Titel

Altkanzler Kohl (am Dienstag vergangener Woche vor der Sondersitzung des Unionspräsidiums in Berlin): „Dies habe ich nicht gewollt“ Patriarch und Pate Mit hohen Summen aus schwarzen Kassen hat sich über Jahrzehnte die Macht in der Union gesichert. Nun erfaßt die Parteispendenaffäre um den mächtigen Altkanzler auch weitere CDU-Größen.

ünfmal hat er feierlich, die rechte Gut ein Jahr nach Ende seiner letzten rer Herr nur ein paar Kontoauszüge durch- Hand zum Schwur erhoben, das Amtszeit gestand derselbe Mann: „Eine einander gebracht. Es klang ein wenig nach Fstaatstragende Bekenntnis abgelegt. von den üblichen Konten der Bundes- Erich Mielke, der vor der Volkskammer Und Millionen Deutsche hörten mit. „Ich schatzmeisterei praktizierte getrennte Kon- mit seinem gestammelten „Ich liebe, ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle tenführung erschien mir vertretbar.“ Und liebe doch alle …“ um Mitleid barmte. des deutschen Volkes widmen, seinen Nut- dann: „Ich bedauere, wenn die Folge mög- Die vielleicht größte Parteispendenaffä- zen mehren, Schaden von ihm wenden, das licherweise Verstöße gegen Bestimmungen re der Nation nur ein Versehen, eine Art Grundgesetz und die Gesetze des Bundes des Parteiengesetzes gewesen sein sollten. Kavaliersdelikt? Keinem geschadet, alles wahren und verteidigen, meine Pflichten Dies habe ich nicht gewollt.“ nicht gewollt? Doch die absurde Hoffnung, gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit Mit seiner rührseligen Entschuldigung die beliebteste Ausrede aller Stasi-Helfer gegen jedermann üben werde.“ Der gläu- am vergangenen Dienstag im CDU-Haupt- könne auch hier wirken, hielt nur kurz. bige Katholik Helmut Kohl bekräftigte die quartier in Berlin erweckte der Altkanzler Als habe es den Fall Flick nie gegeben, Formel stets: „So wahr mir Gott helfe.“ den Eindruck, als habe ein tüdeliger älte- hat Helmut Kohl, 16 Jahre lang Bundes-

22 49/1999 kanzler und ein Vierteljahrhundert Chef der CDU, offenbar vorsätzlich und im- mer wieder gegen Recht, Gesetz und Verfassung verstoßen, den Amtseid ge- brochen. Im sicheren Gefühl der Unangreifbar- keit hat der majestätische Herrscher Kohl nicht nur sein eigenes Lebenswerk relati- viert, sondern auch seine Partei an den Rand des politischen wie finanziellen Ruins getrieben (siehe Seite 26). Vorbei der stete Aufwind, an den sich die CDU nach acht gewonnenen Wahlen ge- wöhnt hatte. Nun wenden sich die Umfra- gen, Gerhard Schröder tritt aus dem Schat- ten des Überkanzlers. Die rot-grüne Re- gierung, vor Monatsfrist noch abgeschrie- ben, zittert nicht mehr dem SPD-Parteitag in dieser Woche entgegen, die Angst vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen weicht plötzlich Generalsekretär Geißler, Kiep (1982) der Hoffnung auf eine Chance 2000. Kohl „Eine neue Dimension“ hat Schröder saniert. Noch sind die Folgen der Affäre nicht ab- System“ getauft, inzwischen alles denk- zuschätzen. Doch schon jetzt steht fest, bar ist, zeigen Überlegungen der Fahnder dass Kohls schwarzer Dienstag von histo- in und Frankfurt. Bei Aktio- rischer Bedeutung war. Nun ist Wirklich- nen gegen mutmaßliche Steuerflüchtlinge keit, was trotz Schröders eindrucksvollem und ihre Helfer in deutschen Banken Sieg am 27. September 1998 niemand zu waren die Ermittler 1997 auch auf eine denken wagte: Die Ära Kohl ist endgültig Stiftung von Wolfgang Röller gestoßen, vorbei und mit ihr die Bonner Republik, in damals Aufsichtsratschef der Dresdner der Demokratie offenbar gelegentlich mehr Bank. gespielt als gelebt wurde. Das Vermögen der Liechtensteiner Stif- Immer neue Fakten belegen, wie listig tung namens „Gallumena“ betrug Ende und jenseits der Gesetze das System Kohl 1993 rund 3,4 Millionen Schweizer Fran- über Jahrzehnte arbeitete. Im Schatten- ken. Er verwalte das Vermögen treuhän-

FOTOS: DPA reich des ewigen Kanzlers lief es offenbar derisch für Dritte, behauptete Kohl-Freund wie geschmiert. Allein 1986/87 flossen auf Geheiß Immer neue Fakten belegen, Kohls innerhalb eines Jah- wie weit ab der Gesetze res rund 2,75 Millionen Mark aus der schwarzen das System Kohl arbeitete Kasse ab: je eine halbe Million für die Landesver- Röller damals. Der Verdacht, es sei CDU- bände , Saarland Geld, ließ sich nicht erhärten. und Niedersachsen, die Die Fantasie der Fahnder wurde durch CDA-Sozialpolitiker beka- Reisekostenabrechnungen des CDU-Steu- men 250000 Mark für neu- erberaters Horst Weyrauch in Sachen es Mobiliar im Schulungs- Schweiz neu angeregt. Gemeinsam prüfen heim Königswinter. sie derzeit die beschlagnahmten Akten Sicher ist, dass Kohl vie- nach Hinweisen auf Liechtenstein. le seiner Extras aus dem Noch klingt es unglaublich: Helmut Kohl ominösen Topf finanzier- eine Politik-Variante von Tennisvater Peter te: Die Kanzler-Illustrierte Graf, der einst die Antrittsgelder für seine zu Silvester 1986 war Tochter Steffi im Plastikbeutel am Fiskus ihm eine Million Mark vorbei ins Ausland schleppte und dafür Schwarzgeld wert. Mal be- zwei Jahre hinter Gitter kam? Der Kanz- zahlte er so 700000 Mark ler der Bundesrepublik Deutschland und Porto für Briefe an die Par- seine einstige Regierungspartei am Ende teimitglieder, mal beglich ganz gewöhnliche Steuerflüchtlinge? er so die Hubschrauber- Ob und welche strafrechtlichen Kon- flüge zur Weihnachtssause sequenzen ernsthaft zu diskutieren sein mit seinen liebsten Mitar- werden, wird wohl erst die Detailprüfung beitern. des Systems ergeben. Staatsanwalt Jörg Was auf Kohls Konten, von Essen, Parlamentarischer Geschäfts- parteiintern schon „KoKo- führer der FDP-Fraktion, glaubt nach Rücksprache mit Experten jedenfalls: „Für Kanzler Schröder (in Paris) alle Vorstandsmitglieder, die wussten, dass Ära Kohl beendet die Rechenschaftsberichte unvollständig

der spiegel 49/1999 23 Kommentar Kuckucksei im Schoß der Nato ohin es führt, wenn der grüne Abenteuer vor. Dabei hat Solana führen – unbeschadet irgendwelcher Außenminister Joschka Fi- durchaus eigene Erfahrungen, er war Aktionen der Nato“. Mitentworfen hat Wscher sich mit einem quasi nämlich von 1995 bis Oktober 1999 dieses Sprengstoffpapier der grüne symbolischen Beitrag an dem Krieg in Generalsekretär der Nato, die von Außenminister Joschka Fischer. Osttimor beteiligt, wird sich demnächst den Amerikanern dominiert wird. Und Hier geht es nicht um die Olympi- wieder, wie üblich ohne irgendeine auf einen Konkurrenzkampf gegen die schen Spiele, sondern um die Zertrüm- öffentliche Diskussion, entscheiden. USA würde das Unternehmen hinaus- merung aller bisher in Europa erreich- Übermütig geworden durch den Erfolg laufen. ten Errungenschaften. Die Regierung der Einführung des Euro und die knir- Die Amerikaner haben bereits in al- Schröder tut so, als wolle sie der schend funktionierende Wirtschafts- ler Deutlichkeit klargemacht, dass sie Empfehlung der Zeitung „Handels- union, sieht sich Berlin vor die Wahl im Schoß der Nato kein Kuckucksei blatt“ folgen: „Wenn die Europäer zwischen Pest und die Währungsunion Cholera gestellt. nicht ohne Not ris- Die Europäer, an- kieren wollen, dann geführt von Tony erscheint es ratsam, Blair und Jacques die Fortentwicklung Chirac, verfolgen der Sicherheitsiden- einen aberwitzigen tität nur langsam Plan: Die Europäi- voranzutreiben.“ sche Union soll eine Dies scheint die mit modernsten Mit- Regierung Schröder/ teln ausgerüstete Ar- Fischer auch anzu- mee bekommen, die streben, zumindest auch ohne das Ein- bis zu den nächs- verständnis der Nato ten Bundestagswah- in den fernsten Kri- len. Eine eindeutige sengebieten eingrei- Erklärung wird man fen könnte. Erstes von ihr wohl nicht Opfer wäre die Wäh- erwarten dürfen. rungsunion (Großbri- Zwar schätzt tannien ist ihr noch Nato-Generalsekretär nicht einmal beige- George Robertson, treten) samt Euro, die Nachfolger Solanas, ein Rüstungswett- die gesamten eu- lauf der europäischen ropäischen Aufwen- Teilnehmer in die Low-Karikatur im SPIEGEL (4/1951) daily herald dungen auf 60 Pro- Luft sprengen müsste. zent des Pentagon- Der allgemein verordnete Spar- ausbrüten wollen, dem dann eine von Etats. Mit diesen Mitteln könnten die zwang würde einer einmaligen Rüs- ihnen unabhängige nennenswerte Europäer allenfalls 10 Prozent der ame- tungsanstrengung weichen müssen, de- Streitmacht entschlüpfen würde. Sicher rikanischen Schlagkraft erzielen. Man ren Kosten noch keineswegs errechen- ist, dass die Amerikaner sich zuneh- müsse das Geld nur klüger einsetzen. bar sind, in jedem Fall aber immens mend von solch einem Europa lösen Wenn es aber einen Etatposten gibt, sein würden. Bekanntlich ist Javier So- würden. Theoretisch könnten die USA wo das Geld verschwenderisch und lana, seit sieben Wochen als Hoher Re- eine bisher vertraglich verbotene lan- sehr unklug eingesetzt wird, dann ist präsentant zuständig für die gemeinsa- desweite Raketenabwehr aufbauen. das der gesamte Rüstungskomplex. me Außen- und Sicherheitspolitik der Dieser Schritt würde sie von allen an- So aufdringlich die Vereinigten Staa- Union, ein aktiver Betreiber dieses bo- deren Bundesgenossen abkoppeln. ten als einzige verbliebene Weltmacht denlosen Unterfangens. Er sinniert be- Die Bundesregierung sieht das Di- überall auftreten: Die Nato zu unter- reits, ob sich eine EU-Armee in der lemma. In der Beschlussvorlage zum laufen, das dürfen wir, wie zu Zeiten Stärke von 150000 Mann einem Ein- EU-Gipfel dieser Woche in Helsinki des Kalten Krieges unter Stalin und satz in Osttimor oder einem Brenn- heißt es unmissverständlich: Die EU Chruschtschow, nicht einmal erwägen. punkt in Afrika entziehen könne. Ost- soll „die autonome Fähigkeit erhalten, Solch eine Situation ist schon einmal timor liegt recht nahe, denn da sind selber darüber zu entscheiden, EU-ge- vor fast 50 Jahren von dem britischen Joschkas Soldaten ja schon tätig. führte Militäroperationen als Antwort Cartoonisten David Low aufgespießt Man stelle sich die enorme Zah- auf internationale Krisen und zur Un- worden, angesichts der amerikanischen lungsbereitschaft der Spanier, die terstützung der gemeinsamen Außen- Kriegstänze in Fernost: „What a head- nicht einmal ihr Baskenland in den und Sicherheitspolitik der Union in die ache to be with America! But without Griff kriegen können, für ein solches Wege zu leiten und dann auch auszu- them – oh Lord!“

24 der spiegel 49/1999 von Sachsen, Heiner Geiß- Die Helfer Sie trugen das System Kohl ler, heute wegen seiner For- derung nach Abnabelung von Kohl der Buhmann, und Eduard Ackermann Wolfgang Schäuble Volker Rühe, der jedes Mit- Das Ohr Der Erbe Der Wasserträger wissen dementiert. Hielt Kontakt zu den Medien Kanzleramtsminister, Innenminister, Dienstbarer Geist in Fraktion, Kabi- Mit zunehmender Panik und unterrichtete Kohl täglich in Fraktionschef, galt lange Zeit als nett und Partei, stets auf Korrekt- reagiert die Parteispitze auf der Morgenlage über die Themen einer der engsten Vertrauten Kohls, heit bedacht. Trat als Innenminister immer neue Enthüllungen. des Tages. Erstattet noch heute kühler Stratege, wirkte als Gegen- zurück wegen der Affäre um den in Der sturmerprobte Partei- regelmäßig Bericht. part zum Bauchmenschen Kohl. In Bad Kleinen gestorbenen mutmass- chef Wolfgang Schäuble, den letzten Jahren litt die Männer- lichen Terroristen Wolfgang Grams. über den von Brauchitsch freundschaft, weil Schäuble Kohls Kurs für falsch hielt. sagt, er sei von Kohl schon Horst Weyrauch während der Flick-Affäre in Der Treuhänder Juliane Weber heikle Finanzaktionen ein- geweiht worden, und die fas- In seiner Obhut lag das verzweigte Die Getreue Netz der Sonderkonten, über die Weit mehr als nur ein sungslose Generalsekretärin Kohl verfügen konnte. Die SPD will, Vorzimmerdrachen. Wehrte un- Angela Merkel, die sich dass er von seiner Schweigepflicht liebsame Besucher ab. War aber trotz achtjähriger Erfahrung entbunden wird und im Untersu- auch im Auftrag ihres Chefs in mit KoKo eine solche Affäre chungsausschuss aussagt. Gelddingen unterwegs, z.B. zum nicht vorstellen konnte, lei- Flick-Konzern. Teilte mit Kohl den geradezu körperlich. Freud und Leid des Alltags. Kohl dagegen gibt sich mal Hans Terlinden gewohnt aggressiv, mal ver- Der Bürokrat kriecht er sich wie ein waid- wunder Fuchs im Bau, ver- Arbeitete als Hauptabteilungs- lässt den ganzen Tag sein leiter der Bundesgeschäftsstelle Der Hausmeier Die Graue Eminenz angeblich eng mit dem Büro Wey- Kein Kanzleramtsminister vor und Freund Kohls aus alten Zei- Büro nicht (siehe Seite 28). rauch und Kapp zusammen. Soll nach ihm galt als so gut informiert. ten, hielt den Kontakt zur Bundes- Die Unionisten debat- alles über die Konten wissen, die Hielt sich stets diskret im Hinter- tagsfraktion und zu den Ländern. tieren vor allem die mögli- Kohl an der Partei vorbeilaufen ließ. grund. Wusste vieles, verriet nichts. Eigentlich Kohls Kultur-Beauftragter. chen finanziellen Folgen von Kohls Patriarchat. Im al- lerschlimmsten Fall, errech- Uwe Lüthje Michael Roik Walther Leisler Kiep neten Experten, müsste die CDU 464,7 Millionen Mark Der Beschaffer Das Faktotum Der Sündenbock zurückzahlen. Langjähriger Helfer von Der Büroleiter schrieb Nutzte seine guten Kontakte zur Für Schäuble sind derlei Schatzmeister Walther Leisler Kiep. immer mit, wenn in Abwesenheit Finanzwelt zum Spendensammeln, Überlegungen „ziemlich Schirmte das System Kohl gegen des Chefs etwas besprochen wurde. hielt im Parteispendenprozess für unliebsame Einblicke ab. Gilt noch heute als Kohls Spion. die CDU den Kopf hin. wüste Spekulationen“. Bei einer hohen Rückzahlungs- verpflichtung werde man sind, ist der Tatbestand der Untreue ge- System Kohl, hat nach Angaben aus Jus- „ungewöhnliche Sparmaßnahmen ergrei- geben.“ tizkreisen bei seiner Vernehmung Mitte fen müssen“. „Die Partei“, sagt Schäuble Die Frage, ob wirklich nur der Parteipat- November durch die Staatsanwaltschaft betont überzeugt, „wird weiter existieren.“ riarch Kohl die Christdemokraten in diese Augsburg eine Zeitbombe gezündet. Seines Bei der bayerischen Schwesterpartei da- schwierige Situation brachte, wie es der Wissens, hat Kiep den Fahndern erklärt, gegen wird bereits diskutiert, ob die CDU neue CDU-Chef Wolfgang Schäuble ver- hätten auch die jeweiligen Generalse- womöglich den Weg der Democrazia Cris- zweifelt glauben machen will, scheint kretäre über alle von Weyrauch geführten tiana gehe. Die italienischen Christdemo- schon mit einem „Nein“ beantwortet. Die CDU-Treuhandkonten Bescheid gewusst. kraten verschwanden 1993 in Folge von Zahl der potenziellen Mitwisser des Sys- Das waren während Kieps Kassiererzeit Korruption und Vetternwirtschaft. Offiziell tems Kohl steigt fast täglich. Eberhard von Kurt Biedenkopf, heute Ministerpräsident verkündet CSU-Generalsekretär Thomas Brauchitsch, Hauptakteur der Flick-Affäre, will eine „neue Dimension“ ausgemacht haben: Kohl habe „Generalsekretäre ge- habt, die exakt wussten, dass Geld an der offiziellen Kasse vorbeigegangen ist“. , der mit seiner Mil- lion im Koffer die Staatsaffäre auslöste, kann sich plötzlich an Treffen mit hohen CDU-Politikern wie Kohl, Schäuble und Schleswig-Holsteins Spitzenkandidat Vol- ker Rühe erinnern. CSU-Chef Edmund Stoiber soll ebenfalls über Schreibers Ge- schäfte informiert gewesen sein. Und auch Ex-Schatzmeister Walther Leisler Kiep, fast 20 Jahre Mitwisser im

CDU-Generalsekretärin Merkel

Zunehmende Panik M. DARCHINGER Titel „Ganz mulmig zu Mute“ Die Folgen von Kohls Finanztricks könnten die CDU in den Ruin treiben. Der Partei drohen Rückforderungen in dreistelliger Millionenhöhe.

licherweise alle staatlichen Mittel zurück- fordern, die der CDU im Vertrauen auf die Richtigkeit des Berichts von 1991 gezahlt wurden: Allein auf Bundesebene wären das 47,1 Millionen Mark. Dies ergibt sich aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Dort ist in Paragraf 48 geregelt, dass ein Verwaltungsakt – in diesem Fall der Auszahlungsbescheid der Bundestagsver- waltung – dann zurückgenommen werden kann, wenn er „durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung“ oder durch Angaben erwirkt wurde, „die in wesentli-

M. DARCHINGER TSCHARNKE / RIRO-PRESS W. cher Beziehung unrichtig oder unvoll- Ex-Schatzmeisterin Baumeister, CDU-Treuhänder Weyrauch: Den Laden zumachen? ständig waren“.Allerdings handelt es sich dabei um eine Ermessensentscheidung; as Schreiben, das der Präsident Relativ einfach liegt der Fall bei der der Parlamentspräsident ist zur Rück- des Deutschen Bundestages An- Millionenspende, die der Lobbyist Karl- forderung nicht gesetzlich gezwungen. Dfang dieser Woche aus Bayern er- heinz Schreiber, 65, im Beisein Kieps 1991 Nach Ansicht des Verwaltungsrechtlers hält, wird anders ausfallen als gewünscht. in der Schweiz in einem Koffer Weyrauch Hans Herbert von Arnim dürfte es aller- Statt Details über Treuhandkonten, überreicht hat. Handelt es sich um eine im dings „schwer sein, gute Gründe zu fin- schwarze Kassen und verschleierte Ein- Rechenschaftsbericht 1991 nicht ausge- den, um auf die Rückforderung der zu nahmen der CDU bekommt Wolfgang wiesene Spende an die CDU – und dafür Unrecht gezahlten Mittel gänzlich zu ver- Thierse (SPD), 56, lediglich eine Notiz spricht derzeit viel –, verliert die Partei zichten, weil die Bundestagsverwaltung vom Chef der Augsburger Staatsanwalt- das Doppelte, also zwei Millionen, bei vermutlich vorsätzlich und über Jahre schaft, Reinhard Nemetz, 48. Darin lässt der staatlichen Parteienfinanzierung. getäuscht worden ist“. Sollte Thierse die dieser den Parlamentspräsidenten wis- Ob des unkorrekten Rechenschaftsbe- besagten 47,1 Millionen Mark dennoch sen, die Ermittlungen seiner Behörde ge- richts könnte der zudem mög- nicht einfordern, würde der Fall wohl vor gen den ehemaligen CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep, 73, dauerten an. Er- Gute Zeiten, schlechte Zeiten 340 gebnisse lägen bislang keine vor. Die Finanzen der CDU in der Ära Kohl Was die Ankläger finden, kann ent- scheidend sein für die weitere Existenz in Millionen Mark der Volkspartei CDU. Denn die Akten, 280 die Staatsanwälte am 11. November in der Frankfurter Kanzlei des Steuerbera- 253 GESAMTEINNAHMEN Bundespartei, Landesverbände 234 ters Horst Weyrauch, 67, einem Vertrau- 227 ten von Altkanzler Helmut Kohl, 69, be- 218 222 218 223 218 207 schlagnahmt haben, geben Aufschluss 199 199 ab 1990 Gesamtdeutschland über die dubiosen finanziellen Machen- 182 181 schaften des Parteipatriarchen. Hat die CDU jahrelang falsche Rechenschafts- 147 berichte abgegeben, dann droht ihr der davon 150 wirtschaftliche – und politische – Ruin. STAATLICHE MITTEL 125 Chancenausgleich, „Am besten, wir machen unseren La- Wahlkampfkostenerstattung 116 den sofort zu und gründen eine neue Par- 101 tei“, klagte vergangene Woche ein CDU- MITGLIEDSBEITRÄGE Oberer, der sich lange mit der Rechtsla- 73 ge in Sachen Parteienfinanzen befasst hat. 74 72,4 56,9 Ihm werde „ganz mulmig zu Mute, wenn 44,0 ich daran denke, was auf uns zukommen SPENDEN 38,6 37,5 35,9 34 40,3 37,537,5 42,8 36,0 33,8 kann“. Schlimmstenfalls muss die CDU 24,0 22,9 30,8 23,7 mit Rückforderungen des Bundestages in 30,3 13,6 SONSTIGE EINNAHMEN 3,3 dreistelliger Millionenhöhe rechnen. So 0,9 sehen es das Parteien- und das Verwal- 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 tungsverfahrensgesetz vor.

26 der spiegel 49/1999 Goppel immer noch, es sei „zu früh, um über das Ende Gericht landen. Denn andere Parteien der CDU zu spekulieren“. könnten klagen. Er räumt aber ein: „Die po- Schon als die damalige Bundestags- litische Parteienlandschaft präsidentin Rita Süssmuth (CDU) gegen kann sich immer ändern.“ den Rat ihres zuständigen Referatsleiters Der Fall Kohl hat schlag- darauf verzichtete, von der FDP wegen artig die letzten Reste von eines Formfehlers der Partei 12,4 Millio- Vertrauen bei Millionen nen Mark Zuschüsse für 1996 zurückzu- Wählern zerstört. Ausge- fordern, zogen die Grauen Panther vor rechnet der Erfinder der Gericht. In erster und zweiter Instanz be- „geistig-moralischen Wen- kam die Seniorenpartei Recht. Da die Li- de“ gehört auch zu jener beralen und der Bundestag Revision ein- Riege von Mächtigen, die gelegt haben, muss nun das Bundesver- das Einhalten von Regeln waltungsgericht entscheiden. und Gesetzen nur zelebrie- Tatsächlich steht für die CDU aber ren, solange jemand zu- noch viel mehr auf dem Spiel als die 47,1 schaut. War „unser Vater- Millionen Mark. Schlimmstenfalls geht land“ (Kohl) 16 Jahre lang es um alle staatlichen Gelder, welche die nur eine christlich getarnte Partei seit der Übernahme des Vorsitzes Bananenrepublik und ein durch Kohl 1973 erhalten hat. Ansprüche Oggersheimer ihr Pate? auf Rückzahlung verjähren nämlich erst Täuschen sich ehemali- nach 30 Jahren. ge Mitarbeiter des Bonner Dieses Szenario könnte eintreten, soll- Konrad-Adenauer-Hauses ten alle veröffentlichten Rechenschafts- in ihrer Erinnerung nicht berichte der Partei in der Ära Kohl un- und sind gewisse Unterla- korrekt gewesen sein. Ob das so ist, ver- gen in ihrem Besitz nicht mag derzeit niemand in der CDU- falsch – dann gründete sich Führung zu sagen. Denn die schwarzen die Machtmaschine des Kassen müssen nicht zwangsläufig zu schwarzen Kanzlers auch falschen Berichten führen. Denkbar wäre auf Stimmenkauf: Denn auch, dass alle Transfers, die über die Kohls Mehrheiten auf Treuhandkonten liefen, am Ende doch im den CDU-Parteitagen wur-

Rechenschaftsbericht auftauchten, auch den ganz wesentlich mit AP wenn sie in undurchsichtigen Titeln wie Hilfe von Weyrauchs An- CDU-Chef Schäuble: „Die Partei wird weiter existieren“ „Sonstige Einnahmen“ oder „Zuschüsse derkonten abgesichert. an Gliederungen“ verpackt worden sind. Immer wieder ereigneten sich vor den Bundesweit gestreuter „Bimbes“, so Die für die CDU kritischen Jahre dürf- Augen ranghoher CDU-Funktionäre in der nennt Kohl Geld, war für den Kanzler, der ten von 1991 bis 1996 reichen. 1991 kam Bundesgeschäftsstelle kleine Wunder.Wenn sich stets gebrüstet hatte, die Partei bis hin- die Schreiber-Spende, und bis 1992 zurück die Landesverbände die Entwürfe ihrer ab in die Kreis- und Ortsverbände zu ken- muss die Partei ihre Belege aufgehoben Haushaltspläne bei der Bundespartei ein- nen wie kein Zweiter, eine langfristige In- haben. Für 1997 hat die Union noch bis reichten, klafften häufig hässliche Löcher vestition. „Ein virtuoses System zur Macht- Silvester die Chance, ihren Rechen- zwischen Einnahmen und Ausgaben. Ehe sicherung“, erinnert sich ein ehemaliger schaftsbericht zu korrigieren. die endgültigen Etats präsentiert wurden, CDU-Präside: „Kohl verteilte Geld gegen Wären die Rechenschaftsberichte die- hatte es oft Vier-Augen-Gespräche zwischen Informationen.“ So hatten interne Gegner ser Jahre in wesentlichen Punkten falsch, dem Chef und den Landesvorsitzenden ge- wie Ernst Albrecht niemals eine Chance. könnte Thierse maximal 464,7 Millionen geben. Und plötzlich waren die Löcher weg. Auch der Putschversuch von Geißler und Mark zurückfordern. So viel hat die CDU „Wir wussten nur“, so einer der Spitzen- Lothar Späth 1989 war deshalb zum Schei- von 1991 bis 1996 an staatlichen Zuschüs- leute der Geschäftsstelle, „dass Kohl ir- tern verurteilt. sen erhalten. Die Partei, die Ende 1997 ein gendwelche Quellen hatte, aus denen er Kohl, glauben vor allem die jüngeren Reinvermögen von 178,2 Millionen Mark immer wieder Gelder hervorzauberte.“ Abgeordneten, habe „der Partei ein Da- auswies, müsste Konkurs anmelden. Die Empfänger ahnten es zumindest auch. naergeschenk gemacht“. Mit seiner „Ich- Dass es so weit kommt, kann sich al- Was keiner so genau wissen wollte, wird wollte-doch-nur-meiner-Partei-dienen-Num- lerdings niemand so recht vorstellen. Ar- nun überall in der Republik bekannt. Vie- mer“ mache sich der Altkanzler zum nim hält es nicht für ausgeschlossen, dass le hingen am Tropf des Übervaters. Von Märtyrer und beende zugleich den „eine Samthandschuh-Politik“ betrieben welchem Konto das Geld geflossen war, Klärungsprozess. Schon bald werde sich wird, „weil auch die anderen Parteien erklären Profiteure wie der Bremer Vor- der Druck wieder auf die Partei verlagern. Leichen im Keller haben könnten“. sitzende Bernd Neumann schmallippig, das Längst ist fraglich, ob Schäuble seine Ba- Auch Thierse beteuert, niemand wolle habe „nicht interessiert“. lance zwischen Distanz und Nähe zu Kohl die CDU „finanziell kaputtmachen“. In den Rechenschaftsberichten der Bun- durchstehen kann. Intern spricht er voller Vergangenen Mittwoch, einen Tag nach despartei seien die Zahlungen unter „Zu- Zorn über seinen Vorgänger, dessen Erb- der öffentlichen Kohl-Beichte, erhielt die schüsse an Gliederungen“, bei den Lan- lasten und verlangt: „Der ganze Stall Bundes-CDU turnusgemäß 17,7 Millio- desverbänden unauffällig als Einnahmen gehört ausgemistet“ – um dann einzuräu- nen Mark von Thierses Verwaltung – als verbucht worden. Nicht Rechtsverstöße men, die Sache sei nur mit und nicht gegen Schlusszahlung von insgesamt 63,3 Mil- seien das Problem gewesen, so ein führen- Kohl unter Kontrolle zu halten. Der Not lionen staatlicher Mittel für 1999. der CDU-Mann, „aber die innerparteili- gehorchend, warnte er die Fraktion: „Un- che Demokratie“ habe unter diesem Vor- sere Mitglieder würden uns verfluchen, sitzenden Schaden genommen. wenn wir uns jetzt von Helmut Kohl ab-

der spiegel 49/1999 27 Titel

wenden.“ Der Angesprochene spürte die Reste der alten Macht sehr wohl. Teilneh- mer der Präsidiumssitzung empfanden den Patriarchen wie „einen, der weiß, dass er „Hat der heute Ausgang?“ rechtlich was falsch gemacht hat, moralisch aber nicht“. Marzipan in Lübeck, Talkshow in Dresden: Nur im Bundestag Schließlich ist auch für seine Feinde un- lässt Kohl sich nicht blicken. denkbar, dass Kohl selbst von Barem pro- fitierte. Und daraus leitet der schwarze Montag: Früh sitzt der Altkanzler in Petit Four lehnt er ab, den Marzipanaal Riese sein mangelndes Schuldbewusstsein seinem Fraktionsbüro Unter den Lin- packt er ein. Ältere Damen klatschen, ab. Geld war zwar das Machtmittel den gegenüber vom Hotel Adlon. Er Kinder holen sich Autogramme. Auf schlechthin, aber es diente immer dem feilt an einer Vier-Punkte-Erklärung dem Weihnachtsmarkt ruft eine Waf- Machterhalt der CDU und damit, so sah es für das CDU-Präsidium. Um 12.50 Uhr felbäckerin: „Mein Bester! Wann geht Kohl, dem Wohle Deutschlands. kommt Parteichef Wolfgang Schäuble. der andere und Sie kommen wieder?“ Also empört er sich, wann immer es Das Gespräch dauert 50 Minuten. Auf 19 Uhr, Lübecker Kongresshalle: geht, über den nicht erhobenen Vorwurf, Ledersesseln vor dem Büro warten Trommelwirbel, eine Band spielt „O ein gewöhnlicher Raffke zu sein. Den zwei- Journalisten. Um 15 Uhr dringt Kohl when the Saints“, 1600 Besucher klat- ten Teil der Wahrheit verschweigt er aller- aus der Tür und nimmt sich einen vor: schen im Takt: „Helmut, Helmut!“ dings gern: Einen Kohl kann man wohl „Sie haben kein Recht, hier zu sitzen. Kohl ist verzückt.Alles wie früher. Fast. nicht kaufen. Aber Kohl kauft selbst. Erstmals bekennt er vor Publi- Kein Parteichef akquirierte so ungeniert kum Fehler. „Dazu stehe ich.“ Spenden wie er, keiner konnte mit Geld so Mittwoch: Kohl arbeitet den zynisch demütigen, motivieren und regie- ganzen Tag in seinem Berliner ren. Er ließ über das CDU-Unternehmen Büro. Den Reichstag meidet er, „Dico-Soft“ vor dem Bremer Parteitag wohl auf Schäubles Wunsch. Der 1989 diejenigen Kreis- und Landesverbän- Parteichef fürchtet Eskalationen. de mit Computern ausstatten, auf deren Aufgekratzt erscheint Kohl Hilfe die Rebellen bauten. Die Firma geriet abends zur CDU-Weihnachts- in Not, aber Kohl gewann die Schlacht. feier im Hotel Schweizerhof. Auch Abfindungen, die in ihrer Höhe den Scherzend geht er von Tisch zu Charakter von Schweigegeldern erhielten, Tisch: „Ihr Heuchler wart doch wurden offenbar vom KoKo-System bezahlt. alle froh, wenn ich Euch ge- Die in Ungnade gefallenen Mitarbeiter holfen habe.“ Alle lachen, man- Geißlers erhielten zusammen eine halbe Mil- che herzlich, manche ängstlich. lion Mark, der geschasste Generalsekretär Pippo Balistreri wartet vergeb- selbst soll, so wird in der CDU-Schatzmeis- lich auf seinen stets hungrigen terei kolportiert, die gleiche Summe erhal- Gast. Der Chef von Kohls Lieb- ten haben. Es sei deutlich weniger gewesen, lingsrestaurant „La Cascina“ in sagt dagegen der ehemalige General.

AP Wilmersdorf sagt: „Das letzte Schon Mitte der sechziger Jahre – da Wahlkämpfer Rühe, Kohl: „Ihr wart doch froh“ Mal war er vor einer Woche war er noch Vorsitzender der Landtags- hier.“ fraktion in Mainz – taucht Kohls Name in Sie lungern vor meinem Büro herum Donnerstag: Der Bundestag be- Verbindung mit Gönnern auf, die der CDU und schnüffeln.“ Zornesrot spricht er schließt die Einsetzung des Untersu- über illegale Umwege Spenden zukommen von „Methoden wie in einer Diktatur. chungsausschusses „Parteispenden und ließen. Unter seiner Regentschaft gedieh Ich sorge dafür, dass das ein Ende Waffenhandel“. Der Sitz des künftigen das wirtschaftlich schwache Rheinland- hat“. Hauptzeugen bleibt frei. Während Pfalz zur Steueroase für Parteispender. Dienstag: Das Unions-Fraktionsge- Schäubles Rede rufen die SPD-Parla- Nirgendwo sonst wuschen gemeinnützi- bäude darf heute nur mit Einladung be- mentarier: „Wo ist Kohl?“ Der verlässt ge Tarnorganisationen Zuwendungen so treten werden. Kohl fährt um zehn Uhr erst um 18 Uhr sein Büro und fährt in ungestört von lästigen Finanzbeamten zu vor der CDU-Parteizentrale in der seine Altbauwohnung in Wilmersdorf. quittungsgerechten Spenden. Als Kohl in Mauerstraße vor. 20 Kamerateams ver- Auf dem Weg stoppt er bei „Butter einem Untersuchungsausschuss zur Praxis sperren den Weg. Kohl stampft den Lindner“, Fachgeschäft für Kalorien- im Land der Rüben und Reben befragt Fußweg entlang, reißt Zierbäume und reiches. Für 44 Mark kauft er Brot, Kai- wurde, befiel ihn jener Gedächtnis- geparkte Fahrräder mit: „Ich fühle sersülze, Salami und Mondseer Käse. schwund, der als „Blackout“ zum Syno- mich überhaupt nicht unter Druck“, Ein Passant wundert sich: „Hat der nym für unverfrorenes Täuschen wurde. sagt er und meckert über Journalisten: heute Ausgang?“ Das heimische Beziehungsgeflecht ent- „Wie die ersten Menschen.“ Freitag: In der MDR-Talkshow „Ri- faltete Kohl auch jenseits der Partei. So Drei Stunden später: Im überdachten verboat“ drohen Kohl keine fiesen Fra- finden sich inzwischen ungewöhnlich vie- Innenhof der Parteizentrale verliest gen. Intendant Udo Reiter begrüßt ihn le Spuren nach Liechtenstein und in die der CDU-Ehrenvorsitzende seine Er- mit „Herr Bundeskanzler“. Kohl grient Schweiz. Nicht nur Kohl-Freund Röller von klärung, schüttelt Schäuble und Merkel und verlangt nach Kaffee. In der Sen- der Dresdner Bank, die auch beim myste- die Hand und fliegt zum schleswig- dung doziert er: „Manches im Leben ist riösen Verkauf des DDR-Kombinats Leuna holsteinischen Wahlkampf nach Lü- eine Ermessensentscheidung.“ Er meint an den französischen Multi Elf mitwirkte, beck. Gemeinsam mit Spitzenkandidat Europa. „Ich will nach Hause“, sagt er unterhielt dort die Stiftung Gallumena für Volker Rühe lässt er im Café „Nieder- hinter den Kulissen. Dann geht es ab einen, wie er behauptet, Dritten. egger“ Marzipantorte servieren. Ein nach Oggersheim. Christoph Schult Kohls und Kieps williger Helfer Uwe Lüthje hatte dort bis 1992 Gelder in der Stiftung „Tenira“ deponiert. Einer der

28 der spiegel 49/1999 REUTERS Wahlkämpfer Kohl (1998): Das Lebenswerk und die Partei zerstört

Rechtsnachfolger war Lüthje-Sohn Tho- Grenzen bei der Aufklärung gebe: Spen- arbeiter Lüthje und Weyrauch honoriert mas, der bei der Hauck-Bank arbeitete – den, die nicht veröffentlichungspflichtig habe, sei jedoch nicht mit Kohl abgespro- jenem Institut, bei dem Weyrauch die ge- seien, würden auch nicht veröffentlicht. chen gewesen. Dagegen gehe er davon aus, heimen CDU-Konten führte. Ungewöhnlich ist auch, was bei der CDU soll Kiep zu Protokoll gegeben haben, dass Und noch eine Gemeinsamkeit macht als „unabhängig“ gilt.Wenn Schäuble und seine Nachfolgerin stutzig: Treuhänder beider Stiftungen ist Merkel über die Wirtschaftsprüfer reden, über diese Zahlungen Bescheid gewusst die Branchengröße Herbert Batliner. Er die derzeit in einem abgeschlossenen habe. Schließlich habe er ihr ja den Schrift- nennt Kohl gern seinen Freund, traf ihn im Raum im Bonner Konrad-Adenauer-Haus wechsel mit den beiden über das Sonder- Urlaub am Wolfgangsee. Die beiden setz- die Weyrauch-Akten prüfen, gehört dieses honorar hinterlassen. ten 1993 zwölf Flaschen „edlen deutschen Adjektiv zum Standardrepertoire. Alsbald müssen sich auch andere Par- Weines oder nach freier Wahl gleiches Doch die Gesellschaft Ernst & Young, teigrößen auf drängende Nachforschungen Quantum Champagner“ um den EU-Bei- die Licht in die Sache mit den schwarzen einstellen. Ein ehemaliges CDU-Präsi- tritt Liechtensteins in diesem Jahrhundert. Konten bringen soll, ist den Christdemo- diumsmitglied erklärte nach den Weite- Kohl verlor nicht nur seine Geheimkon- kraten keineswegs fremd. Der Kölner Wirt- rungen am vergangenen Freitag: „Die Fra- ten, sondern auch die Wette – er muss am schaftsprüfer Erwin Pougin, dessen Unter- ge, die alle bewegt, geht an Schäuble und 2. Januar 2000 den Rebensaft abliefern. schrift bis 1997 unter allen Rechenschafts- lautet: Was hast du gewusst?“. Da dies ganz Schäuble hält es für „ziemlich ausge- berichten der Partei steht, leitet seit 1996 sicher im Untersuchungsausschuss gefragt schlossen, dass Kohl selbst Konten in der die Kölner Filiale von Ernst & Young. Dass werde, müsse die Verwicklung des heutigen Schweiz unterhalten hat“. Auch die erste nun ausgerechnet die Kanzlei des Mannes, CDU-Chefs vorher in der Partei geklärt Durchsicht der jetzt von Weyrauch bei der der bis vor drei Jahren die CDU-Finanzen werden. Es sei nicht glaubhaft, dass prüfte, Klarheit in Kohls System bringen Schäuble als enger Vertrauter Kohls nichts „Die Frage, die alle bewegt, soll, findet SPD-Schatzmeisterin Inge Wet- gewusst habe. Gleiches gelte für andere geht an Schäuble und tig-Danielmeier „fragwürdig“. der wichtigsten Kohl-Helfer wie Friedrich Pougin, der seit 1985 auch die Finanzen Bohl, Rudolf Seiters und Anton Pfeifer. lautet: Was hast du gewusst?“ des Vatikans in Ordnung bringt, soll auf Einen der letzten Kohl-Getreuen im Kohls Beichte äußerst verärgert reagiert Adenauer-Haus erwischte es bereits: Partei abgelieferten Geheimunterlagen habe haben. Er sei bisher von der Richtigkeit Hauptabteilungsleiter Hans Terlinden wur- „keine Hinweise ergeben, dass es Konten der CDU-Angaben überzeugt gewesen. de von Schäuble entlassen, weil seine Ab- der CDU in der Schweiz gibt oder gab“. Noch etwas dürfte die Unruhe der um teilung jahrelang von der umstrittenen Doch was ist noch ausgeschlossen in die- ihre Existenz fürchtenden Christdemokra- Kontenwirtschaft gewußt haben soll. ser Affäre? Auch die neue Garde der ten verstärken. Kiep hat vor der Staatsan- Da konnte der Trost des Patriarchen nicht Christdemokraten ist plötzlich von Zau- waltschaft ausgesagt, heißt es in der bayeri- helfen. Die Sozialdemokraten, erklärte Kohl dern und Zögern befallen.Wurde zunächst schen Justiz, die CDU habe ihm seinerzeit im kleinen Kreis den zagenden Vertrauten, „rückhaltlose Aufklärung“ versprochen, so in der Flick-Affäre alle Anwaltskosten er- würden schon nicht so giftig fragen, „die werden jetzt Einschränkungen gemacht. setzt. Das habe er selbst unter vier Augen haben das doch auch gemacht“. Natürlich würden nur Vorwürfe unter- mit Kohl ausgehandelt. Nach Angaben aus Tina Hildebrandt, Dirk Koch,Wolfgang sucht, nicht etwa das generelle Finanzge- der CDU waren das über eine Million Mark. Krach, Felix Kurz, Hartmut Palmer, bahren der CDU.Vor der Fraktion machte Dass er 1992 aus dem dunklen Topf mit Heiner Schimmöller, Barbara Schmid, Hajo Schumacher der Parteichef bereits deutlich, dass es enge der Schreiber-Million die verdienten Mit-

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