BRGÖ 2016 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs

Ilse REITER-ZATLOUKAL, WIEN Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft

The (In)Dependence of Judges Under Austrofascist and National Socialist Rule Following the dissolution of parliament in in March 1933, the Dollfuß government massively stripped back the rule of law. Government decrees were used first to limit the independence of the judges and, ultimately, to make it obsolete. In this article, these government measures will be examined within the context of party political power relations in Austria and the constitutional framework of their implementation, as well as in reference to discussions in the council of ministers. Furthermore, for the first time, the actual sanctions against individual judges will be documented in order to illustrate the effects of this government policy in practice. Finally, the claim of a 'national state of emergency', used to justify these measures, will be placed in relation to contemporary discussions of 'na- tional emergency law'. The final chapter will then sketch the conceptual reformulation of judicial independence within National Socialist ideology and demonstrate the formal ending of traditional guarantees of unremovability and non-transferability of professional judges in the 'Third Reich' and consequently, in the wake of the 'Annexa- tion' in 1938, in Austria as well. Keywords: Dollfuß government – independance of judge –National Socialism – state of emergency

Nach der Ausschaltung des Parlaments in Ös- Regierungspolitik in der Praxis zu illustrieren. terreich im März 1933 wurden mittels Regie- Schließlich wird der zur Rechtfertigung dieser rungsverordnungen sukzessive „Säulen, die das Maßnahmen behauptete „Staatsnotstand“ in Be- Gebäude des Rechtsstaates getragen hatten, zug zu den zeitgenössischen Diskussionen um umgelegt“,1 darunter die 1934 zunächst zurück- das „Staatsnotrecht“ gesetzt. Das Schlusskapitel gebaute und schließlich de facto obsolet ge- skizziert sodann die begriffliche Neufassung machte Unabhängigkeit der Richter. Im Folgen- von richterlicher Unabhängigkeit durch die NS- den werden diese Maßnahmen im Kontext der Ideologie und zeigt das formelle Ende der tradi- parteipolitischen Kräfteverhältnisse in Öster- tionellen Garantien der Unabsetzbarkeit und reich und der verfassungsrechtlichen Rahmen- Unversetzbarkeit der Berufsrichter im „Dritten bedingungen ihres Zustandekommens sowie Reich“ und somit infolge des „Anschlusses“ anhand der Diskussionen im Ministerrat (MR) 1938 auch im „Land Österreich“ auf. behandelt. Darüber hinaus dokumentiert der Beitrag erstmals konkrete Maßregelungen ein- zelner Richter, um die Auswirkungen dieser

1 LEICHTER, Glanz 199.

http://dx.doi.org/10.1553/BRGOE2016-2s419 420 Ilse REITER-ZATLOUKAL

1. Die Anfänge der richterlichen Folge Art. 87 des Bundesverfassungs-Gesetzes Unabhängigkeit in Österreich vom 1. Oktober 1920 (B-VG) fest, dass die Rich- ter „in Ausübung ihres richterlichen Amtes un- Die Umsetzung der Forderung nach Unabhän- abhängig“ sind, wobei sich ein Richter bei der gigkeit der Berufsrichter begann in Österreich „Besorgung aller ihm nach dem Gesetz und der erst mit der Trennung der Justiz von der Ver- Geschäftsverteilung zustehenden gerichtlichen waltung durch die Verfassung von 1867. Die Geschäfte“ in Ausübung seines richterlichen Unabhängigkeit der Richter, wie sie das Staats- Amtes befindet.7 Die Geschäfte sind „unter die grundgesetz über die richterliche Gewalt garan- Richter eines Gerichts für die in der Gerichtsver- tierte,2 war aber „keineswegs eine besonders fassung bestimmte Zeit im voraus zu verteilen“, ausgeprägte Zäsur, sondern trug eher dazu bei, und eine „nach dieser Einteilung einem Richter Defizite in der Rechtsstellung der Richter deutli- zufallende Sache dar ihm durch Verfügung der cher spürbar zu machen“.3 Richter im Sinne des Justizverwaltung nur im Fall seiner Behinde- Staatsgrundgesetzes über die richterliche Ge- rung abgenommen werden“. Garantiert wird walt waren nämlich zunächst nur die „selbst- die richterliche Unabhängigkeit durch die ständigen richterlichen Beamten“, also nach grundsätzliche Unversetzbarkeit und Unabsetz- dem Richterdisziplinargesetz vom 21. Mai 18684 barkeit der Richter, die in Art. 88 B-VG festge- Präsidenten, Vizepräsidenten und Räte der Ge- legt ist: Außer bei Versetzung in den dauernden richtshöfe sowie die Bezirksrichter, von denen es Ruhestand nach Erreichen der in der Gerichts- jedoch – im Sinne der überkommenen monokra- verfassung bestimmten Altersgrenze können tischen Behördenorganisation – bei jedem Be- Richter „nur in den vom Gesetz vorgeschriebe- zirksgericht (BG) nur einen gab, nämlich den nen Fällen und Formen und auf Grund eines heute als Vorsteher des BG bezeichneten Funk- förmlichen richterlichen Erkenntnisses ihres tionär. Das übrige Personal war, selbst wenn es Amtes entsetzt oder wider ihren Willen an eine richterliche Funktion ausübte, nur als Hilfsper- andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt sonal eingestuft. Diese Situation wurde erst mit werden“, ausgenommen Fälle, „die durch Ver- dem Gerichtsorganisationsgesetz von 18965 ge- änderungen in der Verfassung der Gerichte nö- ändert, das die Gruppe der selbstständigen rich- tig werden.“ Eine zeitweise Enthebung der Rich- terlichen Beamten um die bei den BG angestell- ter vom Amt darf „nur durch Verfügung des ten Einzelrichter erweiterte, sodass nun die rich- Gerichtsvorstandes oder der höheren Gerichts- terliche Unabhängigkeit prinzipiell jedem Rich- behörde bei gleichzeitiger Verweisung der Sache ter im funktionalen Sinn zukam.6 an das zuständige Gericht stattfinden.“ So war Nachdem 1918 der neue Staat „Deutschöster- auf verfassungsrechtlicher Ebene der Schutz der reich“ die Rechtsgrundlagen für die Stellung der richterlichen Unabhängigkeit vor einem Eingrei- Richterschaft rezipiert hatte, legte in weiterer fen der Regierung und der Justizverwaltung in der Ersten Republik umfassend verankert und institutionell garantiert. 2 RGBl. 144/1867, Art. 6: „Die Richter sind in Aus- Freilich kann eine institutionelle Absicherung übung ihres richterlichen Amtes selbstständig und unabhängig.“ der „äußeren“ Unabhängigkeit der Berufsrichter 3 Vgl. m.w.N. KOHL, Entwicklung 19ff; AUBIN, Ent- nicht auch schon deren „innere Unabhängig- wicklung 17f. 4 RGBl. 46/1868, Vgl. LEHNER, Kabinettsjustiz 23f. 5 RGBl. 217/1896. 6 KOHL, Entwicklung 24f. 7 BGBl. 1/1920.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 421 keit“8 bewirken, denn auch sie werden von ih- 2. „Austrofaschismus“ rem sozialen und kulturellen Umfeld mehr oder weniger stark geprägt.9 So waren die „fast aus- 2.1. Politische Hintergründe schließlich aus den oberen Bereichen der sozia- Bereits bald nach dem Ende der Regierungskoa- len Hierarchie stamm[end]en“ Richter auch in lition am Beginn der Ersten Republik traten die der Ersten Republik, „[s]elbst in der festen Ab- ideologischen Gegensätze zwischen Christlich- sicht, unparteiisch Recht zu sprechen, […] meist sozialen und Sozialdemokraten (wieder) klar zu nicht imstande, ihre konservative Weltanschau- Tage und manifestierten sich auch in gewalttäti- ung oder deutschnationale Gesinnung zu über- gen Ausschreitungen ihrer paramilitärischen winden.“10 Bereits in der Zeit zwischen 1923 und Verbände, den „Heimwehren“ und dem „Re- 1932 lagen bei politisch motivierten Straftaten publikanischen Schutzbund“. Seit 1923 machte die über „Marxisten“ verhängten Strafen „mehr dann die SA einen fixen Bestandteil des „an- als doppelt so hoch“ im Vergleich zu ähnlich timarxistischen“ Straßenkampfes aus,16 und 1932 gelagerten Verfahren gegen Nichtmarxisten.11 waren die Nationalsozialisten bereits an 90 % Der „großteils konservativ geprägten Richter- aller politischen Gewaltakte beteiligt.17 Trotz- schaft“12 werden daher bereits vor 1933/34 „auf- dem legten in dieser Phase des „latenten Bür- fallend milde Urteile […] in politischen Prozes- gerkriegs“ die konservativen Regierungen ihr sen gegen rechtsradikale Gewalttäter“ zuge- Hauptaugenmerk auf die Bekämpfung der lin- schrieben.13 Der mit Freisprüchen der Angeklag- ken Opposition, die sich ihrerseits v.a. durch ten endende Hochverratsprozess von 1931 ge- Verbalradikalismus auszeichnete, aber auch vor gen den Heimwehrführer Walter Pfriemer und aktiver, in der Regel jedoch defensiver Gewalt- sieben weitere Putschisten stellte dann einen anwendung nicht zurückschreckte.18 Prinzipiell vorläufigen Höhepunkt „politisch einseitiger war die Linie der Sozialdemokratie entspre- Rechtsprechung“ dar.14 Die Richter galten somit chend dem Linzer Parteiprogramm von 1926 je- 1933 als „nicht besonders arbeiterfreundlich, doch: „demokratisch, so lange wir können: Dik- noch weniger aber […] regierungsfreundlich“, tatur nur, wenn man uns dazu zwingt, und nicht und viele von ihnen waren jedenfalls „durchaus weiter als unbedingt notwendig“ (Otto Bauer).19 nicht für das Dollfuß-Regime“.15 Seit den Wahlerfolgen der Nationalsozialisten, insbesondere bei den Landtagswahlen im April 1932, nahm die seit 20. Mai 1932 amtierende Regierung unter Engelbert Dollfuß dann den „Zweifrontenkrieg“ sowohl gegen Marxisten als auch Nationalsozialisten auf,20 wobei die NSDAP allerdings mehr als „terroristische Or- 8 Vgl. dazu etwa NIEBLER, Unabhängigkeit 21. ganisation“21 und weniger als politische Opposi- 9 HELIGE, Richteramt 145f. 10 BOTZ, Gewalt 251. 11 BOTZ, Verhältnis 160. 16 BOTZ, Gewalt 186ff. 12 HOLTMANN, Unterdrückung 1f., vgl. auch MATTL, 17 Ausführlich GARSCHA, Nationalsozialisten. Beiträge; MATTL, Sozialgeschichte; RATHKOLB, Anmer- 18 BOTZ, Gewalt 1616ff., 317, 277. kungen 81; SZONTAGH, Richtervereinigung 58f. 19 Zit.n. GULICK, Österreich 18; vgl. dazu auch REITER- 13 HOLTMANN, Unterdrückung 1f. ZATLOUKAL, Parlamentarismus 25ff. 14 Ebd. 20 Vgl. zum Folgenden etwa REITER-ZATLOUKAL, Radi- 15 Diskussionsbeitrag Robert Kann, JEDLICKA, NECK, kalisierung 273ff. 12. Februar 155. 21 GARSCHA, Nationalsozialisten 10ff.

422 Ilse REITER-ZATLOUKAL tion agierte. Hauptgegner der Regierung blieb „Wir haben 60 Prozent der Bevölkerung gegen dennoch weiterhin die linke Opposition, war uns“.30 doch die SDAPÖ nach wie vor eine Massenpar- Ausschlaggebend für die weitere Entwicklung tei, während die Nationalsozialisten 1933 bun- waren dann die Ereignisse am 4. März 1933,31 als desweit erst etwa 10 % der sozialdemokrati- der Nationalrat durch die Rücktritte der Natio- schen Mitgliederstärke erreichen konnten.22 In nalratspräsidenten in den Zustand einer – aller- Wien hatten jedenfalls bei den Wahlen 1932 der dings rein formalen – Handlungsunfähigkeit ge- politische Arm der Heimwehren, der „Heimat- raten war und die Regierung, von der „Selbst- block“, sowie die „Großdeutsche Volkspartei“ ausschaltung“ des Nationalrates sprechend, des- eine vollständige Niederlage erlitten und die sen erneutes Zusammentreten mittels Polizeiein- Christlichsozialen deutlich Stimmen verloren satzes verhinderte. Dollfuß nützte nun die Gele- (22 % 1930, 18 % 1932).23 Die SDAPÖ hatte da- genheit, ein „straffes Autoritätsregime“ unter gegen nur geringe Verluste erlitten (55 % 1930, Ausschaltung der Oppositionsparteien zu er- 52,5 % 1932), die KPÖ ihren Stimmenanteil sogar richten. Die Regierung besaß damals freilich mehr als verdoppelt (0,8 % 1930, 1,7 % 1932),24 noch „keineswegs ein klares Programm in Rich- und die NSDAP war zur drittstärksten Partei tung Etablierung einer neuen Herrschafts- aufgestiegen (2 % 1930, 15,5 % 1932).25 Ange- form“,32 sondern sah zunächst den durch sie ge- sichts dieser „Barometerwahl“26 hatte der Nati- schaffenen Zustand als nur einen „vorüberge- onalrat auch (auf Antrag der SDAPÖ) im Mai henden“ mit dem Ziel einer „Verfassungs- und 1932 die Ausschreibung von Neuwahlen be- Parlamentsreform“.33 Allerdings lotete sie in schlossen, welche die neue Regierung allerdings weiterer Folge die Grenzen der Ermächtigungs- unbedingt verhindern musste, wollte sie ihre gesetzgebung ohne Parlament aus und erließ Einstimmenmehrheit im Nationalrat nicht ver- grundrechtseinschränkende Versammlungs- so- lieren und die Christlichsozialen nicht zur wie Aufmarschverbote. „drittstärksten Partei“ herabsinken lassen, wie dies Parteiobmann auch klar aus- Die Regierung stützte sich dafür zunächst auf sprach.27 Der Kärntner Christlichsoziale Sylves- das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz ter Leer brachte dies im Parteivorstand am (KwEG) von 1917, das der Regierung die Befug- 9. März 1933 deutlich auf den Punkt: „Neuwah- nis eingeräumt hatte, „während der Dauer der len bedeuten heute ein Debakel“,28 und der dem durch den Krieg hervorgerufenen außeror- Landbund zugehörige Vizekanzler Franz Wink- dentlichen Verhältnisse durch Verordnung die ler29 konstatierte wenige Tage später lapidar: notwendigen Verfügungen zur Förderung und

22 KONRAD, Werben 74f.; BOTZ, Strukturwandlungen Wirtschaftsblock“ bildete. Er war zwischen 1930 und 175ff; WILTSCHEGG, 31. Mai 1933 BMI bzw. als Vizekanzler (29. 1. 1932) mit 23 Vgl. etwa STAUDINGER, Partei 266f. der Leitung der Angelegenheiten der inneren Verwal- 24 STEINER, Partei 322. tung betraut, danach bis 10. 5. 1933 mit der Leitung 25 HÄNISCH, Wahlentwicklung 491. der wirtschaftspolitischen Angelegenheiten. 1934 emi- 26 KREISSLER, Revolution 186. grierte er nach Deutschland, trat der NSDAP bei und 27 Zit.n. HUEMER, Sektionschef Hecht 109, 195. wurde 1935 aus Österreich ausgebürgert. 28 Parteivorstand 9. 3. 1933, GOLDINGER, Protokolle 30 Parteivorstand 9. 3. 1933, GOLDINGER, Protokolle 151, 156. 182. 29 Winkler war Parteiobmann des Landbundes, der 31 FRÖSCHL, ZOITL, März 1933. sich zum Antimarxismus und Ständegedanken, nicht 32 TÁLOS, MANOSCHEK, Konstituierungsprozess 12. aber zur Heimwehr bekannte, und ab 1930 mit den 33 Parteivorstand 14. 3. 1933, GOLDINGER, Protokolle Großdeutschen die Wahlgemeinschaft „Nationaler 184.

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Wiederaufrichtung des wirtschaftlichen Lebens, Ermächtigungsgesetz auf bundesverfassungsge- zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen und setzlicher Ebene40 das KwEG. zur Versorgung der Bevölkerung mit Nah- Nachdem bereits Ende März 1933 die Auflösung rungsmitteln und anderen Bedarfsgegenständen des Republikanischen Schutzbundes auf ver- zu treffen.“ Das KwEG war 1918 übergeleitet einsrechtlicher Ebene erfolgt war,41 setzte die Re- und 1920 mit dem Verfassungsüberleitungsge- gierung ihr „little legal dictatorship“,42 so damals setz explizit in Kraft belassen worden,34 und der amerikanische Gesandte, dann damit fort, zwar trotz bereits damals vorhandener Miss- auf der Grundlage des KwEG die oppositionel- brauchsbedenken.35 Wie die Ereignisse seit dem len Parteien zu verbieten und generell den 4. März 1933 zeigten, war hinfort die gesamte Rechtsstaat abzubauen. So wurde am 26. Mai Rechtspolitik der Regierung dem Grundprinzip jegliche Betätigung für die KPÖ verboten,43 am geschuldet, „jeden offen revolutionären Schritt 19. Juni 1933 auch für die NSDAP.44 War die Po- zu vermeiden, Wahrung der Rechtskontinuität litik gegen die Nationalsozialisten nämlich zwar unter allen Umständen“, was in der Praxis eben anfänglich durchaus noch schonend, weil man auch nur „vorgebliche Wahrung der Rechtskon- hoffte, sie vielleicht für die Regierungslinie ge- tinuität“ bedeutete.36 winnen zu können, wenn man in entschiedener Eine Überprüfung dieser Regierungspraxis Weise den „Weg der Faschisierung des österrei- durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH) ver- chischen Staates“ einschlage,45 so hatten die Er- unmöglichte die Regierung durch Ausschaltung nennung Hitlers zum deutschen Reichskanzler desselben im Mai 1933 mittels KwEG-Verord- im Jänner 1933 und die Reichstagswahlen vom nung,37 als dessen Entscheidung über einige von März 1933 „die führenden Kreise der österrei- der „roten“ Wiener Landesregierung angefoch- chischen Politik in schwerste Bestürzung ge- tene KwEG-Verordnungen anstand, wodurch setzt“.46 Dazu kamen die Abkühlung des Klimas dieser Regierungspraxis zweifellos der Boden zwischen der österreichischen und deutschen entzogen worden wäre. „So wie sich Baron Regierung sowie die sich seit Juni 1933 in be- Münchhausen […] einst am eigenen Schopf aus sonderem Maße manifestierende „Sprengstoff- dem Sumpf zog“, so rettete sich nun auch die politik“47 der österreichischen Nationalsozialis- Regierung mit einer weiteren verfassungswidri- ten. Nun sagte die österreichische Regierung gen Verordnung „aus dem Sumpf der Illegali- auch den Nationalsozialisten den Kampf an – tät“.38 Dem von der Verfassung 1934 anstelle freilich ohne den Kampf gegen den „Bolsche- von VfGH und Verwaltungsgerichtshof einge- wismus“ im Geringsten einzuschränken, denn – richteten BGH war dann das Prüfungsrecht für so erklärte etwa , der Bundes- Verordnungen vor dem Juli 1934 überhaupt ge- minister (BM) für soziale Verwaltung: „Mit den nerell entzogen,39 womit eine rechtsstaatliche Sozialdemokraten zusammengehen, um die NS- Kontrolle der KwEG-Rechtspraxis weiterhin un- möglich war. Ab Ende April ersetzte dann ein 40 BGBl. I 255/1934. 41 VLCEK, Schutzbund; ROTHLÄNDER, Vermögensbe- schlagnahme. 34 StGBl. 1/1918, StGBl. 451/1920, BGBl. 2/1920. 42 Zit.n. GOLDNER, Dollfuss 41. 35 Vgl. HUEMER, Sektionschef Hecht 140. 43 BGBl. 200/1933. 36 Ebd. 301. 44 BGBl. 240/1933. 37 BGBl. 1933/191. 45 Brief Mussolinis an Dollfuß, 9. 9. 1933, MADERTHA- 38 GRAF, Rechtslehre 62. NER, Briefwechsel 37. 39 BGBl. II 75/1934; Vgl. zu diesem REITER-ZATLOUKAL, 46 WINKLER, Diktatur 44f. Bundesgerichtshof. 47 SCHUSCHNIGG, Österreich 219.

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Welle aufzuhalten, [da] bringt man sich um“,48 Parteiverbot für die SDAPÖ,54 weil sie, so Leo- und Staatssekretär Odo Neustädter-Stürmer war pold Kunschak, „gegen den Staat und seine Un- der Ansicht, nur auf diese Weise die Nationalso- abhängigkeit revoltiert“ hätte, weshalb sie der zialisten „überhitlern“ zu können.49 Dollfuß wie- „Staat“ im „Zustand der Notwehr […] ausge- derum war davon überzeugt,50 die „braune Wel- schaltet“ habe.55 Damit war nun endgültig der le […] nur auffangen“ zu können, wenn man Umbruch in die Diktatur vollzogen. „das, was die Nazi versprechen und in Deutsch- land getan haben, was ohnehin gemildert wird 2.2. Eingriffe der Regierung durch verschiedene Richtungen bei uns, selber in die Justiz mache“. Nur dann werde es gelingen, einem „Großteil der Sozi-Mitglieder beizubringen, daß 2.2.1. Etablierungsphase 1933/34 sie keine Macht mehr haben“, und sie würden Erste Eingriffe in die Justiz, die ein tiefes Miss- „weggehen von den Sozi“. trauen der Regierung gegenüber derselben zum Ausdruck brachten, erfolgten bereits unmittel- Die Nationalsozialisten freilich waren mit dieser bar nach der von der Regierung so bezeichneten Regierungspolitik zufrieden, „weil“– so Theo Selbstausschaltung des Nationalrats am 4. März Habicht, der NS-„Landesinspekteur“ – „die ab- 1933.56 Schon Ende März 1933 hatte Dollfuß gefallenen Sozi Nazi werden“, was Dollfuß im aufgrund der aus seiner Sicht unbefriedigenden Mai 1933 auf folgende Weise kommentierte: „Ich Beschlagnahmepraxis betreffend oppositionelle bin so Antimarxist, daß ich auch das in Kauf Zeitungen verlangt, dass die „staatsanwaltlichen nehme“.51 Außerdem intensivierte Benito Mus- Funktionäre ganz besonders angehalten werden solini im Juli 1933 den Druck auf Dollfuß, for- müssten, eine mit der Regierungspolitik über- derte ihn auf,52 „in der energischsten Weise“ zu einstimmende Praxis zu üben“,57 und nach ers- reagieren und die „notwendigen Maßnahmen“ ten Abänderungen der Geschwornengerichts- zu ergreifen, was auch einen allfälligen „Belage- barkeit Ende März 193358 sollte nun auch die rungszustand“ einschließe. Der Kampf gegen Berufsrichterschaft möglichst eng an die Regie- die Sozialdemokraten müsse verstärkt werden, rungslinie gebunden werden. Dies erfolgte aber denn es dürfe nicht den „Nazi die Waffe des anfänglich durchaus verschleiert und unter Ver- Antimarxismus in die Hand gegeben werden“, meidung von gröberen Repressalien.59 da sie sich sonst „in einem gegebenen Moment als Retter der Lage“ aufspielen könnten. So wurde etwa bereits am 7. April 1933 auf Be- schluss des Ministerrates (MR) vom 31. März für Die weiteren Aktivitäten der illegalen National- alle Bundesbeamten durch Erlass mit Strafan- sozialisten gipfelten dann im Juliputsch 1934,53 bei dem Bundeskanzler Dollfuß ermordet wur- de. Im Zuge des Schutzbundaufstandes am 12. Februar 1934 erfolgte schließlich auch das 54 BGBl. 78/1934. 55 Parteivorstand 15. 2. 1933, GOLDINGER, Protokolle 48 Zit.n. WEINZIERL, Notizen 119. 355. 49 STAUDINGER, Partei 72. 56 NEUGEBAUER, Repressionsapparat 301ff.; die Aus- 50 Parteivorstand 25. 3. 1933, GOLDINGER, Protokolle führungen unter 2.2.1. und 2.2.2. stützen sich weitge- 212. hend auf REITER, Unabhängigkeit. 51 Parteivorstand 3. 5. 1933, ebd. 241. 57 MRP 863, 31. 3. 1933, NECK, WANDRUSZKA, Protokol- 52 Brief 1. 7. 1933, MADERTHANER, Briefwechsel 19; le VIII/3, 68. auch ROSS, Hitler 77. 58 Siehe dazu REITER, Unabhängigkeit m.w.N. 53 JAGSCHITZ, Putsch; BAUER, Elementar-Ereignis. 59 Vgl. dazu HOLTMANN, Unterdrückung 56.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 425 drohung verfügt,60 dass diesen nicht nur inner- Dienstbehörde sofort Meldung zu erstatten ha- halb, sondern nun auch außerhalb des Dienstes be.61 Dieser Erlass verursachte eine „bedeutende jede „abfällige Kritik am Staat und an den ver- Erregung“ unter den Richtern, die im Zusam- antwortlichen obersten Staatsorganen in Wort menhang mit der ihnen auferlegten Anzeige- oder Schrift“ untersagt sei und jeder Beamte zur pflicht eine „Schmälerung des Vertrauens, der Hintanhaltung solcher Vorkommisse über Eintracht und reibungslosen Zusammenarbei- „Wahrnehmungen in dieser Richtung“ der tens“ befürchteten.62 Einige Richter legten Ver- wahrung gegen die nach ihrer Ansicht mit den 60 BMJ, GZ 1.475/33, ÖStA, AVA, Justiz JM, Allgemein verfassungsmäßigen Staatsbürgerrechten und Pers.Ger., G. 5a, Kart. 4465. Außerdem waren ihnen den Vorschriften des Richterdienstrechts unver- eine parteipolitische Betätigung, das Tragen von Ab- zeichen im Amt sowie die Verbreitung von parteipoli- einbaren Bestimmungen des Erlasses ein. Der tischen Druckschriften und die Einhebung von Spen- Gerichtsvorsteher in Villach lehnte es darüber den und Beiträgen für politische Zwecke im Amt hinaus „aus Standesrücksichten“ explizit ab, verboten. Bereits der Erlass vom 20. 11. 1931 monier- „die ,Wahrnehmungen‘ durch Richter und Be- te, dass nicht von allen Bundesbediensteten „bei ih- amte gegen Kollegen entgegenzunehmen“, und rem außerdienstlichen Verhalten die ihnen durch ihre Dienstpflichten vorgeschriebene Zurückhaltung ge- tat kund, dass wer immer sich bewogen fühle, wahrt“ werde. Sie hätten „in und ausser Dienst alles solche Anzeigen zu erstatten, dies „bei der über- zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, geordneten Stelle oder bei der StA. oder bei der die ihre Stellung erfordert – vor allem das Vertrauen Polizei“ tun möge.63 in ihre unparteiische dienstliche Haltung – schmälern könnte“. Es war ihnen daher „besonders eine Betäti- Mit Verordnung vom 10. Mai 193364 wurden, gung im Vereinsleben, die den Pflichten eines Beam- nachdem 1919 der religiös formulierte Diensteid ten widerstreitet, verboten sowie das Eingehen von der Monarchie durch eine Vereidigung durch Verbindungen mit dem Zweck der Herbeiführung von Störungen oder Hemmungen des Dienstbetrie- Handschlag ersetzt worden war, eine neue Ei- bes“. Der Beamte hatte daher „jede ausserdienstliche desformel vorgeschrieben und die neuerliche Betätigung – insbesondere im politischen und Ver- Vereidigung aller Beamten angeordnet. Hatten einsleben – zu unterlassen, die wegen der Art der die Richter in der Republik „die Erfüllung ihrer Betätigung an sich oder wegen der Ziele, die ihr zu Pflichten, insbesondere die unverbrüchliche Be- Grunde liegen, zu den vorbezeichneten Dienstpflich- ten in unmittelbarem Widerspruch steht oder geeig- obachtung der Grundgesetze und Gesetze zu ge- net ist, ihn in einen solchen Widerspruch zu verwi- loben“,65 so lautete der neue „Richtereid“ nun:66 ckeln“. Auch war das Tragen von politischen Abzei- chen, welcher Art auch immer, im Dienst unzulässig, vgl. BMJ GZ 5189-3/31: BKA, betreffend die Erinne- rung der Bundesangestellten an ihre Dienstpflichten. 61 Äußerung des BG Feldkirchen 2. 5. 1933, übermit- Da allerdings dieser Erlass „nicht von allen Richtern telt durch OLG-Präs. Graz an BMJ, GZ 2070-3/33, ebd. entsprechend gewürdigt“ wurde, musste er zu Jah- 62 LG-Präs. Klagenfurt an das OLG-Präs. Graz, 28. 4. resbeginn 1932 erneut eingeschärft werden. Als der 1933, GZ 1992-3/33, ebd. BMJ den Auftrag erteilte, „dass die Richter neuer- 63 Er wurde daraufhin allerdings sofort auf Anord- dings an die gebotene Zurückhaltung bei der politi- nung des BMJ befragt, ob diese Erklärung eine Wei- schen Tätigkeit erinnert“ werden sollten, hagelte es gerung darstelle, „über Wahrnehmungen jeder Beein- Proteste von Richtern, die sich bei den Landtagswah- trächtigung der öffentlichen Interessen oder des ge- len von 1932 für die NSDAP engagierten und nun ordneten Ganges der Verwaltung der Dienstbehörde behaupteten, das BMJ habe den richterlichen Beamten sofort Meldung zu erstatten“, OLG-Präs. Graz, 26. 5. verboten, auf Versammlungen zu sprechen und in 1933, ebd. Zeitungen zu schreiben, vgl. BMJ Amtserinnerung 64 BGBl. 173/1933; vgl. auch MRP 872, 10. 5. 1933, betreffend die Erinnerung der Richter an ihre Dienst- NECK, WANDRUSZKA, Protokolle VIII/3, 290. pflichten bei ihrer politischen Betätigung, GZ 901- 65 StGBl. 38/1918; übernommen durch RGBl. 217/1896; 3/32, ebd. BGBl. 422/1921.

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„Sie werden einen Eid zu Gott dem Allmächti- verhältnis zum Staat“ stehe, „aber nur im gen schwören und bei Ihrer Ehre und Ihrem Ge- Dienst, nicht außerhalb des Dienstes“, da Art. 7 wissen geloben, dem Bundestaate Österreich B-VG „die ungeschmälerte Ausübung seiner po- treu und gehorsam zu sein und die Gesetze der litischen Rechte“ sichere, „wozu selbstverständ- Republik unverbrüchlich zu beobachten. Sie lich auch das Recht auf oppositionelle Stellung- werden ferner schwören, sich mit aller Kraft und nahme zu der jeweiligen Regierung gehört“. mit allem Eifer dem Dienste zu widmen und in Dass der Beamte „außerhalb des Dienstes ein jeder Diensteseigenschaft die Pflicht Ihres Amtes freier Bürger des Staates sei, frei wie jeder ande- gewissenhaft, unparteiisch und uneigennützig re Bürger“, stelle nicht nur die „Grundlage jedes zu erfüllen, jederzeit auf die Wahrung der öf- demokratischen Beamtenrechtes“ dar, sondern fentlichen Interessen bedacht zu sein, und alles sei „ein Erfordernis der Demokratie überhaupt“, zu vermeiden […], was diesen abträglich sein und: „Man schützt die Demokratie nicht gegen oder den geordneten Gang der Verwaltung be- den Fascismus, sondern man gefährdet sie, einträchtigen könnte […]. Insbesondere werden wenn man diesen Grundsatz verletzt oder seine Sie schwören, der vom Bundespräsidenten be- Geltung einschränkt.“ Darüber hinaus wies die stellten Regierung treu und gehorsam zu sein“. AZ darauf hin, dass die Regierung, die von den Die Verweigerung der Eidesleistung wurde als Beamten die „gewissenhafteste Beobachtung al- Austritt aus dem Dienstverhältnis gesehen, der ler Gesetze“ fordere, diesen mit gutem Beispiel den Verlust aller aus dem Dienstverhältnis er- vorangehen und „selbst vor allem die Verfas- fließenden Rechte und Ansprüche nach sich zog. sung […] gewissenhaft beobachten“ müsse. Für die „Wiener Zeitung“67 war es „wohl nahe- Die in dieser Verordnung geregelte Verschär- liegend, daß auch die Richter, die einen Grund- fung des Disziplinarrechts für Beamte betraf die pfeiler im staatlichen Gebäude darstellen, die Richter allerdings nicht, denn für sie galt wei- unverbrüchliche Beobachtung der Gesetze in terhin das Richterdisziplinargesetz von 1868.69 der besonders feierlichen Form eines Eides zu Dieses normierte als Strafe für Ordnungswidrig- versprechen“ hätten, und der Inhalt des Eides keiten die „Mahnung“ und den „Verweis“, der entspreche ohnedies „vollkommen dem bisheri- in den „Personal-Standesausweis“ einzutragen gen Gelöbnisse“ – was allerdings nicht zutraf. war, für Dienstvergehen jedoch die Disziplinar- Daher betonte die „Arbeiter-Zeitung“ (AZ),68 strafen der Versetzung mit gleichen Rang an dass der neue Diensteid „manches Auffällige“ einen anderen Dienstort ohne Anspruch auf die enthalte. So sollten die Beamten dem „Bundes- Übersiedlungskosten, was im Fall einer Ver- staat Österreich treu und gehorsam“ sein, und schärfung mit einer Minderung der Dienstbezü- nicht, „wie doch der offizielle Titel lautet, der ge verbunden werden konnte, weiters die Ver- ,Republik Österreich‘ “ – was freilich der Distan- setzung in den Ruhestand auf unbestimmte Zeit zierung der Regierung von der parlamentari- mit Verminderung der Ruhegenusszahlungen schen Demokratie der „Republik Österreich“ ge- sowie die Dienstentlassung bei Verlust des Pen- schuldet war. Was die Treue gegenüber der Re- sionsanspruches. Die Verhängung solcher Dis- gierung anbelangt, so kommentierte die AZ, ziplinarstrafen war nur durch Erkenntnis des dass der Beamte „selbstverständlich im Treue- zuständigen Disziplinargerichtes möglich, also je nach Anstellung des betroffenen Richters des 66 WrZ, Nr. 110 v. 12. 5. 1933, 3, siehe dazu auch SED- Oberlandesgerichtes (OLG) bzw. Obersten Ge- LAK, Sanktionen 72. 67 WrZ, Nr. 110 v. 12. 5. 1933, 2. 68 AZ, Nr. 130 v. 12. 5. 1933, 1f. 69 RGBl. 46/1868.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 427 richtshofes (OGH). Gegen Erkenntnisse eines er daran, „gewisse Bezirksgerichte durch die Disziplinarsenates der OLG konnte an den Dis- Abnahme der Strafgerichtsbarkeit zu strafen“. In ziplinarsenat des OGH berufen werden, kein diesen Fällen wären „auch Versetzungen und Rechtsmittel bestand gegen Erkenntnisse des Pensionierungen von Richtern auf der Grundla- Disziplinarsenats des OGH. ge von Organisationsänderungen möglich.“ Wenngleich Schuschnigg also noch die Schran- Maßnahmen zur Kontrolle der Richter bildeten ken der geltenden Bundesverfassung 1920 an- in weiterer Folge auch einen Gegenstand der sprach, so vertrat auch er die grundsätzliche Po- Diskussionen im MR im Juli 1933.70 Odo Neu- sition, dass sich die „Unabsetzbarkeit der Rich- städter-Stürmer, Staatssekretär für Arbeitsbe- ter […] aus Gründen der Wahrnehmung der schaffung seit der Regierungsumbildung im Staatsautorität und des Ansehens der Gerichte Mai, forderte etwa eine Änderung der Gerichts- heute ebenso wenig aufrechterhalten“ ließe wie organisation zwecks Schaffung von Möglichkei- „die Autonomie der Gerichte in der Festsetzung ten, eine „notwendige Auswechslung von Rich- der Geschäftseinteilung“. Jedenfalls müssten tern durchzuführen, ohne an die sonst vorge- diejenigen „Richter, die Politik und Rechtspre- schriebenen Förmlichkeiten gebunden zu sein“, chung mit einander verwechseln, […] aus der weil „bei vielen ländlichen Gerichten die Richter Rechtspflege entfernt werden können.“ Er nicht nach Recht und Gesetz entscheiden, son- sprach sich aber dafür aus, „[z]u starke Eingriffe dern sich bei ihren Erkenntnissen von politi- in die Rechtsprechung“ zu vermeiden, „damit schen Gesichtspunkten leiten lassen“. Dollfuß Österreich nicht auf die Stufe des Deutschen unterstützte dies nicht nur, sondern schlug dar- Reiches gerate“ – wobei allerdings das Deutsche über hinaus vor, „gewisse Angelegenheiten poli- Reich selbst zunächst die Fassade des Rechts- tischer Natur an einen Sondergerichtshof zu ver- staates und auch die Unabhängigkeit der Richter weisen“, denn die richterliche Unabhängigkeit nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozia- würde derzeit „unter Verfälschung ihres Sinnes listen in formeller Hinsicht aufrecht erhalten so vielfach missbraucht, daß sie in dieser Form hatte, wie noch zu zeigen sein wird. nicht mehr aufrecht bleiben könne.“ Diese Er- kenntnis habe auch im Deutschen Reich platzge- Bereits im Jänner 1934 nahm die Diskussion im griffen, „wo die richterliche Unabhängigkeit MR dann insofern konkretere Formen an, als praktisch so gut wie außer Kraft gesetzt sei.“ nun eine „Reform des Gerichtswesens“ geplant Justizminister wies freilich auf wurde, die auch das Ende des eigenen Richter- die Bestimmungen der Bundesverfassung hin, disziplinarrechts bringen sollte. So regte Neu- die solche „Reformen großen Stiles“ nicht er- städter-Stürmer an,71 mit einer Justizreform die laubten, berichtete aber über Aktivitäten seines Möglichkeit zu schaffen, über das Richterdiszip- Ressorts, „die Jurisdiktion in politischen Delik- linarrecht hinaus „Richter, die sich im Sinne ten den Bezirksgerichten im allgemeinen abzu- einer verbotenen Partei betätigt hätten oder be- nehmen und in einer Abteilung beim BG am tätigten, zu amovieren.“ Der Landbund-Politi- Sitze des Landesgerichts (LG) zu vereinigen, auf ker Franz Glas, Staatssekretär im Justizministe- deren Besetzung im Wege der Geschäftsvertei- rium (BMJ) bis Juli 1934, warnte allerdings vor lung durch den Gerichtshofpräsidenten Einfluß einer derartigen Maßnahme, zumal die österrei- genommen werden könnte.“ Außerdem denke chische Justiz „bis vor Kurzem in der ganzen

70 Die folgenden Zitate MRP 893, 26. 7. 1933, NECK, 71 Die folgenden Zitate MRP 918, 26. 1. 1934, NECK, WANDRUSZKA, Protokolle VIII/4, 250ff. WANDRUSZKA, Protokolle VIII/5, 452ff.

428 Ilse REITER-ZATLOUKAL

Welt hochangesehen gewesen“ sei. Eine solche so ändern, dass „im Effekt das Ansehen der Maßnahme würde „vom Ausland dahin ausge- österreichischen Rechtsprechung gewahrt wer- legt werden“, dass „Österreich […] nunmehr in de“, da bislang eben die „Justizverwaltung kei- eine derart schwierige Lage geraten [sei], daß es ne Möglichkeit habe, auf die Geschäftsvertei- sogar gegenüber den eigenen […] Richtern die lung bei den Gerichten Einfluß zu nehmen und schärfsten Maßnahmen ergreifen müsse“. Dass damit bestimmte Richter von bestimmten Ge- die tatsächliche Bedrohung offenbar geringer schäftsgruppen zu entfernen.“ war, als man selbst glauben machen wollte, gab Nachdem mit einer weiteren Reform der Schuschnigg im MR selbst zu. Es sei nämlich die Schwurgerichtsbarkeit Ende Jänner 1934 Befug- Reform „an sich gewiß nicht so dringend, wenn nisse der Geschworenenbank zugunsten der die Bevölkerung das Bewusstsein hätte, bei Ge- Richterbank verschoben worden waren,72 entzog richt immer ihren Schutz zu finden“, wobei hier dann eine Regierungsverordnung vom 9. Febru- „auch eine Rolle spiele, dass die sogenannte öf- ar 193473 den richterlichen Selbstverwaltungs- fentliche Meinung nur zu leicht bereit sei, ein körpern die ihnen bisher zustehende jährliche Pauschalurteil zu fällen.“ Er gestand zu, dass Geschäftseinteilung. Hinkünftig wurden die „die Mehrzahl der Gerichte, insbesondere in Richter des Gerichtshofes 1. Instanz durch den Wien, […] absolut ihre Pflicht“ erfülle, aber in Präsidenten des Gerichtshofes, der auch die anderen Gerichtssprengeln seien „schwere Ver- jährliche Geschäftsverteilung festsetzte, auf die stöße vorgekommen“, gegen die „zweifellos Re- dem Gerichtshof zugeordneten Senate verteilt. medur geschaffen werden“ müsse. Die „über- Diese Geschäfts- und Personalverteilung unter- wiegende Zahl der Richter“ war Schuschnigg lag der Genehmigung des OLG-Präsidenten, die zufolge ohnedies „staatstreu und objektiv“, aber Geschäftsverteilung des OLG der des BMJ. Bei es genüge eben, „daß bei einem Kreisgericht mit den BG ,hatte nun der Gerichtsvorsteher die Ge- einem Stand von 30 Richtern 3 Richter nicht schäftseinteilung vorzunehmen und diese dem ganz loyal seien, um das ganze Kreisgericht Präsidenten des übergeordneten Gerichtshofes nach diesen 3 unverläßlichen Beamten zu beur- anzuzeigen, wobei sich der Präsident des Ge- teilen.“ Einzelne Vorkommnisse seien „sehr richtshofes 1. oder 2. Instanz die Genehmigung ernst“ zu nehmen und für „einen geordneten der beabsichtigten Geschäftseinteilung vorbe- Staat untragbar, denn die Verfassung und das halten konnte, um – wie aus den Ministerrats- Recht hoch in Ehren, aber wenn das Letztere protokollen (MRP) hervorgeht74 – besonders die bloßes Buchstabenrecht geworden sei und sei- Bezirksgerichte in Gegenden „mit politisch unsi- nem eigentlichen Sinn, Ordnung im Staat zu cheren Verhältnissen“ im Auge zu behalten. schaffen, nicht mehr genüge, dann verliere auch Während des Jahres konnte der Präsident des der Staat seinen Sinn.“ Ziel müsse sein, „so bald Gerichtshofes oder der BG-Vorsteher die Ge- wie möglich zur neuen Verfassung zu kom- schäftsverteilung (unter Anzeigepflicht an den men“, aber solange „die alte noch bestehe, müs- übergeordneten Gerichtspräsidenten) aus se man auch an ihr festhalten“. Daher dürften „wichtigen Gründen“ ändern. Dieses Recht wur- auch die Richter weiterhin nicht dem Diszipli- de dem OLG-Präsidenten hinsichtlich aller ihm narrecht der Verwaltungsbeamten unterstellt unterstehenden Gerichte zugesprochen. Darüber werden, sondern man müsse „andere Möglich- keiten suchen“. Es sei aber klar, „dass da Ord- 72 BGBl. I 61/1934. nung gemacht werden müsse, […] zumal sonst 73 BGBl. I 83/1934; vgl. auch WÄCHTER, Politik 75ff. alles […] sabotiert würde.“ Man müsse daher 74 MRP 921, 9. 2. 1934, NECK, WANDRUSZKA, Protokolle wohl zunächst das Gerichtsorganisationsgesetz VIII/5, 548.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 429 hinaus erhielt das BMJ das Recht, die Geschäfts- In der Diskussion zu dieser Verordnung im verteilung aller Gerichte jederzeit zu ändern. MR76 sprach sich Staatssekretär Glas dafür aus, Damit waren nun tatsächlich, wie es die Sozial- dass „auch die Fälle einer politisch untragbaren demokratie kritisierte, „tiefe Eingriffe in die Ge- Einstellung eines Richters“ erfasst sein müssten. richtsverfassung vorgenommen worden […], die Robert Kerber, selbst Jurist, Christlichsozialer es ermöglichten, ausgewählte Richter mit aus- und Innenminister (BMI) bis Anfang 1934, kriti- gewählten Prozessen zu betrauen“.75 sierte, dass die Beurteilung, ob „wichtige dienst- liche Rücksichten“ vorlägen, der „Administra- Außerdem konnten aufgrund dieser Verord- tivinstanz“ zukäme, was ihm verfassungsrecht- nung nun auch Richter durch Verfügung des lich bedenklich erschien. Es würde „jedenfalls BMJ oder des OLG-Präsidenten gegen ihren Wil- optisch besser wirken, wenn in dem Falle, als len „aus wichtigen dienstlichen Rücksichten“ bis ein Richter zu unliebsamen Wahrnehmungen zu einem Jahr „außerhalb ihres Amtssitzes ver- Anlaß gebe“, das Vorhandensein der gesetzli- wendet werden“. Die Verordnung vom 9. Feb- chen Voraussetzungen für eine derartige Maß- ruar 1934 änderte nämlich auch das Richterdis- nahme vom richterlichen Personalsenat festge- ziplinargesetz von 1868, das ursprünglich vor- stellt würde, um nicht „das Vertrauen der Be- gesehen hatte, dass eine zeitweise Verwendung völkerung in die Objektivität der Rechtspre- richterlicher Beamter außerhalb ihres Amtssitzes chung zu erschüttern“. Schuschnigg hingegen zur Supplierung und Aushilfsleistung (gegen betonte, dass das, „was in der Verordnung ver- die gesetzliche zustehende Entschädigung) einer arbeitet worden sei, das Minimum dessen dar- unfreiwilligen Versetzung an einen anderen stelle, was aufgrund der geltenden verfassungs- Dienstposten nicht gleichzuhalten war, und eine rechtlichen Bestimmungen erreicht werden kön- solche zeitweise Verwendung gegen den Willen ne und auch erreicht werden müsse, wenn auf des betreffenden Beamten nur innerhalb des ei- dem Gebiet des Gerichtswesens jene durchgrei- genen OLG-Sprengels und nicht über 6 Monate fende Ordnung erzielt werden solle, die gegen- verfügt werden durfte. Hinkünftig konnte je- wärtig zweifellos unbedingt erforderlich sei“. doch ein Richter „aus wichtigen dienstlichen Von der Verwendung des Begriffes „Verset- Rücksichten zeitweise“ durch Verfügung des zung“ der Richter habe man Abstand genom- OLG-Präsidenten oder nach dessen Anhörung men, da eine solche Maßnahme verfassungswid- durch Verfügung des BMJ gegen die zustehende rig gewesen wäre. Eine derartige Beschränkung Entschädigung „selbst wider seinen Willen, aber sei ja auch schon nach den geltenden Bestim- höchstens auf die Dauer eines Jahres“, auch mungen zulässig, allerdings nur auf den OLG- außerhalb seines Amtssitzes verwendet werden. Sprengel beschränkt, wodurch „gewisse Gerich- Eine solche Verwendung war nun der unfreiwil- te“ eines OLG-Sprengels geradezu „lahmgelegt“ ligen Versetzung an einen anderen Dienstposten worden seien. Eine Bindung an die Personalse- gleichzusetzen. Bei Verwendung in einem ande- nate lehnte Schuschnigg ab, weil dadurch der ren OLG-Sprengel war, wenn keine Verfügung Zweck der Bestimmung „vollkommen vereitelt“ des BMJ vorlag, das Einvernehmen der beiden würde, da „die Justizverwaltung in diesen Per- OLG-Präsidenten herzustellen. sonalsenaten aus zum Teil menschlich begreifli- chen Gründen für die in Aussicht genommene Personalverfügung nie die Mehrheit fände“. Er

76 MRP 921, 9. 2. 1934, NECK, WANDRUSZKA, Protokolle 75 LEICHTER, Schwarzbuch 97. VIII/5, 549ff.

430 Ilse REITER-ZATLOUKAL versicherte gleichzeitig, dass zu einer derartigen Unversetzbarkeit der Richter normierten, wes- Verfügung nur dann gegriffen werde, wenn sie halb er sich dagegen aussprach, dass der BMJ „im Interesse des Dienstes und der Autorität des derartige Verfügungen vornehmen könne. Die Staates unbedingt notwendig sei“. Sie habe auch Entscheidung sollte vielmehr den OLG-Präsi- nur einen Sinn, wenn sie „in einem gewissen denten vorbehalten werden, allenfalls könne zeitlichen Zusammenhang […] mit dem ihr zu- dem BMJ ein Zustimmungsrecht eingeräumt grunde liegenden Verhalten“ stehe und mit der werden, weil damit „das Verfassungsgesetz am „entsprechenden Raschheit“ erfolge. Eine Ent- wenigsten beeinträchtigt“ werde. Der BMJ müs- schädigung könne man den betroffenen Rich- se sich auf die OLG-Präsidenten verlassen kön- tern deshalb nicht zubilligen, weil diese eine „zu nen, sonst wäre es „um die Justiz traurig be- große Belastung“ darstellen würde. Eine „wei- stellt“. Dann müsse man sich auch fragen, „ob es tergehende Verfügung“, die Schuschnigg für überhaupt zweckmäßig wäre, wenn der Justiz- „zweckmäßig“ erachtet hatte, nämlich die Ein- minister ein derartiges Odium auf sich nehmen führung eines „Zwangsurlaubes“ in der Dauer sollte“. Bundeskanzler Dollfuß wies darüber eines Jahres sei von den OLG-Präsidenten aus hinaus darauf hin, dass „in Deutschland in die verfassungsrechtlichen Gründen abgelehnt wor- richterliche Selbstverwaltung viel mehr einge- den, allerdings aufgrund des Berichts der „flie- griffen worden sei“ und die „hier vorliegende genden Gerichtsinspektoren“ eine „Reihe von Maßnahme […] aus dem Bestreben solange auf- Verfügungen in den Landgerichtssprengeln geschoben worden [sei], die Unabhängigkeit der Innsbruck und Klagenfurt erforderlich“. Staats- Richter solange als möglich aufrechtzuerhalten“. sekretär Glas betonte in der weiteren Diskussi- Sie „richte sich gegen jene Leute, die in ihrer on, dass bei derartigen Maßnahmen jedenfalls Eigenschaft als Richter gesinnungsgemäß son- der Eindruck vermieden werden sollte, „daß es derbarer Weise ein System anstreben, bei dem sich um eine Strafverfügung handle“, da in ei- dem Richter jede Selbstverwaltung genommen nem solchen Fall ein Disziplinarverfahren einge- worden sei.“ Schuschnigg betonte abschließend, leitet werden müsse. Er sprach sich auch für die dass bei der „Bekämpfung der vorhandenen Gewährung einer Entschädigung aus, weil der Missstände“ Disziplinarverfahren „keineswegs versetzte Richter in der Regel seinen Wohnsitz ausreichen“ würden. Die Disziplinargerichte im früheren Verwendungsort behielte und dort könnten „vielleicht für normale Zeiten genügen, für seine Familie zu sorgen habe, aber auch am nicht aber für die gegenwärtigen“. Außerdem neuen Verwendungsort Lebenshaltungskosten gäbe es Fälle, „die überhaupt nicht disziplinär entstünden. Man dürfe daher nicht eine derartig erfassbar seien“. Ein Kompromiss sei daher er- „drakonische Strafmaßregel“ vorsehen. forderlich, und überdies solle die Verordnung ganz grundsätzlich und allgemein „ein Aviso an Schuschnigg betonte im weiteren Verlauf der die Richter sein, daß sie auf das Palladium der Diskussion, dass der BMJ jedenfalls, unbedingt Unverantwortlichkeit und Unabsetzbarkeit nicht auch gegen einen „eventuellen Widerstand“ des unter allen Umständen rechnen“ könnten. OLG-Präsidenten, „die vorübergehende Zutei- lung“ eines Richters auf ein Jahr „erzwingen“ Schmitz wies darauf hin, „daß […] die Stim- können müsse, da „sonst die ganze Maßnahme mung in der Bevölkerung, auch in bürgerlich ru- wertlos“ sei. Der BMJ habe die Verantwortung higen Kreisen, gegen die Zustände in der Justiz- für das „Funktionieren der Justiz“ zu tragen und verwaltung nachgerade gemeingefährlich werde brauche eine „verläßliche Handhabe“. Glas be- und die Gefahr bestehe, daß die Leute sich das tonte dagegen, dass die Staatsgrundgesetze Recht selbst holen würden, wenn sie sähen, daß nicht nur die Unabhängigkeit, sondern auch die Recht und Gerechtigkeit in den Händen partei-

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 431 politisch eingestellter Richter zu Schanden wür- wie Vizekanzler Emil Fey78 im MR zu bedenken den. Wenn man Mißstände, die zweifellos vor- gab – das Urteil auch bei den Standgerichten „in handen seien, nicht rechtzeitig behebe, würde die Hände der ordentlichen Richter gelegt“ war, eine Welle kommen, die dann auch viel Gutes „denn ein vom Standgericht gefällter Freispruch wegreißen würde. Wolle man einer revolutionä- wäre eine schwere Erschütterung der Autorität ren Bewegung, deren Tendenzen sich auch be- der Regierung“. Um nun die Loyalität der Rich- reits innerhalb der konservativen Volkskreise ter an diesem Sondergericht abzusichern, wurde zeigten, zuvorkommen, müsse man sich ent- einerseits das LG für Strafsachen Wien I als aus- schließen, rechtzeitig einzugreifen.“ Es sei das schließliches Standgericht eingerichtet, das als „Vertrauen in die Justiz […] in der Bevölkerung „fliegender Senat […] am jeweiligen Tatort ver- untergraben“, und diese verstehe nicht, dass der handeln“ sollte, andererseits erklärte Schusch- BMJ „in die Zustände nichts dreinzureden ha- nigg, dass bezüglich der Besetzung des Standge- be“, denn „[s]chließlich und endlich habe der richts bzw. der Auswahl der Personen ohnedies Justizminister eine Verantwortung vor der Be- „bereits Fühlung“ mit dem Präsidenten des LG völkerung und den verfassungsmäßigen Instan- für Strafsachen Wien I genommen worden sei.79 zen dafür, daß die Justiz richtig funktioniere“. Fey meinte in der MR-Sitzung am 12. Februar, Wenn die Richter „nicht in sich selbst den Mut dass man sich „überhaupt nicht bloß auf die Ab- aufbrächten, vaterlandsfeindliche Elemente aus wehr beschränken, sondern […] offensiv vorge- ihren Kreisen auszustoßen – und bis heute fehle hen [müsse], sonst werde man nicht durchkom- jede diesbezügliche Erklärung, während auf der men können.“ Man solle folglich die Staatsan- anderen Seite versteckte Solidaritätserklärungen waltschaften „entsprechend anweisen und kön- vorlägen“, dann müsse eben die Regierung aktiv ne überzeugt sein, dass die Richter sicher ihre werden, um zu verhindern, dass es zur „Selbst- Pflicht tun würden“.80 Mit der von der Regie- hilfe“ käme. Versage die Regierung, dann werde rung gesteuerten Auswahl der Richter der „die Selbsthilfe kommen, und aus dem Jahr 1918 Standgerichte war die Justiz nun – Wolfgang müßte man wissen, dass eine Revolution mehr Neugebauer zufolge – „zum Kampfmittel der zerstöre als sie Gutes bringe.“ sich etablierenden austrofaschistischen Dikta- tur“ geworden, v.a. „im bevorstehenden Bürger- Die Einstufung der Richterschaft als politisch krieg gegen die Sozialdemokratie“.81 Die „vom unzuverlässig im Sinne der Regierungsdiktatur liberalen Rechtsstaat überkommene Unabhän- kam ebenfalls in der konkreten Besetzung der gigkeit“ der Richter konnte also letztlich im Standgerichte zum Ausdruck, die infolge der Dollfußregime nicht weiterbestehen, gehört von der Regierung beschlossenen bundesweiten doch die „Handhabung der Justiz als eines der Verhängung des Standrechts (für Mord, Brand- Instrumente der Herrschaft“ zum „Wesenszug legung und öffentliche Gewalttätigkeit durch eines diktatorischen Systems, das auf die Aus- boshafte Beschädigung fremden Eigentums) im schaltung und Unterdrückung politischer Geg- November 1933 (in weiterer Folge 1934 sukzes- ner abzielt“.82 Die richterliche Unabhängigkeit sive erweitert um verschiedene Sprengstoffde- likte und im Zuge des Februaraufstandes 1934

77 auch auf Fälle des Aufruhrs) erforderlich war. 78 MRP 906, 10. 11. 1933, NECK, WANDRUSZKA, Proto- Trotz Standrechts und Todesstrafe erachtete es kolle VIII/5, 52. die Regierung dennoch als „bedenklich“, dass – 79 Ebd. 60. 80 SAFRIAN, Standgerichte 273. 81 NEUGEBAUER, Unabhängigkeit 113. 77 Vgl. REITER-ZATLOUKAL, Radikalisierung 315. 82 Ebd. 106.

432 Ilse REITER-ZATLOUKAL blieb daher nur mehr „als ein verbaler An- eine Streichung und dafür aus, sich mit den „aus spruch“ (auch) in der (neuen) Verfassung beste- dem Staatsnotrecht ergebenden Möglichkeiten“ hen, dem aber „keine praktische Bedeutung zu begnügen, „wenn man die Unabhängigkeit mehr“ zukam. der Rechtsprechung nicht beeinträchtigen wol- le“, wobei hier freilich eine staats- und regie- 2.2.2. Verfassungsordnung 1934 rungstreue Haltung der Richter von Schusch- Die richterliche Unabhängigkeit wurde in weite- nigg bereits vorausgesetzt erscheint. Auch Doll- rer Folge in diesem Sinne auch in die „Verfas- fuß trat für die Unabhängigkeit der Richter ein, sung des Bundesstaates Österreich“ 193483 auf- allerdings unter der Voraussetzung, dass durch genommen,84 und BMJ Schuschnigg hatte an- die „Einschaltung eines Übergangsstadiums“ lässlich einer Rede vor der Fachgruppe Justiz die Möglichkeit geschaffen werde, eine „Reini- der „Vaterländischen Front“ (VF) im März 1934 gung im Richterstand“ durchzuführen. Glas betont, dass „in der neuen Ständeverfassung wiederum erachtete es als „hinreichend, die Ge- […] selbstverständlich […] die Unabhängigkeit richtsverfassung so zu konstruieren, als ob in der Rechtsprechung und daher die Unabhän- Österreich tatsächlich nichts vorgefallen sei“, gigkeit der Richter in Ausübung ihres richterli- und „für die Übergangszeit, bis volle Beruhi- chen Amtes und alles, was damit zusammen- gung eingetreten sei, einen provisorischen Zu- hängt“, verankert sein werde.85 Nach Art. 101 stand zu schaffen“. Es wäre dann „der Grund- waren also „[a]lle Richter […] in Ausübung ih- satz gerettet und auch den Zeitverhältnissen res richterlichen Amtes unabhängig“, wobei sich Rechnung getragen.“ Der MR einigte sich folg- in „Ausübung seines richterlichen Amtes“ der lich auf die Gewährleistung der Unabhängigkeit Richter „bei Besorgung aller ihm nach dem Ge- der Rechtsprechung und der Trennung der Jus- setz zustehenden gerichtlichen Geschäfte“ be- tiz von der Verwaltung als „unbedingtes Erfor- fand, „mit Ausschluß der Justizverwaltungssa- dernis“, was aber „nicht hindere, daß man in chen, die nicht nach dem Gesetze durch Senate einer Übergangsbestimmung abweichende Ver- oder Kommissionen zu erledigen sind“ (Abs. 1). fügungen treffe“. Ausnahmsgerichte waren „nur in den von den Massive Kontroversen gab es im MR87 allerdings Gesetzen im voraus bestimmten Fällen zulässig“ zur Frage, ob in der Verfassung an der bisheri- (Abs. 3). gen Notwendigkeit eines förmlichen richterli- Im MR war freilich die Aufnahme der richterli- chen Erkenntnisses für die Ab- bzw. Versetzung chen Unabhängigkeit und insbesondere deren von Richtern festgehalten werden sollte. Glas institutioneller Garantien in die Verfassung verwies darauf, dass alle europäischen Staaten nicht unumstritten gewesen.86 So stellte Neu- den „Richtern […] solche Konzessionen ge- städter-Stürmer grundsätzlich zur Diskussion, macht“ hätten, so dass „Österreich nicht zurück- ob überhaupt „an der Unabhängigkeit und Un- bleiben könne“, weil der Richterstand „eben ein absetzbarkeit der Richter festgehalten werden unentbehrliches Fundament für jedes Staatswe- solle“. Schuschnigg hingegen sprach sich gegen sen“ sei, und schlug daher vor, „die alte Ge- richtsverfassung zu übernehmen.“ Mit der Ver-

83 BGBl. II 1/1934. ordnung vom 9. Februar 1934 sei ohnedies die 84 Vgl. zu den folgenden Ausführungen bereits REITER, Regierung in die Lage versetzt worden, „Ent- Unabhängigkeit. 85 Bericht über die Rede des BM 66. 86 Siehe MRP 930, 20.–29. 3. 1934, NECK, WANDRUSZKA, 87 MRP 938, 14.–18. 4. 1934, NECK, WANDRUSZKA, Pro- Protokolle VIII/6, 179ff tokolle VIII/6, 459ff.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 433 gleisungen von Richtern wirksam zu begegnen“, gen treffe“, die Frist dürfe allerdings nicht zu und diese Bestimmung verhindere, „daß irgend- kurz bemessen sein. wie unliebsame Erscheinungen in der Recht- Als Ergebnis dieser Diskussion waren die Rich- sprechung zutage treten könnten.“ Für Schusch- ter nach der Verfassung 1934 gemäß Art. 102 mit nigg war hingegen die Beibehaltung eines förm- Erreichen einer in der Gerichtsverfassung festge- lichen richterlichen Erkenntnisses, wofür sich legten Altersgrenze in den dauernden Ruhe- nicht nur Glas, sondern auch der Präsident des stand zu versetzen (Abs. 3), im Übrigen durften bisherigen VfGH, Ernst Durig, ausgesprochen sie „nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen hatte, bzw. die von der „Richterorganisation“ Fällen auf Grund eines gerichtlichen Erkenntnis- geforderte „Wiederherstellung des früheren ses ihres Amtes entsetzt oder wider ihren Willen Textes“ völlig „untragbar und mit seiner Verant- an eine andere Stelle oder in den Ruhestand wortung als Chef der Justiz nicht zu vereinba- versetzt werden“. Diese Bestimmungen sollten ren.“ Vielmehr sei es „zwingend geboten, ein jedoch auf solche „Übersetzungen und Verset- Ventil offenzulassen“, sonst „wäre man gegen- zungen in den Ruhestand“ keine Anwendung über gewissen Erscheinungen machtlos.“ Es finden, „die durch Veränderungen in der Ver- möge zwar „richtig sein, daß nur eine Minder- fassung der Gerichte nötig werden“. In einem heit unter den Richtern solche Verfügungen derartigen Fall war durch Gesetz festzustellen, notwendig mache, aber ein einziger Fall genüge „innerhalb welchen Zeitraumes Richter ohne die vollkommen.“ Im Vordergrund habe zu stehen, sonst vorgeschriebenen Förmlichkeiten über- dass „sofort Ordnung gemacht werden“ müsse. setzt und in den Ruhestand versetzt werden Es sei „unbedingt notwendig […], die Richter, können“ (Abs. 4) – womit hier also eine inhalt- die im Inneren staatsfeindlich eingestellt seien, lich völlig undeterminierte verfassungsrechtli- aus der Rechtsprechung ausschalten zu können“ che Grundlage für eine Suspendierung der rich- – wobei hier auch wieder die typische Gleichset- terlichen Unabhängigkeit durch eine gesetzliche zung von Regierungs- und Staatsfeindlichkeit Veränderung der Gerichtsverfassung geschaffen vorgenommen wurde. Letztlich setzte sich in wurde. Eine „zeitweise Enthebung der Richter dieser Debatte aber Glas weitgehend mit seiner vom Amt“ durfte „nur durch Verfügung des Ansicht durch,88 dass man „die alte Bestimmung Gerichtsvorstehers oder der höheren Gerichts- der Gerichtsverfassung […] aufrecht [lassen]“, behörde bei gleichzeitiger Verweisung der Sache aber „in das Übergangsgesetz etwas hinein[neh- an das zuständige Gericht stattfinden“ (Abs. 4). men]“ solle, das „die Handhabe gibt, gegen die Richter, wenn sie sich nicht gebessert haben, frei Weiters waren nach Art. 103 die „Geschäfte […] vorzugehen.“ Man möge also zunächst die Ge- unter die Richter eines Gerichtes für die in der richtsverfassung „in der alten Fassung belassen Gerichtsverfassung bestimmte Zeit im voraus zu und damit nach außen hin die Stellung der Rich- verteilen“. Im Unterschied zum B-VG war nun ter in einer Form festlegen, die den Wünschen allerdings, wie Adolf Merkl 1935 hervorhob,89 des Richterstandes entspreche.“ Schließlich er- die „Gewähr für den in der Geschäftsverteilung klärte sich Schuschnigg mit dem Kompromiss festgesetzten Wirkungskreis des einzelnen Rich- einverstanden, „daß man aus optischen Grün- ters, wonach eine nach dieser Einteilung einem den das volle Recht zugestehe und in der Über- Richter zufallende Sache ihm durch Verfügung gangsverfassung die erforderlichen Bestimmun- der Justizverwaltung nur im Falle seiner Ver- hinderung abgenommen werden darf, in der

88 Ebd., Anm. LXXVIII, 464ff. 89 MERKL, Verfassung 91.

434 Ilse REITER-ZATLOUKAL

Verfassung 1934 nicht mehr enthalten.“ Ob diese der Bestimmungen des Verfassungs-Übergangs- Bestimmung („in Anbetracht der verbleibenden gesetzes (V-ÜG) 1934 obsolet war. Vorschrift, dass die Geschäfte unter die Richter Mit dem V-ÜG vom Juni 193493 war nämlich ent- eines Gerichts für die in der Gerichtsverfassung sprechend den schon im MR artikulierten Vor- bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen“ waren) stellungen der Regierung die richterliche Unab- „für überflüssig erachtet wurde, oder ob Eingrif- und Unversetzbarkeit auf die Dauer eines Jahres fen der Justizverwaltung in die Geschäftsvertei- suspendiert worden: Nach § 28 konnten „in der lung Raum gegeben werden sollte“, schien Zeit bis 30. Juni 1935 […] Richter, ohne dass es Merkl damals allerdings fraglich. Ebenfalls 1935 eines gerichtlichen Erkenntnisses bedarf, von wies Ludwig Adamovich90 darauf hin, dass die Amts wegen an eine andere Stelle oder in den geltende Gerichtsverfassung ohnedies bereits zeitlichen oder dauernden Ruhestand versetzt eine Änderung der Geschäftseinteilung wäh- werden“, „wenn ihr Verbleiben auf ihrem rend des Jahres durch Verfügung der Gerichts- Dienstposten oder im richterlichen Dienste über- vorstände wie auch aus wichtigen Gründen haupt dem Ansehen der Rechtspflege offenbar durch Verfügung des BMJ vorsah. zum Abbruch gereichen, insbesondere die Un- Nach Inkrafttreten der Verfassung hob dann der parteilichkeit der Rechtsprechung nicht mehr 1933/34 für die Verfassungs- und Verwaltungs- gewährleisten würde“. Derartige Verfügungen reform zuständige BM Otto Ender in seiner waren vom BMJ nach Anhörung des Präsiden- Textausgabe der Verfassung 1934 hervor,91 dass ten des OGH oder des jeweiligen OLG zu tref- sich in der neuen Verfassung bezüglich „der Ge- fen. Die Versetzung eines Richters auf einen richtsbarkeit […] gegenüber der früheren Ver- anderen Dienstposten oder in den Ruhestand fassung wenig geändert“ habe. Es sei in der neu- war also nunmehr „unter Voraussetzungen, die en Verfassung „selbstverständlich […] an der dem Ermessen der Dienstbehörde weitesten richterlichen Unabhängigkeit festgehalten“ wor- Raum lassen, nicht durch ein richterliches Dis- den, „die ja nicht im Interesse der Richter aufge- ziplinarerkenntnis bedingt, sondern durch form- stellt wurde, sondern im Interesse der Bevölke- lose Verfügung der Dienstbehörde möglich“.94 rung und zur Wahrung des Ansehens und Ver- Während ein „Verfassungsjurist“ in der „Neuen trauens des Staates gegenüber anderen Staaten Freien Presse“ betonte,95 dass diese Bestimmung und deren Bürgern“. Für Merkl92 war 1935 die „den außerordentlichen Zeitverhältnissen ent- „grundsätzliche Beibehaltung der richterlichen sprungen“ sei und dazu dienen sollte, „das An- Unabhängigkeit samt deren Rechtsgarantien sehen der Rechtspflege“ und die „Unparteilich- […] um so bemerkenswerter, als es sich um ein keit der Rechtsprechung“ zu wahren, war hinge- typisches Requisit liberaler Staatsdoktrin, näm- gen für die (damals bereits illegalen) Sozialde- lich um eine rechtliche Konsequenz der im Na- mokraten dieser „entscheidende Schlag gegen men der bürgerlichen Freiheit geforderten Tren- die Richter“ ein Zeichen dafür, dass „die Kleri- nung der Staatsgewalten handelt.“ Was Merkl in kofaschisten aus dem letzten Loch pfeifen“. Das diesem Kontext freilich nicht erwähnt, ist, dass „Dollfuss-Österreichertum“ könne es „nicht zu diesem Zeitpunkt die in der Verfassung ver- mehr ertragen“, dass die Richter „weiter nur ankerte Unabhängigkeit ohnedies bereits infolge Recht sprechen“, sie bräuchten allein den

90 ADAMOVICH, Grundriss 163. 93 BGBl. II 75/1934. 91 ENDER, Verfassung 16. 94 MERKL, Verfassungsübergangsgesetz 381. 92 MERKL, Verfassung 90f. 95 NFP, Nr. 25064 v. 24. 6. 1934, 6.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 435

„Schein der Rechtsprechung“ bzw. die „Form Untersuchungshaftzeiten von Schutzbündlern des ordentlichen Gerichtsverfahrens […], um und kritisierte die Richter, die sich „dazu her[ge- vor der Welt gerechtfertigt zu sein“. Im Übrigen ben], dieses Verbrechen zu begehen“, aber „[j]e- aber müsse „nach der Meinung der Autoritären der Richter zittert jetzt um Amt und Stelle“, seit- auch jeder Richter so tanzen, wie der Despot dem die Regierung die Unabhängigkeit suspen- pfeift“. Stehe dem eine verfassungsrechtliche diert habe, weshalb „er auf Befehl der Regierung Bindung entgegen, „so dekretiert der Klerikofa- Männer in Haft [hält], von denen er sehr gut schismus einfach: das ist altes Gerümpel“, der weiß, daß er sie nach Recht und Gesetz längst Richter sei „nur ein Teil der Exekutive des je- hätte in Freiheit setzen müssen“. weils Herrschenden […], der nach den Befehlen Auch von Seiten der rechten politischen Opposi- von oben amtszuhandeln hat, der also jetzt an tion wurde naturgemäß Kritik geübt. So ver- Stelle des Rechtes die Barbarei zu setzen hat“. langte der bekannte Wiener NSDAP-Anwalt „Wenn Österreichs Richter sich beugen“, so die und SS-Hauptsturmführer Erich Führer in seiner AZ, „dann muß ab 1. Juli von oben befohlener an Bundeskanzler Dollfuß gerichteten Denk- Haß und Wut den politischen Gegner zermal- schrift „Justitia Fundamentum Regnorum“ vom men. […] Blieben aber die Richter fest, beant- Juni 1937100 u.a. die „volle Wiederherstellung worteten sie die verfassungs- und gesetzwidrige der richterlichen Unabhängigkeit durch Aufhe- Verfügung der gewalttätigen Verderber Öster- bung des [§] 28 des Verfassungsübergangsgeset- reichs mit ihrem autoritären ,Nein‘, dann wür- zes“. Weiters wurde in einer Berliner Publikati- den die Klerikofaschisten auf Granit beißen. Ist on aus 1936 die Begründung der im V-ÜG ver- soviel Stärke von den Richtern zu erwarten?“96 ankerten Maßnahme mit einer Gefährdung der Auch in späteren Nummern prangerte die AZ „Unparteilichkeit der Rechtsprechung“ ange- an, dass nun jeder Richter abgesetzt werden sichts der „tatsächlich nur gegen politisch miss- könne, „wenn er nicht so judiziert, wie es die liebige Richter nach rein parteilichen Gesichts- Regierung verlangt“. Man „erniedrigt die Rich- punkten gerichteten Anwendung des Gesetzes“ ter zu Bütteln der Diktatoren, die auf Befehl ihre als „derart zynisch“ bezeichnet, „dass kein Wort Urteile zu fällen haben!“ Die „Heimwehrbes- mehr darüber verloren werden“ sollte.101 tien“ hätten geschrieen, „dass die Richter zu ,milde‘ Strafen verhängen“, und die „Dollfuß Ender verteidigte hingegen diese Eingriffe in die und Schuschnigg, die Fey und Starhemberg ha- richterliche Unabhängigkeit in seiner Ausgabe ben einen Regierungsfeldzug gegen die Richter des V-ÜG nachträglich,102 denn die Unabsetzbar- begonnen, um sie zur Verhängung noch bestiali- keit und Unversetzbarkeit der Richter habe trotz scherer Strafen zu zwingen“.97 Die AZ stellte Aufrechterhaltung dieser Grundsätze in der Ende Juli 1934 auch fest, dass der Durchschnitt Verfassung 1934 für „eine Übergangszeit […] des Strafausmaßes auf über ein Jahr für jeden aufgehoben werden“ müssen. Der österreichi- Februarkämpfer gestiegen sei, seitdem „die sche Richterstand habe sich zwar „gewiß in sei- Dollfuss, Starhemberg und Schuschnigg die Un- ner großen, überwiegenden Mehrzahl auch in abhängigkeit der Richter aufgehoben“ hätten.98 den politisch aufgewühlten Tagen seit dem ge- Im November 193499 berichtete sie über lange waltsamen Vorstoßen des Nationalsozialismus […] in der Objektivität bei der Rechtsprechung

96 AZ, Nr. 18 v. 24. 6. 1934, 3. 97 AZ, Nr. 19 v. 1. 7. 1934, 1f. 100 Abgedruckt in PUTSCHEK, Verfassung 288. 98 AZ, Nr. 23, 29. 7. 1934, 5. 101 RIEDLER, Ausnahmegesetzgebung 22. 99 AZ, Nr. 37 v. 4. 11. 1934, 2. 102 ENDER, Übergangsbestimmungen 11.

436 Ilse REITER-ZATLOUKAL nicht beirren lassen und außerhalb des Amtes der gesetzlichen Altersgrenze stand.106 Darüber das Ansehen und die Würde des Richters ge- hinaus wurde seit November 1934 bei Neuauf- wahrt“, es gäbe aber „Ausnahmefälle, wo Rich- nahmen von Richtern nun auch gefordert, „dass ter zum Ärgernis der vaterlandstreuen Bevölke- in Hinkunft die Personalsenate bei Erstattung rung geworden sind und deren Vertrauen be- von Besetzungsvorschlägen stets auch zur Frage züglich der unparteiischen Rechtsprechung ver- des bisherigen politischen Verhaltens der Be- loren“ hätten. Da in diesen Fällen das Diszipli- werber Stellung nehmen“ sollten. Im Hinblick narrecht nicht immer gegriffen habe, müsse nun auf Art. 16 Abs. 3 der Verfassung 1934, der die „Abhilfe geschaffen werden, wenn das Volk im gleiche Ämterfähigkeit aller „vaterlandstreuen Vertrauen auf die Staatsführung am Aufbau des Bundesbürger“ festlege, müsse „auch diese Fra- neuen Staates arbeiten und wenn es das so wich- ge bei allen Besetzungsvorschlägen geklärt“ tige Vertrauen auf seine Richter wieder gewin- sein.107 nen“ solle. Daher habe der BMJ das Recht be- In weiterer Folge wurden sowohl der Aufschub kommen, „in solchen Fällen Richter von Amts für die Pensionierung von Richtern als auch die wegen, ohne daß es eines Disziplinarerkenntnis- Aufhebung der Unversetzbarkeit und Unabsetz- ses bedarf, zu versetzen, auch auf Zeit oder dau- barkeit von der Regierung immer wieder ver- ernd zu pensionieren“. längert.108 So blieb schließlich der in der Verfas- Über diese Maßnahmen der Zwangspensionie- sung formal garantierte Ab- und Versetzungs- rung und -versetzung hinaus konnte in weiterer schutz der Richter bis zum „“ Öster- Folge aufgrund einer von der Bundesregierung reichs an das Deutsche Reich tatsächlich aufge- auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes hoben. 1934103 im August desselben Jahres erlassenen Trotz all dieser genannten Veränderungen fehlte Novelle104 des V-ÜG auch „ausnahmsweise aus der Regierung aber offenbar weiterhin sowohl besonders wichtigen dienstlichen Rücksichten“ das Vertrauen in die ordentlichen Gerichte als verfügt werden, dass Richter, die in den Jahren auch in die Standgerichte, denn für die Aburtei- 1934 oder 1935 das 65. Lebensjahr vollendeten, lung der nationalsozialistischen Juliputschisten erst später „aufgrund einer besonderen Anord- 1934 wurde für das ganze Bundesgebiet ein neu- nung“ in den dauernden Ruhestand treten soll- es Gericht geschaffen,109 der Militärgerichtshof ten. Wie Schuschniggs Nachfolger in der Funk- in Wien, dessen Richter alle vom BMJ bzw. Ver- tion des BMJ, Egon Berger-Waldenegg, im MR teidigungsminister bestimmt wurden und in erläuterte, konnten nun also Richter „auch über „Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhän- das 65. Lebensjahr hinaus so lange im Dienste gig“ sein sollten. Wie BMJ Berger-Waldenegg belassen werden […], solange es dienstliche In- später berichtete, wurde der Präsident des Mili- teressen erforderten,“105 wobei zu dieser Maß- tärgerichtshofs allerdings direkt von ihm mit nahme insbesondere deshalb gegriffen werden Weisungen versehen.110 müsse, weil mehrere leitende Richterposten neu zu besetzen waren und man es für möglich hielt, dass in einzelnen Fällen nur ein Bewerber (aus

Regierungssicht) geeignet erschien, der kurz vor 106 Ebd. Anm. 15, 213. 107 Erl. des OLG-Präs. Wien v. 8. 11. 1934, zit.n. 103 BGBl. I 255/1934 WÄCHTER, Politik 71. 104 BGBl. I 230/1934. 108 Siehe REITER, Unabhängigkeit 107. 105 MRP 964, 31. 8. 1934, NECK, WANDRUSZKA, Proto- 109 BGBl. II 152/1934. kolle IX/1, 214. 110 NEUGEBAUER, Justiz 117.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 437

Wenngleich also die Justiz in der Verfassung Methoden, bekämpften.“115 Daher konnten NS- 1934 in ihrer äußeren Struktur auf den ersten Straftäter bei vielen Richtern mit Milde rechnen, Blick als wenig verändert wahrgenommen wer- während bei sozialistischen oder kommunisti- den konnte, so war sie doch unter dem Schlag- schen Angeklagten der Strafrahmen in der Regel wort der „Entpolitisierung“, das vielmehr „Um- ausgeschöpft wurde.116 Diese Nachsichtigkeit politisierung“ im „vaterländischen“ Sinne be- gegenüber Nationalsozialisten brachte die Rich- deutete,111 sukzessive ihrer Unabhängigkeit be- ter nun im Dollfuß-Schuschnigg-Regime unter raubt worden, die verfassungsrechtlichen Ga- den Pauschalverdacht der mangelnden Regie- rantien der Unabsetzbarkeit und Unversetzbar- rungsloyalität. keit waren zu reinen Leerformeln verkommen. Wie viele Richter nun österreichweit tatsächlich Auch die Richterschaft sollte der Regierung nun gemaßregelt wurden, ist bislang nicht be- als „verlängerter Arm ihrer Politik“112 dienen, kannt.117 Einige konkrete Fälle, die ausschließ- eine systematische ideologische Indoktrinierung lich für den Nationalsozialismus aktive Richter wie im Nationalsozialismus unterblieb aber. betreffen, können allerdings auf Grundlage der Forschungsliteratur118 und ersten Archivrecher- 2.3. Konkrete Maßregelungen chen bereits aufgezeigt werden,119 eine umfas- von Richtern sende systematische Erhebung steht jedoch noch aus.120 Neben vereinzelten Fällen von strafwei- Im Fokus der Regierungsmaßnahmen stand die sen Ruhestandsversetzungen121 war jedenfalls angeblich mangelnde Regimetreue der Richter, die offenbar häufigste Maßnahme der Maßrege- waren diese doch nach den bisherigen For- lung politisch unliebsamer Richter deren Verset- schungen auch in der Ersten Republik überwie- zung an einen anderen Dienstort (z.T. nach vor- gend dem Lager der Großdeutschen Volkspar- heriger Suspendierung), und zwar sowohl auf- tei, aus dem sich im Übrigen durch lange Jahre grund eines Disziplinarerkenntnisses als auch hindurch auch die Justizminister rekrutiert hat- aufgrund von § 28 des V-ÜG von 1934. Darüber ten, oder dem konservativen Katholizismus zu- hinaus wurde gegen Richter die Strafe des diszi- zurechnen.113 Jedenfalls stammten sie aus sozia- plinarrechtlichen Verweises in Anwendung ge- len Schichten, die „von vornherein in einem be- bracht. Außerdem kam es auch zu zeitweiligen wußtseinsmäßigen Distanzverhältnis zur Arbei- terschaft und zur Sozialdemokratie standen“.114 Auch wenn die Richter überwiegend „keines- wegs Nationalsozialisten oder Heimwehrmän- ner“ waren, so scheinen diese doch, so Gerhard 115 Ebd. Botz, „wenn sie etwa der ,antimarxistische‘ Stra- 116 HOLTMANN, Unterdrückung 262. ßenkampf vor die Schranken des Gerichtes 117 In den Personalakten wird zwar immer wieder ein brachte, von vielen Richtern als ,geistige Söhne‘ Sammelbericht des OLG-Präs. betreffend illegale Richter und Staatsanwälte Zl. 200-255 vom 9. 6. 1943 betrachtet worden zu sein, die den richtigen erwähnt, dieser konnte aber bislang weder im ÖStA Gegner, wenn auch nicht mit ganz gebilligten noch in den Beständen des OLG Wien aufgefunden werden. OLG-Präs. Gerhard Jelinek sei für seine Be- mühungen herzlichst gedankt. 118 STADLER, Verfahren. 111 HOLTMANN, Autoritätsprinzip 219. 119 Für Hinweise auf weitere gemaßregelte Richter 112 Ebd. 49. danke ich Ursula Schwarz. 113 BOTZ, Politik 162; JEDLICKA, NECK, 12. Februar 155. 120 Ein Projekt dazu ist in Vorbereitung. 114 BOTZ, Politik 162. 121 Siehe MULLEY, Gleichschaltung 267.

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Internierungen nach der Anhalteverordnung122 den Ruhestand auf unbestimmte Zeit unter Ver- oder zur Stellung unter Polizeiaufsicht. minderung des Ruhegenusses auf zwei Drittel verurteilt“, wobei diese Strafe 1935 auch in der Aber nicht nur Richter waren von Maßregelun- Instanz bestätigt wurde. gen betroffen, sondern auch Richteramtsanwär- ter, wie etwa der Fall von Friedrich Kraus zeigt, Emil Schindler128 war Kreisgerichtspräsident in der 1932 in den Gerichtsdienst und in die Wiener Neustadt und hatte „im Laufe des Jahres NSDAP eintrat. Wegen seiner politischen Ein- 1933 an den damaligen nat.soz. Landesleiter stellung wurde er „ein Jahr später als üblich in Österreichs, Proksch, ein Schreiben gerichtet, in den Gerichtsdienst übernommen“, im Jänner dem er diesen aufforderte, der deutschen 1934 erfolgte seine „Verhaftung wegen natsoz. Reichsregierung nahezulegen, auf die österrei- Betätigung mit nachfolgender gerichtlicher und chische Bundesregierung Druck auszuüben, um verwaltungsbehördlicher Bestrafung“. 1937 kam sie von der Verfolgung national gesinnter Beam- es zur Verurteilung wegen eines Verbrechens ter abzuhalten“. Schuschnigg habe, so das BMJ nach dem Staatsschutzgesetz123 zu zwei Mona- 1946, „um das peinliche Aufsehen zu vermei- ten schweren Kerkers, was auch seine Entfer- den, das ein Einschreiten gegen einen aktiven nung aus dem Gerichtsdienst ohne Disziplinar- Kreisgerichtspräsidenten hervorrufen mußte, verhandlung zur Folge hatte.124 beschlossen, von einer strafgerichtlichen oder disziplinären Verfolgung Dr. Schindlers abzuse- 2.3.1. Ruhestandsversetzungen hen, falls er ohne Verzug sein Pensionsgesuch Zwangsweise in den Ruhestand versetzt wur- überreichen sollte“. Diese Aufforderung sei ihm den im OLG-Sprengel Wien125 wegen NS-Ein- vom damaligen OLG-Präsidenten telefonisch stellung etwa Herbert Paul und Emil Schindler. mitgeteilt worden, und er habe das Gesuch auch Herbert Paul126 war NSDAP-Parteimitglied von sofort unterschrieben. Schindler selbst gab im 1922 bis 1924, dann wieder seit Mai 1930, u.a. April 1945 an, er sei Ende Jänner 1934, nachdem seit 1932 Bezirksleiter der NSDAP in Wien Hiet- dieser Brief in die Hände der Regierung ge- zing.127 Er wurde nach dem Juliputsch zunächst kommen war, „wegen seiner nat. Gesinnung in vom Dienst suspendiert und Mitte Dezember den dauernden Ruhestand versetzt“ worden, 1934 „wegen verschiedener Disziplinarvergehen obwohl der Brief aus der Zeit noch vor dem (Betätigung für den Nationalsozialismus) zur Parteiverbot datiere. Die „Maßregelung“ sei des- Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauern- halb erfolgt, weil er sich in diesem Brief als „An- hänger der Partei bekannte und ihren Schutz für 122 BGBl. 431/1933. Untergebene, die von der Regierung Dollfuss 123 BGBl. 223/1936. wegen ihrer Gesinnung verfolgt wurden, ange- 124 Geb. 1909. Nach der „Machtergreifung“ wurde er rufen“ hatte.129 in den öffentlichen Dienst als Staatsanwalt übernom- men, ÖStA, AdR Justiz BMJ VP Liqu Kraus, Friedrich. Eine weitere Zwangspensionierung fand im Fall 125 Für den OLG-Sprengel Wien existiert ein Verzeich- des Halleiner Bezirksrichters Anton Jennewein nis von Justizangestellten, die wegen ihrer Zugehö- rigkeit zur NSDAP entlassen oder pensioniert und 1938 wieder eingestellt wurden, das insgesamt 20 Namen enthält, ÖStA, AVA, BMJ, OStA Wien 1938 128 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Schindler, Emil. Pers. Varia, Kart. 5045. 129 Ende August 1939 trat er als LG-Präs. endgültig in 126 Geb. 1903, ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Paul, den dauernden Ruhestand. Er verlegte seinen Wohn- Herbert. sitz nach Deutschland und kehrte 1946 nach Öster- 127 Daher wurde er auch 1938 als „Alter Kämpfer“ reich zurück, wo die Einleitung eines Strafverfahrens anerkannt. wegen Illegalität erwogen wurde, ebd.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 439 statt,130 der seit 25. Juli 1934 „nicht mehr als waltes Dr. Weishut ausgesetzt“ war.134 Auch Richter verwendet“ wurde. Er war NSDAP-Mit- Richard Techner,135 NSDAP-Mitglied seit 1933, glied seit 1930 und hatte sich als Parteiredner, wurde (ebenfalls 60jährig) auf eigenen Wunsch Kreisleiter und Gauleiter in Salzburg betätigt. in den Ruhestand versetzt.136 Wegen illegaler NS-Betätigung wurde er mit Eine eindeutige NS-Vorgeschichte liegt im Fall Erkenntnis des OLG Innsbruck als Disziplinar- von Guntram Wenger, seit 1930 Richter am LG gericht Ende März 1934 unter Kürzung der Be- für Strafsachen Wien,137 vor. Er war, so die Beur- züge auf zwei Drittel in den dauernden Ruhe- teilung 1953, „seinerzeit Anhänger der Groß- stand versetzt. Dem schloss sich 1935 die Diszip- deutschen Volkspartei“ sowie seit 1923 Mitglied linarstrafe der Kürzung seines Ruhegenusses im „Deutschen Klub“138, einem geistigen Zent- um weiter 10 % (wegen Erschleichung des Ar- rum der deutschnationalen Bewegung, gewesen menrechts zugunsten seiner Ehefrau und „be- und habe sich „während der Verbotszeit ganz leidigender Äusserungen über die Bundesregie- der ns. Bewegung zugewendet“.139 Er war zwar rung“) an. Ende 1935 wurde er vom LG Salz- nicht illegales NSDAP-Mitglied, wurde aber burg wegen des Vergehens der Geheimbündelei „wegen seiner politischen Äusserungen gegen zu zehn Monaten strengen Arrest verurteilt. Er die Systemregierung im Juli 1934 zuerst wegen flüchtete in weiterer Folge nach Deutschland, Verdachtes des Hochverrates in Verfolgung ge- wo er in Augsburg und München als Richter Be- zogen“. Er habe nämlich „vor Beginn des Juli- schäftigung fand.131 putsches Äusserungen [gemacht], die auf eine Darüber hinaus kam es aber auch zu Ruhe- Mitwisserschaft schließen liessen“. Nach der standsversetzungen von politisch exponierten Einstellung des Verfahrens kam es zu einem Richtern auf eigenen Wunsch.132 So wurde mit Disziplinarverfahren gegen ihn, infolge dessen 60 Jahren und aufgrund eigenen Ansuchens er an einen anderen Dienstort versetzt „und so 1934 Theodor Heyn133 pensioniert, Parteianwär- gemassregelt“ wurde. Unter diesen Umständen ter ab 1938 und Vorsteher am BG Bad Aussee, zog es Wenger vor, sich in den Ruhestand ver- wo er nach eigenen Angaben „unter den schwie- setzen zu lassen.140 rigsten Verhältnissen tätig und vielfachen Quer- treibereien des gewesenen jüdischen Rechtsan-

134 1939 wurde er unter Anrechnung dieser Pensions- zeit am Amtsgericht Klagenfurt wieder in Dienst 130 Geb. 1894, vgl. ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA Jen- gestellt, nach 1945 seine „Illegalität“ als nicht erwie- newein, Anton. sen angesehen, ÖStA, AdR Justiz BMJ VP Liqu Heyn, 131 Nach dem „Anschluss“ kehrte er nach Österreich Theodor. zurück, erhielt den „Blutorden“ und bekleidete den 135 Geb. 1874, ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA Techner, Rang eines SS-Untersturmführers. Er schied aus dem Richard. Justizdienst aus, wurde kurzzeitig Bezirkshauptmann 136 Sein Ruhensgenuss wurde allerdings laut Liquida- in Hallein, dann Senatsrat der Stadt Wien und 1942 torbeschluss mit 31. 6. 1945 wegen Illegalität einge- Generaldirektor des Dorotheums; siehe auch LÜT- stellt, ebd. GENAU, SCHRÖCK, NIEDERACHER, Dorotheum 52ff. 1946 137 Geb. 1889, ÖStA, AdR Justiz RJM PA Wenger, wurde er zu zwei Jahren verschärften Kerkers wegen Guntram. Hochverrats und Illegalität nach dem Verbotsgesetz 138 Ebd. verurteilt. 139 ÖStA, AdR Justiz BMJ VP Liqu Wenger, Guntram. 132 Über Ansuchen nach Art. I Abs. 3 und § 79 1 BDG. 140 Ebd. Nach dem „Anschluss“ wurde er „im Wege 133 Geb. 1875; ÖStA, AdR Justiz RJM PA Heyn, Theo- der Wiedergutmachung wieder in den Dienst ge- dor. stellt.“

440 Ilse REITER-ZATLOUKAL

2.3.2. Versetzungen an ein anderes Gericht maßgeblicher Stelle tätig war“143 und dessen Erheblich häufiger als zwangsweise oder poli- Söhne alle „illegal“ gewesen seien, während tisch motivierte freiwillige Ruhestandsverset- Eberstaller „sich mit Nachdruck in den vollkom- zungen erfolgten – dem bisherigen Recherche- men verjudeten Fußballkreisen der Systemzeit stand zufolge – Versetzungen an einen anderen [bewegt]“ habe.144 Dienstort. Ein solcher Fall war (neben dem Erwin Saurwein145 war seit April 1932 Bezirks- schon genannten Guntram Wenger) etwa Ri- richter in Rattenberg in Tirol, seit August 1932 chard Eberstaller,141 Schwiegersohn des bekann- Mitglied der NSDAP und angesichts der „Un- ten Jugendstilmalers Carl Moll, der 1934 vom terdrückung“ des Nationalsozialismus in sei- Posten des Leiters des Präsidialsekretäriats des nem Bezirk „1933/34 auch aktiv in der SA tätig“ Wiener LG für Zivilrechtssachen (ZRS) wegen sowie SS-Anwärter. Die VF habe – Saurwein zu- seiner Zugehörigkeit zur NSDAP (seit 1931) „als folge – „immer wieder“ Anzeigen gegen ihn er- unverlässlich“ enthoben und einem Berufungs- stattet und ihm besonders übel genommen, dass senat am LG für Strafsachen II zugeteilt wurde. er seinen Freund, den Kramsacher NSDAP-Orts- Noch 1934 trat er der VF bei und gehörte seit gruppenleiter, bei dessen „Überstellung nach 1936 deren „Führerrat“ an. Im Dezember 1938 Wöllersdorf“ an den Bahnhof begleitet habe. avancierte er zum Senatsvorsitzenden des LG Auch sei er selbst im Juli 1934 in Schutzhaft für Strafsachen II, und der Reichskommissar für gekommen, aber nach einigen Tagen146 wieder die Wiedervereinigung Österreichs mit dem freigelassen worden. Wegen dieser Verhaftung Deutschen Reich bescheinigt ihm im März 1939, wurde eine Disziplinaruntersuchung gegen ihn als er im Gespräch für den Posten des Wiener eingeleitet, die zuerst zu einer Suspendierung LG-Vizepräsidenten war, dass er „insbesondere durch Beschluss des OLG Innsbruck wegen NS- die ganze Verbotszeit über sich einwandfrei als Einstellung führte, dann aber zu einer Zwangs- Nationalsozialist erwiesen“ habe. Die Ortsgrup- versetzung ins Burgenland (Oberpullendorf) pe Döbling berichtete überdies im Mai 1938, nach dem V-ÜG. Seit 1935 versuchte er (vergeb- dass Eberstaller einen näheren „Verkehr mit lich), „in die Berge zurückzukommen“, aber dem [jüdischen] Schriftsteller Werfel, der mit erst, als „sich schon das Abkommen des 11. Juli einer Stiefschwester der Frau Eberstaller’s ver- auswirkte“, also das Deutsch-österreichische heiratet“ sei,142 „geflissentlich“ meide. Seyß-In- Verständigungsabkommen von 1936, habe er quart sprach sich dennoch gegen Eberstaller und für Ferdinand Fuhrmann aus, der „in der juristi- 143 Auch die NSDAP-Gauleitung bestätigte 1942, dass schen Gesellschaft, in der wir unseren national- dieser sich im „illegalen Rechtswahrerbund i.S. der sozialistischen Juristenbund getarnt hatten, an ns-Bewegung betätigt“ hatte und in seiner Wohnung „zahlreiche Appelle der illegalen HJ“ ermöglicht hat- te. Auch wegen der für „NatSoz möglichst günstigen Erledigungen von Straf- und Dienststrafsachen wurde 141 Geb. 1887, er verübte in der Nacht vom 12. auf den er wiederholt anfeindet“, ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP 13. 4. 1945 mit seiner Ehefrau Maria und dem Schwie- Liqu Fuhrmann, Ferdinand. gervater gemeinsam Selbstmord durch Vergiftung; 144 1944 wurde Eberstaller als mittlerweile anerkann- http://www.wladimir-aichelburg.at/kuenstler- ter „Alter Kämpfer“ schließlich im März 1944 doch haus/mitglieder/opfer/; folgende Zitate und Angaben, noch zum Vizepräsidenten ernannt. wenn nicht anders vermerkt: ÖStA, AdR, Justiz, RJM, 145 Geb. 1902, folgende Zitate und Angaben, wenn PA Eberstaller, Richard. nicht anders vermerkt: ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA 142 Eberstaller übernahm 1940 auch die Verwaltung Saurwein, Erwin. einer Alma Mahler-Werfel gehörigen Liegenschaft in 146 Die Akten sprechen von 7 oder 4 Tagen, ÖStA, Wien. AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Saurwein, Erwin.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 441 den Gerichtsvorsteherposten in Schruns erhalten schikanieren und beim LG-Präsidium Klagen- können.147 furt eine Dienststrafanzeige wegen illegaler NS- Betätigung erstattet. Raunig wurde im Novem- Ebenfalls wegen NS-Betätigung zunächst nur ber 1934 vom Dienst unter Kürzung der Bezüge suspendiert wurde 1934 Josef Raunig,148 der seit enthoben. Diese Suspendierung dauerte bis Mai 1933 der NSDAP angehörte und am BG Ro- März 1935, dann erfolgte in Vollziehung des segg tätig war. Nach eigenen Angaben hatte er vom OGH bestätigten Disziplinarerkenntnisses sich, als in Rosegg die VF „aufgezogen“ wurde, des OLG Graz wegen Dienstvergehens seine geweigert, derselben beizutreten, weil unter der Versetzung vom BG Rosegg zum BG Wink- Leitung des „jüdischen Notar[s] Dr. Egon Weis- lern.149 Nach seiner Darstellung 1946150 sei er sberger“ stand. Sein Ersuchen an die Landeslei- 1933 „infolge des verschärften Eischreitens der tung, ihn „dem Juden Dr. Weissberger aus rassi- österr. Regierung gegen Nat.Soz. und Soz.Dem. schen, völkischen und dienstlichen Gründen in Widerstreit zu deren Tendenzen gekommen, nicht zu unterstellen“, sei nicht nachgekommen die sich durch persönliche Differenzen mit dem worden, vielmehr habe dieser begonnen, ihn zu zuständigen Bezirksleiter der VF. noch ver- schärften“. So sei er „immer mehr ins Lager der 147 1940 wurde er als „Alter Kämpfer“ anerkannt, NSDAP. getrieben worden, ohne ihr beizutre- wenngleich seine Ehefrau dies 1946 (Saurwein war zu ten“, und habe sich auch in Winklern dann nicht diesem Zeitpunkt verschollen) als „Gefälligkeitsbestä- mehr politisch betätigt.151 tigung der Ortsgruppe Schruns“ bezeichnete. Er wur- de nach dem „Zusammenbruch 1945 […] zunächst Ludwig Pauer,152 ein „eifriger Verfechter der nicht in dienstliche Verwendung genommen“ und in nationalsozialistischen Belange“ (und Parteimit- den dauernden Ruhestand versetzt. Das OLG-Präsidi- um Innsbruck erachtete 1949 seine Wiedereinstellung glied seit Anfang Mai 1938), wurde wegen sei- in diesem Sprengel „für gänzlich untunlich“, weil er „sowohl während der Verbotszeit als auch nach der 149 Nach dem „Anschluss“ erfolgte seine Ernennung Begründung der nat.soz. Herrschaft in Österreich zum Vorsitzenden des Anerbengerichtes Winklern, prominenter Vertreter und Werber dieser Bewegung nach dem Krieg seine Anklage vor dem Volksgericht war und als solcher galt“. Weil er aber jener „Gruppe Graz. ehemaliger Nationalsozialisten zuzuzählen sein [dürf- 150 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Raunig, Josef. te], die ehrlich einsehen, einen Irrweg gegangen zu 151 Auch habe er sich erst nach dem „Anschluss“ um sein“, wurde er 1952 reaktiviert (LG Feldkirch), ÖStA, die Aufnahme in die NSDAP beworben und sei AdR, Justiz, BMJ, VP NA Saurwein, Erwin. 1968 er- „rückwirkend auf 1. 5. 1933 unter Verleihung einer folgte die Auszeichnung mit dem „Goldenen Ehren- freigewordenen niedrigen Mitgliedsnummer in die zeichen für Verdienste um die Republik Österreich“, Partei aufgenommen worden“. 1945 wurde er als „Il- und zwar mit der Begründung, dass er sich „als Rich- legaler“ eingestuft, zunächst entlassen. Im Zusam- ter nahezu in allen Sparten der Rechtspflege […] be- menhang mit einem Antrag auf Dienstzeitenanrech- währt“ habe, und den „Typ des bewährten älteren nung für die Ruhestandszahlung fasste 1957 der Vi- Streitrichters mit allseitiger Ausbildung und umfas- zepräsident des VfGH Gustav Zigeuner aus Anlass senden Kenntnissen“ darstelle, der sich „durch Zu- einer Intervention zugunsten Raunigs dessen politi- vorkommenheit und einen ausgeprägten, jedoch mit sche Vergangenheit so zusammen: Raunig sei „stets größter Güter gepaarten Gerechtigkeitssinn“ aus- ein ausgezeichneter Jurist aber ein Eigenbrötler gewe- zeichne. Gestrichen wurde allerdings von BM Kle- sen, immer gegen die jeweilige Regierung eingestellt. catsky die Zeile im Entwurf, dass er als „unerschüt- In der Monarchie Sozialdemokrat, in der Republik terlicher Diener des Rechtes […] sein ganzes Berufsle- dann ganz rechtsstehend, später Nationalsozialist, ben dem Wohl des Staates und seiner Würde gewid- schließlich erbitterter Gegner derselben“, ÖStA, AdR, met“ habe, ebd. Justiz, RM, NA Raunig, Josef. 148 Geb. 1887, folgende Zitate und Angaben, wenn 152 Geb. 1880; folgende Zitate und Angaben, wenn nicht anders vermerkt: ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA nicht anders vermerkt ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Raunig Josef. Pauer, Ludwig.

442 Ilse REITER-ZATLOUKAL ner NS-Einstellung von Friesach zunächst nach bekannter illegaler NS. eine Zeitlang unter Poli- Rosegg und dann nach Obervellach versetzt, zeiaufsicht“,157 auch wurde gegen ihn ein Dis- und zwar auf Grund eines Disziplinarerkennt- ziplinarverfahren geführt, weil er weder das Ab- nisses des OLG Graz vom Februar 1936, in dem zeichen der VF noch auch Trauerflor nach der davon die Rede war, dass er „nach dem Verbot Ermordung Dollfuß‘ getragen hatte. Während der NSDAP vorwiegend mit ns. eingestellten seiner Zeit in Poysdorf sei er nach Mitteilung Personen Verkehr pflog, solche Gaststätten be- der NSDAP nach dem „Anschluss“ an den Ge- suchte und im Dezember 1935 öffentl[lich] im neralstaatsanwalt beim OLG Wien „von der VF. Kino mit einem bekanntlich aus Deutschland sehr angefeindet und mehrmals seine Entlas- zurückgekehrten Nat. Soz. sich unterhielt und sung begehrt“ worden. Als Begründung für die ihm die Hand drückte“.153 Nach eigenem Be- Polizeiaufsicht gab Rabe an, dass „er als ,Nazi- kunden war er von „extrem Vaterländischen richter‘ bekannt war“, sich aber dennoch „stets ,wegen feindlicher Einstellung‘ gegenüber dem zum Nationalsozialismus bekannt und aus sei- (Starhemberg-)Heimatschutz beim Sicherheits- ner Gesinnung kein Hehl gemacht“ habe. 158 So direktor und beim Präsidium angezeigt“ wor- war er seit Februar 1934 Mitglied des National- den. Man habe ihm seinen Austritt aus dem Hei- sozialistischen Rechtswahrerbundes (NSRB) so- matschutz, dem er seit 1919 als Gründer und wie Oberscharführer und Rechtsreferent beim erster Ortsgruppenführer ununterbrochen ange- Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps.159 Im hört hatte, „schwer angekreidet“. 1937 erfolgte Jänner 1937 wurde er der Staatsanwaltschaft schließlich auf eigenes Betreiben seine Verset- Korneuburg zugeteilt.160 Nach einer politischen zung nach Paternion, wo er nach Angaben der Beurteilung der Gauleitung Niederdonau aus dortigen Gendarmerie im Mai „bei Verhandlun- dem Jahr 1939 wurde er in der „illegalen Zeit“ gen seine Urteile nach politischen Gesichtspunk- wegen seiner „nationalsozialistischen Einstel- ten gefällt und Antifaschisten beschimpft“ habe. lung als Richter sehr angefeindet“, weshalb In einer „politischen Beurteilung vom Gemein- „mehrmals seine Entlassung begehrt“ worden derat in Paternion“ wurde er auch „als politisch sei.161 Nach dem Krieg bestritt er allerdings, ille- untragbar“ beschrieben.154 gal gewesen zu sein und bezeichnete sich als „politisch uninteressiert“. Als Strafrichter in Parteimitglied bereits seit Februar 1934 war Poysdorf sei er „von der Heimwehr grundlos Walter Rabe,155 Richter am BG Poydorf 1932 bis angegriffen“ worden.162 Nach dem Verbot der 1935. Er hatte nach eigenen Angaben 1931 an NSDAP in Poysdorf hätte nämlich eine neu auf- der Universität „die Gedenkrede anlässlich der gestellte Heimwehrformation „wiederholt mit Todestagsfeier Horst Wessels gehalten“ und politischen Gegnern Zusammenstöße“ gehabt zählte es zu seinen „erhebendsten Lebenserinne- und von diesen Heimwehrlern sei er im Zuge rungen, einer der wenigen Freunde Horst Wes- sels während seiner Wiener Studentenzeit gewe- sen zu sein“.156 In der „Verbotszeit“ stand er „als

157 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Rabe, Walter. 153 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Pauer, Ludwig. 158 ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Rabe, Walter. 154 1945 wurde er aus dem Staatsdienst entlassen, nach 159 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Rabe, Walter. der NS-Amnestie 1957 wieder in Dienst gestellt, ÖS- 160 Er avancierte in der Staatsanwaltschaft 1944 zum tA, AdR, Justiz, RM, NA Pauer, Ludwig. OStA beim OLG Wien, ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP 155 ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Rabe, Walter; auch NA Rabe, Walter. STADLER, Verfahren 347. 161 Ebd. 156 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Rabe, Walter. 162 Ebd.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 443 der damit verbundenen Strafverfahren wegen Oberpullendorf“ gegen ihn gehetzt, auch seien Befangenheit abgelehnt worden.163 „Anzeigen an die Kammer und Aufsichtsbe- schwerden“ erhoben worden, was seinen Aus- Josef Dölzl war Mitglied der NSDAP seit 1933, schluss aus der VF165 zur Folge hatte. Begründet der SS seit 1936 sowie der VF von 1934 bis zu wurde sein Ausschluss von der VF allerdings seinem Ausschluss aus derselben 1937. Er führte damit, dass er durch sein Verhalten in einem na- im Juni 1938 in einem Fragebogen über seine mentlich genannten Gasthaus, wo er „angeblich bisherigen Tätigkeiten für die NS-Bewegung den Gastwirt […] wegen Tragens des Frontab- weiters aus: „Ermöglichung und Förderung der zeichens und wegen seiner Zugehörigkeit zur illegalen Betätigung der Pg. [Parteigenossen] in Frontmiliz ganz grob beschimpft“ und ein Kru- Oberpullendorf; Wahrung der Rechte der Pg. in zifix im Gasthauszimmer angespuckt hatte, der Rechtsprechung; seit 1936 als SS-Mann Ein- nicht nur „den Anstand verletzt, sondern auch holung und Uebermittlung von Nachrichten offensichtlich bekundet“ habe, dass seine „Ge- und Verrichtung anderer fallweise übertragener sinnung und Einstellung mit den Grundsätzen Aufgaben“. Überdies gab er an, dass hinsichtlich der Vaterländischen Front und des erneuerten seiner Person ein Verbot der Verwendung als christlichen Österreich unvereinbar sind“.166 Es Strafrichter ergangen sei.164 Die Begründung folgte die „strafweise Versetzung“ an Wiener dafür sah er – seiner „Lebensbeschreibung“ von Gerichte.167 1938 zufolge – darin, dass er mehrere Heimat- schützer „wegen tätlicher und wörtlicher Belei- Ein besonders streitbarer und selbstherrlicher 168 digung von Nationalsozialisten“ verurteilt habe, Richter scheint der Tiroler Karl Grüner gewe- was Anlass für Beschwerden bei den Heimwehr- sen zu sein, gegen den mit der Versetzung vor- führern Starhemberg und Fey gewesen sei. Man gegangen wurde, nachdem der Versuch einer habe ihm gedroht, „nicht mehr lange Richter“ Ruhestandsversetzung gescheitert war, wobei zu sein und ihn „wegen seiner politischen Ein- sich dann seine Wege mit Josef Dölzl in Ober- stellung am 26. Juli durch mehrere Stunden an- pullendorf kreuzten. Grüner war zunächst Be- gehalten. Er sei dann bis 1936 tatsächlich nicht zirksrichter und Bezirksvorsteher in Taxenbach mehr als Strafrichter verwendet worden. In wei- seit 1930, seit 1934 Mitglied der VF und seit terer Folge habe er veranlasst, dass gegen Gen- 24. Februar 1938 Mitglied der NSDAP. Er hatte darmen ein Strafverfahren eingeleitet worden sich 1932 nach eigenen Angaben (vom Mai 1938) sei, die „Heil-Hitler“ rufende Burschen in einer „durch Vorträge in öffentl. Versammlungen und Amtshandlung „mit Ochsenziemern schwer ver- Sprechabenden in verschiedenen Orten des Lan- prügelt“ hatten. Darauf hätten Heimatschützer des Salzburg“ ausgezeichnet, dann in weiterer und „sämtliche jüdische Rechtsanwälte von Folge durch „hauptberufliche Förderung der Be-

163 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ VP Liqu Rabe, Walter. Er 165 Offenbar erfolgte auch eine Anzeige durch einen wurde nach dem „Anschluss“ als „Altparteigenosse“ Gastwirt, dessen Lokal in weiterer Folge von den Ge- anerkannt und nach dem Krieg nicht nur als „Illega- richtsbeamten gemieden wurde, ÖStA, AdR BKA-I ler“ eingestuft, sondern 1945 wegen seines Verhaltens Parteiarchive VF Gensekt 514-1-920, Kart. 149. in den Apriltagen 1945, als er versuchte, die Enthaf- 166 Ebd. tung von Gefangenen beim LG für Strafsachen zu 167 1946 wurde Dölzl entlassen, 1955 wieder reakti- verhindern, vom Volksgericht zu vier Jahren schwe- viert, ÖStA, AdR Justiz RJM PA Dölzl, Josef; ÖStA, ren Kerkers verurteilt. 1953 wurde er als LG-Rat reak- AdR Justiz BMJ VP Liqu Dölzl, Josef. tiviert, ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Rabe, Walter. 168 Geb. 1899; folgende Zitate und Angaben, wenn 164 Geb. 1902, ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA Dölzl, nicht anders vermerkt ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Josef. Grüner, Karl.

444 Ilse REITER-ZATLOUKAL wegung“. Einen „formellen Beitritt“ zur NSDAP de in weiterer Folge auf Grund eines Erkennt- habe er ablehnen müssen, da er andernfalls nisses des BGH aufgehoben,169 was er nach eige- „mangels einer geeigneteren Persönlichkeit so- nen Angaben dessen Präsident Ernst Durig zu fort die Ortsgruppenleitung in Taxenbach über- verdanken hatte, bei dem er zeitweise Präsidial- nehmen hätte müssen“. Dies sei ihm nicht nur sekretär während dessen OLG-Präsidentschaft „zu konjunkturell“ erschienen, sondern hätte in Innsbruck gewesen war. Der BGH erblickte in ihn auch „später als Einzelgerichtsvorsteher in dem Umstand, dass Grüner „Gedanken zu Pro- eine ganz unmögliche Lage gebracht“, da er da- tokoll gebracht hatte, die die Beschuldigten mals „schon viele Straf- und Streitsachen mit po- überhaupt nicht vorbrachten, nur eine grobe litischem Hintergrund zu entscheiden hatte“ Ungehörigkeit“ und erachtete die Frage, ob Grü- und sich „ohnedies schon öfters gegen Ableh- ner „staatstreu oder staatsfeindlich eingestellt“ nungsanträge wegen Befangenheit zur Wehr sei, zwar als „entscheidend“, aber „zu wenig setzen“ habe müssen. Seit dem Frühjahr 1933 sei geklärt“.170 Die Pensionierung wurde in weiterer er „selbstverständlich den offenkundigen Folge in eine Beurlaubung umgewandelt, die bis Rechtsbrüchen und Rechtsbeugungen der dama- November 1937 andauerte, dann wurde er in ligen Bundesregierung innerhalb der Grenzen Oberpullendorf erneut in Dienst gestellt. Nach der richterlichen Unabhängigkeit, jedoch unter Grüners Angaben hatte die Versetzung ihren voller Ausnützung dieser Sonderstellung, ent- Grund darin, dass er „während seiner Tätigkeit gegengetreten“ und habe sich „mit aller Kraft als Gerichtsvorsteher in Taxenbach aus seiner […] dafür eingesetzt, den anständigen Teil der grossdeutschen Einstellung heraus Sympathien Bevölkerung vor dem Ansturm schlechter Cha- mit dem Nationalsozialismus in auffälliger Wei- raktere und übelsten Konjunkturgesindels zu se bekundete“.171 Man habe ihn mit dieser schützen“. Er habe deshalb „viele offene An- „Zwangsversetzung“ ins Burgenland, so klagte feindungen und geheime Angebereien soge- er 1938, von seiner im Innsbrucker Raum leben- nannter vaterländischer Kreise zu erdulden“ den Familie trennen wollen. In Oberpullendorf gehabt, was letztlich Ende Juli 1935 zu seiner habe er die Bewegung jedoch weiter gefördert, „Pensionierung (als Gerichtsvorst. in Taxen- etwa als Kreispresseamtsleiter sowie Kreisred- bach)“ mit nur 36 Jahren geführt habe. Diese ner der NSDAP, obwohl er sowohl von der Gen- „Zwangsversetzung“ erfolgte nach § 28 V-ÜG, darmerie als auch der VF überwacht worden sei also, wie Grüner betonte, „ohne Disziplinar- – wie auch die VF attestierte, die 1937 vorschlug, verfahren“. Grund dafür war, dass er in den mit der „derzeitige Gerichtsvorsteher von Ober- den Beschuldigten aufgenommenen Protokollen pullendorf“ möge aus dem Burgenland versetzt nicht deren tatsächliche Verantwortung aufge- werden, weil er am „Verhalten der Richter und nommen habe, sondern „vielmehr seine eigene Gerichtsbeamten“, die sich mit dem aus der VF Meinung über die gegen die Beschuldigten erho- wegen nationalsozialistischer Betätigung ausge- benen Anschuldigungen und seine persönlichen schlossenen Richter Josef Dölzl solidarisierten, Anschauungen über die Verhältnisse in Öster- „nicht schuldlos sein soll“.172 1946 behauptete reich, sowie seine Stellungnahme gegenüber der Regierung und deren Maßnahmen zum Aus- 169 Erkenntnis 8. 5. 1936, GZ. A 1116/35, ÖStA, AdR, drucke bringen wollte und tatsächlich auch ge- Justiz, BMJ, VP NA Grüner, Karl. bracht“ hatte. Seine Zwangspensionierung wur- 170 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Grüner, Karl. 171 Ebd. 172 ÖStA, AdR BKA-I Parteiarchive VF Gensekt 514-1- 920, Kart. 149.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 445

Grüner dann, er habe „die verfassungsrechtli- „konnten sich in dem Hof aufhalten, erhielten chen Vorgänge 1933/34 als rechtlich denkender durch seine Mitwirkung von der ganzen Bevöl- Mensch und aus Heimatliebe unmöglich billigen kerung von Taxenbach Unterstützung durch Le- können“, seine „Ablehnung“ sei „mittelbar al- bensmittelsendungen, Musikinstrumente beka- lerdings einer Begünstigung der ehemaligen Op- men sie ins Gefangenenhaus, und als der [LG-]- position in Österreich, von der die demokrati- Präsident […] überfallsartig in Taxenbach er- schen Verfassungsrechte verteidigt wurden, schien, glaubte er sich in eine andere Welt ver- gleichgekommen“. Seine „damaligen Rechtsbe- setzt“. Im Zuge der von Grüner geführten Ver- denken“ wären jedoch „von fast allen Richtern fahren habe dieser den Beschuldigten „Verant- in Österreich, soweit sie nicht an den Umsturz wortungen etc. in den Mund gelegt“, die diese, parteipolitisch gebunden waren, geteilt wor- „einfache Bauernburschen“, „nie vorgebracht den“.173 Als nach dem Ende der NS-Herrschaft haben“ könnten, weil „ihnen das Rüstzeug hie- Grüners Reaktivierung zur Diskussion stand, zu fehlte“. In den Verfahren seien „ganze Pole- wurde allerdings von einem Ministerialbeam- miken mit der Regierung abgeführt“, „die ten, der vor 1938 als „Referent in dieser Leidens- Rechtsgültigkeit der Verfassung in Zweifel ge- angelegenheit“ im BMJ tätig gewesen war und zogen“ und „ganze Abhandlungen über die daher also dem Regime wohl nahe gestanden Verfassungsmässigkeit des Regimes durchge- hatte, in einer Stellungnahme festgehalten, dass führt“ worden, weshalb auch die Entscheidung Grüner ein besonders „eklatanter Fall des Treue- des BGH als „unbegreiflich“ bezeichnet werden bruchs gegenüber der Republik“ gewesen sei. müsse. Grüner habe auch nach seiner Verset- Schon vor dem Verbot der NSDAP habe er sich zung „seine destruktive Tätigkeit fortgesetzt“ „höchst ungeschickt benommen“, indem er „mit und den damals in Haft befindlichen illegalen Gott und der Welt“ und insbesondere dem Gen- Gau-Funktionär Dr. Tobias Portschy begünstigt, darmerieposten verfeindet war und im NS- „wodurch dieser imstand war, als Gerichtshäft- Turnverein „regierungs- und staatsfeindliche ling die illegale Parteiarbeit für die NSDAP von Reden“ gehalten habe. Auch hätte der damalige der Zelle aus […] zu leiten“.175 Grüner verteidig- Leitende Staatsanwalt von Salzburg seine Urtei- te sich freilich damit,176 dass seine Regimegeg- le „als Skandal bezeichnet“,174 und nach dem nerschaft von grundsätzlichen rechtlichen Über- Verbot der NSDAP habe Grüner „aus dem Ge- legungen getragen gewesen sei und er im Sinne richtsgefängnis Taxenbach ein Fledermausmu- einer „demokr[atischen] Rechtspflege“ gehan- seum gemacht für Nationalsozialisten“. Diese delt habe. Er sei in allen Verfahren gegen Ange- hörige damals verbotener Parteien „gleichartig 173 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Grüner, Karl. vorgegangen“, habe also „keineswegs Anhänger Nach dem „Anschluss“ erfolgte die Zurückverset- der NSDAP begünstigt, sondern ebenso auch zung Grüners nach Tirol; als „Wiedergutmachung der die Rechte sozialdemokr[atischer] und kommu- ihm wegen seiner ns. Einstellung widerfahrenen nistischer Parteigänger zu wahren gesucht“.177 Massregelung“ wurden ihm schließlich die Vertre- tungskosten vor dem BGH bewilligt. Laut Bestäti- gung der NSDAP-Leitung vom April 1939 war er als „alter Kämpfer“ anzusehen und wurde im Juni zum 175 Für „einen solchen Menschen“ sei daher insgesamt OLG-Rat ernannt. 1948 erfolgte Grüners dauernde „kein Platz in der österreichischen Justiz“. Pensionierung, 1955 wurde er reaktiviert, ÖStA, AdR, 176 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Grüner, Karl. Justiz, BMJ, VP Komm Grüner, Karl. 177 Auch sei er kein „Illegaler“ gewesen, und die 174 Nach der Gerichtssaalberichterstattung in der NSDAP habe „anscheinend alle Opfer der Rechtsent- Reichspost bezeichnete die Staatsanwaltschaft das Ur- wicklung zum autoritären Regierungssystem als ,alte teil als „erschütternd“, RP, Nr. 48 v. 17. 2. 1935, 14. Kämpfer‘ anerkannt, sofern diese nur überhaupt na-

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Ein ebenfalls recht ungewöhnlicher Fall ist Otto „seine Treue zu unserer Bewegung viele Nieder- Lutz,178 der nicht nur durch seine NS-Betäti- trächtigkeiten hinnehmen“ habe müssen, wäh- gung, sondern insbesondere auch durch geringe rend das Reichjustizministerium (RJM) trotz die- Befähigung bei gleichzeitiger Überheblichkeit ser Verdienste seine extrem deutlich negative hervorstach. Lutz, Sohn eines Senatspräsidenten Dienstbeschreibung ins Treffen führte.180 des OGH, war schon seit Jänner 1932 Mitglied der NSDAP und seit 1933 Mitglied des NSRB. Er 180 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Lutz, Otto. Da wurde – nachdem gegen ihn schon 1929 wegen nach dem „Anschluss“, nach dem er bis zur Verset- seiner Prozessführung gegen sozialdemokrati- zung nach Krems u.a. Vorsitzender des Anerbenge- sche Angeklagte ein mit einer Versetzung en- richts in Wolkersdorf gewesen war, keine ihm adä- quat scheinende Beförderung erfolgte, drohte Lutz, dendes Disziplinarverfahren geführt worden sich im Fall einer „tatsächlich weiter andauernden Be- war – Ende August 1934 aus disziplinarrechtli- nachteiligung“ seiner Person „als alter Kämpfer der chen Gründen an einen anderen Dienstort ver- NSDAP“ dazu veranlasst zu sehen, diese „in unserem setzt. In seinen eigenen Worten 1939 wurde er heutigen Staate untragbare Behandlung eines der älte- sten Parteimitglieder unter den österreichischen Rich- „über Anzeige der Vaterländischen Schusch- tern und des einzigen Parteimitgliedes aus der Ver- nigg-Front und der Starhemberg-Heimwehr botszeit des hiesigen Land- und Amtsgerichtes wegen nationalsozialistischer Gesinnung und [Krems an der Donau] den zuständigen Parteistellen Begünstigung nationalsozialistischer Bevölke- bekanntzugeben“. Vom OLG-Präs. Wien wurde er al- lerdings als „mässige Kraft“ eingestuft, „von seinem rungskreise strafweise von Kirchberg am Wa- Wissen sehr eingenommen, unbelehrbar und halsstar- gram in das damals als Strafkolonie für Richter rig“, in der „Ausübung seines Dienstes […] sehr be- geltende Burgenland versetzt“ und ihm „für die quem“, auch halte er die Arbeitszeit „selbst bei gröss- Zukunft die Ausübung der Strafjustiz unter- ter Belastung“ nicht ein, was zur einer „großen Schleuderhaftigkeit und Flüchtigkeit in der Erledi- sagt“.179 Aber auch in Neusiedl sei er „überaus gung der ihm zugewiesenen Arbeiten“ führe. Er zeige aktiv für die Bewegung gewesen“. Von Seiten sich aber „gegen Belehrungen und Weisungen völlig des „Stellvertreters des Führers“ wurde im März einsichtslos, ja sogar überheblich“. Dies zeige sich 1940 jedenfalls hervorgehoben, dass sich Lutz auch darin, dass er in seinen Rechtsmittelvorlagebe- „jederzeit restlos in den Kampf gegen das Schu- richten die Rechtsmittelrichter darüber belehre, „dass und warum eine seiner Entscheidung zuwiderlaufen- schniggregime gestellt und bewährt“ sowie für de Rechtsmittelentscheidung dem nationalsozialisti- schen Rechtsempfunden widersprechen müsste“. tional eingestellt waren“. Er beklagte sich – in durch- Eine solche „sachlich und rechtlich vollständig ver- aus einseitiger Interpretation der seinerzeitigen Vor- fehlte Belehrung über das richtige nationalsozialisti- gänge –, dass „das seinerzeit durch [s]ein Verhalten sche Rechtsempfinden“ habe er auch „in sehr unhöfli- betroffene autoritäre Regierungssystem in [s]einem cher Form“ dem Reichskommissar auf eine „höfliche Vorgehen niemals eine Veranlassung auch nur zur Anfrage“ desselben erteilt. Er lege darüber hinaus ein Einleitung eines Disziplinarverfahrens, geschweige Verhalten den Parteien gegenüber an den Tag, „das denn irgendeine strafbare Handlung erblickt“ habe, den Pflichten eines Beamten im nationalsozialisti- während er nun von einer von ihm „stets hochgehal- schen Staat nicht entspricht“. Schließlich intervenierte tenen demokratischen Rechtspflege zum verbrecheri- die NSDAP Niederdonau im September 1939 für eine schen Hochverräter gestempelt würde“. Durch sein Beförderung, da er „in der Verbotszeit diszipliniert Verhalten habe sich „höchstens das autoritäre Regie- und geschädigt“ worden sei. Im Gegensatz dazu wies rungssystem betroffen fühlen können, niemals aber das RJM freilich darauf hin, dass Lutz eine „geradezu eine objektive demokratische Rechtspflege“, für die er vernichtende Dienstbeschreibung“ aufweise und sich auch dann noch eingetreten sei, „als dies schon „den Rechts suchenden Volksgenossen gegenüber in schwerste persönliche Nachteile nach sich ziehen einer Weise (benehme), die von ns. Gesichtspunkte konnte“. aus nicht gebilligt werden könne“. Seine verhaltens- 178 Geb. 1899, ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Lutz, Otto. auffällige Art änderte Lutz offenbar auch in weiterer 179 Ebd. Folge nicht und wurde 1945 nicht mehr in den neuen

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 447

Zu einer Versetzung wegen NS-Betätigung auf- teten Jungen Kleider und Geld nachzusenden“, grund des V-ÜG kam es weiters im Fall Eugen was zu einer Anzeige führte.185 Hufnagls,181 der „schon vor dem Umbruch als Ungewöhnlich, insbesondere hinsichtlich seines Nationalsozialist [galt]“, wenngleich er unbe- Verlaufes nach dem „Anschluss“ 1938, ist der strittener Maßen erst seit Juni 1938 der NSDAP Fall Karl Otto Thies,186 der seit Jänner 1932 angehörte.182 Er wurde im November 1934 vom NSDAP-Mitglied war, und zwar nach den (auf BG Lilienfeld, wo er unter Polizeiaufsicht stand, Thiesʼ Angaben aus 1945187 beruhenden) Aus- zunächst vorübergehend nach Freistadt und führungen des BMJ 1956 „vermutlich auf Veran- dann nach Mattersburg transferiert, und zwar lassung seiner ersten Ehegattin, die eine eifrige (nach Angaben aus 1945) im Zuge der Feststel- Anhängerin und Verfechterin der ns-Idee“ ge- lung seiner „Illegalität“ „ohne Disziplinarver- wesen sei.188 Er hatte sich in der „Verbotszeit“ in fahren oder drgl., weil Anzeigen des faschisti- vielfacher Weise für die NSDAP engagiert, wo- schen Heimatschutzes gegen ihn erfolgt sei- für er als Zeugen einerseits Paul Lux anführte, en.“183 der nach dem „Anschluss“ zeitweise stellvertre- Mit einer Versetzung gemäß dem V-ÜG ging die tender Gauführer des NSRB war,189 und ande- Regierung auch gegen den Steirer Franz Rainer rerseits Erich Führer,190 den Anwalt des Dollfuß- vor,184 nach eigenen Angaben Mitglied der Mörders Otto Planetta, Leiter des illegalen NS- NSDAP seit Februar 1937. Er wurde Anfang No- Juristenbundes und Vizepräsident der Anwalts- vember 1934 vom BG Deutschlandsberg nach kammer Wien 1938 bis 1943. Er wurde Anfang Bad Aussee versetzt, und zwar nach eigener Oktober 1935 vom BG Landstraße an das BG Aussage, weil zwei seiner Söhne am Juliputsch Leopoldstadt mit Ausschluss von der Strafge- beteiligt gewesen waren. Er selbst habe Juliput- richtsbarkeit versetzt, weil er laut einer Denun- schisten in seiner Wohnung mit Lebensmitteln ziation aus Anlass der Neu-Zuteilung eines und auch Gewehrmunition versorgt sowie ver- Richters als Schriftführer angeblich gesagt hatte: sucht, seinen beiden „nach Jugoslavien geflüch- „Achtung! Vorsicht! Maul halten! Ein Vaterlän- discher!“191 Im Juli 1936 erfolgte dann „wegen

Personalstand übernommen, wobei seine „Alko- 185 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Rainer, Franz. holexzesse“ ebenfalls eine Rolle spielten, ÖStA, AdR, Nach dem „Anschluss“ wurde er als „Altparteigenos- Justiz, BMJ, VP NA Lutz, Otto. se“ anerkannt, im August 1938 Vorsitzender des An- 181 Geb. 1902, ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Hufnagl, erbengerichts Deutschlandsberg und war als Kreis- Eugen. amtsleiter der NSDAP in der Kommunalpolitik tätig. 182 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Hufnagl, Eugen. Wegen Illegalität wurde er 1945 entlassen und verur- 183 Ebd. 1938 wurde er als Amtsgerichtsrat zum Amts- teilt, 1951 seine Entlassung aufgehoben und er in den gericht Wien versetzt, https://www.findbuch.at/tl_fi- Ruhestand versetzt, ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA les/data/adressbuecher/1937_bsoe_bgl_abak/10__Jus- Rainer, Franz. tizwesen.pdf, nach 1945 als „Minderbelasteter“ einge- 186 Geb. 1900 ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Thies, Karl stuft, ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Hufnagl, Eu- Otto. gen; ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Komm Hufnagl, 187 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Thies, Karl Otto. Eugen. Nach der NS-Zeit wurde er als „Belasteter“ 188 Sie war auch „nach der Annexion hauptberuflich nach dem Nationalsozialistengesetz qualifiziert und bei der Gauleitung Wien angestellt“, ebd. musste sich einem Volksgerichtsverfahren stellen, in 189 Vgl. zu ihm STADLER, Verfahren 334f. dem er wegen seiner Unterstützung des Juliputsches 190 http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/ zu einer Kerkerstrafe von 15 Monaten verurteilt wur- neues-von-ganz-rechts/archiv/september-2001/erich- de. fuehrer. 184 Geb. 1887; ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Rainer, 191 ÖStA, AdR, Sonderarchiv Moskau, Kart. 109, Franz. Konv. 347.

448 Ilse REITER-ZATLOUKAL verschiedener […] im Jahre 1933 und 1934 gegen 2.3.3. Disziplinarverweis das damalige Regime gemachter Äußerun- Eine mildere Maßregelung stellte der Verweis gen“192 seine Versetzung nach Poysdorf gemäß durch das Disziplinargericht dar. Allerdings dem V-ÜG. Anfang 1937 erfolgte auch hier der kam es oft auch nur zur Einleitung von Verfah- Entzug der Strafsachen. Sodann wurde ihm – in ren ohne Schuldspruch. So erteilte etwa das den Worten der „Kanzlei des Führers der OLG Wien bereits Ende Juni 1932 Adolf Bayer NSDAP“ 1939 – seine Pensionierung gemäß V- einen Verweis, weil er eine abfällige Bemerkung ÜG infolge seiner „staatsuntreuen Handlungen“ gegen die Regierung Dollfuß getätigt hatte.196 angekündigt. Er sei jedoch „pardoniert“ (also Abfällige Bemerkungen gegen die Regierung nicht pensioniert), dafür aber aufs Land versetzt waren auch der Grund für das Disziplinarver- worden, und zwar „in eine der schwärzesten fahren 1935 gegen Norbert Schebesta, Richter Gemeinden Niederdonaus“. Diese Zeit, „(18 am BG Favoriten und erst seit dem „Anschluss“ Monate), die er hier verbrachte“, sei „für ihn Parteianwärter bzw. seit 1940 Parteimitglied.197 wohl die qualvollste“ gewesen, er habe aber Schebesta, der „der ns. Bewegung schon vor der selbst diese Zeit „standhaft überwunden“.193 Verbotszeit sympathisierend gegenüberstand“ Auch das BMJ vermerkte 1956 (Thies‘ Angaben und „mit ihr auch in der Verbotszeit [sympathi- folgend), dass „seine angeblich wegen fanati- sierte]“, hatte, so der gegen ihn erhobene Vor- scher Äusserungen für den Nationalsozialismus wurf,198 im Mai 1934 und Anfang Juli 1934 „ab- strafweise geplante Pensionierung“ 1936 „dahin fällige Äusserungen über das Verhältnis Öster- gemildert“ worden sei, dass man ihn nach reichs zu Deutschland gemacht“, „am Tag der Poysdorf versetzte. Danach hätten keine weite- Ermordung des Bundeskanzlers Dr. Dollfuß ge- ren „schwerwiegenden“ Tatsachen gegen Thies äussert, es werden sich noch andere Dinge ereig- mehr festgestellt werden können, da er sich der nen“, sich „gelegentlich des Leichenbegängnis- „Einflußnahme“ seiner Ehefrau „fast zur glei- ses des Bundeskanzlers Dr. Dollfuss über die chen Zeit“ (1935) durch Scheidung entzogen ha- Trauerbeleuchtung abfällig geäußert“ (nämlich, be.194 Trotz seines (zumindest anfänglichen) En- dass es „um das viele Geld schade sei, das man gagements für die NSDAP wurde ihm 1938 al- für die vielen Kerzen […] zur Beleuchtung der lerdings seine nicht-„arische“ Herkunft zum Fenster des Gerichtsgebäudes ausgeben müs- Verhängnis.195 se“), am Tag der Hinrichtung „des Kanzlermör-

192 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Thies, Karl Otto. leitet, auch blieb er Mitglied im NSRB. Er wurde 1945 193 ÖStA, AdR, Justiz, RJM, PA Thies, Karl Otto. außer und 1948 wieder in Dienst gestellt. In Hinblick 194 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Thies, Karl Otto. auf eine vorgeschlagene Beförderung erschien es dem 195 Seine Mutter war vor ihrer Heirat 1899 „Jüdin“ im BMJ 1950 allerdings als „besondere Charakterlosig- Sinne der NS-Rassegesetze. Die „Tragik“ lag also, in keit“, „dass er in doch wohl genauer Kenntnis der den Worten der NS-Behörde, „bei diesem bestimmt Diffamierung des Judentums durch den Nationalso- wertvollen Menschen in seinem starken jüdischen zialismus sich offenbar unter absichtlicher Verschwei- Bluteinschlag“. Thies musste aus der NSDAP austre- gung seiner Abstammung diesem anschloss“. Dass er ten, konnte aber infolge der Ausnahmegenehmigung dann „selbst diffamierend ausgeschlossen wurde, des Berufsbeamtengesetzes mit Genehmigung des kann er sich daher nicht als Verdienst buchen“, ebd. Stellvertreters des Führers im Staatsdienst verbleiben, 196 STADLER, Verfahren 303. jedoch nicht als (Spruch-)Richter oder Staatsanwalt, 197 ÖStA, AdR Justiz BMJ VP Komm Schebesta, Nor- denn „Mischlinge 1. Grades“ durften nur mehr als bert. „Grundbuchrichter oder in ähnlicher Stellung“ tätig 198 Dienststrafsache Norbert Schebesta Zl. Jv 9221- werden. So wurde Thies nach seiner zeitweiligen Ent- 11R/35, 22f, ÖStA, AVA JM Wien P 6+Vz 1935, Kart. hebung ab Februar in den Reichsjustizdienst überge- 4391. Daraus die folgenden Zitate.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 449 ders Planetta abfällige Äusserungen über die SS-Untersturmführer (SS-Führer im Stabe des Rechtsprechung der Militärgerichte und die Be- SS-Abschnittes XXXVI, Innsbruck), Richter seit handlung der Angeklagten durch den Verhand- 1930 (zuerst am BG in St. Johann im Pongau und lungsleiter gemacht“199, sich nach der Ermor- dann in Feldkirch, seit 1936 am LG Innsbruck). dung Dollfuß‘ „an Gesprächen mit Beamten des Der Verweis erfolgte im Jänner 1934 durch Dis- BG. Favoriten beteiligt, welche den Verdacht ziplinarerkenntnis des OLG Innsbruck wegen rechtfertigen, dass sich die Teilnehmer trotz „Beleidigung der Regierung Dollfuss“.202 Im dem Verbote für die NSDAP. betätigen“. Ein September 1933 war Dillersberger bereits ver- Dienststrafverfahren gegen Schebesta wurde im waltungsstrafrechtlich wegen „öffentl. Beleidi- August 1935 eingestellt, im Disziplinarverfahren gung der Bundesregierung“ von der Bezirks- wurde er in den meisten Punkten freigespro- hauptmannschaft St. Johann zu 1.500 Schilling chen, aber hinsichtlich folgender Äußerung für und drei Tagen Arrest verurteilt worden,203 weil schuldig erkannt: „Ich hätte die Militärgerichte er als Obmann des „Deutsch-Völkischen Turn- nicht eingeführt, die Standgerichte hätten ge- vereins“ am 7. Juni 1933, also noch vor dem nügt. Ich würde politische Verbrecher erschie- Verbot der NDSAP, in einem Schreiben an der ßen“. Es wurde über ihn die Ordnungsstrafe des Bundesregierung „abfällige Kritik“ geäußert Verweises verhängt (und diese in der Instanz hatte.204 Die Kritik bestand in dem Vorwurf, dass auch bestätigt), weil er hierdurch der Pflicht, „der österreichische Heimatschutz […] jede von „sowohl in und ausser dem Amte alles zu unter- der derzeitigen Regierung unternommene Maß- lassen, was die Achtung vor dem Stande, wel- nahme zur Unterdrückung völkischer Menschen chem er angehört, zu vermindern geeignet wä- und einer gesamtdeutschen Politik deckt und re“, sowie sich durch das „Verhalten in und weitgehend unterstützt“.205 Zu seinen Aktivitä- ausser dem Amte der Achtung und des Vertrau- ten für die NSDAP gab Dillersberger nach dem ens, die sein Beruf erfordert, nicht unwürdig zu „Anschluss“ an, dass er bis zum Parteiverbot zeigen“ (§ 2 RDG), zuwidergehandelt habe.200 Mitglied der Bezirksleitung der NSDAP Pongau gewesen sei. Nach dem Parteiverbot habe er sich Die Strafe des Disziplinarverweises wegen einer bis zu seiner Versetzung nach Feldkirch als „Ob- Ordnungswidrigkeit erhielt auch Walter Dillers- mann des dv. Turnvereins i.S. der ns. Bewe- berger, nach eigenen Angaben NSDAP-Mitglied gung“ betätigt und „fallweise [den] österr. Beob- „aus ideellen Gründen“ seit September 1931 achter verbreitet“. Außerdem sei er „Organisa- (mit Unterbrechung in der Verbotszeit201) und tor des Widerstandes gegen die Schuschnigg-

199 „Wenn man die Leute zum Tode verurteilen wolle, so solle man ihnen einen ehrenvollen Tod gönnen und sie erschiessen lassen. Das Hängenlassen bedeute eine ganz überflüssige Demonstration oder Demago- gie und eine unangebrachte Härte gegenüber diesen Schreiben Dillersbergers an das OLG-Präs. Innsbruck armen Teufeln.“ im Mai 1946 (Dank an Dr. Günther Stanonik für die 200 Da Schebesta seit dem „Anschluss“ der NSDAP zu- Zurverfügungstellung). nehmend kritisch gegenüberstand und auch keine 202 Geb. 1904, ÖStA, AdR Justiz RJM PA Dillersberger, Funktionen in der NSDAP bekleidete, wurde er im Walther. Dienst belassen, ÖStA, AdR Justiz BMJ VP Komm 203 Wobei die Freiheitsstrafe im Berufungsweg nach- Schebesta, Norbert; ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA gesehen und die Geldstrafe im Gnadenweg auf nur Schebesta, Norbert. 650 Schilling reduziert wurde, ebd. 201 Und zwar eigenen Angaben zufolge nicht erst seit 204 ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA Dillersberger, Wal- dem Parteiverbot, sondern bereits seit dem Verbot der ther. Mitgliedschaft von Beamten in der NSDAP, so ein 205 Ebd.

450 Ilse REITER-ZATLOUKAL wahl unter den Richtern u. Staatsanwälten etc., 1945 bescheinigte diesem „geistige[n] Vater der etc.“206 gewesen. Methode der erbbiologischen Abstammungsgut- Ein Beispiel für ein erfolgloses Disziplinarver- achten“211 der OLG-Präsident, dass er „ein fahren ist hingegen Anton Rolleder,207 seit Jän- harmloser Idealist“ gewesen sei, „der aus ehrli- ner 1931 NSDAP-Mitglied, der im Zuge des Juli- cher Begeisterung und nicht etwa aus Konjunk- putsches seitens des Schutzkorps der VF mor- turgründen zur NSDAP gestoßen ist und ihr gens verhaftet und „im Konzentrationslager auch während der Verbotszeit weiter angehört Notarrest Löfler-Keller, Wien, XIII., bis 18 Uhr hat“. Seine Interessen hätten sich v.a. auf Rasse-, angehalten“ wurde.208 Er gehörte von (vermut- Abstammungs- und Erbgesundheitsfragen“ be- lich) 1931 bis 1933 dem NS-Juristenbund an, hat- zogen, „von deren Lösung im Sinne der n.s. te allerdings nach seinen Angaben 1946 in der Auffassung er sich die überstiegensten Hoffnun- „Aera Dollfuß“ bzw. „der ganzen Verbotszeit gen auf eine Regeneration des deutschen Volkes keinerlei Funktion“ innegehabt.209 Gegen ihn machte“.212 wurde 1935 ein Disziplinarverfahren „wegen 2.3.4. Anhaltung brieflicher Grüße an einen nach Deutschland [zur Österreichischen Legion] geflüchteten „Angehalten“ bzw. interniert wurden außer Rol- Funktionär“ geführt, das allerdings mit Frei- leder und Saurwein auch noch andere Richter, spruch endete. Es folgten mehrere Hausdurch- so etwa im Zusammenhang mit dem Juliputsch suchungen – alle (nach seinen eigenen Angaben) für einige Stunden Josef Dölzl,213 Richter am BG wegen der NS-Tätigkeiten seiner Söhne – und Oberpullendorf. Ebenfalls zu einer Anhaltung Ablehnungen von Beförderungsgesuchen.210 kam es im Fall vom Johann Schwandtner, seit 1932 Richter am LG für ZRS214 und Mitglied der

NSDAP seit 1930,215 den am 25./26. Juli 1934 die 206 Wiewohl er offenbar bereits vor dem Parteiverbot aus der NSDAP ausgetreten war, wurde er nach dem Heimwehr in Weidlingau inhaftierte. „Anschluss“ als „Alter Kämpfer“ anerkannt. Er war Der Richter des BG Eberstein, Franz Hradetzy, dann Gaugruppenwalter (Richter und Staatsanwälte) 216 im NSRB, 1939 wurde er OLG-Rat in Innsbruck. Im wurde den MRP zufolge hingegen schon lan- Jänner 1943, damals Chef des SS- und Polizeigerichts ge vor dem Juliputsch, nämlich bereits in der VII in Wien, bot er dem RJM seine „vorbehaltlose Nacht von 30. auf 31. Jänner 1934, verhaftet und Bereitschaft zur Mitarbeit“ an der Justizreform an und in das Anhaltelager Wöllersdorf abgegeben, und bekundete sein Interesse an den „Fragen des richterli- chen Nachwuchses und seiner Ausbildung“, da er ge- rade „auf diesen Gebieten einige Erfahrung gewon- Kämpfer“ anerkannt, war Vorsitzender eines Sonder- nen und das Interesse an der Neugestaltung dieser senates des Obersten Parteigerichts, seit Mai 1939 Mit- Sachgebiet nie verloren“ habe. Im November 1943 glied des Gau-Ehrengerichts des NSRB und seit 1940 erfolgte seine Beförderung zum SS-Sturmbannführer Vorsitzender des Erbgesundheitsgerichts. der Waffen-SS. Darüber hinaus ersuchte der Chef der 211 So hieß es in einem Antrag auf Verleihung des Sicherheitspolizei Ernst Kaltenbrunner persönlich um Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Versetzung Dillersbergers von der Allgemeinen SS Kunst nach dem Ende der NS-Herrschaft, ebd. zum Reichssicherheitshauptamt. Zu diesem Zeit- 212 Er wurde zunächst als Belasteter, 1948 dann aber punkt war Dillersberger Untersuchungsführer beim schließlich als Minderbelasteter eingestuft, infolge- Chef der Sicherheitspolizei und des SD. 1946 wurde dessen auch seine Entlassung aufgehoben werden er aus dem Justizdienst entlassen. konnte, ebd. 207 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Rolleder ,Anton. 213 STADLER, Verfahren 306f, siehe auch weiter oben. 208 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Rolleder ,Anton. 214 Ebd. 358. 209 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Rolleder Anton. 215 ÖStA, AdR Justiz BMJ VP NA Schwandtner, Josef. 210 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Rolleder, Anton. 216 MRP 919 1. 2. 1934, NECK, WANDRUSZKA, Protokolle Nach dem „Anschluss“ wurde Rolleder als „Alter 480ff.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 451 zwar weil er Mitglied der NSDAP gewesen sei, oder Auszeichnung eine „besonders sorgfältige mit Parteigängern der NSDAP „Fühlung“ ge- Prüfung“ stattzufinden habe. Darüber hinaus habt und sich eine von ihm verfügte Verhaftung fanden auch bei mehreren Richtern Hausdurch- von zwei Mitgliedern des Kärntner Heimat- suchungen statt, so z.B. neben Anton Rolleder218 schutzes (die im Zusammenhang mit einer vor- auch bei Ernst Österreicher 1934, LG-Rat und geblichen Verhinderung nationalsozialistischen NSDAP-Mitglied seit 1930,219 und Ludwig Kolo- Umtriebe in eine Schießerei verwickelt waren) seus,220 der seit September 1931 Parteigenosse als „Sabotageakt“ dargestellt habe. Staatssekre- und SA-Obertruppführer war.221 tär Glas kritisierte im MR allerdings, dass die Anhalteverfügung „offenbar wegen seiner Aus- 2.4. Richterliche Unabhängigkeit übung des Richteramtes erfolgt“ sei, weshalb ge- und „Staatsnotstand“ gen diese „die schwersten Bedenken verfas- Gerechtfertigt wurden die Eingriffe der Regie- sungsrechtlicher Natur bestünden“, denn die rung in die Verfassung und den Rechtsstaat mit wegen der Verhaftung der Heimatschützer vor- der Rettung der Unabhängigkeit Österreichs genommene „Abschiebung des Dr. Hradetzky“ bzw. der Abwehr des Nationalsozialismus, also – richtig natürlich Anhaltung – verstoße eindeu- letztlich dem Vorliegen eines Ausnahmezustan- tig gegen die verfassungsrechtlich garantierte des bzw. Staatsnotstandes. So äußerte etwa Ri- Unabhängigkeit und Unversetzbarkeit der Rich- chard Schmitz im Parteivorstand nach der ter. Fey führte hingegen aus, dass Hradetzky „Selbstausschaltung“ des Nationalrats: „Gott hat eine Verhaftung nur „im Weg eines staatsan- uns noch einmal eine Gelegenheit geschickt, das waltschaftlichen Funktionärs“ veranlassen hätte Land und die Partei zu retten […] der Staatsnot- dürfen und somit seine Befugnisse überschritten stand ist zweifellos gegeben, der verfassungs- habe. Er sei verhaftet worden, weil er „als mäßige Apparat ist durch seine eigene Schuld Staatsbürger, nicht in seiner Eigenschaft als rich- gehemmt. Die nationalsozialistische Bewegung terlicher Funktionär staatsfeindliche Handlun- ist mitten in der Partei und in der Katholischen gen gefördert“ habe. Außerdem sei er „schon Aktion. Wir können […] nicht mehr sagen, wie lange der Behörde und der heimattreuen Bevöl- die Partei denkt“.222 Für den katholischen Publi- kerung missliebig aufgefallen“, weil er als „einer zisten Alfred Missong war der Verfassungs- der wildesten nationalsozialistischen Agitatoren bruch des März 1933 ein „Schönheitsfehler des in der Gegend“ gelte. neuen Regimes“, der allerdings „mit dem gewiß gegebenen Notstand kaum vollgültig zu recht- 2.3.5. Sonstige Maßnahmen fertigen“ war.223 Der katholische Publizist Ernst Manche Richter wurden zeitweilig auch unter Karl Winter sprach in den „Wiener Politischen Polizeiaufsicht gestellt, so etwa Eugen Hufnagel Blättern“ im August 1933 allerdings sehr deut- und Walter Rabe. Weiters wurde das politische

Verhalten der Richter im Karriereverlauf be- 218 ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP NA Rolleder, Anton. 217 rücksichtigt. So wurde etwa bei Karl Piska, 219 STADLER, Verfahren 343. seit Oktober 1931 beim LG für ZRS Wien, wegen 220 Ebd. 325f; ÖStA, AdR, Justiz, BMJ, VP Liqu Lud- seiner Zugehörigkeit zur NS-Betriebszellenorga- wig, Koloseus. 221 Er gehörte seit 1942 dem Sondergericht Wien an nisation (NSBO) angeordnet, dass vor jeder Be- und wurde nach 1945 als „Illegaler“ eingestuft (1947 trauung mit einem verantwortlichen Posten reaktiviert). 222 Parteivorstand 7. 3. 1933, GOLDINGER, Protokolle 133 217 Ebd. 344. 223 MISSONG, Leben 31.

452 Ilse REITER-ZATLOUKAL lich davon,224 dass sich die Regierung mit der weise hätte beheben lassen, wurde durch ge- „Opposition nicht verständigen wollte“ und sich schickte Propaganda der Christlich-Sozialen daher „gezwungen [sah …], die rechtlichen überspielt. Für Vizekanzler Franz Winkler han- Grundlagen ihres Bestandes in sehr anfechtbarer delte es sich retrospektiv auch „keineswegs um Weise zu überspannen“, wodurch sie sich aber Staatsnotstand, sondern nur um einen Notstand „des Rückhaltes der Legalität [beraubte]“. Dies der am Ruder befindlichen Regierung“,225 die habe in weiterer Folge zu der „nicht gerade aus- nach der Durchführung von Wahlen keine drücklichen, aber doch mehr minder konklu- Mehrheit mehr erreichen hätte können. Dollfuß dent-faktischen Proklamierung des Staatsnot- sprach dies im Mai 1933 noch klarer aus: „Wenn rechtes, dem Handeln aus Staatsräson“ geführt, wir diesen Weg nicht benützt hätten, wären wir „gleichgültig ob nun im einzelnen Falle im Rah- gefressen worden“.226 Die Maßnahmen der Re- men oder außerhalb der gesetzlichen und ver- gierung dienten daher nach Winkler nicht – wie fassungsmäßigen Schranken“. Für Winter war von der Regierung behauptet – der Verteidi- allerdings „jede Abweichung vom Wege der gung der staatlichen Unabhängigkeit Öster- Legalität […] unerträglich“, „wenn die Maßnah- reichs gegen die „Staatsfeinde“, sondern es „galt me nicht die Überzeugung ihrer absoluten Not- vielmehr alles Tun und Lassen der Aufrichtung wendigkeit erweckt“, und er fragte: „Mit wel- der austrofaschistischen Diktatur“.227 Daher er- chem Rechte wehrt man dem Unrecht und der hielt auch die sozialdemokratische Führung, die Gewalt, wenn man selbst das Recht und Rechts- bis zum Ausbruch des „offenen Bürgerkrieges“ bewußtstein kränkt? […] Mit welchem Rechte auf einen Ausgleich im Verhandlungsweg hin- proklamiert man das Notrecht des Staates, wenn gearbeitet hatte und „wenn nicht eine gemein- man selbst nicht daran glaubt oder den Glauben same Front, so doch wenigstens ein erträgliches daran nicht zu verbreiten versteht?“ Und er fol- Verhältnis zwischen den Christlichsozialen und gerte: „Wenn sich eine Partei wirklich mit Bom- den Sozialdemokraten“ angestrebt hatte,228 im- benwerfern, Brandstiftern und sonstigen Ver- mer „die gleiche Antwort“: „für das, was ihr uns brechern identifiziert, wenn sie wirklich hoch- anbietet, ist es zu spät“.229 Der Antimarxismus verräterischer Umtriebe gegen den Bestand des und die Durchsetzung eigener politischer Ziele Staates überwiesen ist und wenn diese Gruppe hatten für die Regierung Dollfuß letztlich Vor- einen solchen Umfang annimmt, daß sie wirk- rang vor einer gemeinsamen Bekämpfung des lich eine ernste Bedrohung der Ruhe und Ord- Nationalsozialismus. nung im Staat darstellt; dann kann es doch nicht Der „Staatsnotstand“, der im März 1933 prokla- zweifelhaft sein, daß zur Abwehr dieser Gefahr miert wurde, war also, wie es Gerhard Senft zu- alle [Hervorhebung im Original] ohne Unter- sammenfasste, „in Wahrheit ein Notstand der an schied der geistigen Weltauffassung zusammen- den Hebeln der Macht befindlichen Regierungs- wirken müssen“. Es dürfe aber „über einen parteien“, und „jede der beteiligten Gruppen Punkt […] keine Meinungsverschiedenheit ge- ben: über das Prinzip der Legalität“. 225 WINKLER, Diktatur 61. Dass der proklamierte Staatsnotstand in Wahr- 226 Parteivorstand 3. 5. 1933, GOLDINGER, Protokolle heit freilich nur ein Regierungsnotstand war, 248. der sich mit – für die Christlichsozialen aller- 227 WINKLER, Diktatur 89, 93. dings vernichtenden – Neuwahlen möglicher- 228 LEICHTER, Schwarzbuch 92. 229 So erinnerte sich der ehemalige christlichsoziale Parteiobmann Emmerich Czermak, RP, Nr. 97 v. 224 WINTER, Demokratie 129f. 10. 4. 1934, 3.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 453 hatte triftige Gründe, das staatsstreichartige Ma- rungszustand, Notverordnungsrecht und Er- növer zu unterstützen“: „Der Christlichsoziale mächtigungsgesetzgebung, als außerordentliche Dollfuß konnte sich im Parlament nur auf eine Mittel für die vorhergesehenen Fälle staatlicher hauchdünne Mehrheit stützen, eine Mehrheit, Notbekämpfung“.233 Historisch gesehen hatte die von der Seite der Heimwehrfraktion aber sich der Ausnahmezustand234 zunächst auf äu- immer wieder gefährdet war. Der Ausweg, das ßere Gefahren beschränkt (Belagerungszustand, Glück in Neuwahlen zu versuchen, war für die Kriegsrecht) und wurde erst in weiterer Folge Christlichsozialen ebenso wie für den Landbund auch auf innere politische Konfliktlagen und so- verunmöglicht, da die Befürchtung bestand, zur gar wirtschaftliche Krisen ausgeweitet. Typi- Bedeutungslosigkeit herabzusinken. Der Heim- scherweise können im Ausnahmezustand zeit- wehr, deren politische Stellung einen internen weilig die Verfassung oder einzelne ihrer Be- ,Alles-oder-Nichts‘-Standpunkt erzeugte, half stimmungen außer Kraft gesetzt werden, wobei die relative außenpolitische Isolierung, in der dann ein Kompetenzübergang v.a. von der Le- sich Österreich befand. Mussolinis ,Hilfsbereit- gislative auf die Exekutive stattfindet; weiters schaft‘ ermöglichte es der Heimwehr, ihr Ge- finden Einschränkungen von Grundrechten statt wicht in der politischen Waagschale zu erhöhen, oder diese werden überhaupt vorübergehend so dass es ihr gelang, sich mit der autoritären außer Kraft gesetzt (etwa Pressefreiheit, Vereins- Strategie in weiten Bereichen durchzusetzen.“230 und Versammlungsfreiheit, Briefgeheimnis, Die Anschläge der Nationalsozialisten im Juni Schutz des Hausrechts). Zentrales Merkmal 1933 verschärften in weiterer Folge die Situation, eines Ausnahmezustandes ist somit eine vor- und BMJ Schuschnigg231 drohte im Juli 1933 übergehende Aufhebung der Gewaltenteilung ebenfalls unmissverständlich, vom Notstands- zum Zweck einer Effizienzsteigerung der Regie- zum Notwehrbegriff übergehend: „Wir wollen rungspraxis. Ruhe und werden sie uns mit bedeutend weni- Ein derartiges Staatsnotrecht hatte in Österreich ger grausamen Methoden verschaffen, als dies schon die Dezemberverfassung 1867 mit ihrem anderwärts geschieht. Man soll uns aber nicht kaiserlichen Notverordnungsrecht (§ 14) sowie zum letzten zwingen, sonst müssten wir zur der Möglichkeit der Suspendierung der Grund- Notwehr greifen und auch in Österreich ent- rechte und Schwurgerichtsbarkeit normiert. In sprechende Mittel anwenden, wie man sie an- der Ersten Republik, in der die Suspendierung derswo schon länger anwendet.“ von Grundrechten nicht zulässig war, fungierte Für den Fall von Bedrohungen des Staates, wie zunächst das KwEG als Staatsnotrecht. Ein dar- etwa durch eine Störung der öffentlichen Ord- über hinausgehendes offenbares Autoritätsbe- nung und Sicherheit, sahen und sehen Verfas- dürfnis der konservativen Parteien knüpfte al- sungen immer wieder Regelungen für einen lerdings schon früh an der „ohnmächtigen Posi- Ausnahmezustand im Sinne eines Staatsnotrech- tion des Bundespräsidenten“235 nach der Bun- tes vor.232 Als derartiges (allgemeines) Staatsnot- desverfassung 1920 an. So verlangte der christ- recht definierte Gottfried Boldt 1937 „positiv lichsoziale Parteiobmann Ignaz Seipel anlässlich rechtlich eingefangene, verfassungsmäßig fest- der Bundespräsidentenwahl 1928, „die Stellung gelegte Einrichtungen, wie Kriegs- und Belage- des Bundespräsidenten in einigen wichtigen

233 BOLDT, Staatsnotwehr 186. 230 SENFT, Vorfeld 180. 234 Vgl. BOLDT, Rechtsstaat; TROTTER, Ausnahmezu- 231 RP, Nr. 198 v. 19. 7. 1933, 2. stand. 232 Vgl. FOLZ, Staatsnotstand 33ff. 235 WITTMAYER, Verfassungsreform 451.

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Punkten abzuändern, wobei die deutsche wiesen, daß die Staatsgewalt die Möglichkeit ha- Reichsverfassung als Vorbild dienen könnte“.236 ben muß, bei erheblichen Unruhen einen ,Aus- Auch der Landbund forderte im August 1929237 nahmezustand‘ zu verhängen“.239 Die B-VG- ein Staatsoberhaupt ähnlich dem im Deutschen Novelle 1929, „ein Kind ihrer Tage“, brachte Reich, das „unabhängig von den Parteien, unab- dann schließlich, dem NS-Staatsrechtler Norbert hängig von jedermann, gewählt in freier Volks- Gürke zufolge, eine Angleichung der Kompe- abstimmung“ das Recht haben sollte, „die tenzen des Bundespräsidenten „an die des deut- Staatsmaschine in Ordnung zu halten, auch schen Reichspräsidenten“, insbesondere durch dann, wenn das Parlament versage“. Dieses An- Einräumung einer „Ausnahmegesetzgebung im sinnen wurde zwar von den Christlichsozialen Verordnungswege“.240 Dieses 1929 eingeführte unterstützt, von den Sozialdemokraten, die für Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten die erforderliche Zweidrittelmehrheit gebraucht war allerdings aufgrund seiner „Konstruktion wurden, aber abgelehnt:238 „Im bürgerlichen La- gerade im Notstand nicht handhabbar“, weil ger spukt der Gedanke, dem Bundespräsidenten diese Befugnis mit so vielen Beschränkungen ein Notverordnungsrecht zu geben, damit er de- versehen ist, „daß ihre Praktikabilität im Ernst- kretiere, wenn das Parlament eine Aufgabe nicht falls fraglich“ erschien. „Raschheit, Einfachheit, zu bewältigen vermag; aber eine solche Rück- Zweckmäßigkeit fanden keinen normativen kehr zur §-14–Schande wäre eine durch und Ausdruck, obwohl gerade im Notfall die Zeit- durch undemokratische Lösung. Nicht ein ein- frage im Vordergrund steht“.241 Gerade die Er- zelner Mensch, sondern das Volk in seiner Ge- eignisse 1933 zeigten, dass das für parlamentari- samtheit soll zur letzten Entscheidung berufen sche Krisensituationen gedachte Instrument der sein, wenn ein Gesetz von größerer Bedeutung Notverordnung einfach dann nicht zum Zug im Parlament Gegenstand heftiger Kämpfe ist.“ kam, wenn die Bundesregierung den notwendi- Die Sozialdemokraten würden ihre „ganze Kraft gen Antrag nicht stellte, weil sie den Nationalrat jedem Versuch entgegenwerfen, die Verfassung nicht handlungsfähig machen wollte und der rechtswidrig, durch einen Putsch von unten Bundespräsident – aus welchen Gründen auch oder einen Staatsstreich von oben, zu ändern“, immer – in der Art einer „Selbstausschaltung und sich, „wenn man die Verfassung der Repub- des Bundespräsidenten“ die Regierung eben lik, der wir Treue gelobt haben, gewaltsam um- nicht entließ.242 stürzen will, mit aller unserer Kraft um die Ver- Im August 1933 sprach sich dann Ernst Karl fassung scharen.“ Winter243 für die Möglichkeit einer (auf zwei In seiner Regierungserklärung sprach sich auch Jahre) „befristeten Legaldiktatur“ durch den Bundeskanzler Johann Schober Ende September Bundespräsidenten als „Kompromiß zwischen 1929 dafür aus, dass die Befugnisse des Bundes- Diktatur und Parlamentarismus“ in Form einer präsidenten erweitert werden müssten, insbe- „parlamentarische Ermächtigung zu einer kon- sondere auf Ernennung und Abberufung der trollierten Diktatur“ aus. Für die konkrete Situa- Regierung, Auflösung des Nationalrates sowie tion bedeute dies einen „Kompromiß zwischen auf ein Notverordnungsrecht, und postulierte:

„Die Vorkommnisse der letzten Jahre haben er- 239 BERCHTOLD, Verfassungsreform, Nr. 39, 119; ULM, Verfassungsreform 146. 240 GÜRKE, Verfassungsreform 403. 236 SEIPEL, Kampf 121. 241 WELAN Bundespräsident 70. 237 ULM, Verfassungsreform 106. 242 Ebd. 238 AZ, Nr. 255 v. 15. 9. 1929, 2. 243 WINTER, Demokratie 136.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 455 der geltenden Bundesverfassung und der tat- Recht, Maßnahmen gegen die Länder des Reichs sächlichen Machtausübung durch die Bundesre- (Reichsexekution) zu setzen, Grundrechte zu gierung“, um „künftig die Maschen des Netzes suspendieren und außerdem weitere Kompeten- der Legalität enger […] zu wirken“. Im Herbst zen für den Ausnahmezustand. Die Verfassung 1933 übermittelte Karl Renner einen Rohentwurf sah zwar für die Konkretisierung der Ausnah- für eine „Notstands-Verfassungsnovelle“ in mebefugnisse die Erlassung eines Ausführungs- Form einer Privatarbeit an die Präsidentschafts- gesetzes vor, da dieses aber nie erging, blieben kanzlei, die zwar noch nicht mit den Parteige- die Befugnisse des Reichspräsidenten weit und nossen besprochen sei, sich aber in Richtung unbestimmt. Die „staatsrechtliche Begleitmusik dessen bewege, „was bei unseren Leuten so zur Handhabung des verfassungsrechtlich zu- ziemlich feststeht“.244 Dieses Staatsnotstands- mindest fragmentarisch geregelten Ausnahme- gesetz sollte an die Stelle des KwEG treten und zustandes des Art. 48 WRV durch den Reichs- sah Regelungen für die Erklärung des Staatsnot- präsidenten“246 war dementsprechend vielfältig. standes vor. In dieser Zeit sollte ein aus den Prä- Art. 48 mag zwar nicht als „Reserveverfassung“ sidenten des Nationalrates und weiteren 22 von für den Ausnahmefalle intendiert gewesen sein, Nationalrat und Bundesrat zu bestellenden Mit- die Staatsrechtslehre machte ihn jedoch dazu. gliedern bestehender Staatsrat die Aufgaben der Eine erste monographische theoretische Ausei- gesetzgebenden Körperschaft ausüben.245 nandersetzung mit dem Thema des Ausnahme- Über diese Konzepte hinaus ist jedoch eine zustandes wurde bereits in den 1920er Jahren grundsätzliche intensive Auseinandersetzung von Carl Schmitt vorgelegt (insbes. „Die Dikta- mit dem Phänomen des Ausnahmezustandes tur“ 1921).247 Er unterschied zwei wesentliche bzw. eines durch einen Staatsnotstand beding- Ausprägungen der Diktatur: die „kommissari- ten überpositiven Notstandsrechtes in Öster- sche“ bzw. verfassungsmäßige und die „souve- reich in 1920er und 1930er Jahren im Unter- räne“ bzw. nichtverfassungsmäßige Diktatur. schied zu Deutschland nicht feststellbar. Während bei der typisch rechtsstaatlichen Rege- lung der kommissarischen Diktatur, wie im Fall In Deutschland waren bereits unmittelbar nach von Art. 48 WRV, der Diktator zwar von rechtli- Gründung der Weimarer Republik drei von der chen Schranken befreit, aber an den Diktatur- Nationalversammlung und fünf vom Reichstag zweck gebunden erschien, nämlich die geltende beschlossene Ermächtigungsgesetze ergangen, Verfassung zu verteidigen oder wiederherzu- mit denen der Reichspräsident ermächtigt wur- stellen bzw. ihren Bestand zu schützen, äußerte de, gesetzesvertretende Verordnungen zu erlas- sich Schmitt zufolge die souveräne Diktatur hin- sen. Die Weimarer Reichsverfassung (WRV) gegen darin, dass der Diktator nicht an die sus- hatte schließlich dem Reichspräsidenten, insbe- pendierte Verfassung gebunden ist, sondern sondere in Art. 48, eine Fülle von Kompetenzen eine neue Ordnung etablieren will. „Souverän gegeben, die durch ihre Kombinationsmöglich- ist, wer über den Ausnahmezustand entschei- keiten eine Gefahr für die parlamentarische det“,248 lautete Schmitts These, und der von Demokratie bedeuteten (und schließlich auch zu Schmitt propagierte „Führerstaat“ war dann ihrer Zerstörung führen sollten). Er hatte das auch „von Anfang bis Ende Herrschaft durch

244 Brief Renners an den Kabinettsdirektor der Präsi- dentschaftskanzlei Josef Löwenthal, zit.n. ZAVADIL, 246 GROH, Staatsrechtslehrer 535. Ausschaltung 156. 247 Ausführlich NEUMANN, Schmitt 30ff. 245 Ebd. 248 SCHMITT, Politische Theologie 1922.

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Ausnahmegesetzgebung […], die sich an keine erschien folglich dem „liberalen Rechtsstaat je- Verfassungseinschränkungen hielt“.249 Zahlrei- der Fall der Staatsnot als Rechtsnotstand“.255 che weitere Publikationen verschiedener Staats- An diesem Diktaturdiskurs nahm auch der „Ar- rechtler folgten, die Schmitt entweder weitge- chitekt“256 der österreichischen Bundesverfas- hend folgten oder im Unterschied zu ihm ein sung von 1920, Hans Kelsen, teil. Er verwarf das überpositives Staatsnotstandsrecht ablehnten. überpositive „Staatsnotrecht“, das „etwa in der Die positivistischen Staatsrechtslehrer hielten Weise [argumentiert]: der Staat muß eben leben, nämlich „unisono an der Legalität und Norma- und wenn dies auf rechtmäßigem Wege unmög- tivität der parlamentarischen Reichsverfassung lich ist, sind die höchsten Organe des Staates als gültiger Norm auch für den Not- und Aus- […] verpflichtet alles zu tun, um den Staat zu nahmezustand“ fest. Sie beharrten auf der Erfül- erhalten“. Für ihn handelte es sich dabei „natür- lung der Verfassung und verfochten den „Vor- lich nur um ein politisch-naturrechtliches Räson- rang des demokratischen Geistes des Verfas- nement, das sich – wie gewöhnlich – als positi- sungsrechts vor Staatsnotwendigkeiten“.250 So ves Recht zu geben versucht“. Hinter der „treu- meinte Richard Thoma 1930 explizit, dass es herzigen Versicherung, dass der Staat ,leben‘ „ein Staatsnotrecht über das verfassungsrecht- müsse, verbirgt sich meist nur der rücksichtslose lich regulierte hinaus im geordneten republika- Wille, daß der Staat so leben müsse, wie es die- nischen Verfassungsstaat nicht geben“ könne,251 jenigen für richtig halten, die sich der Rechtfer- und trat für präventive Verfassungsregeln für tigung eines ,Staatsnotrechtes‘ bedienen.“257 Von den Notstand ein. Staatliches Handeln, „das sich diesem „Staatsnotrecht“ zu unterscheiden sei nur auf einen Notstand stützen könnte, sei freilich die in manche Verfassungen aufgenom- rechtsverletzend“, es könne daher kein Staats- mene Möglichkeit, den „Belagerungs- oder Aus- notrecht geben, und was „jenseits dieser Nor- nahmezustand“ zu verhängen. Jedenfalls müsse mierungen geschähe, wäre Staatsunrecht“.252 der Staat, da er im Sinne der Kelsenschen Identi- Gerhard Anschütz beschwor „den ,Geist‘ der tätstheorie eine Rechtsordnung ist, auch unter parlamentarisch-demokratischen Verfassung ge- den Umständen des Ausnahmezustands eine genüber der Staatsraison“. Es kam allerdings Rechtsordnung bleiben und sei weiterhin an die nicht zu einer „Parlamentarisierung des Aus- Prinzipien der Rechtsordnung und damit an das nahmezustandes“, sondern vielmehr zur „Ent- Rechtsstaatsprinzip gebunden.258 parlamentarisierung der Reichsgesetzgebung“ Gerade dem Rechtspositivismus wird freilich und zur permanenten „Diktatur“ des Reichsprä- manchmal vorgeworfen, durch die Kelsensche sidenten.253 Da „konsequentes rechtsstaatliches Alternativermächtigungstheorie eine Rechtferti- Denken das Bestehen eines derartigen Notrech- gung für den Verfassungsbruch der Regierung tes leugnen“ muss, ja Staatsnotrecht und Rechts- zur Verfügung gestellt zu haben. Das Recht staatsprinzips in einem Widerspruch stehen,254 selbst stelle nämlich den staatlichen Organen, die es formal zur Setzung von Normen ermäch- tigt, die Entscheidung frei, „ob sie sich in ih- rer normsetzenden Tätigkeit inhaltlich rechts- 249 BRACHER, Diktatur 232. 250 Siehe dazu GROH, Staatsrechtslehrer 534f. 251 THOMA, Handbuch 231f. 255 BOLDT, Staatsnotwehr 187. 252 Zit.n. WOLTER, Staatsnotrecht 43. 256 OLECHOWSKI, Beitrag 228. 253 GROH, Staatsrechtslehrer 545. 257 KELSEN, Staatslehre 157. 254 Vgl. SIEGERS, Staatsnotrecht 89. 258 ZWITTER, Gedanken 156.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 457 konform verhalten wollen oder nicht“, womit Staatsnotstandsrecht) müssen daher die Effekti- die „inhaltliche Rechtskonformität scheinbar vität der staatlichen Maßnahmen sicherstellen, keine notwendige Bedingung der gültigen Aus- aber auch gegen deren Missbrauch schützen.262 übung von Staatsgewalt mehr“ mehr ist, bzw. Notstandsrecht wird heute definiert als „das „es ist nicht einmal mehr klar“ ist, „ob die Or- Recht des Staates, besonders seiner obersten gane des Staates wenigstens der Pflicht unterlie- Vollzugsorgane, in äußersten Notfällen, in de- gen, in ihren Akten eine möglichst vollständige nen das Bestehen oder die Sicherheit des Staates inhaltliche Rechtskonformität anzustreben.“259 In in dringender Gefahr sind (Staatsnotstand), zur dieser Argumentation könnte freilich die Positi- Bekämpfung der Notlage auch ohne gesetzliche on eines Putschisten durch die Alternativer- Ermächtigung (u.U. entgegen der Rechtsord- mächtigungstheorie insofern gestärkt werden, nung) die notwendigen Maßnahmen zu treffen als sie ihm „einen Persilschein in die Hand“ und hierzu besonders in Freiheit und Eigentum, gebe, „fordert die Kelsensche Grundnorm doch, aber auch in sonstige Grundrechte des Einzel- daß man auch dem Usurpator gehorcht“. Damit nen einzugreifen“. Es „darf nicht zum Umsturz vermöge die Reine Rechtslehre nicht einmal des Staates oder der Verfassung angewandt mehr „die scheinbar offenkundigen Unterschie- werden“.263 So bewahrt etwa die „streitbare“ 264 de zwischen Staatsstreich und verfassungsmä- bzw. „wehrhafte“ Demokratie,265 wie sie in der ßiger Änderung der Rechtsordnung zumindest BRD in der im Zuge des „Deutschen Herbstes“ in begrifflicher Weise aufrecht zu erhalten.“260 1968 eingeführten Notstandsverfassung defi- Allerdings ist die Anwendung der Alternati- niert wurde, die BürgerInnen „vor dem politi- vermächtigungstheorie Kelsen zufolge doch nur schen Selbstmord“ und verwehrt ihnen die auf Rechtsordnungen (oder solche Teile von „Freiheit zur Beseitigung der Freiheit“.266 Dies Rechtsordnungen) beschränkt, „die Garantien kommt im Bonner Grundgesetz in der soge- der Legalität bereitstellen“, findet doch ein Staat, nannte Ewigkeitsklausel zum Ausdruck, welche „der die Autorität in Anspruch nimmt, sich nach die „elementarsten Grundsätze der Verfassung“ eigenem Gutdünken über das Recht hinwegzu- schützt,267 und zwar mit den Mitteln des Partei- setzen, […] in der Theorie der autorisierenden enverbots, der Verwirkung von Grundrechten, Norm als Alternativbestimmung keinerlei ideo- wenn diese zum Kampf gegen die freiheitlich- logischen Rückhalt“.261 demokratische Grundordnung missbraucht wer- den, und der Staatsschutzdelikte. Zu diesen Stellt man die Frage nach der Rechtfertigung geschützten Grundsätzen, die sich weitgehend dieser massiven Eingriffe freilich nicht aus zeit- mit dem Begriff der „freiheitlichen demokrati- genössischer Sicht, sondern aus aktueller Per- schen Grundordnung“ decken, gehört das spektive, so ist auch heute nicht ausgeschlossen, Rechtsstaatsprinzip und damit auch die Unab- dass ein Staat in staats- oder verfassungsgefähr- dende Situationen geraten kann, „die mit den Bindungen der Verfassung nicht – oder zumin- 262 JAKAB, Grunddilemma 323f. dest nicht in der gebotenen Eile – zu bewältigen 263 Wo eine „Verfassung für solche Notfälle einen Ausnahmezustand (Belagerungs-, Kriegszustand) sind (Staatsnotstand)“. Regelungen für einen vorsieht“, wie etwa aktuell in Deutschland (Not- derartigen Notstand (Notstandsrecht oder standsverfassung), „ist für das Staatsnotrecht kein Raum mehr“, vgl. DUDEN, Recht. 264 LAMEYER, Demokratie. 259 VINX, Indentitätsthese 63. 265 Vgl. THIEL, Demokratie. 260 GRAF, Rechtslehre 65. 266 STOHLMANN, Begriffe 12. 261 VINX, Indentitätsthese 67. 267 BACKHAUS, Richter 88.

458 Ilse REITER-ZATLOUKAL hängigkeit der Gerichte. Eingriffe in die Judika- derum so mit ihrer Kritik am ausnahmerechtli- tive sind daher nicht erlaubt, ein Fehlverhalten chen Regime weitgehend im Einklang mit den von Richtern ist allein mit dem Disziplinarrecht Nationalsozialisten befanden. Dass richterliche zu ahnden. Kritik an der mangelnden Verfassungsdeckung des Notstandsregimes zur Ab- oder Versetzung Die Verordnungen des Dollfuß-Schuschnigg-Re- führen konnte, festigte wohl auch die durch Carl gimes richteten sich freilich nicht nur gegen die- von Schmitt und weiteren Vertreter der Weima- jenige Opposition, die das Ende der Unabhän- rer Staatslehre ohnedies geschlagene Schneise gigkeit Österreichs und den totalitären Staat für überpositives, naturrechtliches Denken, wie wollte, sondern auch gegen die Sozialdemokra- es auch der NS-Rechtslehre immanent war. ten, die nach der „Machtergreifung“ der Natio- nalsozialisten im Deutschen Reich die „An- Die vielfältigen Unterminierungen des Rechts- schluss“-Idee auf Eis gelegt hatten und die par- staats in Österreich vor dem „Anschluss“ mün- lamentarische Republik verteidigten. Die von deten schließlich in den Nationalsozialismus, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten ver- der die „Unabhängigkeit“ der Richter dann langten Wahlen hätten zweifellos zu erheblichen überhaupt aus der liberal-rechtsstaatlichen Tra- Mandatsgewinnen der Nationalsozialisten ge- dition löste und neu definierte. führt, wobei dieser Krise – wenn überhaupt – nur mit einer parlamentarisch-demokratischen Lösung beigekommen hätte werden können, 3. Richterliche Unabhängigkeit nicht aber mit einer „fortschreitenden Aufzeh- im Nationalsozialismus und rung der Verfassungssubstanz“.268 Dies hätte aber sowohl dem Mussolini-Kurs einer rigiden „Anschluss“ 1938 Verfolgung der Sozialdemokratie als auch Doll- Schon 1932 hatte Robert Kempner270 unter dem fußʼ radikalem Antimarxismus widersprochen. bezeichnenden Titel „Justizdämmerung“ vor der „Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit“269 „Zertrümmerung der deutschen Justiz“ gewarnt galt also in dieser Zeit des behaupteten Staats- und prophezeit, dass „im faschistischen Staats- notstandes eben nicht nur für die Feinde der wesen begrifflich eine unabhängige Justiz nicht Freiheit und Demokratie, sondern auch für die denkbar“ sei und die Nationalsozialisten „in Feinde der faschistischen bzw. autoritären Be- einer unabhängigen deutschen Justiz eine Ge- strebungen Mussolinis und Dollfußʼ. Im „Not- fahr für ihre Machtpläne“ sähen.271 Die „Macht- stand“ wurde der Rechtsstaat preisgegeben, ergreifung“ der Nationalsozialisten in Deutsch- nicht zuletzt durch die undifferenzierte Aufgabe land 1933 wurde daher seitens der Richterschaft der Unabsetzbarkeit- und Unversetzbarkeit der auch mit einer „gewissen Besorgnis“ gesehen, Richter. Wiewohl die konkreten Maßnahmen ge- fürchtete man doch, es könnten „Maßnahmen gen einzelne Richter – soweit bisher festgestellt – durchwegs Nationalsozialisten oder NS-Sympa- thisanten trafen, mussten sie dadurch, dass sie 270 Da er damals Oberregierungsrat im preußischen Innenministerium war, verfasste er diese Schrift unter nicht auch normativ nur auf diese als Feinde der dem Pseudonym „Eike von Repkow“. Er wurde im Freiheit beschränkt waren, auf Ablehnung sei- Jänner 1933 aus politischen und rassistischen Grün- tens der Sozialdemokraten stoßen, die sich wie- den entlassen und floh aus Deutschland. Nach Ende der NS-Herrschaft fungierte er als stellvertretender Hauptankläger der Vereinigten Staaten beim Nürn- 268 Vgl. BLOMEYER, Notstand 451. berger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. 269 Vgl. DENNINGER, Grundordnung 33. 271 Zit.n. WROBEL, Richterbund 326.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 459 ergriffen werden, die die Unabsetzbarkeit der Führerbefehl zur Bedeutungslosigkeit verkam: Richter und die Unabhängigkeit der Justiz in „Gesetz ist was der Führer befiehlt“, so brachte Frage stellten“,272 bzw. dass „die unaufhaltsame es Friedrich Schaffstein 1934 auf den Punkt.277 revolutionäre Sturmflut zusammen mit den Überdies stand den Richtern seit 1935 mit dem sonstigen Einrichtungen des liberalen Rechts- Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches und staates auch dieses Bollwerk der bisherigen Ver- dem Gesetz zur Änderung von Vorschriften des fassung zum Einsturz bringen und hinweg- Strafverfahrens und des Gerichtsverfassungsge- schwemmen“ würde.273 setzes, beide vom 28. Juni 1935,278 die Möglich- keit offen, nicht nur für eine Tat, „die das Gesetz „Reichsjuristenführer“ Hans Frank versicherte für strafbar erklärt“, sondern auch für eine sol- allerdings den Richtern immer wieder, dass die che eine Strafe zu verhängen, die nach dem „Gleichschaltung“ sich nicht auf die Unabhän- „Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gigkeit der Richter erstrecken, sondern vielmehr gesundem Volksempfinden Bestrafung ver- die „nationale Regierung“ mit „aller Kraft an dient“. Dies bedeutete das Ende des Analogie- der Unabhängigkeit des Richtertums festhalten“ verbots und des Legalitätsprinzips,279 anstelle werde. Allerdings dürfe sich diese niemals mehr des Grundsatzes der Bindung an das Gesetz galt „gegen die letzten Werte des Deutschtums aus- hinfort der einer Bindung an die NS-Ideologie. wirken“.274 Dementsprechend wurde die Unab- Davor waren bereits im Zuge des Reichstags- hängigkeit der Richter formell nach der „Macht- brands im Februar 1933 die Grundrechte sus- ergreifung“ nicht beseitigt, die §§ 1 und 8 des pendiert und die polizeiliche Praxis der Schutz- Gerichtsverfassungsgesetzes275 blieben in Gel- haft aufgenommen sowie das nulla poena sine tung. „Die richterliche Gewalt“ wurde daher lege-Prinzip durch die rückwirkende Einfüh- gem. § 1 weiterhin „durch unabhängige, nur rung der Todesstrafe für bestimmte Delikte auf- dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt“, geben worden. und kein Richter konnte wegen einer Entschei- dung mittels Verwaltungsakt aus dem Amt ent- Hinsichtlich der Unabhängigkeit der Richter- fernt werden (§ 8).276 schaft stellte Hitler in seiner Regierungserklä- rung vor dem Reichstag am 23. März 1933 klar, Wiewohl im positiven Recht also noch die Ge- dass das „Rechtswesen in erster Linie der Erhal- setzesbindung festgeschrieben war, wurden in tung der Volksgemeinschaft dienen“ und daher der NS-Ideologie freilich Volkswille und Führer- der „Unabsetzbarkeit des Richters […] eine Elas- wille als identisch erachtet, womit die Unter- tizität der Urteilsfindung zum Zweck der Erhal- scheidung zwischen Gesetz, Verordnung und tung der Gesellschaft entsprechen müsse“.280 Am 7. April versicherte er beim Empfang einer 272 Karl Linz, Zeitspiegel, DRiZ 1933, 121, zit.n. WRO- Delegation des „Deutschen Richterbundes“, BEL, Richterbund 326. 273 HENKEL, Unabhängigkeit 7. dass „er die Unabhängigkeit der Richter auf- 274 So am 21. 5. 1933 vor dem Verein Sächsischer Rich- recht erhalten werde“, wenngleich „auch gewis- ter und Staatsanwälte in Chemnitz, FRANK, Richter se Maßnahmen notwendig seien“,281 also in con- 162; siehe allgemein SIMON, NS-Richter 102ff. creto die „Säuberung“ der Justiz von „jüdi- 275 RGBl. 1877, S. 74. 276 § 8. (1) Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus den Gründen 277 SCHAFFSTEIN, Strafrechtswissenschaft 24. und unter den Formen, welche die Gesetze bestim- 278 RGBl. 1935 I, S. 839 und S. 844ff. men, dauernd oder zeitweise ihres Amts enthoben 279 RÜPING, Nullum crimen. oder an eine andere Stelle oder in Ruhestand versetzt 280 Zit.n. ebd. 131. werden. 281 Zit.n. ebd. 131f.

460 Ilse REITER-ZATLOUKAL schen“ und politisch „unzuverlässigen“ Rich- reits im Juni 1938 klar, dass der „Führer und tern und Staatsanwälten. Diese hatte bereits im Reichskanzler […] oberster Gerichtsherr der Na- März seitens der Landesjustizverwaltungen be- tion“ sei, und es daher „im Staatsrechtsraum des gonnen und erfolgte schließlich auf der Grund- Dritten Reiches keine von diesem elementaren lage des Gesetzes zur „Wiederherstellung des Führerwillen unabhängige Position“ geben kön- Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Wenn- ne.287 Hitler hielt es in weiterer Folge auch für gleich Hans Frank Anfang Juni 1933 in Aussicht notwendig, die Ab- und Versetzungsmöglich- stellte, dass „[n]ach der Säuberung […] die Frei- keiten betreffend die Richter deutlich zu erwei- heit des Rechtsberufs, besonders die Unabhän- tern.288 Die Reichskanzlei verkündete so im Juli gigkeit des deutschen Richters, sichergestellt“ 1938 Hitlers Auffassung,289 dass eine Zwangs- würde,282 so galt dieses Gesetz letztlich unbefris- pensionierung eines Richters nicht nur dann tet, womit auch die persönliche Unabhängigkeit stattfinden könne, wenn er „die nationalsozialis- des Richters aufgehoben blieb.283 tische Weltanschauung bewußt ablehnt“, son- dern auch dann, wenn er „durch die Art seiner Richter hatten als Beamte nach dem Gesetz zur Amtstätigkeit, im besonderen durch die von ihm „Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ getroffenen Entscheidungen, oder durch seine „jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat“ dienstliche oder außerdienstliche Führung er- einzutreten284 bzw. nach dem Beamtengesetz kennen“ lasse, dass er dieser Weltanschauung 1937 sogar „Vollstrecker des Willens des von der „gefühls- oder verstandesmäßig fremd gegen- Nationalsozialistischen Arbeiterpartei getrage- übersteht“. Das Gebot der sachlichen Unabhän- nen Staates“ zu sein.285 Das RJM wollte aber gigkeit des Beamtengesetzes schließe nicht aus, gleichzeitig die Unabhängigkeit der Richter im dass „auch eine gerichtliche Entscheidung zum Beamtengesetz 1937 absichern. So gab das Be- Anlaß genommen“ werde, einen Richter in den amtengesetz 1937 dem „Führer und Reichskanz- Ruhestand zu versetzen, „da unsachliche und ler“ zwar das Recht, Beamte in den Ruhestand verletzende Ausdrücke in den Entscheidungs- zu versetzen, wenn sie „nicht mehr die Gewähr“ gründen“ dadurch nicht gedeckt seien. – Die boten, „jederzeit für den nationalsozialistischen Unversetzbarkeit eines Richters durch die Ver- Staat“ einzutreten, die Zwangspensionierung waltung fiel hingegen erst mit den Verwaltungs- durfte jedoch nur durch das RJM nach einem de- vereinfachungsmaßnahmen im Krieg, als Rich- tailliert geregelten Verfahren erfolgen, um den ter nun – unter Beibehaltung ihrer Planstelle Beamten vor unbegründeten Anschuldigungen beim bisherigen Gericht – „abgeordnet“ werden zu schützen. Außerdem durfte sie im Sinne der konnten.290 „sachlichen Unabhängigkeit“286 ausdrücklich nicht „auf den sachlichen Inhalt einer in Aus- Entsprechend diesem NS-Richterbild291 stellte übung der richterlichen Tätigkeit getroffenen etwa auch Wilhelm Stuckart, Staatssekretär im Entscheidung gestützt werden“. RIM, 1939 fest,292 dass der Richter in der Rechts-

Diese Regelungen waren Hitler allerdings zu wenig weitreichend, und Hans Frank stellte be- 287 Rede Hans Franks vor der Akademie für Deutsches Recht 18. 6. 1938, zit.n. SCHMID, Erinnerung 264. 288 GRUCHMANN, Justiz 197. 282 Zit.n. WROBEL, Richterbund 340. 289 Rundschreiben der Reichskanzlei 12. 7. 1938, zit.n. 283 GRUCHMANN, Justiz 124ff. GRUCHMANN, Justiz 199f. 284 RGBl. 1933 I, S. 175. 290 GRUCHMANN, Justiz 202. 285 RGBl. 1937 I, S. 39. 291 REITER-ZATLOUKAL, Richterbild. 286 Vgl. STEINLECHNER, Richter 50. 292 STUCKART, Geleit IV.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 461 findung zwar „naturgemäß frei von Weisungen“ Amtes entheben.“296 Zu diesem Zweck ließ er sei, „es besteht aber seine Verantwortlichkeit ge- sich vom Reichstag bevollmächtigen, missliebige genüber dem Führer“. Von der Unabhängigkeit Richter aus ihren Ämtern zu entfernen bzw. (in „in dem alten liberalen Sinn“ könne „nicht mehr Hitlers Worten) „Juristen, die Schädlinge seien, gesprochen werden“, denn der „Führer“ selbst am Schlaffitchen zu kriegen“, denn bisher hätten „gewährleistet die Sicherung der Rechtsfindung „sich solche Gesellen ja nur vor ihren Diszipli- gegen wesensfremde Einflüsse“. Da „er dem nargerichten verantworten brauchen, bei denen Richter den Auftrag erteilt, muß er ihn auch zur der alte Grundsatz gegolten habe, eine Krähe Verantwortung ziehen können“. Aus der rich- hacke der anderen kein Auge aus“.297 Damit war terlichen Unabhängigkeit „liberaler Prägung“ die Unabsetzbarkeit der Richter und damit ihre werde „so höchste nationalsozialistische Verant- Unabhängigkeit auch in formeller Hinsicht be- wortung des Richters vor Volk, Führer und endet.298 Reich“. Von einem „Generalangriff gegen die Justiz“ Auch verstummte weiterhin die Kritik an der bzw. von ihrem „Totenschein“299 zu sprechen, ist Justiz trotz personellen „Säuberungen“, v.a. von Lothar Gruchmann300 zufolge allerdings irrefüh- Seiten der SS, nicht, und immer wieder wurden, rend, denn dieser Reichstagsbeschluss richtete insbesondere nach Kriegsbeginn, richterliche sich einerseits keineswegs nur gegen die Justiz, Entscheidungen und die nationalsozialistische sondern gegen „jeden Deutschen“ in staatlicher Gesinnung der Richter in Frage gestellt.293 Jo- bzw. parteilicher Funktion, und stellte anderer- seph Göbbels notierte im März 1942 in sein Ta- seits auch inhaltlich keinen Wendepunkt für die gebuch: „Bis jetzt ist ein Richter selbst dem Füh- deutsche Justiz dar, war doch die Aufforderung rer gegenüber unabsetzbar“.294 an die Justiz, das Recht im Sinne der NS-Ideolo- gie zu beugen, keineswegs eine Novität. Was die Aus Anlass eines „volksfremden“ Urteils295 übte Umsetzung des Reichstagsbeschlusses in der dann Hitler in seiner Rede in der (letzten) Sit- zung des Großdeutschen Reichstags am 26. Ap- ril 1942 Kritik an der Justiz, die verstehen müs- 296 Zit.n. SCHÄDLER, Justizkrise 14. 297 se, „daß nicht die Nation ihretwegen, sondern PICKER, Tischgespräche 451. 298 „Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der daß sie der Nation wegen da ist […], daß Führer in der gegenwärtigen Zeit des Krieges, in der Deutschland leben muß, ganz gleich wie immer das deutsche Volk in einem Kampf um Sein oder auch formale Auffassungen der Justiz dem wi- Nichtsein steht, das von ihm in Anspruch genomme- dersprechen mögen.“ Er werde „von jetzt ab in ne Recht besitzen muß, alles zu tun, was zur Errin- gung des Sieges dient oder dazu beiträgt. Der Führer diesen Fällen eingreifen und Richter, die ersicht- muß daher – ohne an bestehende Rechtsvorschriften lich das Gebot der Stunde nicht erkennen, ihres gebunden zu sein – in seiner Eigenschaft als Führer der Nation, als Oberster Befehlshaber der Wehrmacht, 293 ANGERMUND, Richterschaft 246. als Regierungschef und oberster Inhaber der vollzie- 294 GRUCHMANN, Generalangriff 513. henden Gewalt, als oberster Gerichtsherr und als 295 Hitler nahm das aus seiner Sicht zu milde Strafer- Führer der Partei jederzeit in der Lage sein, nötigen- kenntnis im Fall „Schlitt“ (Tötung einer Frau durch falls jeden Deutschen […] zur Erfüllung seiner Pflich- ihren Ehemann) zum Anlass für die geplante Aktion ten anzuhalten und bei Verletzung dieser Pflichten gegen die Justiz. Er erklärte dem RJM, er „werde die […], ihn im besonderen ohne Einleitung vorgeschrie- gesamte Justiz zum Teufel jagen, wenn dieses Urteil bener Verfahren aus seinem Amte, aus seinem Rang nicht umgehend revidiert wird! Umgehend!“ – was und seiner Stellung zu entfernen“, dRGBl. I, S. 247. auch innerhalb von zehn Tagen geschah, zit.n. 299 So Hans Hattenhauer 1977, vgl. GRUCHMANN, Ge- BRUPPACHER, Hitler 339; vgl. ausführlich SCHÄDLER, neralangriff 509. Justizkrise 22. 300 GRUCHMANN, Generalangriff 512ff.

462 Ilse REITER-ZATLOUKAL

Praxis anbelangt, so musste sich Hitler tatsäch- „weil die Richter u.U. ihre Absetzung fürchten lich, „wenn auch zähneknirschend“, damit zu- müßten, wenn sie nach Recht und Gesetz urteil- frieden geben, „gegenüber Richtern die Verfah- ten“, sie seien aber bemüht, „nach besten Kräf- rensbestimmungen des Deutschen Beamtenge- ten die gestellten Erwartungen zu erfüllen“. setzes selbst dann zu beachten, wenn die Amts- Zu diesem Zweck setzte ebenfalls 1942 auch die enthebung von ihm gefordert wurde“. Es wurde direkte Lenkung der Rechtspflege306 durch ver- also ein Untersuchungsverfahren mit „gewissen- trauliche sogenannte „Richterbriefe“ des RJM hafter Prüfung“ aller Umstände durch die Mi- ein, die eine „Anschauung“ davon zu geben hat- nisterialbürokratie durchgeführt, inklusive der ten, „wie sich die Justizführung nationalsozialis- Möglichkeit einer eidlichen Vernehmung und tische Rechtsanwendung denkt“ und „auf diese Anhörung des Betroffenen. Hitler scheute „of- Weise dem Richter die innere Sicherheit und fenbar“, so Gruchmann, „davor zurück, das Freiheit geben [sollten], die richtige Entschei- nach langjährigen Beratungen von ihm unter- dung zu finden.“ 307 Darüber hinaus gab es wei- zeichnete und erst vor kurzem in Kraft getretene tere Maßnahmen zur Indoktrinierung der Rich- nationalsozialistische Beamtengesetz zu desa- ter, etwa Schulungen zu neuen Gesetzen bzw. vouieren“.301 Dies führte in der Praxis dazu, dass Rechtsmaterien in Arbeitsgruppen, auf Tagun- in der Ära Gürtner nur in drei von sechs Fällen gen oder in Schulungslagern. Des Weiteren er- die Zwangspensionierung eines Richters erfolg- gingen diverse „Richtlinien“ des RJM, Urteile te, denn das RJM wollte verhindern, dass „nun wurden in der „Deutschen Justiz“ besprochen wahllos Richter“ aufgrund von Zeitungsmel- und mit Lob bzw. Kritik versehen sowie beste- dungen oder Wünschen der Gauleiter abgesetzt hende Berichtspflichten verschärft bzw. neue würden.302 Dem Reichstagsbeschluss kam also eingeführt.308 Als weiteres Mittel der Justizlen- nach Gruchmann303 „für die Maßregelung der kung dienten die „Urteilsvor- und Nachschau- Richter durch Hitler keine Bedeutung“ zu, und en“, bei denen sowohl vor als auch nach der selbst in der Ära Thierack wurden „unfolgsame Verhandlung eine Besprechung des Prozesses Richter nicht unter Anwendung des Beschlusses erfolgte,309 sowie die „Fühlungnahme“, die darin kassiert, sondern auf gesetzlicher Grundlage in bestand, dass bereits vor Prozessbeginn mit dem den Ruhestand versetzt“. In der Praxis ent- RJM das Urteil abgesprochen wurde.310 sprach daher die Wirkung des Beschlusses der Einschätzung Göbbels, der in seinem Tagebuch Die „Wiedervereinigung“ Österreichs mit dem wenig später vermerkte, dass dieser „den Rich- Deutschen Reich brachte hinsichtlich der Garan- tern […] gegenüber aus psychologischen Grün- tien der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit den notwendig war“, „in den betroffenen Krei- der Richter letztlich keinen Umbruch, musste sen einen richtigen Schock ausgelöst“ und „eine doch schon 1933/34 den Richtern „bewußt ge- außerordentlich heilsame Wirkung gehabt“ ha- be.304 Auch auf Seiten der Richterschaft wurde 306 Ausführlich GRUCHMANN, Justiz 1091ff. 305 vermeldet, dass „starke Besorgnis“ herrsche, 307 Zit.n. STAFF, Justiz 70; vgl. auch BOBERACH, Richter- briefe. 308 SCHÄDLER, Justizkrise 197ff. 301 Ebd. 512. 309 So bat etwa der Vorgesetzte einen Richter, trotz 302 Ebd. 513, 515. Schwierigkeiten in der Beweisführung „nicht zu sub- 303 Ebd. 518, 515f. tile Bedenken“ bei der Urteilsfindung zu haben, vgl. 304 Ebd. 519. STAFF, Justiz 104. 305 Lagebericht des OLG-Präs. Köln 2. 7. 1942, zit.n. 310 SCHÄDLER, Justizkrise 162f., 171f.; BOBERACH, Rich- ebd. 519. terbriefe XVIII.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 463 worden“ sein musste, „daß der rechtliche Rah- Formulierung und Wandlung“.317 So manchem men eines liberal-demokratischen ,Rechtsstaates‘ Richter freilich, der sich in der „Systemzeit“ auf nicht mehr galt“.311 Nach Mulley bedeuteten die die richterliche Unabhängigkeit berufen hatte NS-Maßnahmen nur mehr einen weiteren radi- und vom Dollfuß-Schuschnigg-Regime wegen kalen Schritt „vom ständestaatlichen ,Un- NS-Aktivitäten gemaßregelt worden war, wurde Rechts-‘ zum nationalsozialistischen ,Un- nun das endgültige auch formale Ende seiner Staat‘.“312 Die Verfassung 1934, die noch die Un- Unabhängigkeit mit dem ersehnten Karriere- absetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Richter sprung und Anerkennung als „Alter Kämpfer“ normiert hatte, trat außer Kraft, die Gerichtsbar- abgegolten. Die übrigen Richter passten sich keit ging auf das Deutsche Reich über,313 und es großteils nicht nur rasch an die geänderten Ver- erfolgte innerhalb kürzester Zeit die Erfassung hältnisse an, sondern zeichneten sich, so Mulley, des politischen Verhaltens und der fachlichen „durch Übereifer und Beflissenheit“ sowie „in- Eignung des Justizpersonals.314 Bereits am haltliche Akzeptierung der NS-Ideologie“ aus.318 15. März 1938 wurden die nicht-„jüdischen“ Richter und Staatsanwälte auf Adolf Hitler per- sönlich vereidigt. In weiterer Folge wurde nicht 4. Schlussbemerkung die Übernahme des reichsdeutschen Beamten- Die richterliche Unabhängigkeit steht in Öster- rechts für die Säuberung des Justizapparates reich und Deutschland wie in den meisten euro- abgewartet – tatsächlich trat das deutschen Ge- päischen Staaten nicht mehr zur Diskussion, setz zur Wiederherstellung des Berufsbeamten- wiewohl die Frage des Ausnahmezustandes tums vom 7. April 1933 erst im September 1938 in Österreich in Kraft –, sondern am 31. Mai bzw. „übergesetzlichen Notstandes“ seit den 1938 erging dessen österreichisches Pendant, die 1970er Jahren v.a. in der BRD angesichts der „Verordnung zur Neuordnung des österreichi- Terrorismusgefahr wieder verstärkt diskutiert schen Berufsbeamtentums“, das eine rasche wurde und in letzter Zeit auch wissenschaftlich „Säuberung“ der Richterschaft315 von „fremdras- durchaus wieder Hochkonjunktur hat.319 Der sigen und unzuverlässlichen Elementen“316 er- historische Befund stärkt jedoch die positivisti- möglichte, der mehr als 200 Richter zum Opfer sche Position, dass „[a]lles Spekulieren mit ei- fielen. nem ,überverfassungsgesetzlichen Notstand‘ als eine Erlaubnis zu Maßnahmen, die nicht von der Ab 1. Mai 1938 waren die Justizbehörden im urkundlich Verfassung gerechtfertigt werden, „Land Österreich“ Reichsbehörden, und auch […] nicht anderes [ist] als eine verwerfliche Be- die Richter im „Land Österreich“ wurden nun im Rahmen ihrer „sachlichen Unabhängigkeit“ schönigung des Verfassungsbruchs, des Verfas- 320 nicht nur dem Gesetz, „sondern mehr noch dem sungsverrats“. Auch können der Rechtsstaat Recht der völkischen Rechtsidee unterworfen“, und die richterliche Unabhängigkeit auf Dauer und ihre „persönliche Unabhängigkeit“ erfuhr durch das Reichsrecht „eine neue gesetzliche 317 Vortrag von Helfried Pfeifer, Verwaltungsrecht, im Rahmen der Verwaltungsakademie, zit. n. MULLEY, Gleichschaltung 281. 311 MULLEY, Gleichschaltung 260. 318 MULLEY, Gleichschaltung 65; siehe aber etwa auch 312 Ebd. 260. den Fall Eypeltauer SCHWARZ, NS-Richter 138ff. 313 PFEIFER, Ostmark 21; MULLEY, Gleichschaltung 280. 319 U.a. in Form des Folterdiskurses und der Frage des 314 MULLEY, Gleichschaltung 273ff. Rettungsabschusses, siehe etwa AGAMBEN, Ausnah- 315 Vgl. SCHWARZ, Kontinuität. mezustand; FRANKENBERG, Staatstechnik 145ff. 316 PFEIFER, Ostmark 71. 320 Adolf Arndt zit.n. FRANKENBERG, Staatstechnik 178.

464 Ilse REITER-ZATLOUKAL nur in der parlamentarischen Demokratie ge- Abkürzungen: währleistet werden,321 jedoch muss die Unab- AZ Arbeiter-Zeitung hängigkeit der Justiz als „Freiheit von allen äu- BM Bundesminister ßeren Einflüssen bei der gerichtlichen Entschei- BMI Bundesminister/ium für Inneres dung immer neu erkämpft und abgesichert BMJ Bundesminister/ium für Justiz werden“.322 DRiZ Deutsche Richterzeitung GZ Geschäftszahl Komm Kommission/Sonderkommission Korrespondenz: KPÖ Kommunistische Partei Österreichs Liqu Personalakten – „Liquidator“ Ao. Univ.-Prof. Dr. Ilse Reiter-Zatloukal MR Ministerrat Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte MRP Ministerratsprotokolle Universität Wien NA Namensakte 1010 Wien, Schottenbastei 10–16 NFP Neue Freie Presse [email protected] NSBO NS-Betriebszellenorganisation NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahr- korps NSRB Nationalsozialistischer Rechtswah- rerbund OSTA Oberstaatsanwalt/schaft RDG Richterdienstgesetz RIM Reichsinnenminister/ium RJM Reichsjustizminister/ium RP Reichspost SDAPÖ Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs VF Vaterländische Front VP Verwaltung und Personal V-ÜG Verfassungs-Überleitungsgesetz WrZ Wiener Zeitung ZRS Zivilrechtssachen Siehe auch das allgemeine Abkürzungsverzeichnis: [http://www.rechtsgeschichte.at/files/abk.pdf]

321 PELINKA, Richter 41. 322 MARKEL, Sicherung 44.

Die (Un)Abhängigkeit der Richter unter der austrofaschistischen und nationalsozialistischen Herrschaft 465

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