Goethe Sonderdruck

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Goethe Sonderdruck Goethe in Trier und Luxemburg 200 Jahre Campagne in Frankreich 1792 Katalog der Ausstellung der Stadtbibliothek Trier, der Nationalbibliothek Luxemburg und der Stiftung Weimar Klassik Sonderdruck Stadtbibliothek Trier Nationalbibliothek Luxemburg 1992 437 200 Jahre Goetherezeption in Trier Hans- Ulrich Seifert Zwei Wochen war Goethe in Trier: vom ter bleibt, auch wenn die unmittelbaren 23. bis 26. August und vom 22. Oktober persönlichen Kontakte nach 1793 abgeris- bis 1. November 1792.1 Einer von Hun- sen sind und erste viele Jahre später neu ge- derttausenden, die von den revolutionären knüpft wurden.7 Doch war Wyttenbach Ereignissen in Frankreich als Emigrant, nicht das einzige Mitglied der kleinen Trie- Soldat, Berichterstatter, Handwerksbur- rer Gelehrtenrepublik, das in direkter Ver- sche oder Schriftsteller von Osten nach bindung zu dem Dichter stand, dessen Be- Westen oder in umgekehrter Richtung in kanntheitsgrad und Ruhm an der Wende die Rheingegenden gespült wurden. Noch vom 18. zum 19. Jahrhundert noch von dreißig Jahre später stellt sein Besuch, des- Wieland, Klopstock und dem vielge- sen Niederschrift gerade in gedruckter schmähten Kotzebue überschattet wurde. Form erschienen ist, kein Ereignis dar, das Der bereits als Stadtchronist erwähnte es verdiente, in der Chronik der Stadt Er- Theodor von HauptS hatte schon vor seiner wähnung zu finden.2 Theodor von Haupts Ankunft in Trier -1820 war der aus Mainz als chronologisches Repertorium der gebürtige Jurist und Schriftsteller als Land- Stadtgeschichte angelegtes Werk Triers gerichtsrat an die Mosel versetzt worden, Vergangenheit und Gegenwart, ein histo- wo er sieben Jahre wirkte - ein Exemplar risch-topographisches Gemälde verzeich- seiner kurzlebigen Zeitschrift Monatsrosen net als bemerkenswerte Ereignisse des Zeit- dem Dichterfürsten von Düsseldorf aus de- raums zwischen 20. August und 1. Novem- diziert.9 Sein erstes in Trier verlegtes Werk, ber 1792 den Durchmarsch hessischer eine 1821 bei Gall verlegte Sammlung von Truppen (20. August), das Eintreffen eines Sagen und Erzählungen mit dem Titel österreichischen Armeecorps im Lager bei Epheukränze war auch von "Johann Wolf- Konz (20. September), den Aufbruch der gang Goethe aus Weimar" erworben wor- Kurtrierischen Truppen nach Koblenz (6. den, wie aus der dem Buch vorgedruckten Oktober) sowie den Rückzug der preußi- Liste der Subskribenten ersichtlich ist.1o Im schen Armee (ab 13. Oktober) und das Ein- dritten Heft von Haupts Mosella, einer treffen "S.M. des Königs" in der Moselme- "Monatsschrift", der ebenfalls kein langes tropole (31. Oktober).3 Leben beschieden war, erscheint 1823 "Ein Gelegenheits-Gedicht von Goethe", das als Ereignisgeschichtliches fait negligeable, ge- nicht besonders gelungene Ephemeride erst winnt dieser kurze und zufällige Aufenthalt 1891 in der Sophienausgabe von Goethes erst im Kontext des sich im 19. Jahrhundert Werken aus dem Nachlaß des Dichters herausbildenden Kults um den Weimarer wieder abgedruckt wird.11 Bedeutung, der mit der Reichsgründung 1870/71 zum Gegenstand nationaler Öf- Die Gründe für Haupts Weggang von Trier fentlichkeit promoviert.4 Gewiß: Goethe- liegen im Dunkeln. Seine Spur verliert sich Leser gab es in Trier wie andernorts seit in Paris, und als letztes Zeugnis seiner bis dem Werther, und sein bekannter Cicerone heute kaum in ihrem ganzen Umfang ge- aus dem Jahre 1792 darf in späteren Jahren sichteten Übersetzertätigkeit ist eine Über- durchaus als verhaltener Goetheaner be- tragung von Casimir Delavignes La Pari- zeichnet werden: Johann Hugo Wytten- sienne überliefert, einem Revolutionslied, bach erwartet bereits früh "tausendfachen das während der Pariser Aufstände im Juli Segen"Svon Goethes Schriften, der ihm als 1830 nahezu dieselbe Popularität genoß "Dichter des Gemüths,,6 ein steter Beglei- wie die Marseillaise während der französi- 438 Hans-Ulrich Seifert schen Revolution.12 Daß die ganz Europa Tri e r. So eben geht auf außerordentlichem We- umstülpende Erhebung von 1789 auch in ge die sehr betrübende Nachricht von dem am 22. d. M. um halb zwölf Uhr erfolgten Ableben Trier im 19. Jahrhundert ein Angelpunkt Goethes ein. Das Theater in Weimar wurde ge- der politischen Reflexion bleibt, kann nicht schlossen, ein beabsichtigtes großes Hoffest ein- zuletzt daran abgelesen werden, daß das gestellt. Die allgemeinste Trauer herrschte in der erstmals zum 1. Oktober 1845 erschienene Stadt. Trier'sche Intelligenzblatt Philipp Lavens In den folgenden Wochen berichtete die seine Berichterstattung mit einer "Chronik Zeitung noch detailliert über das Begräbnis der Vorzeit Triers" der Jahre 1789 bis und die Herausgabe einer Gedenkmünze 1793 eröffnet (Nr. 1 bis Ne. 60, 1. Oktober auf Goethes Tod, doch wird an keiner Stel- - 9. Dezember 1845). le Bezug auf den Aufenthalt des Dichters an der Mosel genommen.15Goethe ist tot. Hin 1832 starb Goethe in Weimar. Sein literari- und wieder wird eines seiner Stücke am scher Ruhm war zu diesem Zeitpunkt, in Trierer Theater aufgeführt (vgl. unten den Grabenkämpfen zwischen restaurati- S. 441), im Curriculum des Trierer Gymna- ver Ideologie, die in dem Weimarer den siums spielt er eine kleine Rolle,16an deren Heiden witterte, und jungdeutschem Auf- Zustandekommen Wyttenbach mitgewirkt begehren, dem der Hofrat und Minister als haben mag, doch hier wie überall in unsicherer Kantonist erschien, an einem Deutschland wird sein Ruhm von dem Tiefpunkt angelangt.13 Die Gründe hierfür Schillers überstrahlt, der anläßlich der hun- lassen sich nicht besser als mit einer vielzi- dertsten Wiederkehr seines Geburtstages tierten Passage aus Heinrich Heines Ro- 1859 mit bis dahin ungesehenem Glanz als mantischer Schule umschreiben: nationaler Dichter gefeiert wurde. Goethes hundertster Geburtstag war zehn Jahre zu- Es fehlte (... ) nicht an einer Opposizion, die ge- vor nahezu unbemerkt vergangen. Um so gen Goethe, diesen großen Baum, mit Erbitte- bemerkenswerter daher, daß der junge rung eiferte. Menschen von den entgegengesetz- Marx, knapp zwei Jahre nach seinem Ab- testen Meinungen vereinigten sich zu solcher Op- posizion. Die Altgläubigen, die Orthodoxen, är- itur am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, gerten sich, daß in dem Stamme des großen Bau- als Berliner Student mit einigen Epigram- mes keine Nische mit einem Heiligenbildchen be- men in die seitens pietistischer wie ultra- findlich war, ja daß sogar die nackten Dryaden montaner Kreise entfesselte Kampagne ge- des Heidenthums darin ihr Hexenwesen trieben, gen Goethe als mutmaßlichen Repräsen- und sie hätten gern, mit geweihter Axt, gleich dem heiligen Bonifazius, diese alte Zaubereiche tanten einer "gottlosen und dekadenten niedergefällt;die Neugläubigen, die Bekenner Zeit" 17eingreift: des Liberalismus, ärgerten sich im Gegentheil, Hört nun, wie das Ganze vom Faust entsprungen, daß man diesen Baum nicht zu einem Freyheits- Der Dichter hat falsch es vorgesungen. baum, und am allerwenigsten zu einer Barrikade Der Faust, der hatte der Schulden zu viel, benutzen konnte. In der That, der Baum war zu War liederlich, trieb das Hazardspiel, hoch, man konnte nicht auf seinem Wipfel eine Und wie er keine Hülfe von oben gesehn, rothe Mütze stecken und darunter die Carma- Da wollt' er schmählich zu Grunde gehn, gnole tanzen. Das große Publikum aber verehrte Darum ihn nun ängstlich Gefühl überkam, diesen Baum eben weil er so selbständig herrlich Von Hölle und Verzweiflungsgram. war, weil er so lieblich die ganze Welt mit seinem Da dacht' er über Leben und Sterben, Wohl duft erfüllte, weil seine Zweige so pracht- An Wissen und Tun und Verderben, voll bis in den Himmel ragten, so daß es aussah, Und sprach gar vieles darüber hin als seyen die Sterne nur die goldnen Früchte des In dunkelmystischem Sinn. großen Wunderbaums. 14 Konnt' das nun nicht der Dichter zieren, Erzählen, wie Schulden zum Teufel führen, In Trier war die Nachricht von Goethes Wie, wer sich um den Kredit gebracht, Gar leicht sein Seelenheil vermacht?18 Tod noch in letzter Minute in die Trier'sche Zeitung vom 27. März 1832 auf der letzten Frei von aller Ironie, aber dafür reichlich Seite eingerückt worden: Angriffsflächen für ironisierende Kritik Goethe-Rezeption in Trier 439 bietend, zeigt sich knapp zehnjahre später gewetteifert zu haben, wem es am besten ein damaliger Korrespondent der Trier gelinge, "Zeichnungen aus Goethes Faust, schen Zeitung, der das bis dahin weitge- mit etwa fingergroßen Figuren, nur deren hend unbeachtete Provinzblatt bald zu ei- Umriß enthaltend"23, zu kopieren. Als Sie- nem international beachteten Organ des ger aus dem Malwettbewerb ging von Sal- "wahren Sozialismus" umgestalten sollte let hervor. und mit seinem Erscheinen vor Ort dafür Daten über Goethelektüren im privaten sorgte, daß der Geist der 48er-Revolution Kreise fehlen und sind allenfalls als Anek- auch an der Mosel wehte: Karl Grün,19 der dote überliefert, wie die gerade zitierte. sich 1848 bis 1850 in Trier aufhielt und in Was seinen Erfolg als Theaterautor be- dieser Zeit so viele Menschen auf die Straße trifft, ist man genötigt, sich an die lücken- zu bringen verstand, wie es sonst wohl nur hafte Überlieferung der örtlichen Auffüh- den Organisatoren der Heilig-Rock-Aus- rungschronik zu halten: stellungen vorbehalten war, hatte 1846 ein Buch mit dem Titel Goethe vom menschli- Gerade zehn Inszenierungen sind für den chen Standpunkt drucken lassen, in dem Zeitraum 1849 bis 1899, zwischen hun- der Autor des Wilhelm Meister als Vorläu- dertstem und hundertfünfzigstern Geburts- fer der die Jahrhundertmitte dominieren- tag zu verzeichnen (vgl. unten S.
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