ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-55

6.2. Einzelstellenerläuterungen

1,4 Montaigne hat gesagt: Mon métier c’est vivre] Michel Eyquem, Seigneur de Montaigne (1533-1592), franz. Schriftsteller und Philo- soph, dessen Hauptwerk „Essais“ 1580 erschien (5. erweiterte Aufl. 1588). – Mon métier c’est vivre: (franz., Mein Beruf ist zu leben) von Gutzkow verkürzt zitiert: „Mon métier et mon art, c’est vivre“ (vgl. Montaigne: Œuvres complètes. Texte établi et annoté par Robert Bar- ral [...]. 1967, S. 160 [Essais, 2. Buch, 6. Kapitel]).

1,7 Terenz eine seiner dramatischen Personen] Publius Terentius Afer (185[?]-159 v. Chr.) war neben Plautus der wichtigste Vertreter der altröm. Komödie. Das Zitat lautet bei Terenz genau: „Homo sum; humani nil a me alienum puto“ („Als Mensch ist mir nichts Menschli- ches fremd“; vgl. „Heautontimorumenus“ I, 1, 25).

1,10-11 für die Männer allein, nicht für die Frauen Literatur machte] Der Kontext bei Gutzkow lässt erkennen, an welchem Punkt er die Grenze angesetzt sehen wollte, jenseits welcher die Literatur nur für Männer geschrieben wurde: die Zeit bis zur Romantik. Als ein erstes Dokument der ‚Literatur für Frauen‘ ist Friedrich Schlegels Roman „Lucinde“ (1799) anzusehen, zu welcher Gutzkow 1835 Schleierma- chers „Vertraute Briefe über die Lucinde“ erneut publizierte und mit einer Vorrede versah. – Hinzuweisen ist auch auf den Zauberer von Rom, von dessen Hauptgestalt Lucinde im ersten Buch die Vorge- schichte erzählt wird.

1,11 Bekenntnisse des heiligen Augustinus] Augustinus Aurelius (354- 430), lat. Kirchenlehrer des christl. Altertums (→ auch den Global- kommentar).

1,12 Bekenntnisse Jean Jacques Rousseaus] Jean Jacques Rousseau (1712-1778), „Les confessions“ („Die Bekenntnisse“, 1782; → auch den Globalkommentar).

1,12-13 Denkwürdigkeiten Alfieris] Vittorio Alfieri (1749-1803), be- deutender ital. Tragödiendichter („Filippo“, „Mirra“, „Oreste“, „Saul“), auch Verfasser von Komödien und politischen Schriften des

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18. Jahrhunderts, welche im 19. Jahrhundert besonders auf das ital. Risorgimento wirkten. Gutzkow wird vermutlich die erste Übersetzung ins Deutsche von 1812 benutzt haben: „Die Denkwürdigkeiten aus dem Leben Vittorio Alfieri’s. Von ihm selbst geschrieben. Nach der ersten Italienischen Original-Ausgabe. Von Ludwig Hain. In zwei Theilen, Coelln: Hammer, 1812 (→ auch den Globalkommentar).

1,13-14 Plaudereien des Benvenuto Cellini] Benvenuto Cellini (1500- 1571), ital. Goldschmied und Bildhauer, teils am franz. Hof Franz I., teils im Dienst der Mediceer in Florenz tätig; seine kulturhistorisch bedeutende „Vita“ („Lebensbeschreibung“) erschien erst 1728 (ent- standen zwischen 1558 und 1566) (→ auch den Globalkommentar).

1,19 florentinischen Perseus] Cellini ist in Florenz geboren; Anspie- lung auf Perseus, den Sohn des Zeus und der Danae, Gründer von Mykene, der bei dem Auftrag des Königs Polydaktes von Seriphos, das Haupt der Medusa zu holen, eine sehr bewegte und abenteuerliche Reise zurücklegte.

1,20-21 Selbstbiographie neuesten Datums] → Globalkommentar.

1,21 mit Choral und Glockengeläut] Als Zitat nicht nachweisbar; Friedrich Sengle (Biedermeierzeit, Bd 2, S. 228, Anm.) weist auf den Titel der verbreiteten Schrift des Hofpredigers Friedrich Strauß als Quelle hin: Glockentöne. Erinnerungen aus dem Leben eines jungen Geistlichen, 3 Bde, Elberfeld 1815-1819 (7. Aufl. 1840).

1,24-25 der badische und Reichstagsdeputirte „Waldfried“] Gemeint ist Berthold Auerbachs (→ Lexikon) Ich-Roman „Waldfried. Eine vater- ländische Familiengeschichte in sechs Büchern“ (Erster bis Dritter Band. 1874). In dem Roman wird u. a. die liberale Einheits- und Freiheitsbewegung der letzten Jahrzehnte dargestellt und auf aktuelle Vorgänge (Krieg gegen Frankreich, Annexion Elsass- Lothringens, Reichseinheit) Bezug genommen. Waldfried, der 1848/49 schon in der Paulskirche gesessen hatte, wird zum Schluss Mitglied des Deutschen Reichstages. Am 12. Juli 1874 schrieb Auerbach an seinen „Freund“ (Neffen) Jakob Auerbach über Gutzkows Angriff: „Apropos! Hast du gelesen, wie Gutzkow mich in der letzten Nummer

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-57 der ‚Gegenwart‘ anrempelt? Er war immer so. Als er noch seine Trompeter in den Zeitungen blasen ließ, war’s ihm nie genug gelobt zu werden, ich mußte daneben meinen Treff haben. O, wie recht hatte ich, daß ich mich in Berlin absolut fern von ihm hielt. Ich konnte ihm die Wahrheit nicht sagen, ohne ihn zu kränken, und heucheln oder auch nur verschweigen darf und kann ich nicht. Es war trotz alledem und ist noch ein Wahrheitsstreben in Gutzkow, aber ihm fehlt die Liebe.“ (Berthold Auerbach: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Ein biographisches Denkmal. Bd 2, /M. 1884, S. 213) Ungefähr ein Jahr später, am 8. Mai 1875, bezieht sich Gutzkow in einem Brief an einen Rezensenten noch einmal auf seine Äußerungen über Auer- bach in den Rückblicken: Ich beklage, daß ich Vieles in meinen „Rückblicken“ nicht noch offner ausgesprochen habe. Ohne Grund wollte ich Niemand in seiner Selbstgenüge stören. Die kleinen Necke- reien Auerbachs sind nichts gegen die Berechtigung, die ich hätte zur tiefsten Indignation über eine Persönlichkeit, die mir Jahre lang un- mittelbar nahe stand, verbunden durch freundschaftliches Du, durch die vertrautesten Freundschaftsleistungen meinerseits, und der unabläs- sig nun an der Discreditiriung meiner Person, meiner Schreibart, mei- ner Schriften überhaupt gearbeitet hat. Nicht mit der Feder, nur w ü h l e n d im literarischen Verkehr gearbeitet. (Heinrich-Heine- Institut Düsseldorf, Abschrift) – Vgl. Anton Bettelheim: Berthold Auer- bach. Der Mann, sein Werk – sein Nachlaß. Stuttgart 1907.

2,1-2 Schlußparagraphen [...] auf die Welt gekommen] → Global- kommentar.

2,,9-10 „das Leben i s t ein Traum!“] Anspielung auf Calderóns (1600- 1681) Versdrama in drei Akten „La vida es sueño“ („Das Leben ist ein Traum“, 1636).

2,14-16 Goethe [...] Selbstbiographie] „Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit“ (1811-1814); über das Konzept seiner Autobiographie und dessen Bedeutung für Gutzkow → Globalkommentar.

2,23-24 an mich ergangenen Aufforderung [...] Zeitschrift] → Entste- hungsgeschichte.

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2,26 „Rücksichtslosigkeiten“ seiner ironischen Feder] In einem nicht überlieferten Brief an Paul Lindau hatte Gutzkow offenbar einige un- freundliche Kritiken seiner Arbeiten durch Lindau gerügt. Lindau antwortet darauf in seinem Brief an Gutzkow vom 17. April 1874: „Sie erwähnen zwei Sünden, die ich gegen Sie begangen haben soll: meine Kritik des ,Urbild des Tartüff‘ und den ,Harmlosen Brief‘. Die erstre datirt aus einer Zeit, da ich noch ein bischen Heißsporn war; jetzt würde ich mich jedenfalls nicht mehr so ereifern. Ich gestehe offen, daß ich damals sehr aufgebracht über die Behandlung der Geschichte war. Aber das ist eine Einzelheit, die meinen Respect vor Ihren unge- wöhnlichen Gaben niemals gemindert hat. Ich glaube auch, daß selbst jene Kritik ein deutliches Zeugniß der vollen Werthschätzung Ihrer dichterischen Individualität ablegt; ich könnte mich ferner berufen auf meine Besprechung von ,Hohenschwangau‘, welche in der damals von mir redigirten ,Elberf. Zeitg.‘ erschien. [/] Die zweite Geschichte neh- men Sie, meines Erachtens, zu tragisch. Es war ein wirklich argloser Scherz, der vielleicht einen schnell verfliegenden Ärger hervorrufen konnte, aber ganz gewiß nicht Ihren Zorn verdiente. Rodenberg ist übrigens an der Sache gänzlich unbetheiligt. Es thut mir leid, daß der unschuldige Mann dadurch Ihre Gunst verscherzt hat. [/] Wenn ich Ihnen als ein systematischer Gegner erschienen bin, der den Mund voll nimmt, wenn es zu tadeln gilt, und schweigt, wo gelobt werden müßte, – so ist das nicht richtig. Seit dem Bestehen der ‚Gegenwart‘ habe ich nur einmal die [Gelegenheit geh[?], Beschädigung des Briefes]abt], ausführlicher über Sie zu sprechen. Das war gelegentlich der Wieder- aufnahme Ihres Schauspiels ,Ein weißes Blatt‘. Die Kritik ist in No 12 des I Bandes erschienen; und ich wage zu behaupten, daß sie die re- spectvolle Gesinnung ihres Verfassers in jeder Zeile ausspricht, mit Wärme anerkennt und nur behutsam rügt. Außerdem habe ich w i e - d e r h o l t auf das Erscheinen der Gesammt-Ausgabe Ihrer Werke unter den ‚Notizen‘ aufmerksam gemacht und – wie es sich von selbst verstand – jedesmal, wenn ich einige der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der ‚Gegenwart‘ nannte, Ihren Namen in die [erste Rei- he?] [Text beschädigt] gestellt. Ich führe das nur an, um [...] [Text beschädigt] Sie mir Unrecht thun, wenn [...] [Text beschädigt] Legat: tendenziöses Todtschweigen glaubten. Unterdrückt habe ich nur solche Artikel über Sie, welche mir unbillig und gehässig erschienen, wie gerade Rutenbergs Aufsatz, der mir im Manuscript zuerst vorlag. [/]

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Es würde mich freuen, wenn diser Brief zur Verständigung beitragen könnte. Selbstverständlich werd ich es, wenn Sie es für richtig halten, gern noch eine ‚Schwelle‘ legen; sagen Sie mir nur, wie das am besten geschehen könnte. Aber selbst ohne dise Vorsicht würden die Leser der ‚Gegenwart‘ Ihr Erscheinen in dem Blatte durchaus nicht unvermittelt und befremdlich finden können.“ (StUBF, Gutzkow-Nachlass, Bl. 3467-69) Gutzkow erwiderte am 5. Mai 1874: Der „Schwelle“ bedarf es ja nun nicht nach Ihre[r] schönen und die Leser sofort gewinnenden Einleitung. [/] Ihre Beurtheilung meines „Weißen Blattes“ ist mir leider entgangen. Ich befand mich im März 1872 in W i e s b a d e n , damals schon ergriffen von den Vorboten meines jetzigen Leidens. (→ auch Dokumente zur Entstehungsgeschichte, Nr. 3)

3,2 Gustav Kühnes „M ä n n e r d e r Z e i t “] Männer der Zeit. Biogra- phisches Lexikon der Gegenwart. Mit Supplement: Frauen der Zeit. 1862. Der Artikel über Gutzkow: Sp. 429-432.

3,10-11 Montaignes Mêtier oder Mestier] → Erläuterung zu 1,4; Mestier: mfranz. Form von ‚métier‘.

3,11 Rabelais’ jüngerer Zeitgenosse] François Rabelais (1494[?]- 1553), franz. Schriftsteller, Verfasser des Romans „Gargantua et Pantagruel“ (= Kurztitel, 1532-1564). Montaigne ist 1533 geboren.

3,13-14 „Das junge Deutschland wollte nicht blos le- ben“] Gustav Kühne (1806-1888; → Lexikon) folgte im September 1846 August Lewald als Herausgeber der Zeitschrift „Europa. Chro- nik der gebildeten Welt“. In der Vorrede erklärt Kühne, der Zeitschrift künftig ein stärker literarisches Gepräge geben zu wollen, nachdem bisher die politischen und religiösen Auseinandersetzungen dominier- ten. In der Folgezeit beobachtet man ein wiederholtes Pendeln der Zielsetzungen zwischen literarischen und politischen Ansprüchen. Insgesamt zeichnet sich jedoch unter Kühnes Redaktion eine Tendenz zur literarischen Ausrichtung hin ab. Im Februar 1859 übergibt Kühne die Redaktion an Karl B. Lorck (vgl. Kurt Haß: Gustav Kühne als Herausgeber der „Europa“. 1973, S. 14ff.). – Das betref- fende Zitat findet sich in dem Artikel über Gutzkow in den „Männern der Zeit“ nicht. Hingegen hatte Kühne in Nr. 7, 1859 der „Europa“ in

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dem Beitrag „Vier Männer des weiland ‚jungen Deutschlands‘“ in dem Abschnitt über Gutzkow geschrieben: „[...] das junge Deutsch- land, mit Gewalt zur berühmten und berüchtigten Person geworden, mußte und wollte auch glänzend leben und füllte den deutschen Bü- chermarkt mit einem Geschäftseifer, als gälte es damit das Vaterland zu retten“ (S. 247). In Nr. 11 des Jahrgangs 1859 druckte Lorck als neuer Redakteur folgende Entschuldigung Kühnes: „In Betreff des in Nr. 7 der Europa befindlichen biographischen Artikels über Herrn Dr. Karl Gutzkow erhalte ich aus zuverlässiger Quelle folgende thatsächli- che Berichtigungen zum Abdruck. Ich erkläre zugleich, daß bei der gedrängten Kürze der Artikel eine Färbung erhielt, die ich nicht beab- sichtigte, und die zu Mißverständnissen in Bezug auf des Geschilderten Charakter führte, die ich nicht bezweckte. F. G. Kühne.“ (S. 399)

3,19-20 in der Allgemeinen Zeitung sogar Berthold Auerbach] In der (Augsburger) Allgemeinen Zeitung erschien im April/Mai 1874 eine Artikelserie von Julian Schmidt über Auerbachs (→ Lexikon) Werk und seine literarische Entwicklung (wieder abgedruckt in: Characterbilder aus der zeitgenössischen Literatur von Julian Schmidt. Leipzig 1875, S. 37-149, = zit. Text). Schmidt machte nur allgemeine Andeutungen über Auerbachs mögliche Zugehörigkeit zum Jungen Deutschland. Über die frühe literarische Entwicklung Auerbachs verlautet: „Diese Periode wird als die jungdeutsche bezeichnet. Man gebraucht in der Regel den Ausdruck nur von einer bestimmten Schule, in der That paßt er auf die ganze Zeit.“ (S. 45) Nach kurzen Bemerkungen über David Friedrich Strauß und Arnold Ruge heißt es: „in solcher Ge- müthstimmung wuchs Auerbach auf“ (S. 46). Am 12. Mai 1874 äußert sich Auerbach seinem „Freund“ Jakob Auerbach gegenüber zu dem Artikel von Julian Schmidt, der Auerbach und sein Werk sehr schätzte: „Ich denke Du liesest die Studie, die Julian Schmidt in der Allgemei- nen Zeitung (bis jetzt sechs Artikel) über mich [veröffentlicht]. Ich besuche ihn nicht, bis ich die ganze Arbeit kenne, und nach der Anlage werden es wohl noch weitere sechs Artikel. Wenn ich mich so betrach- tet sehe, denke ich oft an die Holländerin, die mir im vorigen Sommer in Gernsbach sagte: ‚Was? Sie leben noch? Ich glaubte, Sie wären schon längst todt.‘ Ich stehe der Darlegung Julian Schmidts oft ganz verwundert gegenüber. Also das bin ich und so abgethan? Ich bin oft erstaunt von der stricten Consequenz, die er in meinem Schaffen und

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Reflectiren aufzeigt, ich habe mich nie so gesehen; ich lese namentlich, was ich theoretisch gesagt habe, oft als ein ganz Neues, und wenn ich auch manchen seiner Ausführungen widersprechen muß, besonders wo er vom Einflusse Jean Pauls etc. spricht, wer kann sagen, ob nicht ein Anderer freier und klarer sieht als man selber vermag?“ (Berthold Auerbach: Briefe an seinen Freund Jakob Auerbach. Ein biographi- sches Denkmal. Bd 2, Frankfurt/M. 1884, S. 210)

3,23-24 Greifen wir doch gleich in das volle „Leben“ hinein] Verän- dertes Zitat nach Goethes „Faust“ (I), „Vorspiel auf dem Theater“ (Vers 167): „Greift nur hinein in’s volle Menschenleben.“

3,27 im wunderschönen Monat Mai] Anfang des Gedichtes I von Hei- nes „Lyrischem Intermezzo“ aus dem „Buch der Lieder“ (→ Archiv: Quellenteil).

3,28 meinen Erstgebornen] Hermann Gutzkow, geb. 28. April 1837. Gutzkow war seit 1836 mit Amalie Klönne verheiratet.

3,29 die preußischen Verbote meiner Bücher] Am 10. Dezember 1835 verfügte der Deutsche Bundestag in Frankfurt, veranlasst durch die Denunziation Gutzkows durch Wolfgang Menzel, wegen der ‚Unsitt- lichkeiten‘ in Gutzkows Roman Wally, die Zweiflerin (1835) ein all- gemeines Verbot der Schriften des sog. Jungen Deutschland (→ WaWWW, Kommentar). Betroffen waren namentlich außer Gutzkow die Autoren Heine, Mundt, Wienbarg und Laube, indirekt dann Börne und Kühne. Gutzkow wurde mit einer Gefängnisstrafe belegt, die er in der Zeit vom 14. Januar bis 10. Februar 1836 abbüßte. Der Vorgang ist u. a. ausführlich dokumentiert in Günter Heintz (Hg.): Karl Gutz- kow. Wally, die Zweiflerin. Roman, Stuttgart 1979, S. 259-435; → besonders Karl Gutzkow: Vertheidigung gegen Menzel und Berichti- gung einiger Urtheile im Publikum (1836, HOU, Bd 2, S. 903-936).

4,3 Herrn von Nagler] Karl Ferdinand Friedrich von (seit 1823) Nag- ler (1770-1846), seit 1821 Generalpostmeister, von 1824 bis 1835 preußischer Gesandter (Partikularist) im Frankfurter Bundestag, 1836 Staatsminister. Nagler, der Vertraute Friedrich Wilhelms III., war ein Gegner jeder Neuerungen und Reformen; freiere politische

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Richtungen unterdrückte er mit brutalen polizeilichen Mitteln; Amts- missbrauch und Nichtachtung des Briefgeheimnisses werden ihm nachgesagt.

4,3-4 Briefwechsel des Bundestagsgesandten mit seinem Secretär Kelchner] Briefe des Königl. Preuß. Staatsministers, General- Postmeisters und ehemaligen Bundestags-Gesandten Karl Ferdinand Friedrich von Nagler an einen Staatsbeamten [...]. Hg. von Ernst Kelchner und Professor Dr. Karl Mendelssohn-Bartholdy, 2 Theile, Leipzig 1869.

4,5 Uebersetzung aus dem Englischen des Bulwer] Die Zeitgenossen. Ihre Schicksale, ihre Tendenzen, ihre großen Charaktere. Aus dem Englischen des E. L. Bulwer. 1. und 2. Bd, Stuttgart 1837 (Rasch 2.14). Die Ausführungen (→ RueVWWW, S. 3,33-4,15) stellen einen interes- santen Hinweis auf die schwierige Arbeitssituation sowie die Arbeits- weise Gutzkows in diesen Jahren dar und erläutern die Entstehungs- weise der Zeitgenossen. (→ Zg, Entstehungsgeschichte)

4,8-9 ,Frankfurter Börsenzeitung‘] Erschienen vom 1. September bis 31. Dezember 1836 und 1. Januar 1837, hg. von Wilhelm Speyer und Karl Gutzkow, der nicht genannt werden durfte, aber die treibende Kraft und der ‚eigentliche‘ Redakteur war (Rasch 5.5).

4,13 Bürstenabzügen] Abdruck eines Schriftsatzes durch ‚Überklopfen‘ des auf den Satz gelegten Papiers mit einer weichen Bürste.

4,15 Beiblatt ,Telegraph‘] Drei- bzw. viermal wöchentlich erscheinen- de, von Wilhelm Speyer (bis Nr. 12. Januar 1837) und Eduard Beur- mann (ab Nr. 13) herausgegebene Zeitschrift, bei der Gutzkow wiederum der ‚eigentliche‘ Redakteur war (Rasch 5.6). Ab 1841 trug die Zeitschrift den Namen „Telegraph für Deutschland“. (→ Lexikon) Gutzkow durfte erst 1841 (bis Dezember 1843) als Redakteur öffentlich genannt werden (Rasch 5.7).

4,23 Buchhändler S t r e n g ] Johann Philipp Streng (1749-1832), Buchhändler in Frankfurt (Buchgasse 10; → Erläuterung zu 4,28-29). Sein Geschäft bestand aus Buch- und Steindruckerei, sowie Landkar-

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-63 tenhandel. Näheres über seine Kontakte mit Gutzkow ist nicht bekannt. Als er 1832 starb, führte sein Sohn Friedrich Reinhard Streng (1792- 1875) die Buchhandlung weiter. Dieser war auch Kommissionär der 1835 von Gutzkow und Wienbarg herausgegebenen „Deutschen Re- vue“ (vgl. HOU, Bd 11, S. 11). (Alexander Dietz: Frankfurter Han- delsgeschichte. Vierter Band, II. Teil, Glashütten 1970, S. 511)

4,28-29 ‚Buchgasse‘] Die Buchgasse (so der Name auch heute noch) in Frankfurt am Main ist die Verlängerung des Kornmarktes in Richtung Süden (Main); schon im Mittelalter war hier (und in der Alten Main- zergasse) das Zentrum des Buchhandels. Zweimal im Jahr fanden Buchmessen statt, bis diese 1750 nach Leipzig verlegt wurden (Die Straßen von Frankfurt am Main nebst Erklärung ihrer Benennungen von Anton Horne. Frankfurt/M. 1895, S. 15; Kurt Wahlig: Das Frank- furter Straßennamen-Büchlein. Frankfurt/M. 1963, S. 33).

4,29-30 wie Correggio] Antonio Allegri, il Correggio (Geburtsort), ital. Maler (1489-1534), der religiöse und mythische Darstellungen gestaltete (Kuppelfresken im Dom zu Parma, Altarbilder). Gutzkow entnahm die Episode Julius Meyers Biographie Correggios (Leipzig 1871) und veränderte sie. Bei Meyer (S. 15) heißt es: „Es sei ihm [Correggio], so erzählt man sich, in Parma eine Zahlung von 60 Scudi in Kupfermünze gemacht worden, damit beladen sei er nach Correggio zu Fuß gegangen; und da er unterwegs bei großer Hitze einen kühlen Trunk Wasser genommen, habe er sich ein heftiges Fieber zugezogen, von dem er nicht wieder aufgestanden. Wie albern ein solches Mär- chen an sich schon ist, ist mit Recht bemerkt worden: eine solche Summe in Kupfer, die wol einer Last von drei bis vier Centnern gleich gewesen wäre, zu schleppen, dazu hätte es eines Goliath bedurft.“

4,34-5,1 und Kühne ist ein ehrenwerther Mann] In der Rede des Mark Antony auf dem Forum in Shakespeares „Julius Caesar“ heißt es: „For Brutus is an honourable man“ (III,2, Vers 88).

5,6-7 „Aus der Knabenzeit“ [...] fortgeführt] Aus der Knabenzeit. Von Karl Gutzkow. Frankfurt/M.: Literarische Anstalt, 1852 (Rasch 2.30). Im Vorwort zur zweiten Auflage (1873; Rasch 1.5.1.1) bemerkt Gutz- kow, dass er die zweite Auflage gänzlich umgearbeitet (S. 10) habe.

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Die Fortsetzung (S. 195-248) bezieht sich auf die Jahre 1821 bis 1829, die in den folgenden Kapiteln dargestellt wird: I. Lehrer-Originale; II. Ersatz und Aufschwung; III. Hinter die Schule gehen; IV. Abschluß.

5,10-11 „Das Kastanienwäldchen in Berlin“] Novellen und Skizzen von Karl Gutzkow. Das Opfer. – Das Kastanienwäldchen bei Berlin. – Aus Empfangszimmern. – Die Wittwe von Bologna. Stuttgart: Hallberger, 1870 (= Lebensbilder, Bd 2; Rasch 2.40.2). → den Kommentar der Ausgabe des Kastanienwäldchens (KaWWW).

5,19 Der Constitutionalismus hatte grade im Lande Baden] Aufgrund der freiheitlichen landständischen Verfassung von 1818 wurde das Erzherzogtum Baden in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt: Dem Erzherzog Karl Ludwig Friedrich wurden zwei Kammern an die Seite gestellt (die erste bestehend aus den Standesherrschaften, die zweite aus 63 gewählten Abgeordneten der Städte und Ämter mit einer Wahlperiode von zwei Jahren). Die nicht von der Regierung beein- flussten Landtagswahlen von 1831 brachten eine starke liberale Mehr- heit. Indes kam es zu keiner positiven Zusammenarbeit zwischen der Regierung (Erzherzog) und den Kammern. Das 1831 erlassene Gesetz zur Pressefreiheit wurde bereits 1832 auf Druck des Deutschen Bundes und Metternichs zurückgenommen. In der Folge verliefen die meisten Initiativen im Sande. Wegen der Streitigkeiten zwischen der Regierung und den Kammern wurden diese wiederholt nach Hause geschickt bzw. aufgelöst (vgl. dazu Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800- 1866. Bürgerwelt und starker Staat. München 1994, S. 334-354; zu Baden dort bes. S. 350-351).

5,22-25 in den neuen Luftströmungen [...] einer [...] unsichtbaren neuen Kirche des freien Geistes] Mystifizierende Anspielung auf den Liberalismus um 1830 und die Folgeerscheinungen.

5,30-31 Burschenschaftsschwärmereien] → Lexikon: Burschenschaft. – Mit dem Zusatz -schwärmereien will Gutzkow das Unrealistische die- ser Bewegung treffen, die politisch unwirksam und in ihren Methoden verfehlt war. Gutzkow grenzt hier die Bestrebungen der Burschen- schaften von den Absichten und Zielen der Julirevolution 1830 ab (vgl. Johannes Prölß: Das junge Deutschland. Stuttgart 1892, S. 244-246).

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5,31 in den Juni- und Julitagen [...] 1830] Die Julirevolution → Lexikon.

5,32 St. Marc Girardin] François-Auguste Saint-Marc Girardin (1801- 1873), franz. Publizist. Der bekannte Intellektuelle und Politiker Girardin war 1826 wegen seiner liberalen Ansichten von der Pariser Universität entfernt worden, fand eine Stelle am Lycée Louis le Grand (→ Erläuterung zu 5,33-34) und war dann insgesamt mehr als 45 Jahre Mitarbeiter des „Journal des Débats“. Nach der Julirevolution 1830 wurde er Professor für Geschichte (später für Literatur) an der Sorbonne als Nachfolger von Guizot. Von 1835 bis 1848 war er Abge- ordneter. 1848 war er für einen Tag Minister im letzten Kabinett der Monarchie, danach war seine politische Laufbahn bedeutungslos. Als Schüler von Hegel und Gans hielt er sich zeitweilig in Berlin auf, wo ihm Gutzkow Deutschunterricht erteilte (→ Briefe aus Paris [1842], Bd 1, S. 58-59). Gutzkow hat 1833 im „Literaturblatt zum Morgen- blatt“ über St. Marc Girardins Arbeit „Cours d’histoire de l’Allemagne“ (Nr. 8 und 9 vom 18. und 21. Januar 1833) berichtet. Das umfangreiche Werk Girardins verzeichnet noch weitere Studien über Deutschland: „Notices littéraire et politiques sur l’Allemagne“ (1834), „Rapport sur l’instruction intermédiaire en Allemagne (2 Bän- de, 1835-1838). (Pierre Larousse, Grand Dictionnaire Universel. Paris 1865-1876, Bd 14, S. 76-77)

5,33-34 pariser Collège Louis le Grand, der Vorstufe zur Sorbonne] Collèges (ursprünglich Wohnheime für bedürftige Studenten mittelal- terlicher Universitäten) sind seit dem 17. Jahrhundert wichtige Institu- tionen zur (vor allem altsprachlichen) Vorbereitung auf die ‚eigent- lichen‘ Universitätskurse. Das nach Ludwig XIV. (1643-1715) be- nannte „Collège [bzw. Lycée] Louis le Grand“ führte unmittelbar zu einem Studium an der Sorbonne hin und ist auch heute noch eines der traditionsreichsten Pariser Gymnasien mit höchstem intellektuellem und sozialem Prestige. – Die Sorbonne, älteste Universität von Paris, deren Name auf das 1257 von dem Domherrn Robert de Sorbon (1201- 1274) gegründete Internat als Studienort für mittellose Theologiestu- denten zurückgeht, war im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit die unangefochtene Autorität für theologische und kirchenrechtliche Fra- gen und geistiger Mittelpunkt Frankreichs.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) VII-66 RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN (APPARAT)

6,3-4 Journal des Débats] 1789 zur Berichterstattung über die Sitzun- gen der Nationalversammlung gegründete, zweimal täglich erschei- nende politische Zeitung mit gemäßigt republikanischer Richtung. Seit 1800 publizierte das „Journal des Débats“ als erste europäische Zei- tung regelmäßig so genannte „Feuilletons“, Artikel ‚unter dem Strich‘, Literatur, Theater, Kunst, Musik und Wissenschaft betreffend, die bis zu einem gewissen Grade ähnliche Interessen des Jungen Deutschland initiierten (vgl. Helga Brandes: Die Zeitschriften des Jungen Deutsch- land. Eine Untersuchung zur literarisch-publizistischen Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Opladen 1991, S. 132-135; Ruth Jacoby: Das Feuilleton des ‚Journal des Débats‘ von 1814-1830. Ein Beitrag zur Literaturdiskussion der Restauration. Tübingen 1988).

6,4-5 die Thiers’schen Tage von Versailles] , der sich häufig am Hofe in Versailles aufhielt, stand in hohem Ansehen bei Louis Philippe, der ihn zum Staatsrat (1830/31) ernannte. → auch Erläuterung zu 6,18.

6,5 Fürst Polignac] Jules Armand Marie (erst Graf, dann) Fürst von Polignac (1780-1847; → Lexikon); als Leiter des Auswärtigen und des neuen Kabinetts betrieb und unterzeichnete er die „Ordonnanzen“ vom 25. Juli 1830, die die Julirevolution auslösten. Polignac wurde im Dezember 1830 von dem neuen Regime zu ewigem Gefängnis und bürgerlichem Tod verurteilt, kam 1836 durch Amnestie wieder frei und lebte anschließend im Exil in England.

6,6-7 liberale Minorität der 221] Als sich Karl X. in seiner Thronrede am 2. März 1830 unter Berufung auf Artikel 14 der Verfassung über bestimmte Rechte hinwegzusetzen versuchte, plädierten am 18. März 221 (gegen 181) Abgeordnete der Kammer für die von Théophile Gau- tier verfasste „Adresse“ zugunsten der Verfassung, was einem Miss- trauensantrag dem Ministerium gegenüber gleichkam. Nach der Vertagung der Kammern am 19. März auf den 1. September 1830 wurden am 16. Mai durch den König die Kammern aufgelöst und Neuwahlen angeordnet. Danach verfügte das Ministerium Polignac nur über 145, die Opposition über 272 Stimmen, unter denen sich 202 Abgeordnete der Abstimmung vom März befanden.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-67

6,11-12 des Kotzebue’schen „Vielouissêer“] August von Kotzebue: Der Vielwisser. Lustspiel in fünf Aufzügen. Leipzig 1817. – Kotzebue (1761-1819; → Lexikon) war neben August Wilhelm Iffland einer der erfolgreichsten Bühnenautoren seiner Zeit. Er verfasste etwa 200 Me- lodramen und Lustspiele, hinter denen seine Erzählungen und Ge- schichtsstudien zurücktreten. – Neben seiner Tätigkeit als Literat spielte Kotzebue auch in der Politik seiner Zeit eine Rolle. Seit 1780 war er Advokat am Hof von Weimar. Anschließend trat er in den russi- schen Staatsdienst ein (1781-1790) und lebte zwischen 1797 und 1799 als Bühnenautor in Wien. Nachdem er nach Russland zurückgekehrt war, musste Kotzebue 1800 aufgrund eines seiner Dramen kurzzeitig nach Sibirien in die Verbannung, wurde jedoch später rehabilitiert und zum Leiter des Deutschen Theaters in Petersburg ernannt. 1813 kehrte er als Generalkonsul ins preußische Königsberg zurück. Ab 1816 wie- der in Petersburg, bereiste Kotzebue 1817 im Dienst Zar Alexanders I. Deutschland. Seine 1818 von ihm selbst gegründeten „Literarischen Wochenblatt“ geäußerten reaktionären Vorbehalte gegen die deut- schen Burschenschafter (→ Lexikon) sowie seine politischen Aktivitä- ten führten 1819 in Mannheim zu seiner Ermordung durch den Burschenschafter Karl Ludwig Sand.

6,13 „Hotel de Rome“] in Berlin „Unter den Linden“, Ecke Charlot- tenstraße, gegenüber der Kunstakademie.

6,17 Friedensschluß von Frankfurt am Main] Der Friedensschluss von Frankfurt beendete am 10. Mai 1871 den Deutsch-Französischen Krieg. Gemäß den Bedingungen des Versailler Vorfriedens vom 26. Februar 1871 musste Frankreich das Elsass und östliche Teile Lothringens an das Deutsche Reich abtreten und fünf Milliarden Frs. Entschädigung zahlen.

6,18 Thiers] Adolphe Thiers (1797-1873; → Lexikon), franz. Politiker und Historiker, unter Louis Philippe 1836 und 1840 Ministerpräsident und Außenminister. Als gemäßigter Republikaner bekämpfte er später das Kaiserreich III.; seit 1871 Präsident der Dritten Repub- lik, 1873 zurückgetreten.

6,19-20 in den neuesten Unglückstagen Frankreichs] Nach der Nie- derlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) VII-68 RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN (APPARAT)

6,20 Präsidenten der Republik] Adolphe Thiers (→ Erläuterung zu 6,18).

6,23 Ordonnanzen] Die von Karl X. (1824-1830) am 25. Juli 1830 erlassenen sog. Juliordonnanzen waren der Auslöser der Revolution von 1830 (→ Lexikon: Julirevolution). Sie bezogen sich 1. auf die Wiederherstellung der Zensur, 2. auf die Auflösung der Abgeordneten- kammer und 3. auf die Bekanntmachung einer neuen Wahlordnung, die die bisherigen Rechte wesentlich einschränkte.

6,24-25 siegten die 221 durch eine Erhebung des französischen Vol- kes] Bei den Neuwahlen im Mai 1830 (→ Erläuterung zu 6,6-7).

6,25 Louis Philippe] Louis Philippe (1773-1850; → Lexikon), Sohn des Herzogs Philipp von Orleans, wurde 1793 nach der Hinrichtung des Vaters Herzog von Orleans. Während der Restauration sympathi- sierte er mit der liberalen Opposition und wurde nach der Julirevoluti- on durch Kammerbeschluss vom 7. August 1830 zum König der Franzosen („Bürgerkönig“) gemacht. Er regierte, gestützt auf das liberale Großbürgertum, im Geist des ‚Juste-Milieu‘ (→ Lexikon) mit zunehmenden konservativen Tendenzen bis 1848. Die Verschleppung der Wahlrechts- und Parlamentsreform von 1848 führte zu seinem Sturz.

6,26-29 die Bourbons] Seit dem 14. Jh. Herrschergeschlecht in Frank- reich, mit Unterbrechungen bis 1830 mit Karl X. (1824-1830) als letz- tem König aus dem Hause Bourbon.

6,30 Hegel und seine Schule] Aus dem Kontext folgt, dass Gutzkow hier über das Jahr 1830 spricht und dabei eigentlich die Schüler He- gels in dieser Zeit meinen müsste. Bei der Niederschrift 1874 scheint er indes die dreißiger Jahre insgesamt im Blick gehabt haben und an die Gliederung der Hegel’schen Schule in Rechtshegelianer oder Althege- lianer gedacht zu haben, die als Schüler Hegels noch unmittelbaren Kontakt mit diesem hatten (H. F. W. Hinrichs, H. B. Oppenheim, J. E. Erdmann), einen monarchistisch-nationalliberalen Standpunkt vertra- ten und die Hegel’sche Religionsphilosophie mit der christlichen Theologie in Einklang zu bringen versuchten, und Linkshegelianern

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-69 oder Junghegelianer (B. Bauer, L. Feuerbach, D. F. Strauß, A. Ruge u. a.), die wenig oder keinen Kontakt mehr mit Hegel hatten, demokra- tisch-liberale und sozialistische Standpunkte vertraten und die He- gel’sche Religionsphilosophie dem Pantheismus, ja Atheismus, annäherten.

6,31 gegen die Demagogie] (‚demagoge‘: [griech.] ‚Volksführer‘) während der Restaurationszeit verwendetes Schlagwort für die Anhän- ger liberaler und nationaler Strömungen. Die „Karlsbader Beschlüs- se“ (→ Lexikon) von 1819 erließen Maßnahmen gegen diese Bewegun- gen. Seit 1824 bestand in die „Zentraluntersuchungskommissi- on“ gegen ‚revolutionäre Umtriebe‘, deren Tätigkeit zur Verurteilung und Inhaftierung zahlreicher ‚Demagogen‘ führte (→ Lexikon: Dema- gogenverfolgung). Nach 1830 wurden die betreffenden Maßnahmen noch verstärkt.

7,3 Flügeltelegraph] Der Erfinder des Flügeltelegraphen war der Franzose Claude Chappe (1763-1805), nach dessen Plänen 1793/94 die erste Linie zwischen Paris und Lille eingerichtet wurde. Für das Durchlaufen der 225 km langen Strecke benötigte eine Nachricht ca. zwei Minuten. Durch die Winkelstellungen (45°, 90°, 135°, 180°, 225°, 270°, 315°) dreier Flügel und eines Balkens (Regulator) wurden Zah- len gebildet, denen Worte zugeordnet waren. Die Zahlen wurden über eine Vielzahl von Stationen, die sich in Sichtweite befanden, weiterge- geben und am Ende der Linie von dem ‚Telegraphisten‘ entschlüsselt. Die Dauer der Sendung einer Nachricht vom Beginn der ‚Leitung‘ in Koblenz bis zum Ende in Berlin betrug ca. 15 Minuten. Gutzkow irrt sich hier jedoch in der Jahreszuordnung: Die erste Telegraphenlinie wurde in Preußen erst 1832 – nicht 1830 – eingerichtet, die Linie nach Koblenz bestand erst seit 1833. − Karl Immermann hat die Arbeitswei- se eines solchen Telegraphen aus eigener Anschauung in seinem Tage- buch von 1836 beschrieben: „Das System der Mittheilungen ist ziemlich einfach. Die obersten beweglichen Seitenarme des Schriftbal- kens bedeuten nach den verschiednen Winkeln, welche sich mit ihnen bilden laßen, E i n e r , die mittleren Z e h n e r , die untersten H u n - d e r t e r (oder umgekehrt; das ist mir entfallen.) So werden Zahlen geschrieben, deren jede wieder ein Wort bedeutet, über welches Wor- talphabet auf jedem Telegraphen die Urkunde beruht. Dieß ist die

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) VII-70 RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN (APPARAT)

Schrift des öffentlichen, jedem Telegraphisten bekannten Schlüssels. Nun aber giebt es auch noch einen Geheimschlüssel, den bloß die Directoren an den beiden Endpunkten der Linie in Coblenz u. Berlin kennen. Jede Depeche wird zuvörderst durch ein Attentionszeichen annoncirt, womit zugleich das verbunden ist, welches entweder den öffentlichen oder den Geheimschlüßel, worin sie expedirt wird, ver- kündet. Ist dieses Zeichen auf der ganzen Linie bis zu deren Endpunkte gelangt, so beginnt die Depeche, deren Schluß wieder durch ein be- sondres Schlußzeichen marquirt wird. Darauf folgt die Empfangsbe- scheinigung von dem Punkte, wohin die Depeche gesandt wurde. Giebt es sonst nichts zu expediren, so muß doch alle Viertelstunden eine Frage, ob es nichts dergleichen gebe, über die ganze Linie gesendet werden. Über die expedirten Depechen führt der Telegraphist ein Journal. Im Zimmer sind nach Ost und West zwei Wandöffnungen, und in jeder derselben ist ein Fernrohr eingelaßen, wodurch die Nachbarn Ost u. Westwärts beobachtet werden. Zwischen diesen Fernröhren bewegte sich der Telegraphist hin u. her, und hat die Verpflichtung, ich weiß nicht wie oft in der Minute seine Blicke nach der einen und an- dern Seite zu richten. Jede Vernachläßigung dieser Obliegenheiten wird mit Ordnungsstrafen belegt.“ (Karl Immermann: Zwischen Poe- sie und Wirklichkeit. Tagebücher 1831-1840. Nach den Handschriften unter Mitarbeit von Bodo Fehlig hg. von Peter Hasubek. München 1984, S. 302-303).

7,3-4 meiner Geburtsstätte] Sein Geburtshaus und dessen nähere Um- gebung beschreibt Gutzkow ausführlich in seiner autobiographischen Schrift Aus der Knabenzeit (vgl. GE, Bd 7, S. 20-23).

7,9-10 eine goldne Medaille [...] für die Lösung einer akademischen Preisaufgabe] Das Ereignis wird von Gutzkow auch in Vergangenheit und Gegenwart beschrieben (vgl. GE, Bd 8, S. 89). Im Kastanienwäld- chen in Berlin nennt er den Titel De Diis fatalibus (GE, Bd 8, S. 19, offenbar in verkürzter Form). In der Universitäts- und Stadtbibliothek Frankfurt befindet sich eine Abschrift der Arbeit v. fr. H. Ein Auszug aus der Dissertation nach dem Teildruck in Beurmann’s Telegraph von 1837 (Rasch 3.37.07.26) in HU, Bd 1, S. 505-517: ‹De diis fatalibus› 1830. Über die Schicksalsidee der alten Welt. Erster Artikel.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-71

7,13 die anbrechende große Zeit] Anspielung auf die Zeit nach der Julirevolution (→ Lexikon) in Deutschland. Gutzkow schreibt über die Wirkung der Revolution auf ihn selbst und die Zeitgenossen: Der Kronprinz lächelte; aber alle, die Zeitungen lasen, wußten, daß in Frankreich eben ein König vom Thron gestoßen wurde. Der Kanonen- donner zwischen den Barrikaden von Paris dröhnte bis in die Aula nach. Boeckh sprach von den schönen Künsten, aber niemand achtete diesmal seiner gedankenreichen Wendungen und klassischen Sprache [...] ich stand betäubt an dem Portal des Universitätsvorhofes [...] Ich lief dann [...] zu Stehely [→ Lexikon] und nahm zum ersten M a l e eine Zeitung vors Gesicht. Nie war das meine Gewohnheit gewesen. Die Stunde, wo die Staatszeitung desselben Abends erschien, währte mir unendlich lange; [...] ich wollte nur wissen, wieviel Tote und Verwundete es in Paris gegeben, ob die Barrikaden noch ständen, ob noch die Lunten brennten, der Palais des Erzbischofs rauchte, ob Karl seinen Thron beweine, ob Lafayette eine Monarchie oder Repu- blik machen würde. Die Wissenschaft lag hinter, die Geschichte vor mir. − [...] Es ist nicht ohne Interesse, die Übergänge zu zeichnen, welche in dem akademischen Leben der deutschen Jugend durch die Julirevolution gezeitigt wurden. Aus einem allgemeinen und von leeren Überlieferungen befruchteten Idealismus wurden die jugendlichen Gemüter plötzlich auf ein bewegtes Feld unmittelbarer Tagesaufregun- gen versetzt [...] Ja, als die täglich sich mehrenden politischen Ein- drücke selbst auf deutsche Verhältnisse verwirrend übergingen [...], da mußte sich dem bisherigen allgemeinen träumerischen Tasten ins Blaue hinein eine von den Tagesumständen bedingte Präzision und Sicherheit mitteilen, die den ganzen Ideenkreis, der der deutschen Jugendbildung vor 1830 zum Grunde lag, erweiterte und ihm zu Radi- en und Durchmessern neue Begriffe [...] gab. Das Mittelalter mit sei- nen buntfarbigen Lichtern verlor sich immer mehr in ferne Dämmerung. [...] − Die Literatur nahm damals in fast allen ihren Richtungen die Farbe des Zeitgeistes an. (Vergangenheit und Gegen- wart; GE, Bd 8, S. 89-91)

7,16-17 eine Oberlehrerstelle, die in der That im Jahre 1833 ambirt wurde] Vermutlich bereits 1832 (April) nach der Rückkehr vom ersten Stuttgarter Aufenthalt, da sich Gutzkow im Winter 1832/33 und im Sommer 1833 in Heidelberg und München aufhielt.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) VII-72 RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN (APPARAT)

7,18 Otto Schulz, gewöhnlich Lynkeus genannt] Johann Otto Leopold Schulz (1782-1849), Pädagoge und Schulmann, Verfasser einer ver- breiteten Grammatik des Deutschen und anderer pädagogischer Schriften sowie Herausgeber von Zeitschriften, begann seine pädago- gische Laufbahn 1812 am vereinigten Berlinisch-Köllnischen Gymna- sium in den Fächern Latein, Hebräisch, Mathematik. 1826 wurde er zum Königl. Provinzialschulrat und zum Mitglied des Schulkollegiums von Brandenburg ernannt. Als Student wurde ihm bei Fechtübung das linke Auge ausgestoßen (vgl. Julius Richter: Otto Schulz. Ein Denkmal für seine Nachkommen und seine Freunde. Berlin 1855). – Lynkeus: einer der beiden Söhne des Aphareus, Gegner der Dioskuren, der sehr scharfsichtig war (vgl. auch Goethe: Faust. Zweiter Teil. 5. Akt, Lyn- keus der Türmer).

7,21-22 „Maha Guru. Geschichte eines Gottes“] Maha Guru. Geschichte eines Gottes. Von Karl Gutzkow. Theil 1-2, Stuttgart und Tübingen: Cotta, 1833 (Rasch 2.3).

7,23 Schiller-Goethe-Verleger Cotta] Johann Friedrich Cotta von Cottendorf (1764-1832; → Lexikon), Verleger und Buchhändler in Stuttgart, publizierte zahlreiche Schriften klassischer Autoren, bes. Goethes und Schillers, und stand deshalb als Verleger in hohem Anse- hen. 1832 übernahm sein Sohn Johann Georg (1796-1863) den Verlag.

7,25 Wolfgang Menzel] → Lexikon.

7,26-27 in seinen „Gesammelten Werken“ Band I. S. 243] Gemeint ist Aus der Knabenzeit in der Costenoble-Ausgabe von 1873 (GWII, Bd 1).

7,28-29 „Literaturblatt“] das „Literaturblatt“ zum „Morgenblatt für gebildete Stände“; → Lexikon: Menzel.

7,30 Stadt Bahlingen] Am Fuße der schwäbischen Alp gelegene, 1255 von den Grafen von Zollern gegründete Kreisstadt.

7,32 Wolfgang Menzel Memoiren] Denkwürdigkeiten. Hg. von dem Sohne Konrad Menzel, Bielefeld, Leipzig 1877.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-73

8,4-5 Schüler des ersten Theils vom „Faust“] Vgl. Goethe: Faust. Stu- dierzimmer, Vers 1868 ff.

8,7 Stuttgarts classischem Boden] → Erläuterung zu 7,23 (Cotta).

8,9-10 Schüler vom z w e i t e n Theil des „Faust“] Vgl. 2. Akt (Hoch- gewölbtes enges, gotisches Zimmer), Auftritt des „Baccalaureus“, Vers 6689 ff.

8,13-14 „Fahr hin, Originalgenie, in deiner Pracht!“] Goethe: Faust. Zweiter Teil. 2. Akt, Vers 6807: „Original fahr hin in deiner Pracht! –“

8,16-17 Menzel als Goetheverächter und rücksichtsloser Verurtheiler der damaligen Modebelletristik] → Lexikon.

8,20-21 Tirocinium] (lat.) eigentl. erster Soldatendienst; hier: das erste Auftreten vor dem Publikum. Vermutlich steht der Gebrauch dieses Begriffs im Zusammenhang mit Otto Schulz (→ Erläuterung zu 7,18), der eine Schrift mit dem Titel „Tirocinium“ veröffentlichte.

8,27 Heinrich Laube] → Lexikon. Sein (sich wandelndes) Verhältnis zu Gutzkow hat er in zahlreichen Äußerungen und Kritiken niedergelegt. Vgl. Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Hg. von H. H. Houben, Leipzig 1908-1909, Bd 50 (Personenregister).

8,30 neben der Turnerei] Friedrich Ludwig Jahn („Turnvater Jahn“, 1778-1852; → Lexikon), war der Gründer der deutschen Turnbewe- gung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Neben der Entwicklung des Turnens allgemein (Fechten, Schwimmen, Laufen, Spiel, Tanz usw. mit volkstümlicher Tendenz) hatte die Bewegung eine politische Bedeu- tung, die in der Stärkung der physischen und moralischen Kraft des deutschen Volkes gegen die Herrschaft Napoleons bestehen sollte. Der erste Turnplatz Deutschlands war die „Hasenheide“ bei Berlin (1811). Darüber hinaus war Jahn 1815 Mitbegründer der Burschenschaft. Ein Prozess wegen politischer Betätigung endete 1825 mit dem Freispruch Jahns. Mit dem Prozess im Zusammenhang stand die weit gehende Schließung der Turnplätze in Deutschland.

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) VII-74 RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN (APPARAT)

8,32 carlsbader Beschlüsse] → Lexikon: Karlsbader Beschlüsse.

9,1 Kurtka] mit Pelz besetzter Waffenrock der polnischen Lanzenreiter.

9,6 der grimme Hagen] Anspielung auf Wolfgang Menzel → Lexikon; im „Nibelungenlied“ wird Hagen als der „grimme Hagen“ tituliert.

9,9 „Zeitung für die elegante Welt“] → Lexikon.

9,9-11 dies der sächsischen Hofrathsbelletristik abgewonnene Lau- be’sche Terrain] Hier sind die in der von Theodor Hell (= Karl Gott- lieb Theodor Winkler) und Friedrich Kind herausgegebenen Dresdener „Abendzeitung“ erschienenen Beiträge belletristischer Natur gemeint. Laube (→ Lexikon) übernahm 1833 die „Zeitung für die elegante Welt“ (→ Lexikon) als Redakteur, gab dieser ein neues Profil und schuf damit ein Gegengewicht gegen die „Abendzeitung“.

9,12 im Stil desultorischen Artikel] ▄Welche Artikel Gutzkow meint, ist schwer nachzuvollziehen.▀ Möglicherweise handelt es sich um die unter der von Laube geschaffenen Rubrik der "laufenden Geschichte" publizierten Beiträge in der „Zeitung für die elegante Welt“ (→ Lexi- kon ).

9,22 1833 las ich Heinrich Laubes „Junges Europa“] Heinrich Laube: Das junge Europa. Roman in drei Theilen (= 5 Bde). Leipzig, Mann- heim 1833-1837. – Der erste Teil der Romantrilogie – „Die Poeten“ – erschien 1833, der zweite – „Die Krieger“ – und der dritte Teil – „Die Bürger“ – folgten 1837. Der Roman (der 1. und 3. Teil sind in Brief- form, der 2. in chronologischem Berichtstil verfasst) schildert das Lebensgefühl der jungen Generation um 1830. Der Wandel von illu- sionären liberalen, zum Teil vom Saint-Simonismus beeinflussten Vor- stellungen und Erwartungen zur Prosa bürgerlich nüchterner Alltäg- lichkeit unter dem Verlust der erstrebten Ideale tritt bereits am Ende des zweiten Teils andeutungsweise zutage und wird im dritten Teil vollends erzählte Wirklichkeit. Am Schluss zieht sich Valerius in ein stilles, idyllisches Tal zurück, wo er sich an der Seite eines geliebten Mädchens mit einem bürgerlichen Glück und einem unpolitschen Da- sein abseits der Gesellschaft begnügt, während sich für Hippolyt die

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) ZEITSCHRIFTENDRUCK (APPARAT) VII-75

Utopie des freien Landes Amerika in ihr Gegenteil verkehrt. – → auch Lexikon: Laube.

9,23 auf den Wellen des schönen Gardasee] Gutzkows Reise durch Österreich und Oberitalien mit Laube (→ Lexikon) und einem weiteren Reisebegleiter begann am 4. August 1833 in München und endete mit der Rückkehr Gutzkows nach Berlin am 14. September 1833. Gutzkow und Laube haben diese Reise mehrfach beschrieben. Zunächst lieferte Gutzkow darüber eine Artikelserie mit dem Titel Reiseskizzen im „Morgenblatt“ (Rasch 3.33.11.06, 3.34.01.01), anschließend in den Soireen. Erster Theil (Rasch 2.9.1) in veränderter Form (S. 5-255; die Passage über den Gardasee S. 91-109). Die ‚Reiseskizze‘ Peschiera in Die schöneren Stunden (1869, S. 1-15) schildert einen Teil der Reise nach Italien aus dem Jahre 1858, in welche erinnernd Rückblicke auf die Reise von 1833 eingefügt sind (vgl. auch Proelß: Das Junge Deutschland, S. 337-349). – Laube berichtet über die Reise in den sog. „Reisenovellen“, verfasst 1834 bis 1837 in sechs Bänden (vgl. Hein- rich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Hg. von H. H. Hou- ben, Leipzig 1908-1909, 4.-6. Bd). In literarisierter, novellenartiger Form beschreibt Laube hier seine Italienreise von 1833. Der Abschnitt über den „Gardasee“ eröffnet den zweiten Band der „Reisenovellen“. Gutzkow wird nur am Rande in verschlüsselter Form erwähnt. Eine ausführliche Charakterisierung widmet Laube Gutzkow in dem Ab- schnitt über München (Bd 4, S. 184-185). – In den „Erinnerungen“ geht Laube in knapper Form auf diesen Teil der Reise ein, wobei inte- ressant ist, dass er die Unterschiede zwischen sich und Gutzkow deut- lich artikuliert (vgl. Bd 40, S. 193-194).

9,24-25 (Prototyp späterer Freytag’scher Matadore)] In Heinrich Lau- bes Roman „Das junge Europa“ (→ Erläuterung zu 9,22) ist Hippolyt der Typus des liberalen Bürgers, der seine Betätigung allerdings stär- ker in galanten Liebesabenteuern sucht als in der Politik, wo er mehr praktisch auf seine eigenen Vorteile bezogen denkt und handelt als seine Freunde mit ihrem zum Teil systematisch-revolutionären Pathos. Nach Aufenthalten in Paris (System Louis Philippes) und Belgien be- gibt er sich auf der Suche nach einer neuen Lebensform über das poli- tisch, wirtschaftlich und sozial enttäuschende England nach Amerika, wo er (ebenfalls enttäuscht) gewaltsam ums Leben kommt. Hippolyt als

 EDITIONSPROJEKT KARL GUTZKOW, PETER HASUBEK, GÖTTINGEN 2000/2001 (F. 1.0) VII-76 RÜCKBLICKE AUF MEIN LEBEN (APPARAT)

Vorwegnahme Freytag’scher Matadore zielt auf Figuren in Freytags epischen und dramatischen Werken. Die Allgemeinheit der Aussage läßt aber keine genauere figurenbezogene Identifizierung zu. Vielleicht denkt Gutzkow u. a. an den liberalen Redakteur Konrad Bolz in „Die Journalisten. Lustspiel in vier Akten“ (1854).

9,29-30 zu zwei Bändchen „Novellen“ [...] eine Vorrede] Novellen. Von Karl Gutzkow. Band 1 und 2. Hamburg: Hoffmann & Campe, 1834, S. V-XXII (Rasch 2.4; NoWWW, S. 3-11).

9,32-10,12 „Der junge Poet [...] dazu sagen würde“] Zitate geändert und z. T. stark gekürzt (→ Vorrede. In: Novellen, Bd 1, S. VIII-X; NoWWW, S. 4-5).

10,4 Theodor Hell] Pseudonym für Karl Theodor Gottlieb Winkler (1775-1856), Dramatiker, Lyriker und Erzähler; seit 1814 Intendant und Regisseur an verschiedenen Theatern in Dresden und Leipzig. Mit seiner Lyrik erzielte er Erfolge beim zeitgenössischen Publikum, eine besondere Bedeutung erlangte er vor allem durch mehr als 100 Bearbeitungen vor allem franz. Stücke sowie durch eine Vielzahl eigener Theaterstücke („Dramatisches Vergißmeinnicht“, 1823-1849). Außerdem war er ein äußerst produktiver Mitarbeiter an Taschenbüchern und Almanachen. 1817 bis 1843 hatte er eine führende Position beim „Dresdener Lieder- kreis“ inne, einer Hochburg der trivialen Pseudoromantik.

10,4 Borromäus von Miltitz] Carl Borromäus Alexander Stephan von Miltitz (1780-1845), Erzähler, Lyriker und Komponist („Der Bergmönch“, 1830; „Wie man lieben muß“, Singspiel, 1815). – Als Erzähler wählte er Stoffe aus der Welt des kleinen und mittleren Adels, vor allem aber aus dem militärischen Bereich. Seine Erzählungen besitzen eine gewisse Affi- nität zu den späten Novellen Tiecks, Jean Pauls und der ritterlichen Epik Fouqués, deren Qualitätsniveau sie aber nicht erreichten.

10,6 Fürst Pückler] Hermann Ludwig Heinrich, Fürst (seit 1822) von Pückler-Muskau (1785-1871), Reiseschriftsteller (England, Algerien, Griechenland, Ägypten), der durch seine Lebensform (Dandy, Flaneur, Abenteurer) in seiner Zeit Aufsehen erregte und mit seinen Büchern großen Erfolg hatte.

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10,8-9 der pariskundige Herausgeber der „Gegenwart“] Paul Lindau stu- dierte in den Jahren 1859-1862 in Paris. Hier erwarb er sich gute Kennt- nisse der franz. Literatur und stand in Kontakt mit namhaften franz. Zeitgenossen. Er verfasste Übersetzungen aus dem Französischen, schrieb Kulturfeuilletons und Korrespondenzberichte für deutsche Zeitungen und sammelte Material für seine Dissertation über Molière, die 1871 erschien.

10,10 Jules Janin] Jules Janin (1804-1874), franz. Kritiker („Kritiker- fürst“) und Romancier; seit 1836 Feuilletonist beim „Journal des Débats“, wo er eine spezifische Form der Kritik entwickelte, die gro- ßen Anklang fand. Neben Kritiken und Romanen veröffentlichte er Novellen, Reisebilder und Länderbeschreibungen: „L’âne mort et la femme guillotinée“ (1829), „Barnave“ (1831), „Le chemin de travers“ (1836), „Voyage en Italie“ (1839), „La Bretagne historique“ (1844), „Histoire de la Littérature dramatique“ (6 Bde, 1853).

10,12 Paulus in Heidelberg] Heinrich Eberhard Gottlob Paulus (1761- 1851), protestantischer Theologe, 1811-1844 Professor und Geheimer Kirchenrat in Heidelberg. Er war ein Vertreter des rein verstandesmäßi- gen Rationalismus; seine Erklärung der biblischen Wundererzählungen als völlig natürliche Ereignisse wurde von Strauß als unhaltbar widerlegt.

10,17-18 kränkende Abstrafung] Ein entsprechender Brief Menzels konnte nicht nachgewiesen werden; vgl. auch Proelß, Das junge Deutschland, S. 355; Houben, Gutzkow-Funde, S. 39).

10,19 Literaturblatt (zum „Phönix“ in Frankfurt am Main)] Phönix. Frühlingszeitung für Deutschland. Hg. von Eduard Duller. Mit einem Literatur-Blatt von Karl Gutzkow. Frankfurt/M.: Sauerländer, 1835 (Rasch 5.2). Die von Gutzkow allein verfassten Nummern des „Lite- ratur-Blattes“ 1-33 (ohne Nr. 32) erschienen wöchentlich in der Zeit vom Januar 1835 bis zum 22. August 1835.

10,23 „Wally, die Zweiflerin“] Wally, die Zweiflerin. Roman von Karl Gutzkow. Mannheim: Löwenthal 1835 (Rasch 2.6). → den Anhang der betreffenden Ausgabe des Romans (WaWWW, Kommentar).

10,25 Bücherpolizei] Zensur (→ Lexikon).

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