Skowron, Werner H. Manfred Karl Hermann Dr. Schnell, Emil Sothmann, Bärbel Rind, Hermann Habermann, Frank-Michael Dr. Schöfberger, Rudolf Spilker, Karl-Heinz Dr. Röhl, Klaus Hacker, Hans-Joachim Schöler, Walter Dr. Sprung, Rudolf Schäfer (Mainz), Helmut Hampel, Manfred Eugen Schreiner, Ottmar Steinbach-Hermann, Erika Schmalz-Jacobsen, Cornelia Hanewinckel, Christel Schröter, Karl-Heinz Dr. Stercken, Hans Schüßler, Gerhard Heistermann, Dieter Schütz, Dietmar Dr. Frhr. von Stetten, Sehn, Marita Hiller (Lübeck), Reinhold Schulte (Hameln), Brigitte Wolfgang Seiler-Albring, Ursula Hilsberg, Stephan Dr. Schuster, R. Werner Stockhausen, Karl Dr. Thomae, Dieter Dr. Holtz, Uwe Schwanitz, Rolf Dr. Stoltenberg, Gerhard Timm, Jürgen Horn, Erwin Seidenthal, Bodo Strube, Hans-Gerd Walz, Ingrid Ibrügger, Lothar Seuster, Lisa Stübgen, Michael Dr. Weng (Gerlingen), Iwersen, Gabriele Sielaff, Horst Dr. Süssmuth, Rita Wolfgang Jäger, Renate Simm, Erika Susset, Egon Wolfgramm (Göttingen), Janz, Ilse Singer, Johannes Tillmann, Ferdinand Torsten Dr. Jens, Uwe Dr. Skarpelis-Sperk, Sigrid Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Würfel, Uta Jung (Düsseldorf), Volker Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Uldall, Gunnar Zurheide, Burkhard Jungmann (Wittmoldt), Horst Sorge, Wieland Verhülsdonk, Roswitha Zywietz, Werner Kastner, Susanne Dr. Sperling, Dietrich Vogel (Ennepetal), Friedrich Kastning, Ernst Steen, Antje-Marie Vogt (Düren), Wolfgang Kirschner, Klaus Steiner, Heinz-Alfred Dr. Vondran, Ruprecht Klappert, Marianne Dr. Struck, Peter Graf von Waldburg-Zeil, Alois Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Tappe, Joachim Dr. Warnke, Jürgen Nein Klemmer, Siegrun Thierse, Wolfgang Dr. Warrikoff, Alexander Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Titze, Uta Werner (Ulm), Herbert CDU/CSU Körper, Fritz Rudolf Toetemeyer, Hans-Günther Wetzel, Kersten Kolbe, Regina Urbaniak, Hans-Eberhard Wiechatzek, Gabriele Brudlewsky, Monika Kolbow, Walter Vergin, Siegfried Dr. Wieczorek (Auerbach), Büttner (Schönebeck), Koltzsch, Rolf Dr. Vogel, Hans-Jochen Bertram Hartmut Kubatschka, Horst Voigt (Frankfurt), Karsten D. Dr. Wilms, Dorothee Krziskewitz, Reiner Eberhard Dr. Kübler, Klaus Wagner, Hans Georg Wilz, Bernd Dr. sc. Lischewski, Manfred Dr. Küster, Uwe Wallow, Hans Dr. Wisniewski, Roswitha Petzold, Ulrich Kuhlwein, Eckart Waltemathe, Ernst Dr. Wittmann, Fritz Pfeiffer, Angelika Lambinus, Uwe Walter (Cochem), Ralf Wittmann (Tännesberg), Rother, Heinz Lange, Brigitte Dr. Wegner, Konstanze Simon Schwalbe, Clemens von Larcher, Detlev Weiermann, Wolfgang Wonneberger, Michael Lennartz, Klaus Weiler, Barbara Wülfing, Elke Dr. Leonhard-Schmid, Elke Weis (Stendal), Reinhard Würzbach, Peter Kurt Dr. Lucyga, Christine Weisheit, Matthias Weißgerber, Gunter Yzer, Cornelia SPD Maaß (Herne), Dieter Zeitlmann, Wolfgang Mascher, Ulrike Dr. Wernitz, Axel Wester, Hildegard Zöller, Wolfgang Adler, Brigitte Dr. Matterne, Dietmar Andres, Gerd Matthäus-Maier, Ingrid Westrich, Lydia Bachmaier, Hermann Mattischeck, Heide Wettig-Danielmeier, Inge Bartsch, Holger Meckel, Markus Dr. Wetzel, Margrit F.D.P. Becker (Nienberge), Helmuth Mehl, Ulrike Weyel, Gudrun Becker-Inglau, Ingrid Meißner, Herbert Dr. Wieczorek, Norbert Albowitz, Ina Beucher, Friedhelm Julius Dr. Mertens (Bottrop), Wiefelspütz, Dieter Dr. Babel, Gisela Bindig, Rudolf Franz-Josef Wimmer (Neuötting), Baum, Gerhart Rudolf Bock, Thea Dr. Meyer (Ulm), Jürgen Hermann Beckmann, Klaus Dr. Böhme (Unna), Ulrich Müller (Düsseldorf), Michael Dr. de With, Hans Bredehorn, Günther Brandt-Elsweier, Anni Müller (Pleisweiler), Albrecht Wittich, Berthold Cronenberg (Arnsberg), Dr. Brecht, Eberhard Müller (Schweinfurt), Rudolf Wohlleben, Verena Dieter-Julius Büchner (Speyer), Peter Müller (Völklingen), Jutta Wolf, Hanna Eimer (Fürth), Norbert Büttner (Ingolstadt), Hans Müller (Zittau), Christian Zapf, Uta Engelhard, Hans A. Bulmahn, Edelgard Neumann (Bramsche), Volker van Essen, Jörg Burchardt, Ursula Dr. Niehuis, Edith Friedhoff, Paul Bury, Hans Martin Dr. Niese, Rolf Friedrich, Horst Conradi, Peter Odendahl, Doris F.D.P. Funke, Rainer Daubertshäuser, Klaus Oostergetelo, Jan Dr. Funke-Schmitt-Rink, Diller, Karl Opel, Manfred Dr. Feldmann, Olaf Margret Dr. Dobberthien, Marliese Ostertag, Adolf Dr. Hirsch, Burkhard Gries, Ekkehard Dreßler, Rudolf Dr. Otto, Helga Dr. Hoth, Sigrid Grüner, Martin Dr. Eckardt, Peter Paterna, Peter Koppelin, Jürgen Günther (Plauen), Joachim Dr. Ehmke (Bonn), Horst Dr. Penner, Willfried Lüder, Wolfgang Hansen, Dirk Eich, Ludwig Peter (Kassel), Horst Lühr, Uwe Heinrich, Ulrich Dr. Elmer, Konrad Dr. Pfaff, Martin Dr. Menzel, Bruno Dr. Hitschler, Walter Erler, Gernot Dr. Pick, Eckhart Peters, Lisa Homburger, Birgit Esters, Helmut Rappe (Hildesheim), Hermann Schuster, Hans Dr. Hoyer, Werner Ewen, Carl von Renesse, Margot Dr. Semper, Sigrid Irmer, Ulrich Ferner, Elke Rennebach, Renate Türk, Jürgen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11401

Vizepräsidentin Renate Schmidt PDS/Linke Liste Weiß (Berlin), Konrad nachwachsenden Rohstoffe als alles heilender Zu- Wollenberger, Vera kunftsmarkt für die gebeutelte Landwirtschaft entzau- Bläss, Petra bert werden. Wir Sozialdemokraten haben in dieser Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Fischer, Ursula Diskussion in den vergangenen Monaten und Jahren Dr. Fuchs, Ruth Fraktionslos deutlich gemacht, daß sich unsere Bedenken aus- Dr. Gysi, Gregor drücklich nicht pauschal gegen nachwachsende Roh- Henn, Bernd Dr. Briefs, Ulrich stoffe richten. Es war und ist vielmehr die pflanzliche Dr. Heuer, Uwe-Jens Dr. Höll, Barbara Produktion von Treibstoffen für Kraftfahrzeuge im Jelpke, Ulla großen Stil, die wir sehr stark problematisiert haben. Dr. Keller, Dietmar Enthalten Die Sozialdemokraten haben in dieser Zeit äußerst Lederer, Andrea heftige Anwürfe der Landwirtschaft über sich ergehen Dr. Modrow, Hans CDU/CSU lassen müssen, weil abseits der Sachdiskussion ein Philipp, Ingeborg großer Druck der Agrarlobby mehr als deutlich wurde. Dr. Schumann (Kroppenstedt), Krause (Dessau), Wolfgang Fritz Dr. Schreiber, Harald Dieser Druck, meine Damen und Herren, bezog seine Dr. Seifert, Ilja Kraft aus den Hoffnungen, die CDU und CSU gegen- Stachowa, Angela über der Landwirtschaft geweckt haben. Beide waren F.D.P. leider der Versuchung erlegen, sich der — zugegebe- nermaßen angenehmen — Illusion hinzugeben, die Ganschow, Jörg BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schmidt (Dresden), Arno arg gebeutelte Landwirtschaft könne ihre Absatz- und Dr. Schnittler, Christoph Preisprobleme mit dem Anbau von Spritpflanzen auf Dr. Feig e, Klaus-Dieter Dr. Starnick, Jürgen einen Schlag lösen. Köppe, Ingrid Poppe, Gerd Wir sind froh, daß sich die Antwort der Bundesre- Schenk, Christina Fraktionslos gierung auf unsere Anfrage die Mühe gibt, die Dis- Schulz (Berlin), Werner kussion zu versachlichen, und daß besonders der Dr. Ullmann, Wolfgang Lowack, Ortwin Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zeigt: Man ist bedingt bereit, von der Illusion zur Realität Der Antrag ist damit angenommen. zurückzukehren und die Chancen, die uns durch nachwachsende Rohstoffe eröffnet werden, realisti- scher als vor Monaten einzuschätzen. Dennoch haben Ich rufe nun Punkt 8 der Tagesordnung auf: die Illusionisten dafür gesorgt, daß der Entschlie- Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- ßungsantrag der Koalitionsfraktionen alle Hintertür- ten Horst Kubatschka, Josef Vosen, Horst Sie- chen offenhält, auch diejenigen Türen, die auf laff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Abwege führen. der SPD (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist doch Chancen und Risiken nachwachsender Roh- gar nicht wahr!) stoffe — Sie haben die Möglichkeit, am Mikrophon die — Drucksachen 12/2275, 12/3493 — entsprechenden Zwischenfragen zu stellen, Herr Kol- Dazu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen lege. Ich werde Sie Ihnen gern beantworten. der CDU/CSU und der F.D.P. vor. Nach einer Verein- Der Antrag hat ein ganz entscheidendes Defizit. Er barung im Altestenrat sind für die Aussprache dazu vermeidet sehr sorgfältig, vor allen weiteren Entschei- eineinhalb Stunden vorgesehen. Gibt es anderweitige dungen eine umfassende Ökobilanz zu fordern, aus Vorstellungen? — Ich sehe keine. Dann ist das so der klipp und klar hervorgeht, ob die gesamten beschlossen. Umstände, die mit den Produktlinien einer Industrie- oder Energiepflanze zu tun haben, unter dem Strich Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem eine Verbesserung für unsere Umweltsituation brin- dem Kollegen Klaus Lennartz das Wort. gen oder nicht. (Beifall bei der SPD) Klaus Lennartz (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Politiker Hoff- Dazu sind Sie nach wie vor nicht bereit, weil Sie sich nungen erwecken, die sie nicht erfüllen können, offensichtlich auch weiterhin die Förderung von gehört es zu den unangenehmsten Begleiterscheinun- bestimmten Produktlinien vorstellen können, selbst gen der Politik, wenn diese Hoffnungen zerstreut wenn sie eine negative ökologische Bilanz haben. Uns werden müssen. jedenfalls sind Formulierungen aus diesem Antrag wie etwa — ich darf mit Genehmigung der Frau (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber wer Präsidentin zitieren —, Ökobilanzen könnten „hilf- keine Hoffnung mehr hat?) reich" sein, zu schwammig und für die weitere Aus- einandersetzung auch zu gefährlich, besonders wenn — Wer keine Träume hat, hat auch keine Zukunft. Das man weiß, daß eine umfangreiche Untersuchung des ist die richtige Formulierung. Hoffnung ist etwas Umweltbundesamtes, die so etwas wie eine Ökobi- anderes. lanz zu Rapsöl darstellen kann, fertig ist, aber seit Wochen unter Verschluß gehalten wird. Wir erleben heute mit der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zu (Zuruf von der SPD: Warum wohl? — Sieg- nachwachsenden Rohstoffen und besonders mit dem fried Hornung [CDU/CSU]: Wohlweislich! — dazugehörenden Entschließungsantrag der Koali- Lachen bei der SPD — Horst Sielaff [SPD]: Da tionsfraktionen, wie Hoffnungen zerstreut und wie die hat der Hornung einmal recht!) 11402 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Klaus Lennartz — Da haben Sie recht. Sie ist Heiligabend vorgelegt So steht es in Ihrem Antrag, und so habe ich es auch worden, wie man mir gesagt hat. Es war aber wahr- formuliert. scheinlich nicht das Weihnachtsgeschenk, das sich (Abg. Peter Harry Carstensen [Nordstrand] einige Leute von Ihnen erhofft haben, meine Damen [CDU/CSU] meldet sich zu einer weiteren und Herren. Zwischenfrage) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Einige ha- ben das vorschnell zeigen wollen!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gestatten Sie eine Meine Damen und Herren, Biokraftstoffe, Sprit aus weitere Frage, Herr Kollege Lennartz? Pflanzen sind für die SPD-Bundestagsfraktion eine Sache, von der man die Finger lassen sollte, wenn dabei an den Ersatz von Mineralölprodukten im Peter Harry Cartensen (Nordstrand) (CDU/CSU): großen Stil gedacht wird. Der Werbeslogan „Pack die Herr Kollege Lennartz, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu Blume in den Tank" sollte besser in der Schublade nehmen, daß ich gefragt habe, wo Sie in unserem bleiben, weil wir uns mit einem Großeinsatz von Antrag finden können, daß die Erstellung von Ökobi- Biosprit mehr Probleme schaffen würden, als alte lanzen hilfreich sein kann? Oder beziehen Sie sich gelöst werden könnten. vielleicht auf die Seite 3 unseres Antrags, auf der steht: „Die Erstellung von Ökobilanzen ist hierfür hilfreich"? Sehen Sie den wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden Zitaten nicht? Wäre es nicht notwendig, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Lennartz, Herr Kollege Lennartz, daß Sie, wenn Sie schon gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Car- zitieren, auch richtig zitieren? stensen? Klaus Lennartz (SPD): Herr Kollege, ich habe nach meinem Dafürhalten korrekt zitiert. Klaus Lennartz (SPD): Gerne. (Peter Kittelmann [CDU/CSU]: Das ist ja das Problem: nach Ihrem Dafürhalten! Es geht um objektive Kriterien!) Nach den mir vorliegenden Unterlagen, Herr Kollege, Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): habe ich richtig zitiert. Ich habe dies noch mit Ihren Herr Kollege Lennartz, können Sie mir zeigen, wo in Punkten auf Seite 4 untermauert, wo Sie wirklich unserem Antrag der von Ihnen zitierte Satz steht: keine eindeutige Antwort auf die Frage gegeben Ökobilanzen können dabei hilfreich sein? haben: Sind Sie bereit, aus ökologischen wie aus ökonomischen Gründen darauf zu verzichten, daß Biosprit ein Ersatz für Diesel wird? Das ist die Position, die ich hier deutlich gemacht habe. Klaus Lennartz (SPD): Lieber Herr Kollege, sehen Sie sich bitte Ihren Antrag an. Ich darf aus der Seite 4 (Zuruf von der CDU/CSU: Das hat niemand zitieren: behauptet!) Bisher haben Produkte aus nachwachsenden Diese eindeutige Antwort können wir in Ihrem Ent- Rohstoffen jedoch nur geringe Marktchancen, da schließungsantrag absolut nicht erkennen. unter den gegebenen ökonomischen Rahmenbe- (Zuruf von der CDU/CSU: Wir stimmen darin dingungen ihre Wettbewerbsfähigkeit vergli- mit Ihnen nicht überein!) chen mit Produkten auf der Basis fossiler Roh- Meine Damen und Herren, selbstverständlich ist es stoffe nur in wenigen Fällen gegeben ist. eine tolle Sache, wenn die Wyker Dampfschiffsreede- Der nächste Punkt, auf den ich Bezug nehme: rei mit Pflanzensaft statt mit Schiffsdiesel durch das Wattenmeer schippert, weil ersterer biologisch Vorhandene umweltfreundliche Produkte aus abbaubar ist und deshalb keine Gefährdungen für das nachwachsenden Rohstoffen finden bessere empfindliche Ökosystem mit sich bringt. Es ist eine Marktchancen nur dann, wenn die staatlichen großartige Sache, wenn unser Holzeinschlag mit Ket- Rahmenbedingungen hierfür verbessert wer- tensägen erfolgt, die über eine Schmierung aus Pflan- den. zenöl verfügen und so den Waldboden nicht bela- Der nächste Punkt, der absolut unklar ist: sten. Unter den gegebenen ökonomischen Rahmenbe- Wer die Umwelt aber retten will, indem er minera- dingungen kann der Anbau nachwachsender lische Kraftstoffe durch Rapsöl oder Alkohol aus Rohstoffe bisher nur einen geringen Beitrag zur Zuckerrüben und Weizen ersetzt, der versucht, den Verbesserung der Einkommen der Landwirte Teufel mit Beelzebub auszutreiben. Eine Ökobilanz leisten. wird die Frage, ob Rapsöl oder Diesel, unseren Infor- mationen nach zugunsten des Diesels beantworten. Es ist unzweideutig, daß Sie versuchen, sich alle Türen Vielleicht ist das der Grund, warum die Rapsölstudie offenzuhalten, um die Möglichkeit zu haben, aus des Umweltbundesamtes noch geheimgehalten ökonomischen Gründen wider jede ökologische Ver- wird. nunft Milliardenbeträge zur Verfügung zu stellen. Rapsöl hat ein schlechteres Immissionsverhalten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Er hat noch gegenüber Diesel. Bei Rapsöl-Methylester konzen- keine Antwort gegeben!) trieren sich die Probleme auf die Stickoxide und die Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11403

Klaus Lennartz Aldehyde, und von der Krebsgefährlichkeit der Alde- schon zusammengearbeitet; da haben wir an Sie noch hyde brauche ich wohl hier nicht zu sprechen. -nicht gedacht. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber Sie Die anfänglich positiven Klima - Gas - Bilanzen der Biokraftstoffe mußten im nachhinein korrigiert wer- waren dagegen!) den, z. B. durch die Hinzurechnung der klimaschädi- Meine Damen und Herren, aberwitzig wäre es, mit genden NO2-Emissionen als Folge des Düngemittel- dem Großeinsatz von Biotreibstoffen eine riesige neue einsatzes. Großflächige Monokulturen mit allen nega- Subventionslawine in Gang zu setzen. Biosprit kommt tiven Folgen für Boden, Wasser, Pflanzen und Tiere erst ohne staatliche Stützung aus, wenn der Ölpreis würden nötig sein, wollte man wirklich Mineralöle in bei 50 Dollar pro Barrel liegt. Dieser Preis ist weder in nennenswertem Umfang durch Pflanzentreibstoffe der näheren noch in der ferneren Zukunft absehbar. ersetzen. Bei den heutigen Preisen jedenfalls müßte ein Lkw, der Rapsöl statt Diesel tankt, jährlich mit 60 000 DM Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ausdrück- Spritsubventionen bezuschußt werden. lich, daß die Bundesregierung in der Antwort auf unsere Große Anfrage der EG-Kommission de facto (Dr. [CDU/CSU]: Das glauben eine Absage erteilt, wenn es darum gehen sollte, Sie ja selber nicht!) sogenannte nicht mehr benötigte Flächen besonders — Ja, lieber Herr Kollege, das ist eine Frage des für nachwachsende Rohstoffe vorzusehen. Denn in Rechnens und nicht des Glaubens. Die Mathematik der Tat muß es auf den übrigen landwirtschaftlichen sollte Ihnen auch nicht fremd sein. Rechnen Sie es Flächen nicht bei der bisherigen intensiven Bewirt- einmal nach. schaftung bleiben. (Zuruf von der CDU/CSU: Bei Ihnen ist das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das hat Glauben!) auch niemand behauptet!) Der Entwurf für die EG-Richtlinie, mit der die Die angeblich nicht mehr benötigten Flächen könnten Verbrauchsteuern auf Pflanzenkraftstoffe auf 10 % für eine weniger intensive Bewirtschaftung durchaus des normalen Mineralölsteuersatzes begrenzt werden in Anspruch genommen werden. sollen, ist absolut töricht. Der Einnahmeverzicht des Bundes würde allein bei diesem Vorschlag der EG bei (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie erzäh ca. 2,5 bis 2,7 Milliarden DM pro Jahr liegen. Leider len den Leuten immer falsche Dinge!) haben wir dazu noch kein eindeutiges Wort unseres — Lieber Herr Kollege, jetzt habe ich einmal etwas Finanzministers gehört, den ich in dieser Angelegen- Positives über diese Bundesregierung gesagt — was ja heit am 23. November vergangenen Jahres ange- selten vorkommt —, und nun haben Sie es nicht mal schrieben habe und der mir auf diese Frage bis zum verstanden. Aber das ist Ihr Problem. heutigen Tag noch eine Antwort schuldig ist . (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Weil Sie (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nein, Sie falsch gerechnet haben!) wollen die Landwirtschaft schlechtma chen!) Eindeutig kritisch hat sich allerdings der Bundes- wirtschaftsminister geäußert, und zwar noch unter — Ach nein, um Gottes willen! Der Wahlkreis, aus dem dem „vorkaribischen" Datum des 17. Dezember 1992. ich komme, ist zwar ein Mittelstands- und Industrie- Meine Damen und Herren, es ist dringend erforder- kreis, trotzdem haben aber 60 % der landwirtschaflli- lich, vor der weiteren Verschwendung von For- chen Flächen Böden in der 90er Güteklasse. Mir schungsgeldern klare Öko - und Energiebilanzen für brauchen Sie über Landwirtschaft nichts zu erzäh- jede Industrie- und Energiepflanze und jede Produkt- len. linie vorzulegen. Die Bundesregierung zäumt nach (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/ unserem Dafürhalten das Pferd von hinten auf, wenn CSU]: Sie reden doch jetzt nur gut über die im Bundesforschungsministerium allein für Chinagras Landwirtschaft, weil Sie nicht wissen, wohin 13,5 Millionen DM Forschungsmittel im letzten Jahr Sie mit Ihrem Klärschlamm sollen!) bereitstanden, das Bundesumweltamt, das die Ökobi- lanz für Rapsöl erstellen sollte, pro Jahr aber weniger — Im Gegensatz zu Ihnen haben wir eine geordnete als eine Million DM für Gutachten und Forschung zur Deponie. Verfügung hat. (Lachen bei der CDU/CSU) Aus ökonomischen und ökologischen Gründen leh- Wenn Sie einmal etwas Nachhilfeunterricht haben nen wir diesen Entschließungsantrag ab, aber auch wollen, lade ich Sie gern ein. Wie ich den Kollegen wegen der eindeutigen Zweideutigkeit dessen, was in Rüttgers kenne, wird er — unabhängig von der Ihrem Entschließungsantrag steht. Parteizugehörigkeit — nur Gutes in diesen Fragen Ich bedanke mich bei Ihnen. berichten können. Das zeichnet uns aus. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Sie müssen — Zuruf von der CDU/CSU: Es lebe die dazusagen, daß die Deponie unter Ihren Kohle!) Vorgängern eingerichtet worden ist!) — Lieber Herr Kollege, da waren Sie noch ein bißchen frisch hinter den Ohren, als wir uns anderweitig Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat entschieden. Herr Dr. Worms und ich haben früher unser Kollege Carstensen das Wort. 11404 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Horst Sielaff (SPD): Herr Kollege, können Sie mir Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! vielleicht sagen, worauf Sie sich beziehen, wenn Sie Ich meine, daß in Zukunft die Produktion von den Eindruck erwecken wollen, die SPD-Bundestags- nachwachsenden Rohstoffen sowohl die Nah- fraktion sei gegen Forschung und gegen nachwach- rungsmittelmärkte entlasten als auch neue Ein- sende Rohstoffe? Sind nicht auch Sie kritisch und kommenschancen bieten kann. Gleichzeitig sagen: Wir wollen das fördern und realisieren, was würde damit ein Beitrag zur Energie- und Roh- sinnvoll ist, und nicht wieder neue Subventionsfallen stoffversorgung geleistet werden. aufbauen?

Das ist kein Zitat von mir; das stammt von Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): bei der Agrardebatte 1981. Wenn ich mich richtig Das ist völlig richtig, Herr Kollege Sielaff. Ich habe erinnere, verzeichnet das Protokoll Beifall auf seiten — das zeigten doch auch meine Zwischenfragen — der sozialliberalen Koalition. mit großem Interesse und mit großer Aufmerksamkeit (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Damals der Rede des Kollegen Lennartz zugehört. Wenn Sie waren sie noch etwas heller!) mir jetzt sagen, daß dies in bezug auf nachwachsende Rohstoffe eine im Grundtenor positive Rede gewesen Es gibt ein weiteres Zitat: sei, dann weiß ich nicht, was ich eben gehört habe. Wir müssen über den traditionellen Bereich der (Beifall bei der CDU/CSU — Horst Sielaff Nahrungsmittelerzeugung hinaus eine neue Pro- [SPD]: Besser zuhören!) duktionslinie eröffnen. Im Bereich der nachwach- Meine Damen und Herren, Biosprit ist auch nicht senden Rohstoffe können wir der Landwirtschaft die quasi ein neues Produktionsbein verschaffen. Alternative zu der Produktion von Nahrungsmit- teln. Diese Alternativen liegen ganz woanders, z. B. Das war Kiechle 1986 bei der Agrardebatte. bei Stärke für Verpackungen, bei Pflanzenölen und Dann habe ich noch ein Zitat: bei Fetten. Das weiß jeder, der sich mit den Problemen nachwachsender Rohstoffe beschäftigt. Wegen der kritischen Lage der Landwirtschaft müssen alle Möglichkeiten, die Produktionsalter- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gestatten Sie eine nativen bieten, genannt werden. Nachwach- Zwischenfrage des Kollegen Oostergetelo? — Bitte. sende Rohstoffe können hier einen Weg öffnen. (Horst Sielaff [SPD]: Können -- so ist es Jan Oostergetelo (SPD): Herr Kollege, eine Frage zu richtig!) der aktuellen Agrarpolitik. Wissen Sie, daß sich die Frage, ob sich die stillgelegten Flächen rechnen, Das war der Kollege am 15. März 1985 in der Müller durch die EG-Agrarreform anders zu bewerten ist? Agrardebatte. Und weiter sind wir auch gar nicht. Er Daß dem so ist, wollen wir dankbar zur Kenntnis weist auch — das muß man fairerweise sagen — auf nehmen, damit wir nicht aneinander vorbei diskutie- die Probleme und Unsicherheiten hin. Aber der ren. Grundtenor der SPD — das sieht man insbesondere dann, wenn man die Schriftlichen Anfragen von Liesel Aber da Sie angemerkt haben, daß die SPD durch Hartenstein und vielen anderen hernimmt, die sich den heutigen Ministerpräsidenten Niedersachsens seinerzeit, vor der Wende, im Parlament darum widersprochen hat, — gekümmert haben — war positiv, mit einer Aus- nahme. Das war der Abgeordnete Schröder, der 1986, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich wollte eigent- als in Niedersachsen Wahlkampf war, nur Haare in lich eine Frage und keine Kurzintervention hören. der Suppe alternativer Produkte aus der Landwirt- schaft fand. Er bezieht sich — das ist bezeichnend — Jan Oostergetelo (SPD): — darf ich Sie fragen, ob ebenso wie Kollege Lennartz nur auf Biosprit und Sie mitbekommen haben, daß das zu einer Zeit war, Bioalkohol. als wir die Schnapsidee von Ahausen-Eversen hatten und es in Lüchow-Dannenberg die Kartoffelstärke- Nun wissen wir alle, die tiefen Skeptiker wie auch fabrik gab, die dann nach zwei Jahren für eine Mark die glühenden und begeisterten Befürworter nach- an die Niederländer verkauft werden mußte? Sind Sie wachsender Rohstoffe: Mit der Diskussionseinengung bereit, auch das zur Kenntnis zu nehmen? auf Biosprit oder Agraralkohol als Treibstoff für den Straßenverkehr haben wir dem Anbau, der Marktein- (Zuruf von der CDU/CSU: Für eine Mark führung und auch der Forschung über nachwach- haben schon andere etwas verkauft!) sende Rohstoffe einen Bärendienst erwiesen. Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Oostergetelo, ich habe nur gesagt, daß wir die Diskussion nicht auf Biosprit verengen dürfen. Ich bin mit Ihnen der Meinung — auch das habe ich deutlich gesagt —, daß uns die Diskussion und die Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Carsten- sen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Einengung auf Biosprit keinen großen Gefallen getan Sielaff? hat. Aber ich darf mich ganz herzlich dafür bedanken, daß durch Ihre Zwischenfrage und die des Kollegen Sielaff das offensichtlich sehr starke Bemühen zum Ausdruck gebracht wurde, daß die SPD diesen Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Geschichten doch nicht negativ gegenübersteht und Aber gern. sich wohl dann auch bei den Arbeiten, die wir im Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11405

Peter Harry Carstensen (Nordstrand) Bereich der nachwachsenden Rohstoffe angehen wer- Die CDU/CSU-Fraktion und die Bundesregierung den, positiv beteiligen wird. haben damit gezeigt, daß sie es ernst meinen, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen Rahmenbedingun- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Carsten- gen zugunsten von alternativen Energieformen zu sen, jetzt habe ich noch eine Zwischenfrage vorlie- verändern. gen. (Dietmar Schütz [SPD]: Haben die das alles in Schleswig-Holstein gemacht?) Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): Das Stromeinspeisungsgesetz hat sich im Bereich Ja, bitte. kleiner privater Wasserkraftwerke bewährt, (Gudrun Weyel [SPD]: Sind das nachwach- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ich möchte aber sende Rohstoffe?) bitten, die Zwischenfragen dann etwas einzuschrän- ken; denn viele Kollegen warten darauf, daß sie ihre es hat sich für den Wind bewährt und muß auch darauf Debattenbeiträge im weiteren Nachtverlauf, wenn Sie ausgerichtet werden, den nachwachsenden Rohstof- schon längst irgendwo anders sind, leisten können. — fen eine Chance zu geben. Kollege Lennartz. Auch dort wird eine verengte Diskussion über die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit geführt. Natür- lich, meine Damen und Herren, kommen wir bei der Klaus Lennartz (SPD): Ist es Ihnen vielleicht entgan- gen, daß ich wie folgt formuliert habe: Windenergie wie auch bei der Energieerzeugung mit nachwachsenden Rohstoffen im nackten Preis- Selbstverständlich ist es eine tolle Sache, wenn Kostenvergleich der erzeugten Kilowattstunde nicht die Wyker Dampfschiffsreederei mit Pflanzensaft hin und errechnen derzeit keine ökonomische Wett- statt mit Schiffsdiesel durch das Wattenmeer bewerbsfähigkeit. Aber wie steht es eigentlich mit der schippert, weil ersterer biologisch abbaubar ist ökologischen Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu und deshalb keine Gefährdungen für das emp- Kernkraft, Kohle oder Öl? Wir können wirtschaftlich findliche Ökosystem mit sich bringt. Es ist eine natürlich nicht mit der Kernkraft konkurrieren. Aber großartige Sache, wenn unser Holzeinschlag mit sagt uns nicht gerade die SPD immer, bei der Kern- Kettensägen erfolgt, die über eine Schmierung kraft würden nicht alle Kosten mit eingerechnet aus Pflanzenöl verfügen und so den Waldboden werden? Wir können nicht mit den Kohlekraftwerken nicht belasten? konkurrieren, erst recht nicht, wenn Weltmarktkohle Ist es Ihnen entgangen, daß ich bewußt gesagt habe, und nicht die heimische Kohle verbraucht wird. daß sich die Diskussion nicht nur auf den Biosprit Aber warum wird in diesem Zusammenhang von beschränken darf, sondern daß man insbesondere vielen Politikern und Kommentatoren die Diskussion auch die Marktlücken erfassen muß? Dies alles habe über den Bezug von Rohstoffen zu Weltmarktpreisen ich in meiner Rede vorgetragen. Ist Ihnen das entgan- immer über die landwirtschaftlichen Produkte geführt gen? und selten über die Kohle? Wer rechnet bei Kohle- kraftwerken, bei Kernkraftwerken, bei fossilen Brenn- Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): stoffen wie Öl und Benzin eigentlich endlich einmal Nein, das ist mir nicht entgangen. Aber ich finde es die externen Kosten der Produktion und des Ver- nett, daß Sie de noch einmal wiederholen. brauchs dazu? Wenn man dies täte, würde die Situa- Meine Damen und Herren, die Diskussion derzeit tion schon etwas anders aussehen. erinnert mich fatal an die Diskussion, die wir vor Wer wagt es denn, auch einmal die von den Öltan- einigen Jahren über regenerative Energien geführt kern verursachten Umweltkatastrophen, die wir der- haben, insbesondere über Windenergie. Diese Dis- zeit erleben, in die ökonomische Betrachtungsweise kussion habe ich seinerzeit sehr intensiv mit dem einzubringen, Kollegen Maaß geführt. Wir haben damals eine Gesetzesänderung erreicht, mit dem Ziel, die Wind- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) energie zu fördern und betriebswirtschaftlich attraktiv denn in die ökologische gehören sie ja sowieso? Wer zu machen. Auch wir ernteten damals, 1985, von der bewertet endlich einmal ökonomisch den ökologi- Presse Spott — nach dem Motto: Wie wollt ihr euch schen Vorteil des CO2-Kreislaufs bei der Verwertung gegen die großen Energiekonzerne durchsetzen? Die von nachwachsenden Rohstoffen? werden euch wegpusten! (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) (Horst Sielaff [SPD]: Sie haben sich auch Wer berechnet einmal den zusätzlichen Aufwand, nicht durchgesetzt!) den wir betreiben, um die Verwertung von fossilen — Heute, lieber Kollege Sielaff, produzieren die Brennstoffen einigermaßen umweltverträglich — in Mühlen an der Küste Strom, der sauberer und umwelt- Klammern habe ich hinzugefügt: Die Bezeichnung ist freundlicher woanders kaum zu bekommen ist. So zynisch genug — zu gestalten? Die Kosten für die belief sich die Stromerzeugung aus Windenergie in Nachrüstung gemäß der Großfeuerungsanlagen-Ver- meinem kleinen Wahlkreis Nordfriesland im letzten ordnung, die Kosten für Katalysatoren bei Kraftfahr- Jahr auf ungefähr 70 Millionen Kilowattstunden. Die zeugen sind enorm. Um für letzteres Beispiel einmal Voraussetzung dafür war die Verabschiedung des eine Größenordnung zu nennen: Bei drei Millionen Stromeinspeisungsgesetzes. Neuzulassungen von Kraftfahrzeugen mit Katalysato- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ein großer ren und zusätzlichen Kosten von mehr als 1 000 DM je Erfolg!) Kraftfahrzeug belaufen sich die Kosten auf rund 11406 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Peter Harry Carstensen (Nordstrand) 4 Milliarden DM im letzten Jahr, die aufgewendet Herrn Lennartz zeigen, daß Sie offensichtlich nicht wurden, um Krafstoffe aus fossilen Brennstoffen in der wissen, was Sie wollen. ökologischen Bilanz etwas positiver — anders ausge- (Zuruf von der SPD: Sie können nicht, das drückt: etwas weniger negativ — erscheinen zu las- wissen wir!) sen. Mich betrübt das, weil sie der Umwelt und den Erst wenn wir anders bilanzieren, wenn die Bilan- Landwirten damit einen schlechten Dienst erwei- zen „sauber" sind, wenn also die Ökobilanzen für sen. Produkte fossiler Herkunft und solche aus nachwach- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) senden Rohstoffen sauber verglichen werden können, bin ich bereit, Kommentare in den Zeitungen und Gutachten vom Umweltbundesamt ernst zu neh- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster men. spricht der Kollege Günther Bredehorn. (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl!) Wir in der CDU/CSU-Fraktion wissen um die Pro-- Günther Bredehorn (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe bleme landwirtschaftlicher Produktion und ihrer Ver- Kolleginnen und Kollegen! Nachwachsende Roh- wertung. Wir wissen auch, daß wir den Landwirten mit stoffe haben durch die zunehmende Umweltbela- nachwachsenden Rohstoffen kein goldenes Tor auf- stung, die Verknappung an fossilen Brennstoffen und machen. die Suche nach Alternativen für die Landwirtschaft in den letzten Jahren zunehmende Beachtung in der (Horst Sielaff [SPD]: Das ist schon vorsichti- Forschung, der Politik und Öffentlichkeit gefunden. ger formuliert!) Lassen Sie mich aber gleich zu Anfang feststellen: — Wir sagen ihnen das auch, lieber Kollege Sielaff. Mit dem Einsatz nachwachsender Rohstoffe allein Aber wir wissen erst recht um unsere Verantwortung, werden wir nicht die Probleme der Umwelt und der jetzt nicht den Zug zu verpassen und den Anschluß an Landbewirtschaftung lösen können. Mit den nach- die Forschung und Entwicklung in anderen Ländern wachsenden Rohstoffen sind wir aber auch nicht auf zu verschlafen. dem totalen Holzweg, wie uns manch ein Pessimist glauben machen will. (Horst Sielaff [SPD]: Das unterstützen wir!) (Beifall bei der F.D.P.) Mit nachwachsenden Rohstoffen werden wir die Wie so oft im Leben ist der mittlere der richtige Weg. fossilen Rohstoffe nicht kurz- und sicherlich auch nicht Das heißt also, wie wollen keine Irrwege gehen, mittelfristig ersetzen können. Aber eine Teilverbesse- gleichzeitig jedoch die Chancen nutzen, die für rung in der CO2-Bilanz wird möglich sein. Schon das Umwelt und Landwirtschaft durchaus vorhanden ist es wert, auf diesem Weg weiterzugehen. Meine sind. Dabei dürfen Wirtschaftlichkeit und Wettbe- Damen und Herren, was würden wir heute alle dafür werbsfähigkeit nachwachsender Rohstoffe nicht au- geben, hätte dieser Tanker, der da vor den Shettlands ßer acht gelassen werden. Wir, die F.D.P., wollen zerbrochen ist, gar nicht erst fahren müssen! keine neuen Dauersubventionen. Ich will den Landwirten gar nicht die große Hoff- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der nung vorgaukeln, sie würden kurzfristig für den SPD) Ackerbau eine wirkliche Einkommensalternative Zur heutigen Debatte der SPD-Anfrage haben wir erhalten. Wir werden das nach dem GATT-Beschluß gemeinsam mit der CDU/CSU einen Entschließungs- auch gar nicht so einfach gestalten können. antrag eingebracht. Dort haben wir noch einmal die (Klaus Lennartz [SPD]: Gott sei Dank!) Schwerpunkte mit Chancen in der Zukunft herausge- stellt. Wir fordern die Bundesregierung auf, erfolgver- — Das ist eine interessante Bemerkung, Herr Len- sprechende Entwicklungen anzustoßen, die Rahmen- nartz, die Sie da machen. — Ziel muß es sein, den bedingungen für die Marktpartner zu verbessern, Abbau von nachwachsenden Rohstoffen in den land- gezielte Prüfungen einzuleiten und die Forschung zu wirtschaftlichen Bet rieben als einen ganz natürlichen intensivieren und zu optimieren. dazugehörigen Betriebszweig zu etablieren, mit allen Die CO2-Belastung unseres Planeten mit allen den Konsequenzen wie auch der einzelbetrieblichen För- bekannten negativen Folgeerscheinungen betrifft uns derung aus der Gemeinschaftsaufgabe und Anbaube- alle. Dabei kann die Verwendung nachwachsender ratung durch die Kammern. Die Produktion von Rohstoffe die CO2-Bilanz verbessern, die CO2-Pro- muß sich in die landwirt- nachwachsenden Rohstoffen bleme zwar nicht lösen, aber lindern. schaftliche Produktion wie die Milchviehhaltung, die Schweinehaltung, der Getreideanbau, der Anbau von Für den besten nachwachsenden Rohstoff halte ich Zuckerrüben und das Angebot von Ferien auf dem allerdings den Wald. Er ist der natürliche CO2 Bauernhof einreihen können. Speicher. Daher ist es richtig, daß wir im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar- Wenn Sie, meine Damen und Herren von der SPD, struktur und des Küstenschutzes" die Förderbedin- unseren Entschließungsantrag gelesen haben, wissen gungen für die Erstaufforstung drastisch verbessert Sie, was wir wollen. haben. Wenn das Umweltministerium bei der Novel- lierung des Naturschutzgesetzes ähnlich offensiv vor- (Horst Sielaff [SPD]: Wischiwaschi!) gehen würde und die rechtlichen Hemmnisse bei der Bei Ihnen bin ich mir bei diesem Thema derzeit gar Genehmigung von Erstaufforstungen beseitigen nicht mehr so sicher. Ihre Anfrage und die Rede von würde, käme das der Umwelt und der Forstwirtschaft Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11407

Günther Bredehorn zugute und würde helfen, unser Ziel, die CO2- Am besten geht es dort, wo sich Vorteile für die Belastung bis zum Jahr 2005 um 25 bis 30 % zu Umwelt mit günstigen ökonomischen Bedingungen reduzieren, vielleicht doch noch zu erreichen. verbinden. Biomasse zur Wärmegewinnung z. B. ist solch ein Bereich. Die dezentrale Ganzpflanzenver- Die fehlende Wettbewerbsfähigkeit vieler nach- brennung ist gerade im ländlichen Raum eine gute wachsender Rohstoffe ist ein Problem. Die Politik Möglichkeit. Neben der Erzeugernähe und geringen kann in einigen Bereichen Rahmenbedingungen Transportkosten ist die Anwendung in kommunalen schaffen, um diese Wettbewerbsfähigkeit herzustel- Einrichtungen wie z. B. Krankenhäusern oder len. Dies schließt Dauersubventionen aus, läßt aber Schwimmbädern durchaus erfolgversprechend. Ne- Anschubfinanzierungen zur Markteinführung, am ben speziellen Energiepflanzen und Stroh bieten besten degressiv und befristet, mit der Zielsetzung Holzhackschnitzel gute Perspektiven. langfristiger Wettbewerbsfähigkeit zu. Chancen liegen aber nicht nur bei kommunalen Sehr bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, daß Einrichtungen; sie sollten vielmehr viel stärker als den sogenannten externen Kosten der fossilen Kon- bisher auch bei den einzelnen landwirtschaftlichen kurrenzprodukte auch in diesem Zusammenhang Betrieben gesucht werden. Dieser Punkt gewinnt wesentlich mehr Beachtung geschenkt werden muß; auch deshalb an Bedeutung, weil mit der EG-Agrar- denn ein sehr großer Anteil der gesellschaftlichen und reform Stillegungsprämien auch dann gezahlt wer- volkswirtschaftlichen Kosten, die von den fossilen den, wenn auf den stillgelegten Flächen nachwach- Konkurrenzprodukten ausgehen und von uns allen zu sende Rohstoffe angebaut werden. tragen sind, gehen in ihren Marktpreis überhaupt nicht ein. Die Preisbildung erfaßt sie oft gar nicht. Dieser Anreiz zur Biomasseverwendung bei der Wärmegewinnung in einzelnen landwirtschaftlichen Die Umweltbelastung durch die immer noch zuneh- Betrieben ist eine Chance und sollte stärker genutzt mende Nutzung von Mineralöl wird oft als unabän- werden. derlich angesehen. Auch der jetzige katastrophale Positive Entwicklungen gibt es auch beim Flachsan- Tankerunfall bei den Shetlandinseln mit den verhee- bau, bei den Heilpflanzen und bei der Farbenherstel- renden Wirkungen auf das Ökosystem wird bei der lung. Ein Beispiel ist die Unterstützung des Thüringer Erstellung einer Ökobilanz überhaupt nicht berück- Färberwaids. Der Färberwaid, eine gelbblühende sichtigt. zweijährige Pflanze, hat in Thürigen eine 500jährige Hier muß etwas geschehen, auch im Hinblick auf Tradition. Aus dem Waid wurde vor allem die Farbe die Meinungsbildung unserer Bürger. Indigo gewonnen. Jetzt wird es mit gutem Erfolg für Fassadenanstriche historischer Gebäude verwendet. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-Diese Farbe zeichnet sich durch gute Widerstands- ten der CDU/CSU) kraft gegen Umwelteinflüsse aus. Es ist richtig und erfolgversprechend, daß der Bund ein entsprechendes Daher haben wir in unserem Entschließungsantrag Entwicklungsvorhaben zum Aufbau einer modellhaf- die Bundesregierung aufgefordert, auch bei Produk- ten Verarbeitungskette fördert. ten fossiler Herkunft die Erstellung von Ökobilanzen zu veranlassen. Ein ganz neuer Markt erschließt sich meines Erach- tens für Verpackungen aus Stärke, weil diese biolo- Unser Motiv ist hier die Forderung nach mehr gisch schnell abbaubar sind. Ich hoffe und fordere, daß Chancengleichheit. Man darf nicht einseitig die nach- das duale System entsprechend weiterentwickelt wachsenden Rohstoffe bewerten und nur dort Ökobi- wird, damit endlich Produkte eine Marktchance erhal- lanzen fordern, sondern muß das parallel und mit ten, die weniger Umweltbelastung, weniger Natur- gleichen Kriterien auch bei den fossilen Konkurrenz- verbrauch verursachen. produkten tun. Neben der Stärke gehören die Pflanzenöle zu den Ein Wort noch zur Förderung von Forschung und zukunftsträchtigen Bereichen der nachwachsenden Entwicklung bei den nachwachsenden Rohstoffen. Rohstoffe. Insbesondere Schmierstoffe auf Rapsölba- Dies ist für uns Vorsorgepolitik mit dem Motiv, keine sis gewinnen zunehmend an Bedeutung, weil sie erfolgversprechenden Wege zu verschütten. Hier muß biologisch abbaubar sind. auch künftig der Schwerpunkt liegen. Die F.D.P. wird sich dafür einsetzen, daß die Fach- Es darf allerdings nicht sein, daß sich ganze For- agentur für nachwachsende Rohstoffe umgehend ein- schungseinrichtungen oder Forscherstäbe sehr gerne gerichtet wird. der Fördermittel bedienen, sich am Ende daran (Horst Sielaff [SPD]: Wo?) gewöhnen, aber möglicherweise den Hauptzweck — Ich sage gleich etwas dazu. vergessen, nämlich die rasche Umsetzung und Anwendung der gewonnenen Ergebnisse zum Nut- Mit dem Haushalt 1993 sind die notwendigen finan- zen der Umwelt und der Landwirtschaft. ziellen Voraussetzungen geschaffen worden. Den- noch hat der Haushaltausschuß eine qualifizierte Für Anbau und Verwertung nachwachsender Roh- Sperre bei dem entsprechenden Titel ausgebracht, da stoffe gibt es bereits eine Anzahl ermutigender Bei- man sich auf den Standort der Agentur noch nicht spiele. 2,5 bis 3 % der Ackerflächen werden mit einigen konnte. Agrarrohstoffen bebaut. Gemessen an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche ist das zwar noch Ich fordere hier die Bundesregierung auf, sehr bescheiden, die Tendenz aber ist steigend und das schnell eine Entscheidung zu treffen. Potential für die Zukunft weiter ausbaufähig. (Beifall bei der F.D.P. und der SPD) 11408 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Günther Bredehorn Es kann doch nicht angehen, daß ein Stillstand der bringen sicherlich schnellere und größere Effekte, Entwicklung eintritt, nur weil es unterschiedliche wobei ich die Effekte bei den nachwachsenden Roh- Wünsche bezüglich des Standorts gibt. Die Fachagen- stoffen keineswegs in Frage stellen will. tur gehört dorthin, wo die entsprechende Infrastruktur (Vor s i t z : Vizepräsident Helmuth Becker) vorhanden ist, und sollte schnell mit ihrer Arbeit beginnen können. Drittens. Nachwachsende Rohstoffe sind keines- Diese Agentur muß als Vermittler und Koordinator wegs in ihrer Gesamtheit die Alternative zu umwelt- die Arbeiten der bestehenden einschlägigen For- schädigenden chemischen Produkten und zur fort- schungseinrichtungen bündeln und die Ergebnisse schreitenden Umweltzerstörung. Vielmehr können den potentiellen Anwendern zuführen. Umweltwirkungen je nach angebautem Erzeugnis sehr differenziert — bis hin zu äußerst negativ — sein. Lassen Sie mich abschließend feststellen: Der Auch darüber wurde schon gesprochen. Anbau und Einsatz nachwachsender Rohstoffe wird zukünftig sicher neue Chancen haben und verstärkt Andererseits sind nachwachsende Rohstoffe natür- Beachtung finden. Da die nachwachsenden Rohstoffe lich eine wissenschaftlich höchst interessante und mit in einigen Bereichen durchaus zukunftsträchtig sind, Sicherheit an Bedeutung gewinnende Ergänzung zur könnten sie neben ihren ökologischen Vorteilen auch traditionellen Agrarproduktion. Ergänzung deshalb, zu einer Marktentlastung auf den Agrarmärkten bei- weil ich davon ausgehe, daß die ökologiegerechte tragen. Ihr Einsatz allein wird jedoch nicht die Land- Sicherung der Welternährung schon allein eine wirtschaft aus ihrer schwierigen Lage herausführen immense Aufgabe der Landwirtschaft bedeutet. Das und die umweltrelevanten Probleme lösen können. wird die vorrangigste Aufgabe der Landwirtschaft Schönen Dank. sein. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Als Ergänzung sehe ich nachwachsende Rohstoffe auch, weil es um die Erhaltung funktionierender ländlicher Räume und der Kulturlandschaft geht und Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat weil die Regionalisierung der Agrarproduktion für nun der Kollege Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) Ernährungszwecke wieder ein größeres Gewicht das Wort. erlangen muß, um z. B. unnötige Transporte, wach- sende Verkehrsströme usw. zu vermeiden und damit Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) (PDS/Linke erheblich Energie einzusparen. Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus der Antwort der Bundesregierung ergibt sich: Den Wert der Antwort der Bundesregierung auf die Nachwachsende Rohstoffe werden in Abhängigkeit Große Anfrage der SPD zum Problemkreis nachwach- vom Entwicklungsstand der Technologie derzeit sender Rohstoffe und der heutigen Debatte sehe ich lediglich die Rohstoffbasis der chemischen Indus trie vor allem darin, daß dadurch ein Stück mehr an sowie der Energieerzeugung ergänzen, die Flexibili- Realismus, Sachkunde und Nüchternheit in die öffent- tät der Rohstoffauswahl verbessern und für die liche Diskussion getragen werden kann. Gerade das Zukunft ein zusätzliches Innovationspotential für die erscheint mir besonders notwendig, da die Produktion Entwicklung neuer Produkte und Verfahren erschlie- von nachwachsenden Rohstoffen derzeit sehr konträr ßen. Die in den Angaben zu den Forschungsmitteln, und oft nicht seriös diskutiert wird. Das betrifft sowohl die seitens der privaten Wirtschaft für die nachwach- Politiker aller Lager wie auch Landwirte, Industriever- senden Rohstoffe aufgewendet werden, deutlich wer- treter, Natur- und Umweltschützer. dende Zurückhaltung ist dazu angetan, jeglichen Weder kurz- noch mittelfristig lassen sich allein mit Zweckoptimismus zu dämpfen. nachwachsenden Rohstoffen grundsätzliche Pro- Schlußfolgerungen und Handlungsbedarf sehe ich bleme der Landwirte lösen; ich glaube, das haben alle vor allem in folgenden Punkten. Erstens. Nach wie vor Vorredner zum Ausdruck gebracht. Auch auf dem gibt es viele ungeklärte Probleme vor allem bei der Gebiet der Ökologie kann man sicher nicht alles damit Betrachtung von Gesamtzusammenhängen aus öko- lösen. nomischer und ökologischer Sicht — auch darauf hat Angesichts der vielen ungelösten ökonomischen eine Reihe von Vorrednern verwiesen —, wenn es um und ökologischen, aber auch der technischen und die Erstellung von ökologischen Gesamtbilanzen technologischen Fragen verbieten sich jegliche Eu- geht. Dazu sind noch weitere Forschungsvorhaben phorie und das Wecken ungerechtfertigter Hoffnun- notwendig, um insbesondere gesamtwirtschaftliche gen. Als Ausgangsposition sollten wir nüchtern zur Aspekte einschließlich — das möchte ich hinzufü- Kenntnis nehmen. Erstens. Nachwachsende Rohstoffe gen — der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplät- sind keineswegs der Retter der Landwirtschaft. Sie zen in der Landwirtschaft, Zuliefer- und Verarbei- sind auch kein Zaubermittel zur Sicherung von tungsindustrie sowie der Standorterhaltung ländli- Beschäftigung und Einkommen. cher Räume einzubeziehen. Wir sollten auch diese (Zuruf von der CDU/CSU: Aber ein Äquiva- Aspekte in eine ökologische Gesamtbilanz unbedingt lent!) einbeziehen, wobei es sicherlich schwer ist, z. B. die — Dazu komme ich gleich noch. Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen immer in eine ökologische Bilanz einzubeziehen. Aber man Zweitens. Nachwachsende Rohstoffe sind auch nur sollte es tun, weil sonst eine Bilanz als Ganzes nicht eine von mehreren potentiellen Alternativen zur aufgeht. Schonung fossiler Ressourcen wie Erdöl, Erdgas und Kohle. Drastische Energieeinsparmaßnahmen durch Zweitens. Wesentliche Fortschritte sind aus der neue Verkehrs- und regionale Wirtschaftskonzepte biologischen und vor allen Dingen mikrobiologi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. 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Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) schen Forschung zu erwarten. Sowohl in bezug auf Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und neue Pflanzen als auch besonders im Prozeß der Herren, nächster Redner ist unser Kollege Deß. Ich Verarbeitung und Höherveredlung werden neue erteile ihm das Wort. Erkenntnisse neue Möglichkeiten eröffnen. Dafür sind rechtzeitig die notwendigen politischen Rahmen- bedingungen in jeder Hinsicht zu schaffen. Das Albert Deß (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kol- betrifft sowohl ökonomische Verwertungsbedingun- leginnen und Kollegen! Es gibt immer noch viele gen als auch moralisch-ethische. Ich möchte die Gegner der nachwachsenden Rohstoffe, aber es wer- Anforderungen der zivilisierten Gesellschaft betonen, den täglich weniger, und zwar deshalb weniger, weil die wir dabei beachten müssen, vor allen Dingen die Idee der nachwachsenden Rohstoffe für ein ganz- wenn es mit mikrobiologische Forschung geht. Wir heitliches Denken im ökologischen Kreislauf unver- haben uns auch darüber unterhalten. zichtbar ist. Bereits Henry Ford sagte 1935 auf einem Chemiekongreß: Der hohe gesellschaftliche Vorschuß für die For- Die Zeit kommt heran, in welcher der Bauer nicht schung, der nach unserer Auffassung natürlich noch mehr nur Ernährer seines Volkes, sondern auch größer werden muß, muß auch zum allgemeinen Lieferer der Rohstoffe für die Industrie sein gesellschaftlichen Nutzen gereichen, darf keinesfalls wird. zur weiteren Polarisierung von Machtpositionen Warum wurde die Idee der nachwachsenden Roh- — hier denke ich insbesondere auch an das Verhältnis stoffe so lange vernachlässigt? Der Grund liegt darin, Nord-Süd, also entwickelte Länder und Dritte Welt — daß man die Wirtschaftlichkeit der nachwachsenden führen und muß auch zu den Einkommen einen Rohstoffe mit den subventionierten Preisen fur fossile Beitrag leisten. Energie und fossile Rohstoffe vergleicht. Fossile Roh- stoffe werden schon deshalb in Milliardenhöhe sub- Drittens. Die mit der EG - Agrarreform verbundene ventioniert, weil die Umweltfolgeschäden nicht auf 15%ige Stillegung von Ackerflächen bietet Ansatz- das Produkt berechnet werden. punkte für die Produktion nachwachsender Rohstoffe. Das wird auch von den Bauern von der Sache her so Die Tankerkatastrophe vor den Shetlandinseln angenommen. Die gegenwärtig geltenden Rahmen- zeigt, welch riesige ökologische Schäden durch Mine- bedingungen sind jedoch wenig dazu angetan, echte ralöl verursacht werden. Hätte der Tanker Rapsöl statt Fortschritte auf diesem Gebiet zu erreichen. Es ist Mineralöl geladen, wären die Schäden vergleichs- dringend geboten, vor allem für die Landwirte einfa- weise gering gewesen. Langzeitfolgeschäden wären chere Regelungen zu schaffen, die dennoch Sicherheit vollkommen auszuschließen. Rapsöl kann als Fisch- bieten, daß auch wirklich nachwachsende Rohstoffe futter verwendet werden. produziert werden; denn die Bürokratie schlägt hier Wenn bei nachwachsenden Rohstoffen als erstes wieder einmal ganz gewaltig zu. immer die Ökobilanz gefordert wird, so frage ich mich, warum nicht auch für alle bisherigen Rohstoffe Da ich nicht davon ausgehe, daß allein mit Flächen-und Produkte Ökobilanzen gefordert werden. Verant- stillegungen Probleme der landwirtschaftlichen Über- wortliche Energie-, Wirtschafts- und Umweltpolitik produktion in Westeuropa gelöst werden, sondern vor muß darauf hinauslaufen, daß bei allen Produkten, die allem auch aus ökologischer Sicht in Zukunft die unsere Wohlstandsgesellschaft in Anspruch nimmt, Extensivierung Vorrang haben wird, ist das Flächen- die Entsorgungs- und Umweltfolgekosten berechnet problem langfristig erneut in Betracht zu ziehen. werden. Vielen Zweiflern an den nachwachsenden Rohstoffen kann ich sagen: Sie werden sich wundern, Viertens sehe ich vor allem in den neuen Bundes- wie schnell dann in vielen Fällen nachwachsende ländern große Chancen für die Produktion nachwach- Rohstoffe am Markt wirtschaftlich sind. sender Rohstoffe. Die geringere Siedlungsdichte — im (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Osten stehen 0,36 ha pro Kopf der Bevölkerung zur Dr. Bruno Menzel [F.D.P.]) Verfügung, im Westen 0,18 ha, also genau die Hälfte — und der damit verbundene geringere Bedarf Dazu ein interessantes Zitat von Professor Heinrich an Nahrungsprodukten pro Flächeneinheit bieten Wohlmeyer aus Wien. Er sagt: zunächst eine gute Grundvoraussetzung für diese Der Hauptgrund in der volkswirtschaftlichen Produktion. Hinzu kommt, daß auch die entstandene Fehleinschätzung der nachwachsenden Roh- Struktur durchaus bessere Möglichkeiten bietet und stoffe scheint mir im ökologischen Bildungs- darüber hinaus der Neuaufbau regionaler, innovati- manko vieler Ökonomen und Technologen zu ver Industriezweige, die sich mit der Be- und Verar- liegen. beitung solcher Rohstoffe beschäftigen, einen interes- Ein wahres Wort. santen Aspekt für die Industrieerneuerung darstellen könnte. Vor einem Jahr noch hatte die Verpackungsindu- strie fast kein Interesse an Verpackungsmaterial aus Ich darf zum Schluß den Vorschlag unterbreiten, das nachwachsenden Rohstoffen. Durch die Verpak- vorgeschlagene Koordinierungs- oder Betreuungs- kungsverordnung werden die Entsorgungskosten büro im Osten anzusiedeln. Dann haben wir es an der immer mehr auf das Produkt umgelegt, und plötzlich Stelle, wo es auch hin sollte. interessiert sich die Wirtschaft für Produkte aus nach- wachsenden Rohstoffen. Es muß noch in vielen Berei- Recht vielen Dank. chen unserer Gesellschaft ein Umdenken einsetzen. Es ist unverantwortlich, daß einige Generationen das (Beifall bei der PDS/Linke Liste) verbrauchen, was in Jahrmilliarden entstanden ist. 11410 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Albert Deß Ober 11 Milliarden t Steinkohleeinheiten fossiler sind wir uns alle einig — bei Gebrauchsprodukten den Energie werden jährlich auf unserer Erde verbraucht. Vorteil, daß sie biologisch abbaubar sind. Das ergibt über 300 t in jeder Sekunde. Das Dramati- sche ist, daß fast 80 % dieser Menge von 20 % der Drittens und nicht zuletzt können die nachwachsen- Weltbevölkerung beansprucht werden. In Anbetracht den Rohstoffe aus agrarpolitischer Sicht einen Beitrag dieser Zahlen brauchen wir uns über dramatische dazu leisten, die Nahrungsmittelmärkte längerfristig Klimaveränderungen nicht zu wundern. zu entlasten, und gleichzeitig mit zunehmender Marktdurchdringung den Landwirten eine Produk- (Horst Kubatschka [SPD]: Dann ziehen Sie tionsalternative in bestimmten Nischen bieten. Erste die Konsequenzen daraus!) Ansätze dazu sind in meiner Heimat vorhanden. Wir würden die Augen vor den Problemen der Ressourcenschonung, Ökologie und Agrarpolitik lie- Zukunft verschließen, wenn wir nicht nach Alternati- fern also die Argumente für einen verstärkten Einsatz ven suchen würden. Nachwachsende Rohstoffe kön- von nachwachsenden Rohstoffen. nen kurzfristig — das ist heute schon öfter angespro- chen worden — nicht die Probleme der Umwelt oder Der Bundesregierung bin ich dankbar, daß sie den der Landwirtschaft lösen. Sie können jedoch einen - Einsatz der nachwachsenden Rohstoffe in den letzten wertvollen Beitrag leisten, vorausgesetzt, daß sinn- Jahren unterstützt und vorangebracht hat. volle Wege beschritten werden, um die Probleme zu (Beifall bei der CDU/CSU) mildern. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nur darum Es ist das Verdienst von Bundeslandwirtschaftsmini- geht es uns!) ster , daß die Rahmenbedingungen für Jährlich wachsen weltweit über 200 Milliarden t die Nutzung nachwachsender Rohstoffe in der EG Biomasse. Ein Siebtel dieser Menge würde ausrei- durch entsprechende Ausgestaltung von Marktord- chen, um den gesamten fossilen Energieverbrauch nungen und Beihilferegelungen verbessert wurden. weltweit zu ersetzen. Eine theoretische Rechnung! Im Rahmen der Reform der gemeinsamen Agrarpoli- Nur 2 % des jährlichen Biomasseaufwuchses werden tik war es wieder Ignaz Kiechle, der die Möglichkeit bisher als Nahrungsmittel und nachwachsende Roh- des Anbaus auf stillgelegten Flächen erfolgreich stoffe genutzt. 98 % dieses jährlichen Biomasseauf- durchgesetzt hat. wuchses verrotten oder verbrennen und setzen damit Diese Politik hat mit dazu beigetragen, daß der CO2 frei, ohne daß diese Biomasse genutzt wird. Einsatz nachwachsender Rohstoffe in den letzten Jahren stetig zugenommen hat. So beläuft sich die Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Deß, Fläche, die der Produktion nachwachsender Rohstoffe gestatten Sie eine Zwischenfrage? für den chemisch-technischen Bereich dient, derzeit schon auf rund 165 000 ha in den alten Bundeslän- Albert Deß (CDU/CSU): Im Anschluß an mein Refe- dern. Das sind immerhin ca. 2,5 % der westdeutschen rat gern, aber jetzt möchte ich fortfahren. Ackerfläche. Einschließlich der importierten landwirt- schaftlichen Rohstoffe beträgt der Anteil der nach- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Müller wachsenden Rohstoffe an der Rohstoffbasis der west- (Schweinfurt), vielleicht am Schluß. deutschen chemischen Industrie 10 %. Das sind ca. 1,8 Millionen t Rohstoffe. Albert Deß (CDU/CSU): Hier ist der Ausgangspunkt für die Wissenschaft, Umsetzungsmöglichkeiten zu Interessante Verwendungsperspektiven eröffnen finden. Würde auch nur ein Bruchteil der Forschungs- sich im chemisch-technischen Bereich insbesondere und Entwicklungskosten, die für die Entwicklung von dort, wo die Agrarrohstoffe ökologische Vorteile auf- Waffensystemen ausgegeben werden, für die For- weisen. So bieten z. B. innovative Entwicklungen mit schung bei nachwachsenden Rohstoffen verwendet, biologisch vollständig abbaubaren Werkstoffen und könnten sehr bald ökologische Stoffkreisläufe ange- Folien neue Absatzmöglichkeiten. boten werden, die zum Erhalt unseres Ökosystems Auch wenn realistischerweise kurzfristig nur Erde dringend notwendig sind. Marktnischen erschlossen werden können, könnte (Horst Sielaff [SPD]: Sagen Sie das doch doch gerade hier der Vorteil der Abbaubarkeit oder einmal Herrn Rühe! Das unterstützen wir, der Kompostierbarkeit in vielen Anwendungsberei- Herr Kollege!) chen nutzbringend für die Umwelt zum Tragen kom- — Das ist meine Meinung. men. Für die heimischen Pflanzenöle können durch die Entwicklung von biologisch erneuerbaren Hy- Es gibt mindestens drei Gründe, um sich verstärkt draulikölen, Schmierfetten, Metallbehandlungsmit- mit den nachwachsenden Rohstoffen auseinanderzu- teln oder Schalölen neue Absatzimpulse gesetzt wer- setzen. Erstens. Die nachwachsenden Rohstoffe tra- den. Das heimische Rapsöl bietet für die Anwendung gen zur Schonung der begrenzten fossilen Rohstoffe im Schmierstoffbereich hinsichtlich der Qualität bei. beste Voraussetzungen. Zweitens. Aus ökologischer Sicht haben die land- wirtschaftlich erzeugten Rohstoffe eben den Vorteil, Ein wichtiger vierter Schwerpunkt soll zukünftig daß sie nachwachsend sind. Sie können Sonnenener- — auch wenn es sich nur um Anschubfinanzierung gie speichern und sind erneuerbar. Außerdem kann handeln soll — die Ganzpflanzenverbrennung, also ihre Nutzung zur angestrebten Reduzierung der CO2 der Einsatz von Biomasse zur Wärmeerzeugung sein; Emissionen aus fossilen Quellen beitragen. Weiterhin denn sie ist von den Energielinien diejenige, die den haben nachwachsende Rohstoffe — ich glaube, da geringsten Subventionsbedarf aufweist und gleich- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11411

Albert Deß zeitig den größten Beitrag zur CO2-Minderung leisten Großen Anfrage. Sie ist sach- und bei allen Einschät- kann. zungen auch sehr realitätsbezogen. Längerfristig wird in Europa mit 30 Millionen ha (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So sind Agrarüberschußfläche gerechnet. Je Hektar können wir!) fast ohne Chemieaufwand — ich habe da einige Ich kann mich, obwohl ich ansonsten selten die Erfahrungen im eigenen Betrieb — ca. 5 t Öläquiva- Auffassungen der Bundesregierung teile, im Grund- lent geerntet werden. Multipliziert mit 30 Millionen satz vielen Aussagen zum Thema nachwachsende ergibt dies immerhin eine Menge von 150 Millionen t Rohstoffe in der Drucksache 12/3493 anschließen. Öl, die hier ersetzt werden können. Damit können ca. 300 Millionen t CO2 eingespart werden. Das ist aber sicher der Tatsache zu verdanken, daß sich diese Beantwortung durch ihre Realitätsbezogen Mit dem heutigen Entschließungsantrag bringt die heit wohltuend von anderen Verlautbarungen der CDU/CSU und auch die F.D.P. zum Ausdruck, daß die Bundesregierung unterscheidet. Wir haben Glück, Bundesregierung aufgefordert wird, überall dort, wo daß nicht gerade Wahlkampfzeit ist; denn dann hätte mit nachwachsenden Rohstoffen sinnvolle ökologi- leicht- der Überschwang die Feder führen können. sche Wege beschritten werden können, diese entspre- chend zu unterstützen. (Zuruf von der CDU/CSU: Unser Wahlkampf ist die Sacharbeit!) Als Abgeordneter aus Baye rn freue ich mich, daß das CSU-regierte Bayern die Vorreiterrolle bei den Ich kann mich sehr gut an die Wahlkampfzeit zur nachwachsenden Rohstoffen in Deutschland einge- Bundestagswahl 1990 erinnern, als Ihr verehrter Herr nommen hat. Als deutscher Abgeordneter freue ich Kollege Krause, der jetzige Verkehrsminister, keine mich, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Vor- Wahlkampfveranstalung in Mecklenburg-Vorpom- reiterrolle bei nachwachsenden Rohstoffen in Europa mern ausließ, um den Bauern die Segnungen der eingenommen hat. nachwachsenden Rohstoffe zu empfehlen, insbeson- dere des Rapses. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P. — Horst Sielaff [SPD]: (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Kluger Und als Europäer?) Mann! — Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Er hat viel angestoßen! — Dr. Uwe Küster [SPD]: Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, Umgestoßen hat er viel!) ich wünsche mir, daß nach der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag die Idee der nachwachsenden Er hat damit offensichtlich Erfolg gehabt. Nicht nur, Rohstoffe in der ganzen Bandbreite noch mehr Anhän- daß das Stimmergebnis für die CDU/CSU in Mecklen- ger findet. Heute abend um 20.30 Uhr wird Franz Alt burg-Vorpommern stimmte, sondern wer im vergan- eine Sendung unter dem Thema „Flucht aus dem genen Jahr durch Mecklenburg fuhr, der konnte Treibhaus" moderieren. Auch die heutige unnormale erstaunt feststellen, wieviel große Rapsschläge dort in Januartemperatur in Bonn zeigt, daß wir über dieses der Zwischenzeit bestellt wurden. Thema intensiv diskutieren müssen. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Was hätten Wir sind es unseren Kindern und Enkelkindern Sie angebaut?) schuldig, die verantwortungslose Plünderung von Spätestens die EG-Agrarreform ließ die Mecklen- fossilen Rohstoffen einzudämmen. Nachwachsende burger Bauern diesen Traum vergessen. Was übrig- Rohstoffe können einen Beitrag zu deren Einsparung bleibt, das sind stillgelegte Anbauflächen und nicht in leisten. Erfüllung gegangene Hoffnungen. Dies ist genau der Vielen Dank. falsche Politikansatz, der sich leider im Entschlie- ßungsantrag der Koalitionsfraktionen wiederfindet. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer die Beantwortung unserer Großen Anfrage ernst nimmt und dennoch einen solchen Entschlie- ßungsantrag auf den Weg bringt, der weckt bewußt Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und mehr Hoffnungen, als zur Zeit erfüllbar sind. Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen Karl-Heinz Schröter. (Ulrich Klinkert [CDU/CSU]: Erst einmal lesen!) Bei nüchterner Einschätzung der gegenwärtigen kurz- und mittelfristigen Einsatzmöglichkeiten von Karl-Heinz Schröter (SPD): Herr Präsident! Meine nachwachsenden Rohstoffen muß man feststellen, daß Damen und Herren! Verehrter Kollege Bredehorn, Sie die großen Erwartungen, die an ihren Anbau und werden, wie ich vermute, in meiner Rede sehr viel ihren Einsatz geknüpft waren, nicht gerechtfertigt mehr Anknüpfungspunkte finden, als bei allem Wohl- sind. Das betrifft sowohl die erhofften positiven Aus- wollen zwischen Ihrer Rede sowie den Reden der wirkungen im Bereich der Ökologie als auch die Kollegen Deß und Carstensen zu finden sind. wirtschaftlichen Impulse in der Landwirtschaft. (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Eine solche (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Es kommt Koalition gibt es nicht!) immer auf die Phantasie an, die die Leute — Noch nicht. haben!) Zunächst aber, meine Damen und Herren, gestatten Als größter Nachteil der nachwachsenden Rohstoffe Sie mir, daß ich der Bundesregierung meinen Dank stellt sich immer wieder die Frage der fehlenden zolle, und zwar für die Art der Beantwortung unserer Wettbewerbsfähigkeit heraus. Dabei will ich nicht 11412 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Karl-Heinz Schröter verkennen, daß in einigen Bereichen deutliche Fort- ist es tatsächlich sinnvoll und möglich, durch zeitlich schritte auf dem Gebiet der Gebrauchseigenschaf ten, begrenzte finanzielle Anreize die Nachfrage so zu aber auch bei der Verringerung der Produktions- erhöhen, daß sich die Gesamtkostenbilanz im Ver- kosten gemacht wurden. Es nutzt keinem, wenn man gleich zu den Mineralölen ausgleicht. versucht, die Wettbewerbsfähigkeit flüssiger Bio- Wer allerdings den Taschenrechner zur Hand kraftstoffe durch das Herausrechnen einer noch nimmt und prüft, wieviel Prozent der durch die Bun- hypothetischen CO2-Steuer schönzureden. Man desregierung erwarteten freiwerdenden Flächen da- kommt einfach nicht an der Tatsache vorbei, zu durch tatsächlich genutzt werden können — oder bekennen, daß unter den gegenwärtigen und mittel- besser gesagt: könnten —, wenn diese Produkte den fristigen Preisniveaus die Förderung der Biokraftstoffe Markt zu 100 % erobern würden, der stellt fest, daß sie in eine Subventionssackgasse führt. mit etwas mehr als 3 % kaum ins Gewicht fallen. Hier (Beifall bei der SPD) ist der entscheidende Nachteil, der auch in der Beant- Gerade deshalb muß das Hauptaugenmerk in For- wortung der Großen Anfrage durch die Bundesregie- rung deutlich wird. Die gegenwärtig praxisrelevanten schung, Entwicklung und finanzieller Förderung dar- - auf gerichtet werden, das Grundlagenwissen zu Anwendungsmöglichkeiten, die nicht in eine Subven- erweitern, um zukünftige Perspektiven rechtzeitig zu tionsfalle führen, reichen bei weitem nicht aus, um die erkennen, Anwendungsfälle mit nachweislich positi- zu erwartenden Flächenstillegungen aufzufangen. ven Umweltaspekten verstärkt zu fördern, Subventio- Gerade deshalb wächst die Bedeutung der Auffor- nen dort vorzunehmen, wo zu erwarten ist, daß sie stung insbesondere in den neuen Bundesländern. nach einer Anlaufphase durch höhere Nachfrage die (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Richtig! Produktionskosten auf ein wettbewerbsfähiges Ni- Volle Unterstützung!) veau zurückgehen und wo die Gebrauchseigenschaf- ten von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen Der Wald ist nicht nur Produzent des wichtigsten schon jetzt denen der Produkte aus Mineralölen Lebensmittels, nämlich Sauerstoff, sondern darüber überlegen sind. hinaus der klassische Produzent von nachwachsen- den Rohstoffen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Darüber hinaus muß unsere ganze Kraft der Erhal- In der Beantwortung der Großen Anfrage stellt die tung, Gesundung und Erweiterung des ältesten Spen- Bundesregierung fest, daß die Rahmenbedingungen ders nachwachsender Rohstoffe, nämlich des Waldes dafür ausschlaggebend sein werden, wieviel von der gelten. freiwerdenden Fläche tatsächlich aufgeforstet werden Gute Ansätze für eine zukünftige Anwendung wird. Ich teile in diesem Zusammenhang das Bera- haben aus meiner Sicht die synthetischen Ester als tungsergebnis der PLANAK, bereits im Rahmenplan Hydraulik- bzw. Getriebeöl, die Stärke in der Verpak- 1993 bis 1996 den erweiterten Möglichkeiten der kungsindustrie sowie die Biomasse zur Erzeugung der Förderung der Erstaufforstung zu entsprechen, weil Grund- bzw. Spitzenwärmelast in kombinierten Ver- dies ein erster Schritt zur Schaffung günstiger Rah- brennungsanlagen. menbedingungen ist. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Jetzt Gleichzeitig möchte ich die Bundesregierung daran kommt doch die Einsicht!) erinnern, daß der Bund mit der deutschen Einheit Insbesondere halte ich die synthetischen Ester für Eigentümer großer Flächen in den neuen Bundeslän- förderungswürdig. Sie können schon heute zu mehr dern geworden ist. Hier gilt es, gemeinsam mit den als 50 % aus Rapsöl hergestellt werden und übertref- Landesregierungen Aufforstungsprogramme festzu- fen schon jetzt ihre Konkurrenz aus Mineralöl beim legen, und zwar noch bevor die Treuhand diese Einsatz in der Fahrzeughydraulik in allen relevanten Flächen vermarktet hat. Eigenschaften. (Beifall bei der SPD) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Also doch Dies trifft insbesondere auf die Länder Brandenburg Rapsfelder!) und Mecklenburg-Vorpommern zu, die eine Vielzahl — Ich komme noch darauf zurück, Kollege Hornung. von mageren Böden aufweisen. — Unbestritten ist darüber hinaus ihre gute Umwelt- Nicht hohe Dauersubventionen — da sind wir wie- verträglichkeit, weil alle Leckverluste biologisch abgebaut werden. der einer Meinung — in Bereichen, die offensichtlich trotz günstigerer Voraussetzungen durch die EG Allerdings scheuen sowohl die Hersteller von Land- Agrarreform in diesem Jahrzehnt nicht wettbewerbs- maschinen als auch ihre Anwender vor ihrem Einsatz fähig werden — wie beim Biodiesel —, sondern hohe zurück, da die höhere Qualität auch einen deutlich finanzielle Anreize für die Erstaufforstung haben in höheren Produktionspreis sowie einen sehr deutlich der Zukunft die erhofften ökologischen sowie wirt- höheren Entsorgungspreis hat. Diese höheren Preise schaftlichen Effekte zur Folge. sind allerdings zu einem guten Teil den gegenwärtig noch geringeren Produktions- und Entsorgungsmen- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: gen geschuldet. Klingt vernünftig!) Darüber hinaus sehen sich viele Landmaschinen- Ich würde mich sehr freuen, wenn Verkehrsminister produzenten auch noch nicht veranlaßt, ihre Maschi- Krause genauso viel Liebe für den Wald wie für den nen für die Benutzung von Bioölen freizugeben. Hier Raps entwickeln könnte und sich, wenn schon nicht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11413

Karl-Heinz Schröter für die Aufforstung, dann wenigstens für ein generel- in der Verringerung der CO2-Emissionen. Man muß les Tempolimit einsetzen würde. sich aber darüber im klaren sein, daß schon aus (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke wirtschaftlichen Gründen im Ersatz fossiler Energie- Liste) träger nicht der Schwerpunkt der Möglichkeiten zur Verwendung nachwachsender Rohstoffe liegen kann. Meine Damen und Herren, die Beantwortung unse- Es gibt noch große Unsicherheiten, z. B. im Hinblick rer Großen Anfrage hat bewiesen, daß die Haltung der auf die Umweltverträglichkeit. Aber auch die techni- SPD zur Problematik der nachwachsenden Rohstoffe schen Probleme sind noch sehr groß. Wie auch die damals wie heute richtig war und ist. Nachwachsende Studie des Bundesministeriums für Forschung und Rohstoffe werden ganz sicher an Bedeutung gewin- Technologie aufzeigt, ist hier noch erheblicher For- nen, wobei sie aber gegenwärtig und kurzfristig keine schungsbedarf gegeben. Wunder bewirken werden. Wegen ihrer unbes trittenen langfristigen Bedeu- Bessere Chancen sehen wir bei der Verwendung tung bin ich für die Koordinierung aller Aktivitäten nachwachsender Rohstoffe im Industrierohstoffsektor. zwischen Forschung, Industrie, Landwirtschaft und -Für diesen Einsatz müssen aber teilweise noch die technischen Voraussetzungen geschaffen werden, Ökologie. Aus diesem Grunde halte ich die Einrich- tung der Fachagentur zur Förderung nachwachsender was ebenfalls entsprechender Forschung bedarf. Rohstoffe für richtig. Weil die Frage der Agrarwirt- Die Verwendung von Schmieröl und Hydrauliköl schaft sowie der Schaffung von alternativen Arbeits- aus nachwachsenden Rohstoffen ist besonders in den plätzen im ländlichen Raum gerade in den neuen Bereichen notwendig und zu fördern, wo Boden oder Bundesländern von größter Bedeutung ist, gehört Gewässer belastet werden. Es ist ja so, daß ein Verlust diese Fachagentur in eines dieser neuen Länder, von von Hydraulikölen nicht zu vermeiden ist und daß denen ich weiß, daß sie sich alle fünf beworben haben. jährlich etwa 60 000 bis 80 000 t Hydrauliköl verloren- Zumindest zwei bieten alle Voraussetzungen dafür; gehen. Wenn die aus nachwachsenden Rohstoffen wer richtig nachdenkt, der kommt auf die beiden. Ich hergestellt würden und biologisch abbaubar sind, hoffe, daß das besondere Engagement der Minister dann wird die Belastung für Boden und Wasser Kiechle und Waigel für die Agentur nicht damit erheblich verringert. Mindestens 50 % der Motoren- begründet ist, daß auch Bayern großes Interesse schmieröle könnten durch umweltfreundliche Pro- angemeldet hat. dukte ersetzt werden. Der sorgsame Umgang der SPD mit dem Thema (Beifall bei der F.D.P.) nachwachsende Rohstoffe zeigt, daß dies für uns eine große Bedeutung hat. Deshalb sind wir nicht bereit, Teilweise gehen die Schätzungen sogar bis zum Entschließungsanträgen der Koalitionsfraktionen zu vollständigen Ersatz herkömmlicher Öle. folgen, die nur zu propagandistischen Zwecken gut Wir setzen uns dafür ein, daß die Verwendung sind, umweltfreundlicher Hydrauliköle und Schmierstoffe (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das neh-ausgeweitet wird. Deswegen begrüßen wir es auch, men Sie sofort zurück!) daß die Regierung die Ressorts angewiesen hat, bei der Beschaffung nur noch Produkte aus biologisch weil sie mehr versprechen, als nachwachsende Roh- abbaubaren Stoffen zu kaufen. Dies bezieht sich auf stoffe gegenwärtig halten können. den Bereich, der auch in unserem Antrag entspre- (Beifall bei der SPD — Siegfried Hornung chend genannt ist. Damit nimmt die Regierung meines [CDU/CSU]: Jetzt haben Sie sich aber wider Erachtens eine nicht unwesentliche Vorbildfunktion wahr.-sprochen!) (Zustimmung bei der F.D.P. und der CDU/ Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und CSU) Herren, ich erteile jetzt das Wort unserer Frau Kollegin Auch im Verpackungsbereich befindet sich ein Birgit Homburger. beträchtliches Potential für den Einsatz von Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen. Das wird oft ver- Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe kannt. Der Ersatz von Kunststoffen im Verpackungs- Kolleginnen und Kollegen! Die Einsatzmöglichkeiten bereich steht erst am Anfang; aber es gibt hier nachwachsender Rohstoffe sind, wie wir heute schon Möglichkeiten. Es sind auch schon einige alternative gehört haben, sehr vielfältig. Sie reichen von der Verpackungen entwickelt worden; häufig finden sie Verwendung als Brennstoff und als chemische Pro- sich aber noch im Verbund mit Kunststoffen, was sich dukte über Hydraulik- und Schmieröle bis zum Ersatz aus hygienischen Gründen erklärt, z. B. im Lebens- von Kunststoffen. Bisher ist die Diskussion allerdings mittelbereich. So gibt es längst den Joghurtbecher aus doch sehr verkürzt worden und kapriziert sich haupt- Stärke. Dieser ist schon lange entwickelt, aber eben sächlich auf die Verwendung nachwachsender Roh- noch nicht auf dem Markt. stoffe als Energieträger. Hier, denke ich, sind in der (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es gibt aber Vergangenheit in der Tat auch falsche Hoffnungen auch andere Dinge, die verpackt werden erweckt worden. müssen!) (Rudolf Müller [Schweinfurt] [SPD]: Sehr Es gibt auch Ersatz für Formteile aus Styropor, der aus richtig!) Stroh und Altpapier oder aber aus Altpapier und — es Das Hauptargument für die Verwendung von nach- wurde heute schon genannt — ge trockneten Bana- wachsenden Rohstoffen liegt bei den Energieträgern nenfaserschnitzeln besteht. 11414 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Horn- Verpackungsindustrie sollte das meines Erachtens als burger, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- eine Chance begreifen. gen Carstensen? (Zustimmung des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]) Birgit Homburger (F.D.P.): Gern. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß hier politisch durch Vorgaben nachgeholfen werden muß

— wie immer in solchen Fällen — , Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) durch Maßnahmen, die z. B. auch in der Novellierung Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): des Abfallgesetzes vorgesehen sind, die die Koalition Frau Kollegin, sind Sie mit mir der Ansicht, daß, sollte noch in dieser Legislaturperiode durchführen will. Ich es mit dem Unsinn losgehen, den Reichstag zu ver- fordere dazu, daß bei der Herstellung der Produkte packen, das auch mit nachwachsenden Rohstoffen bereits deren spätere Wiederverwertbarkeit und eben gemacht werden sollte? - auch die Entsorgungsmöglichkeiten bedacht werden. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Wir brauchen schlicht die Produktverantwortlichkeit der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der von der Herstellung bis zur Entsorgung. SPD) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Kreislaufwirt schaft! ) Birgitt Homburger (F.D.P.): Herr Kollege, in diesem — Eben Kreislaufwirtschaft. Genau, Herr Kollege Fall gebe ich jetzt meine ganz persönliche Meinung zu Heinrich. dieser Sache kund. Ich meine, das wäre dann wenig- (Zuruf von der SPD: Dann machen Sie stens eine intelligente, pfiffige Idee und einmal etwas das!) Neues. Insofern gebe ich Ihnen recht. — Wir werden das auch machen. Wie Sie wissen, Ich war beim Verpackungsbereich, und wenn wir haben wir ja im Umweltausschuß z. B. gestern gerade jetzt vom Reichstag wieder zu den Dingen zurück- zu diesem Themenbereich eine Anhörung beschlos- kommen, die uns für die Zukunft vielleicht eher sen. beschäftigen sollten, dann bleibt festzustellen, daß für Zur Energiegewinnung aus Biomasse kann man Verpackungen aus nachwachsenden Rohstoffen vor dann auch schnellwachsende Holzarten, Restholz, allem Zucker und Stärke verwendet wird und daß aus Massengetreide und verschiedene Schilfarten nutzen. Stärke, der einige Zusätze beigefügt werden, z. B. An Restholz z. B. fallen pro Jahr schätzungsweise 4 bis Folie hergestellt werden kann. Diese Zusätze haben 5 Millionen Tonnen an. Das entspricht einem Energie- den Vorteil, daß die Abbaubarkeit nicht beeinträchtigt äquivalent von 2,2 Millionen Tonnen Heizöl. Von dem wird. Restholz werden bisher lediglich 2 bis 3 % energetisch Wie das Fraunhofer-Institut in einer Untersuchung genutzt. Das ist nur das Restholz, und hier an sieht ermittelte, können durch Stärke im Verpackungsbe- man, welche Kapazitäten wir da ungenutzt verrotten reich 240 000 bis 500 000 Tonnen herkömmliches lassen. Verpackungsmaterial substituiert werden. Das hört sich viel an. Bei insgesamt 30 Millionen Tonnen Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Hom- Verpackungsmüll aus Haushalten und Kleingewerbe, burger, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des der bei uns im Jahr anfällt, macht diese zunächst Kollegen Oostergetelo? enorm erscheinende Menge allerdings nur 1,6 % aus. (F.D.P.): Immer. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Aber im- Birgit Homburger merhin!) Bei der Menge anfallenden Mülls bin ich allerdings Jan Oostergetelo (SPD): Frau Kollegin, Sie haben der Meinung, daß die Möglichkeit voll ausgeschöpft von Visionen gesprochen und gesagt, daß das nur werden sollte. Der Zucker- und Stärkebedarf könnte 1,6 % ausmacht. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu auch aus inländischer Produktion gedeckt werden. nehmen, daß ich Verpackungen und Tragetaschen Mittelfristig bedeutete diese Substitution eine Flä- aus Plastik ohne jede Schwierigkeit schon heute durch chenbindung von maximal 350 000 Hektar bis zum 12 % organische Substanz ersetzen kann, z. B. durch Jahr 2005. Das entspräche knapp 4 % der derzeit Stärke, und daß das schon genügt, um die Abbaubar- genutzten landwirtschaftlichen Fläche. keit, die Verrottung durchzusetzen? Die Vision ist schon ein Stück Realität. Jedenfalls besteht die Mög- Es ist meines Erachtens anzustreben, daß wir bei lichkeit. Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu neh- diesem Thema vielleicht auch einmal — auch wenn men? wir heute so realitätsbezogen diskutieren wollen, wie wir heute schon mehrfach gehört haben — ein bißchen an Visionen denken. Da denke ich, daß doch anzu- Birgit Homburger (F.D.P.): Selbstverständlich bin streben ist, daß Verpackungen zukünftig vielleicht ich immer bereit, zur Kenntnis zu nehmen, was Sie mir nur noch aus abbaubaren Substanzen bestehen soll- erklären, Herr Kollege. Ich danke Ihnen. ten. Dazu könnte z. B. auch Biopol einen Beitrag (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: leisten, das von Bakterien aus Zucker hergestellt wird. Vor allem, wenn es stimmt! — Dr. Albert Solche biologisch abbaubaren Verpackungen müs- Probst [CDU/CSU]: Es stimmt nur zum Teil! sen dann auch verstärkt zum Einsatz kommen. Die — Weitere Zurufe — Heiterkeit) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11415

Birgit Homburger — Ich freue mich ja ungeheuer, meine Damen und satz von Pflanzenschutzmitteln. Letztlich darf das aber Herren Kollegen, daß ich heute so zur Belustigung nicht zu neuen Dauersubventionstatbeständen füh- beitragen kann. ren. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie dürfen ihm Ich möchte doch noch ein paar Worte dazu sagen, nicht alles glauben!) Rapsöl-Methylester als Ersatz für Dieselkraftstoff ein- zusetzen. Da hat der Kollege Lennartz von der SPD, — Ich darf doch zur Kenntnis nehmen. Er darf doch der ja leider nach seiner Rede ging, ja bemängelt, daß erzählen, was er will, ich nehme es zur Kenntnis, und die Studie des Umweltbundesamtes nicht vorläge. Es damit hat sich die Sache erledigt. ist in der Tat so, daß das Umweltbundesamt mit seiner (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und der Studie noch nicht fertig ist, was die Ökobilanz angeht. CDU/CSU) Allerdings gibt es einige Ergebnisse. Ich war gerade bei den Kapazitäten des Restholzes, (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) die wir ungenutzt verrotten lassen. Da liegt ein Poten- — Bekommen kann man die schon, Herr Kollege. Nur: tial an CO2, das eingespart werden kann, wenn Der Kollege Lennartz hat hier verkündet, daß sie unter verstärkt z. B. auch schnellwachsende Holzarten Verschluß gehalten würde. Man hätte nur die Presse- angepflanzt und zur Energiegewinnung genutzt wür- mitteilung der F.D.P., basierend auf einer fraktionsin- den. Die Frage, inwiefern das dazu beitragen kann, ternen Anhörung der F.D.P. zu nachwachsenden kann allerdings derzeit keiner richtig beantworten. Im Rohstoffen vom Dezember letzten Jahres, lesen müs- Bereich der Berechnung solcher Einsparmöglichkei- sen, dann hätte man gesehen, was das Umweltbun- ten ist nämlich der.Nachholbedarf noch recht groß. desamt zum Rapsöl-Methylester sagt. Bei den schnellwachsenden Schilfarten ist vor allem (Zurufe von der CDU/CSU) das China-Schilf zu nennen. Es hat eine relativ lange Lebensdauer von ca. 20 Jahren und kann jährlich Kurz und gut: Es ist sicherlich so, daß es eine Reihe abgeerntet werden. Die Erträge können auf bis zu von positiven Aspekten bei Rapsöl-Methylester gibt, 29 Tonnen je Hektar gesteigert werden, und schließ- aber auch eine ganze Reihe von Schwierigkeiten. lich erzeugt dieses China-Schilf 15mal mehr Biomasse Deswegen sehe ich darin nicht den Weg, den man pro Flächeneinheit als durchschnittlicher Wald. Es hauptsächlich gehen sollte. muß jedoch darauf geachtet werden, daß der Anbau (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Nicht den nicht auf kontaminierten Böden erfolgt. Das ist meines einzigen!) Erachtens vor allem bei der Diskussion in den neuen — Nicht den einzigen Weg, aber auch nicht den Weg, Bundesländern, wo man jetzt darüber nachdenkt, den man hauptsächlich gehen sollte. Es gibt eine solche Dinge teilweise auf kontaminierten Böden ganze Reihe von Problemen, Herr Kollege. Insofern, anzubauen, ein Problem, weil z. B. Schwermetalle, die denke ich, ist der Rapsöl-Methylester in der Vergan- von Pflanzen aufgenommen worden sind, bei einer genheit überschätzt worden. Verbrennung wieder freiwerden können. Unter Umweltgesichtspunkten muß man da jedenfalls auf- Abschließend, meine Damen und Herren, fordert passen. die Koalition, also auch meine Fraktion, das Umwelt- ministerium dringend auf, die Altölverordnung zu Ein weiterer Punkt ist natürlich die Frage, welche ändern, um die Entsorgung der pflanzlichen Öle zu Auswirkungen auf das Klima z. B. bei großflächigem vereinfachen, die natürlich auch irgendwann einmal Anbau von China-Schilf zu erwarten sind. Andere zu Abfall werden, und zwar dergestalt, daß die Altöle Punkte mehr sind ungelöst. Aber ich denke, man kann zusammen mit anderen Ölen, die nicht der Zweitraf- das nicht einfach nur so stehenlassen, sondern sollte fination zugeführt werden können, verbrannt werden auch in diesem Bereich weiter forschen. können. Damit würde automatisch eine Benachteili- Es gibt eine Modellrechnung, nach der ein Biokraft- gung der pflanzlichen Öle beseitigt. werk bei einem täglichen Bedarf von 17 Tonnen Stroh Darüber hinaus ist die Koordination der For- Wärme für 750 Wohnungen und Elektrizität für mehr schungsmaßnahmen dringend notwendig. Deshalb als 4 500 Einwohner liefern kann. Der Nachschub erwartet die F.D.P.-Fraktion von der Regierung die käme von einer 150 Hektar großen Fläche, und das im baldige Einrichtung der Agentur „Nachwachsende Umkreis von 6,5 Kilometern. Ich denke, das ist doch Rohstoffe". Dafür werden wir uns einsetzen. Ich wirklich eine Vision, der man einmal nachgehen denke, das ist ein richtiger Weg. Wenn der Kollege sollte. von der SPD vorhin eine gute Rede gehalten hat, aber Eine Substitution fossiler Energien durch nach- die falsche Schlußfolgerung zieht, dann können wir wachsende Rohstoffe darf nicht zu Lasten der Umwelt ihm auch nicht mehr helfen. gehen. Bei mehrjährigen Pflanzen ist eine großflä- Danke. chige Ausdehnung zu vermeiden, um negative Umweltfolgen zu verhindern. Bei einjährigen Pflan- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zen kann die Flächenausdehnung um so größer sein, je mehr unterschiedliche Pflanzen in die Fruchtfolge eingebunden sind. Auch hier besteht aber noch Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Hom- erheblicher Forschungsbedarf hinsichtlich ökologi- burger, Sie haben Ihre Redezeit beträchtlich über- scher Auswirkungen. schritten; das wollte ich nur sagen. Umweltverträglicher Anbau heißt dann aber auch: Ich erteile jetzt unserem Kollegen Helmut Lamp das bedarfsgerechte Düngung und aber sparsamer Ein- I Wort. 11416 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Helmut Lamp (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Landwirtschaft ein, ohne daß sie ausreichend Damen und Herren! Wir stehen vor rapide wachsen- Fachkenntnisse besitzen. Dies zeigt sich auch im den Umweltproblemen, deren eigentliche Ursache in Fall des Einsatzes von Rapsöl-Methylester in der Bevölkerungsexplosion liegt. 1930 lebten auf konventionellen Dieselmotoren. Ganz offensicht- unserer Erde rund zwei Milliarden Menschen. Noch in lich werden hier Erkenntnisse zu nativem Rapsöl, den neunziger Jahren wird es über sechs Milliarden Rapsöl-Methylester, konventionellen Motoren Menschen geben, die versorgt werden müssen und für und „Elsbett-Motor" durcheinander geworfen, so die Entsorgung betrieben werden muß. Neben grei- daß ein falscher Eindruck über die Umweltwir- fenden Programmen, um das Bevölkerungswachstum kungen entstehen muß. zu bremsen, kann nur eine Kombination vieler sich Das war im Mai letzten Jahres. Wir brauchen, ergänzender Maßnahmen die sich aufbauenden Pro- glaube ich, nicht zu raten, wie das Gutachten dieses bleme mildern. Amtes im Januar 1993 aussehen wird. Ganz sicher gehört hierzu auch die Rückbesinnung auf umweltfreundliche, natürliche Werkstoffe, Pro- In Zeiten des knappen Geldes, werden natürlich die dukte und Energieträger, die Rückbesinnung auf die finanziellen Aspekte in den Vordergrund gestellt. vieldiskutierten nachwachsenden Rohstoffe. Natür- Natürlich muß hinterfragt werden, welche Förderung lich können auch diese nachwachsenden Rohstoffe welcher Energieträger und Rohstoffe auch ökono- nur zu Teillösungen in bestimmten Bereichen beitra- misch vertretbar ist. Aber auch hier wird mit zweierlei gen. Wie hoch dieser Beitrag sein kann, wird jedoch Maß gemessen: Es wird z. B. laut beklagt, daß es zur — auch das haben wir heute abend gehört — sehr Zeit 20 bis 40 % teurer ist, Holz und Stroh zu verheizen unterschiedlich gesehen. Die Diskussion hierüber als die billigste Alternative, das Erdöl. Dagegen wird wird nur ausnahmsweise sachbezogen, objektiv und der Sinn der Subventionierung z. B. der Windkraft sauber wissenschaftlich begründet geführt. Je nach nicht in Frage gestellt. Interessenhintergrund klaffen die Meinungen und In das kleine Bundesland Schleswig-Holstein sind Einschätzungen weit auseinander. CO2-Einsparmög- zig Millionen DM Baukostenzuschüsse für Windkraft- lichkeiten, Wirtschaftlichkeit, Erzeugungspotentiale, anlagen geflossen — ich bin selbst Miteigentümer landschaftsprägende Folgen, Energie-In- und -Out- einer Windkraftanlage —; trotzdem mußte das schles- put, Anbauintensität, alles, alles ist umstritten. In wig-holsteinische Energieversorgungsunternehmen keinem Bereich gibt es allseits anerkannte Grundla-- Schleswag im Jahre 1992 für die abgenommenen gen. 86 MW Windenergie über 12 Millionen DM Subven- In dieser Situation sind weder Euphoriker noch tionen zahlen, was durchaus Sinn machen kann; denn Zweckpessimisten hilfreich. wir können die Überlegungen zur CO2-Einsparung beenden, wenn dies kein Geld kosten darf. Es fällt nur (Dr. Albert Probst [CDU/CSU]: Jawohl!) auf — dies wollte ich hiermit betonen —, daß die Zu den Euphorikern zähle ich Herrn Stender, der im Windenergieförderung in den öffentlichen Diskussio- Rahmen eines parlamentarischen Abends hier in nen kein Thema ist. Bonn vorrechnen wollte, daß Deutschland durch den (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist gut!) Anbau von China - Schilf innerhalb von fünf Jahren nicht nur den eigenen Bedarf decken, sondern auch Windkraft wird positiv-optimistisch gesehen, nach- noch Energie exportieren könnte. Durch solch für wachsende Energieträger werden pessimistisch jedermann ersichtlich überzogenen Optimismus wird negativ verkauft. Man fragt sich, wo möglicherweise der gesamte Diskussionsansatz unglaubwürdig. die tieferen Gründe liegen können. Diese sind mehr- fach gegeben: Einerseits dulden gewichtige interna- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der tionale Konzerne nur widerwillig die Entwicklung von F.D.P. und der SPD) Konkurrenzansätzen. Aber es gibt weitere Vorbe- Andererseits erwarten wir in nächster Zeit einen halte, die nur sehr selten genannt werden und die Beitrag des Umweltbundesamtes zum Thema Rapsöl auch heute abend nicht zur Sprache gekommen Methylester. Wir brauchen auf das Ergebnis dieser sind. Ausarbeitungen nicht besonders gespannt zu sein. Nach mehreren persönlichen Erfahrungen, die ich mit Ich möchte an den Bericht der schleswig - holsteini- diesem Amt machen mußte, ist mir von vornherein schen Landesregierung vom 15. August 1991 über sonnenklar, nachwachsende Rohstoffe erinnern. Wir können auf Seite 88 lesen: (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Was heraus- kommt!) Unabhängig von den ökologischen Chancen und Risiken, die mit dem Anbau nachwachsender — ja, was herauskommt, nämlich daß uns eine im Rohstoffe verbunden sind, muß beachtet werden, Ergebnis negative Bewertung des Einsatzes von Raps- daß der Anbau nachwachsender Energieträger öl-Methylester vorgelegt werden wird. landwirtschaftliche Flächen beansprucht und Nachdem dieses Bundesamt im letzten Jahr Rapsöl- damit in Konkurrenz zu den Flächenbedürfnissen verbrennungswerte mit denen des Rapsöl-Methyl- des Natur- und Umweltschutzes tritt. esters vertauscht hatte, schrieb am 17. Mai 1991 Das ist es: Man gönnt den Landwirten keine zusätz- Dr. Wendisch vom BML auf eine entsprechende lichen Einnahmequellen, sondern will das Land der Anfrage aus Kiel: Bauern zu Schleuderpreisen, um sich auf deren Eigen Mitarbeiter des UBA nehmen oft eine grundsätz- tum ökologisch zu verwirklichen. Der Umweltminister lich negative Haltung gegenüber Aspekten der des Landes Schleswig-Holstein beabsichtigt, 15 bis Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11417

Helmut Lamp 20 % des Landes aufzukaufen oder für billiges Geld zu nachwachsenden Rohstoffe so viel Wind gemacht, daß pachten. Das ist seine erklärte Absicht. Das kann er man damit manche Windturbine betreiben könnte. natürlich nur, wenn das Land nichts kostet. (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Aber zum Glück gibt es auch in der schleswig- CSU ) holsteinischen Landesregierung noch besonnene Ver- Sie haben auch das Tankerunglück angesprochen. antwortungstragende, die Konsens und Zusammenar- Alles ist hier momentan sehr emotional. Sie könnten beit mit den Bauern suchen und bereit sind, unter mit Wärmedämmung Hunderte von Tankern einspa- sachlicher Berücksichtigung aller Aspekte den Anbau ren, aber Sie blockieren ja vernünftige Regelungen und die Verwendung nachwachsender Rohstoffe zu auf diesem Gebiet. beleuchten. Ebenfalls zu den Besonnenen zähle ich den Vorsit- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: So ist zenden der Vereinigung Eurosolar — ich gehöre das!) dieser Vereinigung an — und Bundestagsabgeordne- Mit dem Rapsöl-Methylester könnten Sie einige ten Dr. Scheer, der Ihrer Fraktion angehört. wenige Tanker einsparen. (Zuruf von der F.D.P.: Hochinteressant!) Dann wird in Ihrem Antrag — das wurde auch Ich zitiere Herrn Dr. Scheer: bereits angesprochen — das Duale System behandelt. Wenn Treib- und Brennstoffe durch Solarenergie Dazu muß ich sagen: Wer das anspricht, versteht entweder nichts vom Dualen System, oder er versteht ersetzt werden sollen — daran führt kein Weg nichts von Kunststoffen aus nachwachsenden Rohstof- vorbei —, dann gibt es dafür nur die Ansätze „solarer Wasserstoff" und „Energiepflanzen", fen, denn beides schließt sich aus, wenn man nicht wobei letztere den Vorteil haben, wesentlich Holz meint. schneller und kostengünstiger zur Verfügung zu Vorhin wurde darauf hingewiesen, daß die Industrie stehen. Eine Absage wäre deshalb ökologisch mit 10 % natürlichen, nachwachsenden Rohstoffen schlicht und einfach unverantwortlich. arbeitet. Dabei wurde aber vergessen zu sagen, daß Diese Worte möchte ich uneingeschränkt unterstrei- der größte Teil aus den Tropenländern kommt und chen. leider nicht bei uns wächst, weil wir längst noch nicht so weit sind. Abschließend, meine Damen und Herren, möchte - ich daran erinnern, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit Dem Deutschen Bundestag liegt ein Entschlie- bereits in einem Jahrzehnt die durch die verantwor- ßungsantrag der Koalitionsfraktionen vor. Er ist nach tungslose Vergeudung von fossilen Energieträgern einem wohlbekannten Strickmuster gefertigt. Teil hervorgerufenen Klimaveränderungen das zentrale eins heißt: Hoffnungen wecken. Teil zwei heißt: Män- Umweltproblem sein werden. Es wird Zeit, daß wir gelliste erstellen. Teil drei heißt: Hoffnungen nicht endlich den sich bietenden Chancen der nachwach- erfüllen. senden Rohstoffe als eines zumindest teilweisen Was erhoffen sich eigentlich die Landwirte, meine Ersatzes von Öl, Gas und Kohle unvoreingenommen Damen und Herren, von den nachwachsenden Roh- und ideologiefrei auf den Grund gehen. Alles in allem, stoffen? Ich habe manches Gespräch zu diesem liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich sagen, Thema geführt. daß die Debatte des heutigen Abends ein Beitrag zur Versachlichung des Themas war. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Subventionen!) Ich danke Ihnen. — Sie erhoffen sich ein Einkommen ohne Subventio- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nen. Nachdem diese Rechnung bisher nicht aufge- gangen ist, haben Sie eine neue Hoffnung. Diese Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Hoffnung wird von Verbandspräsidenten, wird von Herren, ich erteile unserem Kollegen Horst Ku- Politikern noch bestätigt und gestützt. Diese neue batschka das Wort. Hoffnung trägt den Namen „nachwachsende Roh- stoffe", ein Zauberwort, hofft man doch, mit diesem Zauberwort aus dem Subventionssumpf herauszu- Horst Kubatschka (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- kommen. Dazu müßten die nachwachsenden Roh- dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte stoffe massenweise angebaut werden. In großen Flä- kurz auf einige Wortbeiträge eingehen, die zuvor von chen würde unser Land gelb blühen. der Koalition gekommen sind. Ich habe mich schon (Zurufe von der F.D.P.: Blau-gelb!) gewundert, als die Kollegen Carstensen und Lamp von der Windenergie und von den Windturbinen Heißen diese Strohhalme jetzt Rapsöl und Chinaschilf gesprochen haben. Ich habe immer noch nicht festge- oder Heilpflanzen? stellt, daß man Windturbinen sähen kann und daß sie Zwei Namen möchte ich nennen, Namen von Poli- dann aufwachsen. Für mich war völlig neu, daß das tikern, die falsche Hoffnungen erwecken. Erstens nachwachsende Rohstoffe sind. möchte ich den bayerischen Landwirtschaftsminister (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ihr seid Hans Maurer zitieren. Er sagt: Ein nahezu unbegrenz- eben nicht auf der Höhe der Zeit!) ter Absatzmarkt bietet sich inzwischen bei der ener- getischen Verbrennung von Biomasse. Später habe ich dann mitbekommen, warum Sie dieses Thema eingeführt haben. Sie haben nämlich Forschungsminister schreibt: um ihren Entschließungsantrag in bezug auf die Die Schätzungen des Flächenpotentials für diesen 11418 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Horst Kubatschka Absatzbereich liegen in Größenordnungen bis zu kommen. Alle Kollegen freuen sich so über die Frage, 3 Millionen ha, die etwa bis zum Jahre 2005 erreicht daß sie Zwischenrufe machen müssen. werden könnten. (Zuruf von der F.D.P.: Zwölf!) — Da nennt einer die Zahl zwölf. Da ist einer noch Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): optimistischer und versucht, Hoffnungen aufzublä- Ich wiederhole: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu hen. nehmen, daß Ihr Kollege Müller davon sprach, daß nachwachsende Rohstoffe hier einen Weg öffnen Das Entscheidende ist dabei das Wort „könnten". können? Das Wort „können" taucht im Antrag der Koalitions- fraktionen immer wieder auf. Ich zitiere nur einen Satz: Nachwachsende Rohstoffe können einen positi- Horst Kubatschka (SPD): Natürlich. Wir sprechen ven Beitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung immer von „können". Aber das daraus keine Konse- leisten. quenzen gezogen werden, das ist das Fatale. „Kön- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist es! nen", das ist die Möglichkeitsform. Sie aber erzeugen Wollen Sie das bestreiten?) Hoffnungen und unterdrücken immer das „können". — Hören Sie weiter zu. Natürlich bestreite ich das Das ist eben der Unterschied. Da kann man sehr genau nicht. manipulieren, und die Landwirte machen sich falsche Hoffnungen. Darauf heben Sie ab. Sie machen immer Die Studie des Umweltbundesamtes „Ökologische Bilanz von Rapsöl bzw. Rapsölmethylester als Ersatz schlaue Presseerklärungen. Da ist immer von Hoff- von Dieselkraftstoffen" gibt dazu eine klare Ant- nungen die Rede. Dann jedoch heißt es, Sie können sie wort. nicht finanzieren, und deshalb könne man es nicht machen. Deswegen habe ich darauf abgehoben. (Albert Deß [CDU/CSU]: Wo haben Sie die Studie her?) Noch einmal: Was sagt das Umweltbundesamt dazu? — Durch Rapsöl können 1,6 % des Dieselkraft- — Die können Sie von mir haben, Herr Kollege. Ich stoffes ersetzt werden. habe sie mir nämlich besorgt und auch durchgelesen. Wenn sie nicht veröffentlicht wird, kriegen Sie sie (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Können!) gerne auf dem kollegialen Weg von mir, damit Sie - — Können. Ja, natürlich. Durch Rapsöl können aber einmal etwa Schlaues lesen können. nicht mehr als 1,6 % ersetzt werden. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Zuruf von der F.D.P.: Sie können auch nicht Sehr großzügig!) mehr!) Das ist ein positiver Beitrag zur Energieversorgung. Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das kann Kubatschka, gestatten Sie eine Zwischenfrage des einer sein! -- Weitere Zurufe von der CDU/ Kollegen Carstensen? CSU: Es können mehr sein!) — Nein, es können leider nicht mehr sein. Herr Horst Kubatschka (CDU/CSU): Ja, selbstverständ- Kollege, es ist wirklich dringend notwendig, daß Sie lich. Im Gegensatz zum Verteidigungsminister weiß das Gutachten in die Hand bekommen, damit Sie nicht ich nämlich, daß das nicht auf die Redezeit angerech- so dumme Zwischenrufe machen. net wird. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber wir (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Gehört das können das gar nicht in die Hand bekommen, auch zum Thema?) wenn nur Sie es haben!) — Aber Herr Rüttgers, wenn Sie als Geschäftsführer so Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): wenig fähig sind, ein Gutachten, das sich in allen Herr Kollege, wissen Sie denn auch, daß Sie gerade interessierten Händen befindet, auch zu bekommen, das Wort „können" in unserem Antrag angesprochen dann haben Sie eigentlich Ihre Funktion als haben, daß gerade darauf Wert gelegt wurde, als ich Geschäftsführer nicht erfüllt. den Kollegen Müller aus Ihrer Fraktion zitierte? Dazu (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es ist nicht kam ein Zwischenruf aus Ihrer Fraktion, der lautete: veröffentlicht! Es ist nicht autorisiert! Also Siehst du wohl, er hat aber von „können" gespro- gibt es kein Gutachten!) chen! Aber ich helfe auch Ihnen gerne aus. Ich darf Ihnen jetzt noch einmal kurz zitieren, was der Kollege Müller in der Agrardebatte gesagt hat. (Beifall bei der SPD — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ich konnte mich ja nicht darum (Horst Sielaff [SPD]: Ist das eine Frage?) bemühen, weil Sie das Exemplar haben!) — Ja. Herr Müller sagte: Nachwachsende Rohstoffe — Es gibt mehrere Exemplare. Sie versuchen in bezug können hier einen Weg öffnen. — Sind Sie bereit, das auf dieses Gutachten vorsorglich sehr viel. Sie wissen, zur Kenntnis zu nehmen? daß Ihnen das Ergebnis nicht passen wird. Deswegen (Zuruf von der CDU/CSU) wurde es ja auch zurückgehalten. (Birgit Homburger [F.D.P.]: Ja, was denn Horst Kubatschka (SPD): Entschuldigen Sie, der nun: Liegt es vor, oder wurde es zurückge letzte Teil Ihrer Ausführungen ist bei mir nicht ange- halten?) Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11419

Horst Kubatschka Deswegen wurde politischer Druck ausgeübt. halte ich für unfair. Ein Gutachten, das nicht paßt, wird (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist eine madig gemacht. Unterstellung!) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Es ist nicht Selbst Ihr Chef hat es blockiert. Diesem Gutachten veröffentlicht und nicht autorisiert!) könnten Sie z. B. entnehmen — das können Sie nachlesen —, daß Tankerunglücke sehr wohl einkal- Vizepräsident Helmuth Becker: Kollege Ku- kuliert sind. batschka, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Kollegin Homburger? Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Kubatschka, gestatten Sie noch eine Zwischen- Horst Kubatschka (SPD): Ja, bitte. frage? Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Kollege, wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich mich in meiner Rede (SPD): Natürlich. Horst Kubatschka vorhin ausdrücklich auf dieses Gutachten des Umweltbundesamtes, das ich aus Zeitgründen leider Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Kollege nicht mehr näher ausführen konnte, bezogen habe Kalb. und wir mitnichten versuchen, die Ergebnisse der Studie des Umweltbundesamtes, sofern sie bisher Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Herr Kollege vorliegen, zurückzuhalten? Kubatschka, Sie haben soeben erwähnt, daß es meh- rere Exemplare von diesem Gutachten, das es off en- Horst Kubatschka (SPD): Frau Kollegin, es freut bar nicht geben sollte, gibt. Ich trage Sie, ob Sie mich, daß auch Sie das Gutachten haben. Das heißt bestätigen können, daß es diese Exemplare gibt. also: Wenn man guten Willens war und Interesse (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Ja, das wäre gehabt hat, konnte man es bekommen. Und Sie haben gut!) ja auch auf dieses Gutachten abgehoben, und dem Das ist für uns ein sehr interessanter Vorgang. habe ich ja bisher auch nicht widersprochen. Es ist bloß ganz erstaunlich, daß die großen Exper- Horst Kubatschka (SPD): Die Exemplare dieses ten in der CDU/CSU-Fraktion, die das so sehr propa- Gutachtens gibt es doch nicht nur bei mir, sondern -gieren und als Lösung an die Wand malen, nicht fähig auch in anderen Bereichen. waren, dieses Gutachten in die Hand zu bekom- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Wo werden die men. denn dann zurückgehalten? — Gegenruf von Aber, wie gesagt, selbst dem Herrn Geschäftsführer der SPD: Fragen Sie doch einmal Ihre Regie- helfe ich gerne aus, wenn er es haben will. rung! — Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das (Horst Sielaff [SPD]: Nicht einmal die Haus ist ein interessanter Vorgang! — Weitere hälter haben das Exemplar offensichtlich!) Zurufe) Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und eine Zusatzfrage, Herr Kollege? Herren, können wir uns jetzt darauf verständigen, daß der Herr Kollege Kubatschka überwiegend das Wort Horst Kubatschka (SPD): Natürlich, bitte. hat und daß er sich hier auch verständlich machen kann? — Bitte sehr, Herr Kubatschka. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Frau Kollegin Homburger. Horst Kubatschka (SPD): Herr Präsident, ich möchte nur die Frage beantworten: Das Gutachten ist, Birgit Homburger (F.D.P.): Habe ich Sie recht ver- wenn man will, jederzeit erhältlich. Wenn Sie es standen, daß Sie mit dieser Antwort auf meine Frage haben, dann müssen Sie es auch lesen. Daß es bisher ein Lob an die Organisationsfähigkeit und die Auf- nicht veröffentlicht wurde, daß politischer Druck aus- nahmefähigkeit der F.D.P. ausgesprochen haben? geübt wurde, das lag eben daran, daß manchen das (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Ergebnis nicht gepaßt hat. F.D.P.) (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Das ist eine Behauptung von Ihnen!) Horst Kubatschka (SPD): Nein, Frau Kollegin. Wenn die gesamte F.D.P.-Fraktion notwendig ist, um 1,6 % Dieselersatz — das ist nicht die Lösung. Sie tun dieses Gutachten in die Hand zu bekommen, dann, so, als wenn man damit das Energieproblem löste. Das muß ich sagen, ist sie nicht sehr groß im Organisieren. ist nicht richtig. Auch der Flächeneinsatz wird nur so Wenn Sie es sich allein besorgt haben, dann war es gering sein, daß Ihre Hoffnungen dahinfließen wer- schon eine gewisse Leistung, es zu bekommen. Also den. Deswegen ist das Gutachten wohl offiziell schwer ein Kompliment an Sie und nicht an die große Frak- erhältlich. Wer es aber haben wollte, konnte es tion; denn ich halte sie eigentlich für fähiger. bekommen. Hätten Sie es gelesen, dann hätten Sie auch eine Antwort auf die Frage der Tankerunglücke (Zuruf von der CDU/CSU: So groß ist sie doch bekommen; denn die Tankerunglücke bzw. die Mee- gar nicht!) resverschmutzung werden auch in diesem Gutachten Na ja, aber so viele Leute werden doch nicht angesprochen und behandelt. Aber Sie versuchen gebraucht werden, um das Gutachten zu bekommen. immer, dieses Gutachten von vornherein madig zu Also, so gering wollen Sie doch Ihren Koalitionspart- machen, weil es nicht in Ihre Konzeption paßt. Das ner nicht einschätzen. 11420 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Horst Kubatschka Meine Damen und Herren, ich möchte fortfahren. In Horst Kubatschka (SPD): Ich nehme das gerne zur dem Koalitionsantrag ist auch zu lesen, daß Produkte Kenntnis, aber Herr Rüttgers, jetzt haben Sie so viele aus nachwachsenden Rohstoffen nur geringe Markt- Papiere. Sie sind doch hier ein alter Hase. Ich muß chancen haben. Wollen Sie eine große Marktchance, sagen, daß ich mich als Neuling vom Papier erschla- müßten Sie zum Ordnungsrecht greifen, und das gen lasse und manchmal nicht weiß, wo ich etwas wollen Sie ja nicht. finde, das kann ja vorkommen. Aber Sie als Geschäfts- Des weiteren steht in Ihrem Entschließungsan- führer? Vielleicht sollte man über ihre Qualitäten trag: nachdenken. Unter den gegebenen ökonomischen Rahmenbe- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Können dingungen kann der Anbau nachwachsender Sie uns das vielleicht vorlesen?) Rohstoffe keinen großen Beitrag zur Verbesse- — Das will ich jetzt nicht, höchstens. Sie stellen mir rung der Einkommen der Landwirte leisten. jetzt die Frage, dann lese ich es gerne vor; das würde Schauen wir uns einmal die ökonomischen Randbe- aber länger dauern. dingungen an. In der Antwort der Bundesregierung heißt es: Vizepräsident Helmuth Becker: Eine zweite Zwi- Die Erzeugung flüssiger Energieträger, sei es schenfrage, bitte. Rapsöl, Rapsölmethylester oder Äthanol, ist ohne Stützung erst bei einem Erdölpreis von mehr als Ulrich Heinrich (F.D.P.): Herr Kollege, Sie versuchen 50 US-Dollar pro Barrel möglich. ja, sehr souverän heute abend vorzutragen. Darf ich (Peter Harry Carstensen [Nordstrand] [CDU/- Sie deshalb bitten, uns umzurechnen, was das bei CSU]: Sie zitieren nicht richtig!) einem Preis von 50 Dollar pro Barrel dann beim Ausgangsprodukt Diesel pro Liter an echter Preisstei- — Ich zitiere nicht aus dem Gutachten, lieber Kollege, gerung ausmacht? sondern aus der Antwort der Bundesregierung, die Sie anscheinend nicht gelesen haben. (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wenn dann nur 2 % zugemischt werden!) Dazu eine Abschätzung des Bundeswirtschaftsmi- nisteriums. Das Ministerium schätzt, daß der Barrel- Horst Kubatschka (SPD): Sicher, ich habe ja gesagt, preis im Jahre 2010 26 US Dollar beträgt. Wenn wir- also den Holzweg des Rapsölmethylesters und Raps- ab 50 Dollar pro Barrel wird es wirtschaftlich. Das ist öles beschreiten, geraten wir in eine große Subven- nicht meine Zahl, das ist die Zahl der Bundesregie- tionsf alle. rung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen wir uns (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Ich habe Sie gebe den zweiten Teil des Entschließungsantrages an! Ich ten, es uns umzurechnen!) möchte ihn als Darstellung einer Mängelliste bezeich- — Worauf wollen Sie das jetzt bitte umrechnen? nen. Allzu viel wurde bisher nicht geleistet. Die (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Daß Sie den Grund Mängel sind groß. Greifen wir einen Punkt aus dieser rohstoffpreis umrechnen auf den Liter Diesel Liste heraus: Es geht um die erheblichen Forschungs- an Preiserhöhung im Vergleich zum derzeiti aufwendungen, die seit Jahren geleistet werden. Es gen Barrelpreis. Ich glaube, der liegt bei 16 wurde das Falsche gefördert und Entscheidendes oder 18 Dollar!) vergessen. Vor allem die Energiepflanze, die große — Dann haben wir — das kann man ja leicht feststellen Hoffnung der Landwirtschaft, bildet den Schwer- — einen Unterschied von 34 Dollar, die subventioniert punkt. werden sollen. Ich mache jetzt hier keine Rechenkün- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: So können ste. Das werden Sie doch bitte noch selber schaffen. Sie es wirklich nicht sagen!) (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Herr Kollege, das Die Umweltbegleitforschung ist viel zu kurz macht zwischen 40 und 50 Pf pro Liter aus! Da gekommen. Sie findet in der Forschung der Bundes- können Sie sich ausrechnen, wie nahe wir regierung nur ein Plätzchen am Rande. beieinander sind zwischen den nachwach senden Rohstoffen aus dem Rapsöl und dem entsprechenden Diesel!) Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege Kubatschka, wir haben noch zwei Wortmeldungen zu — Herr Kollege, Sie sprechen also vom Entstehungs- Fragen. Gestatten Sie das? preis. Es ist klar, (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Natürlich, alles andere interessiert mich sowieso nicht!) Horst Kubatschka (SPD): Gern; es freut mich daß ich die Kollegen so herausfordere. daß sich dann der Entstehungspreis verdreifachen wird. Wir haben jetzt einen Entstehungspreis zwi- schen 30 und 50 Pf. bei den jetzigen Preisen. Dann Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Kollege können Sie den Preis mal drei nehmen, dann sind wir Carstensen hat die erste Frage, bitte. dort. Aber dann wird sich natürlich auch der Preis für das Rapsöl verteuern, denn da steckt ja auch Mineral- Peter Harry Carstensen (Nordstrand) (CDU/CSU): öl drin. Das ist ja immer die Rechnung, die so nicht Herr Kollege Kubatschka, darf ich Ihnen sagen, daß stimmt. ich eben das Gutachten vom Kollegen Rüttgers Wir kommen da leider auf keinen grünen Zweig. bekommen habe? Meine Damen und Herren, ich wäre ja sehr froh, wenn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11421

Horst Kubatschka es sich rechnen würde. Es würde manche Probleme Wir kommen zum letzten Redner zu diesem Tages- lösen. Aber es rechnet sich halt nicht. ordnungspunkt, nämlich zu unserem Kollegen (Zuruf von der F.D.P.: Noch nicht!) Dr. Manfred Lischewski. — Bitte sehr, Herr Kollege, Sie haben das Wort. — Ja, noch nicht. Selbst im Jahre 2010 rechnet es sich leider auch nicht, wenn ich mich auf die Zahlen von Herrn Möllemann berufe, und die möchte ich doch Dr. Manfred Lischewski (CDU/CSU): Herr Präsi- eigentlich nicht in Frage stellen. Ich weiß nicht, ob Sie dent! Meine Damen und Herren! Nach der Wiederver- das tun. einigung Deutschlands erfährt die Landwirtschaft in den neuen Bundesländern einen grundlegenden Strukturwandel. Vizepräsident Helmuth Becker: Nun beenden wir den Dialog und wenden unsere Aufmerksamkeit Nicht unbegründet ist die Auffassung, daß der wieder der Rede des Herrn Kubatschka zu, bitte! Anbau nachwachsender Rohstoffe in Zukunft eine Chance sein kann, um der Landwirtschaft aus ihren Problemen zu helfen. Die Frage ist dabei, ob und wie Horst Kubatschka (SPD): Sehr geehrte Damen und die sogenannten Energiepflanzen in den nächsten Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Von Ihren Jahren bereits zu der Entlastung im landwirtschaftli- Forderungen möchte ich noch einiges aufgreifen. — chen Bereich beitragen können. Eine Möglichkeit Jetzt wird es brenzlig. Sie haben mich mit Fragen wäre die Herstellung von Treibstoffen aus pflanzli- herausgefordert, also werde ich einige Sachen über- chen Rohstoffen. fliegen und abschließen. Wenn Sie wollen, können wir Wir in den neuen Bundesländern begrüßen deshalb uns draußen unterhalten. Ich kann Ihnen gerne meine wertvolle Beiträge zur Verfügung stellen, ausdrücklich den Vorschlag der EG-Kommission für eine Steuerbefreiung für Treibstoffe aus pflanzlichen (Zuruf von der CDU/CSU: Wollen wir nicht, Rohstoffen. Diese Maßnahme kann in Verbindung mit da war so viel Unfug dabei!) der EG-Agrarreform entscheidend dazu beitragen, Sie kriegen es selbstverständlich von mir, damit Sie die Wettbewerbsfähigkeit mit den fossilen Energieträ- etwas lernen können. gern zu verbessern. Abschließend möchte ich zu Ihrem Entschließungs- Zukünftig ist auch ein Anbau nachwachsender antrag sagen: Es stehen einige Wahrheiten d rin, gut Rohstoffe auf Stillegungsflächen möglich, wobei die verpackt. Landwirte dennoch die volle Stillegungsprämie in (Zuruf von der CDU/CSU: Nur Wahrhei- Anspruch nehmen können. Dies ist gerade für die ten!) neuen Bundesländer von besonderer Bedeutung, wo wegen der 15prozentigen Stillegungspflicht erhebli- Ihre Forderungen zur Forschung unterstützen wir. Sie che Flächen betroffen sind. sind auch die unseren. Einen weiteren Schwerpunkt der nachwachsenden In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Rohstoffe stellen die Industriepflanzen dar. Der Vor- Anfrage wird aber die Wahrheit unverpackt darge- teil der daraus hergestellten Produkte liegt insbeson- stellt. Man muß nur genau lesen und darf keine dere in der besseren biologischen Abbaubarkeit. In Illusionen hineinpacken. In Ihrem Antrag werden der Verpackungsverordnung wird beispielsweise aber Hoffnungen geweckt, die so nicht aufrechterhal- festgehalten, daß die Kompostierung eine stoffliche ten werden können. Wenn man ehrlich mit den Verwertung darstellt; denn es macht keinen Sinn, Landwirten umgehen will, muß man ihnen klipp und wenn eine biologisch abbaubare Tüte am Ende in der klar sagen: Die nachwachsenden Rohstoffe sind kurz- Müllverbrennung landet. Abbaubare Verpackungen und mittelfristig für sie kaum eine Chance. Im haben also gute Chancen, verstärkt am Markt einge- Nischenbereich haben sie bereits eine Gegenwart. führt zu werden. Das heißt für die alten Bundesländer: auf 165 000 Hektar. Das ist bei einer Anbaufläche von 11,8 Millio- Die Beurteilung der Umweltrelevanz von Produkten nen Hektar wahrlich nur eine Nische. Diese Nische und Produktionsverfahren nimmt in der Öffentlichkeit wird auf 420 000 Hektar anwachsen, lautet die Ant- einen zunehmend höheren Stellenwert ein. Wichtige wort der Bundesregierung. Analyseinstrumente dafür sind die Ökobilanz und die Produktlinienanalyse. Ferner müssen die Chancen Ihr Antrag erzeugt eine trügerische Hoffnung. Des- und Risiken von Stoffen, Stoffströmen und Stoffkreis- halb kann man diesem Entschließungsantrag nicht läufen, auch in Verbindung mit Energieeinsatz, Ver- zustimmen. Wir werden deshalb gegen diesen Antrag fahrenstechniken und Funktionszusammenhängen, stimmen. sowie die volkswirtschaftlichen Kosten und der Nut- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer glaubt, die zen erfaßt und bewertet werden. gute Fee „nachwachsende Rohstoffe" schwebe über Von der Industrie sind damit einige innovative das Land und löse die Probleme der Landwirtschaft, Entwicklungen — z. B. abbaubare Schmierstoffe bzw. der glaubt an ein Märchen. Leider sind Märchen nicht Kunststoffe — mit günstigen Marktschancen zu wahr. erwarten. Auf Grund weiterer züchterischer und tech- (Beifall bei der SPD) nischer Fortschritte sind zukünftig positive Entwick- lungen, vor allem bei den Produktlinien außerhalb des Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Energiebereiches, wahrscheinlich. Sowohl beim An- Herren, wir haben den Ausgleich der Redezeit zwi- bau und bei der Verarbeitung nachwachsender Roh- schen Opposition und Koalition wieder hergestellt, stoffe als auch in der Naturstoffchemie besteht aber weil er natürlich auch überzogen hat. ein erheblicher Nachholbedarf an Forschung und 11422 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Manfred Lischewski Entwicklung, der sich nicht innerhalb weniger Jahre Deren Einsatz erlaubt dem Züchter, wesentlich mehr überbrücken läßt. Pflanzenmaterial auf Qualitätsmerkmale oder Resi- stenzeigenschaften in wesentlich kürzerer Zeit zu Eine der größten Herausforderungen an die in der testen und zu vermehren bzw. durch Veränderung des Forschung tätigen Chemiker unserer Tage ist somit genetischen Materials neue Eigenschaften zu erzeu- die Entwicklung und Realisierung umweltverträgli- gen oder vorhandene zu modulieren. Für den Erhalt cher Stoffkreisläufe — zumindest in den von Chemie der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Pflanzen- beeinflußbaren Bereichen, was die meisten Bereiche züchtung im internationalen Vergleich ist dieser sind. Dies betrifft auch den CO2 - Kreislauf. Gefragt ist methodische Wandel in der Pflanzenzüchtung unum- in diesem Sinne eine alternative Chemie, eine sanfte gänglich. Das grundlegende Know-how ist von der Chemie. Diese Chemie ist nicht sanft aus der Sicht der Wissenschaft mit erheblicher finanzieller Hilfe durch Parameter, sondern sie ist sanft aus der Sicht des das BMFT in den letzten 10 Jahren — allein in der Umgangs mit der Natur. Sanft ist eine Chemie dann, Projektförderung waren es ca. 67 Millionen DM — wenn sie frei oder zumindest arm ist an naturbelasten- weitgehend erarbeitet worden. Damit liegen gute den Emissionen. Rahmenbedingungen für Innovationen bei den Pflan- Ein interessantes Projekt der Nutzung nachwach- zenzüchtern und damit bei den nachwachsenden sender Rohstoffe befindet sich in Leuna in der Ent- Rohstoffen vor. wicklungsphase. Kernstücke dieses Projekts sind: die Gefördert vom BMFT mit 7,2 Millionen DM wird Entwicklung eines neuen Vergasungsverfahrens für u. a. die Züchtung von Industrieraps. So wird im Biomasse im Gemisch mit Kunststoffabfällen, die Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung über die Herstellung von Synthesegas und die Synthese von gentechnologische Verbesserung von Ölgehalt und Dimethylether auf einem neuen Weg. Dimethylether Ölzusammensetzung in der Rapspflanze gearbeitet. kann in gleicher Weise wie Methanol für eine breit- Mit Hilfe solcher Forschungsvorhaben sollte es mög- gefächerte Folgechemie eingesetzt werden, und er lich sein, die Rapsölausbeute je Hektar von 1 400 l auf hat darüber hinaus den Vorteil, daß er als Energieträ- ca. 1 800 1 oder sogar noch mehr zu steigern. ger nutzbar ist. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich Es sei bemerkt, daß Dimethylether absolut sauber, bemerken, daß wir versuchen müssen, Subventionen d. h. zu CO2 und Wasser verbrennt, daß er wie in den sogenannten konservierenden Technologien Flüssiggas zu handhaben und mit diesem mischbar ist. zu reduzieren und die freiwerdenden Mittel für Auf diesem Wege ließen sich Chemie und Energieer- Zukunftstechnologien einzusetzen, damit wir mit zeugung in umweltfreundlicher Weise miteinander Ökobilanz- bzw. Stoffstrombetrachtungen zu umwelt- verbinden. verträglichen Stoffkreisläufen gelangen, und damit den nachwachsenden Rohstoffen eine Chance zu Die erfolgreiche Realisierung des Konzeptes könnte geben. ein Modell zur optimalen Gestaltung ökologischer Stoffkreisläufe werden und gleichzeitig der wirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklung z. B. des Landes Sachsen-Anhalt in den Bereichen Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Chemie, Landwirtschaft, Umweltschutz und Energie Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich wichtige Impulse verleihen. schließe die Aussprache. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. Nach der Devise „Wachstum durch Intelligenz" auf Drucksache 12/4092. Wer stimmt für diesen Ent- wird in den neuen Bundesländern die Neustrukturie- schließungsantrag? — Gegenprobe! — Stimmenthal- rung der chemischen Industrie u. a. im Chemiedrei- tungen? — Bei zwei Stimmenthaltungen von der eck Halle - Leipzig - Bitterfeld in Angriff genommen. Gruppe PDS/Linke Liste ist der Entschließungsantrag Deshalb ist es wichtig, die Forschung der chemischen gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Industrie in den neuen Bundesländern stärker zu fördern. Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Ein interessantes, vom BMFT im Rahmen des Mit- Beratung der Beschlußempfehlung und des telstandsprogrammes gefördertes Arbeitsgebiet ist Berichts des Ausschusses für Wirtschaft (9. Aus- die Suche nach Naturstoffen mit ganz speziellen schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Wolf- Wirkungen. So können aus pharmakologisch interes- gang Weiermann, B rigitte Adler, Hermann santen Pflanzen mit Hilfe der Naturstoffchemie Natur- Bachmaier, weiterer Abgeordneter und der stoffe isoliert werden, die als Pharmaka große Bedeu- Fraktion der SPD tung haben. Als Beispiel könnte man das Vincrestin aus Vincarminor-Spezies zur Bekämpfung der Kin- Betriebsbeauftragte für Umweltschutz derleukämie anführen. Das bedeutet, je höher der — Drucksachen 12/1085, 12/3305 — Veredelungsgrad und je größer die biologische Wir- Berichterstattung: kung von Naturstoffen in nachwachsenden Rohstof- Abgeordneter Josef Grünbeck fen sind, desto besser sind die Marktchancen dieser Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Produkte. Aussprache eine Stunde vorgesehen. — Ich höre und Auch in der Pflanzenzüchtung werden die klassi- sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- schen Verfahren zunehmend durch neue molekular- sen. biologische und gentechnische Methoden ergänzt. (Unruhe) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11423

Vizepräsident Helmuth Becker — Ich würde gern die Aussprache eröffnen, wenn die regelt die Bestellung von Gewässerschutzbeauftrag- Kolleginnen und Kollegen Platz genommen haben. ten. Ich könnte das, Herr Kollege Weiermann, wie Sie Nun erteile ich als erstem Redner unserem Kollegen auch wissen, noch weiter ergänzen; aber wir können Dr. Klaus Lippold das Wort. aus Zeitgründen darauf verzichten. Im übrigen sind die Forderungen, die von der SPD Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr aufgestellt werden, weitgehend erfüllt. Die Unabhän- Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! gigkeit des betrieblichen Umweltschutzbeauftragten Ich muß nach den vorangegangenen Debatten nicht wird durch einen besonderen Kündigungsschutz und betonen, daß Umweltschutz eine der vordringlichsten durch ein Benachteiligungsverbot garantiert, die Aufgaben ist, für Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, die volle Unterstützung des Betriebsbeauftragten bei sei- zusammenarbeiten müssen, um vorhandene Umwelt- nen Vorhaben zu Pflichten für das Unternehmen schäden zu beseitigen und den übrigen Umweltschä- festgeschrieben. Die Einholung von Stellungnahmen den vorzubeugen. Ich glaube, daß Vorsorgepolitik zur Investitionsentscheidung ist in allen Gesetzen und ein weitgehender Konsens zwischen allen Betei- vorgesehen. Darüber hinaus verlangt § 58 c auch die ligten notwendig ist, um diese Zielsetzung zu errei- Stellungnahme des Störfallbeauftragten z. B. zur chen. Anlagensicherheit. Weiter ist eine Begründungs- pflicht bei Ablehnung von Vorschlägen des Immis- Unser Konzept zur Umwandlung der Sozialen sionsschutz- oder des Störfallbeauftragten einge- Martkwirtschaft zu einer ökologisch orientierten führt. Sozialen Marktwirtschaft hat sich als einzig richtiger Weg erwiesen, um die Wirtschaft zum Umdenken zu Die grundsätzliche Forderung der SPD nach einer bewegen. Heute ist es für die Unternehmen ein Gebot eigenständigen Einrichtung des Amtes für einen der Stunde, die Belange der Umwelt in die eigene Umweltschutzbeauftragten mit Entscheidungsbefug- Planung mit einzubeziehen. Diese Integration des nissen kann nicht in unsere Politik, kann nach meinem Umweltschutzziels in die betriebliche Zielfunktion Verständnis auch nicht in die Politik der Bundesregie- trägt mit zum Vorsorgekonzept „Umweltschutz" rung integriert sein. Eine derartige Umgestaltung bei. nach SPD-Vorstellung wäre ein Eingriff in die unter- nehmerische Entscheidungsfreiheit. Eine solche Aus- Der Betriebsbeauftragte für Umweltschutz paßt - hervorragend in dieses Konzept. Die Bundesregie- gestaltung der Position des Umweltschutzbeauftrag- rung und die CDU/CSU-Fraktion vertreten grundsätz- ten als eigenständige Einrichtung mit Entscheidungs- lich die Auffassung, daß der innerbetriebliche befugnis dürfte tief in die grundgesetzlich geschützte Umweltschutz eigenverantwortlich durch die Unter- unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingreifen. nehmen wahrgenommen werden soll. Der Betriebsbe- Wer sich aber darüber hinaus — und das sollte man auftragte für Umweltschutz in der jetzigen Form hat hier tun —mit der betrieblichen Praxis beschäftigt, der sich als Umweltschutzgarant im Betrieb bewährt. wird feststellen, daß die Umweltschutzbeauftragten Die Umsetzung des § 52 BImSchG hat in vielen selbst eine Verknüpfung von Stabs- und Linienfunk- Unternehmen — und zwar auch in solchen, die nicht tionen nicht wünschen, ganz im Gegenteil, daß sie zur Bestellung eines Betriebsbeauftragten verpflichtet deutlich machen, daß die Verantwortungsbereiche sind — zur Schaffung einer zentralen Stabsabteilung beider Positionen eigenständig zu wahren sind und „Umweltschutz, Anlagensicherheit, Arbeitsschutz" daß es völlig falsch wäre, wenn sich ein Umwelt- geführt. Diese sind problem- und betriebsangemessen schutzbeauftragter mit Linienkompetenz und Stabs- ausgestattet. Eine darüber hinausgehende gesetzli- funktion faktisch selbst zu kontrollieren hätte. che Vorgabe ist deshalb überflüssig. Darüber hinaus wird deutlich, daß natürlich in dem Die Rahmenvorgaben, die der Gesetzgeber schafft, Moment, in dem ich z. B. einem Produktionsleiter im werden in den Betrieben mit Hilfe des Umweltschutz- Betrieb die Entscheidung für umweltschutzorientier- beauftragten zufriedenstellend verwirklicht. Vielfach tes Handeln nehme und auf einen Umweltschutzbe- hat die intensive Kooperation von Betriebsbeauftrag- auftragten verlagere, die Durchsetzungsfähigkeit zur ten für Umweltschutz mit den staatlichen Stellen dazu Durchführung von Umweltschutzaufgaben, die der geführt, daß Genehmigungsverfahren schon in der Umweltschutzbeauftragte anlegt, in dieser Form nicht Entstehungsphase entscheidend gut vorbereitet wer- mehr gewährleistet ist, wie es ansonsten garantiert den konnten und auch die Dauer wesentlich verkürzt werden könnte. Ich emmpfehle allen Beteiligten, Herr werden konnte. Dies ist auch ein wichtiger Beitrag zur Weiermann, sich diesbezüglich einmal mit der Verei- Standortpflege des Wirtschaftsstandortes Deutsch- nigung der Umweltschutzbeauftragten auseinander- land. zusetzen, in der Literatur nachzulesen und dann mit Die Forderung der SPD, das Amt des Umweltschutz- mir festzustellen, daß das, was ich ausgeführt habe, beauftragten grundsätzlich umzugestalten, werden weitgehend zutrifft. wir ablehnen. In den betrieblichen Bereichen, in (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Man muß die denen die Bestellung eines Umweltschutzbeauftrag- richtige Literatur auswählen, ganz ein ten geboten ist, wurden bereits vor Jahren die entspre- fach!) chenden Grundlagen geschaffen. Wir haben eine ganze Reihe von Beauftragten. Das Bundes-Immis- Ich glaube, meine Damen und Herren, daß hier sionssschutzgesetz sieht die Bestellung von Immis- deutlich wird, daß diese klare Zuordnung der Aufga- sionsschutz- und Störfallbeauftragten vor, das Abfall- ben nicht verwischt werden darf. gesetz macht die Bestellung des Betriebsbeauftragten Im übrigen, Herr Weiermann, die Landesregierung für Abfall notwendig, und das Wasserhaushaltsgesetz oder Landesbehörden bei der Bestellung betrieblicher 11424 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Mitarbeiter einzuschalten würde nicht nur zu Verzö- kommen. Aber sie haben auch eine betriebliche gerungen führen, sondern würde absolut unterneh- Produktions- und Vermarktungsfunktion; an der soll- mensfremde Elemente in das betriebliche Geschehen ten wir sie zumindest nicht unnötig hindern. einbauen. Ich bedanke mich. (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Trennung durch Überwachung, wie siedurch die gegebene Behördensituation vorgesehen ist, funktio- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und niert; sie würde dadurch wiederum berührt werden. Herren, nunmehr hat unser Kollege Wolfgang Weier- Ich glaube, das ist nicht notwendig. mann das Wort. Im übrigen ist eine Erweiterung des Betriebsverfas- sungsgesetzes ebensowenig notwendig, weil — so- (SPD): Sehr geehrter Herr weit Umweltschutz Arbeitsschutz ist — die Mitbestim- Wolfgang Weiermann Präsident! Meine Damen, meine Herren! mungsrechte der Arbeitnehmer bereits vom Betriebs- rat wahrgenommen werden. Das bestehende institu- ... die Umweltprobleme der industrialisierten tionelle System arbeitet hervorragend und gewährlei- Gesellschaft haben auch eine innere Dimen- stet, daß die Anliegen der Menschen im Betrieb sion: geschützt werden. Darüber hinaus zeigen praxis- — wer würde sie bestreiten orientierte Regelungen im Unternehmensbereich, daß die Verhältnisse am Arbeitsplatz. Die Arbeiter es hier gesetzlicher Regelungen nicht bedarf, sondern und Angestellten in den Fabriken haben als erste daß die betriebliche Praxis ein vernünftiges Zusam- die Umweltschäden zu spüren bekommen. Die in menwirken gewährleistet. der Produktion Tätigen waren und sind ernsthaf- Die beratende Funktion des Umweltschutzbeauf- tem körperlichen und seelischen Verschleiß, dem tragten führt auch nicht zu einer Verminderung des Lärm und dem Schmutz an den Arbeitsplätzen Schutzniveaus der Umwelt; das Unternehmen muß ausgesetzt. ohnehin bei der Ausgestaltung des Betriebes auf die Dies, meine Damen und Herren, sagte schon vor Einhaltung aller einschlägigen Rechtsvorschrif ten- mehreren Jahren der ehemalige Ministerpräsident schauen. von Schweden, Olof Palme, nämlich bereits Mitte der Ich will unterstreichen, daß die gegenwärtige 70er Jahre. Rechtslage dem Umweltschutzbeauftragten ausrei- Somit, meine Damen und Herren, sind Verstöße chende Möglichkeiten gibt, auf die umweltgerechte gegen den Umweltschutz zugleich auch innerbetrieb- Ausgestaltung des jeweiligen Betriebes hinzuwirken lich gravierende Verstöße gegen den Arbeitsschutz. und auf die Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften Sie sind damit nicht mehr allein eine Angelegenheit zu achten. der Anteilseigner, der Be triebsleitung oder der Kapi- talgeber. Umweltschutz im Betrieb ist vielmehr ein Auch die gesetzliche Einrichtung betrieblicher elementares Interesse der Arbeitnehmer, die ihre Umweltkataster, wie die SPD sie fordert, ist zur Zeit Gesundheit und Leistungskraft einbringen, sowie nicht zweckmäßig. Die EG plant ein Öko-Audit ihrer gewählten Vertreter und ihrer Gewerkschaf- System auf freiwilliger Basis, das diesen Bereich ten. betrifft. Wir können aber eigentlich davon ausgehen, (Beifall bei der SPD) daß all diese Instrumente, die sie vorsehen, weitestge- hend in den Unternehmen verwirklicht sind und durch Das Hauptproblem der bestehenden Institution die gegebenen Berichts-, Informations- und Stellung- „Betriebsbeauftragter für den Umweltschutz" — die nahmepflichten usw. weitgehend abgedeckt sind. soeben geradezu als vorbildlich dargestellt wurde —, Soweit es hier der Ergänzung bedarf, werden sie wie sie das Bundes-Immissionsschutzgesetz vorsieht, praxisorientiert betrieblich vorgenommen. Ich hatte liegt — das kann man aus der jahrelangen Erfahrung schon gesagt, daß die betriebliche Steuerung mittler- sagen — in der unklaren juristischen Konstruktion weile sowieso dazu neigt, diese Dinge so aufzuarbei- des Amtes, in der rechtlichen Zwitterstellung seines ten, daß sie zu Instrumenten auch der be trieblichen Inhabers und in seiner Einflußlosigkeit. Unternehmensführung werden, wie eine ganze Reihe Die Aufgabe des Beauftragten wird vom Gesetzge- hervorragender Arbeitskreise ganz nachhaltig bele- ber umrissen. Er muß sich am Gesetzes- und Verord- gen. nungstext orientieren. Zugleich aber wird er von einem Unternehmen angestellt und bezahlt, dem Ich möchte resümierend sagen, daß der SPD-Antrag gegenüber er zu Loyalität verpflichtet ist. keine Veranlassung bietet, die bestehenden Regelun- gen von Grund auf zu revolutionieren. Die Praxis Sein Einfluß beschränkt sich darauf, die Unterneh- funktioniert. Wir sollten diese funktionierende Praxis mensleitung beraten zu dürfen. In der Rolle des laufen lassen und nicht einer deutschen Eigenart Beraters besitzt er aber tatsächlich keine Möglichkei- folgen, durch immer neue Regelungen insbesondere ten, entscheidend Einfluß auf Investitionen, Produkti- die Klein- und mittelständischen Unternehmen zu onsverfahren und Arbeitsbedingungen zu nehmen, benachteiligen. Sie wissen, daß wir bereits jetzt durch welche den Bereich Umweltschutz berühren. eine Flut von gesetzlichen Regelungen, Verwaltungs- Deshalb genügt es nicht, die Aufgaben der seit vorschriften, Durchführungsvorschriften, sonstigen Mitte der 70er Jahre gesetzlich vorgeschriebenen Vorschriften dazu kommen, daß die Eigentümer der Umweltschutzbeauftragten in den Be trieben einfach Kleinunternehmen kaum noch mit dem Lesen nach- nur durch eine Novellierung des jeweils einschlägi- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11425

Wolfgang Weiermann gen Bundes-Immissionsschutz-, Wasserhaushalts-, Weder für ihre Bestellung noch für ihre Abberufung Abfallbeseitigungsgesetzes etc. neu zu definieren. ist ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vorgese- Das ist uns in der Tat zuwenig. hen. Die Rede ist dort lediglich von einer Unterrich- tung der Arbeitnehmervertretung. (Beifall des Abg. Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]) Die unbestritten notwendige Stärkung des Umwelt- schutzes im Betrieb kann daher nur über die Schaf- Im Mai 1990 wurde, wie eben erwähnt, eine derar- fung einer neuen, kompetenten Institution erfolgen. tige Novellierung vorgenommen. Dabei wurden § 53 Ihre Rechte und Pflichten müssen eindeutiger gefaßt und weitere Bestimmungen ergänzt, die sich mit der werden, als dies bisher der Fall war. Zugleich muß sie Bestellung und den Aufgaben eines Betriebsbeauf- eine realistische Möglichkeit zur Durchsetzung ihres tragten für Immissionsschutz beschäftigten. Auftrags erhalten. Ich gebe auch gerne zu, daß bei der Novellierung Der Weg hierzu führt zum einen über die Ergänzung die §§ 58 a bis 58 d neu aufgenommen wurden, die die bestimmter Paragraphen des Betriebsverfassungsge- Bestellung und Aufgaben eines Störfallbeauftragten setzes, zum anderen über die Schaffung eines eigen- zum Inhalt haben. Seine Bestellung und seine Rechte ständigen Gesetzes über Rechte und Pflichten des entsprechen im wesentlichen — das ist der entschei- Betriebsbeauftragten. dende Unterschied in der Aussage des Herrn Lippold Dem Betriebsrat müssen Mitbestimmungsrechte zu dem, was ich hier zu sagen habe — denen des und Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Umwelt- Betriebsbeauftragten für Immissionsschutz. schutzes zuerkannt werden. Dabei wurden zwar ein Benachteiligungsverbot Das eigentliche Gesetz über den Betriebsbeauftrag- und ein besonderer Kündigungsschutz für die Beauf- ten für Umweltschutz muß folgendes regeln: die tragten eingeführt. Das novellierte Bundes-Immis- Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung oder dem sionsschutzgesetz sieht auch eine Informationspflicht Vorstand ebenso wie den besonderen Kündigungs- des Betreibers bei Investitionsentscheidungen, Ein- schutz des Beauftragten; die Gewährleistung, daß er führung neuer Verfahren, Erzeugnissen und Arbeits- bei Erfüllung seiner Aufgaben nicht behindert und stoffen gegenüber den Beauftragten vor. Ihre Stel- wegen seiner Tätigkeit nicht benachteiligt wird; seine lungnahme ist — auch das will ich zugeben — so Aufklärungs- und Informationspflicht gegenüber den rechtzeitig einzuholen, daß sie angemessen -- ange- Betriebsangehörigen sowie die Informationspflicht messen! — berücksichtigt werden kann. Werden die der Betriebsleitung gegenüber dem Beauftragten bei Einwände des Immissionsschutzbeauftragten aber allen Investitionsentscheidungen, die den betriebli- abgelehnt, so soll er umfassend — lediglich umfas- chen Umweltschutz berühren. send! — über die Ablehnung unterrichtet werden, und Das Gesetz muß weiter sicherstellen, daß Vor- das war es dann schon. Eine gleichzeitige obligatori- schläge, die der Beauftragte im Rahmen seiner Auf- sche Unterrichtung des Betriebsrats, wie in unserem gaben dem für Umweltpolitik zu benennenden Mit- Antrag gefordert, ist jedoch nicht vorgesehen. glied der Geschäftsleitung oder des Vorstands unter- Kernpunkt unserer Kritik ist also nach wie vor die breitet, nur begründet abgelehnt werden können, daß unklare juristische Konstruktion des Amtes. Daran hat eine solche Ablehnung gleichzeitig der zuständigen sich auch durch die Novellierung im wesentlichen Behörde und dem Be triebsrat mitzuteilen ist. Dem nichts geändert. Betriebsrat muß darüber hinaus in diesen Fällen ein Mitbestimmungsrecht eingeräumt werden. Wichtig (Beifall bei der SPD) ist, daß vor allen Dingen Informationen und Planun- Wir fordern deswegen: Die einzelnen Betriebsbe- gen — wie in den anderthalb Jahrzehnten sozusagen auftragten sind als Umweltbeauftragte zu bestellen auch vorgekommen und nachweisbar — sowie Pla- und mit ausreichender Ausstattung innerhalb der nungsabsichten nicht an dem Beauftragten vorbeilau- betrieblichen Organisationsstruktur zusammenzufas- fen. Deshalb ist es ganz besonders wichtig, daß hierfür sen. ein für Umweltfragen zuständiges Mitglied des Vor- stands als Ansprechpartner ernannt wird. Der bisherige Stand: Immissionsschutz- wie Stör- Darüber hinaus wird ein derartiges Gesetz den allbeauftragter werden von den Betreibern genehmi- Umweltbeauftragten verpflichten müssen, einen jähr- gungsbedürftiger Anlagen bestellt. Ihre Aufgaben lichen Umweltbericht vorzulegen, ebenso einen liegen in der Beratung des Betreibers. betrieblichen Umweltkataster. Sie sind berechtigt und verpflichtet, auf Einhaltung Für Betriebe unterhalb einer bestimmten Größe, der Vorschriften des Immissionsschutzes bzw. auf die denen dieser Aufwand nicht zugemutet werden kann, Vermeidung von Störfällen hinzuwirken. Meine kann eine Kleinbetriebsregelung in Betracht gezogen Damen und Herren, nirgendwo steht geschrieben, wie werden. dies gegenüber dem Betreiber eigentlich geschehen soll. Das wird nirgendwo ausgeführt, Herr Lippold. Die in den Ausschußberatungen — lassen Sie mich Jedenfalls haben wir das an keiner Stelle feststellen auch darauf kurz zu sprechen kommen — seitens der können. Regierungsparteien vorgebrachten Einwände gegen unseren vorliegenden Antrag lassen sich im wesentli- Immissionsschutz- wie Störfallbeauftragter besit- chen darauf reduzieren, unser Antrag bedeute einen zen also keine Entscheidungsbefugnisse. Nur im Fall Eingriff in die unternehmerische Entscheidungsfrei- von akuten Störfällen kann der Betreiber dem Beauf- heit und er sei überflüssig, weil sich das bestehende tragten Entscheidungsbefugnisse übertragen. System bewährt habe. 11426 Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Wolfgang Weiermann Was den zweiten Punkt angeht, so muß eigentlich Klaus Beckmann (F.D.P.): Herr Präsident! Meine doch jedem nach dem, was bisher auch von meiner sehr verehrten Kolleginnen! Liebe Kollegen! Namens Seite hier gesagt wurde, klar sein, daß dies nicht der meiner Fraktion möchte ich Ihnen mitteilen, daß wir Fall ist. Eine derartige Regelung ist nicht überflüssig, dem Antrag der SPD-Fraktion leider nicht folgen sie ist überfällig. können; denn wir denken, daß das bereits zur Verfü- gung stehende gesetzliche Ins trumentarium völlig (Zustimmung des Abg. Michael Müller [Düs- ausreicht, dem Umweltschutz innerbetrieblich Gel- seldorf] [SPD]) tung zu verschaffen. Das Argument von der angeblichen Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit hinge- Hier ist bereits auf die Immissions- und Störfallbe- gen unterstellt, es gehe hier um eine Machtfrage. Wir auftragten, die Betriebsbeauftragten für Abfall und sagen auch hierzu deutlich: Das ist nicht der Fall. Gewässerschutz hingewiesen worden, deren Aufga- ben und Kompetenzen in den entsprechenden Geset- Es geht um das Prinzip einer ökologischen Produk- zen umfassend geregelt sind. Zur Erleichterung der tionsweise, um das Prinzip ökologischen Wirtschaf- Arbeit insbesondere der Immissionsschutzbeauftrag- tens. Das Beispiel der Altlasten in den Industrieregio- ten sind deren Kompetenzen im übrigen auch im nen der früheren DDR zeigt, wohin eine nicht an der Rahmen der am 1. September 1990 in Kraft ge tretenen Ökologie ausgerichtete Wirtschaft führen kann. Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Im übrigen bezweifle ich, daß ökologisches Wirt- deutlich erweitert worden. Insofern, verehrte Kolle- schaften, wie hier ebenfalls unterstellt wird, zu Wett- ginnen und Kollegen von der sozialdemokratischen bewerbsnachteilen und ökonomischen Einbußen füh- Fraktion, kann auch hier nicht behauptet werden, es ren wird. Wer Umweltbelastungen aus der Produktion seien mehr als 15 Jahre vergangen, ohne daß sich die nicht in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung rechtliche Stellung der Betriebsbeauftragten den ver- einbezieht, lügt sich selber etwas in die Tasche. änderten Realitäten angepaßt hätte. Dies gilt auch und gerade für die Belastung der Insbesondere finden Sie in den einschlägigen Arbeitnehmer durch Umwelteinflüsse auf Grund der Gesetzen auch Benachteiligungsverbote und Kündi- Produktionsbedingungen. Der Arbeitsschutz braucht gungsschutzvorschriften, die die Unabhängigkeit der die Ergänzung durch den betrieblichen Umwelt- Betriebsbeauftragten sicherstellen. Andererseits sind schutz. die Unternehmensführungen angehalten, bei um- Auch hier haben wir u. a. das Beispiel der ehemali- weltschutzrelevanten Maßnahmen auf den jeweiligen gen DDR vor Augen, die zwar ein detailliertes Arbeits- Gebieten den Betriebsbeauftragten zu konsultieren. schutzrecht besaß, deren betrieblicher Umweltschutz (Beifall bei der F.D.P.) jedoch nicht annähernd den heute erforderlichen Standards entsprach. Liebe Kolleginnen und Kollegen, im betrieblichen Alltag sind die Beteiligten zur Effektivierung des Der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte vom innerbetrieblichen Umweltschutzes auf gegenseitiges Gesetzgeber schon vor Jahren, daß Arbeitnehmer und Vertrauen und auf Zusammenarbeit angewiesen. ihre Gewerkschaften auf Betriebsebene bei allen sie Richtigerweise gehen unsere Umweltschutzgesetze betreffenden Regelungen im Bereich der Umweltpoli- daher von einem Miteinander von Betriebsbeauftrag- tik zu informieren und frühzeitig zu beteiligen ten und Betriebs- und Unternehmensleitung mit zahl- seien. reichen gegenseitigen Unterstützungs- und Informa- Der DGB forderte auch die Offenlegung aller tionspflichten aus. umwelt- und sicherheitsrelevanten Daten durch die Unternehmer gegenüber den Be triebs- und Personal- (Beifall bei der F.D.P. und bei Abgeordneten räten sowie den bet rieblichen Aufsichtsorganen. der CDU/CSU) Uns allen kann daher nur daran gelegen sein, durch Dieses gewollte Miteinander ist aber gefährdet, wenn, vorbeugende Maßnahmen die Umweltbelastungen wie dies von der SPD vorgeschlagen wird, das im Betrieb und durch den Betrieb so gering wie Betriebsverfassungsgesetz und ein Mitbestimmungs- möglich zu halten. Der Betriebsbeauftragte für recht des Betriebsrats Grundlage für die Arbeit des Umweltschutzbeauftragten darstellen sollen. Umweltschutz soll als Kontroll - , Informations - und Beratungsinstanz zur Minimierung derartiger Schä- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. — Zuruf den beitragen. von der F.D.P.: Das stört das Vertrauen!) Daher bitte ich Sie trotz Ihres eben angegebenen Umweltschutz wird heutzutage ganz wesentlich Votums doch noch um Zustimmung zu unserem durch die unternehmerische Innovation vorangetrie- Antrag. Vielleicht erleben wir sonst in absehbarer ben und verwirklicht. Zeit, daß das, was der Gesetzgeber nicht bereit ist zu gewähren, über Tarifverträge realisiert wird. (Zuruf von der F.D.P.: In der Tat!) Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Es geht vielfach nicht mehr um das bloße Erfüllen von Umweltschutzauflagen, sondern um den Umwelt- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Dag- schutz als Markt, der in die unternehmerische mar Enkelmann [PDS/Linke Liste]) Gesamtkonzeption einbezogen wird. Als Beispiel seien betriebseigene Recycling- und Entsorgungsan- lagen genannt, deren Benutzung anderen Unterneh- Meine Damen und Vizepräsident Helmuth Becker: men als Dienstleistung angeboten wird. Herren, jetzt hat unser Kollege Klaus Beckmann das Wort. (Zuruf von der F.D.P.: Gutes Beispiel!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11427

Klaus Beckmann Unternehmerische Innovation wird da behindert, Denken wir nur an die chemische Industrie, eine wo Investitions- und Produktionsentscheidungen Abprodukte produzierende Branche. Sachkundige nicht mehr in der Hand des Unternehmers liegen. Die Kollegen werden mir zustimmen: Wie sie bisher im vorliegenden Antrag geforderte Kompetenz des produziert, kann es nicht weitergehen. Gerade in Umweltschutzbeauftragten zielt aber genau in diese einer Industrie wie der chemischen mit ihren verhee- Richtung. Dies können wir Freien Demokraten nicht renden Folgen bei Störfällen und in bezug auf den mittragen. Abprodukteanfall muß umgesteuert werden. Nur die (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Umstellung der industriellen Güterproduktion auf Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/CSU]) abfallarme und in den Naturkreislauf rückführbare Produkte bietet einen Ausweg. Abgesehen von grundsätzlichen Bedenken gegen Es sei insbesondere der Großindustrie in die Ent- einen so tiefen Einschnitt in die grundgesetzlich wicklungspläne geschrieben: Letztendlich hat nur die geschützte unternehmerische Entscheidungsfreiheit Produktion Zukunft, die umweltfreundlich, sozialver- würde die angestrebte Maßnahme also auch ihren träglich, ressourcenschonend und abproduktarm ist. Zweck verfehlen, dem Umweltschutz innerbetrieblich Das wirkt sich auch auf die Geschäftsberichte der mehr Geltung zu verschaffen. Es ist somit kein Grund kommenden Jahre aus. zu ersehen, das Betriebsverfassungsgesetz durch wesensfremde Vorschriften, die mit dem Gesetzes- Der oder die Umweltbeauftragte muß völlig unab- zweck nicht vereinbar sind, zu ergänzen. hängig von der Geschäftsführung tätig werden kön- nen. Ein Kündigungsschutz, wie ihn Mitglieder von wird durch die Der Schutz der Arbeitnehmer Betriebsräten haben, ist dabei unverzichtbar. Entspre- bewährte Arbeit der Betriebsrate wahrgenommen, chende Regelungen müssen im Betriebsverfassungs- die auch dann zuständig sind, wenn Umweltschutzfra- gesetz verankert werden. Selbstverständlich müssen gen gleichzeitig den Arbeitsschutz betreffen. Die der oder dem Umweltbeauftragten alle Informationen umweltschutzrechtlichen Spezialgesetze beinhalten über den jeweiligen Betrieb zugänglich sein, und ein dagegen ein ebenso bewährtes und vielschichtiges Mitspracherecht sollte eingeräumt werden. Nur so Instrumentarium, drohende Gefahren für die natürli- kann sichergestellt werden, daß die Position kein chen Lebensgrundlagen abzuwenden. Dies gilt auch wirkungsloses Alibi-Pöstchen wird. und gerade für die Kontrolle der Unternehmen durch die Aufsichtsbehörden. Sie verfügen über die rechtli- Umweltschutzbeauftragte können wertvolle Bera- chen und die tatsächlichen Möglichkeiten, die gesetz- ter der Geschäftsleitung sein, wenn sie es verstehen, lich vorgeschriebenen Schutzvorschriften mit für die Lösungsvorschläge für Umweltbelastungsprobleme Unternehmen zum Teil einschneidenden Maßnah- darzulegen. Dabei ist die Mitarbeit der Produktions- men durchzusetzen. arbeiter für einfach zu lösende Probleme wichtig, denn sie sind den Belastungen im Produktionsalltag Liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Verbesse- sehr konkret ausgesetzt und haben oft gute und rung dieses Systems ist nach dem Vorschlag der SPD realisierbare Vorschläge. mit einem Betriebsbeauftragten für Umweltschutz mit allgemeiner Zuständigkeit nicht zu erreichen. Aus Die Vermeidung oder Verminderung von Umwelt- diesen Gründen empfehle ich dem Hohen Hause, dem belastungen wird dann als eigene Aufgabe angese- Votum des Ausschusses für Wirtschaft zu folgen und hen, wenn eine kluge Be triebsleitung es versteht, das den Antrag der SPD-Fraktion abzulehnen. kreative Nachdenken der Kollegen zu aktivieren. Vielen Dank. Es ist gut, daß die SPD-Fraktion diesen Antrag formuliert hat. Wir werden ihm zustimmen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei Abgeordneten der SPD — Zurufe von der SPD: Dafür danken wir!) Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt Frau Kollegin Ingeborg Philipp das Wort. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! unserem Kollegen Dr. Heinrich Kolb, das Wo rt. Meine Damen und Herren! Mehr Umweltschutz im Betrieb ist notwendig, nicht nur um Produktionsarbei- ter und Produktionsarbeiterinnen besser zu schützen, Dr. Heinrich L. Kolb, Parl. Staatssekretär beim nein, auch die Produktion muß nach den Kriterien des Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine Umweltschutzes neu organisiert werden — nicht Damen und Herren! Die Bundesregierung hält die im allein durch Investitionen, sondern eventuell auch bei Antrag der SPD geforderte Einrichtung eines Groß- und anderen Kleinreparaturen. Betriebsbeauftragten für Umweltschutz für nicht erforderlich und auf Grund der damit verbundenen Betriebswirtschaftliches Handeln muß an volkswirt- erheblichen Eingriffe in die unternehmerische Ent- schaftlichen Kriterien überprüft und korrigiert wer- scheidungsfreiheit sogar für wirtschaftlich schädlich. den, abproduktarme Technologien müssen eingeführt werden. Es muß in Zusammenhängen gedacht wer- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den; kurzfristige Gewinninteressen müssen hinter den Dies hat mein Kollege Dr. Riedl bereits in seiner Interessen des Gemeinwohls — dabei meine ich das anläßlich der Sitzung am 19. März 1992 zu Protokoll Wohl der gesamten Menschheit — zurückstehen. gegebenen Rede deutlich gemacht. 11428 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Parl. Staatssekretär Dr. Heinrich L. Kolb Lassen Sie mich hier noch kurz auf die wichtigsten Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt Aspekte eingehen, die die Bundesregierung zur unserer Frau Kollegin Dr. Marliese Dobberthien das Ablehnung des Antrages bewogen haben. Zunächst Wort. möchte ich noch einmal unterstreichen, daß es derzeit den Immissionsschutz- und Störfallbeauftragten so- wie den Betriebsbeauftragten für Abfall und für Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Herr Präsident! Gewässerschutz gibt. Die rechtliche Ausgestaltung Meine Kollegen und Kolleginnen! Unter Umwelt- dieser Institutionen wird den Erfordernissen des schutz verstehen die meisten Menschen den Schutz betrieblichen Umweltschutzes voll gerecht. Eine der Natur, des Waldes, von Wasser, Boden, Luft, von Erweiterung in Richtung eines allgemeinen Umwelt- Tieren und Pflanzen unserer Umgebung oder der schutzbeauftragten mit den im vorliegenden SPD- Tropen. Jedoch die Arbeitswelt mit den Gefährdun- Antrag enthaltenen Kompetenzen würde nicht zu gen ihrer Beschäftigten durch Chemikalien und Gifte einem Mehr an Umweltschutz, sondern zu einem verschiedener Art wird leicht übersehen. Dabei kom- Weniger an unternehmerischer Initiative führen. men seit Jahren in Industriebetrieben immer mehr Giftstoffe zum Einsatz. Giftige Lösungsmittel, Gase, (Beifall bei der F.D.P.) Dämpfe, Kühl-, Schmier-, Klebstoffe u. a. gefährden Das wäre aus Sicht der Bundesregierung die Folge, die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- würde der Umweltschutzbeauftragte zu einer eigen- nehmern. Unwohlsein, Erkrankungen und gar Tod ständigen Einrichtung innerhalb des Bet riebs mit sind bitterer Preis für manch langjährigen Arbeitneh- eigenen Entscheidungsbefugnissen in so wichtigen mer. Bereichen wie Investitionsfragen und Produktionsver- Etliche dieser Gefahrstoffe wie z. B. die chlorierten fahren. Die gegenwärtigen Rechte wie die Überwa- Lösemittel belasten zugleich extrem die Umwelt. Aber chung der Einhaltung aller relevanten Umweltschutz- erst wenn sie ins Grundwasser oder in die Luft oder in vorschriften und einer umweltgerechten Betriebsaus- den Boden gelangen oder ansonsten unzureichend stattung reichen zur Erfüllung der Aufgaben der entsorgt und die Folgen spürbar werden, erwacht eine Betriebsbeauftragten aus. Gleichzeitig wird die not- kritische Öffentlichkeit. wendige Unabhängigkeit durch einen besonderen Oder nehmen wir die Gentechnik: In der Bundesre- Kündigungsschutz und ein Benachteiligungsverbot publik arbeiten mehr als 1 300 Laboratorien mit ausreichend gewährleistet. Ein Mitbestimmungsrecht gefährlichen biologischen Agenzien, mit Viren, Bak- des Betriebsrats bei der Be- bzw. Abberufung dieser terien, Pilzen, mit infizierten biologischen Materialien Umweltbeauftragten würde nur die vertrauensvolle wie Blut, Fäzes, Organresten. Die Frage, ob der Zusammenarbeit von Arbeitgeber und Umweltbeauf- Umgang, die Kontrolle und Entsorgung fachgerecht tragten behindern. und ausreichend sind, löst oft große Ängste aus. Erst mit ihnen erwacht ein Interesse an den Vorgängen im (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Betrieb. Dagegen fällt, wie Herr Kollege Beckmann hier Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Gewerk- bereits richtig ausgeführt hat, die Wahrnehmung des schaften reagierten auf diesen Tatbestand schon vor betrieblichen Umweltschutzes, soweit er reiner Jahren. 1988 hatte z. B. die IG Metall die Aktion Arbeitsschutz ist, in die alleinige Kompetenz des „Tatort Betrieb" gestartet. Sie ist mittlerweile zu Betriebsrats und sollte auch weiterhin in bewährter einem Markenzeichen be trieblicher Umweltaktionen Weise von ihm wahrgenommen werden. Andererseits geworden. Manche Aktionen waren sehr erfolgreich ist eine Erweiterung dieser Aufgabe zu einem allge- — zur Zufriedenheit aller Beteiligten, nicht nur der meinen Umweltschutzmandat nicht mit Sinn und Arbeitnehmer, sondern auch der Eigner. Zweck des Betriebsverfassungsgesetzes vereinbar. Wo z. B. der Verbrauch der chlorierten Lösemittel Der Umweltschutz muß die Sache des gesamten Per und Tri aufs Korn genommen wurde, konnte schon Unternehmens werden, auch der Unternehmensfüh- nach einem Jahr der Verbrauch halbiert werden. rung. Wir brauchen eine Industrie, die Unternehmens- Viele in die Aktion einbezogene Betriebe sind heute planung als ökonomische und ökologische Aufgabe frei von chlorierten Lösemitteln und benutzen wäßrige begreift. Reinigungssysteme. Die Praxis zeigt uns: Überall dort, wo sich die Ich nenne ein anderes gelungenes Beispiel: Bei Leitung des Unternehmens von sich aus in Eigen- einem großen Metallbetrieb in Nordrhein-Westfalen initiative des Umweltschutzes annimmt, gelingt es am wurden Einkauf und Entsorgung von Arbeitsstoffen in besten, die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens die Verantwortlichkeit einer einzigen Person gelegt. mit der Verantwortung des Unternehmens für den So wurde verhindert, daß billige Stoffe eingekauft Umweltschutz zu verbinden. Es führt nicht weiter, die wurden, die später wegen hoher Umweltbelastungen Unternehmen im Umweltschutz von außen zu bevor- enorme Entsorgungskosten verursacht hätten. munden. Dies aber wäre die Konsequenz des SPD- Die gewerkschaftlichen Bemühungen und betrieb- Antrags. lichen Erfolge ermutigen und stimmen hoffnungsfroh. Ihr Ansatz sollte daher vom Gesetzgeber wirkungsvoll Die Bundesregierung hält daher ebenso wie die unterstützt werden, beteiligten Ausschüsse eine Änderung der gegenwär- tigen Rechtslage für nicht angebracht. (Beifall bei der SPD) Danke schön. denn wo die „clean production" vor lauter Nacheifern der „lean production" vernachlässigt wird, bleiben (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Gesundheit und Umwelt auf der Strecke. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11429

Dr. Marliese Dobberthien Die gesetzgeberische Unterstützung tut not. Denn Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Ach, du großer noch sind im betrieblichen Alltag genügend Schlupf- Gott, das sehe ich ganz und gar nicht so. löcher offen, Umweltauflagen zu umgehen. Das (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Koppelin geben Vertreter größerer und auch kleinerer Unter- heißt er!) nehmen durchaus ganz offen zu. Zwar hat manches — Noch nicht „großer Gott"? — Ich sehe das vielmehr Unternehmen die bessere Verkäuflichkeit seiner Pro- als einen Beitrag an, durch Zuständigkeitsregelungen dukte entdeckt, wenn es das Image der Umwelt- und durch eine gewisse Institutionalisierung einem freundlichkeit oder gar der Umweltverträglichkeit hier von allen begrüßten Gedanken zum Durchbruch trägt; doch war auch manche Mogelpackung darun- zu verhelfen. Es ist die Förderung einer ökologischen ter, wenn z. B. das Produkt selber zwar umwelfreund- Umsteuerung unserer industriellen Produktion, wenn lich war, nicht aber seine Herstellung. wir Umweltbeauftragte überall in den Betrieben So wird es künftig darauf ankommen, Rahmenbe- haben. Die Unternehmen begrüßen es. Sie sind weiter dingungen zu schaffen, die den Be trieben umwelt- als manche, die hier sitzen und glauben, Beauftragte freundliches Produzieren und Verhalten erleichtern. seien überflüssig. Wenn es nicht gelingt, die Dynamik des Wirtschaftens (Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.] meldet sich und Produzierens mit der Natur langfristig in Einklang zu einer weiteren Zwischenfrage) zu bringen, nehmen Umwelt und die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gleicherma- ßen Schaden. Auf langfristige Sicht bleiben dann Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch weder die Umwelt noch die Be triebe gesund. eine Zwischenfrage, Frau Kollegin? — Bitte. (Beifall bei der SPD) Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Kollegin, sind Sie Aber alle Bekenntnisse zum betrieblichen Umwelt- bereit — Sie brauchen es nicht im Plenum bekanntzu- schutz bleiben unverbindlich, wenn nicht institutio- geben —, für sich allein aufzulisten, für welche nelle und personelle Voraussetzungen zur Förderung Bereiche wir schon Beauftragte haben? Ich glaube, umweltfreundlichen Produzierens und Verhaltens damit kriegen Sie eine DIN A4-Seite voll. geschaffen werden. Umweltschutzmaßnahmen durchzusetzen verlangt planvolles und langfristiges (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Sind Sie der Handeln. Dazu gehört, daß sich Menschen im Betrieb Zwischenfragenbeauftragte der F.D.P.?) verantwortlich fühlen und die Aufgabe erhalten, dem Umweltschutz Geltung zu verschaffen. Daher braucht Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Genau das möchte jeder Betrieb Umweltschutzbeauftragte. Genausowe- ich von Ihnen wissen, Herr Koppelin: Sind Sie Zwi- nig wie Frauenfördermaßnahmen auf Frauenbeauf- schenfragenbeauftragter der F.D .P.? — tragte verzichten können, kommt der Umweltschutz (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Tolle Antwort! im Betrieb ohne eine personelle Zuständigkeitsrege- — Gegenruf des Abg. Wolfgang Weiermann lung aus. [SPD]: Tolle Frage!) Die Einsetzung vom Umweltbeauftragten im Es gibt verschiedene Beauftragte; das ist wahr. Diese Betrieb ist ein Beitrag zur systematischen Förderung Beauftragten können auch als Ausdruck dafür ver- des Umweltgedankens. Die vorhandenen Umwelt- standen werden, daß vorhandene Institutionen ihre schutzbeauftragten sind zu begrüßen, aber ihre Zahl Aufgaben nicht ausreichend erfüllen. Wir müssen ist beileibe nicht ausreichend, auch wenn der Präsi- eine Lösung finden, wenn die Institutionen, die wir dent des UBA die Unternehmensbeauftragten für den haben, nicht ausreichen. Wir müssen solche Institutio- Immissions- und Gewässerschutz, für Störfälle und nen schaffen, die dem gewünschten Gedanken zum den Abfall das „Umweltgewissen des Betriebes" Durchbruch verhelfen. nennt. (Beifall bei der SPD) Der Handlungsspielraum der vor immerhin 17 Jah- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Dob- ren von Sozialdemokraten geschaffenen Institution berthien, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- des Umweltbeauftragten ist leider zu gering. Seit gen Koppelin? damals ist wenig passiert. Sie berufen sich darauf, daß ausreicht, was vor 17 Jahren geschaffen worden ist. Wir sagen: Es reicht nicht. Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Wenn es nicht auf Wir stützen uns auf Gutachten und andere Erkennt- meine Redezeit angerechnet wird, ja. nisse, Herr Lippold. Durch juristische Grenzen einge- engt, müssen sich die Umweltbeauftragten als Berater des Anlagenbetreibers mit Kontrollen und Hinweisen Vizepräsident Helmuth Becker: Das wird grundsätz- begnügen. Als „Diener zweier Herren" muß dem lich nicht angerechnet. — Bitte sehr, Herr Kollege Umweltbeauftragten der Spagat zwischen dem auf Koppelin. Gewinnmaximierung gerichteten Eigentümerinter- esse einerseits und der Förderung des Umweltschutz- gedankens andererseits gelingen. Verbindlich er- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Frau Kollegin, können Sie zwingen kann der Umweltbeauftragte, wie wir ihn sich vorstellen, daß einige bei Ihrem Antrag natürlich derzeit haben, gar nichts. Er ist immer auf Goodwill auch Sorge haben, daß das wieder ein Stück auf dem angewiesen. Zum Beispiel muß der Betreiber den Marsch ins Beauftragtenwesen ist? zweimal jährlich vorzulegenden Tätigkeitsbericht des (Zuruf von der SPD: Ach, du großer Gott!) Umweltbeauftragten nur zur Kenntnis nehmen. Einer 11430 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Marliese Dobberthien Verpflichtung, festgestellte Mängel zu beseitigen Sie haben ökologische Tarifverträge und Betriebs- oder Verbesserungen vorzunehmen, unterliegt der vereinbarungen entwickelt, die hervorragend und zu Betreiber nicht. begrüßen sind. Der Nachteil einer solchen Regelung Unzureichend sind auch die Abgrenzungen. § 5 des ist, daß damit der Umweltschutzgedanke in das Kraft- Bundes-Immissionsschutzgesetzes verpflichtet zwar feld der möglicherweise konflikthaften Auseinander- den Betreiber, dafür Sorge zu tragen, daß von der setzung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer- Anlage keine Gefahren und Belästigungen für die vertretung gerät. Das sollte nicht so sein. Wir brauchen Nachbarn der Anlage ausgehen. Beschäftigte des einheitliche Regelungen für alle Wirtschaftsberei- Betriebs sind jedoch keine Nachbarn im Sinne des che. BImSchG. Konsequenz: Der Betriebsbeauftragte Danke. braucht Gefahren für Arbeitnehmerinnen und Arbeit- (Beifall bei der SPD) nehmer des eigenen Betriebs nicht zu beachten. Solche Halbheiten müssen schleunigst beendet wer- den. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster spricht der Kollege Erich Fritz. Nach 17 Jahren Erfahrung mit Umweltbeauftragten ist es an der Zeit, die überfälligen Weiterentwicklun- gen vorzunehmen. Erich G. Fritz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine (Beifall bei der SPD) Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion, wie er begründet worden ist, ist für die Koalition nicht Unser Antrag will die Institution des Betriebsbeauf- akzeptabel. Das ist hier deutlich ausgeführt worden. tragten für Umweltschutz ausbauen und seine Rechte und Pflichten verbindlich regeln. Mit unserem Antrag (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben wir Eckdaten über seine Kompetenzen und Es ist eigentlich gar nicht verständlich, warum die Wirkungsmöglichkeiten vorgelegt. Forderung weiter aufrechterhalten wird, wenn sowohl Unverständlich ist uns, warum sich die Koalitions- Herr Weiermann wie auch Frau Dobberthien die mehrheit weigert, gesetzliche Verbesserungen vorzu- Vorzüge des jetzigen Umweltbeauftragten im Betrieb nehmen. so deutlich geschildert haben und nur darüber hinaus- gehen wollen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Weil es Unsinn ist!) (Wolfgang Weiermann [SPD]: Da haben Sie aber nicht richtig zugehört!) Die von den Kollegen Lippold, Beckmann und Kolb vertretene Behauptung, die gegenwärtige Rechtslage — Herr Beckmann hat deutlich bestätigt, was Sie hier biete dem Umweltschutzbeauftragten ausreichende gesagt haben. Die betriebliche Praxis beweist, daß es Handlungsmöglichkeiten, ist angesichts der in Gut- ein bewährtes Instrument ist. achten und Stellungnahmen festgestellten offenkun- Warum wollen Sie darüber hinaus? Ich will versu- digen schweren Mängel blanker Hohn. chen, eine Einschätzung zu geben. Sie übertragen im Prinzip Strukturen der sozialen Auseinandersetzung, (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Die Pra- die zum Betriebsverfassungsgesetz geführt haben, auf xis beweist das Gegenteil!) die neue Entwicklung „betrieblicher Umwelt- Hier ist ein weiterer Beweis zu finden, welch geringe schutz" . Bedeutung Liberale und Konservative dem betriebli- (Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) chen Umweltschutz beimessen. Ich bin sicher, daß diese Übertragung nicht funktio- (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das geht aber zu niert, auch wenn sie scheinbar logisch abgeleitet weit!) werden kann. Wer die betrieblichen Entscheidungen Ihre Ablehnung unseres Antrags paßt nahtlos zu einer über Umweltschutz in der Partnerschaft zwischen Politik, die sich aus der aktiven Umweltgestaltung Betriebsleitung und Belegschaft in der Weise gestal- verabschiedet hat und sich mit schönen Reden und ten will, wie es die Regelungen vorsehen, die für unverbindlichen Ankündigungen begnügt. soziale Konflikte entwickelt worden sind, wird der Die Weigerung der Regierungskoalition, den Sache nicht gerecht. Die Qualifikationsmerkmale sind betrieblichen Umweltschutzgedanken zu stär- ganz anders; die Ansprüche sind ganz anders. Es gibt ken — — kein Herrschaftsverhältnis, wenn es um Umwelt- schutz geht. Gerade bei kleineren Betrieben ist es sehr häufig so, daß bei diesem Thema nur im partner- Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Dob- schaftlichen Umgang angemessen reagiert werden berthien, Sie haben Ihre Redezeit schon weit über- kann, weil die Betriebsleitung auf das Fachwissen und schritten. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen. auf die Qualifikation der Mitarbeiter angewiesen ist. Der SPD-Antrag hat einen großen Mangel, der Dr. Marliese Dobberthien (SPD): Ich komme zum wahrscheinlich mit dieser Einschätzung zusammen- Ende. — In die Lücke auf Grund der gesetzlichen hängt. Das ist die Tatsache, daß er eigentlich für Blockade sind die Gewerkschaften getreten. Einige Großbetriebe gestrickt ist. Aber gerade in Großbetrie- haben in „Selbsthilfe" beachtliche Initiativen entfal- ben stellen wir fest, daß sich auf Grund der Umwelt- tet. schutzerfordernisse eine andere Führungsstruktur (Vorsitz: Vizepräsidentin Renate ergibt. In den Vorständen und in großen Abteilungen Schmidt) wird dem Umweltschutz bereits heute große Bedeu- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11431

Erich G. Fritz tung eingeräumt, und die Betriebsbeauftragten finden auf Drucksache 12/1085 abzulehnen. Wer stimmt für dort eine sehr erhebliche Beachtung. diese Beschlußempfehlung? — Gegenprobe! — Ent- Wenn wir versuchen, das auf kleinere Betriebe zu haltungen? --- Damit ist die Beschlußempfehlung übertragen, kommt man in eine ganz schwierige angenommen. Situation. Gerade den kleineren und mittleren Betrie- Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 10: ben ist in den letzten Jahren im Umweltschutzbereich Beratung der Beschlußempfehlung und des viel übergestülpt worden. Das war gut und auch Berichts des Ausschusses für Gesundheit notwendig, und wir wollen es ausbauen. (15. Ausschuß) (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber jetzt zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Len- reicht es!) nartz, Susanne Kastner, Marion Caspers-Merk, Aber jetzt müssen sie die Gelegenheit haben, all das weiterer Abgeordneter und der Fraktion der aufzuarbeiten und in ihre betriebliche Praxis zu inte- SPD grieren. Sanierung der Trinkwasserversorgung in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) neuen Bundesländern Sie müssen das Instrument „Umweltschutzbeauftrag- zu dem Antrag der Abgeordneten Ul rich Adam, ter u nach der Novellierung neu ausprobieren und Anneliese Augustin, Richard Bayha, weiterer erproben, in das Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitneh- Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU mer bei betrieblichen Entscheidungen richtig ein- sowie der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, bauen. Ich glaube, daß wir nichts Gutes tun, wenn wir Gerhart Rudolf Baum, Birgit Homburger, wei- sofort wieder etwas darüberstülpen und draufsat- terer Abgeordneter und der Fraktion der teln, F.D.P. (Wolfgang Weiermann [SPD]: Denken Sie an Maßnahmen zur Verbesserung der Trinkwas das Beispiel Nico-Metall in Dortmund! Sie serqualität in den neuen Bundesländern wissen, was da passiert!) — Drucksachen 12/1477, 12/2735, 12/3929 — — Herr Weiermann, Sie werden diese Struktur einem Berichterstattung: kleinen Betrieb trotzdem nicht überstülpen können. Abgeordnete Editha Limbach - Wir werden beim kleinen Betrieb auf Zuarbeit ange- Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der wiesen sein — dafür gibt es viele Beispiele —, da, wie SPD vor. Frau Dobberthien gesagt hat, das Bewußtsein noch Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die nicht so weit ist. Sie haben viele Klein - und Mittelbe- triebe, in denen heute die alte Führungsstruktur, was Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dazu Umweltfragen angeht, überhaupt nicht mehr exi- anderweitige Vorstellungen? — Das ist nicht der Fall. stiert. Es gibt wirklich ein neues Verhältnis, weil der Dann ist es so beschlossen. Betriebsleiter in der Regel nicht in der Lage ist, mit den Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß wir komplizierten Vorschriften und den naturwissen- am Ende dieses Tagesordnungspunktes eine nament- schaftlichen Zusammenhängen umzugehen. Deshalb liche Abstimmung haben werden. ist er auf eine ganz neue Art und Weise auf seine Ich eröffne die Aussprache. Als erste spricht die Mitarbeiter angewiesen und kann nur partnerschaft- Kollegin Susanne Kastner. liche Entscheidungen treffen. Es ist also wesentlich besser, in der jetzt erprobten Weise fortzufahren, nämlich eine Umweltschutzpoli- Susanne Kastner (SPD): Frau Präsidentin! Liebe tik zu machen — damit sollte sich der Bundestag mehr Kolleginnen und Kollegen! Zum zweiten Mal disku- als mit solchen Randthemen befassen —, in der tieren wir heute über die Situation der Trinkwasser- vernünftige Preise für Umweltgüter in betriebliche versorgung in den neuen Bundesländern; heute, auch Marktmechanismen eingebaut werden. Dann werden wenn es auf der Tagesordnung etwas anders ausge- die Entscheidungsstrukturen in den Be trieben auto- druckt ist, über einen veränderten interfraktionellen matisch anders, denn dann sind Umweltkosten noch Antrag, den die Koalitionsfraktionen als Beschluß- mehr als heute betriebswirtschaftlich relevante empfehlung des Gesundheitsausschusses hier ein- Kosten. Dann wird das Interesse aller Beteiligten, bringen, und über einen Änderungsantrag der SPD, sowohl der Arbeitnehmer als auch der Arbeitgeber, der dem interfraktionellen Antrag entspricht. Das darauf gerichtet sein, Umweltschäden in jeder Form klingt nicht nur paradox, sondern das ist es meiner zu vermeiden. Auffassung nach auch. Weil wir in diesen Zusammenhängen denken, nicht (Beifall bei der SPD) mehr in dem alten Muster des Gegensatzes, deshalb Nach unserer letzten Debatte zu diesem Thema im lehnen wir Ihren Antrag ab. Plenum und in den Beratungen in den Ausschüssen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) waren wir uns ja alle darüber einig, daß wir es bei der Sanierung der Trinkwasserversorgung in den neuen Bundesländern mit einem der wichtigsten Probleme Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- zu tun haben, das möglichst rasch gelöst werden dungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die muß. Aussprache. Ich darf auch daran noch einmal erinnern, daß wir Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß für diesen ehemals interfraktionellen Antrag, der heute Wirtschaft empfiehlt, den Antrag der Fraktion der SPD als Änderungsantrag der SPD vorliegt, gemeinsam 11432 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Susanne Kastner mit den Mitgliedern der F.D.P. und der CDU/CSU aus die Preise umgelegt werden. Dies ist der ganz natür- dem Gesundheitsausschuß erarbeitet haben. liche Gang der Marktwirtschaft, auf die Sie sich ja Was also ist passiert? Das Problembewußtsein immer so berufen; aber — das müssen Sie den Bürgern scheint ja nun bei allen vorhanden zu sein. So sprach in den neuen Ländern dann auch sagen — dies führt der Kollege Ehlers in der letzten Debatte zu dieser zu hohen Preisen, die von den Bürgern in den neuen Frage von einem wirklich ernsthaften Problem. Der Bundesländern kaum getragen werden können. Kollege Hans-Joachim Sopart sprach davon, daß der Antrag der SPD zweifellos einen wesentlichen Aspekt Meines Erachtens kommt noch ein verhängnisvoller der aus der DDR-Zeit übernommenen Altlasten auf- ökologischer Fehler hinzu. Wir alle wissen, daß die greife. Von den Stellungnahmen der Verbände und Trinkwasserreserven in den neuen Bundesländern vor allem der Kommunen, die auf die Problematik der weitaus beschränkter als in den alten Bundesländern Trinkwasserversorgung in den neuen Bundesländern sind — und auch dort sind sie ja nicht unbegrenzt. hinweisen, will ich erst gar nicht reden. Wenn aber jetzt von seiten der Regierung auf zentrale Wasserwerke gesetzt wird und die vielen kleinen Frau Bergmann-Pohl hat in ihrer Rede hier in belasteten Anlagen nicht saniert werden, dann diesem Hohen Hause angemerkt, daß der Bundesum- bedeutet eine solche Politik nicht nur die Gefahr der weltminister in dem jetzt auslaufenden Gemein- Monopolisierung, sondern auch die Gefahr der Fern- schaftswerk „Aufschwung Ost" seine Mittel überwie- wasserversorgung, das Verschieben der Probleme gend in die Sanierung der Trinkwasseraufbereitung von einer Region in die andere, ganz abgesehen von hat einfließen lassen. den gefährlichen Grundwasserabsenkungen. Ich will Aus allen diesen Äußerungen schließe ich, daß auch nur an die Situation der Hauptstadt Berlin erinnern. Ihnen die Problematik sehr wohl bekannt ist. Sie wissen doch genausogut wie wir — oder Sie könnten Nun haben wir die Haushaltsberatungen ja hinter es eigentlich wissen —, daß eine gesicherte Trinkwas- uns. Ein Ergebnis ist, daß es ausgerechnet der Kollege serversorgung ein wichtiger Standortfaktor für viele Kriedner von der CDU aus Thüringen war, der im Industriebereiche und damit für den Aufschwung Ost Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages den ist. wichtigsten Passus aus dem ehemals interfraktionel- len Antrag streichen ließ, nämlich den finanziellen Im Dezember konnte man in Radio Thüringen ein - Part. Interview mit Umweltminister Töpfer hören, in dem er gemeinsam mit den Umweltministern von Sachen und (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Uner Mecklenburg-Vorpommern davon sprach, daß es vor hört!) allem in der Altlastensanierung und dem überfälligen Bau von Abwasser - und Abfallentsorgungsanlagen Liebe Kollegen von der CDU/CSU und von der noch gravierende Probleme gebe. Weiterhin sprach F.D.P., wenn Sie sich die Passage, die Sie streichen Herr Umweltminister Töpfer davon, daß er für den Bau wollen, noch einmal genau durchlesen, werden Sie von Kläranlagen mit einem gewaltigen Investitions- sehen: Da steht nicht, daß die Sanierung der Trink- bedarf rechne und den Einsatz von privatem Kapital wasserversorgung in den neuen Bundesländern mit für unverzichtbar halte. Staatliche Förderung — so Mitteln des Bundes finanziert werden soll. Da steht Herr Umweltminister Töpfer — sei aber ebenso not- lediglich, daß sich der Bund, daß sich die Bundesre- wendig, da ansonsten die Tri nk- und Abwasserpreise gierung in die zeitlich begrenzte Mitverantwortung für die Bürger in den neuen Ländern in unbezahlbare nehmen lassen soll. Höhen schnellen würden. Dem kann ich nur zustimmen. Doch ich habe starke Nun frage ich mich, wie diese Streichung im Haus- Zweifel, ob der Herr Umweltminister das, was er im haltsausschuß, die von der F.D.P. und der CDU/CSU Radio erzählt hat, nun auch in die Tat umsetzen im Gesundheitsausschuß dann übernommen wurde, kann. mit der Äußerung von Bundesumweltminister Töpfer zu vereinbaren ist, die ich vorhin erwähnte. In der Tat Wie man hört, sollen belastete Trinkwasseranlagen ist es wieder einmal so, daß sich Bundesumweltmini- stillgelegt und in Zukunft vorrangig große Wasserver- ster Töpfer mit der befristeten Hilfe des Bundes für die sorgungsunternehmen gefördert werden. Dies würde Länder und Kommunen in den Fragen Wasser und — das ist wohl auch der gewünschte Effekt — die Abwasser eben nicht hat durchsetzen können. kleineren Wasserwerke und auch die kommunalen Anlagen regelrecht ausbluten lassen. All dies soll, wie (Zuruf von der sowohl Herr Töpfer als auch Frau Bergmann-Pohl SPD: So ist es immer!) immer wieder betonen, vorrangig wohl mit privaten Betreibern geschehen. Welche verheerenden Folgen dies für die Bürger in den neuen Ländern haben wird, ist in dem Bericht an Genau da, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzt den Bundesminister für Gesundheit vom Juli 1992 meines Erachtens der Denkfehler ein. Sie wollen nachzulesen, der von der Fachkommission „Sofort- — das sagen Sie zumindest — einerseits verhindern, hilfe Trinkwasser" erstellt wurde. Es wird ausgerech- daß die Bürger in den neuen Ländern in absehbarer net, daß in den neuen Bundesländern der Bedarf für Zeit den doppelten Preis für Trinkwasser bezahlen die Sanierung von Wasserversorgungsanlagen bei müssen, andererseits aber wollen Sie kein Geld für die ungefähr 26 Milliarden DM liegt. Dazu käme auch notwendigen Sanierungskosten ausgeben. Finanz- noch der Sanierungsbedarf der Kläranlagen mit mittel vom freien Kapitalmarkt kosten aber Geld, und 1,5 Milliarden DM. Wer diese Summen kennt, weiß, dieses Geld will wieder verdient werden, muß also auf daß Kommunen und Länder auch über eine Gebüh- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11433

Susanne Kastner renerhöhung nicht in der Lage sind, die notwendigen bracht. Wir geben Ihnen damit die Chance, sich hier Sanierungsmaßnahmen zu finanzieren. doch noch eines Besseren zu besinnen. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS richtig!) 90/DIE GRÜNEN) Es gibt einen richtigen Sp ruch: Jede Generation hat Verehrte Frau Kollegin von der CDU, Sie wissen, ihren Tagesmarsch auf der Straße des Fortschritts zu daß die Wasserpreise in den neuen Bundesländern in vollenden. Eine Generation, die auf schon gewonne- unvertretbarer Weise in die Höhe schnellen würden. nem Grund wieder rückwärts schreitet, verdoppelt Ich möchte Ihnen dazu einmal kurz etwas aus einem den Marsch für ihre Kinder. Brief der Oberbürgermeisterin von Halle vorlesen. Sie Ich bitte an dieser Stelle nicht nur die Kollegen der schreibt: F.D.P. und der CDU, die Mitglied des Gesundheits- ... wenn wir keine finanziellen Entlastungen der ausschusses sind, für diesen von uns gemeinsam Versorgungsunternehmen der Wasserwirtschaft eingebrachten Antrag zu stimmen, sondern ich bitte erwirken, ist schon heute erkennbar, daß z. B. der auch alle Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Gesamtwasserpreis für Trinkwasser und Abwas- Bundestags: Helfen Sie mit, daß unsere Kinder ein ser in dem Versorgungsgebiet der MIDEWA ab Stück weiterschreiten können und sich nicht mehr mit 1993 eine Größenordnung von über 7,00 DM pro den Altlasten ihrer Vorväter beschäftigen müssen! m3 erreichen kann. Schönen Dank. Dasselbe erfuhr ich in den vergangenen Tagen von (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und der Stadt Arnstadt, die Befürchtungen dahin gehend dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hat, daß es zu einem Wasserpreis von 8 DM pro Kubikmeter kommt. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste Vielleicht können Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- spricht Frau Parlamentarische Staatssekretärin gen von der CDU/CSU und auch von der F.D.P., mir Dr. Bergmann-Pohl. einmal erklären — vielleicht können sich auch Herr Töpfer und Herr Seehofer einmal darüber den Kopf zerbrechen —, wie eine vierköpfige Familie nach Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Durchführung der notwendigen Sanierungsmaßnah- beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- men in den neuen Ländern allein für Trinkwasser rund tin! Meine Damen und Herren! Unser gemeinsames 1 000 DM pro Jahr bezahlen soll, von den Abwasser- Ziel ist die Herstellung gleich guter Lebensverhält- kosten einmal ganz abgesehen. Ich frage mich also, nisse in ganz Deutschland. Für Bund und Länder ist wie Sie den Bürgern in den neuen Bundesländern das das die Aufgabe Nummer eins. erklären wollen und wie Sie das auch gegenüber sich (Susanne Kastner [SPD]: Was?!) selbst verantworten wollen. — Mit „gleich gute Lebensverhältnisse" sage ich doch Wenn Kommunen und Länder alleingelassen wer- nichts Neues, Frau Kastner. — Zu den gleich guten den, wie es auch in Arnstadt der Fall ist, dann wird .es Lebensverhältnissen gehört auch eine vergleichbar zu den notwendigen Sanierungen nicht kommen, weil hohe Qualität des Trinkwassers in den alten und die Kommunen Gebühren von 8 DM pro Kubikmeter neuen Ländern. auf ihre Bürger nicht umlegen können. Wenn die Frau Kastner, das Problembewußtsein war bei der notwendigen Sanierungen lange hinausgezögert wer- Bundesregierung bereits bei der Wiedervereinigung den, dann wird die Bundesregierung wohl in die Lage vorhanden. kommen, daß sie die Frist für die Einhaltung der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) EG - Trinkwasserrichtlinien, bis 1995, nicht einhalten kann und mit einer Klage vor dem Europäischen Die Bundesregierung hat bei der Vereinigung erheb- Gerichtshof rechnen muß. liche Mittel in Sonderprogrammen bereitgestellt, um die neuen Länder bei der Bewältigung dieser Aufgabe (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Sehr zu unterstützen. richtig, genau!) (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Sie Das Schlimmste ist in meinen Augen aber, daß den haben sie verplempert!) Frauen, Männern und Kindern in den neuen Bundes- Trotz aller Anstrengungen wird es aber noch Jahre ländern zugemutet wird, weiterhin Wasser zu trinken, dauern, bis die komplette Sanierung der Trinkwas- das oftmals ihre Gesundheit belastet. Was zählt die serversorgung erreicht sein wird. Gesundheit dieser Leute eigentlich noch? (Susanne Kastner [SPD]: Wenn Sie nichts tun, Ich weiß, daß viele Kolleginnen und Kollegen der dann dauert es Jahrzehnte!) Koalitionsfraktionen nicht glücklich sind über die Vor dieser Tatsache kann niemand die Augen ver- Streichungen, die von seiten ihrer Haushaltspolitiker schließen. gefordert worden sind. Wir alle miteinander wissen, Fest steht: Die Belastung mit unerwünschten Stoffen daß in dieser Frage in den neuen Bundesländern umgehend etwas getan werden muß. Aus diesem liegt häufig noch über den zulässigen Grenzwerten Grunde haben wir von seiten der SPD-Fraktion diesen nach bundesdeutschem Recht. interfraktionellen Antrag, verbunden mit dem Antrag (Susanne Kastner [SPD]: Was heißt hier auf namentliche Abstimmung, hier wieder einge- „häufig"?) 11434 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Part. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl Deshalb wurde bereits im Einigungsvertrag festge- abzustellen. Hier ist inzwischen auch viel erreicht schrieben, zwölf Grenzwerte der Trinkwasserverord- worden. nung bis 1995 auszusetzen. (Susanne Kastner [SPD]: Ach ja? — Weitere Natürlich heißt das nicht, daß gesundheitsgefähr- Zurufe von der SPD) dende Konzentrationen an Schadstoffen hingenom- — Frau Kastner, man muß auch einmal über das men werden. Die Vorschriften der Trinkwasserver- Positive reden, ordnung sind hier ganz eindeutig. (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Das wollen (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: die nicht hören!) Nein!) nicht immer nur über das Negative. Damit verunsi- chern Sie die Leute ganz besonders. Abweichungen von den Grenzwerten sind nur dann zulässig, wenn sie nicht gesundheitsgefährdend (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sind. Fortschritte sind insbesondere in den ländlichen Regionen erzielt worden. Für Fortschritte hat auch die Meine Damen und Herren, die meisten von Ihnen Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar- werden sicherlich schon einmal selbst die Erfahrung struktur und des Küstenschutzes" gesorgt. Hier hat gemacht haben, daß in den neuen Bundesländern die der Bund Mittel in Höhe von mehr als 150 Millionen Qualität des Wassers noch nicht ausreichend ist. DM zur Verfügung gestellt. Sie waren ein wichtiger (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Beitrag dazu, um in ländlichen Regionen den Richtig!) Anschluß von Verbrauchern an zentrale öffentliche Wasserversorgungen voranzutreiben. Diese Gemein- Zur Qualität gehört nicht nur eine möglichst geringe schaftsaufgabe kann weiterhin zur Förderung von Schadstoffbelastung, sondern auch ein klares und Maßnahmen in der Trinkwasserversorgung in An- geruchsfreies Wasser. Dieser Standard ist noch längst spruch genommen werden. nicht erreicht. Alle Sanierungsmaßnahmen in den neuen Bundes- Veraltete und schadhafte Rohrleitungen müssen ländern hängen ganz entscheidend davon ab, daß ausgewechselt werden, genaue Informationen über die Qualität des Trink- wassers vorliegen. Erst dann ist es möglich, gezielt - (Susanne Kastner [SPD]: Wer bezahlt das?) und koordiniert zu arbeiten. Im Rahmen des Notpro- Das ist eine Mammutaufgabe für jedes der neuen gramms Trinkwasser wird in allen Wasserversor- Bundesländer, für jede Gemeinde und für jede gungsanlagen die Schadstoffbelastung untersucht. Stadt. Wir gehen davon aus, daß dieses Projekt Mitte 1993 abgeschlossen sein wird. (Susanne Kastner [SPD]: Wer bezahlt das?) Frau Parlamenta- — Frau Kastner, hören Sie zu! — Selbst wenn wir das Vizepräsidentin Renate Schmidt: rische Staatssekretärin, ich darf kurz unterbrechen. Es Geld hätten, würden diese Arbeiten schon aus techni- gibt die Bitte um eine Zwischenfrage von der Kollegin schen Gründen nicht bis 1995 abgeschlossen sein. Kastner, (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: Des- halb wollen Sie gar nichts machen!) Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- Wir würden es deshalb sehr begrüßen, wenn die tin, nur wenn Sie das nicht auf meine Redezeit Übergangsfristen über das Jahr 1995 hinaus verlän- anrechnen. gert werden könnten. Bis jetzt läßt das Recht der Europäischen Gemeinschaft dies aber nicht zu. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Sie dürfen erstens (Karl Hermann Haack [Extertal] [SPD]: ohnehin so lange sprechen, wie Sie mögen, und ich Dahinter verstecken Sie sich doch nur, uner- rechne es Ihnen zweitens nicht an. hört!) Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Die Bundesregierung wird mit der EG-Kommission beim Bundesminister für Gesundheit: Danke schön. über dieses Problem rechtzeitig sprechen. Meine Damen und Herren, seit der Wiedervereini- Susanne Kastner (SPD): Frau Staatssekretärin, kön- gung Deutschlands hat der Bund mit mehr als 400 Mil- nen Sie mir erklären, wie all die Maßnahmen — jetzt lionen DM die neuen Bundesländer bei ihrer Aufgabe meine ich gezielt die Untersuchungsmaßnahmen, die unterstützt, Sie gerade angekündigt bzw. versprochen haben — mit den 11 Millionen DM, die die Soforthilfe-Kommis- (Eckart Kuhlwein [SPD]: Mehr nicht?) sion im Bundesgesundheitsamt in Berlin bekommen die Qualität des Trinkwassers zu verbessern und die hat, finanziert werden sollen? Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser langfri- (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Wir müs stig zu sichern. Mit mehr als 220 Millionen DM, davon sen erst einmal anfangen!) 120 Millionen DM aus dem Gemeinschaftswerk „Auf- schwung Ost", wurden allein vom Bundesministerium Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin für Umwelt mehr als 300 Projekte gefördert. Sie hatten beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kastner, u. a. das Ziel, rasch und wirksam gesundheitsgefähr- Sie verkennen vielleicht die Tatsache — ich wäre dende Wasserbelastungen ausfindig zu machen und darauf noch eingegangen —, daß immerhin 85 % der Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11435

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl versorgten Bevölkerung ein untersuchtes Trinkwas- Auf dieser Sitzung waren sich alle Beteiligten — auch ser erhält. die Länder, Frau Kastner! — darin einig: Der dort vorgelegte Bericht an den Bundesminister für (Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der Gesundheit über die notwendigen Sanierungsmaß- CDU/CSU: In dieser kurzen Zeit!) nahmen bei der Trinkwasserversorgung ist eine wich- — In dieser kurzen Zeit! — Ich wiederhole: Schon tige Grundlage für weitere Arbeiten auf diesem heute liegen für 85 % der versorgten Bevölkerung in Gebiet. den neuen Bundesländern die Ergebnisse dieser (Susanne Kastner [SPD]: Das hat doch die EG Untersuchungen vor. Sie sind eine wichtige Grund- gefordert! Das mußtet ihr doch machen! Das lage für unverzichtbare Sanierungsarbeiten. ist doch eure Pflichtaufgabe!) Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Trink- Das wurde ausdrücklich auch von den Ländern bestä- wasserkontrolle gehören funktionierende Länderge- tigt. sundheitsverwaltungen, die erst aufgebaut werden Die werden jetzt mit Hilfe dieses Berichts mußten. Auch hierbei hat der Bund geholfen. Ich Länder - darum geht es; wir können ja nicht einfach in den erinnere an die Unterstützung bei der Ausstattung der blauen Dunst hinein sanieren — Hygieneinstitute. Auch hier gab es einen erheblichen Nachholbedarf. (Beifall bei der CDU/CSU) Alle diese Maßnahmen waren dringend notwendig. detaillierte Pläne zur Sicherstellung der Trinkwasser- Jetzt kommt es darauf an, neue Strukturen in der qualität ausarbeiten. Dabei soll die Sanierung Wasserversorgungswirtschaft zu schaffen. gesundheitsrelevanter Mängel Priorität haben. Das ist, glaube ich, ein großer Fortschritt. (Susanne Kastner [SPD]: Das machen die Kommunen schon allein!) (Susanne Kastner [SPD]: Und was ist mit den nicht untersuchten Anlagen?) Das Stichwort heißt Privatisierung. Ich weiß, wie Ein großer Fortschritt ist außerdem eine wichtige schwer diese Aufgabe ist. Fünfzehn zentralistisch Zusage der Gesundheits- und Umweltminister der strukturierte Wasser-/Abwasserbetriebe müssen ent- neuen Bundesländer bei der Konzertierten Aktion. Sie flochten werden. Die Treuhand hat das Eigentum an wollen nämlich alles dafür tun, Frau Kastner, um die den Versorgungsbetrieben inzwischen weitestge- den Ländern zur Verfügung gestellten Bundesmittel hend auf Kommunen oder kommunale Vereinigun- mehr als bisher für die Verbesserung der Trinkwas- gen übertragen. Aber die Schwierigkeiten sind immer serqualität einzusetzen. noch sehr groß. Investitionen verzögern sich, notwen- dige Entscheidungen können nicht so schnell getrof- (Susanne Kastner [SPD]: Privatisieren wollen fen werden, wie es eigentlich erforderlich wäre. Sie!) Fest steht aber: Diese Umstrukturierung ist unver- Ich erinnere weiter daran: Die Möglichkeiten dafür zichtbar. An ihr führt kein Weg vorbei. sind auch durch die Aufstockung des Fonds Deutsche Einheit vorhanden. Von 1992 bis 1994 werden (Zuruf von der F.D.P.: Richtig! — Susanne 31,3 Milliarden DM mehr zur Verfügung stehen, als Kastner [SPD]: Na klar!) ursprünglich geplant. Jetzt kommt es darauf an, funktionsgerechte Ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) heiten zu bilden. Sie müssen nicht nur ökonomisch Die Länder müssen Prioritäten setzen. Das Trink- lebensfähig sein; sie müssen vor allem jederzeit in der wasser gehört zu diesen Prioritäten. Auch die Länder Lage sein, die Qualität des Trinkwassers sicherzustel- haben sich bereit erklärt, auch diese Priorität anzuer- len. kennen und sich für die Trinkwassersanierung einzu- Der Bund wird dabei weiterhin im Rahmen seiner setzen. Möglichkeiten helfen. Konkret heißt das: Die Fach- Ich darf vielleicht daran erinnern, daß sie auch eine kommission „Soforthilfe Trinkwasser" des Bundes - besondere Priorität im Aufbau der Krankenhäuser ministeriums für Gesundheit wird die Liste notwendi- gesehen haben und daß der Bund für den Aufbau der ger Sanierungsmaßnahmen fortführen und ausbauen. Krankenhäuser immerhin 7 Milliarden DM zur Verfü- Das erfolgt natürlich in enger Kooperation mit den gung stellt. Die Länder haben dafür ihre Bereitschaft Ländern und deren Zielvorgaben. Weiterhin wird sie erklärt, diese Mehrmittel des Bundes für die Sanie- die Ergebnisse der flächendeckenden Trinkwasser- rung der Trinkwasserversorgung einzusetzen. untersuchungen zusammenfassen, auswerten und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) veröffentlichen. Die dafür notwendigen Mittel stehen im Haushalt 1993 des Bundesministeriums für Ich möchte von hier aus die Gesundheitsminister Gesundheit zur Verfügung. — Übrigens geschieht das der Länder auffordern, sich dafür auch bei ihren auch auf ausdrücklichen Wunsch der Länder hin. Ministerpräsidenten einzusetzen, weil das, denke ich, eine vorrangige Aufgabe ist. Meine Damen und Herren, Sie sehen: Der Bund ist weiterhin aktiv. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Frau Staatssekre- (Susanne Kastner [SPD]: Ach ja!) tärin, jetzt holen Sie Luft. Wunderbar! — Gestatten Sie Wie Sie wissen, hat die Konzertierte Aktion Anfang eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Kastner? Dezember in Berlin getagt.

(Susanne Kastner [SPD]: Schönreden nützt Dr. Sabine Bergmann - Pohl, Parl. Staatssekretärin halt auch nichts!) beim Bundesminister für Gesundheit: Ja. 11436 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Ja. Wunderbar. Bundesländern gilt. Aber bereits die ersten Kennt- nisse von der Situation der Trinkwasserversorgung in Susanne Kastner (SPD): Frau Staatssekretärin, wie den neuen Ländern hatten gezeigt, daß zwischen den bewerten Sie denn die Zielsetzung des Wirtschaftsmi- vorgeschriebenen Standards und dem tatsächlichen nisters von Thüringen, des Herrn Bohn, der ja einer Zustand erhebliche Diskrepanzen bestanden. Privatisierung der Wasserversorgungsanlagen den Im Bericht an die EG - Kommission, den die Bundes- Vorrang einräumt; regierung im Februar 1992 vorlegte, wurde dies mehr (Zuruf von der F.D.P.: Kluger Vorschlag!) als deutlich. Veraltete Anlagen, fehlende oder man- und geben Sie mir recht, wenn ich die Befürchtung gelhafte Aufbereitungstechniken, marode Rohrnetze ausspreche, daß diese Privatisierung zu einer Mono- und ein kaum vorhandener Ressourcenschutz waren polisierung und damit zu einer Preissteigerung, die Hauptgründe für die ungenügende Trinkwasser- (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: versorgung. Zwar gab und gibt es regionale Unter- Nein!) schiede, abhängig von der Wirtschaftsstruktur, den natürlichen Gegebenheiten und anthropogenen Ein- einer unerträglichen Preissteigerung für die Bürger flüssen, aber die Grenzwerte der Trinkwasserverord- und Bürgerinnen in den neuen Bundesländern nung wurden fast überall und teilweise deutlich führt? überschritten, insbesondere in ländlichen Berei- (Zurufe) chen.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin (Susanne Kastner [SPD]: Was machen wir beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kastner, denn nun?) ich gebe Ihnen da nicht recht, In Erkenntnis dieser Situation sind von der Bundes- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Die Äußerung wer- regierung zahlreiche Programme aufgelegt worden den Sie noch bereuen!) — sie noch einmal aufzuzählen ist hier nicht erforder- weil ich denke, daß die Länder durch die Bereitstel- lich; die Frau Staatssekretärin hat schon ausdrücklich lung der Mehrmittel von 31,3 Milliarden DM sehr darauf hingewiesen —, damit die ersten dringlichen wohl Möglichkeiten haben, hier außer der Privatisie- Notsituationen überwunden werden konnten. rung auch die Trinkwassersanierung zu unterstützen- und damit die Preise eben nicht in die Höhe zu Wir diskutieren heute über zwei Anträge, in denen treiben. im Grundsatz — das wurde hier schon deutlich gesagt — sowohl von der SPD als auch von der CDU (Beifall bei der CDU/CSU — Susanne Kast- und der F.D.P. erkannt worden ist, welche Dringlich- ner [SPD]: Und was wurde praktiziert?) keit diesem Problem beigemessen werden muß. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, dem Antrag des Gesundheitsausschusses zuzustimmen. (Dr. Franz Möller [CDU/CSU]: Richtig! Und Ich danke Ihnen. von der CSU!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben versucht, in Erkenntnis der Dringlichkeit dieses Problems einen Konsens zu finden. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster (Zuruf von der F.D.P.: Sehr wahr!) spricht unser Kollege Dr. Bruno Menzel. Auch da gibt es, denke ich, zwischen SPD, F.D.P. und Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine CDU keinerlei unterschiedliche Auffassungen. sehr verehrten Damen und Herren! Die Lebensquali- (Zuruf von der F.D.P.: Und der CSU!) tät einer Gesellschaft mißt sich an der Güte der zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen. Das ist — Und der CSU; Entschuldigung. unbestritten. Durch die Herstellung der deutschen Einheit erwuchs den Gesetzgebern im Bund und in (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: den Ländern die Aufgabe, die Einheitlichkeit der Regionalparteien vergißt man leicht! — ökologischen Lebensverhältnisse in ganz Deutsch- Susanne Kastner [SPD]: Warum sind Sie land auf dem Niveau der in der alten Bundesrepublik denn aus dem interfraktionellen Antrag aus erreichten St andards zu fördern. gestiegen?) Wasser als dem Lebensmittel Nummer eins kommt — Frau Kollegin, hören Sie mir doch bitte weiter dabei eine besondere Bedeutung zu. Darüber sind wir zu! uns, denke ich, einig. (Susanne Kastner [SPD]: Ja!) Bei allen unseren Bemühungen, die wir nach Mög- lichkeit gemeinsam bündeln sollten, müssen wir auf Die Sanierung der Trinkwasserversorgung, des der anderen Seite anerkennen, daß es in der zuneh- Grundwassers und der Oberflächengewässer in den menden Normalisierung zwischen den Teilen neuen Bundesländern ist daher eine der dringendsten Deutschlands letztlich natürlich die ordnungspoliti- Aufgaben, die in den kommenden Jahren bewältigt schen Prinzipien in ganz Deutschland einzuhalten werden muß. gilt. Die Qualitätsanforderungen an Trinkwasser sind in Deutschland in der Trinkwasserverordnung nieder- (Susanne Kastner [SPD]: Das ist doch keine gelegt, die seit dem 3. Oktober 1990 auch in den neuen zunehmende Normalisierung!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11437

Dr. Bruno Menzel Die Zuständigkeit für Trinkwasser ist nun einmal in beschäftigt hat, sondern eine rein finanzpolitische die Länderkompetenz — Land und Kommunen — Streichung war? gegeben. (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Eine gute Frage! (Susanne Kastner [SPD]: Und der Bürger — Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Das ist die zahlt!) Konsequenz!) Trotzdem waren wir im Gesundheitsausschuß der Meinung, daß wir den zunächst gemeinsam konzi- Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Selbstverständlich sind pierten Antrag hier einbringen sollten. Wir mußten hier finanzpolitische Überlegungen ausschlaggebend uns dann jedoch vom Haushaltsausschuß sagen las- gewesen. Das ist im Haushaltsausschuß nun einmal sen, daß der Haushaltsausschuß gegen diesen Antrag so. Ich gebe Ihnen recht. Selbstverständlich ist das in der vorgelegten Form Bedenken hat. eine finanzpolitische Überlegung. Das ergibt sich ja (Horst Peter [Kassel] [SPD]: Weil er keine aus dem, Frau Kollegin, was ich gesagt habe. Ahnung hat! — Susanne Kastner [SPD]: Das Aber es ist ja nicht so, wie Sie jetzt darzustellen war der Herr Kriedner!) versuchen, daß die Bundesregierung keine Verant- wortung wahrnimmt. Die Staatssekretärin hat hier Es ist ja nicht nur bei der Trinkwasserversorgung zu ausdrücklich dargestellt, wie die weitere Kontrolle der bedenken, daß wir uns in einer besonderen Situation Wasserversorgung vorgenommen wird. Ich bin wirk- der Verteilung der finanziellen Ressourcen befin- lich echt davon überzeugt, daß — — den. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Aber, Herr Dr. Men (Susanne Kastner [SPD]: Aber Sie sagten zel, das wurden Sie doch in Sachsen-Anhalt doch gerade: das Lebensmittel Nummer so nicht verkaufen können! Schauen Sie sich eins! —Dr. Uwe Küster [SPD]: Da werden die das Wasser an! Sie kennen sich doch aus in neuen Länder wieder mal allein gelassen!) dieser Region!) Wir müssen mit den vorhandenen Ressourcen das — Also, entschuldigen Sie, Sie werden mir kaum Bestmögliche erreichen. unterstellen können daß ich in Sachsen-Anhalt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) anders rede als hier im Bundestag! Ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Wir - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) haben viele Wünsche, die wir sehr schnell erfüllen Bloß, meine Damen und Herren, Sie dürfen überzeugt möchten, nicht nur was das Trinkwasser anbelangt, sein, daß es mir nicht leichtgefallen ist; denn Sie (Dr. Uwe Küster [SPD]: Grundnahrungsmit werden auch wissen, daß ich mich mit für den gemein- tel!) samen Antrag verwendet habe. und trotzdem müssen wir in jedem einzelnen Fall (Susanne Kastner [SPD]: Das wissen wir; aber entscheiden, was uns zu erreichen möglich ist, und den Bürgern fällt es nicht leicht, 8 Mark zu was nicht. bezahlen!) (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!) Es ist mir also nicht leichtgefallen, zu dieser Entschei- dung zu kommen. Wenn Sie, Frau Kastner, vorhin an Und weil eben das Trinkwasser eine so große Bedeu- die Abgeordneten dieses Bundestags appelliert tung hat, haben, sie mögen nach dem, was Sie gesagt haben, (Susanne Kastner [SPD]: Machen wir noch einmal prüfen, wie sie zu diesem Antrag stehen, nichts!) dann muß ich dem hinzufügen: Die Abgeordneten glaubten wir zumindest vom Gesundheitsausschuß haben auch alle die Verantwortung, sich über das, was her, daß wir in dieser besonderen Situation mit der sie hier entscheiden, Rechenschaft abzugeben, was gemeinsamen Formulierung Grenzen überspringen möglich, was machbar, was sofort unverzichtbar ist. können, die eben doch gesetzt sind. Das hat uns der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Haushaltsausschuß dann noch einmal deutlich Dr. Uwe Küster [SPD]: Wasser ist wirklich das gesagt: Wir können uns, ob wir wollen oder nicht, auch Wichtigste! — Abg. Susanne Kastner [SPD] als Gesundheitsausschuß über ein solches Votum meldet sich zu einer Zwischenfrage) nicht ohne weiteres hinwegsetzen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Vizepräsidentin Renate Schmidt: Die Redezeit des Widerspruch bei der SPD — Dr. Uwe Küster Kollegen Menzel ist fast um. [SPD]: Wollen Sie das Trinkwasser gesund beten?) Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Bitte schön.

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Susanne Kastner (SPD): Herr Dr. Menzel, wie Menzel, die Kollegin Kastner möchte eine Zwischen- können Sie es als Abgeordneter dieses Bundestages frage stellen. verantworten, daß Sie 596 Millionen DM für Aufklä- rungsarbeit der Bundesregierung im Bundeshaushalt haben und keine 100 Millionen DM für die Trinkwas- Susanne Kastner (SPD): Herr Dr. Menzel, geben Sie serversorgung in den neuen Bundesländern? mir recht, daß sich der Antrag des Herrn Kriedner nicht mit den Kompetenzen der Länder und Kommu- Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Verehrte Frau Kollegin, nen und mit der Abgrenzung zur Bundeskompetenz Sie reden hier von Zahlen, die wir überhaupt nicht 11438 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Bruno Menzel genannt haben. Wir haben in diesem Antrag über zahlreichen Industriealtlasten im Ruhrgebiet, die die keine einzige Zahl gesprochen. Wasserversorgung dort vor erhebliche Probleme stel- len. Wir könnten ja auch über Wasserknappheit in Hessen reden, über zu hohe Nitratbelastung des Susanne Kastner (SPD): Ich habe Sie gefragt, wie Sie das verantworten können, daß es so ist, wie ich es Wassers — — geschildert habe. (Zurufe von der CDU/CSU) — Ach, wenn Sie so laut schreien, kann ich ja nicht Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Also das muß ich doch reden. ganz entschieden zurückweisen. Diesen Zwischenruf halte ich nicht für fair. Ich darf Ihnen noch einmal (Editha Limbach [CDU/CSU]: Ich habe nicht sagen: Wir gehen davon aus und sind sicher, daß das geschrien, ich habe gesprochen!) Trinkwasser, auch wenn seine Qualität noch nicht die Wer schreit, hat übrigens unrecht. Kriterien wie in den alten Bundesländern erreicht hat, bereits deutlich besser geworden ist und daß mit der Wir könnten also über zu hohe Nitratbelastung des Begleitung durch die Bundesregierung die Kontrolle Wassers in Sandbodenregionen Niedersachsens, über des Wassers erfolgt. die Trinkwasserqualität in Frankfurt/Main, während beispielswiese die Hoechst AG bestes Brunnenwasser (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wo denn?) als Prozeßwasser verschwenden darf, oder die dioxin- Ich weiß selbst, daß in Sachsen-Anhalt noch viel zu haltigen Abwassereinleitungen der Deutschen Solvay tun ist. in den Rhein reden. Sie haben aber recht, Frau (Susanne Kastner [SPD]: Nicht nur in Sach- Kollegin, das hilft der Wasserqualität in den neuen sen-Anhalt, sondern in allen neuen Bundes- Bundesländern, um die es hier heute geht, nicht ländern!) weiter. — Sie haben Sachsen-Anhalt erwähnt. Tatsächlich gibt es in den neuen Bundesländern (Dr. Uwe Küster [SPD]: Da ist weder eine einen hohen Investitionsbedarf für Wasserversor- zentrale Wasserversorung noch eine zentrale gung und Abwasserbehandlung. Hier ist in den letz- Abwasserversorgung!) ten Jahrzehnten tatsächlich viel versäumt worden. Ich darf noch einmal sagen: Ich bin überzeugt Probleme entstehen heute vor allem aus der völlig davon, daß wir in verantwortungsvoller Art und Weise unzureichenden Finanzausstattung der Kommunen dafür Sorge tragen werden, daß kein Bürger in den übrigens auch kein rein ostdeutsches Problem. neuen Bundesländern mit Trinkwasser versorgt wird, (Editha Limbach [CDU/CSU]: War die früher das seiner Gesundheit unmittelbaren Schaden zu- besser?) fügt. Die Länder, Frau Bergmann-Pohl, brauchen vor (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — allem die finanzielle Kooperation. Hier hilft Ihre Dr. Uwe Küster [SPD]: Da gibt es Dörfer, die Milchmädchenrechnung kein Stück weiter. Wasser kaufen müssen!) (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste Angebote großer westlicher Wasserkonzerne, mit spricht unsere Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, einem hohen Investitionsaufwand die Wasserwirt- schaft etwa in Mecklenburg-Vorpommern sanieren zu wollen — — Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trinkwasser- (Zuruf von der CDU/CSU: Zig Jahre hatte die kontrollen hat es schon zu DDR-Zeiten gegeben. Bloß, Partei Zeit, das zu machen!) sie waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Das wissen alle Ostkollegen hier. — Das fand ich wenig charmant, Herr Kollege. „Die Trinkwasserversorgung in den neuen Bundes- (Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Das hat ländern entspricht auf Grund der 40jährigen Vergan- nichts mit Charme zu tun, wohl aber mit der genheit nicht den Anforderungen der Trinkwasser- Wahrheit!) verordnung", heißt es in dem Änderungsantrag der Im übrigen saßen Sie wahrscheinlich seit längerem in SPD zur Sanierung der Trinkwasserversorgung in den der CDU! Es ist bekannt, daß Verantwortliche gerade neuen Bundesländern. Leider wurde da zeitlich etwas für dieses Thema in der ehemaligen DDR aus den zu kurz gegriffen. Richtiger müßte es heißen: „auf Reihen der CDU kamen. Grund der mehr als 1 00jährigen Vergangenheit"; denn so lange wird in Deutschland durch hemmungs- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) lose Industrialisierung und Intensivierung der Land- Ich denke, wir sollten die Verantwortung hier doch ein die Ressource Wasser verschmutzt und wirtschaft bißchen deutlicher sehen. unbrauchbar gemacht. (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Unruhe bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ihre Dies rechtfertigt natürlich nicht die dramatischen Geschichtsbewältigung! — Dr. Uwe Küster Folgen des Industrialismus in der ehemaligen DDR. [SPD]: Ihre Geschichtsklitterung möchte ich Wir sollten aber auch die Umweltfolgen der einzig auf nicht bewerten! — Anhaltende Unruhe) Profit orientierten Industrialisierung im Westen nicht ganz unter den Teppich kehren, beispielsweise die Frau Präsidentin, darf ich weiterreden? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11439

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Liebe Kollegen, es Verhinderung weitflächiger Grundwasserabsenkung, ist zwar schon spät, aber ich darf hier versichern, daß der öffentlichen Kontrolle der Wassereinleiter, der wir in diesem Plenarsaal noch einige Stunden vor uns Begrenzung des Havarieausmaßes und der optimalen haben. Wenn wir das ein bißchen ruhiger machten, Anpassung der Wassermengen an den aktuellen würden wir uns unter Umständen gegenseitig einen Bedarf. Gefallen tun. — Frau Kollegin, Sie haben wieder das Das heißt aber auch: Hydrologisch bedeutsame Wort. Gebiete müssen in Verantwortung der Länder sorgfäl- tig in Schutz- und in Schmutzzonen eingeteilt werden. Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Ich Hier gilt es insbesondere, z. B. durch Nationalparks danke Ihnen recht herzlich. Würden Sie das Bitte bei die Chance wahrzunehmen, Grundwasservorräte in der Zeit nicht anrechnen. einem großen zusammenhängenden Gebiet natürlich zu erneuern. In diesem Kontext ist auch die Colbitz- Angebote großer westlicher Wasserkonzerne, mit Letzlinger Heide einzuordnen. Ich bedauere außeror- einem hohen Investitionsaufwand die Wasserwirt- dentlich die Ablehnung der zivilen Nutzung der schaft etwa von Mecklenburg-Vorpommern sanieren Colbitz-Letzlinger Heide heute durch die Mehrheit zu wollen, hätten ohne Zweifel die Vorteile einer dieses Bundestages. schnellen Schadensbehebung und Wiederherstellung der Funktionstüchtigkeit des Wassernetzes sowie Der Schwerpunkt künftiger Investitionen muß auf einer Verbesserung der Belastungssituation durch wassersparende integrierte Technologien gelegt moderne Kläranlagen. werden; nachgeschaltete Technologien sollten nur in unvermeidbaren Fällen zum Einsatz kommen. – Lassen Sie mich doch einmal ausreden. Das Überführen wasserwirtschaftlicher Infrastruk- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollegin, jetzt tur in private Hand würde allerdings die öffentliche muß ich Sie aber an die Zeit erinnern. Kontrolle erschweren und unzulässige Einleitungen erleichtern. Die sicherlich zunächst kostengünstigen Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Ich bin zentralen Wasserversorgungssysteme sind auf Grund gleich fertig. Ich wurde dauernd gestört; da konnte ich großräumiger Gewinnungsgebiete zudem anfälliger ja nicht anders. gegen Störungen und Havarien, die dann die Trink- wasserversorgung und die Grundwasserqualität im Vizepräsidentin Renate Schmidt: Das habe ich aber gesamten Einzugsbereich gefährden könnten. Die in schon angerechnet. der ganzen Region verstreuten Wassergewinnungs- gebiete einschließlich vieler kleiner Wasserwerke, Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Private z. B. im ehemaligen Bezirk Rostock, würden an Haushalte sollen mit Wasserzählern und moderner Bedeutung verlieren und stünden beim Ausfall des Sanitärtechnik ausgestattet werden. Zusätzlich muß Verbundsystems nicht mehr in der ursprünglichen Beratung über wassersparendes und wasserschonen- Qualität zur Verfügung. des Verhalten stattfinden. In ländlichen Räumen mit geringer Anschlußdichte Da heute schon viele Sprüche gemacht wurden, liegen sowohl die Grundkosten als auch die War- möchte ich mit einem Lied enden. tungs- und Nebenkosten solcher zentralen Systeme sehr hoch, höher als in den Großstädten. Bei geringer (Zurufe von der CDU/CSU: Na, na, na!) Auslastung werden diese Kosten auf eine geringere — Keine Angst, ich singe nicht. „Ohne Wasser, merkt Wassermenge umgelegt. Ein dies ausgleichendes euch das, ist diese Welt ein leeres Faß." Rabattsystem bei Großverbrauchern birgt die Gefahr Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. in sich, daß einzelne Stadtwerke größere Mengen (Lebhafter Beifall bei der PDS/Linke Liste) Wasser aus dem Verbund beziehen, als auf Grund der eigenen Versorgungsgegebenheiten nötig wäre. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Bei der Sicherung der Grundwasservorräte für ein Kollege Klaus-Dieter Feige. zentrales Verbundsystem ist zu bedenken, daß — wie das Beispiel der Hamburger Trinkwasserversorgung Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zeigt — der Grundwasserspiegel im Umland sinken NEN): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen kann, was einen erhöhten Aufwand für die wirtschaft- und Herren! Ich hoffe, Sie beruhigen sich wieder. liche Flächenbewässerung und steigende Wasserge- Die Trinkwasserkrise in den neuen Ländern ist winnungskosten nach sich zieht. Wie im Verkehrsbe- tiefgreifend und flächendeckend. Mehr als die Hälfte reich, im Energiesektor und auf anderen Gebieten der Menschen in den ostdeutschen Ländern müssen sollten auch in der Wasserwirtschaft die Fehler der Wasser trinken, das weit über Grenzwerte hinaus alten Bundesrepublik nicht auf den Osten übertragen mit Schadstoffen belastet ist. Beispielsweise fanden werden. sich Nitratwerte von mehr als 300 Milligramm pro Das heißt, daß die Wasserwirtschaft ausschließlich Liter. Jeder von Ihnen weiß, daß solche Belastungen im Verantwortungsbereich der Kommune oder eines unzumutbar sind und daß Äußerungen aus der Bun- wasserwirtschaftlichen Zweckverbands bleiben muß, desregierung — ich glaube, sogar von Frau Berg- zu dem sich ausgehend von der wasserwirtschaftli- mann-Pohl —, wonach von diesen Schadstoffen im chen Infrastruktur mehrere Kommunen zusammen- Trinkwasser keine Gesundheitsgefährdung ausgehe, schließen. Die Vorteile einer derartigen Rechtsträger- sich von selbst widerlegen. Die in der Trinkwasserver- schaft und Organisation liegen vor allem in der ordnung festgelegte Prüfung der rund 30 000 Haus- Nutzung dezentraler Wasserangebote und somit der brunnen in Sachsen wurde z. B. mangels Personals auf 11440 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Klaus-Dieter Feige unbestimmte Zeit verschoben. Von den knapp 5 Mil- mut GmbH, zeigt mir, wie Sie sich dies vorstellen: Dort lionen Einwohnern Sachsens beziehen rund 3 Millio- haben die bundeseigenen Wismut - Betriebe bis heute nen ihr Trinkwasser aus Versorgungsanlagen, deren den betreffenden Kommunen nicht einen Pfennig Wasser bei mindestens einem Schadstoff den höchst- Grundsteuer gezahlt. zulässigen Wert überschreitet. In den anderen Bun- (Zurufe von der SPD: Ein Skandal!) desländern im Osten Deutschlands sieht es nicht viel anders aus. — Nun sagen Sie bitte, wie sollen diese Kommunen denn die dort tatsächlich nicht nur im Wasserbereich (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das glaube ich nicht; anfallenden Sanierungsaufgaben übernehmen? Frau Bergmann-Pohl hat das ganz anders (Susanne Kastner [SPD]: Die haben ja kein dargestellt!) Geld!) Zwölf Parameter der Trinkwasserversorgung sind Das alles wurde einmütig festgestellt. Ich darf Sie teilweise bis Ende 1995 ausgesetzt. In einem der daran erinnern, daß der Gesundheitsausschuß einmü- reichsten Länder Europas ist dadurch ein skandalöses tig festgestellt hat, daß die Sanierung der Trinkwas-

Zwei - Klassen - Recht in der Trinkwasserversorgung serversorgung in den neuen Bundesländern eine geschaffen worden. Die Gesundheitsbeeinträchti- vordringliche Aufgabe sei. Wenn dies dann ernst gung für die Menschen im Osten, vor allem für Kinder, gemeint war, dann darf sich der Bund nicht aus der wird dadurch zumindest fahrlässig in Kauf genom- Verantwortung stehlen. men. Ich fordere Sie daher auf, diese durch den Haus- Es ist ein Gebot des Rechtsstaats, endlich die haltsausschuß kastrierte Beschlußempfehlung des Gesundheitsausschusses abzulehnen und der SPD- Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch in bezug auf die Trinkwasserversorgung herzustellen. Ich Vorlage, die ja die einmütige Auffassung des Fach- akzeptiere, daß das eine schwere Aufgabe ist. Aber ausschusses wiedergibt, zuzustimmen. Nehmen Sie bei der zunehmenden Ignoranz und Blindheit gegen- sich bitte selbst ernst, meine Damen und Herren vom über ökologischen Belangen — man betrachte z. B. Gesundheitsausschuß! Lassen Sie sich nicht zum das Investitionserleichterungsgesetz — ist zu befürch- Affen machen! ten, daß die Bundesregierung eher die Grenzwerte in Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. den alten Bundesländern erhöhen wird, als zur Ver-- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einheitlichung wesentlich beizutragen. und der SPD) (Zurufe von der CDU/CSU) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun spricht der Schätzungen gehen davon aus, daß die notwendi- Kollege Wolfgang Ehlers. gen Investitionen zur Sanierung der Trinkwasserver- sorgung allein in den neuen Bundesländern bei 100 Milliarden DM liegen. Angesichts dieser Tatsache und angesichts der leeren Kassen der Länder und Wolfgang Ehlers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Kommunen im Osten ist es der blanke Hohn, daß der Meine Damen und Herren! Am 5. Dezember 1991 Haushaltsausschuß eine Entschließung des fachlich habe ich an gleicher Stelle zum Antrag der SPD- zuständigen Gesundheitsausschusses kurzerhand Fraktion zur Sanierung der Trinkwasserversorgung in verstümmelt hat. Sechs kleine Worte, die der Haus- den neuen Bundesländern gesprochen. Auch wenn es haltsausschuß in seiner unendlichen Weisheit in die für mich unverständlich ist, daß über ein Jahr benötigt ursprünglich einvernehmlich gefaßte Entschließung wurde, um zu einer Beschlußempfehlung zu kom- des Gesundheitsausschusses eingefügt hat, verkeh- men, ren deren Intention und Ziel genau ins Gegenteil. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) War ursprünglich die Bundesregierung — wohlge- merkt, die Bundesregierung — Adressat des Forde- kann ich feststellen, daß sich meine dargelegten rungskatalogs zur Sanierung der Trinkwasserversor- Auffassungen nicht verändert haben. Da ich aber gung, so soll sie in der jetzigen Fassung nur noch weder im Fernsehen noch im Parlament ein Freund darauf hinwirken, daß Länder und Kommunen die von Wiederholungen bin, und seien sie noch so gut, Sanierung gemäß der Forderung vorantreiben. Sie soll verweise ich Interessierte auf das Protokoll der 64. Sit- also lediglich als Aufpasser fungieren, während die zung, in dem meine Rede dokumentiert ist. Lasten bei den ostdeutschen Ländern und Kommunen (Zuruf von der SPD: Er hat nichts dazuge liegen. Durch die gleichzeitige Streichung eines lernt!) Absatzes entzieht sich der Bund der Pflicht zur Bereit- — Ich spreche heute zu anderen Dingen. Ich habe nur stellung notwendiger Mittel, weil der Haushaltsaus- auf meine alte Rede verwiesen. Immer zuhören, meine schuß im Gegensatz zu den Fachleuten offenbar der lieben Kolleginnen und Kollegen! Meinung ist, daß allein die Marktkräfte und das Improvisationsvermögen der ostdeutschen Kommu- Der Antrag „Maßnahmen zur Verbesserung der nen die Sanierung vorantreiben werden. Angesichts Trinkwasserqualität in den neuen Bundesländern" der Erfahrungen der letzten Jahre wissen Sie, was hat gegenüber dem ursprünglichen SPD-Antrag drei wesentliche Vorteile. Er basiert auf einer gründlichen davon zu halten ist, nämlich nichts. Analyse hinsichtlich des Standes der Trinkwasserver- Ein Beispiel, das mir vor wenigen Tagen zu Ohren sorgung. Es wird deutlich, was der Bund auf Grund der gekommen ist, gerade aus dem Gebiet intensiver von ihm übernommenen Mitverantwortung an Maß- Grundwasserbelastung, nämlich dem Räum der Wis- nahmen eingeleitet hat und welch umfangreiche Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11441

Wolfgang Ehlers finanziellen Mittel für die Verbesserung der Trink- 66,6 Millionen DM zur Verfügung — die Aufschlüsse- wasserversorgung bereitgestellt worden sind. Der lung ist interessant —, davon 20 Millionen DM aus Antrag grenzt auch exakt die Kompetenzen von Bund, dem Landeshaushalt, 35,6 Millionen DM aus der Ländern und Kommunen ab. Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrar- Bedauerlich ist — und da stimme ich mit vielen struktur und des Küstenschutzes, nur 4 Millionen DM Vorrednern überein —, daß der im Ausschuß für an EG-Mitteln und auch nur 7 Millionen DM aus dem Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit am Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost. Die ersten bei- 23. September letzten Jahres einmütig befürwortete den, Landeshaushalt und Gemeinschaftsaufgabe, interfraktionelle Antrag heute nicht als Beschluß- sind auch für die Zukunft unbest ritten. empfehlung des federführenden Ausschusses für Selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kolle- Gesundheit vorgelegt wurde. gen, konnte mit dieser Summe nicht allen Anträgen auf Fördermittel aus den Kommunen entsprochen (Susanne Kastner [SPD]: Aber als Antrag der werden. Es wurden jedoch in Schwerpunktbereichen SPD!) wesentliche Fortschritte erreicht. Im Vordergrund Eine entsprechende Stellungnahme des Haushalts- standen dabei die Ablösung nitratbelasteter Haus- ausschusses hat es leider verhindert. brunnen und die Außerbetriebnahme nitratbelaste- Nun legt, wie richtig bemerkt wurde, die SPD-ter Wasserwerke ehemaliger landwirtschaftlicher Betri Fraktion diesen interfraktionellen Antrag als ihren ebe. Damit konnte insbesondere vielen Einwoh- Änderungsantrag vor. nern von Gemeinden oder Ortsteilen im Elbe- Einzugsgebiet im Südwesten von Mecklenburg, was (Susanne Kastner [SPD]: Weil er sinnvoll rein zufällig in meinem Wahlkreis liegt, und im ist!) äußersten Osten von Vorpommern einschließlich der Das zeugt zwar einerseits — lassen Sie mich bitte Inseln Usedom und Rügen ein qualitätsgerechtes ausreden — von einem gewissen taktischen Geschick, Trinkwasser bereitgestellt werden. beweist aber andererseits, daß Ihr eigener Antrag aus dem Jahre 1991 unzureichend war. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Ehlers, es (Beifall bei der CDU/CSU — Susanne Kast gibt den Wunsch des Kollegen Klejdzinski nach einer ner [SPD]: Wir sind wenigstens nicht wort Zwischenfrage.- brüchig geworden!) — Lassen Sie mich doch aussprechen! Wenn ich am Wolfgang Ehlers (CDU/CSU): Wenn ich fertig bin, Ende meiner Rede bin, werden Sie wissen, was ich gehe ich gerne darauf ein. Ich möchte erst einmal im gemeint habe, Zusammenhang darlegen, weil das, was wir in Meck- lenburg-Vorpommern an guten Ergebnissen vorlegen (Weitere Zurufe von der SPD) können, doch ein Komplex ist. — Wenn man einige Rednerinnen und Redner der Auf die zahlreichen Einzelbeispiele, insbesondere SPD hier oben verfolgt, dann könnte man noch ganz aus den Kreisen Hagenow — auch wieder mein andere Zwischenbemerkungen machen. Wahlkreis — Ückermünde und Ribnitz-Damgarten Aber wieder zum Sachverhalt zurück. Logischer- möchte ich an dieser Stelle verzichten. Erwähnen weise werde ich heute den SPD-Antrag nicht kritisie- möchte ich aber noch, was heute auch schon diskutiert ren, da ich den wortwörtlich gleichen Antrag im wurde, daß die Qualität des von den Wasserwerken Umweltausschuß befürwortet habe. gelieferten Trinkwassers durch kontinuierliche Kon- trollen garantiert wird. Neben den ständigen werksin- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/-ternen Kontrollen erfolgen auch Überprüfungen DIE GRÜNEN) durch die Gesundheitsämter der Stadt- und Kreisver- Nun stellt sich aber die Frage, entweder die für mich waltungen sowie die Hygiene-Institute. Im Rahmen nicht gänzliche bef riedigende Beschlußempfehlung des durch den Bundesgesundheitsminister initiierten des Gesundheitsausschusses abzulehnen und damit Trinkwasser- Sofortprogramms wurden in Mecklen- — ich gehe davon aus, daß der SPD-Änderungsantrag burg-Vorpommern 190 Wasserwerke untersucht. sicherlich nicht mehrheitsfähig ist — überhaupt kei- Schwerpunkte stellten dabei Güteparameter dar, die nen Beschluß zustande zu bringen bisher nicht oder unzureichend geprüft wurden. (Susanne Kastner [SPD]: Interfraktioneller (Susanne Kastner [SPD]: Das will die EG!) Antrag!) Die Untersuchungen ergaben insgesamt zufrieden- oder sich mit der Beschlußempfehlung als Kompromiß stellende Trinkwasserqualitäten und belegen den der weiteren Verbesserung der Trinkwasserversor- relativ guten Stand in der Trinkwasserversorgung des gung in den neuen Ländern zu widmen. Landes. Schwermetallbelastungen wurden nicht regi- striert. Lassen Sie mich bitte, da hier schon sehr viele (Zuruf der Abg. Susanne Kastner [SPD]) Beispiele, auch negative, genannt worden sind, an Hand einiger Beispiele aus meinem Bundesland — Ich spreche über Mecklenburg-Vorpommern. Man Mecklenburg-Vorpommern verdeutlichen, weshalb kann nicht nur über Sachsen und Sachsen-Anhalt ich — das gebe ich gerne zu — schweren Herzens den sprechen, Kompromißvorschlag des Gesundheitsausschusses Teilweise wurden geringfügige Belastungen mit nicht ablehnen werde. Einige Fakten: Im Jahr 1992 Pflanzenschutzmitteln nachweisbar, die jedoch aus- standen an Fördermitteln im Trinkwasserbereich nahmslos unter den zulässigen Grenzwerten lagen. 11442 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Wolfgang Ehlers Großräumige Nitratbelastungen des Grundwassers Schönen Dank. sind nicht vorhanden. 99,6 % der Einwohner erhalten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ein Trinkwasser mit Nitratwerten unter 40 mg pro ordneten der F.D.P.) Liter. (Dr. Karl-Heinz Klejdzinski [SPD]: Warum Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Feige hat haben Sie das nicht früher festgestellt, als Sie sich zu einer Kurzintervention gemeldet. noch da tätig waren?) Lediglich für einen Großteil der Flachbrunnen, die ihr Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Trinkwasser aus oberflächennahen Grundwasserlei- NEN): Ich kann als Mecklenburger auch ein bißchen tern fassen, wurden teilweise erhebliche Grenzwert- über die Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern überschreitungen nachgewiesen. Deshalb wurde, wie sprechen. Ich spreche, weil der Kollege das bei bereits erwähnt, gerade diesen betroffenen Kommu- Mecklenburg betont gesprochen hat, auch über die- nen durch die Bereitstellung von Fördermitteln gehol- sen Landesteil. Es ist für mich unverständlich, wie fen. angesichts der Vorhaben für den Raum Rostock — Trinkwasserversorgun g durch die Bereitstellung von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — Wasser aus über 100 km entfernten Seen — davon Susanne Kastner [SPD]: Dann ist ja alles gesprochen werden kann, daß die Grundwerte heute bestens in den neuen Bundesländern! Alles so sind, daß eine Trinkwasserversorgung möglich ist. vom Feinsten!) Es ist mir unbegreiflich, daß, wenn die Wirtschaft Liebe Kolleginnen und Kollegen, positiv ist auch — mehrere Milliarden teure Projekte vorbereitet, die weil das hier schon diskutiert worden ist —, da man tatsächlich vorhandenen Fachdaten dann tatsächlich auch auf anderen Gebieten nicht nur auf die Bereit- so ignoriert werden können und hier das Bild vermit- stellung von staatlichen Mitteln warten sollte, daß die telt werden kann, als wenn in meinem Bundesland das Wasserversorgung und Abwasserbehandlung in der Wasser hervorragend ist. Es tut mir außerordentlich Hansestadt Rostock und im Landkreis Rostock priva- leid, Herr Kollege, Ihnen da widersprechen zu müs- tisiert wird. Zu meiner großen persönlichen Enttäu- sen, aber die tatsächliche Situation ist insbesondere in schung, Frau Kastner, wurde dieser Beschluß durch dem von Ihnen zitierten Raum Rostock katastrophal. die SPD/PDS gefaßt, und die übrige Fraktion in der Rostocker Stadtverordnetenversammlung, die CDU,- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen zur hat dem leider nicht zugestimmt; für mich persönlich nächsten Wortmeldung, und zwar von der Kollegin enttäuschend, aber es ist ein Faktor, daß die SPD die Dr. Helga Otto. Privatisierung federführend getragen hat. Das sollte man hier auch nicht unter den Tisch fallen lassen. Dr. Helga Otto (SPD): Frau Präsidentin! Meine (Susanne Kastner [SPD]: Dann muß man Damen und Herren! Das Prinzip aller Dinge ist das auch wissen, was der Möllemann denen Wasser. Aus Wasser ist alles, und in Wasser kehrt alles gesagt hat!) zurück. Thales muß schon etwas von grundwasser- gängigen Altlasten gewußt haben. -- Ich weiß nicht, was Herr Möllemann für Einfluß auf die Rostocker SPD-Stadtverordneten hat. Vor über einem Jahr, am 5. Dezember 1991, refe- rierte ich hier am Rednerpult zum gleichen Thema. (Susanne Kastner [SPD]: Fragen Sie den Heute sind wir, parlamentarisch gesehen, keinen einmal!) Schritt weitergekommen, (Susanne Kastner [SPD]: Leider!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Ehlers, denn die Uhr läuft bis Ende 1995 kontinuierlich Sie müssen zum Schluß kommen. weiter. Dann nämlich ist der Termin, an dem die strengen EG-Grenzwerte für Trinkwasser auch für uns in den neuen Bundesländern gelten, dann ist Wolfgang Ehlers (CDU/CSU): Der letzte Satz, Schluß mit den Ausnahmeregelungen. Obwohl die (Anhaltende Zurufe von der SPD) Ausschüsse für Forschung und Technologie, Ernäh- rung, Landwirtschaft und Forsten dem ersten SPD Antrag zur Sanierung des Trinkwassers in den neuen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Der Kollege Bundesländern zustimmten, bremste ihn ausgerech- Ehlers müßte jetzt zum Schluß kommen, und ich bitte net der Gesundheitsausschuß vor über drei Monaten Sie, ihm diese Möglichkeit auch zu geben. ab. Nach interfraktionellen Verhandlungen wurde am 25. Juni 1992 endlich ein gemeinsamer Trinkwasser- antrag formuliert und diesem auch zugestimmt. Leider Wolfgang Ehlers (CDU/CSU): Ich möchte zusam- erfolgte dann wieder nichts und dann die Streichung menfassend für das Land Mecklenburg-Vorpommern zweier gerade für uns Ostdeutschen wichtigen feststellen, daß keine großräumigen Qualitätsproble- Punkte. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum me bestehen. Es wird durch die Landesregierung Sie sich, Herr Dr. Menzel, nur wenige Monate, nach- eingeschätzt, daß das Erreichen der EG-Norm bis dem wir gemeinsam den Wortlaut des Antrags formu- 1995 ein realistisches Ziel bleibt. Zu meiner Zeit im liert haben, von den für uns wichtigen Passagen Bezirk Schwerin wurden die besten Ergebnisse in der verabschieden. Ein bißchen Mut muß man hier in Wasserwirtschaft in der damaligen Zeit überhaupt Bonn schon haben, wenn man etwas durchsetzen erzielt. Beschäftigen Sie sich erst einmal mit Herrn will. Stolpe und dann mit anderen Kollegen! (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11443

Dr. Helga Otto Wir sind ja hier nicht in der Mehrzahl und können nur Gibt ein Hausbrunnenbesitzer als Vermieter Wasser mit guten Argumenten arbeiten. ab, ist er automatisch ein „sonstiger Betreiber" und wird nach § 24 Abs. 4 der Trinkwasserverordnung (Susanne Kastner [SPD]: Die sind wieder bestraft. Besonders trifft das die Leute in Branden- umgefallen!) burg, wo es noch über 70 000 Brunnen gibt. Denken Nun zu meinen Argumenten. Die Startbedingun- Sie, meine Damen und Herren, auch einmal daran, gen für die Sanierung des Trinkwassers im Westen daß in manchen Dörfern die Arbeitslosigkeit z. B. der 1945 und im Osten 1990 sind nicht gleich. Wir haben Frauen nahezu 90 % beträgt eine 44jährige beispiellose Geschichte des Umgang (Zuruf von der SPD: Unfaßbar!) mit den natürlichen Ressourcen hinter uns. Die natür- lichen Wasserläufe sind vor der Wende in großem und die Leute dort fast alle am Tropf der Bundesanstalt Ausmaß zu Kloaken geworden, es fehlte ja auch die für Arbeit hängen. Mit der Verabschiedung der Zehn- Kanalisation. Allein im Regierungsbezirk Chemnitz ten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes ist das ja hatten die Kommunen keine Abwasserbehandlungs- eher noch schlimmer geworden. Sie werden die hohen anlagen, und nahezu 10 000 km Wasserleitungen sind Wasserpreise nicht bezahlen können. reparaturbedürftig oder neu zu verlegen. In den ersten Ähnlich schlecht sieht es mit der Wasserversorgung drei Januartagen des Jahres 1993 wurden im Regie- in den öffentlichen kleinen Wasserversorgungsanla- rungsbezirk Chemnitz 200 Rohrbrüche gemeldet; die gen aus. Betreiber sind Gemeindeverwaltungen, Leitungen sind ja inzwischen bis zu 110 Jahre alt. Betriebe, Krankenhäuser usw. Ihnen fehlt das Geld für Nitrateinträge summierten sich in der DDR auch aus Aufbereitungsanlagen, und es gibt überalterte Rohr- der hohen Zahl von Viehbeständen, und von über netze und kaum ausgewiesene Schutzzonen. Wir 15 Talsperren in meinem Regierungsbezirk war an hatten dieses Thema heute schon einmal bei der 12 Talsperren Sanierungs-, Erweiterungs- oder Neu- Letzlinger Heide. Wegen des insgesamt steigenden baubedarf. In die Trinkwassertalsperre Eibenstock, Wasserbedarfs, aber noch mehr im Interesse der aus der 1,5 Millionen Menschen ihr Trinkwasser flächendeckenden Schonung des Grundwassers kön- beziehen, fließen ungeklärte Abwässer aus den nen und sollen wir in Zukunft nicht auf die Brunnen umliegenden Gemeinden. Die Sanierung allein dieses und auf die Kleinwasseranlagen verzichten. Wer Was- Mißstandes würde an die 200 Millionen DM kosten. ser aus seiner unmittelbaren Umgebung bezieht, schont diese auch vor ökologischen Belastungen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind doch Die 15 großen öffentlichen Wasser- und Abwasser- kommunale Aufgaben!) betriebe, die in den Bezirken der ehemaligen DDR — Ja, kommunale Aufgaben. Sehr schön! existierten und noch existieren, haben nun ihre eige- nen neuen Probleme. Diese dürften uns Abgeordne- Außerdem ist das Wasser der erzgebirgischen Tal- ten aus den neuen Bundesländern nicht unbekannt sperren sauer und weich, und Nanoplankton belastet sein. Bei der Zerschlagung alter Strukturen, die nicht die Filter. Hier gibt es ein Projekt des BMFT. Ihm sei an in die heile Welt der Bundesrepublik passen, ist man dieser Stelle gedankt. deutlich schneller als beim Aufbau neuer Strukturen. Nicht nur in meinem Heimatkreis, fast überall in den An diesen Bruchstellen gibt es Reibungsverluste. Zum neuen Ländern ist aus oberflächennahen Grundwäs- Beispiel wurde die Erzgebirgische Wasser-/Abwas- sern das sind die gewöhnlichen Hausbrunnen von ser-Gesellschaft zum 1. Januar 1993 liquidiert. Die acht bis zwölf Meter Tiefe — kein brauchbares Trink- sieben neuen Unternehmen stehen aber noch nicht. wasser zu gewinnen. Die Gründe hatte ich bereits Das führt unweigerlich ins Chaos, sagt Dr. Peter genannt. Das bedeutet aber nicht Verzicht, sondern Ragole, ein Mitglied der Kommission „Soforthilfe Sanierung. 530 000 Menschen sind in den neuen Trinkwasser", der sicherlich etwas davon versteht. Bundesländern noch auf dieses Brunnenwasser ange- Denn ab sofort sind Investitionen nicht mehr möglich. wiesen. Aber es fließt oft nicht mehr. Wenn es gereg- Der auf Grund des Kreditvolumens geplante Wasser- net hat, freuen sich die Leute und nehmen das Wasser werksneubau ist durch die Liquidationslage unmög- auch ungeprüft. Eine Mutter von vier Kindern hatte in lich geworden. meinem Wahlkreis in der Trockenzeit einen Weg von Es ist müßig, wenn ich an einige mahnende Stim- zwölf Kilometern nach jedem Tropfen Wasser zurück- men aus den alten Bundesländern erinnere, die zufäl- zulegen. lig aus dem Bonner Raum kommen, die größeren Keiner soll mir erzählen, daß eine gesundheitliche Einheiten vorläufig noch zu belassen, um die fachliche Gefährdung nicht vorliegt, wenn mikroskopische Kompetenz, die günstigen Finanzierungsmöglichkei- Beanstandungen bei 30 % der Hausbrunnen vorliegen ten und die einfache Organisation unter dem Druck und hohe Nitratbelastungen da sind. Unwissen über der Zeit und des Problems zu belassen. die Wirkung von Stoffen bedeutet noch lange nicht Wir büßen viel Zeit ein und werden einen Investi- keine Gesundheitsgefährdung. Die Nitrosamin-For- tionsstopp bekommen. Es wird immer sonnenklarer, schung z. B. ist noch nicht abgeschlossen. daß wir die Trinkwasserverordnung der EG bis 1995 Immer soll man an die schwächsten Glieder der nicht werden einhalten können. Das aber sollte uns zu Kette denken, die Kleinkinder, die Alten und die gemeinsamem Handeln anspornen, und da muß der Kranken. Was wir unseren Kindern an Umweltbela- Bund mit in die Pflicht. stung zumuten, ist nicht nur eine Frage an uns Ärzte, (Beifall bei der SPD) sondern besonders auch eine Frage an die Politik. Ein drohender Wasserpreis von bis zu 5,08 DM pro (Beifall bei der SPD) Kubikmeter Wasser und allein eine Differenz von 11444 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Dr. Helga Otto 8,00 DM pro Kubikmeter Abwasser sind die Perspek- Das wird leider immer vergessen. Es wird hier jetzt so tive für unsere Bürger in den neuen Bundesländern getan, als wären für alles die jetzige Bundesregierung und werden sie bis über die Grenze der sozialen und das jetzige Parlament verantwortlich. Verträglichkeit belasten. (Zuruf von der SPD: Gar nicht wahr!) Unsere Forderung im SPD-Antrag von 1991, zur — Doch. Sie haben sogar aus dem Antrag, den wir schnellen Umsetzung des Trinkwasser-Sanierungs- gemeinsam gemacht haben, ursprünglich den Hin- programms das Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost weis auf die Vergangenheit streichen wollen. um 100 Millionen DM aufzustocken, war bescheiden, wenn man für das Notsanierungsprogramm der Fach- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommission die Zahl von 2,46 Milliarden DM sieht. Wenn die Kluft zwischen dem real existierenden Unsere Forderung, bis zur Verabschiedung der Sozialismus à la SED und dem, was den Anforderun- Landeswassergesetze die Trinkwasservorschriften gen an ein qualitativ gutes Trinkwasser entspricht, so aus der ehemaligen DDR gelten zu lassen, hatte auch tief ist, dann läßt sich das leider trotz allen guten ihre Berechtigung. In Sachsen legte die SPD-Land- Willens und allen Verständnisses dafür, wie schlecht tagsfraktion bereits im März 1992 ein modernes, an die Trinkwasserversorgung in den neuen Bundeslän- ökologischen Erfordernissen der Zeit orientiertes Lan- dern ist, nicht im Handumdrehen und nicht mit einem deswassergesetz im Entwurf vor. Aber die sächsische Federstrich beseitigen. Landesregierung hat leider bisher noch kein Ei (Beifall bei der CDU/CSU) gelegt. Ich will da überhaupt nicht auf die Finanzmittel In dem Gemeinschaftsantrag aller Fraktionen, den hinweisen. Frau Bergmann-Pohl hat ja vorhin hier wir heute wieder zur Abstimmung stellen, hatten wir deutlich gemacht, wie viele Mittel der Bund zur nur noch eine finanzielle Beteiligung des Bundes im Verfügung gestellt hat, obwohl es überhaupt nicht in Rahmen vorhandener Möglichkeiten sowie Zinssub- seine Zuständigkeit fällt, weil die Wasserversorgung ventionen anstelle direkter Zuschüsse verlangt. und die Wasserqualität kommunale und Landesauf- Ich warne Sie davor, die mahnenden Stimmen der gaben sind. Nur: Wenn man generell nicht nur das Fachleute und die Hilferufe der Länder und Kommu- Geld im Auge hat, dann weiß man auch, daß z. B. auch nen weiter so zu ignorieren. Leitungen nicht im Handumdrehen zu reparieren und zu erneuern sind, weil das einfach mehr Zeit braucht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wir haben ja eben einen sachkundigen Zwischenruf DIE GRÜNEN) dazu gehört. Die Vision von blühenden Landschaften könnte bald Natürlich hat die Bevölkerung Anspruch auf Ver- zu einer Wirklichkeit von protestierenden Menschen sorgung mit einwandfreiem Trinkwasser. Diese muß werden. auch Zug um Zug und Schritt um Schritt erreicht Ich bitte Sie deshalb eindringlich, dem bereits vom werden. Aber so einfach, wie es sich die SPD macht: Gesundheitsausschuß positiv verabschiedeten inter- durchs Land laufen, gucken, wo ein Problem ist, das fraktionellen Antrag doch noch zuzustimmen. Das Problem beschreiben — so weit folgen wir ja noch —, wäre auch ein Zeichen an unsere Bürger, daß wir zu eine Analyse abliefern und dann sagen: Aber die gemeinsamem Handeln fähig sind, wenn die Kommunen haben kein Geld, die Länder haben kein Umstände es denn verlangen. Geld, also Bund, zahle bitte!, geht es nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/- (Beifall bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) Wenn ich mir überlege, wie im Sonderausschuß Europäische Union die Vertreter der Länder mit heftiger Unterstützung aus Ihrer Fraktion bei jedem Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächste Satz kontrolliert haben, ob da nicht möglicherweise spricht die Kollegin Editha Limbach. ein kleines bißchen mehr Bundestags- als Länder- (Unruhe) kompetenz zum Ausdruck käme, dann wundere ich — Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, mich doch schon sehr, daß Sie hier heute nicht die diesem Redebeitrag noch einigermaßen ruhig zu Kompetenz der Länder verteidigen, sondern sagen: folgen. Kompetenz der Länder hin oder her, der Bund soll (Beifall) zahlen. Es ist für die Kollegin, die als letzte spricht, immer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) besonders schwierig, sich Ruhe zu verschaffen. Ich denke auch, Sie dürfen nicht verschweigen, daß die Fachkommission „Soforthilfe Trinkwasser", die der Bundesgesundheitsminister schon im November Editha Limbach (CDU/CSU): Danke, Frau Präsiden- 1990 angeregt hat, notwendige Sanierungsmaßnah- tin. — Daß das Trinkwasser das Nahrungsmittel Num- men koordiniert, Notprogramme in die Wege geleitet mer 1 ist, ist unbestritten. Ich hoffe, es gibt auch keinen und geholfen hat und das auch noch heute tut. Daß die Streit darüber, daß 40 Jahre SED-Herrschaft auf dem Bundesländer alle Anstrengungen unternehmen wol- Gebiet des Gewässerschutzes und der Sicherung len, um die Umstrukturierung der Wasserversor- einer guten Trinkwasserqualität genauso eine Kata- gungswirtschaft voranzutreiben, und dabei auf die strophe hinterlassen haben wie auf anderen Gebie- beratende Hilfe des Bundes zurückgreifen können, ten, wurde gerade Anfang Dezember vergangenen Jahres (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bei der konzertierten Aktion in Berlin deutlich. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11445

Editha Limbach Es wurde zu Recht, und zwar von allen, darauf unter dem Vorbehalt der finanziellen Überprüfung im hingewiesen, daß Verzögerungen bei den Sanie- Haushaltsausschuß. rungsmaßnahmen dennoch leider unvermeidbar sein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — werden. Aber die Maßnahmen zur Einhaltung der Susanne Kastner [SPD]: Ja und?) Grenzwerte haben Priorität, Die Länder haben zuge- Wenn dann dieser Vorbehalt eintritt, weil der Haus- sagt, die vom Bund zugewiesenen Mittel, z. B. des Fonds deutsche Einheit, hier gezielt einzusetzen. haltsausschuß das erkennt, was wir in der Kürze der Zeit nicht so schnell in vollem Ausmaß erkennen Wenn beispielsweise das Land Sachsen mit der konnten, dann ist es ehrlich und richtig zu sagen: Jetzt Sanierung der Elbe Fortschritte erzielt, dann ist das tritt der Vorbehalt ein, und nun müssen wir eben auf ein ganz wichtiger Beitrag auf diesem Weg. Ich bin die ausgabewirksamen Passagen, die den Bundes- nicht derjenige, der beurteilen kann, ob es in Sachsen haushalt in einer Aufgabe belasten, die er nicht zu wichtiger ist, Brunnen oder die Elbe zu sanieren. Das erfüllen braucht, verzichten. Es ist anständig und müssen die dort Verantwortlichen nach ihren Sach- ehrlich, diesem Vorbehalt zu folgen. kenntnissen selber beurteilen. Das ist auch ihre (Susanne Kastner [SPD]: Der Geldbeutel und Pflicht, die Gesundheit der Bürger sind Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — wurscht!) Zuruf von der SPD) Meine Damen und Herren, ich habe noch etwas Redezeit, aber ich stelle fest, daß Sie alle lieber — Natürlich ist alles eine Frage des Geldes. Aber abstimmen wollen, und mache deshalb jetzt Schluß. wissen Sie, man kann das so nicht machen. Man verteilt das Geld nach Kompetenzen: Länder, Kom- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) munen, Bund. Anschließend sagen die Länder: Wir setzen Prioritäten a, b, c, und für die Priorität d haben Vizepräsidentin Renate Schmidt: Weitere Wortmel- wir kein Geld mehr. Also: Bund, löhne. Wo soll das dungen liegen mir nicht vor. Damit schließe ich die Geld denn herkommen? Der Bund muß seine eigenen Aussprache. Aufgaben mit seinen Mitteln erfüllen, und die Länder Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst und Gemeinden müssen ihre Aufgaben mit ihren über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Mitteln erfüllen. - Drucksache 12/3951 zu der Beschlußempfehlung des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ausschusses für Gesundheit. Die Fraktion der SPD verlangt namentliche Abstimmung. Ich eröffne die- Wenn sie andere Prioritäten setzen, ist das ihr Recht, selbe. aber nicht die Pflicht des Bundes, dann einzusprin- Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine gen. Stimme abzugeben wünscht? — Ja. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Ist jetzt noch jemand da, der seine Stimme abzuge- GRÜNEN]: Das ist die Pflicht des Bundes! — ben wünscht? — Ich schließe die Abstimmung und Susanne Kastner [SPD]: Schlechtes Gewis bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- sen!) nen. — Nein, ich habe überhaupt kein schlechtes Gewis- Das Ergebnis gebe ich nach Abschluß des nächsten sen. Tagesordnungspunktes bekannt.' ) Lassen Sie mich noch etwas sagen. Sie haben in der Ich rufe Zusatztagesordnungspunkt 2 auf: Begründung zu Ihrem Antrag, als Sie sagten: Wieder- herstellung des gemeinsamen Antrages, mehreres Beratung des Antrags der Fraktion der SPD verschwiegen — ich wollte das erst nicht sagen, Frau Öffnung des Flughafens Tuzla in Nordost Kastner; aber da Sie heute unsere Zeit durch Zwi- Bosnien schenrufe und Zwischenfragen über Gebühr in — Drucksache 12/4091 — Anspruch genommen haben, muß ich das einmal sagen —: Bei der Neubearbeitung des Antrages Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für haben Sie geschickterweise vergessen, die Berichter- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Ist das statterin der CDU/CSU-Fraktion mit diesem Text so? überhaupt bekanntzumachen. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ja!) — Ich sehe und höre keine Widerspruch. Dann ist das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) so beschlossen. Nachweis: Adressenverzeichnis auf dem Fax, mit dem Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Sie den Antrag zugeschickt haben. Ich habe das Kollegen Freimut Duve. hinterher natürlich über meine Fraktion bekommen, aber zu einem Zeitpunkt, als uns eine genaue Prüfung (SPD): Liebe Kolleginnen und Kolle- der finanziellen Konsequenzen nicht mehr möglich Freimut Duve gen! Es geht um ein dramatisches Thema. Ich weiß, war. Deshalb ist es wahr, daß wir im Gesundheitsaus- daß es schwer ist, sich zu so später Stunde darüber zu schuß zunächst zugestimmt haben. unterhalten. Die meisten der tödlichen Fakten zu Es ist aber ebenfalls wahr — auch das haben Sie diesem Thema sind hier bei uns in Deutschland heute verschwiegen —, daß wir schon bei dieser Zustimmung gesagt haben: Diese Zustimmung erfolgt *) Seite 11448 C 11446 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Freimut Duve bekannt. Wir haben hier des öfteren darüber gespro- Wir machen aber auch darauf aufmerksam, daß chen. Es ist der Begriff des versuchten Völkermords nach unserer Auffassung natürlich die Hilfsgüter, die mehrfach von Kollegen verschiedener Fraktionen im über diesen Flughafen dann nach Bosnien-Herzego- Sinne der Völkermordkonvention von 1948 verwandt wina kommen, allen Menschen dieser Region zugute worden. Ich stehe dazu. Es gibt viele Kollegen, die kommen sollten — auch den in einigen Enklaven dort gesagt haben: In dieser Sache sind wir Partei, solange lebenden Serben —; erstens aus humanitären Grün- schwere Waffen, die einer Armee gehören, eingesetzt den und zweitens auch, um die Hilfsleistungen zu werden. erleichtern und zu sichern. Es geht hier heute abend — ich bin allen Fraktionen Ich meine natürlich, daß wir uns schon darüber im dankbar, daß sie das ermöglicht haben — darum, klaren sind, daß wir uns mit humanitären Hilfsleistun- einem dringenden Hilferuf der Stadt Tuzla, die nicht gen nicht beruhigen dürfen. Wir müssen immer wie- in einem umkämpften Gebiet liegt, zu entsprechen. der auf die wahren Ursachen hinweisen. Wir müssen voller Besorgnis zur Kenntnis nehmen, daß Herr (Heiterkeit des Abg. Manfred Opel [SPD]) Karadzic heute bereits wieder das Genfer Abkommen — Herr Kollege Opel, ich wäre Ihnen dankbar, wenn in Frage stellt. Wir müssen klarmachen, daß es Neu- Sie mich auch bei diesem ernsten Thema nicht aus- verhandlungen nicht mehr geben darf. Wir müssen lachten. klarmachen — und das ist auch eine Aufforderung an In dieser Stadt, die normalerweise rund 120 000 die Bundesregierung —, daß Bosnien-Herzegowina Einwohner hat, leben zur Zeit rund 60 000 Menschen. nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ein Es sind dort zur Zeit noch minus 15 Grad, und die Recht auf Selbstverteidigung hat. Versorgung der gesamten Region mit 850 000 Men- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schen erfolgt über eine gebirgige Strecke, die außer- Es geht darum, daß dann, wenn dieses Genfer Abkom- ordentlich schwierig zu passieren ist. Der Transport men nicht mehr hält, die UNO nicht dazu beitragen bereitet Probleme. Sie wissen, daß die Brücke für die darf, daß ihre eigene Charta verletzt wird. Noch besser ganze Region bei Mostar zerstört worden ist. Ich hoffe, wäre es, wenn der UNO-Sicherheitsrat ultimativ dazu daß diese Brücke bald wieder hergerichtet wird. auffordert, daß alle schweren Waffen unter internatio- Warum wir gerne möchten, daß wir das hier nale Kontrolle, unter UNO-Kontrolle kommen. Ein gemeinsam beschließen, ist einmal ganz konkret, daß- hoher NATO-General hat uns in diesen Tagen eine zweite Luftbrücke für Bosnien in eine Region geschrieben, daß es selbstverständlich möglich ist, kommt, in der zur Zeit nicht gekämpft wird. Dies ist dieses auch militärisch durchzusetzen. Dies habe ich bereits von engagierten Engländern an die UNO in meiner Rede eigentlich hier sagen wollen. Ich darf herangetragen worden. Dies ist jedoch immer beiseite diese Rede zu Protokoll geben und Sie bitten, dem geschoben worden. Wir sollten dies hier im Plenum Antrag zuzustimmen. gemeinsam beschließen. Danke schön. Die zweite Idee, die dahintersteckt, ist, daß wir in (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der dieser Situation der Hilflosigkeit, wie wir es empfin- SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den — dieses Empfinden haben wir auch im Blick auf die Friedensverhandlungen in Genf, wo man nicht das Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat Gefühl hat, daß gleichwertige Partner miteinander der Kollege Irmer das Wort. diskutieren —, auch für die Menschen in Deutschland eine neue eröffnen, indem man nämlich Perspektive Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine da wirklich hilft, wo man zur Zeit auch helfen kann. Damen und Herren! Die Situation im ehemaligen Das ist der Grund für diesen Antrag. Jugoslawien ist schrecklich. Wir wissen nicht, ob der Ich wäre dankbar, wenn das Präsidium oder die Appell, den wir heute abend hier verabschieden Präsidentin des Bundestages dann dafür sorgt, daß die wollen, überhaupt eine Chance der Verwirklichung Adressaten in Genf und in der UNO diesen Beschluß hat. Angesichts des Sterbens, dem wir hilflos des Deutschen Bundestages bekommen. Wir haben in zuschauen, bringt es auch nichts, hier noch längere der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses Butros Ausführungen zu machen. Ghali bereits darauf angesprochen. Ich habe auch keine Rede, die ich zu Protokoll Ich danke für die Aufmerksamkeit. geben könnte. Die F.D.P.-Fraktion wird dem Antrag zustimmen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich danke Ihnen. NEN) (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster spricht der Kollege Heribert Scharrenbroich, erhält Herr Staatsminister Schäfer das Wort.

Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Frau Präsi- Amt: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die dentin! Meine Damen, meine Herren! Die CDU/ Bundesregierung geht auf Grund der ihr vorliegenden CSU-Fraktion bedankt sich für die Initiative, daß Informationen auch davon aus, daß die Öffnung des dieser Antrag eingebracht worden ist. Wir empfehlen Flughafens von Tuzla in Nord-Bosnien für Versor- seine Annahme heute. gungsflüge die Versorgung der Bevölkerung dieses Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11447

Staatsminister Helmut Schäfer Gebietes mit Hilfsgütern erheblich erleichtern würde. hatten, alles zu tun, damit es zu einer solchen Öffnung Bisher ist die Versorgung der Gegend um Tuzla, kommt. soweit möglich, auf dem Landwege erfolgt, teils von Split aus, also durch das ganze Bosnien-Herzegowina Vizepräsidentin Renate Schmidt: Eine weitere Zwi- hindurch, teils von Belgrad aus. schenfrage des Kollegen Schwarz. Richtig ist, daß einige Orte, auch im Raum Tuzla, bisher gar nicht angefahren werden konnten, weil Stefan Schwarz (CDU/CSU): Herr Staatsminister, dort die ethnische Streuung besonders stark ist. Der ist der Bundesregierung bekannt, daß die bosnische Raum östlich von Tuzla ist, was die Versorgung Regierung, die Sie eben als eine der drei Parteien angeht, überhaupt der problematischste Bereich in bezeichnet haben und in deren Souveränitätsgebiet ganz Bosnien-Herzegowina. Hier finden anhaltend sich der Flughafen befindet, gesagt hat, daß dieser schwere Kämpfe statt. Flughafen wesentlich besser als Sarajevo militärisch Das Auswärtige Amt hat die Frage der Öffnung gegen Angriffe, so wie Sie sie eben skizziert haben, dieses Flughafens in seinen Kontakten mit den Ver- abzusichern ist? Glauben Sie nicht, daß dann, wenn einten Nationen und dem UNHCR schon mehrfach man es intensiv angeht, den Flughafen frei zu machen, aufgeworfen. Die Öffnung des Flugplatzes Tuzla für das auch von bosnischen Kräften gewährleistet wer- Versorgungsflüge der Vereinten Nationen war bisher den kann, die dort erheblich stärker sind als um deshalb nicht möglich — diese Situation besteht Sarajevo herum, wie allenthalben bekannt ist, urn weiter, Herr Kollege Duve —, weil eine Einigung der eine Einflugschneise für die 850 000 Menschen, die in drei Streitparteien — im Gegensatz zu Sarajewo — diesem Gebiet von diesem Flughafen versorgt wer- bislang nicht erzielt werden konnte. Eine solche den, zu gewährleisten? Einigung wäre aber notwendig, um die Sicherheit der Versorgungsflüge zu gewährleisten. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Leider muß ich Ihnen sagen, daß nach unmittelbarer Amt: Herr Kollege Schwarz, es ist mir bekannt, daß Unterrichtung heute nachmittag von dem deutschen natürlich die bosnische Seite interessiert ist, daß der Hilfspersonal aus Zagreb berichtet wurde, daß auch Flughafen geöffnet wird, daß aber die Widerstände, heute in unmittelbarer Nähe des Flughafens Tuzla die ich eben beschrieben habe, im Gegensatz zu heftig gekämpft worden ist. Es trifft also leider nicht Sarajevo dort bisher so groß waren, daß es eben nicht mehr zu, Herr Kollege Duve, daß es dort verhältnis- zur Öffnung kam. mäßig ruhig sei. Es gibt dort Kämpfe — ich habe es Ihnen gerade Ich darf zum Schluß sagen, daß wir selbstverständ- gesagt; wir wissen das durch ein Telefonat von heute lich einen solchen Antrag aller Fraktionen des Deut- nachmittag —, die gerade heute in der Nähe des schen Bundestages nach Kräften unterstützen werden Flughafens sehr stark gewesen sind. Die Mitteilung und uns bemühen werden, daß eine solche Lösung im kommt von deutschen Beobachtern. Sie sehen also, Interesse der notleidenden Bevölkerung gefunden daß es dort im Augenblick keine große Chance gibt wird. Aber die Widerstände innerhalb der kämpfen- — das ist die Befürchtung —, seitens der streitenden den Gruppierungen und natürlich auch das Problem, Parteien zu einer Einigung zu kommen. daß die UNO den Flughafen nicht freikämpfen kann, Daß die bosnische Seite interessiert ist, hatte ich stehen hier noch im Wege. Es muß alles getan werden, Ihnen ja bereits zugestanden. um dieses Hindernis nach Möglichkeit zu überwin- den. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Dies ist im Prinzip keine Fragestunde, trotzdem, Kollege Schwarz, noch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Minister eine Nachfrage. Dann spricht der Kollege Modrow als Schäfer, würden Sie trotz der knappen Redezeit auf nächster Redner. eine Frage des Kollegen Duve antworten? Stefan Schwarz (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Freimut Duve (SPD): Ist der Bundesregierung Präsidentin. — Herr Staatsminister, glauben Sie nicht, bekannt, ob die Frage der Eröffnung einer zweiten daß das, was Sie heute nachmittag als Meldung von Luftbrücke in irgendeiner Weise Gegenstand der deutschen Stellen gehört haben — wobei ich jetzt Genfer Verhandlungen gewesen ist und ob irgend- nicht beurteilen kann, wie weit sie wirklich über das eine Seite diese Frage dort vorgebracht hat oder ob Geschehen unmittelbar informiert sind, da mir bisher einer der beiden Verhandlungsführer, Vance oder nicht erkenntlich ist, daß deutsche Stellen in Tuzla Owen, diese Frage angesprochen hat? selbst tätig waren — und was dem, was im Verlauf der letzten Monate zu beobachten war, widerspricht, Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen morgen widerrufen werden könnte? Wären Sie dann Amt: Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. morgen bereit, wenn sich die Lage ruhiger darstellt, Ich weiß nicht, ob das Verhandlungsgegenstand in wie vom Kollegen Duve geschildert, nicht nur auf dem Genf war. Ich weiß aber, daß der UNHCR in Genf diplomatischen Wege, sondern auch mit Druck zu — deshalb vermute ich, daß das Thema irgendwo versuchen, diesen Flughafen zu öffnen, weil es doch angesprochen worden sein muß — die Problematik immerhin um Menschen in schwerer Not geht? kennt, uns unterrichtet hat, auch über die Hinter- gründe der Schwierigkeiten, daß es bislang — auch Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen der UNO — nicht gelungen ist, diesen Flughafen zur Amt: Herr Kollege Schwarz, Sie brauchen mich in Verfügung zu stellen. Ich habe darauf hingewiesen, dieser Hinsicht nicht zu überzeugen. Ich bin mit Ihnen daß wir uns vorher schon in Gesprächen sehr bemüht gemeinsam für eine Öffnung dieses Flughafens. Nur, 11448 Deutscher Bundestag — 12. 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Staatsminister Helmut Schäfer Sie müssen Fakten und Schwierigkeiten zur Kennt- entscheidende Voraussetzung für wirksame humani- nis nehmen, die wir ja auch zur Kenntnis nehmen. täre Hilfe, wirklich weiter gewahrt bleiben. Ich darf Ihnen sagen, die Information kommt von der (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie des deutschen Luftwaffe, und sie ist ziemlich sicher. Die Abg. Dr. Wolfgang Ullmann [BÜNDNIS 90/ heutigen Kämpfe sind ausgelöst worden von bos- DIE GRÜNEN]) nisch-kroatischer Seite, sicher mit einem Hintergrund, den wir alle begreifen können. Das Problem ist: Man müßte dann in der Lage sein Vizepräsidentin Renate Schmidt: Es liegen mir — die UNO ist in diesem Raum relativ schwach keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Wir kom- vertreten —, der Öffnung dieses Flughafens mögli- men nun zur Abstimmung. cherweise mit Gewalt zuzustimmen. Wer stimmt für den Antrag der SPD auf Drucksache Da stellt sich die Frage: Wer wird das unternehmen? 12/4091? — Wer stimmt dagegen? — Stimmenthaltun- Wer wird das tun? In Sarajevo gab es eine Einigung gen? — Damit ist der Antrag einstimmig angenom- aller drei Gruppierungen, weil Menschen aller drei men. Gruppierungen in Sarajevo leben, während in Tuzla Ich kann Ihnen nun das von den Schriftführern die bosnische Seite besonders stark ist und natürlich ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung auch besonders leidet. über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion auf Aber wir bemühen uns weiter im Sinne dieses Drucksache 12/3951 mitteilen, und wir können dann heutigen Antrages. die Abstimmung über den vorhergehenden Tagesord- Vielen Dank. nungspunkt 10 abschließen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Es wurden 482 Stimmen abgegeben. Davon war ten der CDU/CSU) keine Stimme ungültig. Mit Ja haben 176 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 305. Es gab eine Enthaltung. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun erhält der Kollege Modrow das Wort. Endgültiges Ergebnis Ganseforth, Monika - Gilges, Konrad Abgegebene Stimmen: 480; Gleicke, Iris Dr. Hans Modrow (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- davon: Dr. Glotz, Peter tin! Meine Damen und Herren! Angesichts der Haack (Extertal), schrecklichen Greuel des Krieges in Bosnien, des ja: 175 Karl-Hermann Habermann, Frank-Michael Leidens der Menschen im zerbrochenen Jugoslawien nein: 304 Hacker, Hans-Joachim befürwortet die PDS/Linke Liste nachdrücklich alle enthalten: 1 Hampel, Manfred Eugen Maßnahmen, die geeignet sind, Not und Elend zu Hanewinckel, Christel lindern und Menschenleben zu retten. Heistermann, Dieter Ja Hiller (Lübeck), Reinhold Die Verstärkung humanitärer Hilfe für die in Bos- Hilsberg, Stephan nien von Hunger und Kälte bedrohten Moslems, SPD Dr. Holtz, Uwe Serben und Kroaten ist ein Gebot der Stunde. Die Horn, Erwin Adler, Brigitte Iwersen, Gabriele Einrichtung von zusätzlichen Luftlinien, die Öffnung Andres, Gerd Jäger, Renate weiterer Flughäfen, darunter des Flughafens in Tuzla, Bachmaier, Hermann Janz, Ilse könnte helfen, hier Not zu lindern und Wesentliches Barbe, Angelika Jaunich, Horst für humanitäre Unterstützung zu tun. Bartsch, Holger Dr. Jens, Uwe Becker (Nienberge), Helmuth Jungmann (Wittmoldt), Horst Aus diesem Grunde unterstützt die PDS/Linke Liste Becker-Inglau, Ingrid Kastner, Susanne den Antrag der SPD-Fraktion, die Bundesregierung Beucher, Friedhelm Julius Kastning, Ernst Bock, Thea Kirschner, Klaus aufzufordern, dafür zu wirken, daß die Aufnahme Dr. Böhme (Unna), Ulrich Klappert, Marianne weiterer Hilfsflüge vom Sicherheitsrat der Vereinten Dr. Brecht, Eberhard Dr. Klejdzinski, Karl-Heinz Nationen ermöglicht wird. Büchner (Speyer), Peter Klemmer, Siegrun Büttner (Ingolstadt), Hans Dr. sc. Knaape, Hans-Hinrich Bestandteil der erforderlichen Vorbereitung sollte Bulmahn, Edelgard Körper, Fritz Rudolf auch sein zu prüfen, wie der Flughafen in Belgrad Burchardt, Ursula Kolbe, Regina verstärkt einbezogen werden kann, denn auch von Conradi, Peter Kolbow, Walter dort gibt es Möglichkeiten der Unterstützung. Dr. Däubler-Gmelin, Herta Koltzsch, Rolf Diller, Karl Kubatschka, Horst Damit könnte auch die in Bosnien bestehende Dr. Dobberthien, Marliese Kuessner, Hinrich Befürchtung zerstreut werden, daß humanitäre Hilfs- Dreßler, Rudolf Dr. Küster, Uwe Duve, Freimut Kuhlwein, Eckart aktionen zum Vorwand für ausländische Militärinter- Dr. Eckardt, Peter Lange, Brigitte ventionen genommen werden. Dr. Ehmke (Bonn), Horst von Larcher, Detlev Der Balkan, auf dem so viel Leid besteht, darf nicht Eich, Ludwig Dr. Leonhard-Schmid, Elke Dr. Elmer, Konrad Dr. Lucyga, Christine noch zum Schauplatz gewalttätiger und zerstöreri- Esters, Helmut Maaß (Herne), Dieter scher Militäraktionen von außen werden, wie das am Ewen, Carl Mascher, Ulrike Golf gegenwärtig wieder geschieht. Gerade jetzt, wo Ferner, Elke Dr. Matterne, Dietmar die Genfer Verhandlungen berechtigte Hoffnungen Fischer (Gräfenhainichen), Mattischeck, Heide Evelin Meckel, Markus auf eine Beendigung des Blutvergießens in Bosnien Fischer (Homburg), Lothar Meißner, Herbert erwecken, müssen alle Handlungen unterbleiben, Fuchs (Verl), Katrin Dr. Meyer (Ulm), Jürgen damit die Chancen für eine friedliche Lösung, die Fuhrmann, Arne Müller (Düsseldorf), Michael Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11449

Vizepräsidentin Renate Schmidt Müller (Pleisweiler), Albrecht Henn, Bernd Fockenberg, Winfried Dr. Lehr, Ursula Müller (Schweinfurt), Rudolf Dr. Heuer, Uwe-Jens Francke (Hamburg), Klaus Lenzer, Christian Müller (Völklingen), Jutta Dr. Hö11, Barbara Dr. Friedrich, Gerhard Dr. Lieberoth, Immo Müller (Zittau), Christian Jelpke, Ulla Fritz, Erich G. Limbach, Editha Dr. Niehuis, Edith Dr. Keller, Dietmar Fuchtel, Hans-Joachim Link (Diepholz), Walter Dr. Niese, Rolf Dr. Modrow, Hans Ganz (St. Wendel), Johannes Lintner, Eduard Odendahl, Doris Philipp, Ingeborg Geiger, Michaela Dr. Lippold (Offenbach), Oostergetelo, Jan Dr. Schumann (Kroppenstedt), Dr. Geiger (Darmstadt), Sissy Klaus W. Opel, Manfred Fritz Geis, Norbert Dr. Lischewski, Manfred Ostertag, Adolf Dr. Seifert, Ilja Dr. von Geldern, Wolfgang Löwisch, Sigrun Dr. Otto, Helga Stachowa, Angela Gibtner, Horst Lohmann (Lüdenscheid), Paterna, Peter Glos, Michael Wolfgang Peter (Kassel), Horst Göttsching, Martin Louven, Julius Dr. Pfaff, Martin BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Götz, Peter Dr. Luther, Michael Dr. Pick, Eckhart Gres, Joachim Maaß (Wilhelmshaven), Erich von Renesse, Margot Dr. Feige, Klaus-Dieter Grochtmann, Elisabeth Magin, Theo Rennebach, Renate Köppe, Ingrid Gröbl, Wolfgang Marienfeld, Claire Reuter, Bernd Poppe, Gerd Grotz, Claus-Peter Marschewski, Erwin Rixe, Günter Schenk, Christina Dr. Grünewald, Joachim Marten, Günter Roth, Wolfgang Schulz (Berlin), Werner Günther (Duisburg), Horst Dr. Mayer (Siegertsbrunn), Schanz, Dieter Dr. Ullmann, Wolfgang Frhr. von Hammerstein, Martin Scheffler, Siegfried Weiß (Berlin), Konrad Carl-Detlev Meinl, Rudolf Schloten, Dieter Wollenberger, Vera Harries, Klaus Dr. Meyer zu Bentrup, Schluckebier, Günter Haschke (Großhennersdorf), Reinhard Schmidbauer (Nürnberg), Gottfried Michalk, Maria Horst Fraktionslos Haschke (Jena-Ost), Udo Michels, Meinolf Schmidt (Nürnberg), Renate Hasselfeldt, Gerda Dr. Möller, Franz Schmidt (Salzgitter), Wilhelm Dr. Briefs, Ulrich Haungs, Rainer Dr. Müller, Günther Schmidt-Zadel, Regina Hauser (Esslingen), Otto Müller (Kirchheim), Elmar Dr. Schmude, Jürgen Hauser (Rednitzhembach), Müller (Wadern), Dr. Schnell, Emil Nein Hansgeorg Hans-Werner Schöler, Walter Hedrich, Klaus-Jürgen Nelle, Engelbert Schreiner, Ottmar CDU/CSU Heise, Manfred Nitsch, Johannes Schröter, Karl-Heinz Hörsken, Heinz-Adolf Nolte, Claudia Schutz, Dietmar Dr. Ackermann, Else Hörster, Joachim Ost, Friedhelm Dr. Schuster, R. Werner Adam, Ulrich Dr. Hoffacker, Paul Oswald, Eduard Schwanitz, Rolf Dr. Altherr, Walter Hollerith, Josef Otto (Erfurt), Norbert Seidenthal, Bodo Augustin, Anneliese Dr. Hornhues, Karl-Heinz Dr. Päselt, Gerhard Seuster, Lisa Augustinowitz, Jürgen Hornung, Siegfried Dr. Paziorek, Peter Sielaff, Horst Austermann, Dietrich Hüppe, Hubert Petzold, Ulrich Simm, Erika Bargfrede, Heinz-Günter Jäger, Claus Pfeffermann, Gerhard O. Dr. Sonntag-Wolgast, Cornelie Dr. Bauer, Wolf Jaffke, Susanne Pfeifer, Anton Sorge, Wieland Bayha, Richard Jagoda, Bernhard Pfeiffer, Angelika Dr. Sperling, Dietrich Belle, Meinrad Dr. Jahn (Münster), Dr. Pfennig, Gero Steen, Antje-Marie Dr. Bergmann-Pohl, Sabine Friedrich-Adolf Dr. Pflüger, Friedbert Dr. Struck, Peter Bierling, Hans-Dirk Janovsky, Georg Dr. Pinger, Winfried Tappe, Joachim Dr. Blank, Joseph-Theodor Jeltsch, Karin Pofalla, Ronald Thierse, Wolfgang Blank, Renate Dr. Jobst, Dionys Dr. Pohler, Hermann Titze, Uta Bleser, Peter Dr.-Ing. Jork, Rainer Priebus, Rosemarie Urbaniak, Hans-Eberhard Böhm (Melsungen), Wilfried Dr. Jüttner, Egon Dr. Probst, Albe rt Vergin, Siegfried Dr. Böhmer, Maria Jung (Limburg), Michael Dr. Protzner, Bernd Dr. Vogel, Hans-Jochen Börnsen (Bönstrup), Wolfgang Junghanns, Ulrich Rahardt-Vahldieck, Susanne Voigt (Frankfurt), Karsten D. Bohlsen, Wilfried Dr. Kahl, Harald Raidel, Hans Wagner, Hans Georg Borchert, Jochen Kampeter, Steffen Dr. Ramsauer, Peter Waltemathe, Ernst Breuer, Paul Dr.-Ing. Kansy, Dietmar Rau, Rolf Dr. Wegner, Konstanze Brudlewsky, Monika Karwatzki, Irmgard Rawe, Wilhelm Weiermann, Wolfgang Brunnhuber, Georg Kauder, Volker Regenspurger, Otto Weiler, Barbara Bühler (Bruchsal), Klaus Keller, Peter Reichenbach, Klaus Weis (Stendal), Reinhard Büttner (Schönebeck), Kittelmann, Peter Dr. Reinartz, Bertold Weisheit, Matthias Hartmut Klein (Bremen), Günter Reinhardt, Erika Weißgerber, Gunter Buwitt, Dankward Klinkert, Ulrich Dr. Rieder, Norbert Weisskirchen (Wiesloch), Gert Carstensen (Nordstrand), Köhler (Hainspitz), Riegert, Klaus Dr. Wernitz, Axel Peter Harry Hans-Ulrich Ringkamp, Werner Wester, Hildegard Clemens, Joachim Dr. Köhler (Wolfsburg), Rode (Wietzen), Helmut Westrich, Lydia Dehnel, Wolfgang Volkmar Rönsch (Wiesbaden), Dr. Wetzel, Margrit Dempwolf, Gertrud Kors, Eva-Maria Hannelore Weyel, Gudrun Deres, Karl Koschyk, Hartmut Romer, Franz-Xaver Wiefelspütz, Dieter Deß, Albert Kossendey, Thomas Dr. Rose, Klaus Dr. de With, Hans Diemers, Renate Kraus, Rudolf Rossmanith, Kurt J. Wittich, Berthold Dörflinger, Werner Dr. Krause (Bonese), Roth (Gießen), Adolf Wohlleben, Verena Ehlers, Wolfgang Rudolf Karl Rother, Heinz Wolf, Hanna Ehrbar, Udo Krause (Dessau), Wolfgang Dr. Ruck, Christian Zapf, Uta Eichhorn, Maria Krey, Franz Heinrich Dr. Rüttgers, Jürgen Engelmann, Wolfgang Kronberg, Heinz-Jürgen Sauer (Stuttga rt), Roland Eppelmann, Rainer Dr.-Ing. Krüger, Paul Scharrenbroich, Heribert PDS/Linke Liste Eylmann, Horst Krziskewitz, Reiner Eberhard Schätzle, Ortrun Eymer, Anke Lamers, Karl Schemken, Heinz Bläss, Petra Falk, Ilse Dr. Lammert, Norbert Scheu, Gerhard Dr. Enkelmann, Dagmar Dr. Faltlhauser, Kurt Lattmann, Herbert Schmidbauer, Bernd Dr. Fischer, Ursula Feilcke, Jochen Dr. Laufs, Paul Schmidt (Fürth), Christian Dr. Fuchs, Ruth Dr. Fell, Karl Laumann, Karl Josef Dr.-Ing. Schmidt (Halsbrücke), Dr. Gysi, Gregor Fischer (Unna), Leni Lehne, Klaus-Heiner Joachim 11450 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Vizepräsidentin Renate Schmidt Schmidt (Mülheim), Andreas Dr. Feldmann, Olaf eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schmidt (Spiesen), Trudi Friedhoff, Paul Befreiung von Militärsteuern Dr. Schockenhoff, Andreas Friedrich, Horst Graf von Schönburg Funke, Rainer — Drucksache 12/74 — -Glauchau, Joachim Dr. Funke-Schmitt-Rink, Beschlußempfehlung und Bericht des Rechts- Dr. Scholz, Rupert Margret ausschusses (6. Ausschuß) Frhr. von Schorlemer, Ganschow, Jörg Reinhard Genscher, Hans-Dietrich — Drucksache 12/4088 — Dr. Schreiber, Harald Gries, Ekkehard Berichterstattung: Schulhoff, Wolfgang Grüner, Martin Dr. Schulte (Schwäbisch Günther (Plauen), Joachim Abgeordnete Dr. Jürgen Schmude Gmünd), Dieter Hansen, Dirk Dr. Rupert Scholz Heinrich, Ulrich Schulz (Leipzig), Gerhard (Erste Beratung 9. Sitzung) Schwalbe, Clemens Dr. Hirsch, Burkhard Dr. Schwörer, Hermann Dr. Hitschler, Walter Dazu liegt ein Änderungsantrag des Abgeordneten Seehofer, Horst Homburger, Birgit Dr. Ullmann vor. Seesing, Heinrich Dr. Hoth, Sigrid Seibel, Wilfried Dr. Hoyer, Werner Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine 5-Minu- Sikora, Jürgen Irmer, Ulrich ten-Runde vereinbart worden. Gibt es dazu irgend- Skowron, Werner H. Kleinert (Hannover), Detlef einen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist Sothmann, Bärbel Dr. Kolb, Heinrich L. es so beschlossen. Spilker, Karl-Heinz Koppelin, Jürgen Dr. Sprung, Rudolf Dr.-Ing. Laermann, Karl-Hans Als erster erhält das Wort der Kollege Dr. Wolfgang Steinbach-Hermann, Erika Dr. Graf Lambsdorff, Otto Ullmann. Dr. Frhr. von Stetten, Lüder, Wolfgang Wolfgang Lühr, Uwe Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stockhausen, Karl Dr. Menzel, Bruno NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Strube, Hans-Gerd Mischnick, Wolfgang Stübgen, Michael Nolting, Günther Friedrich Äußerst ungern, zumal nach der freundlichen Fest- Susset, Egon Otto (Frankfurt), stellung der Frau Präsidentin, daß es keinen Wider- Tillmann, Ferdinand Hans-Joachim spruch gebe, bin ich unvermeidlicherweise gezwun- Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter Paintner, Johann gen, meine Darlegungen mit einer Rüge zu begin- Vogel (Ennepetal), Friedrich Peters, Lisa Vogt (Düren), Wolfgang Dr. Pohl, Eva nen. Dr. Vondran, Ruprecht Richter (Bremerhaven), Als nämlich der Rechtsausschuß den Antrag auf Graf von Waldburg-Zeil, Alois Manfred ablehnte, Rind, Hermann Anhörung zum Thema Militärsteuergesetz Dr. Warnke, Jürgen tat er das mit der Zusage, dafür ausführlich im Werner (Ulm), Herbert Dr. Röhl, Klaus Wetzel, Kersten Schäfer (Mainz), Helmut Parlament über den Gesetzentwurf debattieren zu Wiechatzek, Gabriele Schmalz-Jacobsen, Cornelia wollen. Schmidt (Dresden), Arno Dr. Wieczorek (Auerbach), Nun frage ich Sie: Können Sie diese Debatte ab Bertram Dr. Schnittler, Christoph Dr. Wilms, Dorothee Schüßler, Gerhard 22.40 Uhr als Erfüllung dieser Zusage ansehen? Wilz, Bernd Schuster, Hans (Zurufe von der CDU/CSU: Aber ja!) Dr. Wisniewski, Roswitha Sehn, Marita Dr. Wittmann, Fritz Seiler-Albring, Ursula Ich beim besten Willen nicht, was mir für den Deut- Wittmann (Tännesberg), Dr. Semper, Sigrid schen Bundestag wieder einmal leid tut, der sich hier Simon Dr. Starnick, Jürgen äußerst nachteilig vom amerikanischen Kongreß Dr. Thomae, Dieter Wonneberger, Michael abhebt, der zum gleichen Thema eine sehr große Wülfing, Elke Timm, Jürgen Würzbach, Peter Kurt Türk, Jürgen Anhörung durchgeführt hat. Yzer, Cornelia Walz, Ingrid Aber nun zur Sache. Da ich in dieser Runde Kennt- Dr. Weng (Gerlingen), Zeitlmann, Wolfgang nis vom Inhalt unseres Gesetzentwurfes voraussetzen Zöller, Wolfgang Wolfgang Wolfgramm (Göttingen), kann, nur zwei Bemerkungen. Torsten Die erste Bemerkung sei ein Hinweis darauf, daß die F.D.P. Würfel, Uta Zurheide, Burkhard Bundesrepublik Deutschland — damit bin ich bei dem sehr ernsten Thema, das wir vorhin besprochen Dr. Babel, Gisela Zywietz, Werner Beckmann, Klaus haben —, wenn sie denn willens ist, auf die Anforde- Cronenberg (Arnsberg), Enthalten rungen der Friedensagenda, die Generalsekretär Dieter-Julius Ghali dem Weltsicherheitsrat am 17. Juli 1992 unter- Fraktionslos Eimer (Fürth), Norbert breitet hat, einzugehen, statt ständig nur über Out- Engelhard, Hans A. van Essen, Jörg Lowack, Ortwin of-Area-Einsätze zu debattieren, nicht um eine Total- revision ihres Verteidigungsetats herumkommen Der Antrag ist damit abgelehnt. wird. Boutros Ghali weist darauf hin, daß er angesichts der Haltung der UNO-Mitgliedsstaaten nicht erwar- Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des tet, daß Streitkräfte im Sinne von Art. 43 der UNO- Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 12/3929 Charta sehr bald zur Verfügung stehen. Wohl gebe es ab. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? — Wer eine große Bereitschaft, sich an Friedensinitiativen zu stimmt dagegen? Stimmenthaltungen? — Die beteiligen; woran es aber fehle, seien Versorgungs- Beschlußempfehlung ist damit angenommen. einheiten, ziviles und polizeiliches Personal neben dem militärischen Friedenssicherungspersonal, Ge- Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf: rätschaften für Friedenssicherung. Außerdem schlägt Zweite und dritte Beratung des von den Abge- er zwei beachtliche Neuerungen zur Finanzierung ordneten Frau Ingrid Köppe, Dr. Klaus-Dieter von Friedensaufgaben vor: einen Stiftungsfonds für Feige, Gerd Poppe, weiteren Abgeordneten Friedensaufgaben in einer Starthöhe von 1 Milliarde und der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dollar und eine Abgabe auf Waffenverkäufe. Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11451

Dr. Wolfgang Ullmann Wie soll sich unser Land an alledem beteiligen, ohne Die Steuer ist die Abgabe des Bürgers für seinen einen sehr umfangreichen Anteil UNO-Lasten in sei- Staat, die gerade zweckfrei geleistet wird. Wenn der nen Etat aufzunehmen? einzelne eine Steuer verweigern kann, weil er mit Die zweite Bemerkung bezieht sich nun auf die bestimmten Ausgaben des Staates, der die Gemein- Ablehnungsgründe des Rechtsausschusses: Eine Ge- schaftsaufgaben für alle zu finanzieren hat, was dem wissensentscheidung über die Verwendung von Willen der demokratischen Mehrheit entspricht, nicht Steuermitteln sei auf bestimmte Gegenstände nicht einverstanden ist, gibt es in Wahrheit kein funktionie- eingrenzbar. Das ist völlig richtig. Das Parlament wird rendes Staatswesen mehr. aber doch wie im Falle der Militärsteuer in jedem (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Dann wer anderen Falle darüber zu befinden haben, wie es den nie mehr neue Plenarsäle gebaut!) verfahren will. In Italien und Spanien gibt es übrigens Das ist die Konsequenz. bereits ein analoges Verfahren bei der Kirchensteuer. Das nur als Anmerkung zur Praktikabilität. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Scholz, Der Gesetzentwurf — so heißt es weiter — über- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Con- dehne die Verantwortlichkeit der Bürger in unzuläs- radi? siger Weise. — In wie entsetzlicher Weise Gegen- stände von Mehrheitsentscheidungen vom einzelnen Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Gerne. zu verantworten sind, davon hat meine Generation in deutschen Landen berühmte Lektionen zu lernen Peter Conradi (SPD): Herr Kollege, haben Sie mög- gehabt. Die Gewissensfreiheit auf die Verpflichtung licherweise übersehen, daß der Entwurf ja nicht eine zu bestimmten Handlungen zu begrenzen setzte Steuerverweigerung vorsieht, sondern daß jeder Bür- einen Begriff von Handlung als Actio im Sinne des ger diese Steuer zahlen muß, er aber die Möglichkeit römischen Rechts voraus, der nun den komplizierten hat, zu sagen, die Steuer werde nicht für das Militär, Handlungsgefügen der modernen Gesellschaft in gar sondern für Konversionszwecke verwendet? Es geht keiner Weise mehr angemessen ist. also nicht um eine Steuerverweigerung. Ist denn der Gedanke so schwer nachvollziehbar, daß es gerade Mehrheitsentscheidungen in Sachen Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Herr Conradi, genau dies ist der Punkt. Der Bürger kann nach dem Geset- Krieg und Frieden sind, die das Gewissen Betroffener - sehr überdehnen? zesvorschlag verweigern, daß bestimmte Steuern, die er zahlt, für Rüstungszwecke verwandt werden. Er In summa: Es ist natürlich keine Kunst, heute Abend kann nach dem Gesetzesvorschlag bestimmen, wofür diesen Entwurf mit der wohlbekannten Mehrheit die Steuern verwandt werden. Genau das ist der abzulehnen. Aber — das sage ich nun, ohne irgend- entscheidende Punkt. Steuerstaatlichkeit heißt welche prophetischen Vollmachten in Anspruch neh- Der Staat entscheidet, der Gesetzge- men zu wollen — daß die Anforderungen der Frie- Zweckfreiheit. ber entscheidet, die demokratische Mehrheit ent- densagenda auf Sie genauso unvermeidlich zukom- scheidet. Das ist der entscheidende Punkt. men werden und Sie einholen werden wie all das, was Sie 1990 nicht wahrhaben wollten und was uns jetzt (Peter Conradi [SPD]: Das ist doch keine alle eingeholt hat, wage ich vorherzusagen. Steuerverweigerung!) Ich danke Ihnen. Meine Damen und Herren, so könnte z. B. jemand bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie herge- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hen und sagen, er sei anderer Meinung und zahle sowie bei Abgeordneten der SPD und der seine Steuern nur für ein bestimmtes System der PDS/Linke Liste) Energiegewinnung aus fossilen Stoffen. Da gibt es tausend Möglichkeiten. Dies alles geht aber nicht. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster spricht unser Kollege Professor Rupert Scholz, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege Scholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- gen Ullmann? Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben im Rechtsaus- (CDU/CSU): Aber gerne. schuß über das diskutiert, wofür sich Herr Ullmann Dr. Rupert Scholz engagiert. Wir haben darüber gesprochen, und wir haben das auch ernst genommen. Ich glaube, das Dr. Wolfgang Ullmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Kollege Scholz, können Sie mir darin kann ich für alle Fraktionen sagen. Das ist in der zustimmen, daß unser Antrag dokumentiert, daß wir Diskussion deutlich geworden. für dieses Vorhaben eine demokratische Mehrheit Sie haben aber für Ihren Antrag nicht die Mehrheit suchen? finden können. Sie werden sie auch heute nicht finden können. Hier geht es nämlich — Herr Ullmann, ich Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Sie suchen eine glaube, das ist Ihnen doch sehr bewußt — um Grund- demokratische Mehrheit, aber Sie werden sie nicht prinzipien der Steuerstaatlichkeit. Es kann keine finden. Das Grundprinzip dabei ist aber — das gilt, Steuer geben, die an eine Gewissensentscheidung des selbst wenn Sie hier eine Mehrheit finden könnten —, Bürgers gebunden ist, bei der er ja oder nein zu einer daß Sie den Steuerstaat in seiner grundsätzlichen Steuer sagen kann. Form, wie er auch von der Verfassung her vorgesehen (Dr. Hans-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE ist, in Frage stellen. Das ist nicht möglich, Herr GRÜNEN]: Warum nicht?) Ullmann. 11452 Deutscher Bundestag — 12. 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Dr. Rupert Scholz Nun zu einer zweiten Bemerkung: Hinter einer Vizepräsidentin Renate Schmidt: Als nächster hat solchen Gewissensentscheidung steht genau genom- das Wort unser Kollege Jürgen Schmude. men die Dispositionsbefugnis — das ist das, was Sie wollen —, daß man in der Tat zur Rüstung nein sagen kann. Es ist ein legitimes politisches Ziel, dazu nein sagen zu wollen. Rüstung ist aber etwas, was von Dr. Jürgen Schmude (SPD): Frau Präsidentin! Sehr Bedrohung abhängig ist. geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetz- (Zuruf von der SPD: Wenn es so wäre!) entwurf greift den Gedanken des bürgerlichen Unge- horsams oder des begrenzten gewaltfreien Widerstan- Der Bürger hat aber ein Recht auf Schutz auch der des auf, den wir vor allem bei den Auseinandersetzun- äußeren Sicherheit durch seinen Staat. Es geht nicht gen über Massenvernichtungswaffen theoretisch und um Krieg oder Frieden und um Disposition, wie Sie in seinen praktischen Auswirkungen angetroffen eben gesagt haben, Herr Ullmann. Unser Staat ist haben. nämlich nach Art. 26 des Grundgesetzes verpflichtet, ausschließlich zu Verteidigungszwecken Rüstungs- Wurde damals verlangt, begrenzte Regelverletzun- ausgaben zu tätigen. Der Angriffskrieg ist bekanntlich gen und maßvolle Widerstandshandlungen ohne verboten; er ist verfassungswidrig. rechtliche Sanktion zu lassen, so geht es diesmal um Aus allen diesen Gründen ist eine Gewissensent- die gesetzliche Anerkennung des Rechts, Steuerlei- scheidung in dieser Form rechtlich nicht vertretbar. stungen in dem Umfang zu verweigern und umzulen- Aus diesem Grunde können wir Ihrem Antrag nicht ken, wie sie mutmaßlich dem Rüstungshaushalt zustimmen. zugute kommmen. Das eine wie das andere ist nicht akzeptabel, auch und gerade in einem demokrati- schen Rechtsstaat nicht. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Herr Kollege (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Scholz, es gibt noch einen Wunsch für eine Zwischen- F.D.P.) frage. Diejenigen, die sich in ihrer Verantwortung betrof- fen und in ihrem Gewissen belastet sehen, wenn sie Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Ich wollte eigentlich Steuern zahlen, ohne deren Verwendung für Schluß machen. Herr Elmer hat natürlich das Recht, Rüstungszwecke auszuschließen, beschäftigen sich die Frage noch zu stellen. intensiv und ernsthaft mit Fragen von allgemeinem Interesse und von großer Bedeutung. Respekt und Achtung sind ihrem Bestreben sicher, der Erhaltung (SPD): Herr Kollege, zu Ihrer Dr. Konrad Elmer des Friedens in einer Weise zu dienen, die ihnen letzten Argumentation: Es wäre doch auch nicht moralisch geboten erscheint. verfassungswidrig — das könnte doch auch passie- ren —, wenn die Wehrdienstverweigerungszahlen, Gesetzliche Anerkennung durch Gewährung eines die ja bekanntlich zugenommen haben, weiter stei- Rechts, dem Verteidigungshaushalt Geld zu entzie- gen, wenn plötzlich so viele verweigern würden, daß hen, können sie aber nicht erfahren. Kein Steuer- diese Art von Armee nicht aufrechterhalten werden zahler hat ein Recht darauf, daß sein Geld für könnte. Sie könnten das nicht monieren, weil das bestimmte Zwecke verwendet wird und für andere verfassungsgemäß wäre. Insofern zieht das Argument nicht. Darüber wird demokratisch und allgemeinver- auch nicht bei einer solchen Steuerverweigerung, was bindlich durch Mehrheitsentscheidung befunden. vom Gewissen her, wie Sie auch wissen, zur Zeit nur Verantwortung tragen diejenigen, die die Entschei- für sehr wenig Leute zutreffen würde. Man könnte dung treffen — wir z. B. —, nicht einzelne Steuer- dann auch noch einmal die Gewissensgründe unter- zahler. Diese hätten allenfalls begrenzte Mitverant- suchen. wortung, wenn man ihnen ein Bestimmungsrecht für ihr Steuergeld einräumte. Für die Verantwortung, aus der heraus die Befürworter dieses Gesetzentwurfs das Dr. Rupert Scholz (CDU/CSU): Herr Elmer, dieses Bestimmungsrecht fordern, müßten sie es als Grund- Argument ist aus einem ganz einfachen Grund nicht lage überhaupt erst einmal haben. schlüssig: Der Staat, der nach unserer Verfassung den Auftrag und die Pflicht hat, auch für die äußere Sie werden es nicht bekommen und all die vielen Sicherheit und damit für eine funktionsfähige Vertei- anderen auch nicht, die jeweils ihre Gewissensbeden- digung zu sorgen, wird sich in einem solchen Fall dann ken gegen bestimmte Vorhaben der Allgemeinheit eben andere Mittel einfallen lassen müssen. Für eine haben. Denn die geltend gemachten Gewissensent- funktionstüchtige Armee ist also immer zu sorgen. scheidungen lassen sich weder auf Ernsthaftigkeit Dies ist ein verbindlicher Verfassungsauftrag, der nachprüfen noch auf einen Katalog bestimmter nicht zur Disposition individueller Gewissensent- Gegenstände beschränken. Wer einem das Verweige- scheidungen des einzelnen steht. Der einzelne Bürger rungs- oder Umwidmungsrecht gibt, kann es anderen kann in der Tat den Zivildienst wählen. Die Grund- nicht versagen. Je mehr dieser Rechte er einräumt, pflicht des Staates bleibt aber bestehen. Hier geht es desto mehr schwächt er die Handlungsfähigkeit des um die Grundpflicht des Staates, für die äußere Gemeinwesens. Sicherheit zu sorgen. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Gestatten Sie eine sowie bei Abgeordneten der SPD) weitere Zwischenfrage des Kollegen Elmer? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11453

Dr. Jürgen Schmude (SPD): Bitte. denz wären das letzte, was sich Militärsteuerverwei- gerer und andere mit ähnlicher Haltung wünschen könnten. Dem Schutz und der Freiheit opponierender Minderheiten würden solche Wahlergebnisse nicht Dr. Konrad Elmer (SPD): Zum letzten Punkt möchte dienen. ich fragen, ob es nicht tatsächlich eine Rangfolge in Lassen wir es also bei der geltenden Rechtsordnung. der Gewichtigkeit möglicher Gewissensentscheidun- Was die Mehrheit entscheidet, muß niemand für gen gibt, d. h. im Blick auf Dinge, bei denen es richtig halten. Es darf in demokratischer Weise nach wirklich um Leben und Tod geht. Beim Militär, denke Kräften bekämpft werden, um die Entscheidung zu ich, ist es etwas anderes als bei anderen Sachberei- ändern. Aber bis dahin gilt sie. chen, so daß eine Ausweitung dieses Anliegens nicht uferlos werden kann, wenn man an einer ernsthaften (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ Gewissensentscheidung festhält. CSU und der F.D.P.) Meine zweite Frage lautet: Würde dem Verteidi- gungshaushalt wirklich Geld entzogen? Das Geld wird doch nur umgewidmet — z. B. für Konversion, Vizepräsidentin Renate Schmidt: Nun hat unser wie hier vorgesehen —, und man könnte das Geld, das Kollege Burkhard Zurheide das Wort. für Konversion vorgesehen war, benutzen, um im Verteidigungshaushalt die Lücke zu füllen. Die Summe des Geldes würde die gleiche bleiben. Man würde nur der Gewissensnot einzelner Rechnung Burkhard Zurheide (F.D.P.): Frau Präsidentin! tragen. Meine Damen und Herren! Bei der Beurteilung dieses Gesetzentwurfes geht es im Grunde um zwei Seiten. Zum einen ist schon darüber geredet worden, inwie- weit dieser Gesetzentwurf gegen gesetzliche Vor- Dr. Jürgen Schmude (SPD): Zur ersten Frage, Herr schriften, gegen Verfassungsvorschriften verstoßen Elmer. Wir können nicht nachprüfen, was Menschen würde. Daß hier die Budgethoheit des Parlamentes wichtig ist und ihr Gewissen belastet. Dem einen ist es berührt wäre, daß auch das Demokratieprinzip nach der Verteidigungshaushalt, dem anderen die vom Art.- 20 des Grundgesetzes berührt wäre, wenn dieser Herrn Scholz zitierte Produktion elektrischer Energie Entwurf tatsächlich Gesetz würde, glaube ich, ist durch Atomkraftwerke, dem Dritten sind es große ausreichend dargestellt worden. Vorhaben, die die Umwelt belasteten, und dem Vier- In einer repräsentativen Demokratie entscheidet ten ist es ein Forschungsvorhaben, durch das er die das Parlament und niemand anderes über die Ver- Menschheit bedroht sieht. Sie können es nicht prüfen, wendung der Steuermittel. Dies ist auch gut so, und Sie können den Katalog nicht begrenzen. daran sollten wir nicht rütteln. Wenn jemand eine Zur zweiten Frage: Solange es eine Randerschei- andere Steuerverteilung möchte, wenn jemand nung bleibt, was Sie hier fordern, ist es erträglich. möchte, daß in einer anderen Weise darüber entschie- Wird es eine Massenbewegung, weil die Zahl der den wird, dann muß er sich eben bei Wahlen um die Verweigerungsfälle zunimmt und weil auch die Zahl Mehrheiten bemühen. Es kann nicht so sein, daß er derer zunimmt, die sich darauf ansprechen lassen, daß Dinge, für die er keine Mehrheiten bekommt, zu sie lieber eine Friedensteuer zahlen statt die vielleicht Gewissensfragen erklärt. als Kriegsteuer diffamierte oder qualifizierte andere (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Steuer, dann werden Sie Folgen erleben, die eben zu ten der CDU/CSU) der Schwächung des Gemeinwesens und zu einer Handlungsfähigkeit führen, die ich nicht haben Dieser Antrag ist in der Tat nichts Neues. Er ist in der will. 10. Legislaturperiode von den damaligen GRÜNEN schon einmal in ähnlicher Weise eingebracht worden Davor müssen wir den demokratischen Staat mit dem einzigen Unterschied, daß statt eines bewahren, auch im Interesse der sogenannten Militär- Rüstungskonversionsfonds ein sogenannter Friedens- steuerverweigerer. Sie sind eine Minderheit, die ihren fonds eingerichtet werden sollte. Schon damals war Widerspruch trotz aller Mehrheitsentscheidungen die wahre Absicht eines solchen Gesetzentwurfes aufrechterhalten und für ihn werben kann. Darin deutlich. Es geht in Wirklichkeit darum, ein spektaku- schützt sie der Staat. Dazu ist er verpflichtet. Wer die läres Unternehmen darzustellen, mit dem man sich Handlungsfähigkeit des Staates schwächt, schwächt verspricht, in der Öffentlichkeit eine bestimmte Klien- ihn auch in dieser Fähigkeit zum Schutz. tel zu bedienen, was im Prinzip nicht unzulässig ist. Die vielberufene gegenwärtige Politikverdrossen- Nur, es sollte auch gesagt werden. heit beruht in großem Umfang darauf, daß die Bürger Es ist diesmal anders gewesen als in der 10. Legis- vom Staat die schnellere und wirksamere Erfüllung laturperiode, weil man sich bei der Formulierung des seiner Aufgaben erwarten, also Handlungsfähigkeit. Gesetzentwurfes in der Tat Mühe gegeben hat, um Abgabenverweigerungsrechte bewirken das Gegen- zumindest die formellen Dinge ordentlich und richtig teil. zu machen. Aber es bleibt dabei: Er unterscheidet sich (Beifall des Abg. Dieter Wiefelspütz [SPD]) in Wirklichkeit nicht von dem, der vor einigen Jahren hier schon einmal beraten worden ist. In ihren Auswirkungen können sie dazu beitragen, den Ruf nach dem sogenannten starken Mann zu (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE unterstützen. Wahlentscheidungen mit dieser Ten- GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) 11454 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Burkhard Zurheide — Natürlich stimmt das. Helfer, Schützer, Retter auftreten soll — im schönen Wenn Ihrem Vorschlag gefolgt würde, dann stellt Gewand der humanitären Intervention, ein Konzept sich allerdings die Frage: Woher nehmen wir das übrigens, das die ehemals kolonisierten Völker schon Recht, anderen Steuerzahlern, deren Gewissen auf genießen durften, als Briten und andere ihnen die Grund anderer Zahlungen aus Haushaltsmitteln bela- Segnung der Zivilisation beibringen wollten. stet wird, die Steuerverweigerung zu verbieten? Diesem Staat, der kapitalistischen Bundesrepublik, (Beifall bei der F.D.P.) muß das Monopol auf die Außenpolitik entzogen Oder sollen etwa nur diejenigen Steuerzahler ihre werden. Die PDS/Linke Liste unterstützt deshalb den Zahlung verweigern dürfen, die die Politik einer Antrag. Wir unterstützen ihn, obwohl er nicht weit bestimmten Partei, einer bestimmten Fraktion unter- genug geht. Denn es soll ja weiter Militärsteuern stützen? Sind diejenigen, die Verteidigungsausgaben geben; sonst wäre keine Befreiung davon als indivi- bejahen, weil sie glauben, daß sie zur Friedenssiche- duelle Entscheidung gegen Militär notwendig. rung notwendig sind, gewissenslose Kriegstreiber? Aber seine Umsetzung könnte die Außenpolitik Ich glaube nicht, daß Sie dieses ernsthaft meinen demokratisieren. Wenn jeder Bürger darüber ent- wollen. scheiden könnte, wofür sein Geld ausgegeben wird, (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE dann würden mehr Gelder in soziale Bereiche fließen: GRÜNEN]: Das ist nicht sachlich! — Weiterer in den Umweltschutz, in vernünftige Verkehrssy- Zuruf von der SPD: Darum geht es doch gar steme, an zivile Hilfsorganisationen, die billiger und nicht!) effektiver helfen können als Soldaten, die in erster Linie zum Kämpfen und Töten ausgebildet sind. — Das ist sehr sachlich. Die rechtlichen Argumente, wie gesagt, sind vorhin deutlich gemacht worden. Ich Es ist klar, daß die Koalitionsfraktionen und die SPD glaube auch, daß Ihnen diese Bedenken genau Probleme mit der Demokratie haben, wenn sie die bekannt sind. Sie sind nicht neu, sie sind bekannt. militärische Souveränität der Bundesrepublik be- Insoweit nehme ich an, daß dieser Gesetzentwurf auch trifft. Ich zitiere deshalb aus der Beschlußempfehlung in der nächsten Legislaturperiode wieder eingebracht des Rechtsausschusses: werden wird. Weiter wurde seitens der Koalitionsfraktionen Wir werden den Gesetzentwurf jedenfalls ableh- und der Fraktion der SPD hervorgehoben, daß mit nen. dem Gesetzentwurf die Verantwortlichkeit der Vielen Dank. Bürger im demokratischen Staat weit überdehnt (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) würde. Freundlicherweise begrenzen die alten Parteien die Verantwortlichkeit auf die demokratische Willensbil- Vizepräsidentin Renate Schmidt: Und nun erhält die dung. Auch das sagt etwas über das Demokratiever- Kollegin Dr. Barbara Höll das Wort. ständnis dieser Parteien aus. Bei der SPD erleben wir das leider gerade auch in bezug auf die innerparteili- che Diskussion, wo Mehrheitsentscheidungen schon Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Sehr geehrte am Tage nach Sonder- und sonstigen Parteitagen von Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der der Fraktion und anderen hohen Funktionsträgern Antrag ist heute aktueller denn je; ausgehöhlt werden. Ich erwähne nur den faulen Asylkompromiß. Da wird dann schon klar, warum die (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ach Sozialdemokratie noch keine der deutschen Katastro- was!) phen, der Katastrophen, die Deutsche über andere denn die Bundesregierung will, wie wir in den letzten brachten, verhindert hat. Tagen sehen konnten, mit aller Gewalt den weltwei- ten Einsatz der Bundeswehr durchdrücken. Ich möchte aber auch noch auf einige Widersprüche bei den Antragstellerinnen und Antragstellern hin- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ein weisen, die Sie vielleicht beantworten können. Wenn Quatsch!) z. B. Herr Poppe den Antrag unterschrieben hat, wie Wer die Debatte seit dem Golfkrieg verfolgt hat, kann kann er dann diese Position mit seiner Zustimmung zu unschwer erkennen, daß sie sich keine ernsthaften humanitären Interventionen vereinbaren? Würde er Gedanken über Friedens- und Abrüstungspolitik dann einen Teil seiner Steuern dem Sonderfonds gemacht hat. Rüstungskonversion zufließen lassen und einen Teil der humanitären Bundeswehr? (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ach, das ist doch dummes Zeug!) Ich habe auch meine Zweifel, wie sich das mit Ihrem Ihr Ziel ist die Fähigkeit, deutsche Interessen auch Antrag auf eine Zivilisierung der internationalen militärisch zu vertreten, wie es sich halt für eine Beziehungen verträgt. In dem Antrag steht, daß die richtige Großmacht gehört. Dabei geht sie nicht offen Bundesrepublik vorrangig eine Politik nichtmilitäri- vor, sondern benützt andere Kriege, also Konflikte, die scher Konfliktlösungen verfolgen soll. Heißt das dann bereits in direkte Gewalt umgeschlagen sind, um dies aber doch, daß eine militärische Lösung nicht eindeu- innenpolitisch durchzusetzen. tig ausgeschlossen ist? In der Öffentlichkeit verkauft Herr Minister Rühe Ich und, ich meine, auch Teile der Friedensbewe- das damit, daß die Bundeswehr jetzt weltweit als gung hätten hier gerne eine Klärung, wie denn Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11455

Dr. Barbara Höll BÜNDNIS 90 und GRÜNE das sehen. Ich glaube, es ist Ich halte das für obrigkeitsstaatlich. Herr Kollege gerade an der Diskussion in Ihrer Partei zu sehen, daß Schmude, das heißt doch: Du, deutscher Michel, die ganze Blauhelm-Debatte Türöffnerfunktion für schlafe gut und sei friedlich; deine Gewissensproble- allgemeine militärische Einsätze hatte. me nimmt dir dein Parlament schon ab. Dieser Antrag kann nur ein erster Schritt in Rich- (Widerspruch bei der SPD) tung Entmilitarisierung und Demokratisierung sein. Dies steht in einer quietistischen Tradition, insbeson- Da es bei der Frage von Krieg und Frieden urn das dere der kirchlichen Kreise: Gebt dem Staat doch, was grundlegendste Menschenrecht überhaupt geht, muß des Staates ist; für euer Gewissen sorgen schon wir. die Außenpolitik demokratisiert werden. Deswegen stimmt die PDS/Linke Liste diesem Antrag zu. Wir können uns der Beschlußempfehlung des Rechtsaus- schusses nicht anschließen. Vizepräsidentin Renate Schmidt: Kollege Conradi, Ich danke Ihnen. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schmude? (Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Dr. Werner Hoyer [F.D.P.]: Mein Gott, das tut ja weh!) Peter Conradi (SPD): Ja, natürlich.

Nun erhält noch Vizepräsidentin Renate Schmidt: Dr. Jürgen Schmude (SPD): Lieber Kollege Conradi, der Kollege Peter Conradi das Wort. wie kann es obrigkeitsstaatlich sein, wenn man Men- schen empfiehlt, ihre demokratischen Bürgerrechte zu nutzen, um nach Kräften so zu wirken, wie es jedermann zusteht, statt ihnen Sonderrechte einzu- (SPD): Ich spreche, meine Damen und Peter Conradi räumen, mit denen sie auf bestimmte Entscheidungen Herren, wie Sie sich denken können, nicht für meine unmittelbar durchwirken? Fraktion. - (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Beifall (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wir haben bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Runde vereinbart!) — Ich habe mich zu Wort gemeldet, wie im Ältestenrat angekündigt. Peter Conradi (SPD): Aber diese Menschen werden (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Entschul hier zu einer eigenen Handlung, die ihnen ihr Gewis- digung, es war eine Runde vereinbart!) sen verbietet, gezwungen. Was ist denn der Unter- — Herr Kollege Rüttgers, erstens habe ich das Wort, schied zwischen dein Soldaten, der einen Lastwagen und zweitens kann ich es auch zur Abstimmung fährt, und dem Steuerzahler, der ihn bezahlt? Wenn bekommen. Dann dauert es ebenfalls fünf Minuten. selbst der Soldat das Recht hat, sich gegenüber einem Jetzt ziehen Sie es nicht unnötig in die Länge. Befehl, der ihm erteilt wird, auf sein Gewissen zu berufen, wieviel mehr muß der freie Bürger das Recht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) haben, seine Gewissensentscheidungen nicht an das Es geht hier um die Gewissensfreiheit von Men- Parlament abzutreten, sondern sie selbst wahrzuneh- schen. Die Gewissensfreiheit ist ein Teil der Men- men? schenwürde. Sie ist in unserer Verfassung ausdrück- (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Dr. Jür lich erwähnt, und sie kann die Selbstbeschränkung gen Rüttgers [CDU/CSU]: Was ist denn mit der Mehrheit erfordern. der Abtreibung auf Krankenschein?) Es gibt Bürger unseres Landes, die sich aus Gewis- In den angelsächsischen Ländern, vor allem in den sensgründen weigern, durch ihre Steuerzahlungen an USA — dorthin sind ja viele Menschen aus Gewissens- der Finanzierung der Bundeswehr mitzuwirken. Ich gründen ausgewandert — — selbst würde das nicht verweigern, aber ich halte es für wichtig, sich damit ernsthaft auseinanderzuset- (Zuruf des Abg. Stefan Schwarz [CDU/ zen. CSU]) (Zurufe von der F.D.P.: Plenarsaal!) — Die Quäker und andere sind in die USA abgewan- — Jetzt hören Sie doch einmal mit dem Bundestags- dert, weil sie hier unterdrückt wurden. Aus dieser neubau auf; er hat wirklich nichts damit zu tun. Tradition heraus, Herr Kollege Schwarz, wird die Darüber können Sie einen Stock tiefer weiterreden. Gewissensentscheidung des einzelnen in den angel- sächsischen Ländern, vor allem in den USA, höher Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Nicht- geachtet als bei uns. Dort gibt es einen Sozialabga- annahmentscheidung gesagt, dem einzelnen Steuer- benerlaß für religiöse Gruppen. Dort beschränkt sich zahler sei seine Verantwortlichkeit, also seine Gewis- die Mehrheit aus Respekt vor der Gewissensentschei- sensentscheidung, durch die staatliche Ausgabeent- dung von Minderheiten. scheidung genommen. Die Ausschußmehrheit hat gesagt, die moralische Verantwortlichkeit des Bürgers (Abg. Stefan Schwarz [CDU/CSU] meldet sei auf die Mitwirkung an der demokratischen Wil- sich zu einer Zwischenfrage) lensbildung begrenzt. — Herr Kollege. 11456 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Stefan Schwa rz (CDU/CSU): Herr Kollege Conradi, Militärsteuer zu verweigern. Aber wer sollte das würden Sie vielleicht zur Kenntnis nehmen, daß mein Parlament hindern, in Erweiterung und sinnvoller Zwischenruf nur aussagte, daß dies vor ein paar Ergänzung der einzigen Gewissensentscheidung, die Hundert Jahren war und daß das, was Sie als realisti- unsere Verfassung nennt, nämlich der Kriegsdienst- sches Bild der Bundesrepublik Deutschland zeichnen, verweigerung aus Gewissensgründen, auch eine nicht meinem Erfahrungswert entspricht, den ich in gesetzliche Möglichkeit der Militärsteuerverweige- diesem Land habe? rung aus Gewissensgründen einzuführen? Niemand könnte uns hindern, auch das Verfassungsgericht nicht. Das wäre durchaus im Rahmen der Verfassung. Damit wäre auch die Grenze gegenüber anderen Gewissensentscheidungen gezogen. Es könnte eben Peter Conradi (SPD): In der Berücksichtigung von nicht jeder kommen und sagen, er sei gegen Gentech- Gewissensentscheidungen bei der Steuerzahlung nologie usw., sondern wir würden das einzige Verwei- gehen die Amerikaner weiter: Dort gibt es Abgaben- gerungsrecht aus Gewissensgründen, das in der Ver- befreiung aus religiösen Gründen. Der Kongreß, und fassung niedergelegt ist, ausdehnen. zwar das „Committee on Ways and Means", hat im letzten Jahr eine Anhörung zum Friedenssteuerfonds Wie das geschehen könnte, dazu wäre viel zu sagen, durchgeführt, bei der Steuerfachleute, Theologen und aber darüber wollen wir heute nicht streiten. Ich Verfassungsrechtler ausführlich das Für und Wider bedauere es, daß wir uns nicht ernsthafter — das gilt dargelegt haben. Dieser Gesetzentwurf wird jetzt im vor allem für die Liberalen, die in früheren Jahr- kommenden Kongreß wieder eingebracht. Wollen wir hunderten die Gewissensfreiheit hochgehalten ha- einmal abwarten. Nach meinem Eindruck nimmt man ben — dort die Gewissensentscheidung von Menschen ern- (Lachen bei der F.D.P.) ster. mit diesem Problem auseinandersetzen. Ich hätte mir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/- gewünscht, daß der Rechtsausschuß dazu eine Anhö- DIE GRÜNEN — Abg. Dr. Jürgen Schmude rung durchführt, damit wir die Gründe dafür und [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwi- dagegen erfahren. schenfrage) Ich danke Ihnen für die Geduld zu später Stunde. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Zuruf von der F.D.P.: So tolerant sind wir!) Vizepräsidentin Renate Schmidt: Meine sehr ver- ehrten Kolleginnen und Kollegen, ich würde jetzt ungern weitere Zwischenfragen zulassen, weil damit die Redezeit des Kollegen Conradi, der außerhalb des Kontingents der Fraktion der SPD spricht, unzu- lässig erweitert würde und weil das dann meinem Gerechtigkeitsgefühl nicht mehr entsprechen Vizepräsidentin Renate Schmidt: Wir kommen nun würde. zur Abstimmung und zwar zunächst über den Ände- rungsantrag des Abg. Dr. Ullmann auf Drucksache (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 12/4122. Dazu ist die Teilung der Frage verlangt. Wir stimmen deshalb zunächst über die Nr. 1 des Ände- rungsantrags ab. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Nr. 1 des Ände- rungsantrags ist bei einer erheblichen Zahl von Peter Conradi (SPD): Ich stelle nur fest: Ich hätte Gegenstimmen aus der Fraktion der SPD und den selbstverständlich weitere Zwischenfragen zugelas- Gruppen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS/Linke sen. Liste abgelehnt. Ihre Frage, Herr Kollege, ist: Wo fängt das an, und Wir stimmen jetzt über die Nr. 2 und 3 des Ände- wo hört das auf? Sie sagen: Aus Gewissensgründen rungsantrages ab. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt wird dann jemand kommen und sagen: Ich will nicht dagegen? — Enthaltungen? — Damit sind die Nr. 2 für den Straßenbau oder nicht für die Gentechnologie und 3 des Änderungsantrags mit einer erheblichen oder nicht für die Kernenergie bezahlen. Das zu Zahl von Gegenstimmen abgelehnt. Damit ist der begrenzen läge an uns. Änderungsantrag insgesamt abgelehnt. (Zurufe von der F.D.P.) Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf der — Ich dachte, wenn man hier über ein ernsthaftes Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab. Der Rechts- Thema redet, kann man das tun, ohne dauernd von ausschuß empfiehlt auf Drucksache 12/4088, den Leuten, die von unten aus dem Keller kommen, gestört Gesetzentwurf abzulehnen. Ich lasse über den zu werden. Gesetzentwurf der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN auf Drucksache 12/74 abstimmen. Ich bitte (Zuruf von der F.D.P.: Das wissen Sie doch diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wol- gar nicht, Herr Conradi!) len, um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Es liegt an uns: Die Verfassung gibt niemandem Stimmenthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf einen Anspruch auf eine gesetzliche Regelung, die in zweiter Beratung bei einer erheblichen Zahl Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode - 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11457

Vizepräsidentin Renate Schmidt von Gegenstimmen aus unterschiedlichen Fraktionen Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- abgelehnt. destages auf morgen, Freitag, 15. Januar 1993, 9 Uhr ein. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung. Die Sitzung ist geschlossen. Damit sind wir am Ende unserer heutigen Tagesord- nung angekommen, (Schluß der Sitzung: 23.23 Uhr)

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11459*

Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 1 Abgeordnete(r) entschuldigt bis Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 14. 1. 93 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Welt, Jochen SPD 14. 1. 93 Blunck (Uetersen), SPD 14. 1. 93* Wimmer (Neuss), Willy CDU/CSU 14. 1. 93 Lieselott Zierer, Benno CDU/CSU 14. 1. 93* Dr. Blunk (Lübeck), F.D.P. 14. 1. 93 Michaela * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Caspers-Merk, Marion SPD 14. 1. 93 ** für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Dr. Diederich (Berlin), SPD 14. 1. 93 Nils Doss, Hansjürgen CDU/CSU 14. 1. 93 Ebert, Eike SPD 14. 1. 93 Gattermann, Hans H. F.D.P. 14. 1. 93 Anlage 2 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 14. 1. 93 Erklärung nach § 31 GO Gerster (Mainz), CDU/CSU 14. 1. 93 des Abgeordneten Jürgen Türk (F.D.P.) zur Abstim Johannes mung über die Beschlußempfehlung zu dem Antrag: Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 14. 1. 93 Verminderung der Truppenübungsplätze in der Bun Grünbeck, Josef F.D.P. 14. 1. 93 desrepublik Deutschland und künftiges Truppen Dr. Guttmacher, F.D.P. 14. 1. 93 übungsplatz-Konzept für Streitkräfte (Tagesord Karlheinz nungspunkt 6a) Hackel, Heinz-Dieter F.D.P. 14. 1. 93 Dr. Hartenstein, Liesel SPD 14. 1. 93 Ich bin Abgeordneter des Deutschen Bundestages Hasenfratz, Klaus SPD 14. 1. 93 für- das Land Brandenburg und befasse mich insbeson- Heyenn, Günther SPD 14. 1. 93 dere mit regionaler Wirtschaftspolitik und somit mit Huonker, Gunter SPD 14. 1. 93 der Umstrukturierung in diesem Land. Im Mai 1992 konnte ich vor Ort feststellen, daß die regionale Dr. Janzen, Ulrich SPD 14. 1. 93 Wirtschaftsförderungsgesellschaft N-W Brandenburg Kiechle, Ignaz CDU/CSU 14. 1. 93 (Prignitz, Neuruppin, Wittstock) umfangreiche Aktivi- Kolbe, Manfred CDU/CSU 14. 1. 93 täten zur gewerblichen und Fremdenverkehrsnut- Koschnick, Hans SPD 14. 1. 93 zung (Konzept und teilweise Realisierung) eingeleitet Kretkowski, Volkmar SPD 14. 1. 93 hat. Das war und ist insbesondere deshalb wichtig, Leidinger, Robert SPD 14. 1. 93 weil die Region nach Wegbruch der Landwirtschaft Dr. Mahlo, Dietrich CDU/CSU 14. 1. 93 eine besonders strukturschwache Zone darstellt. Marx, Dorle SPD 14. 1. 93 Diese Planung war auch deswegen sinnvoll, weil Matschie, Christoph SPD 14. 1. 93 davon ausgegangen werden mußte, daß der Bomben- Meckelburg, Wolfgang CDU/CSU 14. 1. 93 abwurfplatz Wittstock der GUS-Streitkräfte geschlos- Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 14. 1. 93 sen wird. Gerhard Molnar, Thomas CDU/CSU 14. 1. 93 Im September 1992 wurde ich von der Region Müller (Wesseling), CDU/CSU 14. 1. 93 informiert, daß dieser Truppenübungsplatz (TÜP) Alfons durch die Bundeswehr weitergenutzt werden soll. Neumann (Gotha), SPD 14. 1. 93 Somit war die zivile Nutzung der Region in Frage Gerhard gestellt (Fremdenverkehrsnutzung und Fluglärm). In etlichen sachlichen Abstimmungen sowohl mit dem Niggemeier, Horst SPD 14. 1. 93 Bundesverteidigungsministerium als auch mit den Oesinghaus, Günther SPD 14. 1. 93 Vertretern der Region konnte ich mit einer Arbeits- Pfuhl, Albert SPD 14. 1. 93 gruppe der F.D.P.-Bundestagsfraktion erreichen, daß Poß, Joachim SPD 14. 1. 93 eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Bundeswehr und Reddemann, Gerhard CDU/CSU 14. 1. 93* betroffener Region, sich der anstehenden Fragen Reimann, Manfred SPD 14. 1. 93 annehmen soll. Meiner Auffassung, daß der Verteidi- Rempe, Walter SPD 14. 1. 93 gungsminister erst auf der Grundlage der Ergebnisse Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 14. 1. 93 der Arbeitsgruppe seine Entscheidung fällen sollte, Ingrid wurde zumindest von der F.D.P.-Fraktion gefolgt. Schily, Otto SPD 14. 1. 93 Da ich aUch heute noch dieser Auffassung bin, kann Schröter, Gisela SPD 14. 1. 93 ich der Beschlußempfehlung und dein Be richt des Dr. Soell, Hartmut SPD 14. 1. 93** Verteidigungsausschusses zu dem Antrag „Vermin- Dr. von Teichman, F.D.P. 14. 1. 93 * derung der TÜP in der Bundesrepublik Deutschland Cornelia und ein künftiges TÜP-Konzept für Streitkräfte" in der Dr. Thalheim, Gerald SPD 14. 1. 93 heutigen namentlichen Abstimmung nicht zustim- Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 14. 1. 93 men. 11460* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993

Ich gehe auch weiterhin davon aus, daß nach Die Bundesregierung sollte sich jetzt schon darauf sachlicher Argumentation eine einvernehmliche Lö- einrichten, ihr Gewicht in New York dafür einzuset- sung möglich sein kann, und stehe wie bisher für eine zen, daß der Sicherheitsrat bei einem Scheitern der entsprechende Vermittlung zur Verfügung. jüngsten Genfer Verhandlungen in aller Klarheit Forderungen ultimativ, d. h. mit einer für ihre Erfül- lung klar gesetzten, kurzen Frist, an die Serben richtet.

Anlage 3 Richtig wäre es, wenn für diesen Fall, nämlich daß dieses Ultimatum verstreicht, der Sicherheitsrat Zu Protokoll gegebene Rede bereits vorher ankündigen würde, daß dann automa- zu Zusatztagesordnungspunkt 2 (Antrag: Öffnung des tisch das vom Sicherheitsrat verhängte Waffenem- Flughafens Tuzla in Nordost-Bosnien) bargo für Bosnien-Herzegowina aufgehoben wird. Dieses ist eine berechtigte Forderung der Regierung von Bosnien-Herzegowina. Die Vereinten Nationen Heribert Scharrenbroich (CDU/CSU): Die CDU/ verstoßen nämlich im Augenblick mit dem Waffenem- CSU-Bundestagsfraktion unterstützt selbstverständ- bargo gegen die eigene Charta. Denn das ist kein lich den Text zur Verabschiedung des vorliegenden ethnischer Krieg, das ist eine Aggression von Restju- Antrags, nämlich den bisher gesperrten Flughafen goslawien gegen den Staat Bosnien-Herzegowina. Tuzla in Nordost-Bosnien für humanitäre Versor- Die UNO verhindert, daß Bosnien-Herzegowina sich gungsflüge zu öffnen. Die UNO muß nach unserer selbst verteidigen kann. Dies ergibt sich unzweideutig Auffassung diesen Flugplatz in ihre Hilfsaktionen aus Art. 51 der UN-Charta. Sein erster Satz lautet: einbeziehen. Alle kriegsführenden Seiten sollten das „Diese Charta beeinträchtigt im Fall eines bewaffne- ermöglichen. Eine Verhinderungstaktik der bosni- ten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Natio- schen Serben ist nicht zu akzeptieren. Sie wäre ein nen keineswegs das naturgegebene Recht zur indivi- erneuter Beweis für ihre mangelnde Friedensbereit- duellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der schaft und nicht zu vereinbaren mit dem in Genf zur Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und Schau getragenen Friedenswillen von Herrn Milose- der internationalen Sicherheit erforderlichen Maß- vic. Die Hilfsgüter sollten natürlich allen Menschen nahmen getroffen hat. " der Region zugute kommen. Auch den in einigen- Enklaven lebenden Serben. Vor allem aus humanitä- Die Alternative zu der Aufhebung des Embargos ren Gründen. Aber auch um den ungehinderten nach einem Scheitern der Genfer Konferenz wäre, die Anflug zu dem Flughafen zu erleichtern. schweren Waffen der Konfliktparteien müssen, nicht Ich möchte die Debatte nutzen, die Thematik in wie vorgesehen, in vorher vereinbarte Gebiete einen größeren Zusammenhang zu stellen. Denn wir zurückgenommen werden, sondern der UN überge- hegen erheblichen Zweifel, ob die überraschende ben werden und von der UN kontrolliert unter Ver- Zustimmung von Serbenführer Karadzic zum Vance- schluß gehalten werden. Das kann militärisch durch- Owen-Plan hält. Alle Erfahrungen sprechen dagegen. gesetzt werden, wenn man will. Weil die freie Welt- Es ist fraglich, ob dieser Plan letztendlich angenom- gemeinschaft dies nicht will, macht sie sich schuldig men wird. Es ist fraglich, ob er dann umgesetzt wird, für das Massensterben durch Krieg, Hunger und wenn er angenommen sein sollte. Für einen sehr Kälte, für die Folterungen und bekannten Grausam- bedenklichen Vorgang halte ich die Quasi-Anerken- keiten. nung des sogenannten „Parlaments" der selbster- Ein hoher Nato-General, der Zugang zu direkten nannten serbischen Republik in Bosnien, von dessen Informationen hat, schrieb dieser Tage einigen Abge- Zustimmung ja die Unterschrift unter den Verfas- ordneten. Ich zitiere aus diesem Brief, der auch an sungsplan abhängt und damit letztendlich der Ver- mich gerichtet wurde: „Die Behauptung, teilweise handlungserfolg des Genfer Forums. sogar von Fachleuten unterstützt, militärisches Ein- Heute bereits erreichen uns die Nachrichten, daß greifen habe keine Erfolgsaussicht oder erfordere Serbenführer Karadzic das Abkommen relativiert. einen zu hohen Preis, geschieht zum Teil aus Womöglich will er neue Verhandlungen. Er will neu Unkenntnis oder mit politischer Absicht. Sie hält einer Zeit gewinnen. Das darf nicht sein. Der UNO-Gene- nüchternen Lagebeurteilung nicht stand. Es geht ralsekretär hat im Auswärtigen Ausschuß sinngemäß nicht darum, Serbien zu erobern, was in der Tat einen erklärt: Sollte Genf scheitern, dann werde er dem längeren Partisanenkrieg zur Folge haben könnte. Es Sicherheitsrat schreiben, er müsse neue Vorschläge geht darum, Kroatien, Bosnien, Mazedonien und machen. Wenn diese Frist von sieben Tagen ergebnis- Kosovo in den völkerrechtlich verbindlichen Grenzen los verstreicht, ist eine Wiederaufnahme der Genfer zu sichern, dort befriedete Schutzzonen zu schaffen, Verhandlungen unserer Auffassung nach weder mög- das Waffenembargo konsequent gegen den Aggres- lich noch akzeptabel. Dann muß der Sicherheitsrat sor, die Serben, und nicht wie bisher gegen den sich konstruktiver, mutiger und ultimativer, als dies in Verteidiger, die Muslime, durchzusetzen, demokrati- der Vergangenheit der Fall war, mit der Lage in sche Einrichtungen und ethnische Minderheiten Bosnien-Herzegowina befassen. Deswegen begrüßen gegen totalitäre Ansprüche zu schützen und humani- wir den Beschluß der heutigen EG-Außenminister- täre Hilfe überall dort zu leisten, wo sie nötig ist. Dies Konferenz, wonach die UNO weitere Zwangsmaß- ist möglich, wenn der politische Wille vorhanden nahmen verhängen müsse, wenn die bosnischen Ser- wäre. Die Bevölkerung im größten Teil der von ben dem Friedensplan nicht innerhalb von sechs Serbien angegriffenen oder eroberten Gebiete würde Tagen zustimmen. westliche Soldaten als Befreier begrüßen. Damit Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 131. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 14. Januar 1993 11461* entfällt die entscheidende Voraussetzung für einen Anlage 5 Partisanenkrieg. Alle Stellungen und Lager schwerer Antwort Waffen der Tschetniks oder Serben sind bekannt oder können aufgeklärt werden. Sie können alle aus der der Parl. Staatssekretärin Ursula Seiler-Albring auf Luft zerschlagen werden." die Fragen des Abgeordneten Klaus Kirschner (SPD) (Drucksache 12/4079 Fragen 26 und 27): Das Hohe Haus läßt sich nicht mehr mit humanitä- ren Hilfeleistungen beruhigen. Deswegen müssen wir Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Einhaltung des vom VN-Sicherheitsrat verhängten Waffenem- immer wieder zur Behebung der Ursachen des bosni- bargos (Resolutionen 713 und 724) gegen die Staaten des schen Dramas auffordern. Und gleichzeitig dürfen wir ehemaligen Jugoslawien vor? nicht nachlassen, die Hilfen für die Verwundeten, Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Verhungernden und Erfrierenden zu verbessern. Des- Einhaltung des Wirtschaftsembargos gegen Serbien und Monte- wegen fordern wir die UNO auf, die Aufnahme von negro vor und sind seit Beginn dieses Wirtschaftsembargos Hilfsflügen nach Tuzla zu ermöglichen. Deswegen sämtliche Wirtschaftsbeziehungen bzw. Außenhandelsumsätze der Bundesrepublik Deutschland oder der EG mit diesen Län- bitten wir um Zustimmung zu dem vorliegenden dern beendet? Entschließungstext. Zu Frage 26: Was Lieferungen vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus angeht, hat die Bundesregierung alles unternommen, damit es nicht zu Verstößen gegen das Waffenembargo kommt. A llen Hinweisen Anlage 4 auf mögliche Verstöße gegen das Embargo geht die Antwort Bundesregierung energisch nach. Über die Einhal- tung des Waffenembargos durch andere Staaten lie- des Parl. Staatssekretärs Rainer Funke auf die Frage gen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor. Der des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) (Drucksa- gemäß SR-Resolution 724 eingesetzte VN-Sanktions- che 12/4079 Frage 13): ausschuß geht den ihm bekannt gewordenen mögli- chen Verletzungen des Waffenembargos bilateral Treffen Pressemeldungen zu, wonach der durch die Regie- - rungs- und Vereinigungskriminalität entstandene Vermögens- nach. Eine Information oder Beteiligung der anderen schaden mittlerweile auf 18 Milliarden DM geschätzt wird, und VN-Mitglieder erfolgt nicht. In seinen allgemeinen was wird die Bundesregierung unternehmen, um eine rasche Berichten ist bisher ein nachgewiesener Verstoß ent- Aufklärung dieser Delikte sicherzustellen? halten.

Nach den der Bundesregierung vorliegenden Infor- Zu Frage 27: mationen ist es richtig, daß der durch die Regierungs- Die Bundesrepublik Deutschland hat gemeinsam und die Vereinigungskriminalität entstandene Scha- mit ihren Partnerländern im Rahmen der EG die den von der Zentralen polizeilichen Ermittlungsstelle erforderlichen legislativen und administrativen Maß- für die Verfolgung der Regierungs- und Vereini- nahmen zur konsequenten Durchführung der VN- gungskriminalität (ZERV) in Berlin auf ca. 18 Milliar- Res. 757 (1992), mit der der Sicherheitsrat ein umfas- den DM geschätzt wird. sendes Wirtschaftsembargo gegen Serbien und Mon- Die Aufklärung der Delikte gehört in die Zuständig- tenegro verhängt hat, getroffen. Entsprechend wurde keit der Strafverfolgungsbehörden der Länder, insbe- sämtlicher Wirtschaftsverkehr unterbunden. Ausnah- sondere des Landes Berlin. Unmittelbare Einwir- men sind lediglich im Bereich humanitäre Hilfe und kungsmöglichkeiten stehen der Bundesregierung medizinische Versorgung sowie Lebensmittel nach insoweit nicht zu. Einzelgenehmigung durch den Sanktionsausschuß gestattet. Da die Berliner Strafverfolgungsbehörden (Staats- Embargoverstöße werden gemäß § 34 Abs. 4 AWG anwaltschaft und Kriminalpolizei) nicht in der Lage mit Freiheitsstrafe nicht unter 2 Jahren geahndet. sind, diese Aufgabe allein mit eigenen Mitteln zu bewältigen, leisten der Bund und die übrigen Bundes- Die Verdachtsmomente und Schwierigkeiten, die länder — unbeschadet der fortbestehenden Zustän- bei der Durchsetzung des Handelsembargos gemäß digkeit des Landes Berlin — personelle, sächliche und SR-Res. 757 aufgetaucht sind, insbesondere die offen- finanzielle Hilfe. Der Bund hat insbesondere folgende sichtliche Verletzung der Sanktionen auf dem Tran- Leistungen erbracht oder zugesagt: sitweg, haben im VN-Rahmen zu weiteren Maßnah- men geführt. Mit SR-Res. 787 vom 16. November 1992 — 10 Staatsanwälte ist u. a. der Transit wichtiger Wirtschaftsgüter (Ener- gieträger, Stahl, Chemikalien u. a.) durch Serbien/ — 40 Mitarbeiter für die ZERV Montenegro nur nach besonderer Genehmigung — Dienstgebäude für die Arbeitsgruppe „Regie- durch den VN-Sanktionsausschuß unter strengen rungskriminalität" beim Generalstaatsanwalt Auflagen möglich, außerdem werden die Donauanrai- beim Kammergericht ner zu Stop and Search auf der Donau aufgefordert. — Dienstgebäude für die ZERV Verletzungen der Wirtschaftssanktionen werden von den zuständigen Behörden mit Nachdruck ver- — finanzielle Unterstützung der ZERV. folgt.