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M. DARCHINGER Medienmanager Wössner, Middelhoff: „Überall ungenutzte Potentiale im Kampf um den Endkunden“

SPIEGEL-GESPRÄCH „Wir brauchen Ihr Geld nicht“ Der neue Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff über das , seine Zukunftsstrategie und die Kultur des Gütersloher Konzerns

SPIEGEL: Herr Middelhoff, mit viel Getöse operation wünschen. Dieses Mehr an Zu- hier wird auch künftig nicht per Diktat re- wurde Ihr Vorgänger Mark Wössner kürzlich sammenarbeit will ich jetzt organisieren. giert. Es bedarf allerdings einer verstärkten im Beisein von Kanzler und Außenminister SPIEGEL: Sie verharmlosen. Tatsächlich geht Ergänzung unserer bisherigen Arbeitswei- verabschiedet. Er sei „Seelenfischer“ und es um einen gravierenden Umbau des Kon- se durch Kooperation und Koordination. „Teufelskerl“, hieß es da. „Mark, du kannst zerns, der bisher eher ein Konglomerat von SPIEGEL: Das klingt nach Sonntagsrede. Bis- in allen Sätteln reiten“, rief ein Festredner. über 300 selbständigen Einzelfirmen war. lang arbeiten die Manager in den Berei- Ist es Ihnen da nicht unheimlich geworden? Heißt nicht Ihre eigentliche Aufgabe: Mehr chen Buch, Presse, Musik und TV eher ne- Middelhoff: Ich glaube, die unternehmeri- Macht für die Zentrale – und damit auch beneinander. sche Leistung von Mark Wössner ist von al- für den neuen Chef? Middelhoff: Deshalb müssen wir im All- len Rednern sehr zutreffend dargestellt Middelhoff: Ich weiß, daß viele diese Be- tagsgeschäft ein Querschnittsmanagement worden. Große Taten werden eben mit fürchtung haben. Aber ich sage Ihnen – zu etablieren, bei dem der Blick über den Tel- großen Worten gewürdigt. Ich dachte mir: Unrecht. Ich habe ein klares Bekenntnis lerrand zum Standard wird. Wir sind in Thomas, du kannst stolz darauf sein, der zur Dezentralität von Bertelsmann abge- den vergangenen Jahren zum Inhalte-Haus Nachfolger dieses Mannes zu werden. legt, das ist unsere Unternehmenskultur, geworden, der Umsatzanteil unserer Ver- SPIEGEL: Und Sie hatten keine Sekunde das lage und Musik-Labels ist von 33 auf 65 Gefühl: Vielleicht sind mir die Schuhe des Prozent gestiegen. Dieses kreative Poten- Vorgängers ein bißchen zu groß? Thomas Middelhoff tial muß jetzt auch optimal verwertet wer- Middelhoff: Ich glaube, meine Kraft und führt seit November den Medienkon- den. Im Kampf um den Endkunden – im- mein Talent reichen aus, Bertelsmann wei- zern Bertelsmann. Der promovierte merhin verfügen wir über weltweit 44 Mil- terzuentwickeln. Und ich bin sicher, daß Betriebswirt gilt als Marketingexperte lionen Abonnenten – sehe ich überall un- mich ein professioneller Aufsichtsratsvor- und schneller Entscheider. Sein Auf- genutzte Potentiale. Ein positives Beispiel: sitzender Mark Wössner dabei mit aller stieg bei Bertelsmann begann 1989, als Unsere Musikfirma BMG hat die Oper Energie unterstützt. der damalige Konzernchef Mark Wöss- „Turandot“ in der Verbotenen Stadt in Pe- SPIEGEL: Wössner sprach von einer Kultur- ner ihm die Leitung von Mohndruck king aufgeführt. Daraus wurde dann eine Evolution, die der Konzern brauche. Er übertrug. Danach rückte er als Strate- CD gemacht, die Fernsehtochter CLT-Ufa könne Ihnen das Haus leider „nicht ganz giechef und Multimedia-Experte in den produzierte einen Film, unsere Illustrierte besenrein“ übergeben. Wo müssen Sie Vorstand auf. Middelhoff gehörte je- „Stern“ schreibt einen Artikel dazu. Und ausmisten? nem Nachwuchskreis an, in dem Wöss- jetzt können wir die CD noch über unsere Middelhoff: Vor zwei Jahren hat Wössner ner die „High Potentials“ förderte. Der Clubs und über das Internet vertreiben. 100 Top-Führungskräfte anläßlich des be- neue Chef, 45, lebt mit Frau und fünf SPIEGEL: Und wenn der „Stern“, wie ge- vorstehenden Generationswechsels zur Kindern (nebst 70 Tieren) auf einem schehen, seinen Lesern eine CD-Rom der Lage des Unternehmens befragen lassen. Hofgut in der Nähe von . Telekom schenkt und nicht das AOL-Pro- Dabei kam heraus, daß viele sich mehr Ko- dukt – gilt das als Mißmanagement?

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Middelhoff: Es gibt auch künftig keine miere in die digitale Ära. Das Kerngeschäft Gleichschaltung. Aber der Fall „Stern“, rund um unser Flaggschiff RTL ist hoch den Sie ansprechen, ist schon ärgerlich. profitabel und wird in zwei, drei Jahren Denn es ging hier nicht um mehr Qualität durch eine Senderfamilie mit RTL 2, Vox für den Leser, sondern um einen minima- und Super RTL noch profitabler sein. len Mehrerlös für den Verlag. Den Schaden SPIEGEL: Was ist Ihre Prognose: Werden für den Gesamtkonzern hat niemand ge- neue Geschäfte die alten Produkte, Buch sehen. Das ist für mich das Ärgerlichste: und Zeitung, verdrängen? Die Führung war nicht eingebunden, das Middelhoff: Tatsache ist schon heute: Die

wurde irgendwo auf der dritten oder vier- DPA neuen Geschäfte boomen. Im Jahr 2015 ten Ebene entschieden. Andere Konzern- Hauptverwaltung in Gütersloh nutzt jeder Deutsche im Schnitt das Inter- chefs denken doch genauso wie ich: Oder net eine Stunde und 20 Minuten pro Tag, glauben Sie, Telekom-Chef Ron Sommer schätzen Experten. Unsere AOL-Kunden wird mit dem nächsten Telefonbuch eine in den USA sind schon heute mehr als eine CD-Rom von AOL Bertelsmann ver- Stunde im Netz; AOL hat in den USA in schicken? der Prime Time zuweilen mehr Nutzer als SPIEGEL: Mit dem Beginn Ihrer Ära tauchen CNN Zuschauer.Auch in Europa verschie- plötzlich Ertragsprobleme auf. Die Ge- ben sich die Gewichte: Die Kurve wird im samtkapitalrendite liegt unter der internen Fernsehen ein bißchen flacher, bei Zeit- Konzernvorgabe von 15 Prozent, das Per- schriften und Zeitungen wird es einen

sonal bekam im letzten Geschäftsjahr fast M. WOLF / VISUM kleinen Dämpfer geben. 50 Millionen Mark weniger aus der Mitar- Verlag Gruner + Jahr in SPIEGEL: Gerade bei den neuen Geschäften beiterbeteiligung. Wie wollen Sie gegen- wirkt Ihr Großkonzern behäbig. Mehr als steuern? zwei Jahre lang schaute der Vorstand zu, Middelhoff: Wie in jedem großen Unter- wie der Internet-Buchhandel von der da- nehmen haben Sie immer irgendwo eine maligen Mini-Firma Amazon.com aufge- „Ecke“, um die man sich ganz besonders baut wurde. Wo war Bertelsmann? kümmern muß. Unsere „Ecken“ sind sehr Middelhoff: Wir waren zu langsam, keine überschaubar, der SPIEGEL hat darüber Frage. Mit Amazon hätten wir uns ein Jahr berichtet. Es war Thema der Bilanzpresse- früher beschäftigen sollen – im Internet konferenz: zum einen das Musikgeschäft, sind drei Monate ein Jahr. Aber bei uns

zum anderen das Buchclubgeschäft in K. ANDREWS / ARGUS wurde viel zu lange, fast endlos, die Frage Deutschland und Frankreich. Die notwen- Druckerei in Gütersloh der Zuständigkeit debattiert: Wer soll sich digen Arbeiten laufen. kümmern? Multimedia, Buchverlage, Buch- SPIEGEL: Die Zukunft sehen Sie und Wöss- clubs oder Distribution? ner im Geschäft mit den elektronischen SPIEGEL: Hat dann RTL-Gründer Helmut Medien. Doch für die größten Gewinne Thoma recht, wenn er sagt, die Güters- sorgen noch immer die angeblich alten loher Zentrale werde in ihrer Leuchtturm- Stammgeschäfte Zeitschriften, Druckerei- funktion oft überschätzt, sie sei in Wahrheit en und Bücher. Wie paßt das zusammen? eine Boje, die ab und zu blinkt? Middelhoff: Es dauert lange, bis die neuen Middelhoff: Das Bild ist schön, aber es paßt Mediengeschäfte TV und Multimedia ei- nicht. Bertelsmann ist überall: in Gütersloh

nen Ergebnisbeitrag für das Gesamthaus EVERKE T. und in Hamburg, München, Paris, New erbringen, der den klassischen Geschäften Barnes & Noble-Buchhandlung in New York York. Und wir haben auch im Falle Inter- vergleichbar ist oder Rückgänge ausgleicht. Bertelsmann-Aktivitäten net-Buchhandel noch rechtzeitig reagiert: Aber: Im Umsatz haben wir schon eine „Heimat für Künstler und Talente“ Unsere Kooperation mit dem E-Com- wunderbare Balance zwi- merce-Service der großen schen Print und elektroni- Medienmacht aus Gütersloh Der Bertelsmann-Konzern US-Bucheinzelhandelsket- schen Medien. Im Jahr 2000 te Barnes & Noble sichert erwirtschaftet Bertelsmann VORSTANDSCHEF: Thomas Middelhoff Bilanz 1997/98 uns heute gute Chancen. knapp die Hälfte des Um- AUFSICHTSRATSCHEF: Mark Wössner Umsatz ...... 25,7 Mrd. Mark* Die gemeinsame Online- satzes mit elektronischen FINANZVORSTAND: Siegfried Luther Gewinn nach Steuern ....1,1 Mrd. Mark Tochterfirma wird den Ver- Medien, 1985 war da kaum GESCHÄFTSBEREICHE/VORSTÄNDE Mitarbeiter weltweit...... 57 807 kauf unserer Bücher im eine Geschäftsaktivität. Internet organisieren. Wir Buch Music CLT-UFA Gruner + Jahr Multimedia Industrie SPIEGEL: Und die Gewinne Frank Group 50% Gerd Klaus Gunter greifen Amazon an, und sind egal? Ihr Fernsehge- Wössner Michael Dornemann Schulte-Hillen Eierhoff Thielen zwar kraftvoll. schäft ist doch bisher eine SPIEGEL: Bislang hieß es große Beschäftigungsgesell- UMSATZ DER GESCHÄFTSBEREICHE 1997/98 in Mrd. Mark doch bei Ihnen in Güters- schaft, die im Jahr 1997 7,3 7,92,8 5,1 0,75 3,4 loh: Sollen doch die Ga- Verluste machte. WICHTIGE UNTERNEHMEN UND BETEILIGUNGEN ragenfirmen kreativ sein, Middelhoff: Nun mal lang- Verlage BMG , Free TV Zeitschriften Online Druckereien wenn’s klappt, kaufen wir Services sam. Die Fernsehtochter C. Bertels- RCA, Arista, RTL Stern, Geo, Gala, die eben auf. Wurde damit mann, Sonopress RTL 2 Brigitte, TV Today AOL Deutschland CLT-Ufa macht gewollt kei- nicht die Langsamkeit zum , Super RTL Zeitungen AOL Großbritannien, nen Gewinn, weil wir in Siedler Vox , Frankreich Geschäftsprinzip erklärt? neue Geschäfte und Märk- USA: , Pay TV Sächsische Middelhoff: Einige bei uns te investieren, zum Beispiel Bantam Dell Premiere Zeitung dachten in der Tat: Wenn in den neuen englischen Clubs Radios Druckereien die neuen Firmen in Fahrt Sender Channel Five und Bertelsmann Club kommen, schnappen wir beim Pay-TV-Sender Pre- *ohne Binnenumsätze, incl. CLT-UFA uns die am ersten Bahn-

96 der spiegel 47/1998 Wirtschaft hof. Heute wissen wir: Da sind die mei- unser Geld alleine.“ Wir können aus eige- schaftlichen Springer-Verlags in Heidelberg sten schon sehr teuer. Meine Schlußfolge- ner Kraft hinreichend wachsen. Manage- – eine Milliarden-Investition. rung: Wir müssen uns früher um kreative ment ist der eigentliche Engpaß, obwohl Middelhoff: Wenn dies zustande kommt, Ideen kümmern. Unsere kleinparzellierte wir eine anerkannte Talent-Schmiede sind. könnte ich mit Recht sagen: Wir überneh- Struktur bietet viele Chancen, wir sind SPIEGEL: Sie haben in den letzten zwei Jah- men mit der Springer-Mehrheit den Rolls- eine Heimat für Künstler und Talente. ren rund fünf Milliarden Mark für Beteili- Royce der Fachinformation. Das ist die SPIEGEL: Bertelsmann ist keine Publikums- gungen und Firmen ausgegeben. Müssen richtige Stärkung für unsere Medizin-,Ver- gesellschaft, sondern praktisch ein Betrieb Sie jetzt eine Atempause einlegen? kehrs- und Bautitel. Dieses geballte Fach- im Besitz der Familie Mohn.Würden nicht Middelhoff: Einerseits ja. Das haben wir im- wissen läßt sich auch elektronisch erst- freie Aktionäre der Firma guttun, sie mer so gemacht: erst investieren, dann kon- klassig vermarkten. Wenn wir dann auch schneller und innovativer machen? solidieren. Anderseits: Wir verhandeln ge- die geplante Ehe mit dem Fachinforma- Middelhoff: Der Betrieb, wie Sie das nen- rade einen wichtigen Deal, der uns viel tionssektor der Pariser Havas-Gruppe zu- nen, ist mehrheitlich im Besitz der Ber- Spaß bringen könnte. stande brächten, wäre die neue europäi- telsmann-Stiftung. SPIEGEL: Nach unseren Informationen bie- sche Formation auf einen Schlag weltweit SPIEGEL: Aber die Stimmrechte aller drei Ei- ten Bertelsmann und die Holtzbrinck- die Nummer drei im Geschäft mit Fach- gentümer – der Familie Mohn, der Ber- Gruppe um die Übernahme des wissen- informationen. telsmann- und der Zeit-Stiftung – liegen zu 100 Prozent bei dem Firmenpatron . „Ich bin die Hauptver- sammlung“, sagt er zu Recht. Middelhoff: Das hindert uns doch aber nicht, im Einzelfall kreative Lösungen auch in der Eigentumsfrage zu finden. Unsere Online- Firma mit Barnes&Noble geht 1999 an die Börse, ebenso wie die Berliner Multimedia- Agentur Pixelpark. SPIEGEL: Und für Ihre Stammgeschäfte … Middelhoff: … kommt diese Strategie nicht in Betracht. Sie gilt nur für Rand- und Spezialgeschäfte. SPIEGEL: Über die Börse ließe sich auch das Musikgeschäft anheizen, etwa durch den Kauf weiterer Labels. Middelhoff: Theoretisch richtig. Doch die hat unter dem Vorstandskollegen Michael Dornemann ein irres Wachstum hingelegt und den Markt- anteil durch Eigenkreativität gesteigert.Wir sind dort groß genug. Das Management muß jetzt den Hebel umlegen: Es ist ein- deutig mehr Rendite angesagt. SPIEGEL: Vor Jahren war Bertelsmann der weltgrößte Medienkonzern. Nun ist er hin- ter Time Warner und Disney die Nummer drei, weil die Konkurrenz kauft und kauft … Middelhoff: … und Große sich zusammen- geschlossen haben – eine riesige Heraus- forderung für uns im globalen Wettbewerb. Es mag mal schick für egoschwache Ber- telsmänner gewesen sein, zu sagen: Wir sind die Größten der Welt. Wirtschaftlich wichtiger ist, daß wir in Teilmärkten je- weils die Nummer eins sind, also den größ- ten englischsprachigen Buchverlag besit- zen oder mit Puff Daddy den stärksten Rap-Sänger unter Vertrag haben. SPIEGEL: Und Sie meinen, die großen Fondsgesellschaften der Banken sind da eher hinderlich? Middelhoff: Ich habe dieses Jahr in Sun Val- ley beim Treffen von Kollegen, die an der Spitze amerikanischer Medienhäuser ste- hen, gesehen, wie bedeutende Chairmen den Analysten beim Frühstück um halb sie- ben quasi das Rührei gebracht haben. Als einer dieser Leute mich bat, doch mal un- sere Strategie offenzulegen, habe ich ihm klar gesagt: „Einen Teufel werde ich tun. Wir brauchen Ihr Geld nicht, wir haben

98 der spiegel 47/1998 SPIEGEL: Und wenn es nicht klappt? Middelhoff: Ich versichere Ihnen: Bei Ber- Middelhoff: Dann haben wir in diesem Ge- telsmann gibt es keine Strategien, ein Mo- schäft nicht die richtige Größe und müssen nopol zu schaffen.Wir wollen in den Märk- nach völlig neuen Optionen suchen. ten möglichst die Besten, aber nicht die ein- SPIEGEL: Autoindustrie, Stahlgeschäft, Ban- zigen sein. Es wäre faktisch auch unmög- kenwelt – überall rollt die Konzentrations- lich. Es ist im eigenen Interesse keine tolle welle. Entstehen nicht auch im Medien- Sache. Unsere Buchclub-Leute haben eine geschäft, von den Fachverlagen bis zu Zeitlang damit gelebt, daß es keinen rich- Multimedia, allmählich Monopole? tigen Wettbewerb gab, bis der katholische Middelhoff: Es entstehen vielfach Oligopo- Augsburger Weltbild-Verlag kam und ihnen le. Und ein Oligopol ist das Schlimmste für mit Billigangeboten Dampf gemacht hat. die, die da beteiligt sind. Sie kämpfen ge- Das war gut für uns, auch wenn man den geneinander mit aggressiven Preisen und Kopf schütteln muß, was da letztlich wett-

M. DANNENMANN neuen Konzepten – übrigens zum Vorteil bewerbsverzerrend mit Kirchensteuergel- Stratege Middelhoff der Verbraucher … dern in „weltlichen Bereichen“ geschieht. „Vielfältige Wege zum Kunden“ SPIEGEL: … und meist überlebt nur einer. SPIEGEL: Beim Pay-TV strebte Bertelsmann zusammen mit Leo Kirch eine Alleinstel- lung an. Erst EU-Kommissar Karel Van Miert konnte Sie stoppen. Middelhoff: Ich verstehe, daß die Kartell- behörden aufgrund unserer Größe ein Auge auf uns haben. Wir sind keine nor- male Gesellschaft, sondern selbst eine „ge- sellschaftliche Veranstaltung“ mit publizi- stischem Sondereffekt. Van Mierts Ent- scheidung gegen die Pay-TV-Allianz mit Kirch zeigt, daß die Macht wirklich bei ihm liegt. Jeder bei Bertelsmann schätzt ihn als unabhängigen Geist. Daß wir in der Sache unterschiedlicher Meinung gewesen sind, darf man uns aber nicht verübeln. SPIEGEL: Sie sitzen mit Kirch immer noch bei Premiere zusammen und verhandeln. Wollen Sie die Brüsseler Entscheidung umgehen? Middelhoff: Nein, natürlich nicht. Wir müs- sen aber trotzdem Regeln für ein Mitein- ander bei Premiere finden. SPIEGEL: Bis vor kurzem planten Sie noch bei Premiere die mit 3,7 Milliarden Mark größte Investition der Bertelsmann- Geschichte. Middelhoff: Premiere ist für mich auf Platz neun von zehn Punkten, die Bertelsmann lösen muß. Deshalb werde ich auch nicht selber in Verhandlungen mit Herrn Kirch eintreten. Das ist bei Michael Dornemann in guten Händen. Mitte oder Ende 1999 haben wir das gelöst. SPIEGEL: Ihr Glaube an die Zukunft des Pay-TV ist offenbar nicht sehr ausgeprägt. Middelhoff: Heute ist Premiere eine Firma mit 750 Millionen Mark Umsatz, weniger als AOL Europa. Sie hat von Januar bis November nur 24000 Abonnenten gewon- nen. In der Führung gibt es gewisse Er- starrungen, die sich zwangsläufig auf das Engagement der Mitarbeiter auswirken. SPIEGEL: War es ein Fehler, sich überhaupt mit Kirch einzulassen? Middelhoff: Im nachhinein ist es leicht zu schlaubergern. Ich denke, die Firmenkul- turen von Kirch und Bertelsmann sind sehr unterschiedlich. Wir sind ein internationa- ler Player, er ist ein Filmhändler mit TV- Beteiligungen und Schwerpunkt auf dem deutschsprachigen Raum. SPIEGEL: Viele Experten setzen schon längst nicht mehr auf das traditionelle Pay-TV.

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nikstrategie könnte den Gesamtkonzern Multimedia im Wohnzimmer ins Schlingern bringen? Middelhoff: Ganz sicher kann niemand Was ein durch- jemals sein. Aber wir analysieren sehr schnittlich ver- gründlich, was sich technologisch auf der netzter Haushalt ...und das Welt tut. Wir haben eine Menge unter- heute empfangen kommende nehmerische Erfahrungen in unserer Grup- kann... Angebot pe. Und wir haben im Silicon Valley mit Multimedia-Gerät (PC/Fernseher) dem früheren AOL-Manager Jan Hendric Buettner eine Art „Trüffelschwein“ sitzen. Heim-Computer Fernseher Auf unserem Managementkongreß neulich war Buettner der einzige Mensch, der ADSL-Box oder WebTV-Box Digital-Decoder nicht im Anzug kam, sondern mit Khaki- (z.B. d-box) Hose, Hemd und ohne Schlips. Das sei sei- ne Dienstkleidung, sagte er. Mir hat das TELEFONNETZ TV-KABELNETZ gut gefallen. Übertragung: Übertragung: SPIEGEL: Gerade für Außenstehende wirkt •Internet •Digitales Fernsehen Ihre Konzernzentrale zuweilen provin- •Online-Dienste (rund 150 Pro- ziell. „Gütersloh ist ein kleines Mekka für •Filme abrufen gramme schon uns“, sagt Wössner. Bleibt es unter Ihrer (Video-on-demand) heute möglich) Führung dabei? •E-Commerce – Ein- •Internet Middelhoff: Was heißt provinziell? Lassen Sie mich es mal kraß sagen: Da hat man TELEFONNETZ TV-KABELNETZ kaufen per Maus- •Online-Dienste auch den Kopf freier.Wir haben ein klares Übertragung: Übertragung: klick, etwa Bücher •Video-on-demand Bekenntnis zu Gütersloh abgelegt, das •Internet •Analoges (Barnes&Noble) •E-Commerce Fernsehen und Musik (BMG) •Telearbeit Hauptquartier bleibt hier. Ich weiß natür- •Online-Dienste, lich, daß Gütersloh belächelt wird … etwa AOL (ca. 30 bis 40 •Telearbeit •Bildtelefonie Bertelsmann Programme) •Bildtelefonie SPIEGEL: … auch wegen des manchmal Empfang auch über Empfang auch über umständlichen Managementstils. Soll der Satellitenschüssel Satellitenschüssel nicht internationaler werden? Sie selbst beschreiben sich „als Amerikaner, der nur zufällig einen deutschen Paß hat“. Middelhoff: Ich bin ganz sicher: Das eu- ropäisch-amerikanische Medienhaus mit deutschen Wurzeln, denn das ist Bertels- Sie glauben, daß der Computer mit dem generiert werden, und zum anderen sind mann, entwickelt sich zum Magneten für Fernseher verschmilzt. wir mit unseren vielen Direktkontakten zu Kreative, Unternehmertalente und Me- Middelhoff: Das muß man auf der Zeit- Haushalten quasi ein Spezialist in Sachen dienkonsumenten. In Gütersloh arbeiten schiene sehen. Freilich habe ich im Blick „Endkundenbindung“. Wir wollen Wett- heute nur vier von sieben Vorständen. Und auf die Zukunft immer zu denen gehört, bewerb, damit sich die Kosten der Über- in einigen Jahren werden auch ein, zwei die vor einer allzu großen Fixierung auf die tragung weiter reduzieren. Bei meiner letz- Nichtdeutsche im Vorstand sitzen. Decodertechnik gewarnt haben. Unser ten Telefonrechnung habe ich mich richtig SPIEGEL: Zur Firmenkultur gehört, daß die Multimedia-Vorstand Klaus Eierhoff be- erschrocken: Zwei meiner Kinder, 15 und Chefs von Bertelsmann pausenlos der Öf- reitet jetzt bei AOL-TV die Verknüpfung fentlichkeit demonstrieren, daß sie von Fernsehprogrammen, Online-Inhalten gute Freunde sind, obwohl sie intern und Technik vor, in enger Abstimmung mit hart konkurrieren.Warum diese Män- dem Vorstandskollegen Dornemann. nerkameradschaft? SPIEGEL: Wann rechnen Sie mit einem Middelhoff: Gerade bei echten Freund- Durchbruch? schaften kommt es zu Debatten und Middelhoff: Die derzeit entscheidende Kontroversen. Ich will dieses kame- Frage ist: Kommen die internationalen radschaftlich-sportliche Verhältnis in Onlinedienste in die Kabelsysteme hinein? die nächste Generation retten. Können wir also im TV-Kabel unsere In- SPIEGEL: Die Kameraderie wirkt zu- ternet-Dienste anbieten und so die Ver- weilen wie ein religiöser Orden. Die schmelzung beider Welten vorantreiben? „Berliner Zeitung“ sieht Bertelsmann

Bei den Telefongesellschaften hat der Ge- S. SCHRAPS als „kommerzielle Kirche“. setzgeber jedem Haushalt bereits ein Middelhoff (2. v. r.) beim SPIEGEL-Gespräch* Middelhoff: Das ist reines Feuilleton. Recht zugesprochen, über die Telefonkabel „Magnet für Kreative und Unternehmertalente“ Wir haben eine völlig offene Unter- einen Zugang zum Internet zu haben. nehmenskultur und nichts Dogma- Warum gilt das nicht für Kabelgesell- 13, verschicken jetzt ihre E-Mails, und wir tisches. Natürlich unterscheidet sich die schaften, obwohl Internet über TV-Kabel mußten dafür der Telekom 350 Mark Kulturwelt eines Medienhauses, also ei- gut möglich ist? Eine solche Regelung bezahlen. Dazu kommen noch die AOL- nes Info- und Entertainment-Konzerns, könnte die Entertainment-Industrie kom- Gebühren. Wer kann das bezahlen? von der einer Bank. Und bei uns singt plett verändern. SPIEGEL: Die Techniktrends verändern sich zu runden Geburtstagen sogar der Vor- SPIEGEL: Und auf welchen Übertragungs- heutzutage dramatisch schnell. Haben Sie standschor zur Freude des jeweiligen Kol- weg setzt Bertelsmann? manchmal Angst davor, eine falsche Tech- legen. Wir sind eben keine langweiligen Middelhoff: Wir wollen vielfältige Wege Typen – na und? zum Kunden. Zum einen ist Bertelsmann * Mit Redakteuren Hans-Jürgen Jakobs, Stefan Aust SPIEGEL: Herr Middelhoff, wir danken Ih- ein Inhalte-Unternehmen, in dem Stoffe und Gabor Steingart im Berliner Hotel Adlon. nen für dieses Gespräch.

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