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„Wir Wollen Kein Fremdes Geld“

„Wir Wollen Kein Fremdes Geld“

Wirtschaft

SPIEGEL-GESPRÄCH „Wir wollen kein fremdes Geld“ Bertelsmann-Vorstandschef Gunter Thielen, 64, über den jüngst verhinderten Börsengang des Gütersloher Konzerns und seinen Plan zum Abbau der Milliardenschulden, weltweite Zukunftschancen und die Abkehr vom reinen Mediengeschäft

SPIEGEL: Der neue Boom tobt spätestens, Thielen: … was weder mit noch seit Ihr Konkurrent Rupert Murdoch für Asien zu tun hat. Die drei vor uns haben die virtuelle Gemeinde MySpace eine hal- uns nicht durch eigenes Wachstum über- be Milliarde bezahlt hat. Der aus- holt, sondern durch Fusionen wie etwa tralo-amerikanische Medienmann orakelte, Time Warner. Die aktuelle Aufspaltung die Zukunft der ganzen Branche werde von Viacom ist nur das prominenteste Bei- sich im Netz abspielen. spiel dafür, dass nun eine neue Phase an- Thielen: Murdoch besitzt viele Zeitungen, gebrochen ist, eine Ära des Auseinander- deren Stammgeschäft vom Internet wirk- driftens, der kleineren Einheiten. lich bedroht wird. Da sind wir ganz anders SPIEGEL: Größe verliert an Bedeutung? und breiter aufgestellt. Thielen: Sie ist wichtig. Ich will das gar SPIEGEL: Bei Ihnen bleibt das Internet ein nicht kleinreden. Aber noch wichtiger ist, Vertriebskanal von vielen? dass wir in jenen Geschäften, in denen wir Thielen: Nicht nur, es ist eine Geschäftser- tätig sind, Spitzenpositionen haben. Das weiterung, von der etliche unserer Firmen können auch Nischen sein. Aber überall, längst profitieren. Der grundsätzliche und wo wir im Wettbewerb stehen, wollen wir schon ganz am Anfang der Internet-Ära uns auf Platz eins oder zwei sehen. gemachte Fehler war aber, dass es online SPIEGEL: Vielleicht war Bertelsmann in den prinzipiell alles gratis geben würde. Daran vergangenen Jahren auch zu sehr mit sich kranken bis heute viele Geschäftsmodelle. selbst beschäftigt, um wirklich schlagkräf- Es gibt auch in der Bertelsmann-Welt vie- tig agieren zu können. le Communitys. Unser gesamtes Internet- Thielen: Das kann ich nicht sehen. Wir ha- Geschäft käme, separat betrachtet, auf ei- ben 2005 ein Rekordergebnis erzielt und nen Umsatz von circa einer Milliarde Euro. sind auch 2006 gut unterwegs. SPIEGEL: Und was halten Sie vom zweiten SPIEGEL: Gerade erst erlebten Sie den Hoffnungsträger Ihrer Branche: Asien, be- Höhepunkt mehrjähriger interner Strate- sonders China? gie- und Machtkämpfe: Im Auftrag Ihres Thielen: Ich gebe zu, dass wir dort bislang Konzernpatriarchen muss- nicht gut aufgestellt sind. Es sind aber auch ten Sie den 25,1-prozentigen Bertelsmann- erschwerte Bedingungen, denn von Presse- Anteil der belgischen Finanzgruppe GBL freiheit kann in China noch keine Rede zurückkaufen. Nun sind die Mohns zwar sein. Für die Veröffentlichung jedes einzel- wieder zu hundert Prozent Herr im eigenen nen Buches brauchen Sie dort eine Lizenz. Haus und verhinderten einen drohenden Alles wird genauestens geprüft und gelesen, Börsengang. Doch das kostete auch 4,5 Mil- selbst Kochbücher. Insofern ist China vor liarden Euro. Warum hat man in Gütersloh allem für Dienstleistungen interessant. Un- so panische Angst vorm Kapitalmarkt? sere oberste Priorität wird in den nächsten Thielen: Ich weiß gar nicht, was an der Bör- fünf Jahren Osteuropa sein. Dort wollen se für uns besser gewesen wäre. Erklären

MATTHIAS JUNG MATTHIAS wir uns engagieren. Dort ist Potential. Das Sie mir mal die Vorteile, ich sehe keine! Bertelsmann-Chef Thielen verspricht Wachstum. SPIEGEL: Sie bekämen zum Beispiel Geld „Nicht auf einer Insel der Seligen“ SPIEGEL: Sie haben keine Angst, in China für Investitionen und wären der mitunter zu spät zu kommen? heilsamen Kontrolle von Analysten und SPIEGEL: Herr Thielen, das globale Me- Thielen: Nein. Man kann dort als Medien- Aktionären unterworfen. Das hält fit. diengeschäft wird momentan von zwei unternehmen zurzeit nur in kleinen Schrit- Thielen: Über mangelnde Kontrolle kön- Entwicklungen dominiert – der Eroberung ten und mit lokalen Partnern starten. Dem- nen wir uns nicht beklagen. Unser Auf- Asiens und der Rückkehr des schon totge- nächst werden wir in Peking auch eine Re- sichtsrat ist höchst aktiv, wir haben ein glaubten Internet-Hypes. Warum ist von präsentanz eröffnen. Meine Vorsicht gilt sehr wirksames Kontrollgremium. Außer- Bertelsmann auf beiden Feldern bisher so aber nur für unsere Branche. Mir leuchtet dem, kennen Sie Reinhard Mohn? Der wenig zu sehen? völlig ein, dass etwa Unternehmen wie die kennt das Geschäft auch gut und fragt Thielen: Das täuscht. Sicher machen wir BASF oder Schenker jetzt mit Milliarden- schon mal nach. Börse bedeutet auch diese neuerwachte Internet-Hysterie nicht investitionen nach China müssen, um über- Atemlosigkeit. Und was das Kapital an- mit, auch wenn wir via Web schon heute haupt erst die Infrastruktur des Landes zu geht: Wir brauchen und wollen kein sehr aktiv sind. Man darf sich meiner An- schaffen. fremdes Geld von der Börse. Mit einer sicht nach nicht allzu heiß machen lassen, SPIEGEL: Bertelsmann war einst der größte Umsatzrendite von anvisierten zehn Pro- nur weil ein Konkurrent online gerade Medienkonzern der Welt. Heute rangiert zent können wir wunderbar aus uns selbst wieder viel Geld investiert. er auf Rang vier … heraus wachsen. Wir haben ein Wachs-

66 35/2006 tumspotential von fünf bis acht Prozent und in Übereinstimmung mit unseren Ziel- ma noch weiter auszubauen. jährlich. größen. Wir wissen, dass wir unser Musikgeschäft, SPIEGEL: Auch in Ihrem Vorstand gab es SPIEGEL: Zum Schuldenabbau wird kein das wir mittlerweile gemeinsam mit Befürworter eines Börsengangs. weiteres Tafelsilber verkauft? betreiben, besser positionieren müssen. Thielen: Sagen wir so: Unser Management Thielen: Nein. Dass rund ums Mobilfunkgeschäft inve- hätte ein Börsengang nicht gestört. Und SPIEGEL: Qua Familienstruktur ist und stiert werden muss in Inhalte, Technik, natürlich hätten wir die Milliarden auch bleibt Bertelsmann nun auf lange Sicht ein Dienstleistungen. Aber Boston Consulting gern für Investitionen gehabt. Das ist Mittelständler. Das ist einzigartig in der in- ermittelte beispielsweise auch, dass der doch klar. Aber der Rückkauf bringt ternationalen Medienlandschaft. Buchmarkt in den nächsten 10, 20 Jahren dem Unternehmen durchaus ökonomische Thielen: Wir sind ein Global Player. Und stabil bleibt. Vorteile. wenn Sie meinen, dass Bertelsmann über SPIEGEL: Sie haben nicht jedes Jahr einen SPIEGEL: Ach? eine bestimmte Größe nicht hinauswachsen Welthit wie Dan Browns „Da Vinci Code“.

Konzernzahlen 2005, nach Bereichen in Prozent* gesamt UMSATZ 17,9 Mrd. Euro BÜCHER TV und RADIO RTL Group MUSIKPRODUKTION/-VERLAG BMG 9,9

BUCHCLUBS, 11,6 27,7 ONLINE-GESCHÄFT 12,9 ZEITSCHRIFTEN 14,2 23,7 Gruner +Jahr

DRUCK/DIENSTLEISTUNGEN gesamt GEWINN Mrd. Euro vor Steuern** 1,6 Direct Group 3,0 RTL Group Random House 9,5 BMG 10,2 43,4 Gruner +Jahr 14,3 19,6 Arvato

Quelle: Bertelsmann, * Basis: Summe der Bereiche vor Corporate/Konsolidierung, ** Operating Ebit PETER KRAMER / AFPPETER KRAMER (L.); (R. U.) DPA DEME / PICTURE-ALLIANCE/ DANIEL (R. O.); / DPA JÖRG CARSTENSEN Konzernstars Christina Aguilera, Jauch, Brown: „Wir müssen uns all unseren erfolgreichen Künstlern mit Hingabe widmen“

Thielen: Unsere Dividenden werden künf- kann, dann sage ich: Warten Sie einmal ab! Thielen: Davon haben wir inzwischen welt- tig sehr moderat ausfallen, weil die Mohns Wir werden kräftig wachsen und uns dabei weit rund 20 Millionen verkauft – nur und die Stiftung sehr bescheidene Ei- von keinem Analysten reinreden lassen. Hardcover. Browns nächstes Buch wird gentümer sind. An der Börse hätten wir SPIEGEL: Ein halbes Jahr lang haben Un- auch sehr gut laufen, auch wenn es nicht deutlich mehr Geld ausschütten müssen. ternehmensberater von Boston Consulting mehr wie geplant dieses Jahr starten wird, Auch die Banken, die uns den Rückkauf fi- gerade die sechs Sparten Ihres Konzerns sondern vielleicht erst im nächsten. nanzieren, finden unser Konzept überzeu- auf deren Zukunftsfähigkeit hin unter- SPIEGEL: Ihre Hauptaufgabe dürfte darin be- gend, wie die Ratings zeigen. sucht. Mit welchen Resultaten? stehen, solche Stars mit viel Geld bei Laune SPIEGEL: Bertelsmann sitzt nun auf Ver- Thielen: Uns wird bescheinigt, dass wir gut und unter Gütersloher Kontrolle zu halten. bindlichkeiten von insgesamt rund acht aufgestellt sind. 77 Prozent unseres Ge- Thielen: Wir müssen uns all unseren erfolg- Milliarden Euro. schäfts werden demnach heute schon in den reichen Künstlern mit Hingabe widmen. Thielen: Am Jahresende werden es auch wichtigen Wachstumsbereichen generiert, Besonders teuer sind da noch immer Sän- Dank des Verkaufs unserer Musikverlage wie etwa im Fernsehen. Man hat uns auch in ger. So ist das Geschäft mit Kreativen eben. noch rund sechseinhalb sein, Ende 2007 unserem Ziel bestätigt, das Geschäft mit In- SPIEGEL: Wenn ein RTL-Star wie Günther fünfeinhalb. Das wäre dann völlig okay halten wie etwa bei unserer Produktionsfir- Jauch fahnenflüchtig zu werden droht und

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44000 Menschen, rund die Hälfte der Ber- telsmann-Belegschaft. Thielen: Ja, und? Das ist schließlich auch ein Riesengeschäft. Heute machen wir dort Umsätze von fünf Milliarden Euro. Warum soll es nicht mal doppelt so viel sein? Die Kundentreue ist hoch, die Summen sind enorm. Im Buchclub reden wir von einem Kundenumsatz von vielleicht 80 Euro im Jahr. Bei Arvato sind das oft Multimillio- nen-Verträge. Wenn das so schön wächst, kann ich nur sagen: Lasst es weiter blühen! SPIEGEL: Ein Haus wie Bertelsmann, das sei- ne gesellschaftspolitische Verantwortung mitunter schon wie eine Monstranz vor sich hertrug, hat doch auch eine Verpflichtung, seine publizistischen Marken zu pflegen. Thielen: Das ist doch klar. Und wir sind auch stolz auf unsere Inhalte. Diese Marken stel- len einen großen Wert dar, der gepflegt sein will und muss. Das eine Geschäft schließt das andere jedenfalls nicht aus, oder? Aber sicher sind wir bereits auf dem Weg vom

FRANK ROLLITZ / PEOPLE PICTURE / PEOPLE ROLLITZ FRANK reinen Medienkonzern zum Kommunikati- Eigentümer-Ehepaar Mohn: „Über mangelnde Kontrolle können wir uns nicht beklagen“ onsunternehmen. Da ist was dran. SPIEGEL: Wäre es da nicht konsequent, als Nachfolger von Sabine Christiansen zur und Teilhabe der Mitarbeiter an den Ge- wenn der nächste Bertelsmann-Chef von ARD wechselt – muss da der Bertelsmann- winnen. Das heißt aber nicht, dass wir in Arvato käme – wie Sie einst? Chef schon mal selbst zum Telefon greifen? einem Unternehmen, wo es Probleme gibt, Thielen: Auf diese Spekulationen lasse Thielen: Das würde ich sicher tun. Aber ich untätig zuschauen. Wir leben doch nicht ich mich nicht ein. Mein Vertrag läuft im gehe nicht davon aus, dass er RTL verlässt. auf einer Insel der Seligen. Es kommt im- nächsten Jahr aus. Anfang 2007 wird ent- Günther Jauch wird ab dem nächsten Jahr bei mer darauf an, wie man es macht. schieden, wer mir nachfolgt. der ARD eine zusätzliche Sendung machen. SPIEGEL: Früher dominierten Buchclubs und SPIEGEL: Wissen Sie selbst es schon? SPIEGEL: RTL ist der größte Geldbringer der Verlag Gruner + Jahr die Gütersloher Thielen: Nein. des Konzerns. Dennoch jagt dort eine Bilanzen. Heute sind es das Fernsehge- SPIEGEL: Wissen es die Mohns bereits? Sparrunde die nächste Auslagerungswelle. schäft und Ihre Servicesparte Arvato. Sind Thielen: Nein. Es soll auf Gehalt verzichtet werden, viele weitere solche Umbrüche zu erwarten? SPIEGEL: Wie hoch schätzen Sie die Wahr- zittern um ihre Jobs. Wie ist es um die viel- Thielen: Die werden immer wieder statt- scheinlichkeit ein, dass aus der Eigentü- beschworene Beteiligung der Mitarbeiter finden, klar. RTL ist heute Kerngeschäft. merfamilie heraus jemand einen Vor- am Konzernerfolg bestellt? Und Arvato habe ich selbst mitaufgebaut. standsposten erobert? Thielen: Die nehmen wir sehr ernst. RTL- Das bewegt sich auf einem Terrain, das Thielen: Die Mohns sind nun in der fünften Chefin Anke Schäferkordt hat aber auch kaum Grenzen kennt. Die Servicemärkte Generation untrennbar mit Bertelsmann völlig recht mit ihrer Ansage: Man muss sind weltweit sehr groß. verbunden. Wenn wir mal von weiteren die Strukturen in einer Firma dann anpas- SPIEGEL: Zu Arvato gehören heute Call- fünf ausgehen, wird sicher irgendwann je- sen, wenn es ihr gut geht. center, EDV-Entwicklung, CD-Presswerke, mand aus der Familie eine operative Rolle SPIEGEL: Die Allianz AG macht das auch ge- Druckereien und neuerdings Public Pri- spielen – aber wohl nicht beim demnächst rade. Dort werden 7500 Jobs abgebaut trotz vate Partnerships: In Großbritannien hat anstehenden Wechsel. Das Unternehmen eines Gewinns von mehr als vier Milliarden Arvato bereits Teile einer Landkreisver- ist zudem inzwischen so groß und kom- Euro. Entsprechend groß ist der Aufschrei. waltung übernommen. Mit Medien und plex, dass alle Verantwortlichen hier gut Thielen: Das können Sie nicht vergleichen. Inhalten hat das alles nichts mehr zu beraten sind, wirklich nur die Besten zu Dort werden komplette Standorte von der tun … berufen. Wir spielen in der Weltliga mit. Landkarte gestrichen. Bei RTL geht es um Thielen: … aber mit Kommunikation im Da braucht man in erster Linie ein Spit- die Zusammenlegung einiger Abteilungen weiteren Sinne. zenmanagement. Dass wir das bereits ha- in einem Zeitraum von etwa drei Jahren. SPIEGEL: Arvato wirkt wie ein Staat im ben, hat uns übrigens auch Boston Con- SPIEGEL: In Ihrem Musikgeschäft wurden Staat, denn dort arbeiten heute schon sulting bestätigt. Für Familienmitglieder rund tausend Jobs getilgt. In der Buchclub- gilt nach langjähriger Regel, dass sie gleiche Sparte wurde Mehrarbeit durchgepeitscht. Chancen haben sollen wie Externe, aber Ganz abgesehen davon, wie man mit man- auch die gleiche Eignung. chen Top-Managern bereits umgesprungen SPIEGEL: Vergangenes Jahr war Bertels- ist – wo ist die vielbeschworene „mensch- mann Initiator der dann vielgescholtenen liche Verpflichtung“ gegenüber der Ber- Mutmach-Kampagne „Du bist Deutsch- telsmann-Belegschaft geblieben? land“. Was hat’s gebracht? Thielen: Unternehmenskultur bedeutet Thielen: Viel. Nicht nur Debatten, sondern partnerschaftlicher Umgang miteinander. auch Stimmung. Ich hoffe, dass der deut- Dazu gehören für uns die Delegation von sche Pessimismus jetzt endgültig Ge- Verantwortung, Förderung von Kreativität schichte ist. Dann sind sogar Arbeitslosen-

MATTHIAS JUNG MATTHIAS zahlen unter vier Millionen möglich. * Stefan Aust, Thomas Schulz und Thomas Tuma in Thielen (2. v. l.), SPIEGEL-Redakteure* SPIEGEL: Herr Thielen, wir danken Ihnen seinem Büro in der Gütersloher Konzernzentrale. „Lasst es weiter blühen“ für dieses Gespräch.

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