OC 1896 Korstick – Rachmaninoff 3 Booklet V05.Indd
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® SERGEI RACHMANINOFF, ANFANG DER 1900er JAHRE AT THE BEGINNING OF THE 1900s SERGEI RACHMANINOFF (1873–1943) KLAVIERKONZERT NR. 3 D-MOLL OP. 30 [01] 1. Allegro ma non tanto . 16:31 [02] 2. Intermezzo (Adagio) . 10:36 [03] 3. Finale (Alla breve) . 12:49 Michael Korstick, Klavier Janáček Philharmonie Ostrava Dmitry Liss, Dirigent [04] VARIATIONEN ÜBER EIN THEMA VON CORELLI op. 42 . 17:00 KLAVIERSONATE NR. 2 B-MOLL OP. 36 [05] I. Allegro agitato . 08:37 [06] II. Non allegro . 05:49 [07] III. Allegro molto . 05:14 Michael Korstick, Klavier TOTAL 76:50 RACHMANINOFFS KLAVIERWERKE: VORLAGEN FÜR SCHÖPFERISCHE INTERPRETEN n der Epoche der Klassik waren Umarbeitun- spontan inspirierten Stücke immer wieder neu; Igen und Kürzungen bestehender Kompositio- einige von ihnen liegen in einem halben Dut- nen ganz einfach kein Thema. Es ist schlichtweg zend Fassungen vor. Auch bei dem völlig anders unvorstellbar, dass Mozart oder Beethoven nach gearteten Anton Bruckner sorgen die ständigen Fertigstellung und Veröffentlichung eines Inst- Umarbeitungen seiner Sinfonien für erhebliche rumentalstücks die Notwendigkeit von Neufas- Probleme bei Herausgebern und Interpreten. sungen auch nur in Erwägung gezogen hätten. Sergei Rachmaninoff 1873( –1943) knüpft Bei Mozart mag dies darin begründet liegen, in seiner Arbeitsweise an diese romantischen dass er neben seinem einzigartigen Sinn für Vorgänger an. Er schrieb in seinen großfor- formale Proportion einen natürlichen Instinkt matigen Stücken zunächst ein Maximum an für die perfekte Umsetzung seiner komposito- Material nieder, welches er dann durchforste- rischen Intentionen besaß und die Stücke in te, zurechtstutzte und organisierte. Bereits sein seinem Kopf bereits fertig waren, bevor er über- 1. Klavierkonzert fis-Moll op. 1 von 1891 ist haupt an die Notation ging. Bei Beethoven hin- ein Musterbeispiel für diesen Prozess. Rach- gegen ist zu beobachten, dass er die Form immer maninoff arbeitete es 1917 komplett um und wieder neu erfand und sowohl in den Details als verwandelte das redselige Stück eines begabten auch in der Anlage seiner Werke in teilweise fast Studenten in ein konzises Meisterwerk. Auf den schmerzhaften Prozessen um die exakte Ausfor- Misserfolg der Uraufführung seiner 1. Sinfonie mung eines jeden Details rang, bis er die größt- d-Moll op. 13 reagierte er noch drastischer, in- mögliche Vollkommenheit erreichte. dem er in eine tiefe Depression verfiel, das Werk In der romantischen Epoche sah das schon in der Schublade verschwinden ließ und nie erheblich anders aus. Franz Liszt beispielsweise, wieder einen Blick darauf warf. In seiner 2. Sin- für den das Niederschreiben von Musik so not- fonie e-Moll op. 27 brachte Rachmaninoff nach wendig wie das Atmen war, bearbeitete seine oft der Veröffentlichung insgesamt 17 Kürzungen 3 von je zwei bis sechsundsiebzig Takten an, und den Atlantik auf einer stummen Klaviatur ein. dies nicht im Zusammenhang mit Spielzeitnot- Die Uraufführung fand mit den New Yorker wendigkeiten der Schellackplatten-Ära. Auch Philharmonikern unter Walter Damrosch statt, das 4. Klavierkonzert in g-Moll op. 40 durchlief erzielte jedoch bestenfalls einen Achtungserfolg. nach dem Misserfolg der Uraufführung zwei Re- Wenig später konnte Rachmaninoff sein neues visionen mit erheblichen Kürzungen, die dem Werk erneut in New York zu Gehör bringen, Werk nachträglich zum Erfolg verhalfen. diesmal unter der Leitung von Gustav Mahler. Dass Sergei Rachmaninoff in seinem Rachmaninoff zeigte sich ungemein beein- 75. Todesjahr bei erstaunlich zahlreichen Mu- druckt von dessen unbedingter musikalischer sikfreunden im deutschsprachigen Raum noch Hingabe und einer außergewöhnlich akribi- immer gegen den Ruf verteidigt werden muss, schen Probenarbeit, zu jener Zeit keinesfalls ein Salonlöwe oder – schlimmer noch – eine Art eine Selbstverständlichkeit. Aber auch diese Auf- halbseidener Hollywoodkomponist gewesen zu führung brachte dem Werk nicht den erhofften sein, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Seine Durchbruch, es schaffte letztendlich nicht den Klavierkonzerte können es in den Konzertsälen Sprung ins Repertoire der Pianisten. Selbst der der Welt an Beliebtheit durchaus mit den Sinfo- Widmungsträger Josef Hofmann nahm es nicht nien Gustav Mahlers aufnehmen, welcher nach in sein Repertoire auf, wobei aber möglicherwei- Jahrzehnten der Vergessenheit zum meistge- se auch eine Rolle spielte, dass Hofmann außer- spielten Symphoniker im ausgehenden 20. und gewöhnlich kleine Hände hatte und die pianis- im 21. Jahrhundert geworden ist, und es gibt in tische Faktur, die ganz auf die Riesenhände des der Tat gewisse Parallelen zwischen den beiden Komponisten zugeschnitten war (dieser konnte Komponisten, die sich auch auf dem Podium von C bis A greifen), für Hofmann ganz einfach begegnet sind. unpassend war. Rachmaninoff schrieb sein 3. Klavierkon- Rachmaninoff reagierte auf die relative Er- zert in d-Moll op. 30 als Paradestück für seine folglosigkeit des Stücks in gewohnter Manier, USA-Tournee im Jahre 1909, den taufrischen indem er den Vorwurf der „unnötigen Länge“ Solopart studierte er auf der Überfahrt über für verschiedene, teils drastische Kürzungen 4 zum Anlass nahm. Aber auch das verhalf dem chestra für die Schallplatte einspielte, fragte er Werk nicht zum Durchbruch. Erst nachdem Ormandy wiederholt während der Aufnahme- der Pianist Vladimir Horowitz mit seinem vul- sitzungen: „Wie spielt Horowitz das?“ Und als kanischen Temperament und einer bis dahin so Horowitz dem Komponisten einmal sagte, dass noch nicht gehörten Virtuosität sich des Werks er dessen Zweites Konzert nicht spielen wolle, annahm und damit für eine Sensation nach der weil ihm nicht gefiel, wie der Höhepunkt des anderen sorgte, begannen sich ab den 1930er Finales komponiert war, antwortete Rachmani- Jahren andere Pianisten (darunter so unter- noff: „Nu, Horowitz, dann machen Sie’s doch schiedliche Persönlichkeiten wie Benno Moi- einfach, wie Sie möchten.“ seiwitsch und Walter Gieseking) für das Stück Rachmaninoffs Kompositionsweise lässt zu interessieren. Aber letztendlich war Horowitz sich in seinen großformatigen Werken mit ei- allein dafür verantwortlich, dass das 3. Konzert nem Baukastensystem vergleichen. Die einzel- schließlich zum Renner der Konzertsäle wurde nen Formteile sind immer genau abgegrenzt und heute das zahlenmäßig in Konzerten und und oft durch Übergangspassagen verbunden. Wettbewerben meistgespielte Klavierkonzert des In seinem erfolgreichsten Stück, dem 2. Klavier- Repertoires geworden ist – eine interessante Pa- konzert c-Moll op. 18, gelingt das vollkommen; rallele ist hier die Tatsache, dass auch die große die einzelnen Teile gehen extrem organisch in Mahler-Renaissance einem einzigen Interpreten einander über, kein Takt ist überflüssig, und die zu verdanken ist, nämlich Leonard Bernstein. Dramaturgie ist perfekt. Es verwundert daher Rachmaninoff billigte auch dankbar die auch nicht, dass dies das einzige Konzert Rach- zahlreichen Änderungen, die Horowitz im maninoffs ist, welches von Kürzungen oder Re- Klavierpart vornahm, ein Indikator dafür, dass visionen verschont blieb. Rachmaninoff seine Partituren nicht als endgül- Im 3. Konzert, welches ein Musterbeispiel tig ansah, sondern als Vorlagen für schöpferische an thematischer und motivischer Verarbeitung Interpreten. Als der Komponist sein 3. Konzert ist (eine genauere Analyse fördert regelrechte dreißig Jahre nach dessen Komposition mit Wunder und eine ungeheure Meisterschaft zuta- Eugene Ormandy und dem Philadelphia Or- ge!), ist die Dramaturgie nicht ganz so stringent, 5 was Rachmaninoff auch zu seinen Kürzungen letzteren gibt Michael Korstick den Vorzug, zum veranlasste, die allerdings teilweise über das Ziel einen, weil der erste Teil dieser Kadenzversion hinausschossen und das Stück beschädigten. später in der Stretta des Finales erneut erscheint Diese Kürzungen, die auch in Rachmaninoffs und die Sätze miteinander verklammert, zum eigene Schallplattenaufnahme des Werks mit anderen, weil in dieser Fassung ein formaler dem Philadelphia Orchestra unter Eugene Or- Kunstgriff Rachmaninoffs viel deutlicher ins mandy Eingang fanden, sind, im Gegensatz zu Auge fällt, nämlich dass die Reprise des ersten einer oft vertretenen Meinung, nicht ausschließ- Satzes in der Mitte der Kadenz beginnt. lich den Zeitbeschränkungen der Schellackplat- Gewichtiger ist natürlich die Frage, warum te geschuldet; es waren die gleichen Kürzungen, in der vorliegenden Einspielung des Finales die die Rachmaninoff in seinen Konzertauftritten heutzutage nicht mehr allgemein übliche Kür- machte. Ein exemplarisches Beispiel sind zwei zung eines Variationsabschnitts zu hören ist. herausgekürzte Takte in der Kadenz, die zwar Dieser Satz, dessen Analyse, so lohnend sie ist, nur wenige Sekunden ausmachen, den Ablauf den Rahmen eines CD-Textes sprengen würde, jedoch deutlich verbessern, weil ein zunächst weist ein einziges dramaturgisches Problem auf, beabsichtigtes, sich dann in der Praxis aber als nämlich im Mittelteil, der aus einer Reihe von überflüssig erweisendes rhetorisches Element Variationen in Es-Dur über das hier zunächst als den stringenten Ablauf stört. In der vorliegen- Scherzando erscheinende Seitenthema des ers- den Aufnahme folgt Michael Korstick hier dem ten Satzes besteht. Michael Korstick entscheidet Komponisten und dessen bevorzugtem Inter- sich hier, wie auch in allen seinen Konzertauf- preten Vladimir Horowitz. Eine weitere Frage führungen des Stücks, die auf den Komponisten wirft die Kadenz des Kopfsatzes auf, da Rachma- zurückgehende und bei