Stadtbuch Wien 1983. Falter Verlag Wien 1983

Mit Beiträgen von Franz Schuh, Wolfgang Pircher, Christian Reder, Jürgen Langenbach, Wolfgang Förster, Maria Auböck, Alfred Zellinger, Hans Czarnik. Redaktion: Armin Thurnher

Christian Reder VERBINDUNGEN ZWISCHEN TAT UND SACHE Besuche an Orten vergangener Ereignisse

Im Zentrum der Stadt ist an der Hauptfassade der großen Kathedrale ein 28 mal 18 Zentimeter großes Zeichen für Widerstand angebracht: das 05 einer österreichischen Untergrundorganisation während des Zweiten Weltkrieges (fünf für E, den fünften Buchstaben des Alphabets). Irgendwann einmal war es flüchtig in Kreidestrichen da, im nachhinein ist es dauerhaft eingemeißelt und offensichtlich manchmal von neuem weiß gefärbt worden. Im übrigen befinden sich auf diesem Mauerstück mehrere Grabplatten und die für anerkannte Kulturgüter obligate Hinweistafel ("Stephansdom / Wien - eine Stadt stellt sich vor"); vorgesetzt ist eine Doppelsäule, die hoch oben ein steinernes Objekt trägt, das vermutlich eine Vulva darstellt. Auf der anderen Seite des Riesentores steht eine entsprechende Säule mit einem männlichen Symbol, und unmittelbar neben dem Eingang sind alte behördlich geeichte Längenmaße in der Wand verankert, die Große und die Kleine Wiener Elle. Aus dem Nebeneinander dieser Einzelteile ließe sich eine uferlos revidierbare Symbolgrammatik herauslesen; viel stärker als eine solche Möglichkeit irritiert jedoch, daß ein zentral angebrachtes Zeichen für Widerstand so hilflos wirkt, so nebensächlich. Auflehnung ist eine Angelegenheit der Peripherie. Wem daher Manifestationen früherer Auflehnung großartig in den Mittelpunkt gestellt werden, kam nur ein starkes Mißtrauen für das notwendige Gegengewicht sorgen. Wien kennt außer auf seinen Friedhöfen wenige gekennzeichnete Orte, an denen die Aufmerksamkeit auf eine vergangene Empörung gelenkt wird. Aber nicht aus betroffener Sensibilität. Soviel als möglich sollte immer ins angeblich Schöngeistige hinübergedrängt werden. Nicht die großen Denkmäler fehlen, sondern eine Tradition des Ungehorsams. Ein unauffälliges Zeichen an der Mauer wie das 05 ist wenigstens ein stiller, fast verlegener Hinweis, der neugierig, vielleicht sogar wachsamer machen könnte. Wandkritzeleien sind einfach eine wichtige Ausdrucksweise, selbst dann, wenn ihre Spontaneität schließlich von Denkmalschützern bewahrt wird. Mit der (eigenen und allgemeinen) Geschichte "eins sein" gelingt nicht. Die daraus resultierende Verdrängung äußert sich öffentlich wie privat als Denken in Entfernungen. Es geht vor allem darum, Abstand zu "gewinnen". Das bedrohliche am Ereignis ist seine Nähe, sie und nicht es soll normalerweise überwunden werden. Der Zeitgeschichte wird einfach ein Teil weggenommen, die Zeit (als Gegenwart). Die manchmal erhoffte Kontinuität der Geschichte ist auch nicht so ohne weiteres zu ertragen. Eine Variante der Verdrängung besteht deshalb auch darin, künstlich Bruchlinien zu konstruieren, beispielsweise vom "Zusammenbruch" im Jahr 1945 zu sprechen. Einerseits braucht man dann nicht mehr gründlich darüber nachzudenken, "wie das alles passieren konnte", andererseits kommt man leichter zur Fiktion einer Stunde Null (bzw. eines individuellen Neubeginns).

1., Stephansplatz 1

Was überhaupt erinnert wird und in welcher Form dazu angeregt wird, sagt wahrscheinlich mehr über die Gegenwart aus als das, worin die Gegenwart sich selbst darzustellen glaubt. Eines ist die Geschichte sicher, ein kompliziertes Wechselspiel von Macht und Ohnmacht. Macht identifiziert sich gerne mit den Ohnmächtigen von früher, beansprucht ihr Aufbegehren für sich und schmückt sich vielleicht sogar mit ihrem Leiden. Nach dem Tod der Rebellen bricht die Verehrung für sie aus. Stellvertretende Einzelhelden werden herausgegriffen und eine Zeit oder sogar Jahrhunderte lang weitergereicht. Am lebenden oder toten "Helden" beeindruckt oft weniger seine Tat, als ihre Verwertung. Eine ähnliche Verfälschung ergibt sich aus einer Liebe zur Geschichte um ihrer selbst willen; Geschichte hat meistens Schmerzen zugefügt, und bekanntlich ist "jedes Dokument der Kultur auch ein Dokument der Barbarei". Ein öffentliches Erinnern ist zwangsläufig mit Formen verbunden (die auf lnhalte zurückwirken). Politische Zweckdenkmäler zum Beispiel wollen "Aufbauendes" darstellen, etwa den Mythos der Arbeit, der Familie oder einer bestimmten Person. Diese Spielart eines Realismus ist gerade in diesem Jahrhundert zunehmend peinlich und zynisch geworden. Der inneren Zusammenhanglosigkeit in der Politik oder ihrer Destruktivität werden allzu leichtfertig Symbole vermeintlicher Konstruktivität gegenübergestellt. Die Formen, z. B. auch von "Gedenkstätten", ergeben nicht den Sinn, auf dessen Vermittlung sie Anspruch erheben. Alles das dürfte beim unfreiwilligen Betrachter der Zeitereignisse die Überzeugung fördern, daß die einzige und letzte kleine Freiheit im Alleingelassensein besteht. Die stärkste Kraft dieses Jahrhunderts ist möglicherweise eine Art allgemeiner Dadaismus, der lächelnd oder gequält die widersprüchlichsten Sinnsplitter zusammenkittet und im Untergrund bereits alle Lebensbereiche durchzieht; oft ohne daß die Akteure sich dessen bewußt sind. Einer dogmatischen Sinnpolitik ist er stillschweigend überlegen, die Frage ist nur, was nach ihm kommt. Vereinzelt hüten "Konservative" von allen akzeptablen Flügeln des vergehenden politischen Spektrums noch Reste wichtiger Werte und stellen sich letztlich als progressiv heraus, sobald diese zu neuen Bedürfnissen passen. Flaktürme im Augarten, 2. Obere Augartenstraße

Der Stephansdom bildet den geographischen Schwerpunkt eines g!eichschenkligen Dreiecks, an dessen Ecken auffallend "sinnlose" Objekte der jüngeren Zeitgeschichte stehen, die Wiener Flaktürme: ein runder Geschützturm in der Stiftskaserne, zu dem der rechteckige Feuerleitturm im Esterhazy-Park gehört, und zwei weitere Turmpaare im Arenbergpark und im Augarten. Ihren "Zweck" als Kriegsmaschinen haben sie nur bedingt erfüllt. Jetzt stehen sie da wie Burgruinen, ohne noch bedrohlich zu wirken. Leuten, denen Form wichtig ist, gelten sie längst als "schön" und "stark". Sie sind ja auch ausdrücklich gestaltet worden (von Prof. Friedrich Tamms aus Düsseldorf) und stellen nicht bloß ein Produkt vor sich hinarbeitender Ingenieure dar. Trotz ihrer massiven Präsenz scheinen sie sich über die Zeit auszuschweigen, in der sie gebaut worden sind (1940); sie sind sozusagen Schauplätze ohne handelnde und betroffene Personen. Gelegentlich läßt es sich besser abschätzen, wie alte Tatsachen weiterwirken, wenn sie keine auffälligen materiellen Spuren hinterlassen haben. In diesem Fall schiebt sich niemand verfremdend dazwischen, und die eigene Vorstellungskraft hat ihre Chance. Normalerweise ist die Banalität des alltäglichen Ortes das Szenario für das, was geschehen ist. Ein radikaler Zugang zur Geschichte wäre die Auffassung, daß am Vergangenen wichtig nur der Widerstand ist; eine einleuchtende Auffassung, wenn, sie sich nicht fortwährend als zu simpel erwiese. Von den vielen Orten in Wien, die quasi aus dem Nichts heraus "etwas an sich haben", liegt einer in der Nähe des als Ausgangspunkt gewählten 05-Zeichens. Auf dem Stock im Eisen-Platz laufen alle Bodenplatten auf eine unregelmäßige fünfeckige Fläche in der Mitte zu, die fächerförmig mit Pflastersteinen ausgelegt ist. Sie markiert den vor einigen Jahren vorgesehenen Standort für ein Monument nach freier Wahl des Künstlers. Unter den Ergebnissen des Wettbewerbs waren kurze Zeit Hollein-Säulen und ein Hrdlicka-Antifaschismus-Mahnmal ("straßenscheuernde Juden") im Gespräch. Zustandegekommen ist nichts, und die Aussparung im Plattenmuster fällt mir immer wieder auf, weil sie an ein ungewolltes Zusammentreffen von Unfähigkeit und Verweigerung erinnert. 2., Salztorgasse 6

Die Kehrseite der Innenstadt

Zu Orten mit einer noch jungen Vergangenheit bringt einen der rasch vom unmittelbaren Zentrum wegführende Weg über die Rotenturmstraße und den Hohen Markt. Im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Alten Rathaus (Wipplingerstraße 8) sind Fotos und Dokumente ausgestellt. 1848 tagte in diesem Haus der "Sicherheitsausschuß" des revolutionären Wien. Ein Stück bergab liegt der Morzinplatz, auf der dem Regierungs- und Kulturviertel gegenüberliegenden Seite der Innenstadt. Dort stand bis zum Kriegsende das Hotel Metropol, das nach 1938 als - Zentrale verwendet wurde (Gedenkstein). Auf dem Areal dieses Gebäudes ist schlließlich ein rötlich gekacheltes Appartement- und Geschäftshaus errichtet worden. Ein Balkongeländer in der Mitte des ersten Stocks (über dem ehemaligen Haupteingang) ist als Steinrelief gestaltet, auf dem die römischen Jahreszahlen für 1938 und 1945, zwei Galgen, ein Fallbeil, ein Toter im Elektrozaun, vierzig Menschenköpfe und Stacheldrahtornamente eingemeißelt sind. An der Rückseite des Hauses, etwa dort, wo sich früher die für Gefangene bestimmte Hintertür befand, von der ein direkter Abgang in die Gefängniskeller führte, ist in einem winzigen Lokal eine Gedenkstätte für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes eingerichtet (Salztorgasse 6). Sie ist stundenweise geöffnet und jemand wartet auf Besucher. Wie auch andere Einrichtungen in dieser Gegend, muß sie polizeilich gegen Anschläge und Provokationen geschützt werden. Links schließen unmittelbar die Geschäftsräume der Firma Eisenberg & Rittberg an, die einen Großhandel mit Strickwaren und Textilien betreibt. Auf der anderen Seite verkauft die Firma Baumalon Berufs-Mode. Mit einem künstlerisch gestalteten Bronzetor wird versucht nach außen hin mitzuteilen, daß dort inmitten von Geschäften an Anderes erinnert werden soll. Während der "Schlacht um Wien“ vom 5. bis zum 13. April 1945 ist in diesem Gebiet schwer gekämpft worden, da offenbar in Kriegen jeder Fluß zum Freund oder Gegner wird. Beim Wiederaufbau hat dann den Donaukanal niemand mehr beachtet. Sein rechtes Ufer wurde zu einem verpfuschten Platz mit Tankstelle und anderem städtischem Zubehör. Auf der gegenüberliegenden Seite sind nur von der Spekulation gestaltete Hochhäuser sogar beim Versuch gescheitert, eine Skyline zu schaffen. Auf dem einen hohen Dach signalisiert ein IBM-Zeichen die Macht der internationalen Business-Maschine, auf de. anderen dasjenige der Raiffeisenkasse, wie weit es die Genossenschaftsidee bisher gebracht hat. Der Vorgänger des Raiffeisenhauses war der "Stephaniehof" (2., Obere Donaustraße 85-91), in dem Leo Rothziegel, ein Mitbegründer der kurzlebigen "Roten Garde", Aufrufe zur Unterstützung des Jännerstreiks von 1918 druckte, mit dem fast die Beendigung des Krieges erzwungen worden wäre. Kurz darauf meuterten große Teile der Kriegsmarine in Cattaro. Die Monarchie hielt sich jedoch noch bis zum November, bevor sie zusammenbrach, ohne daß es einer Eroberung von innen oder außen bedurft hätte. Am Haupteingang der IBM-Zentrale (2., Obere Donaustraße 95) wird auf einer Aluminiumplatte daran erinnert, daß dort, im alten Dianabad, Johann Strauß gespielt und den Walzer "An der schönen blauen Donau“ uraufgeführt hat. Im selben Komplex ist derzeit die OPEC die Organisation erdölexportierender Staaten untergebracht. Das Haus Taborstraße 1 war Sitz der sozialdemokratischen "Roten Hilfe", bis sie 1934 verboten wurde. Sie wirkte noch jahrelang in der Illegalität weiter, unterstützt von einer amerikanischen Quäker-Organisation (Singerstraße 16). Im wiederaufgebauten Gebäude sind heute Verwaltungsstellen der ÖMV - Österreichische Mineraiölverwertungs AG -untergebracht und nebenan kann man kommerzielle Versicherungen abschließen.

Besuche von Marx und Engels

Über die in dieser Gegend auf den Donaukanal stoßene Praterstraße ist am 27. August 1848 Karl Marx zu seinem einzigen Besuch nach Wien gekommen, vom Nordbahnhof her (dessen Bombenruine 1965 gesprengt worden ist), wo er aus Berlin eingetroffen war. Vermutlich hat er die Innenstadt durch das Rotenturm-Tor am heutigen Schwedenplatz betreten. Er blieb insgesamt zehn Tage da, um sich über die revolutionären Entwicklungen zu informieren und um Vorträge zu halten. Sein Biograph Franz Mehring schreibt, daß es ihm in Wien nicht gelungen sei, die Massen aufzuklären, da sich die Wiener Arbeiter noch auf einer verhältnismäßig niedrigen Stufe der Entwicklung befanden, daß aber ihr "echt revolutionärer Instinkt" hoch einzuschätzen war. Sechs Monate vorher hatte Marx, als knapp Dreißigjähriger, gemeinsam mit Engels das Kommunistische Manifest herausgegeben. Bereits am ersten Tag seines Aufenthaltes nahm er an einer Versammlung des Demokratischen Vereins teil, der immer im Gasthaus "Zum Engeländer" in der Währingertraße unweit der Stadtmauer zusammentraf. Am gleichen Tag fand im Volksgarten eine große Frauenversammlung statt. Ob Marx da auch dabei war ist nicht überliefert. Er sprach weiters zweimal vor dem Ersten Wiener Arbeiterbildungsverein, der seine Veranstaltungen damals im „Sträußel- Saal" im hinteren Trakt des Josefstädter Theaters abhielt. Am Sonntag, dem 3. September 1848 war er Zeuge des großen Demonstrationszuges für die Toten des vierten Wiener Aufstandes in diesem Jahr (21.-23. August), der vom Schottentor über die Währingerstraße zum Währinger Friedhof führte. Es war dies die größte Massenkundgebung seit der Trauerfeier für die Märzgefallenen. An diese erinnert heute ein abseits liegendes Mahnmal auf dem Zentralfriedhof. Eine Gedenktafel am Loos-Haus auf dem Michaelerplatz dokumentiert, daß sich der Oberfeuerwerker Johann Pollet am 13. März 1848 einem Befehl Erzherzog 19., Heiligenstädter Straße 82-92

Albrechts widersetzte, gegen die vor der Hofburg angesammelten Wiener Kanonen abzufeuern. Die Tafel wurde 1928 angebracht, 1934 entfernt und 1948 wieder befestigt. Am 7. September 1848 ist Karl Marx aus Wien abgereist, auf demselben Weg, auf dem er gekommen war. Dem Namen nach erinnert heute nur der ]Karl Marx-Hof an seine Existenz, der erst viel später zu einem zeitgeschichtlichen Objekt geworden ist. Der Stadtteil St. Marx mit dem großen Schlachthof und dem ursprünglichen Grab Mozarts hat nichts mit ihm zu tun. Diese Bezeichnung leitet sich von einer alten Niederlassung venezianischer Kaufleute in dieser Gegend und von ihrem Symbol, dem St. Markus-Löwen und dem Evangelisten Markus ab, dessen angebliche Reliquien in der Frühzeit Venedigs zur Bekräftigung von Machtansprüchen in Alexandria geraubt worden waren. Die Marxergasse im 3. Bezirk ist wiederum nach einem Bischof (Anton Marxer) benannt. Auffallend bleibt die strukturelle Verflechtung der Lebensdaten von Karl Marx (5. Mai 1818 - 14. März 1883) mit de. 20. Jahrhundert, wenn auch deren Deutlichkeit offenbar langsam verblaßt: 1918 (100. Geburtstag), 1933 (50. Todestag), 1938 (120. Geburtstag), 1968 (150. Geburtstag), 1983 (100. Todestag). Friedrich Engels war in der zweiten Septemberwoche des Jahres 1893 in Wien, aus Zürich, München und Salzburg kommend, um schließlich nach Prag und Berlin weiterzureisen. Anlaß dafür waren zwei große sozialdemokratische Veranstaltungen, an denen er als Ehrengast teilnahm. Im Jahr darauf gab er den dritten Band des "Kapitals" heraus, der in Hamburg erschien, und ein weiteres Jahr später starb er in London, in den letzen Tagen davor noch betreut von Viktor Adler. An ihn sollen der Engelsplatz und der Engels-Hof im 20. Bezirk erinnern; der Text der Gedenktafel an dessen Haupteingang lautet: "Bis in die Zeit der Donauregulierung 1869-1884 befanden sich hier wilde Donauauen, Wasser und Wald. Ideales Gebiet für Jagd und Fischerei. In den Jahren 1930-1933 baute die Stadt Wien den Engelshof. Er trägt diesen Namen nach Friedrich Engels, dem erfolgreichen Schriftsteller und Arbeiterführer." 1., Stubenring 1 (das ehemalige Kriegsministerwm)

Das erste Haus am Ring

Die Ringstraße beginnt bei der Urania, dem ältesten der Wiener Volksbildungshäuser. Im Dachatelier des Hauses Stubenring 2 befand sich im November 1918 die Zentrale der Kommunistischen Partei Deutsch-Österreichs, die als erste Mitteleuropas am 3. November 1918 in den Eichensälen (10., Favoritenstraße 71) gegründet worden war. Heute logiert sie in einem Hochhaus im 20. Bezirk, Hochstädtplatz 3. Eine tatsächliche Bedeutung hat sie nur in der Zeit nach 1934 und 1938 im Untergrund und im ersten Jahrzehnt nach 1945 erlangt. Dominiert wird der Anfang der Ringstraße vom großen Ministeriumsgebäude am Stubenring 1, das in der Monarchie als Kriegsministerium gebaut worden ist und 1913 (gerade noch rechtzeitig) fertig wurde. Auf dem gegenüberliege den Areal stand bis zur Jahrhundertwende die Franz Josefs-Kaserne, die, ebenso wie ihr Gegenstück am Ende der Ringstraße, die Roßauer Kaserne, nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 zur Sicherung des Stadtzentrums errichtet worden war. Seit 1906 steht dort Otto Wagners Postsparkasse. In der Straße entlang ihrer Rückseite hat Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie, gewohnt (Dominikaner Bastei 10). Während der Besetzung des Bundeskanzleramtes durch nationalsozialistische Putschisten der illegalen SS-Standarte 89 am 25. Juli 1934, bei der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß von Otto Planetta und einem Polizisten getötet worden ist, tagte im ehemaligen Kriegsministerium das Krisenkabinett. Bundespräsident Miklas bestellte von Velden am Wörthersee aus telefonisch zum provisorischen Kanzler. Die Putschisten besetzten kurzfristig auch die Radiostation der Ravag in der Johannesgase 4a (heute das Musikkonservatorium der Stadt Wien) und gaben den Österreichischen Gesandten in Rom, Anton Rintelen, als neuen Kanzler bekannt, der im Hotel Imperial den Gang der Dinge abwartete. Von dort wurde er problemlos ins frühere Kriegsministerium gebracht, wo er einen Selbstmordversuch unternahm. Die an verschiedenen Stellen des Landes aufgeflackerten Kämpfe dauerten noch fünf Tage und forderten auf beiden Seiten 270 Tote, bevor eine der wenigen frühen NS- Niederlagen vorläufig abgeschlossen war. Im gleichen Jahr wurde die von Clemens Holzmeister erbaute, "den Erneueren des österreichischen Vaterlandes" gewidmete "Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche" (15., Kriemhildplatz 12, hinter der Stadthalle) als Begräbnisstätte der beiden christlich-sozialen Bundeskanzler fertiggestellt, finanziert "aus Liebesgaben des dankbaren Volkes" (laut Inschrifttext am Haupteingang). Der Kreuzweg dafür war ein Geschenk Benito Mussolinis, der damals vorgab, das autoritär regierte Österreich beschützen zu wollen. Nach 1938 erhielten der "Prälat ohne Milde" Ignaz Seipel (der beabsichtigt hatte "nach der Währung die Seelen zu sanieren") und Engelbert Dollfuß einfachere Gräber auf dem Zentralfriedhof bzw. dem Hietzinger Friedhof. In seinem "Generalappell" auf dem Trabrennplatz hatte Dollfuß 1933 erklärt: "Die Zeit des kapitalistischen Systems, die Zeit kapitalistisch-liberaistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber, die Zeit marxistischer, materialistischer Volksverführung ist gewesen! Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei! Wir lehnen Gleichschalterei und Terror ab, wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage, unter starker autoritärer Führung!". Und im "Korneuburger Eid" der Heimwehren (1930) ist auf "drei Gewalten" gepocht worden, auf den Gottesglauben, den eigenen harten Willen und das Wort der Führer. Die angesprochenen verschiedenen Zeiten waren keineswegs vorüber, die beschworenen Gewalten konnten sich und andere nicht mehr bremsen. Von vielem sind Reste geblieben; auch vom "Ständestaat" durch die Gremien, die Kammern, Berufsorganisationen, Interessensvertretungen oder Zwangsmitgliedschaften. Während des Krieges war das große Ministeriumsgebäude Sitz des Wehrkreiskommandos XVII, das sich zu einem Zentrum des militärischen Widerstandes gegen Hitler entwickelte. Am 20. Juli 1944, als noch nicht bekannt war, daß das Attentat Stauffenbergs fehlgeschlagen war, trafen dort die Befehle ein, aufgrund derer die vorgesehenen Maßnahmen zum Sturz der NS-Herrschaft auch von Uneingeweihten zu treffen waren (Stichwort "Walküre"). Verschiedenste hohe Parteifunktionäre wurden zu einer dringenden Sitzung in das Gebäude gerufen, entwaffnet und unter Bewachung gestellt. Unmittelbar darauf kamen jedoch die Gegenbefehle und die Gestapo startete eine große Verhaftungswelle. Von den in Wien eingesetzten Verschwörern wurden Oberst Marogna-Redtwitz und Oberstleutnant Robert Bernardis hingerichtet. Oberst Kodré kam nach Mauthausen. Major Szokoll und einige andere blieben unentdeckt und er konnte Ende März 1945, als sich die russischen Truppen Wien näherten, von seinem Amtssitz am Stubenring aus die erste Kontaktaufnahme des Widerstandes mit der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Tolbuchin organisieren. Oberfeldwebel Ferdinand Käs und der Obergefreite Johann Reif gelangten bis nach Hochwolkersdorf ins russische Hauptquartier (2.- 4. April) um dort über den für den 6. April geplanten Aufstand und die Möglichkeiten zu einer kampflosen Übergabe der Stadt zu berichten. Der frühere Staatskanzler Karl Renner stand den Russen bereits zu Gesprächen über die künftige politische Situation zur Verfügung. Kurz nach der Rückkehr von Käs und Reif wurde jedoch Major Karl Biedermann verraten und in den Räumen des Stadtkommandos Wien (Universitätsstraße 7, heue Neues Institutsgebäude der Universität) verhaftet. Als Kommandant der in der Roßauer Kaserne stationierten Heeresstreife Groß-Wien hätte er im Rahmen der Widerstandsaktionen die wichtige Brückensicherung übernehmen sollen. Da somit die Vorbereitungen zum Aufstand teilweise bekamt geworden waren, kam er nicht mehr zustande. Major Karl Biedermann, Hauptmann Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf Raschke (die beiden leuteren waren im Gebäude Stubenring 1 festgenommen worden) sind am 8. April 1945 in Floridsdorf am Spitz öffentlich gehängt worden. Anwesend dabei war auch der als "Mussolini- Befreier" noch lange nach dem Krieg vielfach gefeierte österreichische SS-Führer Skorzeny (gestorben 1975). Er hatte sich schon im März 1938 hervorgetan, als er mit Zentralfriedhof: Gedenkstätte für die Februarkämpfer 1934 (Gesamtansicht und Detail)

seinen illegalen Einheiten das Wohnhaus von Bundespräsident Miklas umstellte (3., Hainburgerstraße 15), weil dieser sich noch gegen den Anschluß wehrte. In der "Reichskristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938 war er führend an der Zerstörung von zwei Synagogen im 3. Bezirk beteiligt. Elf Jahre vor seinem Tod war derselbe Major Karl Biedermann bei der Bekämpfung der aufständischen Arbeiter des Karl Marx-Hofes in Heiligenstadt eingesetzt. In den vom 12. bis zum 15. Februar 1934 dauernden Kämpfen spielte er mit seiner Schutzkorpseinheit offenbar eine führende Rolle. Diese sicherte die Rückseite des langgestreckten Baus, hielt den ihr gegenüberliegenden Bahnhof besetzt und blockierte die Verbindung in die Brigittenau und nach Floridsdorf. Der Karl Marx-Hof wurde deswegen in der Folgezeit offiziell Biedermann-Hof genannt, später hieß er dann einfach Heiligenstädter-Hof und erst nach dem Krieg bekam er wieder sei en alten Namen. Daß das Gebäude am Ende des Kampfes schließlich an Major Marx, den Kommandanten der 9. Deutschmeisterkompanie, übergeben worden war, konnte bei den Umbenennungsritualen nicht berücksichtigt werden. Am Montag, dem 12. Februar 1934 zelebrierte Kardinal Innitzer um 11 Uhr im Stephansdom anläßlich eines Papstjubiläums ein Hochamt, an dem fast die ganze Regierung und das diplomatische Korps teilnahmen. Um 11.47 Uhr gingen plötzlich dreimal die Lichter aus und viele wußten offenbar sofort, was der französische Gesandte später notierte: "Das Signal zu dem aufrührerische. Generalstreik war jetzt gegeben worden; das Licht der Industrie hatte dem Befehl der marxistischen Führer gehorcht. Auf dem Altar flammten noch immer die mittelalterlichen Kerzen des kathoIischen Österreich." Die Kampfleitung des Republikanischen Schutzbundes hatte ihr Hauptquartier im Ahornhof (10., Wienerbergstraße 8), einem Teil der Wohnhausanlage George Washington-Hof in Favoriten. Dieses Gebäude wurde bereits gegen Abend des 12. Februar widerstandslos besetzt. Otto Bauer und Julius Deutsch entkamen und flohen schon am nächsten Tag in die Tschechoslowakei. Neben dem Karl Marx-Hof waren vor allem das dann im Krieg zerstörte Arbeiterheim Floridsdorf (21., Angererstraße 14), der Schlingerhof (21., Brünner Straße 34), der Goethe-Hof (22., Schüttaustraße 1-39), der Högerhof in Simmering (11., Hakelgasse 15), der "lndianerhof" in Meidling (offiziell Azaleenhof, später einige Zeit nach dem Wiener Heimwehrführer Emil Fey-Hof; 12.., Koppreitergasse), der Fuchsenfeldhof (12., Längenfeldgasse 68), das Arbeiterheim Ottakring (16., Kreitnergasse 29-33) oder der Reumannhof (5., Margaretengürtel 104- 110) besonders stark umkämpft. In ganz Österreich gab es 270 Tote und über 800 Verletzte. Neun Sozialisten wurden hingerichtet, darunter Georg Weissel aus Floridsdorf, der schwerverletzte Karl Münichreiter und Koloman Wallisch aus Bruck an der Mur. Otto Bauer starb 1938 in Paris, Alexander Eifler, der militärische Leiter des Republikanischen Schutzbundes, 1945 in Dachau. Der Schutzbund-Obmann Julius Deutsch kämpfte mit etwa zweitausend anderen Österreichern (von denen etwa siebenhundert getötet wurden) im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik und starb 1968 in Wien. Etwas tausend Emigranten gingen 1934 in die Sowjetunion und viele von ihnen kamen dort um.

In Reichweite der Hiltonkultur

Die Gegend des Stadtparks (dessen Betreten nach 1938 für Juden verboten war) wird von den Blöcken des Hilton- und des Intercontinental-Hotels dominiert. An seinem einen Ende steht auf dem Dr. Karl Lueger-Platz das Denkmal des gleichnamigen christlichsozialen Bürgermeisters (gestorben 1910), der auf bürgerlicher Seite zu einer Symbolfigur für antisemitische Traditionen und für die Entwicklung Wiens zur Großstadt wurde. Daß ihm vor der Universität nochmals ein eigener Dr. Karl Lueger-Ring gewidmet ist, macht ihn zum mit Straßennamen in guter Lage meistgeehrten Politiker dieser Stadt; und auch die große Kirche auf dem Zentralfriedhof ist nach ihm benannt. Im Simpl, Ecke Luegerplatz und Wollzeile, waren in der Zwischenkriegszeit die legendären Schauspieler und Kabarettisten Fritz Grünbaum und Karl Farkas tätig. Der eine starb 1940 im Konzentrationslager, der andere gelangte rechtzeitig ins Ausland und kehrte später nach Wien zurück. An einer anderen Ecke dieses Häuserblocks (Zedlitzgasse 7) lebte und starb Bertha von Suttner ("Die Waffen nieder!", Wien, 1890), die Gründerin der Österreichischen Friedensgesellschaft. Die höchste heimische Banknote trägt ihr Bild. Von ihrer Wohnung sah sie auf die Zedlitzhalle (Zedlitzgasse 6), die zuerst eine Markthalle war und in der danach Kokoschka, Schiele und Gütersloh ausstellten und damit den Thronfolger Franz Ferdinand zum Toben brachten. Die Schwestern Wiesenthal oder Grete Bieberach traten dort bei Aufführungen des neuen Tanzes auf. Später wurde sie als Kartoffelkeller, Lazarett und dann wieder für Ausstellungen vewendet, bis sie überhaupt nicht mehr benötigt und 1965 abgebrochen wurde. Am Parkring 8 liegt das ehemalige Hoch- und Deutschmeisterpalais, das nach dem Hochmeister des Deutschen Ritterordens benannt ist. Nach 1938 war es der Sitz des "Höheren SS- und Polizeiführers" und späteren Nachfolger Heydrichs als Chef des Reichssicherheitshauptamtes, des Linzer Rechtsanwaltes Ernst Kaltenbrunner. Er und der "Anschlußkanzler" Arthur Seyß-Inquart waren jene beiden Österreicher, die 1946 in Nümberg mit weiteren zehn Hauptkriegsverbrechern zum Tod verurteilt worden sind, (insgesamt wurden nach dem Krieg etwa 13.000 Österreicher wegen NS-Verbrechen schuldig gesprochen). In der Zweiten Republik zog n dieses Gebäude die Polizeidirektion ein und vor kurzem der "OPEC-Fund for International Development". Der Schubertring quert ein unbelebtes Philosophen-Viertel aus Straßennamen, das die Kant-, Fichte-, Hegel- und Schellinggasse umfasst. Dort war naheliegenderweise früher einmal die Redaktion der "Neuen Freien Presse" (Fichtegasse 9-11), die von 1848 bis 1939 existierte. Nach dem Krieg, als wiedereinmal der Zusatz "frei" und "neu" nicht mehr notwendig schien, wurde sie als "Die Presse" zuerst am Fleischmarkt und dann in der Muthgasse im 19. Bezirk herausgegeben. Die "Neue Kronen Zeitung" folge ihr bei dieser Wahl der Orte. Der "Kurier", aus einem Blatt der US-Besatzungsmacht entstanden, erscheint in der Lindengasse 52. Die "Arbeiter-Zeitung" (gegr. 1889) hatte ihre Redaktion zuerst in der Gumpendorfertraße 79, unweit der Wohnung Viktor Adlers (von 1905 bis zu seinem Tod 1918: Gumpendorferstaße 56), und dann kurz in der Mariahilfer Straße. Seit 1910 ist ihre Redaktion, abgesehen von der Verbotszeit zwischen 1934 und 1945, im Gebäude des "Vorwärts" (5., Recht, Wienzeile 97) untergebracht. Das Haus daneben ist der Geburtsort von Hans Moser, der eigentlich Jean Julier geheißen hat (5., Rechte Wienzeile 93).

Stalinplatz und Bürckel-Ring

Den Schwarzenbergplatz beherrscht in seinem hinteren Teil, der während der Besatzungszeit Stalinplatz hieß, das von der Roten Armee errichtete Befreiungsdenkmal (Gesamtleitung Major Ing. Schönfeld, Entwurf Major Jakowiew, Skulpturen Leutnant Intazarin). Links von ihm, an der Stelle des heutigen Bürogebäudes des Steyr-Konzerns, stand früher das Palais Castiglioni. Der aus Triest stammende Castiglioni begann als Reifenhändler und Flugzeugproduzent, verdiente an der Sachdemobilisierung der k. u. k. Armee enorme Summen und baute als einer der größten Inflationsgewinner ein europaweites Finanzimperium auf, das 1924 zusammenbrach. Im Krieg wurde dieses Palais als NS-Parteihaus benutzt (Schwarzenbergplatz 5). Im Haus Nr. 4, dem Sitz der Industriellenvereinigung, war von 1945 bis 1955 der Alliierte Rat untergebracht, das eigentliche Machtzentrum des Landes. Dort ist am 20. Oktober 1945 die Regierung Renner von allen vier Großmächten anerkannt worden und am 14. Mai 1955 hat in diesen Räumen Außenminister Leopold Figl die Vertragspartner noch dazu überredet, die Klausel über die Mitschuld Österreichs am 2. Weltkrieg aus dem am nächsten Tag im Belvedere zu unterzeichnenden Staatsvertrag zu streichen. Weiter stadtauswärts, an Stelle des heutigen Gebäudes der "Kammer für Arbeiter und und Angestellte" (4., Prinz Eugen-Straße 20-22) befand sich die "Zentralstelle für jüdische Auswanderung". Dort hat 1938 (der in Deutschland geborene, in Linz aufgewachsene) Adolf Eichmann begonnen, als immer wichtiger werdendes "ausführendes Organ" die bürokratischen Grundlagen für das Rassenprogramm zu schaffen, das dann im organisierten Massenmord geendet hat. Hannah Arendt berichtet von seinem Prozeß in Jerusalem (1961), wie deutlich er betonte, daß der Auftrag und der Aufenthalt in Wien "seine glücklichste und erfolgreichste Zeit gewesen sei“. Ganz draußen, am Landstraßer Gürtel 25, gegenüber dem Arsenal, wohnte 1925 für einige Monate Walter Ulbricht, der die österreichische KP organisieren sollte, aber bald von den Behörden abgeschoben wurde. Neben dm Funkhaus, in der Argentinierstaße 22, war der Sitz der Wiener , deren Führer, Major Emil Fey, zeitweilig auch Vizekanzler und Sicherheitsminister war. Am 16. März 1938 verübte er mit Frau und Sohn in seiner Wohnung Selbstmord (3., Reisnerstraße 21). Das Hotel Imperial am Kärntnerring 16 erinnert heute nur mit einer Gedenktafel daran, daß dort Richard Wagner im Jahre 1875 mit seiner Familie fast zwei Monate lang wohnte, um die Aufführungen seiner Opern Tannhäuser und Lohengrin vorzubereiten. Am 2. Oktober 1932 bereiteten jedoch auch Hermann Göring und Ernst Röhm durch die Abnahme einer Parade von NS-Formationen vor dem Hotel kommende Ereignisse vor. Um die Ecke, in der Bösendorferstraße 3, wohnte damals noch Adolf Loos (gestorben 1933). Der schon erwähnte Anton Rintelen hat in den Hotelräumen darauf gewartet, von den NS-Putschisten des Juli 1934 zum Kanzler gemacht zu werden. Und im März 1938 wählte sich Adolf Hitler dieses Domizil. Er empfing dort den um Loyalität bemühten Kardinal Innitzer. Nach 1945 hat die sowjetische Besatzungsmacht das Imperial als ihr Hauptquartier für Österreich beschlagnahmt. Am 11. September 1945 trafen sich in diesen Räumen zum ersten Mal die Hochkomissare der vier Besatzungsmächte. Parallel zum Opernring verläuft die, nach der 1898 in Genf vom italienischen Anarchisten Luigi Luccheni ermordeten Kaiserin benannte Elisabethstraße. Ein Teil von ihr begrenzt den Schillerplatz auf jener Seite, die der Akademie der bildenden Künste (von der die Talente Adolf Hitlers nicht akzeptiert worden waren) gegenüber liegt. In dem einen Eckhaus war vor dem Verbot von 1933 das Wiener Sekretariat der NSDAP untergebracht (Elisabethstraße 9), die 1919 in München zuerst als "Deutsche Arbeiterpartei" (ab 1920 NSDAP) gegründet worden war. In Österreich bestand bereits seit 1903 eine ursprünglich in Sudetenland verankerte gleichnamige Vorläuferin, die ihre Bezeichnung schon im Mai 1918 in "Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei abgeändert hatte. Sie existierte auch nach der Abspaltung einer österreichischen Hitlerbewegung im Mai 1926 (Sophiensäle) weiter ohne sich etablieren zu können. Ihren Sitz hatte sie in der Kanzlei ihres Geschäftsführers, des Rechtsanwaltes Walter Riehl, am Stephansplatz 5. Von ihrer Ortsgruppe St. Pölten ist erstmals eine Flagge mit dem Hakenkreuz als Parteisymbol verwendet worden. Hitler hat es dann gemeinsam mit anderen Symbolen, Organisa.tionsformen und Programmpunkten auf einer Salzburger Kontakttagung im August 1920 übernommen. Das zur Erinnerung an die Völkerschlacht bei Leipzig errichtete Neue Burgtor ist 1933/34 im Auftrag der Regierung Dollfuß von Rudolf Wondracek zum Heldendenkmal umgestaltet worden. Der rechte Teil des Gebäudes ist den Gefallenen beider Weltkriege gewidmet. In der Mitte des Hauptraumes liegt ein in Marmor gehauener toter Soldat. In großen Inschriften dahinter wird weiterhin an die "ersten und letzten Toten des Weltkrieges' erinnert, an den ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand und an den letzten Kaiser, Karl I. Im linken, von der Tordurchfahrt abgetrennten Teil, wurde später eine Gedenkstätte für die "Opfer im Kampfe für Österreichs Freiheit" eingerichtet. Nach Angaben des Militärwissenschaftlichen Instituts, Wien (1974) starben im 2. Weltkrieg 247.000 Österreicher als Soldaten und 24.300 als von Kriegshandlungen direkt betroffene Zivilisten. Zwischen 1938 und 1945 wurden 65.459 österreichische Juden ermordet (an die gesondert nur eine Tafel in der Synagoge, Seitenstettengasse 4 erinnert). Es wurden 2.700 Österreicher hingerichtet, 16.100 starben in Gestapo-Haft und 16.500 in Konzentrationslagern. Solche Zahlen entwickeln bereits wieder eine eigene Grausamkeit, aber eines deuten sie an: Drei Viertel dieser Opfer fanden durch den Krieg den Tod, die anderen jedoch, weil sie daheim auf einer anderen Seite standen. Das "nationale" Moment deklariert seine Abgründigkeit am makabersten beim Kult um die eigenen Toten und bei der Aufrechnung um Schuld. Der "Unbekannte Soldat" ist ein Integrationsversuch auf völlig falscher Ebene. Die Lebenden reichen sich nur vorübergehend versöhnlich die Hand und Leichen überhaupt nicht. Die "eigenen" Leiden stehen weiterhin überall im Vordergrund; was "eigene Leute" und "eigene Gewalt" hier und woanders angerichtet haben und welches diesbezügliche Potential ständig verfügbar bleibt, das deckt der übliche Umgang mit der Geschichte fortwährend zu. Kein einziges offizielles Straßenschild weist darauf hin, daß der Heldenplattz diesen Namen trägt; die Postadressen lauten auf "Neue Burg". Dieser transzedentale Effekt dürfte bei einem derart geschichtsbeladenen Demonstrationsplatz gewollt sein. Die erste große Bundesheerparade der neuen Republik fand dort statt (1920). Die Heimwehr marschierte auf (z. B. 1929). 1932 gab es die erste große NS- Massenkundgebung mit Ansprachen von Goebbels und Röhm. Am 12. Februar 1934 wurde auf diesem Platz die Eingreifreserve des Bundesheeres gegen den Arbeiteraufstand zusammengezogen. Am 8. August 1934 fand die Trauerfeier für den ermordeten Bundeskanzler Dollfuß statt. Und am 15. März 1938 wurde dort der große Auftritt für Adolf Hitler inszeniert, bei dem er "der deutschen Geschichte" die Heimkehr Österreichs in das Reich meldete. Daß bei der Volksabstimmung über den "Anschluß" vier Wochen später 1.953 anonym gebliebene Wiener mit "Nein" gestimmt haben, wird in den Analysen der damaligen Vorgänge nur selten gewürdigt. 1945 war der Heldenplatz Kampfgebiet. Ein in den Kellern der Hofburg für Gauleiter Baldur von Schirach ausgebauter Gefechtsstand hätte das Zentrum einer Verteidigung der Stadt "bis zum letzten Mann" sein sollen. Der am Parlament vorbeiführende Abschnitt der Ringstraße war vor 1934 nach dem 12. November (Republikgründung 1918), dann nach Bundeskanzler Ignaz Seipel, von 1940-1945 nach dem NS-Gauleiter Joseph Bürckel und dann wieder für kurze Zeit nach Ignaz Seipel benannt. Seither heißt er Dr. Karl Renner-Ring. Im Haus Nr. 1, dem heutigen Stadtschulrat, befand sich die sowjetische Stadtkommandantur; zuerst war sie vorübergehend am Graben 12 untergebracht gewesen. Neben dem Hotel Imperial wurden auch das Grandhotel am Kärntnerring (später Sitz der Atomenergiekommission) und Teile der Hofburg (als Offizierskasino in den Räumen des jetzigen Konferenzzentrums) von der sowjetischen Besatzungsmacht benutzt. Solange sie im Land war, hieß die 1976 eingestürzte Reichsbrücke "Brück der Roten Armee", die alte Floridsdorfer-Brücke "Malinovsky-Brücke" und die Laxenburgerstraße "Tolbuchin- Straße" (nach den beiden Marschällen, deren Einheiten in Ost-Österreich gekämpft haben). Das US-Hauptquartier für Wien befand sich im Hotel Bristol am Kärntnerring 1 und im Gebäude der Österreichischen Nationalbank am Otto Wagner-Platz 3. Die britische Besatzungsmacht benutzte als Zentrale das Schloß Schönbrunn, sowie das Parkhotel, das Hotel Sacher und die Rennweger Kaserne. Die Franzosen hatten sich unter anderem im Hotel Kummer (6., Mariahilfer Straße 71), in der Breitenseer- und in der Radetzky-Kaserne einquartiert.

Am Außenrand des Volksgartens

Zwischen Stadtschulrat und Parlament, an der dortigen scharfen Biegung des Rings, wurde das Republikdenkmal aufgestellt. Die Büsten der sozialdemokratischen Politiker Viktor Adler (Parteivorsitzender), Jakob Reumann (Wiener Bürgermeister) und (Sozialminister) sollen offenbar all jene vertreten, denen ein Verdienst um die Gründung der Republik zukommt. Zwischen 1934 und 1945 war dieses Denkmal in einem Depot. Möglicherweise glaubte irgendwer daran, daß es wiedereinmal gebraucht werden könnte. Die Parkanlage hinter dem Denkmal grenzt an den Justizpalast, der am 15. Juli 1927 Zentrum blutiger Unruhen war, bei denen 85 Demonstranten und 4 Polizisten getötet wurden. Am Tag vorher hatte ein Wiener Geschworenengericht mit neun gegen drei Stimmen die "Frontkämpfer" freigesprochen, die am 30. Jänner in Schattendorf im Burgenland in eine Arbeiterdemonstration geschossen und dabei den arbeitslosen Kriegsinvaliden Matthias Cmarits und den achtjährigen Josef Grössing getötet hatten. Die "Frontkämpfervereinigung" (3., Rasumovskygasse 15) war die erste der späteren "Bürgerkriegsarmee". Während in Wien offenkundig Schuldige freigelassen wurden, sind in den USA offenkundig Unschuldige (Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti) zu staatsfeindlichen Anarchisten abgestempelt und 1927 als vermeintliche Bombenattentäter hingerichtet worden. Die weltweite Empörung gegen dieses Urteil war auch in Wien zu spüren. Friedrich Austerlitz schrieb in der Arbeiter-Zeitung seinen wütenden Artikel gegen die Wiener Rechtsprechung: " - - - die eidbrüchigen Gesellen auf der Geschworenenbank ... Wir warnen sie alle, denn aus einer Aussaat von Unrecht, wie es gestern geschehen ist, kann nur schweres Unheil entstehen.“ Die Arbeiter der Wiener Elektrizitätswerke beschlossen im Hof des Direktionsgebäudes im 9. Bezirk, Mariannengasse 4, einen Proteststreik und einen Demonstrationszug und in vielen anderen Betrieben geschah spontan das gleiche. Zu den ersten Unruhen kam es vor der Universität durch Zusammenstöße mit Studenten. Eine Erstürmung des Gebäudes mißlang. Die zornige Menschenmenge wuchs rasch auf etwa 30.000 Personen an. Das Polizeiwachzimmer in der Lichterielsgasse 5 ging in Flammen auf. Um die Mittagszeit brannte der Justizpalast. Besänftigungsversuche der Parteiführung waren gescheitert. Am Nachmittag wurde auch noch die Redaktion der christlichsozialen "Reichspost“ (8., Strozzigasse 8) in Brand gesteckt. Nachher wurden Austerlitz und die "schwache" Parteiführung beschuldigt, zuerst "aufgewiegelt", dann aber die "Kontrolle“ über die Massen verloren zu haben. Den damaligen Polizeipräsidenten und mehrmaligen Bundeskanzler Johann Schober machte sein Schießbefehl zum "Arbeitermörder" (Karl Kraus forderte ihn in einer eigenen Plakataktion zum Rücktritt auf). Erst in den Gefängnissen und Konzentrationslagern des Dritten Reichs sind sich die verschiedenen Vertreter der beiden "Lager“ so nahe gekommen, dass nach dem Krieg eine Zusammenarbeit möglich war. Daß es im Februar 1945 auch im Justizpalast zu solchen Kontakten kam, war signifikant für diese Situation. Damals haben dort Fritz Molden, der dann "Presse"- und Buchverleger wurde und der Rechtsanwalt Adolf Schärf, der seit der Verhaftung des ehemaligen Bürgermeisters Karl Seitz im Juli 1944 als Kopf der illegalen Sozialdemokratie galt, mögliche Schritte im Zusammenhang mit dem nahen Kriegsende überlegt. Adolf Schärf hatte seinerseits Verbindung mit dem Rechtsanwalt Felix Hurdes, einem Mitbegründer der OVP. In der Besatzungszeit war im Justizpalast die Interalliierte Kommandantur untergebracht, vor der immer die zeremoniellen Wachablösen stattfanden. Am 18. Dezember 1944 war das Provisorische Österreichische Nationalkomitee (POEN) in der Wohnung des ehemaligen Bundeswirtschaftsrates Heinrich Otto Spitz gegründet worden (19., Heiligenstädter Lände 31), der noch am 10. April 1945 getötet wurde. Ihm gehörten z. B. die Brüder Fritz und Otto Molden, Alfons Stillfried und der Völkerrechtsprofessor Verdroß an. Kontakte bestanden zum späteren Kanzler Julius Raab, der unter Schuschnigg kurz Minister und in der Heimwehr engagiert gewesen ist, sowie zu Adolf Schärf, die dann beide bereits der ersten Bundesregierung angehörten. Schärf vertrat im Rathaus bei den Verhandlungen unmittelbar nach Kriegsende die "alte" Sozialdemokratische Partei, während Felix Slavik Sprecher der "Jungen" war, der nach 1934 entstandenen "Revolutionären Sozialisten". Felix Slavik wurde später "glückloser" Wiener Bürgermeister, der 1973 wegen der Niederlage bei der ersten Volksbefragung (mit dem UmweItthema Verbauung des Sternwarteparks) zurückgetreten ist. Die sozusagen erste österreichische Stelle, die im April 1945 in Wien amtierte war das "Siebenerkomitee" der Widerstandsbewegung 05, das Räume im Palais Auersperg neben dem Justizpalast bezogen hatte. Auf bürgerlicher Seite gehörten ihm Raoul Bumballa an (später kurze Zeit Unterstaatssekretär für Inneres), Emil Oswald (ein "monarchistischer Links-Liberaler", der im KZ gewesen war und später Direktor der AKM, Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger wurde), der spätere Ministerialrat Sobek (als Vertreter des noch inhaftierten Hans 8ecker), und Viktor Müllner (der spätere ÖVP-Multifunktionär, der Ende der 60er Jahre wegen Korruption zu vier Jahren Kerker verurteilt worden ist). Die Sozialdemokraten wurden von Gustav Fraser und Eduard Seitz vertreten, die Kommunisten von Frau Hrdlicka. In diesen Tagen kam es auch zu Kontakten mit der militärischen Widerstandsgruppe de, Major Szokoll. Das Chaos dieser Monate hat offensichtlich viele zufällige Beziehungen begünstigt. Aus einigen weiteren Lebenswegen damaliger Aktivisten läßt sich rekonstruieren, daß das Spektrum des Widerstandes, vor allem diesseits der Anonymität, kein simpel heroisches war und sich die frühere Haltung nicht immer unwillkürlich fortgesetzt hat. Es fällt auch auf, dass von denen, die später "etwas wurden", sich kaum einer zugleich als konsequent mahnende Stimme etablieren konnte. Sehr rasch ging es auch wieder darum, eine gewisse Kontinuität wiedererstehender Parteiapparate zu sichern und damit zugleich um personelle Brücken zur Zeit vor 1938 und 1934. Karl Renner, Julius Raab, Leopold Figl, Leopold Kunschak, Theodor Körner, Adolf Schärf oder Oskar Helmer wurden zu den prägenden Personen. Aus einem eigenen, schwerer integrierbaren Widerstand heraus ist praktisch niemand zu dieser Gruppe gestoßen. Es wurden "Politiker" gebraucht; vom früheren Glauben an "Neue Menschen" war allseitig nicht mehr die Rede. Adolf Schärf stellte auch über die damals aufgetretenen Widerstandsbewegungen sehr pragmatisch fest, daß in ihnen "nur soviel Einfluß steckte, als ihnen die Parteien, vor allem unsere Partei, zuerkennen wollten". Offenbar war es demnach gar nicht so leicht, beim "Wiederaufbau" engagiert mitwirken zu können. Sehr viele blieben überhaupt im Ausland (auch dem nach Schweden emigrierten Bruno Kreisky ist es erst her spät gelungen, sich wieder in Wien einzugliedern). Weite Lebensbereiche waren ab jetzt sehr dünn besiedelt. Aus der allseitigen Verstrickung in die belastende Vergangenheit ist rasch eine neue Tradition des "Wunden verheilen Lassen" entstanden, gegen die sich die Forderung nach einem "Niemals Vergessen" nie so richtig durchsetzen. konnte. Die Ideologie des "Zusammenbruchs", die sich die Frage nach dem, was 1945 eigentlich alles zusammengebrochen sein soll, weitgehend erspart, hat zu einem allgemeinen "Club 45" geführt, dessen Mitglieder vielfäch davon leben, durch nüchterne Berechnung weiterhin Herren der gerade aktuellen Lage zu sein. Aus dem von Bundeskanzler Leopold Figl in seiner Weihnachtsansprache 1945 angesprochenen Mangel ist sehr bald eine neue "Geschäftsmäßigkeit" entstanden: "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann Euch für den Christbaum, wenn Ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts! Ich kam Euch nur bitten, glaubt an dieses Österreich." Joseph Buttinger, der Obmann der "Revolutionären Sozialisten" von 1935-1938, der dann wie seine beiden Vorgänger in dieser Funktion, Manfred Ackermann und Hans Karl Sailer in die USA emigriert war, hat seine Enttäuschung über die Art des Neubeginns 1953 publiziert. Er sprach bereits damals (naheliegenderweise konzentriert 12., Schönbrunner Schlossstrasse 30 1., Minoritenplatz auf Entwicklungen in der SPÖ) von den "im politischen Sumpf dieser Zeit versinkenden sozialistischen Opportunisten, die als "Realpolitiker" glauben, politisch unsterblich zu sein, wenn sie es nur zuwege bringen, sich den "wechselnden Umständen" anzupassen: nicht durch die Weiterentwicklung, sondern durch die Preisgabe ihrer sozialistischen Anschauungen. Aber das Explodieren der Atombombe, die sie heute für eine Garantie ihres politischen Weiterlebens halten, kann bereits morgen Umstände schaffen, an denen ihre Anpassungsfähigkeit scheitern wird". Buttinger selbst hat es sich jedoch später erstaunlich leicht gemacht. Von der Wiener Tradition des radikalen Wortes bei gleichzeitig zögernder, fast unwilliger Handlungsweise ist schließlich nur der zweite Teil übrig geblieben. Die österreichische Republik ist an einem (vermutlich kalt-nebeIigen) Novembertag vor dem Parlament ausgerufen worden. Aber schon 1933 nahm "man" ihr für zwölf Jahre wieder ihre entscheidenden Funktionen, wie eben das Parlament oder unabhängige Gerichte wieder weg. Und auch derzeit wird sehr vieles (allzu vieles) außerhalb solcher Demokratie-Instanzen entschieden. Außerhalb des Parlaments befindet sich - und das sei als Wiener Kuriosum und um zur Umkreisung der Innenstadt zurückzukehren, erwähn, - direkt unter der Pallas Athene immer die Funktionärstribüne der Kommunisten beim Maiaufmarsch. Die Sozialdemokraten benutzen dazu den Rathausplatz (der von 1907-1926 Luegerplatz und nach 1938 kalkulierter Weise Adolf Hitler-PIalz hieß). Denjenigen, denen früher das Alleinvertretungsrecht alles "Bürgerlichen" zugeordnet wurde, fehlt offenbar derzeit ein Bedürfnis, sich auf vergleichbare Weise immer wieder auf der Straße zu zeigen. Reste der alten Aufteilung lassen sich jedoch noch beobachten: Auf dem Rathausplatz finden Demonstrationen statt, die nicht auf den Heldenplatz passen und umgekehrt.

Auf der Westseite

Direkt hinter dem Burgtheater, in der Löwelstraße 18, hat die Sozialistische Partei Österreichs ihren Sitz. Unmittelbar daneben haben die Niederösterreichische Landwirtschaftskammer (deren Direktoren Dollfuß und Figl gewesen sind) und die Niederösterreichische Volkspartei ihre Büros. Von der Bundes-ÖVP ist als Zentrale das Haus gegenüber der rechten Seitenfront der Staatsoper gewählt worden (Kärntnerstraße 51) und ein paar Häuser weiter ist die Freiheitliche Partei Osterreichs untergebracht (Kärntnerstraße 28). M Burgtheater selbst war während des Krieges der Schauspieler Otto Hartmann tätig. Er ist 1947 zu lebenslangem Kerker verurteilt worden, weil er als Gestapo-Spitzei die Widerstandsgruppen um den Chorherren-Priester Roman Scholz, um den Finanzbeamten Karl Lederer und den Rechtsanwalt Jakob Kastelic verraten hatte, die daraufhin mit sechs anderen 1944 hingerichtet worden sind. Die Zentrale und kleine Druckerei der Gruppe Scholz befand sich im Gartentrakt des großen Gründerzeitblocks direkt neben Eichmanns, erstem Wiener Hauptquartier (Prinz Eugen-Straße 14). Auf der Treppe der Universität ist 1936 der Philosoph Moritz Schlick ("Wiener Schule“), von einem rechtsradikalen Attentäter erschossen worden. Vier Straßen hinter der Universität liegt das Landesgerichtsgebäude, in dem während der NS-Herrschaft 1.184 Menschen hingerichtet wurden (Gedenkstätte). Für Wehrmachtsangehörige, die von Kriegsgerichten verurteilt worden sind (vielfach vom Militärgerichtshof in der heutigen Trostkaserne, 10., Troststraße 105) ist dafür die Schießstätte Kagran benutzt worden. Sie befand sich auf dem Gelände zwischen Alter Donau und der neuen UNO- City, das heute eine Sportanlage der Eisenbahner ist (22., Kratochwijlestraße) . In der Votivkirche auf dem ehemaligen Maximilans-, Freiheits-, Dollfuß-, Göring- und jetzigen Rooseveltplatz sind Franz Jägerstätter, der 1943 wegen aus Gewissensgründen beanspruchter Wehrdienstverweigerung hingerichtet worden ist und der Todesstiege im KZ Mauthausen große Glasfenster gewidmet. Auf dem einen hält ein Mann in blauem Trachtenanzug eine entzweigerissene Hakenkreuzfahne, das andere zeigt einen. kreuzbeladenen Christus, der eine Häftlingsgruppe anführt. In den rechten Eckpfeiler der Vorderfront ist ein 05-Zeichen eingemeißelt. Die Kirche ist, als ältestes Ringstraßengebäude, aus Dank für das Mißlingen des am 18. Februar 1853 auf Kaiser Franz Josef verübten Attentates erbaut worden. Der Attentäter, der ungarische Schneidergehilfe Janos Libeny, wurde auf der Simmeringer Haide hingerichtet. In der auf die Kirche seitlich zulaufenden HörIgasse kam es am 15. Juli 1919 zu einer blutig niedergeschlagene Demonstration (20 Tote, 70 Schwerverletzte), die als KP- Putschversuch interpretiert wurde. Der zuständige Polizeipräsident hieß Joham Schober. Im Hotel Regina fand am 10. März 1938, unmittelbar vor dem "Anschluß" eine Sitzung der illegalen NS-Gauleiter Österreichs statt, an der unter anderen auch die späteren Kriegsverbrecher Seyß-Inquart, Odilo Globocnik und Friedrich Rainer teilnahmen: Dabei war noch einmal von einem unabhängigen, aber NS-dominierten Osterreich die Rede. So eindeutig war der Weg zum "Anschluß" also selbst für diese Kreise nicht vorgezeichnet. Im Häuserblock hinter dem Hotel ist das Anatomische Institut untergebracht (9., Währingerstraße 21). Dort wurden Anfang 1939, als nach den Sudetenländem auch die Rest-Tschechoslowakei besetzt werden sollte, auf Befehl Hitlers einige erschlagene und verstümmelte Leichen vorbereitet, die gegebenenfalls der internationalen Presse als Deutsche und damit als Einmarschgrund vorzeigbar sein sollten. Im Chemischen Institut in der Währingerstraße 38 erschoß in den letzten Kriegstagen der Professor Jörn Lange die Assistenten Kurt Horeischy und Hans Vollmar, weil sie die Zerstörung wertvoller Instrumente verhindern wollten. Etwas weiter stadtauswärts stürzte sich am 16. Marz 1938 Egon Friedell aus dem Fenster seiner Wohnung (18., Gentzgass 7). Das war einer der 1.358 in diesem Jahr in Wien registrierten Selbstmorde (derzeit sind es jährlich immer etwa 400). Ecke Schottenring und Währingerstraße gab es damals noch das Cafe Victoria. Es war wie viele andere Cafes ein Stützpunkt illegaler Nationalsozialisten. Zellenleiter, der Mitglieder aufnahm und betreute, war dort der Portier. Vom alten Café Central (Herrengasse 14) wird üblicherweise nur der bekannte Spruch über Leo Trotzki- Bronstein zitiert: "Revolution in Rußland? Wer soll denn die machen? Vielleicht der Herr Bronstein aus'm Café Central?". Dort hat zum Beispiel aber auch ein in den NS- Putschversuch vom 25. Juli 1934 eingeweihter Polizeibeamter, der Skrupel bekommen hatte, hohrangige Behördenvertreter über das anlaufende Vorhaben informiert. Kurz zuvor hatte er dasselbe im Café Weghuber (7., Museumstraße 5) versucht, ohne daß die in der Turnhalle Siebensterngasse 11 versammelten SS-Leule noch rechtzeitig aufgehalten wurden. Zwei Tage früher hatte im Cafe Eiles (8., Josefstädter Straße 2) die letzte Besprechung der Putschistenführer Otto. Wächter (im Krieg Gouverneur von Galizien), Rudolf Weydenhammer und Fridolin Glass stattgefunden. Im Café Girardi im 4. Bezirk, war im Jänner 1938 die gesamte Führung der SA-Brigade 2 verhaftet worden. Dollfuß wohnte im Haus des Café Bräunerhof (Stallburggasse 2). Vom ehemaligen Cafe de l'Europe aus (Stephansplatz 8a) beobachtete der Wiener Polizeipräsident Steinhäusl am 8 . Oktober 1938 den Sturm von Nationalsozialisten auf das Erzbischöfliche Palais, ohne irgendetwas dagegen zu veranlassen. Das Cafe Wunderer (14., Hadikgasse 62) war hingegen bereits 1938 ein wichtiger Treffpunkt der Widerstandsgruppe des später hingerichteten Jakob Kastelic. Im ehemaligen Café Siller (Postgasse 19) wurde Anfang März 1934 für die im Entstehen begriffene Nachfolgeorganisation der zerschlagenen SPÖ der Name »Revolutionäre Sozialiste." festgelegt. Das alte Café Meteor im 3. Bezirk ist etwas später ein wichtiger Mittelpunkt der illegalen Arbeiterbewegung geworden. Der Weg vom Schottenring in die Innenstadt wird vom Hauptgebäude der Creditanstalt, der größten österreichischen Bank, beherrscht. 1931, kurz vor dem Tiefpunkt der damaligen Weltwirtschaftskrise (mit annähernd 600.000 Arbeitslosen in Österreich) stand auch sie vor dem Zusammenbruch. Ihr Hauptaktionär war damals Louis Nathaniel Rothschild, das letzte Oberhaupt der “österreichischen Rothschild- Linie“. Die damalige Regierung musste deswegen zurücktreten. Zur Sanierung der Bank wurde schließlich am 1. Oktober 1932 zum ersten Mal das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz angewandt, das es der Regierung ermöglichte, auch ohne Parlament zu handeln und die entsprechenden Mittel zu bewilligen. Auf dasselbe Geset.z stützte sich dann der autoritäre Ständestaat, um dem Parlamentarismus zu entgehen und der Opposition ihre politischen Möglichkeiten zu nehmen. In der Helfersdorferstraße 2-4, zwei Häuser neben der Bank, hatte vor 1938 die illegale NSDAP ihre 'Parteizentrale für Österreich. Dort führt ein Durchgang in den Komplex des 19., Himmelstraße: „Hier enthüllte sich am 24. Juli 1895 dem Dr. Sigm. Freud das Geheimnnis des Traumes.“

Schottenhofes, in dem am 17. April 1945 die Österreichische Volkspartei gegründet worden ist. Am Ende der Freyung, im Palais Schönborn-Batthyány (Renngasse 4), war der Sitz eines gegen die ungarische Räterepublik gerichteten "Antibolschewistischen Comités (ABC)", das im Mai 1919 bei einem Raubüberfall auf die nahegelegene ungarische Botschaft (Bankgasse 4-6) 150 Millionen Kronen erbeutete. Im Nebenhaus residierten während des Ständestaates die "Ostmärkischen Sturmscharen", die ein Gegengewicht zur Heimwehr bilden sollten. Am Hof Nr. 6 befand sich damals die Zentrale der als Einheitspartei konzipierten "Vaterländischen Front“. Im März 1938 wurde dort die provisorische Gauleitung Wien der NSDAP untergebracht. (Das "Dritte Reich" bezog ein der Kirche gegenüberliegendes Haus, von deren Balkon 1806 das Ende des "Ersten Reiches" - deutscher Nation - verkündet worden war. 1848 lynchte auf diesem Platz eine aufgebrachte Menge den Kriegsminister Latour.) Heute ist das an dieser Stelle neuerrichtete Gebäude Sitz der Österreichischen Elektrizitätswirtschafts AG (Verbundgesellschaft). Am. Schottenring 7 stand das "Sühnhaus" für die über 400 Toten des Ringtheaterbrandes von 1881 (Gedenktafel am Betonkubus der Polizeidirektion). Fünf Straßen weiter stadtauswärts liegt die Berggasse, wo Sigmund Freud im Haus Nr. 19 seine Wohnung und Ordination hatte (Museum). Am Ort seines zentralen Erlebnisses, dem Bellevue, einem Aussichtspunkt des WienerwaIdes am Ende der Himmelstraße, ist 1977 ein DenkmaI aufgestellt worden: "Hier enthüllte sich am 24. Juli 1895 dem Dr. Sigm. Freud das Geheimnis des Traumes." Am Schottenring 14 wurde Stefan Zweig geboren. In der Hohenstauffengasse 10-12 ist die Zentrale des Österreichischen Gewerkschaftsbundes untergebracht (früher Ebendorferstraße 7), dessen Gründung am 15. April 1945 im Direktionssaal des Westbahnhofes beschlossen worden war. In der Hohenstaufengasse 3 befand sich das österreichische ERP- (European Recovery Program) Zentralbüro für das westeuropäische Wiederaufbauprogramm im Rahmen des Marschallplanes. Beim Deutschmeister-Denkmal vor der Roßauer Kaserne wurde am 1. November 1918 die "Rote Garde" gegründet. Egon Erwin Kisch und Franz Werfel waren da auch dabei. Am Tag davor war in "Drehers Etablissement" auf der Landstrasser Hauptstraße , 97 (dem heutigen Schwechater Hof) der “Soldatenrat“ für die Garnison Wien gegründet worden. Die “Rote Garde“ bezog die Stifts- und die Rossauerkaserne und löste sich in den folgenden Wochen und Monaten etappenweise wieder auf. Am 12. November kam es während der Ausrufung der Republik vor dem Parlament zu einer Schießerei mit zwei Toten. Rote Fahnen wurden gehißt, ohne das österreichische Weiß dazwischen. Zu einer Räterepublik ist es in Wien nicht gekommen. Die erste Reichskonferenz der Arbeiterräte Anfanq März 1919 im Arbeiterheim Favoriten (10., Laxenburgerstaße 8-10) war bereits eine Art Schlußpunkt. Das Münchner und das Budapester Vorbild brachen rasch zusammen. Bela Kun flüchtete nach Österreich und wurde mit anderen Genossen von März bis Juli 1920 in der Nervenheilanstalt Steinhof interniert. Später verschwand er in der UdSSR, Egon Erwin Kisch starb 1948 isoliert in Prag, Franz Werfel 1945 in Kalifornien. Die Ringstraße beginnt und endet auf dem der Leopoldstadt gegenüberliegenden Flussufer. In diesem von der Bevölkerungsstruktur her ärmsten der die Innenstadt umgebenden Bezirke wurde zum Beispiel Arnold Schönberg geboren (Obere Donaustraße 5) und hat dort in verschiedenen Wohnungen auch seine Jugend verbracht. Joseph Roth wohnte, als er 1913 aus Galizien nach Wien kam, zuerst in der Rembrandt Straße 35. Elias Canetti hat als Student anfangs ein Untermietzimmer in der Praterstraße 22 gehabt (1924). Hermann Broch, der bis zu seine. vierzigsten Lebensjahr die väterliche Textilfabrik geleitet hat, wurde bereits am rechten Flussufer geboren. Sein dickes Buch endet mit den Worten: ... denn es war jenseits der Sprache.“ Unmittelbar neben seinem. Geburtshaus (Franz Josefs Kai 37) stand bis um Kriegsende da, Hotel Metropol, das Haus der Gestapo - auf der unauffälligen Kehrseite der Wiener Innenstadt.

Vier Fremde

1913, vor siebzig Jahren, hielten sich in Wien vier jüngere Männer auf: Adolf Hitler (damals 24), Leo Trotzki und Josef Stalin (beide 37) sowie Wladimir Iljitsch Lenin (43). Franz Kafka war damals dreißig Jahre alt und Karl Mary gerade dreißig Jahre tot.. "Totem und Tabu" erschien. Benito Mussolini (30) war in Mailand und bereits Chefredakteur des sozialistischen Zentralorgans "Avanti!". Mao Tse-tung ist erst zwanzig und Student an der Lehrerbildungsanstalt in Ch'ang-sha gewesen. Mahatma Gandhi (44) entwickelte in Südafrika Methoden des gewaltlosen Widerstandes (seine langjährige enge Mitarbeiterin, die aus England stammende Mira Behn hat übrigens die letzten 25 Jahre ihres Lebens in Wien und verschiedene Orten seiner Umgebung verbracht; im Sommer 1982 ist sie in Kracking bei Pressbaum / NÖ gestorben). 19., Rodlergasse 25 (Wohnhaus von Leo Trotzki) „Provereno“ (1., Milchgasse, Ecke Petersplatz)

Lenin war schon im Frühjahr 1901 kurz in Wien gewesen, von München und Prag kommend, um auf dem russischen Konsulat Paßformalitäten für seine Frau zu erledigen. Die "riesige, lebhafte, schöne Stadt“ gefiel ihm anscheinend und das Kunsthistorische Museum besuchte er auch. Im selben Jahr war Constantin Brancusi unbemerkt in Wien und nach seinem endgültigen Aufbruch aus Rumänien ist er auf seinem Fußmarsch nach Paris (1903/04) nochmals durchgekommen, ohne sich länger aufzuhalten. Vom nächsten Lenin-Besuch in der zweiten Julihälfte 1913 berichtet eine offizielle Biographie, daß er und die Krupskaja vom Bolschewikentreffpunkt Poronin bei Zakopane nach Bern unterwegs waren und in Wien ausstiegen, wo sie Genossen besuchten und durch die Stadt schlenderten. Daß unter diesen Genossen Trotzki war, wurde später nicht mehr für erwähnenswert gehalten. 1914, wieder in Poronin, ist Lenin von den österreichischen Behörden verhaftet worden. Durch die Intervention Viktor Adlers und anderer kam er frei und traf diesen dann auf der Durchreise nach Bern in Wien. Polnisch-österreichische Zufälle sind offensichtlich bereits drei Jahre später in mächtigen Gesetzmäßigkeiten aufgegangen. Adolf Hitler war 1906 zum ersten Mal für 14 Tage in Wien, dann wieder im Herbst 1907 und schließlich vom Februar 1908 bis zum Mai 1913. Gewohnt hat er an fünf verschiedenen Adressen: 6., Stumpergasse 29/2/2/17, 15., Felberstraße 22/16, 9., Simon Denk-Gasse, Meidlinger Obdachlosenasyl, 11, Kastanienallee 2 und Männerheim 20., MeldemannStraße 27 (Dezember 1909 bis Mai 1913). Während dieser Zeit hat er unter anderem 30--40 mal "Tristan und Isolde" gehört. In "Mein Kampf` berichtet er: "Ich glaube meine Umgebung von damals hielt mich wohl für einen Sonderling. / Wien aber war und blieb für mich die schwerste, wenn auch gründlichste Schule meines Lebens." Am 22. März 1912 hielt Karl May in Wien, eine Woche vor seinem Tod, in den Sophiensälen (3., Marxergasse 17) den Vortrag "Empor ins Reich der Edelmenschen". Einer der rund 2.000 Zuhörer war Adolf Hitler. Am 24. Mai 1913 verließ er Wien in Richtung München ("Mir wurde schlecht, wenn ich an dieses Rassenbabylon auch nur zurückdachte.“). 1920 kam er bereits als Wahlredner wieder (33.800 Stimmen, aber kein Nationalratsmandat). Auf der zwischenstaatlichen Wiener NS-Tagung im Juni 1922 wurde er intern erstmals als "der Führer“ bezeichnet. Leo Trotzki ist mit Unterbrechungen von 1907 bis 1914 in Wien gewesen. Zuerst wohnte er mit seiner Familie in Hütteldorf, wo sein Sohn Serjoscha geboren wurde, dann in Unter-Sievering (“In der Krim'“, 19., Rodlergasse 25). Er gab eine gleichnamige Vorläuferin der späteren "Pawda" heraus. Ihre Druckerei befand sich laut Impressum im 9. Bezirk, in der Mariannengasse 17, als Postanschrift ist die Pantzergasse 12 im 19. Bezirk angegeben. Trotzki war z. B. mit Viktor Adler (den er seit 1902 kannte), mit Otto Bauer, Max Adler oder Karl Renner in Kontakt. Über diese Beziehungen notierte er unter anderem: ' Im alten, kaiserlichen, hierarchischen, betriebsamen und eitlen Wien titulierten die Marxisten einander wonnevoll mit "Herr Doktor". Die Arbeiter redeten die Akademiker oft mit "Genosse Herr Doktor" an. Während der ganzen sieben Jahre, die ich in Wien verlebte, war es mir nicht möglich, auch nur mit einer dieser Spitzen mich offen auszusprechen, obwohl ich Mitglied der Österreichischen Sozialdemokratie war, ihre Versammlungen besuchte, an ihren Demonstrationen teilnahm, an ihren Organen mitarbeitet und manchmal kleine Referate in deutscher Sprache hielt. Ich empfand die sozialdemokratischen Führer als fremde Menschen, während ich gleichzeitig in Versammlungen oder bei Maidemonstrationen mühelos eine gemeinsame Sprache mit den sozialdemokratischen Arbeitern fand." Der Chauvinismus der Arbeiter-Zeitung ging ihm auf die Nerven und auch der allgemein verbreite Verbalradikalismus: "Sie schrieben in ihren Manifeste zum 1. Mai zwar über Krieg und Revolution, nahmen das jedoch niemals ernst." Am 3. August 1914 mußte Trotzki nach Zürich ausreisen. Aber das Wort Wien verfolgte ihn. Am 21. August 1940 stirbt er an den Folgen eines Attentates, das auf ihn am Vortag in seinem Wohnhaus in Mexiko City, Avenida Viena Nr. 40 (in der Wiener Straße) verübt worden ist. Ernst Fischer, der so friedfertig wirkende Wiener Kommunist, der bis 1968 brauchte, um sich über "Das Ende einer Illusion" klar zu werden, soll laut Ruth Mayenburg damals in Moskau ausgerufen haben: "Das war der rIchtige Tod für diesen Teufel! Historisch richtig, verstehst du, der mußte erschlagen werden! / Aber sprich nicht darüber - es wissen jetzt nur wenige Leute in der Komintern." Josef Stalin, der Auftraggeber dieser Aktion, kam Mitte Jänner 1913 aus Krakau nach Wien und kehrte Anfang Februar nach St. Petersburg zurück. Die Mitglieder der zufälligen "Wiener Gruppe" von 1913 hat er alle überlebt. Er wohnte im 12. Bezirk, Schönbrunner Schloßstraße 30 (Gedenktafel). Sein Gastgeber Alexander Antonowitsch Trojanowski wurde später sein erster Botschafter in den USA. Er traf sich mit den in Wien lebenden Emigranten Leo Trotzki und Nikolaj Bucharin und begann in Wien seine Schrift: "Marxismus und nationale Frage". In einem Brief teilte er von diesem Aufenthalt mit: „Lieber Freund! Ich sitze noch in Wien und ... schreibe allerhand Quatsch.“ Die sowjetischen Soldaten haben 32 Jahre später ihrerseits ein sehr schematisches aber praktisches Verhältnis zur Zeitgeschichte gezeigt. Auf einem seinem Inhalt nach freigegebenes Haus wurde außen meist mit Pinsel und Schablone mit kyrillischen Buchstaben das Wort "Provereno." Gemalt: Uberprüft, durchsucht (ad acta gelegt). An einigen Wiener Gebäuden ist dieses Zeichen noch immer nicht übertüncht worden. Quellenauswahl

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© Christian Reder 1983