NZZ am Sonntag  9. März 2008 Sport 53

FC Thun Der Zerfall nach der Champions League Die Geschichte der verlorenen Seelen Der einstige Überflieger hat keine Wärme mehr. Das führt ihn in Abstiegsgefahr. Von Benjamin Steffen

Die Spirale dreht und dreht. Schnell den nicht verlängert. Die Verträge der «Im Team verbirgt sich hohe mensch- Leistung niemals hätten verlieren dür- Vizepräsident, sagt, nur Weder könne und schneller. Am Samstag hat das letzten Seelen aus guten, alten Zeiten. liche Qualität.» An der Seite Jeff fen. Kann denn plötzlich alles schlecht entscheiden, «ob er den Verein noch Super-League-Schlusslicht Thun im Latour sagt: «Gerber kaltzustellen, Saibenes rettete der promovierte Psy- sein?» Thun sei immer noch Thun – führen will». Die für März geplante sechsten Spiel 2008 zum fünften Mal ist eine Fehleinschätzung der Lage. Der chologe Marcolli den FC Thun vor Jah- weder Trainer noch Spieler wechselten Generalversammlung ist um zwei Mo- verloren: nach schwacher Leistung 0:4 zerreisst sich doch für diesen Klub!» resfrist vor dem Abstieg. Er ergänzt: mir nichts, dir nichts hierhin, sagt nate verschoben, die Suche nach einem gegen GC – ausgerechnet. Gegen Hans- Mehr sagt er nicht. Des Anstands we- «Spieler wie Gerber und Portmann Gertschen. Also engagierte er viele möglichen Nachfolger lanciert worden. peter Latour, den Seinen. Latour, der gen. «Ich bin Ehrenmitglied. Mich be- nehmen Floskeln nicht einfach hin. Ausländer. Kaum einer schlug ein; die Als Wunschkandidat galt Fritz Gross- die Thuner aus der NLB an die Super- rührt, was ich erlebt habe.» Wer sich mit ihnen auseinandersetzt, meisten stagnieren. Gertschen nimmt niklaus, der ehemalige CEO des treuen League-Spitze geführt und dem Erben erkennt ihre guten Absichten. Das er- dafür nicht van Eck in die Pflicht, son- Hauptsponsors Frutiger und vor bald Urs Schönenberger den Acker für das Andere Werte fordert viel emotionale Intelligenz.» dern die Leithammel der Equipe. Schö- zehn Jahren – an der Seite Weders – Sa- Champions-League-Wunder 2005 be- Van Eck sagt: «Es wird nur von Gerber Van Eck und Reto Gertschen, der nenberger sagt: «Durchschnittsspieler, nierer des Vereins. Doch Grossniklaus stellt hat. Der Klubvorstand hört sie gesprochen. Er ist 34-jährig. Ich setze Sportchef, pflegen andere Werte. Wer- die nach der Champions-League-Qua- hat am Donnerstag abgesagt. Er geht ungern, diese Reduzierung auf Latour. auf Junge.» Van Eck, klar, versteht te vielleicht, die mehr von der Kälte lifikation nach Thun kamen, verdien- demnächst auf Weltreise. Doch je mehr Zeit ins Oberland zieht, nicht, warum nur von Gerber gespro- der Branche geprägt sind. Gertschen ten zum Teil mehr als Bisherige.» Etwa Derweil steuert das Thuner Schiff je mehr Gültigkeit erhält sie. Man chen wird. Weil er vielleicht die Berner geniesst in der Region derzeit wenig der Kroate Vedran Jese – der überge- gen Untergang. Ohne Weder fehlt ein könnte sagen: Latour gab Thun eine Bergler nicht versteht. Oder die Ge- Sympathien; die Vorgesetzten indes wichtig im ersten Training erschienen lauter Kapitän. Marco Frozza, ein Ga- Seele. Er meinte einmal, «wenn ich aus schichte des Klubs. Van Eck fragt: haben den Vertrag jüngst um zwei Jah- sein soll. Oft ist zu hören, Vorschläge ragist im Verwaltungsrat, versuchte einem Haufen den falschen Stein ent- «Wann ist der FC Thun aufgestiegen?» re verlängert. Sie hätten bloss der mög- von Trainer und Sportchef seien abge- ihn jüngst zu mimen. Mit polternden ferne, fällt alles zusammen». 1997. «In die Super League, oder?» lichen Rückkehr Werner Gerbers den schlagen worden. TV-Auftritten – was eher befremdete Es scheint, just Latour sei der Stein Nein, aus der ersten Liga in die NLB. Riegel vorschieben wollen, behaupten als beeindruckte. Ein Mitglied des gewesen, der nie aus dem Oberländer Ja, schnell verlief der Aufstieg aus böse Zungen. Böse Zungen gibt es vie- Polterndundbefremdend B-Clubs, der Vereinigung von Sponso- Haufen hätte entfernt werden dürfen. der Provinz. Die Champions League le, wenn Erfolg ausbleibt. Der ehemalige Coach Heinz Peischl ren, sagt: «Die Mannschaft ist Spiegel- Doch als Ende 2004 erstmals GC rief, trat Mechanismen los, die – aus gene- Gertschen sagt: «Zur Winterpause sagt: «Ich weiss, wen ich wollte. Und bild des Vorstands.» Einige dem Klub drängte Latour selber auf Entfernung. reller Sicht – nach Verständnis hei- war unsere Situation doch gar nicht so ich weiss, wen ich erhielt. Gertschen nahestehende Personen zürnen; aber Auf Beförderung. Sogar dem Einheimi- schen für die Überforderung des schlecht. Und im neuen Jahr haben wir und ich hatten nur Vorschlagsrecht.» die Machtzentrale ist zu weit entrückt, schen wurde der FC Thun einmal zu Kleinklubs. Doch unter dieser Makro- oft verloren, obwohl wir angesichts der Peischl spricht von der Obrigkeit, die als dass sie Einfluss üben könnten. klein. Wie später Fabio Coltorti. Und Ebene tummeln sich 1000 Mikro-Ge- ...... diktiert habe. Konkret wird er nicht. Vielleicht ist der FC Thun bald dort, Mario Raimondi. Und Mario Lustrinel- schichten, die von den Schwierigkeiten Anders Schönenberger. Er sagt: «Zu wo einst begann: in li. Und, und, und. Und wie Nelson Fer- der letzten Jahre erzählen. Von zer- Es scheint, just Latour meiner Zeit führte einer: Kurt Weder.» der zweithöchsten Spielklasse. Bald – reira, der im Sommer von dannen schlagenem Geschirr. Werner Gerber, sei der Stein gewesen, In der Machtfülle des langjährigen im Sommer – wenn der Ausverkauf der zieht, über den Brünig nach Luzern. der einstige Sportchef, sagt: «Der Klub Präsidenten Weder gründet die Thu- Seelen abgeschlossen ist. Und vom Ende Saison stehen auch die Abschie- war eine Familie, die nach der Cham- der niemals aus dem ner Machtlosigkeit des Moments. Nach Champions-League-Märchen nur noch de von und Alain Port- pions League zerfiel. Soziale Kompe- einem Unfall und Lähmungserschei- ein Schimmer Erinnerung lebt. Latour mann bevor. Ren´e van Eck, der Trainer, tenz kam abhanden. Man vernachläs- OberländerHaufenhätte nungen im Januar befindet sich Weder sagt: «Es ist doch schön, hat es so et- strich das feinfühlige Duo letzte Wo- sigte das Persönliche.» Christian Mar- entfernt werden dürfen. zwecks Rehabilitation im Paraplegiker- was überhaupt gegeben.» Immerhin. che aus dem Kader; die Verträge wer- colli, der frühere Assistenzcoach, sagt: ...... zentrum Nottwil. Beat Germann, der Mitarbeit: Peter B. Birrer

Kaltgestellt: Andres Gerber.

Guter Rat ist auf der Ersatzbank des Tabellenletzten teuer. Der Weg aus der Krise ist schwierig. (Andreas Meier/EQ Images) In Sorge: Ren´eVanEck.(Fotos: Foto-Net) DerkleineFCThundarbt Mutationen im FC Thun seit der Champions-League-Saison 2005/06 2005/06 2006/07 2007/08 Trainer Urs Schönenberger (Februar 2006 entlassen) Heinz Peischl (März 2007 entlassen) René van Eck an den Folgen der grossen Heinz Peischl (ab Februar 2006) (März bis Sommer 2007) Trainerassistent Adrian Kunz (September 2006 entlassen) Christian Brand Andreas Hilfiker (interimistisch) Champions League Jeff Saibene (Januar bis März 2007) Christian Marcolli (März bis Sommer 2007) Die «Jahrhundert-Teilnahme» an der singborg (100 000) nahmen 1999 und Sportchef Werner Gerber (bis Ende 2005) Reto Gertschen Reto Gertschen Champions League 2005 katapultierte 2000 an der Meisterliga teil und schlit- Walter Ammann (bis Sommer 2006) den FC Thun in neue Sphären. Er hatte terten danach in grosse wirtschaftliche Präsident Kurt Weder Kurt Weder Kurt Weder mit Folgen zu kämpfen, die jeden Probleme. Der Hauptgrund: Explosion Vizepräsident Beat Germann Beat Germann Beat Germann Kleinklub an die Grenze bringt. der Kostenstruktur. Der Thun-Präsi- Das Geld. Mitte der 90er Jahre be- dent Kurt Weder mahnte 2005: «Wir NZZaS trug das Budget des FC Thun 300 000 dürfen keine Ausgaben perpetuieren, Franken. Er stieg 2002 mit 2 Millionen an denen wir später krepieren.» schen Fussballs. Die Anfragen der Me- Frau vor Gericht verantworten. Zeit- einsetzte: die Zerlegung des Cham- Umsatz in die oberste Spielklasse auf, Die Begehrlichkeiten. Von einer ge- dien nahmen extreme Formen an. Der weise soll es fast 500 Medienanfragen pions-League-Teams. Auch Thun war bis 2005 erhöhte sich der Etat auf 4,5 füllten Kasse wollen alle profitieren. Klub versuchte die auf allen Ebenen gegeben haben. Der Verein beugte sich den Marktmechanismen ausgesetzt. Millionen. Dank der Champions Gier greift um sich. Seit 2005 heisst es: gestiegenen Anforderungen «mit einer dem öffentlichen Druck und suspen- Viele Spieler wollten weg – zu einem League nahm er 2005 fast 20 Millionen «Thun hat Geld.» Das erschwert der Miliz-Armee» zu meistern, wie Kom- dierte vier Spieler, obschon noch kein anderen Klub, in eine andere Liga, in ein – mit 15 Millionen Bruttoeinnah- Führung die Vertragsverhandlungen. munikationschef Marco Oswald sagt. Urteil vorliegt. Thun? Die waren doch eine andere Gehaltsklasse. Aber der men aus der Champions League. Dank Sie fragt sich: Wie viel geben wir neu- Die Affäre. Als Spätfolge des bekann- in der Champions League! Verein sortiert(e) auch selber aus: den Rückstellungen hält der Klub das Jah- en Spieler? Was geben wir den Team- ter gewordenen Namens fand auch die Die Transfers. Mit Gerber und Port- Sportchef Gerber, den Coach Schö- resbudget seither auf zirka 8 Millionen. stützen? Solches kann zu Gerüchten Sex-Affäre Ende 2007 den Weg schnell mann wird im Sommer der Vertrag nenberger, den Assistenztrainer Kunz Die Mahnmale. In Thun (40 000 Ein- führen und die Stimmung vermiesen. in ausländische Medien. Einige Thun- nicht verlängert, Nelson Ferreira wech- sowie etwa die Spieler Bernardi, wohner) wusste man um die schlech- Die Öffentlichkeit. Die Meisterliga Spieler müssen sich wegen sexueller selt zum FC Luzern. Damit wird der Aegerter, Hodzic, Adriano, Gerber und ten Beispiele. Molde (25 000) und Hel- hievte Thun auf die Karte des europäi- Handlungen mit einer minderjährigen Prozess abgeschlossen, der Ende 2005 Portmann. Peter B. Birrer