SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde "Von liebreizenden Schäferinnen und tanzenden Hirten" - Die Pastorale als musikalisches Idyll (5) Mit Nele Freudenberger Sendung: 08. Juni 2018 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2018 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2- Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de SWR2 Musikstunde mit Nele Freudenberger 04. Juni – 08. Juni 2018 "Von liebreizenden Schäferinnen und tanzenden Hirten" - Die Pastorale als musikalisches Idyll (5) „Von liebreizenden Schäferinnen, tanzenden Hirten und ihren Schafen. Die Pastorale als musikalisches, ländliches Idyll.“ (5) Mit Nele Freudenberger! Schön, dass Sie eingeschaltet haben. Nach einer Woche intensiver Betrachtung des Sujets „Pastorale“ ist es allmählich an der Zeit, das Augenmerk auf Beethovens berühmte 6.Sinfonie zu lenken – und auch zu schauen: was war eigentlich nach Beethoven in puncto Pastorale? Auch an William Shakespeare ist die Welt der Hirten nicht spurlos vorbei gegangen. Wie auch – er lebt zur Hoch-Zeit der Pastoralliteratur. Und da Shakespeare nicht nur sehr häufig zitiert wird, sondern seine Werke mindestens ebenso häufig vertont oder durch Bühnenmusiken ergänzt worden sind, gibt es auch Pastoralen mit Shakespear’scher Literaturgrundlage. Sein Stück „das Wintermärchen“ spielt in einem pastoralen Setting und wurde, wie so viele seiner Stücke von Engelbert Humperdinck mit einer Schauspielmusik versehen. Aus all diesen Schauspielmusiken sind die beiden Shakespeare-Suiten von Humperdinck entstanden und in der zweiten gibt es gleich zwei pastoral anmutende Sätze: Einen Schäfertanz und den Aufzug der Schäfer. Letzterer basiert auf dem Wintermärchen und ist musikalisch deshalb so interessant, weil er das Herannahen der Schäfer durch ein großes Crescendo wirklich hörbar macht. Die Schäfer spielen standesgemäß Flöte. Eine einfache Melodie, die sich immer wiederholt, nicht zu komplex. Ein pastoraler Ohrwurm. 2 Musik1 Engelbert Humperdinck Aufzug der Schäfer, Shakespearesuite Nr. 2 Karl Anton Rickenbacher, Bamberger Symphoniker Schwann musica mundi LC 01083 Bestellnummer: 3-1197-2H1 SWR M0024488 012 Zeit: 3:41 Karl Anton Rickenbacher dirigierte die Bamberger Symphoniker, und sie spielten den letzten Satz aus Engelbert Humperdincks Shakespearesuite Nr. 2: Aufzug der Schäfer. Die literarische Vorlage ist Shakespeares Stück „das Wintermärchen“, das in einem Pastoralen Setting spielt. Eine pastorale Komposition, die sich noch ganz traditionell an einer Textvorlage orientiert. Das ist bei Bühnenwerken ja ohnehin der Fall. Aber während die Geschichten um die Liebe, die Schäferinnen und Schäfer im 17. Jahrhundert fast schon allgegenwärtig sind, lässt die Begeisterung für die arkadische Welt im Laufe der Jahre nach. Die Pastoral Opern werden von der opera buffa komplett abgelöst. So ist das eben. Moden kommen, Moden gehen. Und manchmal gibt es Vintage. So greift Maurice Ravel bei seinem Ballett Daphnis und Chloe auf die Textvorlage von Longos zurück – genau, wie Boismortier in seiner gleichnamigen Oper etwa 160 Jahre früher, über die wir hier in der SWR2 Musikstunde schon gesprochen haben. Diese Geschichte als Vorlage für ein Ballett zu nehmen ist allerdings nicht Ravels Idee, sondern die des Hansdampfs in allen Gassen, was das Ballett des fin de sciècle angeht: Sergeij Dhiagilew, der Impressario der ballet russe hat Ravel um diese Komposition gebeten. Und tatsächlich gestalten sich die Arbeiten dazu schwierig: der Librettist kann kein Französisch, Ravel schreibt in einem Brief über sich selbst, er könne auf Russisch nur fluchen und so sei auch die Stimmung bei den Vorbereitungen gewesen. Trotz mehrerer Dolmetscher. Der Auftrag kommt 1909 und tatsächlich ist Ravel der erste französische Komponist, den Diaghilew beauftragt. Allerdings nicht der erste, dessen Werk aufgeführt wird. Die Sache verzögert sich, weil weder das Libretto, sprich die starre Choreographievorlage von Michail Fokins noch das Bühnenbild Ravels Vorstellungen entspricht. 3 „Was mir vorschwebte, war ein auslandendes musikalisches Fresko, weniger archaisierend als voll Hingabe an das Griechenland meiner Träume, welches sich sehr leicht mit dem identifizieren lässt, was die französischen Künstler des späten 18. Jahrhunderts nach ihren Vorstellungen gemalt haben.“ Also auch Ravel greift auf die alten Vorbilder zurück. Die Aufführung verzögert sich weiterhin, wegen finanzieller Angelegenheiten. Und noch bevor das Ballett überhaupt auf die Bühne kommt, veröffentlicht Ravel eine erste Orchestersuite – nach der Uraufführung eine zweite. Die zweite beginnt mit einem Satz, der „Tagesanbruch“ überschrieben ist, und Ravel stürzt sich hier förmlich in die deskriptive Musik: zeigt wie geplant ein ausladendes musikalisches Fresko, das sprichwörtlich die Sonne aufgehen lässt: mit Vogelgezwitscher und allem drum und dran! Musik2 Maurice Ravel Tagesanbruch; Daphnis und Chloé Leonard Bernstein; New York Philharmonic; Schola Cantorum Sony Classical, LC: 06868 Bestellnummer: 47603, EAN: 5099704760322 Zeit: 5:39 Ein antiker, griechischer Tagesanbruch á la Ravel: er hat die Geschichte der beiden Waisenkinder Daphnis und Chloé vertont, die bei Hirten aufwachsen. Und wie wir gerade gehört haben, in einer wunderschönen, unberührten Naturlandschaft. Leonard Bernstein und das New York Philharmonic haben die Sonne aufgehen lassen. Das Herz lässt Ludwig van Beethoven aufgehen mit den ersten paar Takten seiner Sinfonie Nr. 6, bekannt als die Pastorale. Auch seine Sinfonie ist eine Naturschilderung. Aber keine arkadische, sondern eine reale. Beethoven beschreibt die Natur durchaus auch mit den Mitteln der Lautmalerei, aber bei ihm geht es (eigentlich wie immer) um das Individuum, das sich 4 in dieser Natur aufhält. Beethoven stellt der Sinfonie einen ausführlichen Titel oder nennen wir es Programm voran: „Pastoral Sinfonie oder Erinnerung an das Landleben, mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Offenbar will Beethoven hier auf Nummer sicher gehen, denn die Lautmalerei ist aus der Mode gekommen und Kritiker stürzen sich mit großem Spott auf sämtliche Versuche mit Tönen zu malen und auch Beethoven hat sich diesbezüglich geäußert: „Jede Mahlerei nachdem sie in der Instrumentalmusik zu weit getrieben verliehrt.“ Ein klarer Standpunkt. Beethoven ist ein Naturmensch, das geht aus etlichen seiner Briefe hervor. Zum Beispiel schreibt er 1810 an Therese Malfatti: „Wie glücklich sind Sie, dass Sie schon so früh aufs Land konnten! Erst am achten kann ich diese Glückseligkeit genießen. Kindlich freue ich mich darauf; wie froh bin ich, einmal in Gebüschen, Wäldern, unter Bäumen, Kräutern, Felsen wandeln zu können, kein Mensch kann das Land so lieben wie ich. Geben doch Wälder, Bäume, Felsen den Widerhall, den der Mensch wünscht!“ Dieser Brief entsteht zwar nach der Uraufführung der Pastorale, spiegelt aber im Grunde genau das wider, was man hört! Die einzelnen Sätze sind mit programmatischen Titeln versehen und der erste Satz ist überschrieben: „Erwachen heiterer Empfindungen bei Ankunft auf dem Lande“. Und in den ersten Takten lässt Beethoven den Hörer mit einer aufwärtsgeführten Melodie einen Hügel erklimmen und gönnt einem – dank einer Fermate – einen langen, weiten Blick über die ausgebreitete Landschaft. Musik 3 Ludwig van Beethoven 1. Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. Allegro ma non troppo, Symphonie Nr. 6 F-Dur Claudio Abbado, Berliner Philharmoniker Deutsche Grammophon LC 00173 Bestellnummer: 469003-2 SWR M0022733 005 Zeit 7:08 5 Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande. So der Titel des ersten Satzes aus Beethovens 6. Sinfonie, aus dem wir einen Ausschnitt gehört haben. Claudio Abbado dirigierte die Wiener Philharmoniker. Bleiben wir noch einen Moment bei Beethoven, dessen Pastorale zu Recht die bekannteste ihrer Art ist. Wie die vergangenen Folgen der SWR2 Musikstunde gezeigt haben, steht Beethoven in einer langen Tradition mit der musikalischen Interpretation des Themas Pastorale. Beethoven übernimmt einige, modernisiert andere und mit manchen Traditionen bricht er. Auch wenn er seiner Sinfonie voranstellt, dass sie eher Ausdruck der Empfindung als Malerei sei, so malt er trotzdem. Der zweite Satz heißt Szene am Bach und der Protagonist oder Hörer, wie auch immer man das nennen möchte, sitzt an einem Bach der gleichmäßig dahinfließt, Beethoven lässt Vögel singen, nämlich Kuckuck, Nachtigall und Wachtel und vermerkt das auch in der Partitur– aber er verliert dabei nicht das Individuum aus den Augen, das seine Gedanken in dieser Szenerie einfach treiben lässt. Lautmalerei lässt sich auch in den anderen Sätzen nicht verleugnen: Beethoven liefert ein tolles Gewitter mit Blitz und Donner und heftigem Regen in den Geigen. Danach ein Hirtengesang. Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm – auch hier steht also wieder der Mensch im Fokus. Vor dem Unwetter kommt Beethoven allerdings auf besondere Weise in den Bereich der Musik in der Musik. Er lässt in