Heimatspiegel Illustrierte Beilage im Verlag von «Zürcher Oberländer» und «Anzeiger von » – Redaktion Anne Bagattini August 2019

Baukultur in Seegräben Das Gesicht eines Dorfs

Leiterlispiel Aathal-Seegräben. (Kulturdetektive 2019)

Im Zusammenhang mit dem 800- oder Musik und spiegelt den je- könnte, wie man sie aus Pfäffikon hausen ein solcher Gutshof mit Jahr-Jubiläum von Seegräben in weiligen Zeitgeist wider. Schauen und kennt. Auch die Rö- ­umfangreichen Mauerresten in der diesem Jahr soll in diesem wir hin und lassen die Häuser mer haben seit dem ersten vor- Chronik von 1548 von Johannes ­«Heimatspiegel» der Wandel der sprechen. christlichen Jahrhundert in Seegrä- Stumpf belegt. 2013 liess die Kan- Gemeinde und ihrer unterschied­ Früheste menschliche Spuren in ben Spuren hinterlassen. Damals tonsarchäologie anhand von geo- lichen Dorfteile anhand der Bau- Seegräben reichen zurück auf Lager- führte die römische «Oberland- physikalischen Messungen der ETH kultur, insbesondere derjenigen plätze der eiszeitlichen Jäger und strasse» am Pfäffikersee vorbei nach Zürich einen Grundrissplan erstel- der letzten 100 Jahre, näher be- Sammler, unter anderem bei der Oberwinterthur. Zahlreiche Fund- len und erbrachte damit den Nach- leuchtet werden. Häuser sind das Messikommer-Eiche am Weg zwi- stellen und Gutshöfe in Wetzikon, weis eines rund 90 Meter langen Gesicht eines Dorfs und lassen uns schen Robenhausen und Seegräben. Pfäffikon und Seegräben belegen, Mauerfundaments eines römischen an der historischen Entwicklung Nicht ganz ausgeschlossen ist laut dass diese Gegend gut erschlossen Gutshofs. Neben der Kirche zeugen und dem sich verändernden Zeit- Kurt Altorfer, dass sich dort eine war und die Anhöhen um den Pfäffi- zwei weitere Objekte aus einer frü- geist teilhaben. Architektur ist der ­bisher noch unentdeckte jungstein­ kersee dicht besiedelt waren. So ist heren Zeit: die Mühle in Ober-Aathal, Mode unterworfen wie Literatur zeitliche Seeufersiedlung befinden denn auch am Waldrand bei Otten- eine Schenkung vom 6. Mai 1219 an das Kloster Rüti (1628 neu gebaut), des ersten Traktors 1938 mit den und der repräsentative ehemalige Messikommers zusammen, die Lehenshof des Klosters Rüti (1719 ebenfalls nur ein Pferd hatten.» neu erbaut). Auf beide Objekte soll hier nicht ­weiter eingegangen wer- Branntweinbrennerei, den. Den Schwerpunkt soll das 19. Sennhütte, Dorfladen Jahrhundert bilden mit seinen typi- An prominenter Lage mitten in schen Bauten aus dem bäuerlichen Seegräben an der Dorfstrasse 1 steht Dorf und der Industrieachse , der heutige Dorfladen. Die Ge- die beide im Bundes­inventar der schichte dieses Hauses verrät viel schützenswerten Ortsbilder ISOS fi- über das Dorf. Das Gebäude stand gurieren. ­ursprünglich, von überallher gut sichtbar und von Obstbäumen umge- Bauerndorf ben, allein an der Strassengabelung Vom Spätmittelalter an wurde zwischen dem Dorf, der Wagenburg das Siedlungsbild im Zürcher Um- und dem Weiler Ottenhausen. An land von Kleinsiedlungen dominiert, dieser markanten Stelle baute Jakob mit dem Bauernhaus als geläufigster Heusser zwischen 1846 und 1848 Wohnform. Am verbreitetsten war ein zweigeschossiges Wohnhaus mit das Vielzweckbauernhaus, welches einer Branntweinbrennerei. Otto alle Funktionen in einem Gebäude Kunz, Schriftsteller und Journalist, zusammenfasste und sowohl Wohn- äusserte sich in seinem Roman «Bar- als auch Wirtschaftsteil unter einem bara, die Feinweberin» folgender- First vereinte. Neue Wohnhäuser massen zu solchen Schnapsbrenne- entstanden im Dorf Seegräben erst reien: «In vielen Tausenden von etwa ab 1960 am westlichen Sied- kleineren und mittleren Schnaps- lungsrand und an der Strasse nach brennereien wurden neben Trestern, Aathal. Im Kern wurden einige Beeren und Wurzeln noch Kartoffeln, ­Altbauten ersetzt und bäuerliche Getreide und Mais gebrannt. Diese ­Betriebe in Wohnbauten umgewan- Brennereien wurden zu einer wah- delt. Das Vielzweckbauernhaus an ren Landplage. ‹Das Gläschen des der Steinbergstrasse 8 beispiels- Grundriss des römischen Gutsbetriebs. (2013 Archäologie Kanton Zürich, ­armen Mannes› wurde sogar von weise wurde 1848 durch die Brüder Plan Hans-Peter Bachofner, Seegräben) einem Teil der organisierten Arbei- Hans Jakob und Heinrich Messikom- ter energisch verteidigt, während mer ausserhalb des Dorfkerns am mauerwerk erstelltem Stall und Bauernhof aufgewachsen und hat der Grütliverein der Schnapspest Rand von Seegräben erbaut. Das grosser Scheune in Holzkonstruk- ihr ganzes Leben dort verbracht. entschieden den Kampf ansagte. stattliche, giebelständig zur Strasse tion. Der Südseite vorgelagert ist ein Einzig ein halbes­ Jahr war Lörtscher, Selbst einer der grössten und ver- liegende Gebäude präsentiert sich mit einer Sockelmauer eingefasster wie schon ihre Mutter, im Evange­ dientesten schweizerischen Sozial- als typischer Zeuge dieses traditio- ­Garten. Die Küche und die gemein- lischen Töchterinstitut in Horgen in politiker, Nationalrat Dr. Theodor nellen Vielzweckbauernhauses aus schaftliche Stube bildeten den der Haushaltungsschule. Neben den Curti, verteidigte die Kleinbrenne- dem 19. Jahrhundert. Wohn- und ­gesellschaftlichen Mittelpunkt im fünf Kühen, die ihr Vater im Stall ge- reien mit dem Bedürfnis des kleinen Ökonomieräume sind quer zum Hochparterre, die Schlafzimmer habt habe, erzählt sie, habe er auch Mannes (…).» Doch diese Brennerei First unter einem steilen Dach ver- ­befanden sich im Obergeschoss. Die zehn Hektaren Ackerland bewirt- hatte keinen langen Bestand, wurde eint. Charakteristisch ist die Abfolge grossen Fenster im Kellerbereich schaftet. Und weiter: «Wir besassen sie doch bereits 1854 dank ihrer zen- von verputztem, zweigeschossigem deuten auf ehemalige Webkeller von zwar Maschinen, aber nur ein Pferd. tralen Lage zur Milchsammelstelle Wohnhaus mit südseitigen Reihen- Heimarbeitern hin. Wie schon ihre Um aber eine Maschine zu ziehen, umfunktioniert und diente bis zum fenstern in der Stube, hohem Tenn, Mutter und ihre Grossmutter ist brauchte es zwei Pferde. So spann- Bau eines eigenen Milchlokals im dekorativem, in zweifarbigem Sicht- auch Rösli Lörtscher auf diesem ten wir jeweils bis zur Anschaffung Jahr 1881 als Sennhütte. Danach wurde 1889 traufständig zur Uster- strasse, in der Verlängerung des Querfirsts, ein Scheunenanbau ­(Usterstrasse 3) angefügt. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es im Erdgeschoss ein Ladenlokal, das 1963 durch den Volg gegen Süden hin erweitert wurde. Ab 2006 enga- gierte sich der Verein zur Erhaltung eines Dorfladens bis zur Betriebs- übernahme durch die Stiftung Netz- werk, die seit 2010 den Dorfladen als Berufsbildungsbetrieb im Rahmen des Arbeitsintegrationsprojekts für Jugendliche und junge Erwachsene führt. «Viele schätzen den Laden nicht nur als einen Einkaufsort, wo man sich noch kennt, sondern nut- zen ihn auch als Kaffeepause, Zvieri- Stopp und Treffpunkt», sagen die Verantwortlichen des Dorfladens. Fabriksiedlungen im Aatal Die einschneidendste Verände- Vielzweckbauernhaus von Rösli Lörtscher an der Steinbergstrasse 8. (Kulturdetektive 2019) rung erlebte Seegräben im 19. Jahr-

58 hundert, als sich das Bild des bewal- auf den zehn Kilometern zwischen deten, engen Aatals mit seinem dem Pfäffiker- und dem Bachlauf im Talboden zwischen Wet- und dem künstlich angelegten, zikon und Uster zu einer Industrie- ausge­klügelten Kanal- und Weiher- landschaft mit zahlreichen Spinne- system erlangt werden konnte. Das reiensembles wandelte. Das untere Fabrikensemble ging 1901 an den Aatal war bis 1837 zwischen Uster Glarner Textilindustriellen Fritz und dem oberen Aatal praktisch un- Streiff-Mettler (1863–1931) über. begehbar. Erst mit dem Bau der heu- Nachdem die Maschinen 1971 tigen Durchgangsstrasse durch das stillgelegt worden waren, gelang es Tal schaffte man die Voraussetzung Köbi Siber,­ dem Inhaber des Saurier- für das Erstellen der «unteren Fa­ museums Aathal, im Jahr 1992, nach brik» unmittelbar am Ufer des Bachs. verschiedenen Zwischennutzungen Die Verbindung von Uster nach Wet- die Firma Streiff zu überzeugen, ihm zikon führte ursprünglich über das die leer stehenden Fabrikräumlich- Dorf Seegräben. Im Gegensatz zum keiten zu vermieten. Er hatte ge- unteren Aatal war das obere Aatal Ehemalige Brennerei, Sennhütte und heutiger Dorfladen an der Strassen­ rüchteweise erfahren, dass Steven bereits im Mittelalter ein Mühlen- gabelung Dorf, Wagenburg und Ottenhausen. (Kulturdetektive 2019) Spielberg einen Film drehe auf der standort. Dieser hat sich im 19. Jahr- Grundlage von Michael Crichtons hundert zur Industriesiedlung mit 20. Jahrhunderts im Zürcher Ober- spinnerei errichtete, die den Kern Roman «Jurassic Park», einem Werk dem Produktions- und Verwaltungs- land gehören neben den markanten der Neusiedlung vom vorgängig über Dinosaurier. Für Siber war klar: zentrum der grössten Baumwoll- Fabriken auch die entsprechenden ­unbewohnten unteren Talabschnitt «Wenn der Film kommt, muss ich be- spinnerei der Schweiz entwickelt. Arbeiterwohnhäuser, Villen mit bildete. Der imposante, quer im Tal reit sein.» Seine erste Dinosaurier- Im 20. Jahrhundert wurde der Parkanlagen, Ökonomiebauten und stehende Fabrikbau präsentiert sich - Ausbau von drei Generationen ein ausgeklügeltes Kanalsystem mit als fünfgeschossiger, verputzter Bau- chern ein Riesenerfolg und stand für der Textilunternehmerfamilie Streiff Rückhalteweihern und bedeutenden körper mit Walmdach. Charakteris- denausstellung Anfang wurde des mitDinosauriermu 92 000 Besu- (1901–2004) geprägt. Mit der Be- Wasserkraftanlagen sowie bäuer­ tisch sind die Dreieckgiebel mit Pal- seums im Aatal. «Für mich ging ein triebseinstellung, 1971 im unteren liche Bauten, ein Lebensmittelladen ladio-Motiv, die zum Markenzeichen Lebenstraum in Erfüllung, beson- Teil des Aatals und 2004 im oberen und, seit der Verlängerung der Bahn- der Kunz’schen Fabriken wurden. An ders als die Firma Streiff uns anbot, Teil, verlor das Zürcher Oberland die linie von Uster nach Wetzikon im der Westseite befinden sich unter das ehemalige Spinnereigebäude zu letzte Spinnerei. 2010 ist die Spinne- ­November 1857, eine Bahnstation. anderem eine grosse Shedhalle so- kaufen», sagt Siber. 1993 konnte er rei Streiff AG Aathal von der Hiag-Im- wie ehemalige Maschinen- und Kes- das Sauriermuseum Aathal in den mobilien-Gruppe, die sich auf die Spinnerei Unter-Aathal selhäuser mit dem markanten Back- ehemaligen Spinnereiräumlichkei- Entwicklung historischer Industrie- Niemand Geringeres als «Spin- stein-Hochkamin (1887–1890). ten eröffnen. areale spezialisiert hat, übernom- nerkönig» Heinrich Kunz (1793– Der erhielt im Volksmund men worden. Zu diesen bedeutenden 1859) expandierte 1851 als einer den Namen «Millionenbach» auf- Spinnereien im Ober-Aatal Zeugen der Siedlungs-, Industrie- der grössten Spinnereiunternehmer grund der hohen Produktivität, die Noch heute prägen die beiden und Sozialgeschichte des 19. und ­ ins untere Aatal, wo er eine Gross­ dank den 100 Metern Höhendifferenz­ ­ältesten Spinnereien samt ihren

Fabriksiedlung Aathal. (Kulturdetektive 2019)

59 mit einem Spinnsaal mit Klimaan- men, einem Springbrunnen sowie lage. Seit 2010 ist das ganze Fabrik- einem Pavillon mit Eiskeller. Der areal im Besitz der Firma Hiag. Park ist gegen die Strasse hin mit einem für die damalige Zeit typi- Fabrikantenwohnhäuser schen gusseisernen Gartenzaun ab- und -villen mit grossen geschlossen. Seit 1970 präsentiert Pärken - In Unter-Aathal liess Jakob Weg- lien in repräsentativem Rahmen in mann-Homberger 1861 ein Wohn- derdie Firmafrei gewordenen Siber + Siber Streiff-Villa ihre Minera in haus, die «untere Villa», erbauen, Unter-Aathal. das sich in einfachem Wohnhausstil Auch im Ober-Aathal stehen mit Chalet-Stilelementen präsen- Fabrikantenwohnhäuser. Das älteste tierte. Als der Glarner Fabrikant trägt die Inschrift «H. Sch. 1835» Fritz Streiff-Mettler die Spinnereien (Hans Schellenberg) über dem Tür- im Aatal 1901 übernahm, bezog er sturz und liegt oberhalb der ehema- dieses Wohnhaus. 1910 erweiterte ligen Spinnerei Aathal von Hans Ja- er es mit einem modern anmuten- kob Schellenberg an der eher den Erkerausbau von Architekt Jo- bäuerlich geprägten, den Hang hin- hannes Meier (1871–1956) aus Wet- aufführenden Strasse nach Aretshal- zikon und liess die Umgebung zu den. Direkt an der Durchgangs- einem Park umgestalten. Fortan prä- strasse liegt in der Nähe die 1852 Flugaufnahme Unter-Aathal um 1925. Foto Ad. Astra-Aero. (Denkmalpflege sentiert sich das Wohnhaus als Villa erbaute klassizistische Villa mit dem Kanton Zürich, Neg. Nr. HBA 13576) mit einem Vorgarten, in dem eine von ionischen Säulen gestützten klassizistisch gestaltete Gartenlaube Portikus seines Bruders, des Müllers Nebenbauten das obere Aatal. Das bau, die ehemalige Fabrikkantine. aus Holz steht, und einer parkähn­ Hans Rudolf Schellenberg (1792– älteste Spinnereigebäude von 1822, 1940, während des Zweiten Welt- lichen Waldpartie mit grossen Bäu- 1857). Sie wurde später als Betriebs­ die ehemalige viergeschossige Spin- kriegs, stellte Streiff den Betrieb mit nerei Aathal von Hans Jakob Schel- den alten Maschinen in der «Schälle- lenberg (1791–1853), steht wie die bergi» ein, die Wasserkraftanlagen Kunz’sche Fabrik in Unter-Aathal der beiden Spinnereien wurden zu- quer im Tal. Den mächtigen Spinne- sammengelegt, der Weiher wurde reibau auf der anderen Seite der zu­geschüttet und 1942 durch eine Strasse liess Jakob Wegmann-Hom- ­Siphonanlage mit Turbinenhaus er- berger 1861 kurz nach dem Bau der setzt. 1948 wurde die Schellen- Glattalbahn in unmittelbarer Nach- berg’sche Fabrik zu einem damals barschaft zur Eisenbahn erstellen. Er dringend benötigten Mädchen- steht im Gegensatz zur Spinnerei in wohnheim umgebaut, das sich in Unter-Aathal in Längsrichtung. 1874 den 1970er und 1980er Jahren dann verkaufte Wegmann diese Fabrik an zu einem Künstler- und Filmhaus die Firma Heinrich Kunz, und 1901 wandelte. Gleichzeitig liess man die gingen alle Bauten an den Textil- grosse Spinnerei entlang der Strasse industriellen Fritz Streiff-Mettler. modernisieren; 1917 durch einen 1902 erhielt die Schellen- zweigeschossigen Shedhallen-An- berg’sche Fabrik zur Strasse hin bau auf der Südostseite und 1962 einen eingeschossigen Flachdach- durch den Anbau eines Grosstrakts «Untere Villa». (Kulturdetektive 2019)

leiterhaus genutzt. Richtung Wetzi- kon steht die 1862 für Hans Jakob Schellenbergs Sohn Johann Jakob Schellenberg (1830–1893) erbaute Villa mit Walmdach, der 1948 süd- östlich angebauten Terrasse und einem repräsentativen Park mit einem hölzernen Badehaus am ehe- maligen Weiher. Diese «obere Villa» wird seit 1924 von der Familie von Fritz Streiff bewohnt. Bis in die 1940er Jahre gab es angrenzend an den grossen Garten noch einen Fa­ brikweiher, der zur alten Spinnerei Schellenberg gehörte. Arbeiterwohnhäuser Mit dem zunehmenden Ausbau der Fabriken seit der Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte man auch immer mehr Arbeitskräfte. Diese ­kamen aus wenig industrialisierten Gegenden ins Aatal und mussten dort auch untergebracht werden. Die Arbeiterwohnhäuser, die sogenann- ten Kosthäuser, die in Unter-Aathal «Obere Villa». (Kulturdetektive 2019) gebaut wurden, werden gerne «S chli

60 Aargau» genannt nach den vielen Die heutige Bahnhofsituation ist Arbeiterfamilien aus dem Aargau, in drei Etappen zwischen 1863, die nach der Übernahme der Indus­ 1883 und 1989/1992 entstanden triebetriebe durch die Firma Hein- und ist neben der Lokremise in Uster­ rich Kunz (Erben) 1873 ins Aatal ge- ein wichtiger bahngeschichtlicher­ kommen waren. Die eindrücklichsten Zeuge im Zürcher Oberland. Ein- Zeugen stehen in einer Abfolge von drückliche technikgeschichtliche fünf Arbeitermehrfamilienhäusern Spuren aus dem 19. Jahrhundert, wie mit einem Waschhaus entlang der die beiden Stellwerkausstattungen Strasse, schräg gegenüber der Fa­ von 1912 und den 1950er/1960er brik. In einer solchen Unterkunft Jahren und die frühe Sicherungsan- durfte nur wohnen, wer auch in der lage (1912) mit zwei Einzelschläger- Fabrik arbeitete. Der Verlust der Läutwerken mit Einzel- und Doppel- Arbeit war also gleichbedeutend mit Kosthäuser Unter-Aathal. (Kulturdetektive 2019) tönen, stehen neben dem in den dem Verlust der Wohnung. 1990er Jahren um 80 Meter talab- Der heute 98-jährige Charli Wa- sum in Aathal. Dann bekamen wir Kosthäusern. Die heutige Besitzerin wärts verschobenen alten Stations- ser mag sich gut an die Zeit erinnern, Brot und Butter.» des Aathaler Industrieareals, die Hiag gebäude mit Güterschuppen aus der als er mit seinen Eltern, die in der Waser weiss auch noch, dass sie AG, trägt dieser Tatsache Rechnung, Eisenbahnpionierzeit der Glattal- Fabrik angestellt waren, im Kost- zwei unterschiedliche Kindergrup- wie Daniel Haldimann ausführt: «Die bahn und der Industrialisierung im haus in Unter-Aathal gewohnt hat. pen gewesen waren aus den Kost- Kosthäuser wurden keiner Total­ Aatal. Aus dem 20. Jahrhundert «In den Kosthäusern gab es viele häusern. Mit den Kindern aus den sanierung unterzogen, damit die vie- stammen die moderne Haltestelle sehr einfache Wohnungen. Wir hat- Kosthäusern im Aatal habe man we- len Bewohner, die damals noch in der und der 265 Meter lange Eisenbahn- ten zwar Toiletten, jedoch noch niger gespielt. «Wir hatten auch Fabrik gearbeitet haben, weiterhin tunnel der SBB. keine Wasserspülung. Damals muss- nicht den gleichen Schulweg, denn dort wohnen können. Generell sind es Der Niveauübergang zwischen ten wir einen Eimer Wasser holen aus Unter-Aathal gingen wir die 144 Leute mit bescheidenem Budget, ein Aathal und dem Dorfteil Sack konnte und das Wasser von Hand runterlee- Tritte – ich habe sie 100-mal gezählt guter Mix aus Jung und Alt und vielen aufgehoben und durch eine neue ren», sagt Waser und führt aus: «Zu – hinter der ‹unteren Villa› der Gross­ Nationalitäten.» Strassenüberführung mit Trottoir jeder Kosthauswohnung gehörte ein über die verlegten Gleise ersetzt Garten, in dem man Kartoffeln, Boh- durch den Wald hinauf zur Schule. Bahnhof Aathal werden. Die Gleisanlagen des alten nen und Karotten angepflanzt hat. Dieeltern Aathaler Streiff, dagegen heute nahmen Siber + Siber, den Mit der Verlängerung der - Bahnhofs trugen die SBB 1990 bis Wir assen damals viel Rösti und ein Weg durch die Chäle.» talbahn von Uster nach Wetzikon er- auf das Gleis 1 und ein Stumpengleis wenig Fleisch mit Sauce, und manch- Auch nach der Stilllegung der Fa­ hielt das industrialisierte Aatal eine zum ehemaligen Streiff’schen Lager- mal kaufte meine Mutter ein Kilo briken im Aatal blieben viele ehema- Güterstation und damit einen enor- haus ab. Somit konnten die acht Wei- Brot und ein wenig Butter im Kon- lige Arbeiterfamilien in den günstigen men Standortvorteil. chen auf eine reduziert werden. Das

Weitere Wohnhäuser im Aatal

Von Müller Hans Rudolf Schellenberg 1852 erbautes Wohnhaus mit 1880 durch die Firma Heinrich Kunz erbautes freistehendes Wohnhaus, Säulen­portikus an der Zürichstrasse 24. (Kulturdetektive 2019) späterer Konsum, an der Zürichstrasse 27. (Kulturdetektive 2019)

1858 von Arnold Schellenberg (1824–1893) erbautes Mühlegebäude mit 1880 durch die Firma Heinrich Kunz in den Hang gebautes Wohnhaus einem Wasserrad an der Zürichstrasse 25. (Kulturdetektive 2019) an der Zürichstrasse 34. (Kulturdetektive 2019)

61 alte Trassee zwischen dem ehemali- Waldschulhaus. Wir freuten uns im- gen, noch weitgehend erhaltenen mer sehr, doch leider passierte das Bahnhof und der Einmündung in die viel zu selten. Meistens sassen wir, neue Strecke Aathal–Uster entfernte bis zu 40 Kinder, im kleinen, sticki- man vollständig. Der alte Bahnhof ist gen Klassenzimmer im unteren oder privat umgenutzt und nicht mehr im im oberen Dorfschulhaus.» Besitz der SBB. Badehäuschen Lebensreformarchitektur Ebenfalls der neuen Körperkultur Die um 1900 aufgekommene Le- (Licht, Luft, Sonne) zuzuschreiben – bensreformbewegung, die den Fo- neben dem Entdecken des Pfäffiker- kus auf Luft, Licht und Sonne legte, sees als Erholungsgebiet und des hat auch in Seegräben nachhaltige Badens in der freien Natur – ist das Spuren hinterlassen. Damals ver- 1916/1921 direkt am Pfäffikersee suchten die unterschiedlichsten gebaute Badehäuschen. ­Reformansätze Antworten auf die Nach der Jahrhundertwende zum drängende Frage nach einem besse- 20. Jahrhundert entstanden mit dem Erste Turnhalle und ehemalige Gasfabrik in Unter-Aathal. ren und gesünderen Leben zu geben. Aufkommen einer neuen Körperkul- (Kulturdetektive 2019) Man wollte den negativen Folgen der tur, die den gesundheitsfördernden Industrialisierung und der Verstäd- Einfluss von Luft und Sonne für Kör- bad am Zürichberg mit getrennten gung, die sich im Lauf der Industria- terung entgegenwirken, wozu neben per und Seele in den Vordergrund Abteilungen für Frauen und Männer lisierung entwickelte. So entstand gesunder Ernährung (Bircher-Ben- stellte, die ersten Luft- und Sonnen- baute. Zur sportlichen Ertüchtigung 1926 ein erstes Brutreservat, und ners Birchermüesli) sowie Sonnen- bäder. In der Stadt Zürich zum Bei- gab es Turngeräte. Diese Idee prägte 1929 wurde der Pfäffikersee zu und Luftbädern auch Turn- und spiel wurde 1901 der Verein für die Entwicklung der gesamten Bade- einem Schongebiet erklärt. Die zu- Schulunterricht an der frischen Luft Volksgesundheit gegründet, der kultur. Das Hygienebad des 19. Jahr- nehmenden Freizeit- und Erho- gehörten. 1909 ein erstes Luft- und Sonnen- hunderts wandelte sich Anfang des lungsbedürfnisse liessen ihn ein- 20. Jahrhunderts zum Wasser-, Luft- schliesslich Seegräben zu einer und Sonnenbad. Ein erstes Bad am wichtigen Erholungslandschaft im Wasser entstand 1909 im Unteren Kanton Zürich werden. Letten. Zum ersten Mal wurde dort Ein paar junge Männer aus dem die Topografie der Umgebung mit in Umkreis der Spinnerei Aathal mach- die Anlage einbezogen. ten sich 1896 auf die Suche nach In Seegräben wurde 1916 ein sol- einem Turnplatz. Die meisten von ches Wasser-, Luft- und Sonnenbad ihnen arbeiteten in der Fabrik oder am Ufer des Pfäffikersees erstellt. lebten zumindest in der Arbeiter- Architekt war wiederum Johannes siedlung. Ihnen wurde ein Platz zur Meier aus Wetzikon. 1933 kam eine Verfügung gestellt. Im Winter Liegewiese oberhalb der Badanstalt musste das Turnen jedoch einge- dazu. Zwischen 1934 und 1971 gab stellt werden, weshalb der Wunsch es, etwas nördlich gelegen, ein nach einem gedeckten Turnlokal ­separates Frauenbad. Man begann aufkam. Da eine entsprechende An- damals den Wert dieses Erholungs- frage an den Gemeinderat Seegrä- gebiets zu erkennen. Das Natur- ben 1899 keine Wirkung zeigte, Bei der Industriesiedlung Aathal bauten die Vereinigten Schweizerbahnen schutzgebiet am Pfäffikersee ist ein stellte Fabrikant Fritz Streiff-Mettler (VSB) 1857/1859 den Bahnhof Aathal. (Kulturdetektive 2019) Zeuge der frühen Naturschutzbewe- 1902 einen «Turnschopf» zur Verfü-

Die Architektur erwies sich dabei als ein wesentlicher Teil der konkre- ten Reformkultur. In Seegräben zeu- gen davon das Waldschulhaus, das Badehäuschen am Ufer des Pfäffi- kersees und die zur ersten Turnhalle im Aatal umgenutzte Gasfabrik. Waldschulhaus Als luftige Sommerschule im Wald wurde 1916 das Waldschul- haus auf Initiative von Fritz Streiff- Mettler erstellt. Architekt war Jo- hannes Meier aus Wetzikon. Sicher haben der Kuraufenthalt von Fritz Streiffs Frau, Rösli Streiff- Mettler, in Davos den Glauben an die Heilkraft der frischen Luft und die Angst vor Tuberkulose, deren Anste- ckung in den kleinen, stickigen Klas- senzimmern begünstigt wurde, dazu beigetragen, auch in Seegräben ein Waldschulhaus zu bauen, wie es sie an vielen Orten bereits gab. Rösli Lörtscher erinnert sich noch gut: «An heissen Schultagen im Sommer Das Waldschulhaus bildet einen wohlproportionierten, eingeschossigen Blockbau mit grosser, seitlich offener Halle verbrachten wir die Schulzeit im in Ständerbauweise. (Privatarchiv Johannes Meier)

62 Schützenhaus Grossweid, Sack, 1920 erbaut von Architekt Johannes Meier. (Kulturdetektive 2019) gung, und ab 1916 konnte das ehe- Auf der Suche nach einem eigenen malige Gaswerk der Firma Streiff als Haus kamen 1974 viele junge Fami- Turnhalle benutzt werden. Es han- lien als Neuzuzüger nach See­ delte sich dabei um einen einfachen gräben. Ein Zeitungsinserat warb Plankopf Viking-Hus, das echte Schwedenhaus von Hjältevad, 15. Juni Giebelhallenbau mit Rundbogentü- damals für Schwedenhäuser: Vi- 1973. (Bauamt Seegräben) ren, dessen Gasanlage 1912 ausge- king-Hus, das echte Schwedenhaus baut und dessen Hochkamin ent- von Hjältevad im Sack in Seegräben. Im Sack plante sie eine Überbauung Rolltreppe vom Sack an den Bahn- fernt wurde. Das Quartier Grossweid im Dorfteil mit 38 Häusern. Nicht die Farbe hof für ältere Leute, einer Hänge- Sack wurde auf dem Reissbrett ge- sollte an Schweden erinnern, son- brücke, um den Weg vom Sack ins Sack – ein Quartier zeichnet. Die schwedische Firma dern die Elementbauweise in Holz. Dorf, in die Schule, an den See zu entsteht auf dem Reissbrett Hjältevad vermarktete damals über «Wir sahen im Kern des Rohbaus verkürzen, selbstverständlich mit Einer grossen Veränderung die in Zürich-Leutschenbach ansäs- eine zusammengenagelte Holzba­ einem Lift zum Bahnhof hinunter, stellte sich Seegräben mit der Über- sige Firma Viking-Hus «Schweden- racke, deren Wände mit Gipsplatten wo auch eine gute Einkaufsmöglich- bauung in der Grossweid im Sack. häuser» unterschiedlicher Bauart. oder Holztäfer und aussen mit keit besteht. einem Mauerwerk verkleidet wur- den», erzählen Heinz und Carmen Salzmann. Die fertigen Bauele- Die Autorin mente wurden per Bahn bezie- Claudia Fischer-Karrer, Historike- hungsweise Trailer angeliefert und rin/Kunsthistorikerin und Inha- vor Ort zusammengesetzt. «1974 berin der Firma Kulturdetektive zogen wir beim Sackweiher auf der in Wetzikon, hat schon zahlreiche anderen Talseite des Dorfs als Neu- «Heimatspiegel» verfasst. linge in das Neubau-Einfamilien- hausquartier Grossweid ein», sagen Literatur die Salzmanns. Noch heute kann bei – Bauakten, kantonale Denkmal- der Firma Hjältevadshus ein Bau­ pflege, ISOS Seegräben und katalog mit verschiedenen Haus- Aathal modellen bestellt werden. Die – Kommunales Schutzinventar, Firma wirbt auch heute noch auf Interviews mit Personen aus ihrer Website damit, dass ihre Häu- Seegräben (2018/2019). ser aus dem Katalog trotzdem keine – Peter Niederhäuser, Kelten, Dutzendware seien. Die Firma ver- Kürbisse und Klosterdorf. spricht: «Unsere einzigartige (Ele- 800 Jahre Seegräben, ment-)Baumethode garantiert hohe Zürich 2019. Qualität und ein Topresultat. Wir – Claudia Fischer-Karrer, Bäder­ bauen alle unsere Häuser zum inventar Stadt Zürich, 2001. grössten Teil im Innern einer Fabrik – Claudia Fischer-Karrer, Der in einer trockenen und sicheren Zürichberg als Kurort, in: Heimat- Umgebung und liefern alle Ele- stil, Bd. 2, Frauenfeld 2005. mente pünktlich auf die Baustelle.» – Horisberger, Hediger, Hoek, Kein lebendiges Dorf Büsser, Römisches Landleben ohne Visionen im Zürcher Oberland, Frauenfeld 2007. Vorstellungen, Träume und – Otto Kunz, Barbara, die Wünsche, wie Seegräben in 50 Jah- Feinweberin, Luzern, 1943, ren aussehen könnte, gibt es so S. 134–135, 340. viele wie Einwohner. Sie reichen – Edwin Messikommer, Geschichte vom Wunsch, keine Veränderungen der Gemeinde Seegräben, Zürich zuzulassen und das bäuerliche Dorf 1973. zu bewahren, bis hin zu Ideen vom Bau eines Hochhauses mit Seesicht – David Streiff, Das Mädchenheim im Aathal, 2018. im Aatal, von einer Seilbahn vom Bahnhof ins Dorf und ins Naherho- – Zürcher Denkmalpflege 15. Be- Katasterplan 15. Juni 1973: Überbauung Sack. (Bauamt Seegräben) lungsgebiet am Pfäffikersee, einer richt 2004; 22. Bericht 2019.

63 Zum Gedenken

Jakob Isler-Baumgartner Emil Ochsner Verena Kunz-Keller Carlo Cattaneo Nelly Bühler Ueli Roth Gärtnermeister, Russikon Dipl. Ingenieur, Wetzikon Lehrerin/Hausfrau, Rüti Feinmechaniker, Uster Wetzikon Transportuntern., Dürnten 27.4.1927 bis 5.3.2019 30.8.1946 bis 1.4.2019 21.5.1933 bis 12.4.2019 27.2.1940 bis 16.4.2019 31.3.1927 bis 21.4.2019 16.5.1952 bis 25.4.2019

Elisabeth Spörri-Aebischer Rosa Glaus-Rüegg Artimo Baumgartner Hedy Bertschinger-Schweizer Hans Jung Margrit Bucherer Bäuerin, Fischenthal Effretikon Sanitärinstallateur, Hinwil Verkäuferin, Uster Bäcker, Rüti Rüti 2.6.1939 bis 1.5.2019 12.2.1927 bis 6.5.2019 17.10.1939 bis 11.5.2019 26.4.1937 bis 16.5.2019 26.5.1955 bis 18.5.2019 3.1.1928 bis 19.5.2019

Elsbeth Wörner-Hess Peter Pfister Margrith Ebnöther-Rusch Heinrich Landolt Hanni Rogger-Spörri Walter Linggi Textilkauffrau, Rüti Chauffeur, Uster Hausfrau, Wald Konditor, Rüti Handarbeitslehr., Adetswil Elektroingen./Nuk.-Physiker 14.1.1925 bis 19.5.2019 13.7.1936 bis 21.5.2019 14.4.1932 bis 22.5.2019 13.3.1927 bis 23.5.2019 30.5.1937 bis 24.5.2019 30.7.1933 bis 27.5.2019

Josef Lauber-Imlig Alfred Egli Maria Cookman-Heusser Hans Frei Kurt Messikommer Annerös Schmidt-Scherrer Posthalter, Wetzikon Reallehrer, Weisslingen KV-Angestellte/Missionarin Mechaniker, Uster VZO-Buschauffeur, Hinwil Kaufm. Angestellte, Ringwil 28.10.1926 bis 28.5.2019 4.2.1947 bis 29.5.2019 29.5.1927 bis 31.5.2019 21.8.1925 bis 31.5.2019 31.3.1929 bis 1.6.2019 9.3.1949 bis 1.6.2019

Alfred Max Kündig Hans Egli Walter Gottlieb Hauser Karl Bühler Armin Marquart Edith Jansen Décolleteur, Uster Maler, Fehraltorf Polizist, Gossau Mechaniker, Tann Unternehmer, Tann Damenschneiderin, Bubikon 26.3.1938 bis 2.6.2019 7.1.1948 bis 3.6.2019 23.9.1943 bis 3.6.2019 11.6.1941 bis 4.6.2019 4.12.1940 bis 6.6.2019 28.2.1936 bis 7.6.2019

Elfi Brechbühl Johannes Wolf Lydia Eichmann Trudy Diem-Riedo Albert Frick Waltraud Itschner Hausfrau, Mesikon Landwirt, Allmen Sekretärin, Bubikon Uster Textildrucker, Wetzikon Uster 30.1.1930 bis 8.6.2019 9.1.1926 bis 9.6.2019 31.5.1953 bis 10.6.2019 10.7.1941 bis 11.6.2019 11.4.1953 bis 11.6.2019 21.7.1934 bis 11.6.2019