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Sonderdruck aus: Grabbe-Jahrbuch 2011/12 30./31. Jahrgang Im Auftrag der Grabbe-Gesellschaft herausgegeben von Lothar Ehrlich und Detlev Kopp AISTHESIS VERLAG Bielefeld 2012 Detlev Hellfaier Von Freunden, Witwen und schönen Kindern Neue Quellen für die Freiligrath-Forschung Ferdinand Freiligrath gehört bekanntermaßen zu den Sammlungsschwerpunk- ten der Lippischen Landesbibliothek Detmold; wiederholt wurde jüngst über diesbezügliche Aktivitäten und Dienstleistungen der Bibliothek auf dem Gebiet der bibliographischen Erschließung und der Dokumentation berichtet.1 Auf den Frühjahrsauktionen 2011 und 2012 des Auktionshauses Stargardt in Berlin konnten erfreulicherweise wieder ein Gedichtautograph sowie mehrere Briefau- tographen aus der Zeit zwischen 1837 und 1871 ersteigert werden.2 Während vom Gedichtautograph weitere Redaktionen (Reinschriften) bekannt sind, blie- ben die Briefe bisher ungedruckt und damit auch der Forschung unbekannt; mithin erscheint es lohnend, zumindest den aussagekräftigen Handschriften ein wenig nachzugehen, sie vorzustellen und in ihre Überlieferungszusammenhänge einzuordnen. Burns und seine Freunde Bei dem jüngst erworbenen Gedichtautograph, das mit einem zugehörigen Brief eingeliefert wurde, handelt es sich um eine Reinschrift der Übersetzung der Stro- phen 14 bis 16 des Gedichts Epistle to William Sim(p)son, das der schottische Romantiker und Mundartdichter Robert Burns (1759-1796) im Mai 1785 ver- fasst hat. Gewidmet ist die Epistle einem befreundeten Lehrer und Poeten aus Ochiltree, East Ayrshire, Schottland, und gilt als „one of the highlights of the Kilmarnock Edition“, gemeint ist damit die Erstausgabe von Burns’ Poems von 1786, in die die Zuschrift sogleich Eingang gefunden hatte.3 Freiligrath hat das 18-strophige Gedicht einfühlsam übersetzt und ihm den unverfänglichen Titel An einen Freund gegeben. Die einschlägigen Werkausgaben führen diese Über- setzung seit 1870;4 die sorgfältige Abschrift der genannten Strophen wird ihm Anhang noch einmal wiedergegeben. Man darf annehmen, dass gerade diese Verse den Übersetzer besonders ange- sprochen haben, denn namentlich die Strophen 14 und 15 benutzte er gern für Widmungsblätter oder Stammbucheinträge; allein die Lippische Landesbib- liothek verfügt über zwei weitere textidentische Fassungen aus dem Jahr 1868, von denen die eine noch in London, die andere kurz nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Bad Rippoldsau im Schwarzwald erstellt worden ist;5 mit weiteren Von Freunden, Witwen und schönen Kindern 147 Textzeugen ist sicher zu rechnen. Während man über Hintergrund und Adres- saten der beiden Niederschriften aus dem Jahr 1868 nichts weiß, gehört zu dem neu erworbenen Blatt ein aufschlussreicher Brief, der nicht nur über den Emp- fänger und den Anlass Auskunft gibt, sondern zugleich die Zeit der Überset- zung des Burnsschen Gedichts präzisiert. Danach sandte Freiligrath mit einiger Verspätung am 2. August 1865 von London aus die drei ausgewählten Strophen an die Gebrüder Spiro, Inhaber einer Verlagsbuchhandlung in Hamburg; die Verleger hatten ihn – und andere Dichter – wohl am 1. Mai des Jahres zu einem Beitrag für eine avisierte „Publication“ aufgefordert. Was es mit dieser auf sich hatte, geht aus einem späteren Brief Freiligraths an die Gebrüder Spiro vom 30. Dezember 1865 hervor. Darin dankt er den Verlegern für „Ihre freundli- che Sendung der Poeten-Autographen“, bekundet seine große Freude über deren Erscheinen und nennt sogleich eine Reihe von Schriftstellern, die in einer mög- lichen Fortsetzung Aufnahme finden sollten.6 Wie die erforderlichen bibliogra- phischen Recherchen schnell ergeben haben, hatte der Verlag in der Tat eine solche Sammlung unter dem Titel Autographen deutscher Dichter, nach bisher ungedruckten Dichtungen in Original-Handschriften herausgegeben.7 Mithin war das Freiligrath zur Jahreswende 1865/66 übermittelte Exemplar ein Beleg- exemplar und mit dem Gedichtautograph Nach Robert Burns liegt die dafür ver- wendete Reproduktionsvorlage vor. Freiligraths faksimiliertes Autograph der Übersetzung nach Burns befindet sich darin alphabetisch eingereiht zwischen denjenigen Johann Georg Fischers und Emanuel Geibels. Bisher wurde das Erscheinungsjahr mit „1867“ in den Katalogen der wenigen besitzenden Biblio- theken fingiert,8 doch zeigt Freiligraths Brief, dass das Werk bereits zu Ende des Jahres 1865 druckfrisch vorgelegen haben muss. Die ihm übermittelte Mappe fand unmittelbar Eingang in seine Bibliothek und gelangte mit dieser nach sei- nem Tode nach Übersee, wo sie sich noch heute in der Boston Public Library befinden dürfte.9 Der Brief vom 2. August 1865 an die Gebrüder Spiro mit dem Gedichtauto- graph hilft zudem, die Zeit der Abfassung der Übersetzung des GedichtsEpistle to William Sim(p)son (An einen Freund) näher zu bestimmen, denn Freiligrath spricht darin von „beiliegenden bisher ungedruckten Verse(n) aus einer kürzlich entstandenen Uebersetzung eines Burns’schen Gedichtes“; bisher galt das Frag- ment vom 2. Februar 1868 als ältester Beleg für dessen Übertragung ins Engli- sche.10 Die Gelegenheit, die Übersetzung zu publizieren, bot sich bald darauf. Auf eine Anfrage um Beiträge für die ZeitschriftRevue übersandte Freiligrath dem ihm bekannten Journalisten, Schriftsteller und einstigen radikalen Acht- undvierziger Moritz Hartmann (1821-1872) am 15. September 1865 nach Stuttgart eine Epistel und eine Elegie; beide seien bisher nach seinem Wissen „von keinem der bisherigen Burns-Uebersetzer verdollmetscht worden“.11 Bei 148 Detlev Hellfaier der Epistle hat man es mit Sicherheit mit besagter Epistle to William Sim(p)son (An einen Freund) und bei der Elegie mit der Elegy on Captain Matthew Hen- derson zu tun; letztere erhielt bei Freiligrath den Titel Elegie auf den Tod eines Freundes. Sie gilt als „one of Robert’s best elegies“.12 Beide Gedichte hatten ihn offenbar besonders berührt. Gegenüber Hartmann schwärmte er vom dem zu Herzen gehenden Naturgefühl und der schlichten Schönheit der Verse, die gelegentliche Derbheiten, ja sogar Geschmacklosigkeiten vergessen lassen. Der Abdruck der beiden Übersetzungen blieb indes unausgeführt, denn die Revue, wohl ein ambitioniertes Zeitschriftenprojekt Hartmanns, kam nicht zustande. Und als er diesem am 24. Februar 1867 seine Übersetzung Dreikönigsfest in Alt- England des englischen Dichters Robert Herrick (1591-1674) vermutlich zum Abdruck in der von Hartmann redaktionell betreuten ZeitschriftFreya über- mittelte, fragte er bescheiden an, ob dieser nicht auch „speciell für kleinere poe- tische Uebersetzungen ein Plätzchen übrig habe(n)? Für Sachen z.B., wie jene Burns’schen Episteln …“13 Nach eigener Aussage war ihm durch das Eingehen des Morgenblattes für gebildete Stände ein publikumsträchtiges Organ verloren gegangen. Doch aus der Publikation in der Freya wurde nichts, denn auch die erschien mit dem siebten Jahrgang 1867 zum letzten Mal. Erfolg hatte Freiligrath erst ein Jahr später. Noch von London aus und inmit- ten der Umzugsvorbereitungen korrespondierte er mit Wilhelm Vollmer, Chef- lektor und Archivar der Cottaschen Verlagshandlung in Stuttgart und zugleich – gemeinsam mit Moritz Hartmann – Herausgeber der bei Cotta erscheinenden Augsburger Allgemeinen Zeitung.14 Der einflussreiche Berater des renommierten Klassiker-Verlages hatte Gefallen an Freiligraths Walt-Whitman-Übersetzun- gen für die Wochenausgabe der Augsburger Allgemeinen gefunden. Freiligrath nutzte die Gelegenheit: Er legte seinem Brief vom 12. Juni 1868 noch „ein paar Gedichte nach meinem alten Burns“ bei und versicherte, dass „die hier folgen- den beiden Stücke“ – obwohl so charakteristisch – „bis jetzt noch von keinem der vielen Burns-Uebersetzer berücksichtigt worden“ seien.15 Die „beiden Stü- cke“, nämlich An einen Freund und Elegie auf den Tod eines Freundes, erschienen dann auch am 26. Juni und am 3. Juli 1868 unter der Rubrik Neue Uebersetzun- gen nach Robert Burns im Feuilleton der Wochenausgabe der Augsburger All- gemeinen Zeitung16 und finden sich seither in den einschlägigen Gesamtausga- ben. Freiligrath erbat sich die letzten Nummern des Blattes ins Schwarzwaldbad Rippoldsau, wohin er sich nach der Rückkehr aus dem Exil für einige Wochen zurückgezogen hatte.17 Was er las, hat ihn augenscheinlich nicht vollends begeis- tert, denn am 3. Oktober 1868, als er Vollmer erneut „einige poetische Kleinig- keiten“ zum Abdruck übermittelte, mahnte er dringend genaue Korrektur an, da „in den Whitman’schen u[nd] Burns’schen Proben etliche Fehler stehen geblie- ben“ seien, „die dem gewöhnlichen Leser kaum auffallen, den Verfasser aber um Von Freunden, Witwen und schönen Kindern 149 so tiefer – erschüttern“.18 Ein Abgleich mit der Wiedergabe in den vom ihm selbst redigierten Gesammelten Dichtungen konnte diese Kritik im Hinblick auf die Burns-Gedichte allerdings nicht bestätigen. Auch wenn Freiligrath im Juni 1868 Wilhelm Vollmer wissen ließ, dass er nach mehr als drei Jahrzehnten der Beschäftigung mit dem Schotten „noch immer nicht mit ihm fertig“ sei und er „noch manches Andere von Burns“ im Pult habe, so waren die beiden Gedichte an die „Freunde“ wohl seine letzten Burns-Übersetzungen; zumindest die letzten, die veröffentlicht worden sind. Die ersten Übertragungen – nämlich Nun holt mir eine Kanne Wein …, O, säh ich auf der Haide dort… und Die süße Dirn von Inverneß – waren 1835 im Mor- genblatt für gebildete Stände publiziert und durch den Band Gedichte von 1838 populär geworden; weitere 19 Gedichte nach Burns erschienen bis 1868, wobei das engere Zeitfenster zwischen 1835 und 1840 liegt.19 Nach eigenem