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[SOZIALISTISCHE JUGEND] www.sjoe.at faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 2

IMPRESSUM

Medieninhaber: Trotzdem Verlag GmbH Sondernummer II/ 2004 Verlagspostamt: 1050 Wien, Erscheinungsort Wien Zulassungsnummer: GZ02Z032957S Herausgeberin: Sozialistische Jugend Österreich Alle: Amtshausgasse 4, 1050 Wien Erscheinungsjahr: 2004 Autor: Florian Wenninger Layout: [email protected]

Herzlichen Dank für alle Hilfestellungen, besonders an: Prof. Hugo Pepper, Hannes Dolleisch, Torsten Engelage, Peter Friesenbichler, Wolfdietrich Hansen, Tobias Heinrich, Andrea Kappel, Klaus Kienesberger, Andreas Kollross, Peter Larndorfer, Martina Punz, Sabine Schatz, Stefan Schmid, Michael Schneider, Stephan Sturm, Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung - Mag. Christian Stadelmann, Helmut Wartlik, Rene Wintereder

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Umschlagfoto: Treueschwur anlässlich des "zweiten Bundesappells der Vater- ländischen Front", 17. Oktober 1936 faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 3

00| INHALT

1. EINLEITUNG 5 INHALT 2. DIE GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUM VERSTÄNDNIS DER GEGENWART 7 Geschichte wie wir sie lernen... 7 Die Funktion von Wissenschaft 8 Wissenschaft und Herrschaft 8 Was ist Geschichte? 9 Wie aus Geschichte lernen? 10 3. FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION 11 Soziale Funktion im Widerspruch zur sozialen Basis 13 Ideologie: Führerprinzip, Nationalismus und Rassismus 13 Pseudorevolutionäre Rhetorik und faschistische Massenbasis 14 Die Absage an die Aufklärung - der faschistische Wertekatalog 15 Faschistische Machtergreifung und Machterhalt 16 4. FASCHISTISCHE BEWEGUNGEN IN ÖSTERREICH: UND NAZIS 17 Die revolutionäre Phase in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg 17 Die ArbeiterInnenbewegung bleibt geeint 20 Der revolutionäre Elan flaut ab 21 Die "Sanierung des Staatshaushaltes" als Mittel im Kampf gegen die Arbeiter- Innenbewegung 23 Die Anfänge der Heimwehr 24 Die Frühphase der österreichischen Nazis 25 Die Linke reagiert auf die Gefahr von rechts 26 Die Heimwehr schwächelt 27 Der Justizpalastbrand und seine Folgen 28 Die Heimwehr vor der Selbstauflösung 32 Die Heimwehr versucht die Einigung mit den Nazis 36 Die Nazis verbuchen nach langer Durststrecke erste Erfolge 37 Der Weg in die Diktatur 38 5. EXKURS I: DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND - BILANZ EINER GESCHEITERTEN STRATEGIE 44

6. "WIR GEHEN NICHT MEHR ZURÜCK" - ZEITZEUGENBERICHTE ÜBER DIE FEBRUARKÄMPFE 47

7. DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES" 54 Die "Ständische Gesellschaft": Ideologisches Trugbild und soziale Realität 54 Versuche der "Faschisierung" des Staates und das Ende der Heimwehr 58 SEITE|3 Gescheiterte Einheitspartei - Die Vaterländische Front (VF) 60 Die letzte Phase des "Ständestaates" und die Mär vom Widerstand gegen die Nazis 60 faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 4

8. EXKURS II: "IM NAMEN GOTTES": POLITISCHER KATHOLIZISMUS IN DER INHALT ERSTEN REPUBLIK 64 Was ist "Politischer Katholizismus"? 64 Kirche und Kapitalismus: Stand oder Klasse? 65 Die Macht der Kirche in der jungen Republik 66 Schützenhilfe für antidemokratische Kräfte 67 Der Klerus und die Errichtung der Diktatur 68 Das "Vergelt's Gott" der Diktatur 1934 - 1938 69 9. AUSTRO"FASCHISMUS"? ZUM WESEN DES REGIMES 1934 - 1938 71

10. LÜGEN UND LEGENDEN UM DAS ENDE DER ERSTEN REPUBLIK 73 Die "antidemokratische" Sozialdemokratie und der an Deutschland 73 Die "Weigerung der Sozialdemokratie" 74 Die "geteilte Schuld" am Ende der Demokratie 75 Die "Selbstausschaltung" des Parlaments 1933 76 Die "plötzliche Eskalation der Geschehnisse" 77 Der "Ständestaat" als "Antwort auf den Roten Terror" 77 Der "Ständestaat" als die "bessere Diktatur" 78 Der "gemäßigte Patriot Dollfuß" 79 Der "Bruderkrieg" 80 Der "Widerstandskampf" gegen die Nazis 81 11. NACHWORT 82

12. KOMMENTIERTE LITERATURLISTE 86

HINWEIS: Die vorliegende Broschüre ist in geschlechtergerechter spielten und Frauen zur Passivität gezwungen wa- Sprache abgefasst. Dadurch soll darauf hingewiesen wer- ren: zu den Merkmalen des Faschismus zählt eine den, dass Geschichte von Männern und Frauen gemacht scharf antifeministische Haltung. Das und der wird, was in den herkömmlichen (rein männlichen) Umstand, dass Frauen innerhalb faschistischer Formulierungen untergeht. Frauen werden dort bestenfalls Bewegungen und Systeme nie Schlüsselrollen besetz- mitgedacht, es geht aber darum, ihren Anteil und sie selbst ten, ändert zwar nichts an den Sympathien, die zwei- sichtbar zu machen. Aufmerksamen LeserInnen wird den- fellos auch viele Frauen für den Faschismus empfan- noch nicht entgehen, dass in der Broschüre nicht ge- den. Da sie aber nicht aktiv ins Geschehen eingreifen schlechtsneutral formuliert wird. Das stellt keine konnten, sondern praktisch nur Statistinnen abga- SEITE|4 Achtlosigkeit dar. Es wurde bewusst davon abgesehen, ben, bleiben sie sprachlich ausgeklammert, wenn Frauen "mitzumeinen", wenn Geschichte dargestellt wird, von faschistischen Akteuren die Rede ist. in der so gut wie ausschließlich Männer eine aktive Rolle faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 5

01| EINLEITUNG

WARUM DARÜBER REDEN? DIE LEBENDIGKEIT DER GESCHICHTE

Im Jahr 2004 jährt sich zum 70. Mal der Aufstand der Die Sozialdemokratie nahm mit diesem Kompromiss österreichischen ArbeiterInnen gegen die Errichtung viel in Kauf. Denn es war ja die Linke gewesen, die des "Ständestaates", der christlichsozialen Diktatur nach dem Ersten Weltkrieg der Monarchie das Grab des Engelbert Dollfuß. Auf viele wirken die Appelle, geschaufelt und die Demokratie erkämpft hatte. die damaligen Entwicklungen in Erinnerung zu behal- Weder Christlichsoziale und Kirche, noch die deut- ten, überholt, eigenbrötlerisch, ja "hysterisch" oder schnationale Großdeutsche Partei waren Freunde des schlicht "lächerlich". Was also bewegt SozialistInnen, allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts ge- allen Unkenrufen zum Trotz, sich mit dem österreichi- wesen. Nach 1945 tolerierte die SPÖ dann trotzdem schen Bürgerkrieg und seiner Vorgeschichte zu be- die Mär von der "Republik, die keiner wollte". Nicht schäftigen? nur 1918, auch später war die Linke jene politische Kraft gewesen, die sich bis 1934 gegen alle diktatori- Der Staat, in dem wir leben, ist nicht vom Himmel ge- schen Bestrebungen der Rechten für den Erhalt der de- fallen. Nach dem Zusammenbruch des faschistischen mokratischen Republik eingesetzt hatte. Nun stimmte Regimes 1945 wurde ein Gebilde erneut aus der Taufe sie dennoch indirekt einer Version zu, die ihr eine er- gehoben, das schon nach dem Ersten Weltkrieg 15 hebliche Mitschuld an der Beseitigung der Demokratie Jahre lang existiert hatte: die Republik Österreich. In zuwies. der politischen Auseinandersetzung standen sich die Die Christlichsozialen hatten bis 1934 (und danach selben politischen Kräfte gegenüber wie vor dem wieder ab 1935) intensiv versucht, sich mit den Nazis "Anschluss" an Deutschland 1938. Im Bemühen auch zu arrangieren, um Sozialdemokratie und Ge- nur irgendeine gemeinsame Basis zu finden, auf der werkschaften ungestört vernichten zu können. Nach eine demokratische Politik möglich war, wurde von der 1945 nahm die Sozialdemokratie jene Legende mehr Sozialdemokratie ein stillschweigender Kompromiss oder weniger unwidersprochen hin, die behauptete, akzeptiert: Um der Zweiten Republik eine Zukunft zu der "Ständestaat" wäre nichts als ein österreichisches eröffnen, wurde das Scheitern der Ersten Republik Abwehrprojekt gegen den deutschen National- höchstens auf Gedenkveranstaltungen thematisiert. In sozialismus gewesen. Unwidersprochen verklärte die der Öffentlichkeit einigten sich ÖVP und SPÖ auf die ÖVP Dollfuß & Co. zu Widerstandskämpfern und be- Sprachregelung von der "geteilten Schuld". Die dazu- hauptet bis heute, der kleine Diktator wäre "das erste gehörige Legende besagt kurzgefasst, dass in der har- Opfer der Nazis" gewesen. Jene aber, die lange Jahre ten Zwischenkriegszeit hüben wie drüben radikale alleine gegen die Nazis gekämpft hatten, wurden und Elemente an Einfluss gewonnen hätten. Statt sich zu werden im gleichen Atemzug als "antidemokratische einigen, hätten beide Seiten hochgerüstet, bis schließ- Bolschewisten" denunziert. lich ein Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Die Geschichte der Diktatur ab 1934, verharm- Die Spätfolgen des Schweigens treten auch heute noch losend "Ständestaat" genannt, blieb weitgehend im oft genug zu Tage. Besonders offensichtlich dann, Dunklen. Die einigende Klammer bildete die wenn der österreichische Nationalratspräsident ein Verklärung Österreichs als "Erstes Opfer der deutschen Dollfuß-Portrait, das bis heute den ÖVP- SEITE|5 Aggression" und der "gemeinsame Wille zum Parlamentsklub ziert, mit dem Argument verteidigt, Wiederaufbau" nach 1945. Dollfuß sei als "Märtyrer im Kampf gegen die Nazis" faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 6

gestorben. Weitaus weniger offensichtlich - aber nicht wen sie steht und was einmal ihr Ziel war, dann ist das minder besorgniserregend wie so plumpe Ge- fatal. Die Sozialdemokratie hat keinen Grund, sich ih- schichtsklitterung sind die Parallelen der gegenwärti- rer Geschichte zu schämen. Aber sie hat allen Grund, gen Politik mit Entwicklungen in der Ersten Republik, aus ihr zu lernen. Etwa, dass der Versuch, sich als die die allgemein kaum aufzufallen scheinen: Schon da- bessere bürgerliche Partei zu präsentieren, von vorn- mals führten die Zerschlagung sozialer Sicherungs- herein zum Scheitern verurteilt ist. Oder, dass sich systeme, der aberwitzige konservative Sparfeti- kompromisslerisches Zurückweichen vor den Bürger- schismus (der Schuldenmachen immer nur dann gou- lichen früher oder später rächt. tiert, wenn Reiche davon profitieren) und die "Verschlankung" des Staates zu Massenarbeitslosigkeit Bildungsarbeit tut also bitter not. Selbstverständlich und Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Schon kann das Leisten von Bildungsarbeit keine Ange- damals galten die Angriffe der Konservativen den legenheit von Jubiläen sein. Es wäre jedoch eine sträf- Hochburgen der Sozialdemokratie: Wie heute wurde liche Nachlässigkeit, das 70-Jahre-Gedenken 1934- die "rote" Eisenbahn zerschlagen und das "Rote Wien" 2004 der ÖVP zu überlassen. Deren Bemühen wird - finanziell ausgehungert; damals wurden Gewerk- wie schon in der Vergangenheit - darauf gerichtet sein, schaften in Betrieben von den Unternehmern, unter- vor allem die Auseinandersetzungen des österreichi- stützt von konservativen Politikern, bekämpft - heute schen Bundesheeres und der Heimwehr mit dem Nazi- werden verstaatlichte Betriebe mit einem hohen sozi- Putschversuch im Juli 1934 in den Mittelpunkt der hi- aldemokratischen bzw. gewerkschaftlichen Organisa- storischen Betrachtung zu stellen. Es wird nicht nur an tionsgrad gegen jede ökonomische Vernunft verscha- der SPÖ, sondern auch an uns jungen SozialistInnen chert um den politischen Gegner zu schwächen; wie liegen, ob sie dabei auf Widerspruch stößt oder nicht. heute kamen autoritäre Tendenzen schrittweise zum Tragen - von der dauernden Verbrämung von Politik Die vorliegende Broschüre versteht sich als Einstieg ins und Religion über die großangelegte Ausweitung der Thema und als Argumentationshilfe für Diskussionen Polizeikompetenzen auf Kosten fundamentaler staats- im Alltag. Sämtliche Zitate stammen, so nicht anders bürgerlicher Rechte bis hin zum systematischen Ver- angeführt, aus den im Anhang aufgeführten Büchern. fassungsbruch. Diese seien zur weiteren Vertiefung empfohlen.

Auch abseits der Tagespolitik ist innerhalb der Linken Wien, im März 2004 ein Mangel an entsprechendem Geschichtsbewusstsein deutlich spürbar. Wenn ein führender sozialdemokra- Florian Wenninger tischer Politiker der Meinung ist, "unsere schärfste Waffe gegen den Faschismus" sei ja bekanntlich "der Stimmzettel", dann ist das peinlich. Wenn die Ge- 1 "Korporatismus": Faschistische Wirtschafts- und Gesellschafts- werkschaft in ihrem Kampf gegen neoliberale Politik doktrin, durch die der "Klassenkampf aufgehoben" werden sollte. ausgerechnet die Sozialpartnerschaft als die ideale Kerngedanke ist eine organisch gewachsene "Volksgemeinschaft", in Form der Mitbestimmung herbeisehnt ist das tragisch: der alle verpflichtet seien, zum Wohle benachteiligter "Volks- Der "Korporatismus"1 war ein Ziel der Rechten gewe- genossInnen" aktiv zu sein - allerdings ohne an den bestehenden sen, als sie im Februar 1934 das Feuer auf Besitzverhältnissen etwas zu ändern. Unternehmer hätten demnach ArbeiterInnenhäuser eröffnete. grundsätzlich ähnliche Interessen wie Arbeitende und sollten sich mit SEITE|6 diesen gütlich einigen. Vgl. auch den Abschnitt dieser Broschüre über Wenn Manche in der Sozialdemokratie aber überhaupt die katholische Soziallehre. Vgl. auch den Abschnitt dieser Broschüre zu vergessen scheinen, woher diese Partei kommt, für über die katholische Soziallehre, S 65 faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 7

02| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

DIE GESCHICHTE "Fragen eines lesenden Arbeiters" Bert Brecht

ALS SCHLÜSSEL Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. ZUM Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Und das mehrmals zerstörte Babylon - Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern VERSTÄNDNIS Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute? Wohin gingen an dem Abend, DER GEGENWART Wo die Chinesische Mauer fertig war Die Maurer? Das große Rom Ist voll von Triumphbögen. GESCHICHTE, WIE WIR SIE LERNEN... Wer errichtete sie? Über wen Die Frage, warum wir uns mit Geschichte allgemein Triumphierten die Cäsaren? und jener des Faschismus im Besonderen befassen Hatte das vielbesungene Byzanz sollten, wird sich jede/r im Lauf der eigenen Schulzeit Nur Paläste für seine Bewohner? gestellt haben. Und tatsächlich: Warum sollen wir Selbst in dem sagenhaften Atlantis Bescheid wissen über Feldherren und ihre Schlachten, Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang über das pompöse Leben am Hof der Kaiser und Die Ersaufenden nach ihren Sklaven. Könige, über die Dekrete der Päpste? Was macht es aus, wer Amerika "entdeckt" hat? Welchen Sinn hat Der junge Alexander eroberte Indien das Auswendiglernen der endlosen Abfolgen von Er allein? Jahreszahlen und Herrschernamen? Cäsar schlug die Gallier. Wozu sollen wir wissen, dass Ludwig XIV. angeblich Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? stolz darauf gewesen sein soll, in seinem Leben in Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte Nichts außer Parfum gebadet zu haben? Welchen Wert Untergegangen war. Weinte sonst niemand? hat für uns die Information über das Leben auf Burgen Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. und die stolzen Taten der Ritter? Ist das alles wirklich Wer "unsere" Geschichte? Weshalb haben wir das Gefühl, Siegte außer ihm? dass die Menschheitsgeschichte, die wir in der Schule Jede Seite ein Sieg. lernen, so wenig mit uns zu tun hat? Wieso bleibt bei Wer kochte den Siegesschmaus? all dem, was uns da erzählt wird, die Geschichte von Alle zehn Jahre ein großer Mann. 99,9 Prozent der Bevölkerung ausgeklammert? Im Wer bezahlte die Spesen? Unterschied zur Geschichte der Herrschenden erfahren wir über das Schicksal der Beherrschten so gut wie So viele Berichte. nichts - ein Zufall? So viele Fragen.

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Fragen wir nach dem Sinn von Geschichtswissenschaft, nötigten. Alles, was darüber hinaus ging, konnte nun bekommen wir meist eine verschwommene Antwort, in Vorratslagern aufbewahrt werden. Es war aber ab die in der Erklärung mündet, wir sollten "aus der diesem Zeitpunkt auch möglich, sich den Überschuss, Geschichte lernen". Nur: Wie soll das gehen? den andere produzierten, anzueignen. Diejenigen, die über die Macht verfügten, sich fortan den - von ande- ren geschaffenen - Überschuss anzueignen, werden in DIE FUNKTION VON WISSENSCHAFT der marxistischen Theorie als herrschende Klasse be- In anderen Bereichen der Wissenschaft lässt sich die zeichnet. Ein zentrales Element ihrer Herrschaft war Frage einfach beantworten: Durch die jahrhundertelan- und ist seitdem der Versuch, die Wissenschaften mög- ge Beobachtung von Naturphänomenen war es dem lichst weitgehend zu monopolisieren. Damit war die Menschen mit der Zeit möglich, Gesetzmäßigkeiten zu Masse der Menschen auf das Wissen einiger weniger erkennen. Die Menschen stellten beispielsweise fest, angewiesen. Solange die herrschende Klasse die dass Pflanzen abhängig von Jahreszeiten und Wissenschaft kontrollierte, hatte sie maßgeblichen Wetterlagen besser oder schlechter gedeihen. Sie leite- Einfluss auf den gesellschaftlichen Fortschritt.2 ten ab, wann die Saat ausgebracht werden und die Wissenschaft erhielt nun eine ideologische Funktion. Ernte vonstatten gehen sollte - der Beginn von Es ging nämlich nicht mehr nur darum, Naturgesetze Astronomie und Agronomie (Landwirtschaftslehre). Die zu beobachten und daraus Erkenntnisse zu gewinnen. Erkenntnis, dass der Verzehr bestimmter Substanzen Die Wissenschaft begann auch, die Welt zu interpretie- heilende Wirkung hat, bildete den Ursprung der ren. Das heißt, sie begann, gesellschaftliche Phäno- Medizin - die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Auf mene mit dem gleichen "objektiven" Anspruch zu er- der Basis des gewonnenen Wissens begannen die klären wie zuvor Vorgänge in der Natur. Es war nahe- Menschen, Naturphänomene bewusst zu nützen und liegend, dass diese Analysen überwiegend den schließlich zu steuern. Kurz gesagt: Wissenschaft bildete Interessen der Herrschenden entgegenkamen: zu allen Zeiten die Grundlage des technischen, somit x Arm und Reich wurden zu "natürlichen aber auch des gesellschaftlichen Fortschritts. Zuständen" erklärt. x HerrscherInnen waren damit "natürlich" bzw. gottgewollt. WISSENSCHAFT UND HERRSCHAFT x Den beherrschten Massen wurde "wissenschaft- Mit dem Anfang der Wissenschaft in den altorientali- lich" erklärt, sie seien zur Unterordnung ver- schen Hochkulturen vor ungefähr 5000 Jahren ging pflichtet, dies wäre zu ihrem eigenen Besten. die Entwicklung der Klassengesellschaft einher. Bis da- x Folgerichtig waren alle Bestrebungen, die sich hin hatten die Menschen mehr oder weniger von der gegen die Herrschenden und die ungerechten Hand in den Mund gelebt: Sie waren als NomadInnen Besitzverhältnisse richteten, "unnatürlich" bzw. umher gezogen und hatten von dem gelebt, was sie "sündhaft". gerade jagen bzw. sammeln konnten. Die Anhäufung von größeren Reichtümern war kaum bzw. gar nicht 2 Diese Tatsache ist keineswegs auf die graue Vorzeit beschränkt, möglich gewesen, weil alle nur besaßen, was sie tra- Beispiele aus der Gegenwart gäbe es zuhauf - so etwa den Streit um gen konnten. Medikamente, die zur Bekämpfung von AIDS entwickelt wurden. Durch Das änderte sich zunächst mit dem Beginn der Vieh- die Patentierung dieser Medikamente verhindern Pharma-Konzerne zucht und in weiterer Folge mit den Anfängen des seit Jahren, dass Millionen Menschen diese, für sie lebensnotwendigen SEITE|8 Ackerbaus und der damit verbundenen Sesshaftwer- Erkenntnisse, nutzen können. Die Pharmaindustrie kann durch ihr dung. Nun waren die Menschen erstmals in der Lage, Wissensmonopol die Preise diktieren, zu denen die Medikamente ab- mehr zu produzieren, als sie zum täglichen Leben be- gegeben werden. Wer nicht zahlen kann, ist zum Tod verurteilt. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 9

02| GESCHICHTE ALS SCHLÜSSEL ZUR GEGENWART

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wissenschaft die Möglichkeit bietet, Gesellschaft und Wie vollzieht sich Geschichte? Natur planvoll zu gestalten und damit menschliche Bedürfnisse besser zu befriedigen. Gleichzeitig ist 1. Bürgerliche sagen: Wissenschaft aber ein Mittel der Herrschaft und der Unterdrückung. Wenn es im Interesse der Herr- Geschichte ist einmalig und wiederholt sich nicht, schenden lag, wurden Erkenntnisse verfälscht. Durch weil.. diese Verfälschung und deren Einbettung in ein irra- x Geschichte keine Struktur besitzt, sondern nur tionales Weltbild wurde der wissenschaftliche samt eine chaotische Ansammlung individueller dem gesellschaftlichen Fortschritt gehemmt.3 Begebenheiten darstellt. Das irrationale Bild der Welt, das in den vergangenen x Menschen einmalig sind und "große Menschen" Jahrhunderten im Dienste der Herrschenden entwor- (meist Männer) diese Geschichte machen. fen worden war, wurde in zwei Etappen von den Naturwissenschaften entscheidend ins Wanken ge- Aus den oben genannten Gründen ist ein Teil der bracht: Bürgerlichen folgerichtig auch der Meinung, es lasse x Kepler, Galilei und Newton wiesen nach, dass sich wissenschaftlich nichts aussagen über das Woher die Welt der toten Materie von inneren und Wohin der Geschichte. Bewegungsgesetzen gesteuert wird und nicht Eine zweite Gruppe unter ihnen ist aber der Meinung, durch göttlichen Willen. Geschichte folge durchaus eigenen Gesetzen. Durch x Darwin erbrachte den Beweis, dass sich alle Menschen "gemacht" wird die Geschichte aber trotz- Lebewesen (und damit auch der Mensch) durch dem nur bedingt, weil... Evolution weiterentwickeln. Die menschliche x ... der Mensch durch Triebe und Instinkte gesteu- Entwicklung war damit nicht länger ein "gött- ert und diesen "Naturgesetzen" unterworfen ist. licher Schöpfungsakt", sondern ein erklärbarer x ... der Mensch nach dem Willen Gottes handelt: Prozess. "Den letzten Sinn der Geschichte als Ganzes ver- mögen wir nicht zu verstehen; den kennt Gott alleine." WAS IST GESCHICHTE? Wir befinden uns in der dritten Etappe der Beiden Argumentationsmustern gemeinsam ist die Auseinandersetzung mit dem irrationalen Weltbild. Grundannahme, dass Geschichte kaum bzw. gar nicht Deren Kernfrage lautet: Ist die Menschheitsgeschichte durch rationales menschliches Handeln beeinflusst ein zusammenhängender Prozess, der bestimmten werden könne. Gesetzen folgt, oder besteht sie aus einer mehr oder weniger zufälligen Abfolge von einzigartigen Der Reichsverband der Deutschen Industrie Vorgängen und Persönlichkeiten? zur "Autorität der Persönlichkeit": Darauf gibt es zwei Antwortmöglichkeiten: "Solange man in der Geschichte zurückblicken kann, vermag man festzustellen, dass die Schicksale der Völker von großen Persönlichkeiten geformt sind. ... Diese schöpferische Kraft der Persönlichkeit, die uns leider heute auch im Staate fehlt, können wir in kei- nem Wirtschaftsbetrieb entbehren. ..." SEITE|9 3 Ein historisches Beispiel wäre die Verfolgung und Reglementierung Quelle: Veröffentlichungen des RDI, Nr. 48, von Medizin, Physik und Astronomie durch die katholische Kirche. 1929, Berlin 1919 - 1932. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 10

2. SozialistInnen sagen:

x Die Menschen machen ihre Geschichte selbst. Es Welchen Wert hat nun die Auseinandersetzung mit gibt keinen Gott, der uns lenkt, und es gibt kein Geschichte? "Endziel der Geschichte"! Eine Antwort darauf gibt uns die für Bildung und x Geschichte ist nichts als die Summe mensch- Wissenschaft zuständige Sektion der Vereinten lichen Handelns. Menschen tun Dinge, um be- Nationen, die UNESCO. Sie definiert Wissenschaft als stimmte Zwecke zu erreichen. Geschichte besteht "eine planvolle Anstrengung der Menschen, durch das aus den Resultaten dieses Handelns, unabhän- objektive Studium betrachteter Phänomene Kausal- gig davon, ob dabei die selbstgesteckten Ziele zusammenhänge zu erkennen und zu beherrschen, um der Menschen letztlich erreicht werden oder aus dem Verständnis der in der Natur und in der nicht. Gesellschaft beobachteten Prozesse und Phänomene x Trotzdem ist Geschichte kein "Zufall". Men- Nutzen zum Wohle der Menschheit zu ziehen".4 schen können nicht unabhängig von einander Bezogen auf die Geschichtswissenschaft bedeutet das, und von ihrer Umwelt agieren, sondern sie dass aus der Entwicklung der menschlichen müssen immer auf dem aufbauen, was sie vor- Gesellschaft Schlüsse auf deren Gegenwart und finden. Z. B. ist die Entwicklung neuer Medi- Zukunft gezogen werden können. kamente nur möglich, weil auf bereits beste- Die Geschichtswissenschaft ist gewissermaßen das henden Erkenntnissen aufgebaut werden "Gedächtnis der Menschheit": So wie die Erinnerung kann; Sesshaftwerdung war nur dort möglich, an den Schmerz ein Kind davon abhält, mehrmals auf wo die Nutzpflanzen angebaut werden konn- eine heiße Herdplatte zu greifen, kann also x ten etc. Geschichtsschreibung Gesellschaften davor bewahren, Veränderungen in der Gesellschafts- und Eigen- Fehler zweimal zu machen. Geschichte wiederholt sich tumsordnung werden in der Geschichte immer nie exakt gleich. Aber es gibt Grundtendenzen, die erkämpft gegen den Widerstand der jeweils gleich bleiben. Und genau diese Grundtendenzen herrschenden Klasse. müssen wir ausfindig machen. Das Grundgesetz der Geschichte ist die perma- Dazu ist es notwendig, unsere Geschichte zu kennen. nente Auseinandersetzung zwischen den Klassen Unsere Geschichte ist nicht die der Herrschenden, son- - der "Klassenkampf". dern die der Beherrschten. Um Lehren für unseren Kampf um bessere Lebensbedingungen ziehen zu kön- nen, brauchen wir den Erfahrungsschatz der vergan- WIE AUS DER GESCHICHTE LERNEN? genen Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende. Denn Warum ist die Beantwortung der Frage, was Geschichte um ein besseres Leben kämpft die breite Masse der ist, so wichtig? Ganz einfach - weil von der jeweiligen Beherrschten seit Menschheitsgedenken. Wie viel aber Antwort abhängt, ob und wie wir aus Geschichte ler- wissen wir über die Erfolge, wie viel über die Ursachen nen können. Ist alles in der Vergangenheit nur Zufall, der Niederlagen in diesem Kampf? Was wissen wir das Werk großer Männer oder gar Gottes gewesen, über unsere GegnerInnen? Wie haben sie sich in der folgt daraus, dass wir am Lauf der Geschichte im Vergangenheit Reichtum und Macht gesichert, mit wel- Grunde gar nichts ändern können. chen Mitteln übten sie ihre Herrschaft in welchen Situationen aus? Diese Broschüre soll solche Fragen im SEITE|10 Bezug auf den Faschismus klären helfen. Es ist klar, 4 Aus der "Deklaration zur Stellung der wissenschaftlichen Forscher", dass es sich nur um einen Einstieg handeln kann, verabschiedet von der Generalkonferenz der UNESCO am 23.11.1974. jede/r ist aufgerufen, sich selbst weiterzubilden. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 11

03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

Der Begriff "Faschismus" leitet sich ursprünglich von einer Bewegung ab, die in Italien nach dem Ersten Weltkrieg gegründet wurde, dem "fascio di combattimento" (Kampfbund). Das Wort "fa- sces" bezeichnet lateinisch das Herrschaftssymbol der Liktoren (einer Art Leibgarde der Herrscher im alten Rom), ein Rutenbündel mit einer Axt in der Mitte.

Schon bald wurde der Name dieser Bewegung um Mussolini, die 1922 in Italien an die Macht gekommen war, zum (oft ungenauen) Sammelbegriff für ähnliche Bewegungen in anderen Ländern. Gemeinsam war ihnen ihre nationalistische, antisozialistische, autoritäre und antipar- lamentarische Stoßrichtung. Was nun als "faschistisch" zu gelten habe und was nicht, darüber gibt es seit beinahe achtzig Jahren eine rege Diskussion mit vielen verschiedenen Ansätzen. Schwierig ist die Klärung dieser Frage auch deshalb, weil kaum eines der in Frage kommenden Regime sich selbst "faschistisch" nannte. Große Teile der Heimwehrbewegung in Österreich bei- spielsweise machten aus ihren Sympathien für Mussolini keinen Hehl. Der "Korneuburger Eid", den die versammelten Heimwehrführer am 18. Mai 1930 schworen, diente nach den Worten des Heim- wehrführers Steidle dazu, "sich ... für das faschistische System zu erklären". Was das aber, neben der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und der Niederschlagung der organisierten Arbeiter- Innenschaft, genau hieß, darüber herrschte auch in der Heimwehr wenig Einigkeit. Nicht wenige Re- präsentanten der Heimwehr lehnten den Faschismus als "undeutsch" ab. Ebenso sahen viele italienische Gefolgsleute Mussolinis im "Fascismo" etwas typisch Italienisches, das nur in Italien funktionieren könne.

Um heute zu einer brauchbaren Definition zu kom- men, genügt es nicht, Geschichte oberflächlich nachzu- Ein Liktor im alten Rom trägt ein erzählen. Es reicht nicht aus, sich in der Analyse der Fasces als Symbol kaiserlicher Macht: betreffenden Regime nur auf einzelne Aspekte zu kon- zu züchtigen (Rutenbündel) und mit zentrieren, z. B. auf die Art und Weise, wie geherrscht SEITE|11 dem Tod zu bestrafen (Axt) wird. Und es ist auch nicht gut möglich eine Art "Checklist" zusammenzustellen, um eine Partei oder faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 12

Bewegung anhand ihres Programms zweifelsfrei als "faschistisch" einstufen zu können. Ein politisches Phänomen wie der Faschismus kann nur verstanden werden, wenn die Vorbedingungen eingehend analy- siert werden, unter denen er in der Vergangenheit groß werden konnte. Denn eine der größten Gefahren des Faschismus ist seine Wandlungsfähigkeit, seine Tarnung, seine Eigenschaft, erst wenn er an die Macht gelangt ist, zu zeigen, was ihm wirklich innewohnt. Das heißt, ein Urteil kann und darf nicht allein daraus abgeleitet werden, was ein Agitator oder eine Partei sagt bzw. in Programmen und Beschlüssen nieder- schreibt. Entscheidend ist die Tat, die real betriebene Politik.

Wenn wir uns nun der Geschichte faschistischer Bewegungen in der Vergangenheit zuwenden, nützt es relativ wenig, nur die Schriften und Reden der "Führer" zu studieren, um das Wesen des Faschismus zu begreifen.5

Ebenso mag es zwar durchaus wichtig sein, die Der "Duce" Mussolini mit seiner Gefolgschaft. Zu den wichtigsten Gemeinsamkeiten faschistischer Bewegungen im Kennzeichen des Faschismus gehört eine Politik, die sich letztlich Auftreten, hinsichtlich der (wie gesagt sehr wider- gegen die Masse der eigenen AnhängerInnen richtete sprüchlichen) "Ideale" und der Organisationsstruktur etc. zu beleuchten. Aber eine Erklärung des Fa- schismus dürfen wir uns davon nicht erwarten. Denn bild zusammenzufügen, aus dem sich die soziale von entscheidender Bedeutung ist die Frage, wer von Funktion des Faschismus in seiner Aufstiegsphase und einer Gesellschaftsordnung, wie sie der Faschismus in der ersten Zeit an der Macht erklären lässt. hervorbrachte, profitiert hat und welche sozialen Denn auch wenn ein Maschinengewehr aus vielen ver- Schichten unter ihr gelitten haben. Es geht kurz gesagt schiedenen, für TechnikerInnen interessanten Teilen darum, die verschiedenen Aspekte zu einem Gesamt- besteht, darf doch in der Auseinandersetzung mit die- sem Sammelsurium von Schrauben, Federn und Roh- ren der eigentliche Sinn und Zweck nicht außer Acht 5 Es kann aber durchaus gewinnbringend sein, diese für die Öffent- gelassen werden: zu schießen - und zu töten. lichkeit bestimmten Gedanken von Hitler & Co. mit dem zu verglei- chen, was dann in der Praxis aus ihnen wurde. So lässt sich nämlich Der Versuch eine "faschistische Typologie" aufzustellen feststellen, was davon einer vorauseilenden Legitimierung diente, ist also aus den genannten Gründen problematisch, etwa der Antimarxismus, der die Zerschlagung der Arbeiter- doch ist sie unerlässlich, wenn das Thema eingehend Innenbewegung im Voraus zu rechtfertigen begonnen hatte. Darüber analysiert werden soll. Dazu sind Abgrenzungen nö- SEITE|12 hinaus wird aber auch klar, was lediglich der Propaganda gedient tig: Nicht jede bösartige Diktatur ist automatisch fa- hatte und nun, da die Möglichkeit bestand es auch tatsächlich umzu- schistisch. Die nachfolgende Liste übereinstimmender setzen, links liegen gelassen wurde. Merkmale versteht sich als grober Leitfaden. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 13

03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

versteht sich. Im Unterschied zu vielen anderen pro- SOZIALE FUNKTION IM WIDERSPRUCH klamierten Inhalten und Zielen waren weder Führer- ZUR SOZIALEN BASIS Prinzip noch Rassismus bloße Propaganda. Diese Durchgehend haben sich faschistische Bewegungen in Inhalte dienten nicht der Maximierung des eigenen ihrer Aufstiegsphase als Bewahrer des kapitalistischen Gefolges in der Aufstiegsphase der jeweiligen Privateigentums vor dem "marxistischen Bolsche- Bewegungen. Sie sollten vielmehr geistig auf deren wismus" dargestellt. Gleichzeitig präsentierten sie sich aggressive Außen- und Wirtschaftspolitik vorbereiten als Retter der ArbeiterInnenschaft bzw. des "Mittel- und der totalen Militarisierung der Gesellschaften in standes" vor dem "raffgierigen Kapitalismus". den betroffenen Ländern den Weg ebnen. Wenn näm- lich Raubkriege geführt und Völker unterjocht und In der Realität blieb von den Ankündigungen nur der ausgebeutet werden sollen, dann bedarf das einer Schutz der herrschenden Schichten vor der organisier- Erklärung.6 Die Minderwertigkeit der anderen Völker ten ArbeiterInnenschaft übrig: Zerschlagung der und die "natürliche Überlegenheit" der eigenen Linksparteien und der Gewerkschaften, Abschaffung Nation ist die nächstliegende, simpelste und wirksam- bisher erkämpfter ArbeiterInnen-Rechte, die Aus- ste propagandistische Rechtfertigung. Erstens, weil stattung von Unternehmen mit militärischer Ver- Angriffskriege und das Ausplündern fremder Länder fügungsgewalt über ihre ArbeiterInnen usw. Damit be- dann zu "natürlichen" Vorgängen werden. Zweitens, gannen die faschistischen Bewegungen, nach ihren je- weil sich damit auch für sozial deklassierte Schichten weiligen "Machtergreifungen", Politik gegen einen in der angeblich "höherwertigen Nation" die Großteil ihrer eigenen Gefolgschaft zu machen. Die Möglichkeit ergibt, sich der Schar der Auserwählten Masse des faschistischen Fußvolks kam nämlich aus zugehörig zu fühlen. Drittens, weil vorhandene dem Mittelstand, dem Kleinbürgertum und der unor- Missstände im eigenen Land auf konstruierte ganisierten ArbeiterInnenschaft. "Außenfeinde" zurückgeführt werden, die es zu be- kämpfen gelte.7 IDEOLOGIE: FÜHRERPRINZIP, "Es gehört zur Genialität eines großen Führers, selbst NATIONALISMUS UND RASSISMUS auseinanderliegende Gegner immer als nur zu einer Die Vorstellung von der prinzipiell unterschiedlichen Kategorie gehörend erscheinen zu lassen ... Daher Wertigkeit von Menschen und Völkern, von der "natür- muss eine Vielzahl von innerlich verschiedenen lichen Auslese", die dafür Sorge tragen würde, dass Gegnern immer zusammengefasst werden, so dass in die "von Natur aus am meisten Befähigten" die der Einsicht der Masse der eigenen Anhänger der Geschicke der Gemeinschaft leiten würden, ist vermut- Kampf nur gegen einen Feind allein geführt wird." lich der Kernpunkt faschistischer Ideologie. Ein Blick in Adolf Hitler in "Mein Kampf" die politische Landschaft der Gegenwart genügt aller- dings, um festzustellen, dass dieses hierarchische 6 Hier muß erwähnt werden, dass eine aggressive Aussenpolitik nicht Prinzip keineswegs auf faschistische Bewegungen be- Kennzeichen aller faschistischer Bewegungen war. In kleinen Län- schränkt ist. Im Gegenteil: Die unterschiedliche dern ohne entsprechendes militärisches Potential, wie z.B. Österreich, Wertigkeit, das Prinzip der Auslese, der Konkur- richtete sich der Faschismus "nur" gegen die Linke im eigenen Land. renzkampf - all das sind auch die bestimmenden 7 Der deutsche Faschismus benannte etwa als Grund für die Wirt- Elemente der "freien Marktwirtschaft", wenn mittler- schaftsmisere "jüdische Machenschaften" sowie die Tatsache, dass weile auch ohne (zumindest offen geäußerter) Deutsche und Italiener Völker "ohne Raum" seien. Der benötigte SEITE|13 Ausdehnung auf "Rassen": "Der/die Tüchtige" oder "Lebensraum" (bzw. seine Reichtümer) sei "von Minderwertigen be- "das beste Produkt" setzt sich durch - zum Wohle aller, setzt" und müsse "erkämpft werden". faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 14

PSEUDOREVOLUTIONÄRE RHETORIK UND Parteien verfügte über eine aktivierbare Massenbasis, FASCHISTISCHE MASSENBASIS die im Stande war den "Roten" entgegenzutreten. Und Eine der Kernforderungen der ArbeiterInnenbewegung die Polizei- und Armeekräfte waren entweder - wie hatte sich bis nach dem Ersten Weltkrieg in den meisten eu- etwa in Österreich - selbst von "Umstürzlern" unter- ropäischen Staaten durchgesetzt - die Einführung des all- wandert oder ganz einfach militärisch nicht in der gemeinen Wahlrechts. Diese Konzession, das war auch den Lage, eine etwaige rechte Diktatur gegen den breiten wildesten Gegnern eines solchen Schrittes in den Reihen und organisierten Widerstand der Bevölkerung zu er- der Rechten klar, war in Anbetracht eines drohenden linken zwingen. Die Antwort der herrschenden Schichten auf "Umsturzes" nicht zu umgehen. Die Gründe für die dieses Problem war das Bündnis mit dem Faschismus. Ablehnung des allgemeinen Wahlrechtes durch die Konser- Denn als einzige rechtsradikale Strömung verfügte der vativen und Rechten liegen auf der Hand: Wer dann näm- Faschismus über eine relativ große und radikalisierte lich nicht Politik im Sinne der Mehrheit macht, läuft Anhängerschaft. Und weder Mussolini noch Starhem- zwangsläufig Gefahr, von dieser früher oder später abge- berg oder Hitler hatten Schwierigkeiten damit, in ihrer wählt zu werden (was, wie die Geschichte zeigt, allerdings Propaganda zwar die Ausbeutung des "kleinen lang dauern kann). Arbeiters" durch "das Großkapital" und "die Bonzen" Bevor die breite Masse der Bevölkerung wählen durfte, wa- zu geißeln, gleichzeitig aber Gewerkschaften und ren die bürgerlichen Parteien elitär strukturiert gewesen. Linksparteien vehement zu bekämpfen. Während auf Nach der Demokratisierung ihrer Länder, als der gehasste den Straßen von einer "faschistischen Revolution" die "Pöbel" wählen durfte, sah sich die politische Rechte genö- Rede war, wurde den Reichen signalisiert, man werde tigt sich ideologisch zu öffnen und zumindest öffentlich zu sie und ihr Eigentum vor dem "Kommunismus" retten. behaupten, ihre Politik auf die Bedürfnisse der Bevöl- kerungsmehrheit abstimmen zu wollen. Anders war der Dem linken Begriff des "Klassenkampfs" setzte die fa- Abstieg in die politische Bedeutungslosigkeit nicht zu ver- schistische Propaganda die Parole von der "Volks- hindern. Das wohl sichtbarste Zugeständnis an die neue gemeinschaft" entgegen. Das Wirtschaftssystem dieser Zeit war in diesem Zusammenhang die Aufnahme der "Volksgemeinschaft" sollte "die Interessen sowohl der Adjektive "demokratisch" bzw. "sozial" in die verschiede- Arbeitenden als auch der UnternehmerInnen bündeln nen Parteinamen. und damit letztlich dem Wohle aller dienen, statt sich gegenseitig unsinnig zu bekriegen."8 Dem Ruf nach Der Horror der Schützengräben, das kriegsbedingt weiter der sozialistischen Revolution begegnete der verschlimmerte Elend breiter Schichten und schließlich die Faschismus mit der Forderung nach einer "nationalen Wirtschaftskrise im Gefolge des Ersten Weltkriegs ließen Revolution". Diese "nationale Revolution" würde die breiten Massen nach einer Alternative zum kapitalisti- "Arbeit und Brot für alle" bringen, ebenso das Ende schen System suchen, um Not und Armut endgültig zu des "volkszersetzenden Klassenkampfes". Statt dessen überwinden. Diese Suche drückte sich anfangs vor allem in würden "Ruhe und Ordnung wieder(!)hergestellt". Aufständen, Hungerrevolten und Revolutionsversuchen aus. Nachdem sich die bürgerliche Demokratie als 8 Hier wird deutlich, dass viele Vorstellungen des Faschismus weder Staatsform fürs erste einigermaßen behauptet hatte, wurde von ihm geboren wurden, noch mit ihm untergingen: Noch heute er- der breite Wunsch nach grundlegenden Änderungen be- klären PolitikerInnen häufig, dass ArbeitnehmerInnen und sonders in den Verliererstaaten des Weltkrieges auch in UnternehmerInnen im selben Boot säßen. Dabei wird die Tatsache ig- Wahltriumphen der Linksparteien deutlich. Diese schickten noriert, dass es einen grundlegenden Interessensunterschied gibt - SEITE|14 sich nunmehr an, so schien es vielen, das System auf demo- UnternehmerInnen wollen für möglichst viel geleistete Arbeit mög- kratischem Weg aus den Angeln zu heben. Guter Rat war lichst wenig zahlen, ArbeitnehmerInnen hingegen möchten für mög- teuer, denn keine der bis dahin existierenden rechten lichst wenig Arbeit möglichst viel Lohn erhalten. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 15

03| FASCHISMUS - VERSUCH EINER DEFINITION

Die Verhöhnung der Werte der Aufklärung in einem Nazi-Schulbuch. Originalunterschrift: "Freiheit - jeder kann tun was er will. Gleichheit - der Fleißige gilt nicht mehr als der Lump. Brüderlichkeit - Alle Rassen sind gleich."

Mit diesem in sich widersprüchlichen Mix an Ver- besten nichts - von ihrem Reichtum abgeben. Es gibt sprechungen und Beschuldigungen konnte der keinen vernünftigen Grund dafür, einem wie auch im- Faschismus große Teile des KleinbürgerInnentums, der mer gearteten Führer zu folgen, ohne Rücksicht dar- BeamtInnenschaft, der Bildungseliten und der bäuer- auf, für wen er Politik macht. Es gibt - auch abseits lichen Schichten für sich gewinnen. Ihm gelangen auch moralischer Einwände - kein vernünftiges Argument nicht unbeträchtliche Einbrüche in die Arbeiter- dafür, sich im Rahmen eines Raubkrieges, von dem die Innenschaft,9 aber der ursprüngliche Zweck wurde ver- meisten Menschen nicht profitieren, verstümmeln oder fehlt: Im demokratischen Wettbewerb konnte die gar töten zu lassen oder selbst zum Mörder zu werden. Linke auch vom Faschismus nicht gestoppt werden, der Von der Unmöglichkeit angebliche "rassische" Höher- nicht in der Lage war, aus eigener Kraft die Macht im und Minderwertigkeit rational zu belegen ganz zu Staat zu übernehmen. Das vermochte er in allen schweigen. Ländern nur in einem breiten Bündnis mit den herr- schenden Eliten. Ganz logisch steht der Faschismus daher im Wider- spruch zu den Werten der Aufklärung, also rationalem Handeln, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Die DIE ABSAGE AN DIE AUFKLÄRUNG - faschistische Ideologie schafft dementsprechend ihre DER FASCHISTISCHE WERTEKATALOG eigenen Werte: An die Stelle der Vernunft und des Eine Bewegung, die in sich derartig widersprüchlich ist "schnöden Verharrens im Materiellen" tritt das Ideal wie der Faschismus, muss in ihrer Propaganda gewis- eines organischen Volkskörpers, dessen angebliche sermaßen die Quadratur des Kreises schaffen, um so- Interessen über den Interessen der Einzelnen stehen. wohl die reichen Gönner als auch das arbeitende Statt für die möglichst große Freiheit der Person zu Wahlvolk anzusprechen. kämpfen, gibt der Faschismus vor "Volksfeinde zu be- Naturgemäß liegt es daher im Interesse faschistischer kämpfen", die "nationale Demütigung" revidieren zu Führer, dass sich möglichst große Teile ihrer wollen und der Nation jene Größe zukommen zu las- Gefolgschaft nicht rational, also vernunftgeleitet, mit sen, die ihr angeblich zustünde. Wem diese nationale Politik auseinandersetzen. Es gibt keine vernünftige "Größe" nützt - nämlich einigen wenigen - wird be- Erklärung dafür, dass Besitzende und Besitzlose die greiflicherweise nicht thematisiert. Dem Ideal der gleichen Interessen haben sollen - die einen wollen Gleichwertigkeit der Menschen wird die angeblich mehr haben, die anderen aber möglichst wenig - am "wissenschaftlich bewiesene" Ungleichheit der Men- schen und Völker, der Rassismus, entgegengestellt. 9 Allerdings gelang es kaum, die in Gewerkschaften oder Links- Rassistische Politik, Ausplünderung ganzer Länder SEITE|15 parteien organisierten ArbeiterInnen anzusprechen. Sie erwiesen sich oder systematischer Völkermord werden so zu einem gegenüber der faschistischen Propaganda als weitgehend immun. "natürlichen", angeblich unausweichlichen Prozess. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 16

Der Kerngedanke des Faschismus, der Glaube an die licher "Feinde" und vorgeblicher "Bedrohungen" Ungleichheit der Menschen, schließt drei Grund- einen wesentlichen Teil seiner eigenen Legi- gedanken mit ein: timation ableitet. Dies schließt ein friedliches 1. Im Rahmen der "natürlichen Auslese" wird alles Zusammenleben aus und bedarf der Verklärung "Schwache" ausgesondert. Geschieht das nicht von Gewalt und Brutalität als Vorbedingungen von selbst, muss eben nachgeholfen werden. für eine umfassende Militarisierung der Gesell- "Schwäche", gleichgültig ob physisch, psychisch schaft. Durch die Überhöhung dieser ("männ- oder sozial, wird "vernatürlicht". Solidarität mit lichen") Ideale ist der Faschismus seinem Wesen den Betroffenen ist von vornherein ausgeschlos- nach scharf antifeministisch. sen - ihr "natürliches Schicksal" ist in der faschi- stischen Ideologie die "Ausmerzung". Obwohl in den meisten Fällen säkular,11 erhebt der Fa- 2. Ebenso "natürlich" wie "Schwäche" ist der faschi- schismus zudem den Anspruch, eine "Gegenreligion" stischen Ideologie zufolge auch "Stärke". Dem- zu sein, in der "Gott" durch den "Führer", die "Natur" zufolge sind Machtpositionen in einer Gesell- bzw. "Naturgesetze" ersetzt wird. Die faschistischen schaft nicht etwa durch Privilegien, wirtschaftli- Rituale (Totenehrungen, etc.) und die Inszenierung ches Potential oder militärische Macht begründet von Auftritten der Führer hatten pseudo-religiösen (und somit auch wieder änderbar), sondern sie Charakter. Interessant in diesem Zusammenhang sind sind "natürlich" und damit irreversibel ("unver- die Querverbindungen speziell der nationalsozialisti- änderlich"). Der "Führer" wird von der "Natur" schen Bewegung zu esoterischen Inhalten und Grup- bzw. der "Vorsehung" für seine Funktion auser- pierungen, die im Versuch gipfelten, die SS zu einem koren, seine Befehle sind naturgewollt, wer sich quasi-religiösen Orden zu machen. widersetzt, handelt "wider die Gesetze der Natur".10 FASCHISTISCHE MACHTERGREIFUNG UND MACHT- 3. Indem der Faschismus die Mechanismen einer ERHALT: DAS BÜNDNIS MIT TRADITIONELLEN ELI- menschlichen Gesellschaft jenen der Natur TEN, MASSENBEWEGUNG UND MASSENTERROR gleichsetzt, sieht er Menschen und Völker einem permanenten "Lebenskampf" ausgesetzt. Anders Sowohl die italienischen Faschisten als auch die deut- als viele bürgerliche TheoretikerInnen meinen, schen Nationalsozialisten verwendeten erhebliche wäre etwa ein "judenreines" Herrschaftsgebiet Mühe darauf, ihre jeweiligen Machtergreifungen im nicht der vom deutschen Faschismus angestrebte Nachhinein zu mystifizieren. Im einen Fall war es der "Endzustand der Geschichte" gewesen: Die "Marsch auf Rom" durch die italienischen Schwarz- Aggressivität und das Vernichtungspotential des hemden, im anderen die "nationale Erhebung" bzw. Faschismus kann sich schon deshalb nicht er- die "nationale Revolution". Sinn dieser Verklärung war schöpfen, weil er aus der Bekämpfung vermeint- es, über die Tatsache hinwegzutäuschen, dass es weder dem deutschen noch dem italienischen Faschismus 10 Und wieder: Etwas abgeschwächt ist dieser Gedanke weder vom (auch keiner faschistischen Bewegung irgendwo sonst) Faschismus erfunden worden, noch endete er mit diesem (Kaiser und gelungen war, die Macht im Staat aus eigener Kraft zu Könige führten ihre Machtbefugnisse stets auf das "Gottgewollte", erobern. Es handelte sich also nirgends, wo der mithin in gewisser Weise auch "Natürliche" zurück; der Grund, warum Faschismus an die Macht kam, um eine Macht"ergrei- es Reichtum und damit gleichzeitig Armut geben muss, wird auch heu- fung" sondern nur um eine Macht"übernahme" im te noch von den ApologetInnen der Marktwirtschaft damit begründet, Bündnis mit anderen konservativen Kräften. SEITE|16 dass dem schon immer so gewesen, es mithin "natürlich" sei. Der Wunsch, den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen, muss 11 Ausnahmen bildeten etwa die Ustascha-Bewegung in Kroatien und somit eine Illusion bleiben, weil "widernatürlich"). Teile der österreichischen Heimwehr, die dezidiert katholisch waren. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 17

Am 12. November 1918 wird in Wien die Republik ausgerufen. Über vierhunderttau- FASCHISTISCHE BEWEGUNG send Menschen feiern in den Straßen der Hauptstadt das Ende der Habsburger- HEIMWEHR monarchie UND NAZIS IN ÖSTERREICH

DIE REVOLUTIONÄRE PHASE IN ÖSTERREICH Die "traditionellen Eliten", die NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG aus verschiedenen Gründen mit dem bestehenden System unzu- Als sich am 21. Oktober 1918 im niederösterreichischen frieden waren oder die Gefahr ei- Landhaus zu Wien die "Provisorische Nationalversammlung nes linken Umsturzes fürchteten, Deutschösterreichs" konstituierte, verließ damit auch die ebneten dem Faschismus seinen letzte Nationalität im k.u.k.-Vielvölkerstaat offiziell das Weg zur Macht. Sie taten das, sinkende Schiff der Donaumonarchie. An den Fronten mili- weil sie aus eigener Kraft zu tärisch geschlagen, im Inneren konfrontiert mit einer hun- schwach waren (oder sich zu gernden Bevölkerung, Unruhen und Revolten, war der schwach fühlten), die Demokratie Versuch des letzten Habsburger-Kaisers, Karl I., gegen den Widerstand der linken fehlgeschlagen, die Monarchie als Staatsform in Parteien zu stürzen. Dabei erla- die Nachkriegsordnung hinüberzuretten. gen sie aber dem Trugschluss, dass es ihnen gelingen werde, Alleine die Tatsache, dass, trotz einer breiten parlamentari- Hitler, Mussolini & Co. auch nach schen Mehrheit bürgerlicher Parteien, mit Karl Renner ein deren Aufrücken an die Spitze Sozialdemokrat Regierungschef wurde, lässt einiges von SEITE|17 des Staates vollständig zu kon- den gewaltigen Kräfteverschiebungen erahnen, trollieren. die stattgefunden hatten.12 faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 18

Mit der Monarchie verloren Aristokratie und (Groß)- Bürgertum die wesentliche Stütze ihrer Privilegien gegenüber den weitgehend rechtlosen ArbeiterInnen und der kleinbäuerlichen Bevölkerung. Auf den plötz- lichen Wegfall der bisherigen Ordnung folgte ein Machtvakuum, das die Sozialdemokratie kurzfristig nützen konnte. Es gelang ihr, in dieser Ausnahmesi- So sieht die von Konservativen verklärte ländliche Idylle in den 20ern tuation gegen die verängstigten Privilegierten von und 30ern des letzten Jahrhunderts in Wirklichkeit aus: Statt Ochsen einst politische und soziale Reformen im großen Stil oder Pferden werden Mägde vor den Pflug gespannt - durchzusetzen. für den Bauern sind sie billiger als das Vieh

Die politischen Umwälzungen verliefen in den länd- lichen Gebieten "Deutschösterreichs" meist friedlich. Nicht so in den industriellen Zentren, den Hochburgen ten Landbevölkerung und im städtischen Bürgertum der ArbeiterInnenbewegung, allen voran Wien und den Hass auf die "rote Regierung des Pöbels im Linz. Dort kam es zu stürmischen Demonstrationen, Wasserkopf Wien". Plünderungen und gewalttätigen Auseinandersetzun- gen mit Repräsentanten der alten Mächte, vor allem Mit ihr wollten Leute wie der spätere Heimwehrführer mit ehemaligen Offizieren. "Fürst" Ernst Rüdiger Starhemberg "abrechnen, so bald sich die Gelegenheit ergäbe", wie er später Zeitzeugin Steffi S. über die Behandlung von schrieb. Offizieren in den Strassen von Wien 1918: Während die Gelegenheit zur Rache in den Industrie- "Mein Bruder war ein kleiner Leutnant. Wie den letz- gebieten noch einige Zeit auf sich warten ließ, verebb- ten Dreck hat man ihn behandelt. Den Leutnantstern te die revolutionäre Welle im ländlichen Raum vom Rock gerissen, den Orden, den er kurz vor Westösterreichs bereits im Frühjahr 1919. Kriegsende bekommen hat, auf den Boden geworfen, Ein Mitgrund dafür war, dass es die Sozialdemokratie13 und dann sind sie johlend darauf herumgetrampelt. verabsäumt hatte, die stark radikalisierte Masse der Wie ein kleines Kind hat er geweint, wie er nach Hause LandarbeiterInnen politisch zu organisieren. Tage- gekommen ist." löhnerInnen, Knechte und Mägde lebten unter entwür- Zitiert nach: Kinz, Maria 1993: Photoalbum 1918-1938. Der digenden Bedingungen und forderten zur Linderung Alltag war nicht immer grau, Wien, S 14. ihrer Not vor allem eine gerechte Verteilung von Grund und Boden. Weil eine umfassende Bodenreform Gerade deren öffentliche Demütigung durch revolutio- aber im Forderungskatalog der SDAPÖ eine eher näre ArbeiterInnen machte tiefen Eindruck auf die tra- nachgeordnete Rolle spielte, fühlte sich diese große ditionellen Eliten. Plünderungen und eigenmächtige Bevölkerungsgruppe bald im Stich gelassen und wand- Beschlagnahmungen durch die hungernde Bevöl- te sich enttäuscht von der Sozialdemokratie ab. kerung und heimkehrende Soldaten verstärkten in Darüber hinaus wandelte sich das politische Be- Teilen der bäuerlichen, katholisch-konservativ gepräg- wusstsein bei kleinen und mittleren Bauern und Bäuerinnen, die ursprünglich durchaus Sympathien für die demokratische Republik gehabt hatten. SEITE|18 12 Den 174 Abgeordneten der Christlichsozialen und Großdeutschen standen in der provisorischen Nationalversammlung nur 42 sozialde- mokratische Abgeordnete gegenüber. 13 "Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs", SDAPÖ. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 19

04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

Um die hungernde Bevölkerung in den Städten versor- gen zu können, ließ die Regierung auf dem Land Nahrungsmittel beschlagnahmen. Anfangs wurde das dort murrend hingenommen, relativ bald aber aggres- siv protestiert und vereinzelt sogar bewaffneter Widerstand geleistet. Diesen Unmut machten sich die Konservativen zunutze. Nicht die Not von Millionen Menschen, die aufgrund der Folgen des Ersten Weltkrieges hungerten, sei die Ursache für die Beschlagnahmungen, behaupteten sie in ihrer Propaganda. Die Schuld treffe ausschließlich die "Roten" und ihre "bolschewistische Regierung", ja ge- nerell die "Wiener Demokraten". Folgen von Hungerunruhen in Graz, Juni 1920. Um die Bevölkerung in In den Großstädten hielt die "revolutionäre Phase" be- den Städten ernähren zu können, lässt die Regierung schließlich auf deutend länger an. Den Kern der Bewegung bildeten dem Land Lebensmittel beschlagnahmen im Spätherbst 1918 vor allem ehemalige Angehörige der Streitkräfte, die jetzt arbeitslos waren, und junge Erlaubnis der Besitzer abzuwarten. Und um das von Intellektuelle14. Unter dem ehemaligen Offizier Julius der Unternehmerschaft betriebene Lohndumping zu Deutsch war bereits in der Endphase der Monarchie beenden, wurden vereinzelt sogar Fabriken von ihren mit dem Aufbau einer republikanischen Armee begon- Belegschaften übernommen. Die Bürgerlichen waren nen worden. Diese sozialdemokratisch dominierte derartig verängstigt, dass christlichsoziale Politiker "Volkswehr" war dazu gedacht gewesen, die später ge- wie der spätere Kanzler Seipel wiederholt die gründete Republik gegen reaktionäre Putschversuche Siegermächte des Weltkrieges ersuchten, Österreich zu schützen. Und es waren auch tatsächlich deren militärisch zu besetzen, um "der bolschewistischen Soldaten, die es Aristokratie und Großbürgertum in Brut Einhalt zu gebieten". der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht ratsam er- scheinen ließ, eine militärische Konfrontation zu ri- skieren.

Im Winter 1918/19 wurde in Österreichs Städten ge- hungert. Zehntausende waren obdachlos, die Arbeits- losigkeit stieg weiter an und die staatliche Verwaltung erwies sich als unfähig, der Not Herr zu werden. ArbeiterInnen und die von ihnen gebildeten Gremien, die Räte, griffen zur Selbsthilfe: Bis ins Frühjahr 1919 fanden alleine in Wien 12.000 Beschlagnahmungen statt. In den umliegenden Wäldern wurde das zum Heizen dringend benötigte Holz geschlägert, ohne die

Baron Alfons Rothschild am Pferderennplatz (links) und Madeleine [von] Kuh, die österreichische Golf- 14 Unter den Angehörigen der Volkswehr fanden sich so prominente meisterin (rechts), genießen das süße Leben - mit dem nötigen Kleingeld kein Problem. Während rund- Namen wie die Literaten Egon Erwin Kisch oder Franz Werfel. herum bittere Not herrscht, denken die Reichen im Land nicht daran, von ihrem Besitz etwas abzugeben. Sie stehen den sozialdemokratischen Versuchen, die Armut der Bevölkerung zu lindern, feindselig gegenüber und fordern die Beseitigung des "sozialen Schutts" faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 20

Obwohl sich die Sozialdemokratie also zu Demokratie und Republik bekannte, auf deren legalem Boden sie den Sozialismus herbeiführen wollte, stellte sich die Friedrich Adler (links, neben Otto Bauer und Karl Kautsky) erschießt 1916 den österreichisch- Sache in manchen Äußerungen von Parteiführern radi- ungarischen Ministerpräsidenten Graf Barthold Stürgkh. Seinen Prozess nützt Adler, um öf- kaler, revolutionärer dar. Dies geschah, um die eigene, fentlich gegen die Gräuel des Ersten Weltkrieges und die Untätigkeit der eigenen Partei, be- stark radikalisierte AnhängerInnenschaft bei der sonders Karl Renners, zu protestieren. Sein Mut und seine Ehrlichkeit verhelfen ihm unter Stange zu halten und ein Abwandern zur KP zu ver- ArbeiterInnen zu ungeheurer Popularität hindern. Darüber hinaus wurde mit dem verbalen Trommelwirbel bezweckt, den bürgerlichen Gegner einzuschüchtern und ihn zu Konzessionen zu zwingen. DIE ARBEITERiNNENBEWEGUNG BLEIBT GEEINT Der Wortführer der Linken innerhalb der Im Unterschied zu fast allen anderen europäischen SDAPÖ, Otto Bauer, ist unter Bürger- Staaten verblieb in Österreich der linke Flügel der lichen der bestgehasste Mann im Land. ArbeiterInnenbewegung in der Sozialdemokratie. Der brillante Redner gehört mit seiner Damit gelang es der Kommunistischen Partei nie, Frau Helene und dem Philosophen Max ernsthaft Einfluss zu gewinnen. Adler zu den bedeutendsten Vorden- Ein wichtiger Grund dafür, dass die Spaltung der kerInnen des Austromarxismus Sozialdemokratie misslang, war der unter Arbeiter- Innen als Held verehrte Friedrich Adler. Er schlug als prominentester Parteilinker das Angebot aus, die Führung der KPÖ zu übernehmen. Die andere Beide Ziele wurden - das zweite allerdings nur vorläu- Hauptursache für den Erhalt der Einheit der fig - erreicht. Die Sozialdemokratie in Österreich er- ArbeiterInnenbewegung in Österreich lag in der politi- reichte eine beispiellose Stärke. Auch wenn es nicht schen Ausrichtung der SDAPÖ. Anders als ihre deut- gelang, im Parlament die Pläne zur Vergesell- sche Schwesterpartei, gab sie sich zumindest in ihrem schaftung der Schwerindustrie und von Teilen der öffentlichen Auftreten offensiv links und hielt weiter Energie- und Forstwirtschaft gegen die bürgerliche am Ziel einer Sozialistischen Gesellschaftsordnung Mehrheit durchzubringen, war der Druck der Straße fest. Diese sollte aber - im Unterschied zum allemal stark genug, den Konservativen eine Bolschewismus - auf demokratischem Weg friedlich er- Sozialgesetzgebung abzutrotzen, die weltweit einzig- reicht werden. artig war.

Austromarxismus: Auf demokratischem Weg Kampf mit unseren Gegnern führen ... Das deutsch- zum Sozialismus österreichische Proletariat vertraut auf seine Macht und hofft, dass diese ausreichen wird, auf dem Wege "Wir Sozialdemokraten wollen nicht in das der politischen Demokratie und der organischen Fahrwasser der Kommunisten in Russland und Un- Entwicklung den Sozialismus zu verwirklichen." garn15 geraten, die durch Methoden der Gewalt die (Aus der Botschaft der SDAPÖ an die ungarische Freiheit der Kritik nicht nur der Bourgeoisie, sondern Räteregierung, 1919) auch großen Teilen des Proletariats entziehen. Wir SEITE|20 wollen auf dem Boden der Meinungsfreiheit, der 15 In Ungarn war nach dem Ersten Weltkrieg kurzfristig ebenfalls Pressefreiheit und der Versammlungsfreiheit den eine Rätebewegung an die Macht gekommen. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 21

04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

Die wichtigsten Sozialgesetze, die in der Ersten Republik erkämpft wurden:

• 8-Stunden-Tag • Betriebsrätegesetz • Arbeiterkammergesetz • Verbot der Kinderarbeit • Mieterschutz • Kollektivvertragsrecht • Unfallversicherung • Krankenversicherung • Arbeitslosenversicherung

DER REVOLUTIONÄRE ELAN FLAUT AB Die Verbesserung ihrer Lebenssituation durch die von der SDAPÖ erkämpften Sozialgesetze trug maßgeblich dazu bei, dass eine breite Mehrheit der ArbeiterInnen diversen kommunistischen Putschversuchen 1919 die Gefolgschaft versagte.

Als Modell einer neuen, gerechten Gesell- schaft entworfen: Das Rote Wien.

Innerhalb weniger Jahre gelang der Sozialdemokratie ein weltweit einzigartiges Projekt. Durch die konse- quente Besteuerung der Reichen wurde die Obdach- losigkeit durch kommunalen Wohnbau radikal verrin- gert, die Mieten gesenkt, die grassierenden Seuchen unter Kontrolle gebracht, medizinische Versorgung und Hygiene-Einrichtungen auch für Arme geschaffen, Kindergärten und Schulen gebaut, ein Volks- bildungssystem aufgebaut und eine möglichst viele Lebensbereiche umfassende humanistische Gegen- kultur der Arbeitenden geschaffen. Ziel war die Erziehung eines neuen Menschen, der den Sozialismus aufrichten sollte.

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Das Rote Wien in Bildern; oben: Eröffnung eines Gemeindebaus, mitte: Kinderfreibad, un- ten: Zentralkinderklinik faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 22

Nachdem außerdem die Arbeiter- und Soldatenräte, Rechten war somit weitgehend Rechnung getragen die bis dahin quasi eine zweite Regierung gebildet worden. Nachdem die Koalition von Christlichsozialen hatten, durch das Betriebsrätegesetz stark an Einfluss und Sozialdemokratie 1920 zerbrochen war, konnte verloren hatten, war die bürgerliche Demokratie weit- die neue Regierung in aller Ruhe daran gehen, das gehend stabilisiert. Damit begann sich aber das Militär von unliebsamen "Roten" zu säubern. Kräfteverhältnis, das bis dahin zugunsten von Nach den Wahlen 1920, als die Sozialdemokratie ihre Sozialdemokratie und Gewerkschaft bestanden hatte, 1919 errungene Stellung als stärkste Partei verloren langsam nach rechts zu verschieben. hatte, setzte der linke Flügel der Partei um Otto Bauer den Gang in die Opposition durch. Grund für diese Wie bereits erwähnt, fürchteten die Bürgerlichen be- Entscheidung war, dass die Christlichsozialen, die nun sonders den Umstand, dass mit der Volkswehr die be- den richtigen Zeitpunkt für gekommen hielten, die waffnete Macht im Staat fest in sozialdemokratischer Linke aus der Regierung zu werfen, völlig unannehm- Hand war. Die Soldaten der Volkswehr, fast durchwegs bare Forderungen stellten, die sich fast ausschließlich politisch linksstehend, kriegserfahren und schwer be- gegen die Interessen der ArbeiterInnen richteten. Die waffnet, waren der Garant dafür, dass rechte Sozialdemokratie, argumentierten Bauer und seine Staatsstreiche vorläufig kaum Aussicht auf Erfolg hat- Genossen, würde jegliche Glaubwürdigkeit unter ihren ten. Gleichzeitig sahen die Bürgerlichen in der WählerInnen verlieren, wenn sie wirklich zur Volkswehr nicht ganz zu Unrecht ein revolutionäres Vollstreckungsgehilfin einer derartigen Politik würde. Potential. Denn die zumeist aus ärmeren Schichten der Statt dessen, so ihre Überlegung weiter, solle die Bevölkerung stammenden Soldaten waren stark radi- Partei damit fortfahren, die ArbeiterInnenschaft zu or- kalisiert und galten somit eher als zweifelhafte ganisieren, um nach dem Erreichen der magischen Wächter der bestehenden Besitz- und Gesell- "Fünfzig Prozent plus einer Stimme" auf demokrati- schaftsordnung. schem Weg den Sozialismus zu erlangen. Nachdem die Entente16 dem Wunsch nach einer militä- rischen Besetzung Österreichs nicht nachgekommen Verkannt wurde dabei, dass die Bürgerlichen im war, wurde Anfang 1919 von konservativen Kreisen Unterschied zur Sozialdemokratie keinerlei Absicht vor einem angeblich direkt bevorstehenden Umsturz hatten, sich an demokratische Spielregeln zu halten. gewarnt. Damit erreichten sie zumindest, dass die Im Gegenteil nützten sie die Chance, den Einfluss der Waffenstillstandskommission die Weisung erließ, die ArbeiterInnenschaft zurückzudrängen, um damit die Volkswehr müsse von 56.000 Mann auf höchstens Voraussetzungen für die Beseitigung der demokrati- 12.000 reduziert werden. Der Sozialdemokratie ge- schen Verfassung zu schaffen. Der staatliche lang es nur, die Umsetzung dieser Weisung noch etwas Verwaltungsapparat wurde "von Roten befreit", im hinauszuzögern. Mit dem Friedensvertrag von St. Bundesheer kehrten wieder die alten k.u.k-Offiziere Germain wurde der jungen Republik aber endgültig an die Schalthebel der Macht zurück und um die ein Milizheer (in dem die Linke zwangsläufig ein ge- Erfolge der Sozialdemokratie in der Kommunalpolitik wichtiges Wörtchen mitzureden gehabt hätte) verbo- zu untergraben wurde das "Rote Wien" auf dem Wege ten. Statt dessen durfte Österreich lediglich über ein des Finanzausgleiches monetär ausgehungert. Söldnerheer ("Berufsarmee") von 30.000 Mann verfü- Christlichsoziale und Großdeutsche hatten vor den gen. Dem flehentlichen Bitten der österreichischen Wahlen erwogen, die Demokratie mit Hilfe von rechts- radikalen bayrischen und ungarischen Wehrverbänden SEITE|22 16 Entente, frz.: Bündnis, bezeichnet alle Staaten, die im Ersten durch eine Diktatur zu ersetzen. Doch die Mühen eines Weltkrieg gegen die "Mittelmächte" Deutschland, Österreich-Ungarn Putsches waren gar nicht nötig gewesen, jetzt fiel ih- und das Osmanische Reich (die spätere Türkei) kämpften. nen kampflos in den Schoß, wofür sie andernfalls ein faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 23

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erhebliches militärisches Risiko in Kauf nehmen hätten Als Folge dieser Politik wuchsen die Staatsschulden müssen. enorm an und um "die Inflation einzudämmen sowie den Staatshaushalt und damit die österreichische Volkswirtschaft zu sanieren", wie Bundeskanzler DIE "SANIERUNG DES STAATSHAUSHALTES" Seipel meinte, wurde 1922 ein folgenschweres Sa- ALS MITTEL IM KAMPF GEGEN DIE nierungskonzept durchgesetzt: Im Rahmen der soge- ARBEITERINNENBEWEGUNG nannten "Genfer Sanierung" wurden Auslandskredite Wie in ganz Europa war auch in Österreich die in der Höhe von 650 Millionen Goldkronen aufgenom- Nachkriegsperiode geprägt von einer wirtschaftlichen men. Damit aber die vom Völkerbund eingesetzte Talfahrt: Nach 1918 erreichte die Volkswirtschaft in "Österreich-Kommission" der Kreditvergabe zustimm- Österreich bis zum "Anschluß" 1938 nie wieder das te, verpflichtete sich die österreichische Bundes- Niveau von 1913, sie schrumpfte im Gegenteil konti- regierung verschiedene Bedingungen zu erfüllen: nuierlich. 1918 setzte wie in den anderen europäi- x Sanierung des Staatshaushaltes innerhalb von schen Ländern eine verheerende Inflation (Geld- zwei Jahren. entwertung) ein, die 1922 ihre Höhepunkt erreichte. x Sondervollmachten der Regierung, damit "die Von der Inflation betroffen war die breite Mehrheit der zur Sanierung notwendigen harten Maßnah- LohnempfängerInnen und der SparerInnen (also der men" in den folgenden zwei Jahren auch ohne Mittelstand), während gleichzeitig die großen Unter- parlamentarische Kontrolle durchgeführt wer- nehmen zum Teil massiv profitierten: Die Beträge, die den können. Unternehmen vor der Inflation Banken, Privaten und x Kontrolle der österreichischen Finanzpolitik dem Staat geschuldet hatten, waren über Nacht nichts durch einen ausländischen "Generalkommissär" mehr wert; zudem tendierten die effektiven Steuer- mit faktisch diktatorischen Befugnissen. leistungen während der Inflation gegen Null, weil die christlichsoziale Regierung unter Prälat Ignaz Seipel Eine eigenständige österreichische Wirtschaftspolitik sich strikt weigerte, die Steuersätze der galoppieren- war unter solchen Umständen de facto unmöglich. den Geldentwertung anzupassen. Österreich wurde auf Gedeih und Verderb den ausländi- schen Geldgebern ausgeliefert. Die Sozialdemokratie kritisierte die "Genfer Sanierung" in der Öffentlichkeit vehement. Im Parlament jedoch beging sie den ent- scheidenden Fehler, sich bei der Ratifizierung der Sa- nierungsauflagen der Stimme zu enthalten und damit die notwendige bürgerliche 2/3-Mehrheit zuzulassen.

Schon innerhalb eines Jahres wurde ein ausgegliche- ner Staatshaushalt erreicht, doch die sozialen Folgen der "Genfer Sanierung" waren katastrophal: Durch die Entlassung zehntausender Beamter und die Einhe- bung neuer Steuern, die vor allem die unteren Ein- kommen schwer trafen, erfolgte eine rasante Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Gleich- zeitig hatte die Regierung begonnen, den "sozialen SEITE|23 Bundeskanzler Ignaz Seipel (Mitte), Repräsentant des rechten, anti- Schutt wegzuräumen" (Prälat Seipel). Damit meinte demokratischen Flügels der Christlichsozialen. Nach dem Polizei- sie die Sozialgesetzgebung, die von der Sozial- massaker anlässlich des Justizpalastbrandes 1927 wird er von sei- nen GegnerInnen als "Prälat ohne Milde" tituliert faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 24

demokratie erkämpft worden war und die nun schritt- Finanziert wurden die rechten Trupps anfangs von lo- weise abgebaut wurde. Die daraus resultierende sozi- kalen Großbauern, Aristokraten, der Kirche und ein- ale Not, verbunden mit einer neuerlichen, ebenfalls zelnen Unternehmern. Ihre Befehlshaber setzten sich durch die Sparpolitik verschuldeten Wirtschaftskrise, besonders aus ehemaligen Offizieren und Unter- führte zu einer Verschärfung der innenpolitischen offizieren sowie aus rechtsstehenden Studenten zu- Auseinandersetzung. Denn in der Krise gingen auch sammen. Das Fußvolk bildeten mehrheitlich bezahlte die Unternehmen daran - unterstützt von den Christ- Söldner aus den Reihen der arbeitslosen Land- lichsozialen - die angeblich "exorbitant hohen Löhne" bevölkerung, die von ihren GegnerInnen deshalb spöt- zu drücken. Das hohe Lohnniveau würde, so argumen- tisch "5-Schilling-Mandeln" genannt wurden. tierten sie, das Wachstum und die Konkurrenzfähigkeit Als es im Winter 1921 in Wien zu Hungerrevolten kam, der österreichischen Volkswirtschaft behindern. Bei beschloss der Hauptverband der Industrie auch in der dieser Behauptung handelte es sich (übrigens ebenso Hauptstadt einen "Selbstschutz" aufzustellen, für den wie in der gegenwärtigen politischen Debatte) um erhebliche Geldmittel locker gemacht wurden. Dieser eine glatte Lüge: Im internationalen Vergleich waren antisozialistischen Miliz wurden nun schrittweise die die Löhne in Österreich selbst zu Spitzenzeiten äußerst verstreuten, unkoordiniert agierenden Paramilitärs niedrig, sie hatten 1921 gerade erst etwa 40% des auf dem Land einverleibt. Aus den Schlägertrupps Vorkriegsniveaus erreicht. wurde so in den darauf folgenden Jahren eine (stark föderalistisch gegliederte) reaktionäre Privatarmee, die sich schließlich "Heimwehr" nannte. DIE ANFÄNGE DER HEIMWEHR Bereits 1918 und 1919 waren, vor allem in den länd- Von ihren Kumpanen in Regierung, Polizei und Justiz lichen Regionen, in enger Kooperation mit rechten unbehelligt und von den Unternehmern finanziert, be- Politikern wie Richard Steidle, Anton Rintelen und gannen die selbsternannten Heimatschützer bald flä- Ignaz Seipel bewaffnete reaktionäre Verbände ge- chendeckend die sozialdemokratische ArbeiterInnen- gründet worden, die sich Namen wie "Heimwehr", bewegung zu terrorisieren. Es handelte sich bei der "Heimatschutz" oder "Ordnertruppe" gaben. Sie waren Heimwehr daher keineswegs, wie heute noch oft be- ursprünglich dazu gedacht, den Besitz der Bauern vor hauptet wird, um quasi unpolitische Vereinigungen heimkehrenden Soldaten und der hungernden Stadt- zur Verteidigung von Hab und Gut. Die "Hahnen- bevölkerung zu schützen. Zusätzlich sollten sie vor al- schwanzler" kooperierten eng mit deutschen Rechts- lem dem "schleichenden Bolschewismus" Einhalt ge- radikalen17, ebenso wie mit der konservativen ungari- bieten, womit jegliche sozialdemokratische Agitation schen Diktatur, die in Budapest die Räteregierung unter den LandarbeiterInnen gemeint war. massakriert hatte. In der Heimwehr war politisch fast

Söldnertruppe der Besitzenden: Heimw- ehrabteilung in martialischer Pose im Atelier eines lokalen Fotografen, Westösterreich Anfang der 20er Jahre SEITE|24 faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 25

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heitlicher Leitung interessiert und nicht an einem völ- lig zerstrittenen Sammelsurium relativ eigenmächtig agierender Landesorganisationen. Neben der Verär- gerung ihrer Sponsoren machten der Heimwehr zu- sätzlich bald die Nazis zu schaffen, die auch in Öster- reich Anfang der 20er Jahre begannen, Anhänger um sich zu scharen und nach deutschem Vorbild zu organi- sieren. Denn die Braunen, für die viele in der Heimwehr politisch durchaus Sympathien hegten, wa- ren mit zunehmender Größe mehr und mehr eine Wegen des markanten Auerhahnstoßes, den sie an ihre Hüte stecken, Konkurrenz geworden - sowohl was die finanziellen werden die Heimwehrmänner im Volksmund "Hahnenschwanzler" ge- Zuwendungen der Unternehmen betraf, als auch im nannt. In den (rot regierten) Städten sind die Milizionäre verhasst Bezug auf die kleinbürgerlichen Schichten, die man und werden wie hier oft verspottet, sobald sie sich öffentlich zeigen ansprechen und organisieren wollte.

das gesamte rechte Spektrum vereinigt, von Christ- DIE FRÜHPHASE DER lichsozialen und Monarchisten über Deutschnationale ÖSTERREICHISCHEN NAZIS bis hin zu organisierten Antisemiten. Die einigende Klammer bildeten der Antimarxismus Die Vorläuferin der NSDAP bildete in Österreich eine und der Antiparlamentarismus. Abgesehen von dieser 1904 gegründete Splittergruppe, die "Deutsche Ar- prinzipiellen Einigkeit herrschten innerhalb der beiterpartei". Sie hatte ihre Hochburg ursprünglich im Heimwehr und ihren Gönnern aber unterschiedliche Sudetengebiet und richtete sich in erster Linie gegen Vorstellungen darüber, welche Richtung die "Be- TschechInnen, die auf der Suche nach Arbeit in die bis wegung" einschlagen sollte. Die christlichsozial domi- dahin deutsch dominierten nordböhmischen Industrie- nierten Verbände in Vorarlberg und Tirol kritisierten zentren der Monarchie strömten. Die internationali- die ihrer Meinung nach zu enge Zusammenarbeit mit stisch orientierte Sozialdemokratie bemühte sich um den bayrischen Monarchisten und den sich formieren- ein solidarisches Vorgehen von deutschen und tsche- den deutschen Nazis. Andererseits standen die "völki- chischen ArbeiterInnen: Gemeinsam sollten sich die schen" (d. h. deutschnationalen) Landesorganisatio- Betroffenen gegen die Politik der Unternehmen zur nen in Wien, Kärnten und Teilen der Steiermark einer Wehr setzen, die Löhne zu drücken, indem weitgehend stärkeren Einbindung der Christlichsozialen ableh- rechtlose (mehrheitlich tschechische) Billigarbeits- nend gegenüber. Diese und andere Meinungsverschie- kräfte beschäftigt wurden. Statt "Tschechen raus" lau- denheiten innerhalb der Heimwehr arteten mit der tete die sozialdemokratische Parole "gleicher Lohn für Zeit zu derartigen Streitigkeiten aus, dass den Geld- Alle". Die DAP dagegen versuchte, die Schuld am gebern schließlich Zweifel kamen, ob ihre Investitio- Lohndumping den ausgebeuteten tschechischen Arbei- nen in diesen zerstrittenen Haufen sinnvoll angelegt terInnen in die Schuhe zu schieben. In ihrer Propa- seien. Besonders die Industriellen waren ausschließ- ganda hetzte die Partei gegen "Slawen", die "... trach- lich an einer rein militärischen Formation unter ein- ten, im Bündnis mit dem jüdischen Finanzkapital dem deutschen Arbeiter seine Existenzgrundlage zu rau- 17 Zu den deutschen Partnern der Heimwehr zählte etwa die "Orgesch" ben." Obwohl die Sozialdemokratie bei weitem die ("Organisation Escherich"), eine reaktionäre Terrororganisation, die stärkste Partei blieb, erlangte die DAP besonders un- SEITE|25 prominente SozialistInnen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ter deutschsprachigen Facharbeitern und Beamten be- ermordet hatte. achtlichen Einfluss. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 26

Nach dem Ersten Weltkrieg fiel das Sudetenland an wickelte sich die "normale" Rechtspartei nun schritt- die neugegründete Tschechoslowakei. Die nunmehrige weise zu einer Bewegung im faschistischen Sinne. Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) verkraftete den Verlust aber verhältnismäßig Das kurze Hoch war vorüber, als in München Hitlers gut. Das hing vor allem mit der Rückwanderung Putschversuch scheiterte. Nun fehlte es der bisher vor deutschsprachiger BeamtInnen aus der gesamten ehe- allem aus Bayern finanzierten österreichischen NS- maligen Monarchie ins kleine Österreich zusammen. Partei an Geld, hinzu kam ein Streit innerhalb der Unter ihnen befanden sich viele Sympathisanten der Führung, der schließlich in einer Spaltung mündete. NS-Ideologie, die nun eine wichtige Rolle bei deren Fortan gab es eine "Hitlerbewegung", die sich vollends Verbreitung spielten. Bei den Parlamentswahlen 1920 als österreichischer Ableger der NSDAP verstand, und erreichte die DNSAP zwar nur 34.000 Stimmen, damit eine "Schulz-Richtung", die erfolglos zur ursprüng- übertraf sie aber deutlich ihr gesamtösterreichisches lichen Form der DAP zurückzufinden versuchte. Selbst Ergebnis bei den Reichsratswahlen von 1911. Auch der beginnende Niedergang der Großdeutschen Partei wenn es für den Einzug in den Nationalrat bei weitem half den österreichischen Nazis nicht aus ihrer Misere. nicht reichte, war der Erfolg für eine kleine Splitter- Sie wurden im Gegenteil mit in die politische gruppe aber ganz beachtlich. Versenkung gezogen, in der sie nun auf Jahre ver- schwanden. Während die politischen Parteien der Den Vorstellungen der Parteiführung genügten Deutschnationalen vor sich hindümpelten, traf das auf Achtungserfolge allerdings nicht. Aus ihrer Sicht kamen ihre Verbände nicht zu. Besonders Sportvereine wie die Nazis in Österreich wie ihre Schwesterpartei in der noch immer existierende Deutsche Turnerbund Deutschland nicht recht vom Fleck. Es wurden öffentli- (statt "DTB" nennt sich der Turnerbund in Österreich che Veranstaltungen organisiert, die samt und sonders heute allerdings "ÖTB") waren hochaktiv. eher geringen Zuspruch fanden, einzig ihre antisemiti- Hier wurde keineswegs nur geturnt, sondern politische sche Propaganda, radikaler und aggressiver als jene Schulungsarbeit betrieben, "völkisches" und antisemi- der Großdeutschen und Christlichsozialen, war in tisches Gedankengut verbreitet. Die deutschnationalen Maßen erfolgreich. Ein echter Aufschwung setzte erst Organisationen arbeiteten eng mit Nazis und drei Jahre später mit der Wirtschaftskrise ein, die durch Heimwehren zusammen, weil sie ihrem Selbstver- die "Genfer Sanierung" hervorgerufen worden war. ständnis nach nicht nur national, sondern auch explizit 1923 verdreifachten sich die Mitgliederzahlen und bürgerlich und antisozialistisch waren. übertrafen nach eigenen Angaben die Marke von 30.000 Personen. In der Zwischenzeit waren auch in DIE LINKE REAGIERT AUF Österreich nationalsozialistische Milizen gebildet wor- DIE GEFAHR VON RECHTS den, die sich vor allem Straßenschlachten mit sozialde- mokratischen ArbeiterInnen lieferten. Man orientierte Die beiden faschistischen Gruppierungen waren auf- sich zunehmend am Beispiel der NSDAP in grund ihrer internen Streitereien bis Mitte der 20er Deutschland, übernahm sowohl deren "aktivistische" Jahre relativ schwach. Trotzdem stellten die Stoßtrupps Propaganda als auch das uniforme, gewalttätige von Nazis und Heimwehr für die ArbeiterInnen- Auftreten - "münchnerisch reden" wurde zum geflügel- bewegung eine durchaus ernstzunehmende Gefahr ten Wort für die eigene Gewalt auf der Straße. Doch dar. Vor allem deshalb, weil Sozialdemokratie und nicht nur Propaganda und Auftreten änderten sich, Gewerkschaften außerhalb der Großstädte (besonders SEITE|26 auch das Wesen der Partei erfuhr einen tiefgehenden Wien und Linz) sowie der Industrieregionen (Mur- Wandel: War sie bisher weder klar antidemokratisch Mürz-Furche, Hausruckviertel, Salzkammergut, nie- noch nach dem Führerprinzip organisiert gewesen, ent- derösterreichisches Industrieviertel, usw.) über ver- faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 27

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MG-Abteilung der Heimwehr. Die schwere Bewaffnung der Heimwehr ruft in der Linken mit gutem Grund Besorgnis hervor. Neben Infanteriewaffen in Hülle und Fülle verfügen die Hahnenschwanzler über einige hundert Geschütze und sogar über Flugzeuge

hältnismäßig schwache Strukturen verfügten. Es war schlossen. Der Schutzbund griff nie - wie die Heimwehr - offensichtlich, dass die Rechte in Österreich - ähnlich systematisch Veranstaltungen politischer GegnerInnen oder wie in Deutschland - intensiv aufrüstete. deren Einrichtungen an. Er war von Anfang an eher dazu Am Beispiel der Nachbarländer war deutlich, dass die gedacht eine Art Drohkulisse zu bilden, um die Bürger- regelmäßigen rechten Übergriffe nur die Vorboten ei- lichen von Angriffen abzuhalten, als tatsächlich eine ner weit gefährlicheren Entwicklung sein konnten. Um Bürgerkriegsarmee im herkömmlichen Sinn darzustellen. einer etwaigen militärischen Offensive der Bürger- lichen nicht schutzlos ausgeliefert zu sein, wurde des- halb 1923 eine eigene sozialdemokratische Wehr- formation gegründet, der "Republikanische Schutz- bund". Bereits im Herbst 1923, lange vor dem Bürgerkrieg im Februar 1934, kam es zu ersten be- waffneten Zusammenstößen. Dutzende Auseinander- setzungen folgten in den nächsten Jahren, bei fast al- len waren Provokationen der Heimwehren die Ur- sache. Wenn heute also in der historischen Be- Arbeiterselbstschutz vor einem bestreikten Betrieb, 1923. Um sich gegen die dauern- trachtung der 20er Jahre die Rede ist von zwei sich den rechten Attacken zur Wehr setzen zu können, werden allerorts Arbeiterwehren ge- feindlich gegenüberstehenden Parteiarmeen, die gründet, die sich 1923 zum Republikanischen Schutzbund zusammenschließen hochrüsteten, um irgendwann übereinander herfallen zu können, so ist das unwahr: Die rechten Militär- verbände hatten früher existiert, waren wesentlich DIE HEIMWEHR SCHWÄCHELT besser ausgerüstet und ihre Mitglieder bezogen mehr- heitlich Gehalt. Vor allem aber waren die Heimwehr Als auf die Wirtschaftskrise von 1923 ein fast vier Jahre an- und ihre Verbündeten von Beginn an aggressiv gegen haltender wirtschaftlicher Aufschwung folgte und sich die alles, was sie für "marxistisch" hielten, vorgegangen, gespannte innenpolitische Situation in dieser Zeit etwas hatten Streiks niedergeschlagen, linke Veranstal- entschärfte, half das der krisengeschüttelten Heimwehr we- tungen gesprengt und ArbeiterInnen angegriffen. nig, im Gegenteil. Die Geldgeber, deren panische Angst vor linken Umsturzversuchen etwas abgenommen hatte, hiel- Der Republikanische Schutzbund war eine Antwort auf ten sich jetzt mit Zuwendungen eher zurück. Auch die den rechten Terror, nicht dessen Ursache. Im Vergleich christlichsozialen Politiker begannen nun, da keine un- zu den Heimwehren war der Schutzbund armselig be- mittelbare Gefahr von den "Roten" mehr drohte, das SEITE|27 waffnet, seine Einheiten bestanden aus Freiwilligen, Treiben der Heimwehren zunehmend misstrauisch zu beob- die sich ihm in einem Akt kollektiver Notwehr an- achten. Einerseits, weil ihnen der Einfluss der antiklerika- faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 28

len Deutschnationalen nicht geheuer war. Anderer- seits, weil einzelne Heimwehr-Führer immer stärker versuchten, aus dem bewaffneten Haufen eine politi- sche Gruppierung im herkömmlichen Sinn zu machen und eigenständige Politik zu betreiben - damit be- stand die Gefahr einer Konkurrenz zu den Christ- lichsozialen. Die Unterstützung durch Industrie und Christlichsoziale Partei in den wirtschaftlich relativ stabilen Jahren bis 1927 blieb also relativ gering. Weil Klassenjustiz außerdem die internen Widersprüche nicht bewältigt werden konnten, geriet diese Zeit so gar nicht nach Die Justiz der jungen Republik war keineswegs unab- dem Geschmack der selbsternannten Retter des Vater- hängig. Während Arbeitende bereits bei geringen landes. Die Heimwehren lieferten sich zwar regelmä- Vergehen mit drakonischen Strafen rechnen mussten, ßig gewalttätige Auseinandersetzungen mit Arbeiter- wurden Besitzende selbst bei von ihnen begangenen Innen bzw. dem Republikanischen Schutzbund, ein Kapitalverbrechen äußerst schonend behandelt. Gut il- maßgeblicher politischer Faktor waren sie aber nicht. lustriert wird das durch die ersten beiden Urteile nach Wiedereinführung der Todesstrafe durch Dollfuß im Jahr 1933. Der erste Fall betraf den Sohn eines rei- DER JUSTIZPALASTBRAND UND SEINE FOLGEN chen Bauern, Breitwieser (Bild unten links). Er hatte sei- Im Jahr 1927, nach langen Jahren des Kleinkrieges, ne von ihm geschwängerte Magd ermordet und wurde eskalierte die Situation dann unvermittelt. Im Jänner von einem Standgericht zu lebenslänglichem Zucht- dieses Jahres wurde im burgenländischen Ort haus verurteilt. Das zweite Verfahren befasste sich mit Schattendorf eine sozialdemokratische Versammlung Peter Strauß, einem geistig und körperlich behinder- von Rechtsradikalen beschossen. Ein Kriegsinvalide ten Taglöhner (Bild unten rechts). Er hatte angeblich, und ein Kind wurden getötet, mehrere andere schwer nachdem er von einem Bauern von dessen Hof verjagt verletzt. Sechs Monate später, am 14. Juli 1927, wur- worden war, als Rache dessen Heustadel angezündet. den die Täter vor Gericht freigesprochen. Auf das Der entstandene Schaden betrug 2.500 Schilling. Meh- "Schandurteil von Schattendorf" folgten spontane rere Indizien deuteten auf einen Versicherungsbetrug Streiks und Demonstrationen der ArbeiterInnen in des Eigentümers hin, dennoch wurde durch die Polizei ganz Österreich. In Wien wurde von der wütenden von vornherein nur Strauß als Täter in Betracht gezo- Menge der Justizpalast als Symbol der verhassten gen. Das Gericht verhängte, obwohl niemand verletzt Klassenjustiz in Brand gesteckt. worden war, die Todesstrafe. Strauß wurde gehenkt.

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Auf Befehl des großdeutschen Wiener Polizei- präsidenten Schober eröffnete die Polizei daraufhin das Feuer auf die unbewaffneten Menschen.18 Die Folge war ein Blutbad mit mehr als 80 Toten. Zu- sätzlich verschärft wurde die Situation durch die Das "Schandurteil von Schattendorf" ruft unter ArbeiterInnen eine Welle der Empörung hervor. Es Haltung von Bundeskanzler Seipel. Der Prälat forder- kommt überall in Österreich zu spontanen Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen (Bild oben te öffentlich dazu auf, "gegen die Aufrührer keine links). In Wien wird am 15. Juli 1927 der Justizpalast angezündet - als Symbol eines Rechtssystems, Milde" walten zu lassen. Sozialdemokratie und Ge- für das Arbeitende Menschen zweiter Klasse sind. Die Polizei schießt in die unbewaffnete Menge und werkschaften antworteten mit einem Verkehrsstreik, richtete ein Blutbad an. Bilanz: über 80 Tote, mehrere hundert Verletzte (Bild oben rechts) der ganz Österreich lahm legen sollte.19 Für die Heimwehr bedeutete das eine ungeheure Chance, die sie zu nutzen wusste: Ihre Propaganda er- klärte den aufgeschreckten, verstörten Bürgerlichen, nun zeige "der Bolschewismus sein wahres Gesicht: Terror, Blut und Umsturz". Gegen den Streik müsse man energisch vorgehen, ansonsten werde "der Bolschewismus aus dem Roten Wien auf ganz Öster- Der Justizpalastbrand reich übergreifen." wird in der Folge von Christlichsozialen und Heimwehr erfolgreich 18 Mehrere Aspekte dieses Massakers lassen darauf schließen, dass die dazu benützt, antisozi- Situation nicht "einfach eskalierte". Schober wollte - mit der aus- alistische Ressenti- drücklichen Billigung Seipels - vermutlich ein Exempel bürgerlicher ments zu schüren. Macht statuieren. So wurde die Polizei entgegen den sonstigen Wahlplakat von 1930 Gepflogenheiten im Vorfeld extra vom Bundesheer mit Militär- karabinern ausgerüstet. Das Feuer wurde darüber hinaus nicht in Notwehr eröffnet, sondern zu einem Zeitpunkt, als die Situation um Die Panikmache hatte Erfolg. Breite Teile der den Justizpalast schon begonnen hatte, sich zu beruhigen und der Mittelschichten und der bäuerlichen Bevölkerung wur- Republikanische Schutzbund gerade daran gehen wollte, die den mobilisiert und forderten ebenfalls ein hartes Demonstration endgültig aufzulösen. Durchgreifen - und die Gelder der Industrie sprudelten 19 Anhand dieses Verkehrsstreiks wurde zum ersten Mal deutlich, dass wieder. Der ausgerufene Streik wurde zum Desaster. die Zermürbungstaktik der Bürgerlichen und das permanente In den westlichen und südlichen Bundesländern gin- Zurückweichen der Sozialdemokratie unter deren AnhängerInnen gen Exekutive und Heimwehr gemeinsam gegen die SEITE|29 nicht ohne Folgen geblieben war: Vor allem in Westösterreich wurde Streikenden vor, binnen weniger Tage brach der ge- der Streikaufruf von Beginn an nicht flächendeckend befolgt. samte Arbeitskampf bundesweit zusammen. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 30

Möglichkeit, dieses Ziel mit Hilfe der Heimwehren um- zusetzen. Zur Vorbedingung für größere Subventionen machten sie daher eine schriftliche Erklärung der Heimwehrführer, in der sich diese verpflichteten, die österreichische Verfassung bis spätestens März 1930 zu beseitigen und "die Stadt Wien völlig auszuräuchern". Nachdem sie eine entsprechende Erklärung wunschge- Exekutive und Heimwehr machen bei der Niederschlagung des mäß unterzeichnet hatten, gingen nun die Heim- Verkehrsstreiks, der als Antwort auf das Massaker beim Justizpalast- wehrführer im Sommer 1928 daran - finanziert durch brand 1927 ausgerufen wurde, gemeinsame Sache. Der Streik wird österreichische Banken und Industrielle, mit zusätz- binnen kurzer Zeit erfolgreich abgewürgt lichen Mitteln und Waffen aus Italien und Ungarn ver- sorgt - konkrete Putschpläne zu entwerfen. Mit Rat Übrig blieben eine geschlagene Sozialdemokratie und und Tat standen ihnen dabei der Wiener Polizei- eine ungeheuer gestärkte Heimwehr, die einen be- präsident Schober und Verteidigungsminister Vaugoin achtlichen Mitgliederzuwachs verzeichnen konnte und zur Seite. sich von nun an noch besserer Beziehungen zu Polizei und Militär erfreute. Mit dem wiedergewonnenen Die Pläne sahen vor, durch Heimwehraufmärsche in Selbstbewusstsein der Heimwehr ging auch ein neuer roten Hochburgen Zwischenfälle zu provozieren, die Machtanspruch einher. Heimwehrführer Steidle, ein als Anlass zum Bürgerkrieg dienen sollten. Gleich- deklarierter Faschist, und sein Stellvertreter, der zum zeitig wollte man versuchen, für die Heimwehren un- Nazismus neigende Führer der steirischen Heimwehr ter ArbeiterInnen zu werben, um der Militärformation Walter Pfrimer, ließen in einem Memorandum an den von Mittel- und Oberschicht auch tatsächlich eine ungarischen Ministerpräsidenten István Bethlen im Massenbasis in den Städten zu verschaffen. Dem beab- Frühjahr 1928 wissen, die Heimwehr könne und wolle sichtigten Bürgerkrieg, den die Heimwehr gemeinsam "sich nicht mit der Rolle begnügen, als drohender mit dem Bundesheer und Polizeieinheiten zu gewin- Kettenhund auf der Wacht zu liegen und zu kuschen nen gedachte, würde schließlich nicht nur die Sozial- bis der Hundebesitzer, d. h. in diesem Falle die bür- demokratie, sondern das ganze parlamentarische gerlichen Parteien ihn, wie am 15. Juli 1927, einmal System zum Opfer fallen. loslassen um ihn dann sofort nach getaner Arbeit ge- gen den Dieb wieder an die Kette zu legen, sondern Mehrere Aufmärsche der Heimwehren hatten zwar sie wollen mitreden bei der Gestaltung des Staates."20 Gegenmobilisierungen des Schutzbundes zur Folge, Durch den enormen Zustrom neuer Mitglieder sei es führten aber nicht zu den erhofften ernsteren nun möglich, Ernst zu machen und zusätzliche bewaff- Zwischenfällen. Deshalb wurde seitens der Heim- nete Einheiten aufzustellen, wurde dem Ungarn mit- wehrführung versucht, durch politischen Druck auf die geteilt - allein, es mangle an Geld. Ob nicht die unga- Christlichsoziale Partei die Demokratie "friedlich" ab- rischen Freunde da ein wenig aushelfen könnten? schaffen zu lassen. Die Führer der Christlichsozialen, besonders Seipel, waren durchaus willig, mit der Sowohl das autoritär regierte Ungarn als auch das fa- Heimwehr zu kooperieren. Allerdings nur in genau der schistische Italien waren damals an einer rechten Rolle, die sie selbst nicht mehr spielen wollte: als Diktatur in Österreich interessiert. Nun sahen sie die Kettenhund gegen die Sozialdemokratie bereit zu ste- SEITE|30 hen. Ähnlich wie in Italien und Deutschland wollten 20 Zitiert nach: Kerekes, Lajos 1966: Abenddämmerung einer Demokra- die etablierten bürgerlichen Kreise auch hierzulande tie. Mussolini, Gömbös und die Heimwehr, Wien-Frankfurt-Zürich, S 15 den Faschismus als Waffe gegen die ArbeiterInnen- faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 31

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Um einen Bürgerkrieg zu provozieren veranstaltet die Heimwehr 1928 und 1929 im ganzen Land Aufmärsche und greift so- zialdemokratische Einrichtungen an ·

bewegung benutzen, ohne die Kontrolle über ihn zu auf den schnell wachsenden Heimwehrapparat ge- verlieren. Nachdem Seipel nur zu gut wusste, dass er währleistet bleiben. Doch die Heimwehr hatte zu die- den Umbau Österreichs zu einer Heimwehr-Diktatur sem Zeitpunkt eine Stärke erreicht, die es ihr ermög- politisch kaum überleben würde, schlug er das An- lichte, Streeruwitz die Stirn zu bieten und ihn schließ- sinnen ab, die Demokratie auf dem Gesetzesweg zu lich nach wenigen Monaten zu stürzen. beseitigen.

Im Frühjahr 1929 kam es wegen der fatalen wirt- Johann Schober, der "Wiener Bluthund" schaftlichen und sozialen Situation in Österreich zu ei- von 1927, wird nach dem Sturz von ner Regierungskrise. Seipel trat zurück, ihm folgte der Streeruwitz neuer Bundeskanzler. Ihm einflussreiche Industrielle Streeruwitz. Wie sein traut die Heimwehr die angestrebte Vorgänger stand Streeruwitz den Putschplänen der Beseitigung der Demokratie zu Heimwehr reserviert gegenüber und sah in ihr eher eine Gefahr als einen Verbündeten. Der neue Kanzler Sein Nachfolger war Schober, in den die Heimwehr war daher bemüht, den Einfluss der Heimwehr zurück- große Hoffnungen setzte. Nach ihren Vorstellungen zudrängen, indem er ihre Geldgeber aus der sollte Schober durch eine neue, autoritäre Verfassung Industriellenvereinigung dazu veranlasste, die Zu- aus der Republik den "Heimwehr-Staat der Stände" wendungen zu drosseln. Zusätzlich versuchte er, durch machen. Der neue Bundeskanzler hatte außerdem be- einen Rechtsruck der Christlichsozialen Partei, den wiesen, dass er kaum Skrupel haben würde, in be- Heimwehren auch ideologisch den Wind aus den währter Manier eventuelle Widerstände der Sozial- SEITE|31 Segeln zu nehmen. Durch Masseneintritte von Christ- demokratie gegen die Errichtung einer Diktatur zu lichsozialen sollte außerdem der bürgerliche Einfluss brechen. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 32

Aber selbst wenn: welche Politik? Wie bereits darge- DIE HEIMWEHR VOR DER SELBSTAUFLÖSUNG stellt, war die Heimwehr ein bunter Haufen reaktionä- Relativ bald wurde aber klar, dass Schober die rer Kräfte aller Schattierungen. In ihr versammelten Konfrontation mit der Sozialdemokratie noch nicht ris- sich Deutschnationale, Nazis, Christlichsoziale und kieren wollte. Er unternahm zwar nichts gegen die Monarchisten, die nur vom Ziel zusammengehalten permanenten Provokationen und Übergriffe der wurden, "dem Marxismus" den Garaus zu machen. Heimwehr, war aber nicht bereit, gemeinsam mit ihr Jetzt, wo der finanzielle Spielraum geringer wurde, loszuschlagen. Die Heimwehr, Bankiers wie Baron musste die Heimwehr ihre öffentliche Agitation massiv Louis Rothschild und der rechte Flügel der Christ- einschränken. Dafür war nun Zeit, interne Rechnungen lichsozialen sahen ihre Felle davonschwimmen und zu begleichen - es entbrannten die lange schwelenden drängten zur Offensive. Sie befürchteten zu Recht, die Konflikte zwischen den verschiedenen Fraktionen Heimwehr könnte ihre Stoßkraft verlieren und durch innerhalb der Heimwehr. Der Flügel um Bundesführer interne Konflikte zerrieben werden, wenn mit dem Steidle weigerte sich, mit der Christlichsozialen Partei "Entscheidungsschlag" noch lange zugewartet werden ganz zu brechen, während die Deutschnationalen und würde. Aber Schober gab nicht nach und machte so- Nazis um den steirischen Heimwehrführer Pfrimer für wohl den aus-, wie den inländischen Gönnern der einen Zusammenschluss mit den Nazis waren. Ein Heimwehr erfolgreich klar, er würde ihre Interessen Versuch, die politischen Grabenkämpfe zu beenden allemal besser vertreten und die Abschaffung der und zu einer gemeinsamen Ideologie zu finden, war Demokratie sei nur aufgeschoben, keinesfalls aufge- der "Korneuburger Eid". Im Rahmen eines Heimwehr- hoben. Als daraufhin die Heimwehr-Finanzen wieder Aufmarsches im Mai 1930 im niederösterreichischen empfindlich reduziert wurden, zeigte sich, wie sehr de- Korneuburg21 schworen die versammelten Heimwehr- ren Stärke von den Zuwendungen der herrschenden führer und ihre Gefolgschaft einen faschistischen Eid. Eliten abhing. Über eine entsprechende Massenbasis verfügte die Faschistentruppe nur, so lange sie ihre Der ungarische Historiker Lajos Kerekes urteilt darü- Anhänger angemessen bezahlen konnte. Sie war dem- ber: "Der Text des Eides war eine komprimierte nach durch die Abhängigkeit von ihren Geldgebern Zusammenfassung aller antidemokratischen geistigen rein praktisch gar nicht in der Lage, eigenständige Strömungen der 20er Jahre." Mit anderen Worten: Für Politik zu betreiben. jede unterschiedliche ideologische Richtung innerhalb der Heimwehr sollte etwas dabei sein - ein ideologi- Sozialstruktur der Heimwehr

Herkunft der Heimwehr-MMitglieder nach Berufsgruppen 21 Organisiert hatte das Treffen in Korneuburg übrigens der "verdien- 70% Bäuerliche Bevölkerung te Demokrat" und damalige niederösterreichische Heimwehr- Alte [städtische] Oberschichten Landesführer Julius Raab. Aufgrund seiner faschistischen Vergan- der Habsburgermonarchie genheit hielten die Alliierten nach 1945 Raab zunächst für ungeeig- Industrie- und Gewerbearbeiter net, ein hohes politisches Amt zu bekleiden und verhinderten deshalb seine Ernennung zum Regierungsmitglied.

Die Heimwehr war - trotz ihres Quelle: New York Times, 2. 12. 1928, Zitiert nach: Botz, Gerhard 1980: Anspruchs eine "Volksbewegung" Soziale Basis und Typologie der österreichischen Faschismen im inner- SEITE|32 20% zu sein - eine bäuerliche österreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz, Bertrand u. a. Bewegung mit starkem Rückhalt (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 21. 10% im städtischen Bürgertum faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 33

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sches Flickwerk sollte zum programmatischen Prunk- Der Korneuburger Eid im Wortlaut teppich werden. Der Nutzen dieses Manövers war da- her naturgemäß eher gering, nur kurze Zeit später "Wir wollen Österreich von Grund aus erneuern! Wir entflammten die Auseinandersetzungen von Neuem. wollen den Volksstaat des Heimatschutzes. Wir fordern von jedem Kameraden: den unverzagten Plötzlich zog aber ein taktischer Schritt Schobers die Glauben ans Vaterland, den rastlosen Eifer der Mit- Aufmerksamkeit der Streithähne auf sich: Um auslän- arbeit und die leidenschaftliche Liebe zur Heimat. dische (besonders westliche) Geldgeber zu beruhigen, Wir wollen nach der Macht im Staate greifen und zum hatte Schober öffentlich ein Gesetz zur Entwaffnung Wohle des gesamten Volkes Staat und Wirtschaft neu der paramilitärischen Verbände vorgeschlagen. Davon ordnen. betroffen sollten die Heimwehren nur auf dem Papier Wir müssen eigenen Vorteil vergessen, müssen alle sein, der Vollzug des Gesetzes hätte ausschließlich den Bindungen und Forderungen der Parteien, müssen un- Republikanischen Schutzbund betroffen, wie den sere Kampfziele unbedingt unterordnen, da wir der Heimwehrführern vom Bundeskanzler schon vorab Gemeinschaft des deutschen Volkes dienen wollen! versichert worden war. Trotzdem lehnten sie den Wir verwerfen den westlichen demokratischen Parla- Entwurf mit viel Getöse kategorisch ab und behaupte- mentarismus und den Parteienstaat! Wir wollen an ten, Schober stecke mit der Linken unter einer Decke seine Stelle die Selbstverwaltung der Stände setzen und sei ein Feind der Heimwehr. und eine starke Staatsführung, die nicht aus Parteienvertretern, sondern aus den führenden Als Ersatz für den Verlust Schobers als mächtigen Personen der großen Stände und aus den fähigsten Fürsprecher wollte die Heimwehr bei der anstehenden und bewährtesten Männern unserer Volksbewegung Neubestellung des Bundesbahnpräsidenten einen gebildet wird. Gewährsmann ins Amt hieven: Der Direktor der Wir kämpfen gegen die Zersetzung unseres Volkes Grazer Verkehrsbetriebe, Strafella, sollte in der durch den marxistischen Klassenkampf und liberal-ka- Chefetage der Eisenbahn Sorge dafür tragen, dass die pitalistische Wirtschaftsgestaltung. "Reorganisation" der Eisenbahn möglichst schnell und Wir wollen auf berufsständischer Grundlage die reibungslos vonstatten ginge. Gemeint war damit, die Selbstverwaltung der Wirtschaft verwirklichen. Wir Bahn von jeder sozialdemokratischen Einflussnahme werden den Klassenkampf überwinden, die soziale zu säubern, um ungestört Waffen- und Truppen- Würde und Gerechtigkeit herstellen. transporte der Heimwehren bewerkstelligen zu kön- Wir wollen durch eine bodenständige und gemeinnüt- nen. Strafella schien hierfür genau der Richtige zu zige Wirtschaft den Wohlstand unseres Volkes heben. sein, hatte er sich doch als ehemaliger Chef der Der Staat ist die Verkörperung des Volksganzen, seine Grazer Verkehrsbetriebe beim Abwürgen von Streiks Macht und Führung wacht darüber, dass die Stände schon mehrfach bewährt und galt als untadeliger den Notwendigkeiten der Volksgemeinschaft einge- Sozihasser. ordnet bleiben. Jeder Kamerad fühle und bekenne sich als Träger der Die Sozialdemokratie teilte diese Einschätzung und neuen deutschen Staatsgesinnung; er sei bereit, Gut machte eine Korruptionsaffäre während der Infla- und Blut einzusetzen, er erkenne die drei Gewalten: tionszeit publik, an der Strafella maßgeblich beteiligt den Gottesglauben, seinen eigenen harten Willen, das gewesen war. Schober setzte eine Untersuchungs- Wort seiner Führer!" kommission ein; nachdem diese die sozialdemokrati- SEITE|33 schen Vorwürfe bestätigte, war Strafella in der Öffent- lichkeit moralisch erledigt. Als wäre diese Niederlage faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 34

klamation fest: Egal, wie das Wahlergebnis aussehen würde, sein fester Wille sei die Zerschlagung des par- lamentarischen Systems und die Errichtung eines "Heimwehrstaates".23 Die faschistischen Heimwehren bedrohten damit aber nicht nur die Demokratie. Sie machten darüber hinaus auch gegenüber ihren bür- gerlichen Gönnern in den Reihen der Christlich- sozialen klar, dass es mit der Rolle als deren Ketten- Der nunmehrige Bundesführer der Heimwehr, "Fürst" Rüdiger hund vorbei wäre. In einem Anfall maßloser Selbst- Starhemberg in Feldherrenpose. Nach dem Ersten Weltkrieg hat er überschätzung beschloss die Heimwehr, bei den Parla- sich in rechtsradikalen Zirkeln in Deutschland umgetan, kämpfte in mentswahlen als "Heimatblock" selbst zu kandidieren. den berüchtigten "Freikorps" für die großdeutsche Sache und nahm am Naziputsch 1923 in München teil Der Wahlkampf des Heimatblocks 1930 war in Form und Inhalt konsequent faschistisch. Von Kanzler für die Heimwehrführung nicht schon bitter genug ge- Vaugoin stillschweigend toleriert, kam es zu perma- wesen, ging nun Schober seinerseits zum nenten Provokationen und Übergriffen gegen die Generalangriff über. Er begann, die ihm feindlich ge- Sozialdemokratie. Dass aber auch die Christlich- sinnte Führungsriege der Heimwehr zu demontieren, sozialen sich letztlich vor der Heimwehr nicht sicher um sie durch einen Mann seines Vertrauens, den jun- fühlen durften, bewiesen neuerliche Putschpläne24. Im gen Fürsten Starhemberg, zu ersetzen. Rahmen eines militärischen Handstreichs, dessen Details einer der höchsten Offiziere des Bundesheeres, Unterstützt von den italienischen Geldgebern wurde General Ellison, für die Heimwehr ausgearbeitet hatte, der bisherige Bundesführer Steidle gestürzt,22 aller- sollte Vaugoin gestürzt werden und Starhemberg zum dings täuschte sich der große Intrigant Schober in der Diktator gemacht werden. Das Vorhaben scheiterte Treue seines neuen Gefährten Starhemberg. allerdings an der mangelnden Unterstützung durch Als nämlich der rechte Flügel der Christlichsozialen um Ungarn und Italien, die das Unternehmen an Seipel und überraschend an der Bundeskanzler Vaugoin verrieten. Ernennung Strafellas zum Bundesbahnpräsidenten festhielt und zwei Bundesminister auf Schobers Wei- Das Ergebnis der Wahl schließlich war für Star- gerung dem nachzukommen zurücktraten, war damit hemberg und seine Recken niederschmetternd: Die die gesamte Regierung am Ende. Mit der Bildung ei- SDAPÖ wurde mit Abstand zur stärksten Partei, der ner Übergangsregierung wurde Schobers Erzrivale "Heimatblock", der sich während des Wahlkampfes Vaugoin beauftragt. Und der schanzte das damals zum "einzigen Wahrer nationaler Interessen" stilisiert wichtigste Ministerium, jenes für Innere Angelegen- hatte, errang von insgesamt 165 Mandaten im neuen heiten, zur allgemeinen Überraschung ausgerechnet Parlament jämmerliche acht Plätze. Starhemberg zu. Dessen Aufgabe als frischgebackener Innenminister wäre die Vorbereitung der Neuwahlen 23 In seinen Memoiren schrieb Starhemberg später über seine neuen gewesen. Doch schon vor dieser Wahl legte sich der ministeriellen Würden: "Ich gestehe offen, dass ich in das Kabinett neue Heimwehrführer in einer öffentlichen Pro- Vaugoin mit der Absicht eintrat, einen Staatsstreich zuwege zu brin- gen. (...) Obwohl ich vorhatte für einen Staatsstreich zu arbeiten, SEITE|34 22 Als formaler Grund für den Sturz diente die zwielichtige wollte ich gleichzeitig loyal gegenüber Vaugoin bleiben und den Verwendung italienischer Fördermittel, für die Steidle verantwortlich Staatsstreich mit seiner Mitarbeit und der Armee durchführen." gewesen war. 24 Später bekannt geworden unter der Bezeichnung "Ellison-Putsch". faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 35

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Dadurch wurde deutlich, dass von einer faschistischen Sozialdemokratisches Spottlied auf die Kandi- Mehrheitsfähigkeit keine Rede sein konnte, die datur des "Heimatblocks" bei den National- Parolen Starhembergs, der sich als Volkstribun gebär- ratswahlen 1930 (nach der Melodie von Prinz Eugen): det hatte, waren endgültig zur Lachnummer verkom- men. Schwer deprimiert zog die Heimwehrführung die Starhemberg, der edle Ritter Konsequenzen und kündigte an, sich zwecks "Reo- rganisation" auf außerparlamentarische Aktivitäten Starhemberg, der edle Ritter, zurückzuziehen. Durch die Weigerung des Wollt´ den Kaiser wied´ rum kriegen Heimatblocks, mit den Christlichsozialen zu koalieren, Österreich und die Stadt Wien. war das Schicksal Vaugoins als Kanzler besiegelt. Es Los auf Wien tut er marschieren, kam schließlich zu einer gemeinsamen Regierung von Wird die Sozi malträtieren Christlichsozialen und Schober-Block unter Ender. Bis sie liegen auf den Knien. Die angekündigte "Reorganisation" der Heimwehr er- Starhemberg, der edle Ritter, wies sich als erneutes Ausbrechen von Flügelkämpfen Lernte putschen bei Herrn Hitler, zwischen deutschnationalen und katholisch-reaktionä- Und er lernte rasch und gleich, ren Elementen, die beinahe das Ende der Heimwehr Und so war nach kurzer Frist er eingeläutet hätten. Jüngster Polizeiminister In dem Staate Österreich. Starhemberg, der sich mit Müh und Not behaupten konnte, entdeckte in dieser misslichen Lage unerwar- Starhemberg, du edler Ritter, tet seine Loyalität zu den Christlichsozialen wieder. Im November wird es bitter, Dabei dürften aber weniger ideologische Überlegun- Denn dann geht das Volk ans Werk. gen eine Rolle gespielt haben, als schwere Finanznöte Donnernd dröhnt der Massen Wille des Jungaristokraten. Weil er für den Aufbau der Und du gehst in aller Stille Heimwehr beträchtliche Mittel aus eigener Tasche bei- Wied´rum heim nach Waxenberg. gesteuert hatte, bewegte er sich am Rande des Ruins. Als Baron Rothschild, der mächtigste Mann in Öster- reichs Bankenkreisen, nun sämtliche Wechsel (d. h. Wahlergebnisse 1919 - 1930 Schuldscheine) Starhembergs aufkaufte, machte er Parteien 1919 1920 1923+ 1927 1930+ den Heimwehrführer finanziell praktisch von sich ab- Christlichsoziale 36 42 45 49* 36 hängig. Vor dem Schicksal, als "Bundesführer" der in Auflösung befindlichen Heimwehr am Ende als Kaiser Sozialdemokratie 41 36 40 42 41 ohne Reich da zu stehen, bewahrten Starhemberg am Deutschnationale 18 17 13 6 12° Ende nur äußere Umstände. Sonstige 5 5 3 3 12 * Einheitsliste von Großdeutschen und Christlichsozialen ° Eingerechnet die 6 Prozent, die vom Heimatblock erreicht wurden + Summe von 101 Prozent aus gerundeten Einzelergebnissen Quelle: Erika Weinzierl u. a. (HgIn) 1983: Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, 2 Bände, Graz; Zitiert nach: Hanisch, SEITE|35 Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesell- schaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien, S 127. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 36

Die steirische Heimwehr unternimmt unter dem Kommando ihres Führers, des eingefleischten Nazi Walter Pfrimer, im September 1931 einen Putschversuch. Im Verlauf von Kämpfen werden mehrere Arbeiter von Heimwehrleuten getötet (links: Begräbnis eines Schutzbündlers). Pfrimer wird nach dem Zusammenbruch des Putsches vor Gericht freigesprochen und verlässt unter dem Jubel seiner Anhänger den Gerichtssaal (rechts)

DIE HEIMWEHR VERSUCHT Duldung unternahm Starhemberg einen neuen DIE EINIGUNG MIT DEN NAZIS Anlauf, die marode Heimwehr auf Vordermann zu Bedingt durch die Wirtschaftskrise und einen von bringen und konzentrierte sich dabei auf zwei Punkte: Frankreich und seinen Verbündeten schließlich verei- Die Heimwehr nahm zähneknirschend zur Kenntnis, telten Zollunionsplan Österreich-Deutschland fühlte dass sie in den Städten den verhassten "Roten" nicht sich der deutschnationale Block der Heimwehr um das Wasser reichen konnte und es ihr nicht gelungen Pfrimer stark genug, einen Umsturz zu versuchen war, Arbeiter in ernstzunehmendem Ausmaße zu ge- ("Pfrimer-Putsch"). Unterstützt von deutschen Indus- winnen. Folgerichtig wurde fortan versucht, vor allem triekreisen und Rechtsradikalen25 startete die steirische unter den von der Wirtschaftskrise arg gebeutelten Heimwehr am 13. September 1931 einen Putsch, der Bauern Mitglieder zu rekrutieren. In den Ballungs- jedoch innerhalb kürzester Zeit desaströs zusammen- zentren nahmen die Heimwehraufmärsche ab jetzt brach. praktisch ausschließlich den Charakter von Macht- demonstrationen gegenüber der ArbeiterInnenbe- Auch wenn die Drahtzieher des Putsches samt und wegung an. Darüber hinaus war auch den größten sonders frei gingen26, hatten sie nach einer solchen Optimisten innerhalb der Heimwehr durch das Niederlage keine Möglichkeiten mehr, Starhemberg Wahlergebnis im November 1930 klar geworden, dass als bundesweiten Chef der Heimwehr in Frage zu stel- sie aus eigener Kraft die Macht im Staate nicht würden len. Im Juni 1931 trat das Kabinett Ender zurück, erringen können. Deshalb versuchte Starhemberg Grund dafür waren die gescheiterten Zollunionspläne, nach dem Vorbild der "Harzburger Front"27 alle rechten neuer Regierungschef wurde Buresch. Mit dessen und rechtsradikalen Organisationen unter der Führung der Heimwehr zu einem Bündnis zusammen- zufassen. Um mit den Nazis, die von den deutschen 25 Der wichtigste deutsche Finanzier der Heimwehr hatte durch seine Entwicklungen bestärkt auch in Österreich rasch an Unterstützung für die Nazis bereits Erfahrung im Sponsoring von Einfluss gewannen, handelseins zu werden, reiste Faschisten: Albert Vögler, Generaldirektor der Vereinigten Starhemberg Anfang 1932 nach Berlin und verhandel- Stahlwerke, ließ den Hahnenschwanzlern über die Alpine-Montan te dort unter anderem auch mit Hitler persönlich.28 (den bedeutendsten Industriebetrieb in Österreich, der durch deut- sches Kapital dominiert war) große Summen zukommen. 26 Die Freisprüche gegen Pfrimer und Konsorten - trotz der Toten und 27 Die "Harzburger Front" war jenes Abkommen gewesen, durch das Verletzten, die der Putsch gekostet hatte - spiegelten den generellen sich die Nazis in Deutschland 1931 die grundsätzliche Unterstützung Umgang der Justiz mit politisch motivierter Gewalt wider. Ging die anderer rechter Organisationen gesichert hatten. Gewalt, wie in diesem Fall, von der Rechten aus, galt sie als Kava- 28 Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass es der Heimwehr zu SEITE|36 liersdelikt und wurde, wenn überhaupt, nur mit lächerlich geringen keinem Zeitpunkt darum ging, die Nazis grundsätzlich zu bekämp- Strafen belegt, während linke Gewaltakte drakonisch geahndet wur- fen: Solange sie den Führungsanspruch der Heimwehr nicht in Frage den. stellten, war man dort für weitgehende Allianzen jederzeit zu haben. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 37

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Den Christlichsozialen waren diesbezügliche Ambi- Thematik auseinander setzten, unterwanderten diese tionen Starhembergs begreiflicherweise nicht ganz ge- schrittweise und übernahmen sie schließlich. Auf diese heuer. Um die Wirtschaftskrise zu bewältigen, bemüh- Weise konnten ganz unterschiedliche gesellschaftliche te sich Buresch intensiv um neue Auslandskredite und Gruppen mit teils widersprüchlichen Interessen ge- verhandelte zu diesem Zweck mit Frankreich. Gleich- wonnen werden, von bäuerlicher Bevölkerung über zeitig nahm der Bundeskanzler eine Kabinetts- Angestellte bis hin zu Gewerbetreibenden. umbildung vor: Der Schober-Block flog aus der Koali- tion, an seine Stelle trat der ebenfalls deutsch- Waren die anfänglichen Mitgliederzuwächse eher be- nationale Landbund, der den Heimwehr-Bestrebungen scheiden, so stiegen sie in der Wirtschaftskrise ab 1930 skeptisch gegenüberstand. Als die Heimwehr sich den schlagartig an und explodierten Anfang 1933 richtig- Verhandlungen mit Frankreich massiv widersetzte, gehend. Erst das Verbot der NSDAP am 19. Juni 1933 wurde von der Regierung einmal mehr ihre Ent- bremste den Zulauf wieder nachhaltig. Auffallend da- waffnung erwogen. Aber wie auch davor in solchen bei war besonders die hohe Fluktuation der Mit- Fällen wurde letztlich davon abgesehen - im Hinblick glieder: Es war durchaus keine Seltenheit, dass diese auf die Sozialdemokratie meinten die Herren, auf ih- mehrmals aus- und wieder eintraten, im Gegenteil ren Kettenhund nicht verzichten zu können. traf das auf etwa 45 Prozent aller Parteimitglieder vor 1938 zu (!).29 Dieses Faktum beweist eindeutig, dass die oft behauptete "magische Anziehungskraft" der DIE NAZIS VERBUCHEN NACH LANGER Nazis keineswegs so total war, wie im Nachhinein oft DURSTSTRECKE ERSTE ERFOLGE behauptet, sondern dass sich schon in der Nach der tiefen Krise von 1923 organisierten sich die Aufstiegsphase viele wieder enttäuscht abwandten. österreichischen Nazis im Jahr 1926 neu. Sie nannten Das ließe sich übrigens auch anhand des Ge- sich jetzt "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter- schlechterverhältnisses des NS-Wahlvolks nachweisen: partei - Hitlerbewegung" und unterstellten sich in ih- Bis 1932 waren nur etwa 7 Prozent der österreichi- rem Statut der deutschen NSDAP. Wie die Nazis im schen NSDAP-Mitglieder weiblich, 1933 kletterte die- "Altreich" setzten auch ihre Konsorten in der "Ost- ser Wert auf ca. 11 Prozent. Von der sozialen Herkunft mark" auf ein ausgeklügeltes System von Vor- feldorganisationen. Diese konzentrierten sich jeweils 29 Vgl. Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichi- auf ganz spezifische Teile des Parteiprogramms. Sie schen Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, knüpften Kontakte zu bereits bestehenden Gruppen in: Perz, Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, und Organisationen, die sich mit der gleichen S 34.

Nazis in Innsbruck 1933. Die österreichischen Nazis profitieren massiv von der Wirtschaftskrise. Ihre Wahlsiege gehen aber fast vollständig zulasten der bürgerlichen Parteien, un- ter demokratischen Vor- zeichen erweist sich das so- SEITE|37 zialdemokratische Klientel als weitgehend resistent

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Ein Ereignis im April 1932 steigerte die Nervosität Die Sozialstruktur der NSDAP in Österreich 1932 innerhalb von Regierung und Heimwehr beträchtlich und bestärkte und vereinte sie schließlich auch in ih- Berufsgruppe Anteil unter den Anteil an der Ge- rem Streben nach einer raschen und "totalen" Lösung: NSDAP-Mitglie- samtbevölkerung dern Bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen am 24. Bauern 13,8 % 10,8 % April 1932 konnten die Nazis gewaltige Zugewinne verbuchen. Wie schon zuvor in Deutschland gelang Selbständige (Gewerbe/Handel) 6,4 % 12,3 %* dieser Sieg aber nicht auf Kosten der Linken, die eben- Handwerker 11,7 % falls vielerorts hatte zulegen können, sondern es mus- Arbeiter 18,1 % 53,5 % ° sten vor allem die Rechtsparteien, allen voran Angestellte 14,9 % 11,4 % Landbund und Großdeutsche, Federn lassen. Aber Beamte 26,5 % 10 % auch die christlichsozialen Verluste an die Nazis waren Freie Berufe 4,3 % 1 % beträchtlich. Studenten 4,3 % k.A. DER WEG IN DIE DIKTATUR * Selbstständige in Handel, Gewerbe und Handwerk zusammen ° Arbeiter und unselbstständige Handwerker zusammen Ab diesem Zeitpunkt war das österreichische Kräfteverhältnis neu gemischt. Die Christlichsozialen Quelle: Botz, Gerhard 1980: Soziale Basis und Typologie der österreichischen hatten entweder die Möglichkeit, gemeinsam mit den Faschismen im innerösterreichischen und europäischen Vergleich, in: Perz, SozialdemokratInnen dem wachsenden Einfluss der Bertrand u. a. (Hg.): Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/81, Wien, S 41. Nazis entgegenzuwirken, oder gemeinsam mit den Nazis die Sozialdemokratie endgültig zu zerschlagen. ihrer Mitglieder her waren die Nazis ebenso wie in Als dritte Option blieb ein Zweifrontenkrieg, sowohl Deutschland vor allem eine mittelständische Partei. gegen die Linke, als auch gegen die Nazis. Nachdem aber bei den nächsten Parlamentswahlen nicht mehr Erst die Zerschlagung der Sozialdemokratie und der damit zu rechnen war, dass eine rechte Mehrheit ab- freien Gewerkschaften durch die Dollfuß-Diktatur seits der Nazis möglich sein würde, musste rasch eine machte es den Nazis möglich, in der ArbeiterInnen- Entscheidung her. Als Verbündete für eine christlichso- schaft Fuß zu fassen. Die österreichische NSDAP war ziale Diktatur bot sich die Heimwehr an. Denn durch also lange Zeit besonders eine Partei von An- die starken Zugewinne der Nazis war spätestens jetzt gestellten, BeamtInnen und AkademikerInnen. Ihr endgültig klar, dass in einer österreichischen Neu- gelang es auch nur kaum, Anfang der 20er rechte auflage von Harzburg nicht nur die Heimwehr, son- Kriegsheimkehrer an sich zu binden - diese organi- dern auch die Nazis einen Führungsanspruch geltend sierten sich vorrangig in der Heimwehr. Der Aufstieg machen würden. Nach den Landtags- und Gemeinde- der Nazis ging in erster Linie auf Kosten der Groß- ratswahlen forderten sowohl Nazis als auch Sozial- deutschen Partei, etwas abgeschwächt auch der demokratie vehement Neuwahlen.30 Christlichsozialen. Erst relativ spät gelang der Einbruch ins bäuerliche Milieu, wo bis in die 30er 30 Die Führung der SDAPÖ hoffte, durch Neuwahlen erneut Stimmen Jahre der "Konkurrenzfaschismus" der Heimwehr ton- zulegen zu können und die Christlichsozialen (weil diese stark an die angebend war. Die Entwicklung der NSDAP zur Nazis verloren hätten) in eine Koalition gegen die Nazis "zwingen" SEITE|38 Massenpartei geschah in Österreich ebenso wie in zu können - eine naive Annahme. Die Nazis ihrerseits hatten ähnli- Deutschland erst unter dem Eindruck der Wirt- ches unter umgekehrten Vorzeichen im Sinn. Sie wollten die schaftskrise. Christlichsozialen in ein "Harzburg" unter ihrer Führung drängen. faschism2.qxd 12.03.2007 22:35 Seite 39

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Unter dem Druck dieser Forderungen trat Buresch Anfang Mai 1932 zurück. Sein Nachfolger wurde der bisherige Landwirtschaftsminister Engelbert Dollfuß. Er suchte gleich zu Beginn seiner Amtszeit den Ausgleich mit den deutschnationalen Kräften, soweit diese (noch) keine deklarierten Nazis waren. Um die "Völkischen" einzubinden, holte Dollfuß drei deut- schnationale Heimwehrführer, unter ihnen den steiri- schen Landeshauptmann Rintelen, in die Regierung. Diese Maßnahme wiederum rief das faschistische Italien auf den Plan: Um ein Erstarken anschluss- freundlicher Kräfte zu verhindern und eine baldige "Abrechnung mit dem Marxismus" zu forcieren, stei- gerte Mussolini seine Unterstützung für die Heimwehr drastisch.

Seine Hilfe bestand unter anderem in riesigen illega- Streikende Eisenbahner am 1. März 1933. Sie protestieren gegen die offensichtlichen Putschpläne len Waffenlieferungen. Eine davon wurde im Jänner der Heimwehr, der Streik wird auf Befehl von Dollfuß durch die Exekutive gewaltsam unterdrückt 1933 durch Eisenbahngewerkschafter aufgedeckt und die Causa sorgte als "Hirtenberger Waffenaffäre" im Während sich die Sozialdemokratie passiv und abwar- In- und Ausland für Schlagzeilen. Konsequenzen für tend verhielt, wurde sie von Dollfuß und seinen faschi- die Heimwehr blieben aber wie immer aus. stischen Handlangern permanent provoziert und öf- Allerspätestens jetzt hätte der Sozialdemokratie klar fentlich gedemütigt: Das Parteiorgan der SDAPÖ, die sein müssen, dass sie in ihrem Hoffen auf eine antifa- "Arbeiterzeitung" wurde beschlagnahmt und mit der schistische Koalition gemeinsam mit den Christ- Auflösung des Schutzbundes in Tirol dessen landes- lichsozialen einem Wunschtraum aufgesessen war. weites Verbot eingeläutet. Dollfuß war nicht an einer Koalition mit den verhas- sten "Bolschewiken" interessiert. Statt dessen einigte Gleichzeitig erhielt die Heimwehr, von der dauernd er sich mit Starhemberg und legte sich damit auf einen Überfälle und Anschläge auf die Linke ausgingen, offi- antidemokratischen Kurs fest.31 ziell den Status einer "Notpolizei". Hinzu kam eine

31 Es hat also keineswegs - wie heute oft noch behauptet - nur den Weg in die Diktatur gegeben. Es war eine politische Entscheidung der Christlichsozialen, nicht in einer gemeinsamen Front mit den SozialdemokratInnen den faschistischen Strömungen die Stirn zu bieten. Es war eine politische Entscheidung, gemeinsam mit der Heimwehr eine Diktatur zu errichten und den einzigen mächtigen Verbündeten im Kampf gegen rechts, die Sozialdemokratie, niederzumachen. Dollfuß und sein Nachfolger Schuschnigg verkannten die politische Lage völlig. Um den Nazis im eigenen Land Paroli bieten zu können und dem Druck durch das faschistische Deutschland Stand zu halten, wäre die einzige Perspektive mit tat- sächlichen Erfolgsaussichten ein Bündnis mit der Sozialdemokratie gewesen. Die aber wurde zerschlagen, ihre FunktionärInnen verfolgt, einge- sperrt und ermordet. Damit lieferten sich der "Ständestaat" und seine christlichsozialen Diktatoren auf Gedeih und Verderb dem ebenfalls faschi- SEITE|39 stischen Italien aus. Von diesem endgültig fallen gelassen, konnte dem Vordringen des deutschen Faschismus einige Jahre später nichts mehr ent- gegengesetzt werden. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 40

Der somit vorprogrammierte Konflikt mit den Nazis hielt Dollfuß aber nicht davon ab, weiterhin aus- schließlich gegen die Linke vorzugehen. Gestützt auf Während Dollfuß die Sozialdemokratie Schritt für Schritt drangsalieren und demütigen die "Hahnenschwanzler" ging es ab dem Frühjahr lässt, wird die faschistische Heimwehr von der Regierung zur "Notpolizei" ernannt. Jetzt 1933 Schlag auf Schlag: wird sie auch hochoffiziell aus den Arsenalen des Bundesheeres und der Polizei mit Waffen versorgt. Im Bild: An die nunmehrigen "Notpolizisten" Am 4. März wurde unter fadenscheinigen Gründen das werden Gewehre aus Polizeibeständen ausgegeben Parlament ausgeschaltet33. Dollfuß regierte von nun an diktatorisch mit Hilfe von Notverordnungen auf Basis permanente Terrorisierung der Sozialdemokratie des "kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes" durch Polizei, Bundesheer und Heimwehr, offiziell als von 1917, das seine Juristen ausgegraben hatten, um "Waffensuchen" bezeichnet. der Beseitigung der Demokratie einen legalen Anstrich zu verpassen.34 Am 7. März wurde die Presse- Im Jänner 1933, mitten in der Aufregung um die ita- Vereins- und Versammlungsfreiheit massiv einge- lienischen Waffenlieferungen an die Heimwehr, wurde schränkt. Am 31. März 1933 wurde der Repu- von der Exekutive ein Eisenbahnstreik gewaltsam blikanische Schutzbund verboten, ein Monat später unterdrückt. Auch darauf reagierte die Sozialdemo- kam es zu großangelegten Verhaftungswellen gegen kratie nur sehr verhalten und beschränkte sich auf for- Mitglieder und FunktionärInnen der ebenfalls aufge- melle Proteste. Aus heutiger Sicht scheint es fast so, als lösten KPÖ. Zeitgleich wurde der traditionelle "Mai- ob sich ihre Führung schlicht weigerte, die Realität an- aufmarsch" der Sozialdemokratie verboten. zuerkennen - dass Dollfuß' Politik sich ausschließlich gegen sie und kaum gegen die Nazis richtete. Währenddessen hatten die Nazis Zeit, in aller Ruhe Mit denen war der Kanzler nämlich durchaus bereit zu ihre Offensive vorzubereiten. Als vom Deutschen Reich paktieren - trotz der permanenten Gewalt, die von ih- am 27. Mai 1933 die "1000-Mark-Sperre"35 erlassen nen gegen andere Gruppen, vor allem gegen wurde, um den österreichischen Fremdenverkehr zum SozialdemokratInnen, ausging.32 Unter der Voraus- Erliegen zu bringen, war der Moment zum Los- setzung, dass sie seiner als "Verfassungsreform" be- schlagen gekommen: Mit einer bis dahin beispiellosen zeichneten, endgültigen Abschaffung der Demokratie Terrorwelle überzogen die Nazis Österreich. Und nun zustimmten, bot Dollfuß den Nazis wiederholt eine Regierungsbeteiligung an. Die österreichischen Nazis 33 Von der vielzitierten "Selbstausschaltung" konnte keine Rede sein. standen grundsätzlich einem Bündnis mit Dollfuß und Nachdem während der Sitzung am 4. März alle drei Parlaments- der Heimwehr zwar offen gegenüber, lehnten aber ab, präsidenten zurückgetreten waren, um als einfache Abgeordnete an nachdem Berlin Druck auf sie ausgeübt hatte. einer Abstimmung teilnehmen zu können, war das Parlament zwar kurzzeitig ohne Präsidenten, existierte aber natürlich als gesetzge- 32 Die Nazis hatten ihre terroristischen Aktivitäten während des bende Kraft weiterhin. Dollfuß ließ seine Polizei mit Waffengewalt Jahres 1932 kontinuierlich gesteigert und übertrafen schon gegen ein neuerliches Zusammentreten des Nationalrats verhindern und Ende der ersten Jahreshälfte die Heimwehr in der Zahl von Überfäl- sprach davon, der Parlamentarismus habe "sich selbst geköpft". len auf sozialdemokratische Einrichtungen und Veranstaltungen. 34 Wie wackelig das Konstrukt der "Notverordnung" war, ist aus der Ein wichtiger Grund dafür war besonders die Befürchtung, größere Tatsache ersichtlich, dass dem Verfassungsgerichtshof, der durchge- SEITE|40 Teile der eigenen Basis könnten zur SDAPÖ überlaufen. Um das zu hend aus Gefolgsleuten von Dollfuß bestand, nichts anderes übrig ge- verhindern, waren die Nazis daran interessiert, die Sozialdemokratie blieben wäre, als die Verordnungen aufzuheben. Bevor es aber dazu so schnell als möglich aus dem Weg zu räumen. kam, wurde der Verfassungsgerichtshof liquidiert. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 41

04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

1. Mai 1933 in Wien: Nachdem die Regierung den traditionellen so- waren zur Überraschung der Christlichsozialen nicht zialdemokratischen Maiaufmarsch verboten hat, ruft die Parteilei- mehr nur sozialdemokratische Einrichtungen Ziel der tung der SDAPÖ ihre AnhängerInnen zu einem "Mai-Spaziergang" braunen Banden. auf. Das Bundesheer riegelt Straßenzüge mit Stacheldraht ab und In den nächsten zwei Monaten kam es beinahe täglich überwacht die DemonstrantInnen mit schussbereiten MGs. zu Bombenanschlägen, Attentaten und Überfällen. Wer sich "auffällig" verhält wird verhaftet (unten) Weil die Strategie der Nazis offensichtlich die völlige

Nazis haben eine Lokomotive gesprengt. Obwohl die Brau- nen permanent im ganzen Land Bombenanschläge und Attentate verüben, richtet sich die Politik der Regierung Dollfuß fast ausschließlich gegen die Linke

Destabilisierung der innenpolitischen Situation zum Ziel hatte, sah sich Dollfuß gezwungen zu handeln. Die NSDAP wurde im Juni 1933 verboten und gegen die deutsche Unterstützung ihrer gewaltsamen Untergrundaktivitäten protestiert. Es ist aber festzu- halten, dass die Nazis durch ihre Eskalationsstrategie Dollfuß zu diesem Schritt drängten. Der Kanzler selbst wäre viel lieber mit ihnen handelseins geworden, statt nun einen - wie er meinte - "Bruderkrieg" führen zu müssen. Je mehr die Nazis der österreichischen Regierung zu schaffen machten, desto größer wurde der Einfluss der Heimwehr. Ihr schanzte Dollfuß das gerade in dieser Situation äußerst wichtige Sicher- heitsministerium zu, das Emil Fey fortan bekleidete.

35 Alle Deutschen, die fortan nach Österreich reisen wollten, mussten dafür die astronomisch hohe Summe von 1.000 Reichsmark bezah- len. Die Auswirkungen waren nicht nur für den österreichischen Fremdenverkehr, sondern für die gesamte Volkswirtschaft fatal. Diese Provokation war der offene Versuch, Österreich nicht mehr nur von innen zu destabilisieren, sondern es auch von außen wirtschaftlich in den Schwitzkasten zu nehmen. Dollfuß wusste jetzt, dass eine Konfrontation mit den Nazis unausweichlich war - und tat, als sei SEITE|41 nichts geschehen. Er rüstete weiterhin zur endgültigen Zerschlagung der Sozialdemokratie. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 42

Major a. D. Emil Fey in voller Adjustierung. Ausgerechnet der rabiateste Scharfmacher unter den Heimwehrführern wird von Dollfuß im Mai 1933 zum Sicherheits- minister ernannt berg eine Woche später die Heimwehr-Parla- mentsfraktion, den "Heimatblock", auf und überführte ihn in die im Mai 1933 gegründete "Vaterländische Front" (VF). Die VF war nach dem Vorbild der faschisti- schen Bewegungen in Italien und Deutschland geformt und sollte die Einheitspartei des künftigen faschisti- schen Staates darstellen.36

Im Herbst und Winter 1933 bemühte sich Dollfuß weiterhin verbissen um ein Arrangement mit den Nazis, während er gleichzeitig alle Angebote der Sozialdemokratie zu einer Zusammenarbeit aus- Die Österreichische Sozialdemokratie hatte mitange- schlug. Somit konnte niemandem mehr verborgen sehen, was mit ihrer Schwesterpartei in Deutschland bleiben, wen der Kanzler tatsächlich zu bekämpfen nach der Machtübernahme der Nazis geschehen war. gedachte. Sie wusste, dass ihr eigenes Bestehen direkt mit Öster- reichs Eigenständigkeit verknüpft war. Daher wäre die Erst jetzt begann die SDAPÖ, zögernd und viel zu spät, Partei zu sehr weitgehenden Zugeständnissen bereit Verteidigungsmaßnahmen zu ergreifen. Im Herbst gewesen, um mit den Christlichsozialen eine Koalition 1933 wurde beschlossen, einer endgültigen Auflösung einzugehen und gemeinsam die Nazis, und damit ei- der Partei bzw. der Gewerkschaft mit einem General- nen drohenden Anschluss, zu bekämpfen. An sozialde- streik, notfalls auch mit Waffengewalt, zu begegnen.37 mokratischen Angeboten zur Zusammenarbeit man- gelte es nicht - doch Dollfuß setzte seinen Feldzug ge- Dollfuß kündigt auf einer VF-Großveranstaltung am 11. September gen die Linke unbeirrt fort. Er sah ausgerechnet im fa- 1933 auf dem Wiener Trabrennplatz die endgültige Errichtung einer schistischen Italien den einzigen Garanten der öster- Diktatur an. Die Rolle der Einheitspartei nach faschistischem Muster reichischen Unabhängigkeit. Dieser Kurs war selbst soll die VF übernehmen innerhalb des bürgerlichen Lagers nicht unumstritten: Zu den GegnerInnen der Dollfußschen Politik zählten neben prominenten Köpfen der Christlichsozialen auch der Landbund-Vizekanzler Winkler. Um sich dieser Kritiker zu entledigen, nahm Dollfuß im September 1933 abermals eine Kabinettsumbildung vor und er- nannte Fey zum Vizekanzler - eine weitere Auf- wertung der Heimwehr. Im Gegenzug löste Starhem-

36 Nach der endgültigen Ausschaltung der Demokratie im Mai 1934 wurde die "Vaterländische Front" per Gesetz zur einzigen politischen Organisation Österreichs, in ihr ging schließlich auch die Heimwehr auf. VF-Führer wurde zunächst Engelbert Dollfuß, sein Stellvertreter Starhemberg. Nach den Worten von Dollfuß konnte "jedermann [also SEITE|42 auch Nazis, Anm.] Mitglied der VF werden, außer Sozialisten und Kommunisten". Nach Dollfuß’ Ermordung war Starhemberg bis zu seiner politischen Entmachtung 1936 Führer der VF. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 43

04| FASCHISMUS IN ÖSTERREICH

Das Jahr 1934 begann mit einer erneuten braunen Arbeiterkammern abgesetzt. Am 3. Februar wurden Terrorkampagne: Alleine im Jänner 1934 verübten die die wichtigsten Führer des Republikanischen Nazis 140 Bombenanschläge in Österreich. Dazu ka- Schutzbundes verhaftet und als sich noch immer kein men fast tägliche Übergriffe durch von Deutschland Widerstand regte, der einen Grund zum militärischen aus agierende bewaffnete Kommandos der "Österrei- Losschlagen geboten hätte, wurde am 8. Februar auch chischen Legion".38 Dollfuß ließ bei Mussolini anfra- noch das sozialdemokratische Parteihaus in Wien von gen, wie dieser über die österreichische Entwicklung bewaffneten Exekutivkräften durchsucht. denke und befolgte den postwendenden Rat des "Duce": Um den Nazis den Wind aus den Segeln zu Während in den Bundesländern die Heimwehr schon nehmen, solle endgültig Schluss gemacht werden mit begonnen hatte, sozialdemokratische Einrichtungen den "marxistischen Umtrieben", in der eigenen und Organisationen per Verordnung aufzulösen, be- Propaganda der Antisemitismus etwas stärker betont gann damit auch der Sturm auf das "Rote Wien". Am und die endgültige Faschisierung Österreichs durch 11. Februar 1934, dem Vorabend der Kämpfe, verkün- eine entsprechende Verfassungs"reform" rasch abge- dete Vizekanzler Fey bei einer Heimwehr-Veran- schlossen werden.39 staltung in Langenzersdorf, Dollfuß habe für den Endkampf gegen die Sozialdemokratie grünes Licht Das Trio Dollfuß-Starhemberg-Fey ließ sich nicht lan- gegeben: "Die Aussprachen von vorgestern und ge- ge bitten: Ende Jänner 1934 kam es erneut zu stern haben uns die Gewissheit gegeben, dass Kanzler Waffensuchen, die lediglich darauf abzielten, den Dr. Dollfuß der unsrige ist ... Wir werden morgen an Schutzbund zu provozieren. Zur selben Zeit wurde von die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit lei- der Regierung die demokratisch gewählte Führung der sten."

Die Selbstbeweihräucherung der Totengräber der Demokratie: "Bauet auf das neue Österreich. Gemeinsam ans Werk mit Dollfuß - Starhemberg"

37 Es blieb damit aber bei einer rein defensiven Strategie, die auf eine faktische Akzeptanz der Präsidialdiktatur von Dollfuß hinauslief. 38 Die "Österreichische Legion" war eine bewaffnete Miliz österreichi- scher Nazis, die nach Deutschland geflüchtet waren. Angehöriger ei- ner dieser Gruppen, die bei einem Überfall auf eine österreichische Grenzstation einen Gendarmen tötete, war übrigens Robert Haider, der Vater Jörg Haiders. 39 Wie sehr sich Dollfuß am italienischen Faschistenführer orientierte und anbiederte, ist glänzend nachzulesen im geheimen Briefwechsel SEITE|43 der Beiden, der nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlicht wurde - siehe Literaturliste im Anhang. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 44

Friedensdemonstration in Wien 1922. Noch nie zuvor war Pazifismus so populär wie nach dem Ende des Ersten Weltkrieges

EXKURS I DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND BILANZ EINER GESCHEITERTEN STRATEGIE Nachdem die alte Ordnung mit dem Ende des Ersten Arbeiterklasse bisher erreicht hatte: die demokrati- Weltkrieges zusammengebrochen war, machte sich inner- sche Republik."40 halb der Sozialdemokratie vor allem der linke Flügel um Otto Bauer und Julius Deutsch für die Aufstellung eines Mit anderen Worten: Der jungen Demokratie, die dem neuen Militärapparates stark. Aufs Erste mag das heute Kaiserreich gefolgt war, wurde keineswegs ungeteilte paradox klingen, denn nie zuvor war Pazifismus so Sympathie entgegengebracht. Viele, die zu Kaisers populär, selten Krieg und Militär allgemein so Zeiten privilegiert gewesen waren, bangten um ihre verhasst, wie nach den vier Jahren des Positionen und fürchteten einen sozialen Abstieg. großen Grauens in den europäischen Großgrundbesitzer, Aristokratie, Fabriksbesitzer und Schützengräben. Bankiers, denen die kurz vorangegangene Russische Revolution noch gut in Erinnerung war, fürchteten eine Warum galt das Hauptaugenmerk der Linken zur sel- ähnliche Entwicklung nun auch in Österreich. Hinzu ben Zeit, als Offizieren in den Straßen die Rang- kamen viele heimkehrende Soldaten, die vom Krieg abzeichen von den Uniformen gerissen, sie beschimpft schwer traumatisiert waren, nicht mehr ins zivile und verhöhnt wurden, ausgerechnet dem Aufbau einer Leben zurückfanden und sich durch die herrschende neuen Armee? Der spätere politische Führer des Wirtschaftskrise jeglicher Perspektiven beraubt sahen. Schutzbundes, Julius Deutsch, meinte zu diesem Alle diese Leute waren geeint vom Hass auf die junge scheinbaren Widerspruch: "War man pazifistisch ge- Republik und wollten sie lieber heute als morgen wie- sinnt, dann musste man die Kasernen meiden und den der beseitigt sehen. Versuche des abgesetzten Habs- Aufbau eines neuen Heeres zu verhindern versuchen. burgerkaisers Karl I., in Ungarn 1921 durch einen Stellte man sich aber auf den Boden der Revolution, Putsch an die Macht zu kommen, zeigten deutlich, dass dann galt es, gerade umgekehrt zu verfahren, nämlich es auch in Österreich vermutlich nicht bei verbalen selbst in die Kasernen einzudringen und eine revolu- Hasstiraden gegen die Demokratie bleiben würde. Die tionäre proletarische Wehrmacht aufzustellen. Selbst AnhängerInnen der Republik standen daher vor der wenn man nämlich nicht an die Möglichkeit einer Option, entweder tatenlos auf rechte Versuche zu war- durchgreifenden, gesellschaftlichen Umwälzung in die- ten, die "alte Ordnung" wiederherzustellen, oder SEITE|44 sem Augenblick glaubte, musste man auf die Aufstellung einer verlässlichen Truppe bedacht sein, 40 Julius Deutsch (o. J.): "Wehrmacht und Sozialdemokratie", Berlin, um wenigstens das schützen zu können, was die S. 15. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 45

05| DER REPUBLIKANISCHE SCHUTZBUND

Vorkehrungen zu treffen, reaktionäre Umsturzver- Die Bürgerlichen bemühten sich daher nicht ohne suche im Keim zu ersticken. Grund, bei den Friedensverhandlungen mit den Alliierten zu erreichen, dass Österreich eine eigene Die österreichische Sozialdemokratie entschied sich für Armee gänzlich untersagt wurde. Zur alleinigen be- die zweite Variante und sicherte damit vorerst nicht waffneten Macht im Staat sollten nach den Vor- nur die republikanische Staatsform, sondern auch alle stellungen der Konservativen Polizei und Gendarmerie in ihrem Rahmen erreichten Zugeständnisse an die werden, die nach wie vor mehrheitlich rechts standen. Arbeitenden. Dem Wunsch wurde von den Alliierten zwar nur zum Noch in Kriegszeiten hatte der ehemalige Offizier Teil entsprochen, die sozialdemokratischen Vorstel- Deutsch Pläne für ein republikanisches Militär entwor- lungen aber gänzlich zunichte gemacht: Österreich fen und konkrete Vorbereitungen zu dessen Ver- wurde ausschließlich ein kleines Berufsheer zuge- wirklichung getroffen. Als mit dem Ende der Monar- standen. Damit hatte die Rechtsregierung, die 1920 chie auch deren Armee unterging und die heimkeh- der Koalition von Christlichsozialen und Sozial- renden Soldaten zu hunderttausenden in endlosen demokratie folgte, alle Möglichkeiten in der Hand, die Kolonnen durchs Land zogen, wurde in Wien die Volkswehr zu einem willfährigen Instrument ihrer "Volkswehr" gegründet. Ihre Soldaten erhielten 6 Politik umzubauen. Und die Bürgerlichen wussten ihre Kronen Taggeld, die SDAPÖ sorgte für systematische Chance zu nutzen - innerhalb weniger Jahre machten Eintrittswellen eigener Anhänger und sicherte sich da- sie durch Entlassungen, Versetzungen und Aus- mit Einfluss auf das Geschehen hinter den Kaser- schaltung der Soldatenräte den sozialdemokratischen nenmauern. Erheblich erleichtert wurde das Ganze Einfluss auf das Militär zunichte. durch die herrschende Massenarbeitslosigkeit - sie be- wog viele Soldaten dazu, sich freiwillig für die In dem Maß, in dem der Einfluss der SDAPÖ auf die Volkswehr zu melden, um zumindest ein wenig Geld, Armee sank, nahmen gewalttätige Übergriffe und Unterkunft und regelmäßige Verpflegung zu erhalten. Morde durch rechte Organisationen und Gruppen zu.

Blieb als Problem noch ein Offizierskorps, das sich Nach der Ermordung des Semperit-Betriebsrats Karl mehrheitlich aus Monarchisten rekrutierte. Um hier Birnecker Anfang 1923 in Wien war auch der letzte ein Gegengewicht zu schaffen, wurde für die neue Rest Unklarheit beseitigt: Der organisierten Gewalt Armee von ihren sozialdemokratischen Architekten von rechts musste eine organisierte Verteidigung von das gewerkschaftliche Organisationsmuster aus den links entgegenstellt werden. Mit der Gründung des Betrieben übernommen: In der Volkswehr entstand Republikanischen Schutzbundes wurden zunächst nur ein Vertrauensmännersystem. Die von Linken domi- bereits bestehende Arbeiterwehren organisatorisch nierten "Soldatenräte" waren die eigentlichen Träger unter einem Dach erfasst. der Autorität, ohne deren Zustimmung gar nichts ging. Als Dauerlösung war die Volkswehr aber auch aus so- Von einer nach traditionellem Muster militärisch diszi- zialdemokratischer Sicht nicht akzeptabel. Die SDAPÖ plinierten Parteiarmee war die neue Organisation weit strebte ein Milizsystem an, also die allgemeine entfernt: Wert gelegt wurde neben der "Wehr- Wehrpflicht. Zusätzlich sollte das Heer weitestmöglich haftmachung" besonders auf die politische Erziehung demokratisiert werden. So sollte sichergestellt werden, der Mitglieder. Der Schutzbund wurde so zu einer dass die Armee sich im Fall bewaffneter sozialer Gruppe mit regem Eigenleben und entwickelte eine Auseinandersetzungen neutral verhielt. Arbeiter in selbstständige Organisationskultur. Seine Aktivisten SEITE|45 Uniform, so die Überlegung, würden sich Befehlen, auf verstanden sich nicht nur militärisch, sondern auch po- ihresgleichen zu schießen, widersetzen. litisch als "Garde der Arbeitenden". faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 46

In der zweiten Hälfte der 20er Jahre wurde die Gefahr, Parteilinker. Doch Körner war militärtheoretisch be- die Demokratie könnte durch die Bürgerlichen besei- wandert und hatte sich intensiv mit den Erfahrungen tigt und durch eine Diktatur ersetzt werden, immer re- der Russischen Revolution und der Taktik von aler. Die sozialdemokratische Parteiführung meinte, Aufstandsbewegungen in Kolonien auseinanderge- dem am besten durch den Aufbau einer Drohkulisse setzt. Dabei war er zu dem Schluss gelangt, dass die begegnen zu können. Durch die Schaffung einer lin- ArbeiterInnenschaft in einer bewaffneten Auseinan- ken "Gegenarmee" sollte signalisiert werden: "Seht dersetzung nur dann siegen konnte, "wenn alle [in her, wir sind stark, wir sind straff militärisch organi- ihr] schlummernden Kräfte freigemacht werden und siert, solltet ihr es drauf ankommen lassen, wird euch den reaktionären militärischen Aktionen etwas ganz das immense Opfer kosten." Im Geiste dieser Strategie Anderes, Verblüffendes, nicht ganz Selbstverständ- wurde der Schutzbund 1927 neu organisiert: Statt po- liches gegenübertritt."41 litischen Diskussionen und Bildungsveranstaltungen kehrten Kasernenhofdrill und Kadavergehorsam ein, Folglich hielt Körner die "geistlose Militarisierung" des die Führung übernahmen "Fachleute" - ehemalige Schutzbundes für katastrophal und den Versuch für Offiziere der k. u. k.-Armee strukturierten den Schutz- aussichtslos, ein "Konkurrenzunternehmen" zum her- bund nach dem Vorbild jener Armee, in der sie einst kömmlichen, besser ausgerüsteten und gedrillten Dienst getan hatten. Militär schaffen zu wollen. Statt dessen plädierte er dafür, sich in einem Stadtguerilla-Kampf jene Stärken Die Entpolitisierung, die nun stattfand, hatte jedoch der ArbeiterInnenbewegung zunutze zu machen, über schwerwiegende Folgen. Vehement kritisiert wurde welche die Gegenseite nicht verfügte. Der Schutzbund das interessanterweise besonders vom ehemaligen könne nur durch eine "Taktik der tausend Nadelstiche" General Theodor Körner, an sich keineswegs ein erfolgreich sein. Dazu seien zwei Dinge unbedingt

41 Schreiben an Karl Renner, zitiert nach: Der Standard, 14./15. Februar 2004.

Durch die Neustrukturierung Theodor Körner. Der ehema- 1927 kehren im Schutzbund lige General kritisiert 1927 Kasernenhofdrill und militäri- vehement die Reform des sches Exerzieren anstelle politi- Schutzbundes und warnt vor SEITE|46 scher Diskussionen und Schu- einer "geistlosen Militari- lungen ein. Ein verhängnisvoller sierung". Im Ernstfall, meint Fehler, wie sich spätestens in Körner, wird der Schutzbund den Februar-Kämpfen 1934 zei- mit dieser Strategie auf ver- gen wird lorenem Posten stehen faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 47

06| ZEITZEUGENBERICHTE

Motorisierte Abteilung des Linzer Schutzbundes (links). Schutzbund als Familienpro- jekt - ein Arbeiter mit seinen acht Söhnen im niederöster- reichischen Pfaffstätten (rechts). Der Schutzbund ist von einer Dominanz der “WIR GEHEN NICHT MEHR ZURÜCK” Parteilinken und einem regen Vereinsleben gekennzeichnet, ZEITZEUGENBERICHTE man ist stolz "dazuzugehören" notwendig: Erstens müsse der Schutzbund integrier- ÜBER DIE FEBRUAR- ter Bestandteil der SDAPÖ sein, damit seine Kämpfer KÄMPFE im Ernstfall mit der Unter- stützung durch die Massenbasis der Partei rechnen Franz Leschanz (Schutzbündler) konnten. Zweitens sei ein streng hierarchischer Aufbau Über den Ausbruch der Kämpfe sinnlos - stattdessen sollten kleine, hoch motivierte (d. im Linzer SDAPÖ-Parteihaus "Hotel Schiff": h. politisierte) Trupps, die mit ihrer direkten Um- gebung bestens vertraut waren, Aktionen selbststän- "Wir konnten von oben das ganze Stiegenhaus überse- dig durchführen, ohne dauernd auf Anweisungen "von hen. Mäuschenstill war's, nur von unten hörte man das oben" warten zu müssen. Rasseln der nicht passenden Dietriche. Fünf Minuten, zehn Minuten - schließlich ging die Tür auf und die Der alte General sollte Recht behalten. Der Polizisten betraten die ersten Stufen des Stiegen- Schutzbund war bei Ausbruch der Bürgerkrieges groß- hauses. Aber nur die Ersten. Da krachte schon eine teils gelähmt, weil seine Anführer bereits im Vorfeld Salve und unter lautem Getöse platzten einige verhaftet worden waren. Dadurch sahen sich die Handgranaten. Sofort nahm auch vom Fenster aus un- Kämpfer einer Situation gegenüber, auf die sie nie- ser Maschinist, Genosse Kunz, das Hoftor unter mand vorbereitet hatte - ohne Befehle, ohne Zugang Maschinengewehrfeuer, begleitet von Gewehrschüssen, zu den Waffenverstecken, ohne klare Zielvorgaben so dass die Polizisten zwischen den beiden Schuss- und vor allem ohne breite Unterstützung durch die linien - Stiegenhaus und Hof - eingeschlossen waren. Parteibasis war ihr Unternehmen von vornherein aus- Dumpf krachten die Handgranaten im Hof und künde- sichtslos. ten den Genossen in der Stadt: Alles zu den Waffen!

Bruno Kreisky kommentierte die Kritik Körners und In einer Kampfpause traf uns aber ein schwerer die fatalen Auswirkungen des Schutzbundkonzepts von Schlag. Maschinist Kunz, der gerade in den Hof blickte, 1927 in einem Interview später so: " ... Es hat einen brach nach einem scharfen Knall lautlos zusammen, weiteren furchtbaren strategischen Fehler gegeben. während der zersprungene Stahlhelm dumpf am Unter dem Kommando von Alexander Eifler, der ja ein Boden aufschlug. An das Maschinengewehr konnte Militär war, und unter denen, die den Schutzbund or- niemand von uns mehr gelangen, es wurde wütend ganisiert hatten, hat man die These vertreten: unter Feuer gehalten. Dadurch wurde es dem Militär Zivilisten sollen sich von Kämpfen fernhalten. Das ma- möglich, eine äußerst günstige Kampfposition zu be- chen wir, wir sind die Armee. Das war konzeptiver ziehen, da es jetzt die ganze gegenüberliegende Wahnsinn. Entweder, man bereitet sich auf einen Häuserfront - noch dazu einen Stock höher - besetzen Bürgerkrieg vor, dann muss jeder an die Front, auch konnte. Wir spürten deutlich, dass sich die Sache dem jede Frau, dann muss alles mobilisiert werden, oder Ende näherte. Da rief uns ein Polizeioffizier zu, er man hat eine Privatarmee. Nun ist der Kopf des wolle uns einen Parlamentär zum Verhandeln schick- Schutzbundes ein paar Tage vor den Kämpfen verhaf- en. ´Ich werde Euch einen Parlamentär geben!´ SEITE|47 tet worden und damit war der ganze Schutzbund beim schrie empört ein Genosse zurück. Aber von allen Teufel." Seiten widersprach man ihm. ´Waffen wegwerfen, faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 48

Der von einem Scharfschützen getötete MG-Schütze Kunz nach der Eroberung des Linzer Parteihauses durch das Bundesheer (links). Bundesheer und Heimwehr beim kollegialen Erfahrungsaustausch in den Straßen von Linz während einer Kampfpause (mitte). Gefangener Schutzbündler aus der Linzer Wollzeugfabrik (rechts)

runter gehen. Hände hoch!´ ertönte plötzlich im all- Straße hinaus, Ecke Wilhelminenstraße war eine große gemeinen Lärm ein Kommando. Und so marschierten Uhr, die Uhr stand. Ich war der Meinung, es müsste wir, den 12. Februar 1934 Punk 12 Uhr mittags, zwei schon viel später sein. Dann haben wir die Gruppen zu je 18 Mann, ´Hände hoch´, umringt von Straßenbahn gesehen, der 46er steht. Wir haben je- unzähligen Polizisten." manden gefragt, was los ist. Sagt er: ´Wisst ihr es nicht, gestreikt wird! Generalstreik!´. Ich bin gleich Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte nach Hause gelaufen, habe den Rucksack geholt. Das des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 74 f. war in der Vorschrift, wenn es soweit ist, nichts mitneh- men, außer dem Rucksack. Mit dem Rucksack bin ich in das Bereitschaftslokal gelaufen, dort waren bereits Franz Jurica (Mitglied der Sozialistischen Wehrsportler versammelt. Unser Kommandant sagte, Arbeiterjugend [SAJ] Wien-Ottakring) wir müssen ein Kommando zur Alarmabteilung des Über die Kämpfe in Wien: Schutzbundes schicken, zur Verstärkung. Mit dieser Gruppe bin ich zum Fritz Thuma gegangen. Er hat ge- "Am Vormittag des 12. Februar war ich in Sandleiten, sagt: ´Kommt's hinauf in meine Wohnung, aber un- im Jugendheim, um mit ein paar Genossen zu spre- auffällig.´ Wir sind schön langsam in Abständen zu chen. Mittags wollte ich nach Hause gehen und an- seiner Wohnung gegangen, am Richard-Wagner-Platz schließend in unser Bereitschaftslokal. Ich bin auf die im 1. Stock. Man konnte gut auf die Straße sehen. Wir haben gewartet. Dann sind die Burschen von der Alarmabteilung gekommen. Barrikaden und Häuserkampf in Wien-Ottakring Da ist die Polizei die Hasnerstraße heraufmarschiert. Eine Kompanie, bewaffnet, Karabiner und Stahlhelme, schwarze Mäntel, wintermäßig, es war ja noch kalt. Sie sind heraufmarschiert, zur Panikengasse, zur Polizei- wachstube. Wahrscheinlich haben sie befürchtet, dass die Wachstube gestürmt wird. Wir sind sehr nervös ge- worden. Frauen haben uns in ihren Einkaufstaschen Handgranaten und Schmiervasen gebracht. Das waren ziemlich primitive Handgranaten und um sie zur Explosion zu bringen, benötigte man eine Streich- SEITE|48 holzschachtel. Wir haben uns jeder zwei in den Sack gesteckt und verzweifelt nach Streichhölzern gesucht. Die Frauen haben uns auch Zündholzschachteln be- faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 49

06| ZEITZEUGENBERICHTE

sorgt. Wir haben weiter gewartet. Nach einer Weile hat Polizisten sind auch auseinandergespritzt, ein paar es geheißen, einer nach dem anderen soll losgehen, von ihnen sind umgefallen, es hat schon ein paar aber möglichst unauffällig. Als Erster ist der Thuma Treffer gegeben. Auf einmal haben sie sich zurückge- weg, alle zehn Sekunden der Nächste, ihm folgend, in zogen, fluchtartig, haben die mitgeschleppt, die gele- die nächste Gasse hinauf, in die Haymerlegasse. Wir gen sind, und sind zur Panikengasse geflohen, gleich sind kaum ums Eck gebogen, haben wir den Thuma ums Eck. Der Vorteil, den wir hatten, war vorbei, denn schon stehen gesehen, gleich beim zweiten Haus, mit wenn wir ums Eck gekommen wären, wären wir im einem Stahlhelm auf und einem mächtigen Revolver. Schussfeld der Polizeiwache gewesen, das haben wir Einen uralten Trommler, den er ausgegraben hatte. nicht riskieren können. Wir haben uns in einen Mit dem ist er da gestanden, hat herumgefuchtelt. Gemeindebau zwischen Haymerlegasse und Kopp- ´Hinein, tummelt's euch, holt's euch Gewehre´. Es straße zurückgezogen. Bei den Toren haben wir Posten war ein altes Haus, ein Altbau, da sind wir hineinge- aufgestellt, und Fritzl Thuma hat einige auf das Dach stürzt, zum Keller und der Keller war zugesperrt. Von hinaufgeschickt. Dann habe ich gehört, dass bei uns Gewehren keine Rede, der Fritz Thuma war nervös, ist zwei Leute fehlen, wir haben zwei Tote gehabt, die auf hinuntergekommen: ´Na, was ist?´ Der Keller war zu. der Straße gefallen sind. ´Der Hausmeister hat die Schlüssel´. Der Haus- meister war natürlich nicht zu finden. Jetzt hat er mit Wir sind also auf dem Dach oben gewesen, auf einmal dem gewaltigen Revolver das Schloss durchgeschossen. ist von der Radetzkykaserne geschossen worden. Die Das Kellerabteil haben wir noch aufbrechen müssen haben Scharfschützen postiert und waren anders aus- und fanden die Kisten mit den Gewehren. Die waren gerüstet als wir, die haben auch getroffen. Der Fritzl eingegraben, aber bloß mit einer dünnen Schicht be- Thuma hat einen Schuss in die Hüfte gekriegt. Wir ha- deckt. Wir haben die Gewehre herausgezogen, jeder ben ihn vom Dachboden heruntergetragen, er war bei hat sich einen Karabiner geschnappt, jeder hat sich Bewusstsein, die ganze Seite war aufgerissen, der noch zwei Magazine in die Taschen gesteckt. Alles hat Mantel zerfetzt, alles war blutig. Wir wollten ihn in ei- sehr schnell gehen müssen und auf der Straße hat es ner Wohnung hinlegen, wir konnten ihn doch nicht auf schon eine Ansammlung gegeben. Auf einmal hat ei- die Erde im Hof legen. Die Leute haben uns nicht auf- ner geschrieen: ´Polizei ist im Anmarsch.´ gemacht, wir haben gepumpert. Endlich hat sich einer

Die Nervosität ist noch ärger geworden, mit Mühe und Not habe ich im Laufen das Magazin ins Gewehr hin- Viele der FebruarkämpferInnen auf sozialdemokratischer Seite sind Angehörige der eingeschoben und bin raus auf die Straße. Wir sind bis Jugendorganisationen. Im Bild jugendliche Wehrturner bei den Republikfeiern 1932 zur Koppstraße gelaufen. Wie wir ums Eck kommen, ich war so im hinteren Teil der Gruppe, ist vorne schon geschossen worden. Die Polizei ist die Koppstraße run- termarschiert, über die ganze Straße, in Ketten, for- miert und die Gewehre im Anschlag. Es war wahr- scheinlich so, und das war unser Glück, dass die ge- nauso überrascht waren wie wir, weil die hätten uns glatt über den Haufen schießen können. Es ist zu einer unregelmäßigen Schießerei gekommen, wir haben im Laufen geschossen, ohne Ziele, eben auf das Ganze da SEITE|49 vor uns. Dann ist schon gezielter geschossen worden, und wir haben uns hinter Bäumen verschanzt. Die faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 50

gefunden und hat gesagt: `Bringt ihn zu mir.` Es ist Neue Zürcher Zeitung: finster geworden und wir haben die Schießerei vom Über die Atmosphäre in Wien während des Arbeiterheim gehört. Dieses ist nicht weit entfernt, und 13. Februar 1934: wir hörten dazwischen Maschinengewehrfeuer. Wir wollten mit denen Verbindung aufnehmen und haben "Das Bild Wiens als einer belagerten Stadt ist am den Franzl Meier hingeschickt. Aber er ist zurückge- (zweiten) Abend, gegen 20 Uhr, unverändert. Die kommen und hat gesagt: `Da kommt man nicht Verkehrsregelung wird heute vorwiegend von der durch.` Wir haben weiter gewartet, es wurde Nacht. Hilfspolizei versehen, weil die Bundespolizei nach den Nach Mitternacht haben wir Artillerieschüsse gehört, Kriegsschauplätzen an der Peripherie abgegangen ist. ganz in der Nähe, und gewusst, das muss beim Das Rathaus selbst wird von Heimwehr bewacht. ... Die Arbeiterheim sein. Keiner hat gewusst, wie es aussieht, Stimmung in Regierungskreisen ist ernst. Man hat den wo man hin soll. Wir saßen in einer Mausefalle. Wenn Eindruck, dass sich besonders die Heimwehr die Aktion es hell wird, dann wird ganz bestimmt die Polizei viel leichter vorgestellt hat, als es sich nun heraus- kommen. Die Verteidiger des Ottakringer Arbeiter- stellt." heims haben sich in der Früh zurückgezogen. Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte Vom Wehrsport und von der SAJ waren Barrikaden ge- des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 81. baut worden. Um dieselbe Zeit, wie die das Arbeiterheim geräumt haben, sind auch wir aus dem Gemeindebau raus, solange es noch dunkel war. Wir Heinz Roscher (Schutzbündler) haben sonst keinen Schutz mehr gehabt, und von der Über die schweren Kämpfe in Wien-Floridsdorf und Kaserne hätte man uns unter Beschuss nehmen kön- das Verhalten der Heimwehr: nen, die Straße ist frei gelegen. Irgendwie ist es uns gelungen, wegzukommen. Wir sind über Privathäuser "Einige Frauen des Schlingerhofes wurden verhaftet bei den Fenstern raus. Jetzt hat jeder auf eigene Faust und in zwei Gliedern vor den Gewehren der Faschisten versucht durchzukommen. Ich bin in Richtung gegen den Straßenbahnhof gejagt. Kaltes Entsetzen Arbeiterheim, aber es war alles abgesperrt, nicht nur packte uns, als wir sahen, dass sich die Faschisten hin- von der Polizei, hauptsächlich waren dort Heimwehr ter den Körpern unserer am ganzen Leibe zitternden und Bundesheer. Später habe ich die Nachricht erhal- Frauen deckten. ... Wir hatten nur die Wahl, die ten, dass ich gesucht werde. Ich bin natürlich nicht Remise aufzugeben, oder unsere eigenen Frauen zu mehr nach Hause, sondern habe im Garten bei mei- erschießen." nem Vater am Satzberg geschlafen. Mein Vater hat großes Verständnis für die Sache gezeigt. Er hat nicht Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte viel geredet, nur gefragt, ob ich etwas bei mir habe, des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 96. was die Polizei interessiert. Einen Revolver habe ich noch gehabt. Er hat gesagt: `Gib her, den lasse ich "Unbeschreiblich sind die Brutalitäten, mit denen die verschwinden.` Dann hat die Jagd angefangen." Verhaftungen vorgenommen wurden. Viele - meist Nichtkämpfer, denn die Schutzbündler hatten sich zu- Zitiert nach: Scheuer, Georg und Pittler, Andreas 1988: Wer kämpfte rückgezogen - wurden von den Polizeibestien wie für Österreich? Wien, S 36 ff. wahnsinnig geprügelt. Deren Wut kannte keine SEITE|50 Grenzen, unzählige Bajonettstiche in Brust und Rücken der Verhafteten sind beredte Zeichen dafür. Auf dem Weg vom Schlingerhof zum Kommissariat faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 51

06| ZEITZEUGENBERICHTE

Chicago Daily News Über die Beschießung von Gemeindebauten durch die Artillerie des Bundesheeres:

"Ich sah die Resultate des Kanonenfeuers, mit dem Dollfuß die sozialistische Regierung von Wien vernich- tete, eine der blutrünstigsten, unnötigsten und unent- schuldbarsten Verwendungen bewaffneter Macht ge- gen hilflose Frauen und Kinder, die die Geschichte Gefangene Schutzbündler werden nach den zähen Kämpfen in kennt…" Floridsdorf schwer misshandelt, einige getötet. Kurz nach der Aufnahme dieses Fotos schießen Heimwehrangehörige und Zitiert nach: Der Standard, 14./ 15. Februar 2004. Bundesheersoldaten auf die wehrlosen Gefangenen und richten ein Blutbad an Karl Stern (Schutzbündler) mussten die 300 Gefangenen auf der Brünnerstrasse Über die Rolle von Frauen während der Kämpfe in in der Nähe der Feuerwache anhalten. Wien-Floridsdorf:

Als das Militär die Gefangenen an die Polizei übergab "Wir verbrauchten ungeheuer viel Munition. Aber und sie währenddessen, allerdings nur einen dank der wahrhaft heldenmütigen Arbeit unserer Augenblick, allein standen, benutzten die Heim- Frauen hatten wir keinen Mangel an Patronen. Unsere wehren und die Mannschaft eines Panzerautos diese Frauen legten eine bewunderungswürdige Tapferkeit Gelegenheit und beschossen die dichtgedrängt, wehr- an den Tag. Sie behielten klaren Kopf und konnten oft los und mit erhobenen Händen dastehenden besser überlegen als wir Männer." Gefangenen aus zwei Maschinengewehren. Die Wirkung war unbeschreiblich. Viele wälzten sich in ih- Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte rem Blute." des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 98.

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 96 f.

Das Bundesheer beschießt in meh- reren Städten während der Februarkämpfe Gemeindebauten mit Feldhaubitzen. Die Folge sind hunderte getötete ZivilistInnen. Im Bild: Die BewohnerInnen eines Gemeindebaus ergeben sich

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Während des Bürgerkrieges kommt es zu diversen Gräueltaten durch Exekutive, Bundesheer Unbekannter SAJler aus Bruck an der Mur und Heimwehr. Oben: Ermordung eines gefangengenommenen Schutzbündlers in Bruck an der Über den missglückten Sturm auf die dortige Gendar- Mur durch ein Erschießungskommando des Bundesheeres. Mitte: Die Bühne des Arbeiterheimes meriekaserne unter dem Kommando des SAJ- Holzleithen (OÖ), nachdem dort sechs junge Schutzbündler von Angehörigen der Heimwehr Vorsitzenden von Bruck, Sepp Linhart: und des Bundesheeres niedergemetzelt wurden - die Einschusslöcher in der Wand sind deutlich erkennbar. Unten: Der schwerverletzte Kommandant einer Schutzbundeinheit in Wien- "Ich befand mich bei Sepp Linhart. Wir waren nicht Hietzing, Karl Münichreiter, kurz bevor er auf einer Bahre zum Galgen geschafft wird mehr als 14 bis 15 Mann und sollten die Kaserne von vorne angreifen, während die beiden anderen Gruppen von rückwärts kommen sollten. Auf dem Wege zur Kaserne provozierte ein Heimwehrmann und wurde von einem Genossen kurzerhand erschossen. Das war sehr dumm, denn die Gendarmerie musste diesen Schuss hören und dadurch gewarnt werden. Im Laufschritt ging es zur Kaserne; wir stürmten durch das Tor, vorbei an den Gendarmen, die links und rechts aus den Fenstern schossen, durch die Einfahrt gegen den Hof. Im Hof standen Gewehrpyramiden, im Hintergrund des Hofes war ein schussfertiges Maschi- nengewehr gegen uns gerichtet.

Wir nahmen sofort die Gendarmen unter Feuer, die versuchten zu ihren Waffen zu kommen, konnten aber selbst nicht in den Hof eindringen, da er von den Fenstern aus beschossen wurde. In unserer Aufregung schossen wir alle gleichzeitig und es trat der Moment ein, in dem alle laden mussten. Da sprangen die Gendarmen aus den Seitengängen zu den Waffen und das MG begann zu arbeiten. Linhart fiel, ein Schutz- bündler wurde schwer verletzt Es war völlig unmög- lich, sich in der Einfahrt, die keinerlei Deckung bot, gegen diese Übermacht zu halten. Unter Zurück- lassung von Linhart - den Verletzten konnten wir mit- schleppen - verließen wir das Gebäude."

Zitiert nach: Maimann, Helene und Mattl, Siegfried 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933-1938, Wien, S 114 f.

New York Times Über die Frage nach der Schuld an den Kämpfen:

"Warum die Sozialisten das Objekt dieses Angriffs wurden, ist immer noch ein Rätsel … Es waren doch nicht die Sozialisten, sondern die Nazis, die Bomben in Österreich zur Explosion brachten … Die Unsinnig- keit, der Wahnsinn und die Gemeinheit der ganzen Angelegenheit wird mit jedem Detail offensichtlicher." SEITE|52 Zitiert nach: Der Standard, 14./ 15. Februar 2004. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 53

06| ZEITZEUGENBERICHTE

Fritz Inkret (Schutzbündler) Unter dem Kommando des SAJ-Bezirksvorsitzenden Sepp Linhart Über die Hinrichtung des steirischen Arbeiterführers versucht der Schutzbund in Bruck an der Mur die dortige und sozialdemokratischen Nationalrats- Gendarmeriekaserne zu stürmen. Linhart wird im Verlauf der abgeordneten Koloman Wallisch: Kämpfe getötet (Mitte) "Ich werde nie vergessen, wie der Wallisch zu seiner Frau, der Paula, auf dem Weg in den Galgenhof g'sagt hat: Paula, sei tapfer, mach's mir net so schwer. Sie hat einen Schreikrampf bekommen."

Zitiert nach: Der Standard, 7./ 8. Februar 2004.

(Bild: links/unten) Der vom Dollfuß-Regime hingerichtete steirische Arbeiterführer Koloman Wallisch beim Begräbnis von Opfern eines Heimwehrüberfalls, St. Laurenzen 1929. Da Wallisch bis zum offi- ziellen Ende der Kämpfe am 15. Februar 1934 nicht gefasst werden kann, wird auf Anweisung des Justizministers Schuschnigg extra das Standrecht verlängert um Wallisch doch noch hängen zu können - ein Fall von glattem Justizmord. Auf dem Bild unten rechts ist in der Mitte Wallischs Witwe, Paula, bei geflüchteten Schutzbündlern in der Tschechoslowakei zu sehen

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Die Februarkämpfe 1934 waren der Höhepunkt eines Staatsstreichs, den die Christlichsozialen seit 1932 schrittweise um- setzten. Was mit der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 begonnen hatte und im Februar 1934 mit Waffengewalt ge- gen ein letztes verzweifeltes Aufbäumen durchgesetzt worden war, fand seinen offi- ziellen Abschluss - wohl inszeniert - am 1. Mai 1934. Bewusst an diesem traditions- reichen Feiertag der geschlagenen ArbeiterInnenbewegung wurde eine neue Verfassung verkündet, die nun auch den of- fiziellen Bruch mit der Demokratie bedeute- te. Schon im neuen Namen des Landes wur- de deutlich, woher der Wind wehte: Fortan hieß es nicht mehr "Republik" sondern "Bundesstaat" Österreich. Sämtliche Parteien wurden verboten,42 als einzige politische DIE WIRKLICHKEIT DES Organisation überhaupt blieb die von Dollfuß gegründete "Vaterländische Front" "STÄNDESTAATES" übrig. Der Bundeskanzler und seine Regierung waren mit diktatorischen Der mittelalterliche Wunschtraum von Dollfuß und seinen AnhängerInnen: Knecht und Vollmachten ausgestattet und gingen daran, Bauer essen unter dem Kruzifix friedlich aus der selben Schüssel. Mit der Realität der Politik und Gesellschaft neu zu gliedern. Landbevölkerung in den 30-er Jahren hat das freilich wenig zu tun - die meisten Wie sah er nun aus, der neue Staat? Knechte und Mägde leben in der "Hofgemeinschaft" unter entwürdigenden Bedingungen und sind dem Willen des "Herrenbauern" schutzlos ausgeliefert DIE "STÄNDISCHE GESELLSCHAFT": IDEOLOGISCHES TRUGBILD UND SOZIALE REALITÄT Die Gesellschaft, die sich aus den Produktions- verhältnissen des modernen Industriekapitalismus entwickelt hatte, war den Christlichsozialen von Beginn an ein Graus gewesen. Ihr Ideal war die vorin- dustrielle Gesellschaft: ländlich, bäuerlich, gläubig, konservativ. Der "Bruderzwist", also der "unselige

42 Im Fall der Christlichsozialen Partei kann allerdings nicht von ei- nem tatsächlichen Verbot gesprochen werden: Mit Ausnahme des um SEITE|54 seinen Posten als Parteiobmann bangenden Vaugoin befürwortete die gesamte christlichsoziale Bundesparteileitung die Auflösung der Partei und ihr Aufgehen in der Vaterländischen Front. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 55

07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

Klassenkampf, der unsere Nation zerrissen und ausge- höhlt hat" (Schuschnigg), sollte der Vergangenheit an- gehören. Angelehnt an die katholische Soziallehre proklamierten die Christlichsozialen den "Staat der Stände". In ihm sollten Arbeitende und Unternehmer gleichberechtigt in sieben, nach Berufssparten geglie- derten Interessensverbänden ("Ständen") zusammen- gefasst werden. Das Proletariat solle "entproletari- siert" werden, hieß es.

Dollfuß über die "Ständische Ordnung"

"Wir werden ... wieder zurückgreifen müssen auf älte- re Formen, aber nicht nur formalistisch, sondern es muss uns zum Bewusstsein kommen, dass die Arbeit Im Zeichen der Kreuzfahrer, des Kruckenkreuzes, soll die Uhr in Österreich zurückgedreht werden die Menschen einigt. Im Bauernhause, wo der Bauer und eine "ständische Gesellschaftsordnung" wieder Einzug halten: Bizarr anmutender Versuch auf mit seinen Knechten nach gemeinsamer Arbeit abends einem Werbeplakat der Vaterländischen Front, die Brücke zwischen mittelalterlicher am gleichen Tisch, aus der gleichen Schüssel seine Christianisierungsromantik und faschistischer Ästhetik zu schlagen Suppe isst, da ist berufsständische Zusammen- gehörigkeit, berufsständische Auffassung. Und ver- hatten keinerlei Möglichkeiten, ihre Interessen durch- schönert wird das Verhältnis noch, wenn sie beide nach zusetzen. Die gesetzliche Grundlage dafür bildete das Feierabend zum Rosenkranz sich niederknien. Nur so Werksgemeinschaftsgesetz,43 das die betriebliche werden wir den Marxismus, die falsche Lehre vom not- Mitbestimmung der Arbeitenden, etwa durch wendigen Kampf der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Betriebsräte, beseitigte. Aber selbst wenn dem nicht so wirklich in unserem Volk überwinden. Die äußeren gewesen wäre, wenn es tatsächlich einheitliche Organisationsformen der berufsständischen Vertre- "Standesinteressen" gegeben hätte, wären Konflikte tung neu zu gestalten, ist die Aufgabe dieser Re- unvermeidbar gewesen: Wer hätte der jeweiligen gierung." Interessensorganisation vorstehen sollen (Wahlen hät- Zitiert nach: Talos, Emmerich, Neugebauer, Wolfgang (Hg.) 1984: ten die unter der vaterländischen Oberfläche natürlich Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur weiterhin bestehenden Konflikte offensichtlich werden 1934 - 1938, Wien, S 78. lassen)? Wie hätten darüber hinaus Konflikte zwischen den Ständen gelöst werden sollen? Aus diesem Grund Von den ursprünglich geplanten sieben Ständen wur- wurde in der Maiverfassung von 1934 der Han- den in den darauffolgenden vier Jahren allerdings nur dlungsspielraum der Stände von vornherein eng be- zwei auch tatsächlich verwirklicht - jener der Land- grenzt. Wer mit der Vertretung des jeweiligen Standes und Forstwirtschaft und der des öffentlichen Dienstes. betraut wurde, bestimmte die Bundesregierung. Die Ursache für dieses Scheitern lag in der Natur der Welcher Wert Beschlüssen von Standesvertretungen Sache: Zum einen war es keineswegs so, dass sich innerhalb der geplanten Stände Unternehmer und 43 Das "Werksgemeinschaftsgesetz" orientierte sich an der faschisti- Arbeitende gleichberechtigt gegenüberstanden: Im schen Gesetzgebung im deutschen und italienischen Arbeitsrecht und SEITE|55 Betrieb hatte der Unternehmer Vetorecht, die Ar- war vergleichbar mit der "Carta del Lavoro" und dem "Gesetz zur beitnehmerInnen waren ihm faktisch ausgeliefert und Ordnung der nationalen Arbeit". faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 56

zukam, illustriert zudem eine Stellungnahme des Sozialministers Neustädter-Stürmer. Er beruhigte den Finanzminister, der sich Sorgen machte, die berufs- ständischen Ausschüsse könnten etwas gegen seine ge- planten Maßnahmen einzuwenden haben, mit den Worten: "Diese Befürchtungen seien jedoch nicht be- gründet, da die Beschlüsse der berufsständischen Ausschüsse keinerlei bindende Kraft besäßen." Der "Ständestaat" war also von vornherein eine irrationale Idee, die deshalb auch nie Gesetz wurde. Als realer Machtfaktor blieben die autoritäre Regierung und ihre Verbündeten übrig, namentlich Militär, Unternehmer und Großgrundbesitzer, Kirche und Staatsapparat. Dementsprechend fiel die politische, aber auch die so- ziale Bilanz aus. Der kommunale Wohnbau war der ganze Stolz der sozialdemo- kratischen Stadtregierungen gewesen. Unter der christlichsozia- Noch vor der endgültigen Zerschlagung der Sozial- len Diktatur werden die Bauprojekte praktisch eingestellt. demokratie und der freien Gewerkschaften hatte die Zehntausende müssen weiterhin zusammengepfercht in Regierung Dollfuß wichtige soziale und demokratische Elendsquartieren hausen Errungenschaften mit Hilfe von Notverordnungen ein- geschränkt oder gleich abgeschafft: Einschränkung der schließlich Sache der Arbeitenden waren;44 Löhne und Pressefreiheit, Demonstrationsverbot, Streikverbot, Gehälter stagnierten, während die Lebenshal- Beschränkung des Arbeitslosengelds auf maximal 20 tungskosten ständig stiegen und die Erhöhung der Wochen, zeitweilige Verhängung des Standrechts, Steuern auf Massengüter besonders die Armen traf; massive Ausweitung der Kompetenzen von Verwaltung Der jährlichen Nettolohnsenkung von fünf bis acht und Polizei (speziell Strafbefugnisse), Einrichtung von Prozent standen durchgehend steigende Unterneh- "Anhaltelagern" für politisch Missliebige, Beseitigung der unabhängigen Gerichtsbarkeit - all das war bereits 44 Parallelen in der Gegenwart sind unübersehbar - durch die vor den Februarkämpfen Wirklichkeit geworden. Zerschlagung des öffentlichen Sozialversicherungssystems werden zu Lasten der ArbeitnehmerInnen zwei Interessensgruppen massiv be- Danach konnten in Ruhe die Früchte dieser Politik ge- günstigt: Zum einen die Unternehmen allgemein, da ihre Sozial- erntet werden: Die Lohnkosten wurden gesenkt, in- versicherungsbeiträge wegfallen (zur vielgerühmten "Privatvor- dem die Sozialversicherungsbeiträge künftig aus- sorge" tragen sie ja nichts bei) und zum anderen die Versiche- rungskonzerne, die plötzlich eine gewaltige Zunahme ihrer Kun- dInnen verzeichnen können. Endstation "ausgesteuert"

Arbeitslosen- Anteil der Unterstützten an der Die Zahl der staatlich unterstützten Arbeitslosen sank im "Stände- Jahr rate Gesamtzahl der Arbeitslosen staat" kontinuierlich. Den Betroffenen blieb das Betteln bei den Stellen der Heilsarmee oder der Hunger 1932 21,7% 66% SEITE|56 1933 26% 60% Quelle: Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (HgIn.) 1983: Österreich 1934 25,5% 53% 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik, Band I, Graz-Wien-Köln, 1945 24,1% 51% S 408. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 57

07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

mensgewinne entgegen; das Krankengeld wurde ge- kürzt, die Mitversicherung für Angehörige stark einge- schränkt, die Unfallrenten und Pensionen gekürzt, gleichzeitig erlebten Polizei und Militär eine starke Aufwertung; der Kommunale Wohnbau wurde prak- tisch eingestellt und Schutzbestimmungen für Mie- terInnen abgeschafft;

Infrastrukturinvestitionen unterblieben abseits eini- ger Prestigeprojekte (z. B. Hochalpenstrasse), Mil- lionen aus dem Bundesbudget flossen statt dessen in die Sanierung maroder Banken, speziell der Credit- anstalt.

Kollektivverträge wurden missachtet oder überhaupt nicht mehr abgeschlossen; die 1919 abgeschafften Kinder schuften im Kohlebergbau. Eine der ersten Maßnahmen der sozialdemokratisch geführten Arbeitsbücher, die eine bessere Kontrolle der Regierung nach 1918 war das Verbot der Kinderarbeit. Mit dem "Ständestaat" kehrt die Ausbeutung ArbeiterInnen erlaubten, wurden wieder eingeführt; von Kindern als billige Arbeitskräfte wieder zurück Arbeitsschutzbestimmungen wurden durch die Unternehmer immer mehr ignoriert, der Achtstun- war auch die Situation von Arbeitslosen: Während das dentag wurde teilweise wieder abgeschafft; der "ständische Österreich" konstant die höchste Arbeits- Kündigungsschutz wurde faktisch aufgehoben, ebenso losenrate Europas hatte, erhielt lediglich die Hälfte das Verbot von Kinderarbeit; schlechtbezahlte der Betroffenen eine - ohnehin armselige - staatliche Kurzarbeit nahm stark zu, währenddessen sank die Unterstützung, sämtliche jugendlichen Arbeitslosen Zahl der Vollzeit-Beschäftigten stetig;45 katastrophal hatten nicht einmal darauf Anspruch.

45 Die Kurzarbeit ist ein gutes Beispiel für die Aktualität von Sozialausgaben im Budget Geschichte - auch heute erwarten sich selbst sozialdemokratische PolitikerInnen in Europa eine Besserung der Situation am 1932: 23% Arbeitsmarkt durch schlecht bezahlte und rechtlich benachteiligte "Mc Jobs" und Scheinselbstständigkeit à la "Ich-AG". Tatsächlich liefern 1937: 17% derartige Gesetze den Unternehmen auf Kosten der Arbeitenden Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, Billigarbeitskräfte und führen zu Konsumrückgang und Verarmung. S 316. Anteil der Angehörigen von Polizei und Anstieg von Löhnen und Gehältern (nominal) Bundesheer an der Gesamtzahl der gegenüber dem Anstieg unverteilter Gewinne Staatsbediensteten der Kapitalgesellschaften 1934-1938

1933: 52% Löhne und Gehälter + 2%

1936: 65% Gewinn: + 121% SEITE|57 Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, Quelle: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates, Wien, S 316. S 316. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 58

Besonders betroffen von der christlichen Offensive wa- sollte sich dann Nazi-Deutschland als "Ordnungs- ren Frauen: Sie waren oft die Ersten, die gekündigt macht" einschalten und das Land nötigenfalls gewalt- wurden, verheiratete Lehrerinnen verloren 1934 in sam an das "Reich" angliedern. Schutz vor derartigen mehreren Bundesländern per Gesetz ihren Arbeits- Bestrebungen bot für Dollfuß´ Dafürhalten einzig das platz - eine Regelung, die bald für alle Beamtinnen faschistische Italien. Mussolini wiederum sah in den übernommen wurde. Frauen sollten sich wieder ihrer Heimwehren den Garanten für ein faschistisches Öster- Aufgabe als Mutter und Hausfrau besinnen und die reich und machte sich für eine starke Einbindung Rolle als Ernährer der Familie sollte künftig den Starhembergs stark. Diesem Wunsch wurde nachge- Männern alleine vorbehalten sein. kommen. Zum einen, indem die Heimwehr 1934 an der Regierung des neuen Staates beteiligt wurde,47 zum anderen durch Starhembergs Ernennung zum VERSUCHE DER FASCHISIERUNG DES STAATES Führer der Wehrfront, des militärischen Arms der neu- UND DAS ENDE DER HEIMWEHR en Monopolorganisation Vaterländische Front.48 Die Im Unterschied zum Faschismus in Italien und Heimwehr-Führer fühlten sich schon ganz als die neu- Deutschland verfügte die christlichsoziale Tyrannei in en Herren im Staat - etwas vorschnell, wie sie bald Österreich über keine nennenswerte aktivierbare merken sollten. Denn die Teilhabe an der Macht war Massenbasis. Zur Errichtung der Diktatur waren eine Konzession der Christlichsozialen an Mussolini Dollfuß und Konsorten deshalb weitgehend auf den gewesen, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. staatlichen Repressionsapparat, also Polizei und Trotz der von der Heimwehr gestellten Minister, trotz Militär, angewiesen - und auf die paramilitärische des Kommandos über die Wehrfront, trotz des schein- Heimwehr.46 Dass besonders der Letztgenannten nicht baren Dualismus der Macht ("zweigeteilte Herr- recht zu trauen war, wussten die Christlichsozialen aus schaft") liefen die Fäden nach wie vor in den Händen leidvoller Erfahrung. Zwar waren viele ihrer Anhänger der Regierung zusammen - und dort hatten die gleichzeitig Heimwehrmänner, aber die Machtgelüste Christlichsozialen als dominierende Gruppe innerhalb und Intrigen der untereinander zerstrittenen Führer der Vaterländischen Front eine bequeme Mehrheit. dieser Faschistentruppe bedeuteten einen permanen- ten Risikofaktor. Während der Phase der Aufrichtung Am 25. Juli 1934 unternahmen die österreichischen der Diktatur waren die Heimwehren aber unerlässlich. Nazis einen Putschversuch. Das Unternehmen war di- Nicht so sehr aufgrund ihrer militärischen Bedeutung, lettantisch geplant gewesen, wurde im Vorfeld vielfach hier hatte sich im Februar 1934 gezeigt, dass man sich verraten und brach binnen kurzer Zeit zusammen. auf das Bundesheer ausreichend verlassen konnte. Interessant war allerdings einmal mehr die zwielichti- Doch Dollfuß und die Seinen hatten sich mit den Nazis ge Rolle von zwei führenden Köpfen der Heimwehr: nicht einigen können. Als dann deren Terrorwelle an- Emil Fey und Anton Rintelen. Beide hatten im Vorfeld rollte, war klar, dass sie nach der Zerschlagung der vom Putsch gewusst und hatten ihn gut geheißen, Sozialdemokratie die existentiellste Bedrohung des Regimes darstellten. Ziel der österreichischen Nazis 47 "Bundesführer" Starhemberg war Vizekanzler, der Wiener Heim- war die völlige Destabilisierung der inneren wehrchef Fey Sicherheitsminister und der ehemalige Mitverschwörer Verhältnisse des "Ständestaates". Im richtigen Moment im Pfrimer-Putsch, Berger-Waldenegg, wurde Justizminister. 48 Die Wehrfront bildete allerdings nur einen Dachverband aller rech- 46 Sämtliche führenden Positionen in Polizei und Bundesheer waren ten paramilitärischen Einheiten. In ihr waren neben der Heimwehr SEITE|58 vorsorglich in den 12 Jahren christlichsozialer Regierungen zwischen die Ostmärkischen Sturmscharen, der Freiheitsbund, die Burgen- 1920 und 1932 systematisch mit konservativen Parteigängern besetzt ländischen Landesschützen und die Christlich-Deutsche Turnerschaft worden. organisiert. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 59

07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

Dollfuß ist seinen Verletzungen erlegen. Mit dem braunen Putschversuch im Juli Brüder im Geiste schießen aufeinander: Heimwehr im Kampf gegen den 1934 scheitern endgültig die Hoffnungen von Dollfuß und Starhemberg, doch Naziputsch im Juli 1934 noch zu einer Einigung mit den Nazis zu kommen

Rintelen war von den Nazis sogar als neuer Bundes- räle die Hahnenschwanzler misstrauisch beäugten und kanzler vorgesehen gewesen. Währenddessen blieb sie als lästige Konkurrenz betrachteten. Nach den Starhemberg loyal zur Regierung und bot in den zum Kämpfen im Februar 1934 und der erfolgreichen Teil erbitterten Kämpfen (besonders in Kärnten und Abwehr des Nazi-Putsches im Juli selben Jahres for- der Steiermark) Heimwehreinheiten zur Nieder- derten die Militärs eine Entmachtung der Heimwehr. schlagung der Nazis auf. Sie argumentierten (nicht ganz zu Unrecht) damit, dass die Heimwehr nun zur Absicherung des Regimes Mussolini hatte gleich zu Beginn des Putsches italieni- nicht mehr gebraucht würde und nur einen dauernden sche Truppen am Brenner aufmarschieren lassen und Gefahrenherd darstellen würde. Schuschnigg teilte damit Deutschland klar gemacht, dass eine eventuelle diese Einschätzung, auch er hielt die Heimwehr für un- Invasion Österreichs nicht geduldet werden würde. Die berechenbar und ihren Führer Starhemberg tenden- Treue Starhembergs und das Verhalten Mussolinis in ziell für einen wankelmütigen Schwachkopf, den man dieser heiklen Situation stärkte den Einfluss der sich lieber heute als morgen vom Hals schaffen sollte. Heimwehr innerhalb des Regimes nochmals. Weil aber Mussolini auf keinen Fall verärgert werden Nachdem Dollfuß dem Nazi-Putsch zum Opfer gefallen durfte, konnte Starhemberg nicht einfach so aus dem war, trat an seine Stelle der bisherige Justiz- und Amt gejagt werden. Seine Entmachtung vollzog sich Unterrichtsminister, . Er zeigte sich deshalb in zwei Stufen. Sie begann 1935 mit der erkenntlich für die loyale Haltung Starhembergs. Vereinheitlichung aller Wehrverbände zur "Frei- Dieser blieb Vizekanzler und wurde darüber hinaus willigen Miliz - Österreichischer Heimatschutz", womit auch noch Bundesführer der Vaterländischen Front. die Heimwehr an Einfluss verlor. Als sich im Jahr 1936 Aber bald setzte innerhalb der Vaterländischen Front die außenpolitische Situation grundlegend änderte, und besonders innerhalb der Wehrfront ein erbitterter war die Zeit reif für den zweiten und abschließenden Machtkampf zwischen der Heimwehr und den anderen Schlag. Der Schutzpatron der Heimwehr, Mussolini, Paramilitärs ein. war im von ihm vom Zaun gebrochenen Abessi- nienkrieg auf die Unterstützung Deutschlands ange- SEITE|59 Zusätzlich schwerwiegend war das Konkurrenzver- wiesen und bemühte sich daher, Hitlers Interessen in hältnis der Heimwehr zum Bundesheer, dessen Gene- der Politik gegenüber Österreich entgegenzukommen. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 60

Italien war nun nicht mehr länger Garant eines eigen- ständigen Österreichs - Mussolini ließ Schuschnigg wis- sen, er solle sich mit den Nazis arrangieren.

Schuschnigg war auch durchaus gewillt, diesem Rat nachzukommen, aber einer Aussöhnung mit den öster- reichischen Nazis stand die Heimwehr im Weg. Die wusste nämlich genau, dass sie von Hitlers Gewährs- männern in Ministerämtern nichts Gutes zu erwarten Das Ende einer faschistischen Karriere. Der abgehalfterte haben würde.49 Heimwehrführer Starhemberg als "Protektor des vaterländischen Mutterschutzwerkes" Starhemberg versuchte, das nun Kommende doch noch durch martialische Sprüche aufzuhalten. Er ließ öffent- kurz nach der Ausschaltung des Nationalrates im März lich unter anderem wissen: "...dass der Heimatschutz 1933 gegründet worden. Sie sollte seiner Diktatur die nicht daran denkt, als bewaffnete Formation abzurü- fehlende Massenbasis beschaffen und in weiterer sten und vom Schauplatz abzutreten ... Nur über mei- Folge dazu dienen, nach italienischem und deutschem ne Leiche geht derzeitig der Weg zur Abrüstung des Vorbild die Gesellschaft im faschistischen Sinne total Heimatschutzes, es gibt jetzt keine Abrüstung des zu umfassen. Heimatschutzes." Um die Staatsdoktrin möglichst in alle Lebensbereiche einfließen zu lassen wurde eine breite Palette von Genau zwei Wochen später musste die Heimwehr den- Vorfeldorganisationen geschaffen: vom Kulturreferat noch ihre Ministersessel räumen und wurde durch und dem Kinderferienwerk über Betriebs- und Vertraute der Nazis ersetzt. Der Heimatschutz wurde Dienststellenorganisationen bis hin zum Mutter- wenig später sang- und klanglos aufgelöst. Star- schutzwerk und der VF-Jugendorganisation Österrei- hembergs politische Karriere endete als Protektor des chisches Jungvolk. Der Beitritt zur VF war formal frei- vaterländischen Mutterschutzwerkes. willig, umso erstaunlicher wirkt aufs Erste die vom Regime verlautbarte Mitgliederzahl von zwei Millionen im Jahr 1935, was etwa einem Drittel der GESCHEITERTE EINHEITSPARTEI - Gesamtbevölkerung entsprach. DIE VATERLÄNDISCHE FRONT (VF) Ursprünglich als politische Monopolorganisation des Hermann Göring über die Versuche von "Ständestaats" gedacht, war die VF von Dollfuß bereits Dollfuß und Schuschnigg, den italienischen und deutschen Faschismus zu kopieren: 49 Es waren also machttaktische Überlegungen und nicht etwa inhalt- liche Einwände die Ursache für die anti-nazistische Haltung der "[dass Österreich] in der Staatsstruktur genau alles Heimwehr. Starhemberg drückte seine Bewunderung für Hitler dem deutschen Nationalsozialismus nachmacht, das gegenüber dem deutschen Botschafter in Wien, von Papen, so aus: heißt die gleichen Formen findet, die gleichen "Er hat das Verdienst, der erste Staatsmann gewesen zu sein, der die Organisationen, die gleichen Ausdrücke, die gleichen Gefahr einer bolschewistisch-freimaurerischen Front für die ganze Satzungen, die gleichen Methoden nur mit umgekehr- Welt erkannte und sie kompromisslos bekämpfte." Bei anderer ten Vorzeichen ... man brauche in Österreich nur statt SEITE|60 Gelegenheit sprach er von einer notwendigen Einheitsfront der auto- des Kruckenkreuzes das Hakenkreuz zu setzen und ritären Staaten "gegen die gemeinsame Offensive des Bolschewismus statt des Wortes "vaterländisch" "nationalsozialis- und der jüdischen Demokratie." faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 61

07| DIE WIRKLICHKEIT DES "STÄNDESTAATES"

Image der Diktatur unter Arbeitenden zu verbessern, tisch", so wäre in Österreich das lebendige Spiegelbild wurde 1936 in Betrieben die Wahl von Ver- von Deutschland vorhanden." trauensleuten zugelassen. Bei diesem Experiment Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des Staates. wollte die VF aber vorsichtshalber Nichts dem Zufall Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, überlassen. Um zu verhindern, dass politisch Wien, S 314. Unliebsame den Sieg davon tragen könnten, wurden sie - so sie bekannt waren - von der Wahl bereits im Die Erklärung ist allerdings simpel: Erstens gingen in Vorfeld ausgeschlossen. Umso bitterer war das der VF viele bürgerliche Organisationen und Parteien Ergebnis der Wahlen, bei denen die Kandidaten der auf, die kollektiv beitraten. Zweitens war die VF- Vaterländischen Front eine herbe Niederlage einste- Mitgliedschaft eben keineswegs für alle freiwillig, son- cken mussten. dern etwa für BeamtInnen und ArbeiterInnen in vielen (zumeist großen) Unternehmen Pflicht. Und selbst für Bericht der VF über die Vertrauensleute- diejenigen, die nicht Mitglied werden mussten - Wahl in den Steyrer-Werken Anstellungen und Konzessionen waren als VF-Ange- hörige/r um etliches leichter zu ergattern, die "Die Wahlen in den Steyrer-Werken brachten für die Schwierigkeiten soziale Unterstützung durch den Staat VF betrübliche Ergebnisse, und zwar: Von der 3.770 zu bekommen, waren erheblich geringer, usw. Mann starken Belegschaft erhielten unsere Eventuellen ideologischen Bedenken von Nazis stand Vertrauensleute ca. 320 Stimmen, die als Kom- außerdem die Tatsache entgegen, dass in der VF kei- munisten bekannten Personen erhielten gegen 1.000 neswegs nur Freunde des Regimes vereint waren: Stimmen und die ehemals sozialdemokratischen Viele Teilorganisationen und Untergruppen waren als Funktionäre erhielten rund 1.800 Stimmen." ausgesprochene Nazinester bekannt. Dieser Umstand Quelle: Politischer Bericht an das VF-Generalsekretariat vom 24.11. war Schuschnigg bekannt und wurde von ihm gutge- 1936. heißen, ab 1936 auch aktiv gefördert. Alles, was anti- demokratisch dachte, ob Heimwehrfaschist, Christ- Zusammenfassend kann demnach über die lichsozialer oder Nazi, war willkommen. Zu jenem Vaterländische Front gesagt werden, dass sie den harten Kern der VF kamen, wie erwähnt, sämtliche Versuch darstellte, nach der Errichtung der Diktatur BeamtInnen und in Scharen MitläuferInnen hinzu, die von oben eine faschistische Massenbasis zu schaffen. sich von einem Beitritt materielle Vorteile erhofften. Sie sollte dazu dienen, in Österreich einen Die Versuche des Regimes, über die Vaterländische Konkurrenzfaschismus zu etablieren, um den Nazis Front und ihre Betriebsorganisation unter Arbeiter- Boden zu entziehen, indem man sie "überhitlerte". Die Innen Fuß zu fassen, scheiterten hingegen einigerma- VF verfügte aber außer der Parole vom "besseren ßen kläglich. Hauptsächlich deshalb, weil Arbeitende deutschen Staat Österreich" über kein Programm und sich sehr wohl bewusst waren, dass ihre Interessen von konnte deshalb auch nie eine Dynamik wie die faschi- der VF nicht wahrgenommen wurden - sie sahen in VF- stischen Bewegungen in Deutschland und Italien ent- lern zumeist nur Spitzel, die ihnen das Leben schwer falten. Über die Funktion als Karriere-Sprungbrett machten. und Denunzianten-Organisation zur politischen Über- Nach eigenem Bekunden wurden VF-Funktionäre in wachung und Kontrolle kam sie nie hinaus. Viele, die den Betrieben "von Arbeitskollegen als bestellte damals den Nazis folgten, dachten ähnlich wie der Polizei-Kommissäre angesehen"50. Um das schlechte Autor Ralf Roland Ringler, der über seine Ablehnung SEITE|61

50 Bericht eines Funktionärs über seine "schwierige Stellung im Betriebe" während einer Sitzung der VF-Bezirksstelle Wien-Leopoldstadt, 8.11.1935. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 62

der österreichischen Diktatur zwischen 1934 und 1938 Damit nahm man sich selbst den einzigen ernst zu schrieb: "Wir aber wollten in einem großen, starken nehmenden innenpolitischen Bündnispartner im Staat leben - nicht in einer kleinen, komischen Kampf gegen die Nazis. Ideologisch und emotional Diktatur." stellte die christlichsoziale Diktatur die Weichen für den deutschen Faschismus in Österreich: Sie hatte Demokratie und Rechtsstaat abgeschafft, jahrelang DIE LETZTE PHASE DES "STÄNDESTAATES" UND wurde die Bevölkerung mit dem Führerprinzip, DIE MÄR VOM WIDERSTAND GEGEN DIE NAZIS Nationalismus, rabiatem Antimarxismus, dosiertem Mit dem Verlust ihres Schutzpatrons Mussolini war die Antisemitismus und Militarismus vertraut gemacht. Diktatur Schuschniggs bereits 1936, zwei Jahre vor ih- Dollfuß beschrieb die Strategie dieser Politik so: "Die rer offiziellen Niederlage, faktisch am Ende. Im braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir Nachhinein verklärten Konservative das Regime zwar das, was die Nazi versprechen und in Deutschland ge- zu "Widerstandskämpfern" gegen die braunen tan haben, was ohnehin gemildert wird durch ver- Horden, einer näheren Betrachtung hält diese schiedene Richtungen bei uns, selber machen...". Behauptung aber nicht stand. Dollfuß - und nach ihm Schuschnigg - hatten nicht nur mehrmals versucht, sich Gesagt, getan. Nicht von ungefähr glich die Ins- mit den Nazis zu arrangieren. Sie bereiteten in meh- zenierung von Großveranstaltungen der Vater- rerlei Hinsicht den Boden für deren Machtübernahme ländischen Front den Kundgebungen der Nazis bis ins und trugen die Hauptschuld daran, dass es zu keinem Detail. Nicht zufällig wurde die antisemitische Hetze Widerstand gegen den "Anschluss" im März 1938 kam. der Katholischen Kirche vom Regime nicht nur gedul- det, sondern weitgehend übernommen. Um den Das Regime schaltete die organisierte Arbeiter- Antisemitismus zu entfachen, ließ etwa der christlich- Innenbewegung aus und verfolgte bis zum Einmarsch soziale "Freiheitsbund" der Vaterländischen Front der deutschen Wehrmacht aktive AntifaschistInnen. 1936 in Wien 300.000 Flugblätter mit der Aufschrift:

Faschistisches Gehabe der Schuschnigg-Diktatur: Das "VF- Sturmkorps" soll nach dem Vorbild der SS in Deutschland die Prätorianergarde des öster- reichischen Regimes bilden. Der "Ständestaat" beweist wenig Phantasie, sogar die Uniformen des "Sturmkorps" sind jenen von Himmlers Totenkopforden nachempfunden

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"Juden! Kauft nur bei Euern Glaubensgenossen!" ver- teilen.51 In Vereinen landauf landab wurden nur noch "Arier" aufgenommen, jüdische Jugendliche waren von der Aufnahme im österreichischen Gegenstück zur HJ, dem "VF-Werk Österreichisches Jungvolk" ausge- schlossen, in Wien bekamen Menschen jüdischer Herkunft ab Sommer 1937 keine Gemeindewoh- nungen mehr. Auch der Staatsdienst wurde schleichend "entjudet". Doch die Mühe, den Nazis nachzueifern, war vergebens - die einstigen AnhängerInnen des Systems liefen scharenweise zu den illegalen Nazis über. Wer bleibt schon beim Schmiedl, wenn auch der Schmied zu haben ist? Auf der anderen Seite konnten keine neuen SympathisantInnen gewonnen werden, da sich die Lebenssituation der ArbeitnehmerInnen immer weiter verschlechterte.

Mit dem Abessinien-Krieg 1936 rächte sich, dass Dollfuß und Schuschnigg in den vorangegangenen Jahren ihr Heil einzig und allein in einer Anbiederung Der Nachfolger von Dollfuß, Kurt Schuschnigg. Er ist maßgeblich ver- an Italien gesucht hatten. Der Völkerbund verhängte antwortlich für die fatale Politik der steten Konzessionen gegenüber ein Embargo über den Aggressor Italien, das nun vor dem Dritten Reich. Selbst als Mussolini ihn fallen lässt, verweigert allem auf Kohle- und Stahllieferungen aus Deu- der außenpolitisch völlig isolierte Diktator eine Zusammenarbeit mit tschland angewiesen war. Nachdem sich Mussolini der illegalen Sozialdemokratie, um den "Anschluss" doch noch aufzu- folglich von Schuschnigg ab- und Hitler zugewandt halten hatte, versuchte das außenpolitisch isolierte österrei- chische Regime zu retten, was zu retten war. Mit dem Juli-Abkommen 1936 anerkannte Hitler die Unab- Praktisch bedeutete die Verpflichtung zur "deutschen hängigkeit Österreichs - auf den ersten Blick ein uner- Politik" beispielsweise, dass Schuschnigg öffentlich hörter Verhandlungserfolg für Schuschnigg. Wie so oft keinerlei Kritik mehr an den Vorgängen im "Altreich" war das wirklich Ausschlaggebende aber auch hier ge- üben durfte. Es war nun nicht mehr möglich zu erklä- wissermaßen kleingedruckt. In einem geheimen ren, dass die Arbeitslosigkeit in Hitler-Deutschland Zusatzprotokoll verpflichtete sich Österreich "zu einer nur durch die enorme Aufrüstung für einen neuen deutschen Politik" und zur Einbeziehung "der nationa- Krieg kurzfristig verschwunden war. Die Einbindung len Opposition" (den Nazis) in die politische Ver- der "nationalen Opposition" führte darüber hinaus antwortung. dazu, dass 17.000 illegale Nazis amnestiert wurden, während viele AntifaschistInnen weiter in den Gefängnissen und Anhaltelagern eingesperrt blieben. Den Nazis wurde ein Minister, Glaise-Horstenau, zu- 51 Die Aktion fand auch in deutschen Diplomatenkreisen großen gestanden, Anfang 1937 erhielten sie innerhalb der Anklang: Deutschlands Botschafter in Wien, Franz von Papen, schlug Vaterländischen Front auch ihre eigene Abteilung, das SEITE|63 Hitler sogar vor, den Freiheitsbund finanziell zu unterstützen, damit "Volkspolitische Referat". Der Glaube, die Nazis wür- dieser seinen "Kampf gegen das Judentum" fortführen könne. den sich mit diesem Entgegenkommen zufrieden ge- faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 64

EXKURS II IM NAMEN GOTTES

ben, war allerdings blauäugig. Hitler hatte ja seit je- her erklärt, "alle Deutschen in einem Reich" vereinen zu wollen und wenig Zweifel daran gelassen, dass er es diesbezüglich nicht bei Absichtserklärungen bewen- POLITI S den lassen würden. IN Außerdem ergaben sich durch die deutschen Die Elite der christlichsozialen Partei rekru- Rüstungsanstrengungen 1937 ernste wirtschaftliche tierte sich, ebenso wie jene des "Stände- Probleme. Der "Anschluss" Österreichs war für die staates", zum allergrößten Teil aus der Nazis nun nicht mehr "nur" ideologisch wichtig, son- Katholischen Kirche und ihrem Umfeld. dern wurde auch wirtschaftspolitisch interessant. Der Keine andere Interessensgruppe profitierte Mangel an Rohstoffen, vor allem an Eisen und Stahl, derart von der Diktatur zwischen 1934 und die knapp gewordenen Arbeitskräfte und die hohe 1938 wie die katholische Kirche. Aber damit deutsche Staatsverschuldung konnten durch einen alleine die Rolle der Kirche bzw. des politi- "Anschluss" Österreichs kurzfristig gelindert werden. schen Katholizismus bei der Beseitigung der Schließlich gab es in der "Ostmark" einiges zu holen: Demokratie und der Errichtung der Diktatur die Gold- und Devisenvorräte der Österreichischen zu erklären, wäre zu kurz gegriffen. Nationalbank, den steirischen Erzberg und die unaus- gelasteten Arbeitskräfte waren die lukrativen Aspekte WAS IST "POLITISCHER KATHOLIZISMUS"? des "großdeutschen Ideals". Die abgehalfterte Dik- tatur Schuschniggs konnte dem Druck, der ab 1937 im- Zu den wichtigsten Forderungen der Aufklärung ge- mer stärker wurde, nichts mehr entgegensetzen. hört die strikte Trennung von Religion und Staat. Es Appelle von Seiten der illegalen Sozialdemokratie, sei, wurde proklamiert, allen Menschen selbst überlas- der Gewerkschaften und der KP, sich zur Wehr zu set- sen, sich Gedanken über das Woher und Wohin des zen, ignorierte Schuschnigg52 und erklärte statt dessen, Menschen und seiner "Seele" zu machen. Ob wir nach er wolle "kein deutsches Blut vergießen". Am 12. März unserem Tod einfach nur in einer Holzkiste vermodern besetzten deutsche Truppen unter dem Jubel von oder aber gen Himmel fahren, sollte keinerlei Einfluss Zehntausenden das Land. "Das österreichische Huhn auf die Organisation des gesellschaftlichen Lebens auf ist in den deutschen Topf gefallen", bemerkte der ita- Erden haben. Zu verheerend war die Vermengung von lienische Außenminister Galeazzo Ciano spöttisch. Politik und Religion in der Vergangenheit gewesen, als dass den Kirchen im Zeitalter der Vernunft weiterhin der gleiche enorme Einfluss zugebilligt werden durfte wie zuvor. Im Namen keiner Religion sollten mehr Kriege geführt, Menschen ausgegrenzt und umge- bracht, Herrschaft legitimiert und Wissenschaft kon- trolliert und gelenkt werden. Religion sollte von nun an bloße Privatsache sein, aber darüber hinaus keinen Einfluss mehr auf Staat und Gesellschaft haben. Wo 52 Zu den zahlreichen Versuchen, sich mit dem österreichischen mit bürgerlichen Revolutionen das Gedankengut der Regime auf eine gemeinsame Abwehrfront gegen die Nazis zu ver- Aufklärung gesiegt hatte und sich in den folgenden SEITE|64 ständigen, gehörte unter anderem eine Petition an Schuschnigg mit Jahren und Jahrzehnten festigen konnte, waren (und über 100.000 Unterschriften, in der eine "Volksfront" gefordert sind) diese Vorstellungen unumstrittene Eckpfeiler des wurde. allgemeinen Demokratieverständnisses. Nicht so in faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 65

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Die katholische Gesellschaftsanalyse stützte sich auf eine Geschichtsschreibung, die im Mittelalter die "gott- gewollte" Gesellschaftsform verwirklicht sah. Damals, I SCHER KATHOLIZISMUS so die Legende, hätte die Menschheit friedlich zu- sammengelebt, weil niemand fürchten musste, die ei- N DER ERSTEN REPUBLIK gene Position von einem Tag auf den anderen zu ver- Österreich. Das Habsburgerreich hatte Macht und lieren. Die Gesellschaft sei in drei "Ordines" (lat. Reichtum der Katholischen Kirche im großen und gan- "Stände") gegliedert gewesen: Während die ersten be- zen nicht in Frage gestellt und gegen liberale und so- teten, hätten die zweiten zu kämpfen und die dritten zialistische Bestrebungen meist wütend verteidigt - schließlich zu arbeiten gehabt. Alle wären in dieser eine Ausnahme bildete hier lediglich Joseph II. Der ständischen Gesellschaftsordnung eingebettet gewesen Klerus dankte es der kaiserlichen Familie mit unver- und hätten gewusst, wo sie hingehörten - in die be- brüchlicher Loyalität und leistete einen wichtigen haglichen Gemächer der Schlösser und Klöster oder in Beitrag zur Herrschaftssicherung: Die Kirche veran- die fraglos nicht ganz so bequemen Quartiere, in de- kerte eine irrationale Ideologie in den Köpfen der nen das "Gesinde" hauste. Erst der aufkommende gläubigen Massen, die jeden Zweifel an der Kapitalismus hätte aus der ständischen Gesellschaft Rechtmäßigkeit der "gottgewollten Herrschaft auf eine Klassengesellschaft gemacht, in der sich plötzlich Erden" von vornherein ausschloss. Unter "politischem Menschen gegen ihr Schicksal auflehnten. Katholizismus" wird nun generell der Versuch der Kirche zusammengefasst, ihren Einfluss auf das politi- Einer wissenschaftlichen Betrachtung hält dieses sche Leben gegen die Säkularisierung ("Verwelt- Konstrukt der heilen mittelalterlichen Welt nicht stand: lichung") der Gesellschaft zu verteidigen. Natürlich hatte es auch im Mittelalter gesellschaftliche Klassen gegeben, hatten Verteilungskämpfe existiert und hatten sich Beherrschte gegen ihre Unterdrücker KIRCHE UND KAPITALISMUS: gewandt - als bekanntestes Beispiel seien hier nur die STAND ODER KLASSE? Bauernkriege genannt. Mit der Industrialisierung er- Die Ursache für ihren schwindenden Einfluss sahen die reichten diese Auseinandersetzungen jedoch eine neue Kirchenfürsten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahr- Qualität. Die überschaubare, von der Obrigkeit ver- hunderts vor allem im um sich greifenden "gottlosen hältnismäßig leicht kontrollierbare ländliche Struktur Marxismus". Ihn galt es auszurotten. War die Arbei- der Feudalgesellschaft hatte es der "einfachen" Bevöl- terInnenbewegung erst zum Schweigen gebracht, wür- kerung im Mittelalter erschwert, sich zusammen zu tun de die Welt wieder in Ordnung sein. Kaum verwunder- um gemeinsame Interessen durchzusetzen. In den neu lich war daher, dass die Herren mit der Demokratie, in entstandenen Industriezentren des 18. und 19. Jahr- der sie ein Werk der "Roten" sahen, wenig Freude hat- hunderts hingegen lebten Tausende auf engstem Raum ten. Nach 1918 träumten sie von einer Rückkehr in die unter den selben fürchterlichen Bedingungen und be- selige Zeit des Habsburger-Reiches, als die Gesell- gannen daher sehr rasch, ein gemeinsames Bewusst- schaftsordnung noch ganz ihren Vorstellungen ent- sein zu entwi-ckeln und sich zu organisieren. Die sprochen hatte. Doch die Exzellenzen irrten, wenn sie Kirche hatte für sozialistische Bestrebungen grundsätz- die Republik als Grund allen Übels geißelten. Denn lich wenig über, aber auch manche ihrer Würdenträger schon lange vor dem Zusammenbruch der Monarchie konnten nicht umhin anzuerkennen, dass die Ursache war die traditionelle, von der Kirche dominierte für das Aufbegehren des Proletariats die menschenun- SEITE|65 Lebensform des Mittelalters massiven Veränderungen würdigen Lebensbedingungen der ArbeiterInnen wa- von außen ausgesetzt gewesen. ren. Die politische Antwort auf den "hasserfüllten mar- faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 66

Angehörige des Cartell-Verbandes (CV) bei einem Aufmarsch der Vaterländischen Front 1934. Die Eliten des "Ständestaat"-Regimes entstammen beinahe durchgehend den katholischen Studenten- verbindungen. Auch abseits des CV bildet die Vielzahl katholischer Vereine und Netzwerke einen der wichtigsten Stützpfeiler kirchlicher Macht

xistischen Klassenkampf" (Kardinal Piffl) sah der Parteien stand der Linken ein weiterer mächtiger Klerus in der Rückbesinnung auf das Mittelalter und Gegner gegenüber: Die katholische Kirche verfügte seine "ständische" Gesellschaft. Dollfuß, der ganz in über beispiellose Möglichkeiten, die Meinung im Land dieser Denktradition stand, brachte die katholische in ihrem Sinne zu beeinflussen. Landauf, landab wet- Sehnsucht in seiner berühmt-berüchtigten "Trabrenn- terten Pfarrer wütend von den Kanzeln gegen den er- platzrede" 1933 auf den Punkt, als er meinte, das "soge- sten Paragraphen der neuen Verfassung, der besagte: nannte Mittelalter" sei "jene Zeit [gewesen], in der der "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht Arbeiter gegen seinen Herren nicht aufstand und orga- geht vom Volke aus." Einen Staat, dessen Recht sich nisiert war, jene Zeit, wo Wirtschaft und Leben auf der nicht von Gott, sondern vom Volk herleite, könne kein Zusammenfassung aller gegründet war ..."53 Prägnanter Christ wollen, ließen sie ihre Schäfchen wissen. zusammengefasst hieß das, das Proletariat solle gefäl- ligst aufhören, gemeinsam für seine Rechte zu kämpfen Die Macht der Kirche beruhte im Wesentlichen auf zwei und ArbeiterInnen ihre untergeordnete Stellung auf Eckpfeilern. Erstens waren die Eliten in Beamten- Erden akzeptieren. Im Gegenzug sollten die Reichen - apparat und Wirtschaft nach 1918 weitgehend die schon im eigenen Interesse - doch bitte niemanden mehr Selben wie schon in der Monarchie. Abgesehen von ei- verhungern lassen. Von den Herrschenden Gnade zu er- ner Minderheit antiklerikaler Deutschnationaler wa- bitten und Brot zu erhoffen sei in Ordnung. Beides aber ren diese Eliten konservativ-katholisch geprägt. In An- als Recht einzufordern wäre Frevel, Terror, Anarchie. betracht ihrer eigenen gefährdeten Privilegien hatten Dieses Prinzip ist bis heute Kerngedanke der Katho- sie für die antirepublikanische Hetze der Kirche allzeit lischen Soziallehre: Mildtätigkeit als Christenpflicht der ein offenes Ohr. Reichen statt dem Recht auf gleiche Teilhabe an den Gütern dieser Welt für alle - Charity statt Gesetze. Zweitens übte der Klerus besonders in den ländlichen Regionen seit Jahrhunderten in einem Maß soziale Kontrolle aus, das seinesgleichen suchte. Nach Schät- DIE MACHT DER KIRCHE zungen des Salzburger Historikers Ernst Hanisch lag IN DER JUNGEN REPUBLIK die Quote all jener, die zumindest einmal wöchentlich Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde der letzte der Messe beiwohnten, bei siebzig bis achtzig Prozent Habsburger auf dem Thron der österreichisch-ungari- der Gesamtbevölkerung. Keine andere Organisation schen Monarchie, Kaiser Karl I, davongejagt. Mit der hatte die Gelegenheit, einmal wöchentlich praktisch Republik hatte die ArbeiterInnenbewegung einen ge- allen, die irgendwie kreuchen und fleuchen konnten, waltigen Sieg errungen. Doch neben den bürgerlichen zu vermitteln, wer für das Gute und Rechte in der Welt und wer im Dienste des Satans stand. SEITE|66 53 Die ganze "Trabrennplatzrede" ist abgedruckt bei: Berchtold, Klaus (Hg.) 1967: Österreichische Parteiprogramme 1868-1966, Wien, S Der Pfarrer bestimmte in der österreichischen Provinz, 427 ff. wer als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft zu gelten faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 67

08| IM NAMEN GOTTES

hatte und wer nicht. Er gab über weite Strecken vor, welche Form des Umgangs miteinander gepflogen werden sollte, wie also das kulturelle, soziale und da- mit zu wesentlichen Teilen auch das politische Leben auszusehen hatte. Hinzu kam ein weit verzweigtes Netz von Vorfeldorganisationen, Studentenverbindun- gen und nicht zuletzt der katholische Einfluss auf das Schulwesen.

SCHÜTZENHILFE FÜR ANTIDEMOKRATISCHE KRÄFTE Mit der Demokratie an sich konnte der Klerus schon wenig genug anfangen. Mit denen, die sie erkämpft Festliche Versammlung der Ortsgruppe Holzleithen (OÖ) des Freidenkerbundes. Die antiklerika- hatten, der ArbeiterInnenbewegung, allerdings noch len sozialdemokratischen "Freidenker" sind das Lieblingsfeindbild des Klerus. Nach der deutlich weniger. Die Hoffnung der Kirche ruhte daher Ausschaltung des Parlaments 1933 ist ihre Organisation eine der ersten, seit 1918 auf Männern, die ihren Abscheu gegen die die Dollfuß verbieten lässt Demokratie teilten, wie die Wiener Christlichsozialen Ignaz Seipel, Kurt Schuschnigg oder Engelbert Dollfuß, Die frommen Herren konnten zwangsläufig wenig aber auch auf strammen Deutschnationalen (und spä- Sympathien für eine Bewegung empfinden, die im teren Nazis) wie Arthur-Seyss Inquart. Breite Unter- selbstbestimmten (also weder von ihnen noch von Gott stützung der Kirche fanden auch die Heimwehren in gelenkten) Menschen ihr Ziel sah. Selbst zumeist aus ihrem Kampf gegen die "gottlosen Roten". Die Abnei- "besseren Kreisen" stammend, hatten die kirchlichen gung der Kirche gegen die Sozialdemokratie war vor- Würdenträger auch herzlich wenig für eine Sozial- wiegend ideologisch motiviert und kaum auf konkrete politik übrig, die sie als "bolschewistische Gleich- antikirchliche Politik der SDAPÖ zurückzuführen. macherei" verdammten. Die hysterischen Reaktionen auf im Grunde sehr vorsichtige Versuche der Sozial- Turnerinnen des Halleiner Arbeitervereins in den 20ern. Das demokratie, den Einfluss der Kirche im Unter- Aufbegehren von Frauen gegen althergebrachte Rollenmuster, ihr richtswesen zurückzudrängen, machten außerdem Kampf um Gleichberechtigung und Mitbestimmung war den deutlich: Die Kirche vertraute im Zweifelsfall weniger Kirchenmännern zutiefst suspekt. Inbegriff "sittlicher Zerrüttung" "der natürlichen Liebe des österreichischen Volkes zu war für sie besonders das neue weibliche Selbstbewusstsein, mit dem Jesus Christus" als der Zwangschristianisierung von ein neues, positives Verhältnis zum eigenen Körper einherging Kindheitstagen an. Als diese Praxis nun erstmals in Frage gestellt wurde, war Feuer am Dach. Der große Schrecken, den etwa der "Glöckel-Erlass"53 hervorrief, wird in einer Stellungnahme von Kardinal Piffl aus dem Jahr 1931 deutlich.

53 Der sogenannte "Glöckel-Erlass" im Roten Wien des Jahres 1919 besagte, dass Schulkinder von ihren Religionslehrer nicht mehr ge- zwungen werden durften, am Sonntag die Messe zu besuchen und SEITE|67 untersagte die Anbringung religiöser Symbole in öffentlichen Schulen. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 68

Gemeinsames Wahlplakat von Heimwehr und Christlich- sozialen. Die Sozialdemo- kratie bemüht sich in der Ersten Republik um eine Trennung von Kirche und Staat, die in anderen Staaten, wie etwa Frankreich, zum de- mokratischen Grundver- ständnis gehört. Bischöfe und Christlichsoziale verteufeln die Katholischer Antisemitismus Verbannung religiöser Symbole aus Schulen und Aus dem Hirtenbrief des Linzer Bischofs Johannes Amtsstuben in Wien als "mar- Maria Gföllner 1933: xistische Gewaltherrschaft" "Zweifellos üben viele gottentfremdete Juden einen überaus schädlichen Einfluß auf fast alle Bereichen des modernen Kulturlebens. Wirtschaft und Handel, Geschäft und Konkurrenz, Advokatur und Heilpraxis, soziale und politische Umwälzungen sind vielfach durchsetzt und zersetzt von materialistischen und libe- ralen Grundsätzen, die vorwiegend vom Judentum stammen. Presse und Inserate, Theater und Kino sind häufig erfüllt von frivolen und zynischen Tendenzen, Seine Exzellenz meinte damals: "Aber gerade die zeit- die die christliche Volksseele bis ins Innerste vergiften weilige Gewaltherrschaft des österreichischen Marxis- und die ebenso vorwiegend vom Judentum genährt mus hat den Katholiken die Augen geöffnet. Sie sahen und verbreitet werden. Das entartete Judentum im eine Weltanschauung an der Arbeit, die wohl überall Bunde mit der Weltfreimaurerei ist auch vorwiegend niederreißen, aber nirgends aufbauen konnte, sahen Träger des mammonistischen Kapitalismus und vor- an der Stelle des Rechts brutale Gewalt an der wiegend Begründer und Apostel des Sozialismus und Regierung und sahen nicht zuletzt, wie die Grundsätze Kommunismus, der Vorboten und Schrittmacher des der katholischen Weltanschauung systematisch aus al- Bolschewismus. ..." len Gebieten des staatlichen und öffentlichen Lebens verdrängt wurden."55 Wer in der demokratischen Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie eine DER KLERUS UND DIE "marxistische Gewaltherrschaft" erblickte, konnte ERRICHTUNG DER DIKTATUR automatisch kein großer Freund des gesamten demo- kratischen Systems sein. Allerdings hatte die Politik Nachdem sich die Christlichsozialen 1933 im Bündnis der Kirche, allzeit gegen die Sozialdemokratie zu het- mit der Heimwehr endgültig auf die Abschaffung der zen und fleißig die Werbetrommel für die Demokratie festgelegt hatten, unterstützte die Kirche Christlichsozialen zu rühren, auch einen materiellen den eingeschlagenen Kurs nach Kräften. Sie goutierte Hintergrund. Neben dem Ziel eines "Ständestaates", die Ausschaltung des Parlaments und ermutigte erhoffte sich der Vatikan von der Ausschaltung der Dollfuß damit indirekt zu weiteren Schritten in Linken die Möglichkeit, ein vorteilhaftes Konkordat Richtung offener Diktatur. Kardinal Innitzer rief den abschließen zu können.56 womöglich Schwankenden im April 1933 zu: "Hinter eine solche Regierung müssen wir uns geschlossen 55 Zitiert nach: Hanisch, Ernst 1984: Der Politische Katholizismus als stellen". ideologischer Träger des "Austrofaschismus" in: Talos, Emmerich und Neugebauer, Wolfgang (Hg.) 1988: "Austrofaschismus". Beiträge Wie wichtig die ideologische Unterstützung der Kirche über Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, 4. erweiterte Auflage, war, wird anhand der ersten Maßnahmen nach der SEITE|68 Wien, S 56." Auflösung des Parlaments klar: Der "Glöckel-Erlass" 56 "Konkordate" sind Verträge zwischen dem Vatikan und anderen wurde aufgehoben und der antiklerikale sozialdemo- Staaten, die die Rechte der Kirche in den betreffenden Ländern regeln. kratische "Freidenkerbund" mit sofortiger Wirkung faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 69

08| IM NAMEN GOTTES

Im Gleichschritt in die Diktatur: Aufmarsch von Pfarrern auf der Wiener Ringstrasse anlässlich des "Allgemeinen Deutschen Katholikentages" 1933. Nach der Ausschaltung des Parlaments jubeln die Bischöfe Dollfuß zu, Kardinal Innitzer schreibt begeistert: "Das Führerprinzip bricht sich in der Alten und in der Neuen Welt Bahn. In der Kirche herrscht es seit jeher." Zitiert nach: Der Standard, 13./14. März 2004.

aufgelöst. Gleichzeitig signalisierte Dollfuß weitrei- Als am 12. Februar 1934 schließlich die Kanonen des chendes Entgegenkommen bei den anstehenden Bundesheeres ArbeiterInnenwohnhäuser in Schutt und Konkordatsverhandlungen. Eine Hand wusch die ande- Asche legten und selbst schwerverletzte Schutzbündler re: Als endgültig klar war, dass die Dollfuß-Regierung wie Verbrecher gehängt wurden, übernahm die Kirche der Sozialdemokratie militärisch den Garaus zu ma- bereitwillig die schwierige Aufgabe, all das vor der chen gedachte, überschütteten die katholischen Weltöffentlichkeit zu rechtfertigen. Sie erklärte, die Würdenträger den Kanzler in der Öffentlichkeit mit Sozialdemokratie hätte am 12. Februar eine "mit lan- Lob. So wurde angesichts der Ausschaltung des ger Vorbereitung und mit dem Aufgebot gewaltiger Parlaments und der faktischen Abschaffung der Mittel außerordentlich planmäßig ins Werk gesetzte Demokratie in einem "Hirtenbrief" seitens der Revolution" vom Zaun gebrochen. Damit wären von Bischöfe verlautbart, die Kirche sei "überzeugt von der ihr auch in Österreich russische Zustände herbeige- vollkommen legalen Stellungnahme und korrekten führt worden, die in Kirchen- und Klösterstürmen ge- Handlungsweise der jetzigen Staatsgewalt". gipfelt hätten. Vor dieser Gefahr wäre die Kirche nur durch das beherzte Vorgehen der Regierung bewahrt worden, ihr gebühre für "den Ernst und die Milde" ih- res Vorgehens aufrechter Dank.

DAS "VERGELT'S GOTT" DER DIKTATUR 1934 - 1938 In der Verfassung des "Ständestaats" von 1934 hieß es statt der bisherigen Feststellung, Österreich sei eine Demokratie, deren Recht vom Volk ausginge, fortan im ersten Artikel: "Im Namen Gottes, des All- mächtigen, von dem alles Recht ausgeht, erhält das Feierliche Unterzeichnung des neuen Konkordats 1933. Der österreichische Volk für seinen christlich, deutschen Klerus erweist Dollfuß bei der Errichtung der Diktatur wertvolle Bundesstaat auf ständischer Grundlage diese Ver- Dienste. Im Gegenzug lässt sich der Diktator nicht lumpen und fassung". Damit begann die vorerst letzte Phase der SEITE|69 schließt mit den Vertretern des Vatikan ein für die Kirche überaus Gegenreformation in Österreich. Die Kirche und ihre vorteilhaftes Abkommen Gewährsmänner in der Politik gingen nicht nur daran, faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 70

den Säkularisierungsprozess des vorangegangenen Jahrzehnts rückgängig zu machen - sondern jenen der vergangenen hundertfünfzig Jahre. Mit den Worten des damaligen Bundespräsidenten Miklas: "Die Epoche der Säkularisierung des europäischen Geistes, die sich im privaten und öffentlichen Leben so unheil- voll auswirkte, neigt sich ihrem Ende zu und nach der gewaltsamen Austreibung christlichen Geistes aus dem Leben der Völker, mit der frühere Generationen ge- sündigt haben, muss nun wieder mit dem Einholen der Heiligtümer begonnen werden." Gesagt, getan. Die Kirche war fortan in wichtigen staatlichen Gremien vertreten, im Bundeskulturrat ebenso wie in den Landtagen. Ihren wiedergewonnenen Einfluss, speziell im Unterrichtswesen, wusste sie zu nutzen: Schul- Einweihung der "Dr.-Dollfuß-Gedächtniskirche" auf der Hohen Wand direktoren, vielfach aber auch schon einfache durch Kardinal Innitzer, Sommer 1934. Die Stilisierung des toten LehrerInnen, mussten katholisch sein. BeamtInnen Diktators zum "Märtyrer" gelingt nur durch die tatkräftige und LehrerInnen waren verpflichtet, an kirchlichen Unterstützung der Kirche Feiern teilzunehmen. LehrerInnen hatten für die ka- tholische Erziehung der ihnen anvertrauten Kinder zu sorgen, insbesondere auch für deren regelmäßige Der Klerus revanchierte sich weiterhin für das Ent- Beichte. Nicht zur Beichte zu gehen zog künftig gegenkommen, das ihm zu Teil wurde und war eifrig schlechtere Schulnoten nach sich. Im Alltag des bemüht, seine Schäfchen auf Linie zu halten. Nach der Staatsapparates waren religiöse Kulte binnen kürze- Ermordung von Dollfuß durch putschende Nazis hatte ster Zeit allgegenwärtig. Amtsräume wurden geweiht, die Kirche maßgeblichen Anteil daran, den verbliche- Amtsmessen abgehalten, bei fast allen größeren nen Kanzler zum "Märtyrer" zu verklären, so wurden Anlässen waren Priester anwesend. Aber damit nicht in vielen Kirchen des Landes dem toten Diktator eige- genug: Seit dem August 1933 mussten alle, die aus ne Dollfuß-Altäre eingeweiht, Dollfuß-Kapellen er- der Kirche austreten wollten, ihren "gesunden Geistes- richtet und im ganzen Land Dollfuß-Messen gelesen. und Gemütszustand" nachweisen, in Salzburg wurden Austrittswillige überhaupt ins Gefängnis gesperrt. Doch bei aller Liebe blieb Gottes Bodenpersonal Pfarrern war es endlich möglich, die seit jeher mit durchaus pragmatisch. Als zu Beginn des Jahres 1938 Argusaugen überwachten "Tanzfestlichkeiten" in ihren das österreichische Konkurrenzunternehmen zum Gemeinden zu unterbinden, ebenso konnten sie nun deutschen Faschismus endgültig als gescheitert be- vielerorts Kinovorführungen zensieren oder gleich trachtet werden musste, hatte Halsstarrigkeit aus Sicht verbieten. Um die Verbundenheit des "Neuen Öster- der Kirchenfürsten keinen Sinn. Kardinal Innitzer be- reich" mit der Kirche zu demonstrieren, aber auch um schloss stattdessen, es der deutschen Geistlichkeit deutlich zu machen, welche Sorte Kampf hier geführt gleichzutun und versuchte, sich mit den neuen wurde, griff man tief in die historische Mottenkiste. Machthabern gut zu stellen. War gestern die Parole Zum Symbol für die nach faschistischem Vorbild ge- noch "Heil Österreich" gewesen, bewies der Kirchen- SEITE|70 schaffene Einheitsorganisation des Regimes, die mann nun Flexibilität. Seine Ergebenheitsadresse an "Vaterländische Front", wurde das Zeichen der alten den neuen Herrscher unterzeichnete er mit einem de- Kreuzritter, das Jerusalem- oder Kruckenkreuz. voten "Heil Hitler". faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 71

09| ZUM WESEN DES REGIMES 1934-1938

AUSTRO"FASCHISMUS"? ZUM WESEN DES REGIMES 1934-1938

In der Wissenschaft ist bis heute umstritten, Fragen gestellt und beantwortet werden. Wer war aus welche Herrschaftsform sich in Österreich welcher Motivation heraus an der Beseitigung der nach der endgültigen Zerschlagung der Demokratie beteiligt? Wer profitierte von der Dik- Demokratie im Februar tatur? Standen Dollfuß und seine Getreuen allein auf 1934 etablierte. weiter Flur oder gab es Parallelen zu anderen europä- ischen Systemen? x War die Diktatur von Dollfuß und Schuschnigg "faschistisch"? "Faschismus" als allgemeine politische Kategorie wird x War sie "bürgerlich-autoritär"? mehrheitlich von progressiven WissenschaftlerInnen x War sie "klerikalfaschistisch"? verwendet. Konservative und Rechte würden damit in x War der "Ständestaat" die "erstarrte erster Linie das italienische Herrschaftsmodell Mus- Herrschaft der Bürokratie"? solinis meinen, die Qualifizierung anderer Regime als x Und weshalb tut eine möglichst präzi- "faschistisch" lehnen sie meist ab. Dadurch ergibt sich se Antwort auf diese Fragen Not? von selbst, dass der Begriff "Austrofaschismus" tenden- ziell von links in die Debatte einfließt - allerdings Begonnen bei der letzten Frage fällt die Antwort nicht nicht ausschließlich. Sowohl jener Bundespräsident, schwer. Zum einen sollte es unser aller Anliegen sein, der Dollfuß widerstandslos gewähren ließ, Miklas, als den Versuchen aus konservativen Kreisen entgegenzu- auch der - linker Umtriebe unverdächtige - letzte kai- treten, die in den Diktatoren verdiente Widerständler serliche Finanzminister Alexander Spitzmüller spra- gegen den Nationalsozialismus sehen wollen und ihre chen von einem "austrofaschistischen System". Politik als "Akt der Notwehr gegen Links und Rechts" zu deuten versuchen. Denn indirekt wird damit ja auch Außer Frage steht die Existenz zweier faschistischer für Gegenwart und Zukunft festgehalten, dass die Bewegungen im Österreich der 1920er und '30er: Abschaffung der Demokratie unter gewissen Umstän- Neben den Nazis prägte am äußersten rechten Rand den grundsätzlich legitim sein kann. vor allem die Heimwehr das politische Geschehen. Ihre Ein wesentliches Element dieser systematischen, ver- Führer bezeichneten sich selbst mehrmals als faschis- harmlosenden Geschichtsfälschung besteht in mög- tisch und es lässt sich anhand objektiver Kriterien fest- lichst unspektakulären Begrifflichkeiten. "Faschistisch" stellen, dass dem letztlich auch so war: Die Heimwehr ist Terror, Weltkrieg und Massenmord. "Autoritär" da- konnte zeitweise auf eine zumindest in Ansätzen vor- gegen ist halt nicht ganz frei. Und "Ständestaat" ist für handene Massenbasis verweisen. Sie war nach dem die allermeisten ohnehin eine nicht nachvollziehbare, Führerprinzip streng hierarchisch gegliedert, militari- aber mithin auch kaum abstoßende Kategorie. stisch und betont "männlich". Inhaltlich war die Heimwehr stramm antimarxistisch und bediente sich in Neben der Widerlegung konservativer Mythen stellt ihrer Propaganda einer pseudorevolutionären Rhe- sich aber natürlich auch im Fall der Diktatur '34-'38 torik. Sie vertrat rassistische, antisemitische Vorstel- SEITE|71 die Frage nach dem "Wie lernen?". Lernen heißt auch, lungen und wandte sich scharf gegen ein rationales sich klare Begrifflichkeiten zu erarbeiten, indem Weltbild. Gleichzeitig war die Heimwehr ihrer Funk- faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 72

bügelhalterin war sie auch nicht ansatzweise in der Lage, das politische Geschehen der Diktatur zu domi- nieren, obwohl "Bundesführer" Starhemberg zu Be- ginn des Regimes 1934 noch vollmundig vom "Staat der Heimwehr" gesprochen hatte. Im Gegenteil gelang es Dollfuß - und später vor allem Schuschnigg - relativ mühelos, die Chefs der Heimwehr aufs politische Ab- stellgleis zu verfrachten. Zur bitteren Enttäuschung der Hahnenschwanz-Milizen bildeten nicht sie, sondern die neugegründete Vaterländische Front (VF) jene Organi- sation, die für das österreichische Regime als Mas- senbasis nach italienischem Vorbild herhalten sollte.

Die schriftliche Versicherungen von Dollfuß gegenüber seinem alten Freund und Gönner Mussolini, die Faschisierung des Staates voranzutreiben, stellten dennoch keine bloßen Lippenbekenntnisse dar.57 Handshake der "Patrioten" Dollfuß und Starhemberg. Letzterer beschreibt Zeitweise wurden recht konkrete Schritte in diese seine politische Haltung so: "Bewusst habe ich daher den Begriff ´Austro- Richtung unternommen: Die Linke wurde militärisch faschismus`geprägt. Bewusst und wohlüberlegt habe ich mich und damit niedergerungen, sämtliche Organisationen der öster- den österreichischen Heimatschutz als den Träger des österreichischen reichischen ArbeiterInnenbewegung aufgelöst und Faschismus erklärt" 56 Oppositionelle verfolgt. Gleichzeitig wurde versucht, möglichst breite Teile der Bevölkerung in den tion nach lange Zeit eine bezahlte Privatarmee der Organisationen des Staates zu erfassen, zu aktivieren österreichischen Reaktion. Ähnlich wie die faschisti- und zu militarisieren. Schlussendlich wurde - im gro- schen Milizen in Italien und die SA in Deutschland ßen Stil allerdings erst nach dessen Ableben - ein wurde sie gegen demonstrierende und streikende Führerkult rund um die Person Dollfuß betrieben, der ArbeiterInnen eingesetzt und führte einen permanen- den Vergleich mit dem Faschismus in anderen Ländern ten Kleinkrieg gegen linke Parteien und Gewerk- nicht zu scheuen brauchte. Diese Tatsachen ließen für schaften. Unbestritten ist neben diesen Charakter- sich genommen den Begriff "Austrofaschismus" als zu- merkmalen der Heimwehr auch ihre Beteiligung an lässig erscheinen. der Beseitigung der Demokratie und der gewaltsamen Unterdrückung der Linken. Allerdings gibt es mehrere gute Gründe dafür, sich der Definition Otto Bauers anzuschließen, der im Fall Ab da wird es allerdings etwas komplizierter. Denn Österreichs von einem "Halbfaschismus" spricht. Denn anders als in Deutschland und Italien wurde 1933/34 wie bereits erwähnt, wurde die ursprüngliche faschisti- nicht die Heimwehr von bürgerlichen Parteien und sche Bewegung im "Ständestaat" völlig entmachtet. Interessensgruppen an die Macht gebracht, sondern Lässt sich außerdem noch darüber streiten, ob die sie war Juniorpartnerin einer Koalition von Christlich- Heimwehr über eine aktivierbare Massenbasis nach sozialen und Deutschnationalen. Als deren Steig- faschistischem Muster verfügte, kann dies im Falle der SEITE|72 Diktatur Dollfuß/Schuschnigg klar verneint werden. 56 Zitiert nach: Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der 30er Jahre, Wien, S 162. 57 Vgl. Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 73

10| LÜGEN UND LEGENDEN

Die Christlichsozialen in der Ersten Republik sind keineswegs von jeher vom "österreichi- schen Geist" erfüllt. Ihre Führer, wie Ignaz Seipel, fordern mehrmals, unter anderem auch im Rahmen des "10. Deutschen Sänger- bundfestes" 1928 in Wien (Bild) den Anschluss Österreichs an Deutschland. Der spätere Kleinstaat-Patriotismus der Konservativen hat seinen Ursprung nicht in echter Überzeugung, sondern vielmehr in machttaktischen Überlegungen

LÜGEN UND LEGENDEN UM DAS ENDE DER ERSTEN REPUBLIK

Dem Versuch des Regimes, im Nachhinein eine derar- Bereits in der Einleitung wurden einige der gängigsten tige Basis zu schaffen, war kaum Erfolg beschieden. Legenden rund um die Erste Republik und den "Ständestaat" Auch ihrem Anspruch nach vertraten die österreichi- erwähnt. In den letzten Jahren haben Publikationen und schen Diktatoren im Unterschied zu anderen, eindeu- Medienbeiträge, die solche Legenden zum Inhalt haben, zu- tig faschistischen Führern eine andere Politik. genommen. AutorInnen, die sich bereit finden, die Rolle der Während sich faschistische Bewegungen allerorts als Christlichsozialen, ja sogar der Heimwehr-Faschisten schön Renegaten gegen "das System" gebärdeten, von zu reden, haben im Ersten Präsidenten des Nationalrates, "Revolution" schwadronierten und versprachen, sie dem VP-Abgeordneten Andreas Khol, allzeit einen euphori- würden einen völlig neuen Staat erschaffen, traf auf schen Fürsprecher. Welches Interesse Leute vom Schlag Khols die österreichischen "Führer" Ähnliches nicht zu. damit verfolgen, sei dahin gestellt. Im Folgenden soll aber Dollfuß kam aus einer traditionellen bürgerlichen der Versuch unternommen werden, einige der populärsten Partei (die er allerdings weit nach rechts getrieben Lügen und Legenden zu widerlegen. hatte), er sah sich als Garant des bisherigen Einflusses dieser Partei, nicht als ihr Totengräber. Die Macht von I DIE ANTIDEMOKRATISCHE Dollfuß und Schuschnigg stützte sich ab Februar '34 SOZIALDEMOKRATIE UND DER fast ausschließlich auf traditionelle Machtgruppen: ANSCHLUSS AN DEUTSCHLAND Kirche, Beamtenschaft, Militär, Unternehmer. Mit allen Fasern verkörperten die Führer des "Ständestaates" in "Mit seiner Ablehnung der Ersten Republik stand erster Linie eines: Tradition. Sie versuchten gar nicht Starhemberg keinesfalls alleine dar: ... Die Sozial- erst so zu tun, als wollten sie etwas Neues. Sie sehnten demokraten ... wollten den Anschluss an Deutsch- sich zurück ins Mittelalter - und das sagten sie öffent- land - über das Jahr 1938 hinaus. ... Die damalige lich. Damit sind aber wesentliche Kriterien zur Klassi- Sozialdemokratie stellte den Sozialismus über die SEITE|73 fizierung "faschistisch" nicht vorhanden. Und Otto Demokratie. Allen voran Otto Bauer, als er am Bauer bleibt nichts hinzuzufügen. Linzer Parteitag 1926 von der zu errichtenden faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 74

´Diktatur des Proletariats` sprach." (Gudula Wal- die die Aufgabe der Staatsmacht der Arbeiterklasse terskirchen, Journalistin der Tageszeitung "Die sein wird, durch planmäßige Unterbindung des Presse")58 Wirtschaftslebens, durch gewaltsame Auflehnung, durch Verschwörung mit ausländischen gegenrevolu- Schon die Gleichsetzung des selbsternannten tionären Mächten [eine Anspielung auf die guten "Austrofaschisten" Starhemberg, der die junge Repu- Kontakte der Heimwehr nach Ungarn und Deutsch- blik von Anfang an gehasst und verachtet hatte, mit land, Anm.] widersetzen sollte, dann wäre die Arbei- denjenigen, die 1918 die Demokratie erkämpft hat- terklasse gezwungen, den Widerstand der Bourgeoisie ten, spricht für sich. Starhemberg wollte die Erste mit den Mitteln der Diktatur zu brechen. Die Republik nicht, weil er in der Demokratie "die Arbeiterklasse erobert die Herrschaft in der demokra- Diktatur des roten Mobs" sah. Die Sozialdemokratie tischen Republik, nicht um eine neue Klassen- der Ersten Republik hingegen verlangte - ebenso wie herrschaft aufzurichten, sondern um jede Klassen- die Christlichsozialen bis Ende der 20er Jahre - in herrschaft aufzuheben..."59 Anbetracht der wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Die "Diktatur des Proletariats" wurde also nicht ange- kleinen, völlig verarmten Landes eine Vereinigung mit strebt, sondern stellte für die SDAPÖ einen Akt äußer- dem demokratischen Deutschland. ster Notwehr dar. Noch nach der Ausschaltung des Dieser Wunsch war nach dem Auseinanderbrechen ei- Parlaments 1933 sagte Bauer in einer bekannten Rede nes Riesenreiches wie der Habsburger Monarchie, an vor sozialdemokratischen Vertrauensleuten: "Wir wis- deren Stelle sich nun eine Vielzahl von selbstständigen sen, dass, wenn es zur Entscheidungsschlacht kommt, Staaten gründete, durchaus legitim. Denn die Grenzen dies Opfer kosten wird, die wir vor den Müttern des dieser neuen Staaten verliefen, von einigen Landes nur verantworten können, wenn wir vorher al- Ausnahmen abgesehen, in etwa entlang der Sprach- les getan haben, um eine friedliche Lösung auf demo- grenzen. Aus heutiger Sicht rückt aber die kratischer Grundlage möglich zu machen." Wenn die Behauptung, sie hätten den "Anschluss" gewollt, die Sozialdemokratie so versessen auf eine Diktatur ge- Sozialdemokratie in die Nähe der Nazis - eine lach- wesen wäre, dann hätte sie in den Revolutionsjahren hafte Polemik. Nach der Machtübernahme Hitlers 1918/1919 mühelos zur Tat schreiten können. Sie tat stellte Otto Bauer bei seiner Rede am SDAPÖ- es aber nicht, weil sie überzeugt davon war, dass ihr Parteitag 1933 eindeutig klar: "Wir wollen den Ziel, der Sozialismus, nur auf demokratischem Wege Anschluss an die Deutsche Republik, nicht aber an das erkämpft werden konnte, wenn er eine Zukunft haben Zuchthaus Hitlers." sollte. Die Behauptung, auch die SDAPÖ hätte in der Ersten Republik auf eine Diktatur hingesteuert, stützt sich vor II DIE "WEIGERUNG DER allem auf die Aussage Otto Bauers beim Linzer SOZIALDEMOKRATIE" Parteitag 1926. Bauer sprach aber keineswegs von ei- ner "zu errichtenden Diktatur", sondern wiederholte "Die Ablehnung des hochherzigen Angebots des nur sinngemäß die betreffende Passage des neuen durch die Kirchenaustrittskampagne der Austro- Parteiprogramms (das später als "Linzer Programm" marxisten tief verletzten Priesters Ignaz Seipel an berühmt wurde), die im Hinblick auf den wachsenden diese zur Bildung einer großen schwarz-roten Terror der Rechten besagte: "Wenn sich aber die Koalition im Juni 1931, der sich kurz darauf zwei Bourgeoisie gegen die gesellschaftliche Umwälzung, SEITE|74 59 Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutsch- 58 Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der österreichs, zitiert nach: Sandkühler, Hans-Jörg und Vega de la, 30er Jahre, Wien, S 118. Rafael: Austromarxismus, Frankfurt-Wien, S 385. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 75

10| LÜGEN UND LEGENDEN

weitere solche Koalitionsangebote des christlich- wurde, die sich von ihr eine Verbesserung ihrer eige- sozialen Bundeskanzlers Karl Buresch ange- nen Lebenssituation erhofften. schlossen hatten, war - im Rückblick und vom Die sozialdemokratische Parteiführung vertraute (nai- Standpunkt der Sicherheit Österreichs gesehen - verweise) darauf, dass sich auch ihr politischer Gegner ein Versäumnis von historischen Dimensionen zu an demokratische Spielregeln halten würde und einem Zeitpunkt, als die Weltwirtschaftskrise in schlug daher das Angebot Seipels aus. Aus dieser de- Deutschland 1930 eine Verzehnfachung des na- mokratiepolitischen Selbstverständlichkeit abzuleiten, tionalsozialistischen Wählerpotentials bewirkt die SDAPÖ hätte den Christlichsozialen quasi keine hatte."60 (Gottfried Karl Kindermann, Historiker) andere Wahl gelassen, als sie über den Haufen zu schießen und eine Diktatur zu errichten, zeugt nicht Das von Kindermann wie von vielen anderen nur von einer seltenen Unverfrorenheit, sondern wirft Konservativen gebetsmühlenartig wiederholte "groß- auch ein bezeichnendes Licht auf das heutige konser- herzige Angebot" Seipels an die Sozialdemokratie, vative Demokratieverständnis. 1931 eine große Koalition zu bilden, ist in mehrerlei Hinsicht ein abstruser Versuch, die angebliche "beid- seitige Schuld" zu belegen. Die "Großherzigkeit" des Prälaten bestand in der Realität darin, der SDAPÖ ein Bündnis vorzuschlagen, bei dem sie in einem Kabinett mit den Christlichsozialen und der Heimwehr zur Vollstreckungsgehilfin einer Politik geworden wäre, die sich ausschließlich gegen ihre eigenen An- hängerInnen richtete. Die Durchsetzung sozialdemo- kratischer Ziele wäre unmöglich gewesen, zusätzlich wäre den eigenen AnhängerInnen wohl kaum beizu- bringen gewesen, warum man gemeinsame Sache ausgerechnet mit jenen Leuten (der Heimwehr) ma- chen sollte, die unentwegt davon sprachen, das demo- Jugendabteilung des Linzer Schutzbundes. ArbeiterInnen greifen aufgrund des rechten Terrors und kratische System zu beseitigen, die Sozialdemokratie der Untätigkeit der Behörden zur Selbsthilfe. Der Republikanische Schutzbund ist nicht einfach eine zu vernichten und die schon seit Jahren einen perma- "Parteiarmee", sondern dient im Unterschied zur Heimwehr der Verteidigung von Demokratie und nenten Kleinkrieg gegen die Linke führten. Republik Seipels Motiv war dabei weniger christliche Nächsten- liebe, als die Erkenntnis, dass der erfolgreichen III DIE "GETEILTE SCHULD" SDAPÖ alleine durch den Heimwehr-Terror nicht bei- AM ENDE DER DEMOKRATIE zukommen war.61 Weitere Wahlsiege der "Bolsche- wisten" sollten deshalb verhindert werden, indem die "Der These von der einseitigen Schuld auf der Sozialdemokratie in den Augen all jener diskreditiert bürgerlichen Seite steht die Antithese von der einseitigen Schuld der sozialdemokratischen Seite 60 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas gegenüber. [...] Schuld lag ohne Zweifel auf bei- erste Abwehrfront 1933-1938, München, S 172. den Seiten." (der ehemalige VP-Vizekanzler Fritz 61 Empfohlen sei hierzu auch der Artikel von Anton Staudinger: Kon- Bock zum 40. Jahrestag des 12. Februar)62 zentrationsregierung, Bürgerblock oder präsidiales Minderheitsre- SEITE|75 gime? Zum angeblichen Koalitionsangebot Ignaz Seipels an die Sozial- 62 Zitiert nach: Jedlicka, Ludwig, Neck, Rudolf (Hg.) 1975: Das Jahr 1934: demokratie im Juni 1931, in: Zeitgeschichte 12, Oktober 1984, S 1-19. 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. Februar 1974. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 76

Worin der Anteil von Christlichsozialen und Heimwehr bei der Beseitigung der ungeliebten Demokratie lag, ist klar. Seit Ende 1932 wollte Dollfuß nachweislich die Demokratie beseitigen und eine autoritäre Diktatur errichten. Was aber tat die Linke zum Untergang der von ihr erkämpften Demokratie? Wenn es von ihrer Seite ein Versagen gab, so jenes, zu lange vor den antidemokratischen Bestrebungen der Rechten zurück- gewichen zu sein, erst gekämpft zu haben, als die Die angebliche ´Selbstausschaltung` in der Praxis: Polizei sperrt das Niederlage feststand. Aber sie hat gekämpft. Gegen Parlament ab und verhindert ein neuerliches Zusammentreten des Natio- eine Übermacht von Heimwehr, Bundesheer und nalrates nach der von Dollfuß verkündeten Auflösung des Parlaments Polizei unter dem Kommando des ÖVP-Ahnherren Dollfuß hat der Republikanische Schutzbund versucht, Das österreichische Parlament hat sich nicht "selbst die Demokratie zu verteidigen. ausgeschalten", wie von Dollfuß und seinen Hand- Selbst der bürgerliche Antimarxist, Landbundpolitiker langern behauptet. Am 4. März 1933 kam im Natio- und ehemalige Vizekanzler der Regierung Dollfuß, nalrat eine Gesetzesvorlage der Regierung zur Ab- Franz Winkler, schrieb zwei Jahre nach den Februar- stimmung, die forderte, die Führer eines Eisen- kämpfen: "Der rote Aufstand war eine in der Ge- bahnstreiks zu bestrafen. Der Streik war die Reaktion schichte einzig dastehende revolutionäre Handlung. auf einen riesigen Waffenschmuggel gewesen, in den Denn: Rebellen, Revolutionäre gehen auf die Barri- die Heimwehr involviert war, die sogenannte Hirten- kaden ... um bestehende Verfassungen zu stürzen und berger Waffenaffäre. Bei der Abstimmung befand bestehende Verhältnisse zu ändern. Die Schutzbund- sich ein sozialdemokratischer Abgeordneter nicht im rebellen vom 12. Februar 1934 standen aber auf den Raum, mit dessen Stimme die Opposition in der Barrikaden zur Verteidigung der in Geltung stehenden Mehrheit gewesen wäre. Vor der Abstimmung hatte österreichischen Verfassung."63 der Abgeordnete jedoch seinen Abstimmungszettel ei- nem Kollegen anvertraut, der so für ihn "mitgestimmt" hatte. Die Regierung weigerte sich nun, das Ergebnis IV DIE "SELBSTAUSSCHALTUNG" der Abstimmung anzuerkennen und argumentierte, DES PARLAMENTS 1933 der Abwesende hätte dem Anwesenden keine schriftli- "Im Jahr 1933 schaltete sich das Parlament che Ermächtigung erteilt. Aus Protest gegen diese selbst aus, nachdem der Reihe nach, wegen einer Haltung legte der sozialdemokratische erste Parla- Abstimmungstaktik, alle drei Parlamentspräsi- mentspräsident Renner sein Amt nieder. Sowohl der denten zurückgetreten waren, in der Folge wurde christlichsoziale zweite Präsident Ramek als auch der keine Sitzung des Parlaments mehr einberufen, dritte Präsident, der großdeutsche Straffner verwei- und die Regierung beschloss, eine Zeitlang autori- gerten die Übernahme des Vorsitzes. Da nun kein Vor- tär, das heißt ohne die Mitwirkung des sitzender die Sitzung leiten konnte, wurde das Plenum Parlaments, zu regieren." (Gudula Walterskirchen, vertagt. Dieser Vorfall, dem ursprünglich keiner der Journalistin der Tageszeitung "Die Presse")64 Beteiligten sonderlich viel Bedeutung beigemessen hatte, war für Dollfuß die willkommene Gelegenheit,

SEITE|76 63 Winkler, Franz 1935: Die Diktatur in Österreich. Zürich; Zitiert nach: Verein für die Geschichte der Arbeiterbewegung 1994: Februarkämpfe 1934. Dokumentation 1/ 94, S 24. 64 Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg oder die Spuren der 30er Jahre, Wien, S 116. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 77

10| LÜGEN UND LEGENDEN

loszuschlagen. In den folgenden Tagen sabotierte die bewegen, sich zur Wehr zu setzen und so einen Christlichsoziale Partei konsequent alle Versuche zur Vorwand zum Losschlagen für Regierung und Heim- Wiederaufnahme der parlamentarischen Tätigkeit. wehr zu bieten: finanzielle Aushungerung des "Roten Stattdessen proklamierte sie am 7. März die "Selbst- Wiens" über den Finanzausgleich, Verbot des Mai- ausschaltung des Parlaments". aufmarsches 1933, Streikverbot, Lockerung des Mie- Als schließlich der dritte Präsident des Nationalrates, terInnenschutzes, Verbot des Republikanischen Straffner, ordnungsgemäß eine Sitzung des National- Schutzbundes, Verbot sozialdemokratischer Veranstal- rates für den 15. März einberief, ließ Dollfuß vor dem tungen, permanenter Terror in ArbeiterInnensied- Parlament schwer bewaffnete Polizei aufmarschieren, lungen (getarnt als "Waffensuchen"), usw. usw. In sei- die ein Zusammentreten des Nationalrats mit Gewalt nen Memoiren befasste sich auch der ehemalige verhinderte. Es ist auch eine Lüge, dass Dollfuß nur Führer der Heimwehr, Starhemberg, mit der Frage, "eine Zeitlang autoritär regieren" wollte. Er selbst wer die Schuld am Ausbruch der Kämpfe am 12. sagte im Mai 1933 offen: "Diese Form von Parlament Februar 1934 trage. Bemerkenswert offen (allerdings und Parlamentarismus wird nicht wiederkommen."65 nicht, ohne die eigene Rolle bedeutend schöner zu re- Und wenige Monate später: "Die Zeit marxistischer den, als sie tatsächlich war) meint Starhemberg: Volksführung und Volksverführung ist vorüber ... Wir "Sprechen wir es nur offen aus: Die sozialdemokrati- wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat schen Führer hatten ebenso wenig wie wir selbst den Österreich auf ständischer Grundlage unter starker, Wunsch, den Zusammenstoß herbeizuführen."68 Als autoritärer Führung."66 Schuldigen benennt Starhemberg den Wiener Heim- wehr-Führer Emil Fey: "Aber ohne Rücksicht auf die möglichen politischen Konsequenzen fuhr der Minister V DIE "PLÖTZLICHE ESKALATION Fey auf den Republikanischen Schutzbund wie ein DER GESCHEHNISSE" Blitz aus heiterem Himmel nieder und begann mit der Der Bürgerkrieg hat sich "aus einer Reihe zu über- Waffensuche. Diese unprovozierte Maßnahme wirkte stürzt eingeleiteter militärischer Maßnahmen auf unvermeidlicherweise wie eine Herausforderung. Und beiden Seiten spontan ergeben." (Kurt Pebal, um die Herausforderung zu verschärfen, informierte Historiker)67 er den Wiener Heimatschutz am Abend vor der Waffensuche über die bevorstehenden Ereignisse ..."69 Der Bürgerkrieg im Februar 1934 war kein unvorher- sehbares Ereignis. Er war die Folge einer bewussten VI DER "STÄNDESTAAT" ALS ANTWORT Politik der Provokation, die in den Worten von Dollfuß AUF DEN "ROTEN TERROR" schrittweise darauf abzielte, "die Sozialdemokratie zum Krüppel zu schlagen." Seit der Ausschaltung des "Aber gerade die zeitweilige Gewaltherrschaft Parlaments wurde die Sozialdemokratie systematisch des österreichischen Marxismus hat den Katho- ins Eck gedrängt und gedemütigt, um sie letztlich zu liken die Augen geöffnet. Sie sahen eine Welt- anschauung an der Arbeit, die wohl überall 65 Rede vor einer Heimwehr-Versammlung im Mai 1933, zitiert nach: niederreißen, aber nirgends aufbauen konnte, sa- Carsten, Francis 1978: Faschismus in Österreich. Von Schönerer zu hen an der Stelle des Rechts brutale Gewalt an Hitler, München, S 213. 66 Wiener Zeitung, 16.5.1933. 68 Starhemberg, Ernst Rüdiger: Between Hitler and Mussolini, S 158 67 Kurt Pebal, zitiert nach: Jedlicka, Ludwig, Neck, Rudolf (Hg.) 1975: ff., zitiert nach: Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuss, Wien SEITE|77 Das Jahr 1934: 12. Februar. Protokoll des Symposiums in Wien am 5. 1949, S 66. Februar 1974, S 122. 69 ebenda. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 78

der Regierung und sahen nicht zuletzt, wie die bewegung erkämpft hatte, erblickten die Bürgerlichen Grundsätze der katholischen Weltanschauung sys- "revolutionären Schutt". Der "rote Terror", das war das tematisch aus allen Gebieten des staatlichen und Wahlrecht für Frauen, der Acht-Stunden-Tag, der öffentlichen Lebens verdrängt wurden." (Kardinal MieterInnenschutz, der kommunale Wohnbau und viele Friedrich Gustav Piffl)70 andere Errungenschaften der Sozialdemokratie. Der "rote Terror", das war aber auch und vor allem die Der renommierte Historiker Gerhard Botz hat in sei- Steuerpolitik, mit der die SDAPÖ den Armen ein men- nem Standardwerk über gewalttätige politische schenwürdiges Leben zu ermöglichen versuchte. Die Auseinandersetzungen in den 20er und 30er Jahren "Terroristen" waren in ihren Augen Sozialdemokraten nachgewiesen, dass die Gewalt, die damals von links wie Hugo Breitner, Julius Deutsch, Otto Bauer, Karl ausging, ungleich geringer war als jene von rechts.71 Seitz und Otto Glöckel. Deren "Vergehen" bestand ein- Was also meinte Seine Eminenz und mit ihm viele zig und allein darin, sich für gerechtere Lebens- österreichische Bürgerliche, wenn sie vom "roten bedingungen für jene Mehrheit der Bevölkerung einzu- Terror" sprachen? Der Untergang der Habsburger- setzen, die unter entsetzlicher Armut litt. Monarchie war von den Bürgerlichen mit Ausnahme der Deutschnationalen (die ebenfalls mit der VII DER "STÄNDESTAAT" Demokratie nichts anfangen konnten) zutiefst bedauert ALS DIE "BESSERE DIKTATUR" worden. In der Demokratie sahen sie die "Herrschaft des "Damals ging es um den Bestand des österreichi- Pöbels", in den Rechten, die sich die ArbeiterInnen- schen Staates und nicht um die Frage, ob jetzt wirklich demokratisch regiert wird oder nicht." 70 Hudal, Alois (Hg.) 1931: Der Katholizismus in Österreich. Sein (Franz Schausberger, Salzburger ÖVP-Ex-Landeshaupt- Wirken, Kämpfen und Hoffen, Innsbruck, S 6, zitiert nach: Talos, mann)72 Emmerich und Neugebauer, Wolfgang: Austrofaschismus. Beiträge über Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, S 56. Seit 1945 wird von konservativer Seite versucht, die 71 Vgl.: Botz, Gerhard 1976: Gewalt in der Politik. Attentate, Diktatur zwischen 1933 und 1938 schön zu reden. Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918-1938, München. 72 Zitiert nach: Profil, Ausg. 6, 2. Februar 2004.

So sieht die "rote Gewalt- herrschaft" in Wirklichkeit aus: Eröffnung eines Gemeindebaus (links) und Außenansicht einer Arbeiterbücherei (rechts) im Roten Wien. Durch die Besteuerung von Reichen wird durch die Sozial- demokratie ein bis dahin beispiello- ses Sozial- und Bildungssystem ge- schaffen, das weltweit Bewun- derung hervorruft faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 79

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Dabei wird einerseits auf den blutigen Terror der Nazis gegen politische Gegner verwiesen, den es in Österreich nicht gegeben habe. Andererseits sei ein wesentlicher Unterschied zwischen Hitler-Deutschland und dem nicht "wirklich demokratisch" regierten Österreich die Behandlung von Juden und Jüdinnen gewesen. Dem ersten Argument ist entgegenzuhalten, dass auch während des "Ständestaates" politische GegnerInnen drangsaliert und ermordet wurden - über tausend SozialdemokratInnen wurden alleine während und kurz nach den Februarkämpfen getötet, hinzu kamen noch zahlreiche Todesurteile in den folgenden Jahren. Nach deutschem Vorbild wurden auch hierzulande Dollfuß und Mussolini bei einem Treffen im italienischen Badeort Riccione, 19. und 20. August Lager für Oppositionelle errichtet, GegnerInnen syste- 1933. Gemeinsam mit seinem italienischen Vorbild bereitet der Diktator in spe monatelang die matisch bespitzelt, terrorisiert und vielfach ihrer Beseitigung der Demokratie in Österreich vor Existenzgrundlage beraubt. Andererseits wird oft und gerne vergessen, dass Antisemitismus in der Christlichsozialen Partei weit VIII DER GEMÄßIGTE PATRIOT DOLLFUß verbreitet war und auch im "Ständestaat" antisemiti- sche Politik betrieben und gegen jüdische Menschen Hitlers Hauptwidersacher in Österreich war tot. gehetzt wurde - wenn auch nicht in der gleichen Er starb für Österreichs Unabhängigkeit, für die Intensität wie in Deutschland. Der christlichsoziale er seit Übernahme des Kanzleramtes gelebt und Arbeiterführer Kunschak forderte als Parteiobmann gekämpft hatte."74 (Gottfried Karl Kindermann, schon 1920 im Parlament die Internierung "der Juden Historiker) in Konzentrationslagern." Als Reaktion auf die antise- "Dollfuß war in einer Zeit, in der es viele Radikale mitische Hetze der Nazis meinte der christlichsoziale gab, ein Mann der Mitte." (Karl Franc, ÖVP- Politiker , der Antisemitismus wäre Gemeinderat und Direktor des "Engelbert-Dollfuß- schon von jeher Teil "des geistigen Inhalts" der Partei Museums")75 gewesen und, dass "praktischer Tat-Antisemitismus ... wertvoller als radikaler Wort-Antisemitismus"73 sei. Dollfuß gehörte ursprünglich nicht zum deklariert Ebenso wie in vielen anderen Bereichen war das an- antidemokratischen Flügel der Christlichsozialen gebliche "Abwehrprojekt" auch hier in Wirklichkeit nur Partei. Aber mit seinem Amtsantritt als Bundeskanzler eine geistige und moralische Vorbereitung auf die NS- änderte sich das schlagartig. Sowohl die Ausschaltung Herrschaft. des Parlaments 1933 als auch die Beseitigung von Rede-, Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit und schlussendlich die blutige Unterdrückung der Sozialdemokratie 1934 (die standrechtlichen Hin- richtungen nach den Februarkämpfen geschahen auf

74 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas SEITE|79 73 Zitiert nach: Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (HgIn.) 1983: erste Abwehrfront 1933-1938, München, S 218. Österreich 1918-1938, Graz-Wien-Köln, S 266. 75 Zitiert nach: Profil, Ausg. 6, 2. Februar 2004. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 80

ausdrücklichen Wunsch des Kanzlers) sind keine sehr IX DER "BRUDERKRIEG" überzeugenden Beweise für die gemäßigte Haltung des Diktators. Im Gegenteil drängte Dollfuß die weni- "Noch niemals war die Tragik dieses Wider- gen in seiner Partei, die sich gegen seinen rabiat anti- streites von Bruder zu Bruder so groß, wie am 12. demokratischen Kurs aussprachen, wie Leopold Kun- Februar 1934, an jenem Tag, wo Menschen ein- schak und Ernst Karl Winter, politisch ins Abseits. Der ander gegenüberstanden, die das Gleiche wollten, Mythos, Dollfuß sei ein Gegner der Nazis gewesen, ist nämlich die Freiheit und Unabhängigkeit ihres ebenfalls Humbug. Mit den Nazis verhandelte der Vaterlandes." (VP-Bundeskanzler Figl, vormals "Heldenkanzler" noch aufs Heftigste, als diese perma- Reichsbauernführer des "Ständestaates")78 nent Bombenanschläge im ganzen Land verübten. Offensiv gegen Hitler stellte sich Dollfuß erst, als auch Die Legende vom "Bruderkrieg" suggeriert, wie auch er zur Kenntnis nehmen musste, dass ein Arrange- aus obigem Zitat ersichtlich, im Februar 1934 wären ment, das seine Macht langfristig gesichert hätte, mit aus unerfindlichen Gründen zwei Gruppen übereinan- den Nazis nicht zu erreichen war. der hergefallen, die im Wesentlichen das selbe Ziel Aber auch Behauptungen, Dollfuß sei zwar kein verfolgten. Wahr ist aber, dass Christlichsoziale und Demokrat, dafür aber Patriot gewesen, sind falsch. Heimwehr gewaltsam eine Diktatur errichteten (bzw. Der Begriff "Patriotismus" ist schon an sich höchst vollendeten), während Sozialdemokratie und Schutz- fragwürdig, weil er die Liebe zu einem Land bezeich- bund einen verzweifelten Kampf zur Verteidigung der net, unabhängig von dessen politischer Verfassung. bestehenden Verfassung, zur Bewahrung von Demo- Selbst davon abgesehen war aber Dollfuß, der mit ausländischen Staatschefs, namentlich Mussolini, kon- spirierte, um einen Staatsstreich herbeizuführen, kaum jemand, dem die unbedingte Loyalität zum ei- genen Land nachgesagt werden könnte.76 Die "patrio- tische" Fachbezeichnung für die Politik von Dollfuß lautet im österreichischen Strafgesetz "Hochverrat".77

76 Zum ganzen Ausmaß von Dollfuß’ Verschwörung mit dem italieni- schen Faschismus siehe auch geheimen Briefwechsel Mussolini- Dollfuß. 77 § 242, Hochverrat: "Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der Republik Österreich ... zu än- dern." § 244, 2: "Ebenso ist zu bestrafen, wer einen Hochverrat in an- derer Weise vorbereitet und dadurch die Gefahr eines hochverräteri- schen Unternehmens herbeiführt oder erheblich vergrößert oder wer einen Hochverrat im Zusammenwirken mit einer ausländischen Macht vorbereitet." 78 Österreichische Volkspartei (Hgin) 1946: Die ÖVP und der 12. Februar. Ein kurzer Tatsachenbericht des Hauptreferats für Presse und Publikzistik der ÖVP, Wien, S 7. SEITE|80 faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 81

10| LÜGEN UND LEGENDEN

X DER "WIDERSTANDSKAMPF" GEGEN DIE NAZIS kratie und Rechtsstaatlichkeit, führten. Dieser Widerspruch ist keiner unter "Brüdern" sondern zwi- "Erstaunlich unbekannt oder bewusst verdrängt schen Anhängern einer Diktatur auf der einen und ist die Tatsache, dass Österreich nicht nur das er- DemokratInnen auf der anderen Seite. Sozialdemo- ste Angriffsziel, sondern unter der Führung patrio- kratInnen verteidigten enorme soziale Verbesserun- tischer Kräfte auch Hitlers erster entschiedener gen, die Christlichsozialen und ihre faschistischen Gegner in Europa war." (Gottfried-Karl Kindermann, Handlanger wollten dagegen den verhassten "sozialen Historiker)79 Schutt wegräumen". Dementsprechend absurd sind auch wehleidige Klagen Es war nicht die Diktatur Dollfuß´, die Hitler als erste der ÖVP nach 1945 - selbst sei man "zur Versöhnung die Stirn bot, sondern die deutsche und österreichische bereit" hätte es nur leider mit einer "vom alten Hass ArbeiterInnenbewegung. Als die christlichsozialen erfüllten SPÖ" zu tun. Die Sozialdemokratie hatte Parteiführer noch bei Kaffee und Kuchen mit den Nazis nichts, wofür sie sich hätte schämen und entschuldigen Möglichkeiten einer Zusammenarbeit erörterten, tobte müssen. Solange die ÖVP als Nachfolgepartei der schon seit Jahren ein permanenter Krieg zwischen Christlichsozialen Dollfuß und seine Mörderbande als SozialdemokratInnen und Nazis auf der Straße. Als Märtyrer huldigte, mussten ihre großzügigen Ange- Heimwehr und Nazis noch gemeinsam in Umsturz- bote zur "Versöhnung" auf die Sozialdemokratie wie versuche verwickelt waren, leistete der Schutzbund als Hohn wirken. einziger dem braunen Terror Widerstand. Gerade die entschiedensten GegnerInnen der Nazis wurden aber dann von Dollfuß und Schuschnigg verfolgt, ins Für die Demokratie nichts als Gefängnis geworfen und ermordet. Verachtung und Spott: Großkundgebung Die Ernsthaftigkeit des "Widerstandskampfes" war also der Vaterländischen Front, einer von vie- von Beginn an mehr als zweifelhaft. Fest stand nur, dass len Versuchen, faschistische sich die christlichsozialen Diktatoren nicht so einfach von Masseninszenierung zu kopieren den Nazis das Zepter aus der Hand nehmen lassen woll- ten und sich deshalb dem Putsch im Juli 1934 mit Waffengewalt widersetzten. Aber schon wenig später suchten die Repräsentanten des "Ständestaates" - be- gleitet von verzweifelten Protesten der illegalen Sozial- demokratie - wieder den Ausgleich mit den Nazis. Es war Schuschnigg, der Nazis schon 1936 in die Regierung hol- te. Es war Schuschnigg, der Angebote abwies, dem "Anschluss" bewaffneten Widerstand zu leisten. Es war Schuschnigg, der ebenfalls 1936 einen Pakt mit Hitler schloss, durch den die Unabhängigkeit Österreichs de facto aufgegeben wurde. All das als "Widerstand" zu werten, bedingt entweder ein gerütteltes Maß an Dumm- heit oder ist schlicht eine dreiste Lüge. SEITE|81 79 Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933-1938, München, Umschlagtext faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 82

"SEID UNTERTAN DER OBRIGKEIT"? "Seid untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott" heißt es im Brief des Paulus an die Römer im Neuen Testament. "Gott in die Verfassung" rufen dieser Tage viele Konservative im Land. Dabei hatten wir das schon. Ein Blick in die Geschichte würde ausreichen, um solche Rufe zum Verstummen zu bringen - sollte man jedenfalls mei- nen.

Seit längerem, ob nun in der Diskussion um die Verfassung der Europäischen Union, oder im Zuge des österreichischen Verfassungs- konvents, geistert der "Liebe Gott" wieder durch die Sitzungszimmer. Er möge doch ebenfalls in die Verfassung Eingang finden, verlangen dieje- NACHWORT nigen, die auch vorgeben, "christliche Werte" hochzuhalten. Es ist schon erstaunlich, wie offen hier agiert wird, wie wenig Mühe sich die betreffenden PolitikerInnen machen, ihre wahren Wünsche zu ver- schleiern. Denn nicht nur Gott soll wieder in die Verfassung, sondern mit ihm auch die alten Vorstellungen von "oben" und "unten", von Pflicht und Gehorsam. Um das erzkonservative, rechtskatholische Gedankengut sichtbar zu machen, das da im Windschatten der Forderung "Gott in die Verfassung" auf uns zukommt, ist es wichtig, einen Blick zurück zu wer- fen und den Umgang der Katholischen Kirche mit Staat und Gesellschaft in der Vergangenheit zu analysieren.

Beginnen wir einfach im Jahr 1931 mit der Enzyklika von Papst Pius XI. Darin wurde empfohlen, die Gesellschaft neu zu strukturieren, nach "ständischen" Gesichtspunkten nämlich. Bemerkenswerterweise eiferten diesem Ideal ausschließlich Diktaturen nach - so neben dem deutschen und italienischen Faschismus auch das österreichische Regime unter den Despoten Dollfuß und Schuschnigg.

Engelbert Dollfuß war überzeugt davon, in göttlichem Auftrag zu han- deln, schreibt Stefan Moritz in seinem Buch "Grüß Gott und Heil Hitler" und zitiert den kleinen Diktator mit den Worten: "Ja wir wollen einen christlich-deutschen Staat in unserer Heimat errichten! Wir brau- chen uns nur an die letzten Enzykliken des Heiligen Vaters zu hal- ten; sie sind uns Wegweiser für die Gestaltung des Staatswesens in unserer Heimat. Die jetzige Regierung ist einmütig entschlos- SEITE|82 sen, im christlich-deutschen Geist die Erneuerung von Staat und Wirtschaft in die Wege zu leiten". faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 83

11| NACHWORT

Wie dieser "Weg zur Erneuerung" und die letztliche aber wollen, ist endlich eine offene Diskussion über "neue Gestaltung des Staatswesens" tatsächlich aus- die Diktatur von 1933 bis 1938. Was wir wollen, ist sah, versuchen wir in der vorliegenden Broschüre dar- eine Diskussion über die Rolle der Katholischen Kirche zulegen. Zum siebzigsten Mal jährt sich heuer der 12. und der angeblich "Christlichsozialen" Partei in dieser Februar 1934: Jener Tag, an dem die "Christlich- Zeit. Was wir wollen, ist ein Ende der unsäglichen soziale" Partei (die ihrem Selbstverständnis nach im Dollfuß-Verherrlichung durch die ÖVP und - spät ge- Auftrag Gottes handelte), die Demokratie endgültig nug - das Eingeständnis der Bürgerlichen, dass dieser zerschlug und dabei hunderte Oppositionelle töten Mann kein Held, sondern der Chef einer Bande von ließ; Jener Tag, an dem der damalige Bundeskanzler Verbrechern war. Dollfuß die Standgerichte einführte, und selbst Schwerverletzte auf der Tragbahre zum Galgen brin- Was wir brauchen, ist kein Gottesbezug in der Ver- gen ließ; Jener Tag schließlich, an dem Gewerkschaf- fassung, sondern eine wirkliche und allumfassende ten, Sozialdemokratie und Sozialistische Jugend in die Trennung von Kirche und Staat. Was wir - und hier Illegalität getrieben wurden, SozialistInnen zu tausen- sind wir vielleicht beim Wichtigsten angelangt - auch den in "Anhaltelager" gesperrt wurden und damit der endlich brauchen, ist eine Diskussion darüber, wie das Weg zur Macht für die Nazis aufbereitet wurde. Die kapitalistische System überhaupt erst die Voraus- Niederschlagung der Sozialdemokratie im Februar setzungen für den Faschismus schuf, wie "Christ- 1934 war der Beginn der ersten faschistischen Diktatur lichsoziale", Heimwehr und Nazis von Unternehmern in Österreich, die vier Jahre später, 1938, von ihrem gesponsert und aufgepäppelt wurden und welche Rolle deutschen Gegenstück abgelöst wurde. führende Köpfe der Wirtschaft schließlich bei der Machtergreifung des Faschismus spielten. Die Frage Einige Wochen nach den Februarkämpfen, genau am die wir uns dabei stellen müssen, lautet: Wer hat Inte- 1. Mai 1934, trat die neue "ständestaatliche" Ver- resse an der Zerschlagung der Demokratie, an der fassung in Kraft. Sie begann mit den Worten: "Im Beseitigung von Rechten der ArbeiterInnen, wer profi- Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles tiert von der Knebelung der Linken? Bei der Beant- Recht ausgeht, erhält das österreichische Volk wortung dieser Frage werden wir feststellen, dass für seinen christlichen, deutschen Bundesstatt Faschismus nicht nur keine Meinung sondern ein auf ständischer Grundlage diese Verfassung." Die Verbrechen ist, wir werden auch sehen: er war kein päpstliche Enzyklika aus dem Jahr 1931 war somit zu- Zufall. mindest pro forma erfüllt, und nun zeigte sich sehr schnell, was die ärmeren Bevölkerungsschichten von Andreas Kollross der neuen, "ständischen" Gesellschaft zu erwarten hat- Verbandsvorsitzender ten: Nichts. Ihnen wurden alle Rechte genommen, Löhne gedrückt und Soziale Sicherungen zerschlagen - zum Wohle des Kapitals. Doch wie schrieb schon Paulus? "Seid untertan der Obrigkeit, denn jede Obrigkeit ist von Gott."

So wenig wir damals Gott in der Verfassung brauchten, SEITE|83 so wenig wollen und brauchen wir ihn heute. Was wir faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 84

NOTIZEN

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KOMMENTIERTE LITERATURLISTE

SAMMELWERKE x Achenbach, Michael (Hg.) 2002: Österreich in ternational. Jahrbuch für Zeitgeschichte 1980/ Bild und Ton. Die Filmwochenschau des austro- 81, Wien faschistischen Ständestaats, Wien Mit Beiträgen prominenter HistorikerInnen zu faschistischen Auseinandersetzung mit der vom Filmarchiv Austria aufgear- Bewegungen in Deutschland, Österreich, Ungarn, Slowenien beiteten Wochenschau, zugleich ein Überblick über Politik-, und (im Überblick) anderen europäischen Staaten. Kultur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des "Ständestaats". x Talos, Emmerich und Neugebauer, Wolfgang x Fröschl, Erich und Zoitl, Helge (Hg.) 1984: (HgIn.) 1988: "Austrofaschismus". Beiträge über Februar 1934. Ursachen - Fakten - Folgen. Politik, Ökonomie und Kultur 1934-1938, Wien Beiträge zum wissenschaftlichen Symposion des Durchgehend gute (Überblicks-)Beiträge zum "ständestaat- Dr.-Karl-Renner-Instituts vom 13. bis 15. lichen" System. Die Geschichte der Ersten Republik bis Februar 1984, Wien Anfang 30er ist leider auf eine sehr grobe Zusammenfassung Mit Beiträgen österreichischer, deutscher, britischer ungari- beschränkt. scher und italienischer WissenschaftlerInnen zu Themen wie sozialdemokratischer Wehrpolitik, die internationalen x Weinzierl, Erika und Skalnik, Kurt (Hg.) 1983: Auswirkungen der Februarkämpfe, die Gewerkschafts- Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten bewegung in der Ersten Republik, politischem Katholizismus Republik, 2 Bände, Wien-Graz-Köln u. a. m. Beiträge zu den Parteien, Institutionen und Verbänden im Österreich der Zwischenkriegszeit, der österreichischen x Löw, Raimund, Mattl, Siegfried und Pfabigan, Außenpolitik usw. Nicht durchgehend gelungen, enthält aber Alfred 1986: Der Austromarxismus. Eine einige interessante Beiträge (z. B. jenen von Anton Stau- Autopsie, Frankfurt/ Main dinger zur Christlichsozialen Partei). Gewissermaßen das Gegenstück zu Lesers "Zwischen Refor- mismus und Bolschewismus" - die drei (damals noch trotzki- MONOGRAFIEN stischen) Autoren unterziehen den Austromarxismus einer kritischen Analyse von links. Das Buch bietet in knapper Form x Ausch, Karl 1968: Als die Banken fielen. Zur einen durchaus brauchbaren Überblick, allerdings beschränkt Soziologie der politischen Korruption, Wien- es sich auf (zu Recht kritisierte) Teilaspekte des Austromar- Frankfurt-Zürich xismus, spricht diesem aber die Legitimation pauschal ab. Eines der Schlüsselereignisse der Ersten Republik war der Zusammenbruch der Boden Credit Anstalt, der den Beginn der Weltwirtschaftskrise darstellte. Auschs Werk beschäftigt x Maimann, Helene und Mattl, Siegfried (Hg.) sich mit der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Christ- 1984: Die Kälte des Februar. Österreich 1933 - lichsozialen und argumentiert schlüssig gegen die Be- 1938, Wien hauptung, Seipel hätte mit seiner Deflationspolitik und den Katalog zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich des 50. von ihm verhandelten Anleihen "Österreich gerettet". Sehr Jahrestages der Februarkämpfe. Besteht in erster Linie aus empfehlenswert. einer Sammlung zeitgenössischer Quellen und Interviews mit ZeitzeugInnen. x Botz, Gerhard 1983: Gewalt in der Politik. SEITE|86 Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche x Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte Unruhen in Österreich 1918-1938, München (Hgin) 1980: Faschismus in Österreich und In- Das akribisch recherchierte Standardwerk zu politischen faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 87

12| LITERATUR

Auseinandersetzungen "auf der Straße" in der Ersten Repu- x Moritz, Stefan 2002: Grüß Gott und Heil Hitler. blik und im "Ständestaat". Sehr empfehlenswert. Katholische Kirche und Nationalsozialismus in Österreich, Wien x Carsten, Francis L. 1978: Faschismus in Öster- Neben dem eigentlichen Thema des Buches sind informative reich. Von Schönerer zu Hitler, München Beiträge zum politischen Katholizismus der Zwischenkriegs- Neben Kerekes' "Abenddämmerung einer Demokratie" eines zeit (unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen der detailliertesten Bücher zur Rolle der Heimwehr in Öster- zwischen Katholischer Kirche und Nazis), sowie zum katholi- reich 1918-1934. Zusätzlich beschäftigt sich Carsten relativ schen Antisemitismus vor und im "Ständestaat" enthalten. Als ausführlich mit den österreichischen Nazis. Sehr lesenswert. Überblickstext sehr geeignet.

x Hanisch, Ernst 1994: Der lange Schatten des x Payne, Stanley 2001: Geschichte des Faschismus. Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung, im 20. Jahrhundert, Wien München-Berlin Auf gut fünfzig Seiten wird unter anderem in recht gelunge- Der Abschnitt über Österreich im Kapitel "Vier Hauptvari- ner weise die Geschichte der Ersten Republik dargestellt. Als anten des Faschismus" (S. 302-310) liefert in leicht verständ- grober Überblick empfehlenswert. licher Sprache einen kurzen thematischen Überblick, Paynes Kategorisierungsversuche faschistischer Bewegungen - dar- x Huemer, Peter 1975: Sektionschef Robert Hecht unter auch der Heimwehr - sind aber fragwürdig. und die Zerstörung der Demokratie in Öster- reich. Eine historisch-politische Studie, Wien x Pelinka, Anton 1972: Stand oder Klasse? Die Hecht trug als juristischer Berater von Dollfuß zur christliche Arbeiterbewegung Österreichs 1933- Etablierung der Diktatur wesentlich bei, indem er dem christ- 1938, Wien lichsozialen Staatsstreich einen legalen Anstrich zu verpassen Lesenswertes Buch, besonders auch hinsichtlich des christlich- suchte. Interessant. sozialen Antisemitismus.

x Kerekes, Lajos 1966: Abenddämmerung einer x Schneeberger, Franziska 1988: Sozialstruktur Demokratie. Mussolini, Gömbös und die Heim- der Heimwehr in Österreich. Eine vergleichend- wehr, Wien-Frankfurt-Zürich politische Sozialgeschichte der Heimwehrbe- Ein, wenn nicht das Standardwerk zur Heimwehr-Bewegung. wegung, Dissertation, Salzburg Minutiös arbeitet Kerekes die Rivalitäten innerhalb der Sehr gute Arbeit, leider zum Teil schwer lesbar. Heimwehr, das Verhältnis zwischen Heimwehr und Christ- lichsozialen und die Rolle Italiens und Ungarns bei der x Weidenholzer, Josef 1981: Auf dem Weg zum Etablierung der Diktatur in Österreich auf. Lesen! "Neuen Menschen". Bildungs- und Kulturarbeit der österreichischen Sozialdemokratie in der x Leser, Norbert 1968: Zwischen Reformismus und Ersten Republik; Schriftenreihe des Ludwig- Bolschewismus. Der Austromarxismus als Theo- Boltzmann-Instituts für Geschichte der Arbeiter- rie und Praxis, Wien-Frankfurt-Zürich bewegung Nr. 12, Wien Interessante (rechtssozialdemokratische) Kritik am Austro- Zu den wesentlichen Merkmalen des Austromarxismus gehört marxismus, allerdings in mehreren Punkten problematisch sein bildungspolitischer Anspruch. Ziel war die Formung des SEITE|87 (etwa, wenn Leser bei Otto Bauer die Schuld dafür sucht, dass "Neue Mensch", der einst den Sozialismus aufrichten sollte. Der es 1932 zu keiner Einigung mit den Christlichsozialen kam). Text von Weidenholzer bietet hier einen sehr guten Überblick. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 88

KONSERVATIVE INTERPRETATIONEN DER x Starhemberg, Ernst Rüdiger 1942: Between ERSTEN REPUBLIK UND DES "STÄNDESTAATS" Hitler and Mussolini, New York-London x Kindermann, Gottfried-Karl 2003: Österreich Bemerkenswerte Memoiren des ehemaligen Heimwehr- gegen Hitler. Europas erste Abwehrfront 1933- führers. Starhemberg lässt sich über seine (ehemaligen) poli- 1938, München tischen Vorstellungen und Ziele ziemlich unverblümt aus. Der Historiker Kindermann bemüht nach Kräften alle konser- (Tlw. stark überarbeitete) Neuauflagen erschienen 1971 (mit vativen Mythen und Klischees zum "Ständestaat". Kein Zufall, einem Vorwort des Ex-Heimwehrlers und Ex-VP-Unter- dass sein Werk im Parlament vom ÖVP-Rechtsaußen Khol richtsministers Heinrich Drimmel) und 1991. präsentiert und in höchsten Tönen gelobt wurde. Ebenfalls nicht zufällig stieß das Buch allerdings unter HistorikerInnen AUSTROMARXISTISCHE QUELLENTEXTE (auch bürgerlichen) zum überwiegenden Teil auf Unverständnis und Ablehnung. x Bauer, Otto 1980: Werkausgabe, 9 Bände, Wien Das Werk Otto Bauers umfasst tausende von Seiten, die in der x Walterskirchen, Gudula 2002: Starhemberg "Werkausgabe" in insgesamt neun Bänden publiziert wurden. oder die Spuren der "30er Jahre", Wien Nachfolgend werden nur einige der wichtigsten Artikel emp- Die Journalistin der Tageszeitung "Die Presse" reproduziert fohlen. einmal mehr die rechtskonservative Sicht der Dinge. Wissen- schaftlich letztklassig, aber gut geeignet als Beispiel dafür, x Bauer, Otto: Der Aufstand der österreichischen wie aus Mördern und Putschisten im Nachhinein Helden ge- Arbeiter. Seine Ursachen und seine Wirkung, macht werden können. WA, Bd. 3, S 957-997 Ursprünglich ist dieser Artikel Bauers unmittelbar nach den x Wiltschegg, Walter 1985: Die Heimwehr, Wien Februarkämpfen in Bratislava erschienen und wurde nach Der Autor, selbst ehemaliger Heimwehr-Mann, fördert durch- dem Zweiten Weltkrieg neu aufgelegt. aus interessante Details zu Tage. Seine Analyse hat rechts aber eindeutig eine Schlagseite und ist in vielen Fällen kaum x Bauer, Otto: Zwischen zwei Weltkriegen? Die verhohlen um Rechtfertigung der Heimwehrpolitik bemüht. Krise der Weltwirtschaft, der Demokratie und des Sozialismus, WA Bd. 4, S 49-331 ZEITZEUGENBERICHTE Das Buch, von Bauer 1936 in Bratislava verfasst, beeindruckt mit seiner intelligenten und weitsichtigen Analysen des x Ulrich Weinzierl (Hg.) 1984: Februar 1934. Faschismus aus zeitgenössischer Sicht. Sehr empfehlenswert! Schriftsteller erzählen, München Prominente ZeitzeugInnen schildern ihr Erleben des österrei- x Bauer, Otto: Die österreichische Revolution, WA, chischen Bürgerkrieges. Mit Beiträgen u. a. von Stefan Zweig, Bd. 2, S 489-866 Erich Fried, Manès Sperber, Dorothea Zeemann und Stella Befasst sich mit den gesellschaftlichen und politischen Brü- Rotenberg. chen am Ende des Habsburgerreiches.

x Hindels, Josef 1996: Erinnerungen eines linken x Bauer, Otto: Parteitagsrede 1919, WA, Bd. 5, S Sozialisten, Wien 163-199 Der große Volksbildner Hindels schildert sein Erleben des Ro- Schwerpunktmäßig befasst sich die Rede mit Bauers Ablehnung SEITE|88 ten Wien, des Bürgerkriegs und der Illegalität (die für den da- einer neuerlichen Koalition mit den Christlichsozialen. Dabei mals 17-jährigen im Gefängnis des "Ständestaates" endete). entwickelt er die politische Vision, die für die sozialdemokrati- sche Politik des nächsten Jahrzehnts charakteristisch war. faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 89

12| LITERATUR

x Bauer, Otto: Parteitagsrede 1926, WA, Bd. 5, S der austromarxistischen Schulpolitik. Unter seinen Aufsätzen 343-390 sei besonders "Schule und Klerikalismus", "Sozialistische In erster Linie deshalb interessant, weil von konservativer Schulpolitik nach der Revolution" und "Die österreichische Seite ausschließlich aus dem Kontext gerissene Fetzen der Schulreform" empfohlen - nicht vom oft pathetischen und z T Rede zitiert werden um die angebliche sozialdemokratische polemischen Stil abschrecken lassen. "Gewaltbereitschaft" zu illustrieren. Die Rede Bauers ist aber im Gegenteil ein Bekenntnis zu einer demokratischen Kultur x Brügel, J. W. (Hg.) 1967: Friedrich Adler vor und eine klare Absage an Gewalt in der Politik. dem Ausnahmegericht. 18. und 19. Mai 1917, Wien-Frankfurt-Zürich x Leser, Norbert u. Pfabigan, Alfred (Hg.) 1981: Das Buch besteht aus (vom Herausgeber eingeleiteten und Max Adler. Ausgewählte Schriften, Wien kommentierten) Protokollen des Prozesses gegen Friedrich Aufsätze und Artikel von Max Adler, in denen er sich be- Adler. Dieser erschoss 1916 den österreichischen Minister- sonders auch mit dem "Neuen Menschen" befasst. Sehr le- präsidenten um gegen den Wahnwitz des Ersten Weltkrieges senswert. zu protestieren und nützte seinen Prozess eindrucksvoll um das Massenmorden öffentlich anzuklagen. Adler spricht oh- x Achs, Oskar (Hg.) 1985: Otto Glöckel. Ausge- nehin für sich, zum Teil sind die Anmerkungen Brügels (etwa wählte Schriften und Reden, Wien zur Verteidigung Karl Renners) entbehrlich. Glöckel war als Chef der österreichischen Schulverwaltung bzw. als Wiener Stadtschulratspräsident die zentrale Figur

BESTELLMÖGLICHKEITEN: Sticker zur SJ-Antifa-Kampagne (gratis) Flyer zur SJ-Antifa-Kampagne (gratis) Plakate zur SJ-Antifa-Kampagne (gratis) T-Shirt zur SJ-Antifa-Kampagne (Euro 7) S M L XL Broschüre: Geschichte des Faschismus in Deutschland und Italien (gratis) Broschüre: Geschichte des Faschismus in Österreich (gratis) Rücksender zahlen wir Broschüre: Faschismustheorien (gratis) Infopaket zur SJ-Frauenkampagne "Deshalb sind wir FeminstInnen" (gratis) Infopaket zur "Zeitbombe Jugendarbeitslosigkeit"-Kampagne (gratis) Trotzdem-Die Zeitung der SJ im Abo (gratis)

Ich will aktiv werden, kontaktiert mich! Sozialistische Jugend Österreich vorname | name Amtshausgasse 4 adresse |PLZ |Ort 1050 Wien geb.datum email tel faschism2.qxd 12.03.2007 22:36 Seite 90

KONSERVATIVE QUELLENTEXTE/MATERIALIEN

x Geheimer Briefwechsel Mussolini-Dollfuß. Mit Selbstbeweihräucherung der Heimwehr (bzw. des nunmehri- einem Vorwort von Vizekanzler Dr. Adolf Schärf, gen "Heimatschutzes"). Erschienen nach der Niederschlagung erläuternder Text von Karl Hans Sailer, Wien des Nazi-Putschversuches im Juli 1934, werden hier unter an- 1949 derem auch "Kampfesmut und selbstlose Hingabe" der "treu- Der ursprünglich geheim gehaltene Briefwechsel fiel den US- en Kameraden" während der Februarkämpfe 1934 gewür- Truppen während ihres Vormarsches 1945 in die Hände und digt. Interessant ist das Buch aber wegen seiner nach Bundes- wurde in weiterer Folge veröffentlicht. Empfehlenswert be- ländern gegliederten Chronik der Kämpfe. sonders für AnhängerInnen der Theorie, Dollfuß sei österrei- chischer Patriot gewesen. Im Anhang finden sich kommentier- x Maderthaner, Wolfgang, Maier, Michaela (HgIn.) te Auszüge aus Starhembergs Memoiren. 2004: "Der Führer bin ich selbst". Engelbert Dollfuß - Benito Mussolini. Briefwechsel, Wien x Goldinger, Walter (Hg.) 1980: Protokolle des Überarbeitete und erweiterte Neuauflage oben genannter Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei Broschüre, mit einem Beitrag von Emmerich Talós über das 1932-1934, Wien austrofaschistische Herrschaftssystem. Z. B. Zitat Dollfuß vom 25. März 1933: "Die braune Welle können wir nur auffangen, wenn wir das, was die Nazi ver- x Kriechbaumer, Robert (Hg.) 2002: Ein Vater- sprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin ge- ländisches Bilderbuch. Propaganda, Selbs- mildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selber tinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen machen […]" (S. 212) Front 1933 - 1938, Wien Eine Auswahl von Fotos aus dem Bildarchiv der Vater- x Heimatschutz in Österreich. Sein Werden und die ländischen Front - im doppelten Sinn sehr illustrativ. Juli-Ereignisse, Wien 1935

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13| ADRESSEN

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ODE AN ÖSTERREICHS SOZIALISTEN Stephen Vincent Benét Im Namen des unbesiegten Österreichs hing man um fünf Uhr dreißig die Sozialisten auf. Der Himmel war federblau an jenen vier kalten Tagen wenn auch in jener Nacht das Licht erlosch.

An einem Montag fing es an. Es waren große, schöne Häuser, Nicht leicht fiel ihnen der Entschluss, vom Volk und für das Volk gebaut: jedoch sie hatten keine andre Wahl. jedoch Artillerie hat sie zerschlagen. Sie glaubten an den Frieden, an sichere Häuser, an Versammlungen, Wenn Du an Parks, Versammlungen und Wahlen glaubst, an Wahlen, an Resolutionen, doch nicht an Tod und Tyrannei, doch nicht an den Tod der Mauerecken, dann fällt die Vorstellung dir schwer, an Panzerwagen, die sich durch die Straßen schieben, dass einmal der Tag kommen kann, nicht an Granaten und blutüberströmte Schädel. an dem die Frau und deine Kinder in den Keller müssen, Sie hatten aber gesehen, was nebenan um vor Granaten Schutz zu finden, in einem andern Land dem Volk, an dem du auf der kurzen Stiege, das auch an Frieden und an Wahlen glaubte, die bis zu deiner Wohnung führt, geschehen war. eine kalte Pistole in der Faust hältst, Dieselbe Flut bedrohte sie. ein Tag, an dem Verzweiflung sich Der Sturm war schon zu hören. um deine trockne Kehle schnürt. So griffen sie in den Arbeiterbezirken, wo sie sich ihre Häuser gebaut hatten Es waren einfache Leute, - um Frieden zu haben die der Gewalt nicht widerstehen konnten. und ein Heim im Alter - Sie lagen tot, wie sie einst lebten, nach den Gewehren. sie lagen zwischen Tisch und Tür, sie lagen vor dem Küchenstuhl, sie lagen tot im Hof, wo einst die Kinder spielten - ganz ohne Heroismus, ohne Kriegsbegeisterung; sie waren einfach tot.