SWR2 Musikstunde

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SWR2 Musikstunde SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde "Musikalisches Recycling - das ist doch noch gut?!" (2) Mit Nele Freudenberger Sendung: 23. Januar 2018 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR2 Musikstunde mit Nele Freudenberger 22. Januar – 26. Januar 2018 "Musikalisches Recycling - das ist doch noch gut?!" (2) Signet Mit Nele Freudenberger – einen schönen guten Morgen! Wenn man ein gutes Thema gefunden hat – warum es nicht einfach noch mal nehmen? Das scheinen sich so manche Komponisten gedacht zu haben und haben eigene Musiken einfach mehrfach verwendet. Unser Thema heute in unserer Reihe „das ist doch noch gut…?! Musikalisches Recycling“. Titelmelodie In puncto Mehrfachverwertung sind vor allem die barocken Komponisten nicht zimperlich. Auch wenn Johann Sebastian Bach sicherlich der Meister in dieser Disziplin ist, setzt auch Georg Friedrich Händel auf den ökonomischen Umgang mit musikalischen Einfällen. Ein schönes Beispiel hierfür ist seine Brockes-Passion. Zum einen benutzt er in der Passion selbst Passagen aus eigenen, früheren Kompositionen wie zum Beispiel das Utrechter te deum oder die dritte Klavierfuge und auch anders herum bedient er sich an der fertigen Brockes-Passion. Einige Sätze wandern in seinen Julio Cesare und auch die Oratorien Esther, Deborah und Athalia werden bedacht, ebenso wie einige concerti grossi. Das zweite aus Händels op. 3 eröffnet sogar mit der Sinfonia der Brockes-Passion – nur die Instrumentation ist auf die Bedürfnisse eines concerto grosso angepasst. Hier also der erste Satz, vivace, aus Händels Concerto grosso in B-Dur op 3,2. Musik1 Georg Friedrich Händel Concerto grosso B-dur, HWV 313 (op 3,2) [1] Vivace Concentus Musicus Wien Leitung: Nikolaus Harnoncourt LC: 06019-TELDEC CLASSICS SWR M0247494 004 2:07 2 Nikolaus Harnoncourt leitete seinen Concentus Musicus Wien und sie spielten aus dem Concerto grosso in B-Dur op. 3,2 von Georg Friedrich Händel den ersten Satz. Der übrigens der Eröffnung von Händels Brockes-Passion entspricht. Ich habe es vorhin schon angedeutet: der absolute Meister im Bereich musikalischen Recyclings ist Johann Sebastian Bach. Immer wieder beschleicht einen bei Bach das Gefühl: das kenn ich doch! Besonders komplex ist die Angelegenheit natürlich in seinem Kantaten-Schaffen bzw. überhaupt bei seinen geistlichen Werken. Etwa 300 Kantaten soll er komponiert haben, davon sind immerhin noch 200 erhalten. Die Kantate BWV 29, die sogenannte Ratswahlkantate birgt gleich mehrere Mehrfachnutzungen. Komponiert hat Bach sie anlässlich der Ratswahl in Leipzig 1731. Und er schreibt sie unter erschwerten Bedingungen. Seine Augen werden immer schlechter und er hat starke Schmerzen – vermutlich leidet er an Diabetes. Wie auch immer: er ist gesundheitlich stark angeschlagen und das spricht sich herum und zwar bis zum sächsischen Ministerpräsidenten, dem Grafen von Brühl. Der will den Dresdner Musikdirektor Gottlob Harrer schon länger loswerden und eine Beförderung scheint ihm das probate Mittel zu sein, das Problem elegant zu lösen. Harrer also absolviert ein Vorspiel für Bachs Stelle und wird für gut befunden – jetzt müsste sich nur noch Bachs Zustand verschlechtern… Letzterer empfindet offenbar das Geierhafte Gebaren als Frechheit, ist bald wieder auf den Beinen und leitet – wie zum Trotz – selbst seine Kantate 29, die den Titel trägt: Wir danken dir, Gott, wir danken dir. Sie beginnt mit einer instrumentalen Sinfonia – etwas, das in Bachs Kantaten nicht allzu häufig vorkommt. Ein virtuoses Stück für konzertierende Orgel und Orchester, dem die Partita in E-Dur für Violine solo zugrunde liegt. Aus dem anschließenden Chor „wir danken dir Gott, wir danken dir“ werden später das Gratias und das dona nobis pacem aus der h-Moll Messe. Als die Kantate am 25. August 1731 aufgeführt wird, sitzt Bach vermutlich selbst an der Orgel. Beweise gibt es nicht, aber es ist überaus wahrscheinlich, denn der Orgelpart, der wie gesagt auf der E-Dur Partita beruht, ist überaus virtuos. Dass er in der Lage ist, „wir danken dir, Gott, wir danken dir“ selbst zur Aufführung zu bringen, hat natürlich ungeheuren Symbolcharakter: nicht nur, dass er sich auf diese Weise bei Gott für die Genesung bedanken kann, sondern er verkündet auch quasi 3 öffentlich, dass Gott über jede weltliche Anmaßung erhaben ist – wie z.B. eine Stelle besetzen zu wollen, die noch gar nicht frei ist. Hier also die Sinfonia und der Chor „wir danken dir, Gott, wir danken dir“ aus Bachs gleichnamiger Kantate. Musik 2 Johann Sebastian Bach Wir danken dir, Gott, wir danken dir, Kantate BWV 29 [1] Sinfonia und Chor Wir danken dir, Gott, wir danken dir Erhard, Gächinger Kantorei, Württembergisches Kammerorchester Heilbronn Leitung: Helmuth Rilling LC:06047-hänssler-classic/Laudate Bestellnummer:92.009 SWR M0041584 013 + 014, 6‘10 Sinfonia und Eingangschor „wir danken dir Gott, wir danken dir“ aus der gleichnamigen Kantate von Johann Sebastian Bach, die auch den Namen „Ratswahlkantate“ trägt. Helmut Rilling leitete das Württembergische Kammerorchester Heilbronn und die Gächinger Kantorei, der Organist war Hans- Joachim Erhard. Während die Sinfonia auf der E-Dur Partita für Vl Solo basiert, wird der anschließende Chor später zum gratias und dona nobis in der h-Moll-Messe. Bach verwendet hier unüberhörbar eigene Musik wieder. Zum einen, weil sie gelungen ist und zum anderen, weil sie vom Ausdruck gut passt. Vielleicht spielt auch noch ein wenig die Freude, mit eigenen Themen zu experimentieren eine Rolle, aber das kann man natürlich nicht mit Gewissheit beantworten. Sehr viel deutlicher wird es bei Ludwig van Beethoven, denn er zitiert sich in seiner dritten Sinfonie sehr viel absichtsvoller, verfolgt eine konkrete Aussage. Die sogenannte Eroica trägt die Widmung „Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire di un grand’uomo“ also „heroische Sinfonie, komponiert um die Erinnerung an einen großen Mann zu feiern“. Diese Widmung trägt Beethoven allerdings erst nachträglich ein. Vorher steht auf dem Autographen Intitolate Bonaparte – was Beethoven allerdings auskratzt. Vermutlich, nachdem Napoleon sich zum Kaiser hat krönen lassen. Beethoven ist ein glühender Anhänger der Gedanken der 4 französischen Revolution. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit passt in Beethovens Gedankenwelt, in der für die Kluft qua Geburt zwischen Adel und anderen kein Platz ist. Er ist für ein aufstrebendes Bürgertum, wie ein Brief an den Fürsten Lichnowsky nahelegt, dem er schreibt: „Fürst, was Sie sind, sind Sie durch Zufall und Geburt. Was ich bin, bin ich durch mich. Fürsten hat es und wird es noch tausende geben, Beethoven gibt es nur einen.“ Eine ganz schöne Frechheit zur damaligen Zeit. Für Beethoven also gilt Napoleon als Retter, als Streiter für eine Welt ohne adlige Privilegien, als Lichtbringer, als Prometheus. Deshalb zitiert er – um auch den letzten darauf zu stoßen – im Finale seiner dritten Sinfonie das Finale seines Balletts: die Geschöpfe des Prometheus. Und falls es doch noch jemand verpasst haben sollte, lässt er darauf etwas folgen, das wie ein französisches Kriegs- bzw. Revolutionslied klingt. All das für den Lichtbringer Bonaparte, der letzten Endes doch den Versuchungen der Macht erliegt und sich zum Kaiser krönen lässt. Musik 3 Ludwig van Beethoven Allegro molto, Sinfonie Nr. 3 Es-Dur „Eroica“ Königliche flämische Philharmonie, Leitung: Philippe Herreweghe LC 12686 Pentatone Nr: PTC 5186313 CD 1, Track 8 Zeit: 3:05 Ein Ausschnitt aus dem Finale von Beethovens Sinfonie Nr. 3 – der Eroica. Philippe Herreweghe dirigierte die königliche flämische Philharmonie. Beethoven zitiert hier aus seinem eigenen Ballett „die Geschöpfe des Prometheus“ als Verweis auf Napoleon als Lichtbringer, der den Menschen die Werte der französischen Revolution vermittelt. Das stellt sich zwar hinterher als Irrtum heraus, ist aber tatsächlich die Intention, mit der Beethoven dieses Selbstzitat einsetzt. Im Gegensatz zu Bach übrigens in der festen Annahme, dass das Zitat verstanden wird! Ebenso benutzt der Komponist unseres nächsten Beispiels Selbstzitate. Er kann auch wirklich davon ausgehen, dass der Adressat bzw. die Adressatin die 5 Anspielungen versteht – denn es handelt sich um eine bestimmte Person. Richard Wagner komponiert seiner Frau Cosima ein Geburtstagsgeschenk und eine Art Dankeschön für die Geburt des gemeinsamen Sohnes Siegfried, das dritte der Wagner-Kinder. Das Siegfriedidyll. Der Titel bezieht sich allerdings mitnichten auf den Sohn, sondern auf den Siegfried aus der berühmten Tetralogie „der Ring des Nibelungen“. Im Manuskript heißt das Werk noch kurz Tribschener-Idyll, lang: „Tribschener-Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang, als symphonischer Geburtstagsgruß. Seiner Cosima dargebracht von ihrem Richard“. Wenigstens hier taucht Siegfried – also der Sohn – auf, er ist nämlich mit Fidi gemeint. Diese einzige sinfonische Dichtung Wagners
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