Bericht Und Handlungsempfehlungen
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Kommission zur Aufarbeitung der Haltung des Landesverbandes Berlin von Bündnis 90/ DIE GRÜNEN zu Pädophilie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder von der Gründungs- phase bis in die 1990er Jahre Bericht und Handlungsempfehlungen INHALT 1 Einführung 3 2 Chronologie der Debatte von 1978 bis 1995 5 3 Die Debatte in Berlin 20 3.1 Die wichtigsten Debattenstränge in der AL Berlin 20 3.2 Debattenkultur: Schutz der Minderheiten 24 3.3 Der Schwulenbereich des Landesverbandes 28 3.4 Der AL-Frauenbereich und die Kreuzberger Frauen: Zweifel und Gegenwehr 52 3.4.1 Die Kreuzberger AL-Frauengruppe: Eine Innenansicht 63 3.5 Die Rolle der Gremien und Parteistrukturen 67 3.6 Die Rolle der Abgeordnetenhausfraktion 69 3.7 Umgang mit Tätern und Opfern 82 4 Fazit und Handlungsempfehlungen 87 2 1 EINFÜHRUNG Auf seiner Landesdelegiertenkonferenz am 30. November 2013 beschloss der Berliner Landesverband von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, „eine Kommission bestehend aus grünen Vertreterinnen und Vertretern, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Expertinnen und Exper- ten“ zu berufen. Ihre Aufgabe sollte es sein, „die Haltung des Landesverbands zu Pädo- philie und sexualisierter Gewalt gegen Kinder von der Gründungsphase bis in die 1990er Jahre“ zu untersuchen sowie einen Abschlussbericht und Handlungsempfehlungen vor- zulegen. Der Landesverband hatte sich bereits im Jahr 2010 mit einem Parteitagsbe- schluss von Positionen zugunsten der Straffreiheit von vermeintlich einvernehmlicher Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen aus der Gründungsphase der Partei dis- tanziert. Eine gründliche Aufarbeitung sowie inhaltliche Auseinandersetzung stand aber noch aus. Zu den weiteren Gründen für die Einsetzung einer eigenen Kommission zur Aufarbeitung zählte, dass im Berliner Landesverband – anders als in anderen Landes- verbänden – auch verurteilte pädosexuelle Straftäter zu den Akteuren der Debatte ge- hörten und diese zudem bis Mitte der 1990er Jahre andauerte, obwohl die innerparteili- che Diskussion auf Bundesebene bereits Ende der 1980er Jahre beendet worden war. Die Kommission sollte die Frage klären, wie es möglich war, dass pädosexuelle Aktivis- ten so lange im Landesverband wirken konnten. Vor allem aber sollte sie herausfinden, wer damals pädosexuelle Positionen aktiv in die Partei hineintrug und ob es innerhalb grüner Strukturen Opfer von sexuellem Missbrauch gegeben hat. Als Mitglieder der Grünen berief der Landesvorstand in die Kommission: Andreas Audretsch, Thomas Birk, Marianne Burkert-Eulitz, Bettina Jarasch, Ulli Reichardt, Dagmar Riedel-Breidenstein (Strohhalm e.V./Heroes e.V.), Sebastian Walter, Daniel Wesener und Wolfgang Wieland. Externe Mitglieder waren Iris Hölling (Wildwasser e.V.), Detlef Mücke (Gewerk- schaft Erziehung und Wissenschaft/Schwules Museum) und Lutz Volkwein (Mitbegrün- der von HILFE-FÜR-JUNGS e.V.). Zur Unterstützung, insbesondere der Recherche in diversen Archiven und Akten- beständen und der professionellen Aufarbeitung der Befunde und Fundstellen, vergab der Landesvorstand Werkverträge an die HistorikerInnen Iris Hax und Sebastian Nagel. Die HistorikerInnen und einzelne Kommissionsmitglieder recherchierten in fol- genden Archiven: Archiv Grünes Gedächtnis (AGG), Archiv des Schwulen Museums 3 (ASM), Archiv des Kreisverbands Friedrichshain-Kreuzberg von Bündnis 90/DIE GRÜ- NEN (AKFK), Berliner Landesgeschäftsstelle von Bündnis 90/DIE GRÜNEN (LGSB), Pri- vatarchive von Thomas Birk (PTB), Elke Richardsen (PER) und Detlef Mücke (PDM) so- wie Archiv des Abgeordnetenhauses von Berlin (AAB). Eine kontinuierliche Archivierung der Partei- und Gremienarbeit hatte in der Grün- dungsphase offenbar keine Priorität. Daraus resultieren große Lücken in der Dokumen- tation des Parteilebens der 1980er und 1990er Jahre. Dazu kamen noch die verschiede- nen Umzüge der Landesgeschäftsstelle sowie die hohe personelle Fluktuation in den einzelnen Führungsgremien und -gliederungen des Landesverbands. Um diese Lücken zu schließen, führten die Kommissionsmitglieder zahlreiche Gespräche mit ZeitzeugIn- nen. Es wurden für die Gespräche jeweils „Tandems“ aus grünen und externen Kommis- sionsmitgliedern gebildet, um eine möglichst große Objektivität und Transparenz der Ge- spräche und ihrer Auswertung zu gewährleisten. Die Gespräche wurden elektronisch aufgezeichnet und mit Unterstützung der Mit- arbeiterInnen der Landesgeschäftsstelle transkribiert. Die politische Bewertung dieser Gespräche oblag jeweils den beteiligten Kommissionsmitgliedern. Mit Hilfe der Zeit- zeugengespräche gelang es, diverse Wissenslücken zu schließen, die sich aus der Sich- tung der Dokumente in Archiven sowie des Zwischen- und Abschlussberichts der Göttin- ger Forschungsgruppe um Professor Franz Walter ergeben hatten. Dennoch ist die Kom- mission sich bewusst, dass es Leerstellen im Bericht gibt, die bisher noch nicht gefüllt werden konnten. Das betrifft insbesondere die Perspektive der Betroffenen. Sie legt des- halb auch keinen Abschlussbericht vor. Vielmehr geht die Kommission davon aus, dass dieser Bericht Teil eines Prozesses ist und dass es weitere Hinweise geben wird, die sich womöglich nach der Veröffentlichung des Berichts ergeben. Der Bericht markiert insofern das Ende einer ersten Phase der Aufarbeitung. Die Kommission wendet sich deshalb mit der ausdrücklichen Bitte an die Öffentlichkeit, dass sich diejenigen melden, die zur Auf- klärung der damaligen Geschehnisse beitragen können. Hinzu kommt, dass die Debatte über die bisherigen und zukünftigen Erkenntnisse aus Sicht der Kommission ein unver- zichtbarer Bestandteil der Aufarbeitung ist. In den gemeinsamen Bericht sind durch die verschiedenen Hintergründe der Kom- missionsmitglieder auch verschiedene Perspektiven eingeflossen. So gibt es zwei Kapitel zum Widerstand der Kreuzberger Frauengruppe gegen pädosexuelle Positionierungen im Landesverband – eines aus der Außen- und ein zweites Kapitel aus der Binnensicht der Kreuzberger Frauengruppe. Das erschien der Kommission insbesondere deshalb ge- rechtfertigt, weil der Widerstand der Frauen weder damals noch in jüngster Zeit ange- messen gewürdigt worden ist. 4 2 CHRONOLOGIE DER DEBATTE VON 1978 BIS 1995 Zusammenfassung Die Themen Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen sowie das Sexualstrafrecht stellten von der Gründungsphase der Berliner Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz (AL) bis Mitte der 1990er Jahre wiederkehrende Streit- punkte der innerparteilichen Auseinandersetzung dar. Sie fanden ihren Niederschlag im Programm der AL. Es gibt Hinweise darauf, dass in den frühen Jahren der AL eine grö- ßere Anzahl Männer aus den bestehenden pädosexuellen Netzwerken der Stadt in die junge Partei gegangen ist, um sich für die Straffreiheit von sexuellen Handlungen zwi- schen Kindern und Erwachsenen einzusetzen. Anfänglich verteilten sich diese Männer auf verschiedene Parteigliederungen, alle konkreten Initiativen zur Entkriminalisierung sogenannter einvernehmlicher Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern (Abschaf- fung der §§ 174 und 176 StGB) gingen aber aus den Reihen des Bereichs Schwule der Alternativen Liste hervor. In ihm wirkten, zumindest zeitweise, nachweislich zwei Perso- nen mit, die mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtskräftig verurteilt worden sind und sich in der Pädosexuellen-Szene herausgehoben engagiert hatten. Viele dieser pädosexuellen Aktivisten haben die Partei offenbar im Laufe der 1980er Jahre wieder verlassen. 1992 gab es eine neue Eintrittswelle in den Schwulenbereich. Es gibt Indizien dafür, dass ein Teil dieser Neumitglieder pädosexuell orientiert war (da- runter eine Person, die später wegen der Verbreitung von Kinderpornografie vor Gericht stand) und sich in der von September 1992 bis Anfang 1995 existierenden Untergruppe „Jung und Alt“ des Schwulenbereichs traf. Diese agierte allerdings konspirativer als die Pädo-Aktivisten in den Gründerjahren der AL. Widerstand gegen die Durchsetzung pro- pädosexueller Forderungen, der sich auch in Abstimmungsergebnissen auf Mitglieder- vollversammlungen ausdrückte, konnte für den gesamten Untersuchungszeitraum nach- gewiesen werden. Immer wieder betonten einzelne Mitglieder oder Gruppen die beson- dere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen sowie das strukturelle Machtun- gleichgewicht zwischen Erwachsenen und Kindern. Eine herausgehobene Position in der Auseinandersetzung mit dem Schwulenbereich nahm die Kreuzberger Frauengruppe der AL bzw. Grünen ein, die am energischsten Kritik äußerte. 5 Die Gründungsphase der AL (1978-1981) Nach der Gründung der Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz am 5. Oktober 1978 in Berlin entstand nach einem kurzlebigen ersten Organisationsversuch im April 1979 innerhalb der Partei eine Interessenvertretung schwuler AL-Mitglieder – der Bereich Schwule. Regelmäßige Treffen fanden im Kreuzberger Café 18 (Graefestraße 18) statt. Die Mitglieder des Bereichs, in dem auch Personen mitwirkten, die der AL nicht angehörten, arbeiteten in dieser Zeit am Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, das gegen die rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung Homosexueller gerichtet war. Neben der Abschaffung des Paragrafen 175 StGB (Homosexuelle Handlungen)1 formu- lierte der Bereich Schwule bereits kurz nach seiner Gründung die Forderung nach Strei- chung des § 176 StGB (Sexueller Missbrauch von Kindern).2 Im August 1979 riefen AL-Lesben erstmals im Mitgliederrundbrief zur Erarbeitung eines Programmteils auf, in dem es auch einen gemeinsamen Abschnitt mit dem Schwulenbereich geben sollte.3 Im Mitgliederrundbrief von