Deutschland

wächst seine Unzufriedenheit. „Ich habe in anderthalb Jahren Regierung mehr Fru- UNION strationserlebnisse gehabt als in sieben Jah- ren Opposition“, sagt er. Es habe einen Regierungswechsel gegeben, aber keinen Suche nach dem Anführer Politikwechsel. Bosbach ist der Hauptredner bei einer Die Konservativen in der Union begehren auf: Sie fühlen sich Tagung des CDU-Kreisverbands Köln in der Mülheimer Stadthalle. Er gibt sich von und ihrem liberalen Kurs an den Rand gedrängt. Mühe, er macht Witze, aber es fehlen die Noch aber fehlt es den Frondeuren an einer rechten Leitfigur. Themen. Er sagt, dass die Mehrwertsteuer erhöht werden musste und dass mehr Krip- homas Strobl hat allen Grund zu weiter in vielen Fragen unverbindlich penplätze sinnvoll seien. Politik bestehe großer Freude. Strobl hatte sich für bleibt, wird der Wunsch nach einer Ab- aus Kompromissen. Der Saal bleibt stumm. Tdie deutsche Nationalflagge einge- spaltung immer stärker werden“, sagt Es ist schwierig, einen politischen Geg- setzt, und sein Einsatz war nicht verge- Schönbohm, der auf dem CDU-Parteitag ner zu attackieren, wenn man mit ihm bens. Strobl ist Generalsekretär der baden- im vergangenen November nicht mehr ins koaliert. Noch schwieriger ist es, wenn man württembergischen CDU und sieht sich als Präsidium gewählt worden ist. dem Gegner immer ähnlicher wird. Den konservativen Vordenker seiner Partei. Die Merkel hat ihre Partei systematisch in Konservativen ist der Feind genommen Konservativen in der CDU betrachten die die Mitte geführt, seit sie Kanzlerin ist. Das worden, da liegt ihr eigentliches Problem. Nationalflagge als ihr Vereinswappen. radikale Reformprogramm, für das sie als Früher war es immer klar, gegen wen es Strobl hatte an Bundestagspräsident geschrieben und ange- regt, die „Amtsausstattung der Abgeord- netenbüros um eine Bundesflagge zu er- gänzen“. Ein Abgeordnetenbüro ohne Na- tionalflagge sei in anderen Ländern „schlicht undenkbar“. Lammert schrieb zurück, dass es jedem Abgeordneten frei- stehe, aus seinem Budget eine Bundes- flagge zu erwerben. Strobl hat sich darüber so gefreut, dass er gleich eine Pressemitteilung verfasst hat: „Jetzt hängt hoffentlich bald in allen MdB- Büros unsere schwarz-rot-goldene Natio- nalflagge.“ So weit ist es nun schon, dass sich konservative Christdemokraten dar- über freuen, wenn ihnen der Bundestags- präsident mitteilt, dass sie von ihrem Geld eine deutsche Fahne kaufen dürfen. Das liegt daran, dass es für sie sonst we- nig Grund zur Freude gibt. Seit Angela Merkel Kanzlerin ist, haben es die Kon- servativen schwer. Ihre Themen sind aus der Mode geraten, Leitfiguren wie Frak- tionschef sind in die Regie-

rungspolitik eingebunden und neutralisiert. / SEYBOLDT-PRESS H. SEYBOLDT ROLF Die Unruhe über den Niedergang des Unions-Traditionalisten Stoiber, Bosbach, Kauder, Gegenspielerin von der Leyen: Die Politiker am Konservativen wächst. Lange galt offene Kritik an Merkels Kurs als Tabu. Mittler- Kanzlerkandidatin geworben hatte, gilt ging, die Kommunisten, die Pazifisten, die weile wird in verschiedenen Zirkeln dar- nicht mehr. Das neue Grundsatzprogramm Feministinnen, die Ausländer. Die CDU über diskutiert, wie man konservativen Po- legt den Schwerpunkt auf Themen wie Fa- hat viele Anhänger über ihre konservati- sitionen wieder Gehör verschaffen kann. milienpolitik und Umweltschutz. Aus dem ven Feindbilder mobilisiert. Vier junge Unionspolitiker trafen sich schlechten Wahlergebnis vom Herbst 2005 Nicht erst seit der Großen Koalition ist vorigen Mittwoch im Berliner Café Ein- hat die Parteichefin ihre Lehren gezogen. das schwierig geworden. Das Ende des Kal- stein, um eine neue konservative Bewe- Sie hofft, mehr junge Leute, Frauen und ten Krieges hat die Welt tiefgreifend ver- gung zu gründen: der baden-württem- Großstädter an die CDU zu binden. ändert. Die Feinde von früher haben ihre bergische CDU-Fraktionschef Stefan Map- Die CDU wird dadurch verwechselbar. Bedeutung eingebüßt. Der einstige Kampf- pus, CSU-Generalsekretär Markus Söder, Was SPD und Union voneinander trennte, begriff Leitkultur ist mittlerweile im CDU- sein nordrhein-westfälischer CDU-Kollege konnte man früher an den Rändern er- Grundsatzprogramm verankert. Er ist für Hendrik Wüst und Philipp Mißfelder, Vor- kennen. Die Konservativen waren für die seine Erfinder wertlos geworden, weil er sitzender der Jungen Union. Sie wollen Union ein ebenso identitätsstiftendes Ele- nahezu konsensfähig ist. Ende August ein Manifest veröffentlichen. ment wie die Linken für die SPD. Wichti- Es ist allerdings nicht so, dass die Kon- Andere Konservative denken offen über ge Konservative wie CSU-Chef Edmund servativen kein Feindbild mehr hätten. Der die Möglichkeiten einer neuen Partei nach. Stoiber fürchten, dass die Stammwähler Feind sitzt jetzt in den eigenen Reihen. Der brandenburgische Innenminister Jörg sich abwenden könnten. Ursula von der Leyen steht neben ei- Schönbohm glaubt, dass eine bürgerlich- Fraktionsvize hat nem Beamer, der unaufhörlich Zahlenko- konservative Partei leicht mehr als fünf dafür gekämpft, dass die CDU wieder den lonnen an die Wand wirft. Es geht um die Prozent erreichen würde. „Wenn die CDU Kanzler stellt. Seit dieses Ziel erreicht ist, Kinderfreundlichkeit in Deutschland und

38 der spiegel 29/2007 Frankreich, um die ideale Kinderzahl und Der Xantener Bund, ein vertraulicher rungen, so dass sich selbst die Hardliner in die Wünsche der Mütter. Die Zahlen sind Gesprächskreis, trifft sich während der Sit- der Fraktion intern von ihm distanzieren. nicht eindeutig, die deutschen Frauen wol- zungswochen des Bundestages mittwochs Im Xantener Bund drängten sie Kauder, len Kinder und Beruf, aber beides ist ihnen im „Xantener Eck“, einem gutbürgerli- die Sache der Konservativen zu vertreten. weniger wichtig als den Französinnen. chen Restaurant in Berlin-Charlottenburg Der Fraktionschef ist ein mächtiger Mann, Von der Leyen lächelt bei jedem Schau- mit Gummibäumen im Fenster und drei und in der Fraktion ist der Unmut besonders bild, als bestätige es genau das, was sie Sorten Pils. Der Xantener Bund versteht groß. Kauder versprach, sich zu kümmern, schon immer gesagt hat. Am Ende ver- sich als konservatives Herzstück der Frak- und spricht seither von der „Phase zwei“ kündet sie strahlend, dass deutsche Müt- tion. Volker Kauder ist dabei, Bosbach, seiner Amtszeit. Im März forderte er von ter arbeiten wollten und dass die Politik der baden-württembergische Landesgrup- der Leyen auf, erst einmal den Bedarf für diesen Wunsch ernst nehme. Man hätte penchef Georg Brunnhuber, der frühere weitere Betreuungsplätze nachzuweisen. die Umfrage auch anders interpretieren Verteidigungsminister und Aber Kauder will kein Gegenspieler können. andere. Merkels sein. Er will keine Führungsposi- Unter Konservativen genießt von der Ein Thema taucht hier immer wieder tion, sondern den Erfolg der Regierung. Leyen eine ähnliche Wertschätzung wie auf: Es gibt keine konservative Leitfigur. „Kauder kann die Rolle nicht ausfüllen, Michail Gorbatschow bei russischen Alt- Ein kohärentes Weltbild, eine schlüssige die wir ihm zugedacht haben“, sagt ein kommunisten. Sie hat das Elterngeld, eine Ideologie haben die Konservativen, anders Mitglied des Xantener Bundes resigniert. Erfindung der SPD, durchgesetzt, und sie als Liberale oder Linke, nie gehabt. Es war Stefan Mappus ähnelt dem jungen Franz kämpft für mehr Krippenplätze. Sie hat nebensächlich, welche inhaltlichen Positio- Josef Strauß. Er ist stämmig und schätzt die letzte konservative Festung in der nen der frühere Unions-Fraktionschef Al- klare Worte. Er hat CDU-Generalsekretär Union geschleift, die Familienpolitik. Bis- fred Dregger vertrat. Er wurde zur Ga- als „Koalitionssekretär“ be- schimpft und von der Leyen offen kriti- siert. Mancher hofft, dass der Baden-Würt- temberger die Leitfigur wird, nach der sich die Konservativen sehnen. Mappus erzählt, wie er bei Auftritten auf dem Land von langjährigen CDU-Mit- gliedern angesprochen wird, die sich in der Partei nicht mehr wiederfinden. „Wir sind nicht mehr die Volkspartei, die wir mal waren“, sagt er. Deshalb will er mit Söder ein Manifest schreiben: „Es geht um einen modernen Konservatismus, nicht um das Aufkochen alter Ideen.“ Bislang unterscheiden sich die Vorstel- lungen der jungen Konservativen nicht sehr von denen der alten. Er sei für besse- re Kinderbetreuung, sagt Mappus. Es darf nur nicht so aussehen, als fände die CDU es besser, wenn Kinder in Krippen gehen. Er ist für ein Betreuungsgeld von 150 Euro, das Eltern bekommen, die ihre Kinder nicht in die Krippe schicken. „Das ist als Symbol wichtig“, sagt Mappus. 150 Euro im Monat für die Rettung des Konservatismus? Die jungen Konservati-

AXEL SCHMIDT / ACTION PRESS / ACTION AXEL SCHMIDT UNGER MARC-STEFFEN ven brauchen offenbar noch Ideen. rechten Flügel fürchten, dass die Stammwähler sich abwenden könnten Hilfe könnte aus einer unerwarteten Ecke kommen. In der deutschen Parteien- lang galt dort der Grundsatz, dass Kinder lionsfigur, weil ihm beim Stichwort Ende landschaft wächst eine Kraft heran, die sich am besten zu Hause erzogen werden. des Zweiten Weltkriegs „Vertreibungster- die Konservativen nicht schöner hätten Dabei drückt von der Leyen aus, was vie- ror“ und „Unterdrückung im Osten“ einfiel. ausdenken können: Die Partei „Die Linke“ le in der CDU empfinden. „Sie hat große Aber wer könnte heute den rechten bedient die gleiche Sehnsucht wie ihre Ge- Zustimmung in allen Gruppen der Union, Parteiflügel anführen? Der Xantener Bund genspieler von der Rechten. Sie will zurück auch bei älteren Frauen“, sagt Allensbach- hat sich die Rolle einer Findungskommis- zur Übersichtlichkeit der siebziger und Chefin Renate Köcher, die als CDU-nah gilt. sion gegeben. Die Sichtung der Kandidaten achtziger Jahre. Aus Sicht der Konservativen ergibt sich fiel ernüchternd aus. Sie will die alten Schlachten zwischen damit eine neue Situation: Sie bezogen Der Hesse Roland Koch hat seit seiner Kapital und Arbeit, zwischen Freiheit und lange ihre Kraft daraus, dass sie zwar ge- Unterschriftenaktion gegen die doppelte Sozialismus wieder schlagen. Sie hat wasch- gen den Zeitgeist sprachen, aber für die Staatsbürgerschaft die nötige „Street Cre- echte Kommunisten in ihren Reihen. Sie Mehrheit der Bevölkerung. Gegen die re- dibility“, aber ihn zieht es in die Mitte, hat alles, was ein gutes Feindbild ausmacht. volutionären Anmaßungen der 68er hiel- weil er demnächst eine Wahl gewinnen Noch gilt die Linkspartei nicht als satis- ten sie die bürgerlichen Tugenden hoch. muss. zieht sich zurück, faktionsfähig. Das könnte sich ändern, Sie verteidigten die Nato und ihre Rake- Jörg Schönbohm hat keine Zukunft mehr. wenn die Bundes-SPD ihren Widerstand ten, als die Studenten und Schriftsteller Innenminister Wolfgang Schäuble wäre gegen eine Zusammenarbeit aufgibt. Dann der Republik von Friedensmärschen zu ein Kandidat, die innere Sicherheit ist ein gibt es in Deutschland wieder eine rote Sitzblockaden und zurück eilten. Mittler- rechtes Herzensthema. Aber Schäuble ist Gefahr. „Es ist gut möglich, dass Oskar La- weile sind der Zeitgeist und die Mehrheit ein Solitär, er erzeugt keine Loyalität mehr. fontaine uns noch sehr helfen wird“, sagt gegen sie. Außerdem überzieht er in seinen Forde- Mappus. Ralf Neukirch

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