DON JUAN ODER DIE LIEBE ZUR HAUSMUSIK -KRITIK IN EDUARD MORIKES ERZAHLUNG ,,MOZART AUF DER REISE NACH PRAG"

Vorab sind zwei Fragen zu klfiren. Erstens: warum hat M6rikes Mo- zart-Novelle fiberhaupt etwas mit Wagner zu tun? Und zweitens: welchen Erkenntnisgewinn verspricht das Wissen, dab eine der wichtigsten nach- romantischen Ktinstlemovellen Mozart im Titel fohrt und Wagner be- trifft? Der hohe Rang der M6rikeschen Novelle in der Erz/ihlkunst des 19. Jahrhunderts ist von diesem Wissen nicht abhfingig; er ist 1/ingst unbestrit- ten. Und das Versffmdnis der Erzfihlung war bisher keinesfalls so liicken- haft, dab man auf einen Schliissel for alle Geheimnisse hfitte warten miissen, 2 heige dieser Schltissel auch Wagner. Zur ersten Frage: warum hat die Mozart-Novelle etwas mit Wagner zu tun? Der Mozart der Erzfihlung ist auf der Reise zur Uraufffihrung desDon Giovanni in Prag. Bei einer unfreiwilligen Zwischenstation spielt er seinen Gastgebern Stiicke aus der neuen Oper vor. Es schlief3t sich ein Kunstge- spr~ich an, in dessen Verlauf Mozart/iugert: ,,Je nun, im Laufder nfichsten sechzig, siebzig Jahre, nachdem ich lang fort bin, wird mancher falsche Prophet aufstehen".3 Man kann nachrechnen: genau 60 Jahre nach dem Don Giovanni, 1847, komponierte den . Wag- ner war, das haben die M6rike-Kommentatoren l~ngst festgestellt, der Vornehmste unter den prophezeiten falschen Propheten. Mehr steht zu- nfichst von Wagner nicht in der Novelle. Den M6rike-Forschem ist allerdings bislang ein philologisches Detail entgangen, das in einem viel umfanglicheren Sinne den M6rikeschen Text mit dem Thema ,,Wagner" in Verbindung bringt. M6rikes Freund David Friedrich Straul3 ver6ffentlichte 1851 die Lebensgeschichte des friihver- storbenen Freundes Christian Mfirklin, in der bis in Details hinein die Schltisselszene von M6rikes Novelle vorgebildet ist: die musikafische Soir6e Nimlich, an die sich die Ahnungen vom fnlihen Tod der Zentralfigur anschliegen.4 Private musikalische Auffiihrungen vor allem Haydnscher, Mozartscher und Beethovenscher Musik, wie sie Straug im Christian Miirklin schildert, geh6rten zur hfiufigen Praxis eines Freundeskreises,5 an dem neben Strauf3 auch M6rike Anteil hatte und der die Wagner-Gegner- schaft gewissermaBen systematisch betrieb, man unterhielt z.B. Verbin- dungen zu Franz Lachner in Mfinchen. Diese Wagner-Gegnerschaft blieb nicht wirkungslos. Nietzsche h~tte sich sonst schwerlich in seiner ersten ,,Unzeitgemfigen Betrachtung" gerade mit den musikalischen Auffassun- gen des ,,Bildungsphilisters" Strauf3 befaBt und zur grogen Genugmung Richard Wagners so schonungslos mit ihnen abgerechnet. 7 M6rikes Mo- zart stammt also aus einer musikalischen Clique, die selbst der Wagneria- net Nietzsche ernst genug nahm, um sie zu verh6hnen. Noch ein anderer Punkt der Straugschen ,,Quelle" fOr M6rikes Mozart 248 Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike ist interessant. Straug beschreibt im Christian Miirklin das Leben und den frfhen Tod eines Mannes, der mit seinem politischen Engagement 1848 ein geradezu prototypisches Scheitern erlebt hat. Das weckt eine Reihe von Assoziationen: in der Mozart-Novelle spielt der Vorabend der Franz6si- schen Revolution eine betr/ichtliche RoUe. Die Abfassungszeit der No- velle fallt in das Tief der nach-achtundvierziger Depression. In den Kon- text von 1848 geh6ren aber auch Richard Wagners Schriften ,,Die Kunst und die Revolution", ,,Das Kunstwerk der Zukunft" und ,,Oper und Drama". Diese flfichtigen Hinweise genfigen vielleicht schon, um damit auch die zweite vorbereitende Frage zu beantworten: welchen Erkenntnisgewinn das Thema Wagner-Kritik in M6rikes Mozart-Novelle verspricht. Man kann es in symbolischen Jahreszahlen ausdrficken: durch Mozarts Don Giovanni ist die Epoche yon 1789 angesprochen. 1848 ist der Schatten fiber der Entstehungszeit von M6rikes Novelle. Nietzsches Strauf3-Kritik bezieht sich auf die ,,Kulturbarbarei" der Grfindungsbfirger von 1871, denn M6rike war, was Wagner anbelangt, ein Gesinnungsgenosse von Stmug. M6rikes Mozart-Novelle rfickt demnach ins Zentrum einer lml- turgeschichtlichen Epoche, die mit den - man kann so sagen - groBen bfirgerlichen Daten von 1789 und 1871 bezeichnet ist. Das heiBt natfirlich nicht, dab M6rikes Novelle auch nur ann~hernd zu allen grunds~tzlichen Problemen Stellung nimmt, die die Geistesverfassung dieses kulturge- schichtlichen Abschnitts pr~gen. Vielmehr stellt sichjetzt erst die eigentli- che Frage, welches Problem die Erz~ihlung nun tats~chlich aufgreift und wie sie es behandelt. Der Weg zur Antwort ist einfach: ich stelle M6rikes eigenen Mozart zwischen den Mozart von 1787 und den Wagner von 1850. Zun~chst also Mozart: das Finale des Don Giovanni. Der Steinerne Gast ist geladen, die Tafel ist gedeckt, Don Giovanni fordert seine Musikanten auf, mit der Tafelmusik zu beginnen. Er verspricht ihnen ,,ffirstliche Belohnung" ffir ihre,,frohen Weisen", 7 vielleicht well er weiB, dab es die letzte Tafelmusik in seinem Hause sein wird under die Belohnung nicht mehr bezahlen mu8. Undenkbar ist eine solche Ironie Mozarts nicht, der ja genug Erfahrung mit ffirstlichen Hausmusiken hatte. Zur Musik seiner Hausmusikanten probiert Don Giovanni genieBerisch die Speisen. Man weiB von einem frfiheren Fest im Hause Don Giovanni, dab der Herr kein Hungerleider ist. Um Zerlina zu verfiihren, hatte er damals sogar die Bauern eingeladen zu ,,Schokolade, Kaffee, Wein und Speisen," zu ,,Gefrornem" und ,,Konfekt".8 Heute, ffir den Steinernen Gast, gibt es ,,Fasan", vielleicht nur als prfifiminarischen Gang, und ,,exzellenten Marzimino". 9 Don Giovanni genieBt. Mehr noch als die Speisen allerdings genieBt er den Anblick seines Dieners. Leporello muB seinen Herrn mit ,,Appetit" essen sehen und dabei ,,Hunger" leiden. Wenn auch Leporello nicht der Mann ist, vor Hunger, wie er sagt, zu sterben. Leporello verzehrt seine Portion heimlich, und wieder genieBt es Don Giovanni, den Mundrhuber Leporello bloBzustellen. Schliel31ich eini- Gerhart yon Graevenitz- Wagner-Kritik in MOrike 249

gen sich Herr und Diener darauf, dab alles die Schuld des Koches sei: ,,Ja, mein Koch sucht seinesgleichen/Ihm kann keiner widerstehn". 1~ Den Sinn dieser ersten Szene des Finales - gleich nach dem Preis des Koches tritt Donna Elvira auf, Don Giovanni ein letztes Mal vor seinem Verderben zu warnen - den Sinn dieser ersten Szene hat Mozart an einer Stelle musikalisch besonders stark verdichtet. Don Giovanni sieht den Neid Leporellos und steigert dessen Pein durch den herrischen Befehl ,,Teller"! Leporello gehorcht mit einem ,,zu dienen", und gerade jetzt beginnen die Haus- und Hofmusikanten Don Giovannis ein neues Stiick zu spielen. Sie spielen die Arie des Figaro aus Mozarts eigener OperFigaros Hochzeit Nun vergiB leises Flehn, stiges Kosen Und das Flattern yon Rose zu Rosen; Du wirst nicht mehr die Herzen erobern, Ein Adonis, ein kleiner NarziB.11

Das klingt wie eine Art musikalischer Solidaritat der musizierenden mit den servierenden Dienern. Der Herr m6ge nur Musik, Teller und Frauen befehlen. Wenn die Diener gehorchen, wissen sie doch, dab das Ende l~ingst nahe herbeigekommen ist: ,,du wirst nicht mehr die Herzen er- obern". Das Figaro-Zitat lautet allerdings nicht nur zuungunsten Don Giovan- nis, es richtet sich auch gegen Leporello. Was ist Leporello im Vergleich mit Figaro fiir ein klaglicher Diener! Zu Beginn der Oper singt Leporello noch,,Ich will selbst den Herren machen/Mag nicht l~ingerDiener sein" ,12 um dann auf eine einzige DrohgeNihrde Don Giovannis hin ffir den Rest der Oper klein beizugeben: ,,ich will nichts, ich bin schon still". 13 Figaros Herausfordemng an seinen Herrn ,,Will der Herr Graf den Tanz mit mir wagen''14 h~tte Leporello nie riskiert. Und so spielen Don Giovannis Hausmusikanten auch nicht diese eigentliche Erkennungsarie Figaros, sondern Figaros Spott auf das Milchgesicht Cherubino. Figaros Hohn ,,Cherubino, aufzum Siege/Auf zum hohen Waffenruhm'' 15 ist auch Hohn auf die Niederlagen Leporellos. Das Figaro-Zitat im Don Giovanni ist ganz unmiBversffmdlich auf das Thema ,,Herr-Diener" gemiinzt. Dieser Gegenstand gab ja dem Mozart- schen Figaro die Brisanz. In Beaumarchais' Le mariage de Figaro waren die strittigen Punkte gewig aggressiver formuliert. Doch auch Mozarts Publikum, bis hinauf zum Kaiser, wuBte, was gemeint war. Erstaunlich sind die Verschiebungen, die das Herr-Diener-Thema dann kurz daraufimDon Giovanni erfahren hat, den nur zwei Jahre vom Beginn der Franz6sischen Revolution trennen. Der Adlige, der in Figaros Hoch- zeit nur den Verfiihrer spielt, ist jetzt ein MiSrder, ein Verffihrer und ein verstockter Verbrecher dazu. Die Diener, die in Figaros Hochzeit auf eher spielerische Weise ihren Herrn iJberlisten und blamieren, sind jetzt geprfi- gelte Untertanen und mii3brauchte Handlanger. Am Schluf3 yon Figaros Hochzeit folgt der vollendeten Blamage des Grafen eine schnelle Vers6h- 250 Gerhan yon Graevenitz- Wagner-Kritik in MOrike

nung aller. Der verstockte Don Giovanni hingegen endet mit einer H611en- fahrt und die Ubriggebliebenen feiern ihre moralische Oberlegenheit: ,,Also stirbt, wer B6ses tat". iv Es ist im Don Giovanni alles erbarmungs- loser geworden. Die eher m~irchenhafte Einkleidung des drama giocoso t~iuscht nicht dartiber hinweg, dab es nur noch Untergang oder tJberleben, keine Versrhnung mehr gibt. Man kann noch einen Schritt weitergehen in der Deutung des Mozart- schen Selbstzitats, der Figaro-Arie im Don Giovanni. Mozart arrangiert das Potpourri der Hausmusikanten Don Giovannis gewissermaBen opern- geschichtlich. Das Figaro-St0ck ist eingerahmt von Fragmenten aus Mar- tin y Solers Cosa rara und Sartis Fra i due Litiganti. Es ist bekannt, dab Fra i due Litiganti eine der Lieblingsopern der Wiener war, und dab Cosa rara die Beliebtheit des Figaro beim Wiener Publikum direkt beeintr~ich- tigte. Nach der Ironie auf Don Giovanni und auf Leporello steckt in der Kombination der drei Opern-Zitate auch eine Selbstironie Mozarts. Und wie die Figaro-Arie Kommentar auf den Herrn Giovanni und auf den D iener Leporello war, so ist sie zuletzt auch Kommentar auf den Opern- komponisten Mozart. Seine Musik, seine Opern werden zusammen mit denen seiner Kollegen gespielt zu einem Fest, das sich ein adliger Herr fiber Diener und Musikanten zu seinem eigenen Untergang bereitet. Seine, des Opernkomponisten Mozart Musik ist Tafelmusik zum Untergang. Figaros Hochzeit und Don Giovanni sind Festmusik zum Untergang des ancien rrgime. Ktirzer und treffender als mit einem einzigen Selbstzitat krnnte Mozart sein eigenes Selbstvers~ndnis nicht ausdrficken. Seine Musik ist Dienerin des ancien rrgime, verharrt daher in dessen Formen. Sie sehnt sich aus dieser dienenden Rolle heraus und hat datum ein gesch~rftes BewuBtsein fOr alle Anzeichen des nahenden Untergangs. Tafelmusik zum Untergang: Nichts anderes hat M6rikes Mozart-No- velle zum Gegenstand. Man muB nur wieder ein paar Verschiebungen a~merken, die den ganzen vefftnderten Horizont andeuten. Es spielen nicht mehr Domestiken, sondern ein gr~ifliches Haus und ein wahlver- wandter Mozart spielen gewissermaBen von gleich zu gleich. Sie spielen Figaros Hochzeit undDon Giovanni wiejede btirgerliche Familie auch als ,,Hausmusik", fOr gew6hnlich muB der Klavierauszug den lebendigen Mozart ersetzen. Die Gesellschaft der Novelle spielt die Hausmusik nicht mehr als Begleitmusik zum Untergang einer Epoche, sondern zu den Todesahnungen eines Genies.Man kann diese Verschiebung schematisie- ren und sagen: die representative Tafelmusik des feudalen Hausstandes ist zur intimen Hausmusik geworden, sie wurde ,,privatisiert". 19 Entspre- chend ist der zur Allegorie auf das Epochenende gesteigerte Untergang Don Giovannis ,,privatisiert'" zur Todesmelancholie eines Individuums. Es ist nur konsequent in dieser Verschiebungsreihe, dab an die Stelle des feudalen Kavaliers das geniale Individuum getreten ist. Was hat nun die private Hausmusik des M6rikeschen Mozart noch zu tun mit der epochal gemeinten Tafelmusik zum Untergang Don Giovan- Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike 251

nis? Das ,,erregende Handlungsmoment" in M6rikes Erz~ihlung ist ein kleiner S~ndenfall. ~9 Die Mozarts haben auf der Reise nach Prag Station gemacht, Mozart geht im Park des naheliegenden Landschlosses spazie- ren. Plfitschemdes Bmnnenwasser und ein Pomeranzenbaum wecken in Mozart die ,,Anschauung des Sfidens",2~ wecken musikalische Erinne- rungen, schlS.fem Mozarts Bewul3tsein ein. Schlief31ichreicht er unwillkfir- rich nach einer der Apfelsinen und pflfickt sie ab ...... ja, so weit geht die lolinstlerische Geistabwesenheit" - und dies sei ausffihrlicher zitiert, weil es auf die Einzelheiten ankommt -, ,,dab er, die duftige Frucht besNndig unter der Nase hin und her wirbelnd und bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise unh6rbar zwischen den Lippen bewegend, zuletzt instinktm~- gig ein emailliertes Etui aus der Seitentasche des Rocks hervorbringt, ein kleines Messer mit silbernem Heft daraus nimmt und die gelbe kugelige Masse von oben nach unten langsam durchschneidet. Es mochte ihn dabei entfernt ein dunkles Durstgeffihl geleitet haben, jedoch begn~gten sich die angeregten Sinne mit Einatmung des k6stlichen Geruchs. Er starrt minu- tenlang die beiden innern Flfichen an, ffigt sie sachte wieder zusammen, ganz sachte, trennt und vereinigt sie wieder. ''2~ Schon der Anblick zerschnittener Zitmsfrfichte regt bekanntfich die Speichelsekretion an. M6rike beschreibt den einfachen physiologischen Vorgang, dab eine bestimmte Sinneswahrnehmung unvermittelt eine K6rperreaktion hervorruft. M6rike veranschaulicht die k6rperlich-sinnli- che Qualitfit der Sinneswahrnehmung. Dabei ist hier die ,,Speichelse- kretion" eine denkbar unangemessene Bezeichnung, denn sie verfehlt das was M6rike mit der Schilderung des silbernen Messers aus dem email- lierten Etui andeutet, die Sublimiemng nfimlich der K6rperreaktion zum kultivierten Genul3. Die Orange weckt das Durstgef~hl, doch wer silberne Obstmesser bei sich ffihrt, begntigt seine ,,angeregten Sinne" mit der ,,Einatmung des k6stlichen Geruchs". Mozarts Sfindenfall ist eine Re- gung sublimierter Sinnlichkeit, ist ein Akt kultivierten Genusses. Und Musik leitet diesen kultivierten GenuB ein: eine ,,musikalische Reminis- zenz' ,22 bet/iubte Mozart, so daB er ,,zerstreut" und ,,zuletzt instinktm~i- Big" den Frevel am Pomeranzenbaum verfibt. Wfihrend er die ,,duftige Frucht" geniegt, bewegt er ,,bald den Anfang, bald die Mitte einer Weise unh6rbar zwischen den Lippen". Sp~ter erfahren wir, was das fiir eine Weise war. Es war das Tanzlied von Masetto und Zerlina aus dem Don Giovanni, ,,Duett und Chor einer l~ndlichen Hochzeit". 23 Wir erfahren, dab Mozart diese noch fehlende Nummer zu seiner neuen Oper kompo- niert hat, w~hrend in seinem Kopf die musikalische Reminiszenz umging, und w~ihrend er sich dem sublimierten Orangengenuf3 hingab. Die musika- lische Reminiszenz und das neu komponierte Tanzliedchen machen dabei einen interessanten Kontrast. In seiner Reminiszenz erinnert sich Mozart einer h6chst raffinierten musikalischen Darbietung beim K6nig beider Sizilien, einem aufwendig inszenierten Balett im Golf von Neapel. z4 Die Erinnemng an diese h6fische, allerdings auch heitere Pmnkmusik ausge- 252 Gerhart yon Graevenitz- Wagner-Kritik in MOrike

rechnet gibt Mozart die Melodie ein, die die Einfachheit, die idyllische Unschuld einer Dorfhochzeit charakterisieren soll. Doch der Kontrast stimmt. Es ist der dramatische Kontrast der Oper Don Giovanni selbst: das h6fische Festgebahren Don Giovannis, seine grol3artigen Verfohrungs- inszenierungen, seine unmoralischen Anschl/ige auf die Unschuld des Bauernm~idchens, in deren l~ndliche Sittsamkeit und Schlichtheit der hiSf- ische Sittenstrolch einbricht. Noch einmal, beide musikalischen Regungen Mozarts, die h6fische Erinnerung und die l~indlich-idyllische Komposition, sind verbunden mit dem einfachen, aber kultivierten und sublimierten Genug der Pomeranze. Es scheint, als sei der kultivierte und sublimierte GenuB hier das tertium comparationis for hefischen Prunk und liindliche Einfachheit. M6rike enthtillt selbst die Logik, mit der er die Mozartschen Erinne- rungs- und Sinnesregungen arrangiert hat. Er l/iBt Mozart nicht irgendeine Pomeranze pfliicken und zerschneiden. Er l~tBt die Frucht vom Baum einer historischen Erkenntnis stammen. Bei einem ,,Feste in Trianon", dem Erdmittelpunkt aller hiSfischen Kultur, empfing eine Verwandte der Mozartschen Gastgeber ,,den bliihenden Orangenzweig" aus der Hand der Madame de Sevigne. Und der Orangenzweig wuchs heran ,,als leben- des Symbol der feingeistigen Reize eines beinahe verg6tterten Zeital- ters .... worin wir heutzutage freilich des wahrhaft Preisenswerten wenig finden kennen, und das schon eine unheilvolle Zukunft in sich trug, deren welterschfittemder Eintritt dem Zeitpunkt unserer harmlosen Erz~ihlung bereits nicht mehr feme lag."25 Bemerkenswert sind die folgenden GriS- genverhfiltnisse: ,,die feingeistigen Reize eines beinahe vergetterten Zeit- alters" einerseits, der kurze Moment des kultivierten Apfelsinengenusses andererseits. Der ,,welterschfitternde Eintritt'" einer Zukunft einerseits, die ,,harmlose Erzfihlung'" andererseits. Das paBt zu einer friiheren Gegen- iiberstellung: der Untergang einer Epoche in der H611enfahrt des Don Giovanni einerseits, die Todesahnungen eines einsamen Mozart anderer- seits. Die Privatisierung, die Verkleinerung des Epochalen zum Genrehaf- ten hat bei M6rike Methode. Die Privatisierung und die Verkleinerung sind rfickfibersetzbar, das Genrehafte bei M6rike vergiBt seine epochalen Be- dingungen nicht. Merike arrangiert Mozarts Erinnerung an die hefische Musik, die Komposition des 1/indlichen Liedes und die fast emblematische Deutung des Pomeranzenbaumes so, dab die kultivierte Sinnlichkeit des ancien regime zum Oberbegriff wird sowohl fOr das hefische Pmnkfest als auch fOr die l~indliche Idylle. Das Arrangement der h6fischen und l~indli- chen Kontraste ist historisch sehr aussagekrS_ftig. In Tfianon hielt man beide Seiten des Kontrastes fOr vereinbar. 26 Marie Antoinette spielte die Schfiferin in ihrem ldinstlichen Doff mit echten Schafen. Das Lfindliche war die Hauptattraktion ihrer Feste in Versailles. Im Don Giovanni wird der Kontrast zum Konflikt. Der Kavalier st6rt die Idylle, die Bfiufin soll migbraucht werden, der Bauer wird verpriigelt, und es endet alles mit dem Strafgericht fOr den Leuteschinder. Auch M6rike wuBte, dab Marie An- Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike 253

toinette nicht im Stroh der Sch~erin gestorben ist, dab der GenuB des Don Giovanni seine brutale Seite hat. Mozarts ,,verg6ttertes Zeitalter" der kultivierten Sinnlichkeit dr~ingt auch bei M6rike auf seine ,,unheilvolle Zukunft" hin. Das alles steckt in dem zur Genre-Szene verkleinerten Sfindenfall, dem erregenden Handlungsmoment der Erzahlung. Dem Sfnder naht der R~i- cher in Gestalt eines G~rtners, der ihm erst das AusmaB seines Vergehens vor Augen fohrt. Die Frfchte des Baums waren gez~ihlt, sie sollten bei der bevorstehenden Verlobungsfeier der Tochter des Hauses einzeln besun- gen werden. Weil es urspriinglich neun Pomeranzen waren, handelte das Gedicht natiirlich von den Musen, und denen fehlt nun eine. Mozart wird vom Gartner dingfest gemacht, von dessen Herrschaft freudig erkannt und mit seiner Frau zum Verlobungsfest eingeladen. Es wird musiziert, es wird ein ,,ausgedehnter Schmaus" gehalten, es wird erz~ihlt, sehr viel er- zfihlt, es wird auf dem ,,Gipfel geselliger Lust''27 getanzt und es wird geschenkt. Die Mozarts schenken dem Brautpaar ein h61zernes SalzfaB, das mit Hilfe seiner ausfohrlichen Herkunftsgeschichte erhoben wird zum ,,Muster patriarchalischer Simplizit~it".28 Was sich auf dem LandschloB w~ihrend des Mozartschen Besuches abspielt, entspricht ganz dem Lebensstil eben eines Land-Schlosses: die patriarchalische Simplizit~it und die gesellige Lust, die aristokratischen Tafelfreuden und das bfrgerliche Hausrat-Schenken. Es ist das idyllische Zerlina-Masetto-Motiv, die Simplizit~it der l~indlichen Hochzeit, fbertra- gen in die kultivierte Atmosph~e eines Hauses aus dem ancien r6gime. Inbegriff der kultivierten Simplizit~it aber, Gipfel des fisthetischen Genus- ses, den die SchloBgesellschaft sich selber bereitet, ist die Hausmusik: ,,Eines hatte den Flfgel ge6ffnet, ,Figaros Hochzeit' lag aufgeschlagen, und das Fr~iulein schickte sich an, von dem Baron akkompagniert, die Arie Susannas in jener Gartenszene zu singen, wo wir den Geist der sfif3en Leidenschaft stromweise, wie die gewfrzte sommerliche Abendluft, ein- atmen. Die feine R6te auf Eugeniens Wangen wich zwei Atemzfge lang der ~iul3ersten Bl~isse; doch mit dem ersten Ton, der klangvoll fiber ihre Lippen kam, fiel ihr jede beklemmende Fessel vom Busen. Sie hielt sich l~tchelnd, sicher auf der hohen Woge, und das Gefohl dieses Moments, des einzigen in seiner Art vieUeicht fOr alle Tage ihres Lebens, begeisterte sie billig. ''29 ,,SiiBe Leidenschaft", ,,gewfrzte sommerliche Abendluft", ,,das Geffhl dieses Moments, des einzigen seiner Art fOr alle Tage ihres Lebens": es sind die Elemente einer hochgradig sublimierten Sinnlichkeit, die sich in dieser Art von Hausmusik steigern zum h6chsten LebensgefOhl. Und fOr M6rike liegt in einer solchermaBen ,,genossenen" Hausmusik das beste Erbe aus der Kultur des ancien r6gime. Man kann die Bedeutung der M6rikeschen Hausmusik erst ganz ermes- sen, wenn man diesen Inbegriff der kultivierten GenufS-Atmosphare aus dem ancien r6gime vergleicht mit dem, was bei anderen Leuten, bei 254 Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike

Zeitgenossen M6rikes ,,Hausmusik" heil3t. Wilhelm Heinrich Riehl, der konservative Sachwalter der bfirgerlichen und der deutschen Familie, verkiindete die Ideologie der ,,deutschen Hausmusik": ..... sie ist uns Urkunde for den Geist der.., bfirgerli- chen, nicht der vornehmen Kreise". Die ,,schlichte, ehrliche deutsche Hausmusik" ist,,rein und zfichtig", und sie ist das genaue Gegenteil einer ,,mark- und knochenlosen" Musik, in der das ,,blasirte, kranke, zerris- sene, fiberweibliche Wesen der feinen Welt" sein ,,erschreckend wahres Spiegelbild" finder. ,,Blasiertheit, Frivolit~t, Sentimentalit~it, Geckerei und Zfigellosigkeit" machen die mark- und knochenlose Musik zum ,,Fluch des Hauses". 3~ ,,Kranke" Salonmusik und ,,gesunde" Hausmu- sik - man weir3, wie zfihlebig diese hygienisch-~sthetische Zweiteilung der Welt geblieben ist. Riehl h~itte sich gesch/ittelt, wenn er gerade die kultivierte Sinnlichkeit des ancien r6gime, die sublimierte Frivolitfit wirklich ,,vornehmer Krei- se" zum Lebenselement der Hausmusik hfitte erheben sollen. Und Riehls Weltbild w~ire ins Wanken gekommen, wenn er die Teilung in ,,vornehm" und ,,biJrgerlich", in ,,krank" und ,,gesund" h~ittefiir die Idee der Hausmu- sik aufgeben miissen. M6rike macht ja gerade die Hausmusik seines Mo- zart-Kreises zum Ort der Aufhebungen, zum Ort der Integration von ,,vor- nehm" und ,,einfach", von ,,feudalem Genul3" und ,,bfirgerlicher Tu- gend". Das h6fische Ballett und die schlichte Dorfmusik hatten im Mo- ment der kultivierten Sinnlichkeit den Punkt ihrer Koinzidenz. In M6rikes Konzept der Hausmusik steckt das Idealbild einer Menschlichkeit, die im kultivierten GenuB Trennungen fiberwindet und so zum ,h6chsten' Le- bensgefohl bef~ihigt. M6rike hat sein Ideal mit dem Idealbild des ancien r6gime verbunden, seine Sehns/ichte waren gewil3 riickw~irts gewandt. Doch er wul3te, dab sein ancien r6gime ein sehr poetisches Idealbild war, nicht anders als das Mittelalter des Novalis. Er h~itte sonst nicht so deutlich vonder unheilvollen Zukunft gesprochen, vonder die Wirklich- keit des ancien r6gime betroffen war: Ludwig XVI. und Mozart starben im selben Jahr 1791. Riehl sah nichts Vereinigendes im GenuB der Hausmusik, es sei denn fOr die h~iuslichen Familienmitglieder. GenuB war gar nicht zul~ssig, und trennen, scharftrennen vom Kranken sollte den B/irger die Hausmusik. Auch Riehl entwarf ein Idealbild, sogar ein Zukunftsbild vom B/irgerhaus im 20. Jahrhundert: das wird so sch6n, dab sich sogar die ,,Engel... freuen fiber solch ein Haus, und musiciren dazu mit ihrer himmfischen Hausmusik.' ,31 Im Gegensatz zu M6rike hat Riehl nichts von der,,unheil- vollen Zukunft" seiner Wunschbilder gewu6t. Wenn man M6rikes und Riehls Begriffe der Hausmusik einander ge- gen/iberstellt, weiB man, warum Adorno die Kammermusik das ,,Korrek- tiv des patzigen Bfirgers'" genannt hat. Der ,,patzige B/irger", ,,der auf dem Seinigen steht", ganz wie Riehl, wird korrigiert durch die ,,Courtoisie", durch die ,,soziale Tugend der H6flichkeit". Adorno meinte das Aufein- Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike 255

anderh6ren-K6nnen der Kammermusik-Stimmen. Er meinte die Tatsa- che, dab das Ganze der Kammermusik sich nicht konstituiert ,,durch die auftrumpfende Selbstbehauptung der einzelnen Stimmen - sie ergfibe ein barbarisches Chaos". 32 M6rike betonte ein anderes Korrektiv des Barba- rischen, die kultivierte Sinnlichkeit. Ob ,,H6flichkeit" der Kammermu- sik oder ,,Kultiviertheit" des Hausmusik-Genusses - beides sind, wie wie- der Adorno es nennt, ,,umfunktionierte Erinnerung(en) an feudale Ele- mente, die dem Gang des Fortschfitts zum Opfer fielen". Solche Wieder- kehr des zu unrecht Vergessenen - das wfire die geeignetste Formel fiir MiSrikes Genul3 der Musik im Hause des ancien r6gime? 3 ,,Fortschritt" lautete die letzte Reizvokabel. Ein Fortschritt, gegen den sich trotz aller sonstigen Unterschiede M6rike und Rieh134 einig wissen konnten, ein revolutionfirer Fortschritt in der Musik, der nicht nur die musikalischen Ideen eines MiSrike und Riehl vergessen machte: Richard Wagner. In der Zeit, in der M6rike seine Mozart-Novelle verfagte, ist es der Wagner des Tannhiiuser und des Lohengrin, der Wagner, der mit diesen beiaen Opern von fast allen deutschen Opernbiihnen gespielt wurde (,,auch von den Hoftheatern, obwohl Wagner im Exil lebte").35 Es ist der Wagner der Schriften Die Kunst und die Revolution, Das Kunst- werk der Zukunfi, Oper und Drama, deren ,,intellektuelle Herausforde- rung ''36 mit dem Erfolg von Tannhiiuser und Lohengrin zusammentraf. Und es ist der Wafner vonder Schopenhauerlektiire. Es kann hier nicht alles angesprochen werden, was ffir den Wagner der 1850er Jahre ,,Fortschritt" bedeutete. Man miil3te da zum Beispiel auf die Rolle Feuer- bachs eingehen. Man kfime auf dem Umweg fiber diese philosophische Lektfire Wagners unweigerlich auf das Thema,,Sinnlichkeit". Aber auch fiber eigene Stichworte Wagners, die die hier angesprochenen Gegen- st/inde betreffen, gelangt man ins Zentrum der Wagnerschen Gedanken- gfinge. Ein solches Stichwort - das Wort bei Wagner in seiner pluralischen Bedeutung genommen- gibt Wagner anl~iglich des Don Giovanni: ,,Wenn... vor der ersten franz6sischen Revolution unter einer ganzen Gat- tung frivolgenuf3sfichtiger Menschen die Stimmung vorhanden war, in der ein Don Juan die allerbegreiflichste Erscheinung, den wahren Ausdruck dieser Stimmung ausmacht.., so war die Wirkung einer solchen Darstel- lung zu jener Zeit gewig eine ganz bestimmte und unzweifelhafte auf das Geffihl. Wie steht es nun aber, wenn heute, vor dem g~inzlich ver/inderten, b6rsengeschfiftlichen oder geheimregiemngsr/ithlichen Publikum der Ge- genwart, und von einem Darsteller, der gem Kegel schiebt und Bier trinkt, und dadurch aller Verffihmng entgeht seiner Frau untreu zu werden...? Wird dieser Don Juan nicht mindestens ganz anders verstanden, als es die Absicht des Dichters war, und ist dieses ganz andere.., nicht in Wahrheit gar kein Verstfindnis des Don Juan mehr? ''37 Die Feststellung, dab die Philister den Don Juan nicht mehr begreifen k6nnen, will Wagner freilich nicht mil3verstanden wissen als Aufforde- rung, die Philister sollten zur ,,frivolgenul3siichtigen" Gattung vor der 256 Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike

ersten franztsischen Revolution zurfickkehren. Die S6hne der zweiten franztsischen, der Julirevolution hatten ja ein viel besseres ,,Evangelium der Sinnlichkeit", sie verkfindeten eine revolutionfire, fortschrittliche ,,Emanzipation des Fleisches". Die ,,gesunde Sinnlichkeit"38 sollte doch Ausdruck gerade einer Freiheit werden, an der alle Menschen Teil haben ktnnen. Sie sollte gerade die Verhfiltnisse beseitigen, in denen die Vielen Not leiden, damit die Wenigen geniegen ktnnen. Verhfiltnisse soUte diese Freiheit beseitigen, die die Existenzgrundlage jener ,,Gattung frivolgenul3- siichtiger Menschen" des ancien rtgime und des restaurierten ancien rtgime waren. 39 ,,Das Volk - schreibt Wagner - ist der Inbegriff aller Derjenigen, wel- che eine gemeinschaftliche Noth empfinden." Das Volk kennt nur wirkli- che, zur Not gesteigerte Bediirfnisse. Das Volk kennt nur die Natur des Leibes als die Grundlage der Sinnlichkeit, den ,,wirkliche(n), sinnliche(n) Hunger". Den ,,Luxus" der Reichen und Privilegierten, der ,,ebenso herz- los, unmenschlich, uners~ttlich und egoistisch" ist wie ,,das Bedfirfnis, das ihn hervorruft", diesen Luxus, der die ,,Seele (der) Industrie" und ,,die Seele unseres Staates ist", ihn wird die echte Sinnlichkeit des Volkes, die Not hinwegfegen. ,,Die Noth wird die Htlle des Luxus endigen; sie wird die zermarterten, bediirfnislosen Geister, die diese Htlle in sich schliel3t, das einfache, schlichte Bed/irfnis des rein menschlich sinnlichen Hungers und Durstes lehren.., gemeinsam werden wir wirklich genie- Ben, gemeinsam wahre Menschen sein. Gemeinsam werden wir aber auch den Bund der heiligen Nothwendigkeit schlief3en, und der Bruderkul3, der diesen Bund besiegelt, wird das gemeinsame Kunstwerk der Zukunft sein"40 Das ist deutlich genug: die Sinnlichkeit, zu deren Genuf5 einer statt Durst zu spiiren sich nur eine mit silbernem Messer zerlegte Orange unter die Nase h~ilt, solche ,,bedfirfnil310se" Sinnlichkeit belegt Wagner mit einem harschen Luxusverbot. Zur Tugend wird buchst~iblich die Not erkl~irt, nur in der Not sind wir nattirliche Menschen, weil wir nur in Hunger und Durst unsere Natur ganz sptiren. Das ist ein auffallendes Argument bei eimen Revolution~ir, der gegen den um den Preis des Indu- strie-Sklaventums erkauften Luxus die Befreiung einer liebenden Mensch- heit vonder ,,Sorge "'41 setzt. Verkehrt sich angesichts der Realit~iten der Industriegesellschaft die Anstiftung zur Sorglosigkeit in vorbeugende Verherrlichung der Not? Deutet Wagner an, dab die Beseitigung des Luxus noch nicht die Beseitigung des Sldaventums heifSt? Wie soll das Angebot einer freien Sinniichkeit glaubwiirdig werden, wenn Entsagung und Entbehrung zu ihren Vor-Bedingungen erkl~rt werden? Wie auch immer: Das Gemeinschaftssymbol des in der Entbehrung natiirlichen und sinnlichen Volkes, das Wahrzeichen der sich erhebenden Not-Gemein- schaft ist das ,,Kunstwerk der Zukunft" sprich, das Wagnersche ,,Dra- ma' '. Mozarts Don Giovanni umschrieb selbst den historischen Typ der Oper, Go'hart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike 257 den er verk6rperte. Er bezeichnete sich selbst als ,,Tafelmusik des unter- gehenden ancien r6gime". Wagners Tannhiiuser umschreibt seinen eige- nen historischen Charakter nicht minder deutlich: er handelt vom Sfin- gerkrieg. Die Wagnersche Oper ist gerade dort, wo sie das Musikalische selbst thematisiert, ganz auf Kampf eingestellt. Die Meistersinger streiten mit der Musik um Rfickschritt oder Fortschritt. Der Don Giovanni be- trachtet wie derFigaro das Schicksal der Herrschenden aus der Perspek- tive der Diener, so wie der Komponist zu den musizierenden Dienern geh6rte. Wagner stellt den Kampf dar, er betrachtet ihn trotz aUer Identifi- kationen von aul3en. Denn er ist der freie, ,,freischwebende" Kfinstler geworden, der zwar nach Mal3gabe seiner eigenen Bedtirftigkeit Partei ergreift f0r die Bedfirftigen, der aber ohne Schaden an seiner Identit/it zu nehmen auch anders Partei ergreifen kann. Wagner hat zuletzt immer genug Distanz zu den kfimpfenden Parteien, um ihren Kampf als Gesamt- schauspiel ,,von oben" thematisieren und gestalten zu k6nnen. Mozart dagegen sprach bis hin zur Zauberfl6te immer mit der Moral einer der kfimpfenden Parteien. Doch zurfick zu den speziellen Fragen. Tannhfiuser hfitte durchaus das Zeug dazu, ein ganzer Don Juan zu werden. Nach seinen Erlebnissen mit Frau Venus tut er sichja schwer, die Erwartungen des Tugendapostels Wolfram und des landgrSllichen Hofes gerecht zu werden. Und der Verrat an Elisabeths treuer, engelreiner Liebe hat durchaus etwas von Don Giovannis Verrat an der immerhin unver- brfichlichen Liebe Donna Elviras. Doch das sind nur Oberfliichenentspre- chungen. Schon im Venusberg selbst herrscht eine dem Don Giovanni ganz und gar fremde Sinnenlust. In der Bfihnenanweisung zum Bacchanal des Tannhiiuser heist es: ,,Von Neuem belebt sich der Tanz und gelangt zu dem ~iul3ersten Grade wilden Ungestfims. - Mit dem Momente der trun- kensten bacchantischen Wut tritt eine schnell um sich greifende Erschlaf- lung ein."42 Don Giovanni ger~t weder in Wut, noch erschlafft er. Don Giovanni lacht allenfalls, und bis zu allerletzt verffihrt er nach seiner Maxime: ,,Mag die Welt in Trtimmer gehn,/Niemand soll mich zagen sehn!"43 Wie eine Replik auf diesen Trotz Don Giovannis klingt Tannhfiusers Vorsatz ,,Zerknirschung sei mir Lust".44Tannhfiuser wird allerdings r/ick- ffillig mit seiner ,,unheimlichen L/isternheit".4s Um ihn darum endg/iltig vor der ,,H611e Lust''46 zu bewahren, wird ihm der Liebes- und Erl6sungs- tod zuteil: erl6st wird er von seinem Leib, dem Ursprung aller b6sen Sinnlichkeit. Wo die Not die Bedingung der Sinnlichkeit ist, wird nur der Tod, das Ende aller Not, zu ihrer Befriedigung. Die Befriedigung ist nichts anderes als Erl6sung von der Not der Sinnlichkeit. Auch am Tannhiiuser bewahrheitet sich, was fiir Wagners Auffassung vonder Sinnlichkeit schon oft bemerkt worden ist. Wagnersche Sinnlichkeit unterliegt den sch~irfsten Normen des von Wagner scheinbar so verachteten ,,geheim- staatsrfithlichen" Publikums. Auch Wagner kennt die Entladung der Sinnlichkeit nur als ,,Wut", als eine Wut, die in der ,,Erschlaffung" 258 Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike die Quitmng ffir ihre UnbotmSgigkeit bekommt. Hier zeigt sich die gewissermagen stillschweigende Evidenz der M6ri- keschen Wagner-Kritik. Einen Mozart aus dem ,,frivolgenugsfichtigen" ancien r6gime mit allen Attributen einer raffinierten und kultivierten Sinn- lichkeit, einen solchen Mozart nebenbei von Wagner als einem falschen Propheten sprechen zu lassen, das war Wagner-Kritik, die ins Zentrum traf. Sie besagt nicht mehr und nicht weniger, als dag gegenfiber der kultivierten Sinnlichkeit der Privilegierten vor der ersten Franz6sischen Revolution die auf Not und Reue gegrfindete Sinnlichkeit des Wagner- schen Volkes nicht Fortschritt bedeutet, sondern Fortschritt predigt und Verarmung bringt. So steht es natiirlich bei M6rike nicht ann~ihemd. Und es so platt und direkt zu formulieren heigt auch, die ~isthetische Methode der M6rike- schen Kritik ganz und gar migachten. Wieder ist bei Wagner selbst ein Stichwort zu finden, das helfen kann, MiSrikes ~isthetisches Verfahren zu verdeutlichen. Von Wagner wird die AuBerung berichtet, ,,er h6re zuweilen bei Mozart im Geist das Klappem des Geschirrs zur Tafelmusik. ''47 Wir wissen inzwischen, wie Recht Wagner mit seiner Wahrnehmung hat. Was Wag- ner vielleicht nicht ganz ohne Oberheblichkeit gegenfiber dem bertihmte- sten der musizierenden Diener des ancien rdgime sagte, das umschreibt exakt dessen eigene Selbsteinschfitzung: Tafelmusik zum Untergang. Oder: das Klappern des Geschirrs und der ,,welthistorische Moment" gehen im Don Giovanni eine fisthetisch tragffihige Verbindung ein. Das fiugerlich Banale verhilft dem menschheitsgeschichtlichen Sinn erst zu seiner besonderen fisthetischen Gestalt. Und dieser ~isthetische Reiz des Banalen ist genau der Punkt, an dem Wagners Bemerkung fiber das Mozartsche Geschirrklappem sich gegen Wagner selbst richtet. Teller- klappern w~ire ffir den fisthetischen Effekt Wagnerscher Opern absolut t6dlich. Oder, wie Nietzsche es formuliert: ,,Wie pr/ift man (den) ewigen Gehalt" der Wagnerschen Texte? ,,Man fibersetzt Wagner in' s Reale, in's Moderne - seien wir noch grausamer! in's Bfirgerfiche... Nichts unter- haltender, nichts fiir Spazierg~inge mehr zu empfehlen.., zum als Candidaten der Theologie mit Gymnasialbildung (-letztere als unent- behrlich zur reinen Thorheit)". 48 Man kann diese Probe bekanntlich leicht nachmachen, auch auf den Wagner, den die M6rike-Novelle meint. Man vergegenw/irtige sich aus dem Tannhiiuser Elisabeths ber/ihmtes ,,Dich, teure Halle, grtil3 ich wie- der,/froh griig ich dich, geliebter Raum..."49 Man vergegenw~irtige sich, wie Elisabeth den Tannhfiuser in dieser Halle der Wartburg empffingt:,,So stehet auf!/Nicht sollet hier Ihr knien, denn diese Halle/Ist Euer K6nig- reich .....so Schlieglich denke man daran, dab diese Halle der Schauplatz fiir einen Himmel und H611e bewegenden Sfingerkrieg wird. Und dann nenne man das alles Tannhfiusers ,,Hausmusik". Ein wenig erniichternd wirkt auch hier auf den groBen Wagnerschen Stil-Gestus das banale Unter- Gerhart yon Graevenitz- Wagner-Kritik in MOrike 259

bieten. Dabei hat diese Probe auf Wagners ,,grogen Stil'" nicht irgendein beliebi- ges Beispiel zum Gegenstand. Der Spott auf die Tannhfiuser-Halle und auf den Stingerkrieg, der sich in ihr abspielt, trifft Wagners Selbstverstfindnis. Der einsame Stinger im Widerstreit mit der in kfimpfende Parteien zer- teilten Welt- es war ja schon kurz die Rede davon - ist die Grundfigur der Wagnersche Selbstdarstellung. Im Lohengrin etwa wird der Streit zu einem Rechtsstreit vor Gott und Kaiser, Lohengrin selbst yon Wagner stilisiert zum ,,einsamen Kiinstler",s~ der in diesem Streit schlichten will. Dieser im buchsttiblichen Sinn hoch-stilisierten Selbstauffassung des Kfinstlers Wag- ner setzt M6rike einen zum Hausmusikanten verkleinerten Mozart entge- gen. Mozart erscheint als Held einer Genre-Szene, als Akteur in einer Biedermeier-Handlung. Der Don Giovanni ist verlegt in die intimen Rtiu- me eines Landschlosses. Gewil3 ein wirksamer Kontrast zur Grogartigkeit der Wagnerschen Helden und Schaupltitze, zur Staffage des ,,hohen Stils". Es ist vielleicht deutlich, wo die eigentliche St~rke der M6rikeschen Wagner-Kritik liegt. Sie liegt im Unausgesprochenen. Es ist eine ganz andere Mentalitfit der Polemik als man sie gerade aus der unabsehbaren Ffille polemischer Stitze bei Wagner kennt. MiSrike gibt nur durch einen einzigen Satz die polemische Richmng seiner Novelle zu erkennen. M6- rike hfilt seine Genre-Szene, sein Konzept der Hausmusik Wagner einfach entgegen. Und aus dieser Perspektive der ,,Verkleinerung" schon ger~t Wagner in eine ungfinstige Position. Man weig, dab so keinesfalls die ganze Wahrheit fiber Wagner entdeckt werden kann. Doch als Verfahren der Wagner-Kritik, als Methode der Wagner-Bektimpfung ist dieser Kunstgriff der Verkleinerung h6chst wirksam. Bei M6rike wurde er viel- leicht zum ersten Mal angewandt. Und bei M6rike ist die Verkleinerung, die Ubersetzung ins Genre nicht billiger Witz, sondern steht selbst fOr eine ~isthetische Position, die ihr Recht behaupten will. Gegenfiber Mozart bedeutete M6rikes Verkleinemng und Privatisie- rung keine Entstellung. Die epochale Dimension der ,,Tafelmusik zum Untergang" ging in der,,Hausmusik" nicht verloren. M6rike bekrfiftigte vielmehr ihren aktuellen Sinn und fibertrug in sein Konzept der Hausmu- sik die zu unrecht vergessene, die verlernte Genugfiihigkeit des ancien r6gime. Die in die Hausmusik gerettete Genugffihigkeit Don Juans war gewiB das Gegenteil von Wagners Empfehlung zur Sinnlichkeit in Not und Entbehmng. Der zur - im fibertagenen Sinne gesprochen - petite percep- tion sublimierte Genug der M6rikeschen Hausmusik wird schlieglich ge- rade durch die Geringfogigkeit seiner Reiz-Impulse gef~ihrlich fOr Wagner: was M6fike mit der Verkleinemng des Hausmusik-Mozart an Wagner beging, das hat fiber dreigig Jahre sp~ter der Wagner-Renegat Nietzsche mit seiner Ubersetzung ,,in's Bfirgerliche"s2 fortgesetzt. Es ist angemerkt worden, dab der Wagnersche Stilgesms auf die ,,ZerstiSrung des Bieder- meiers" ziele. DaB er protestiere gegen alles ,,kleinbfirgerlich-musikali- sche Glfick im Winkel ... gegen das genrehaft Abgesetzte, bequem 260 Gerhart yon Graevenitz - Wagner-Kritik in MOrike

Oberblickbare".s3 Es sei dahingesteUt, ob das eine zutreffende Charakte- risierung des Biedermeiers ist. Eines scheint immerhin deutlich zu sein: die sublimierten Sinneswahrnehmungen eines vieUeicht biedermeierlichen Autors, sein Stil der kleinen Genre-Szenen haben gegentiber den ZerstS- rungsgeltisten des ,,GroBen Stils" durchaus Widerstandskrfifte.

Tiibingen GERHART VON GRAEVENITZ

Anmerkungen

1. Geringfiigig tiberarbeitete und um einen Anmerkungsteil erweiterte Fassung eines Vor- trags, den ich im Februar 1980 in der Universitat Amsterdam gehalten habe. 2 ...... die ,,Meisternovelle" Mozart hat eh und je eine rege Beschfiftigung der Kritik ausgelrst." Victor G. Doerksen, ,,Die Mrrike-Literatur seit 1950. Literaturbericht und Bi- bliographie," DVjs, 47 (1973), Sonderheft, S.343-397; 368. Zur Auseinandersetzung mit der ,,Musik" in der Novelle verweise ich auf die Studien von Raymond Immerwahr. 3. Eduard Mrrike, Sgtmtliche Werke in zwei Bi~nden, hrgb. v. Jost Perfahl, mit einem Nachwort von Benno v. Wiese, Anmerkungen, Zeittafel und Bibliographie von Helga Unger (Mtinchen o.J.), I, 619. Mrrikes Werke werden im folgenden zitiert mit riimischer Band- und arabischer Seitenzahl. 4. David Friedrich StrauB, Christian Miirklin. Ein Lebens- und Charakterbild aus der Gegenwart (1851), S. 197. Egmonts Todesmonolog hat ftir Mgrklin ~ihnliche Funktion wie f/Jr den Mrrikeschen Mozart der,,ganze lange, entsetzensvolleDialog" des Untergangs von Don Giovanni (I, 616f). Die ,,Tr/inen der Zuhrrerinnen" (Mgtrklin, S. 197.) spielen auch in der Mozart-Novelle eine wichtige Rolle, vgl. insbesondere den SchluB. Ein weiteres lndiz for die Bekanntschaft Mrrikes mit dem Miirklin bezieht sich auf das Stuttgarter Hutzelm~innlein, an dem Mrrike 1851 -im Jahr, in dem der Miirklin erscheint - die Arbeit wieder aufnimmt: Die Bewandtnis, die es mit dem,,KliStzle Blei glei bei Blaubeure" (I, 497) hat, wird im Miirklin, S. 146, ed~tutert. StrauB zitiert hier ein eigenes Tagebuch, in dessen Orginal (heute Sammlung Fritz Kauffmann) H. U. Simon vom Marbacher Schiller-Nationalmuseum die ,,K16tzle"- Stelle identifiziert hat. Nach Auskunft von H. U. Simon findet sich in MiSrikes Briefen von 1851/52, auch in den Briefen an MiSrike, kein Hinweis auf den Miirklin. Dennoch scheint es mir mehr als ein Zufall zu sein, daf5 sich zwei Werke, an denen Mrrike zum Zeitpunkt des Erscheinens des Miirklin arbeitet, mit dieser Biographie berfihren. H. U. Simon danke ich fiir seine Auskiinfte. 5, Mittelpunkt dieses Kreises war der auch im Christian Miirklin genannte (S. 197) Ernst Friedrich Kauffmann, einer der 5.1testen Freunde MiSrikes (Vgl. Edaard Mrrike. Katalog zur Gedenkausstellung zum 100. Todestag im Schiller-Nationalmuseum Marbach a.N., 1975, bes, S. 104 f). MSrike schildert in einem Brief vom 20. 3. 1843 die Wirkung des Don Juan-Finales auf ihn: es sang David Friedrich StrauB' (!) Frau, Agnes StrauB-Schebest, begleitet yon Kauffmann. Dieser Brief (vgl. I, 1056), gilt im allgemeinen als ,,biographischer Beleg" ffir die Mozart-Novelle. - Ganz auBer Betracht bleibt hier der sehr enge Klassizismus, der M(Srike und seine Freunde unf~ihig machte, Wagners Leistung anzuerkennen. 6. Zum Wagner-Hintergrund von Nietzsches ersterUnzeitgemiiflerBetrachtung vgl. Ernst Jackh, ,, und David Friedrich StrauB. Beitrftge zur ,modernen Kultur' ", Patria (1909), 210-247. 7. Vgl. Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni, Reclams Universalbibliothek 2646, S. 73. Mit Riicksicht auf die Vortragssituation habe ich die deutsche Ubersetzung des da Ponteschen Textes beniitzt, ungeachtet der bekannten M~ingel, die dieses Verfahren hat. Zu diesen M/ingeln geh/Srt auch, dab der yon Wilhelm Zeltner besorgte Text nicht gartz den zu MSrikes Zeit geliiufigen Fassungen (Gugler/Wolzogen) entspricht. 8. Don Giovanni, S. 30, S.40. 9. Ebd., S. 74. 10. Ebd., S. 74 f. 11. Wolfgang Amadeus Mozart, Die Hochzeit des Figaro, Reclams Universalbibliothek 2655, S. 27. 12. Don Giovanni, S. 19. 13. Ebd., S. 22. Gerhart yon Graevenitz - Wagner- Kritik in MOrike 261

14. Die Hochzeit des Figaro, S. 15. 15. Ebd., S. 27. 16. Don Giovanni, S. 80. 17. Auf Cosa rara geht auch M6rikes Novelle ein. Vgl. 1,577. Zur Tatsache, dab das musikalische Selbstzitat bei Mozart sogar autobiographische Funktion haben kann, vgl. Zofia Lissa, ,,.~sthetische Funktionen des musikalischen Zitats," Musikforschung, 19 (1966), 364- 378,371. 18. In folgender Passage kommt die ,,Privatisierung' ' am deutlichsten zum Ausdruck: ,,Die Wirkung eines solchen Vortrags in einem kleinen Kreis wie der gegenw~Lrtige unterscheidet sich natfirlicherweise von jedem ahnlichen an einem 6ffentlichen Orte durch die unendliche Befriedigung, die in der unmittelbaren Beriihrung mit der Person des Kiinstlers und seinem Genius innerhalb der h~inslichen bekannten Wande fiegt." (I,586) 19. ,,Hier sitze ich Unseliger in Ihrem Paradiese, wie weiland Adam, nachdem er den Apfel gekostet" (I,581). Die Funktion der ,,kleinen Sfindenf~ille" in MiSrikes Werk- so zentral wie hier ftir die Handlung der Mozart-Novelle - habe ich versucht zu zeigen in Eduard MOrike: Die Kunst der Si~nde.Zur Geschichte des literarischen Individuums (Tiibingen, 1978). 20. I, 579. 21. I, 579L 22. I, 579. 23. I, 592. 24. I, 588ff. 25. I, 596. 26. Auf diesen Kontrast hin interpretierbar ist auch die,,eigentiimliche naive Opposition", die die erste Besitzerin des Orangenzweiges zur Versailler Gesellschaft macht: ,,Bei ihrer unbefangenen Teilnahme an jenem steten Wechsel des geistreichsten Lebensgenusses ver- leugnete sie auf keinerlei Art... die angestammte deutsche Ehrenfestigkeit und sittliche Strenge..." (I, 595). 27. I, 601. 28. Die ,,Angelegenheit des armen Liebespaares" (I,609), die zur Geschichte dieses Salz- fasses geh6rt, zeigt Mozart gewissermaSen in der Anti-Rolle zu Don Juan. W~ihrend Don Juan die Hochzeit Zerlina-Masetto st~Srt, stiftet Mozart eine solche ,,idyllische" Verbindung. 29. I, 585. 30. Wilhelm Heinrich Riehl, Die Familie, 9., vermehrte Auflage (1882), S. 210; ders., Hausmusik. Fi~nfzig Lieder deutscher Dichter in Musik gesetzt, 2., umgearbeitete Auflage (1860) (1. Auflage 1855), ,,Des Tonsetzers Geleitbrief", S. XVII, XIX, XXI. Hier, S. XV u. XXII, schon die Gegenerschaft zu Wagner als Motiv der Hausmusik angesprochen. 31. Riehl, Die Familie , S. 303. 32. Theodor W. Adorno, Einleitung in die Musiksoziologie. ZwOlf theoretische Vorlesun- gen, Gesammelte Schriften, Bd. 14, S. 169-433, S. 273. 33. Natiirlich hat die M6rike-Forschung das Zeit-Kolofit der Mozart-Novelle nicht unbe- achtet gelassen. Aber es erscheint meist trivialisiert zum ,,Rokoko" und spielt dann eine ~ihnliche Rolle wie das Klischee vom ,,verspielten Mozart". Den ,,Rokoko' '-Genuf5 in einem genaueren Sinne auf das Thema ,,Sinnlichkeit" im 19. Jahrhundert zu beziehen, wurde unterlassen. 34. Riehl nannte sich ,,einen der altesten Gegner Wagners". W. H. Riehl, ,,Richard Wagner", in ders., Kulturgeschichtliche Charakterkfpfe (1891), S. 443-528, S. 447. 35. Carl Dahlhaus, Richard Wagners Musikdramen (1971), S. 9. 36. Ebd. 37. Richard Wagner,Eine Mittheilung an meine Freunde,Gesammelte Schriften und Dich- tungen, Bd. IV, 285-418, S. 300f. (Leipzig 1872). 38. ,,Feuerbach's Wort yon der ,gesunden Sinnlichkeit' - das klang in den dreissiger und vierziger Jahren Wagnern gleich vielen Deutschen- sie nannten sich diejungen Deutschen wie das Wort der ErliSsung." Friedrich Nietzsche, ,,Nietzsche contra Wagner. Aktenstficke eines Psychologen". Nietzsche. Werke, hrgb. v. Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Sechste Abteilung, 3. Band, S. 411-437, S, 429. 39. Vgl. die GegeniibersteUung von ,,sorgenlose(m) Reichtum", ,,Lust zum feineren Ge- nusses dieses Reichtums" bei den Fiirsten des ancien r6gime und einer vonder ,,Sorge" befreiten ,,briiderliche(n) Menschheit", die zu ,,Liebe", ,,Sch6nheit" und ,,Kunst" findet. Die Kunst und die Revolution, Gesammelte Schriften, IH, %50; 23, 41f..Ahnlich Wagners Selbstdeutung des Tannhiiuser: Einerseits ,,Sinnlichkeit und LebensgenuB... in der Gestalt Dessen..., was unsere moderne Welt als Sinnlichkeit und Lebensgenul3 bietet". Andererseits ,,wirkliche Liebe". Mittheilung an meine Freunde, Ges. Schriften, IV, 342 f. Wahrend 262 Gerhart yon Graevenitz- Wagner-Kritik in MOrike

Nietzsche in ,,Richard Wagner in Bayreuth" Wagners Gegeniiberstellung -von Scheinbe- diirfnis/Luxus und Not - noch zustimmend referiert, schreibt er spater vom Wagnerschen ,,Rattinement als Ausdruck des verarmten Lebens". ,,In seiner (Wagners) Kunst ist auf die verftihrerischste Art gemischt, was heute alle Welt am n6thigsten hat, - die drei grossen Stimulantia der Ersch6pften, das Brutale, das Ki~nstliche und das Unschuldige (Idiotische)." Nietzsche, Werke, IV/l, S. 47-49; VI/3, S. 17, S. 41. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Dieter J~hnig, ,,Die Kunst in der Zeit der Arbeit" (Nietzsches ,,Bayreuth-Gedanke"), in ders., Welt-geschichte: Kunst-geschichte. Zum Verhiiltnis yon Vergangenheitserkennmis und Veriinderung (K61n 1975), S. 161-196. 40. Richard Wagner, Das Kunstwerk der Zukunft, Gesammelte Schriften, III, 51-210; 59, 61f. 41. Vgl. Anm. 39. 42. Richard Wagner, Die Musikdramen. Mit einem Vorwort von Joachim Kaiser (1978), S. 223. 43. Don Giovanni, S. 50. 44. Wagner, Die Musikdramen, S. 243. 45. Ebd., S. 247. 46. Ebd., S. 250. 47. Theodor W. Adorno, Versuch i~ber Wagner, Gesammelte Schriften, Bd. 13, Die musika- lischen Monographien: Wagner, Mahler, Berg, S. 7-148, S. 46. 48. Nietzsche, Werke, VI/3, S. 28. Zu diesem Spott Nietzsches vgl. Adorno, Versuch iiber Wagner, S. 121. 49. Wagner, Die Musikdramen, S. 232. 50. Ebd., S. 233. 51. Vgl. Mittheilung an meine Freunde,Ges. Schriften, IV, S. 369. 52. Nietzsche setzt auch den Inhalt von M6rikes Wagner-Kfitik fort: ,,Selbst Mozart's Verh~iltniss zur Musik - Wagner hat es uns zum Trost gesagt! - war im Grunde frivol... Lassen wir niemals zu, dass die Musik ,zur Erholung diene'; dass sie ,erheitere'; dass sie ,Vergniigen mache'. Machen wir hie Vergniigen! - wit sind verloren, wenn man von der Kunst wieder hedonistisch denkt... Das ist schiechtes achtzehntes Jahrhundert... Nichts dagegen dfirfte r~ithlicher sein, bei Seite gesagt, als eine Dosis - Muckerthum, sit venia verbo. Das giebt Wfirde.'" Nietzsche, Werke, VI/3, S. 20. 53. Th. W. Adorno, Versuch i~ber Wagner, S. 61, S. 39., .... selbst Nietzsche hat Wagner noch mit den Ohren des Biedermeier gehiSrt, als er ihn formlos fand." Ebd., S. 39f.