Hefte aus Burgscheidungen

Wolfgang Hanke

Kirchenmusik in der DDR

Eine erste Bestandsaufnahme

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Herausgegeben vom Sekretariat des Hauptvorstandes der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands -4- SI n•... Hefte aus Burgscheidungen .. ~

Wolfgang llanke

Kirchenmusik in der DDR Eine erste Bestandsaufnahme

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1983

Herausgegeben vom Sekretariat des Hauptvorstandes der Christlich-Demokratischen Nnion Deutsdllands

Ag-Nr.224/111/83- "Sehr. .hoch schätzen wir das Schaffen der Kirchenrnusiker und bildenpen ' Künstler unseres Landes, die im sakralen Raum tätig sind. Sie bereichern das kulturelle Leben der Städte und Gemeinden, -erschließen unvergängliches Erbe dem Heute, fördern künstlerische Talente, und oft praktizieren,sie besonders eindrucksvoll den Einklang von Bürgerpflicht und Christenpflicht," Mit diesen Worten gab Parteivorsitzender Gerald Götting im Bericht des Hauptvorstandes an qen 15. Parteitag der ChristIich-Demokratisrhen 'Nnion Deutschlands im Oktober 1982 erneut der hohen Wertschätzung Ausdruck, die die enu den im "Raum der Kirclie wirkenden Kunstschaf­ fenden und nicht zuletzt den Kir,chenmusikern entgegen­ bringt: . In ähnlicher Weise ist auch auf früheren Parteitagen, Sit­ zungen des Hauptvorstandes und Beratungen der CDU mit ," Kunst.:. und Kulturschaffenden der Einsatz der Kirchenmusi­ ker gewürdigt und unterstrichen worden, welchen hervorra­ genden Beitrag sie zur Entwicklung und Bereicherung 'des geistig-kulturellen Lebens an ihren Wirkungsstätten und oft weit darüber hinaus zur musischen und ästhetischen Erzie­ hung breiter Kreise leisten. So erklärte Werner Wünschmann, Mitglied des Präsidiums und Sekretär des Hauptvorstandes der CDU, ' auf einer Tagung mit christlichen Künstlern 1981 in Burgscheidungen u, a,: .. Unsere Republik und ihr kulturel­ les Leben wären um vieles ärmer, wenn nicht in Hunderten von Kirchen fast Woche für Woche Orgelkonzerte, Mon~.t ·für Monat Lieder- und Motettenabende stattfänden 'und in den Festzeiten die großen Oratorien und Passionen erklängen.

3 . Fast noch bedeutungsvoller schlägt die Breitenarbeit zu ren Leiter der Fachrichtung Orgel an der Hodlsdtule für Budte, die von den weit über 2000 ' haupt- und nebenamtli­ Musik .. Franz Liszt" Johannes-Ernst Köhler, den 1982 ver­ chen Kirchenmusikern der evangelischen, katholischen und storbenen Dresdner Kreuzorganisten Herbert Collum oder der Freikirchen geleistet wird, aufopferungsvoll, mit vielen den einstigen Organisten der katholisdten Propsteigemeinde guten Ideen und oft großen Initiativen bei bescheidenstem in und heutigen Professor an der Hodlsmule für Mu­ finanziellem Aufwand: die Arbeit mit Chören, Bläsergruppen sik .. earl Maria von Weber" Amadeus Webersinke, und anderen Instrumentalkreisen, ganz besonders aber aum an die Würdigung der Domkantoren Hans Qtto in dem Nachwuchs in den Kurrenden und Kindermusiziergrup­ und Günther Hoff in , des Saalfelder Kirdtenmu­ pen. Zehntausende wirken hier mit, opfern viele Stunden ih­ sikdirektors und Leiters der Thüringer Sängerknaben Walter rer Freizeit für die allwöchentlichen Proben und das regel­ Schönheit oder des Leipziger Thomasorganisten Hannes Käst• mäßige Singen in Gottesdienst und Konzert. Indem sie ner durdt den Kunstpreis der DDR. anderen unvergeßliche Erlebnisse sdlenken, werden sie selbst In vielen Städten und Gemeinden vor allem des thürin• durdl die intensive Beschäftigung mit den Meisterwerken gism-sächsischen Raumes findet das Engagement der Kir­ eines Dufay oder Josquin, eines Schütz, Buxtehude, Bach, chenmusiker besonders deutlich öffentliche Anerkennung. Händel, Telemann, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Hier werden Oratorienaufführungen kirchlicher Chöre und Mendelssohn, Bruckner, Brahms, Reger, eines Distler, Pep­ Orgelkonzerte in Kirchen weithin als Bereicherung des kul­ ping, Trexler, Weyrauch und vieler anderer ,Komponisten um turellen Lebens begrüßt und in staatliche Veranstaltungs­ tiefe Eindrücke reicher und für ihr ganzes Leben geprägt, ler­ zyklen wie die Bach-Tage im Bezirk Erfurt oder die Silber­ nen sie den Sinn menschlicher Existenz tiefer begreifen und mann-Tage des Bezirkes Karl-Marx-Stadt einbezogen. Ihrer praktizieren zugleidl ein Stück echter Mitmensdllichkeit. Was öffentlichen Plakatierung sowie der Mitwirkung von Musi­ hier musikerzieherisch geleistet und an gemeinschaftsbilden­ kern staatlicher Orchester und von Gesangssolisten aus Opern­ den Kräften, an persönlichkeits- und charakterformenden ensembles steht nichts entgegen. In vielen Fällen sind hier ethischen und ästhetischen Werten vermittelt wird, läßt sich Kirmenmusiker bei entsprechender Qualifikation als Ver­ nicht hom genug einsdtätzen. tragslehrkräfte an staatlichen Musikschulen und Musikkabi­ Schwerer meßbar, aber dennodt von höchstem Gewicht ist netten oder als Leiter von Chören und Ensembles des künst• die Wirkung auf die Hunderttausende, wenn nimt Millionen lerischen Volksschaffens tätig. von Hörern, die alljährlich Passions- und Oratorienauffüh• Andererseits gab es - vor allem in den fünfziger und sech­ rungen, Orgelmusiken, Kammerkonzerte und nidtt zuletzt ziger Jahren - auch Städte und Kreise, in denen sich eine das gottesdienstlime Singen und Musizieren erleben. Nicht solche vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen staatlidlen von ungefähr ist der Besuch jener Veranstaltungen in den Organen' und Kirdlenmusikern nur schwer entwickelte. Das letzten Jahren stetig gewadlsen, kommen gerade auch junge hatte seine Ursadlen insbesondere in der politischen und kir­ Menschen in erstaunlicher Zahl - nicht nur da, wo die Kir­ chenpolitischen Situation jener Jahrzehnte. Die damaligen chenkonzerte oft die einzigen künstIerisdlen Darbietungen Versuche, die Kirchen als Instrumente gegen die DDR und sind wie in vielen kleineren Städten und Landgemeinden, ihre sozialistische Ordnung zu mißbrauchen, belasteten auch sondern auch in Großstädten mit reimern und vielseitigem die kirchenmusikalische Arbeit, hemmten ihre Öffentlicl1keits-. Kulturangebot. Sie kommen, weil sie in diesen Konzerten wirkung und veranlaßten nicht wenige Kirchenmusiker, sich durch die Eigenart der dargebotenen Werke und das Enga­ selbst zu isolieren. gement der Mitwirkenden eine ganz besondere innere Be­ Die Standortfindunß, die sich nach der 1969 erfolgten Grün• reicherung erfahren. dung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR voll­ . Es hat nicht an gesellschaftlicher Anerkennung für heraus­ zog, und ihre fortschreitende Profilierung als Kirchen im So­ ragende Leistungen auf kirchenmusikalismem Gebiet in Ge­ zialismus sclluf im Laufe der siebziger Jahre allmählim die stalt hoher staatlimer Auszeichnungen gefehlt. Erinnert sei Voraussetzungen für ein Klima des Vertrauens und der ge-' an die Verleihung des Nationalpreises der DDR an die Kreuz­ genseitigen Achtung. Es erhielt ein gesichertes Fundament kantoren und Martin Flämig, die Tho­ durch das Gespräcl1, das der Generalsekretär des Zentral­ maskantoren Günther Ramin und Hans-Joamim Rotzsch, an komitees der SED und Vorsitzende des Staatsrates der DDR, den Weimarer Kirdtenmusikdirektor und langj ährigen frühe- Erim Honecker, am 6. März 1978 mit dem Vorstand der Kon-

4 5 ferenz der Evangelisdlen Kirdlenleitungen in der DDR führ• Wie auf allen Gebieten des kulturellen und künstlerischen te. Auf dieser Vertrauensgrundlage konnte das kirdlenmusi..; Lebens hatte der zweite Weltkrieg aum im Bereidl der Kir­ kalisdle Leben und Sdlaffen einen neuen Aufsdlwung neh­ chenmusik ein Trümmerfeld und unabsehbare Verluste hin­ men und seine Potenzen in zunehmendem Umfang entfalten. terlassen. An vieren Orten waren ihre Wirkensstätten ver­ Daß der sozialistische Staat und seine Regierung- diese nichtet, Kirchen und Orgeln zerstört, die Notenarchive ver­ wachsenden Aktivitäten der Kirchenmusik aner.kennt, be­ brannt und verwüstet, die Chöre zusammengeschmolzen, weisen die Worte, die der Minister für Kultur der DDR, Hans­ nicht wenige Kantoren und Organisten gefallen oder nom Joadlim Hoffmann, am 22. April 1983 auf der Tagung des nicht wieder aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt. In Präsidiums des CDU-Hauptvorstandes mit christlidlen Kul­ so mancher Stadt, die noch in den letzten Kriegswochen tursdlaffenden in Burgscheidungen sprach: "In der sozialisti­ schwerste Zerstörungen erlitten hatte - wie etwa Dresden, schen Kunst der DDR haben die christlichen Künstler keine Magdeburg, Halberstadt, Nordhausen, Neubrandenburg - Außenseitetposition, sind sie keine.taktisen geduldeten Leute. sdlien ein Neubeginn zunächst nahezu hoffnungslos. Sie sind ein fester Teil dieser unserer Gesellschaft, ihrer Dom das Wunder gesmah, weit rascher, als man es am Kultur und Kunst. Wir suchen' miteinander den Konsens, das Ende des Krieges je zu hoffen gewagt hätte. In den weitge­ Gemeinsame. Zugleich wissen wir, daß religiöse Strömungen hend unzerstört gebliebenen Städten und Kirchen begann und Bewegungen in der Menschheitsgeschichte immer mit sich bereits unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlun­ Kunstbewegungen und Kunstströmungen zu tun haben. Auen gen wieder erstes kirchenmusikalisches Leben zu regen. Vie­ deshalb brauchen wir' eine intensive Pflege des christlichen lerorts hatte die sowjetische Besatzungsmacht ausdrücklich kulturellen Erbes. Wo beispielsweise eine Orgel in einer Kir­ den Anstoß dazu gegeben. Selbst da, wo zunächst alle Exi­ che ist, dort sollten regelmäßig Orgelkonzerte stattfinden, stenz- und Entfaltungsmöglichkeiten sakralen Musizierens sollte Kirchenmusik und damit dieser reiche Teil des deut­ vernichtet schienen, ließ der Neubeginn nicht lange auf 'sim schen und internationalen kulturellen Erbes gepflegt werden.