Neue Funktionen Für Eine Alte Bühnentradition Richard Wagners Musik Auf Dem Theater
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Neue Funktionen für eine alte Bühnentradition Richard Wagners Musik auf dem Theater Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät I der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vorgelegt von Gerald Fink aus Herzogenaurach Herzogenaurach 2008 DANKSAGUNG Dass ich vorliegende Arbeit erstellen konnte, verdanke ich der Hilfsbereitschaft wohlwollender Menschen. Ich erlaube mir, Herrn Prof. Dr. Eckhard Roch für zahlreiche und wesentliche Anregungen, Gespräche sowie Zeichen der Ermutigung zu danken. Besonders viele und vielfältige Freundschaftsdienste durfte ich von Markus Hahn M.A. empfangen. Nicht zuletzt aber gilt mein großer Dank meiner Frau, OStR Margit Nahr-Fink, die mit einem ungewöhnlich hohen Maß an Verständnis das gesamte Unternehmen stetig unterstützt hat. 2 Inhaltsverzeichnis DANKSAGUNG 2 EINLEITUNG 4 A. TRADITIONSLINIEN DER MUSIK AUF DEM THEATER BEI RICHARD WAGNER I Die banda sul palco 1. Die banda vor Wagner 13 2. Die banda im Liebesverbot 30 3. Die banda im Rienzi 42 4. Abkehr von der banda-Komposition 70 II Inzidenzmusik 1. Abgrenzung der Inzidenzmusik von der banda 78 2. Inzidenztraditionen in Schauspiel und Oper 80 III Transzendierende Musik 1. Darstellung einer irrealen Welt 110 Die Venusbergmusik im Tannhäuser 116 2. Deus ex machina und Bühnenmusik 127 B. DIE BESONDERE ROLLE DER BÜHNENMUSIK IN WAGNERS MUSIKDRAMEN I „ein entschiedener faux pas“ im Lohengrin 140 II Die Rolle bühnenakustischer Elemente im Entstehungsprozess des Werkes 1. „Inspirationskeim“ – Reale Klänge inspirieren ein Werk 148 2. „Motivationsmoment“ – Wie Musik in der Oper motiviert wird 159 3. „Initiale“ – Die Notierung der Bühnenmusiken in frühen Skizzen 171 Der Morgenweckruf im Parsifal 175 4. „Startpunkt“ – Wie ausgehend von Bühnenmusik komponiert wird 180 Die Königsfanfare im Lohengrin 186 5. Der Ring des Nibelungen als Sonderfall 191 III Leitfunktionen der Musik auf dem Theater am fertigen Werk 1. Dramatische Funktion: Der Aktbeginn mit Bühnenmusik 199 2. Musikalische Funktion: Erinnerungs- und Leitmotive auf der Bühne 215 3. Ästhetische Funktion: Eine „ursprüngliche Sprache“ 222 Das Morgenlied im Lohengrin 231 SCHLUSSBETRACHTUNG 242 LITERATURVERZEICHNIS 245 LEBENSLAUF 252 3 EINLEITUNG „Bühnenmusik (Incidenzmusik)“, so definiert Hugo Riemann, „nennt man eine vom Dichter eines Bühnenwerks in den Gang der Handlung verwebte, also auf der Bühne selbst, in oder hinter der Szene ausgeführte Musik, ohne deren Ausführung also das Stück nicht vollständig sein würde.“ 1 Diese sachliche Feststellung erhält durch ihren Nachsatz einen fast appellativen Charakter; Riemann fühlt sich offensichtlich zu dem Hinweis gedrängt, dass Bühnenmusik nicht ohne Schaden für das Werk weglassen werden kann. Grund zu dem Appell war allemal, auch zu Riemanns Zeiten, vorhanden: Musik auf dem Theater galt nicht unbedingt als integraler Bestandteil des durch den Urheber geschaffenen Werkes. Sie lag vielmehr zum großen Teil in der Verfügungsgewalt der Aufführungsleitung, und zwar sowohl im gesprochenen Drama wie in der Oper. Darüber hinaus herrschte eine gewisse Zurücksetzung der Bühnenmusik und ihrer Ausführenden, die im Schauspiel des beginnenden 19. Jahrhunderts so weit ging, dass sie zu „einer Art Strafversetzung“ wurde, „zu der den Anforderungen nicht mehr gerecht werdende Musiker geradezu ´abgeschoben´ wurden“ 2. Eine ähnliche Inferiorität ist auch für die Oper anzunehmen, zumindest insofern, als für das Musiktheater der Zeit generell galt, dass die Musik auf dem Theater (mehr noch als der Gesangs- und der Orchesterpart) den jeweiligen Umständen vor Ort angepasst wurde. Diesem Charakter einer gewissen Austauschbarkeit trugen viele Komponisten durchaus Rechnung. So war z.B. die Besetzung der banda sul palco in Italien kaum spezifiziert und wurde in jedem Opernhaus anders realisiert; die Noten der Militärkapelle wurden daher in der Partitur nicht in Einzelstimmen, sondern in einer Art Klavierauszug festgehalten. Oft wurde die melodische Gestalt gleich ganz offen gelassen. In diesem Sinne schreibt Carl Maria von Weber in seiner „Romantischen Oper“ Silvana (entstanden 1808-1810) für ein Signal auf der Bühne zunächst nur „Tusch“ vor, im Klavierauszug von 1828 steht an dieser Stelle ein arpeggierter D-Dur- Akkord und die Bemerkung: „Fanfare“. 3 Die konkrete Umsetzung konnte (und kann) also von Aufführung zu Aufführung unterschiedlich sein. Doch auch, wo der Dichter bzw. der Komponist genauere Vorgaben zur Musik auf der Szene macht, wurde ihm nicht immer die intendierte Texttreue zuteil. Die Theaterpraxis, Musik auf der Bühne unter den Vorbehalt der Praktikabilität zu stellen, macht aus der (im Sinne Riemanns) substantiellen Anweisung des Autors nicht selten eine akzidentelle Erscheinung, 1 Hugo Riemanns Musik-Lexikon, Leipzig 1909, S. 198 2 Beate Agnes Schmidt, Musik in Goethes „Faust“, Sinzig 2006, S. 150 3 Carl Maria von Weber, Silvana, herausgegeben von W. Kaehler, Augsburg 1928 [=Erste kritische Gesamtausgabe, herausgegeben von H.J. Moser, R. II, Bd. II], S. XIV 4 die zumindest ihrer Realisierung nach dem Belieben der Aufführung anheim gestellt ist. Richard Wagner wehrte sich stets gegen Eingriffe in seine Anweisungen, auch wenn sie nach Meinung seiner (und noch mehr unserer) Zeitgenossen durchaus sekundären Rang für die Authentizität der Werkaufführung haben: Seine Angaben zu Kulisse, Szenenaufbau und Personenführung sind von bemerkenswerter Präzision – und auch auf die Einhaltung seiner die Musik auf dem Theater betreffenden Vorschriften legt er hohen Wert. Ein Beispiel: Da für die Bühne offensichtlich nach wie vor die künstlerisch geringer eingeschätzten Musiker ausgewählt wurden, betont Wagner die Wichtigkeit des Englisch-Horn-Solos im dritten Tristan -Akt ausdrücklich in der Partitur: „Der Vortrag des Hirtenreigens […] erfordert einen so vollendeten Künstler, dass er jedenfalls von demselben Bläser übernommen und hinter der Szene ausgeführt werden muß, welcher im Verlaufe des ganzen Abends das Englischhorn im Orchester bläst.“ 4 Dieses Zitat steht stellvertretend für zahlreiche andere höchst detaillierte Vorschriften, die Wagner den an und für sich kurzen Musikpassagen auf der Szene beigibt. Doch diese hohe Anzahl an Hinweisen in den Partituren steht in einem seltsamen Missverhältnis zu seinen systematischen Überlegungen zur Bühnenmusik. Er, der wie kein zweiter Komponist der Musikgeschichte in gewaltiger Menge schriftliche Zeugnisse hinterlassen hat, die teils (v.a. als Tagebücher, Briefe, Autobiographie) Einblick in die Lebensumstände geben, teils aber (v.a. in theoretischen Schriften) Gedankengänge, Selbsteinschätzungen und Reflexionsstrategien offenlegen, hat sich zum Phänomen der Musik auf dem Theater so gut wie gar nicht geäußert. Für eine Wagnerforschung (etwa in der Art der ersten und zweiten Bayreuther Jüngergeneration), die ihr Betätigungsgebiet in erster Linie in einer treuen Exegese der Werke des Meisters fand und für die folgerichtig eine möglichst bruchlose Zusammenschau der theoretischen und der musikdramatischen Werke Wagners im Sinne einer wechselseitigen Interpretation das große Ziel darstellte, war daher der Begriff der Bühnenmusik irrelevant, weil auch der Komponist darauf scheinbar keinen Wert legte. Dass das ein Irrtum ist, wie die Häufigkeit der Bühnenmusik und die ausführlichen Angaben in den Noten beweist, hat aber auch die folgenden Forschergenerationen nicht zu einer umfassenden Untersuchung des Themenkomplexes bewegen können. Stellt das Vorhandensein so zahlreicher reflektierender Lebens- und Gedankenäußerungen für die Werkauslegungen mancher Wagnerexegeten eine kaum auszuschlagende Einladung dar, das eine aus dem anderen heraus zu verstehen, so führen doch auf der anderen Seite viele Versuche, Wagner etwa nur als Komponist oder nur als schillerende Persönlichkeit zu 4 Originale Anmerkung in der Partitur. Vgl. Richard Wagner, Sämtliche Werke, Bd. 8, I, herausgegeben von Isolde Vetter, Mainz 1990, S. XII 5 betrachten, ebenfalls zu Zerrbildern. Selbstverständlich kann auch diese Untersuchung dem Dilemma nicht entkommen: entweder das Untersuchungsfeld auf einen der Schaffensbereiche zu reduzieren, was zu einer Verkürzung führen kann, oder sich auf Wagners „Binneninterpretation“ zu stützen, was die Gefahr unwissenschaftlichen Distanzverlustes in sich birgt. Die thematische Beschränkung auf die Bühnenmusik bietet allerdings die Möglichkeit, die ungeheuere Fülle Wagnerscher Materialien auf systematische Weise zu nutzen, ohne den vorgezeichneten Interpretationsabsichten des Komponisten blindlings folgen zu müssen. Diese Möglichkeit wird einerseits durch den Umstand garantiert, dass „Bühnenmusik“ weder als Terminus in Wagners schriftlichen Äußerungen vorkommt noch in seinem theoretischen System einen ausformulierten Platz findet. Das heisst andererseits keinesfalls, dass auch das Phänomen der Bühnenmusik in Wagners Schaffen ein Schattendasein fristete. Vielmehr gibt es kein musikdramatisches Werk von ihm, das auf Instrumentalmusik auf dem Theater verzichtet. Gleichzeitig in jedem Werk (und damit in jeder Schaffensphase) präsent, andererseits von überschaubarem Umfang, schließlich aber „unbelastet“ von ausdrücklichen theoretischen Äußerungen: Gerade diese Mischung ist es, die von einer Beschäftigung mit Bühnenmusik wichtige, wenn auch nicht mühelos erreichbare Ergebnisse erwarten lassen. So ist es die Absicht dieser Studie, Aufschlüsse darüber zu erhalten, wie sich Richard Wagner an die Tradition der Musik auf dem Theater anschließt, wo er diese Tradition samt ihrem aufführungspragmatischen Fokus verlässt