Plenarprotokoll 13/97

Deutscher

Stenographischer Bericht

97. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 -

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Vertrauensschutz bei der Vorruhestands- regelung für vor dem Stichtag 14. Februar Befragung der Bundesregierung (Be- 1996 55jährige Versicherte richt über die Tschernobyl-Konferenz in MdlAnfr 8 Wien) Dieter Maaß (Herne) SPD Dr. , Bundesministerin Antw PStSekr Horst Günther BMA . . . 8623 C BMU 8619A ZusFr Dieter Maaß (Herne) SPD . . . . 8623 D Wolfgang Behrendt SPD 8620 B Entstehung herbizidresistenter Ackerun- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin kräuter durch Verwendung transgener BMU 8620 C Rapspflanzen in Dänemark MdlAnfr 13 Tagesordnungspunkt 2: Klaus Hagemann SPD Fragestunde Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann Pohl BMG 8624 A - Drucksache 13/4333 vom 12. April ZusFr Klaus Hagemann SPD 8624 B 1996 - Teilnehmer und Ergebnisse der deutsch- Umsetzung des Unternehmenskonzepts niederländischen Konferenz am 21. März der mit öffentlichen Mitteln geförderten 1996 in Delft Molkerei Upahl in Mecklenburg-Vorpom- MdlAnfr 19, 20 mern Dr. Barbara Hendricks SPD MdlAnfr 1, 2 Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . . 8624 D Christel Deichmann SPD ZusFr Dr. Barbara Hendricks SPD . . . . 8625 A Antw PStSekr Wolfgang Gröbl BML . . 8621A Auswirkungen des Besuchs der EU-Troika ZusFr Christel Deichmann SPD 8621 B im Nahen Osten auf die deutsch-irani- ZusFr Jürgen Koppelin F.D.P 8621 D schen Beziehungen MdlAnfr 21 Änderung des Baugesetzbuches zur Er- Norbert Gansel SPD möglichung einer außerlandwirtschaftli- Antw StMin Helmut Schäfer AA . . . 8626 A chen Nutzung leerstehender Bausubstanz ZusFr Norbert Gansel SPD 8626 B MdlAnfr 5, 6 Hubert Deittert CDU/CSU Aufklärungskampagne gegen die De- signerdroge Ecstasy Antw PStSekr Joachim Günther BMBau . 8622 C MdlAnfr 26 ZusFr Hubert Deittert CDU/CSU . . . . 8623 A Johannes Singer SPD II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 8627 A Anlage 2 ZusFr Johannes Singer SPD 8627 B Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes; Novellierung der Verpak- ZusFr Dr. PDS . . 8627 D kungsverordnung zur Umsetzung der ZusFr Klaus Hagemann SPD 8628 A Europäischen Verpackungsrichtlinie; Kon- sequenzen betr. Mehrwegquoten ZusFr Norbe rt Gansel SPD 8628 B MdlAnfr 3, 4 - Drs 13/4333 - BÜND- ZusFr Margareta Wolf (Frankfurt) Horst Kubatschka SPD NIS 90/DIE GRÜNEN 8628 B SchrAntw PStSekr Wolfgang Gröbl BML . 8646* C Gesetzliche Regelung für Mehrfach-Bezü- ge aus öffentlichen Kassen durch Bundes- Anlage 3 minister und Parlamentarische Staatsse- Prüfungsbeanstandungen beim Mittelein- kretäre satz aus dem Investitionsförderungsgesetz MdlAnfr 27 Aufbau Ost § 3 (3) zur Sanierung von Norbert Gansel SPD Schulgebäuden Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 8628 C MdlAnfr 7 - Drs 13/4333 - Wolfgang Ilte SPD ZusFr Norbert Gansel SPD 8628 D SchrAntw PStSekr Hansgeorg Hauser Protektionistische Maßnahmen der EU BMF 8647* A beim Import von Gütern und Waren; be- troffene Entwicklungsländer Anlage 4 MdlAnfr 32 75%ige Anrechnung der Firmenaufträge Roland Kohn F.D.P. auf die Wertschöpfung einer Behinderten- Antw PStSekr Dr. Norbert Lamme rt BMWi 8629 C werkstatt; Auftragsrückgang durch Ände- rung des § 55 des Schwerbehindertenge- ZusFr Roland Kohn F.D.P. 8629 D setzes MdlAnfr 9, 10 - Drs 13/4333 - Zusatztagesordnungspunkt 1: Ernst Hinsken CDU/CSU Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- SchrAntw PStSekr Horst Günther BMA . 8647* B desregierung zur öffentlichen Auffor- derung in der Tageszeitung „taz" am Anlage 5 12. April 1996 zur Schienendemontage beim Atomkraftwerk Gundremmingen Sozialhilfeleistungen für eine fünfköpfige ausländische Familie; Anzahl der auslän- Dr. F.D.P...... 8630 B dischen Sozialhilfeempfänger Dr. Eckhart Pick SPD 8631 B MdlAnfr 11, 12 - Drs 13/4333 Dr. Gerd Müller CDU/CSU 8632 A CDU/CSU- SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg- Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mann-Pohl BMG 8648* A NEN 8633 A Eva Bulling-Schröter PDS 8634 B Anlage 6 Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär BMI 8635 B Ins Bundesprogramm gem. § 6 Gemeinde- CDU/CSU 8636 D verkehrsfinanzierungsgesetz aufgenom- Wolfgang Behrendt SPD 8637 D mene Vorhaben für den öffentlichen Per- sonennahverkehr in den neuen Bundes- Walter Hirche F.D.P 8639 A ländern, Verlängerung der Berliner U- Michael Teiser CDU/CSU 8640 A Bahnlinie 5 Horst Kubatschka SPD 8640 D MdlAnfr 14, 15 - Drs 13/4333 - Dr. Winfried Wolf PDS CDU/CSU 8641 C SchrAntw PStSekr Johannes Nitsch BMV 8648* C Arne Fuhrmann SPD 8642 C CDU/ Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Anlage 7 CSU 8644 A Pläne zur Zusammenlegung von Deut- schem Wetterdienst und Geophysikali- Nächste Sitzung 8645 C schem Beratungsdienst der Bundeswehr MdlAnfr 16, 17 - Drs 13/4333 - Anlage 1 Dr. Elke Leonhard SPD Liste der entschuldigten Abgeordneten . 8646* A SchrAntw PStSekr Johannes Nitsch BMV 8649* A Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 III

Anlage 8 MdlAnfr 24, 25 - Drs 13/4333 - Bezug der Wochenmagazine „Der Spie- Peter Conradi SPD gel" und „Focus" durch deutsche Bot- SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 8649* C schaften und Goethe-Institute MdlAnfr 18 - Drs 13/4333 - Anlage 11 CDU/CSU SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 8649* B Aufenthaltsbeendigung der bosnischen Flüchtlinge gemäß den im Friedensab- kommen von Dayton aufgestellten Grund- Anlage 9 sätzen Eigentumsansprüche Sudetendeutscher ge- MdlAnfr 28, 29 - Drs 13/4333 - genüber der Tschechoslowakei; Verein- (Bremen) BÜNDNIS 90/ barkeit der Beneš-Dekrete mit dem Völ- DIE GRÜNEN kerrecht SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 8650* A MdlAnfr 22, 23 - Drs 13/4333 - Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw StMin Helmut Schäfer AA . . 8649* B Anlage 12 Lieferung von sechs Kriegsschiffen an Tai- wan; Auswirkungen auf die Arbeitsplatz- Anlage 10 situation bei Werften und Zuliefererbetrie- Aufwendungen des Bundes für die Bun- ben desbeamten und Versorgungsempfänger MdlAnfr 30, 31 - Drs 13/4333 - (Besoldung, Versorgungsleistungen, Bei- Michael Teiser CDU/CSU hilfen) im Jahre 1994; Kosten im Falle ei- ner Krankenversicherung bei der AOK SchrAntw PStSekr Dr. und Beitragsbemessungsgrenzen BMWi 8650* C

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Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Beginn: 13.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und gegeben -, die gesundheitlichen, sozialen, psycholo- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-- gischen, ökonomischen und ökologischen Folgen zung ist eröffnet. dieses Unfalls zu untersuchen und fachübergreifend zu diskutieren. Auf der Wiener Konferenz wurde ein Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: breiter fachlicher Dialog zu diesen Themen geführt. Befragung der Bundesregierung Es wurde über eine Reihe von Schlußfolgerungen Die Bundesregierung hat als Themen der heutigen Einvernehmen erzielt, die in Zukunft als gemein- Kabinettssitzung mitgeteilt: Tschernobyl-Konferenz same Basis dienen sollen, um die Folgen des Unfalls in Wien, Rentenanpassungsverordnung 1996 und von Tschernobyl aufzuarbeiten und um vor allen Din- Entsendung von 150 Polizeivollzugsbeamten nach gen die noch notwendigen Arbeiten zur Aufklärung Bosnien-Herzegowina. zu leisten. - Gegen diese Schlußfolgerungen gab es wenig Einwände. Dabei ging es um Formulierungen Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Be- zu radiologischen und psychologischen Faktoren des richt hat die Bundesministerin für Umwelt, Natur- Gesundheits- und Strahlenschutzes genauso wie um schutz und Reaktorsicherheit, Dr. Angela Merkel. - bestimmte Daten über Strahlendosen. Frau Ministerin. Ich glaube, man kann als Ergebnis dieser Konfe- renz festhalten, daß vor allen Dingen die psychologi- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, schen Folgen dieses Unfalls in der Vergangenheit Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! gegenüber den direkten Folgen der Strahlenbela- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Aus Anlaß stung massiv unterschätzt wurden und daß soziale des bevorstehenden 10. Jahrestages des Reaktorun- und wirtschaftliche Probleme, Verunsicherung und falls in Tschernobyl hat in der letzten Woche zu die- Ängste bis hin zu psychosomatischen Erkrankungen sem Thema eine internationale Konferenz in Wien stattgefunden. Diese Konferenz wurde von der Inter- die Bevölkerung in den betroffenen Regionen noch heute beeinflussen; viele Tausende von Menschen nationalen Atomenergiebehörde, der Weltgesund- sind davon betroffen. heitsorganisation und der Europäischen Kommission veranstaltet. Auf die Bitte des Generaldirektors der Bisher hat es etwa 600 Fälle von Schilddrüsen Internationalen Atomenergiebehörde habe ich den krebs gegeben, insbesondere bei Kindern. Eine Er- Vorsitz geführt. höhung von Leukämieerkrankungen ist in den be- Man kann von dieser Konferenz sagen, daß sie die troffenen Regionen bis jetzt nicht belegt. Allerdings größte fachliche Veranstaltung dieser A rt war, weil weiß man, daß Langzeiteffekte auftreten können. sie verschiedene Organisationen zusammengebracht Das heißt: Es kann hier keine bereits abschließende hat. Mit über tausend Teilnehmern waren dort Wis- Folgerung gezogen werden. Man muß aber sagen, senschaftler sehr verschiedener Fachdisziplinen an- daß insbesondere die Beeinflussung von Kindern na- wesend. Die am stärksten betroffenen Länder, Ruß- türlich zu den schrecklichsten Folgen gehört, die die- land, die Ukraine und Weißrußland, waren auch auf ser Unfall verursacht hat. politischer Ebene vertreten: die Ukraine durch den Ministerpräsidenten, Weißrußland zu Beginn der Eine verläßliche Aussage über A rt und Anzahl der Konferenz auch durch den Staatspräsidenten. Meine bisherigen Todesfälle auf Grund des Reaktorunfalls französische Kollegin, Frau Lepage, hat die abschlie- insbesondere im Hinblick auf die etwa 800 000 Liqui- ßende Diskussion geleitet. datoren kann bis heute verantwortbar nicht getroffen werden. Allerdings muß man versuchen, möglichst Zehn Jahre nach dem Unfall in Tschernobyl, dem viel Klarheit zu bekommen. Ich möchte an dieser schrecklichsten Unfall in der Geschichte der friedli- Stelle aber sagen, daß Berichte über Tausende von chen Nutzung der Kernenergie, war es nun wirklich Toten schlicht falsch, unverantwortlich und über- an der Zeit - das hatte es in diesem Maße noch nicht haupt nicht aufrechtzuerhalten sind. 8620 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Eine wesentliche Erkenntnis ist, daß die statisti- Dr. Angela Merkel, Bundesministerin für Umwelt, schen Erhebungen und die Berechnungen für abseh- Naturschutz und Reaktorsicherheit: Die Schließung bare Folgen, die man bislang gemacht hat, immer auf von Tschernobyl hat selbstverständlich eine Rolle ge- den Rechenmodellen von Hiroshima und Nagasaki spielt. Es gibt das „Memorandum of Understanding" beruhten. Dies hat sich als nicht ausreichend und mit der Ukraine. Die auf der Konferenz anwesenden auch nicht als angemessen herausgestellt, denn die politischen Vertreter der Ukraine, mein Kollege langandauernde Belastung mit Strahlen ist nicht mit Kostenko und Ministerpräsident Martschuk, haben einer sehr kurzfristigen Bestrahlung zu vergleichen, deutlich gemacht, daß sie beabsichtigen, zu diesem wie sie bei dem Bombenabwurf auf die beiden so- „Memorandum of Understanding " zu stehen. Sie ha- eben genannten japanischen Städte auftrat. ben in gleicher Weise deutlich gemacht, daß in den nächsten Tagen in ihrem Land schwierige Parla- Was die nukleare Sicherheit anbelangt, war das mentsdebatten bevorstehen und daß die Unterstüt- Bestreben insbesondere Rußlands unverkennbar, die zung für dieses „Memorandum of Understanding" in Probleme mit den RBMK-Reaktoren zu relativieren der Ukraine durchaus nicht einhellig ist. und die vom Westen geforderte Schließung von Tschernobyl als rein politisch motiviert darzustellen. Wir haben selbstverständlich auch über die Frage Ich dagegen habe auf der Feststellung bestanden, gesprochen, daß dieses „Memorandum of Under- daß trotz der Beseitigung der unmittelbaren Ursa- standing" von allen Seiten - das heißt, auch von den chen des Reaktorunfalls in Tschernobyl auch heute G-7-Staaten - eingehalten werden muß, also auch noch Unfälle mit schweren Folgen - insbesondere bei die Zusage von Hilfsleistungen. Die Frage, die Sie diesem Reaktortyp - nicht ausgeschlossen werden gestellt haben, kann man jedoch nicht mit einem ein- können und daß deshalb gerade das „Memorandum fachen Ja, aber auch nicht mit einem Nein beantwor- of Understanding" mit der Ukraine unbedingt einge- ten. Für die langfristige Sicherung des „Sarko- halten werden muß. phags" stehen erste finanzielle Mittel zur Verfügung; es besteht allerdings Übereinstimmung, daß sie in Ich denke - das habe ich beim Abschluß der Konfe- der derzeitigen Form noch nicht gewährleistet ist. renz noch einmal sehr deutlich gemacht -, daß eine Der Weg, wie man diese Sicherung erreichen kann, klare Aussage zur Schließung des Tschernobyl-Re- ist noch nicht klar vorgezeichnet. Darüber gibt es un- aktors auf dieser Konferenz wünschenswert gewe- terschiedliche Einschätzungen. Es gibt eine Studie sen wäre. Der Reaktor darf nicht auf Dauer weiterbe- der Europäischen Gemeinschaft, die aus unserer trieben werden. Ich meine, daß die Sicherheitsfragen Sicht eine sehr theoretische Lösung ist, und es gibt von eminenter Bedeutung für eine verantwortbare andere Erwägungen. friedliche Nutzung der Kernenergie sind. Das bedeutet: Gelder für Hilfsmaßnahmen sind Ich habe die internationale Gemeinschaft aufgefor- da, aber es besteht nicht in allen Fällen Übereinstim- dert, ihre Unterstützung für die mittel- und osteuro- mung zwischen der Ukraine und den G-7-Ländern, päischen Staaten und die dort lebenden Menschen in welcher Weise diese Gelder verwendet werden. fortzusetzen. Dies muß und kann aber nur Hilfe zur Das betrifft zum Beispiel die Ertüchtigung von Kohle- Selbsthilfe sein. Wir brauchen eine gemeinsame Si- kraftwerken, den Weiterbau von im Bau befindlichen cherheitspartnerschaft, die zu einer nachhaltigen Kernkraftwerken und die Frage, was in Tschernobyl Nutzung unserer Energieressourcen führt. - Stichwort: Tschernobyl-Zentrum - und an anderen Stellen passieren soll. Es gibt durchaus noch unter- Dies war eine Konferenz im Vorfeld des 10. Jahres- schiedliche Ansichten. Das liegt aber in der Natur tages des Reaktorunfalls; wir werden in der nächsten der Sache, denn das „Memorandum of Understan- Woche eine Debatte zu diesem Thema haben, in der ding" ist noch nicht sehr lange abgeschlossen. wir in allgemeiner und breiter Form noch einmal dar- über diskutieren können. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gibt es noch wei- Danke schön. tere Fragen zu dem Kongreß in Wien? - Nein. Darf ich fragen, ob es zur Rentenanpassungsver- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Vielen Dank, Frau ordnung 1996 oder zur Entsendung von Polizeivoll- Ministerin. - Fragen? - Bitte schön, Herr Kollege zugsbeamten nach Bosnien-Herzegowina noch Fra- Behrendt. gen gibt. - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Befragung der Bundesregie- Wolfgang Behrendt (SPD): Frau Ministe rin, Sie ha- rung und unterbreche die Sitzung bis 13.35 Uhr. ben eben ausgeführt, sich dafür eingesetzt zu haben, daß die noch laufenden Reaktoren in Tschernobyl (Unterbrechung von 13.11 bis 13.35 Uhr) stillgelegt werden. Können Sie uns sagen, ob aus den Gesprächen mit den Vertretern der Ukraine hervor- Vizepräsidentin Dr. : Liebe Kollegin- gegangen ist, daß die Stillegung bis zum Jahre 2000 nen und Kollegen, die unterbrochene Sitzung wird eine realistische Annahme darstellt? Ist insbesondere wiedereröffnet. Wir kommen jetzt zu Tagesord- die Finanzierung von Sicherungs- und Kompensa- nungspunkt 2: tionsmaßnahmen für die Stillegung gesichert? Fragestunde Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Frau Ministe rin. - Drucksache 13/4333 - Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8621 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Ich möchte vorbeugend darauf hinweisen, daß ich lung nach 2000 zu dem Themenbereich der Molkerei glaube, daß wir die Zeit dafür nicht ganz ausnutzen Upahl gehören. Ich bin der Meinung, wir könnten werden. Da wir aber beschlossen haben, unmittelbar jetzt selbstverständlich eine agrarpolitische Debatte danach in die Aktuelle Stunde einzutreten, bitte ich über die Förderpolitik des Bundes und der Länder Sie, Ihre Kollegen entsprechend zu informieren. führen, aber das hat mit dieser Frage speziell nichts zu tun. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- nisteriums für Ernährung, Landwirtschaft und For- sten. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamen- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich sehe das tarische Staatssekretär Wolfgang Gröbl erschienen. ähnlich. Die Kollegin hat jedoch eine zweite Nach- frage, und vielleicht gelingt es ihr, die Brücke zur Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Ch ristel Ausgangsfrage zu schlagen. Deichmann auf:

Wie schätzt die Bundesregierung aus heutiger Sicht die An- Christel Deichmann (SPD): Ich wollte tatsächlich nahmen des Förder- und Unternehmenskonzeptes hinsichtlich der Milchliefermengen, Vermarktungswege und -erlöse ein, auf auf die Förderpolitik speziell im Landwirtschaftssek- dessen Grundlage seinerzeit die Molkerei Upahl in Mecklen- tor hinaus. Die zweite Frage ist ähnlich, und ich burg-Vorpommern öffentlich gefördert worden ist? ziehe sie deshalb zurück.

Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich rufe die minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Frage 2 der Abgeordneten Christel Deichmann auf: Frau Kollegin Deichmann, die Förderung von Inve-- In welchem Umfang waren Arbeitsplatzzusagen Bestandteil stitionen für die Molkerei in Upahl in Mecklenburg des der Förderung zugrunde liegenden Unternehmenskonzep- Vorpommern erfolgte mit Mitteln der Gemeinschafts- tes der Molkerei Upahl, und mit welchen Ergebnissen ist die aufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Umsetzung des Unternehmenskonzeptes auch hinsichtlich der Küstenschutzes" sowie mit Mitteln des Europäischen anderen vereinbarten Zusagen des Unternehmens bisher ge- prüft worden? Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirt- schaft, Abteilung Ausrichtung. Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Auf Grund des Gesetzes über die Gemeinschafts- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: aufgabe „ Verbesserung der Agrarstruktur und des Die Maßnahmen zur Verbesserung der Marktstruk- Küstenschutzes" liegt die Zuständigkeit für die tur sowohl im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Durchführung der Fördermaßnahmen allein bei den „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten- Ländern. Die Durchführung der EG-Förderung liegt schutzes" als auch im Rahmen der EG-Förderung ha- ebenfalls in der Zuständigkeit der Länder. Demzu- ben die Zielsetzung, die Verarbeitung und Vermark- folge liegen der Bundesregierung auch nicht die für tung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Hinblick die Förderung maßgeblichen Unternehmenskon- auf eine marktgerechte und kostengünstige Aufbe- zepte vor. Es stände ihr auch nicht zu, sich in die reitung zu verbessern. Kompetenzen der Länder einzumischen und solche Konzepte zu bewerten. Die nationalen Förderbestimmungen werden jähr- lich vom Planungsausschuß für Agrarstruktur und Küstenschutz, dem Bund und Länder angehören, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage? durch Beschluß über den Rahmenplan der Gemein- - Bitte. schaftsaufgabe festgelegt. Der Rahmenplan wird dem Deutschen Bundestag zur Unterrichtung als Christel Deichmann (SPD): Zeigt sich nicht am Bundestagsdrucksache vorgelegt. Arbeitsplatzzusa- Standort Upahl, also bei der mit vielen Fördermitteln gen zählen nicht zu den Voraussetzungen für eine auf verschiedensten Ebenen unterstützten Molkerei, derartige Förderung. daß die Förderpolitik insgesamt geändert werden In diesem Zusammenhang darf ich auf meine Ant- muß? Ich nenne die Stichworte: Neustrelitzer worten vom 28. Februar in der Fragestunde verwei- Schlachthof und Nordfleisch Anklam. Sind in der sen. Da habe ich dies schon einmal ausgeführt. Landwirtschaftspolitik Bund und Land auf dem be- sten Weg, Mecklenburg-Vorpommern nicht nur zu einem schweinefreien Land, sondern vielleicht auch Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Möchten Sie zu einem milchkuhfreien Land werden zu lassen? eine Zusatzfrage stellen? Ich möchte die Weiterführung der Quote nach dem Jahr 2000 mit dem Planspiel ansprechen, eventuell Christel Deichmann (SPD): Danke, nein. die Regelung für die alten Bundesländer auf die neuen Bundesländer zu übertragen. Das wäre das Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege Aus für die Milchwirtschaft in Mecklenburg-Vor- Koppelin hat eine Zusatzfrage. Bitte. pommern. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Sie Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- haben selber darauf hingewiesen, daß Sie am minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: 28. Februar 1996 schon eine solche Frage beantwor- Frau Präsidentin, ich stelle fest, daß weder Neustre- tet haben. Ihre Antwort kam mir auch sehr bekannt litz noch Anklam, noch die Frage der Quotenrege- vor, weil es die gleiche war, die Sie am 28. Februar in 8622 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1996

Jürgen Koppeln einer längeren Diskussion in der Fragestunde gege- Reaktorsicherheit sollen schriftlich beantwortet wer- ben haben. den. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Es war hier von einem „milchfreien" Mecklen- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- burg-Vorpommern die Rede. Kann es nicht eher nisteriums für Raumordnung, Bauwesen und Städte- sein, daß Schleswig-Holstein jetzt milchfrei ist, da bau. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer die Milch aus Schleswig-Holstein jetzt nach Upahl Staatssekretär Joachim Günther zur Verfügung. befördert wird? Die Hansa-Milch fährt die gesamte Milch aus dem Bereich Schleswig-Holsteins nach Ich rufe Frage 5 des Kollegen Hube rt Deittert auf: Mecklenburg-Vorpommern, und zum Beispiel in Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch den starken Rendsburg muß ein Werk geschlossen werden. Im Strukturwandel in der Landwirtschaft immer mehr wertvolle Werk Leezen wird nicht mehr Milch, sondern plötz- Bausubstanz leersteht, für die nach geltendem Baurecht nur sel- ten eine vernünftige außerlandwirtschaftliche Verwendung lich Fruchtsaft verarbeitet. Die gesamte Milch aus möglich ist? diesem Einzugsgebiet muß nun nach Upahl befördert werden. Es findet also genau das Gegenteil von dem statt, was die Kollegin gesagt hat. Joachim Günther, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Raumordnung, Bauwesen und Städ- tebau: Frau Präsidentin, Herr Kollege Deittert, ich Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- bitte Sie, damit einverstanden zu sein, daß ich die minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Fragen 5 und 6 zusammen beantworte, da sie in un- Hierzu, Herr Kollege, kann ich als erstes feststellen: mittelbarem Zusammenhang stehen. Die Tatsache, daß ich Ihnen heute dem Sinn nach die- gleiche Antwort wie damals gebe, zeigt die Kontinui- tät in unserem Haus. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann rufe ich auch Frage 6 des Kollegen Hubert Deittert auf: (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Es zeigt auch, wie Sind von der Bundesregierung Änderungen des Baugesetzbu- aufmerksam die Zuhörer sind, Herr Staats- ches geplant, die dieses Problem lösen? sekretär!) — Auch dies, Herr Heinrich. Joachim Günther, Parl. Staatssekretär beim Bun- Zum zweiten darf ich Ihnen kurz die Milchmengen desminister für Raumordnung, Bauwesen und Städ- insgesamt nennen. Insgesamt dürfen in den drei Wer- tebau: Der Bundesregierung ist bekannt, daß infolge ken Rendsburg, Leezen und Upahl 614 000 Tonnen des Strukturwandels in der Landwirtschaft ein Um pro Jahr verarbeitet werden. Davon werden zur Zeit nutzungspotential ehemals landwirtschaftlich ge- nur 600 000 Tonnen pro Jahr ausgeschöpft. Aktuell nutzter Gebäude besteht. Dieser regional sehr unter- verteilen sie sich auf Leezen mit 180 000 Tonnen, schiedlich ausgeprägte Umnutzungstrend ist schon Rendsburg mit 80 000 Tonnen und Upahl mit 340 000 bisher von den mit dem Investitionserleichterungs- Tonnen. Es ist aber vorgesehen, daß in Upahl 450 000 und Wohnbaulandgesetz 1993 beschlossenen bau- Tonnen Milch verarbeitet werden, wovon etwa rechtlichen Vorschriften unterstützt worden. 50 000 Tonnen pro Jahr zugekauft werden sollen. Im einzelnen ergibt sich hierzu auf Grund einer vom Bauministerium in Auftrag gegebenen Rechts- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine zweite Zu- tatsachenuntersuchung zur baulichen Nutzung des satzfrage. Außenbereichs, die vom Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik, Berlin, durchgeführt wurde, daß sich auch in ländlichen Regionen außerhalb des Um- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatssekretär, kön- nen Sie einen schleswig-holsteinischen Bundestags- kreises von Ballungszentren die Nutzungsstrukturen abgeordneten verstehen, der nicht begreifen kann, weiter ändern. Dabei findet eine Umnutzung haupt- daß man mit Fördermitteln, also Steuergeldern, in sächlich zugunsten der Wohnnutzung statt. Umnut- Upahl ein großes Werk gebaut hat und daß dadurch zungstrends in Richtung Gewerbe sind demgegen- in Schleswig-Holstein Werke und Arbeitsplätze weg- über weniger stark ausgeprägt. Sie spielen im we- rationalisiert werden? sentlichen in verkehrlich gut erschlossenen Gebieten eine Rolle.

Wolfgang Gröbl, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Das geltende Bauplanungsrecht hat diese Entwick- minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: lung durch Erleichterung der Umnutzung vorhande- Ich habe mich schon am 28. Februar bemüht, Ihnen ner Bausubstanz im Außenbereich flankie rt, insbe- gegenüber mein Verständnis, soweit es reicht, ent- sondere durch die Verbesserungen des Investitions- sprechend zu formulieren und auszudrücken. erleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes, die des- halb nach Auffassung der Bundesregierung in das Dauerrecht des Baugesetzbuches übernommen wer- Weitere Zusatz- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: den sollten. fragen liegen nicht vor. Diese gesetzgeberischen Maßnahmen haben sich Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des vielerorts auch bereits in der Baugenehmigungspra- Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft xis niedergeschlagen. Nach der oben genannten und Forsten. Rechtstatsachenuntersuchung haben die Erleichte- Die Fragen 3 und 4 aus dem Geschäftsbereich des rungen im Bereich des Wohnungsbaus durchaus in Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nennenswertem Umfang zu zusätzlichen neuen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8623 Parl. Staatssekretär Joachim Günther Wohnungen geführt. Insgesamt waren in den alten Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Bundesländern knapp 30 Prozent, in den neuen Bun- Staatssekretär Horst Günther zur Verfügung. desländern knapp 15 Prozent der begünstigten Vor- haben nur auf Grund der neuen Regelungen geneh- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- migungsfähig. Damit sind in den Landkreisen der al- minister für Arbeit und Sozialordnung: Schönen ten Bundesländer durchschnittlich jährlich etwa Dank, Frau Präsidentin. elf Wohnungen je Baugenehmigungsbezirk zusätz- lich möglich geworden. Indessen ist festzustellen, Herr Kollege Maaß, nach dem von der Bundesre- daß die bei der Umnutzung landwirtschaftlicher Ge- gierung am 6. März 1996 beschlossenen Entwurf ei- bäude jetzt mögliche zusätzliche dritte Wohneinheit nes Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Über- nach den Ergebnissen des Forschungsprojektes eher gangs in den Ruhestand sind von dem Vertrauens- selten genutzt wird. schutz unter anderem Versicherte erfaßt, die vor dem 14. Februar 1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben Bei der in dieser Legislaturperiode anstehenden und auf Grund einer vor dem 14. Februar 1996 er- Novellierung des Baugesetzbuches, deren Einzelhei- folgten Kündigung oder eines vor diesem Datum ab- ten zur Zeit innerhalb der Bundesregierung abge- geschlossenen Aufhebungsvertrages aus dem Ar- stimmt werden, wird zu entscheiden sein, wie der beitsverhältnis ausscheiden und daran anschließend weiterhin notwendige Schutz des Außenbereichs mit arbeitslos werden. dem Strukturwandel der Landwirtschaft in ein aus- gewogenes Verhältnis gebracht werden kann. Konkret bedeutet der Vertrauensschutz, daß die davon erfaßten Versicherten von der Anhebung der Altersgrenze bei der Altersrente wegen Arbeitslosig- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage, keit oder nach Altersteilzeitarbeit nicht betroffen bitte. sind. Der Vertrauensschutz wird durch die Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen zum Stichtag Hubert Deittert (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, begründet. Er wirkt sich konkret allerdings erst aus, danke für die Antwort. wenn der Versicherte eine Altersrente wegen Ar- beitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit in An- Ich erkenne an, daß in bezug auf Wohnnutzung die spruch nimmt. Erleichterungen erhebliche Verbesserungen ge- bracht haben. Meine Zusatzfrage: Ist seitens des Mi- Ein Antrag auf Arbeitslosengeld ist im übrigen für nisteriums bei der Überarbeitung des Baugesetzbu- die Gewährung des Vertrauensschutzes nicht erfor- ches vorgesehen, diese Erleichterungen auch für derlich. Umnutzungen zum Beispiel in Richtung Gastrono- mie und handwerkliche Betriebe einzuführen? Das Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage. wäre in vielen Fällen ein Schritt in die richtige Rich- tung. Dieter Maaß (Herne) (SPD): Herr Staatssekretär, dies war mir soweit bekannt. Ich beziehe mich auf Joachim Günther, Parl. Staatssekretär beim Bun- einen konkreten Fall: Was passiert mit einem Mann, desminister für Raumordnung, Bauwesen und Städ- der 54 Jahre alt ist, im Januar seinen Aufhebungsver- tebau: Herr Kollege, bereits nach der jetzigen Ge- trag unterschrieben hat und dessen Kündigungs- setzgebung ist es möglich, entsprechende Einzelent- schutz über die Zeiträume, die Sie gerade genannt scheidungen zu treffen. Wir bereiten gegenwärtig haben, läuft? Welche Möglichkeiten hat er, einen die Novellierung des Baugesetzbuches vor. Der end- Vorruhestand in Anspruch zu nehmen, wie er in sei- gültige Entwurf ist noch nicht vorhanden. Sobald wir nem Vertrag mit dem Arbeitgeber vorgesehen war? in diese Phase kommen, werden wir auch dieses Thema mit berücksichtigen. Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (Hubert Deittert [CDU/CSU]: Danke!) minister für Arbeit und Sozialordnung: Soweit es sich um Arbeitnehmer in der Eisen- und Stahlindustrie bzw. im Bergbau handelt, ist auch diese Alters- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Keine weiteren gruppe erfaßt. Ansonsten gilt das 55. Lebensjahr. Wir Zusatzfragen? - Dann verlassen wir diesen Ge- können nach diesem Gesetz diesem Mann nicht hel- schäftsbereich. fen. Zu Frage 7 ist um schriftliche Beantwortung gebe- ten worden. Die Antwort wird als Anlage abge- Dieter Maaß (Herne) (SPD): Herr Staatssekretär, druckt. Sie sind ein politisch erfahrener Mann. Welche Mög- lichkeiten hat jetzt dieser Betroffene, der einen gülti- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- gen Vertrag mit seinem Arbeitgeber unter den Vor- nisteriums für Arbeit und Sozialordnung. Ich rufe die aussetzungen hat, die damals, als er ihn unter- Frage 8 des Abgeordneten Dieter Maaß (Herne) auf: schrieb, gegeben waren?

Beginnt der Vertrauensschutz bei der Vorruhestandsregelung bei Versicherten, die vor dem 14. Februar 1996 das 55. Le- Horst Günther, Parl. Staatssekretär beim Bundes- bensjahr erreicht haben, mit der Zustimmungserklärung (Un- terzeichnung des Aufhebungsvertrages), und wird er wirksam, minister für Arbeit und Sozialordnung: Ich würde wenn nach Beendigung der Kündigungsfrist der Antrag auf Ar- dieser Person den Rat geben, im Hinblick darauf, daß beitslosengeld gestellt wird? die Geschäftsgrundlage für diesen Vertrag entfallen 8624 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Parl. Staatssekretär Horst Günther ist, neue Verhandlungen mit dem Arbeitgeber zu Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin führen. beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege Hagemann, diese Ängste werden durch nicht immer (Dieter Maaß [Herne] [SPD]: Danke schön!) sachgerechte Darstellungen natürlich verständlich. Sie wissen aber, daß wir ein sehr strenges Gentech- nikrecht haben und daß vor jedem Versuch das ent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Auch für die Fragen 9 und 10 ist schriftliche Beantwortung bean- sprechende Bundesinstitut mit seinen Experten ein tragt worden. Die Antworten werden als Anlagen ab- unabhängiges Votum abgibt. Dabei gilt immer der gedruckt. Grundsatz, daß keine Gefahr für Umwelt und Mensch entstehen darf. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- nisteriums für Gesundheit. Die Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl wird die Klaus Hagemann (SPD): Sie erwähnten vorhin, Fragen beantworten. Frau Staatssekretärin, daß sich das Produkt „Basta" dann wahrscheinlich nicht mehr verkaufen lasse. In- Für die Fragen 11 und 12 ist schriftliche Beantwor- wieweit ist die Industrie schon darin einbezogen? tung beantragt worden. Die Antworten werden als Welche Gespräche mit welchen Ergebnissen haben Anlagen abgedruckt. stattgefunden? Also kommen wir zur Frage 13 des Abgeordneten Klaus Hagemann: Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Wie reagiert die Bundesregierung auf Pressemitteilungen in beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege der „Allgemeinen Zeitung" Ausgabe Alzey, vom 1. April 1996, Hagemann, das kann ich Ihnen mündlich nicht be- daß nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Däne- antworten; das würde ich Ihnen gerne schriftlich mark sich im Raps eingepflanzte Gene übertragen können, dar- nachreichen. aus Ackerunkräuter mit einer Resistenz auch gegen das Herbi- zid „Basta" resultieren und dadurch extrem zähe „Superun- kräuter" entstehen? (Klaus Hagemann [SPD]: Vielen Dank!)

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke, Frau beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Präsiden- Staatssekretärin. tin! Herr Kollege Hagemann! Raps ist von Natur aus zu etwa einem Drittel fremdbestäubend. Die Mög- Wir verlassen diesen Geschäftsbereich und kom- lichkeit einer Kreuzung mit weiteren Arten innerhalb men zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums dieser Pflanzenfamilie ist bereits seit langem bekannt für Verkehr. und wird auch zum Beispiel züchterisch genutzt. Für die Fragen 14, 15, 16 und 17 ist schriftliche Be- Bei der Risikobewertung der gentechnisch verän- antwortung beantragt worden. Die Antworten wer- derten Pflanzen zum Zwecke der Freisetzung und den als Anlagen abgedruckt. des Inverkehrbringens werden die sich aus diesem Umstand möglicherweise ergebenden Folgen be- Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Aus- rücksichtigt. Als „schlimmste Folge" einer eventuel- wärtigen Amtes. len Übertragung der Herbizidresistenz auf ver- Auch für die Frage 18 ist schriftliche Beantwortung wandte Unkräuter ist denkbar, daß sich das Herbizid beantragt worden. Die Antwort wird als Anlage ab- „Basta" nicht mehr verkaufen läßt, weil es insoweit gedruckt. unwirksam ist. Ich begrüße den Staatsminister Helmut Schäfer zur Wenn bestimmte Herbizide nicht mehr wirksam Beantwortung der Frage 19 der Abgeordneten sind, werden andere bereits vorhandene angewandt. Dr. Barbara Hendricks: Es entsteht also kein unbekämpfbares Unkraut. Risi- ken für Mensch oder Umwelt - auf sie allein kommt Wie setzte sich der Kreis der Teilnehmer an der niederlän- es an - ergeben sich daraus nicht. Der in der Frage disch-deutschen Konferenz am 21. März 1996 in Delft zusam- dargestellte Sachverhalt führt daher nicht zu einer men? veränderten Bewertung von entsprechenden Vorha- ben. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Die 1. Deutsch - Niederländische Konferenz, die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zusatzfrage. am 21./22. März in Delft stattgefunden hat und auf eine gemeinsame Initiative von Bundesminister Kin- kel und dem damaligen niederländischen Außenmi- Klaus Hagemann (SPD): Frau Staatssekretärin, nister Kooijmans aus dem Jahre 1994 zurückgeht, be- herzlichen Dank für Ihre Auskunft. Aber können Sie faßte sich mit dem Thema „Integration von Auslän- verstehen, daß durch Ihre Informationen bzw. die, dern in die Gesellschaft". die in der Presse genannt worden sind, bei der Bevöl- kerung doch große Ängste entstehen, nämlich bei Ungefähr 200 Deutsche und Niederländer nahmen denen, die direkt betroffen sind, die in der Nachbar- an der Konferenz teil. Die Diskussionsteilnehmer -

schaft der Versuchsfelder leben? Wie beurteilen Sie sämtlich in der Ausländerarbeit und - integration en- das? Wie können Sie da gegensteuern? gagiert - zum Thema „Integration von Ausländern" Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8625

Staatsminister Helmut Schäfer kamen aus den Bereichen Verwaltung, zum Beispiel eine andere Konferenz, die kurz danach in Leiden Ausländerbeauftragte, Kultur, Medien, Soziales, stattfand. Sie sehen also, auch das passiert. Wirtschaft, Freizeit und Sport, Jugend und Ausbil- dung und Gesundheitsvorsorge. (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Entschuldi gung, meine Frage war überhaupt nicht Am ersten Konferenztag wurde parallel zur Haupt- personenbezogen, sondern lautete: War der konferenz vor allem von niederländischer Seite, aber Kreis der Eingeladenen so, daß tatsächlich unter Beteiligung von deutschen Experten eine Bi- alle Leute, die daran interessiert gewesen lanz der deutsch-niederländischen Beziehungen ge- wären, auch teilnehmen konnten?) zogen. Teilnehmer waren insbesondere Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Medien, Wi rtschaft sowie Er- - Gut, ich gehe der Sache noch einmal nach. Ich bitte ziehung und Ausbildung. um Verständnis, daß ich die Einzelheiten dieser Vor- bereitung jetzt nicht kenne. Der deutsche Lenkungsausschuß war prominent Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Nachfrage? zusammengesetzt: mit dem langjährigen Botschafter - Bitte. in den Niederlanden von der Gablentz, mit Frau Bun- destagspräsidentin Süssmuth, mit Herrn Robert Leicht, mit Herrn Lademacher und Professor Dam- Dr. Barbara Hendricks (SPD): Aus Teilnehmerkrei- meyer. Also, es gab eigentlich einen exzellenten Len- sen von niederländischer Seite ist mir berichtet wor- kungsausschuß. Ob er nun die falschen Leute einge- den, daß es als ein gewisser Mangel angesehen wor-- laden hat, die dann nicht kommen konnten, kann ich den ist, daß auf deutscher Seite sowohl der parlamen- jetzt nicht sagen. Aber ich überprüfe das gern. tarische Bereich als auch der Bereich Wissenschaft und Kultur deutlich geringer besetzt gewesen sei als auf niederländischer Seite. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Wir kommen da- mit zur Frage 20 der Abgeordneten Dr. Barbara Hen- dricks: Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Kollegin, das mag zutreffen. Aber es ist Was sind die wesentlichen Ergebnisse dieser Konferenz? angesichts der starken Belastungen, die es für das Parlament und auch für Vertretungen der Regierun- gen ganz offensichtlich gibt, nicht immer ganz ein- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Zu den wesentlichen Ergebnissen: Die Diskus- fach, die Fülle von Konferenzen, die nahezu täglich stattfinden, so zu besuchen, daß wir uns mit dem aus- sionen der Teilnehmer aus beiden Ländern im Ple- num und in den fünf Arbeitsgruppen - Ausländer in ländischen Partnerstaat immer einigermaßen ausglei- chen können. Öffentlichkeitsarbeit und Medien, Kunst und Kultur, Sport und Freizeit, Jugendliche zwischen Arbeits- Ich würde es bedauern, wenn es so wäre, wie Sie markt und Ausbildung, Gesundheitsvorsorge - ha- sagen, glaube aber, es gibt keinen Anlaß zu der Ver- ben zu einem fruchtbaren Erfahrungsaustausch im mutung, daß wir auf der Konferenz nicht zu guten Bereich der Integration von Ausländern geführt. Resultaten gekommen wären. Deutsche und Niederländer stellten fest, daß beide Gesellschaften trotz unterschiedlicher Ausgangsla- gen eine gemeinsame Aufgabe haben. Es ist zu er- Dr. Barbara Hendricks (SPD): Könnten Sie mir warten, daß die Konferenz auch als Katalysator wirkt, dann vielleicht einmal nachtragen, Herr Staatsmini- das heißt, daß die dort geknüpften Kontakte zwi- ster, wie viele Eingeladene aus welchen Bereichen - schen den Experten aus Deutschland und den Nie- natürlich ohne Namensnennung - von deutscher derlanden weiterverfolgt werden. Seite die Einladung nicht angenommen haben? Mit anderen Worten: Wie war der eingeladene Kreis, und Der bilaterale Teil der Konferenz sollte dazu die- wer hat dann wirklich von deutscher Seite teilgenom- nen, einen Überblick über die zahlreichen deutsch- men? niederländischen Initiativen zu gewinnen. Das deutsch-niederländische Verhältnis als eigenständi- ges Thema soll auf der folgenden Konferenz nicht Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen mehr zur Diskussion stehen. Mit den vielfältigen Ein- Amt: Frau Kollegin, ich bin zwar bereit, so etwas zu zelfragen und Problemen werden sich die zuständi- tun; aber wenn wir jetzt damit anfangen, bei jeder in- gen nationalen, regionalen und bilateralen Gremien ternationalen Konferenz herauszusuchen, wer alles weiter beschäftigen. eingeladen war und nicht kommen konnte, dann werden dem Auswärtigen Amt, das ständig unter Der deutsch-niederländische Dialog über gesell- Kürzungen seiner Mittel leidet, ganz schöne Aufga- schaftspolitisch aktuelle und brisante Fragen soll ben zugemutet. Ich bin trotzdem bereit, das einmal durch jährliche, abwechselnd in einem der beiden feststellen zu lassen. Länder stattfindende Konferenzen intensiviert wer- den. Es ist vorgesehen, daß die 2. Deutsch-Nieder- Ich weiß nicht, ob Sie auf mich abzielen. Auch ich ländische Konferenz im Juni 1997 zu dem Thema war nämlich bei einer solchen Konferenz eingeladen, „Zukunft der Arbeit" in Deutschland stattfinden konnte aber nicht teilnehmen. Das war allerdings wird. 8626 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Staatsminister Helmut Schäfer Die niederländischen Organisatoren beabsichtigen, eine ganze Reihe sehr wichtiger Fragen angespro- einen schriftlichen Bericht über die Konferenz vorzu- chen worden, die zurückzuführen sind auf die Vorbe- legen. reitung dieser Troika-Reise nach sehr klaren und ein- deutigen Stellungnahmen des Gipfels von Palermo. Dr. Barbara Hendricks (SPD): Danke, keine Zu- Selbstverständlich wird man auch über neue Er- satzfragen. kenntnisse sprechen müssen, die wir gerade im Aus- wärtigen Ausschuß diskutiert haben. Man wird auf Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Dann kommen dieser Konferenz überlegen müssen, welche Schluß- wir zur Frage 21 des Abgeordneten Norbe rt Gansel: folgerungen aus den Erkenntnissen und den Ergeb- nissen der Troika-Mission zu ziehen sind, genauer Welche Veränderungen ergeben sich für die deutsch-irani- schen Beziehungen nach dem Besuch der EU-Troika im Nahen gesagt, inwieweit und wie sich unsere Politik gegen- Osten? über dem Iran fortsetzt.

Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, da ja Amt: Herr Kollege, wir setzen das Thema aus dem terroristische Aktivitäten und terroristische An- Auswärtigen Ausschuß fort. Ich darf sagen, daß uns schläge - ich erinnere an das Mykonos-Attentat in die italienische Präsidentschaft mit Rücksicht auf Berlin, ich erinnere an Anschläge in der Schweiz und die am Montag stattfindende Konferenz der Außen- in Frankreich, die auf eine iranische Urheberschaft minister der Europäischen Union, auf der die Ergeb- hindeuten - die einzelnen europäischen Staaten un- nisse der Troika - Reise in den Iran bewertet werden terschiedlich treffen und dieses ein Faktum ist, frage sollen - deshalb ist die italienische Präsidentschaft ich Sie, ob es in der Bundesregierung die Überle- auch nicht in der Lage, alle Ergebnisse bereits jetzt gung gibt, gegebenenfalls als Bundesrepublik und weiterzuleiten -, gebeten hat, die Sache nicht schon nicht nur im Verbund der Europäischen Union ge- zuvor zu zerreden. Die Gesamtergebnisse möchte genüber dem Iran andere Saiten aufzuziehen, wenn man am Montag vorlegen; anschließend sollen sie es von der iranischen Regierung keine klare Verur- bewertet werden. Aus diesem Grunde liegt mir über teilung des Terrorismus und eine Unterbindung ter- die Ergebnisse kein zusammenhängender Bericht roristischer Aktivitäten gibt. vor. Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Amt: Herr Kollege Gansel, es ist ganz klar, daß wir frage. alle Erkenntnisse, alle neuen Erfahrungen, alle Hin- weise und möglicherweise auch alle Beweise, die wir Norbert Gansel (SPD): Herr Staatsminister, wird für solche Aktivitäten des Irans erhalten, nicht nur die italienische Präsidentschaft nur darüber berich- prüfen, sondern anschließend überlegen müssen, zu ten, was bei dem Besuch der Troika im Iran über die welchen Konsequenzen wir entschlossen sind. Vor- Haltung des Irans zum Terrorismus herausgefunden aussetzung dafür ist natürlich, daß das alles stichhal- worden ist, oder wird es in Rom auch Beratungen tig ist, daß es bewiesen wird. über Reaktionen und Maßnahmen in bezug auf den Man darf auch die Frage stellen: Was wäre die Al- Iran geben, wenn dieser weiterhin den Terrorismus ternative, wenn Sie, wie Sie gerade gesagt haben, verharmlost und fördert? andere Saiten im Verhältnis zum Iran aufziehen woll- ten? Sie müssen sich natürlich politisch genau über- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen legen, was Sie dann tun wollen: Wollen Sie den Iran Amt: Es ist ganz zweifellos so, daß sich dieser Bericht isolieren? Wollen Sie ihn mit einer Sanktion bestra- nicht nur mit dieser einen Frage auseinandersetzen, fen? Wollen Sie durch den Abbruch der diplomati- sondern auf Grund des Besuches der Troika zusätz- schen Beziehungen das Verhältnis zum Iran ganz be- lich Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen ent- enden? halten wird. - Es ist etwas ungünstig, wenn ich Sie nicht mehr sehe, Herr Kollege Gansel. Das ist im Au- Wir müssen bei solchen Überlegungen natürlich genblick etwas schwierig. auch bedenken, welche möglichen Folgen so weitge- hende Schritte auch im Hinblick auf Terrorismus und andere Dinge haben könnten. Es stellt sich oft die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das geht an die Frage, ob ein isolierter Staat nicht möglicherweise Kollegen, die dort stehen. gefährlicher ist als einer, mit dem man noch immer (Norbert Gansel [SPD]: Ich kann mich nicht im Dialog steht, auch wenn dieser an Deutlichkeit selbst erhöhen!) nichts übriglassen darf.

Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Fragen 22 Amt: Es ist so, daß bei dieser Troika-Mission in den und 23 werden schriftlich beantwortet. Die Ant- Iran natürlich eine ganze Reihe von Themen sehr kri- worten werden als Anlagen abgedruckt. tisch angesprochen worden sind, also nicht nur die Danke, Herr Staatsminister. Frage des Terrorismus, die sehr wichtig ist, sondern beispielsweise auch der Friedensprozeß im Nahen Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- Osten und die iranische Einstellung dazu. Es sind nisteriums des Innern. Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8627

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Lint- Macht den Drogen" sicher nicht überfordern. Sie ner zur Verfügung. trägt aber dazu bei, daß ein allgemeines Problembe- wußtsein innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich der Die Fragen 24 und 25 sollen ebenfalls schriftlich Suchtproblematik aufrechterhalten wird. Insofern ist beantwortet werden. Die Antworten werden als An- sie eine wertvolle Aktivität, die ich nicht missen lagen abgedruckt. möchte. Damit kommen wir zur Frage 26 des Abgeordne- Außerdem, so darf ich Ihnen sagen, ist eine der Mi- ten Johannes Singer: seren, mit denen wir zu kämpfen haben, derzeit die Treffen Agenturmeldungen vom 21. März 1996 zu, daß eine Tatsache, daß die Jugendlichen beispielsweise viel großangelegte Aufklärungskampagne gegen die Designerdro- zu wenig über die Schädlichkeit und Gefährlichkeit ge Ecstasy von der Bundesregierung beabsichtigt ist, die ähnlich von Ecstasy aufgeklärt sind. Dazu bedarf es zusätzli- der gemeinsam mit Sportlern organisierten Kampagne „Keine Macht den Drogen" gestaltet werden soll, obwohl doch diese cher Anstrengungen der Aufklärung. Da ist insbe- Aktion von Fachleuten immer höchst umstritten war (siehe Ex- sondere auch an eine Aktivität in einem solchen Rah- pertise zur Primärprävention des Substanzmißbrauchs, Schrif- men gedacht. tenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, 1993, S. 109)?

Bitte. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Zweite Zusatz- frage. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Sehr geehrter Herr Kollege Sin- Johannes Singer (SPD): Darf ich Sie so verstehen, ger, die Antwort lautet: Auf Grund der verschiedent- daß das, was Professor Bühringer im Auftrag der lich an mich herangetragenen Absicht von Discothe- Bundesregierung in seiner Expertise festgestellt hat, kenbetreibern und -verbänden, spezielle Ecstasy- von Ihnen nicht geteilt wird? Denn er schreibt, man Präventionskampagnen in ihren Einrichtungen solle mit dem Einsatz von Prominenten als Verbreiter durchführen zu wollen, habe ich mich bereit erklärt, der Botschaft vorsichtig sein, weil zum einen die Per- für ein derartiges Engagement die Schirmherrschaft son durch ihre große Popularität zu sehr im Vorder- zu übernehmen. grund stehe, so daß die Nachricht dahinter ver- Da zur inhaltlichen Konzeption der Kampagne zur schwinde, und zum anderen die Popularität auch Zeit noch Abstimmungsgespräche geführt werden, sehr schnell sinken könne. Weiter schreibt er, daß Ju- wäre es verfrüht, heute schon konkrete Aussagen gendliche und Erwachsene diesen Persönlichkeiten, über die nähere Ausgestaltung und den Umfang zu also zum Beispiel prominenten Sportlern, eher mit treffen. Argwohn begegneten, da man ihnen entweder un- terstelle, nur an der Kampagne teilzunehmen, weil Mit dem Hinweis auf die Kampagne „Keine Macht sie dafür bezahlt würden, oder annehme, daß sie so- den Drogen" war dementsprechend kein inhaltlicher gar selbst zu den Drogenkonsumenten gehörten. Vergleich beabsichtigt. Vielmehr sollte ein Beispiel gegeben werden, wie Drogenprävention durch das Parl. Staatssekretär beim Bundes- Zusammenwirken mit gesellschaftlichen Kräften ge- Eduard Lintner, minister des Innern: Herr Kollege Singer, die Ein- staltet werden kann. wände sind nicht neu; sie sind schon mehrfach vor- getragen und auch debattiert worden. Insgesamt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- handelt es sich natürlich um ein Instrument, das nur frage, bitte. mit großer Sorgfalt eingesetzt werden kann. Ich sage aber noch einmal: Ich möchte die Unterstützung Johannes Singer (SPD): Herr Staatssekretär, der durch Prominente, in diesem Fall durch Sportler, bei Formulierung meiner Frage können Sie sicherlich dem Kampf gegen Sucht nicht missen. entnehmen, daß es mir auch um die Bewertung der Expertise des Instituts für Therapieforschung in Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- München geht, das von der Bundesregierung beauf- frage der Kollegin Enkelmann. tragt worden ist. Wie bewertet die Bundesregierung - das heißt im Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Herr Staatssekretär, Augenblick Sie und nicht der Bundesminister für Ge- beabsichtigen Sie auch eine Aufklärungskampagne sundheit - erstens die Ratschläge dieses Instituts, wo- gegen die Volksdroge Alkohol oder die Droge Ta- nach Kampagnen wie „Keine Macht den Drogen" im bak? günstigsten Falle wirkungslos sind, im schlimmsten Falle das Gegenteil von dem erreichen, was sie errei- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- chen sollen? Zweitens geht es darum, daß man sich minister des Innern: Frau Kollegin, solche Aufklä- heute in der Fachwelt einig ist, daß eine suchtstoff- rungskampagnen gibt es bereits. So darf ich Sie etwa spezifische Prävention nichts bringt. darauf verweisen, daß die Bundeszentrale für ge- sundheitliche Aufklärung eine ganz allgemeine Anti- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- suchtanstrengung beispielsweise unter der Bezeich- minister des Innern: Herr Kollege Singer, es wird Sie nung „Mach Kinder stark" unternimmt. Außerdem nicht wundern, wenn ich darauf hinweise, daß wir im darf ich noch darauf hinweisen, daß auch gegen die einzelnen doch etwas unterschiedlicher Meinung Gefährdung durch Alkohol und Nikotin seit vielen sind. Man darf die Präventionskampagne „Keine Jahren entsprechende Aktivitäten unternommen 8628 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1996 Parl. Staatssekretär Eduard Lintner werden. Insofern brauchen wir nichts Neues in Gang diese Fixerstuben weiterhin in Frankfurt betrieben zu setzen. Wir können vielmehr darauf verweisen, werden, der Meinung bin, es handelt sich um eine daß wir Entsprechendes schon längst tun. illegale Aktivität, daß aber das Justizministerium des Landes Hessen, gestützt auf ein Gutachten, das in Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- den eigenen Reihen gefertigt worden ist, die Mei- frage des Kollegen Hagemann. nung vertritt, das Programm sei durch das Betäu- bungsmittelgesetz nicht verboten. Daß ich diese Mei- nung nicht teile, habe ich mehrfach dargetan. Daran Klaus Hagemann (SPD): Herr Staatssekretär, Sie hat sich nichts geändert. haben eben erwähnt, daß die Jugend nicht ausrei- chend über die Gefährlichkeit der Designerdroge Ec- stasy aufgeklärt sei. Welche Bemühungen, welches Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Keine weiteren Programm hat die Bundesregierung eingeleitet, da- Zusatzfragen? - Dann kommen wir zur Frage 27 des mit eine Aufklärung erfolgen kann? Abgeordneten Norbert Gansel: Wie ist der Stand der Vorarbeiten der Bundesregierung zu Ge- Parl. Staatssekretär beim Bundes- setzesänderungen bei der Rechtsstellung der Bundesminister Eduard Lintner, und der Parlamentarischen Staatssekretäre, mit denen Mehr- minister des Innern: Herr Kollege, es gibt zahllose fachbezüge aus öffentlichen Kassen geregelt bzw. abgeschafft Aktivitäten in dieser Richtung, unter anderem auch werden sollen? meine eigenen Stellungnahmen (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das nen- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- nen Sie Aktivitäten? Ach so!) minister des Innern: Herr Kollege Gansel, die Frage bezieht sich offenbar auf die Prüfung der Bundesre- bei jedweder Gelegenheit in der Öffentlichkeit. Dar- gierung, ob und welche Konsequenzen sich aus der über hinaus gibt es Broschüren, die auf örtlicher strukturellen Neuordnung des Übergangsgeldes und Ebene vorgestellt worden sind und verteilt werden. der Altersentschädigung der Abgeordneten des Bun- Alles kann ich Ihnen aus dem Stegreif gar nicht auf- destages für die Bezüge der Mitglieder der Bundes- zählen. Wir haben es bei der Prävention mit einem regierung und der Parlamentarischen Staatssekre- Feld zu tun, bei dem, so lange es Süchtige gibt, im- täre ergeben. Diese Prüfung ist noch nicht abge- mer gesagt werden kann: Es ist noch zuwenig getan schlossen. worden.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage, bitte. frage des Kollegen Gansel.

Norbert Gansel (SPD): Herr Parlamentarischer Norbert Gansel (SPD): Ist Ihnen bekannt, Herr Kol- Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in Anbe- lege, wie hoch die Wahlspenden von Schnapsfabri- tracht der von ihr vorgeschlagenen Kürzungen beim kanten an die CSU sind und zu welchem Zweck sie Kindergeld, bei der Sozialhilfe, bei den Renten und geleistet werden? bei anderen Sozialleistungen die Notwendigkeit, ei- nen Mißstand abzubauen, der darin besteht, daß Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Bundesminister und Parlamentarische Staatssekre- minister des Innern: Herr Kollege Gansel, wenn Sie täre, die dieses Amt verlieren, aber normale Abge- zunächst einmal in Ihrer eigenen Parteikasse nachse- ordnete bleiben, also nach ihren Ministergehältern hen, bin ich bereit, diese Anregung auch an die CSU von mehreren hunderttausend Mark im Jahr auf die weiterzugeben. schmale Kost eines Bundestagsabgeordneten mit sage und schreibe nur 150 000 DM im Jahr gesetzt werden, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage der Kollegin Wolf. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist ja eine Verelendung!) Margareta Wolf (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE weiterhin jährliche zusätzliche Zuwendungen - GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie sagten gerade, Ü bergangsgelder - erhalten, die pro Kopf mehrere Aktivitäten gebe es viele. Unterstützen Sie denn die hunderttausend Mark betragen? Hält die Bundesre- Aktivitäten Ihrer Parteikollegin Petra Roth, der Ober- gierung diesen Mißstand, den man in Anbetracht der bürgermeisterin der Stadt Frankfurt, die eine sehr er- sonstigen Kürzungsvorschläge nur als zynisch be- folgreiche Drogenpolitik von Rot-Grün übernommen zeichnen kann, etwa in ihrem eigenen Interesse für hat und fortsetzt? nicht änderungswert?

Parl. Staatssekretär beim Bundes- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Frau Kollegin, Sie wissen, daß Eduard Lintner, minister des Innern: Herr Kollege Gansel, ich darf er- Frau Roth das Programm, das Sie meinen - die Fixer- stens feststellen, daß es sich dabei um eine Regelung stuben -, übernommen hat und daß diese Einrich- handelt, die der Deutsche Bundestag meines Wissens tung aus einer Zeit stammt, in der Frau Roth noch mit allen Stimmen so beschlossen hat. nicht Oberbürgermeisterin von Frankfurt war. Sie wissen auch, daß ich ungeachtet der Tatsache, daß (Norbert Gansel [SPD]: Nicht mit meiner!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8629 Parl. Staatssekretär Eduard Lintner - Ja, das mag schon sein. - Zweitens darf ich feststel- Auch für die Fragen 30 und 31 wird um schriftliche len, daß man nicht davon reden kann, daß in allen Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Fällen mehrere hunderttausend Mark gezahlt wer- Anlagen abgedruckt. den. Vielmehr ist das individuell höchst unterschied- lich, weil es auf die Zeit der Angehörigkeit zur Bun- Damit kommen wir zur Frage 32 des Abgeordne- desregierung ankommt. Drittens darf ich mit den ten Roland Kohn: Worten des Finanzministers antworten, der gesagt Welche protektionistischen Maßnahmen, die den Import von hat, es gebe keine Tabus bei der Diskussion um Spar- Gütern und Waren in die Europäische Union behindern, be- möglichkeiten. schränken oder begrenzen, sind auf Grund von Entscheidungen der Europäischen Union gegenwärtig in Kraft, und inwieweit sind hiervon Entwicklungsländer betroffen? Norbert Gansel (SPD): Sind Sie, Herr Parlamentari- scher Staatssekretär, bereit, mir zu versprechen Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim (Lachen bei der CDU/CSU) Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Kohn, im Zusammenhang mit der Schaffung des europäischen - man kann doch danach fragen; es gibt ja auch Ver- Binnenmarktes und den multilateralen Handelsver- sprechen der Regierung, die möglicherweise gehal- handlungen im Rahmen der Uruguay-Runde wurden ten werden; diese Naivität leiste ich mir -, die bis zu diesem Zeitpunkt in der Tat bestehenden (Heiterkeit bei der SPD und der PDS) nationalen mengenmäßigen Beschränkungen der einzelnen Mitgliedstaaten gegenüber Drittländern daß Sie sich in der Bundesregierung und in Ihrer beseitigt und die Zölle weiter reduziert. Die Importe Fraktion dafür einsetzen werden, daß ein Gesetz ge- in die Europäische Union wurden damit bis auf we- ändert wird, das in Anbetracht der augenblicklichen nige Ausnahmen liberalisiert. Sparappelle, auch Sparnotwendigkeiten, und der Einschnitte in Sozialleistungen ausgerechnet denen, Beschränkungen des Imports in die EU bestehen die die größte Verantwortung dafür tragen, Privile- im gewerblichen Bereich durch die sogenannten gien einräumt, wie es sie sonst nirgendwo in unse- China-Kontingente, im Textil-, Stahl- und Automobil- rem Staat gibt? Sind Sie bereit, initiativ zu werden, bereich sowie bei bestimmten Agrarprodukten. Ent- um diesen Mißstand durch eine Gesetzesinitiative wicklungsländer sind bei den bestehenden Maßnah- der Bundesregierung zu ändern, wie es uns der Kol- men nur im Textil- und Agrarbereich betroffen. Der lege Scheu aus der CDU/CSU-Fraktion bei der De- Grad ihrer Betroffenheit ist naturgemäß von Land zu batte über die Abgeordnetendiäten vor einem halben Land und nach den verschiedenen Produktkatego- Jahr unter Berufung auf Briefe der Bundesregierung rien im Textil- und Bekleidungssektor bzw. den ein- angekündigt hat? zelnen Agrarprodukten unterschiedlich. Andererseits muß darauf hingewiesen werden, daß Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- der Textil- und Bekleidungs- sowie der Agrarsektor minister des Innern: Herr Kollege Gansel, ich muß vom Allgemeinen Zollpräferenzsystem der Europäi- zunächst einmal Ihrer Äußerung entschieden wider- schen Union erfaßt sind. Durch die autonome Ausset- sprechen, daß es sich um Privilegien handeln würde, zung oder Reduzierung der Zölle im Rahmen des All- wie es sie sonst nirgends in unserem Staat gibt. Es gemeinen Zollpräferenzsystems für bestimmte Textil- könnte jetzt ein großer Katalog von Regelungen vor- und Bekleidungs- sowie Agrarprodukte wird der gelegt werden, die ähnlich gestaltet sind - übrigens Marktzugang innerhalb der Mengenbeschränkun- auch in der Privatwirtschaft - gen für Entwicklungsländer erleichtert. (Norbert Gansel [SPD]: Deswegen habe ich Staat gesagt!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Eine Zusatz- frage, bitte. und die in der Angemessenheit der Verantwortungs- bereiche deshalb auch das rechtfertigen, was bisher geltendes Recht für Bundesminister und Parlamenta- Roland Kohn (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Ent- rische Staatssekretäre ist. schuldigung, daß ich Ihnen den Rücken zuwende, aber die Weisheit des Architekten läßt keine andere Zweitens. Ich bin jederzeit bereit, alles zu unter- Möglichkeit zu. stützen, was für die Abschaffung ungerechtfertigter Privilegien geeignet ist. Die Frage, die ich an Sie richten möchte, lautet: Kann die Bundesregierung beziffern, welche Wachs- (Norbert Gansel [SPD]: Na, denn man to!) tumsverluste in Entwicklungsländern durch Han- delsbeschränkungen in der Europäischen Union ent- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Für die Fragen 28 stehen? und 29 wird um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Danke schön, Herr Staatssekretär. Bundesminister für Wirtschaft: Ich zögere deswegen mit der Antwort, Herr Kollege Kohn, weil ich mir Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesmi- zwar eine Bezifferung vorstellen könnte, aber gegen- nisteriums für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht über jeder denkbaren Bezifferung sofort eine Reihe uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Norbert von Vorbehalten anmelden müßte, weil man naturge- Lammert zur Verfügung. mäß mit vielen Annahmen gleichzeitig arbeiten muß, 8630 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Parl. Staatssekretär Dr. Norbert Lammert die man in einen vergleichsweise willkürlichen Saldo das ein Skandal, mit dem sich der Bundestag zu be- bringt. fassen hat. Richtig ist sicher - das verstehe ich als den harten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Kern Ihrer Frage -, daß sich in den Entwicklungslän- Es ist nicht die Aufgabe dieses Hauses, eine rechtli- dern aus vorhandenen, wenn auch gegenüber der che Würdigung dieses Vorgangs vorzunehmen. Das Vergangenheit deutlich liberalisierten Importbe- werden die Justizbehörden der Länder zu erledigen schränkungen Wachstumseinbußen ergeben; in den jeweiligen Ländern in unterschiedlicher Höhe. Rich- haben. tig ist ebenso - danach haben Sie nicht ausdrücklich (Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich!) gefragt, aber dieser Zusammenhang ist auch evident -, daß das, was man durch Importbeschränkungen an Die politische Würdigung dieses Vorganges aber ge- ökonomischen Belastungen zu ersparen glaubt, im hört eindeutig in den Deutschen Bundestag. Zweifelsfall mindestens auf dem Wege von Entwick- (Uwe Lühr [F.D.P.]: So ist es!) lungshilfeanstrengungen kompensiert werden muß. Wie will jemand glaubwürdig Rechtstreue vermit- teln, wenn er selbst öffentlich zu Straftaten und Ge- (F.D.P.): Herr Staatssekretär, meine Roland Kohn walt auffordert? In dem Aufruf vom vergangenen zweite Frage lautet: In den nächsten Monaten stehen Freitag in der Tageszeitung „taz" heißt es wörtlich: ja grundlegende europapolitische Weichenstellun- gen an. Welchen Stellenwert hat für die Bundesre- Um hochradioaktive Atommülltransporte nach gierung im Rahmen dieser Gesamtkonzeption das- Gorleben zu verhindern, um Menschen, Tiere Ziel der Beseitigung der bestehenden Handels- und Natur zu schützen, rufen wir dazu auf, an hemmnisse insbesondere für Entwicklungsländer? diesem Tag gemeinsam die Schienen vor dem AKW Gundremmingen mit einfachen handwerk- lichen Mitteln gewaltfrei und festlich zu demon- Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Kohn, tieren. Sie haben meiner vorherigen Antwort schon entneh- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ men können, daß wir auf eine möglichst weitge- CSU]: Heuchler!) hende Beseitigung noch vorhandener Importregelun- gen großen Wert legen. Für einige der bestehenden Dieser Aufruf ist übrigens in den renommierten Ta- Importbeschränkungen, die ich Ihnen gerade ge- geszeitungen „Frankfurter Rundschau" und „Süd- nannt habe, gilt übrigens, daß die Bundesregierung deutsche Zeitung" nicht veröffentlicht worden, was Vereinbarungen, soweit diese im europäischen Zu diejenigen, die diesen Aufruf unterzeichnet haben, sammenhang stehen, nur zugestimmt hat, wenn da- groteskerweise auch noch als eine Form von Zensur mit gleichzeitig die Aufgabe vorhandener nationaler betrachtet haben. Beschränkungen verbunden war bzw. wenn gleich- Dieser Aufruf ist von folgenden Mitgliedern dieses zeitig die befristeten Vereinbarungen für bestimmte Hauses unterzeichnet: Elisabeth Altmann von der Zeitpunkte erneut zur Disposition gestellt werden. Bundestagsfraktion der Grünen und Eva Bulling Daran mögen Sie erkennen, daß wir mit Blick auf die Schröter von der Gruppe der PDS. Was unter „einfa- von mir vorgetragenen bestehenden Importregelun- chem Handwerkszeug" zu verstehen ist, mit dem gen deren regelmäßige Überprüfung nicht nur für Schienen zu Leibe gerückt werden soll, wird auf der geboten halten, sondern im Regelfall auch sicherge- gegenüberliegenden Seite dieses Aufrufes mit einem stellt haben. Bild erläutert. Es zeigt das Zersägen von Schienen, das ausführlich geschildert und als ein Erfolg gefeiert Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Danke schön, wird. Herr Staatssekretär. Welches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit ha- Wir sind damit am Ende der Fragestunde. ben diejenigen, die zu Gewalt aufrufen? Wer Schie- nen zersägt, wendet nicht nur - das ist schlimm ge- Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: nug - Gewalt gegen Sachen an, er nimmt auch die Gefährdung von Menschen in Kauf, meine Damen Aktuelle Stunde und Herren. auf Verlangen der Fraktion der F.D.P. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Haltung der Bundesregierung zur öffentli- chen Aufforderung in der Tageszeitung „taz" Wenn der Rechtsstaat durch seine Institutionen am 12. April 1996 zur Schienendemontage und die Gerichte Transporte erlaubt, dann ist es kein beim Atomkraftwerk Gundremmingen legitimes Mittel der Politik, Schienen zu zersägen. Was muten Sie eigentlich den Polizeibeamten zu, von Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- denen wir verlangen, daß sie Recht und Gesetz geordnete Guido Westerwelle. durchsetzen, wenn Abgeordnete dieses Hohen Hau- ses zum Rechtsbruch und zur Gewalt aufrufen? Dr. Guido Westerwelle (F.D.P.): Frau Präsidentin! (Uwe Lühr [F.D.P.]: Unglaublich!) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages öffentlich Welches Verständnis eines freiheitlichen Rechts dazu aufrufen, Schienen zu demontieren, dann ist staats steckt dahinter? Und wundert es denn, daß wir Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8631

Dr. Guido Westerwelle dann nicht nur einen solcher Fälle zu beklagen ha- ten. Das ist sicher ein Vorgang, den wir nicht billigen ben, sondern daß auch Schaltkästen demontiert und können. Da stimmen wir überein. beschädigt und Wurfanker auf die Leitungen gewor- fen werden? All das ist ein Teil der Serie, die wir hier (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist eine Relati zu beklagen haben. vierung des Problems, was Sie hier vortra gen!) Freiheitlicher Rechtsstaat bedeutet nicht nur die Gebundenheit staatlichen Handelns an das Gesetz; Auf der anderen Seite vermisse ich bei Ihnen jede der Rechtsstaat ist eben auch jener Staat, der die differenzierende und differenzierte Beurteilung. Der Freiheitsrechte anderer schützt. Es gibt kein Frei- Vorgang ist ja komplexer, als er eben dargestellt wor- heitsrecht, aus politischen Gründen mit Gewalt ge- den ist. Es ist eine Anzeige, zu der sich einige Perso- gen das Eigentum anderer vorzugehen. nen bekannt haben, die zu einem Tun aufgefordet haben, das wir hier mißbilligen. Auch ich mißbillige (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) das. Auf der anderen Seite berührt diese Frage auch die Pressefreiheit. Wenn Abgeordnete des Deutschen Bundestages gegen Transporte politisieren, demonstrieren und In- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Was?) itiativen im Parlament einbringen, ist das ihr gutes Recht. Gewalt aber darf niemals Mittel der Politik Denn es gibt eine Verantwortung auch der Redak- werden. Wer zu Gewalt als Mittel der Politik aufruft, tion, zum Beispiel dahin gehend, welche Anzeigen stellt sich außerhalb des demokratischen Grundkon- sie zuläßt oder nicht. Insofern ist hier auch eine Ver- senses, stellt sich außerhalb des demokratischen- antwortlichkeit der Presse gegeben und nicht nur der Rechtsstaats. Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Walter Hirche [F.D.P.]: Die Zeitung muß die Abgeordneten vor Fehlverhalten schützen? Die Fraktion der Freien Demokraten forde rt die Oder wie ist das?) Mitglieder dieses Hauses Frau Altmann und Frau Bulling-Schröter auf, sich wenigstens jetzt hier von - Es gibt eine Eigenverantwortung der Redaktion diesem Aufruf zu distanzieren. Wir fordern die Frak- und des verantwortlichen Herausgebers. Das können tion Bündnis 90/Die Grünen und die Gruppe der PDS Sie in jedem Pressegesetz nachlesen. Ich empfehle auf, in diesem Hause eindeutig zu erklären, daß Sie Ihnen einmal die Lektüre des Berliner Pressegeset- mit diesem Vorgehen Ihrer Parteikolleginnen nicht zes. Da steht das nämlich zum Beispiel d rin. Das einverstanden sind. dürfte auch hier anzuwenden sein.

Der Aufruf zur Gewalt ist keine Kleinigkeit, nach Ich will nur darauf hinweisen, daß es eben nicht der man einfach zur Tagesordnung übergehen nur um die Frage geht, wer und in welcher Weise könnte. Wer Politik verändern will, mag dies über die seine Auffassung kundtun kann - das ist eine Frage demokratischen Institutionen unseres Rechtsstaates der Meinungsfreiheit -, sondern auch darum, wie wir betreiben. Wer aber das Faustrecht zuläßt oder es mit der Presse umgehen. Denn diese Anzeige ist in predigt, hat mit der Rechtsstaatlichkeit nichts am einem Presseorgan erschienen. Ich habe den Ver- Hut. dacht, daß es Ihnen in diesem Punkt auch darauf an- kommt, eine Ihnen etwas mißliebige Presse zu diszi- Vielen Dank. plinieren. Das kann ich nicht akzeptieren.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Die haben ihre Probleme mit den Chefredakteuren!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Eckhart Pick. Sie haben allerdings erreicht, der „taz" rechtzeitig zum 17. Geburtstag zu Schlagzeilen verholfen zu ha- ben. Die Redaktion wird Ihnen das sicher danken. Dr. Eckhart Pick (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe nach den Ausführun- Dieser Antrag, Herr Westerwelle, sagt auch etwas gen des Kollegen Westerwelle immer noch nicht über den derzeitigen Gemütszustand der F.D.P. aus, ganz verstanden, warum diese Anzeige in der „taz" so meine ich; vom 12. April 1996 zum Anlaß genommen wird, über die Frage der Rechtsstaatlichkeit zu sinnieren. (Roland Kohn [F.D.P.]: Als Rechtsstaatspar tei!) (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist aber sehr traurig!) denn es ist deutlich, daß Sie hier einem Klima das Wort reden, das Disziplinierung heißt, das die Presse - Auch ich habe diese Anzeige gelesen, und ich muß und die öffentliche Meinung zu disziplinieren ver- sagen: Ich hatte einen sehr zwiespältigen Eindruck, sucht. Ich weiß nicht, ob das mit Ihren liberalen als ich sie gelesen hatte. Es war eine sehr seltsame Grundsätzen übereinstimmt. Mischung aus Ironie - vielleicht habe ich nur sehr persönlich das so empfunden - und - so könnte man (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Straftaten es immerhin auslegen - der Aufforderung zu Strafta wollen wir disziplinieren!) 8632 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Dr. Eckhart Pick Ich will deutlich machen, daß wir die Aufforderung Weil ihr das Leben mißachtet und weil uns kein zu Straftaten mißbilligen. Daran soll gar kein Zweifel Gesetz dagegen schützt, müssen wir uns wehren. bestehen. Das habe ich am Anfang gesagt. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie mit diesem Trans- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der parent auf die Straße gegangen wären, um gegen F.D.P.) den Tod und Terror im früheren Jugoslawien zu de- monstrieren. Wo waren da Ihre Friedensmarschierer, Ich will aber auch deutlich machen, daß ich dafür wenn es Ihnen tatsächlich um den Schutz des Lebens bin, die Nöte der Menschen, die hierbei zum Aus- geht? druck kommen, ernst zu nehmen. Diesen Schnell- schuß hätte ich mir für wirklich wichtige Fragen un- Frau Bulling-Schröter, zu Ihnen von der PDS serer Gesellschaft und unserer Politik gewünscht. Da möchte ich sagen: Es stinkt doch zum Himmel, wenn hätten Sie genauso schnell reagieren sollen wie in Sie zusammen mit den Bündnisgrünen zu einer Ge- diesem Fall. Insofern wünschte ich mir, Sie hätten waltdemo gegen die Energiepolitik in unserem diesen Vorgang zum Anlaß genommen, mit den be- Land aufrufen - Sie, die die stinkenden und gefährli- troffenen Menschen zu diskutieren, zumindest den chen Kraftwerksdreckschleudern der SED zu verant- Versuch dazu zu unternehmen. Daß Sie das auf diese worten haben, Sie von der PDS, die sich in die Partei- Weise tun, bedauere ich, weil es zeigt, daß Sie über- tradition des Stasisystems stellen! haupt kein Interesse an der Diskussion mit den Be- troffenen haben und daß Sie die Ängste dieser Men- (Lachen bei der PDS) schen nicht ernst zu nehmen bereit sind. Ich bin sehr erstaunt, daß Aktionsbündnisse von PDS - über Bündnisgrüne bis hin zu Gewerkschaften deut- Vielen Dank. lich werden. (Beifall bei der SPD - Roland Kohn [F.D.P.]: Ihre Demoanzeige lautet weiter: In so einem Zustand ist die SPD! Trauer- spiel!) Schienen werden abgebaut, weil für uns das Leben ein höheres Gut ist als Eigentum. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Wo, so frage ich Sie, ist für Sie die Grenze der Ge- jetzt der Abgeordnete Dr. Gerd Müller. walt? Gewalt gegen Sachen? Gewalt gegen Perso- nen? Schienen ansägen ist doch nur der Anfang. Sind Steine gegen Polizisten erlaubt? Gestern abend Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Frau Präsidentin! gab es sechs Brandanschläge in Gorleben. Oder darf Meine Damen und Herren! Herr Pick, Ihre Differen- noch mehr passieren? Wo ziehen Sie die Grenze? zierung führt in den Wald. Unter Demokraten sollte klar sein: Wir distanzieren uns von Gewalt gegen Sa- Ich denke in dieser Stunde auch zehn Jahre zu- chen und von Gewalt gegen Personen. Darüber gibt rück, an den Anschlag gegen Beckurts und seinen es überhaupt keine Diskussionen. Fahrer. Das ist der geistige Boden. Ich danke den jungen Polizistinnen und Polizisten, die sich dem ent- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gegenstellen. Zur Pressefreiheit möchte ich Ihnen sagen - auch (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Unver da sollte Klarheit bestehen -: Es kann nicht akzepta- schämt ist das, was Sie hier machen!) bel sein, daß Organe zu Straftaten auffordern. Das fällt nicht unter Pressefreiheit. Für ein solches Vorge- Die Demonstrationen in den vergangenen Jahren ha- hen von Organen habe ich kein Verständnis. ben doch gezeigt: Wer Gewalt gegen Sachen legiti- miert, wird Gewalt gegen Personen bekommen; das (Zuruf von der CDU/CSU) können Sie überhaupt nicht gegeneinander abgren- Die einen kämpfen für den Erhalt des Standorts Bun- zen. desrepublik Deutschland, und die anderen denken (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) darüber nach, wie sie den Standort demontieren kön- nen: Bündnisgrüne und PDS. Gundremmingen - um Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich es einmal auf den Punkt zu bringen - gehört zu den stelle noch eine Frage - auch die muß erlaubt sein -: ältesten und zu den sichersten Kernkraftwerkstand- Wer kommt eigentlich für den Schaden in Millionen- orten in Deutschland. Die Bürger vor Ort wissen dies. höhe auf? Der einfache Bürger vor Ort hat darauf SPD und Grüne vor Ort distanzieren sich, Herr Pick, eine klare Antwort - und da stelle ich mich ganz hin- klar und eindeutig von diesen Kampagnen und die- ter den einfachen Bürger -: Wer wie Sie zu gewalttä- sen Bündnissen. tigen Demonstrationen aufruft, hat auch die Kosten dafür zu tragen, notfalls aus der Parteikasse. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Rechtsempfinden des einfachen Bürgers sollte eigentlich auch unter den Abgeordneten dieses Hau- Wir legen Wert auf eine verantwortbare Energiepo- ses selbstverständlich sein. Deshalb unterstütze ich litik. Die Kernenergie gehört dazu. Das Entsorgungs- das, was Herr Westerwelle gesagt hat. konzept ist klar und einvernehmlich beschlossen. Es werden höchste internationale Standards eingehal- Frau Bulling-Schröter und Frau Altmann, distan- ten; diese Tatsache ignorieren Sie. Es geht Ihnen um zieren Sie sich von diesem Aufruf zu einer Gewalt- mehr als um Castor und Kernenergie. Es geht Ihnen und Straftat! Ihre Demonstrationsanzeige lautet: um Zoff gegen diesen Staat. Sie wollen Angst und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8633

Dr. Gerd Müller Hysterie erzeugen. Sie nehmen Gewalt in Kauf, ja, wenn, Herr von Stetten, beispielsweise Bauern nach Sie fordern öffentlich zu einer Straftat auf. Sie verlas- Ausbruch der Schweinepest in Niedersachsen und sen damit den Boden des Rechtsstaates. Dies ist inak- Bayern Autobahnen blockiert und ein Verkehrschaos zeptabel. produziert haben, hat der politische Raum vornehm geschwiegen, und die Strafverfolgungsbehörden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sind untätig geblieben. Pharisäer! Pharisäer! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Es spricht jetzt Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: und bei der SPD - Norbert Geis [CDU/ der Abgeordnete Rezzo Schlauch. CSU]: Das ist ja gar nicht wahr!) Wenn es umgekehrt darum ging, Sitzblockierer Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr der Friedens- und Umweltbewegung mehr als ein Westerwelle, ich kann nachvollziehen, daß Sie die Jahrzehnt wegen Bagatelldelikten gnadenlos zu ver- Wahlergebnisse auskosten. Nur, was mich dabei folgen, dann standen alle auf der Matte - bis, Gott sei wundert, ist, daß Sie darüber offensichtlich verges- Dank, das Bundesverfassungsgericht diesem juristi- sen haben, daß die Wahl - mit einem guten Ergebnis schen und politischen Eiferertum endgültig das für Sie, zu dem ich Ihnen gratuliere - vorbei ist und Handwerk legte. es jetzt eigentlich darum geht, das umzusetzen, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wir in diesen Wahlkämpfen thematisiert haben. Bei der geplanten Aktion handelte es sich eindeu- Jetzt komme ich zur Sache: In der aktuellen De-- tig um eine Form des zivilen Ungehorsams mit über- batte geht es Ihnen in keiner Silbe um die Ursache wiegend symbolischem Charakter. des Protestes. (Roland Kohn [F.D.P.]: Was? - Uwe Lühr (Uwe Lühr [F.D.P.]: Das ist ja unglaublich!) [F.D.P.]: Unglaublich!) Es geht Ihnen nicht um die permanente hochgradige Herr Westerwelle, Sie haben hier den Eindruck er- Gefährdung von Mensch und Umwelt durch die weckt, als sei das das Gleiche, als wenn Anker in Atomwirtschaft. Hochleitungen geworfen werden. Die Unterzeichner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben Ort und Zeit und das, was sie tun, angekün- und bei der PDS sowie bei Abgeordneten digt. Sie haben Flugblätter mit diesen Angaben an der SPD) die Polizei verteilt. Es geht Ihnen nicht - das ist sehr bezeichnend - um (Roland Kohn [F.D.P.]: Deshalb wird es nicht das Hin- und Hertransportieren von hochradioakti- besser!) vem Material mit der damit verbundenen Gefähr- Das ist doch wohl etwas ganz anderes. Von gefährli- dung ganzer Regionen. chem Eingriff, Herr Kollege und Einser-Jurist Scholz, (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist völlig unbe- kann überhaupt keine Rede sein. denklich!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist vor dem Hintergrund des zehnjährigen Jah- sowie bei Abgeordneten der PDS) restages von Tschernobyl für meine Begriffe eine un- Der Aufruf zu dieser Schienendemontage ist - geheure Ignoranz. auch diesen Eindruck haben Sie, Herr Westerwelle, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier erweckt - keine Initiative der Bundestagsfrak- und bei der PDS) tion oder der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Er ist einzig und allein eine Entscheidung von einer Abge- Herr Westerwelle, es geht Ihnen auch nicht um das ordneten unserer Fraktion. Recht und den Rechtsstaat. Wir wissen, daß Ihnen das Recht und der Rechtsstaat keine strafrechtliche (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Distanzie Verfolgung, geschweige denn eine politische Diskus- ren Sie sich oder nicht?) sion wert ist. Wenn in der Vergangenheit beispiels- - Hören Sie doch auf mit Ihrem blöden Distanzieren! weise rechtswidrige Lkw-Blockaden mit Solidaritäts- besuchen von Ministerpräsidenten der CSU, Herr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Müller, beehrt und als Heldentaten geadelt Sie allein übernimmt die Verantwortung. Für die worden sind, Fraktion, die diesen Aufruf nicht unterschrieben hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die ihn nicht unterstützt hat, gibt es keinerlei Anlaß, und bei der PDS sowie bei Abgeordneten sich zu distanzieren. Sie wissen: Wir lehnen Gewalt der SPD) als politisches Mittel ab. wenn beispielsweise Stahlarbeiter im Ruhrpott Stra- Wir wissen zwar, Herr Westerwelle und meine Da- ßen und Autobahnen dichtgemacht haben, so daß men und Herren von der F.D.P., daß Sie sich mit Ihrer nichts mehr ging, programmatischen Abkehr von der Verteidigung ei- nes liberalen, freiheitlichen - Betonung: freiheitli- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ chen - Rechtsstaats verabschiedet haben. CSU]: Die haben aber keine Sachbeschädi- gung gemacht! Das ist der Unterschied!) (Roland Kohn [F.D.P.]: Das ist doch zynisch!) 8634 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Rezzo Schlauch Aber, daß Sie sich ohne schuldhaftes Zögern, Herr ben aus unseren Fehlern gelernt, und ich denke, wir Westerwelle,- in die rechtsgewirkte, autoritäre Law sollten auch dementsprechend handeln. and-order-Phalanx der von Stettens und von Stahls einreihen, ist für mich ein atemberaubender Vor- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ gang. CSU]: Ist das das einzige, von dem Sie sich distanzieren?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS - Uwe Um was geht es überhaupt? Da stehen in meinem Lühr [F.D.P.]: Das ist kabarettreif!) Heimatland Bayern einige AKWs, und dort formiert sich Widerstand, genauso wie in Gorleben und ande- Wenn niemand widersprochen hätte, wenn nicht ren Standorten. Warum eigentlich? Tausende von Demonstranten in Wyhl und Wackers- dorf Ihren Wasserwerfern die Stirn geboten hätten, Spätestens seit Tschernobyl wissen wir, welche dann hätten wir heute Atommüll, an dem Sie erstik- Folgen Atomunfälle haben und wie Verstrahlung ken würden. wirkt. Neuerdings versuchen ja einige sogar - wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzte Woche in Wien -, die Anzahl der Opfer dieser sowie bei Abgeordneten der PDS) Katastrophen in die Dimension einer Autobahn-Mas- senkarambolage zu rechnen. Aber das nützt nichts. So traurig es ist, Herr Westerwelle: Ohne Hausbeset- Die Bevölkerung ist seit dem Super-GAU vor zehn zer hätten diese Republik und unsere Städte ein an- Jahren sensibilisiert, und das wirkt sich sogar in Bay- deres Gesicht. Sie wären nicht so zu erkennen, wie- ern aus, wie wir auch bei den Aktionen in Wackers- sie zu erkennen sind. Ohne Friedensbewegung wä- dorf feststellen konnten. Jedesmal wurde der Wider- ren in diesem Land mit Sicherheit größere Raketensi- stand kriminalisiert. Mit Wasserwerfern wurde do rt los entstanden. gegen ortsansässige Metzger und Bäcker vorgegan- gen, der damalige Landrat verunglimpft und Wak- Es muß erst die nächste Katastrophe kommen; kersdorf zur aufmüpfigsten Region erklärt. Es hat ohne mit der Wimper zu zucken, stellten Sie gestern nichts genützt. Wackersdorf wurde nicht gebaut, und die Warner vor PVC in die Ecke der Verweigerer. das ist gut so.

Worum geht es bei den Aktionen in Gundremmin- Herr Kollege, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: gen? Mit der Aktion „Ausrangiert" soll die Öffent- achten Sie bitte auf die Redezeit. lichkeit darauf aufmerksam gemacht werden, daß die Risiken der Atomwirtschaft nach wie vor unver- Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): antwortbar sind, unverantwortbar für das Leben und Nach dem Düsseldorfer Unfall ist heute Schweigen die Umwelt derjenigen Menschen, die dort vor Ort im Walde. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden Ih- wohnen, aber auch für die, die an Strecken wohnen, nen nicht die Zukunftsgestaltung dieses Landes an denen der Castor-Transport vorbeiführt, unverant- überlassen. Packen Sie solche Mätzchen, die Sie aus- wortbar für jene, die dort leben müssen, wo die abge- gepackt haben, wieder ein! Sie sind Ihrer unwürdig. brannten Brennstäbe wiederaufgearbeitet werden, und letztendlich für die, die am Zwischenlager woh- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen. Die Menschen empfinden das so, und dann muß sowie bei Abgeordneten der PDS - man das auch so sagen dürfen, auch im Parlament. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Da klatscht nicht einmal die SPD!) Die Argumente sind bekannt und oft genug wie- derholt, doch Konsequenzen werden daraus nicht ge- zogen. Deshalb hat sich vor einigen Jahren auch in Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat die Gundremmingen eine Bürgerinitiative gegründet, Abgeordnete Eva Bulling-Schröter. die dort an jedem Sonntag eine Mahnwache hält. Nachdem diese Aktionen bis jetzt nicht zum beab- sichtigten Erfolg geführt haben, wird jetzt auf andere Eva Bulling - Schröter (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Westerwelle, Weise Widerstand geleistet. Mit handwerklichen Mit- wie interessant dieses Thema für das Parlament ist, teln, absolut gewaltfrei, sollen Schienen demontiert sieht man an der Präsenz Ihrer Kolleginnen und Kol- werden - ich sage gleich noch etwas dazu -, legen. Das sollte man einmal klarstellen. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Sachbe Herrn Müller möchte ich gern sagen: Sie be- schädigung heißt gewaltfrei?) schimpfen uns immer als ehemalige Stasi. Sie müs- sen wissen, ich komme aus Bayern. In Bayern gab es um auf die aktuellen Gefahren hinzuweisen, die vom außer Herrn Schalck-Golodkowski keine Stasi. Aber AKW ausgehen. Die Beteiligten wissen natürlich, daß es gibt in Bayern nach wie vor einen Verfassungs- sie keine Züge aufhalten können. Sie sprechen sich schutz und einen Bundesnachrichtendienst, und wir vor jeder Aktion mit dem Landrat in Günzburg ab. im Westen dürfen unsere Akten immer noch nicht An dieser Stelle möchte ich dem Polizeipräsidenten einsehen. Das zu Ihrer Information. von Günzburg dafür danken, daß er immer Augen- maß und Verständnis für das Anliegen der Demon- Die PDS steht natürlich in der Nachfolge der SED, strantinnen und Demonstranten gezeigt hat. dazu stehen wir auch. Wir waren eine Partei, die sich für Kernkraftwerke ausgesprochen hat. Aber wir ha- (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8635

Eva Bulling-Schröter Zu Beginn der Aktion wird meistens ein Gottesdienst sollte nicht von dem Anlaß abgelenkt werden, aus abgehalten, dem diese Aktuelle Stunde stattfindet. (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Also dann!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und bei der F.D.P.) und die örtliche Bevölkerung nimmt daran teil, Der Anlaß ist nicht die Energiepolitik der Bundesre- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Wer vor der gierung, sondern der Anlaß ist ein Aufruf zu Gewalt, Straftat die Kirche besucht!) der eben von Abgeordneten aus den Reihen der PDS und der Grünen ausdrücklich und mit Hinweis auf wie auch am 3. März dieses Jahres ein Kreuz als Zei- diese Eigenschaft unterstützt worden ist. Dabei geht chen der Gerechtigkeit und der Achtung vor dem es auch nicht um einen Aufruf, der sozusagen nur Menschen vor Ort aufgestellt wurde. Ja, meine Da- symbolischen Charakter hat, Herr Kollege Schlauch. men und Herren - Damen sind bei der CDU wieder Vielmehr wird ganz konkret zum Tun, und zwar zu nicht da -, bei einem solchen Gottesdienst waren Sie strafbarem Tun, aufgefordert. Das Ganze läßt sich noch nie zu sehen. auch nicht verharmlosend als „Widerstand" deklarie- ren oder blasphemisch verschleiern, wie Sie es ge- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das rade angedeutet haben. Vielmehr handelt es sich, stimmt!) meine Damen und Herren, um einen ernsten Vor- - Ich habe aber die CSU gemeint und nicht Sie. gang von äußerster grundsätzlicher Bedeutung. Tatsache ist jedenfalls, daß in einer Anzeige der Natürlich würde niemand in Gundremmingen nur „taz" eine sogenannte Mahnwache Gundremmingen eine Schraube lockern, wenn im entferntesten zu be- für den 28. April 1996, einen Sonntag, nicht nur zu fürchten wäre, daß dadurch Menschen in Gefahr ge- einer Demonstration vor dem Kernkraftwerk aufruft, bracht werden. Auch das wissen Sie, meine Damen sondern zugleich dazu auffordert, die Schienen vor und Herren von der Koalition. Wäre das nicht so, dem Kraftwerk, wie es heißt, „gewaltfrei" - wie das dann hätten die recht, die dann nach dem Staat und passieren soll, müßte einmal vorexerziert werden - seinem Gewaltmonopol rufen. Nur: Das Gleis in zu demontieren. Das hat - das ist von meinen Vorred- Gundremmingen gehört dem AKW. Do rt werden nern schon herausgestellt worden - mit dem Grund- ausschließlich Güter transportiert. Kein einziger recht auf Demonstrationsfreiheit überhaupt nichts Mensch wird gefährdet, nicht einmal der Lokführer, mehr zu tun. denn die Aktionen werden bei Tage durchgeführt, und sie werden vorher angekündigt. Sie finden an (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sonntagen statt, an denen keinerlei Transportver- kehr stattfindet. Es handelt sich dabei, ungeschminkt gesagt, um ei- nen unverhüllten Aufruf zur Begehung von Strafta- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ ten. CSU]: Bauen Sie denn die Schienen wieder ein?) (Roland Kohn [F.D.P.]: So ist es!) Solches Tun verhöhnt - so empfinden wir es jeden- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ziviler Ungehor- falls - den geradezu lebensnotwendigen Konsens hat auch in der Bundesrepublik seine Traditio- sam über Recht und Ordnung, ohne den es ein friedliches nen, genauso wie in der Bürgerbewegung der DDR. Zusammenleben in einem demokratischen Rechts- Die haben Sie ja immer befürwortet. Richter blockier- staat gar nicht geben kann. ten Zufahrten zu Waffenlagern, wurden verurteilt und später dann doch freigesprochen. Sie sahen es Besonders skandalös an diesem Vorgang ist, daß als ihre staatsbürgerliche Pflicht an, mit ihrer Autori- zwei Abgeordnete des Deutschen Bundestages den tät zu zeigen, daß hier unmoralisch gehandelt wird, Aufruf unterschrieben haben. Dies ist aus meiner daß es notwendig ist, Flagge zu zeigen, wenn Rechte Sicht ein unverantwortliches Verhalten. Das minde- verletzt werden oder zukünftige Generationen ökolo- ste, was man fordern muß, ist, daß sich die Betroffe- gisch bedroht werden. nen nachträglich von diesem Aufruf distanzieren. Letzter Satz: Die Menschen in Gundremmingen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) handeln aus den gleichen edlen Motiven. Sie haben den Eindruck, daß sich dieser Staat an ihren Lebens- Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß grundlagen vergreift. eine gesicherte Energiegewinnung und -versorgung für alle Bürger von größter und damit natürlich auch (Beifall bei der PDS) von nationaler Bedeutung ist. Logischerweise gehört dazu auch die Entsorgung der dabei entstehenden Abfälle. Die wiederum dazu notwendigen Trans- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat porte sind daher ein unverzichtbarer Teil des natio- der Parlamentarische Staatssekretär Eduard Lintner. nalen Entsorgungskonzeptes. Diesen Transporten stellt sich nun eine kleine, aber Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- leider gewaltbereite „Anti-Atomenergie-Szene" ent- minister des Innern: Sehr geehrte Frau Präsidentin! gegen. Sie will diese Transporte mit allen Mitteln ver- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine Da- hindern. Dabei beschränkt sie sich nicht, wie es al- men und Herren und Herr Schlauch, ich finde, es lein rechtmäßig wäre, auf Demonstrationen, sondern 8636 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner sie glaubt, sich auch gefährliche Eingriffe in den Gerade Sie als Bundestagsabgeordnete haben für Bahnverkehr anmaßen zu können. Recht und Gesetz geradezustehen. Deshalb kann ich Ihnen die Aufforderung, sich öffentlich von dem Auf- Daß das Ganze nicht so harmlos ist, wie hier dau- ruf zum Begehen von Straftaten zu distanzieren, ernd dargetan wird, zeigen die Beispiele aus den bis- wirklich nicht ersparen. herigen Aktivitäten dieser Szene. So wurden zum Beispiel Hindernisse auf Gleise gelegt, Sicherheits- Der Gipfel des Ganzen besteht darin, daß die einrichtungen der Bahn zerstört und Hakenkrallen in „Mahnwache Gundremmingen", die per Anzeige, Oberleitungen gehängt. Dabei wurden Personen- wie dargelegt, in einer Tageszeitung zu Straftaten schäden und auch sehr hohe Sachschäden billigend aufruft, steuerrechtlich offenbar als gemeinnützig in Kauf genommen oder sogar bewußt herbeigeführt. eingestuft ist. Wenn man bei der angegebenen Tele- fonnummer nämlich anruft, dann wird die Abzugsfä- Die nunmehr für das übernächste Wochenende higkeit einer eventuellen Spende beteuert, zugleich vorgesehene demonstrative Aktion muß deshalb in aber darauf hingewiesen, das Vorhaben, das geplant diesem Kontext gesehen werden. Sie schließt sich an sei, sei ziemlich - so wörtlich - „illegal". vergleichbare frühere gewalttätige Auftritte an, so zum Beispiel erst am vergangenen Sonntag in Dan- (Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das ist ein nenberg. Dort wurden aus einer Demonstration von Skandal! - Weitere Zurufe von der CDU/ zirka 1 000 Personen heraus Schienen angesägt, CSU und der F.D.P.) Bahnschwellen unterhöhlt, Schwellenschrauben ge- löst und Zäune zerschnitten. Ich finde, auch das sollte Konsequenzen haben. Der - zuständige Landesfinanzminister sollte daher meines (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erachtens schnellstens die Aberkennung der Ge- NEN]: Das ist doch Unsinn, Herr Staatsse- meinnützigkeit für diesen Verein betreiben. Denn kretär!) der Gedanke, daß man mit Hilfe steuerlich abzugsfä- higer Spenden Aufrufe zum Begehen von Straftaten Außerdem wurden auf der Strecke Lüneburg - finanziert, Dannenberg brennende Strohballen auf die Schie- nen gelegt und Gleise von vermummten Teilneh- (Walter Hirche [F.D.P.]: Unglaublich!) mern besetzt. Nur auf Grund der starken Präsenz der Polizei des Landes Niedersachsen und des Bundes- ist doch wohl für jeden rechtstreuen Staatsbürger un- grenzschutzes konnten größere Beeinträchtigungen erträglich. und schwerwiegende Sachbeschädigungen vermie- den werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Nachahmer sind das!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Norbert Geis. Es ist also für jedermann ersichtlich, daß derartige Aktionen üblicherweise nicht gewaltfrei verlaufen, was fälschlicherweise immer wieder behauptet wird. Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Veröffentli- (Widerspruch der Abg. Eva Bulling-Schröter chung in der „taz" war eine Aufforderung zur Straf- [PDS]) tat, und zwar zur Sachbeschädigung und zum Land- friedensbruch, und ist damit selbst auch eine Straftat. Diese Aktionen sind vielmehr von vornherein darauf Eine Aufforderung zur Straftat ist selbst auch eine ausgerichtet, mit ganz erheblicher Brutalität krimi- Straftat. Das gilt natürlich auch für die Zeitung, die zu begehen, um dadurch den nelle Handlungen dies veröffentlicht hat, und das gilt für all diejenigen, Staat und seine Organe herauszufordern. die diese Veröffentlichung unterschrieben haben. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das gilt insbesondere für die beiden Abgeordneten Der Castor ist die Gewalt!) des Deutschen Bundestages. Sie müssen, wenn die Dinge richtig laufen, mit einer staatsanwaltschaftli- Ein derartiges, die Gemeinschaft zerstörendes Ver- chen Ermittlung rechnen. halten kann nicht hingenommen werden. Es läuft auf die Inanspruchnahme von Faustrecht hinaus und be- In der Begründung dieses Aufrufs wird aber in ei- reitet das Terrain generell für jene, die das Recht be- ner besonders perfiden Weise das Recht auf Leben wußt mißachten wollen. Das sollten Sie bei Ihren auf der einen Seite gegen das Recht auf Eigentum Überlegungen einmal in Rechnung stellen. auf der anderen Seite ausgespielt. Wir alle wissen, wohin es führt, wenn wir nicht rechtzeitig der Aus- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) einandersetzung in der Gesellschaft, die mit Gewalt geführt wird, diesem Handeln und diesem Bestre- Meine Damen und Herren, das kann der Rechts- ben, widerstehen. Der Terrorismus der 70er und der staat aus einsichtigen Gründen nicht zulassen. Es 80er Jahre kann sich im Rechtsstaat nicht jeder seinen eigenen privaten Gewalt- und Widerstandsbegriff zusammen (Lachen bei der PDS) basteln, sondern jeder muß sich dem allgemeinen Gebot des friedlichen Zusammenlebens unterwerfen. hat bekanntlich mit der Gewalt gegen Sachen in den Das gilt ganz selbstverständlich - und erst recht, 60er Jahren begonnen. Das ist uns allen hinreichend finde ich - für Mitglieder dieses Hauses. bekannt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8637 Norbert Geis Es gibt heute wie damals die Beschwichtiger, die Jede Minderheit hat die verfassungsmäßige Mög- sagen, das alles sei gar nicht so schlimm, das alles sei lichkeit und das verfassungsmäßige Recht, selber die gar nicht so tragisch. So schlimm sei ein bißchen Ge- Mehrheit zu erringen und auf diese Weise selber die waltanwendung, Herr Schlauch, auch nicht. Regierung zu stellen. Aber sie hat nicht das Recht, mit Gewalt ihre eigene Meinung durchzusetzen und (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mit Gewalt ihren eigenen Willen anderen auf zuzwin- - Es hat sich ungefähr so angehört. gen. Dieses Recht steht niemandem bei uns zu. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Lesen Sie es im Protokoll nach. Das gilt auch für die Zeitung, die den Aufruf veröf- fentlicht hat. Seriöse Zeitungen haben diese Anzeige Herr Schlauch, diese Beschwichtiger befinden sich bekanntlich abgelehnt. in einem gefährlichen Irrtum. Daß sie sich in einem gefährlichen Irrtum befinden, beweist letztlich auch (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ die dunkelste Epoche der deutschen Geschichte vor NEN]: Die „taz" ist eine seriöse Zeitung!) wenigen Jahrzehnten, die wir bitter haben bezahlen Die „taz" aber hat mit dieser Veröffentlichung bestä- müssen. tigt, was von ihr zu halten ist. Der Redaktion dieser Zeitung fehlt jegliches Gespür für Augenmaß (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist aber ein atemberaubender (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Vergleich!) - NEN]: Oberzensor Geis!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies und dafür, wo die Grenzen der Pressefreiheit sind. sollten vor allem auch die Abgeordneten des Deut- Das muß man, glaube ich, von dieser Stelle einmal schen Bundestages nicht verkennen, die diesen Auf- deutlich sagen. ruf unterschrieben haben. Sie mißachten damit de- mokratisch zustande gekommene Mehrheitsent- Mag diese Aktuelle Stunde mit einen Beitrag dazu scheidungen. Sie mißachten Entscheidungen der Ge- leisten, Herr Schlauch, daß in der Demokratie immer richte, vor denen dies geprüft worden ist, und äußern noch das Wort gilt und nicht die Gewalt. Auseinan- damit, daß sie überhaupt kein vernünftiges Demo- dersetzungen mögen - auch handfest - in Form von kratieverständnis haben. Aber nicht nur das: Sie äu- Dialog und von Diskussion geführt werden, aber im- ßern auch, wie ich meine, eine gefährliche Staats- mer in gegenseitigem Respekt. feindlichkeit. Jedenfalls kommt sie in ihrem Verhal- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten zum Ausdruck.

Abwegig wäre auf jeden Fall die Meinung, man Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat könne sich in einem solchen Fall auf Widerstands- jetzt der Abgeordnete Wolfgang Behrendt. recht berufen. Auch das ist angeklungen, und das kann man gar nicht anders meinen. Widerstands- (SPD): Frau Präsidentin! recht gegen unsere demokratische Grundordnung, Wolfgang Behrendt Meine Damen und Herren! Ich muß gestehen, auch gegen unseren demokratischen Rechtsstaat, gegen nach der Rede von Herrn Westerwelle und auch des die demokratischen Verfahrensweisen, die wir einge- Staatssekretärs ist mir nicht ganz klargeworden, richtet haben, ist ein Widerspruch in sich. Es gibt warum eine solche Anzeige einer Aktuellen Stunde kein Recht zum Widerstand gegen die Grundrechte hier im Bundestag bedarf. und die Wertordnung der Grundrechte. Es gibt nur ein Widerstandsrecht für die Erhaltung der Grund- (Horst Eylmann [CDU/CSU]: Das werde ich rechte und für die Erhaltung der Wertordnung und Ihnen sagen!) damit auch für die Erhaltung des Eigentums und für die Erhaltung demokratischer Spielregeln, die bei Ich denke, es hätte genügt, Herr Westerwelle, wenn uns genau festgelegt sind. Sie sich in einer Presseerklärung davon distanziert hätten. Ich meine, hier findet eine Überbewertung (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Wen grei- statt. fen Sie denn jetzt an?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dagegen haben die beiden Abgeordneten - ich DIE GRÜNEN) scheue mich nicht, es zu sagen - in einer Weise ver- stoßen, die eines Abgeordneten unwürdig ist. Wir widmen einer Sache Aufmerksamkeit und viel Zeit, die wir für wichtigere Dinge verwenden sollten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es kann kein Zweifel daran bestehen Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt (Zurufe von der CDU/CSU) in unserer Demokratie und in unserem demokrati- schen Rechtsstaat keinen Mangel und keinen Miß- - da brauchen Sie nun nicht lebhaft dazwischenzuru- stand, der mit Gewalt beseitigt werden müßte. Wer fen -, daß auch wir jede Form von Gewaltanwen- sich unrecht behandelt fühlt, der kann bei uns in viel- dung ablehnen. Ich gebe zu, daß eine solche An- fältiger Weise sein Recht vor Gericht suchen. Das zeige, auch wenn sie vielleicht von einigen satirisch wissen wir alle. Wir kämpfen ja darum, daß es ein gemeint war, problematisch ist, gerade auch deshalb, bißchen weniger Richterrechtsstaat wird. weil wir aus Untersuchungen wissen, daß 18 Prozent 8638 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1996

Wolfgang Behrendt der Jugendlichen heute Gewalt als eine völlig nor- Denken wir doch einmal an die Demonstrationen ge- male Erscheinung ansehen. gen Wackersdorf und ähnliche. Die Demonstrationen verantwortungsbewußter Bürger haben doch dazu (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ beitragen, daß wir solche Fehlentwicklungen unter- CSU]: Schlimm genug!) bunden haben. Das heißt, solchen Tendenzen sollten wir sicherlich ernsthaft entgegentreten. Noch eins: Wir werden in der nächsten Woche des (Beifall bei der SPD - Roland Kohn [F.D.P.]: zehnten Jahrestages von Tschernobyl gedenken und Selbst im Bundestag!) hoffentlich versuchen, daraus Konsequenzen zu zie- hen. Die Umweltministerin hat vorhin in der Regie- Aber, meine Damen und Herren, ich finde, mar- rungsbefragung von der Wiener Konferenz berichtet kige Worte allein sind ein zu großes Geschütz gegen- und hat alarmierende Fakten genannt, etwa daß es über einer solchen Sache. Wir sollten lieber eine Ak- allein 600 Fälle von Schilddrüsenkrebs gibt, daß es in tuelle Stunde etwa über das wichtige Problem Ent- Weißrußland bei Kindern eine 50fache Steigerung sorgung atomarer Abfälle machen. bei Krebserkrankungen gibt. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Das alles sollte uns doch nachdenklich machen und uns dazu bringen, hier eine wirklich ernsthafte Ich hätte mir gewünscht, wir hätten hier eine Aktu- und verantwortungsvolle Debatte über die Kernener- elle Stunde über das Thema gemacht: Die geplanten - gie und insbesondere über die Frage einer verant- Transporte von Nuklearabfällen von Gundremmin- wortungsvollen Entsorgung zu führen. gen nach Gorleben. (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ (Zuruf von der F.D.P.: Das können wir doch CSU]: Da müssen Sie im Bundestag gefehlt machen, wenn Sie das beantragen! - haben!) Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Dann bean- tragen Sie das doch, wenn Sie das wollen!) Es wäre vielleicht angemessen gewesen, wenn wir uns hier ernsthaft über die Frage der Entsorgung auseinandergesetzt hätten. Ich vermisse bei Ihnen, Herr Westerwelle, bei Ih- ren Fraktionskollegen und bei den Regierungsfrak- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das können tionen insgesamt den Willen, sich wirklich ernsthaft Sie doch beantragen!) mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Ich muß Ihnen aber auch sagen, Herr Westerwelle, ich hätte mir gewünscht, daß man mit ein wenig (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Sehr rich mehr Sensibilität und Selbstkritik diesen Vorgang-tig!) betrachtet hätte, wenn man sich schon dieser An zeige mit dieser Ausführlichkeit widmet. Meist werden nur Klischeevorstellungen vorgetra- Wir müssen uns doch auch einmal fragen: Was sind gen, werden diejenigen, die das bisherige Konzept das für Motive, die die Menschen zu dieser Anzeige der Bundesregierung ernsthaft in Frage stellen, ver- bewegen? Welche Ängste bewegen sie denn? Wel- teufelt und in eine Ecke geschoben. ches Maß an Vertrauensverlust gegenüber unserer parlamentarischen Demokratie dokumentiert sich Ich denke, gerade auf Grund der Tatsache, daß wir denn dort? zehn Jahre nach Tschernobyl feststellen müssen, daß (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ bei uns allen ein starker Verdrängungsprozeß einge- CSU]: Das macht dann der Richter, wenn setzt hat, daß die Schrecken, die wir damals alle die Taten begangen worden sind!) empfunden haben, von uns inzwischen weitgehend verdrängt worden sind, sollten wir die Chance dieses Es sind doch nicht alles Rabauken oder Chaoten, zehnjährigen „Jubiläums" nutzen. Ich möchte an Sie die das unterschrieben haben. appellieren: Verwenden Sie Ihre Zeit nicht für solche Formalien, (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ CSU]: Aber nicht viel weniger!) (Zurufe von der F.D.P.: Das ist unglaublich! Wir wissen doch ganz genau, daß dies zum Teil sehr Formalie? - Rechtsbruch als Formalie!) verantwortungsbewußte Bürger sind, Eltern von Kin -dern, die sich echt Sorgen um deren Zukunft ma- chen. Meine Damen und Herren, tun Sie das doch sondern diskutieren Sie ernsthaft über die wichtigen nicht alles so ab! Probleme einer zukunftsträchtigen Energiepolitik! Das sollte eine auf alternative Energien ausgerichtete Wir wissen doch aus der Erfahrung der letzten Politik sein, ohne Kernenergie. Jahre, wie oft Demonstrationen dazu geführt haben, daß Fehlentwicklungen verhindert worden sind. (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN GRÜNEN und bei der PDS - Uwe Lühr sowie des Abg. Wolf-Michael Catenhusen [F.D.P.]: Das ist schäbig für einen Sozialde [SPD]) mokraten!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8639

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Gesellschaft als Freiheitsgleise für die einzelnen ge- jetzt der Abgeordnete Walter Hirche. währt; denn Freiheit - ich sagte es - gibt es nur unter dem Recht. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Herr Westerwelle, wenn ich Frau Alt Ich begrüße die Distanzierungen, die außerhalb mann wäre, würde ich Sie als Anwalt beauf- dieser Debatte aus der Fraktion der Grünen erfolgt tragen, damit Sie zeigen können, was Sie sind, weil einige sehen, wohin ein solches Verhalten können! - Gegenruf des Abg. Dr. Guido die Gesellschaft am Ende führen würde. Alternatives Westerwelle [F.D.P.]: Ich würde das Mandat Denken wäre dann in Freiheit nicht mehr möglich. ablehnen!) Ich kritisiere schärfstens, daß sich Herr Schlauch nicht in der Verfassung gesehen hat, hier vor dem Walter Hirche (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- Plenum für die Fraktion die Distanzierung auszu- men und Herren! Der letzte Beitrag hat deutlich ge- sprechen. macht, warum es notwendig ist, hier zu diskutieren. Der öffentliche Aufruf von zwei Abgeordneten zum (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Rechtsbruch und die Ankündigung, selber mitma- Ich finde die Verharmlosung, die der erste Spre- chen zu wollen bei Sachbeschädigung und Trans- cher der SPD hier begangen hat, auch erschreckend. portgefährdung, ist ein unglaublicher Skandal. Herr Behrendt, das sind keine Formalien, über die (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) wir uns unterhalten, sondern das ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Weil Sie so oft im umwelt- Das gilt um so mehr, als Abgeordnete ja Teil der ge-- politischen Bereich diskutieren: Man könnte sagen, setzgebenden Gewalt sind. Was sollen die Bürger das Recht ist das Grundwasser und das Trinkwasser denn von Gesetzen halten, wenn Mitglieder dieser unserer Demokratie. gesetzgebenden Versammlung selber Gesetze zur Makulatur erklären? Meine Damen und Herren, das, was wir hier disku- tieren, ist ja kein Einzelfall. Im Rahmen der Aktion (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ „Ausrangiert" hat zum Beispiel die stellvertretende DIE GRÜNEN]: Da sträuben sich die weni- Fraktionsvorsitzende der Grünen im Niedersächsi- gen Haare!) schen Landtag, Frau Harms, zu einer ähnlichen Ak- Noch schlimmer ist es, wenn auf Rückfrage die Be- tion aufgerufen. Das Untergraben von Straßen im denklichkeit des eigenen Tuns verharmlost wird oder Kreis Lüchow-Dannenberg wurde von den Grünen gar nicht bewußt wird: verharmlost wird, weil es sich mit Sympathie begleitet, die Zerstörung von Feldern angeblich nur um eine Nebenstrecke handele, auf mit gentechnisch veränderten Pflanzen ebenso. Zu der die Schienen demontiert werden sollen; und den Chaos-Tagen von Hannover, wo brutale Gewalt nicht bewußt wird, wenn in einem Zitat der „Welt" gegen Polizisten eingesetzt wurde, hat der grüne von heute der Satz von Frau Altmann auftaucht, sie Landtagsvizepräsident Jordan wörtlich gesagt, das sei als Abgeordnete nur dem eigenen Gewissen ver- sei unkonventionelles Freizeitverhalten, das man to- antwortlich. Soll das heißen, daß Abgeordnete alles lerieren müsse. tun und lassen können, ohne Rücksicht auf Recht (Zuruf von der F.D.P.: Unglaublich! - Joseph und Gesetz? Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- NEN]: Sagen Sie mal was zu Aschaffen ten der CDU/CSU) burg: Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne! Sagen Sie doch mal was zu Geis Nein, Recht und Gesetz gelten für alle, und Frei- und seiner Gruppe!) heit in der Gesellschaft gibt es nur unter dem Recht. Eigene Maßstäbe mit noch so moralischer Begrün- Meine Damen und Herren, ich frage mich, wo dann dung dürfen niemals Rechtfertigung sein, an Stelle morgen die Grenze ist. des gesetzten Rechts zu gelten. Hier wird mit subjek- Herr Fischer, wenn Sie glauben, daß Sie seit der tiver Einschätzung das für alle geltende Recht ein- ersten Minute, nachdem Sie den Saal betreten ha- fach beiseite geschoben. So hat historisch gesehen ben, ständig dazwischenbrüllen müssen, bisher nur Carl Schmitt argumentiert. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der F.D.P.) DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zu Das führt zurück ins Mittelalter, und das führt in die Geis!) Herrschaft des Faustrechts. Das entspringt autoritä- damit im Protokoll der Eindruck erweckt wird, Sie rer Gesinnungsdiktatur. seien während der Debatte dagewesen, muß hier Jedenfalls wird mit solch voluntaristischen Begrün- einmal der konkrete Sachverhalt festgehalten wer- dungen, wie sie Frau Altmann von sich gibt - nur der den. eigene Wille, die eigene Einschätzung zählt -, die (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Zerstörung der Rechtsstrukturen der Gesellschaft be- CDU/CSU) trieben. Das ist ein Rückfall in die Zeit vor dem mo- dernen liberalen Verfassungsstaat. Gesetze werden In allen Fällen wurde die angeblich richtige Moral so zur beliebig manipulierbaren Ware. Es wird nicht mit Gewalt gegen das bestehende Recht gesetzt. Be- nur eine Eisenbahnschwelle demontiert, sondern es sonders zynisch ist es, wenn Frau Altmann dann werden die Rechtsschranken demontiert, die unsere noch sagt, daß die Polizei ja vor Ort sei und jede ge- 8640 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Walter Hirche fährliche Situation verhindern könne. Sieht denn so sen. Sie hat versucht, sich ein bißchen herauszure- Ihre Gesellschaft aus: Abgeordnete wiegeln Bürger den. zu Straftaten auf, und anschließend wird die Polizei, die Verstöße gegen die Gesetze, die wir als Abgeord- (Dr. Dagmar Enkelmann [PDS]: Nein, sie nete beschließen, verhindern bzw. Störer festnehmen hat es richtiggestellt!) soll, in die Auseinandersetzung get rieben und auch Die Einlassungen der Grünen und der SPD aber noch denunziert? - Das ist eine böse Strategie zur gingen doch dahin, daß sie auf der einen Seite er- Zerstörung unserer Demokratie. klärt haben: Wir lehnen Gewalt ab!, dies dann aber relativiert haben, weil im Prinzip deutlich gemacht (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wurde, daß sie in diesem einen Fall - in Klammern: Es ist schlimmstes Jakobinertum, wenn hier quasi im und in ähnlich gelagerten Fällen - sehr wohl Ver- Namen der Tugend zu Gewalt aufgerufen wird. Na- ständnis dafür haben. türlich heißt es dann: „eine symbolische Ge- Das wiederum, meine Damen und Herren, macht schichte". mir deutlich, daß es sich hier nicht um ein Fehlver- Wir Liberalen setzen den Rechtsstaat und seine halten von zwei einzelnen Abgeordneten handelt, Gesetze dagegen, die jeder beachten muß, erst recht sondern daß es durchaus in den Parteien Kreise gibt, Abgeordnete. die sich die Frage stellen lassen müssen, ob sie denn überhaupt noch die Anerkennung staatlichen Rechts (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) als Grundlage unseres Zusammenlebens sehen - (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat [F.D.P.]) der Abgeordnete Michael Teiser. oder ob die subjektive Rechtsauslegung, das Schnei- dern subjektiven Rechtsverständnisses, möglicher- Michael Teiser (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine weise gleichrangig mit staatlichem Recht anerkannt sehr verehrten Damen und Herren! werden soll. Da sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit: Das ist mit uns nicht zu machen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Präsident! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber mit uns auch nicht!) Michael Teiser (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ent- schuldigen Sie vielmals. - Herr Fischer, wenn Sie sagen: „Aber mit uns auch nicht", dann fordere ich Sie ebenso wie die SPD hier Nachdem ich bis zum Beginn der Debatte glaubte, deutlich auf: Stellen Sie sich hier vorne hin und er- daß es nur zwei Skandale gebe, nämlich den, daß ein klären Sie für Ihre Fraktion - Sie sind ja der Vor- Presseorgan einen Aufruf zum Rechtsbruch veröf- standssprecher; auch wenn Sie die Debatte nicht ver- fentlicht, und den, daß zwei Bundestagsabgeordnete folgt haben, kennen Sie die Anzeige -, daß Sie sich ihn unterschrieben haben, stellt es für mich nun den von diesem Aufruf zum Rechtsbruch, zur Gewaltan- dritten Skandal dar, was heute an Einlassungen der wendung distanzieren! Verurteilen Sie das Verhalten hier versammelten Opposition zu vernehmen war. Ihrer Kolleginnen, und sorgen Sie dafür, daß so etwas Unter der Überschrift - das klang vereinzelt und nicht wieder vorkommt! Dies nämlich beschädigt das sehr verhalten an - „Wir lehnen Gewalt ab" wurde Ansehen dieses Hauses und stört empfindlich das auf Teufel komm raus relativiert. Der eine erklärt, das Rechtsempfinden der gesamten Bevölkerung. sei eine Überbewertung, und fordert uns auf, sensi- Vielen Dank. bel zu sein, sich nicht an Formalien festzuhalten. Der andere sagt: Denken Sie an die Pressefreiheit! Man (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) solle das einmal differenziert betrachten. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Meine Damen und Herren, es ist sehr auffällig, jetzt der Abgeordnete Horst Kubatschka. wenn man sich die Struktur und die Argumentation der Opposition anschaut. Diese sind nämlich ziem- lich vereinheitlicht. Horst Kubatschka (SPD): Sehr geehrte Frau Präsi- dentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD- (Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] Bundestagsfraktion bringt kein Verständnis für den [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Aufruf zur Schienendemontage auf. - Lieber Herr Kollege Fischer, Sie haben vorhin (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der schon einen Hinweis bekommen. Sie sind vor sechs F.D.P.) Minuten hereingekommen, haben sich hingesetzt, haben nichts gehört und rufen ständig dazwischen. Es ist ein Aufruf zu gewalttätigen Aktionen. Wir leh- Parlamentskasper gibt es auf jener Seite genug; Sie nen dies strikt ab. müssen ihn nicht auch noch spielen. (Zuruf von der CDU/CSU: Endlich!) Man sollte sich einmal die Argumente vor Augen In unserem Rechtsstaat bleibt es jedem unbenom führen. - Die Verharmlosung seitens der PDS-Abge- men, gegen Entscheidungen, die er für falsch oder ordneten verstehe ich. Das ist etwas kläglich gewe- richtig hält, friedlich zu demonstrieren oder in ande- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1996 8641

Horst Kubatschka rer Weise friedlich vorzugehen. Wir fordern die Teil- ökologisch und ökonomisch sinnvoll und berücksich- nehmerinnen und Teilnehmer an der Demonstration tigt auch den Willen der Bevölkerung. auf, sich nicht an gewalttätigen Aktionen zu beteili- (Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es gen. doch jetzt gar nicht!) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der 70 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lehnen F.D.P.) die Kernenergienutzung ab. Gewalt gegen Sachen und Menschen ist ein Irrweg. (Zuruf von der CDU/CSU: Das verfehlt das Liebe Kolleginnen und Kollegen, gewalttätige Ak- Thema!) tionen schaden den Gegnern der Kernenergie. Was wir dringend benötigen, ist eine Energiewende, (Beifall des Abg. Wolf-Michael Catenhusen die die Markteinführung für regenerative Energie- [SPD]) quellen fördert. Gewalttätige Aktionen arbeiten den Befürwortern (Beifall des Abg. Wolf-Michael Catenhusen der Kernenergie in die Hände. Sie lenken von dem [SPD]) Problem ab, für das wir noch keine Lösung haben. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie rufen nicht Daß die Bürgerinnen und Bürger besorgt sind, dafür um sonst „Thema verfehlt! ": Sie haben bei dieser Ak- haben wir volles Verständnis. Immer mehr radioakti- tuellen Stunde eigentlich das Thema verfehlt. ver Abfall fällt an, wird durch die Bundesrepublik transportiert und anschließend zwischengelagert.- (Beifall bei der SPD und der PDS - Zuruf Der Begriff „radioaktiver Abfall" ist eigentlich eine von der F.D.P.: Der Anfang war gut, der Verniedlichung. Es liegen Stoffe vor, die hochgiftig Rest nicht!) sind und über viele Jahrtausende hochgiftig bleiben. Seit über vier Jahrzehnten wird die Kernenergie Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt friedlich genutzt. Trotzdem sind die Probleme der Si- der Abgeordnete Horst Eylmann. cherheit und Endlagerung nicht gelöst; weltweit gibt es nirgends eine Lösung. Über viele Jahrtausende Horst Eylmann (CDU/CSU): Frau Präsidentin! müssen wir das Material so im Erdinneren verschlie- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Womit wir ßen, daß es nicht mehr an die Biozönose gelangen uns heute beschäftigen, sind Elementaria rechts- kann. Jahrtausende - das sagen wir so leicht, aber staatlicher Demokratie, gleichsam Anfangsgründe wir können es uns in der historischen Dimension ei- der Gemeinschaftskunde, wie sie auf unseren Schu- gentlich nicht vorstellen. Darum zwei Beispiele, was len, auch im übrigen auf Polizeischulen, gelehrt wird. Jahrtausende bedeuten: Die Zeit von der Jungstein- Es geht schlicht darum, daß in einem demokrati- zeit - zum Beispiel der Bandkeramiker - bis heute schen System Mehrheitsentscheidungen, die einer reicht nicht aus, um die Hälfte des angefallenen Plu- gerichtlichen Kontrolle standgehalten haben, beach- toniums zerfallen zu lassen. Tausend Jahre sind kein tet und von niemandem mit Gewalt blockiert werden Problem bei der Endablagerung; es ist nur ein kurzer dürfen. Das ist der entscheidende Punkt. Zeitraum. Stolz feiern die Österreicher heuer das tau- sendjährige Bestehen des Namens „Österreich". Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaffen ein Problem, das Jahrtausende anhält. Wir Wir wissen, daß natürlich immer wieder Minder- schieben das Problem der Entsorgung in die Zukunft heiten, einzelne Personen mit politischen Entschei- hinaus und überlassen es den nachfolgenden Gene- dungen, Mehrheitsentscheidungen, nicht einverstan- rationen. den sind Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gundremmingen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ verfügt noch über ausreichend eigene Lagerkapazi- DIE GRÜNEN]: Stoiber!) täten. Der Transport nach Gorleben ist deshalb zur Zeit nicht notwendig. und daß sie dann auch zuweilen zu gewaltsamen Ak- tionen neigen. Das ist bei Fernfahrern nicht anders (Beifall des Abg. Wolf-Michael Catenhusen als bei Stahlarbeitern und Bauern. [SPD]) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Hier wird - wie letztes Jahr bei den Castor-Transpor- DIE GRÜNEN]: So ist es!) ten von Phillipsburg und Gundremmingen nach Gor- leben - ohne Not der gesellschaftliche Frieden ris- Aber darum geht es nicht. kiert. Die einzige Lösung ist der Ausstieg aus der Zu den Fernfahrern darf ich noch sagen: Herr Kernenergie. Schlauch, erkundigen Sie sich einmal beim bayeri- schen Generalstaatsanwalt, was mit den Blockierern (Beifall des Abg. Rolf Köhne [PDS]) geschehen ist, damit dieses Märchen nicht immer Eine Technik, die keine Fehler zuläßt, ist keine zu- wieder aufgewärmt wird. künftige Technik. Eine Technik, die Abfall schafft, (Zuruf des Abg. Rezzo Schlauch [BÜND der Jahrtausende hindurch wirkt, ist keine zu- NIS 90/DIE GRÜNEN]) künftige Technik. Eine Technik, die weltweit nicht eingesetzt werden kann, ist keine zukünftige Tech- Das ist, meine Damen und Herren, nicht der Punkt. nik. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist deswegen Ich gestehe Ihnen zu, es passiert immer wieder, daß 8642 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Horst Eylmann man der Versuchung erliegt, Gewalt anzuwenden. nichts Wichtigeres in dieser Zeit, als gegen Gewalt Dann ist es die Aufgabe der staatlichen, der demo- Front zu machen, ganz gleich, wo sie sich zeigt. kratischen Institutionen, dem mit aller Entschieden- heit zu widersprechen. Das eigentliche Skandalon, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das heute Anlaß gibt, dies zu thematisieren, ist, daß ausgerechnet zwei Abgeordnete des Parlaments zu Dies gilt insbesondere dann, wenn aus diesem Hause Gewalt aufgerufen haben. Das ist das Skandalon. zu Gewalt aufgerufen wird. Ich bin von einigen Erklärungen sehr enttäuscht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Professor Pick, Sie haben gesagt, Ihr Eindruck sei zwiespältig. Was war denn das Positive? Denn Das Wo hat wenn Sie zwiespältig waren, müssen Sie auch posi- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: rt der Kollege Arne Fuhrmann. tive Empfindungen gehabt haben. Dann haben Sie sich mit der Pressefreiheit beschäftigt. Es geht über- haupt nicht um die Pressefreiheit. Ich habe zum Bei- Arne Fuhrmann (SPD): Frau Präsidentin! Liebe spiel gar nichts dagegen, daß die Presse solche skan- Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn wir als Politiker dalösen Aufrufe einmal unter die Leute bringt. den Anspruch haben, durch aufrichtige Haltung und Meine Damen und Herren, machen Sie sich keine Il- so etwas wie Ehrlichkeit die Menschen, die uns zuhö- lusionen: Die eindeutige Mehrheit der Bürger schüt- ren und die uns in dem, was wir tun, vertrauen, auch telt den Kopf über ein solches Verhalten. ein bißchen deutlich zu führen und Ihnen zu sagen, wohin es gehen soll, dann war dies heute hier bis- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lang keine Sternstunde des Parlaments. Was wir bis- Dann wird beklagt, wir suchten nicht das Ge- her hier erlebt haben, war alles andere als insgesamt spräch mit den Atomkraftgegnern. Woher wissen Sie aufrichtig oder ehrlich. Mir scheint, daß nur die das eigentlich? Ich wohne seit 30 Jahren zwei Kilo- Hälfte aller derer, die heute hier gesprochen haben, meter Luftlinie entfernt von dem ältesten Atomkraft- überhaupt wissen - - werk dieser Republik. Sie sehen, Herr Schlauch, es (Zurufe von der CDU/CSU) geht mir ausgezeichnet, den Wählerinnen und Wäh- lern meines Wahlkreises auch. Ich habe mich nie - Herr Geis, erst den Verstand und dann den Mund. einem Gespräch entzogen. Wenn es einmal Demon- Dies ist eine alte Regel. Wenn man diese beachtet, strationen gab, was selten genug war, so bin ich dann unterläßt man manchen Zwischenruf. immer ohne Polizeischutz dorthin gegangen. Darum geht es nicht. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Lassen Sie doch solche Sprüche!) Herr Schlauch, ich will Ihnen abnehmen, daß Sie gegen Gewalt sind. Aber Sie machen es sich zu ein- Herr Westerwelle, wenn Sie heute sagen, der fach, wenn Sie sagen, es handle sich nur um eine Rechtsstaat erlaube den Transport von abgebrannten Einzelstimme. Wenn ich in dieser Debatte aus Ihrer Kernelementen, dann irren Sie. Der Rechtsstaat er- Fraktion höre, es gehe nur um symbolische Handlun- laubt nicht, er ordnet an. Im Zweifel wird der Rechts- gen, und wenn gesagt wird, die eigentliche Gewalt staat - hier hat er auch recht - diesen angeordneten sei Castor, dann haben diejenigen, die in diesem Transport unter der Wahrnehmung seines Gewaltmo- Sinne dazwischenrufen, nichts aus der Gewaltde- nopols bis zum Ziel bringen. Dies ist nun einmal so. batte der siebziger Jahre gelernt. Ich bin ein absoluter Gegner von Gewalt. Herr Geis, ich bin ein Gegner auch von verbaler Gewalt. Des- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) halb reagiere ich hierauf besonders; ich kann das nicht ertragen. Hören Sie deshalb erst zu, und erwi- Das ist ein Rückfall in eine Haltung, die ich - wahr- dern Sie dann. scheinlich etwas zu hoffnungsfroh - für überwunden gehalten habe. Die Diskussion in diesem Parlament darüber, wer wann und an welcher Stelle zur Gewalt aufruft - sehr Lassen Sie mich ein Letztes sagen, und dann wohl gemessen daran, daß sich zwei Parlamentarie- komme ich zu Herrn Behrendt. Um Demonstrationen rinnen des Deutschen Bundestages beteiligt haben -, geht es überhaupt nicht. Es geht aber auch nicht um sollte vielleicht auch die Aspekte der persönlichen Formalia. Ich würde es eigentlich für sinnvoll halten, daß Sie die Gelegenheit nehmen, diesen Begriff zu- Situation, der Sorge und der Unkenntnis darüber, rückzunehmen. daß außer dem Staat niemand das Monopol der Ge- walt für sich gepachtet haben kann, beinhalten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir sollten vielleicht so ehrlich sein und anfangen, Wir haben wirklich unsere Schwierigkeiten mit unse- auch in dieser Dimension menschlich zu denken, ren jungen Leuten und damit, sie dazu zu bringen, keine Gewalt anzuwenden. Welchen Erfolg sollen (Beifall des Abg. Dr. Guido Westerwelle denn diese Bemühungen haben, wenn aus diesem [F.D.P.]) Kreis die Aufforderung zur Gewalt kommt? Das soll kein Anlaß sein, die Sache hier zu diskutieren? Das in der wir auch dann menschlich denken müssen, soll eine bloße Formalie sein? Ich sage Ihnen, es gibt wenn wir diejenigen betrachten, die zum Beispiel Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8643

Arne Fuhrmann aus Hilflosigkeit heraus keinen anderen Weg sehen, chen Widerstand gegen den Transpo rt eines Castor als Gewalt anzuwenden. Behälters auf die Straße setzen. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Jetzt widerspre- (Beifall bei der PDS - Norbert Geis [CDU/ chen Sie sich aber!) CSU]: Aber nicht in friedlicher Gewalt!) - Herr Geis, ich möchte Sie daran erinnern, mit wel- - Herr Geis, nun hören Sie doch endlich einmal auf. cher Vergangenheit wir alle leben und daß wir zum Beispiel das Niemöller-Wort möglicherweise ein biß- Ich habe auf der Straße gesessen, als der erste Ca- chen verdrängt haben: stor-Behälter nach Gorleben transportiert wurde, und zwar gewaltfrei. Ich habe mich von der Polizei weg- Als sie die ersten Juden abgeholt haben, habe ich tragen lassen,' das heißt, ich bin aufgestanden und nichts gesagt. Ich war ja keiner. Als sie die ersten bin mit der Polizei weggegangen. Herr Geis, wissen Katholiken geholt haben, habe ich nichts gesagt. Sie, daß es auch ein Grundrecht ist, das Recht auf De- Ich war ja keiner. Aber als sie mich geholt haben, monstration und Meinungsfreiheit in Anspruch zu war keiner mehr da, der was sagen konnte. nehmen? (Beifall bei der PDS - Dr. Guido Wester- (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das hät welle [F.D.P.]: Finden Sie diesen Vergleich ten früher F.D.P.-Leute hier verteidigt!) nicht schrecklich?) Wissen Sie eigentlich, was Sie Ihren Enkelkindern Wenn Sie in der Nähe eines geplanten Endlagers wie damit antun, daß Sie sich hier hinsetzen und sagen: Gorleben wohnen - - - Laßt die anderen einmal machen? (Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das müssen Sie [F.D.P.]) mir nicht sagen!) - Herr Westerwelle, nun hören Sie doch auch einmal Sie stehen als Politiker in der Verantwortung, daß zu. dieses sogenannte Endlager in Gorleben als Beweis einer Entsorgungskette immer noch nicht funktions- (Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Das habe fähig ist. Was machen Sie denn in den nächsten 30 ich gerade getan!) oder 40 Jahren, wenn Sie feststellen, daß außer dem Herumbohren im Salzstock von Gorleben nichts zu- - Ich glaube, Sie wohnen in dieser Republik an einer stande gekommen ist? anderen Stelle. Mir tut es leid, daß in einer solchen Debatte so viel In Gorleben soll ein Endlager entstehen, das für geredet wird, ohne daß wir miteinander ins Gespräch die nächsten 40 oder 50 Jahre in einerLeichtbauhalle kommen. Castor-Behälter aus La Hague, Gundremmingen und von anderen Stellen aufnehmen soll. (Norbert Geis [CDU/CSU]: Das verhindern Sie aber kräftig!) (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist eine falsche Aussage! In Gorleben entsteht ein Zwi- Ich würde mir wünschen, daß wir viel häufiger die schenlager und kein Endlager! - Wider- Chancen wahrnehmen, von denen auch Herr Eyl- spruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mann gesprochen hat und die er in meinen Augen DIE GRÜNEN) als einziger Redner der Koalition sehr deutlich ge- macht hat. Wir sollten ein bißchen mehr Verständnis - Herr Hirche, Sie wissen es doch genauso gut wie für die Ängste, die Sorgen und die Nöte haben, in de- ich. Sie haben doch mit Ihrer Partei das Gesetz nen Menschen stehen, die unmittelbar betroffen durchgepowert, das Gorleben für die nächsten sind, 50 Jahre im Endeffekt als Endlager festschreibt., (Walter Hirche [F.D.P.]: Es geht hier um (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist doch kein Rechtsbruch von zwei Abgeordneten!) Endlager! Täuschen Sie doch nicht die Öffentlichkeit!) nicht so mittelbar wie hier in Bonn. Man sollte sich dann mit ihnen auseinandersetzen. - Dann beschäftigen Sie sich doch einmal mit dem, was Sie tun. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Daß der Salzstock in Gorleben ungeeignet ist, wird Ihre Zeit ist abgelaufen. doch jetzt schon wieder klar: Einbrüche von Laugen, Jahre zuvor Einstürze in diesem Salzstock, Spren- gungen der Ringe und immer wieder Einbrüche von Arne Fuhrmann (SPD): Dann werden wir auch ver- Laugen. Alle Wissenschaftler und alle diejenigen, die hindern können, daß Gewalt um sich greift. Dann etwas davon verstehen, attestieren Ihnen, daß der werden wir bei den zwei Parlamentarierinnen mögli- Salzstock ungeeignet ist. cherweise etwas anderes durchsetzen als das, was Sie wieder mit Mitteln der Gewalt wünschen. Ich kann Ihnen aber auch sagen: Keine Gewalt an- zuwenden ist eine feine Sache. Ich bin dafür, keine (Walter Hirche [F.D.P.]: Die müssen sich an Gewalt anzuwenden, aber bitte schön auch keine das Recht halten! Wir müssen bei denen verbale Gewalt gegen diejenigen, die sich im friedli- nichts durchsetzen!) 8644 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Arne Fuhrmann In diesem Fall wünsche ich uns sehr viel mehr Frie- Aufruf distanziert hat - sie hat sich auch noch nicht den. vom Gewaltregime der DDR-SED distanziert -, hat Danke schön. sich nur von den Atomkraftwerken distanziert. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Eva Bulling-Schröter [PDS]: Das ist nicht GRÜNEN und der PDS) unsere Vorgängerpartei!) - Trotzdem kann sie sich ja von dieser Pa rtei distan- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat zieren, das wäre vielleicht doch ganz angemessen. jetzt der Abgeordnete Freiherr von Stetten. Daß sie das nicht gemacht hat und sich nur von den Atomkraftwerken distanziert hat, ist vielleicht nicht anders zu erwarten gewesen. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Aber, meine Damen und Herren, wenn Frau Alt- hoffte, die demokratischen Parteien wären hier einig mann vom Bündnis 90/Die Grünen zur Gewalt gegen in der Verurteilung Sachen aufruft, dann zeigt dies, daß nicht nur sie, sondern letztlich auch ihre Partei sich immer noch (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: nicht von den pubertären Revoluzzerideen der 80er Aburteilung!) Jahre verabschiedet haben und erwachsen gewor- der beiden Kolleginnen wegen ihres Tuns gewesen. den sind. „Nichts dazugelernt" hat Herr Eylmann mit Leider war dem nicht so. Aber wenigstens die Presse Recht gesagt. Herr Schlauch, Sie haben auch nicht hat in dankenswerter Weise Flagge gezeigt. Ich will- den Eindruck verwischen können, daß Sie dem noch noch ergänzen, Herr Westerwelle: Es waren auch die nicht entwachsen sind. Sie haben sogar - lassen Sie „Augsburger Allgemeine", das „Neue Deutschland", mich das sehr deutlich sagen - mit ihrer Verharmlo- die „Schwäbische Zeitung", die „Süddeutsche Zei- sung Nachahmer ermutigt, und Sie haben selbst so- tung" und die „Südwest-Presse", die abgelehnt ha- gar Strommasten und Steine genannt. Das ist letzt- ben. lich Aufforderung zur Nachahmung, eine Vernied- lichung von Gewalt gegen Sachen; das sollten Sie (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht tun. Sie hätten sich deutlich distanzieren sollen. und bei der PDS) Das lehnen Sie schlichtweg ab. - Ja, so ist es. Ich wollte ja nur erwähnen, daß das (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ „Neue Deutschland" scheinbar auch eine ver- DIE GRÜNEN]: Jawohl, Herr von Stetten!) nünftige demokratische Zeitung werden kann, im Gegensatz zur „taz", die als Sprachrohr der Linken Auch die Keimzelle der terroristischen Rote-Ar- - sie scheint ja im Moment von einem Streit der Chef- mee-Fraktion waren Aufrufe zur Gewalt gegen Sa- redakteure zum anderen zu taumeln - diese Grund- chen; sie haben am Anfang gestanden. Das endete sätze nicht hatte. mit Blut und Tod. Die Weimarer Republik ging nicht daran zugrunde, daß friedlich demonstrie rt wurde, Meine Damen und Herren, die Akteure haben mit sondern daran, daß die Nationalsozialisten und die ihrem Aufruf zur Gewalt, in dem sie heuchlerisch Kommunisten offen zur Gewalt gegen Sachen und auch noch dazu auffordern, gewaltfrei und festlich Menschen aufrufen durften und der Staat nichts da- Schienen zu demontieren - das ist schon eine Heu- gegen unternommen hat. chelei in extenso -, die Axt an den Rechtsstaat ge- legt, weil sie eben den Rechtsstaat nicht wollen; (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sonst würden sie den Weg über die Gesetze gehen. DIE GRÜNEN]: Von der Bourgeoisie finan ziert!) Ganz schlimm ist es aber, wenn ein solcher Aufruf, bei dessen Verwirklichung man dann auch mehrere - Sie glauben wohl kaum, daß ich die Kommunisten Strafgesetze verletzen würde - sie werden schon finanziert habe. Herr Fischer, ein bißchen dümmli- jetzt verletzt -, von Abgeordneten des Deutschen cher können Sie sich nicht ausdrücken. Bundestages unterschrieben und initiiert wird, ob- (Joseph Fischer [Frankfu wohl diese eigentlich gewählt wurden, um Gesetz, rt] [BÜNDNIS 90/ Recht und Ordnung zu verteidigen und zu fördern. DIE GRÜNEN]: Aber die Nazis!) - Wenn die SPD dies auch noch verniedlicht und als So dümmlich können Sie doch gar nicht daherre- den, Herr Fischer! eine Formalie betrachtet oder wenn Herr Fuhrmann sagt, dies sei ja keine Gewalt, dies sei ja nur ein biß- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ chen Gewalt, DIE GRÜNEN]: Die DVP war Bündnispart (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das hat ner von Hitler! Hugenberg!) er nicht gesagt!) - Aber Sie, Herr Fischer, sind doch ein bißchen dann habe ich doch meine großen Bedenken. dümmlich in dieser Geschichte, lassen Sie sich das doch einmal sagen. (Arne Fuhrmann [SPD]: Sie werden im Pro- tokoll nachlesen, daß dies so nicht gesagt Wenn Sie, Frau Altmann, sich auf das Gewissen wurde!) berufen, dann zeigen Sie damit doch, daß Sie keines haben, sonst würden Sie nicht zur Gewalt aufrufen. Frau Eva Bulling-Schröter, die sich als PDS-Mit- Denn wer Gewalt predigt, erntet in der Regel Tränen glied nicht einmal heute von ihrem rechtswidrigen und Tod. Ich sage das so deutlich. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8645 Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Herr Hirche hat auf einige Vorfälle hingewiesen. - Das ist sehr gut. Ich bedanke mich, Herr Fischer, Ich will auf Wackersdorf hinweisen, wo Polizisten daß ich das von Ihnen hören konnte. Das freut mich halb totgeschlagen wurden. Ich will auf den Flugha- außerordentlich. Danke schön. fen Frankfurt hinweisen, wo Polizisten meuchlings erschossen wurden. (Beifall und Zuruf des Abg. Dr. Guido Westerwelle [F.D.P.]: Haben Sie die Mehr heit dafür?) Unsere Fraktion, die CDU/CSU, forde rt Sie als Par- tei auf - Herr Fischer, es wäre gut für Sie, das zu tun, Ich fordere die Bundesregierung und die bayeri- anstatt hier herumzublöken -, ein klares Bekenntnis sche Regierung auf, alles zu tun, damit die angekün- zum Gewaltmonopol des Staates abzugeben. Dann digten Straftaten nicht begangen werden können, werden Sie wieder glaubhaft. und gegen Straftäter ohne Wenn und Aber vorzuge- hen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Danke schön. DIE GRÜNEN]: Ich bekenne mich klar zum Gewaltmonopol des Staates!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die Bundesregierung und die bayerische Regie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Damit ist die rung werden von uns aufgefordert, alles zu tun, um Aktuelle Stunde beendet. Wir sind am Schluß unse- die angekündigten Straftaten zu verhindern. rer heutigen Tagesordnung. - Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ destages auf Donnerstag, 18. April 1996, 9 Uhr, ein. DIE GRÜNEN]: Haben Sie das gehört? Ich Die Sitzung ist geschlossen. bekenne mich klar zum Gewaltmonopol des Staates!) (Schluß der Sitzung: 15.36 Uhr) 8646* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1996

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort des Parl. Staatssekretärs Wolfgang Gröbl auf die Fra- entschuldigt bis Abgeordnete(r) gen des Abgeordneten Horst Kubatschka (SPD) einschließlich (Drucksache 13/4333 Fragen 3 und 4): Wie reagiert die Bundesregierung auf die von den Kommuna- Augustin, Anneliese CDU/CSU 17. 4. 96 ** len Spitzenverbänden erhobene Forderung, das für Oktober die- Beck (Bremen), BÜNDNIS 17. 4. 96 ses Jahres vorgesehene Inkrafttreten des Kreislaufwirtschafts- Marieluise 90/DIE und Abfallgesetzes um zumindest ein Jahr zu verschieben, da die für einen Vollzug notwendigen Verordnungen bis zum vor- GRÜNEN gesehenen Zeitpunkt nicht mehr sachgerecht behandelt werden Belle, Meinrad CDU/CSU 17. 4. 96 könnten? Duve, Freimut SPD 17. 4. 96 ** Aus welchen Gründen ist die vorgesehene Novellierung der Verpackungsverordnung zur Umsetzung der Europäischen Ver- Dr. Eid, Uschi BÜNDNIS 17. 4. 96 ** packungsrichtlinie erforderlich, und wie hat die Bundesregie- 90/DIE rung mittlerweile auf die Kritik der Europäischen Kommission GRÜNEN vom Dezember letzten Jahres an den in der Verpackungsverord- Graf von Einsiedel, PDS 17. 4. 96 nung enthaltenen Mehrwegquoten reagiert? Heinrich Zu Frage 3: Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 17.4. 96 ** Nach dem Stand der Arbeiten am Untergesetzli- Gleicke, Iris SPD 17.4. 96 chen Regelwerk zum Kreislaufwirtschafts- und Ab- Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 17. 4. 96 * fallgesetz und dem Ergebnis der Anhörung der betei- Dr. Gysi, Gregor PDS 17.4. 96 ligten Kreise Anfang Ap ril dieses Jahres sieht die Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 17.4. 96 Bundesregierung keinen Anlaß, das Inkrafttreten des Gesetzes und der für den Vollzug erforderlichen Ver- Hilsberg, Stephan SPD 17. 4. 96 ordnungen hinauszuschieben. Dr. Hoyer, Werner F.D.P. 17. 4. 96 Die Konzeption der vorgelegten Verordnungsent- Klappert, Marianne SPD 17. 4. 96 würfe ist umfassend mit den betroffenen Kreisen der Krziskewitz, Reiner CDU/CSU 17. 4. 96 ** Wirtschaft, den zuständigen obersten Abfallbehör- Dr. Küster, Uwe SPD 17.4. 96 den der Länder sowie den kommunalen Spitzenver- Kuhlwein, Eckart SPD 17. 4. 96 bänden erörtert worden. Die Ergebnisse der Beratun- Lederer, Andrea PDS 17. 4. 96 gen bildeten die fachliche Grundlage der einzelnen Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 17. 4. 96 Verordnungsentwürfe. 90/DIE Nach den im Rahmen der Anhörung der beteiligten GRÜNEN Kreise eingeholten Stellungnahmen der Wirtschafts- Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 17.4. 96 verbände, der Länder sowie der kommunalen Spit- Erich zenverbände wurden weder gegen die Regelungs- Meckel, Markus SPD 17. 4. 96 * struktur des Untergesetzlichen Regelwerkes noch ge- gen die einzelnen Verordnungen wirklich durchgrei- Mehl, Ulrike SPD 17. 4. 96 fende Bedenken erhoben. Die Stellungnahmen zu den Nelle, Engelbert CDU/CSU 17. 4. 96 einzelnen Regelungen werden derzeit ausgewertet Schloten, Dieter SPD 17.4. 96 * und bei der weiteren Überarbeitung berücksichtigt. SPD 17. 4. 96 ** Schütz (Oldenburg), Die für den Vollzug des Abfallrechts zuständigen Dietmar Länder und die Mehrzahl der Verbände haben in der Dr. Schulte (Schwäbisch CDU/CSU 17. 4. 96 Anhörung der beteiligten Kreise die Forderung der Gmünd), Dieter kommunalen Spitzenverbände nicht unterstützt, son- Schumann, Ilse SPD 17. 4. 96 dern vielmehr die zügige Verabschiedung des Unter- Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 17. 4. 96 gesetzlichen Regelwerkes gefordert. Thönnes, Franz SPD 17. 4. 96 Zu Frage 4: Voigt (Frankfurt), SPD 17. 4. 96 * Die geltende Verpackungsverordnung war 1991 Karsten D. ein mitentscheidender Anlaß zur Erarbeitung einer Vosen, Josef SPD 17.4. 96 europäischen Verpackungsrichtlinie und ist in zahl- Wallow, Hans SPD 17. 4. 96 reichen materiellen Punkten deren Vorbild, wenn- Weis (Stendal), Reinhard SPD 17. 4. 96 gleich die europäische Richtlinie in wichtigen Berei- Dr. Wodarg, Wolfgang $PD 17. 4. 96 chen die anspruchsvollen Vorgaben der deutschen Dr. Wolf, Winfried PDS 17. 4. 96 Verpackungsverordnung nicht aufgegriffen hat. Die geltende Verpackungsverordnung erfaßt aller- dings - anders als die EG-Verpackungsrichtlinie -

* für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Ver- nicht die Verpackungen schadstoffhaltiger Füllgüter. sammlung Insoweit soll mit der Erweiterung des Anwendungs- ** für die Teilnahme an der 95. Jahreskonferenz der Interparla- bereichs durch die Novellierung die EG-Verpak- mentarischen Union kungsrichtlinie umgesetzt werden. Darüber hinaus Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8647*

sollen einige Definitionen in der Verpackungsverord- zahlende Ausgleichsgabe angerechnet werden kön- nung den Definitionen der EG-Verpackungsrichtlinie nen. Voraussetzung dabei ist, daß der Rechnungsbe- angepaßt werden, so z. B. der „Verpackungs " -Begriff. trag des Auftrags nicht zu weniger als 30 v. H. durch Die mit Schreiben vom 12. Dezember 1995 von der die von der WfB erbrachte Arbeitsleistung bestimmt Europäischen Kommission gegenüber der Verpak- wird. Diese Regelung verfolgt das Ziel, WfB's zu Auf- kungsverordnung geäußerte Kritik wird von der Bun- trägen zu verhelfen, die eine stetige Beschäftigung desregierung in einer ausführlichen Stellungnahme der Behinderten in den WfB's ermöglichen. bis Ende April 1996 beantwortet werden. Darin wird Die von der Bundesregierung vorgeschlagene und die Bundesregierung zu den Fragen der Kommission vom Deutschen Bundestag beschlossene Neufassung substantiiert Stellung nehmen und im einzelnen dar- (BT-Drucksache 13/2440, S. 11, BR-Drucksache 141/ legen, weshalb sie die in der Verpackungsverordnung 96, S. 13) sieht eine Änderung dieser Regelung vor: enthaltenen Anforderungen unter anderem zum - Schutz von Getränke-Mehrwegsystemen bei Befrei- Aufträge dürfen generell angerechnet werden, ung von Rücknahme- und Pfandpflichten aus Grün- auch solche, bei denen der Anteil der Arbeitsleistung den des Umweltschutzes für gerechtfertigt erachtet. geringer ist als 30 v. H. des Rechnungsbetrags; - Bezugsgröße soll künftig die in der WfB erbrachte Arbeitsleistung sein, d. h. der Betrag der Gesamt- rechnung abzüglich des Mate rials; Anlage 3 - Verrechnungssatz soll nicht mehr 30 v. H. des Rech- Antwort nungsbetrages einschließlich Mate rial, sondern 75 v. H. dieses Betrages ohne Mate rial sein. des Parl. Staatssekretärs Hansgeorg Hauser auf die Frage des Abgeordneten Wolfgang Ilte (SPD) Die Motive für diese Änderung sind in der Amtli- (Drucksache 13/4333 Frage 7): chen Begründung genannt (BT-Drucksache 13/2440, S. 32, zu Art. 3, Nr. 3 [§ 55]): Beabsichtigt die Bundesregierung von ihren Aufsichtsrechten Gebrauch zu machen - insbesondere Prüfungsbeanstandungen 1. Der Anreiz, WfB's beschäftigungs- und nicht so vorzunehmen -, wenn Mittel aus dem Investitionsförderungsge- sehr materialintensive Aufträge zu vergeben, soll setz Aufbau Ost (§ 3 Abs. 3) zur Sanierung von Schulgebäuden eingesetzt werden, weil dies aus städtebaulicher Sicht (Dach, verstärkt werden, damit die Behinderten in den Fassade, Fenster) erforderlich ist? WfB's möglichst stetig Arbeit haben. Eine allgemeinbildende Schule ist als solche 2. Es soll der Anreiz genommen werden, WfB's dazu grundsätzlich nicht förderfähig. Sofern Schulge- zu veranlassen, Material auf eigene Rechnung zu be- bäude sanierungsbedürftig und Teil einer städtebau- schaffen und dieses Mate rial nach u. U. nur geringfü- lichen Sanierungsmaßnahme sind, können sie jedoch giger Weiterverarbeitung ausgleichsabgabewirksam nach § 3 Nr. 3 Investitionsförderungsgesetz Aufbau in Rechnung zu stellen. Ost (IIG) gefördert werden. In dieser Frage besteht 3. Der Verrechnungssatz von 30 v. H. soll im Zuge zwischen Bund und neuen Ländern Einvernehmen. der Umstellung der Bemessungsgrundlage so erhöht Von seiten der Bundesregierung besteht deshalb werden, daß die Werkstätten im Durchschnitt durch keine Veranlassung, einer derartigen Verwendung die Umstellung nicht benachteiligt werden. von IfG-Fördermitteln durch die neuen Länder ent- Die Neuregelung kann im Einzelfall - so bei der gegenzutreten. Erbringung reiner Dienstleistungen - dazu führen, daß einem Auftraggeber ein höherer Anrechnungs- betrag zugutekommt und sich die von ihm zu zah- lende Ausgleichsabgabe infolgedessen durch eine Anlage 4 geringere Zahl von Aufträgen auf Null reduziert. Die zuweilen aufgestellte Behauptung, ausgleichsabga- Antwort bepflichtige Arbeitgeber würden nur Aufträge an des Parl. Staatssekretärs Horst Günther auf die Fra- WfB's vergeben, bis ihre Ausgleichsabgabe auf Null gen des Abgeordneten Ernst Hinsken (CDU/CSU) reduziert sei, trifft nicht zu. Vielfach sind andere Mo- (Drucksache 13/4333 Fragen 9 und 10): tive zur Auftragsvergabe an WfB's maßgeblich wie Was hat die Bundesregierung veranlaßt, eine 75%ige Anrech- Preiswürdigkeit und Leistungsfähigkeit. nung der Firmenaufträge auf die Wertschöpfung der jewei ligen Werkstätten für Behinderte zuzulassen, wo doch bekannt ist, Zu Frage 10: daß Aufträge nur bis zu der Höhe vergeben werden, die zur Ver- rechnung der jeweils zur Zahlung fälligen Ausgleichsabgabe er- Die neue Regelung fördert - wie gewollt - die Ver- forderlich ist? gabe beschäftigungsintensiver Aufträge. Aufträge, deren Rechnungsbetrag nur zu einem geringen Teil Wie kann die Bundesregierung Behauptungen der Behinder- tenverbände widerlegen, wonach durch die beschlossene Ände- durch die Arbeitsleistung in den WfB's, ganz über- rung des § 55 des Schwerbehindertengesetzes weniger Aufträge wiegend aber vom Anteil und Preis des Mate rials be- an die Behindertenwerkstätten, mit damit verbundenem Verlust stimmt werden, deren Vergabe also zu wenig Be- von Arbeitsplätzen, vergeben werden, und wie will sie solcher Entwicklung begegnen? schäftigung in der WfB, aber nach der bisherigen Re- gelung zu einer raschen Aufzehrung der Ausgleichs- Zu Frage 9: abgabe geführt hat, sind nach der neuen Regelung Nach geltendem Recht wird die Vergabe von Auf- unter dem Aspekt Verringerung der Ausgleichsab- trägen an Werkstätten für Behinderte (WfB) dadurch gabe weniger attraktiv. gefördert, daß 30 v. H. des Rechnungsbetrages sol- Behauptungen von Werkstattverbänden, die neue cher Aufträge vom Auftraggeber auf eine von ihm zu Regelung werde generell zu einer Verringerung der 8648* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. Ap ril 1996

Auftragsvergabe führen, sind aus der Sicht der Bun- Zu Frage 12: desregierung nicht begründet. Für die statistische Erfassung ausländischer Sozial- hilfeempfänger sind nicht die Ausländerbehörden zuständig. Gemäß § 127 BSHG wird über die Emp- fänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt und Anlage 5 von Hilfe in besonderen Lebenslagen sowie über die Ausgaben und Einnahmen der Sozialhilfe eine Bun- Antwort desstatistik geführt. Erhebungsmerkmale dieser So- zialhilfestatistik sind u. a. die Staatsangehörigkeit der Pari. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl und bei Ausländern auch der aufenthaltsrechtliche auf die Fragen des Abgeordneten Wolfgang Schul- Status. hoff (CDU/CSU) (Drucksache 13/3444 Fragen 11 und 12): Die Bundesregierung und die zuständigen statisti- Ist der Bundesregierung der Be richt der „Welt am Sonntag" schen Ämter haben keine Hinweise darauf, daß die vom 10. März 1996 bekannt, wonach eine fünfköpfige ausländi- sche Familie im Rahmen der Sozialhilfe einen Gesamtbedarf in örtlichen Sozialämter die gesetzlich vorgeschriebe- Höhe von 3 153,70 DM und eine laufende Hilfe zum Lebensun- nen statistischen Meldungen hinsichtlich der Auslän- terhalt in Höhe von 2 190 DM erhält, was einen Endbetrag von dereigenschaft der Hilfeempfänger nicht ordnungs- 5 343,70 DM ausmacht, und falls diese Angaben zutreffen, sieht gemäß erstatten. sie dann gesetzgeberischen Handlungsbedarf? Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die tat- sächliche Zahl der ausländischen Sozialhilfeempfänger festzu- stellen, da im eben erwähnten Artikel berichtet wird, daß Mitar- beiter von Sozialämtern nicht alle Namen ausländischer Sozial- Anlage 6 hilfeempfänger an die Ausländerbehörden weitergeben? Zu Frage 11: Antwort des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fra- Der Bundesregierung ist der fragliche Bericht der gen des Abgeordneten Dr. Winfried Wolf (PDS) „Welt am Sonntag" vom 10. März 1996 bekannt. Er- (Drucksache 13/3444 Fragen 14 und 15): kenntnisse zum Einzelfall liegen der Bundesregie- rung allerdings nicht vor, denn die Durchführung des Warum ist unter den von 1990 bis 1995 in das Bundespro- gramm gemäß § 6 Abs. 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungs- Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und damit auch gesetzes (GVFG) aufgenommenen 25 Vorhaben für den öffentli- die Entscheidung im Einzelfall liegt bei den Ländern chen Personennahverkehr (siehe Antwort der Bundesregierung und Kommunen. auf die Kleine Anfrage, Drucksache 13/4228) nur ein einziges Vorhaben (die Straßenbahnverlängerung nach Jena-Lobeda) in In dem dem Be richt der „Welt" zugrundeliegenden den neuen Ländern einschließlich Berlin? Sachverhalt handelt es sich offensichtlich um eine Soll die Verlängerung der Berliner U-Bahnlinie 5 in das Pro- ausländische Familie, die entsprechend ihrem aus- gramm gemäß § 6 Abs. 1 des Gemeindeverkehrsfinanzierungs- gesetzes (GVFG) aufgenommen werden, und wenn ja, warum länderrechtlichen Status Anspruch auf Hilfe zum Le- hat die Bundesregierung nicht darauf gedrungen, daß im Rah- bensunterhalt gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 BSHG hat. men des Standardisierten Bewertungsverfahrens auch der Ab- Allgemein ist zu den im Bericht erwähnten Zahlen zu schnitt, der allein zur Realisierung ansteht (Alexanderplatz- bemerken: Lehrter Bahnhof), untersucht wird? Die Sozialhilferegelsätze für die 5-köpfige Bedarfs- Zu Frage 14: gemeinschaft entsprechen denen im Lande Hessen Dies trifft nicht zu. Von 1990 bis 1995 wurden bei für den damaligen Zeitraum. Ob die angegebenen den jährlichen Programmfortschreibungen Vorhaben Unterkunftskosten für eine 5-köpfige Familie den der aus den neuen Ländern einschließlich Berlin in das Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Um- Bundesprogramm gemäß § 6 (1) Gemeindeverkehrs- fang übersteigen, kann von hier aus nicht beurteilt finanzierungsgesetz aufgenommen. Im aktuellen werden. In jedem Fall wirkt sich das angegebene GVFG-Bundesprogramm 1995 bis 1999 sind 24 end- Wohngeld von 477 DM leistungsmindernd auf die gültig in das Programm aufgenommene Vorhaben übernommenen Unterkunftskosten aus. Von daher enthalten. erscheint der angegebene Gesamtbedarf von 3 153,70 DM für eine 5köpfige Familie als möglich. Zu Frage 15: Nicht nachvollziehbar ist jedoch die Darstellung in Nein, für die U-Bahnlinie U 5 sind - wie in der Ant- dem Bericht, wonach nochmals zum Gesamtbedarf wort auf die Kleine Anfrage (Drucksache 13/4050) ein weiterer Betrag von 2 190 DM an laufender Hilfe Frage Nr. 6 dargestellt - für einzelne Abschnitte stan- zum Lebensunterhalt hinzugerechnet worden sein soll. dardisierte Bewe rtungen durchgeführt worden. Die Nicht auszuschließen ist, daß der Gesamtbedarf für Ergebnisse hätten auch eine Förderung des Vorha- den Monat Mai 1995 3 153,70 DM betrug und tat- bens aus dem Bundesprogramm nach § 6 (1) GVFG sächlich lediglich ein Betrag von 2 190 DM als lau- gerechtfertigt. fende Hilfe zum Lebensunterhalt für diesen Monat an- In Anbetracht der im GVFG-Bundesprogramm für teilsmäßig ausgezahlt worden ist, weil ein Anspruch Berlin verfügbaren Mittel, die bereits hauptsächlich nur für einen Teil des Monats Mai bestanden hat. für die S-Bahn verplant waren, wurden andere Fi- Ein Endbetrag von 5 343,70 DM erscheint nach nanzierungswege gesucht mit Einsatz von den vorliegenden Zahlen und den allgemein gelten- - Hauptstadtmitteln, den Regelsätzen als völlig unrealistisch. Ein Hand- - GVFG-Landesprogramm Berlin, lungsbedarf des Gesetzgebers ist aus diesem Grunde nicht gegeben. - Regionalisierungs- und eigene Mittel Berlin, Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996 8649*

Anlage 7 Hält die Bundesregierung ihre in der Vergangenheit geäußer- ten moralischen und rechtlichen Bedenken gegen eine Aufgabe der von den Sudetendeutschen geltend gemachten Eigentum- Antwort sansprüche gegenüber der Tschechoslowakei bzw. der Tsche- chischen Republik weiterhin aufrecht? des Parl. Staatssekretärs Johannes Nitsch auf die Fra- gen der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) Hält die Bundesregierung weiterhin an ihrer Auffassung fest, (Drucksache 13/3444 Fragen 16 und 17): daß es sich bei der aufgrund der Bene-Dekrete erfolgten Mas- senvertreibung und der entschädigungslosen Enteignung der Welche Planungen bestehen auf seiten der Bundesregierung Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg um völker- in bezug auf eine mögliche Zusammenlegung von Deutschem rechtswidrige Handlungen und um Unrecht handelt, das durch Wetterdienst und Geophysikalischem Beratungsdienst der Bun- nichts gerechtfertigt ist? deswehr, und wie stellt sich der aktuelle Sachstand entsprechen- der Überlegungen derzeit dar? Zu Frage 22: Welche konkreten Auswirkungen hätte eine eventuelle Zu- sammenlegung von Deutschem Wetterdienst und Geophysikali- Die Haltung der Bundesregierung zu den morali- schem Beratungsdienst, insbesondere mit Blick auf Standorte schen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang und Beschäftigungszahlen bei den betroffenen Einrichtungen? mit der Vertreibung Deutscher nach Kriegsende ist Zu Frage 16: unverändert. Ihre Fragen zu einer möglichen Zusammenlegung Zu Frage 23: von Deutschem Wetterdienst und Geophysikali- schem Beratungsinstitut der Bundeswehr liegen im Die Bundesregierung hat die Vertreibung und ent- Rahmen eines existierenden Prüfungsauftrages des schädigungslose Enteignung der Sudetendeutschen Rechnungsprüfungsausschusses vom 7. Februar d. -J. immer als völkerrechtswidrig verurteilt. mit Termin 30. Juni 1996. Außerdem sollen die Anre- gungen des Bundesrechnungshofes in einer noch für diesen Monat erwarteten gleichgerichteten Prü- fungsmitteilung bei den o. a. Prüfungen mit einbezo- Anlage 10 gen werden. Antwort Zu Frage 17: Eingehende Antworten können daher erst nach des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- Abschluß aller diesbezüglichen Prüfungen und Ab- gen des Abgeordneten Peter Conradi (SPD) (Druck- stimmungen zwischen den beteiligten Bundes- sache 13/3444 Fragen 24 und 25): ressorts BMV, BMVg und BMF gegeben werden. Wie hoch waren 1994 die Personalaufwendungen des Bundes für die Bezahlung der Bundesbeamten (Gehälter der aktiven Be- amten und Versorgungsleistungen), und wie hoch waren die Aufwendungen des Bundes für die Beihilfe für Krankheiten, Ku- ren usw. der aktiven Beamten und der Versorgungsempfänger? Anlage 8 Welche Beitragssätze für die Krankenversicherung und wel- che Beitragsbemessungsgrenzen legte die Bundesregierung bei Antwort ihrer Antwort auf meine Frage 20 in Drucksache 13/3842 (Auf- wendungen des Bundes für die Krankenversicherung der Beam- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Frage des ten bei der AOK) zugrunde? Abgeordneten Erwin Marschewski (CDU/CSU) (Drucksache 13/3444 Frage 18): Zu Frage 24: Wie viele Botschaften der Bundesrepublik Deutschland, und Im Jahre 1994 beliefen sich die Aufwendungen für wie viele Goethe-Institute beziehen zu dienstlichen Zwecken die Wochenmagazine „Der Spiegel "und/oder „Focus"? die Besoldung der aktiven Bundesbeamten (ohne Post und Bahn) auf rund 8,85 Milliarden DM und 17 Auslandsvertretungen haben „Spiegel" und für Versorgungsleistungen (Ruhegehälter lt. Kap. „Focus" abonniert. 208 Auslandsvertretungen haben 3303 432 01 Bundeshaushaltsplan sowie Witwen- nur den „Spiegel" abonniert. Eine Auslandsvertre- und Waisengelder lt. Kap. 3303 432 02 Bundeshaus- tung bezieht nur „Focus". Aus Mitteln des Auswärti- haltsplan) im selben Zeitraum auf ca. 2,74 Milliarden gen Amts erhalten 24 Goethe-Institute „Spiegel" und DM. Insgesamt also auf etwa 11,59 Mil liarden DM. „Focus"; 138 Goethe-Institute erhalten nur den Die Beihilfeausgaben des Bundes betrugen im Jahre „Spiegel", 2 Goethe-Institute erhalten nur „Focus". 1994 für aktive Beamte 311 Millionen DM und für Versorgungsempfänger 336,1 Millionen DM. 19 weitere Institute, die nicht zum Goethe-Institut gehören, erhalten ebenfalls den „Spiegel" aus Mit- Zu Frage 25: teln des Auswärtigen Amts. Es wurde der durchschnittliche Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung des Jahres 1994 in Höhe von 13,4 % West und 12,6 % Ost zugrunde gelegt. Der Arbeitgeberanteil wurde entsprechend Anlage 9 mit der Hälfte des jeweiligen Beitragssatzes bis zur Antwort Beitragsbemessungsgrenze angesetzt, d. h. 6,7 % West und 6,3 % Ost. Entsprechend Ihrer Fragestel- des Staatsministers Helmut Schäfer auf die Fragen lung wurde die Beitragsbemessungsgrenze für das des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) Jahr 1994 herangezogen. Diese betrug im Westen (Drucksache 13/3444 Fragen 22 und 23): 5 700 DM und im Osten 4 425 DM. 8650* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 97. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 17. April 1996

Anlage 11 Diese Haltung Deutschlands ist vom Bundesmini- ster des Innern dem UNHCR bereits in Genf erläutert Antwort und von der deutschen Delegation in Oslo erneut be- des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- tont worden. gen der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 13/4333 Fragen 28 und 29): Wird die Bundesregierung bei der jetzt eingeleiteten Aufent- Anlage 12 haltsbeendigung der bosnischen Flüchtlinge Abweichungen von den im Friedensabkommen von Dayton aufgestellten Grundsätzen, nach denen den bosnischen Flüchtlingen die si- Antwort chere Heimkehr in ihre angestammten Gebiete in Aussicht ge- stellt wird, etwa in der Weise zulassen, daß die Flüchtlinge unab- hängig von Ort und Art der Unterbringung in Bosnien zur Rück- des Parl. Staatssekretärs Dr. Norbert Lamme rt auf die kehr gezwungen werden, und falls nein, wie wird sie die Einhal- Fragen des Abgeordneten Michael Teiser (CDU/ tung dieser Grundsätze sicherstellen? CSU) (Drucksache 13/4333 Fragen 30 und 31): Wird die Bundesregierung die Abschiebung der Flüchtlinge durchsetzen, obwohl der Bundesminister des Innern in Genf zu- Ist der Bundesregierung bekannt, daß Frankreich sechs Fre- gesagt hat, die Rückführung in Absprache mit dem UNHCR gatten an die Volksrepublik Taiwan liefert, und welche Gründe durchzuführen, der derzeit keine geordnete Rückführmöglich- sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dafür, deut- keit für die Flüchtlinge sieht? schen Werften die entsprechende Inauftragnahme von Marine- schiffen (Fregatten oder U-Boote) zu untersagen? Zu Frage 28: Der Beschluß der IMK vom 26. Januar 1996 zur Wie viele Arbeitsplätze wären nach Erkenntnissen der Bun- desregierung für welchen Zeitraum auf deutschen Werften und Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge nach Bos- in Zulieferbetrieben durch die Inauftragnahme von sechs Fre- nien-Herzegowina steht unter dem Vorbehalt, daß gatten für die Republik Taiwan gesichert bzw. geschaffen wor- sich die Lage vor Ort stabilisiert und die im Friedens- den? abkommen von Dayton vorgesehenen allgemeinen Voraussetzungen: Zu Frage 30: - Implementierung des militärischen Teils des Ab- kommens von Dayton, Der Bundesregierung ist bekannt, daß Frankreich sechs Rümpfe für Fregatten vom Typ „La Fayette" an - Schaffung von Amnestieregelungen, Taiwan verkauft hat. - Funktionieren der Einrichtungen für den Schutz der Menschenrechte Die Entscheidung der Bundesregierung, vergleich- vorliegen. bare Lieferungen nach Taiwan nicht zuzulassen, wurde entsprechend den „Politischen Grundsätzen Die Rückführung, die so gestaffelt erfolgen soll, ist der Bundesregierung" für den Export von Kriegswaf- nach dem Beschluß der Innenminister von Bund und fen und sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April Ländern so zu gestalten, daß „davon keine Gefahr 1982" getroffen. Exporte von Kriegswaffen in Nicht- für die Sicherheit und das Leben der rückkehrenden NATO-Länder werden hiernach nur dann geneh- Flüchtlinge ausgeht. " migt, wenn im Einzelfall vitale Interessen der Bun- Die Verteilung der zurückkehrenden Flüchtlinge desrepublik Deutschland für eine ausnahmsweise in Bosnien-Herzegowina und ihre Wiedereingliede- Genehmigung sprechen. Zusätzlich muß sicherge- rung ist Sache der örtlichen Behörden sowie der im stellt sein, daß eine solche Lieferung nicht zu einer Friedensabkommen hierfür vorgesehenen internatio- Erhöhung bestehender Spannungen beiträgt. Bei nalen Hilfsinstitutionen. Mit der bosnischen Seite Anwendung dieser Kriterien könnte in der gegen- sind inzwischen Vertragsverhandlungen über den wärtigen Situation eine Genehmigung nicht erteilt Abschluß eines Rückübernahmeabkommens aufge- werden. nommen worden. Zu Frage 31: Zu Frage 29: Es ist beabsichtigt, mit der geordneten Rückfüh- Die Bundesregierung hat keine eigenen Erkennt- rung ab Juli 1996 zu beginnen. Dabei hält die Bun- nisse, wie viele Arbeitsplätze bei Herstellung von desregierung die freiwillige Rückkehr für die beste sechs Fregatten geschaffen bzw. erhalten würden. Form der Rückkehr, erforderlichenfalls werden Rück- Nach Auskunft der Werftindustrie handelt es sich um führungen aber auch gegen den Willen des einzel- gut 3 000 Arbeitsplätze, die durch einen solchen Auf- nen Bürgerkriegsflüchtlings in Betracht kommen. trag 6 Jahre lang gesichert werden könnten.