Deutschland Holocaust-Lüge und Klassenkampf Extremismus II Zwei Parteien wurden in der Geschichte der Bundesrepublik bisher verboten, zwei andere Verfahren wies Karlsruhe ab – eine Chronik.

onn, im März 1983: Bei vorgezoge - beim Bundesverfassungsgericht ein. Der ist nen Neuwahlen sichert Kanzler Hel - knapp und miserabel begründet, zudem ist Bmut Kohl mit 48,8 Prozent seine die SRP mit V-Männern des Verfassungs - neue Macht, die SPD rutscht unter 40 Pro - schutzes durchsetzt. Doch das stört die zent. Rechtswissenschaftler drängen da - Richter nicht, als sie am 23. Oktober 1952 rauf, die Verfassungstreue einer Partei zu ihr Urteil sprechen: „Die SRP ist in ihrem überprüfen, die neuerdings die Parlamente Programm, ihrer Vorstellungswelt und ih - aufmischt und es nun erstmals auch in den rem Gesamtstil der früheren NSDAP we - geschafft hat. „Sollen die Grü - sensverwandt“, heißt es darin. nen verboten werden?“, fragt der renom - Remer und Parteichef Dorls ziehen sich mierte Parteienforscher Richard Stöss. aus der Politik zurück. Natürlich ist das Die Grünen? Ja, genau. Die Kritik ent - nicht das Ende des Nazismus in der Bun - zündet sich vor allem am Prinzip der desrepublik. Schon vor dem Verbot ver - Basisdemokratie, das der repräsentativen teilen sich frühere SRP-Mitglieder auf an - Demokratie widerspreche. Zur Verfas - dere rechte Gruppen, die sich im Parteien - sungsklage gegen die Alternativen kommt system eingenistet haben: Die Deutsche es jedoch nie, sie hätte vermutlich auch Konservative Partei – Deutsche Rechtspar - kaum Erfolg gehabt. Verbotsdebatten wa - tei etwa kommt 1949 in den Bundestag und ren nichts Neues, sie hatten zuvor aber fordert die Rückkehr zur Monarchie, der stets rechts- oder linksextreme Parteien Gesamtdeutsche Block/Block der Heimat - und Organisationen betroffen. losen und Entrechteten (BHE) hat über - In den Fünfzigerjahren war es die na - zeugte NSDAP-Veteranen in der Parteispit - tionalkonservative Deutsche Reichspartei, ze und ab 1953 auch Minister in der Bun - in den Siebzigern die Deutsche Kommunis- desregierung. tische Partei, später rechte Gruppen wie So ziehen schon zwei Wochen nach die Deutsche Volksunion. Politische Par - dem Verbotsurteil fast 80 ehemalige SRP- teien sind wegen ihrer Bedeutung für Mitglieder in Stadt- und Kreisparlamente die parlamentarische Demokratie vom ein – über bürgerliche Listen wie die der Grundgesetz besonders geschützt – nur SRP-Mitbegründer Remer 1949 Deutschen Partei (DP). Es sind solche das oberste Verfassungsgericht kann sie „Ich bin und bleibe Nationalsozialist“ Gruppierungen, die 1964 Deutschlands verbieten. langlebigste Rechtspartei hervorbringen Nur zwei Parteien wurden bisher ver - ; die Briten nannten ihn später werden: die Nationaldemokratische Partei boten: 1952 die ultrarechte Sozialistische einen „hitlerhörigen egozentrischen Ro - Deutschlands (NDP), entstanden aus der Reichspartei (SRP), 1956 die Kommunisti - mantiker“. Nun dient er als Zugpferd einer Deutschen Reichspartei und Teilen der DP, sche Partei Deutschlands (KPD). Partei, die vielen als Nachfolgerin der des BHE und der Gesamtdeutschen Partei. Was würde passieren, sollte das Bundes - NSDAP gilt. verfassungsgericht nun doch die NPD ver - In ihrem „Aktionsprogramm“ fordert bieten? Ein Blick in die Geschichte zeigt, die 1949 gegründete SRP die Wiederher - Die Klassenkämpfer: Kommunistische dass Parteiverbote die extremen Ideolo - stellung des Deutschen Reichs, und Partei - Partei Deutschlands (KPD) gien jedenfalls nicht gestoppt haben. chef Fritz Dorls lässt sich mit der These Nur drei Tage nach dem Antrag gegen die zitieren, die Gaskammern seien eine „re - SRP erreicht das Verfassungsgericht ein volutionäre Methodik“ gewesen. weiterer Verbotsvorstoß: Darin begründet Die Unverbesserlichen: Sozialistische Die Nazipropaganda verfängt: 1951 er - die Bundesregierung, warum sie auch die Reichspartei (SRP) hält die Partei bei der Landtagswahl in Kommunistische Partei Deutschlands Der Saal des Gasthofs Vieck in Tangendorf Niedersachsen, laut Remer der „Kristalli - (KPD) für verfassungswidrig hält. Ultra- bei Hamburg ist voll, als sationskern eines zukünftigen gesamtdeut - linke sollen im neuen Deutschland ebenso am 8. März 1951 vor 600 Zuhörer tritt. schen “, elf Prozent der Stimmen, wenig Chancen haben wie Altnazis. „Was wir aber zu gestalten haben“, sagt in einigen Städten macht jeder Dritte sein Es ist auch ein Zweikampf: Auf der er, „ist die Evolution des nationalsozialis - Kreuz bei den Altnazis. Acht SRP-Abge - einen Seite der Antikommunist Adenauer, tischen Gedankenguts in einer heute zeit - ordnete ziehen in die Bremer Bürgerschaft der die Wahl „zwischen Sklaverei und gemäßen und vernünftigen Form.“ Er ver - ein, bundesweit hat die Partei nun mehr Freiheit“ beschwört, auf der anderen KPD- teidigt den „Gedanken der Rasse-Reinhal - als 10 000 Mitglieder, und selbst im Bonner Chef Max Reimann, dessen Partei den tung“: „Ich bin, ich war und ich bleibe ein Bundestag sitzen zwei ihrer Vertreter. „revolutionären Sturz des Adenauer-Re - Nationalsozialist.“ Der Beifall ist groß. Bundeskanzler er - gimes“ propagiert. Remer ist bekannt wegen seiner brau - kennt die Gefahr, er muss den Verbündeten Am 17. August 1956 ordnen die Verfas - nen Vergangenheit. Als Wehrmachtoffizier in Paris, London und Washington beweisen, sungsrichter die Auflösung der schon unter spielte er am 20. Juli 1944 eine Schlüssel - dass Altnazis in der Bundesrepublik keine den Nazis verbotenen KPD an: Sie plane rolle bei der Niederschlagung des Putsch - Chance mehr haben: Im November 1951 die „sozialistisch-kommunistische Revolu - versuchs der Stauffenberg-Gruppe gegen reicht seine Regierung einen Verbotsantrag tion und die Diktatur des Proletariats“ und

42 DER SPIEGEL 2 / 0./1 Deutschland

Mit Thomas Wulff gründet der bekannte Die Unterwanderten: Freiheitliche Neonazi 1989 in Hamburg die Nationale Deutsche Arbeiterpartei (FAP) Liste (NL). 1991 und 1993 nimmt sie an den Die Sonne ist längst untergegangen, als Bürgerschaftswahlen teil, erhält aber am 2. Februar 1987 vier Teenager den Schü - gerade mal ein paar Hundert Stimmen. ler Gerd-Roger Bornemann durch den Die rund 30 NL-Mitglieder organisieren Stadtwald von Hannover schleppen. „Jetzt Gedenkmärsche zu Ehren des einstigen machen wir ihn richtig alle“, sagt einer der Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß, werben D

L Jungen. Dann springen sie mit ihren um gewaltbereite Skinheads und rufen zu I B

N

I Kampfstiefeln auf den Kopf des 17-Jähri - Aufmärschen vor Asylbewerberheimen E T S

L gen, sprühen Reizgas in sein blutendes Ge - auf. L U

/ sicht, dreschen mit einer Holzlatte auf ihn Siegesgewiss sendet der Hamburger Se - Y K S

N ein, bis er stirbt. nat 1993 einen Verbotsantrag gegen die I H C

S Die brutale Tat ist offenbar eine Abrech - NL nach Karlsruhe. Bundesregierung und A U

Q nung unter Kameraden: Alle fünf waren Bundesrat beantragen, auch Busses FAP KPD-Vorsitzender Reimann (M.) 1950* Mitglieder und Sympathisanten der FAP, für verfassungswidrig zu erklären. Doch „Sturz des Adenauer-Regimes“ 1979 gegründet, eine der aktivsten Neona - die Richter sprechen der FAP und der NL zigruppen zu dieser Zeit. Der Altnazi Otto die Parteieigenschaft ab. Damit werden bekämpfe damit die freiheitlich-demokra - Ernst Remer ist wieder dabei, der ultra - die Innenbehörden zuständig. Im Februar tische Grundordnung. rechte FAP-Flügel will ihn an die Spitze 1995 ordnet der Bundesinnenminister die Da ist die einst einflussreiche Massenpar - wählen, doch Parteichef wird Friedhelm Auflösung der FAP an, zeitgleich verbietet tei allerdings längst ein politisches Nischen- Busse. Der wegen Waffen- und Spreng - Hamburgs Innensenator die NL. phänomen. In den ersten Bundestag war stoffdelikten vorbestrafte Rechtsextremist Worchs und Busses Anhänger organi - Reimann 1949 noch mit 14 Genossen einge - hatte seine rechte Karriere als Kreisvor- sieren sich neu. Ehemalige NL-Aktivisten zogen, vier Jahre später scheiterte die KPD sitzender der NPD begonnen. „Wenn hatten schon zuvor für die Republikaner bereits an der Fünfprozenthürde. Nach dem Deutschland judenfrei ist, brauchen wir geworben, ihnen Wachschutz angeboten. Verbot jedoch erlebt der westdeutsche Kom - kein Auschwitz mehr“, wird er später auf Worch selbst unterstützt später auch die munismus eine ungeahnte Renaissance. einer Kundgebung sagen. DVU, bleibt den etablierten Rechtspartei - Reimann lebt schon seit 1954 in der Zur militanten Neonazibande wandelt en ansonsten aber fern. Er gilt als einer DDR, seine Partei geht in den Untergrund. sich die FAP ab 1983, als Michael Kühnen, der Köpfe der sogenannten Freien Kame - Jahrelang verteilen nun Tausende west - Anführer einer verbotenen rechten Ak - radschaften: militanter Neonazi-Cliquen, deutsche Kommunisten heimlich KPD-Bro - tionsfront, seine Anhänger beauftragt, die die immun sind gegen Verbotsverfahren. schüren, die SED schießt viele Millionen FAP zu unterwandern. Die verfügt in den Der entthronte FAP-Boss Busse rät Mark zu, schließlich setzt in ein Um - Achtzigern über mehr als 400 Mitglieder, seinen Kameraden dagegen, der NPD bei - denken ein: Vizekanzler Willy Brandt plä - sieben Landesverbände. Immer wieder zutreten und dort „auch Funktionen zu diert Ende der Sechzigerjahre dafür, „dass greifen FAP-Anhänger Ausländer an, be - übernehmen“. Wie eng diese Kooperation es wieder eine KPD gibt“; sogar Helmut schimpfen Andersdenkende als „Juden - wird, zeigt sich im Juli 2008, als 90 Ka- Kohl, designierter Ministerpräsident in schweine“, legen Waffenlager an. meraden an Busses Grab stehen, auf Mainz, will, „dass sich die Kommunisten seinem Sarg liegt eine Hakenkreuzfahne. wieder der Wahlentscheidung stellen“. Ganz vorn steht der damalige NPD-Chef So gibt im September 1968 die Deutsche Die Netzwerker: Nationale Liste (NL) . Er sieht die NPD als „sozial- Kommunistische Partei (DKP) ihre Grün - brüstet sich gern damit, revolutionäre Erneuerungsbewegung“, dung bekannt, die statt der „Diktatur des so gut wie kein Propagandadelikt ausge - doch mehr als vier Prozent der Stimmen Proletariats“ fordert, „dass das arbeitende lassen zu haben. Damit hat er wohl recht: gab es bei einer überregionalen Wahl zu - Volk die führende Rolle in Staat und Ge - Worch leugnete den Holocaust, kämpfte letzt 1968. sellschaft erlangt“. für die Neugründung der NSDAP, ließ sich Der 2003 gescheiterte erste Verbotsan - Doch die altgedienten KPD-Kader sind nach eigener Aussage in rechten Wehr - trag verschafft der damals politisch bedeu - wie der inzwischen aus dem Exil heimge - sportgruppen an Waffen ausbilden. tungslosen Partei einen erstaunlichen Auf - kehrte Reimann ergraut, bei Bundestags - schwung. Bereits 2004 erhält die NPD bei wahlen erreicht die DKP trotz zwischen - der Landtagswahl in Sachsen 9,2 Prozent zeitlich 40 000 Mitgliedern und SED-Mil - der Stimmen, zwei Jahre später zieht sie lionen nie mehr als 0,3 Prozent; stattdessen auch ins Parlament in Schwerin ein und halten linke Studentenbewegungen die Re - erhöht ihre Mitgliederzahl auf 7200. publik in Atem. Als die DKP 1971 Reimann Sollte die inzwischen wieder auf rund zum Ehrenvorsitzenden ernennt, ist dessen 5000 Mitglieder geschrumpfte NPD, die Plan von der Auferstehung einer kommu - nur noch über fünf Landtagsabgeordnete nistischen Partei längst gescheitert. in Mecklenburg-Vorpommern verfügt, nun Der Rechtsextremismus hingegen blüht doch verboten werden, könnten sich viele in diesen Jahren geradezu auf, auch wenn politisch heimatlose Fremdenfeinde der die NPD, die in den Sechzigerjahren in AfD zuwenden. L E G

sieben Landtage eingezogen war, für viele E Seit Sommer 2012 wächst auch die An - I B H

Jahre in der politischen Bedeutungslosig - C hängerschaft einer Kleinstpartei namens S R I

keit versinkt. H „Die Rechte“, die die „Wahrung der Deut -

S A

M schen Identität“ und die „Aufhebung der O H

T Duldung von Ausländern“ fordert. Partei - * Oben: mit DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl und SED-Generalsekretär Walter Ulbricht in Ostberlin; unten: Neonazis Worch (l.), Kühnen (2. v. r.) 1978* chef ist ein alter Bekannter der Szene: mit Gesinnungsgenossen in Hamburg. Ausbildung in der Wehrsportgruppe Christian Worch. Peter Maxwill

44 DER SPIEGEL 2 / 0./1