Plenarprotokoll 12/147

Deutscher Bundesta g

Stenographischer Bericht

147. Sitzung

Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 11: Hubert Hüppe CDU/CSU 12635 A a) Beratung der Beschlußempfehlung und Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD . . 12636B des Berichts des Ausschusses für Ge- Dr. Walter Franz Altherr CDU/CSU . 12637B sundheit Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) CDU/ a) zu dem Zwischenbericht der En- CSU 12638A quete-Kommission „Gefahren von- AIDS und wirksame Wege zu ihrer Tagesordnungspunkt 12: Eindämmung" b) zu dem Endbericht der Enquete a) Beratung der Großen Anfrage der Abge- Kommission „Gefahren von AIDS ordneten Monika Ganseforth, Dr. Liesel und wirksame Wege zu ihrer Ein- Hartenstein, Dr. Klaus Kübler, weiterer dämmung" (Drucksachen 11/2495, Abgeordneter und der Fraktion der SPD: 11/7200, 12/4485) „Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission „Vorsorge zum b) Beratung der Großen Anfrage der Abge- Schutz der Erdatmosphäre" durch ordneten Klaus Kirschner, Dr. Ulrich die Bundesregierung (Drucksachen Böhme (Unna), Peter Büchner (Speyer), 12/2669, 12/4280) weiterer Abgeordneter und der Fraktion b) Beratung der Unterrichung durch die der SPD: Umsetzung der Empfehlungen Bundesregierung: Bericht der Bundes- der Enquete-Kommission „Gefahren regierung fiber die Konferenz der Ver- von AIDS und wirksame Wege zu ihrer einten Nationen für Umwelt und Ent- Eindämmung" des 11. Deutschen Bun- wicklung in Rio de Janeiro (3. bis destages durch die Bundesregierung 14. Juni 1992) (Drucksache 12/3380) (Drucksachen 12/1160, 12/2344) Monika Ganseforth SPD . . . 12639B, 12658C Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) CDU/ CSU 12617B Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) CDU/ CSU 12641A Antje-Marie Steen SPD 12620D Marita Sehn F.D.P. 12643A Dr. Bruno Menzel F D P 12623 B Dr. PDS/Linke Liste 12645B Dr. PDS/Linke Liste . . 12625C Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ , Bundesminister BMG . 12627 D DIE GRÜNEN 12646B Antje-Marie Steen SPD 12629D Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 12648A Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ Dr. Paul Hoffacker CDU/CSU 12630B DIE GRÜNEN . . . 12649D, 12653C, 12655A Uta Titze-Stecher SPD 12631 A Monika Ganseforth SPD ...... 12650 C Dr. Walter Franz Altherr CDU/CSU . . 12632 C Dr. Liesel Hartenstein SPD ...... 12651 C Dr. Helga Otto SPD 12633 D Martin Grüner F.D.P...... 12653 B II Deutscher — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Peter Paziorek CDU/CSU 12654 A Andreas Trautvetter, Minister des Landes Dr. Liesel Hartenstein SPD 12655 C Thüringen 12662 B SPD 12656 B SPD 12663 A Dr. Christian Ruck CDU/CSU 12657 B Manta Sehn F.D.P. 12663 C F D P 12659 A Vera Wollenberger BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 13: DIE GRÜNEN 12664 C Beratung des Antrags des Abgeordne- Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) CDU/CSU 12665 C ten Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Nächste Sitzung 12666 C Aufschub der Zustimmung der Bundes- regierung zur Fusion der Kali und Salz Anlage 1 AG und der Mitteldeutschen Kali AG (Drucksache 12/4268) Liste der entschuldigten Abgeordneten 12667* A Dr. Ursula Fischer PDS/Linke Liste . . 12659 D Udo Haschke (Jena) CDU/CSU 12660 D Anlage 2 Gisela Schröter SPD 12661 B Amtliche Mitteilungen 12668* B Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12617

147. Sitzung

Bonn, den 12. März 1993

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich wünsche einen letzten Wahlperiode mit einer Reihe von Empfehlun- guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. gen dem Deutschen Bundestag übergeben worden. Die Enquete-Kommission wurde eingerichtet, weil durch eine kontroverse öffentliche Diskussion das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Thema Aids breite Teile der Bevölkerung verunsi- a) Beratung der Beschlußempfehlung und des cherte. Eine neue Krankheit mit bis dahin unbekann- Berichts des Ausschusses für Gesundheit ten Übertragungswegen füllte zu jenem Zeitpunkt die (15. Ausschuß) Schlagzeilen. Viele gerufene und ungerufene Exper- ten meldeten sich zu Wort und versuchten, mit Halb- a) zu dem Zwischenbericht der Enquete-Kom- wissen und gezielten Desinformationen die Aufmerk- mission„Gefahren von AIDS und wirk- samkeit auf sich zu ziehen. Sie erreichten damit eine same Wege zu ihrer Eindämmung" Verunsicherung der Bevölkerung, wie wir sie im b) zu dem Endbericht der Enquete-Kommis- Zusammenhang mit einer Krankheit in den letzten sion „Gefahren von AIDS und wirksame Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatten. Aids wurde zu Wege zu ihrer Eindämmung" einem Politikum. — Drucksachen 11/2495, 11/7200, In dieser Vielfalt verwirrender Stimmen hatten es 12/4485 — die Mahner aus dem Bereich der seriösen Wissen- Berichterstattung: schaft, die wirklich kenntnisreichen Ärzte und Sozial- Abgeordneter Dr. Bruno Menzel wissenschaftler, schwer, sich Gehör zu verschaffen. b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne-- Ich glaube, es ist der Enquete-Kommission gelun- ten Klaus Kirschner, Dr. Ul rich Böhme (Unna), gen, durch sachliche Arbeit, durch Einbinden des Peter Büchner (Speyer), weiterer Abgeordneter Sachverstandes aus den verschiedensten Wissen- und der Fraktion der SPD schaftsbereichen deutlich zu machen, welche Strate- Umsetzung der Empfehlungen der Enquete gie zur Bekämpfung, Eindämmung, Linderung und Kommission „Gefahren von AIDS und wirk- Behandlung von HIV und Aids für die Zukunft sinnvoll same Wege zu ihrer Eindämmung" des und erfolgversprechend ist. 11. Deutschen Bundestages durch die Bundes-- Während der Arbeit der Enquete-Kommission gab regierung es eine enge Kooperation der Länder und der Bundes- — Drucksachen 12/1160, 12/2344 — regierung mit der Enquete-Kommission. So wurden Zur Beschlußempfehlung des Ausschusses für die Aussagen und Stellungnahmen Be troffener, in der Gesundheit liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Prävention und Be treuung engagierter Laien, auf die der SPD vor. Nach unserer Vereinbarung im Ältesten HIV-Infektion und Aids spezialisierter Ärzte und der rat sind für die gemeinsame Aussprache zwei Stunden gesamten Wissenschafts-Community schnell in politi- vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch; sches Handeln umgesetzt. dann ist es so beschlossen. Als Fazit läßt sich feststellen, daß alle damals im Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht Bundestag vertretenen Parteien die Überzeugung der Kollege Dr. Hans-Peter Voigt. teilten, daß der Prävention eindeutig Vorrang vor restriktivem staatlichem H andeln einzuräumen sei. Der Enquete-Bericht bestätigt in vielen einzelnen Punkten die Politik der Bundesregierung und der Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) (CDU/CSU): Frau Länder im Umgang mit der HIV-Infektion und der Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- Krankheit Aids. ren! Wir diskutieren heute den Entschließungsantrag zum Zwischen- und Endbericht der Enquete-Kommis- Ich bin fest davon überzeugt, daß die massenme- sion „Gefahren von Aids und wirksame Wege zu ihrer diale Aufklärung in Kombination mit der zielgruppen- Eindämmung". Beide Berichte sind im Laufe der spezifischen Prävention und der S trategie, möglichst 12618 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) viel personale Kombination, persönliche Gespräche hung gegeben werden, um einer diffusen Aidsangst im Bereich der Hauptbetroffenen zu organisieren, entgegenzuwirken. Bei der Information über die dazu geführt hat, daß wir im Vergleich mit anderen Übertragungswege einer HIV-Infektion und über ein Ländern niedrigere Zuwachsraten bei den Neuinfek- angemessenes Vermeidungsverhalten müssen auch tionen haben. die grundsätzlichen Probleme angesprochen werden, Die Analysen der Präventionsmaßnahmen des letz- die gerade junge Menschen bei der Gestaltung der ten Jahrzehnts zeigen eindeutig: Der größte Erfolg ist Sexualität haben. dort zu erzielen, wo es gelingt, die Kompetenz von Drittens. Prävention bei Frauen: Die deutliche Laien durch die Organisation von Selbsthilfegruppen Zunahme der Zahl von mit HIV infizierten Frauen in einzubinden, wo die Kommunikationsstrukturen der den letzten Jahren — nicht nur in der Bundesrepublik, jeweiligen Betroffenengruppen genutzt werden, wo sondern weltweit — rechtfertigt besondere Präven- die Verhütungsbotschaften und die Präventionsin- tionsstrategien für Frauen. Sie sind allerdings mit halte in der Sprache der jeweiligen sozialen Gruppen besonderer Behutsamkeit zu entwickeln. Es muß der vermittelt werden. Eindruck vermieden werden, daß Frauen zu einer Wenn ich die Zuwachsraten aus dem Jahre 1992 mit neuen Hauptbetroffenengruppe erklärt werden, daß denen von 1987 vergleiche, kann ich feststellen, daß in neue Diskriminierungsstrategien entstehen. der Bundesrepublik Deutschland die Zuwachsraten Viertens. Prävention in den neuen Bundesländern: pro Jahr an Aidsfällen etwa gleichgeblieben sind, In den jungen Bundesländern ist die epidemiologi- während sie sich in der Schweiz, in Frankreich und in sche Situation noch sehr günstig. Wir müssen große Spanien verdoppelt haben. In Italien sind sie sogar um Anstrengungen unternehmen, um die Ausbreitung das Dreifache gestiegen. von HIV-Infektionen zu verhindern. Arbeitslosigkeit, Derartige Zahlen dürfen nicht dazu führen, daß man Angst, Unsicherheit, Unzufriedenheit und Aggressivi- sich auf den Ergebnissen ausruht; aber sie belegen, tät können leicht zum Motor eines nicht gewollten daß die Bundesrepublik Deutschland in ihrem Präven- Anstiegs der Zahl von HIV-Infektionen werden. tionsansatz richtig gelegen hat und einen erfolgver- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sprechenden Weg gegangen ist. komme jetzt zu einem weiteren, in meinen Augen sehr Ich möchte mich in meinen Ausführungen auf die wichtigen Teil des Berichts der Enquete-Kommission, Prävention und auf das Thema „Aids und die Dritte der leider in der letzten Zeit wenig Beachtung gefun- Welt" konzentrieren. Zu Fragen des Krankheitsbildes den hat, von dem ich aber glaube, daß er uns in und dem Problem HIV-infizierter Bluter wird mein Zukunft ganz entscheidend beschäftigen wird: Es Kollege Herr Dr. Altherr sprechen. geht um HIV und Aids in der Dritten Welt. Die Anstrengungen zur Bekämpfung von HIV und Aids in Erstens. Zur Prävention bei Heterosexuellen: In der den betroffenen Regionen der Dritten Welt müssen Vergangenheit hat in der ärztlichen Praxis so gut wie auch in Zukunft fortgesetzt und intensiviert werden. keine Präventionsarbeit, bezogen auf HIV und Aids, Wir müssen uns heute die Frage stellen: Welche stattgefunden. Die normale ärztliche Praxis ist stark im zusätzlichen Maßnahmen müssen wir ergreifen, wel- kurativen Bereich engagiert; Gesundheitsförderungs- che Denkansätze für unsere bisherige Strategie müs- maßnahmen spielen eine untergeordnete Rolle. Hier sen wir überarbeiten, um in den Ländern der soge- sehe ich einen sehr wichtigen Ansatzpunkt. Die Bun- nannten Dritten Welt erfolgreicher gegen Aids vorge- desärztekammer ist aufzufordern, verstärkt Weiter- hen zu können? bildungsmaßnahmen anzubieten, durch die der Arzt motiviert wird, Gespräche über die Verhütung von Aids und seine Ausbreitung haben zutiefst und HIV-Infektionen mit seinen Patienten zu führen. fundamental etwas mit den gesellschaftlichen Bedin- gungen zu tun, in denen die gefährdeten Gruppen von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Menschen leben: Ungerechtigkeit, Benachteiligung, Der Arzt muß den Menschen deutlich machen, daß mangelnde Bildung und Armut sind Promotoren der sie eine Eigenverantwortung für ihre Gesundheit, für Pandemie. Zu einer gesellschaftlich benachteiligten ihr zukünftiges Leben und das ihrer Partner und für Gruppe oder am Rande stehenden Gruppe zu gehören die Abwehr von Gefahren tragen. Der Arzt muß erhöht das Risiko einer HIV-Infektion und mangeln- lernen, den Sextouristen anders anzusprechen als den der Fürsorge bei einer Aidserkrankung. bisexuellen Mann, die Alleinstehenden oder die vor- Durch Aids ist uns allen deutlich gemacht worden, übergehend getrennt Lebenden. wie eng der Zusammenhang zwischen Gesundheits- Zweitens. Prävention bei Jugendlichen und jungen politik und anderen Politikbereichen gesehen werden Erwachsenen: Die HIV-Prävention in den Bereichen muß, welche Ursachen die Ausbreitung einer Epide- Schule, Berufsschule, außerschulische Jugendarbeit, mie — auch im 20. Jahrhundert, in dem man glaubte, Arbeitswelt sowie Bundeswehr und Zivildienst muß in Infektionskrankheiten beherrschen zu können — eine ganzheitliche Gesundheitsförderungsstrategie, begünstigen und fördern. bei der Aids nur eines von vielen Themen ist, einge- bunden werden. Jugendliche sind heute stark verun- Wir alle mußten erkennen — jeder auf seinem sichert. Obwohl sie durch Aids nicht mehr gefährdet Gebiet: der Politiker, der Wissenschaftler, der Arzt, sind als ältere Menschen, werden sie häufig zur der Erzieher —, daß wir ein gemeinsames Vorgehen Hauptbetroffenengruppe erklärt. entwickeln müssen. Keiner wird allein erfolgreich sein, allein in seiner Fachdisziplin, in seiner Kultur, in Dem jungen Menschen sollte zunächst eine an der seinem Land und in seiner von eigenen Traditionen Realität orientierte Beschreibung der echten Bedro- geprägten Region. Länder- und fächerübergreifende Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12619

Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) Kooperation ist der Schlüssel für ein gemeinsames von Aids liegen bei 100 Dollar, wenn wenig Thera- erfolgreiches Vorgehen in der Zukunft. peutika und wenig Fürsorge angeboten werden; bis zu 100 000 Dollar, wenn eine der modernen Medizin (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) entsprechende Behandlung durchgeführt werden Wir müssen dem Grundsatz, daß Gesundheit ein soll. Es ist leicht nachzuvollziehen, daß diese Mittel in Menschenrecht ist und kein Privileg, zum Durchbruch keinem Land dieser Region zur Verfügung stehen. verhelfen. Das ist nur durch eine Allianz aller Kräfte Dieses sind die direkten Kosten der Krankheit. möglich, die sich darum bemühen, den Menschen in Darüber hinaus sind die sozialen und ökonomischen den Entwicklungsländern zu echter Selbstbestim- Kosten und Folgen dieser Krankheit zu bedenken. mung zu verhelfen. Aids betrifft vor allem die jüngeren und mittelalten Einige Bemerkungen zur Situation, zur Pandemie. Erwachsenen, die zu den produktivsten Kräften inner- Im Jahre 1992 hat die Weltgesundheitsorganisation halb der Bevölkerung zu rechnen sind. Das sind die errechnet, daß zwischen zehn und zwölf Millionen Menschen, die als Haupternährer für die Familie Erwachsene und eine Million Kinder durch HIV infi- gelten, die die Säulen der Gesellschaft sind, die am ziert und über zwei Millionen Menschen an Aids meisten bereit und in der Lage sind zu arbeiten. erkrankt sind, seitdem diese Epidemie Ende der In den Entwicklungsländern bedeutet soziale siebziger Jahre begonnen hat. Sicherheit nicht die Finanzierung durch den Staat, Afrika ist nach wie vor der am härtesten betroffene sondern bedeutet, genug Menschen innerhalb der Kontinent mit über sieben Millionen Infektionen unter Familie zu haben, die für diese Familie arbeiten, um der Erwachsenenbevölkerung; davon entfallen Lebensunterhalt und Wohnung sicherzustellen. Aids 6,5 Millionen Infektionen auf die L ander südlich der zerstört diese Strukturen mit verhängnisvollen Fol- Sahara. Da das Virus in dieser Region primär durch gen, von denen somit auch viele Millionen Menschen den Sexualkontakt zwischen Mann und Frau übertra- getroffen werden, die nicht infiziert sind. Die Großfa- gen wird, haben wir etwa gleich hohe Anteile der milien verlieren die Wurzeln ihres Lebens, wenn der Infizierten bei beiden Geschlechtern. Vater oder die Mutter an den Folgen von Aids sterben In Ost-, Zentral- und Südafrika sind in einigen — und meistens sterben beide etwa zur gleichen Zeit. städtischen Zentren bereits ein Viertel bis ein Drittel So sind bereits zwei Millionen Kinder zu Aidswaisen aller Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren infi- geworden. Weitere acht Millionen Kinder werden bis ziert. In vielen Städten erwartet man, daß sich die zum Ende dieses Jahrhunderts folgen. Todesrate innerhalb der sexuell aktiven Bevölkerung Ältere Menschen, die ihre erwachsenen Kinder im Laufe der neunziger Jahre verdreifachen wird. durch Aids verloren haben, müssen den Rest ihres In Lateinamerika erfolgt die Übertragung von HIV Lebens in Armut und ohne Fürsorge materieller und ebenfalls primär durch heterosexuelle Kontakte. In menschlicher Art verbringen. Sehr häufig haben sie dieser Region gibt es bereits heute über eine Million noch die Waisen ihrer eigenen Kinder zu versorgen. Infektionen in der Erwachsenenbevölkerung. Die Ent- Dadurch wird das Familienleben völlig verändert, wicklung in Brasilien und in der Karibik ist in hohem verbunden mit Unruhe, Unsicherheit und der Aufhe- Maße beunruhigend. bung gewachsener traditioneller sozialer Bindun- gen. Die am meisten beunruhigende Entwicklung wird im Augenblick in Süd- und Südostasien beobachtet, Durch den Tod von Millionen Erwachsener wird die wo sich die Epidemie ähnlich schnell entwickelt wie Gesellschaft nicht nur im kleineren familiären Bereich vor zehn Jahren in den Ländern südlich der Sahara. getroffen. Es werden darüber hinaus die politischen Weit über eine Million Erwachsene sind in dieser Strukturen verunsichert und ihrer Führungskräfte Region bereits infiziert, die meisten von ihnen in beraubt. Wichtige Produktivkräfte, die in der Lage gewesen wären, durch ihre Arbeitskraft den niedrigen Thailand, Indien und Burma. Auch hier wird das Virus - vor allem durch heterosexuelle Kontakte übertragen, Wohlstand zu mehren, werden aus diesem Entwick- obwohl auch der Drogengebrauch in einigen Gebie- lungsprozeß herausgerissen. ten, vor allem im sogenannten goldenen Dreieck, eine Lassen Sie mich einige Bemerkungen zu den Ansät- große Rolle spielt. zen machen, die wir unterstützen können und von In Anbetracht der Geschwindigkeit, mit der sich die denen ich glaube, daß m an durch sie dieser schreck- Infektion ausbreitet, und der Bevölkerungsdichte in lichen Pandemie begegnen könnte. diesem Teil der Welt zeigen die Vorausschätzungen Erstens. Die Erfahrungen der letzten Jahre mit der Weltgesundheitsorganisation, daß gegen Ende Präventionsstrategien unter der Führung der WHO der neunziger Jahre mehr Asiaten pro Jahr neu haben gelehrt, daß eine der wichtigsten Vorausset- infiziert werden als Af rikaner. zungen für die HIV-Prävention darin besteht, Safer Einige Bemerkungen zu den Auswirkungen. Schon Sex zu praktizieren. Die Menschen müssen aber auch heute ist die Situation, bezogen auf die Versorgung auf die Gefahren anderer sexuell übertragbarer der an Aids Erkrankten in den Entwicklungsländern Krankheiten aufmerksam gemacht werden. Die Ver- — besonders in Afrika —, dramatisch. Die finanziellen meidung dieser Krankheiten muß nach meiner Über- Unterstützungen und Haushaltsmittel sind ebenso wie zeugung zu einem wichtigen Schwerpunkt der jewei- die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems bei ligen Gesundheitssysteme werden. Außer Herpes weitem überfordert. In den Ländern südlich der sind alle anderen sexuell übertragbaren Krankheiten Sahara gibt es Krankenhäuser, die zu 70 % mit Aids leicht zu diagnostizieren und nicht nur behandelbar, patienten belegt sind. Die Kosten für eine Behandlung sondern mit Antibiotika auch heilbar. Wir wissen 12620 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) heute, daß diese sexuell übertragbaren Krankheiten Wohlergehen durch eine große Zahl von Kindern die HIV-Übertragung erleichtern, und zwar um einen gefährdet ist und daß Risikoschwangerschaften und Faktor zehn gegenüber der Situation, bei der wir eine ungewollte Schwangerschaften für ihre Gesundheit bessere gesundheitliche Ausgangssituation haben, gefährlich sind. nämlich bezüglich der Transmissionsrate in den Indu- Ich denke, wir sollten gemeinsam darüber nachden- strieländern. ken, ob wir nicht durch Umschichtung unserer Haus- Zweitens. Aus den Erfahrungen der letzten Jahre haltsmittel im Etat für die Entwicklungshilfe wesent- haben wir gelernt, daß die personale Kommunika- lich mehr für die Aktivitäten, die diesen vier von mir tion, d. h. die Vermittlung von Information und Auf- zitierten Punkten entsprechen, zur Verfügung stel- klärung über Aids durch persönliche Ansprechpart- len. ner, eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Viele dieser Überlegungen nimmt eine Resolution erfolgreiche und zeitstabile Verhaltensänderung ist. auf, die anläßlich der 2. Internationalen Aids - Ethik Ein Projekt, das in Simbabwe durchgeführt worden ist, Konferenz als Folgekonferenz in Bonn am 10. und bestätigt genau diese Erfahrungen, die auch in den 11. September 1992 verabschiedet worden ist. Diese westlichen Industrieländern gemacht worden sind. Konferenz stand unter der Schirmherrschaft des Bun- Bei diesem Projekt in Simbabwe wurden Sexarbeiter, deskanzlers, der zu Beginn der Konferenz sein Enga- Schauspieler und Musiker als Multiplikatoren für die gement für die betroffenen Länder selbst deutlich Gesprächsführung über HIV und Aids geschult. Sie gemacht hat. In dieser Resolution heißt es — damit gingen dann hinaus und haben versucht, ihre möchte ich schließen —: Erkenntnisse in persönlichen Gesprächen anderen Aids ist eine Krankheit, die keine Grenzen kennt. Menschen in ihrem persönlichen und beruflichen Aids betrifft alle und fordert auch alle zu interna- Umfeld zu vermitteln. Der Erfolg war außergewöhn- tionaler Solidarität und Mithilfe heraus. Die bis- lich stark. Es nahm nicht nur die Kenntnis über HIV herigen Entwicklungshilfeleistungen werden und Aids zu, sondern 90 % der weiblichen Prostituier- durch Aids gefährdet und sind zum Teil bereits ten benutzen seitdem Kondome bei ihrer Arbeit. zerstört. Eine weitere Destabilisierung der Welt- Drittens. Durch die Organisation von Selbsthilfe- gemeinschaft ist zu erwarten. Die Zusammenar- gruppen in den betroffenen Ländern der Dritten Welt beit in der Entwicklungshilfe muß zur Erhaltung binden wir in die Präventionsarbeit Menschen ein, die der Sozialstrukturen beitragen. Wirtschaftliche in der gleichen kulturellen Umgebung aufgewachsen Strukturanpassungsprogramme dürfen beste- sind, die die gleiche Sprache sprechen, die die Riten hende Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge und Gebräuche kennen, die die Wünsche an die und -erziehung nicht stören. Der Kampf gegen Lebenshaltung kennen, die eben aus dem gleichen Aids ist nicht möglich ohne eine alle Sektoren sozialen Umfeld kommen, in dem die Menschen übergreifende Entwicklungsarbeit. Die Regie- leben, die angesprochen werden sollen. In Uganda rungen der G-7- und der EG-Länder sollten gibt es hierfür erfolgreiche Beispiele. erkennen, daß es ein ethischer Imperativ ist, die Entwicklungsländer zu unterstützen und ihnen Viertens. Lassen Sie mich zum Schluß noch den zu helfen, daß globale Solidarität dringend gefor- Zusammenhang zwischen der Aidsbekämpfung und dert ist. Aids ist sowohl für die Indust rie- als auch der Familienplanung in der Dritten Welt aufzeigen. für die Entwicklungsländer eine Herausforde- Aus vielen Bemerkungen haben Sie entnehmen kön- rung. nen, wie einschneidend die HIV-Infektion und die daraus resultierende Aidserkrankung für die sozio- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der kulturellen Strukturen und die Familienstrukturen in SPD) den betroffenen Ländern sind. Es wird damit deutlich, daß alle Maßnahmen, die im Zusammenhang mit Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht die Kollegin Antje-Marie Steen. Bevölkerungspolitik und Familienplanung ergriffen- werden, mit den Maßnahmen gegen Aids und dem Aufbau von soliden Gesundheitsstrukturen abge- Antje-Marie Steen (SPD): Frau Präsidentin! Meine stimmt werden müssen. lieben Kolleginnen und Kollegen! Als die Kommission 1987 ihre Arbeit aufnahm, war die Erwartung daran Familienplanung in der Dritten Welt und Aidsprä- geknüpft, durch eine detaillierte Bestandsaufnahme, vention müssen den Menschen das Rüstzeug vermit- durch Bewertungen und Empfehlungen die Öffent- teln, mit dem eigenen Körper, mit der Gesundheit lichkeit über Risiken und wirksame Wege zur Ein- umgehen zu lernen. Der wichtigste Gesprächspartner dämmung von Aids zu informieren. Auf die Gefahr, dabei ist die Frau, die zu Selbständigkeit, Bildung und daß aus einem Klima von Angst und Panik unange- Eigenverantwortung geführt werden muß. messene Reaktionen für die Betroffenen erfolgen Ihr muß vermittelt werden, daß HIV-Infektion und könnten, hat die Kommission mit einem umfangrei- Aids durch Sexualkontakte übertragbare todbrin- chen Maßnahmenkatalog geantwortet, dessen Um- gende Krankheiten sind, daß HIV von der Mutter auf setzung in Modellprogrammen, aber auch in verschie- den Fötus und das Kind übertragbar ist, daß die denen Kampagnen stattgefunden hat. Gefahr, infiziert zu werden, wesentlich größer ist, Ich möchte diese Gelegenheit hier nutzen, den wenn die Sexualpartner bereits durch andere sexuell Mitgliedern der Enquete-Kommission den Dank der übertragbare Krankheiten vorgeschädigt sind, daß bei SPD-Fraktion für die von ihnen geleistete Arbeit einer großen Zahl von Geburten ohne vernünftigen auszusprechen. Durch ihre Arbeit ist ein wichtiger Abstand die Gesundheit der Mutter und ihre Abwehr- Beitrag zur Enttabuisierung gesellschaftlicher Berei- kräfte stark geschädigt sind, daß das persönliche che wie Homosexualität, Drogenabhängigkeit, Prosti- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12621

Antje-Marie Steen tution, ja insgesamt des Themas Sexualität gelei- trotz der erweiterten Aufgabenstellung in den neuen stet. Bundesländern keine zusätzliche Beitrags- und Mit- telerhöhung erfahren hat, obwohl man weiß, daß z. B. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke im Bereich der drogenkranken HIV-Infizierten eine Liste) Zunahme der Beratungsarbeit erforderlich ist. Wenn Allerdings muß man mit Erschrecken wieder zur diese Arbeit nicht genügend unterstützt wird, sind die Kenntnis nehmen, daß mit der Zunahme von Aus- Betroffenen nicht mehr zu erreichen und ohne kom- schreitungen gegenüber Ausländern auch die soge- petente Hilfe. nannten Randgruppen ins Visier von Hetz- und Ver- Drogenabhängige und Frauen überwinden nicht folgungskampagnen geraten. Das trifft neben Behin- die Hemmschwelle, die nun einmal Ärzte und Behör- derten Schwule und Aidskranke. So die Überschrift den für sie darstellen. Daher sind aufsuchende und einer Berliner Zeitung: „Gewalt gegen AIDS-Kranke niederschwellige Beratungs- und Sozialisierungsan- in Berlin hat zugenommen." Die Selbsthilfeorganisa- wie sie durch die Deutsche Aids-Hilfe und die tion Mannometer stellt fest: 211 Fälle von Gewalt gebote, Selbsthilfegruppen geleistet werden, unersetzlich. gegen Schwule, darunter zahlreiche HIV-Positive. Ihre engagierte Arbeit hat entscheidend bewirkt, daß Sollte es mit der Akzeptanz und der Toleranz in den neuen Bundesländern eine epidemiologisch gegenüber Kranken und Infizierten doch nicht so weit günstige Entwicklung der Infektionsrate zu verzeich- gediehen sein, wie wir es uns wünschen? Um so nen ist. intensiver und deutlicher müssen wir für das Ver- ständnis in bezug auf HIV-Infizierte und Aidskranke Ein Schwerpunkt sind HIV-infizierte und Aids- eintreten. Sie sind nicht gefährlich, sie sind gefährdet. erkrankte Frauen, die in sehr jungen Jahren erkran- Sie brauchen unsere uneingeschränkte Solidarität. ken und auf Grund ihrer kurzen Berufstätigkeit schneller verarmen und zu verelenden drohen, unter Über eine Modellförderung in Zusammenarbeit mit ihnen sehr viele Alleinerziehende, deren Kinder eine den Ländern, mit Institutionen und besonders mit ungewisse Zukunft haben. Das Heranwachsen dieser Selbsthilfegruppen ist eine Umsetzung der Empfeh- Kinder steht unter der Bedrohung des baldigen Ver- lungen versucht worden. Über Inhalte und Wirkung lustes der Mutter. dieser Programme mag es unterschiedliche Meinun- gen geben; ich möchte aber für die SPD-Fraktion Wir begrüßen sehr, daß die Modelle „Frauen und ausdrücklich betonen, daß wir diese Maßnahmen sehr Aids" sowie „Aids und Kinder" noch über den begrüßt und auch unterstützt haben. Nur so war es ursprünglichen Zeitpunkt hinaus gefördert wurden. möglich, relativ schnell und unproblematisch den (Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Sehr wahr!) betroffenen Bürgerinnen und Bürgern ihren Proble- men entsprechende Hilfe anzubieten. Diese Pro- Die Zahl der infizierten Frauen hat sich allerdings von gramme haben auch den Kenntnisstand über medizi- 91 im Jahre 1985 bis 1992 auf 7 600 erhöht. Eine nische Fortschritte vergrößert und die Innovation für dramatische Zunahme ist bei den Frauen zu verzeich- Forschung und Alternativen für neue Pflege- und nen, die keiner der sogenannten Risikogruppen zuge- Betreuungsformen ausgelöst. ordnet sind und deren Infektion auf heterosexuelle Kontakte zurückzuführen ist. Allerdings bedauern wir das schnelle und oft vor Abschluß erfolgte Ausscheiden aus den Modellversu- Da HIV-Infektion und Aidserkrankung überwie- chen außerordentlich. Das hat in vielen Fällen zu gend mit Homosexualität in Zusammenhang ge- Verzögerungen geführt, weil die Anschlußfinanzie- bracht und als Hauptrisiko ausgemacht wurden, rung durch Länder und andere Träger nicht zu leisten haben sich auch Prävention und Betreuung auf Homo- war. sexuelle ausgerichtet, also auf Männer und deren Lebens- und Verhaltensmuster. Es gibt aber sehr Problemfelder, deren Auswirkungen zum Zeitpunkt deutliche Unterschiede zur Situation der Frauen. der Erstellung des Berichtes noch nicht genau Frauen erleben ihr „Positivsein" im Bereich der Wahr- abschätzbar waren, die aber inzwischen an Gewicht nehmung, der Sexualität und der Verantwortung für gewonnen haben, haben uns dazu geführt, einen Kinder anders. Sie ziehen sich eher zurück, sie verein- eigenen Antrag zu formulieren. Um gleich einen samen. Sie haben große Ängste vor der Stigmatisie- wichtigen Aspekt aufzugreifen: Es erscheint uns rung und der Entdeckung, die für ihre Kinder eben- nötig, die Aufklärungsarbeit als präventive Maß- falls eine gesellschaftliche Ablehnung nach sich zie- nahme dergestalt zu stärken, daß Aufklärungsmate- hen. rial über die Hauptbetroffenengruppen hinaus in Sprache und Form andere Be troffene erreicht. Hier Beratungsstellen berichten, daß sie diese infizierten darf es keine erneute Tabuisierung geben. Wir haben Frauen häufig erst erreichen, wenn diese im Vollbild das bereits bei einem Plakat erlebt. Ich verweise auf Aids sind. Diese Frauen meiden die Beratungs- und unseren Antrag, der detailliert darauf eingeht. Informationsstellen, die ansonsten von Prostituierten und Drogenabhängigen aufgesucht werden. Ihre Iso- In ihrer hervorragenden Arbeit sollten die Deutsche lation nimmt mit dem Umstand ihrer Lebenssituation Aids-Hilfe und die Selbsthilfegruppen weiterhin im zu. gleichen Umfang unterstützt werden. Wir halten es für unabdingbar, daß .aus dem (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Abschlußbericht des Modellprojektes „Frauen und Liste) Aids" neue Konsequenzen zu ziehen sind, die wir im Zu bedauern ist die restriktive Mittelausstattung Entschließungsantrag formuliert haben. Wir brauchen durch die Bundesregierung, eine Ausstattung, die eine ausreichende Zahl von Rehabilitationsplätzen, 12622 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Antje-Marie Steen bei denen auch Kinder mitgebracht werden können. lung in den öffentlichen Dienst und fordert vom Aus der epidemiologischen Entwicklung der hetero- Bundestag eine Klarstellung des Beamtenrechtsrah- sexuell bedingten Infektionen ist zu schließen, daß die mengesetzes. Es scheint ständige Verwaltungspraxis Zahl der aidskranken Frauen steigt und somit erheb- des Freistaates Bayern zu sein, von Beamtenbewer- licher Betreuungs- und Versorgungsbedarf für diese bern einen HIV-Test zu verlangen und im Falle Frauen, aber auch für einen erheblichen Teil der positiver Ergebnisse den Zugang zu verwehren. Kinder besteht. Eine enge Kooperation der medizini- Angesichts der unverände rt bestehenden Diskrimi- schen und psychosozialen Dienste sowie die Vermitt- nierung von Schwulen und Lesben ist also eine lung spezieller Hilfen können die Isolation der Frauen Änderung im Sinne des Antrages vorzunehmen. aufbrechen und das „Positivsein" erträglicher werden (Beifall bei der SPD) lassen. Wir begrüßen sehr die Empfehlungen der Enquete So wie sich das Krankheitsbild der Frauen von dem Kommission zu Prävention und Tourismus, vor allem der Männer unterscheidet, so unterschiedlich ist das die Forderung nach einer Strafverfolgung deutscher der von dem der Erwachsenen. Aus dem Kinder Staatsbürger, wenn ihnen sexueller Mißbrauch an Modellprojekt „Aids und Kinder" sollte nach ausländischen Opfern nachzuweisen ist. Abschluß geprüft werden, inwieweit weiterer Hand- lungsbedarf besteht. (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Armut und ungünstige Lebensbedingungen führen in Liste) den Ländern der Dritten Welt zur Prostitution, vor allem in hohem Maße zur sexuellen Ausbeutung von Gerade Kinder erleben ihre Krankheit als stark Kindern. In dem Umfang, wie Frauen und Kinder isolierend, ausgrenzend in Kindergarten und Schule Opfer dieser Menschenrechtsverletzung werden, stei- und einschränkend in der Teilhabe am kindlichen gen auch die Infektionsrate in diesen Regionen und Spiel und in der Freizeit. Ihnen muß eine lebensbeja- damit die katastrophalen Folgen für die Gesamtbevöl- hende Entwicklung möglich sein. kerung dieser Länder. Die Hilfe, die wir hier leisten Drogenabhängigen Frauen, besonders stark HIV müssen, sollte in enger Zusammenarbeit mit den gefährdet, muß über das jetzt bestehende Maß hinaus Zielländern auf dem Gebiet der Prävention, aber auch Substitution möglich sein. Nicht erst der Ausbruch der der Verbesserung der Basisgesundheitsdienste bis hin Krankheit bei Schwangerschaft sollte Anlaß für eine zu speziellen Entwicklungshilfemaßnahmen erfolgen. Ausstiegsbehandlung sein, auch nach der Geburt ist Hier folge ich Herrn Dr. Voigt in jedem Falle. dieses Angebot aufrechtzuerhalten. Legen wir Fallzahlen von 60 000 HIV-Infizierten in (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke der Bundesrepublik zugrunde und berücksichtigen Liste) wir eine deutlich verlängerte Überlebensphase, so ist der Bedarf nach ambulanter und stationärer Pflege Die Zugangsvoraussetzungen für die Teilnahme an ablesbar; denn noch müssen wir davon ausgehen, daß Substitutionsbehandlungen sind so zu verändern, daß alle auch erkranken. niederschwellige und im Rahmen der Therapiefrei- heit durch den Arzt entschiedene Ersatzbehandlun- Wir fordern schon seit langem eine Kostenüber- gen durchgeführt werden können. nahme der an den Bedürfnissen der Be troffenen orientierten gleichberechtigten interdisziplinären Zu- Eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, die sammenarbeit und eine Vernetzung der ambulanten weitgehend zur und zur gesund- Entkriminalisierung und stationären Versorgung durch die Sozialversiche- heitlichen und sozialen Stabilisierung der Be troffenen rung, aber auch durch eine endlich zu schaffende führt, wird von uns gefordert. Pflegeversicherung. Hier besteht dringender Hand- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke lungsbedarf. - Liste) Auf Grund therapeutischer und medizinischer Maß- Das gilt natürlich für alle Drogenkranken, um präven- nahmen hat sich die Pflegephase deutlich verlängert. tiv das HIV-Risiko zu mindern. Deshalb unterstützen Die Pflege erfordert intensivere und längere Leistun- wir die Bemühungen um neue Erkenntnisse und gen. Pflegeheime verweigern sehr oft die Aufnahme Methoden bei der Substitutionstherapie. Aids-Schwerstkranker; sie fürchten nach wie vor Stigmatisierung und das Fernbleiben anderer Pflege- In diesem Zusammenhang gibt es auch einen Rege- bedürftiger. Wir sollten alles tun, um Aids-Kranken lungsbedarf hinsichtlich des Zeugnisverweigerungs- und Schwerstpflegebedürftigen bis zum Ende ihres rechtes für ehrenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeite- Lebens das Zusammenleben mit Angehörigen und rinnen in Aids-Beratungsstellen. Es darf bei der Zubil- Freunden in vertrauter Umgebung zu ermöglichen. ligung des Zeugnisverweigerungsrechtes keinen Unterschied zwischen kompetenter Laienarbeit und (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke sogenannten Berufsgeheimnisträgern geben. Liste) (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Deshalb ist der Schwerpunkt wie beim „Schöneber- ger Modell" auf eine so l ange wie möglich aktivie- Es gibt übrigens Fälle, in denen gegen ehrenamtliche rende Bezugspflege, eine psychosoziale Betreuung Mitarbeiter Ermittlungsverfahren wegen Strafvereite- einschließlich einer Sterbe- und Trauerbegleitung für lung eingeleitet wurden. die Angehörigen zu legen. Darüber hinaus sind aus- Die Enquete-Kommission wendet sich gegen eine reichende Rehabilitationsangebote zu machen. Wir Benachteiligung von HIV-Infizierten bei der Einstel- fordern die Bundesregierung auf, weitere Alternati- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12623

Antje-Marie Steen ven aus den angelaufenen Modellversuchen zu ent- zweiten Hälfte der 80er Jahre eine gewisse Gleichgül- wickeln und sie auch weiter zu verfolgen. tigkeit bzw. ein Sich-Arrangieren mit der nach wie vor Wie ich schon betonte, hat es seit der Erstellung des weltweit größten medizinischen Herausforderung Endberichtes für uns ständig neue Problemfelder breitzumachen. gegeben, aber ganz besonders eines hat mehr und Selbstverständlich würde niemand, weder in der mehr an Brisanz zugenommen. Das sind die Gescheh- Politik noch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, nisse um die HIV - Infektion bei Bluterkranken, deren grundsätzlich die Bedeutung der Aids-Thematik im schicksalhafte Verbindung zum Thema Aids eine ausgehenden 20. Jahrhundert leugnen. Dieser Ein- neue Dimension bekommen hat. Uns hat die Anhö- sicht folgen leider nicht immer auch die entsprechen- rung nur darin bestärkt, uns heute und hier in dieser den Handlungsweisen. Angesichts weltweit rund Abschlußempfehlung erneut damit auseinanderzu- 13 Millionen Infizierter, davon — wie bekannt — setzen. Das wird mein Kollege Schmidbauer 60 000 in Deutschland bei über 9 000 Erkrankten, machen. kann nur davor gewarnt werden, die politische, medi- Das zeigt auch ganz eindringlich, daß das Thema zinische und gesellschaftliche Auseinandersetzung Aids in seiner Verknüpfung mit dem Leben und mit der Krankheit Aids zu vernachlässigen. Sterben vieler junger Menschen unter uns nicht been- det ist. Im Gegenteil: Es darf kein Nachlassen im (Beifall im ganzen Hause) Kampf um die medizinische, soziale, psychische und Indolenz gegenüber Aids ist ebenso kurzsichtig wie pflegerische Bewältigung dieser Seuche geben. die Tatsache, daß eine ernsthafte und ergebnisorien- (Beifall bei der SPD) tierte Diskussion über diese P andemie, aber auch die Verwirklichung notwendiger Maßnahmen allzuoft Wir dürfen die Kranken nicht zu Bittstellern degradie- von vermeintlich dringenderen Fragen überlagert ren, dürfen ihnen keine würdelosen Lebensbedingun- und zurückgedrängt wird. gen zumuten. Ihr Anspruch an Lebensqualität und Sicherheit ist zu erfüllen, wenn wir alle bereit sind, (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) neue Wege in der Forschung, der Medizin und der sozialen Verantwortlichkeit zu beschreiten. Begreift man die Aids-Bekämpfung als große natio- nale Aufgabe, ohne dabei die gebotene inte rnationale Das Entsetzen über diese Krankheit kann seinen Zusammenarbeit außer acht zu lassen, ist es bedauer- Schrecken verlieren, wenn wir die Eigenverantwort- lich, daß es im Zuge der Beratungen zu der vorliegen- lichkeit und die Akzeptanz auch anderer Lebenswel- den Beschlußempfehlung nicht gelungen ist, sich auf ten stärken. Sie kann hinführen zu einer Gemein- einen gemeinsamen Entwurf zu einigen. schaftsleistung mit dem Ziel, neben der Enttabuisie- rung der Krankheit auch einen wichtigen Beitrag (Uta Titze-Stecher [SPD]: An wem liegt gegen eine Bagatellisierung des Themas zu leisten. Es es?) gibt keinen Grund zur Entwarnung. Es gibt ihn erst recht nicht für Mittelkürzungen und Einsparungen. Noch unerfreulicher ist die Tatsache, daß ein einheit- liches Votum nur auf Grund geringfügiger Unter- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke schiede nicht zustande gekommen ist — trotz der Liste) grundsätzlichen inhaltlichen Übereinstimmung. Es gibt aber sehr viele Gründe, mit einem neuen Aufbruch im Kampf gegen Aids kompromißlos zu In der Politik müssen sich Handlungen und Forde- beginnen und die Verantwortung dafür zu überneh- rungen natürlich am jeweils Machbaren orientieren. men. Rufe nach immer mehr Geld oder der ständige Ver- weis auf verfassungsmäßige Kompetenzen mögen Deshalb bitte ich Sie, meine Damen und Herren, zwar begründet sein. Es wäre allerdings in meinen auch um die Zustimmung zu unserem Änderungsan- Augen ein wichtiges politisches Signal gewesen, trag zu dieser Beschlußempfehlung. wenn wir heute über einen gemeinsamen Antrag Ich darf mich bedanken. hätten abstimmen können. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Sehr rich Liste) -t ig!) Grund, den Problemkreis Aids zu instrumentalisie- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht ren oder politisch unter „ferner liefen" zu verbuchen Dr. Bruno Menzel. und in irgendwelche Forschungslabors zu verbannen, gibt es jedoch keineswegs. Der medizinische Durch- bruch steht noch immer aus. Die anfangs optimisti- Dr. Bruno Menzel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine schen Projektionen, ein Impfstoff stünde zu Beginn sehr verehrten Damen und Herren! Knapp drei Jahre der 90er Jahre zur Verfügung, haben sich als unreali- nach Erstellung des Endberichts der Enquete-Kom- stisch erwiesen. Noch immer existieren Wissenslük- mission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ken hinsichtlich der unterschiedlichen HIV-Typen ihrer Eindämmung" bietet die heutige Debatte die und des genauen Erkrankungsprozesses sowie der Gelegenheit, das Thema Aids wieder stärker in das optimalen therapeutischen Versorgung bereits Er- Bewußtsein von Politik und Gesellschaft zu rücken. krankter. Selbst in den Industrieländern, wo durch Dies ist meines Erachtens dringend geboten, droht vielfältige Maßnahmen im präventiven und wissen- sich doch in weiten Teilen der Bevölkerung nach der schaftlichen Bereich die Ausbreitung der Krankheit ersten Informations- und Aufklärungswelle in der noch weitgehend im Zaum gehalten werden kann, 12624 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Bruno Menzel gibt es kaum Anlaß, sich zufrieden zurückzulehnen müssen mögliche Ansteckungsrisiken ausgeschaltet und Aids lediglich als Dritte-Welt-Phänomen zu werden. unterschätzen. Dieser Tatsache tragen sowohl der Endbericht der Zwar wird die Zahl der HIV-Infizierten in den Enquete-Kommission als auch die Beschlußempfeh- Entwicklungsländern allen Schätzungen zufolge wei- lung des Gesundheitsausschusses Rechnung, die dem ter dramatisch ansteigen, zwar werden die ohnehin präventiven Bereich breiten Raum gewähren. Dem- überforderten Gesundheitssysteme der Staaten in entsprechend hat auch die von der Bundesregierung Afrika und Asien Aids nie allein bewältigen können, in den vergangenen Jahren auf den Prinzipien von aber Aids findet auch bei uns statt, d. h. in den Freiwilligkeit, Beratung, Vertraulichkeit und nicht Industrienationen mit ihren gegenüber den Entwick- zuletzt Aktualität aufbauende Aufklärungsarbeit lungsländern ungleich größeren finanziellen und wis- dazu beigetragen, daß in der Bevölkerung seit senschaftlichen Kapazitäten. Daher müssen alle wei- Bekanntwerden der Immunschwächekrankheit das teren Impulse einer wirksamen sowohl nationalen als Informationsniveau kontinuierlich gestiegen ist und auch internationalen Bekämpfung der Epidemie entsprechende Verhaltensänderungen eingetreten — auch vor dem Hintergrund ihrer entwicklungspoli- sind. Ängste konnten abgebaut und Einstellungen tischen und ökonomischen Implikationen — von hier gegenüber Krankheit und Erkrankten wesentlich ausgehen. rationaler gestaltet werden. (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) Mit Forschungsprojekten und Modellprogrammen wie z. B. „Drogen und AIDS", „Homosexuelle Männer Die Folgen, die ein Nachlassen im Kampf gegen Aids und AIDS" oder auch dem Streetworker-Modell nach sich ziehen würde, wären katastrophaler, als es haben insbesondere die den primären Hauptrisiko- selbst die realistischsten Schätzungen derzeit schil- gruppen zugute kommenden präventiven Maßnah- dern. men dort positive Wirkungen gezeigt und haben deren Anteil an den Neuerkrankungen zurückgehen (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So ist lassen. es!) Diese eigentlich positiv zu bewertende Entwick- Meine Damen und Herren, trotz all dieser grund- lung wird allerdings durch die steigende Zahl sätzlichen Überlegungen darf selbstverständlich nicht Erkrankter, die sich bei heterosexuellen Kontakten übersehen werden, daß auf den unterschiedlichsten angesteckt haben, konterkariert. Hier wird deutlich, Ebenen bereits eine ganze Menge geleistet wurde, daß bei allen Erfolgen, die die präventive Arbeit in den beginnend damit, daß allein die Tatsache schon als vergangenen Jahren gebracht hat — wofür im übrigen durchaus positiv zu werten ist, daß der Gesundheits- allen Beteiligten Respekt und Dank gebührt —, keine ausschuß des Deutschen Bundestages überhaupt die Veranlassung besteht, in dem Bemühen um Aufklä- Gelegenheit hatte, einen Entschließungsantrag zum rung und Informationen für alle Zielgruppen nachzu- Ergebnis einer Enquete-Kommission zu verabschie- lassen. Der Prävention in Bevölkerungskreisen, die den, die sich mit dem Thema Aids über den Zeitraum nicht den klassischen Risikogruppen angehören von drei Jahren befaßt hat. — insbesondere Heterosexuelle, aber auch Frauen und Jugendliche — muß daher in Zukunft verstärkt Freilich hatte die Enquete-Kommission wie die Rechnung getragen werden. meisten Gremien dieser Art, die sich mit einem so umfangreichen Thema befassen, mit den für sie typi- Selbstverständlich gilt dies auch für die neuen schen Problemen zu kämpfen. Mein Kollege Norbert Bundesländer, deren Situation sich allerdings wesent- Eimer hat darauf in seinem Sondervotum zum Endbe- lich von der in der alten Bundesrepublik unterschei- richt hingewiesen. Aber trotz zum Teil unterschiedli- det. Eine spezifische Präventionsstrategie muß die cher Ansichten über Art und Umfang des Aufgaben- besondere epidemiologische Situation in den fünf gebietes sowie in Fragen der Beratung und Be treuung neuen Ländern berücksichtigen; denn erst mit dem oder der Bedeutung des HIV-Antikörpertests beinhal- Mauerfall hat die Gefahr der HIV-Infektion dort eine tet der Endbericht eine ganze Reihe positiver Ansätze zunehmende Bedeutung gewonnen. Wir brauchen und Empfehlungen, die — das zeigt nicht zuletzt die deshalb in den neuen Ländern auch einen längeren Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage Zeitraum, bis die gleichen Informationsgrundlagen der SPD — wesentliche Anhaltspunkte für eine nach- wie im alten Bundesgebiet vorliegen. Dies muß durch haltige Strategie im Kampf gegen die Immunschwä- einen hinlänglichen Förderungszeitraum der Präven- che lieferten und entsprechend von der Bundesregie- tionsstrategie gewährleistet werden. rung und den Ländern für die Arbeit im Bereich der Im Bereich der medizinischen HIV-Forschung ist in Prävention, der Be treuung der Infizierten und der Vergangenheit viel erreicht worden, wenngleich, Erkrankten sowie der Forschung umgesetzt wurden. wie gesagt, die Entwicklung eines Impfstoffes noch (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auf sich warten läßt. Immerhin läßt sich mit Medika- menten die Krankheit hinauszögern; die Chance zur In der Bundesrepublik hat sich der anfangs steile Verlängerung des Lebens bereits Erkrankter ist Anstieg der Ansteckungs- und Erkrankungszahlen gestiegen. Weltweit werden in den Forschungslabors zwischenzeitlich auf einem gleichbleibenden Niveau die unterschiedlichsten Ansätze in Richtung der Ent- eingependelt oder zeitweise sogar etwas reduziert. wicklung neuer HIV-Medikamente und -Impfstoffe Dies ist das Ergebnis einer erfolgreichen Aufklä- verfolgt. Der Forschung muß daher im Rahmen des rungs- und Präventionsarbeit. Denn nach wie vor gilt: Möglichen auch weiterhin Unterstützung zukom- Um der Krankheit Aids erfolgreich zu begegnen, men. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12625

Dr. Bruno Menzel Dies gilt auch, meine Damen und Herren, für die langt wird und dies vielleicht auch tatsächlich wün- Gentechnik, der in der Aids-Forschung besondere schenswert wäre. Bedeutung zukommt. Wir müssen in diesem Bereich (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) sicherlich unsere Bemühungen verstärken. Unter Beachtung aller gebotenen Sicherheitserfordernisse Es sind aber nun einmal die Länder — hoffentlich nehmen Sie Ihr Klatschen jetzt nicht zurück —, denen dürfen die Ch ancen des Fortschritts in der Aids- Bekämpfung nicht durch ein Übermaß an Reglemen- aus ihrer grundgesetzlich verankerten gesundheits- tierungen verhindert werden. politischen Kompetenz die Aufgabe zuwächst, sich für die Fortführung und Ausweitung dieser Projekte und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Programme zu entscheiden. Aus diesem Grund müssen auf EG-Ebene die geeig- (Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ neten Voraussetzungen für ein vernünftiges nationa- CSU]: Sehr wahr!) les Gentechnikrecht geschaffen werden. Ich möchte daher insbesondere an die Landesregie- Ich möchte im Zusammenhang mit dem Bereich rungen appellieren, das in ihrer Kraft Stehende zu tun, Forschung auch ein Wort zum neuen Gesundheits- damit erfolgreich begonnene Projekte nicht durch Strukturgesetz sagen. Wir haben in den Beratungen fehlende Anschlußfinanzierungen in ihrem Bestand auch erörtert, ob die Festbetragsbildung für patentge- gefährdet werden. schützte Arzneimittel erleichtert werden sollte. Ich bin Ich bedanke mich, meine Damen und Herren. froh, daß sich hier die Vernunft zugunsten der For- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schung und damit zugunsten des medizinischen Fort- schritts durchgesetzt hat. Als nächste spricht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: die Kollegin Dr. Ursula Fischer. sowie bei Abgeordneten der SPD — Bundes minister Horst Seehofer: Die Vernunft war im Ministerium!) Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Frau Präsiden- — Herr Minister, ich widerspreche Ihnen ungerne. Ich tin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Einverneh- denke, die Vernunft war auf beiden Seiten. men scheint in diesem Hause, zumindest verbal, darüber zu bestehen, daß die Bekämpfung von Aids Das Gesundheits-Strukturgesetz nimmt auch kei- eine dauerhafte Aufgabe ist und sein wird. Das nen Einfluß auf die notwendige medizinische Versor- bezieht sich sowohl auf die Prävention — wo es immer gung von Aids-Patienten, die nach wie vor alle benö- wieder darauf ankommt, die Notwendigkeit vor- tigten Medikamente und Behandlungen erhalten beugender Verhaltensweisen bewußtzumachen — werden. Das möchte ich von dieser Stelle aus noch als auch auf die Versorgung von HIV-Infizierten und einmal ausdrücklich sagen. Aids-Kranken, wo bewährte Formen der Hilfe gefe- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der stigt, stabilisiert, aber weitere auch noch geschaffen SPD) werden müssen. Besonders bei Jugendlichen — aber nicht nur bei Weder Patienten noch behandelnde Ärzte müssen ihnen — besteht immer wieder die Gefahr, sich in Nachteile durch das Gesundheits-Strukturgesetz be- falscher Sicherheit zu wähnen und die Möglichkeiten fürchten. Dies ist im Gesetz ausdrücklich so gere- einer Infektion zu unterschätzen. Hier wissen wir, daß gelt. ein bedeutender Teil der Präventionsarbeit nicht nur (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das müssen über Massenmedien, sondern vor allem auch über die Sie den Ärzten sagen!) aufwendige personale Kommunikation und über ihre Multiplikatoren geleistet werden muß. — Ich denke, es hören viele Leute zu, wenn im - Bundestag diskutiert wird. Das nehme ich an. Aber auch eine zielgruppenspezifische Arbeit mit den Hauptbetroffenen bedarf der weiteren Intensivie- Wie in anderen Bereichen hat die Bundesregierung rung. Denken wir beispielsweise an den Bereich der auch im Rahmen der Be treuung und Versorgung von männlichen Prostitution. HIV-Infizierten und Aids-Erkrankten verschiedene (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der Modellvorhaben unterstützt. Ohnehin hat der Bund in den zurückliegenden Jahren mit vielfältigen Instru- SPD) menten gesundheitspolitische Verantwortung im Be- Gerade auf diesen Feldern kann und wird nach allen reich der Aids-Bekämpfung übernommen und wird Erfahrungen, wie z. B. der „Deutschen AIDS-Hilfe dies — davon bin ich überzeugt — im Rahmen seiner e. V.", eine wirkungsvolle Hilfe nur dann geleistet Möglichkeiten auch weiterhin tun. werden, wenn die Finanzierung gerade auch dieses Leistungsträgers ausreichend gewährleistet ist und (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Weiß das der die erforderlichen Mehraufwendungen vom Bund Herr Waigel?) getragen werden. — Der hört sicher auch zu. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der Einer Bundesförderung über die Laufzeit von SPD) Modellprogrammen hinaus sind aber aus verfas- Ich weise deshalb erneut darauf hin — wie ich das sungsrechtlichen Gründen nun einmal Grenzen schon im Herbst 1992 in der Haushaltsdebatte zum gesetzt, auch wenn immer wieder nach einer Auswei- Einzelplan 15 getan habe —, daß es notwendig ist, tung des finanziellen Engagements des Bundes ver- auch dafür die Mittel aufzustocken. Beteiligung der 12626 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Ursula Fischer Länder ist unabdingbar, aber die Probleme im Bereich muß es auch eine Rehabilitierung der Opfer geben. Aids müssen auf Grund ihrer enormen Bedeutung Leider wird im Bericht nicht deutlich, daß die Abschaf- immer wieder auch Bundesangelegenheit bleiben. fung dieses Paragraphen unabhängig von der Aids- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der Prävention eine Notwendigkeit ist. SPD) Meine Damen und Herren, nach wie vor steht die Die zu erwartende Aufhebung der Sperre der Finanz- Gewährung des Zeugnisverweigerungsrechtes für mittel im Haushaltsplan 1992 ist zwar erfreulich, aber Mitarbeiterinnen von Aids- und Drogenberatungs- wir wissen, daß auch diese Mittel nicht ausreichen stellen aus. Da dies aber der Verbesserung des Ver- werden. trauensverhältnisses zu den Ratsuchenden sowohl in der Prävention als auch in der Betreuung und Pflege Auch auf dem Gebiet der Aids-Prophylaxe gilt, daß zugute käme, unterstütze ich diese Forderung, die individuelle Prävention in ihren verschiedenen For- einer Empfehlung der Enquete-Kommission ent- men nicht ausreicht. Hier ist vor allem auch soziale spricht, nachdrücklich. Prävention gefragt. Im Falle von Aids geht es nicht allein um die Änderung von Verhaltensweisen, son- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der dern spezifisch um die Änderung von gesellschaftli- SPD) chen Verhältnissen. Ohne deren Wandel wird es auch Im Zusammenhang mit der Prävention eine Anre- keine grundlegenden Änderungen von individuellen gung zur Forschung: Äußerst verwunderlich ist in den Verhaltensweisen geben. vorliegenden Entschließungsanträgen, daß die allei- Es bleibt eine wichtige Aufgabe, die Be troffenen vor nige Forderung nach Unterstützung von Forschung Ausgrenzung, Isolation und anderen Arten sozialer im Rahmen der Infektologie aufgestellt wird. Das ist Stigmatisierung zu bewahren. Das heißt auch, die bekanntlich nur eine, wenn auch durchaus eine sehr rechtlichen Grundlagen zu verbessern oder besser wichtige von vielen wissenschaftlichen Disziplinen, selbst in der Verfassung Grundlagen zu schaffen, die die an der Aids-Forschung beteiligt sind. Als sicher die beschriebenen zwangsläufigen Effekte bei Aids- darf gelten, daß die bisherigen Erfolge in der Aids- Infektionen und Aids-Erkrankungen durch konse- Bekämpfung zu einem hohen Anteil auf sozialwissen- quente Antidiskriminierungsgrundsätze verhindern. schaftlichen Erkenntnissen beruhen. Da lobe ich mir an dieser Stelle sogar die Bundesregierung, die auf (Beifall bei der PDS/Linke Liste) diesbezügliche Fragen gleich mehrfach den Wert Eine Änderung des Betäubungsmittelstrafrechts ist sozialwissenschaftlicher Forschung, zumindest ver- längst überfällig. Entkriminalisierung der Betroffe- bal, betont hat. nen, mehr Möglichkeiten für die Substitutionsthera- pie, mehr akzeptierende Beratungs- und Hilfsange- Gerade für Ostdeutschland wäre es jetzt wichtig, die bote, Zurückdrängung der Beschaffungsprostitution epidemologische Situation dort auszunutzen und und anderes mehr würden sozialer und gesundheitli- einen ausreichend langen Förderungszeitraum für cher Verelendung entgegenwirken. Von Menschen, den Aufbau der Aids-Prävention zu sichern und die wieder eine Perspektive haben, kann mehr Ver- gleichzeitig eine begleitende Forschung zu fördern, antwortungsbewußtsein für sich und auch für andere um herauszufinden, welche Charakteristika in die- erwartet werden. ser überstürzt transformierten Gesellschaft die sich neu herausbildenden Risikogruppen annehmen. Die An dieser Stelle muß ich noch einmal dringend Frage beispielsweise, welche Verläufe die jetzt begin- fordern, daß die Empfehlungen des Berichts, einsit- nende Drogen- und Prostitutionskarrieren annehmen, zenden Drogenabhängigen saubere Spritzbestecke wäre heute sogar noch unter Präventionsaspekten zur Verfügung zu stellen, auch realisiert werden wichtig zu untersuchen. Generell ist an dieser Stelle müssen. Die Situation in den Gefängnissen ist nach zu betonen, daß die pädiatrische Forschung im wie vor katastrophal. Die Zahl der Infektionen und Zusammenhang mit Aids weiter intensiviert werden Erkrankungen in Haftanstalten steigt. Gefangene mit muß. HIV werden in zahlreichen Gefängnissen einer re- pressiven Sonderbehandlung unterzogen. Zumindest Besonders am Beispiel Aids wird die generelle das Recht, von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Schwäche der bisherigen ambulanten Versorgung Aids-Hilfe begleitet zu werden, muß gerade in Haft- offenbar, die im übrigen keinesfalls durch das anstalten uneingeschränkt eingeräumt werden. Gesundheits-Strukturgesetz vermindert worden ist. Ganz im Gegenteil: Wirksame Hilfe für HIV-Infizierte (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der und Aids-Kranke macht in einer besonderen Weise SPD) die Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Das ist keine Kritik am Bericht, sondern an der und nichtmedizinischer Berufe notwendig. Hinzu herrschenden Praxis im Lande. kommt das unerläßliche Zusammenwirken mit Selbst- hilfegruppen. Nur so läßt sich bekanntlich die erfor- Die Enquete-Kommission fordert die Abschaffung derliche Kombination medizinischer, psychischer, des § 175 des Strafgesetzbuchs, eines inhumanen sozialer, rechtlicher und materieller Hilfen gewährlei- Sondergesetzes gegen schwule Männer. sten. Gerade aber auf solche kooperative Betreuungs- (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei formen sind die bestehenden Versorgungssysteme in Abgeordneten der SPD) diesem Land äußerst schlecht vorbereitet. Die PDS/Linke Liste hält die ersatzlose Streichung der Vielleicht haben Sie zumindest an dieser Stelle § § 175 und 182 für lange überfällig. Entsprechende Verständnis für die bittere Bemerkung, daß gerade im Anträge liegen im Bundestag vor. Selbstverständlich Osten Strukturen wie Polikliniken zerschlagen wur- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12627

Dr. Ursula Fischer den, anstatt ihre Vorteile zu nutzen und weiterzuent- insbesondere für Aids-Bekämpfungsprogramme, ein- wickeln, z. B. auch für Aids. zusetzen. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD) SPD) Meine Damen und Herren, die PDS/Linke Liste jedenfalls wird auch künftig bestrebt sein, ihre Aids- Meine Damen und Herren, ich fordere Sie auf, dem Politik an den Problemen, Erfahrungen und Forderun- Antrag der SPD auf eine weitere Erhöhung der Unter- gen der Betroffenen zu orientieren, um ihnen auf diese stützung der Aids-Stiftungen zuzustimmen. Denn die Weise möglichst wirkungsvoll zu helfen und zugleich wachsenden Anforderungen an die Leistungsfähig- die Gesunderhaltung aller Bürgerinnen und Bürger zu keit der Stiftungen hängen übrigens auch damit gewährleisten. Das ist im übrigen eine Aufgabe des zusammen, daß bei dem durchschnittlich jüngeren Staates oder der Gesellschaft, die auch im Grundge- Alter der von Aids Be troffenen die sozialen Siche- setz festgeschrieben ist. rungssysteme nicht greifen und ein hoher Anteil der Infizierten und Erkrankten von Sozialhilfe leben muß. Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Um so unverständlicher sind die unvertretbar langen Manuela, geboren 1965: Anerkennungszeiten im Falle von Aids bzw. auch die Wenn die Leute hören, daß ich HIV-positiv bin, langen Zeiten für die Anerkennung von Berufs- bzw. sind die meisten schockiert. Ich schaue doch so Erwerbsunfähigkeit. Diese Vorgänge müssen doch normal aus, habe auch nie Drogen genommen wohl im Interesse der Aids-Kranken, die keine Zeit und gehöre auch sonst zu keiner Risikogruppe. mehr haben, lange zu warten, zu beschleunigen sein. Wie gibt es denn so etwas? Furchtbares schießt Es darf doch nicht passieren, daß Be troffene über ihre ihnen durch den Kopf. Dann sehen sie mich an, Antragstellung versterben, wie das immer noch häufig die Infizierte. Sie sehen nicht die Person, sie sehen in der Praxis — leider — passiert. nicht mich. In ihren Augen bin ich ein bedauerns- wertes Wesen, habe halt Pech gehabt, meinen sie. Meine Damen und Herren, auf viele Punkte wie Aber ich lebe mein Leben trotzdem so gut ich HIV-Bluterkrankungen, Rehabilitation, Frauen und kann und mag. Kinder kann ich leider nicht eingehen. Ich danke an Ich hoffe, wir helfen ihr alle dabei. der Stelle meiner Kollegin Steen, daß sie gerade auf Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. diese Punkte so ausführlich eingegangen ist. Ich habe dem eigentlich nichts hinzuzufügen. (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD) Auf einen Punkt möchte ich mich noch konzentrie- ren: Aids und In der Arbeit der Enquete Dritte Welt. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Kommission spielte das eine erfreulich große Rolle der Bundesminister für Gesundheit, Herr Seehofer. und hat auch in den Entschließungsanträgen seinen Niederschlag gefunden. Es besteht kein Zweifel dar- über, daß das bisherige Engagement der Industrielän- Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: der in diesem Bereich nicht ausreicht. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Rund 60 000 HIV-Infizierte, 9 500 AIDS- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und der SPD Erkrankte in der Bundesrepublik Deutschland — da- — Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: hinter verbirgt sich tausendfaches, unsägliches seeli- 100 Millionen!) sches und körperliches Leid. Ich gebe auf der einen Seite allen recht, die gesagt Die Frage ist allerdings, ob es hier um mehr oder haben: Es ist erfreulich, daß sich diese Immunschwä- weniger schöne Absichtserklärungen geht, um die chekrankheit in der Bundesrepublik Deutschland ent- - Darstellung von Ist-Zuständen, die zwar das Gewissen gegen allen Prognosen in den 80er Jahren wesentlich entlasten, aber ansonsten keine nennenswerte Ände- flacher, wesentlich langsamer entwickelt hat, als rung herbeiführen, oder ob die Unterstützung wirklich damals prognostiziert. Ich habe noch einmal nachge- substantiellen Charakter erhalten soll, wie Herr Voigt lesen, daß durchaus auch von Größenordnungen in auch vorgeschlagen hat. Millionenhöhe in der Bundesrepublik Deutschland, mindestens aber von hunderttausendfacher Verbrei- Wie aber kann es wirklich zu einer Verbesserung in tung die Rede war. diesem Bereich kommen, solange keine grundle- Aber so erfreulich diese Entwicklung ist, so sehr gende Umgestaltung der weltwirtschaftlichen Struk- durch diese Zahlen auch bestätigt wird, daß die turen Raum greift und solange die Dritte Welt, statt damals eingeschlagene S trategie als Antwort auf faire Entwicklungschancen zu erhalten, weiter in diese Herausforderung richtig war, sosehr liegt in tiefer Abhängigkeit und hoffnungsloser Verschul- diesen Zahlen auch eine Gefahr. Es könnte nämlich dung gehalten wird? Angesichts der katastrophalen sein, daß die Gesellschaft insgesamt diese flachere Geschwindigkeit, mit der die Zahl der Infizierten und Entwicklung als Entwarnung versteht. Darin liegt die der Aids-Kranken in diesen Ländern zunimmt, halten große Gefahr, wir hier Maßnahmen für gerechtfertigt. Nach wie vor zählt für mich dazu auch der Verzicht auf die Forde- (Zuruf von der CDU/CSU: Trügerische rung des Schuldendienstes, um den be treffenden Sicherheit!) Ländern Möglichkeiten zu geben, die dadurch frei- daß die Menschen in der Bundesrepublik Deutschl and werdenden Mittel gezielt für das Gesundheitswesen, die Immunschwächekrankheit Aids nicht mehr als 12628 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Bundesminister Horst Seehofer Problem oder gar als Gefahr begreifen. Nun wissen medizinischen, der sozialen und auch der menschli- wir aber aus den internationalen Erfahrungen, daß chen Betreuung von Erkrankten in der Zukunft sich solche günstigen Zahlen über Nacht zu einer wesentlich stärker stellen wird. Meine Damen und dramatischen Entwicklung hin ändern können. Das Herren, da stellt sich für mich ganz entscheidend die Blatt kann sich sehr schnell wenden. Frage: Wie gehen wir mit den Infizierten und Erkrank- ten in einer Gesellschaft um? — Wie wir mit Aidsinfi- Meine Damen und Herren, nach wie vor ist es so — das wurde bereits gesagt —: Jede Infektion bedeu- zierten, mit Erkrankten umgehen, ist nämlich ein tet Erkrankung, und jede Erkrankung bedeutet Spiegelbild für die Mitmenschlichkeit in unserer Tod. Gesellschaft. (Zuruf von der SPD: Ja eben!) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Deshalb ist diese Immunschwächekrankheit nach wie SPD) vor nicht nur eine große gesundheitspolitische, son- Deshalb trete ich und tritt die Bundesregierung dern auch eine gesamtpolitische Herausforderung in allen Tendenzen entgegen, Infizierte oder Erkrankte der Bundesrepublik Deutschland. auszugrenzen. Wer jemals mit solchen Menschen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der gesprochen hat, weiß, daß sie am meisten gerade SPD) unter diesem Problem leiden, daß sich Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen von Infizierten und Ich möchte mich auf drei Gesichtspunkte beschrän- Erkrankten abwenden, daß es ohnehin das größte ken, obwohl das Problem natürlich wesentlich mehr Problem für diese Menschen ist, daß sie einsam sind. Facetten hat. Meine Damen und Herren, es ist, wie gesagt, eine Der erste Punkt, auf den es mir ganz entscheidend Meßlatte für die Mitmenschlichkeit in unserer Gesell- ankommt, ist, daß wir — ich hoffe, auch in der Zukunft schaft, in welchem Maß wir diesen Menschen unsere parteiübergreifend — die Prävention, die Aufklärung helfende Hand reichen, sie nicht ausgrenzen, Tenden- und die Information vor die Repression setzen. Wir zen zur Ausgrenzung in unserer Gesellschaft nicht werden diese günstige Entwicklung nur dann beibe- unterstützen, sondern alles tun, diese Menschen ver- halten, wenn sich die Menschen auch identifizieren, stärkt in unsere Mitte zu nehmen. wenn die Menschen das, was sie an Aufklärung, an (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. Information bekommen, auch beherzigen, wenn es sowie bei Abgeordneten der SPD) uns nicht nur gelingt, Gefährdungsbewußtsein herzu- stellen, sondern auch gelingt, Verhaltensänderung Ich habe in vielen Gesprächen mit Aidserkrankten herbeizuführen. immer wieder festgestellt, daß mit die größte Angst darin besteht, daß die Tatsache der Infektion oder (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der Erkrankung am Arbeitsplatz bekannt wird. Das geht SPD) hin bis zu der Angst, daß diese Erkrankung in dem Meine Damen und Herren, ein Nachlassen bei Gebäude, in dem man wohnt, bekannt wird, weil man Prävention, Aufklärung und Information verstärkt ja befürchtet, daß der Vermieter bei Bekanntwerden der eine zutiefst menschliche Neigung — nichts verblaßt Erkrankung den Mietvertrag kündigt. Diese Ängste so schnell wie die Information —, nämlich daß man bewegen die Menschen. sofort zur Tagesordnung übergeht, wenn das Bewußt- Weil die 60 000 Infizierten von heute die Erkrankten sein nicht ständig erneut gestärkt wird. Gerade im von morgen sind, wartet da auf die Politik insgesamt Hinblick auf die junge Generation aber sehe ich ein eine gewaltige Herausforderung. Die Frage „Wie ganz großes Problem. Aus vielen Gesprächen weiß ich gehen wir mit diesen Erkrankten um?" wird immer von jungen Menschen, die für sich Aids nicht als stärker in den Mittelpunkt rücken. Problem sehen, die zunehmend glauben, Aids gehe sie nichts an. Wenn wir in den Anstrengungen um- Ich bin Ihnen, Herr Dr. Menzel, auch Ihnen, Kollege Aufklärung und Information nachlassen, könnte das Voigt, dankbar dafür, daß Sie auf das Gesundheits gerade bei der jungen Generation als Entwa rnung Strukturgesetz verwiesen haben, weil auch hierzu im mißverstanden werden. Moment wieder eine große Verunsicherungskam- pagne läuft. Ich möchte die Botschaft für die Infizier- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten, für die Erkrankten und für die Menschen, die sich Deshalb müssen wir alle miteinander ein Interesse um die Betreuung von Erkrankten kümmern, wieder- daran haben, daß Aids wieder verstärkt in die Schlag- holen: Weder die ambulante noch die stationäre zeilen kommt, daß Aids wieder mehr in den Mittel- Versorgung für Aidserkrankte oder HIV-Infizierte punkt auch der gesellschaftspolitischen Diskussion, wird durch das Gesundheits-Strukturgesetz in irgend- der gesundheitspolitischen Diskussion rückt; denn zur einer Weise beeinträchtigt; im Gegenteil! Entwarnung — auch das ist schon gesagt worden — (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. besteht überhaupt kein Anlaß. — Aber wir als Politiker sowie bei Abgeordneten der SPD — Zuruf sollten für uns selbst auch einmal feststellen, denke von der SPD: Schön wär's!) ich, daß sich dieser Weg der Prävention und Aufklä- rung bewährt hat. Sowohl die ambulante Pflege zu Hause als auch die Pflegehilfe für Schwerpflegebedürftige als auch die Zweiter Gedanke. — Meine Damen und Herren, die stationäre Versorgung Infizierten von heute sind die Kranken von morgen. Bei den Zahlen — 9 500 Erkrankte und rund 60 000 (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Und Infizierte — bedeutet dies, daß sich die Frage der die teilstationäre!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12629

Bundesminister Horst Seehofer als auch die teilstationäre Versorgung, Kollege Walter Bundesrepublik Deutschland verweisen, nämlich dar- Altherr, als auch die Medikamentenversorgung blei- auf, daß die Bundesländer sehr gerne Kompetenzen ben uneingeschränkt bestehen, so wie sie vor Inkraft- für sich beanspruchen, aber dann, wenn es um die treten des Gesundheitsstrukturgesetzes bestanden Ausfüllung, um die Finanzierung dieser Kompetenzen haben; denn es ist ja nicht das Ziel des Gesundheits- geht, sehr gern auf den Bund verweisen. Hier, bei der strukturgesetzes gewesen, an den Kranken zu spa- ambulanten medizinischen und sozialen Betreuung ren, von Aidskranken, stehen zuallererst die Länder in der Pflicht. Sie sind aufgefordert, verstärkt ihre Therapie- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So ist möglichkeiten, ihre Pflegemöglichkeiten auszubauen es!) und sich nicht immer nur darauf zu verlassen, daß der an den Aidskranken zu sparen, sondern das Ziel des Bund Modellprogramme, die er irgendwo einmal Gesundheitsstrukturgesetzes war und ist, am Unwirt- beginnt, auf Dauer in der Finanzierung weiterführt. schaftlichen, am Uneffizienten zu sparen. Was für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aidskranke aufgewandt wird, ist aber nicht unwirt- schaftlich und ineffizient, sondern notwendig. Die gesundheitspolitische Hauptverantwortung beim Thema Aids wie bei den Drogen liegt in der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der republik Deutschland bei den Bundesländern. SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Ich füge hinzu: Sollte entgegen allen aktuellen Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Bayern Erwartungen in absehbarer Zeit ein Impfstoff oder ein und Baden-Württemberg sind hier Vorbil wirksames Medikament zur Beherrschung dieser der!) Krankheit erfunden werden und dieser Impfstoff oder — Das gilt auch für den hochlöblichen Freistaat dieses Medikament sündteuer sein, dann müßten wir Bayern, Herr . uns trotz aller Sparüberlegungen in der gesetzlichen Krankenversicherung dazu entscheiden, dieses Mittel (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Und oder diesen Impfstoff auch in unserer Gesellschaft zur Baden-Württemberg!) Verfügung zu stellen und über die Krankenversiche- Das Dritte, Frau Kollegin Steen, was ich noch sagen rung zu bezahlen. wollte, betrifft die Finanzen für die Aids-Hilfe. Wir (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der haben unsere Zuwendungen an die Aids-Hilfe nicht SPD und der PDS/Linke Liste) gekürzt. Bei dieser Frage des Umgangs miteinander ist ein (Antje-Marie Steen [SPD]: Doch!) Nadelöhr die ambulante Betreuung. Meine Damen — Sie sind im Haushaltsausschuß. Da müßten Sie es und Herren, entgegen allen Prognosen wird weitaus doch wissen. In den letzten beiden Jahren haben wir mehr ambulant betreut und gepflegt, als ursprünglich sie sogar leicht erhöht: von 6,8 auf 7,4 Mil lionen DM. angenommen. Man hatte ja zu Beginn der Diskussion Deshalb muß ich für das Protokoll des Bundestages einmal befürchtet, daß es nur möglich sei, die Aidser- darauf hinweisen, daß die Aussage von der Mittelkür- krankten in Infektionsabteilungen stationär zu behan- zung falsch ist. Ich verweise ganz nebenbei darauf, deln. Wir stellen in der Bundesrepublik Deutschland daß wir trotz der sehr schwierigen Haushaltslage 1993 die an und für sich erfreuliche Entwicklung fest, daß in die beiden Stiftungen, die Deutsche Aids-Stiftung weitaus höherem Maße ambul ant betreut wird, ja daß „Positiv leben" und die Nationale Aids-Stiftung, es geradezu dem Wunsch der Erkrankten entspricht, jeweils mit 2 Millionen DM Zustiftung ausgestattet in ihrer vertrauten Umgebung betreut zu werden. Wir haben. Ich hoffe, daß der Haushaltsausschuß, nach- stoßen aber gleichzeitig an das Problem, daß die dem die Länder ihre Zustiftungen in gleicher Größen- ambulante Pflege in der Bundesrepublik Deutschland ordnung offensichtlich erfüllen, die Haushaltssperre nicht unbedingt ein sehr hohes Maß an Entwicklung aufhebt. Ich würde das sehr begrüßen. - hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb bleibt für uns die Aufgabe, die ambul ante Versorgung von Kranken und Pflegebedürftigen in der Bundesrepublik Deutschl and, sei es innerhalb der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, Krankenversicherung, sei es durch eine eigene Pfle- gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten geversicherung, massiv zu verstärken, wobei es nicht Steen? nur um die Frage geht „Wieviel Geld stellen wir denen zur Verfügung, die gepflegt werden müssen?"; die zweite, mindestens genauso wichtige Frage ist „Wie Antje-Marie Steen (SPD): Herr Minister, geben Sie gewinnen wir in der Zukunft Menschen, die zum zu, daß Sie zwar keine Mittelkürzung per Saldo Dienst am Mitmenschen bereit sind, die bereit sind, vorgenommen haben, daß sich aber die Aufgabenstel- diese Aidskranken zu pflegen?". lung für die Deutsche Aids-Hilfe dadurch wesentlich erweitert hat, daß die neuen Bundesländer dazuge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kommen sind? Wenn Sie das unter dem Strich betrach- Auch hier ist es natürlich immer ungünstig, wenn ten, ist es in meinen Augen sehr wohl eine Mittelkür- Politik — Herr Dr. Menzel, Sie haben das angespro- zung. chen — auf Kompetenzen verweist. Ich möchte in diesem Zusammenhang, weil es hier wie auch in anderen Politikbereichen eine Rolle spielt, einmal auf Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: das Phänomen des Forderungsföderalismus in der Frau Kollegin Steen, es entspricht einer alten Lebens- 12630 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Bundesminister Horst Seehofer erfahrung, daß man zunächst einmal gar nichts pflicht, die repräsentative Stichprobe bei Ärzten, der zugibt. Test bei Blutspenden und jetzt bei den beiden Modell- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. programmen für Neugeborene —, bilden eine ausrei- — Klaus Kirschner [SPD]: Aber nur, wenn chende Grundlage, um ein objektives Bild über die man angeklagt ist!) tatsächliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland zu haben. Das ist das Spiel mit der Statistik. Fakt ist: Es gibt eine Erhöhung von 6,8 auf 7,4 Millionen DM. Nun kommt (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Weiß das auch die alte Zahlenspielerei mit Durchschnitten usw. Oder der Herr Stoiber?) man sagt: Die Zahlen sind gleich geblieben, aber die Aufgaben größer geworden. Ich will dazu ein Beispiel Das heißt jedoch nicht, daß es keinen Sinn macht, aus Bayern bringen; dort ist gerade Starkbierzeit. sich freiwillig testen zu lassen. Die Krankheit ist zwar Zwei Männer gehen ins Hofbräuhaus und bestellen nicht heilbar, aber sie ist behandelbar. Deshalb kann zwei Maß Bier und zwei Hähnchen. Der eine trinkt die ein freiwilliger Test dazu führen, daß man rechtzeitig zwei Maß, und der andere ißt die beiden Hähnchen. in die Hand eines fachkundigen Arztes kommt und die Im statistischen Mittel hat jeder ein Maß Bier und ein Krankheit für den Be troffenen wesentlich besser ver- Hähnchen gehabt. Tatsächlich hat der eine einen läuft als bei einem verspäteten Test und einer verspä- Mordsrausch und der andere einen Mordsdurst. tet einsetzenden medizinischen Behandlung. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Auch F.D.P.) die Infektionsgefahr!) Deshalb ist es falsch, nur den statistischen Durch- — Auch die Infektionsgefahr ist geringer. Aber mir schnitt zu be trachten. Und deshalb, Frau Kollegin kommt es jetzt auf den Betroffenen selbst an. Deshalb Steen, gebe ich auch nichts zu. möchte ich bei aller Ablehnung des Zwangstests (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und durchaus dafür werben, daß m an sich im Falle eines der F.D.P.) Falles einem freiwilligen Test unterzieht, um für sich selbst Klarheit zu schaffen und im Falle der Infektion die eigenen Behandlungschancen zu erhöhen. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es gibt noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hoffacker. Meine Damen und Herren, ich möchte mich nicht (Dr. Hans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/ nur bei den beiden Stiftungen bedanken. Ich sagte CSU]: Er will auch ein Hähnchen!) bereits: Beide sind mit 2 Millionen DM Zustiftung durch den Bund ausgestattet; die eine Hälfte muß im Haushaltsausschuß noch entsperrt werden. Ich Dr. Paul Hoffacker (CDU/CSU): Herr Bundesmi- möchte mich auch bei der Aids-Hilfe bedanken. Es ist nister, nachdem im Gesundheitsausschuß und auch allgemein bekannt, daß die Aids-Hilfe da und dort im Haushaltsausschuß erreicht werden konnte, daß eine unbürokratische und unkonventionelle Zielgrup- die Stiftung „Positiv leben" über nahezu 4,5 Millionen penansprache durchführt. In Einzelfällen entspricht DM verfügt: Sind Sie mit mir der Meinung, daß wir das nicht unbedingt der Vorstellung der Bundesregie- auch für die Nationale Aids-Stiftung das Ziel von rung. Wir haben einzelne Projekte auch eingestellt. 4,5 Millionen DM schnellstens erreichen müßten? Das kann uns aber nicht davon abhalten, die Arbeit der Aids-Hilfe grundsätzlich zu begrüßen. Sowohl die Horst Seehofer, Bundesminister für Gesundheit: beiden Stiftungen wie die Selbsthilfeeinrichtungen Nachdem Sie mein Arbeitsgruppenvorsitzender sind wie auch im besonderen die Aids-Hilfe sind ein und ich insofern zu Ihnen in einem Abhängigkeitsver- Musterbeispiel dafür, daß kleinere Zellen, Selbsthil- hältnis stehe, fegruppen, solche großen Herausforderungen weit- (Heiterkeit bei der CDU/CSU, der F.D.P. und aus besser erledigen als staatliche Behörden und der SPD) große Einrichtungen. gebe ich das gerne zu. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der (Erneute Heiterkeit bei der CDU/CSU, der SPD und der PDS/Linke Liste) F.D.P. und der SPD — Dr. R. Werner Schuster Ich bedanke mich bei der Enquete-Kommission. [SPD]: Das ist ein Bazi!) Was dort erarbeitet wurde, war nicht nur für den Es wird immer gesagt: Die Zahlen, die ihr nennt ganzen Entscheidungshorizont in der Bundesrepublik — die 60 000 Infizierten oder die 9 500 Erkrankten — Deutschland unverzichtbar, sondern auch richtung- sind falsch. Die statistischen Grundlagen in der Bun- weisend weit über die Bundesrepublik Deutschl and desrepublik Deutschl and stimmen nicht. Ich möchte hinaus. Wir wissen, daß wir für die meisten Staaten auf hier meiner Überzeugung Ausdruck geben, daß ich dieser Welt mit unserer Aids-Poli tik als beispielge- glaube, daß die Grundlagen, die zu diesen Zahlen bend gelten. Ich hätte es auch begrüßt, wenn es heute führen, ausreichend sind, um ein einigermaßen siche- im Deutschen Bundestag zu diesem Thema zu einem res Bild über die tatsächliche Lage in der Bundesre- gemeinsamen Entschließungsantrag gekommen publik Deutschland zu haben. Aus diesem Grund bin wäre. Die Tatsache, daß es nicht zu einer Gemeinsam- ich ein entschiedener Gegner, daß wir zur Verbesse- keit kommt, sollte meines Erachtens nicht dazu füh- rung der Datenlage in der Bundesrepublik Deutsch- ren, daß wir die Immunschwächekrankheit Aids und land für die Bevölkerung insgesamt oder für einzelne insbesondere die Be troffenen in der Zukunft als Spiel- Gruppen Zwangstests einführen. Ich glaube, die Maß- ball der parteipolitischen Auseinandersetzung be- nahmen, die wir zur Zeit haben — die Laborberichts- trachten. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12631

Bundesminister Horst Seehofer Ich appelliere an uns alle, daß wir im Hinblick auf lionen DM; wohlgemerkt, das ist das finanzielle Enga- das unsägliche menschliche und seelische Leid bei gement des Bundes. den Infizierten und Kranken so weit wie möglich auch in der Zukunft bei dieser Frage gemeinsam marschie- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Die ren. Anschlußfinanzierung der Länder hat einge setzt!) Herzlichen Dank. — Das kommt noch, Herr Kollege. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Dann sagen Sie es doch!) Von den 45,8 Millionen DM im Projektmittelbe- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht reich blieben gerade einmal magere 8 Millionen DM die Abgeordnete Uta Titze. übrig. Auf genau dem gleichen finanziellen Niveau wurden auch die Gelder für den Haushalt 1993 etatisiert. Insgesamt stehen 50,55 Millionen DM zur Uta Titze-Stecher (SPD): Frau Präsidentin! Meine Verfügung, davon wiederum 8 Millionen DM für den sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren Projektmittelbereich. heute über den Zwischen- und den Endbericht der Dies ist eine zur realen Entwicklung der Aids- Enquete-Kommission — das wurde schon mehrfach Erkrankungen gegenläufige Handhabung, die wir erwähnt — sowie über die Große Anfrage der SPD- von der SPD daher mit Recht scharf kritisieren. Die Fraktion zur Umsetzung der Empfehlungen. Ich SPD hat in den vergangenen Jahren immer wieder möchte mich auf Haushaltsaspekte beschränken, da versucht, diese rückläufige Mittelgewährung aufzu- ich, wie Sie wissen, im Haushaltsausschuß sitze. Das halten, wobei sich unsere Anträge an dem orientiert führt dazu, daß man bei der Mittelgewährung genau haben, was hier öfter gesagt wurde: Es darf keine feststellen kann — denn das ist die Stunde der Entwarnung an der Aids-Front geben; denn der Wahrheit —, was welche Äußerungen wert sind. Das Anstieg geht weiter, wenn auch etwas abgeflacht. ist buchstäblich gemeint. Bei der Mitteletatisierung erweist sich, was einem etwas wert ist. Damit Sie einmal eine Vorstellung davon haben, wie sich Kürzungen konkret auswirken, bringe ich Ich bin zuständig für den Einzelplan 15, Gesundheit. einige Beispiele. So hat die Bundesarbeitsgemein- In dieser Funktion bemühe ich mich Jahr für Jahr um schaft der Freien Wohlfahrtspflege ihre Modellpro- neue Mittel für die Bekämpfung von Aids. Die derzei- gramme fast völlig einstellen müssen. Betroffen waren tige Situati on der Bundesregierung ist — in einem Satz u. a. das Großmodell „Gesundheitsämter", das gesagt —: Aids ist ab 1996 kein Thema mehr, zumin- „Streetworker-Programm", obwohl hier auch von der dest finanziell. Das entspricht nicht dem, Herr Mini- Bedeutung der aufsuchenden Präventionsleistung die ster, was Sie hier ausgebreitet haben. Rede war, das Programm „Drogen und Aids" und das (Dr. Walter Fr anz Altherr [CDU/CSU]: Das Projekt „Ambulante Betreuung im Rahmen von So- stimmt so nicht!) zialstationen" . Dies geschieht angesichts der Vereini- Bis dahin sollen die Länder die Finanzierung komplett gungsfolgen, verbunden mit finanziellen Auswirkun- übernommen haben. Hierzu kann ich aus tiefstem gen auch auf die Haushalte der Länder. Herzen nur Glück wünschen. Denn nach den Ver- Ich möchte mich hier deutlich gegen die Auffassung handlungen zum Länderfinanzausgleich muß jedem aussprechen, daß die Strategie der Bundesregierung von uns klar sein, daß die Erwartungen des Bundes im Endeffekt ein Erfolg war, da die Länder — jetzt eine herbe Enttäuschung erleiden werden. komme ich zu Ihrem Zwischenruf, Herr Kollege — Herr Menzel, ich sehe die Aufgabe der Aids- tatsächlich in die Finanzierung eingestiegen sind, Bekämpfung genau wie Sie, nämlich als nationale - aber in erheblich reduziertem Umfang. Die SPD ist der Aufgabe. Das muß sich aber auch im Haushalt nieder- Auffassung, daß die Bundesregierung hier zumindest schlagen. Wie erwähnt, geht jedes Jahr aufs neue das billigend ein sehr großes Risiko in Kauf genommen Gefeilsche um die Mittel für die Aids-Bekämpfung los. hat; denn bei Abwägung aller Argumente bestand die Dabei geht es inzwischen nur noch um den Erhalt des reale Gefahr für die Betroffenen, beispielsweise Leistungsstandards, keineswegs mehr um die Einfüh- Obdachlose oder in Wohnprojekten lebende HIV rung neuer Maßnahmen. Um das zu beweisen, gebe Infizierte, alleingelassen zu werden. ich einen kurzen Überblick über die Ausgabenent- Die Folge der Haltung der Bundesregierung, wicklung in dieser Legislaturperiode. Modellprogramme und Projekte seien in erster Linie Der Nachtragshaushalt 1991 sah dort, wo 1990 noch Ländersache geworden, zeigte noch deutlichere Spu- satte 102,3 Millionen DM etatisiert waren, nur noch ren im Haushalt 1992; denn der entsprechende Haus- 90,8 Millionen DM für die Aids-Bekämpfung vor. Die haltstitel reduzierte sich von 45,8 Millionen DM auf Hauptlast der Einsparungen — ich bitte Sie, sehr gerade noch 8 Millionen DM. Von den vorhin ange- genau zuzuhören — war im Projektmittelbereich, und sprochenen zehn Projekten blieben nur noch zwei zwar mit 8,2 Millionen DM. Das heißt, die gewährten übrig, nämlich „Aids und Kinder" und „Aids und Mittel sanken von 54 Millionen DM auf 45,8 Millionen Frauen". Im Haushalt 1993 schließlich bewegt sich DM. nichts mehr, weder nach oben noch nach unten. Die Im nächsten Haushalt — 1992 — wurden die Aus- Mittel sind schlicht eingefroren. gaben für die Aids-Bekämpfung praktisch gleich Bemerkenswert bei der Entwicklung der Ausga- halbiert, nämlich von 90,8 Millionen DM auf 50 Mil- benkürzungen für die Aids-Bekämpfung ist, daß die 12632 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Uta Titze-Stecher Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Dr. Walter Franz Altherr (CDU/CSU): Verehrte Frau diesem Zeitraum mit einem blauen Auge davonge- Präsidentin, ich hoffe, daß die überzogene Redezeit kommen ist. Ich gönne es ihr; ihre Arbeit ist wich tig. Es der Kollegin Titze mir nicht abgezogen wird. wurde hier auch bereits erwähnt, daß Aufklärung im Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Sinne von präventiver Leistung weiterhin ihren Stel- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr ver- lenwert hat. Aber ich frage mich, Herr Minister, ehrte Frau Präsidentin, gestatten Sie mir an dieser warum wieder mal gekürzt wurde, wenn auch wesent- Stelle ein Lob. Es wurde ja schon erwähnt, daß die lich weniger als in anderen Bereichen. Der Haushalt Kommission eine sehr fruchtbare Arbeit geleistet hat. der BZGA belief sich in den Jahren 1990 folgende auf Es ist leider noch nicht erwähnt worden, daß Sie eine 35 Millionen DM, dann 32,5 Millionen DM und der Initiatorinnen dieser Kommission gewesen sind in landete schließlich bei 27,55 Millionen DM für dieses Ihrer damaligen Funktion als zuständige Ministe rin. Haushaltsjahr. Hier scheint die Bundesregierung Dafür herzlichen Dank. einen Handlungsbedarf zu sehen. Dies kann ich nur nachhaltig unterstützen, aber das reicht nicht, das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht in Ordnung. Wilhelm Freiherr von Humboldt hat vor ca. 200 Jah- Es dürfte ja inzwischen allgemein bekannt sein, ren folgenden Satz geprägt: Es gibt nur eine Gesund- welches die Gruppen der Hauptbetroffenen im heit und eine Menge von Krankheiten. — Wenn auch Bereich Aids sind. Gerade sie sind überproportional seit dieser Zeit auf dem gesamten Gebiet der Medizin von den Kürzungen be troffen. Ein Beispiel wurde bahnbrechende Fortschritte zu verzeichnen sind, so schon im Rahmen einer Zwischenfrage angesprochen, gibt es doch leider auch heute noch unheilbar, tödlich Herr Minister, die Sie eleg ant mit dem Beispiel vom verlaufende Erkrankungen. Eine dieser, bislang nur Starkbieranstich umgangen haben. Natürlich wurden symptomatisch zu behandelnden Krankheiten stellt die Mittel für die Deutsche Aids-Hilfe gekürzt, und der erworbene Immundefekt dar, unter dem Kürzel zwar um 6 Millionen DM. Aids bzw. im französischsprachigen Raum „Sida" bekannt. (Zuruf des Abg. Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]) Aids, eine Erkrankung mit globaler Dimension, die erstmals 1981 in den USA beschrieben wurde, zeigt eine dramatische Ausbreitungstendenz besonders in Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt ist Ihre Rede- Afrika, Asien und Latein-Amerika. Den Angaben der zeit zu Ende. WHO zufolge sind derzeit ca. 11 Mi llionen Menschen mit dem HIV-Virus infiziert, wobei man natürlich von einer hohen Dunkelziffer in den Entwicklungsländern Uta Titze-Stecher (SPD): Lassen Sie mich bitte mal ausgeht. Für die Jahrtausendwende rechnet man mit ausreden! ca. 40 Millionen HIV-Infizierten, darunter 18 Millio- (Heiterkeit) nen Menschen, die dann das Vollbild der Aids Erkrankung ausgebildet haben werden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Diese Warnung gilt Die Zahlen für die Bundesrepublik Deutschl and Ihnen. sind, wie vorhin schon dargelegt, auf Grund sehr erfolgreicher Kampagnen, auf Grund der erfolgrei- chen Maßnahmen der Bundesregierung, rückläufig. Uta Titze-Stecher (SPD): Entschuldigung, Frau Prä- sidentin, das ging nicht nach hinten, sondern nach Die Befürchtung ist nicht eingetreten. Der steile Anstieg konnte abgebremst werden. Wir hatten Ende vorne. Februar in der Bundesrepublik Deutschl and ca. 9 500 Diese 6 Millionen DM wurden für die Arbeit im HIV-Infizierte. Man muß auch leider sagen, daß bis Osten eingesetzt. Daß da ein eminenter Bedarf vor- zum heutigen Tage 4 508 Menschen in der Bundesre- - herrschte, war ja klar; das wurde auch berücksichtigt, publik Deutschland an den Folgen der Krankheit Aids allerdings in der Weise, daß m an bei der Aids-Hilfe gestorben sind. sparte. Der befürchtete steile Anstieg ist nicht eingetreten Letzte Bemerkung: Ich hoffe, daß das, was Herr auf Grund der Tatsache, daß rechtzeitige vielfältige Seehofer ankündigte, nämlich die Entsperrung im Aufklärungs- und Informationskampagnen gestartet Haushaltstitel für die Zustiftung zur Stiftung „Positiv wurden, daß differenzierte Modellprogramme und leben", als Vorlage in der nächsten Haushaltsaus- Forschungsvorhaben inauguriert wurden. schußsitzung vorliegt. Ich bitte Sie, Kolleginnen und Kollegen, speziell vom Haushaltsausschuß, aber auch Liebe Frau Kollegin Titze, an der Stelle möchte ich von der Koalition, da Ihrem Versprechen nachzukom- auf Sie zu sprechen kommen. Sie wissen ja — als men, daß, wenn die Länder ihre Millionen über den Mitglied des Haushaltausschusses sollten Sie das Tisch geschoben haben — das ist bereits der Fall —, zumindest wissen —: Mit Zahlen kann man alles Sie auch Ihre Verpflichtung zur Zustiftung erfüllen beweisen und gegenbeweisen. Der Umgang mit Zah- werden. len erfordert eine hohe Moral. Ich will Ihnen sagen: Alle Bundesprogramme sind so konstruiert, daß die Vielen Dank. Länder nach Ablauf dieses Programmvorhabens die (Beifall bei der SPD) Anschlußfinanzierung übernehmen müssen. Das erklärt eben den Rückgang der Mittel im Bereich des Bundeshaushalts. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Abgeordnete Dr. Walter Altherr. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12633

Dr. Walter Franz Altherr Für die von Ihnen genannten Zahlen gibt es eine ganz klaren — darüber herrscht auch Konsens —, daß diese einfache Erklärung. Ich wi ll hier einmal beispielge- Organisationen eine sehr segensreiche Arbeit in viel- bend die Länder Bayern und Baden-Württemberg fältiger Weise vollbringen. herausstellen. Sie haben das Programm "Sozialstatio- Diese segensreiche Arbeit fand ihre Anerkennung nen" angeführt. Das Land Bayern hat die Weiterfüh- im Gesundheits-Strukturgesetz. Meine Damen und rung dieses Programms in vorbildlicher Weise recht- Herren, § 20 Abs. 3 a ermöglicht es nunmehr den zeitig finanziell abgesichert. Das war nicht bei allen Krankenkassen, diesen Organisa tionen Zuschüsse zu Ländern so, leider, muß ich sagen. Auch Baden- gewähren. Ich glaube, auch hier darf m an dem Württemberg hat für dieses Programm rechtzeitig Gesundheitsminister danken, der sich entscheidend Mittel bereitgestellt. Ich verweise auch auf Schleswig- dafür eingesetzt hat. Holstein, wo letztes Jahr die Mittel im Bereich der Aids-Forschung verlängert werden mußten; das muß (Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Da wollen man korrekterweise auch sagen. Wir machen es uns wir doch mal ein bißchen klatschen! — Beifall doch wirklich zu einfach, wenn wir bei allen Proble- bei der CDU/CSU und der F.D.P.) men den Bund in die Pflicht nehmen. Föderale Ele- — Ja, geben Sie mal ein bißchen Applaus für den mente bedingen auch bei der Finanzierung, daß sich Bundesminister. Er hat es wahrlich verdient. jeder nach seinen Kompetenzen beteiligt. Solange es noch keine Heilung für diese Krankheit gibt, muß mit allen Mitteln der Prävention eine (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Paul Hoffak weitere Ausbreitung verhindert werden. Daneben ker [CDU/CSU]: Die Länder dürfen nicht müssen natürlich auch die Forschungsanstrengungen kneifen!) mit gleicher Intensität weiterlaufen. Die Bundesregie- Meine Damen und Herren, die Verminderung der rung stellte bislang mehr als 500 Millionen DM für Inzidenzzahlen darf uns allerdings nicht dazu verlei- Aufklärungskampagnen zur Verfügung. Das BMFT ten, daß wir uns in falscher, trügerischer Sicherheit förderte bislang mit 150 Millionen DM. Für die Dritte wähnen; denn immer noch gibt es keine kausale Welt haben wir 100 Millionen DM eingesetzt. — Ich Therapie für diese Erkrankung, keine Heilung dieser sehe, ich bin leider am Ende meiner Redezeit. Meine schrecklichen Krankheit. Die medizinischen Mög- Damen und Herren, es wäre noch viel zu sagen; aber lichkeiten beschränken sich derzeit auf eine Behand- ich muß leider zum Schluß kommen. lung der opportunistischen Infektionen. Wenngleich Die nachhaltige Unterstützung der Entwicklungs- auch neuerdings mit dem Medikament DDI (Dides- länder erfordert die Solidarität aller Industriestaaten. oxyinosin, Handelsname Videx) neben dem AZT Bundeskanzler Kohl appellierte eindringlich auf der (Retrovir) ein zweites Medikament zur Verfügung internationalen Aids-Ethik-Konferenz auf dem Pe- steht, so kann auch damit die tödliche Immunschwä- tersberg im September letzten Jahres an die Staats- che weiterhin nur hinausgezögert werden, die und Regierungschefs, dieser ethischen Herausforde- Lebensqualität nur bescheiden verbessert werden. rung und moralischen Verpflichtung nachzukommen, Das muß uns bei der Diskussion dieses Problems getreu dem Motto des Welt-Aids-Tages — 1. Dezem- immer klar sein. Frau Präsidentin, es sei mir erlaubt, ber 1992 —, das da lautete: Aids — a community hier zu sagen: Ich bin etwas enttäuscht, daß sowohl commitment! oder auf deutsch: Aids — die Verantwor- das Plenum als auch die Länderbank so geringen tung gemeinsam tragen! Anteil an diesem so wichtigen Thema nimmt. Danke schön. (Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Das gibt es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — öfter! Leider!) Zuruf von der CDU/CSU: Eine gute Rede!) Wie gesagt, im medizinisch-therapeutischen Ansatz stehen derzeit keine heilenden Möglichkeiten zur Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht Verfügung, und es steht derzeit auch kein Impfstoff - Dr. Helga Otto. zur Verfügung. Ich hoffe jedoch, daß in den nächsten fünf Jahren die Forschungsgruppen um Luc Montag Dr. Helga Otto (SPD): Frau Präsidentin! Meine nier oder Gallo soweit sein werden, daß ein Impfstoff Damen und Herren! Aids ist eine Infektionskrankheit, entwickelt werden kann. Ich vertraue auf die Innova- und deshalb hat sie nicht nur für den einzelnen und tionsfähigkeit der medizinischen Forschung und sehe seine Familie Bedeutung, sondern auch für die Gesell- dort die einzige Chance — auch gentechnisch, was schaft, und in besonderen Regionen der Welt führt Kollege Dr. Menzel schon erwähnt hat. Das sind für Aids zu einer bereits heute absehbaren ökonomischen uns die Zukunftshoffnungen zur Bewäl tigung dieser und gesellschaftlichen Katastrophe, weil die lei- Herausforderung. stungsfähigste Schicht der Bevölkerung und die Kin- der dieser Länder von der Seuche dahingerafft wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. den. Wie groß die Katastrophe wird, hängt vom Dr. Helga Otto [SPD]) Vermögen der Menschheit ab, die Dimension zu Aus den genannten Gründen kommt den psychi- erkennen, national, europäisch und interna tional schen und sozialen Beratungs- und Betreuungsange- angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Der Schlüs- boten, auf die ich hier natürlich zeitbedingt nicht sel dazu heißt Forschung. eingehen kann, nach wie vor eine sehr wich tige Rolle Retroviren gehören zu den ersten bekannten Viren. zu. Ich möchte hier stellvertretend für all die vielen Vor über 80 Jahren wurden sie als Erreger der Selbsthilfeorganisationen die beiden großen Aids- infektiösen Pferdeanämie erkannt. Der hohe St and Stiftungen erwähnen. Ich glaube, wir sind uns hier im der Wissenschaft und die interna tionale Kooperation 12634 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Helga Otto ermöglichten in beispielhaft kurzer Zeit die Erfor- der hat die Schweiz mehr Geld oder mehr Einsicht in schung der Retroviren. In diesem Zusammenhang den Ernst der Lage. muß man die Namen Robert Gallo und Montagnier nennen. (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Die haben bessere Gesetze für die Forschung!) Mit jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis tun sich immer neue Fragen auf, die gelöst werden wollen, Gentechnik und die Gentherapie sind für uns und und zwar mit dem Ziel, der Entwicklung eines brauch- auch für die HIV-Infizierten die Hoffnung. Das Virus, baren Impfstoffes und einer lebensrettenden Therapie gegen das es noch kein Mittel gibt, ist ungleich näherzukommen. gefährlicher als die Gentechnik. Also fördern wir doch Da die Bevölkerung in Angst und Schrecken ver- ausreichend und gezielt die Aids-Forschung.

setzt war, wurde die Aids - Forschung seit 1983 zunächst großzügig und breit gefördert und führte Die bessere Einbettung in die inte rnationale Aids- auch in bestimmten Detailbereichen zu einem Forschung könnte durch die Zusammenarbeit der ansehnlichen Erfolg. Jedoch wird im Endbericht der spezialisierten Institute und der Universitäten mühe- Enquete-Kommission das Problem der Kontinuität der los gelingen, und so könnte die Lösung langfristiger Forschung angesprochen und empfohlen, dafür zu Probleme schneller und kostengünstiger herbeige- sorgen, daß bislang erfolgreich arbeitenden Forscher- führt werden. gruppen die Fortsetzung ihrer Arbeit ermöglicht werde. Es gibt Vorschläge zur Neukonstruktion der HIV Forschung in Deutschland, die sich an Erfahrungen Forschungsbedarf besteht jetzt u. a. in der Sozial- anderer Länder wie England, Frankreich und USA wissenschaft, in der klinischen Forschung über die anlehnen. Demnach soll unter Nutzung der vorhande- Unbedenklichkeit von Langzeitbehandlungen mit nen personellen und apparativen sowie institutionel- Virustatika, über neue Chemotherapeutika und len Voraussetzungen gemeinsam über einen For- besondere Therapieansätze bei Kindern, über Nach- schungsrat unter Einbeziehung der Wissenschaftler, weismethoden und zur Transmission des Virus sowie der Legislative und der Exekutive die Aids-Forschung zur Verhinderung dieser. Auch ist die Frage über die strategisch und langfristig betrieben werden. konzeptionelle Gestaltung ansetzender Prävention und von betreutem Wohnen Aidskranker nicht ausrei- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Zen chend beantwortet. tralisierung ist nicht in jedem Falle gut!)

Ein Land mit einer rudimentär angelegten Epide- Daß es diese langfristigen Probleme gibt, hängt nicht miologie, die das Interesse des einzelnen vor das nur mit dem außergewöhnlichen Vermehrungsvor- Interesse der Gemeinschaft stellt, muß sich nicht gang der Retroviren, der hohen Variabilität der HIV wundern, der Gefahren einer sich ausbreitenden Viren und ihrer Fähigkeit zur heimlichen Integra tion Seuche nicht Herr zu werden. Die Forschung stößt der Erbsubstanz in das Genom der menschlichen Zelle mangels verfügbarer Daten jedenfalls im Bereich der zusammen; es gibt auch Folgekrankheiten wie die Epidemiologie schnell an ihre Grenzen. therapieresistente Tuberkulose der HIV-Infizierten. Das könnte eine große gesundheitspolitische Bedeu- Die Bundesrepublik beabsichtigt nun, die Aids tung allein dadurch bekommen, daß die Ansteckungs- Forschung in die übliche Forschungsförderung einzu- gefahr in Schulen und öffentlichen Verkehrsmitteln gruppieren. Das Abschieben dieser Forschung auf die steigt. Die Bekämpfung einer wiederkehrenden, dies- Länderebene ist der Bedeutung dieser Krankheit nicht mal therapieresistenten Tuberkulose wird jedenfalls angemessen, da es sich um eine Infektionskrankheit teurer als die HIV-Forschung finanzstarker und kom- handelt. Ich glaube, diese satte Gesellschaft ist über- petenter Partner, die wir im Vergleich zu anderen haupt nicht mehr in der Lage, auf eine Infektions-- Ländern trotz derzeitiger Probleme haben. Bei knap- krankheit angemessen zu reagieren. Solange die pen Kassen ist es eine Frage der Prioritäten, welche bereits genannten Ziele, nämlich die mögliche Imp- Forschungsfelder und in welcher Größenordnung fung und die Therapie, nicht erreicht sind und sich das besetzt werden. Ein Land, in dem immer noch über Unheil weiter über uns und den Entwicklungsländern 20 % des Forschungshaushalts in die Luft- und Raum- zusammenbraut, dürfen wir in Sachen Aids und besonders in der Forschung nicht nachlassen. fahrtforschung gesteckt werden, kann nicht von sich behaupten, daß es die Zeichen der Zeit richtig zu (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: So ist deuten vermag. es!) (Beifall bei der SPD) Dabei haben wir doch alle Voraussetzungen für die HIV-Forschung in unserem Lande geschaffen. Es gibt Im Haushalt 1993 sind für die Aids-Forschung beim hochqualifizierte Leute auf allen Gebieten der Virus- Bundesministerium für Gesundheit 1,38 Millionen forschung, den dazugehörigen Nachwuchs und ent- DM und beim BMFT 21 Millionen DM angegeben. sprechende Arbeitsmöglichkeiten. Aber was tut die Dies ist nicht wenig, aber gegen den gefräßigen Tiger Bundesregierung? Sie läßt hochqualifizierte Leute Luft- und Raumfahrt ist die Gesundheitsforschung ein außer Landes gehen. Ich nenne in diesem Zusammen- lächerlicher Zwerg. hang Frau Professor Karin Mölling, die jetzt nach Zürich gehen wird, um dort die Leitung eines Instituts (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das ist zu übernehmen. Das ist für uns eine Blamage. Entwe- eine Metapher, die nicht zutrifft!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12635

Dr. Helga Otto — Das müßten Sie als Arzt mir eigentlich bestätigen, kungen bereits 13 %. Der Frauenanteil bei den Infi- denn die Gesundheitsforschung ist ein Bereich, der zierten wird sogar auf ca. 15 % geschätzt. immer relativ schlecht wegkommt. (Antje-Marie Steen [SPD]: 26 %!) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Wenn die Beschlußempfehlung also die Prävention bei Heterosexuellen besonders betont, bedeutet dies Dabei geben wir pro Jahr 13,6 % unseres Bruttosozial- auch gleichzeitig mehr Schutz für die Frauen. Wir produkts für das Gesundheitswesen aus. sehen sehr wohl, daß sich die Gruppe der betroffenen Ich bin sicher, die Aids-Forschung verdient weiter- Frauen nicht mehr allein auf das Schema Prostitution hin unsere ungeschmälerte Aufmerksamkeit; sonst und Drogenmißbrauch einengen läßt. Wir sehen wird es in den internationalen Gremien vielleicht bald natürlich auch andere frauenspezifische Maßnahmen, heißen: Deutschland, wo seid ihr? wie z. B. die Fortbildung von Gynäkologen, da bei (Beifall bei der SPD) Frauen andere Krankheitsbilder, wie z. B. Gebärmut- terkrebs oder Pilzinfektionen, auftreten. Wir wissen auch, daß aidskranke Frauen häufig isolierter sind als Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Männer. Wir sollten nicht vergessen — auch das halte der Abgeordnete Hubert Hüppe. ich für wichtig —, daß es wie in anderen Pflegeberei- chen auch hier so ist, daß es häufig wieder die Frauen sind, die die Erkrankten pflegen. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten ist es um (Beifall des Abg. Dr. Walter Franz Altherr das Thema Aids still geworden. Dies hat gute Seiten, [CDU/CSU]) aber auch schlechte. Gut ist, daß die Hyste rie und Ich möchte der Bundesregierung daher an dieser Panik in der Bevölkerung nachläßt, da die früheren Stelle herzlich danken, daß sie sich mit der Finanzie- Schreckensprognosen hinsichtlich der Ausbreitung rung des Modellprojektes Frauen und Aids der beson- zumindest in der Bundesrepublik Deutschl and glück- deren Situation von Frauen angenommen hat. licherweise nicht eingetroffen sind. Die drohende Eskalation ist ausgeblieben. Gut ist auch, daß die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sensationslust der Regenbogenpresse nachgelassen hat. Einen Hauptanteil daran, daß heute sachlicher Meine Damen und Herren, ich möchte an dieser über dieses Thema gesprochen werden kann, hat Stelle auch einige Worte zum Thema Sextourismus sagen. Sicherlich ist es richtig, wenn wir Männer in sicherlich die breite Aufklärungs - und Informations- diesem Zusammenhang auch auf die Gefahren hin- kampagne der Bundesregierung. Die Aufklärung in der Bevölkerung war außerdem so durchschlagend, weisen. Schließlich ist Sextourismus gesellschaftliche daß durch die Verhaltensänderung eine schnellere Realität. Aber ich glaube, wir sollten auch deutlich machen, wer dabei Täter und wer dabei Opfer ist. Ausbreitung des HIV - Virus unterblieben ist. Die Zahl der Sexualpartner ist rückläufig. Verläßlichkeit und Opfer — das ist für mich deutlich — sind die jungen Verantwortung in der Partnerschaft sind wieder stär- Frauen und auch die jungen Männer, die sich im ker gefragt. Ein Großteil der Bevölkerung weiß heute: Ausland und in der Dritten Welt häufig unter Zwang Kondome senken das Risiko, Treue ist besser. Der prostituieren müssen. Ich sage auch deutlich: Wer sich beste Schutz vor Aids ist verantwortliche Sexualität. im Ausland an Kindern und Jugendlichen vergreift, ist ein Verbrecher und sollte hier auch als solcher behan- (Beifall bei der CDU/CSU) delt werden. Weniger gut ist, daß langsam auch wieder Desinter- esse zu spüren ist nach dem Motto: Aids ist nur etwas, (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der was Schwule, Prostituierte und Drogenabhängige PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/ betrifft. Dies verdrängt bei manchen die Gefahr aus - DIE GRÜNEN) ihrem Bewußtsein. Dies kann zu einem tödlichen Lassen Sie mich noch auf die besonders tragische Irrtum werden. Die Erfahrungen zeigen, daß die Situation von HIV - infizierten und aidskranken Kin- Krankheit mehr und mehr, wenn auch langsamer, als dern eingehen. Sicherlich ist diese Gruppe in der zunächst angenommen, die bisher betroffenen Haupt- Bundesrepublik noch sehr klein, und von daher liegen gruppen verläßt. auch wenig Erfahrungen und wissenschaftliche Meine Damen und Herren, bisher waren Aids- bzw. Kenntnisse vor. Aber auch bei Kleinkindern und HIV-Infektionen hauptsächlich unter Männern ver- Säuglingen gibt es inzwischen leider zunehmende breitet. Dies ist kein Wunder, denn homosexuelle Zahlen. Schon das Wissen, daß ein Kind HIV-positiv Männer sind nun einmal per Definition Männer, ist, bzw. der Verdacht, daß es infiziert sein könnte, Hämophile sind Männer, und zwei D rittel der Drogen- kann zu erheblichen Problemen in nahezu allen abhängigen sind Männer. Aber je mehr die HIV Lebensbereichen führen. Den Müttern HIV-infizierter Infektionen auf heterosexuellen Geschlechtsverkehr Kinder wird die Infektion des Kindes oft persönlich zurückzuführen sind, um so mehr wird Aids auch zu angelastet. Oft wird schon während der Schwanger- einer Frauenkrankheit. Schließlich ist das Risiko der schaft Druck auf infizierte Frauen ausgeübt, ihre Infizierung bei heterosexuellem Verkehr bei Frauen Kinder abzutreiben, oder das Austragen der Schw an dreimal so hoch wie bei Männern. Dies zeigen eindeu- -gerschaft stößt zumindest auf Unverständnis. Wieder tig auch die Zahlen. Waren von den bis Ende 1992 sind es die Frauen, die nicht selten von Männern insgesamt 9 205 an Aids Erkrankten noch 9 % Frauen, angesteckt wurden, die hier die Hauptlast tragen so betrug der Anteil der Frauen bei den Neuerkran- müssen. Interessenverbände, wie es sie für andere 12636 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Hubert Hüppe chronisch Kranke gibt, haben diese Frauen und Kin- nen, die unentgeltlich spendeten, aufgebaut. Das der nicht. Ergebnis: 10 Millionen Einwohner, aber nur 35 HIV Hinzu kommt, daß die Mütter häufig drogenabhän- Infizierte durch diese Blutpräparate. Makaber daran: gig sind oder ihre Partner drogenabhängig sind und 17 von diesen 35 waren Empfänger ausländischer dabei noch weitere soziale Probleme haben. Oft ist die Präparate. Und bei uns gibt es mehr als 2 000 Infi- Mutter selbst schon an Aids erkrankt und nicht mehr zierte! in der Lage, ihr Kind oder ihre Kinder zu versorgen. Dabei hätten wir in der Bundesrepublik einen Viele der betroffenen Kinder wachsen daher in Pfle- doppelten Schutz haben können, einmal durch eine gefamilien oder bei Verwandten auf. Es ist erstaunlich Eigenblut- und -plasmaversorgung an Stelle der — das sollte man bei allen schlechten Nachrichten, die Importe von jährlich 1 Million Liter Blutplasmapro- wir heute gehört haben, auch einmal sagen —, daß dukten. Zum zweiten hätten durch Hitzeinaktivierung trotz aller Schwierigkeiten bisher kein Fall bekannt- der Präparate die Viren abgetötet werden können; geworden ist, in denen Kinder außerhalb ihrer Her- dies wäre ab 1982 möglich gewesen. kunftsfamilie nicht hätten untergebracht werden kön- nen. Ich möchte deswegen allen danken, die als (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Das Verwandte oder als Pflegeeltern diese Verantwortung stimmt ja nicht, Herr Schmidbauer!) übernommen haben. Mit dieser Doppelsicherung hätten die meisten Infek- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tionen verhindert werden können. Hätten! Können! Dennoch, im Bereich der Verwandtenpflege sollten (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Ab wir meiner Meinung nach überlegen, ob es nicht auch 1982 war es nicht möglich!) Möglichkeiten gibt, die Verwandtenpflege über die Dagegen stand das Versagen der Gesundheitsbehör- jetzt schon vorhandenen Beratungshilfen auch finan- den und die Profitgier der Pharmahersteller. ziell zu unterstützen. In diesem Zusammenhang sollte man noch einmal über § 6 KJHG nachdenken. (Dr. Walter Fr anz Altherr [CDU/CSU]: Immer diese Klassenkampfmethoden!) Meine Damen und Herren, die Erfahrungen m an treuer von HIV-infizierten Kindern sind-cher Be Bis heute will man nicht wahrhaben: Bei dem ebenso erschütternd wie beschämend. Im persönli- Geschäft mit dem Blut geht es um Geld — um viel, viel chen Bereich erleben be troffene Kinder sowie ihre Geld! 1 000 DM kostet dieses Präparat hier — 1 000 Eltern und Be treuer nach Bekanntwerden der Infek- Einheiten — in der Bundesrepublik. Umgerechnet tion nicht selten eine soziale Isolierung. So ist es nicht 250 DM kostet dies in den USA. ungewöhnlich, daß sich Nachbarn und Freunde (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Sie zurückziehen. Kinder dürfen nicht mehr mit den haben bei Herrn Möbius schon viel infizierten Kindern spielen. Wir sind es der Zukunft gelernt!) dieser Kinder einfach schuldig, weiterhin entspre- chend präventiv vorzugehen und geeignete Maßnah- Sichere Blutprodukte wurden ausgegrenzt, unsi- men einzuleiten. chere dagegen verordnet, und zwar teilweise gren- zenlos. Herzlichen D ank. (Dr. Walter Fr an (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der z Altherr [CDU/CSU]: Das ist doch gar nicht wahr! — Dr. H SPD) ans-Peter Voigt [Northeim] [CDU/CSU]: Sie wissen doch selbst, daß das falsch ist, was Sie sagen!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Der Plasmaverbrauch ist bei uns so hoch wie in den Horst Schmidbauer. USA. Herr Kollege Voigt, die USA haben bekannter- maßen viermal soviel Einwohner, wie die Bundesre- Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Aids betrifft- publik hat. uns alle, denn Aids kann uns alle treffen. (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Da Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! haben Sie in der Anhörung nicht aufgepaßt, Es war ein ganz großer Schritt, daß wir den 6 000 Herr Kollege Schmidbauer!) Hämophilen ein ganz normales Leben vermitteln Aids betrifft uns alle, denn Aids kann alle treffen. konnten. Dies verdanken sie einem Präparat, und Das beweist eine weitere Gruppe von Be troffenen: Die dieses Präparat ist aus Blutplasma gewonnen. Die PPSB-Opfer. Tragik dabei ist der Preis, der für diesen Schritt Es sind Menschen wie Sie und ich, die mit PPSB — das sind ebenfalls Blutgerinnungsmittel bezahlt worden ist. 2 000 Menschen aus diesem Kreis der Bluter müssen mit ihrem Leben dafür bezahlen. — behandelt wurden, z. B. nach einem Verkehrsun- 400 sind schon tot, jährlich kommen 60 hinzu. Todes- fall, bei der Entbindung, bei internistischen Untersu- chungen oder bei chirurgischen Routineeingriffen. ursache: Aids, übertragen durch dieses für sie lebens- notwendige Medikament. Also: Aids bet rifft uns alle, Erst Jahre später erfahren die Menschen per Zufall: denn Aids kann alle treffen. Sie sind auf Rezept mit dem tödlichen Aids-Virus Doch diesen Preis hätte man nicht zahlen müssen. infiziert worden. Sie haben, ohne es zu wissen, inzwi- Der medizinische Super-GAU war keine Naturkata- schen andere infiziert, ihre Partner, ihre Kinder. strophe. Viele Lander haben uns vorgemacht, daß es Schlimmer noch: Sie leben in einer Grauzone, und auch anders geht, Belgien beispielsweise: Blutim- diese Grauzone wirkt fort. Wir wissen nicht, wie viele porte wurden gestoppt, eine nationale Blut- und Menschen betroffen sind. Sind es Hunderte, sind es Plasmaeigenversorgung wurde mit Hilfe von Perso- tausend? Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12637

Horst Schmidbauer (Nürnberg) Ist es nicht die Bundesregierung, die mit dem Slogan Vergleich der Entschädigung in Frankreich mit der in angetreten ist: „Gib Aids keine Chance"? Ist es nicht Deutschland nicht zulässig ist, und zwar aus folgen- die Bundesregierung, die in Hochglanzbroschüren an den Gründen: In Frankreich betrieb der Staat die die Verantwortung der einzelnen appelliert? Plasmaversorgung zu mehr als 50 % in eigener Regie; (Dr. Paul Hoffacker [CDU/CSU]: Das war nachweislich haben die Franzosen noch nach 1985 auch richtig!) Derivate vermarktet, wiewohl sie wußten, daß Infek- tionsgefahr bestand? Müßte aber in diesem Fall die Bundesregierung nicht an sich selbst appellieren und hier für eine In der Bundesrepublik Deutschland hat das BGA die Aufklärung sorgen? Nur dann, meine ich, kann man wissenschaftlichen Erkenntnisse zeitgerecht umge- glaubwürdig bleiben. setzt. Dem müssen Sie doch wohl zustimmen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Aids betrifft uns alle, denn Aids kann alle treffen. Deshalb müssen wir uns fragen: Was ist zu tun? Ich Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Frau Präsi- denke, wir müssen erstens den Betroffenen helfen und dentin, ich kann dem überhaupt nicht zustimmen. Für zweitens Lehren aus diesem medizinischen Super- mich ist das eine Frage des Maßstabes. Ich wehre mich GAU ziehen. ganz entscheiden dagegen, daß die Menschen, die Das Leben und die Gesundheit von 2 000 Menschen tödlich infiziert worden sind, mit solchen Butterbrot- sind zerstört. Der Staat hat zugesehen, wie ihnen die beträgen abgespeist werden. Versicherungen der Pharmaunternehmen Entschädi- Wenn Ihnen der Vergleich mit Frankreich Schwie- gungsverträge abpreßten, die sittenwidrig sind. Unter rigkeiten bereitet, dann lesen Sie die gestrige Presse Ausnutzung ihrer finanziellen Not und ihrer Angst, nach. Dort können Sie lesen, was in Spanien die Anonymität zu verlieren und von der Gesellschaft geschieht. Auch dort sind den Menschen umgerech- ausgegrenzt zu werden, sind sie mit einem Taschen- net zwischen 350 000 und 500 000 DM von Ge richten geld abgespeist worden. zugesprochen worden, weil Präparate importiert wor- Ich denke z. B. an die Frau aus meinem Wahlkreis, den sind. Wegen der Importe ist die Reak tion der deren inzwischen an Aids verstorbener Ehemann, ein Gerichte entsprechend ausgefallen. Bluter, sie ebenfalls infizierte, bevor er von seiner eigenen Infektion wußte. Sie hat 25 000 DM inklusive Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine Beerdigungskosten für ihren Mann von der Versiche- weitere Zwischenfrage? — Ja. rung erhalten, für die Infek tion der Frau, für die man nicht verantwortlich sei — so wurde es dargestellt —, noch 10 000 DM dazu. Dr. Walter Franz Altherr (CDU/CSU): Herr Kollege Schmidbauer, wir wissen alle, daß dieser Vergleich (Antje-Marie Steen [SPD]: Eine Schande! — außergerichtlich zustande kam. Auch wir können ihn Zuruf von der CDU/CSU: Eine Geschichte nicht gutheißen; das ist völlig klar und unbestritten. aus dem „Stern"!) Nur dürfen Sie das nicht der Bundesregierung oder Die Frage lautet: Ist das der Preis für zwei Menschen den Gerichten anlasten. Es war ein außergerichtlicher bei uns in der Bundesrepublik? Vergleich. (Zuruf von der CDU/CSU: Menschen kann Etwas anderes ist die Tatsache — da werden Sie mir man überhaupt nicht bezahlen!) zustimmen —, daß hier eine Nachbesserung erfolgen Die Opfer in Spanien und in Frankreich bekommen muß, und zwar nach dem Verursacherprinzip. Das von den Gerichten umgerechnet zwischen 300 000 heißt, die Pharmafirmen bzw. deren Assekuranzen und 600 000 DM zugesprochen. Das ist die Meßlatte, müssen hier finanziell nachbessern; das ist unbestrit- an der sich unser Staat messen lassen muß. ten. - (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Beifall bei der CDU/CSU) Liste) Wieweit sich der Staat daran beteiligen kann, kann Deshalb fordern wir einen nationalen Hilfsfonds ich derzeit auf Grund der Finanzlage nicht entschei- aus Mitteln der Pharmaindustrie und des Staates, der den; da bin ich auch nicht kompetent. Sie stimmen sofort greift. Die Be troffenen werden im Augenblick dem wohl zu. das Gefühl nicht los, daß man in Bonn und in der Meine Frage wäre also: Stimmen Sie mir zu, daß ein Pharmaindustrie das Problem aussitzen will. außergerichtlicher Vergleich ohne Beteiligung des (Zuruf von der CDU/CSU: Er ist ja unerträg Staates, ohne Beteiligung der Ge richte stattgefunden lich, der Mensch!) hat und daß der außergerichtliche Vergleich zu die- sem Ergebnis geführt hat?

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schmidbauer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ich kann Altherr? nicht zustimmen, daß das ein außergerichtlicher Ver- gleich war. Wenn man den Menschen 25 000 bis 65 000 DM gegeben hat, hat das nichts mit einem Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ja. Vergleich zu tun. Vielmehr sind die Menschen auf Grund ihrer Lebensumstände, die heute den ganzen Dr. Walter Franz Altherr (CDU/CSU): Herr Kollege Tag über dargestellt worden sind, erpreßt worden. Schmidbauer, stimmen Sie mit mir überein, daß dieser (Beifall bei der SPD) 12638 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Horst Schmidbauer (Nürnberg) Gegen diese Form der Sittenwidrigkeit in unserer rechtlichen Fonds durch den BPI nicht für die Gesellschaft müssen wir uns wehren. Wir müssen uns Versicherer präjudizierend wirken. auch dagegen wehren, daß der Staat, die Pharmain- Ich denke, wir müssen diesen Teufelskreis durchbre- dustrie und die Versicherer versuchen, diese chen. Geschichte auszusitzen, weil sie sehr wohl wissen, daß die Menschen nur noch eine geringe Lebenserwar- Was haben wir denn aus dieser Affäre gelernt, tung haben. meine Damen und Herren? Wie verhindern wir eine (Beifall bei der SPD) Wiederholung dieser Katastrophe? In unserem Antrag Da sagen wir: Hier gibt es eine Sorgfaltspflicht des haben wir die vor uns liegenden Aufgaben bereits formuliert. Der Antrag wird heute wahrscheinlich Staates. Der Staat muß in Vorleistung treten, bis die formelle Frage über Ge richte entschieden ist, und er nicht die Zustimmung des Hauses finden. darf das nicht aussitzen, bis die Menschen diese Ich möchte deshalb an dieser Stelle für die SPD Situation nicht mehr erleben. unser Angebot erneuern: Schaffen wir den von mir skizzierten nationalen Entschädigungsfonds sofort! Reformieren wir vor allem das Arzneimittelgesetz! Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie Bauen wir eine na ti eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten onale Eigenversorgung mit Blut Dr. Voigt? und Blutplasma auf! Wenn die Menschen bei uns begreifen, daß sie mit einer unentgeltlichen Blut-/Plasmaspende vor allem Dr. Hans-Peter Voigt (Northeim) (CDU/CSU): Herr sich selbst helfen und schützen, können wir endlich Schmidbauer, stimmen Sie mit mir überein, daß auf ein Veranlassung und Bitten der Vertreter der organisier- Importverbot für Blut und Plasma durchsetzen. Entziehen wir dem Geschäft mit dem Blut die Grund- ten HIV-infizierten Bluter die Bundesregierung und lage! Aber auch bei uns darf mit Blut- und Plasma- auch die damalige Enquete-Kommission nicht han- spenden kein Geschäft gemacht werden. Nur so deln sollten? können wir die Menschen zu solidarischem Handeln Stimmen Sie mir zu, daß diese Vertreter uns gebeten gewinnen. Verhindern wir, daß sich eine solche Tra- haben, einen außergerichtlichen Vergleich in eigener gödie wiederholt! Regie durchführen zu können, und ausdrücklich die Enquete-Kommission gebeten haben, sich mit diesem (Vorsitz: Vizepräsident Helmuth Becker) Thema nicht zu beschäftigen, weil sie der Meinung Ich sage zum Schluß: Was helfen die besten Absich- sind, daß dieses Thema nicht in der Öffentlichkeit ten, die gemeinsamen Einsichten, die heute formuliert diskutiert werden sollte? worden sind, wenn der eigentliche Durchbruch fehlt. Den Durchbruch hin zu einem gesellschaftlichen Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Ich kann Konsens sehen wir immer noch als eine große Aufgabe Ihnen nur zustimmen, daß ich aus der Anhörung weiß, an. Wir wünschen Ihnen Kraft und Mut, Herr Minister, daß die Verbände konkrete Vorstellungen über die diese Frage anzugehen, denn Aids bet rifft uns alle, da zukünftige Lösung haben. Sie denken an einen natio- Aids alle treffen kann. nalen Fonds, der durch die Pharmaindustrie bzw. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke deren Versicherer und die Bundesregierung gespeist Liste) wird. Frau Präsidentin, meine Kolleginnen und Kollegen, ich denke, wenn man weiterhin so vorginge, wäre das eine Verhöhnung der Opfer. Die Rechtskultur unserer Vizepräsident Helmuth Becker: Weitere Wortmel- Gesellschaft würde schweren Schaden leiden. dungen liegen nicht vor. Ich schließe die Ausspra- che. Ich frage mich, woher eigentlich unsere Zurückhal-- tung kommt. Die Pharmaindustrie signalisierte Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluß- Bereitschaft, sich an einem nationalen Fonds zu betei- empfehlung des Ausschusses für Gesundheit zu dem ligen. Ich zitiere, 22. Januar 1993: Zwischen- und Endbericht der Enquete-Kommission „Gefahren von Aids und wirksame Wege zu ihrer Die zusätzliche Einrichtung eines staatlichen Eindämmung" auf Drucksache 12/4485. Hilfsfonds unter humanitären Gesichtspunkten für alle durch Blutprodukte Geschädigten sollte Dazu liegt ein Änderungsantrag der Frak tion der nachhaltig betrieben werden. SPD auf Drucksache 12/4528 vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag der Die Versicherungen versuchen dagegen, von den Fraktion der SPD? — Gegenprobe! — Der Antrag der einkassierten Millionen oder Milliarden möglichst SPD ist durch die Stimmen der Koalitionsfraktionen nichts herauszurücken. In einem Schreiben aus Mün- abgelehnt worden. Enthaltungen hat es nicht gege- chen an den Bundesverband Pharma ist formuliert ben. Der Änderungsantrag ist damit also abgelehnt. — das möchte ich zitieren —: Im Einvernehmen mit führenden Erstversiche- Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Aus- rern dürfen wir hierzu anmerken, daß die Haft- schusses für Gesundheit? — Gegenprobe! — Die pflichtversicherer, die das Pharmaprodukthaft- Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- pflichtrisiko abdecken, keine Veranlassung se- tionsfraktionen bei denselben Stimmverhältnissen hen, über die geleisteten Schadenzahlungen hin- angenommen. aus etwaige Liberalitätsleistungen zu erbringen. (Zuruf von der CDU/CSU: Da waren Enthal Insofern kann die Befürwortung eines öffentlich tungen!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12639

Vizepräsident Helmuth Becker — Bei einer Enthaltung. Entschuldigung, das habe ich bis zu den Energieanbietern, von der chemischen nicht gesehen. Industrie bis zur Automobilindustrie.

Ich rufe nunmehr Punkt 12 der Tagesordnung Die Gewinner einer Klimaschutzpolitik melden sich auf: weniger lautstark und liegen der Bundesregierung weniger am Herzen. Damit meine ich nicht nur a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- diejenigen, die Leidtragende einer verfehlten Klima- ten Monika Ganseforth, Dr. Liesel Hartenstein, schutzpolitik sein werden, nämlich die nachfolgenden Dr. Klaus Kübler, weiterer Abgeordneter und Generationen, sondern ich meine die Branchen, die der Fraktion der SPD von einer Klimaschutzpolitik profitieren würden: der Umsetzung der Empfehlungen der Enquete- Bausektor, Handwerk und Industrie, vor allen Dingen Kommission dezentral. „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" Es ist erwiesen, daß je eingesparter Energiemenge, durch die Bundesregierung die in 25 000 t Heizöl entsprechend umgerechnet — Drucksachen 12/2669, 12/4280 — werden kann, netto 100 Arbeitsplätze entstehen. b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Genaugenommen entstehen zwar noch mehr Arbeits- regierung plätze, aber es fallen auch welche weg; der Gewinn Bericht der Bundesregierung über die Konfe- beträgt netto 100 Arbeitsplätze. renz der Vereinten Nationen für Umwelt und Die Produktions- und Exportzahlen energiesparen- Entwicklung in Rio de Janeiro (3. bis 14. Juni der Produkte haben sich in der Vergangenheit über- 1992) proportional entwickelt. Während beispielsweise die — Drucksache 12/3380 — Zuwachsraten aller Exporte in der Bundesrepublik Überweisungsvorschlag: von 1982 bis 1988 jährlich durchschnittlich 3,9 % Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit betrugen, erreichten sie bei energiesparenden (federführend) Auswärtiger Ausschuß Erzeugnissen wie Heizkessel, Wärmepumpen, elek- Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten tronischen Gütern 9 % jährlich, d. h. mehr als doppelt Ausschuß für Frauen und Jugend soviel. Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- schätzung Aus diesem Grunde ist eine ökologische Steuerre- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit form, wie sie die SPD seit langem fordert und wie sie in Zur Großen Anfrage liegen je ein Entschließungs- unserem Entschließungsantrag nachzulesen ist, näm- antrag der Fraktion der SPD und der Gruppe BÜND- lich die Arbeit finanziell zu entlasten, aber den Ener- NIS 90/DIE GRÜNEN vor. gie- und Rohstoffverbrauch schrittweise zu belasten, Ich weise darauf hin, daß die Gruppe BÜNDNIS 90/ das Gebot der Stunde. DIE GRÜNEN zu ihrem Entschließungsantrag na- (Beifall bei der SPD) mentliche Abstimmung wünscht. Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentliche Abstim- Langfristiges strategisches Denken und Handeln gibt mung aber nur von einer Fraktion oder von anwesen- es bei dieser Regierung jedoch weder in Fragen der den 5 v. H. der Mitglieder des Hauses verlangt wer- Wirtschaft noch in Fragen des Umweltschutzes. den. Ob der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die erforderliche Unterstützung hat, wird (Georg Gallus [F.D.P.]: Aber die Mineralöl nach Ende der Aussprache festgestellt. steuererhöhung stimmt!) Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die — Ich bin ja einmal gespannt, ob Sie hier zur Vignette gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden vorge- oder zur Mineralölsteuererhöhung reden. Das ist ja sehen. — Ich höre und sehe keinen Widerspruch. überhaupt noch nicht festgelegt, geschweige denn in Dann ist das so beschlossen. - ein langfristiges Konzept mit stufenweisen Erhöhun- Ich eröffne die Aussprache. Als erste hat unsere gen auf der einen und Entlastungen auf der anderen Frau Kollegin Monika Ganseforth das Wo rt. Seite, von dem ich geredet habe, eingebettet. Wir wollten in unserer Großen Anfrage „Umsetzung Monika Ganseforth (SPD): Herr Präsident! Liebe der Empfehlungen der Enquete-Kommission ,Vor- Kolleginnen und Kollegen! Hat die Bundesregierung, sorge zum Schutz der Erdatmosphäre' durch die hat die sie tragende Koalition es wirklich ernst Bundesregierung" erfragen, ob die Regierung noch zu gemeint, als sie vor fast drei Jahren den Beschluß dem von ihr propagierten Reduktionsziel steht und gefaßt und vor allen Dingen verkündet hat, die wie sie es umsetzen wi ll. Damals hieß die Enquete- CO2-Emissionen in der Bundesrepublik um 25 bis Kommission noch „Vorsorge zum Schutz der Erdat- 30 % in bezug auf den Zeitraum von 1987 bis zum Jahr mosphäre"; inzwischen heißt sie nur noch „Schutz der 2005 zu reduzieren? Jedenfalls hat sie seitdem keinen Erdatmosphäre"; denn für eine Vorsorge ist es ja konkreten Schritt zur Umsetzung des Beschlusses längst zu spät. getan. Statt dessen haben sich Kanzler, Umweltmini- ster und Umweltpolitiker der Koalition international Daß die Beantwortung der Großen Anfrage lange — besonders in Rio — für ihren weitgehenden dauerte, hat uns nicht beunruhigt, denn gut Ding will Beschluß feiern lassen. Das ist ja auch einfacher und Weile haben. Was dann aber nach neun Monaten weniger anstrengend als die notwendigen Maßnah- dabei herauskam, war weniger als das sprichwörtliche men gegen die Interessen und Lobbyisten durchzuset- Mäuslein. Im Konfliktfall hat sich der Umweltminister zen, und es gibt sie reichlich von der Ziegeleiindustrie beim Klimaschutz nirgends gegen seine Kabinettskol- 12640 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Monika Ganseforth legen und -kolleginnen durchgesetzt, wie die Antwor- deshalb keine ordnungspolitischen Maßnahmen zur ten zeigen. Verstärkung erneuerbarer Energien geplant sind und der Einsatz der Kraft-Wärme-Kopplung seitens der (Horst Kubatschka [SPD]: Leider!) Bundesregierung nicht unterstützt wird. Ein Gesetz- So heißt es auf die Frage nach den konkreten Maß- entwurf für die Verbesserung der Einspeisbedingun- nahmen beispielsweise: ist anzustreben; ist zu prüfen; gen für Kraft-Wärme-Kopplung wird vom Land Bran- wird derzeit erarbeitet; die Regierung wird sich ein- denburg eingebracht, und es wäre ungeheuer wich- setzen; die Untersuchungen sind noch nicht abge- tig, daß der Bundestag diese Initiative aufnimmt und schlossen. Und das nach vielen Jahren Propagierung unterstützt. des Ziels! Zur Novellierung des lange zugesagten Energie- Zum Beispiel die Wärmeschutzverordnung, die wirtschaftsgesetzes aus dem Jahre 1935 habe es beim Neubau, aber besonders bei der Renovierung — man höre und staune — erste Gespräche innerhalb des Gebäudebestandes große Energiesparpotentiale der Bundesregierung gegeben, heißt es in der Ant- bringen würde, die sogar wirtschaftlich wäre, hakt wort. Den 1991 von der SPD eingebrachten Entwurf nach wie vor. Daß der vorliegende Entwurf völlig lehnt die Bundesregierung natürlich ab. Sie setzt statt unzureichend ist und gerade dem Standard entspricht, dessen auf Kernenergie. So wundert es nicht, daß den Schweden vor mehr als zehn Jahren hatte, sei nur inzwischen die Spatzen von den Dächern pfeifen: Die am Rande erwähnt. Der Altbau bleibt völlig unberück- Bundesregierung hat den Mund zu voll genommen; sichtigt. sie wird das Reduktionsziel von 25 bis 30 % bei CO2 bis zum Jahr 2005 so nicht erreichen. Das wird für das Zur Wärmenutzungsverordnung und deren Novel- Klima schlimme Folgen haben und bedeutet für unser lierung, die seit fast zehn Jahren im Entwurf vorliegt, Land eine gigantische Blamage. heißt es, sie solle möglichst bald den beteiligten Kreisen zur Anhörung zugeleitet werden. Dabei wäre Mit Spannung erwartet man dann die Antwort auf ihr Effekt für den Klimaschutz enorm: 100 Millionen t die Frage, ob die Bundesregierung an ihrem Reduk- CO2-Ersparnis jährlich oder ein Drittel des notwendi- tionsziel festhalte. Die Antwort auf diese entschei- gen Einsparpotentials. Bitte bringen Sie das voran! dende Frage ist vieldeutig. Das läßt nur den Schluß zu, daß sich die Regierung von ihrem Ziel verabschiedet Auch die Novellierung der Honorarverordnung für hat. Architekten und Ingenieure wird derzeit vorbereitet. Ich habe eine Frage: Mit der Zeit hat es hier eben Wir haben gestern in Leipzig wieder gehört, daß es einen Sprung gegeben. Ist das richtig? sehr wichtig sei, sie zu verabschieden. Das ist durch- gängig das Niveau der Antworten; die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Vizepräsident Helmuth Becker: Jawohl, Frau Kolle- gin. Sie haben fünf Minuten länger Zeit. Daß die Bundesregierung die Bundesbürger im Verkehrsbereich mit Vollgas in den Verkehrskollaps rasen läßt, ist inzwischen allgemein bekannt. Mit dem Monika Ganseforth (SPD): Ich habe jede Menge aus Entwurf des Bundesverkehrswegeplanes nimmt die meiner Rede herausgelassen, weil die Uhr schon so steigende CO2-Emission um mindestens 38 % bis zum weit war. Auf einmal ist sie wieder zurückgegangen. Jahr 2005 zu, wie das Prognos-Institut ermittelt hat. In Das ist eine merkwürdige Uhr. Vielleicht geht es bei der Vergangenheit übertrafen die tatsächlichen der Bundesregierung in bezug auf die CO2-Problema- Zuwächse immer noch alle Prognosen. Damit werden tik entsprechend. mögliche CO2-Minderungsbemühungen auf anderen (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) Gebieten von vornherein unterlaufen. (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Aber ihr Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin, es stellt trotzdem Anträge für mehr Straßen in kann sich nur um ein Mißverständnis zwischen jedem Wahlkreis!) Geschäftsführern und Präsidium h andeln. Die Bun- — Es geht nicht um Einzelfälle, es geht um das desregierung ist diesmal nicht schuld. gesamte Konzept. Da ist der Wurm drin. (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!) Monika Ganseforth (SPD): Vielleicht hat der Bun- Natürlich spricht sich die Regierung gegen eine desminister ja auch noch irgendwo Reserven in petto. stärkere Anlastung der Kosten auf den Straßengüter- Man kann es nur hoffen. verkehr aus, dabei weiß doch jeder, daß er von der Allgemeinheit hoch subventioniert wird. Die Regie- (Horst Kubatschka [SPD]: Töpfer dreht die rung meint, die Bahn habe auch so durchaus eine Uhr zurück!) Chance. Ich appelliere an Sie: Weichen Sie heute diesen Fragen nicht aus, indem Sie über Rio berichten. Das Auch bei der Energiepolitik hat die Bundesregie- globale Denken ist wichtig, aber zum globalen Den- rung die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Obwohl es ken gehört auch das lokale H andeln. mittlerweile Allgemeingut ist, daß die Energieversor- gungsunternehmen zu Energiedienstleistungsunter- (Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt! Aber bei nehmen umgewandelt werden müßten, „beabsichtigt jedem!) die Bundesregierung nicht, Einfluß auf die Unterneh- Herr Töpfer, ergreifen Sie die notwendigen Maßnah- menszielsetzung von Energieversorgungsunterneh- men. Energieverbrauch ist kein Schicksal, sondern men zu nehmen". Da wundert es auch nicht, daß Ergebnis politischer Entscheidungen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12641

Monika Ganseforth Schönen Dank. wirtschaftung und -erhaltung. Ich will ganz deutlich (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste sagen, daß wir an Stelle dieser Walddeklaration eine sowie des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige verbindliche Waldkonvention brauchen, um auch in [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) dieser für die Welt wichtigen Problematik ein Stück weiterzukommen. Ich möchte aber auch deutlich sagen, daß es genauso wichtig ist, das von der Bun- Vizepräsident Helmuth Becker: Nächster Redner ist desregierung vorgelegte Ratifizierungsgesetz, wofür unser Kollege Dr. Klaus Lippold. ich nochmals ganz ausgesprochen danke, jetzt dem Parlament zuzuleiten, damit wir es verabschieden können. Denn es hat wenig Sinn, daß die Bundesre- Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr gierung zwar ihre Schularbeiten macht, wir dieses Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gesetz aber nicht zugeleitet bekommen, um es zu Die ökonomische und wissenschaftliche Auseinan- verabschieden. Es wäre schon gut, wenn wir zu den dersetzung mit der Klimaproblematik stellt nach dem ersten Nationen gehörten, die hier ratifizieren. Ende der Ost-West-Auseinandersetzung eine der schwierigsten Herausforderungen für Entwicklung (Monika Ganseforth [SPD]: Das ist schon und Umsetzung einer dauerhaften S trategie zur längst zu spät! Die USA haben schon!) Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen dar. — Zu den ersten europäischen Nationen, die dies Die politische Moral läßt es nicht zu, das sich ratifizieren, habe ich gemeint. Mir wäre es auch lieber abzeichnende Gefälle zu ignorieren und die Kosten gewesen — darüber brauchen wir uns gar nicht zu des Handelns der nächsten Generation zu übertragen. streiten —, wenn wir noch vor den USA ratifiziert Diese Aussage hat globale Gültigkeit. Doch wir stehen hätten. Wir können nicht auf der einen Seite die USA wegen ihres zögerlichen Verhaltens schelten und auf erst am Beginn globalen Handelns. der anderen Seite selbst nicht ratifizieren. Da werden (Monika Ganseforth [SPD]: Seit Jahren!) wir selbst zulegen müssen. Die internationale Gemeinschaft steht vor neuarti- gen Fragen, vor Problemen, für die sie — das hat auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der der Club of Rome so gesehen — nicht genügend F.D.P. und der SPD) erprobte, eingefahrene internationale Entscheidungs- Meine Damen und Herren, das ist einer der Punkte, mechanismen hat. wo wir etwas tun müssen, aber es gibt eine ganze Die Bundesrepublik Deutschl and hat bisher inter- Reihe weiterer Punkte. national mit großem Erfolg darauf hingearbeitet, diese internationale Herausforderung aufzugreifen, das (Monika Ganseforth [SPD]: Sehr richtig!) Problem in seiner ganzen Tragweite bewußt zu machen und politische Lösungsstrategien europäisch Ich glaube, wir müssen auf europäischer Ebene deut- und weltweit voranzutreiben. lich machen, daß hier ein gemeinsames Voranschrei- ten notwendig ist. Ich spreche mich nochmals ganz Ich wiederhole: Die Klimaveränderung ist ein glo- deutlich dafür aus, in der Frage der CO2 Energie- bales Problem. Maßnahmen einzelner Staaten reichen steuer europäisch die Dinge entscheidend voranzu- nicht aus, hier etwas zu bewegen. Mit der Konferenz treiben. der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio ist es zum erstenmal gelungen, über 150 Staaten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und zusammenzubringen, die bereit waren, gemeinsam der F.D.P.) nach Lösungen für die Umweltprobleme zu suchen. Dies war aber nur möglich, indem die umweltpoliti- Die Rahmenbedingungen, an die diese Frage schen Themen eng mit der Entwicklungspolitik ver- geknüpft wurden, waren, daß sich in den USA etwas knüpft wurden, ein Zusammenhang, den ich für - bewegt und Japan Vergleichbares tut. Die USA haben ausgesprochen richtig halte. sich unter Clinton und seinem Vizepräsidenten bewegt, und die Japaner haben sowieso ein höheres Die Bundesrepublik hat bei der Vorbereitung dieses Energiepreisniveau als wir. Insofern entfällt eine dies- Abkommens international eine führende Rolle ge- bezügliche Argumentation. Die Jap aner überlegen spielt. Ihr Beitrag und die Ausführungen von Bundes- auch, wie sie Steuern ökologisch effizient einsetzen, kanzler Kohl in Rio ebenso wie der Einsatz unseres — genau das, was auch wir tun wollen. Wenn die Bundesumweltministers, dem dafür nochmals ganz Amerikaner und die Japaner dies tun, gehe ich davon herzlich zu danken ist, haben weltweit Beachtung und aus, daß auch dieses Haus bereit ist, über entspre- Anerkennung gefunden. chende Fragen noch einmal intensiv nachzudenken (Monika Ganseforth [SPD]: Das ist auch und die richtigen Entscheidungen zu treffen. leichter, als sich gegen die Lobby durchzu setzen!) (Beifall des Abg. Horst Kubatschka [SPD] — In Rio wurden zwei nach ihrem Inkrafttreten völker- Zuruf von der F.D.P.: Ganz Europa!) rechtlich verbindliche Übereinkommen von mehr als Ich halte es für wichtig, bei der CO2-Energiesteuer 150 Staaten sowie der EG unterzeichnet: eine Rah- deutlich zu machen, daß wir Anrechnungsmöglich- menkonvention zum Schutze des Klimas und eine keiten schaffen, daß wir Kompensationsmöglichkei- Konvention zum Erhalt der biologischen Vielfalt. ten schaffen, damit wir wirtschaftlich vorgehen kön- Darüber hinaus einigte m an sich auf eine nicht nen, und daß wir die CO2-Reduktion nicht auf dem verbindliche Grundsatzerklärung über die Waldbe- teuersten Wege erreichen wollen, sondern nach 12642 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Wegen suchen, wie wir die CO2-Reduktion wirtschaft- Heizungsanlagenverordnung, Wärmenutzungsver- lich vernünftig erreichen können. ordnung — da allerdings in praktikabler Form — sind (Zuruf der Abg. Monika Ganseforth [SPD]) weitere Stichworte, die angesprochen werden müs- sen. Diese Wege müssen wir uns offenhalten. Das halle ich für wichtig. Ich rede auch nicht drumherum. Gerade die Diskus- sion gestern in Leipzig hat mir deutlich gemacht, daß Frau Ganseforth, man kann in dem einen oder ich von den mitteldeutschen Ländern Reduktionen in anderen Punkt sicherlich unterschiedliche Auffassun- der Braunkohle nicht erwarten kann, wenn ich nicht gen haben, aber in der Grundzielsetzung sind wir uns auch im westdeutschen Bereich deutlichere Reduktio- doch sicher wie selten einig. Daß wir uns dann bei nen als bisher bei der Steinkohle hinzunehmen bereit Detailfragen darüber unterhalten, was der bessere bin. Ich kann nicht von den einen etwas verlangen Weg ist, halte ich politisch für ein zulässiges Verfah- — was sie mit der Reduktion im Braunkohlebergbau ren. übrigens schon überdurchschnittlich geleistet ha- Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ben —, wenn es bei den anderen heißt: Business as hat in mehreren Kabinettsbeschlüssen die CO2- usual. Das geht nicht. Reduktion mit ihrem Reduktionsziel von 25 bis 30 % (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. ) festgelegt. Ich verstehe nicht, Frau Ganseforth, warum Sie daran zweifeln. Es ist immer wieder deutlich Deshalb müssen wir hier auch sehen, daß wir die gemacht worden — ich gehe davon aus, daß das auch Dinge vorantreiben. gleich nicht anders sein wird —, daß die Bundesregie- Frau Kollegin Ganseforth, es gibt, wie immer im rung zu diesem Ziel steht. Leben, auch hier Punkte, zu denen man unterschied- Es ist vielfach Nebel gestreut worden mit dem liche Auffassungen hat. Zu den Punkten, bei denen Hinweis, in der Enquete-Kommission sei berichtet wir unterschiedlicher Auffassung sind, gehört der worden, die Bundesregierung sei abgewichen. Das Einsatz der Kernenergie. Ich gehe davon aus, daß war aber nicht so. Hier wurde gesagt: Wir haben einen Kernenergie verantwortbar ist; denn wenn sie nicht Maßnahmenkatalog. Wir haben durchgeprüft, was verantwortbar wäre, müßten wir sie sofort und nicht dieser Maßnahmenkatalog bringt. Es zeichnet sich ab, übermorgen abschalten. daß er vielleicht unzureichend sein könnte. Also Da liegt Ihr Widerspruch. Sie sagen: Kernenergie ist wurde gesagt: Wir haben in Auftrag gegeben, nach nicht verantwortbar, aber abschalten tun wir sie nicht. weiteren Strategien zu suchen, die sinnvoll ergänzend — Da gebe ich dem Kollegen Feige recht, der in eingesetzt werden können, um dieses Ziel zu errei- diesem Punkt wesentlich konsequenter ist. Er hält die chen. — Da bin ich durchaus der Meinung, daß wir Kernenergie nicht für verantwortbar und will abschal- dies tun sollten. ten. Sie halten die Kernenergie nicht für verantwort- Es ist ja immer so, daß m an infolge der vorgegebe- bar und wollen sie beibehalten. nen Zeit nicht alles das behandeln kann, was man Ich sage: Wir brauchen die Kernenergie zur Lösung eigentlich behandeln möchte. Deshalb wi ll ich jetzt des Problems des Treibhauseffekts, zur Lösung des nur noch auf einige Stichworte hinweisen, auf die Problems der Klimakatastrophe als einen Beitrag. Ich meine Kollegen Paziorek und Ruck sicherlich noch sage das so, damit nicht wieder hinterher das faule ausführlicher eingehen werden. Das eine bet rifft den Argument kommt, wir wollten allein über Kernener- ersteren Bereich, und das andere ist eine Schlußbe- gie die Problemlösungen schaffen. Das hat nie jemand merkung zur Entwicklungspolitik. behauptet. Dieser Pappkamerad wird immer erst Ich glaube, es ist wichtig, daß die Wärmeschutzver- aufgebaut, um ihn dann glorreich besiegen zu kön- ordnung verabschiedet wird. Wie ich der Antwort der nen. Bundesregierung auf die Anfrage der SPD entnehme, Wir brauchen also auch die Kernenergie. Ich bitte ist diese Verordnung wirtschaftlich vertretbar. Dies darum, daß man den Club of Rome nicht immer nur freut mich. Ich kann also davon ausgehen, daß sie dann zitiert, wenn es einem in den Kram paßt, sondern auch umgesetzt wird, und zwar sofort. ihn auch dann zitiert, wenn er ansonsten zu fundierten Wir sollten durchaus darüber nachdenken, was an Ergebnissen kommt. langfristigen Zielen vorzugeben ist, urn das effizient (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu gestalten. Aber das wird eine Aufgabe der kom- Der Club of Rome hat ganz deutlich gesagt: Die menden Monate sein. Kernkraft ist angesichts des Treibhauseffekts und der Wir brauchen darüber hinaus eine Förderung, ein Klimakatastrophe eine Va riante, eine Op tion, die man Förderungsprogramm, ein Förderungskonzept für einbeziehen muß, um zur Problemlösung zu kom- den Altbaubestand — das ist ein Punkt, auf den ich men. noch einmal hinweisen möchte —, weil das große (Zurufe von der SPD) Einsparpotential im Altbaubestand liegt. Auch hierzu Wir werden darüber hinaus im Verkehrsbereich kann ich in der Kürze der Zeit nicht mehr sagen. Lösungen finden müssen. Dazu gehört mit Sicherheit Ich glaube, daß wir auch hier wirtschaftlich vorge- die Verringerung des Flottenverbrauchs. Wir werden hen können; denn dieses Förderungsprogramm wird die Anregungen der Indust rie hierzu, dies steuerpoli- ein Selbstläufer sein. Es aktiviert privatwirtschaftliche tisch zu begleiten, aufgreifen. Mittel und spielt damit die Kosten, die es verursacht, Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. selbst wieder ein. Ich finde, besser kann man eine solche Lösung gar nicht erreichen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12643

Vizepräsident Helmuth Becker: Nächste Rednerin als nutzlos und zuwenig restriktiv verstellen den Blick ist Frau Kollegin Man ta Sehn. auf den in Gang gesetzten Prozeß, entmutigen viele Bürger und führen letztendlich zu Desinteresse. Diese Situation haben wir jetzt, zumindest wenn es um Manita Sehn (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Präsident! Klimaschutz geht. Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Sensibilität Auch die Ergebnisse der Konferenz der Vereinten der Bürger in Fragen des Klima- und Umweltschutzes Nationen über Umwelt und Entwicklung wurden in ist hoch. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage in der Öffentlichkeit und natürlich auch von den Damen Ost- und Westdeutschland aus dem letzten Jahr im und Herren der Opposition als völlig unzureichend Auftrage des Bundesumweltministeriums hat erge- und folglich als nutzlos dargestellt. Also keine Hoff- ben, daß 74 % der Bürger glauben, daß wir uns zur Zeit nung für den Umwelt- und Klimaschutz? in einer schweren Umweltkrise befinden. Die restli- chen 26 % sehen die K rise in der Zukunft heraufzie- Wer die ausgehandelten Abkommen als leere Hill hen. Ich als Mitglied der Enquete-Kommission sen bezeichnet, hat nicht beg riffen, welcher Prozeß in „Schutz der Erdatmosphäre" halte diese Umfrage des Rio in Gang gesetzt wurde. Sicherlich enthält die Instituts für praxisorientierte Sozialforschung für Klimaschutzkonvention keine völkerrechtlich bin- überaus interessant und aufschlußreich. dende Verpflichtung der industrialisierten Staaten zur Begrenzung ihrer CO2-Emissionen. Die Emissions- In der Liste der drängenden Probleme nehmen das festschreibung ist aber auch nur ein kleiner Schritt zu Ozonloch, die Luftverschmutzung, die Müllprobleme einer langfristig angelegten globalen Klimaschutz- und die Klimaveränderungen die vordersten Plätze politik. Eine sorgfältige Analyse an Stelle voreiliger ein. Die Verkehrsprobleme stehen im Mittelfeld des Kritik zeigt den Wert dessen, was in Rio erreicht Problemkatalogs. Erst am Ende findet sich u. a. das wurde. Stichwort Überbevölkerung, das mit den an erster Stelle stehenden Umweltproblemen ursächlich eng Die UN-Konvention zum Schutz des Klimas steckt verknüpft ist. den Rahmen für die zukünftige internationale Zusam- Gleichzeitig sind 72 % der Bürger der Meinung, daß menarbeit ab und schafft die dazu erforderliche insti- die bestehenden deutschen Umweltgesetze nicht aus- tutionelle Struktur. Das ist in dieser frühen Phase einer reichen bzw. daß die behördliche Überwachung unzu- internationalen Kooperation zum Schutz des K limas reichend ist. angesichts großer Interessenunterschiede und eines unterschiedlich stark ausgeprägten Problembewußt- (Zuruf des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige seins ein bedeutsamer Schritt in die richtige Rich- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) tung. — Die Bürgerinnen und Bürger, Herr Feige, sehen vor allem den Staat und die Wirtschaft in der Verantwor- Das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozon- tung. schicht und das Montrealer Protokoll beweisen, daß eine Rahmenkonvention und deren anschließende Bei den Antworten kommt klar zum Ausdruck, daß sukzessive Ausgestaltung erfolgreich zu einer völker- das Bewußtmachen zum größten Teil noch nicht tief rechtlich verbindlichen Festlegung des Verzichts auf genug greift. Persönliche Interessen stehen oftmals im klimaschädigende Stoffe führen. Ausstiegsfristen Gegensatz zu den Interessen der Allgemeinheit. können international den Erfordernissen rasch ange- Umweltschädigende Einflüsse, die von jedem einzel- paßt werden. nen ausgehen, werden nicht als solche registriert. Hier muß mehr Bewußtsein in die Verantwortung eines Für außerordentlich wichtig halte ich, Herr Töpfer, jeden geschaffen werden. die Einbringung der Parlamentarier in den UNCED- follow-up-Prozeß. Von besonderem Interesse sind für Liebe Frau Ganseforth, Ihre Rede hat mich dazu mich die Vorstellungen der Bundesregierung dar- veranlaßt, ein bißchen von meinem Konzept abzuwei- - über, wie dies im einzelnen geschehen soll. chen. Ich bitte Sie ganz herzlich, die von Ihnen hier aufgeführten Ziele, die in der Tat durchaus erstre- Auch die Nichtregierungsorganisationen dürfen benswert sind, zunächst einmal in Ihrer eigenen Partei nicht aus dem weiteren Prozeß ausgeschlossen wer- umzusetzen. den. Ein geeignetes Verfahren dafür muß gefunden (Beifall des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige werden. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Agenda 21 als das Handlungsprogramm für die Ich habe zumindest durch meine Tätigkeit im Wirt- nächsten Jahre und Jahrzehnte muß endlich, amtlich schaftsausschuß und im Haushaltsausschuß nicht den übersetzt und mit Register versehen, der Öffentlich- Eindruck, daß Ihre eigenen Kollegen das so sehen wie keit breit zugänglich gemacht werden. einige wenige hier. Die Entwicklungsländer müssen die Chance zum (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Aufbau einer tragenden Wirtschaft bekommen. Freier Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht hier hinstellen, Handel ist die beste Entwicklungshilfe. Die protektio- wenn ich nicht wüßte, daß ich meine Fraktion oder nistischen Einfuhrregelungen der EG für Bananen zumindest eine Mehrheit meiner Fraktion im Rücken stehen in krassem Widerspruch dazu. habe. Aber auch die Entwicklungsländer selbst müssen Die kritische Begleitung der Umweltpolitik durch ihren Beitrag leisten, indem sie die Rahmenbedingun- die Öffentlichkeit ist gut ,und richtig. Voreilige Verur- gen für eine funktionierende Wirtschaft wie die Schaf- teilungen von Maßnahmen zum Schutz der Umwelt fung einer demokratischen Staatsstruktur, den Auf- 12644 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Marita Sehn bau einer effizienten Verwaltung, den Ausbau des Viertens. Über die Umstellung der Kfz-Steuer auf Bildungswesens, die Bekämpfung der Korruption und eine emissionsbezogene Steuer mit einer CO2-Kom- Maßnahmen zur Verringerung des Bevölkerungs- ponente wird man demnächst ebenfalls diskutieren wachstums voranbringen. müssen. Legt man Schätzungen zugrunde, nach denen im (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Jahre 2030 rund 10 Milliarden Menschen auf diesem Globus leben, die zunehmend, und dies zu Recht, Die F.D.P. unterstützt das ehrgeizige Ziel der Bundes- nach dem Lebensstandard der Industrienationen stre- regierung, bis zum Jahr 2005 eine Verminderung der ben, erscheinen mir unsere Bemühungen zur CO2- energiebedingten CO2-Emissionen in der Bundesre- Minderung schon jetzt überholt und eigentlich nutz- publik um 25 bis 30 % zu erreichen. Ich denke, dieses los. Ziel ist auf der Grundlage einer vernünftigen Zusam- menarbeit aller Beteiligten auf Bundes- und auf Lan- Aufbauend auf der guten Vorarbeit der Enquete desebene zu schaffen. Kommission schon in der letzten Legislaturperiode, verfügen wir über ein gutes nationales Programm zur Folgende Maßnahmen — um nur einige zu nennen, Reduzierung der CO2-Emissionen. Frau Ganseforth — mit tendenziell CO2-mindernden Wirkungen sind bereits in Kraft: Für das Gebiet der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) neuen Bundesländer ist ein mehrjähriges gemeinsa- Dies gilt es umzusetzen. mes Bund-Länder-Förderungsprogramm zur Sanie- Unter anderem gehören dazu: rung und Modernisierung von Fernwärmeversor- gungsnetzen mit besonderem Schwerpunkt bei der Erstens. Die Novellierung des Energiewirtschafts- gesetzes. Voraussetzung ist hier der Energiekonsens. Kraft-Wärme-Kopplung aufgelegt worden. Die Förde- Dazu müssen sich alle beteiligten Parteien bewe- rung begann 1992 mit Bundesmitteln in Höhe von gen. 150 Millionen DM im Gemeinschaftswerk Auf- schwung Ost. Es folgten das Stromeinspeisungsge- (Dr. Berthold Reinartz [CDU/CSU]: So ist setz, mit dem die Elektrizitätsversorgungsunterneh- es!) men zur Annahme von S trom in das öffentliche Netz Für die F.D.P. führt auf absehbare Zeit kein Weg an und zur Vergütung dieser Stromeinspeisung mit an einem Energiemix mit der Kernenergie unter Einhal- den Durchschnittserlösen orientierten festen Sätzen tung der Sicherheitstechnik vorbei, verpflichtet werden, sowie das 250-Megawatt-Wind- energieprogramm und das 1 000-Dächer-Photovol- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) taikprogramm zur Förderung regenerativer Ener- solange andere, vergleichbar versorgungsgünstige, gien. umweltfreundliche und preisgünstige Energie träger nicht zur Verfügung stehen. Klimaschutzpolitik kann aber nicht an unseren nationalen Grenzen haltmachen. Nationale Allein- Frau Ganseforth, ich empfehle Ihnen als Lektüre gänge sind eher kontraproduktiv. den Artikel eines SPD-Bundestagsabgeordneten, nämlich Horst Niggemeier, im „Handelsblatt" von (Zurufe von der CDU/CSU: Richtig!) gestern. Ich denke, es ist ganz aufschlußreich, wenn Eine gesamtwirtschaftliche Verschlechterung, be- man das einmal liest. dingt durch Wettbewerbsverzerrungen, verhindert (Brigitte Adler [SPD]: Ich weiß nicht, was der Investitionen zum Schutze der Umwelt. Vielmehr gilt für eine Mehrheit hat!) es, das langfristige Eigeninteresse der Verursacher Ein Ausstieg aus der Kernenergie muß zwangsläufig am Umwelt- und Klimaschutz zu wecken. mit dem Anstieg der CO2-Emissionen erkauft wer- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut!) den. - Gehörte die USA bislang eher zu den Verzögerern Zweitens. Die Novellierung der Wärmeschutzver- in der internationalen Klimaschutzpolitik, so zeichnet ordnung, der Heizungsanlagenverordnung und der sich nach dem Wechsel im Präsidentenamt mit der Kleinfeuerungsanlagenverordnung. Energieeinspa- Ankündigung, eine Energiesteuer einzuführen, eine rungen und effiziente Energienutzung, insbesondere Neuorientierung ab. die konsequente Ausschöpfung der hohen Reduk- tionspotentiale bei den privaten Haushalten, haben Das Junktim der EG-Kommission zur Einführung Schlüsselfunktionen im nationalen CO2-Minderungs- einer CO2-Energie-Steuer, wonach andere OECD programm. Um so unverständlicher ist die Haltung der Staaten ebenfalls vergleichbare Maßnahmen ergrei- CSU, die eine Novellierung der Wärmeschutzverord- fen müssen, kann damit als erfüllt angesehen wer- nung und der Heizungsanlagenverordnung mit dem den. Argument der Baukostensteigerung immer wieder Die F.D.P. unterstützt die Initiative der EG-Kommis- verzögert. Langfristig wird die Senkung des Heizener- sion für eine umfassende europäische S trategie für giebedarfs um rund ein D rittel die erhöhten, ökolo- weniger CO2-Emissionen und mehr Energieeffizienz. gisch sinnvollen Investitionsaufwendungen aufwie- Deshalb muß es unser Ziel sein, die CO2-Energie- gen. Steuer möglichst bald gemeinschaftsweit in Kraft zu Drittens. Der Erlaß der Wärmenutzungsverord- setzen und einen internationalen Konsens unter Ein- nung, mit dem das Energiesparpotential im industri- schluß der Staaten Mittel- und Osteuropas über eine ellen und im gewerblichen Bereich, soweit wirtschaft- Strategie zum Klimaschutz voranzutreiben. Daß es lich vertretbar, ausgeschöpft werden soll, ist dringend sich hierbei um eine Politik der vielen kleinen Schritte erforderlich. handelt, sollte jedem bewußt sein. Jeder von uns steht Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12645

Marita Sehn in seinem Bereich beim Umwelt- und Klimaschutz als aktiven Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Im Verursacher in der Verantwortung. Gegenteil: Der koalitionseigene Bleifußminister rast Wie widersprüchlich wir uns doch trotz aller Besorg- auf den emissionsreichen Totalstau zu. Der für die nis um unsere Umwelt verhalten, zeigt die Verkehrs- Energiepolitik zuständige Wirtschaftsminister macht entwicklung besonders deutlich, ein künftig bedeut- lieber gleich gar nichts, bevor er sich mit den Interes- samer Bereich, was die Kohlendioxidemissionen sen der verschiedenen Kapitalfraktionen der Energie- betrifft. und Atomwirtschaft anlegt. Bereits die öffentlichen Anhörungen der Enquete Intern diskutiert man in der Regierung doch schon Kommission im Juni bis November letzten Jahres — es wäre gut, Kollege Lippold, wenn Sie das endlich hinsichtlich der Nachfrageentwicklung im Verkehrs- zugeben würden —, wie m an von der propagandi- bereich haben mich damals zu dem Schluß kommen stisch ausgeschlachteten Parole, den CO2-Ausstoß bis lassen, daß eine stufenweise Erhöhung der Mineralöl- zum Jahr 2005 um 25 bis 30 % zu reduzieren, politisch steuer das Instrument mit der größten Lenkungswir- unbeschadet Abstand nehmen kann. Sie haben dies kung ist. sofort übernommen. Da werden dann selbst faule (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Zeitungsenten wie die im „Bild der Wissenschaft" sowie des Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige strapaziert: „Mit CO2 leben lernen". — Sagen Sie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) endlich offen und ehrlich, was Sie wollen! Sagen Sie den Menschen, daß es Sie einen feuchten Kehricht Der hartnäckigen Konsumentennachfrage wird durch schert, wie und ob Ihre Kinder und Enkel später noch eine Verteuerung des Autofahrens allein nicht zu leben können! Sagen Sie offen: „Nach uns die Sint- entgegnen sein. Nur die Einführung einer emissions- flut!" oder besser „Nach uns das Ozonloch! ", dann bezogenen Kfz-Steuer, zusammen mit einer zeitlich weiß jeder, woran er ist. gestaffelten Erhöhung der Mineralölsteuer, steigert mittel- bis langfristig die Nachfrage nach benzinspa- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) renden Autos und mobilisiert teilweise bereits vorhan- Dabei könnten wir heute durchaus schon erheblich dene, allerdings bislang häufig noch ungenutzte tech- weiter sein. Es ist nicht erst seit gestern bekannt, daß nische Reserven. die Energiepreise nicht die ökologischen Folgekosten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) und die Knappheit der Ressourcen widerspiegeln. Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Erinnern wir uns: Von 1985 bis 1987 sind die Preise für erscheint mir, Herr Feige, dennoch zum gegenwärti- Normalbenzin von durchschnittlich 1,38 DM auf gen Zeitpunkt verfrüht. Ich weiß, es ist ein politischer 99 Pfennige gefallen, bei Diesel von 1,33 DM auf Antrag. Ich meine, wir sollten zuerst abwarten, inwie- 91 Pfennige. Bis heute haben die Preise noch nicht weit eine für das deutsche Gewerbe zufriedenstel- wieder das Niveau von 1985 erreicht. Dies wurde lende EG-weite Einigung in der Frage der Harmoni- durch den Preisverfall des Rohöls infolge des ersten sierung der Steuerbelastung bei den Lkws erzielt Golfkrieges verursacht. Durch den Ölpreisverfall gin- werden kann. Ich fordere daher — leider, Herr gen auch die Erdgaspreise und die Drittlandskohle- Feige —, Ihrem Antrag nicht zuzustimmen. preise in den Keller. Vielen Dank. Das Gebot der Stunde und der Vernunft hätte nun (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — heißen müssen: Die Bundesregierung erhebt eine Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Energieabgabe auf Importenergieträger, um den GRÜNEN]: Sie können ja abweichen!) Trend aufzufangen. Diese Importabgabe hätte schon damals zu der gezielten Förderung von Energieein- sparung, der Erhöhung der Energieeffizienz, der Nut- Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile unserer zung regenerativer Energiequellen und dem Ausbau Frau Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann das Wort. umweltgerechter Verkehrssysteme eingesetzt wer- - den können. Außerdem hätte die volkswirtschaftlich sinnvolle Stützung der heimischen Steinkohle hier- Dr. Dagmar Enkelmann (PDS/Linke Liste): Herr aus finanziert werden können. Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Lippold, Ihnen würde ich gerne sagen: Warum in die Diese Maßnahmen aber unterblieben aus ideologi- Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah. — Sie schen Gründen. Ja, die Bundesregierung benutzte lenken mit Verweis auf die EG, auf die Vereinigten den Preisverfall als willkommene Morgengabe an die Staaten, auf Japan wenig effektvoll und glaubwürdig Wirtschaft. Die verheerenden Marktsignale blieben von den eigenen Möglichkeiten, endlich zu handeln, nicht ohne Wirkung: Mehr Autos auf den Straßen, 75 ab. So beißt sich die Katze eigentlich nur selber in den statt 55 PS durchschnittlich. Jede Blechkiste fuhr nun Schwanz. Sie jault, und wir kommen nicht weiter. mehr als 180, und man konnte es sich erlauben, weil der Sprit billig war. Trotz Senkung des spezifischen Meine Damen und Herren, die Vorschläge der Kraftstoffverbrauchs durch technische Verbesserun- Klima-Enquete-Kommission zur Reduzierung der kli- gen stieg der Gesamtverbrauch wieder — und mit ihm marelevanten Emissionen sind bekannt, übrigens die Emissionen. nicht erst seit heute. Handeln ist endlich angesagt. Zur UNCED-Konferenz in Rio wurden seitens der Bundes- Nicht zufällig stagnierte nach 1986 der Fernwärme- regierung, insbesondere von Herrn Töpfer, vollmun- ausbau; Fördermittel gab es nicht mehr. Einfache dige Erklärungen abgegeben, deren Halbwertzeit Brauchwassersolaranlagen, die bis 1986 auch preis- allerdings verblüffend gering war. Heute bleibt nur lich mit Öl und Gas konkurrieren konnten, wurden festzustellen: Es tut sich absolut nichts in Sachen einer von Leuten, die nur der Preis und weniger die Umwelt 12646 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Dagmar Enkelmann interessierte, nicht mehr gekauft. Im Kleinfeuerungs- haben der desolaten Bundesregierung genauso eine bereich liegt die Gas-Brennwerttechnik auf Eis, weil Ohrfeige verpaßt wie der konturlosen sozialdemokra- der geringere Verbrauch die höheren Gerätekosten tischen Wankelopposition. Von den im Bundestag bei den heutigen Energiepreisen nicht wieder ein- vertretenen Parteien sind allein DIE GRÜNEN als holt. Gewinner aus dieser Wahl hervorgegangen. Und Das dicke Ende dieser verfehlten Energiepoli tik der wenn die Regierung und die SPD so weiterwursteln Bundesregierung kommt nun auf uns zu, nicht nur in wie bisher, dann dauert es nicht mehr lange, bis wir im Form weiter steigender Emissionen, sondern auch in Bundestag Darmstädter Verhältnisse haben. Mit 25 % Form steigender Preise in fünf bis zehn Jahren, wenn sollte mir das nur recht sein. sich die Knappheit der Ressourcen weltweit unerbitt- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Aber, Herr lich bemerkbar macht und wir dann auf unserem Feige, das kann man wirklich nicht so hohen Verbrauch sitzen. Da hilft es auch gar nichts, sehen!) nur auf den Osten Deutschlands zu schielen, selbst wenn dort unbestritten hohe Einsparpotentiale liegen. Das zweite Ergebnis am vergangenen Wochenende Das hat gestern die Anhörung in Leipzig sehr deutlich war die Volksabstimmung in der Schweiz. Mit über- bestätigt. wiegender Mehrheit haben die Bürger für eine Erhö- hung der Mineralölsteuer gestimmt. Von einem Tag Will aber die Bundesregierung ihrem in Rio mit auf den nächsten wurden die Spritpreise um 20 großem Getöse verkündeten Ziel wenigstens ein win- erhöht. Die Schweizer haben den Interessenvertretern ziges Stück näherkommen, dann ist bundesweit eine der Autofahrer eine klare Abfuhr erteilt. Sie haben ein Neuorientierung in der Verkehrs- und der Energie- politisches Signal gesetzt und deutlich gemacht, daß politik notwendig. sie zu persönlichen Einschränkungen bereit sind. Es ist höchste Eisenbahn für höhere Energiepreise, nicht nur, um die Bahn zu sanieren. Höhere Energie- Meinen Kollegen, die gestern in einer Diskussions- preise müssen Teil eines notwendigen Maßnahmen- runde darauf hinwiesen, daß in einem Land wie z. B. pakets in Richtung einer ökologischen Energieversor- Mexiko die Mineralölsteuer ganz deutlich unter unse- gung sein. Hierzu gehört auch die Änderung der rer liegt, kann ich nur sagen: Auch solche Milchmäd- Rahmenbedingungen der Energienutzung. Für die chenrechnungen gehen nicht auf. Man sollte sich das PDS/Linke Liste ist ganz wich tig: Wer finanziell Durchschnittseinkommen in solchen Ländern vor schwach ist, darf nicht mit hohen Heizungskosten in Augen führen. Entscheidend ist, was in den Ländern schlecht isolierten Mietwohnungen sitzengelassen mit dem Hauptausstoß an CO2 passiert. Dazu gehört oder durch schlechten und teuren öffentlichen Nah- die Bundesrepublik. verkehr von der Teilnahme am gesellschaftlichen Da tagt nach wochenlanger Diskussion die Koali- Leben ausgeschlossen werden. Eine solche Poli tik ist tionsrunde und beschließt — mager genug — eine schlicht asozial. Mineralölsteuererhöhung um 13 Pfennig pro Liter. Höhere Preise für Energie dürfen nicht in Theo Kaum ist aber der Kanzler aus dem Hause, tanzen die Waigels zahlreichen Haushaltslöchern versacken, Mäuse auf dem Tisch und kippen den Beschluß. sondern müssen zielgerichtet und zweckgebunden für (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Belei eine umweltfreundliche, sozial verträgliche und res- digung der Koalitionsmitglieder, Herr sourcenschonende Energieversorgung eingesetzt Feige!) werden. Dafür sehe ich aber bisher nicht den gering- sten Ansatz. Ich fürchte eher, die Bundesregierung Man könnte kopfschüttelnd zur Tagesordnung kassiert das Geld, baut immer neue Straßen, vernach- übergehen, wenn es sich nur um die abgewirtschaf- lässigt weiter den ÖPNV, setzt weder auf Energieein- tete Regierung und ihre Kreisverkehrspolitik handeln sparung noch Verkehrsvermeidung und führt uns alle würde. Aber es geht um weit mehr, meine Damen und und die Umwelt an der Nase herum. Herren. Es geht um das Ansehen unserer Demokratie - im In- und Ausland. Und wenn denn tatsächlich der Unter diesen Bedingungen können wir dem Antrag Trend der Wähler nach rechts oder in die Stimment- der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht zustim- haltung gestoppt werden soll, dann muß endlich men. Schluß sein mit parteitaktischem Opportunismus, mit Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Egomanie und Geltungssucht. Dies gilt für die konfuse (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Regierung. Dies gilt auch für die orientierungslose Sozialdemokratie. Vizepräsident Helmuth Becker: Der nächste Redner Bei der drohenden Klimakatastrophe geht es ist unser Kollege Dr. Klaus-Dieter Feige. schlicht und ergreifend um die Entscheidung zwi- schen einem einigermaßen gesicherten und humanen Überleben der menschlichen Gesellschaft, wie wir sie Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kennen, oder den Absturz ins Chaos mit unüberschau- NEN): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen baren Folgen. und Herren! Zwei Ereignisse haben am vergangenen In der Antwort der Bundesregierung auf die Große Sonntag für Aufsehen gesorgt. Das eine war die Anfrage der SPD lese ich: Kommunalwahl in Hessen, wo den sogenannten Volksparteien eine so deutliche Abfuhr erteilt wurde, Auch wenn nicht alle komplizierten naturwissen- daß die eine sich nur deshalb zum Sieger erklärte, weil schaftlichen Zusammenhänge dieser drohenden sie ein paar Prozent weniger verloren hat als die globalen Umweltgefährdung im einzelnen ge- andere. Die Wählerinnen und Wähler in Hessen klärt sind, gebietet die Vorsorge, in unserem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12647

Dr. Klaus-Dieter Feige eigenen Interesse und im Interesse künftiger wünsche zu erfüllen, sondern u. a., um Schaden vom Generationen zu h andeln, insbesondere wegen gesamten deutschen Volke abzuwenden. der langen zeitlichen Verzögerung, die zwischen Meine Damen und Herren, diese Regierung ist nicht der Entstehung von Treibhausgasen und ihren nur unberechenbar, sie ist darüber hinaus handlungs- Auswirkungen auf das Klima liegen. unfähig und, ich glaube, in dem Sinne zusehends Da könnte man meinen, die Regierung habe endlich gemeingefährlich. den Ernst der Lage erkannt. Wir haben heute einen Entschließungsantrag zur Leider ist das aber nur Stoff aus den berüchtigten Mineralölsteuererhöhung eingebracht, um dieser Sonntagsreden, wie die folgenden Ergüsse der Regie- Koalition die Möglichkeit zu geben, endlich eine rung beweisen. Es wird geprüft, studiert, geforscht, Entscheidung zu treffen. Wohlgemerkt — Frau Sehn berichtet und empfohlen. Nur eines wird nicht getan: hat es gesagt —: Dies ist Ihr Antrag und nicht unser. Es wird nicht gehandelt. Und kommen Sie bloß nicht mit dem Hinweis auf die Solidarpaktgespräche, daß wir wieder warten müs- Es ist ja nicht erst seit dem CO2-Reduzierungsbe- sen. Auch in der vergangenen Woche haben Sie schluß der Bundesregierung vom November 1990 entschieden, und da lag der Termin für diese Gesprä- bekannt, daß insbesondere die Industriestaaten die che längst fest. Freisetzung von Treibhausgasen jeder Art entschie- Sie wissen ganz genau, daß wir der Meinung sind, denst einschränken müssen. Ernstzunehmende War- daß wesentlich drastischere Umbaumaßnahmen im nungen gibt es seit nunmehr knapp einem Jahrzehnt, Verkehrsbereich erfolgen müssen und wir nach wie und seit dieser Zeit liegen auch konkrete Vorschläge vor bei unserer Forderung nach einer Erhöhung der von GRÜNEN und Umweltschützern auf dem Tisch, Mineralölsteuer um zunächst 50 Pfennig bleiben. Das den ökologisch überlebensnotwendigen Struktur- können Sie ja überall nachlesen. wandel im Bereich der Wirtschaft, der Energieversor- gung und des Verkehrssystems einzuleiten. Trotzdem bieten wir Ihnen Ihren eigenen Beschluß von der vergangenen Woche an, damit Sie dieses Gerade in der Verkehrspolitik wird das Bild der Wintertheater endlich beenden und damit in Sachen Regierung immer diffuser. Nur ein Beispiel: Gestern in Kostenwahrheit wenigstens einmal ein ganz kleiner der Debatte erzählte uns Herr Krause, daß eine Schritt gemacht wird. Aber nicht einmal das wollen Mineralölsteuererhöhung 150 000 Arbeitsplätze ge- Sie. Dabei haben wir auch noch eine Anregung des fährden würde, während der Bundesumweltminister ADAC-Präsidenten Flimm aufgenommen, der gesagt Töpfer in der vergangenen Wochen im ZDF-Mittags- hat: magazin jceinerlei Gefahren für die Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie sah. Ich akzepe- Es ist eine Milchmädchenrechnung, daß die tiere das. Autofahrer ihren Wagen häufiger stehenlassen, wenn die Mineralölsteuer angehoben wird und Aber was ist denn wieder mit dem Krause los? gleichzeitig die Kilometerpauschale steigt. Krauses Größenwahn kennt keine Grenzen. In der Deshalb haben wir der Umwelt zuliebe in unserem kommenden Woche will er in Brüssel seine umwelt- Antrag auf die Erhöhung der Pauschale verzichtet. und sozialpolitisch verheerende Vignette notfalls Wir werden doch dem ADAC-Präsidenten nicht auch gegen den Widerstand kleiner EG-Staaten widersprechen, wenn er diese Warnung hinsichtlich durchsetzen. Es ist schon ein besonderes Bubenstück, eines ökologischen Ziels formuliert. wenn so mit europäischen Partnern umgesprungen wird, vor allem vor dem Hintergrund, daß nur in der An dieser Stelle noch ein Wort zu der, ich glaube, Bundesrepublik Deutschland kein Tempolimit auf erbärmlichen Position der SPD-Fraktion. Heute Autobahnen eingeführt ist. Wir sollten erst einmal vor erzählt sie, daß sie unseren Antrag ablehnen will. der eigenen Türe kehren. Dagegen hat sie vorgestern im Umweltausschuß prak- tisch wortgleich den gleichen Antrag eingebracht. Bei Aber so richtig dummdreist wird das Ganze, Ihnen weiß man offensichtlich überhaupt nicht mehr, was hinten und was vorne ist. (Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach] [CDU/ CSU]: Lernt mal parlamentarische Aus- (Beifall bei der CDU/CSU) drücke!) Das gilt auch für Ihren eigenen Entschließungsan- wenn man weiß, daß auf der Tagesordnung nicht trag. Es fällt mir schwer, das zu sagen. Aber da ist das einmal eine Beschlußfassung zu diesem Sachverhalt gleiche Geblubbere wie bei der Bundesregierung, mit vorgesehen ist. Ich weiß gar nicht, was er uns da einem Unterschied: Sie wollen noch mehr Berichte, vormachen will. Nach zwei Jahren bundespolitischer noch mehr bedrucktes Papier und noch mehr hohle Verantwortung müßte ihm klar sein, daß das ange- Worte. Wir müssen endlich von den Berichten und strebte Ziel unter einem dänischen Vorsitz überhaupt irgendwelchen Informa tionen, was einmal als Ziel nicht durchsetzbar ist. Ich glaube, er wirft Nebel, er erreicht werden soll, wegkommen. Das Ziel, Herr täuscht und versucht, die Öffentlichkeit für dumm zu Lippold, ist doch nicht ausreichend, wenn man noch verkaufen. Und was wird am Schluß dabei heraus- nicht einmal auf dem Weg ist. Wer nicht auf dem Weg kommen? Der Stau wird immer größer, und die ist, kann natürlich nicht vom Weg abkommen. Umwelt wird immer weiter zerstört. Und dies alles nur, Was der Umwelt nützen soll, müssen Sie diesem weil der Bundesverkehrsstauminister mit infantiler Hause, glaube ich, noch erklären. Tatsache ist jeden- Verliebtheit automobilen Träumen nachhängt. Ein falls, daß wir bei Ihnen auch nicht den geringsten Ministeramt ist aber nicht dafür da, um sich Jugend- Willen für einen Regierungswechsel erkennen, genau 12648 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Klaus-Dieter Feige so wenig wie den Willen, einen ökologischen Struk- Erstens. Umgehende Ratifika tion und schnelle turwandel, der für unsere Wirtschaft und für die Umsetzung der zwei Konventionen, die dort gezeich- Schaffung von Arbeitsplätzen unabdingbar ist, einzu- net worden sind. Ich unterstreiche nachhaltig das, was leiten. Kollege Lippold gesagt hat. Die Bundesregierung hat Ich bitte angesichts der Drama tik der Umweltsitua- hier ihre Hausaufgaben gemacht: Beide Konventio- tion, in diesem Fall vom Beifall abzusehen. nen sind mit einem Ratifizierungsgesetz im Kabinett akzeptiert worden. Wir haben die Gegenäußerung zur Schönen Dank. Meinung des Bundesrates zur Klimakonvention abge- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geben. Ich hoffe inständig darauf, daß wir hier in diesem Haus möglichst bald beide Ratifizierungsge- setze erörtern können und sie verabschieden. Es gibt Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt dem gegenwärtig schon über zehn Staaten, die die Klima- Herrn Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und konvention ratifiziert haben. Wir sollten nicht zu den Reaktorsicherheit Dr. Klaus Töpfer das Wort. letzten gehören, sondern dies in Kürze machen. Es ist erfreulich, daß die Vereinten Na tionen unser Angebot angenommen haben, die erste Nachfolge- Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, konferenz der Vertragsstaaten hier in Deutschl and Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! abzuhalten. Wir werden gerade damit unser hohes Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bun- Engagement belegen können. Dies zeigt auch die desregierung, der Bundesumweltminister begrüßen Tatsache, daß wir die Wüstenkonvention mit auf den außerordentlich diese Debatte. Wir haben noch kein Weg gebracht haben und daß wir mit unseren Part- Jahr seit dem großen, bewegenden Treffen in Rio nern, z. B. mit Frankreich, der Meinung sind, daß wir hinter uns gebracht; aber es ist wich tig, eine Bestands- auch eine Konvention für Wasser zu erarbeiten aufnahme vorzunehmen und zu sehen, was sich haben. international und national in der Zwischenzeit getan hat, um diesen so häufig berufenen, von uns mitge- Zweitens. Wir müssen die Waldprinzipien umsetzen stalteten Geist von Rio in die Praxis umzusetzen. und fortentwickeln. Wir brauchen eine Waldkonven- tion. Sie war in Rio nicht möglich. Wir werden sie in tion der Bundes- Ich hatte die Gelegenheit, die Posi der Folge herbeizuführen haben. regierung dazu vor der Vollversammlung der Verein- ten Nationen im November letzten Jahres vorzutra- Drittens. Wir brauchen neue Formen der wirtschaft- gen. Ich möchte Ihnen nun die Punkte vortragen, von lichen Zusammenarbeit. Es ist immer wieder überse- denen wir glauben, daß dieses Follow-up, diese hen worden, daß gerade die GATT-Verhandlungen Nachfolgearbeit abhängig ist. Es geht zum einen- dafür eine zentrale Bedeutung haben. Wir sehen es darum, daß wir diesen innovativen Ansatz von Rio — jetzt auch im Zusammenhang mit Mittel- und Osteu- Umwelt und Entwicklung zu verbinden — auch im ropa, welche Auswirkungen auf den H andel und institutionellen Gefüge der Vereinten Nationen wie- unsere Wirtschaftsstruktur damit verbunden sind. derfinden. Auch die Stahlkrise, die hier gestern erörtert wurde, Wir hatten bisher das Umweltprogramm der Verein- ist ein Hinweis darauf, wie wich tig es ist, die interna- ten Nationen (UNEP), und wir hatten das Entwick- tionalen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen so lungsprogramm (UNDP). Es ist gut und richtig, daß wir abzustimmen, daß sie der globalen Entwicklung wirk- in der Zwischenzeit die Kommission für nachhaltige lich hilfreich sind. Entwicklung, die ,,Commission for Sustainable (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Development", eingerichtet haben. Diese Kommis- sion muß so etwas werden wie ein neuer Weltsicher- Wir haben bei solchen konkreten Fragen viel zu heitsrat, in diesem Fall im Sicherheitsbereich Mensch häufig vergessen, wie unmittelbar sie auf den Prozeß, und Umwelt. Wir sind dem Generalsekretär der Ver- den wir in Rio erörtert haben, Auswirkungen haben. einten Nationen, Boutros Ghali, dankbar daß er die Wir möchten die GATT-Verhandlungen mit einer Neustrukturierung der Organisa tion der Vereinten Umweltkomponente verbinden. Es ist gut, daß in der Nationen gerade mit diesem Ziel in Angriff genom- Zwischenzeit dazu eine entsprechende Arbeitsgruppe men hat. Ich glaube, das ist ein erstes wich tiges beim GATT eingerichtet worden ist. Ergebnis der Konferenz von Rio. (Brigitte Adler [SPD]: 20 Jahre hat es gedau Wir haben immer gesagt — ich glaube, in Überein- ert!) stimmung auch mit den Frak tionen dieses Hohen Viertens. Wir brauchen eine neue Wirtschafts- und Hauses —: Rio kann sich am Ende dieser Konferenz Lebensweise auch in den hochentwickelten Industrie- nicht als Erfolg erweisen, sondern nur in dem Prozeß, ländern des Nordens. Ich verweise hier nur darauf, der folgt. So wie der Helsinki-Prozeß den Entspan- daß wir in der Zwischenzeit einen wichtigen Schritt in nungsprozeß in Europa ermöglicht hat, muß der Rio- der Umsetzung einer ökologischen und sozialen Prozeß die Entspannung zwischen Nord und Süd, Marktwirtschaft vorwärts gemacht haben. Das Kreis- zwischen Arm und Reich ermöglichen. Wir müssen laufwirtschaftsgesetz, das in der Diskussion ist, und einen Kalten Krieg des Menschen mit der Umwelt die Auswirkungen auf eine neue Produktverantwor- verhindern. Dies ist in Rio zumindest vermieden tung im gesamten Abfallbereich, von der Verpackung worden. Ich glaube, daß daher eine Weiterentwick- bis zu den Autos, sind direkte Konsequenzen aus einer lung gerade im Organisationsaufbau der Vereinten Konferenz, die nachhaltige Entwicklung — „sustai- Nationen eine logische Konsequenz ist. nable development" — zu ihrem zentralen Wort Welche Aufgaben haben wir im Follow-up? gemacht hat. Ich möchte das nur deutlich machen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12649

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer damit man nicht alles auf die Klimasituation — so ren. Den Vereinten Nationen muß eine Einsatzgruppe wichtig ihre Berücksichtigung ist — verengt. Hier verfügbar sein, damit do rt, wo durch menschliches brauchen wir neues Arbeiten, neue Produktverant- Versagen oder bewußtes Fehlverhalten Gefahren für wortung, Kreislaufwirtschaft, und zwar nicht nur als die globale oder regionale Umwelt ins Haus stehen, ein Schlagwort, sondern als konkretes Handeln. Ich kurzfristig gehandelt werden kann. kann das im Zusammenhang mit dem Abfallbereich (Beifall bei der CDU/CSU) sehr deutlich als einen Fortschritt in der Bundesrepu- blik Deutschland belegen, der weltweit beachtet wird Ich meine, das ist eine unmittelbare Konsequenz. und Nachfolger findet. Dies sind unsere zehn Punkte zum Nachfolgeprozeß von Rio. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie mich nun zum zweiten Teil, zur Frage des Fünftens. Wir müssen in der Armutsbekämpfung Klimas, kommen. Auch dabei ist es, wie häufig bestä- weiter vorankommen. Wir haben, glaube ich, in Rio de tigt, gut, erst einmal die Fakten zu untersuchen. Janeiro außerordentlich gut mit dem Bundesminister Wir haben uns bis zum Jahr 2005 das Ziel gesetzt, für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf der Basis des Jahres 1987 die CO2-Emissionen um zusammengearbeitet. Dies ist ein wichtiger Follow- 25 bis 30 % zu vermindern. Wo stehen wir heute, im up-Prozeß. Die Agenda 21 ist ein zentraler Teil dieser Jahr 1993, im Vergleich zum Jahr 1987, wenn wir, was Arbeit, die wir in Rio geleistet haben; deswegen ist natürlich nötig ist, die CO2-Emissionen der damaligen dies ebenfalls ein Follow-up, ein Nachfolgearbeitsbe- DDR und der damaligen Bundesrepublik Deutschl and reich. zusammenzählen? Sechstens. Dies gilt auch für die Bevölkerungspoli- Wir hatten im Jahre 1987 in Deutschland insgesamt tik. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hierzu eine Emission von CO2 in Höhe von 1,064 Milliarden t. nur eines sagen. Maßnahmen der Frauenförderung Ende 1992 hatten wir, nach den vorläufigen Daten und der Familienplanung insbesondere sind erst dann des Umweltbundesamts, eine Emission von 910 Mil- wirksam, wenn sie mit Maßnahmen zur Bekämpfung lionen t CO2. Nach den Grundrechenarten bedeutet der grundlegenden Ursachen, nämlich Armut und das, daß die CO2-Emissionen in Deutschland von 1987 Unterentwicklung, zu integrierten Programmen ver- bis 1992 um 14,5 % zurückgegangen sind. Das ist ein bunden werden. Auch dies ist in Rio vielleicht des Faktum. Es ist notwendig, ein Faktum auch zu erwäh- öfteren übersehen worden. Deswegen ist es wichtig, nen. dies hier im nachhinein als bedeutsam herauszustel- len. (Horst Kubatschka [SPD]: Weil die Indus trie in den neuen Bundesländern plattgemacht Siebtens. Wir brauchen technologische Zusammen- wurde!) arbeit, Wissensvermittlung sowie Entwicklung und Ausbau technischer und institutioneller Kapazitäten, — Sie sagen, die Industrie sei plattgemacht worden. auch dies nicht nur mit den Entwicklungsländern, Wenn Sie sich einmal überlegen, was Sie damit gesagt sondern in besonderer Weise auch mit den sogenann- haben, werden Sie sich möglicherweise korrigieren. ten Ländern im Umbruch, also den Ländern Mittel- Ich will nur eines dazu sagen: Sie erwarten doch von und Osteuropas. Was wir dort gegenwärtig beim der Bundesregierung, daß nicht in hohem Maße Aufbau leistungsfähiger administrativer Strukturen energieintensive und ökologisch ineffizient arbei- en vorhanden sind. Die Industrie in der tun, ist ein unmittelbares Follow-up von Rio. Ich tende Industri möchte das mit großem Nachdruck unterstreichen, ehemaligen DDR war in unglaublicher Weise energie- weil es uns natürlich auch auf vielen anderen Ebenen ineffizient und ökologisch belastend. Deswegen ist es außerordentlich wichtig und hilfreich ist. richtig, daß diese Anlagen nicht mehr da sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Achtens. Die Finanzfragen. Ich möchte darauf hin- weisen, daß wir die globale Umweltfazilität nach wie vor als ein wichtiges, unersetzliches Instrument unse- Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, rer Rio-Follow-up-Arbeit sehen. Wir vertreten hier gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen also keineswegs einen Rückgang, sondern eine Auf- Feige? stockung. Neuntens. Wir brauchen dies als eine Hilfe zur Selbsthilfe. Ich muß das immer und immer wieder Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, unterstreichen. Naturschutz und Reaktorsicherheit: Aber sehr gerne. Zehntens. Wir haben deutlich zu machen, daß Umweltzerstörung friedensgefährdend ist, daß sie die Menschen und die Menschheit insgesamt bedroht. Ich Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte sehr, Herr erinnere an die Arbeiten der Völkerrechts-Kommis- Dr. Feige. sion zu einem Tatbestand „Umweltverbrechen". Ver- brechen wie Völkermord, schwerste Menschenrechts- verletzungen, weitreichende, schwerwiegende Um- Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weltschäden, müssen vor einem internationalen Straf- NEN): Herr Minister Töpfer, stimmt es denn, daß die gerichtshof angeklagt werden. Wir sind der Überzeu- Reduktion um rund 14 % allein auf Kosten der Produk- gung, daß hier jetzt mehr geleistet werden muß. Wir tionsstätten der neuen Länder geht und daß die sollten genauso selbstverständlich nach Grünhelmen CO2-Emission in den alten Bundesländern im glei- fragen, wie wir gegenwärtig über Blauhelme diskutie- chen Zeitraum sogar etwas angestiegen ist? 12650 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Vizepräsident Helmuth Becker: Herr Minister, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege, gestatten Sie noch eine Frage der Frau Kollegin wenn Sie eine Sekunde gewartet hätten, hätte ich Ganseforth? Ihnen die Zahlen genannt. Die Rückführung folgt daraus, daß die CO2-Emissionen in dem genannten Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Zeitraum in den neuen Bundesländern um 50 % Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ja, gerne. zurückgegangen und in den alten Bundesländern um etwa 3 % gestiegen sind. Vizepräsident Helmuth Becker Bitte. Bei einem Anstieg des realen Bruttosozialprodukts in den alten Bundesländern von rund 20 % bedeutet Monika Ganseforth (SPD): Wir haben gestern eine dies aber, daß die Energieeffizienz in den Jahren von Anhörung in den neuen Ländern gehabt. Ich möchte 1987 bis 1993 massiv gestiegen ist. Ich meine, daß wir Sie fragen, ob Sie nicht meinen, daß die Wärmeschutz- damit genau das erreicht haben, was wir wollten. Die verordnung mit Blick auf den Altbaubestand mit Pro-Kopf-Emissionen an CO2 waren in der ehemali- Plattenbauweise in den neuen Ländern wie auch mit gen DDR exakt doppelt so hoch wie die in der alten Blick auf den Neubau ebenso wichtig ist. Meinen Sie Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir uns heute in nicht auch, daß ein Ausspielen besserer Kraftwerke der Situation befinden, in der sich genau dies wieder gegen die Wärmeschutzverordnung dem Klima nicht eingependelt hat, dann kommt das nicht von allein, nützt, daß dies nicht der richtige Ansatz ist, sondern ohne Anstrengung; es macht eine Neustrukturierung beides gleichrangig behandelt werden sollte? der Energieversorgung in den neuen Bundesländern erforderlich. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, Das ist die Priorität des CO2-Programms der Bun- Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich gebe Ihnen desrepublik Deutschland. Nicht die Frage, wie wir bei das außerordentlich gerne zu. Ich wäre falsch verstan- einem Kohlekraftwerk im Westen die Effizienz von den, wenn ich das eine gegen das andere ausspielen 38 % auf 40 % erhöhen, entscheidet die Situation, wollte. sondern die Frage, wie wir die unglaublich ineffizien- Lassen Sie mich mit Blick auf die begrenzte Zeit nur ten alten Braunkohlekraftwerke in den neuen Bun- zwei Worte zur Mineralölsteuer sagen, meine Damen desländern schließen können und durch mode rne, und Herren, weil m an meint, hier sei ein Auffassungs- hocheffiziente Kohlekraftwerke ersetzen können. Das unterschied zwischen dem Kollegen Krause und mir ist die oberste Priorität im CO2-Programm der Bundes- festzustellen. regierung der Bundesrepublik Deutschland. (Günter Verheugen [SPD]: Das wollen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) doch hoffen!) — Nun warten Sie doch einmal ab. Ich weiß nicht, auf Das führte zu der Entscheidung, daß wir in Lippen- was Sie alles hoffen, Herr Kollege, aber auf das dorf neue Kohlekraftwerksblöcke haben werden. Dort sicherlich auch. werden 15 Milliarden DM eingesetzt, um neue Braun- kohlekraftwerke mit hoher Effizienz zu bauen, die mit Zunächst einmal sind wir der Meinung, daß die gleicher Menge an Kohle mehr Strom erzeugen. Da Mineralölsteuer zu erhöhen ist. können Sie, Frau Ganseforth, beim besten Willen (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE nicht hierherkommen und sagen, wir hätten auf die- GRÜNEN]: Ab wann?) sem Gebiet noch nichts getan. Massiv ist genau dort Die Mineralölsteuer, Herr Kollege Feige, bet rifft das gehandelt worden, wo die eingesetzte Mark CO2- Benzin und den Dieselkraftstoff. Wir müssen aber Emissionen in wirklich hohem Maße vermindert. Dies hinzufügen: Wenn wir heute bei uns den Preis für ist die Priorität, der wir nachgehen müssen. Dieselkraftstoff erhöhen, ohne auch die Kostenfakto- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ren für unsere Nachbarn zu erhöhen, dann führt das nicht zu einer Entlastung unserer Autobahnen von Entscheidend bleibt, daß dies nicht ein vorüberge- Lkws, sondern dazu, daß die gleichen Lkws über die hender Effekt ist — das ist wahr —, daß wir also mit Autobahn fahren, nur daß sie ein anderes Nummern- wieder anwachsender wirtschaftlicher Aktivität in schild tragen. Das mag für viele Bereiche bedeutsam den jungen Bundesländern nicht wieder einen sol- sein, nicht aber für den Umweltschutz. Im Gegenteil, chen Anstieg bekommen. Hier jetzt in Braunkohle- dafür ist es eher nachteilig, wenn wir davon ausgehen, kraftwerke mit höchster Effizienz, mit der Möglichkeit daß unsere Lkws z. B. besser auf ihre technische der Kopplung von Kraft und Wärme, mit der Möglich- Qualität untersucht werden, als das bei manchem keit der Vorschaltung von entsprechenden Gasturbi- Nachbarn der Fall ist. nen, mit der Möglichkeit der Wirbelschichtfeuerung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu investieren — das sind die Aufgaben, die heute zu bewältigen sind. So wichtig die Wärmeschutzverord- Das heißt doch, daß Herr Kollege Krause völlig recht nung ist — wir wollen sie ja auch verabschieden —, hat, wenn er sagt: Wenn wir nur die Mineralölsteuer entscheidender ist gegenwärtig, daß wir diese auf den Dieselkraftstoff erhöhen, werden etwa unglaubliche Verschwendung von Energie und die 150 000 oder 180 000 Arbeitsplätze wegfallen, näm- damit verbundene hohe Belastung durch CO2 jetzt lich dort, wo Lkws nicht mehr von Deutschen gefahren zurückführen. Das ist für mich der entscheidende werden. Das sagt auch der Bundesumweltminister. Ich Punkt. will keine Verlagerung der Standorte von Transport- unternehmern, sondern eine Verlagerung des Ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) kehrs von der Straße auf die Schiene. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12651

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir in Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Brüssel für die Europäische Gemeinschaft einver- Herren, das Wort erhält jetzt unsere Frau Kollegin nehmlich eine Absenkung der Kfz-Steuer für Lkws Dr. Liesel Hartenstein. durchsetzen und eine Vignette für die Lkws draufle- gen. Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Herr Präsident! Liebe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kolleginnen und Kollegen! Klimaschutz ist kein Mar- Was haben Sie denn dagegen einzuwenden, meine kenzeichen deutscher Umweltpolitik, Herr Minister. Damen und Herren? Das ist doch ein rationales Da hilft alles Drumherumreden nichts, und da hilft Konzept. Wir sind dann frei, die Mineralölsteuer auch kein Ausweichen auf die internationale schrittweise zu erhöhen, damit sich die Menschen Ebene. daran anpassen können. Dies alles ist doch eine Wir sind uns schnell darüber einig, daß Klimaschutz großartige und vernünftige S trategie. Ich hoffe, daß auf allen Ebenen stattfinden muß: auf der internatio- Sie das in gleicher Weise mittragen werden. nalen Ebene genauso wie auf der nationalen Ebene. Auf der internationalen Ebene unterstützen wir Ihre Wenn dies dazu führt, daß wir die Wegekosten, die Bemühungen voll. Aber wirksamer Klimaschutz bei uns der Steuerzahler bezahlt hat, von den Auslän- beginnt vor Ort, und hier ist die Bundesregierung dern mitbezahlen lassen, die bisher unsere Straßen gewaltig im Rückstand. kostenlos benutzen, ist das sicherlich auch ein Argu- ment, das nicht gegen die Rationalität eines solchen (Zuruf von der CDU/CSU: Nach Ihrem Zeit Beschlusses spricht. plan!) Das muß einmal eindeutig festgestellt werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Das, was im Augenblick noch nicht entscheidungs- Es hilft auch kein meines Erachtens reichlich frag- fähig ist, ist die Frage: Wie kommt der Kollege Krause würdiger Umgang mit Zahlen, Herr Minister. Ich in Brüssel mit der gemeinschaftlichen Zustimmung zu bedauere, daß Sie gestern nicht dabeisein konn- einer Absenkung unserer Kfz-Steuer für die Lkws ten, als die Enquete-Kommission „Schutz der Erd- zurecht? Das ist alles, und diese Diskussion bezeich- atmosphäre" eine Anhörung im Rahmen der Leipzi- nen Sie als „Wintertheater". Ich bewundere manch- ger Messe durchgeführt hat. Da wurde uns gesagt, mal Ihre rhetorischen Qualitäten, vor allen Dingen, eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 30 bis 40 % wenn Sie hier stehen. Wenn man sonst mit Ihnen sei bis zum Jahre 2005 in den neuen Ländern sehr spricht, ist das alles ganz interessant. Sobald Sie aber wohl erreichbar. Einige Experten haben die Meinung hier oben stehen, stellen Sie immer alles ganz anders - vertreten, eine Reduzierung um 30 % sei in Ost- dar. Das aber will ich gar nicht kritisieren. deutschland heute schon eingetreten. Aber sie haben ebenso deutlich gesagt, dies sei nicht Erfolg einer Was ich deutlich machen möchte, ist, daß die gezielten Strategie, sondern leider eine Folge des Bundesregierung und die CDU/CSU-Bundestags- wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Das muß m an fraktion eine ganz klare Konzeption haben, in der die doch deutlich sagen. Man darf hier keine Grauzonen Mineralölsteuer selbstverständlich ein wichtiger Fak- tor ist, daß man aber fragen muß: Wie können wir die belassen, wie das in Ihren Ausführungen geschehen ist. Harmonisierung der Verkehrsleistungen in Europa erreichen? Das aber können wir über die Mineralöl- Meine Damen und Herren, an den Fakten ändert die steuer leider nicht erreichen. Deswegen muß die ständige, gebetsmühlenartige Wiederholung guter Voraussetzung etwa durch eine Vignette für Lkws Absichten nichts, eine Wiederholung, die sagt, m an geschaffen werden, um diese Harmonisierung zu wolle gewißlich an dem 25-%-Beschluß vom Novem- ermöglichen. ber 1990 festhalten. Gute Absichten allein sind eben noch keine Politik. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Es ist unbestritten, daß der Regierungsbeschluß vor ordneten der F.D.P.) zweieinhalb Jahren einmal fortschrittlich war. Die Insgesamt also, meine Damen und Herren, sind wir Bundesrepublik Deutschland hat damit eine echte keine Bundesregierung, die vollmundig etwas be- Vorreiterrolle eingenommen, und der Bundeskanzler schließt. 25 % bis 30 % CO2-Reduktion bleibt selbst- hat sich auch noch auf der Rio-Konferenz im Glanz verständlich das Ziel dieser Bundesregierung. Sie dieser Vorreiterrolle weidlich gesonnt. Aber inzwi- arbeitet daran, dieses Ziel durch ganz konkrete Maß- schen ist der Glanz verblaßt — einfach durch Nichts- nahmen vornehmlich in den jungen Bundesländern tun. Ein ehemals vorwärtsweisender Beschluß ist und durch die soeben von Frau Kollegin Sehn ange- heute zu verbalen Schwüren verkommen. Und für sprochenen, sehr deutlich dargestellten Maßnahmen mich gilt auch hier das Bibelwort: An ihren Taten sollt auch in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt ihr sie erkennen! Diese Taten sehe ich nicht. umzusetzen. Ich hoffe, daß wir schon im nächsten Jahr (Beifall bei der SPD) bessere, weiterreichende Minderungszahlen haben In der Regierungserklärung in Berlin hat der Bun- als diese 14,5 %, die ich Ihnen heute mitteilen deskanzler am 20. Mai 1992 gesagt: Wir haben als konnte. erstes großes Industriel and die Verminderung der Ich danke Ihnen sehr herzlich. Treibhausgase aktiv in Angriff genommen. — Sie, Herr Bundesumweltminister, haben ihm beigepflich- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tet. 12652 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Liesel Hartenstein Wenn dem so wäre, dann bräuchten wir heute keine lich 25 % im Vergleich zu nur 8 % in den alten große Debatte zu führen. Aber ich frage Sie: Wo Ländern? bleiben denn die konkreten Maßnahmen, die auch heute wieder so dringlich angemahnt werden, von der Dies alles würde nicht nur dem Klimaschutz dienen, Wärmeschutzverordnung bis zur Eindämmung des sondern dies würde auch Arbeitsplätze für Jahrzehnte motorisierten Straßenverkehrs? Sie sind nicht vorhan- schaffen — im Handwerk, im Ausbaubereich, in der den! Sie sind nicht in Kraft, sie sind noch nicht einmal Heizungstechnik. beschlossen. (Brigitte Adler [SPD]: Sehr richtig!) Und ich frage Sie ganz speziell: Wenn dem so wäre, Die Klage über die Hemmnisse war allgemein, daß Klimaschutz zu den vorrangigen politischen Auf- Hemmnisse, die dem rationellen und ökologisch ver- gaben dieser Bundesregierung gehörte, warum hat sie träglichen Energieeinsatz entgegenstehen. Das be- dann nicht die einmalige Chance, die sich in den trifft nicht nur mangelnde Finanzmittel und Informa- neuen Bundesländern bot und immer noch bietet, mit tionsdefizite — die gibt es auch —, wich tige Hemm- beiden Händen ergriffen, die Chance nämlich, im nisse sind ebenso die ungeklärten Eigentumsverhält- Zuge des Neuaufbaus und der Umstrukturierung der nisse und falsche Rahmenbedingungen. Das möchte Wirtschaft alle Möglichkeiten zur rationellen Energie- ich noch einmal ausdrücklich betonen. nutzung, zur Einsparung von Energie und zur Nut- zung erneuerbarer Energien wirklich auszuschöpfen? Ein ganz entscheidendes Hemmnis ist der Strom- Der Bundeskanzler spricht so gern von einer histori- vertrag vom August 1990! schen Chance; hier wird sie ihm geboten. Ich halte es nicht für entschuldbar, daß wir in unglaublicher Ver- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und blendung daran vorbeigehen. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich komme noch einmal zurück auf die gestrige Das ist nicht nur meine Auffassung, sondern auch die Anhörung in Leipzig. Liebe Kolleginnen und Kolle- Auffassung der Sachverständigen. Er hat die Mono- gen, fast alle Experten haben übereinstimmend bestä- polstrukturen von den alten Bundesländern auf die tigt, daß es in den neuen Ländern riesige offene neuen übertragen. Er bremst den Einsatz der umwelt- Potentiale für den Klimaschutz gebe. Sie haben freundlichen Kraft-Wärme-Kopplung. Er bremst auch ebenso einhellig die Befürchtung geäußert, daß diese die dezentrale Energieerzeugung durch die Stadt- offenen Potentiale durch Fehlinvestitionen und durch werke. Er schreibt eine verbrauchsorientierte Ener- Aufrechterhaltung bzw. Schaffung ineffizienter giepolitik fest, statt eine energieeinsparende Energie- Strukturen für lange Zeit wieder geschlossen wer- politik zu fördern. Bis jetzt dominiert die Absatzstra- den. tegie, sagte ein Sachverständiger aus Halle. So ist das: Die Verkaufsstrategie dominiert, nicht die Einspar- Der Grund für diese Befürchtung: weil der Neuauf- strategie. bau ganz nach dem Muster der alten Bundesländer vor sich gehe, weil infolgedessen neue Erkenntnisse Ich frage Sie: Wann werden wir solche anachroni- und neue Technologien gerade auch im Bereich stischen Hürden endlich beseitigen? Klimaschutz nicht genügend berücksichtigt würden. Hier muß doch der Hebel angesetzt werden! Ein zweites Handlungsfeld ist der Verkehrsbereich. Die Sorge vor einer verkehrsproduzierenden Zersied- Ich frage Sie: Wollen wir sehenden Auges beim lung kam unüberhörbar zum Ausdruck. Die zuneh- Aufbau in den neuen Ländern alle Fehler wiederho- mende Trennung der Funktionsbereiche Wohnen, len, die wir in den alten Ländern gemacht haben? Sind Arbeiten, Einkaufen, Freizeit usw. ist überall zu beob- wir denn überhaupt nicht lernfähig? achten. liegen nach Aus- Die größten Reduktionspotentiale Hinzu kommt, daß die gegenwärtige Verkehrspoli- sage der Experten im Raumheizungssektor. Bekannt- tik durch eine deutliche Begünstigung der Straße, lich haben die neuen Bundesländer einen enorm durch eine deutliche Vernachlässigung des ÖPNV hohen Altbaubestand, der sanierungsbedürftig ist. und durch eine massive Benachteiligung der Schiene Nach Schätzungen müssen bis zum Jahre 2005 gekennzeichnet ist. Warum begreift m an nicht, daß 2,4 Millionen Altbauwohnungen saniert werden, und dies der falsche Weg ist? Verkehrspolitik ist Klimapo- es müssen zusätzlich rund 1 Million neue Wohnungen litik! gebaut werden. Da drängen sich doch folgende Fragen auf: Erstens. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und Wo bleibt die Wärmeschutzverordnung, die sicher- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) stellt, daß neue Wohnungen in Ost und West nicht Nicht die Imitationen alter, umweltfeindlicher Struk- nach veralteten Wärmedämmstandards gebaut wer- turen, sondern der Aufbau neuer, umweltfreundlicher den? Verkehrsstrukturen muß doch das Ziel sein. Es wäre Zweitens: Wo bleibt ein umfassendes Förderpro- zu wünschen, daß Herr Krause diese Lek tion lernt, gramm zur Altbausanierung, auch zur energe tischen bevor es zu spät ist, liebe Kolleginnen und Kolle- Sanierung? gen. (Beifall bei der SPD) Drittens: Warum wird eigentlich nichts für die Erneuerung und den Ausbau der Fernwärmenetze Ein Wort zu den Ausführungen der Kollegen Frau getan, die in den neuen Ländern einen wesentlich Sehn und Herrn Feige. Da möchte ich zunächst zu höheren Anteil an der Wärmeversorgung haben, näm- Herrn Feige sagen: Wenn es um die Konturen einer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12653

Dr. Liesel Hartenstein Partei geht, empfehle ich uns allen, daß jeder zunächst Energieverbrauchs usw. Das ist die Grundlinie. Mehr einmal vor der eigenen Türe kehrt. kann ich im Augenblick dazu nicht sagen; sonst wären (Zuruf von der CDU/CSU: Hahahaha!) abendfüllende Ausführungen nötig. —Oh ja! Herr Feige, ich kann hier für die SPD als Fraktion Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Har- und als Partei unmißverständlich erklären: Wir wollen tenstein, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Feige? — Bitte, Herr Kollege Feige. eine ökologische Steuerreform! Dies ist eindeutige Mehrheitsmeinung, und es ist nicht fair, irgendwelche „Ausreißer" zu zitieren. Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Frau Sehn, wenn ich an Herrn Baum denke NEN): Frau Hartenstein, ist es bisher nicht so gewe- und mich daran erinnere, wie oft er schon gesagt hat, sen, daß gerade die Koalition den Anträgen der SPD daß die F.D.P. die Verbandsklage einführen wolle, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN immer eine dann sind wir, glaube ich, schnell quitt miteinander. Abfuhr erteilt hat, weil wir Einzelschritte in die richtige Richtung wollten, die Koalition aber immer (Zuruf von der F.D.P.: Das wollen wir sagte, das gehe nicht mit Einzelschritten, wir müßten auch!) ein Gesamtkonzept vorlegen? Glauben Sie nicht auch, Auch bei Ihnen gibt es eine Menge „Ausreißer". daß Einzelschritte ein Gesamtkonzept durchaus Zu einer ökologischen Steuerreform gehört aber ein unterstützen können? geschlossenes, ausgewogenes Konzept einschließlich der schrittweisen Erhöhung der Energiesteuern; ich Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Herr Kollege Feige, betone das deutlich. Nur muß man auch wissen — und Ihre Frage ist sehr allgemein gehalten. Auch hier das ist uns wichtig —, daß man die sozialen und müßte man präziser wissen, auf was Sie hinaus wollen. strukturellen Auswirkungen, z. B. im ländlichen Sie können beispielsweise im Verkehrsbereich nicht Raum, zu berücksichtigen hat. Nicht zuletzt deswegen Einzelschritte unternehmen, ohne den Menschen haben wir eine Entfernungspauschale statt der Kilo- gleichzeitig Alternativen anzubieten. Deswegen sind meterpauschale vorgeschlagen. Wir haben ebenso wir dafür, daß ein größerer Anteil der Milliarden, die eine Fernpendlerpauschale vorgeschlagen. dem Herrn Bundesverkehrsminister zur Verfügung Mit isolierten Einzelmaßnahmen, mit isolierten Ein- stehen, zur Sanierung und zur Modernisierung des zelaktionen wird das Ziel nicht erreicht. Schienenverkehrs verwendet werden. Deswegen sind wir dafür, daß sie zum Ausbau der ÖPNV-Netze auch Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Har- im ländlichen Raum verwendet werden, damit die tenstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Menschen wirklich ein Angebot haben, wenn die gen Grüner? — Bitte, Kollege Grüner. Mineralölsteuern angehoben werden sollten. Deswe- gen sind wir auch dafür, daß die Arbeit von Steuern entlastet wird, wenn auf der anderen Seite eine Martin Grüner (F.D.P.): Frau Kollegin, ist es richtig, ökologische Steuerreform z. B. den Energieverbrauch daß Sie in Ihrem Energiesteuerprogramm, in Ihrem belastet. Bundestagswahlprogramm zwar eine Energiesteuer fordern, aber die Kohle von einer solchen Steuer (Abg. Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/ ausnehmen wollen? Ich habe das bisher immer als DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage) SPD-Programm betrachtet. Was ist eigentlich Ihre ökologische Steuerreform vor diesem Hintergrund? — Ich würde Sie bitten, Herr Kollege Feige, mich fortfahren zu lassen. Denn es kommt noch ein Tages- ordnungspunkt, und am Freitagnachmittag läuft die Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Lieber Herr Grüner, Zeit noch schneller weg als sonst. jetzt müssen Sie mir zuerst einmal sagen: Meinen Sie das Wahlprogramm für 1990, oder meinen Sie ein Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich möchte Wahlprogramm für 1994, das ich noch nicht kenne, ich sehr wünschen, daß der Herr Bundesverkehrsmi- daß Sie aber offensichtlich kennen? nister, die Frau Bundesbauministerin und auch der Bundeswirtschaftsminister an unserer Debatte teil- (Martin Grüner [F.D.P.]: Das für 1990!) nehmen könnten. Denn an diese Adresse muß man — Gut, Sie kennen also das Konzept „Fortschritt 90" nämlich die Forderungen richten, insbesondere die, und wissen, daß damals eine Erhöhung der Mineral- die ich jetzt aus Leipzig mitgebracht habe. ölsteuer vorgeschlagen war, sogar mit einem konkre- Auch im Bereich Gewerbe und Industrie sind fal- ten Betrag. Und Sie wissen genauso, daß die Kohle sche Weichenstellungen sichtbar. So monieren die über die Einführung von Luftschadstoffabgaben her- Sachverständigen beispielsweise, daß die heutige angezogen werden sollte. Ich glaube, es ist müßig, Praxis der Investitionszuschüsse im wesentlichen jetzt dieses Konzept noch einmal vorzutragen; Sie kapitalintensive Produktionsprozesse fördere und kennen es. nicht arbeitsintensive. Sie verlangen — zu Recht, Wenn Sie die ökologische Steuerreform anspre- meine ich —, daß die begrenzten staatlichen Mittel auf chen, dann kann ich leider mit Rücksicht auf die Zeit Zukunftstechnologien, auf Hochtechnologien kon- hier nur das Prinzip nennen: Es muß alles teurer zentriert werden und zwar auf solche Produktionsfor- werden, was ökologisch schädlich ist. Es muß alles men, die mit einem Minimum an Energieaufwand und begünstigt werden, was umweltfreundlich ist, was einem Minimum an Rohstoffeinsatz auskommen. Hier also ökologisch vorteilhaft ist, z. B. die Reduzierung besteht echter Handlungsbedarf, hier besteht echter des Rohstoffeinsatzes, z. B. die Verringerung des Umsteuerungsbedarf. Freilich, Umsteuern setzt Um- 12654 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Liesel Hartenstein denken voraus, und genau dieses vermisse ich bis dato beim Staub sind die modernsten Holzkraftwerke in noch bei Ihnen. der Leistungsfähigkeit schlechter als das modernste (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke fossile Kraftwerk. Liste) Wenn wir jetzt z. B. Filter einbauen wollen, um den Lassen Sie mich zum Schluß sagen, meine Damen Staubausstoß bei den Kraftwerken im Holzbereich zu und Herren: hat einmal die Vision verhindern, bekommen wir solch hohe Gestehungs- formuliert, die ostdeutschen Länder könnten mittelfri- und Investitionskosten, daß allein dadurch die nach- stig der modernere Teil Deutschlands werden. wachsenden Rohstoffe, z. B. im Bereich der festen Rohstoffe, des Holzes, teurer werden und damit keine (Zuruf des Abg. Georg Gallus [F.D.P.]) Marktchancen mehr haben. So haben wir überall die Ich frage die Bundesregierung und auch Sie, Herr Detailpunkte. Gallus, ob sie nicht endlich die Rahmenbedingungen Der Bundesumweltminister hat gerade zu Recht schaffen will, um diese Vision wahrzumachen. Das gesagt: Wir arbeiten an der Umsetzung unseres Maß- wäre eine historische Leistung. nahmenkataloges. — Natürlich muß man so arbeiten, (Erneuter Zuruf des Abg. Georg Ga llus daß das seriös ist und einer wirklich intensiven Dis- [F.D.P.]) kussion standhält. — Ich habe es vernommen. — Global denken, lokal (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) handeln: Darüber, ob Rio folgenlos bleibt, wird nicht erst beim nächsten Erdgipfel entschieden, sondern vor Man darf sich nicht einfach hier hinstellen und sagen: Ort, auch hier in Bonn. Deshalb fordern wir die Das geht alles so. — Nein, das Problem ist, es geht im Bundesregierung auf, die Weichen neu zu stellen. — Detail nicht so. Haben Sie es vernommen, Herr Gallus? Deshalb lassen Sie mich an dieser Stelle ganz Danke schön. deutlich sagen: Frau Hartenstein, wir müssen natür- lich — und da sind wir einer Meinung — deutlich (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke und Klimaschutz- Liste) machen, daß Umweltschutzpolitik politik so wichtig sind, daß diese Politikfelder z. B. nicht gegenüber dem Grundsatz „Wiederaufbau Ost" Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und und auch nicht gegenüber dem Grundsatz, daß unsere Herren, der nächste Redner ist unser Kollege Dr. Peter Wirtschaft im internationalen Standard wettbewerbs- Paziorek. fähig bleiben muß, zurückstehen dürfen. Liebe Kollegin Enkelmann, Sie sagen, es werde zur Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! finanziellen Unterstützung überhaupt nichts getan. — Meine Damen und Herren! Liebe Frau Hartenstein, so Der Bundesumweltminister hat gestern gesagt: sehr ich Ihr Engagement für den Klimaschutz schätze, 15 Milliarden DM müssen jetzt aufgelegt werden, um muß ich doch sagen, daß Sie durch die A rt und Weise, die Altlasten der früheren DDR im Umweltschutzbe- wie Sie heute vormittag Klimaschutzpolitik beschrei- reich zu beseitigen. Wenn wir das Geld zur Verfügung ben — obwohl Sie das nicht wollen, das unterstelle hätten, um Klimaschutzpolitik zu betreiben, dann ich —, der Klimaschutzpolitik einen großen Schaden wären wir in der Tat ein Stückchen weiter. Aber wir zufügen. Sie stellen nämlich die Problema tik so dar, müssen erst einmal Ihre Altlasten abbauen, die Sie als ob das alles ganz einfach sei, als müßten wir nur über 40 Jahre haben auflaufen lassen. endlich anfangen, die Weichen richtig zu stellen; dann Lieber Kollege Feige, Sie haben gerade gesagt, daß könnten die Probleme schon gelöst werden. Ihr Antrag, der jetzt vorliegt, im Grunde genommen Wer so argumentiert, verkennt die Schwierigkeiten, nur das aufgreift, was wir in der Frak tion beschlossen die im Detail liegen und auf die bei jeder seriösen haben. Ich muß Ihnen sagen, da haben Sie völlig Klimaschutz- und Umweltschutzpolitik die richtigen falsche Informa tionen. Wir haben in der Fraktion Antworten gefunden werden müssen. beschlossen, daß wir in der Tat eine Erhöhung der Mineralölsteuer brauchen. Aber die Erhöhung der (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE Mineralölsteuer kann nicht ohne Beteiligung der GRÜNEN]: Kein Geld!) ausländischen Speditions- und Lkw-Unternehmer in Sie haben immer wieder die gestrige Anhörung der Betracht kommen. Sollen die denn vielleicht kostenlos Enquete-Komission in Leipzig angesprochen. Ich durch Deutschl and fahren und nur die Deutschen die z. B., der ich Mitglied der Enquete-Kommission bin, externen Kosten im Umweltschutzbereich bezahlen? konnte gestern in Leipzig nicht dabeisein, weil ich an Das kann doch wohl nicht wahr sein! einer Anhörung unserer Frak tion zum Thema nach- wachsende Rohstoffe teilnehmen wollte, eine Proble- (Beifall bei der CDU/CSU) matik, die nach meiner Ansicht ein wich tiger Detail- Aber, lieber Herr Feige, ich habe ja Verständnis für punkt der Klimaschutzpolitik ist. Ihre Situation. Nach dem sogenannten politischen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Erdbeben in Hessen haben Sie vielleicht Sorge, ob Sie in der nächsten Legislaturperiode noch umweltpoliti- Im Detail, liebe Frau Hartenstein, ist uns gestern von scher Sprecher Ihrer Fraktion sind. Deshalb kommt es Fachleuten, die für den Einsatz nachwachsender Roh- jetzt manchmal zu hektischen Aktionen. Aber es hat stoffe sind, hinsichtlich des Bereichs der Holzkraft- keinen Zweck, in der Beziehung hat die CDU/CSU- gesagt worden: bei der Schwefelbilanz hervor- werke Fraktion die Punkte richtig gewichtet. ragend — das ist ganz klar —, bei der CO2-Bilanz ebenfalls hervorragend. Aber bei Stickoxiden und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12655

Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie eine Dr. Liesel Hartenstein (SPD): Herr Kollege Paziorek, Zwischenfrage des Abgeordneten Feige? über die Komplexität der Themen sind wir uns sicher- lich einig. Wir sind uns aber offenbar nicht einig über Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Selbstverständ- die Dringlichkeit der Maßnahmen, die erfolgen müs- lich. sen. Ich verstehe ja, daß Sie die Bundesregierung schützen wollen, aber haben Sie denn wirklich eine Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erklärung dafür, daß zu allen diesen angesichts der - NEN): Herr Kollege Paziorek, sind dann alle Presse- Dringlichkeit der Klimaproblematik überfälligen mitteilungen über die Koalitionsgespräche zur Frage Maßnahmen — Wärmenutzungsverordnung, Wärme- Vignette und Erhöhung der Mineralölsteuer um schutzverordnung, Ausbaukonzept für Fernwärme, 13 Pfennig erstunken und erlogen? Hat sich der massives Förderprogramm für erneuerbare Energien, Kanzler nicht dafür eingesetzt und deshalb Watschen Konzept zur Eindämmung des Straßenverkehrs, von der CDU/CSU-Fraktion bekommen? Novellierung des Energiegesetzes, Revision des Stromvertrages usw. — heute noch nichts, wirklich gar (Widerspruch bei der CDU/CSU) nichts auf dem Tisch liegt? Ich möchte gerne wissen, wie Sie das wirklich beurteilen, da Sie ja Mitglied der (CDU/CSU): Lieber Kollege Dr. Peter Paziorek Enquete-Kommission sind und sich keine Illusionen Feige, ich weiß nicht, ob alle Pressemitteilungen darüber machen können, daß jeder Tag, jede Woche, „erstunken und erlogen" sind. Ich weiß nämlich nicht, die wir verstreichen lassen, ohne drohenden Gefahren welche Sie gelesen haben. Aber ich weiß, daß die gegenzusteuern, das alles nur noch teurer macht und Pressemeldungen, die ich gelesen habe, deutlich unter Umständen unumkehrbar macht? gemacht haben, daß es der CDU/CSU-Fraktion vor allen Dingen um die Einführung der Lkw-Vignette für ausländische Unternehmen geht. Das ist ein guter und richtiger Ansatz. Ich glaube, das sollten Sie mit Blick Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Frau Hartenstein, auf unsere Abstimmung gleich als unsere Position zur von der Zielrichtung her stimmen wir alle Ihnen zu. Kenntnis nehmen. Genau die Punkte, die Sie angesprochen haben — Wärmeschutzverordnung, Wärmenutzungsverord- Wir haben ja gesagt zu einer Klimaschutzpolitik, nung, Förderprogramm für die Gebäudewirtschaft, auch vor dem Hintergrund der veränderten Rahmen- auch im Althausbereich —, sind Punkte, die wir zu daten, trotz der Wiedervereinigung Deutschlands, einer sinnvollen Strategie, bezogen auf das Jahr 2005, obwohl auch verstärkt Geldmittel in den Aufbau Ost brauchen. fließen müssen. Es hat auch gar keinen Zweck, daß wir in Schubladen denken: einerseits Wirtschaftspolitik, (Zuruf der Abg. Dr. Liesel Hartenstein andererseits Umweltpolitik. Wir müssen zu einem [SPD]) vernetzten Denken kommen, bei dem Umweltpolitik — Ich bin mit der Beantwortung noch nicht fertig. — und Wirtschaftspolitik zusammengeführt werden Nur: Es hat keinen Zweck, daß wir Anfang 1993 z. B. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Wärmenutzungsverordnung in Kraft setzen, die und durch das auch Denkweisen verändert werden. beispielsweise völlig kompliziert ist, übertrieben ist Das ist genau das, was der Konzeption der Bundesre- und vielleicht falsche Schwerpunkte im Bereich der gierung und unserer Koalition zugrunde liegt. betrieblichen Abwärme außerhalb der Betriebe setzt, (Zuruf von der F.D.P.: Jawohl!) Damit steht für die CDU/CSU-Fraktion auch fest, (Monika Ganseforth [SPD]: Das tut sie gar daß wir an der Beschlußlage des Bundestages vom nicht!) 27. September 1991, nach der wir die CO2-Reduktion daß wir dadurch also, Frau Hartenstein, eine Rege- um 25 % wollen, nichts zu ändern brauchen. Deshalb lung verabschieden, die so kompliziert ist, daß die unterstützen wir die Bundesregierung auch in ihrer Wärmenutzungsverordnung bis zum Jahre 2005 nur Beschlußfassung vom Dezember 1991 und sagen: Es schwer oder vielleicht auch gar nicht sinnvoll umge- besteht überhaupt gar kein sachlicher Anlaß, heute setzt werden kann. Ihrem Entschließungsantrag zuzustimmen. Er bringt Genau darauf kommt es uns an: Lieber jetzt, in 1993, in der Sache nichts Neues. Die Verfahrensvorschläge noch zwei oder drei Monate warten und dann eine sind auch nicht sensationell neu. Deshalb kann ich gute und sinnvolle Wärmeschutzverordnung und sagen, daß es für eine Zustimmung zu diesem Ent- Wärmenutzungsverordnung auflegen, als — ich sage schließungsantrag keine sachliche Grundlage gibt. das ganz deutlich, Frau Hartenstein — unter Hektik (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und — wie Sie das wollen — hier Verordnungen zu der F.D.P. — Zuruf von der CDU/CSU: Über erlassen, die in der Praxis nachher nicht umsetzbar haupt keine!) sind. (Monika Ganseforth [SPD]: Seit zehn Jahren Vizepräsident Helmuth Becker: Gestatten Sie noch liegt das vor! Das ist wohl keine Hektik!) eine Frage der Abgeordneten Liesel Hartenstein? Genau das ist der St and. Das Traurige ist, daß Sie diese Zielrichtung nicht erkennen, sondern jetzt, um partei- Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Selbstverständ- lich. politische Vorteile zu erzielen, in Hektik machen, was der Klimaschutzpolitik unter dem Gesichtspunkt „2005" bestimmt nicht dient. Vizepräsident Helmuth Becker: Bitte, Frau Kolle- gin. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 12656 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Peter Paziorek Um es noch einmal klarzustellen: Die Klimaschutz- sich immer deutlicher. Statt entschlossenen Handelns, politik richtet sich nicht nur an den Bund, sondern wie der Herr Bundeskanzler es noch vor zwei Jahren auch an die Länder und an die Kommunen. Deshalb forderte, werden allmählich unverantwortbare Verzö- brauchen wir auch örtliche und regionale Energie- gerungs- und Verschleppungstaktiken sichtbar. und Klimaschutzkonzeptionen. Wir brauchen alles (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das, was Sie, Frau Hartenstein, gerade angesprochen DIE GRÜNEN) haben. Wir brauchen auch eine Änderung des Ener- - giewirtschaftsgesetzes, damit die Zielrichtung klar Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Landwirt- wird, nämlich mehr Umweltschutz und Ressourcen- schaftspolitik gibt dafür ein trauriges Beispiel: schonung. Die Landwirtschaft ist von der Klimaveränderung in Ich sage noch einmal ganz deutlich: Auch die besonderer Weise betroffen, da die nachhaltige CDU/CSU-Fraktion ist dafür, daß langfristig, kontinu- Ertragsfähigkeit vieler Standorte reduziert und in ierlich, sozial- und wirtschaftspolitisch verträglich die einigen Regionen der Erde gänzlich zerstört werden Mineralölsteuer angehoben wird, um dadurch auch kann. Um so mehr müßte die Landwirtschaft bestrebt ein Umsteuern in der Verkehrspolitik herbeizuführen. sein, ihre Rolle als Mitverursacherin des Treibhausef- Nur: Es hat keinen Zweck, Frau Hartenstein, wenn Sie fektes ernst zu nehmen und endlich umwelt- und z. B. sagen „Es tut sich ja nichts im Bereich des klimaverträgliche Nutzungsformen in die Tat umzu- Schienenverkehrs" und damit auch der Öffentlichkeit setzen. einfach unterschlagen, daß eine langfristig tragfähige Mit rund 10 % ist die Landwirtschaft weltweit am Stärkung des Schienenverkehrs nur möglich ist, wenn Treibhauseffekt beteiligt: CO2-Freisetzung wegen die Bahnreform kommt. fortschreitender Bodennutzung und zunehmenden Deshalb kann ich nur sagen: Tim Sie doch bitte nicht Humusverlusten, Methanemissionen aus der Rinder- den zweiten Schritt vor dem ersten Schritt, sondern und Schafhaltung, Lachgasemissionen durch inten- unterstützen Sie unseren Verkehrsminister beim sive Stickstoffdüngung. Aber auch das nach wie vor ersten Schritt, damit wir die Bahnreform auch beim zugelassene Pestizid Methylbromid zerstört ebenso Bundesrat jetzt wirklich über die Bühne bekommen, wie Lachgas die Ozonschicht. damit wir eine sinnvolle neue Verkehrspolitik betrei- Den Zusammenhang „Klima und Landwirtschaft" ben können! sollten wir allerdings nicht einseitig betrachten; denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge die Klimabelastung ist nur ein Merkmal der ökologi- schen Krise in der Landwirtschaft. Eine Erhöhung der ordneten der F.D.P.) Umweltverträglichkeit landwirtschaftlicher Produk- Es gibt kein einheitliches, geschlossenes Rezept, tion würde den Naturhaushalt in vielfacher Hinsicht das in einem Sprung die CO2-Probleme löst. Das ist Ihr entlasten. Denkfehler. Wir sind von der Zielrichtung her völlig einer Meinung; nur ist der Strategieansatz bei Ihnen meines Erachtens überzogen. Vielmehr sind viele Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin kleine Schritte auf unterschiedlichen Feldern notwen- Adler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen dig. Gallus? Außerdem müssen wir auf der EG-Ebene die Umweltschutzstandards, insbesondere im Energiebe- Brigitte Adler (SPD): Nein, das gestatte ich jetzt reich, auch tatsächlich harmonisieren, wenn die Wett- nicht. bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht Ich möchte in diesem Zusammenhang auf den beeinträchtigt werden soll. Die Bundesregierung und Kollegen Paziorek eingehen, der die nachwachsen- die Koalition sind mit ihrem Druck auf die EG in den Rohstoffe als ein Allheilmittel oder zumindest ein Sachen Klimaschutz auf dem richtigen Weg. wichtiges Mittel in der Landwirtschaft ansieht. Ich Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. möchte dazu sagen, daß gerade Monokulturen auch in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) unserem Land als sehr schwierig anzusehen sind, daß sie vor allem deshalb bedenklich sind, weil im Non- food-Bereich mit Pestiziden und anderen Pflanzenbe- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und handlungsmitteln behandelt wird, der Boden entspre- Herren, ich erteile das Wort jetzt unserer Frau Kollegin chend belastet wird und damit auch das Grundwasser Brigitte Adler. wieder belastet wird. Insofern sollten wir diese Diskussion zu den nach- Brigitte Adler (SPD): Vielen Dank, Herr Präsident. — wachsenden Rohstoffen sehr sorgfältig führen und Meine Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und allen möglichen Gefährdungen gegenüberstellen, Kollegen! Die Antwort der Bundesregierung auf die welchen Nutzen diese nachwachsenden Rohstoffe Große Anfrage der SPD „Umsetzung der Empfehlun- auch haben könnten. Dazu ist, meine ich, noch eine gen der Enquete-Kommission durch die Bundesregie- weitere Anhörung oder weitere Behandlung in den rung" ist ein weiteres Signal für die umwelt- und Ausschüssen notwendig. klimapolitische Handlungsunfähigkeit dieser Regie- Angesichts dieser Zusammenhänge, nämlich zwi- rung. schen Klima und Landwirtschaft, stimmt es bedenk- Die schon früher geäußerten Befürchtungen, daß lich, wenn die Bundesregierung die Ergebnisse der den Versprechungen der Bundesregierung, in der EG-Agrarreform entgegen besserem Wissen als Klimapolitik eine Vorreiterrolle zu spielen, keine oder Erfolg für den Klima- und Umweltschutz präsentiert, nur halbherzige Taten folgen werden, bewahrheiten obwohl auch nach der EG-Agrarreform die Landwirt- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12657

Brigitte Adler schaft von einem Marktordnungssystem beherrscht tropischen Wälder schrumpfen weiter. Die CO2 wird, das keinerlei Anreize für ökologisch verträgliche Belastung hat nicht abgenommen. Auch das Ozon- Produktionsweisen bietet. Einkommenstransfers in loch ist nicht kleiner geworden. Milliardenhöhe werden an die Landwirtschaft über- Wir sollten uns jedoch an den positiven Signalen wiesen, ohne diese an umweltverträgliche Wirt- orientieren: daß das neue Präsidentengespann der schaftsweisen zu binden. USA offensichtlich willens ist, die bisherige umwelt- Eine Auskunft darüber, wie sie die Agrarreform politische Blockadepolitik der Vereinigten Staaten zu - beschlüsse zugunsten von Umwelt und Klima beein- beenden, daß UNO-Generalsekretär Boutros Ghali flußt hat, bleibt die Bundesregierung schuldig. Eben- erste Schritte eingeleitet hat, die Umwelt- und Ent- sowenig antwortet sie auf die Frage, wie sie sich für wicklungspolitik des UN-Systems besser zu koordi- die EG-weite Einführung der von der Enquete-Kom- nieren und zu straffen, und daß das von uns, von mission empfohlenen Stickstoffsteuer einsetzt. Deutschland und der Bundesregierung, durchgesetze Gleichzeitig argumentiert die Bundesregierung, daß europäische Programm zum Tropenwaldschutz in eine Stickstoffbesteuerung nur EG-weit durchführbar Brasilien nach mühsamen politischen und techni- ist. Richtig, aber ohne Überzeugungsarbeit wird es nie schen Vorarbeiten nun sta rtklar ist. Das sind einige gelingen. ermutigende Zeichen. Andere hat Minister Töpfer Wie aber könnte man auf EG-Ebene für umweltpo- bereits genannt. litisch sinnvolle Maßnahmen plädieren, wenn man im Doch es stehen uns unmittelbar schwierige Nagel- eigenen Land nicht in der Lage ist, z. B. eine Dünge- proben bevor. So ist z. B. nicht sicher, ob die laufende mittelanwendungsverordnung zu verabschieden, um internationale Tropenholzhandelskonferenz in Japan endlich die gravierenden Folgeschäden der Stickstoff- überhaupt wieder in Fahrt kommt und tatsächlich zu düngung abzustellen? einem besseren Schutz aller Wälder vor hemmungslo- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Klaus sem Raubbau führt. Sicher ist auch noch nicht, ob, wie Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) wir alle hoffen, die globale Umweltfazilität Ende Lassen Sie mich abschließend noch ein Wo rt zur 1993, wenn die Pilotphase ausläuft, wirklich, wie Dieselölverbilligung in der Landwirtschaft sagen. Mit beschlossen, mit 3 Milliarden US-Dollar Sonderzie- fast 1 Milliarde DM wird der Dieselöleinsatz jährlich hungsrechten weitergeführt oder, wie zu hören ist, auf subventioniert. Nach Aussagen der Bundesregierung Betreiben der Weltbank gekürzt wird. Denn schon würde eine Streichung dieser Subvention zu einer Ende 1992 konnten sich die 34 Geberländer der Verbrauchsminderung um lediglich rund 1 % führen. Weltbanktochter IDA nicht auf die in Rio eigentlich Die eigentliche Zielsetzung der Frage in unserer beschlossene Aufstockung der Gelder zur Umsetzung Großen Anfrage aber wollte die Bundesregierung der Agenda 21 einigen. Hier waren unsere Gelder aus nicht verstehen: 1 Milliarde DM könnten vernünfti- dem BMZ-Haushalt in Höhe von 240 Millionen DM gerweise z. B. für die Förderung des ökologischen bereits als Verpflichtungsermächtigung eingestellt. Landbaus eingesetzt werden. Aber dazu fehlt dieser Es lag also nicht an uns. Bundesregierung der politische Wille. Das UNO-Sekretariat der Rio-Konferenz bezifferte (Beifall bei der SPD) die jährlich notwendige Geldsumme zur Umsetzung der Agenda 21, des tragenden Pfeilers der Rio- Konferenz, von 1993 bis zum Jahr 2000 allein für die Vizepräsident Helmuth Becker: Jetzt hat unser Kol- Entwicklungsländer auf 600 Milliarden US-Dollar, lege Dr. Christian Ruck das Wort. davon 125 Milliarden US-Dollar an Zuschüssen und Krediten durch die inte rnationale Gebergemein- schaft. Diese Gebergemeinschaft, meine Damen und Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Präsident! Herren, ist gerade bei höchstens 5 Milliarden US- Meine Damen und Herren! Ich fange mit dem an, Dollar angelegt. Bei dieser schwindelerregenden Dis- womit Frau Adler aufgehört hat: mit dem politischen krepanz kann ich nur hoffen, daß sich das UNO- Willen. Frau Adler, Sie sind Mitglied im Entwick- Sekretariat geirrt hat. lungsausschuß. Sie müßten mitbekommen haben, daß Aber wie auch immer: Die von den Industrieländern wir gerade im Rio-Prozeß eine Bundesregierung aufzubringende Summe ist in etwa mit dem vergleich- erlebt haben, die wirklich alles versucht hat, um bar, was jetzt im Solidarpakt zwischen Ost- und diesen Prozeß in Gang zu bringen, Westdeutschland im Feuer ist. Ich frage mich natür- (Brigitte Adler [SPD]: Hat sie auch eine lich, ob der Solidarpakt zwischen Norden und Süden Mehrheit im Kabinett?) für uns alle nicht genauso wichtig ist. Auch Nord und und daß ihr der Bundestag dabei geholfen hat. Beide Süd sind vereinigt: in der Klimazerstörung, in der haben im Vorfeld und während der Rio-Konferenz Vernichtung der Schöpfung, im Drogenproblem, in eine hervorragende Rolle gespielt. Sie haben vermit- der Flucht der Menschen vor Elend und Unterdrük- telt, initiiert, zusammengeführt und auch Beschlüsse kung. herbeigeführt. Das ist, glaube ich, unbest ritten und Wie der innerdeutsche, so ist auch der Nord-Süd- kann auch von Ihnen, Frau Adler, nicht übersehen Solidarpakt eine beispiellose, aber notwendige Inve- werden. stition in die Zukunft. Denn die Option, unseren (Beifall bei der CDU/CSU) Reichtum gegenüber dem Rest der Welt abzuschotten Unsere bange Frage ist nun, ob nach acht Monaten und zu verteidigen, ist nichts anderes als ein unge- ein Rio-Prozeß deutlich wird, der darauf hinweist, daß deckter Blankoscheck gegenüber unseren Kindern nicht etwa nur Papiertiger am Werk waren. Denn die und Kindeskindern. Unsere politischen Leistungen 12658 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Christian Ruck werden nicht daran gemessen, welche Partei 1994 lich bunt gemischt von allen Parteien in diesem Land oder 1998 wie ausgesehen hat, sondern daran, ob wir vertreten werden. eine lebenswerte Umwelt hinterlassen haben, und vor (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und allem, ob wir den größten globalen Sprengstoff dau- der F.D.P.) erhaft und friedlich entschärfen konnten, nämlich das gewaltige Armutsgefälle gegenüber und innerhalb Auch bei den Länderregierungen steht die Nagel- zwei Dritteln dieser Welt. probe noch aus. Ich glaube, meine Damen und Herren, diese Über-- Was können wir tim, was müssen wir tun, um die zeugungsarbeit im Ausland und im Inland ist der Agenda 21 Wirklichkeit werden zu lassen? Mit ihrer eigentliche Inhalt und ist die eigentliche Aufgabe des konsequenten Schwerpunktsetzung auf Umwelt- Rio-Prozesses. Daß das länger als acht Monate dauert, schutz, Armutsbekämpfung sowie Bildung und Aus- wird niemanden verwundern. Wir sollten diese Auf- bildung ist die deutsche Entwicklungshilfe qualitativ gabe mutig und mit langem Atem auf uns nehmen, auf einem sehr guten Weg. Angesichts der gewaltigen auch in einer Schicksalsgemeinschaft zwischen den Herausforderungen beim Wiederaufbau der neuen Entwicklungs- und Umweltpolitikern aller Parteien. Bundesländer sowie der notwendigen Hilfen für Vielen Dank. Osteuropa und angesichts der Konjukturschwäche unserer Wirtschaft ist die Forderung nach einer kurz- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und mittelfristigen Verdoppelung der deutschen Ent- wicklungshilfe — das sind die 0,7 % des Bruttosozial- Vizepräsident Helmuth Becker: Zu einem kurzen produkts — unrealistisch. Wir sollten uns aber den- Beitrag erhält Frau Kollegin Monika Ganseforth noch noch geschlossen das Versprechen von Bundeskanz- einmal das Wort. ler Kohl an die Dritte Welt zu eigen machen und ab Mitte der 90er Jahre die zugesagte Erhöhung unserer Entwicklungshilfe in Richtung 0,7 % schrittweise Monika Ganseforth (SPD): Herr Präsident! Liebe — vielleicht bis zum Jahre 2005 — zumindest annä- Kolleginnen und Kollegen! So kann ich noch einmal hernd erfüllen und entsprechende Signale in der etwas Revue passieren lassen: Was wir heute hier mittelfristigen Finanzplanung setzen. gehört haben, war doch so die kleine Münze vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit den 13 Pfennig über Wir alle wissen jedoch, daß auch eine Verdoppe- die Träumereien und die Beschwörung des Geistes lung unserer Entwicklungshilfe nichts bewirken von Rio bis zu den Mitnahmeeffekten durch den würde, wenn nicht die anderen Geberländer und Zusammenbruch in den neuen Ländern; aber es war Entwicklungsinstitutionen mitziehen, ihren Ressour- sehr wenig Konkretes zur Klimaschutzpolitik. centransfer ebenfalls erhöhen und mit uns koordinie- (Widerspruch bei der CDU/CSU) ren, unsere Schwerpunktsetzung mittragen oder flan- Ich fand, es war doch wieder ein Ablenken von den kieren, die GATT-Verhandlungen gemeinsam zum Versäumnissen. Ich habe sehr viele Ausreden und Erfolg führen und gemeinsamen politischen Druck auf Ausflüchte gehört. diejenigen Regierungen in der Dritten Welt ausüben, denen die Zukunft und die Armut ihrer eigenen (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist unse- Bevölkerung mehr oder weniger gleichgültig sind. riös!) Es gab Schlupflöcher, und es ist hier das Schwarzer- Bundeskanzler und die zuständigen Peter-Spiel gespielt worden. Minister und Staatssekretäre haben mit ihrer Über- Wir waren in der Enquete-Kommission schon ein- zeugungsarbeit im Ausland viel in Bewegung setzen mal weiter. Wir waren uns schon einmal sehr einig, können. Wir sollten sie dabei mit unseren vielfältigen und zwar nicht nur in den Zielen, sondern auch internationalen Kontakten auch in Zukunft geschlos- darüber, daß wir eine große Aufgabe haben, um die es sen und nachdrücklich unterstützen. geht. Ich nenne nur die ökologische Steuerreform. Wir waren uns einig, daß wir eine Effizienzrevolution in (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge bezug auf die Energie brauchen und den Einstieg in ordneten der F.D.P.) das Solarzeitalter. Es geht nicht darum, Kohle gegen Kernenergie, Braunkohle gegen Steinkohle und Gas Viel Überzeugungsarbeit gibt es auch im eigenen gegen Öl auszuspielen, sondern wir wissen, daß wir Land, nicht nur bei der Akzeptanz der Entwicklungs- ganz anders ansetzen müssen, daß es um die Grund- politik in einer schwierigen Zeit. In Westdeutschland sätze unseres Wirtschaftens und unseres Lebens sind beispielsweise 50 % aller Wirbeltierarten ausge- geht. storben oder vom Aussterben bedroht. Wir wissen genug, und ich appelliere noch einmal Wir brauchen also nicht mit dem Finger auf die an Sie: Lassen Sie uns da anknüpfen, wo wir schon Tropenwaldländer zu zeigen, sondern müssen ent- einmal waren. Wir haben eine große Aufgabe vor uns. schlossene Schritte auch im eigenen Land unterneh- Noch ist sie zu packen, aber nicht so, wie das hier men. heute diskutiert worden ist. Schönen Dank. (Dr. Klaus-Dieter Feige [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN]: An wen geht die Forderung?)

— Das betrifft vor allem die Bundesländer, in deren Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Zuständigkeit der Naturschutz liegt und die bekannt Herren, gemäß § 27 der Geschäftsordnung erhält zu Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12659

Vizepräsident Helmuth Becker einer Kurzintervention unser Kollege Georg Gallus Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den das Wort. Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Verkehr, den Ausschuß für Raum- ordnung, Bauwesen und Städtebau sowie den Aus- Georg Gallus (F.D.P.): Herr Präsident! Meine schuß für Forschung, Technologie und Technologie- Damen und Herren Kollegen! Ich habe mich zu dieser folgenabschätzung zu überweisen. Sind Sie damit Kurzintervention wegen der Ausführungen der Frau einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind alle Adler gemeldet. Man muß jetzt doch einmal nüchtern Überweisungen so beschlossen. bleiben und sich fragen: Weshalb haben wir die intensive Landwirtschaft bekommen? Deshalb, weil Der Bericht der Bundesregierung auf Drucksache wir mehr Menschen bekommen haben. Man kann 12/3380 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten doch nicht sagen: Wir müssen in 30 Jahren 10 Milli- Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie auch damit arden Menschen ernähren — und das in einer exten- einverstanden? — Das ist der Fall. Dann sind die siven Landwirtschaft. Überweisungen so beschlossen. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) Ich rufe nun den letzten Punkt unserer heutigen Tagesordnung auf, den Punkt 13: Ich bin der Auffassung, daß man nicht gegen die Gentechnologie sein kann, wenn man gleichzeitig Beratung des Antrags der Abgeordneten weiß, daß man über diesen Weg höchstwahrscheinlich Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) und der zu Pflanzen kommen kann, bei denen man den Gruppe der PDS/Linke Liste Einsatz von Stickstoff vermindern kann. Aufschub der Zustimmung der Bundesregie- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rung zur Fusion der Kali und Salz AG und der Mitteldeutschen Kali AG Man muß in dieser Frage wirklich nüchtern blei- ben! — Drucksache 12/4268 — Dann möchte ich noch hinzufügen: Wer überhaupt Überweisungsvorschlag: auf dieser Welt die Schöpfung — wie ja immer so Ausschuß Treuhandanstalt (federführend) Ausschuß für Wirtschaft schön gesagt wird — erhalten will, wer wi ll, daß noch Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Elefanten in Afrika herumlaufen, daß es noch Regen- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wald gibt, wer Artenschutz be treiben will, der muß in Im Ältestenrat ist eine Aussprache mit Fünf -Minu- anderen Teilen eine intensive Landwirtschaft betrei- ten-Beiträgen vereinbart worden. — Ich höre und sehe ben. So einseitig also, wie die Dinge bier von Frau keinen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlos- Adler dargestellt worden sind, können sie nicht gese- sen. hen werden. Ich werde die Aussprache eröffnen, sobald die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) notwendige Ruhe hergestellt ist. — Die Aussprache ist eröffnet. Zunächst hat unsere Frau Kollegin Dr. Ursula Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Fischer das Wort. Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache dent! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! „Unser Kali, 12/4511. Wie bereits zu Beginn der Debatte angekün- Arbeit für uns, Brot für die Welt!" fordern seit zwei digt, wünscht die Gruppe namentliche Abstimmung. Jahren Kali-Kumpel. Das ist eine vernünftige Forde- Nach unserer Geschäftsordnung kann eine namentli- rung, die bei ihrer Realisierung sowohl deutschen che Abstimmung aber nur von einer Fraktion oder von Bergarbeitern und ihren Familien helfen würde als anwesenden fünf vom Hundert der Mitglieder des auch ein wirkungsvoller Beitrag gegen den Hunger in Bundestages — das sind 34 Abgeordnete — verlangt der Welt wäre. werden. Ich stelle daher die Frage: Wer unterstützt Nun liegt nach mehrjährigen Verhandlungen hinter den Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Kulissen ein Fusionsplan auf dem Tisch, der von auf namentliche Abstimmung? — Das sind zehn dieser Forderung meilenweit entfernt ist. Deshalb Damen und Herren des Hauses. Damit kann über den sagen wir auch hier und heute laut und deutlich: Die Entschließungsantrag nicht namentlich abgestimmt geplante Fusion zwischen der Mitteldeutschen Kali werden. AG und der BASF-Tochter Kali und Salz AG ist ein Ich bitte nunmehr diejenigen, die für den Entschlie- gigantischer Deal zu Lasten der Thüringer Kali- ßungsantrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Industrie. Bezahlen wird das alles der Steuerzahler, stimmen wollen, um das Handzeichen. — Das sind und gewinnen wird die BASF. fünf Stimmen. Wer stimmt dagegen? — Das sind die Um das zu belegen, möchte ich einige Fakten Koalitionsfraktionen und ein Mitglied der Gruppe nennen. Die Mitteldeutsche Kali AG bringt in die PDS/Linke Liste. Wer enthält sich der Stimme? — Das Fusion ein: Zielitz, einen modernen Kali-Betrieb; sind die SPD-Fraktion und ein Teil der Gruppe PDS/ Bernburg, ein modernes Steinsalzwerk; qualitativ Linke Liste. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. hochwertige Salze aus dem Werra-Revier, die nach Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag Schätzungen noch 50 Jahre reichen werden, sowie der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/4527 zur 1,044 Milliarden DM Bargeld. federführenden Beratung an den Ausschuß für Nicht von der Kali und Salz AG übernommen Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und zur werden z. B. die stillgelegten Kaligruben in Sollstedt, 12660 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Dr. Ursula Fischer Bleicherode, Sondershausen, Roßleben, Dorndorf, pro Hektar und Jahr ausgebracht, in Afrika 8 bis Unterbreizbach und Bischofferode und die Sozial- 15 Kilo und in Südamerika 20 bis 30 Kilo. Es ist also pläne für die entlassenen Kalikumpel. Hier werden international ein enormer Bedarf an Kalidüngemitteln wieder einmal die Gewinne privatisiert und die Ver- zur Eindämmung des Hungers in der Welt vorhanden. luste sozialisiert, d. h. dem Steuerzahler auf die Schul- Wenn natürlich, statt wirkungsvoll zu helfen, z. B. die tern gepackt. Rohkaffeepreise ständig weiter gedrückt werden, darf man sich nicht wundern, wenn ein Land wie Brasilien Dies wird noch deutlicher, wenn man weiß, daß die entsprechend weniger Kali kaufen kann. Mitteldeutsche Kali AG 49 % des Gesellschafteran- teils und damit auch 49 % des Risikos übernimmt. Der Fünftens sind wir der Auffassung, daß die Einfüh- Anteil der Risikoübernahme, der von der Treuhand- rung einer Kaliquote in den Ländern sinnvoll wäre. anstalt realisiert wird, liegt also damit deutlich über Die Vergabe müßte nach Vorratslage, Werkstoffge- dem Produktionsanteil, der nur ca. ein D rittel der halt, Anzahl der Kalistandorte im L and und sozialer Gesamtproduktion beträgt. Das bedeutet, wenn das Lage erfolgen. fusionierte Unternehmen rote Zahlen schreibt, wird Sechstens muß endlich ernsthaft darangegangen der Steuerzahler überproportional am Ausgleich der werden, für die bereits entlassenen 27 000 Kumpel Verluste beteiligt. ebenso wie für alle anderen Arbeitslosen Arbeits- Ein weiteres Beispiel: 1988 hat die DDR zu Welt- plätze zu schaffen. Es muß aufhören, daß sich der Staat marktpreisen 3,5 Millionen Tonnen Kalidünger ver- mit Hinweisen auf die Soziale Marktwirtschaft immer kauft, die Bundesrepublik 2,5 Millionen Tonnen. Jetzt weiter aus der Veranwortung zieht. Mit einem Recy- soll die Produktion in den neuen Bundesländern um clingpark allein kann man z. B. an der Werra keine zwei Drittel, in den alten Bundesländern allerdings 8 000 Menschen beschäftigen. Das permanente nur um ein Fünftel reduziert werden. Auf wessen Gerede darüber schafft auch nicht einen einzigen Kosten wird hier also abgespeckt? Arbeitsplatz. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Des weiteren ist darauf hinzuweisen, daß die Mit- teldeutsche Kali AG bis heute bereits 27 000 Mitarbei- (Beifall bei der PDS/Linke Liste und dem ter entlassen hat. Laut Fusionsplan sollen weitere BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abge- 1 884 Mitarbeiter 1993/94 bei der Mitteldeutschen ordneten der SPD) Kali AG entlassen werden und 1 744 Mitarbeiter bei Kali und Salz, der BASF-Tochter, dort allerdings planmäßig in Betrieben, deren Lagerstätten auslau- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kollege fen, und über fünf Jahre gestreckt. Udo Haschke. Das heißt auch, daß der Landkreis Worbis, in dem es von 22 % gibt, in bereits heute eine Arbeitslosenquote Udo Haschke (Jena) (CDU/CSU): Sehr geehrter dieser Hinsicht noch durch 720 Mitarbeiter aus Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Bischofferode „bereichert" wird. Ist das eine gleich- bin mir sicher, daß mindestens fünf Kollegen aus dem berechtigte, sozial gerechte Lösung? Kalibereich heute auf der Tribüne sitzen. Wenn ich Sie Bereits die wenigen Beispiele zeigen deutlich: Eine auch nicht direkt erkenne, möchte ich Sie doch Fusion in dieser Form erfolgt mit sehr hohen, die besonders begrüßen. Treuhandanstalt und damit letztendlich den Bund (Zuruf von der PDS/Linke Liste) auch in ferner Zukunft belastenden Aufwendungen, ohne daß Arbeitsplätze im Sinne industrieller Kerne — Ja, ich habe ihnen Eintrittskarten besorgt. Wir erhalten werden. reden eben nicht nur. (Lachen bei der PDS/Linke Liste) Deshalb fordern wir: Erstens. Die Fusion darf erst erfolgen, wenn die Mitteldeutsche Kali AG und K und Ich war jetzt auf der Demons tration, selbstverständ- S unzweifelhaft belegt haben, daß der Zusammen- lich; denn das machen wir nicht mit. Wir machen nicht schluß in dieser Form ökonomisch, ökologisch sowie mit, daß Thüringer Salz von hessischen Tunneln aus sozial vertretbar und allen anderen möglichen Vari- gefördert und über hessische Vertriebsgesellschaften anten vorzuziehen ist. verkauft wird. (Vorsitz: Vizepräsident Hans Klein) Deshalb hat die Thüringer Landesregierung — da- her war Ihr Appell eigentlich überflüssig, Frau Kolle- Zweitens. Die Thüringer Landesregierung möge gin Fischer — bereits alles gestoppt und gesagt: Die endlich aktiv in die Fusionsverhandlungen eingreifen Fusion ist vernünftig, aber zu gleichen Bedingungen. und die Interessen der Thüringer Bürgerinnen und Wir wollen nicht, nachdem wir schon 7 000 bis 8 000 Bürger vertreten. Arbeitsplätze abgebaut haben, nun in gleichen (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Das macht Bedingungen mit der anderen Seite noch einmal 1 800 sie schon!) oder 1 500 Arbeitskräfte verlieren. Wir wollen auch nicht, daß das an der Geldfrage gemessen wird, weil Drittens. Die Gewerkschaft Bergbau und Energie der Sozialabbau in Ost nur 7 000 DM kostet und in muß sich endlich darauf besinnen, die Interessen der West 32 000 DM. Da spielen wir nicht mit. Das ist der Kumpel West und Ost zu vertreten. Standpunkt der Thüringer Landesregierung. Den darf Viertens. Es müssen Möglichkeiten geschaffen wer- ich so mitteilen. den, Kali im Rahmen der Wirtschafts- und Osteuropa- Aber ich muß mich natürlich auch fragen: Woher hilfe einzusetzen. In Westeuropa werden 100 Kilo Kali kommt denn so ein Denken? Da habe ich hier ein Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12661

Udo Haschke (Jena) Interview vom Ministerpräsidenten des Landes Nie- rung des Kaliproduktions- und Forschungsstandortes dersachsen Schröder — Zitat —: Sondershausen bis zur Abwicklung hautnah miterlebt Die Bereitschaft im Westen, beim Aufbau in und mit den freigesetzten Beschäftigten — so heißen Ostdeutschland mitzuhelfen, darf nicht überstra- heute die Arbeitslosen — oft genug auch durchlit- paziert werden. Der Wille zu teilen hat dort ten. Grenzen, wo Menschen belastet werden. Ich hoffe, Sie nehmen keinen Anstoß an meinem (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! Aha! doch etwas erregten Ton. Ich komme gerade von - — Das ist Solidarität!) draußen und habe dort mit demonstrie rt. Im Osten muß endlich begriffen werden, daß es (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Wir 40 Jahre gedauert hat, auch!) — das ist alles noch Zitat — — Ich habe Sie gesehen. — Ich habe dort mit den bis in der Bundesrepublik der heutige Lebens- unmittelbar Betroffenen geredet und konnte mich dort standard erreicht worden ist. Wir haben für die auch nicht zurückhalten. Es wäre schön gewesen, Einheit bezahlt. wenn ich noch einige mehr von den hier Anwesenden Das kann ja wohl nicht ernst zu nehmen sein. Soll dort gesehen hätte. Ich glaube, das hätte manches das heißen, wir sollen jetzt 40 Jahre warten? Sollen die andere erübrigt. Kumpel von Kali 40 Jahre warten? Irgendwo hat für (Beifall des Abg. Udo Haschke [Jena] [CDU/ mich jeder Spaß seine Grenzen. Er hat da seine CSU]) Grenzen, wo sich die IG Bergbau und Energie hin- Allein die Gesichter der Demonstrierenden der stellt und sagt, man müsse endlich begreifen, daß die diesmal zu schließenden Kalistandorte Merkers und Bedingungen eben so sind, und man nimmt das dann Bischofferode sprechen nämlich eine beredte Spra- einfach hin. Man kann zwar in Deutschland Ost, also che. In ihrer Betroffenheit, in ihrer Wut und Bestür- in Thüringen, Sachsen-Anhalt usw. fleißig um Mit- zung gleichen sie nämlich aufs Haar den Gesichtern glieder werben, kann Mitgliedsbeiträge kassieren, der Stahlwerker in Rheinhausen. Das ist kein Wunder. kann mit großen Mitgliederzahlen aufwarten, und Hier sind Arbeitnehmer Ost wie West angeblich dann soll man plötzlich nicht mehr für die Interessen marktwirtschaftlichen Sachzwängen geopfert wor- eintreten können? den. Hier wie dort intoniert m an das Thema „fehlen- Ich halte diese Debatte — insofern bin ich froh, daß der Absatz" in wechselnden Tonlagen, ohne den dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt worden ist; Gründen und möglichen Abhilfemaßnahmen ernst- dafür bin ich wirklich dankbar — nur unter diesem haft nachzugehen. Gesichtspunkt für wichtig, daß wir sagen: Hört auf, vom Teilen zu reden, wenn ihr es nicht wollt. Ein weiteres Thema kommt im Falle der ostdeut- schen Kaliindustrie, die schon zu DDR-Zeiten stark (Beifall bei der CDU/CSU, der PDS/Linke westmarktabsatzorientiert war, hinzu. Nach der Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Wende wurde alles getan, die potentiell wettbewerbs- NEN) starke ostdeutsche Kaliindustrie in ihrer weiteren Entwicklung zu begrenzen. Kritisiert wird hier vor Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Gisela allem das Herausschießen zukunftsträchtiger Sorti- Schröter, Sie haben das Wort. mente, die bis zuletzt ihren Markt hatten. Erinnert sei hier an das Produkt Kaliumsulfat, bei dem die west- deutsche gegenüber der ostdeutschen Kaliindustrie, Gisela Schröter (SPD): Liebe Kolleginnen und Kol- nämlich die Kali und Salz AG, starke Marktanteilinte- legen! Meine Damen und Herren! Ein Wort zu Herrn ressen hat. Erinnert sei hier daran, daß in Ostdeutsch- Haschke: Herr Haschke, ich finde es ganz gut, was Sie land seit Juli 1991 nicht mehr produziert wird, obwohl gesagt haben, aber etwas irritiert mich schon — das die Produkteigenschaften des ostdeutschen Kalium- habe ich vorhin auch den Kalikumpeln gesagt —: Die sulfats besser sind als die des westdeutschen Gegen- Thüringer Landesregierung ist erst munter geworden, übers. als die Betriebsräte munter geworden sind, als die Betriebsräte aufgerufen und gesagt haben: Hier kön- (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Das ist nen wir nicht mehr mitmachen. Vorher haben Sie korrekt!) nämlich schön abgewartet und haben nichts getan. Meine Damen und Herren, das gibt es, daß ein (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Dazu sind ostdeutsches Produkt auch einmal besser ist als ein doch die Betriebsräte da! — Zuruf von der westdeutsches! PDS/Linke Liste: So ist es!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der Der Aufschub der Zustimmung zur Fusion der Ka li PDS/Linke Liste und dem BÜNDNIS 90/DIE und Salz AG und der Mitteldeutschen Kali AG ist nach GRÜNEN) meinem Dafürhalten gut begründbar. Wir haben aber auch erfahren müssen, was einem (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Wer mit solchen Produkt widerfährt. Eine Betriebsbesetzung macht, muß auch die Mitverantwortung tra der betroffenen Belegschaft im Juni 1991 änderte am gen!) Lauf der Dinge auch nichts mehr. Die K und S AG hatte — Ach, lassen Sie mich doch jetzt einmal weiterreden. mit alten Leitungsmitgliedern schon im Jahre 1990 — Ich habe als Abgeordnete des Wahlkreises Son- und noch vor der Gründung der MdK alles klarge- dershausen die MdK im wahrsten Sinne des Wortes macht. Ab Mitte 1991 verpflichtete sich die in der direkt vor meiner Nase. Ich habe die Umstrukturie Hand der Treuhand befindliche damalige Kali-Werra 12662 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Gisela Schröter AG, dieses Produkt weder zu produzieren noch zu gibt es sowohl auf der Arbeitgeber- wie auf der verkaufen. Arbeitnehmerseite keinen Beteiligten, der nicht für Die im Dezember 1990 installierte MdK, die die drei die Fusion ist. ostdeutschen Kaliproduktionsregionen umfaßt, hat Die Diskussionen in den letzten Monaten sind nicht sich übrigens bis zum heutigen Tag an diese Maßgabe durch die Kalifusion im allgemeinen entstanden, son- gehalten. Sie ist ja schließlich vom ersten Tag an aufs dern nach der Bekanngabe der Art und Weise, wie die innigste mit der K und S AG verquickt. Die Treuhand Fusion vollzogen werden soll. Das ist, glaube ich, der- hat sich in dieser Sache auf die Autonomie des entscheidende Unterschied. Vorstands der Kali-Werra AG berufen. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) Absatzprobleme für das Produkt gab es übrigens bis zuletzt keine. Mit dem Herausschießen des Produkts Liebe Frau Schröter, die Thüringer Landesregie- Kaliumsulfat beseitigte man, wie sich für viele nun rung braucht sich nicht belehren zu lassen, wie und leider erst im nachhinein herausstellt, ein wichtiges wann sie in Verhandlungen eingreift; denn mit Standbein zum Überleben des Kaliverarbeitungsstan- Bekanntwerden der Tatsache, wie die Fusion vollzo- dorts Merkers. Nach dem gegenwärtigen Fusionskon- gen werden soll, ist die Thüringer Landesregierung zept soll das Merkerser Rohsalz bloß noch gefördert tätig geworden. und im Westen in Kali- und Salz-Anlagen verarbeitet (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden. Diejenigen, die am meisten von der Erhaltung indu- Der laut diesem Konzept ebenfalls zu schließende strieller Kerne reden, sollten sich in dem Punkt der nordthüringische Kaliproduktions- und Förderstand- Kalifusion auch einmal auf die Seite der Arbeitnehmer ort Bischofferode zeichnet sich übrigens dadurch aus, Ost stellen; denn das fehlt moment an. daß er seinen Absatz ganz überwiegend in Westeu- ropa realisiert, daß er mit 80 % der unter den ostdeut- (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND- schen Kalistandorten am stärksten ausgelastete ist NIS 90/DIE GRÜNEN) und ein Produkt anbietet — Bitte geben Sie das einmal an Ihre Fraktionskollegen (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU] meldet sich aus dem Bundestag weiter, die sich gewerkschaftlich zu einer Zwischenfrage) in dieser Richtung engagieren. (Zuruf von der CDU/CSU: Davon gibt es eine Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Haschke, ganze Menge!) die Frau Kollegin hat ihre Redezeit bereits überschrit- ten. Der Hauptkritikpunkt unsererseits ist der ungleich- mäßige Arbeitsplatzabbau Ost und West in bezug auf die zeitliche Staffelung. Es ist an Hand der vorliegen- Gisela Schröter (SPD): — ich bin gleich fertig —, das in seinen Spezifikationen nur noch von einem anderen den Daten nicht nachvollziehbar — da stimme ich Weltmarktproduzenten, einem russischen, erreicht Ihnen zu —, daß wirklich die aus betriebswirtschaftli- wird. cher Sicht besten Standorte erhalten bleiben. Ich wehre mich dagegen, daß man von einem gleichmä- ßigen Arbeitsplatzabbau in Ost und West spricht; Vizepräsident Hans Klein: Bitte noch einen Schluß- denn es ist schon ein Unterschied, ob in einer Region satz. mit einer Arbeitslosigkeit von 5 bis 8 % Werke schritt- weise stillgelegt werden und der Arbeitsplatzabbau (SPD): Noch einen Satz. Gisela Schröter weitestgehend durch natürlichen Abgang erfolgen (Udo Haschke [Jena] [CDU/CSU]: Können kann oder ob wie in Thüringen, in einer Region mit Sie solche Probleme nicht einmal mit dem einer Arbeitslosigkeit von 30 %, eine sofortige Schlie- Kollegen Eichel besprechen?) ßung erfolgt. — Glauben Sie mir, ich versuche, auch das zu tun. Es stimmt: Die ostdeutsche Kaliindustrie hat im Ich bitte Sie jedenfalls, im Sinne der ernsthaften Zeitraum von 1990 bis 1992 von 32 000 Kalikumpeln Suche nach alternativen Vorgehensweisen dem vor- bereits 27 000 nach Hause geschickt. Von daher sind liegenden Antrag zuzustimmen. die Verhältnisse im Ruhrgebiet und in Ostdeutschland (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und nicht vergleichbar. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — Eduard (Beifall bei der CDU/CSU, dem BÜND- Oswald [CDU/CSU]: Wir werden ihn über NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abgeordne- weisen!) ten Gisela Schröter [SPD])

Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile das Wort dem Stellen Sie sich einen Brancheneinschnitt auf dem Minister in der Staatskanzlei des Landes Thüringen, Arbeitsmarkt von über 90 % im Ruhrgebiet vor. Dann Andreas Trautvetter. wissen Sie, was dort los wäre. (Reiner Krziskewitz [CDU/CSU]: So ist es!) Minister (Thüringen): Herr Andreas Trautvetter Ich bedanke mich ausdrücklich bei den Thüringer Präsident! Meine Damen und Herren! Um zu Beginn Kalikumpeln, die zusammen mit der Landesregierung etwas zu sagen: Jawohl, wir sind für die Fusion der konstruktiv nach Möglichkeiten gesucht haben, wie Mitteldeutschen Kali AG und der Kali und Salz AG. die Situation geändert werden kann. Die Situation der deutschen Kaliindustrie ist jedem bekannt. Mit dieser Fusion wird der Erhalt der Kali- Gemeinsam suchen wir neue Lösungsvorschläge, industrie in Deutschl and insgesamt garantiert. Auch die in folgendem bestehen: Suche nach zusätzlichen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12663

Minister Andreas Trautvetter (Thüringen) Absatzmöglichkeiten vor allem in der Dritten Welt; die Fusion, kein Arbeitsplatzabbau darf nur nach ökono- Schaffung von Alternativarbeitsplätzen; einen zeitlich mischen Aspekten erfolgen. gleichmäßigen Arbeitsplatzabbau in Ost und West; (Reiner Krziskewitz [CDU/CSU]: Peinlich ist die Überprüfung von neuen technischen Va rianten in das!) der Kalifusion und natürlich — aber das muß der letzte Schritt sein — die Gleichstellung der Kalikumpel in Ich denke aber, daß die Fusionsergebnisse, die jetzt West und Ost bezüglich des Sozialplans. auf dem Tisch liegen und auch von Vertretern der IG Bergbau und Energie unterstützt worden sind, einen - In diesem Sinne ist die Thüringer Landesregierung ganz weiten Schritt zu einem Konsens darstellen. tätig. Wir werden vor Vertragsabschluß mit unserem Partner Vorstand MdK und Treuhandanstalt verhan- Lassen Sie mich zum Schluß sagen — darum stehe deln, damit diese Punkte erfüllt werden. ich hier und habe auch den Mut, gegen die empörten Kaliarbeiter aus Thüringen die Interessen der nieder- Danke schön. sächsischen und hessischen Kumpel zu vertreten —: (Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜND Bedenken Sie bitte, daß die Situation dort auch NIS 90/DIE GRÜNEN) ausgesprochen schwierig ist. (Reiner Krziskewitz [CDU/CSU]: Das ist peinlich! — Weiterer Zuruf von der CDU/ Vizepräsident Hans Klein: Meine Damen und Her- CSU: Unvergleichlich besser!) ren, die Kollegin Barbara Weiler hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Das ist nach unseren Ich erteile das Wort der Usancen erst am Schluß der ersten Runde möglich. Vizepräsident Hans Klein: Kollegin Manta Sehn. Diese Debatte hat aber nur eine Runde. Deshalb halte ich es für sinnvoll — ich nehme an, daß sich dagegen kein Widerspruch erhebt —, daß ich die Kollegin Manita Sehn (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr Weiler jetzt ans Mikrofon bitte. verehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen sagen: Ich komme nicht aus den neuen Bundeslän- dern. Ich bin eine Abgeordnete aus den alten Bundes- Barbara Weiler (SPD): Liebe Kolleginnen und Kol- ländern. Vielleicht relativiert das Ihre Intervention legen! Ich habe mich deshalb gemeldet, weil ich doch ein kleines bißchen. feststelle und den Eindruck habe, daß im Moment nur Die deutsche Kaliindustrie ist auf Grund der nach noch Abgeordnete aus Thüringen und aus dem Osten wie vor stagnierenden Nachfrage auf den Weltkali Deutschlands hier sind. märkten mit ihren vorhandenen Überkapazitäten in (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber erheblichen Schwierigkeiten, und das — das haben typisch!) Sie richtig gesagt — in Ost und auch in West. Nahezu alle Branchenunternehmen arbeiten auf Grund der Das finde ich bedauerlich, weil ich als hessische katastrophalen Lage auf dem internationalen Kali- Abgeordnete natürlich auch ein besonderes Interesse markt mit erheblichen Verlusten, was zur Folge hat, habe, daß die Fusionsergebnisse und die Probleme mit daß ein Arbeitsplatzabbau in dieser Br anche schmerz- Kali und Salz insgesamt sozialverträglich und partner- lich, aber unausweichlich sein wird. schaftlich behandelt und gelöst werden. Ich muß offen sagen: Ich kann die Menschen in Ost (Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht nur zu und in West, um die es geht, sehr gut verstehen. Ich Lasten Thüringens!) kann auch die Emotionen verstehen und sehr gut — Ganz recht. Lassen Sie mich einmal zu Ende nachvollziehen. Aber, ich glaube, wir müssen trotz sprechen. allem die Politik, auch die Wirtschaftspolitik, dort Dieser Konflikt ist der erste größere — aber er ist machen, wo sie hingehört. Ich glaube, wir sind heute nicht der einzige, und er wird nicht der einzige bei diesem Thema — das will ich ganz offen sagen — bleiben —, in dem die Arbeitnehmer aus Ostdeut- nicht an der richtigen Stelle. schland und Westdeutschland gegenseitig ausge- Auch die Kali und Salz AG und die Mitteldeutsche spielt werden. Ich spreche hier, damit Sie Verständnis Kali AG, um die es in dem vorliegenden Antrag der haben, daß neben der berechtigten Empörung, die Sie PDS/Linke Liste geht, erwirtschaften trotz der Stille- zur Zeit in Thüringen erleben, auch wir große Sorgen gung von Teilwerken, z. B. in Salzdetfurth, oder der um die Standorte in Niedersachsen und Hessen Anwendung neuer Unternehmenskonzepte Verluste. haben. Es ist zwar richtig, daß die Einbettung in die Es ist nicht anzunehmen, daß sich dies in Kürze ändern wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Westen könnte. bedeutend besser ist, aber gerade in Nordhessen und Versuche, diese beiden Kaliwerke an internationale in Osthessen haben wir auch strukturschwache Interessenten zu veräußern, waren nicht von Erfolg Gebiete, gekrönt, so daß sich auf Grund der schon seit längerer (Zuruf von der CDU/CSU: Ist doch nicht im Zeit erprobten Zusammenarbeit der beiden Werke entferntesten vergleichbar!) eine Fusion als die einzig mögliche Alternative her- auskristallisierte. Ziel dabei war und ist es, durch eine die große Probleme haben, Entlassungen zu kompen- an den Absatzmöglichkeiten angepaßte Produktions- sieren. kapazität sowie insbesondere durch die Ausnutzung Noch etwas: Wir haben selbstverständlich nichts der dabei anfallenden Synergieeffekte bessere dagegen, daß der Kompromiß noch einmal auch Kostenvorteile zu erzielen und so die Wettbewerbsfä- hinsichtlich sozialer Aspekte überprüft wird. Keine higkeit der beiden Kaliwerke zu erhöhen. 12664 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Marita Sehn Daß diese Fusion der Kali und Salz AG mit der Vera Wollenberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mitteldeutschen Kali AG auf Grund der wirtschaftli- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- chen Situation unvermeidlich ist, erkennen sogar die gen! Ich stelle eine seltene Übereinstimmung quer Arbeitnehmer der beiden Werke an, wie eine gemein- durch die Parteien mit Ausnahme der F.D.P. zu dem same Beratung aller deutschen Bet riebsräte der Kali- heute diskutierten Thema fest. industrie ergab. Diese Position wird auch von der IG (Marita Sehn [F.D.P.]: Stimmt ja nicht! — Ina Bergbau und Energie geteilt. Albowitz [F.D.P.]: Da haben Sie nicht zuge-- Wer kritisiert, daß 3 500 Arbeitsplätze abgebaut hört!) werden, muß auch sagen, daß durch dieses Konzept Ich finde, wenn es solche seltenen Übereinstimmun- immerhin 7 500 Arbeitsplätze im deutschen Kaliberg- gen gibt, dann sollte m an die parteipolitischen Mätz- bau trotz der schlechten Lage auf dem internationalen chen vielleicht beseite lassen; denn die Größe des Kalimarkt erhalten werden können. Daß daneben in Problems zeigt, daß es nur mit einer gemeinsamen Verhandlungen zwischen der Treuhandanstalt und Kraftanstrengung gelöst werden kann. der IG Bergbau und Energie sozialverträgliche Abfin- dungen im Bergbau gefunden werden müssen, ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN — selbstverständlich. Zuruf von der CDU/CSU: Wenn es um ver- nünftige Sachen geht, sind wir uns immer Auf Grund dieser Lage halte ich ein weiteres einig!) Aufschieben der Fusion, so wie von der PDS/Linke Liste in ihrem Antrag gefordert, für kontraproduktiv, — Das werde ich mir merken. weil jeder weitere Tag zusätzliche Kosten verursacht, Für die ostdeutsche Kali gab es seit der Wende nur Kosten, die nicht zu finanzieren sind. eine Bestimmung: zu eben der Kali und Salz AG überführt zu werden, von der auch die anderen ( [F.D.P.]: Sehr wahr!) Kollegen schon gesprochen haben. Die Bildung der Auch im Antrag der PDS/Linke Liste fehlt jeglicher Mitteldeutschen Kali AG mit ehemaligen Kali-und- Hinweis darauf, wie die Umsetzung ihrer Forderun- Salz-Leuten im Vorstand und Aufsichtsrat im Dezem- gen finanziert werden könnte. ber 1990 war schon ein Schritt dahin. Sortimentsab- Die Umsetzung des jetzt ausgehandelten Fusions- tretungsverträge zwischen alten Kadern und der Ka li konzeptes ist für die Treuhandanstalt mit erheblichen und Salz AG im August 1990, noch bevor die Treu- Kosten verbunden. Neben der Freistellung der Werke hand operativ wurde, taten ihr übriges. der Mitteldeutschen Kali AG für ökologische Altlasten Garniert wurde das Ganze durch einen Verzicht der muß die Treuhandanstalt die Kosten der Bilanzberei- Ostkali, den westdeutschen Markt zu beliefern. Kon- nigung sowie die Sozialpiankosten tragen und eine kret: Es existiert eine neue deutsch-deutsche Grenze, Bareinlage von über 1 Milliarde DM für Reparaturen eine Kaligrenze, und zwar seit Ende 1990. und Rationalisierungsinvestitionen leisten. Zu dieser innerdeutschen Marktabgrenzung — bei (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: einem zusammengebrochenen ostdeutschen Markt — Wo?) kam im April 1991 der Beitritt zum europäischen Kaliexportkartell, dem die Kali und Salz AG bereits Damit ist für die Treuhandanstalt das obere Ende der angehörte. Ein Gang von der Plan- in die Kartellwirt- Fahnenstange erreicht. schaft und ein Beispiel dafür, welche Entsprechungen (Zuruf von der CDU/CSU: In Thüringen oder der politisch nach Art. 23 vollzogene Anschluß auf in Hessen?) wirtschaftlichem Gebiet hat. Dabei ist dies eine Indu- — Die Treuhandanstalt wird wohl nicht in den alten strie, bei der 60 % der Vorkommen nach der deut- Bundesländern, sondern in den neuen Bundesländern schen Teilung auf der östlichen Seite zu liegen kamen; aktiv werden. im gesamtdeutschen Vergleich übrigens die besseren Vorkommen, die jetzt nach dem Fall der Mauer Wer Forderungen stellt, die mit weiteren Kosten zurückkommen, aber sogleich kartellistisch einge- verbunden sind, muß sagen, wo das Geld herkommen bunden werden. Das Ganze paßt irgendwie schlecht soll. Jedes weitere Aufschieben einer Fusion verur- zu den anderweitig vorgetragenen Marktbeschwö- sacht Kosten, die der Bund nicht mehr tragen kann. rungen. Es paßt auch schlecht zu dem, was die Mit jedem verlorenen Tag geht auch eine Chance zur Kollegin von der F.D.P. gerade gesagt hat, nämlich Konsolidierung dieser Werke verloren. daß die Probleme in der Indus trie allein gelöst werden Ich freue mich darüber, daß das Wirtschaftsministe- müssen. rium in Erfurt die Situation erkannt hat. Ich wünsche, Die jüngste Runde in diesem mehr als zwei Jahre daß die Verhandlungen für das Wirtschaftsministe- anhaltenden Ringen um die Zukunft der ostdeutschen rium und auch für die Menschen in Thüringen erfolg- Kaliindustrie stellt das Fusionskapitel dar. Dies, nach- reich ausgehen. dem eine Zusammenarbeit — schönfärberisch und in Vielen Dank. Ostohren wohlklingend: eine Kooperation — zwi- schen der Kali und Salz AG und der Mitteldeutschen (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne Kali AG auf dem Gebiet des Vertriebs und der ten der CDU/CSU) Verschiffung schon seit zwei Jahren praktiziert wird. Das Kapitel Fusion kam deshalb auf, weil das Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat die Kollegin Bundeskartellamt eine reine Anlehnung des Ostun- Vera Wollenberger. ternehmens an das Westunternehmen nicht akzep- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12665

Vera Wollenberger tierte. Gefordert war eine in Ansätzen eigentümeri- rung des ostdeutschen Kalibergbaus doch noch erwo- sche Lösung. Mit der Formel 49 % für die Treuhand gen werden. und 51 % für Kali und Salz am künftigen Gemein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schaftsunternehmen, das übrigens die Rechtsform bei der SPD und der PDS/Linke Liste) einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung anneh- men soll, meint man, dem Genüge zu tun und so zu garantieren, daß nicht Dritte ins Spiel kommen. Vizepräsident Hans Klein: Ein Glück, Frau Kollegin, daß Sie weder der Bundesregierung noch dem Bun- Von einer Fusion — zu deutsch: zusammenführen — desrat angehören; denn sonst könnte auf Grund der kann im vorliegenden Fall nur eingeschränkt gespro- Redezeitüberschreitung jetzt eine Verlängerung der chen werden. Erst einmal meint sie: weglassen. Debatte beantragt werden. Von der ohnehin stark geschrumpften ostdeutschen Ich gebe als letztes das Wort zu einer Kurzinterven- Kaliindustrie — von 32 000 Beschäftigten sind übri- tion dem Kollegen Hans-Ulrich Köhler. gens nur noch knapp 5 000 und nicht 7 000, wie sie sagten, gegenwärtig vorhanden — und noch vier Hans-Ulrich Köhler (Hainspitz) (CDU/CSU): Herr Kalistandorten sollen noch einmal zwei Kalistandorte Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! draufgehen: Merkers im thüringischen Werragebiet Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht in und Bischofferode in Nordthüringen. Überleben sol- der hinter uns gebrachten Debatte um einen massiven len — zumindest vorläufig — im Rahmen dieses Arbeitsplatzabbau beim Kali in den östlichen Regio- Fusionskonzeptes, wofür die Treuhand plötzlich nen, und zwar in einer Größenordnung zwischen 1 Milliarde DM locker machte, die Standorte Unter- 25 000 und 27 000 Arbeitsplätzen. breizbach und Zielitz. Das Rohsalz der Gruben Mer- Wie soll ich jetzt die Solidarität aller Kollegen aller kers und Unterbreizbach soll künftig vom Westen aus Fraktionen im Hause anmahnen? Warum ist das gefördert und do rt verarbeitet werden. Plenum heute so schwach besetzt, wenn es darum geht, innerdeutsche Solidarität zu zeigen. Daß die Ausgestaltung dieser Fusion nur unausge- wogen geraten konnte, erscheint angesichts der Vor- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) geschichte nur konsequent. Akzeptiert zu werden — Ich brauche keinen Beifall dafür. Ich weiß, wovon braucht die Fusion deswegen aber noch lange ich spreche. nicht. Wenn es an der Ruhr um 2 000 bis 4 000 Arbeits- Was ist davon zu halten, daß das eingestandener- plätze im Stahlbereich geht, dann wackelt die EG in maßen bessere Rohsalz auf der thüringischen Werra- Brüssel. seite im Hessischen verarbeitet werden soll? Weiter: (Beifall bei der CDU/CSU) Was ist davon zu halten, daß der westwärts gerichtete Hier geht es jedoch um einen massiven Arbeitsplatz- Rohsalzförderverbund realisiert werden soll, obwohl abbau. Auch er berührt nationale — deutsche — der ostwärts gerichtete Förderverbund kostengünsti- Interessen. Wir alle sind aufgefordert, sowohl die ger zu realisieren ist? Dafür hat die Treuhand plötzlich Interessen des L andes Thüringen als auch die Interes- Geld. sen der hessischen Arbeitnehmer zu vertreten. Aber eines bitte ich dabei auch zu bedenken: Solidarität Was ist davon zu halten, daß ausgerechnet das am wird immer nur dann eingefordert, wie die Kollegin besten ausgelastete und das am stärksten nach West- von der SPD aus Hessen es gerade getan hat, wenn europa liefernde ostdeutsche Kaliwerk, das Werk Arbeitsplätze im Westen in Gefahr sind. Was bei uns in Bischofferode in Nordthüringen, geschlossen werden den östlichen Ländern an Arbeitsplatzabbau durch soll, während die Kali und Salz AG gleichzeitig Umstrukturierungsmaßnahmen geschehen ist, sucht erklärt, sie sei jederzeit in der Lage, dasselbe Produkt in der Welt seinesgleichen. Auch hier bitte ich um die mit denselben begehrten Spezifikationen selber her- Solidarität der Arbeitnehmer aus allen Teilen der zustellen, da ein Markt für dieses Produkt unzweifel- Bundesrepublik. haft existiert? Das ist Marktklau. Danke schön. Es ist ohnehin merkwürdig, daß die Treuhand (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der bisher bei finanziell weit geringeren Kalisanierungs- SPD) vorhaben auf die angespannte öffentliche Finanzlage und auf das Kriterium der Investorneutralität beharrte, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Köhler, während jetzt plötzlich mehr als 1 Milliarde DM Bares diese Bemerkung muß ich noch machen: Die K ritik an zur Verfügung stehen und nichts anderes als eine der mangelnden Teilnahme an einer Debatte halte ich „Kali-und-Salz"-Lösung herausgekommen ist. Ein an einem Freitag um 13.30 Uhr für nicht zulässig. Die wie großer Teil von dieser Milliarde direkt oder PDS/Linke Liste hat auf der Aufsetzung dieses Punk- indirekt innerbetrieblichen Vorgängen der Kali und tes auf die Tagesordnung bestanden. Niemand wußte Salz AG zugute kommt, darüber darf man im Moment vorher, daß dies geschehen wird. Die Mitglieder des noch rätseln. Wir haben es hier mit einer ganz neuen Ausschusses Treuhandanstalt sind auf dem Wege Varian te des Aufschwungs Ost zu tun: Sanierung nach Berlin. Eine ganze Reihe dieser Kollegen hätte West. sicher gern an dieser Debatte teilgenommen, wenn sie In diesem Sinne stimmen wir dem vorliegenden rechtzeitig geplant worden wäre. Antrag zu und erhoffen uns damit, daß alternative (Hans-Ulrich Köhler [Hainspitz] [CDU/CSU]: Vorgehensweisen zur Standort- und Zukunftssiche- Dann nehme ich die Kritik zurück!) 12666 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

Vizepräsident Hans Klein Ich finde, wir sollten uns selber nach draußen nicht einverstanden? — Dies ist offensichtlich der Fall. Dann schlechter darstellen, als wir sind. Ich gehöre gewiß zu ist die Überweisung so beschlossen. denjenigen, die oft genug beklagen, daß das Haus Wir sind damit am Schluß der Tagesordnung. nicht gut genug besetzt ist. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Ich schließe die Aussprache. destages auf Mittwoch, den 24. März 1993, 15 Uhr ein. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vor- Die Sitzung ist geschlossen. lage auf Drucksache 12/4268 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vor. Sind Sie damit (Schluß der Sitzung: 13.32 Uhr) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993 12667*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Klemmer, Siegrun SPD 12. 3. 93 entschuldigt bis Klose, Hans-Ulrich SPD 12. 3. 93 Abgeordnete(r) einschließlich Koschnik, Hans SPD 12. 3. 93 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 12. 3. 93 Barbe, Angelika SPD 12. 3. 93 Kretkowski, Volkmar SPD 12. 3. 93 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 12. 3. 93 Dr. Kübler, Klaus SPD 12. 3. 93 Belle, Meinrad CDU/CSU 12. 3. 93 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 12. 3. 93 Berger, Hans SPD 12. 3. 93 Karl-Hans Blunck (Uetersen), SPD 12. 3. 93 Dr. Lammert, Norbe rt CDU/CSU 12. 3. 93 Lieselott Lattmann, Herbert CDU/CSU 12. 3. 93 Böhm (Melsungen), CDU/CSU 12. 3. 93 Lehne, Klaus-Heiner CDU/CSU 12. 3. 93 Wilfried Dr. Lieberoth, Immo CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 12. 3. 93 Lowack, Ortwin fraktionslos 12. 3. 93 Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 12. 3. 93 Lühr, Uwe F.D.P. 12. 3. 93 Büchler (Hof), H ans SPD 12. 3. 93 Maaß (Herne), Dieter SPD 12. 3. 93 Dr. von Bülow, Andreas SPD 12. 3. 93 Marten, Günter CDU/CSU 12. 3. 93 Clernes, Joachim CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Menzel, Bruno F.D.P. 12. 3. 93 Conradi, Peter SPD 12. 3. 93 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 12. 3. 93 Dempwolf, Gertrud CDU/CSU 12. 3. 93 Dorothea Dr. Diederich (Berlin), SPD 12. 3. 93 Dr. Mildner, Klaus CDU/CSU 12. 3. 93 Nils Gerhard Doss, Hansjürgen CDU/CSU 12. 3. 93 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 12. 3. 93 Dr. Dregger, Alfred CDU/CSU 12. 3. 93 Müller (Pleisweiler), SPD 12. 3. 93 Duve, Freimut SPD 12. 3. 93 Albrecht Müller (Wadern), CDU/CSU 12. 3. 93 Ehrbar, Udo CDU/CSU 12. 3. 93 Hans-Werner Eymer, Anke CDU/CSU 12. 3. 93 Nelle, Engelbert CDU/CSU 12. 3. 93 Feilcke, Jochen CDU/CSU 12. 3. 93 Oesinghaus, Günther SPD 12. 3. 93 Dr. Feldmann, Olaf F.D.P. 12. 3. 93 Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 12. 3. 93 Fuhrmann, Arne SPD 12. 3. 93 Pfuhl, Albert SPD 12. 3. 93 Gansel, Norbert SPD 12. 3. 93 Dr. Pohl, Eva F.D.P. 12. 3. 93 Gattermann, Hans H. F.D.P. 12. 3. 93 Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 12. 3. 93 Rempe, Walter SPD 12. 3. 93 Gerster (Mainz), CDU/CSU 12. 3. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 12. 3. 93 Johannes Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 12. 3. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 12. 3. 93 Gries, Ekkehard F.D.P. 12. 3. 93 Ingrid Großmann, Achim SPD 12. 3. 93 Rühe, Volker CDU/CSU 12. 3. 93 Grünbeck, Josef F.D.P. 12. 3. 93 Sauer (Salzgitter), CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Grünewald, Joachim CDU/CSU 12. 3. 93 Helmut Dr. Guttmacher, F.D.P. 12. 3. 93 Scheffler, Siegfried Willy SPD 12. 3. 93 Karlheinz Schemken, Heinz CDU/CSU 12. 3. 93 Hämmerle, Gerlinde SPD 12. 3. 93 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 12. 3. 93 Frhr. von Hammerstein, CDU/CSU 12. 3. 93 Schmidt (Dresden), Arno F.D.P. 12. 3. 93 Carl-Detlev Schmidt (Nürnberg), SPD 12. 3. 93 Hasenfratz, Klaus SPD 12. 3. 93 Renate Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 12. 3. 93 Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 12. 3. 93 Hans Peter Dr. Hornhues, Karl-Heinz CDU/CSU 12. 3. 93 von Schmude, Michael CDU/CSU 12. 3. 93 Ibrügger, Lothar SPD 12. 3. 93 Dr. Schnell, Emil SPD 12. 3. 93 Janovsky, Georg CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Schnittler, Christoph F.D.P. 12. 3. 93 Jung (Limburg), Michael CDU/CSU 12. 3. 93 Dr. Schöfberger, Rudolf SPD 12. 3. 93 Junghanns, Ulrich CDU/CSU 12. 3. 93 ' Dr. Scholz, Rupert CDU/CSU 12. 3. 93 Jungmann (Wittmoldt), SPD 12. 3. 93 Schütz, Dietmar SPD 12. 3. 93 Horst Schulte (Hameln), SPD 12. 3. 93 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 12. 3. 93 Brigitte Kampeter, Steffen CDU/CSU 12. 3. 93 Schwanitz, Rolf SPD 12. 3. 93 Kastning, Ernst SPD 12. 3. 93 Seibel, Wilfried CDU/CSU 12. 3. 93 Keller, Peter CDU/CSU 12. 3. 93 Seiler-Albring, Ursula F.D.P. 12. 3. 93 Kittelmann, Peter CDU/CSU 12. 3. 93 ' Dr. Sperling, Dietrich SPD 12. 3. 93 12668* Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 147. Sitzung. Bonn, Freitag, den 12. März 1993

entschuldigt bis Gesetz zur Änderung des Beamtenrechtsrahmengesetzes Abgeordnete(r) einschließlich Gesetz über die Nichtanpassung von Amtsgehalt und Ortszu- schlag der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamen- Steiner, Heinz-Alfred SPD 12. 3. 93* tarischen Staatssekretäre in den Jahren 1992 und 1993 Dr. von Teichman, F.D.P. 12. 3. 93 Gesetz zur Änderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze Cornelia Gesetz zu der Akte vom 17. Dezember 1991 zur Revision von Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 12. 3. 93 Artikel 63 des Europäischen Patentübereinkommens Tietjen, Günther SPD 12. 3. 93 Gesetz über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezü- Toetemeyer, SPD 12. 3. 93 gen in Bund und Ländern 1992 (Bundesbesoldungs- und -ver- Hans-Günther sorgungsanpassungsgesetz 1992 - BBVAnpG 92) Voigt (Frankfurt), SPD 12. 3. 93 Die Abgeordneten Reiner Krziskewitz, Wilfried Seibel und Dr. Karsten D. Reinhard Meyer zu Bentrup haben mit Schreiben vom 12. Februar Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 12. 3. 93 1993 mitgeteilt, daß sie ihren und von weiteren Abgeordneten eingebrachten Antrag Bundesverkehrswegeplan - Drucksache Vosen, Josef SPD 12. 3. 93 12/2994 - zurückzuziehen Dr. Waffenschmidt, Horst CDU/CSU 12. 3. 93 Walz, Ingrid F.D.P. 12. 3. 93 Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat mit Schrei- ben vom 5. März 1993 gemäß § 30 Absatz 4 des Bundesbahngesetzes Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 12. 3. 93 vom 13. Dezember 1951 den Welt, Jochen SPD 12. 3. 93 Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn für Werner (Ulm), Herbert CDU/CSU 12. 3. 93 das Geschäftsjahr 1992

Wiechatzek, Gabriele CDU/CSU 12. 3. 93 mit der Bitte um Kenntnisnahme übersandt. Dr. Wieczorek CDU/CSU 12. 3. 93 (Auerbach), Bertram Der Bundesminister für Verkehr hat den Nachtrag zum Wirtschafts- Wieczorek-Zeul, SPD 12. 3. 93 plan 1992 im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen Heidemarie genehmigt. Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 12. 3. 93 Die Unterlagen liegen im Parlamentsarchiv zur Einsichtnahme Zapf, Uta SPD 12. 3. 93 aus. Zierer, Benno CDU/CSU 12. 3. 93* Der Vorsitzende des folgenden Ausschusses hat mitgeteilt, daß der Zywietz, Werner F.D.P. 12. 3. 93 Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage absieht: * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Innenauschuß Drucksache 12/2383

Anlage 2 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen Amtliche Mitteilungen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Ausschuß für Wirtschaft Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 5. März 1993 beschlossen, Drucksache 12/4360 Nrn. 2.7, 2.8 den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen. Drucksache 12/3407 Nrn. 3.11, 3.12