Plenarprotokoll 14/123

Deutscher

Stenographischer Bericht

123. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung ...... 11783 A Aussage des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt Pleuger hinsichtlich einer Eingliederung des BMZ in das Auswärtige Amt Tagesordnungspunkt 1: MdlAnfr 4 Befragung der Bundesregierung: Aktuali- Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU sierung des deutschen Stabilitätspro- gramms ...... 11783 A Antw StMin Dr. Ludger Volmer AA ...... 11790 A , Bundesminister BMF ...... 11783 B ZusFr Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU 11790 A CDU/CSU ...... 11784 B ZusFr Jürgen Koppelin F.D.P...... 11790 D Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... 11784 C Zugang zur gesetzlichen Rentenversicherung Jürgen Koppelin F.D.P...... 11786 A für Tagesmütter Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... 11786 B MdlAnfr 6, 7 Rainer Brüderle F.D.P...... 11787 A Ina Lenke F.D.P. Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... 11787 B Antw StSekr Peter Haupt BMFSFJ ...... 11791 A, C Hans Michelbach CDU/CSU ...... 11788 A ZusFr Ina Lenke F.D.P...... 11791 B, C Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... 11788 B Aufnahme von Transporten abgebrannter CDU/CSU ...... 11788 D Brennelemente Hans Eichel, Bundesminister BMF ...... 11788 D MdlAnfr 8, 9 Dr. Paul Laufs CDU/CSU

Tagesordnungspunkt 2: Antw PStSekr’in GilaAltmann BMU 11792 C, 11793 A Fragestunde ZusFr Dr. Paul Laufs CDU/CSU . . . 11792 D, 11793 B (Drucksache 14/4206) ...... 11788 D ZusFr Eckart von Klaeden CDU/CSU ...... 11793 C

Eventuelle Eingliederung des BMZ in das Aus- Nichteinladung Österreichs zu den Einheitsfei- wärtige Amt erlichkeiten am 3. Oktober 2000 MdlAnfr 1 MdlAnfr 12, 13 Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) Dr. Klaus Rose CDU/CSU Antw StSekr Erich Stather BMZ ...... 11789 A Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper ZusFr Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU 11789 A BMI ...... 11793 D, 11794 C ZusFr Jürgen Koppelin F.D.P...... 11789 D ZusFr Dr. Klaus Rose CDU/CSU ...... 11794 A, D II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

ZusFr MdlAnfr 23 CDU/CSU ...... 11794 B, 11795 A CDU/CSU Antw PStSekr Siegfried Scheffler BMVBW 11803 D Nichteinladung Österreichs zu den Feierlich- keiten anlässlich der deutschen Einheit; Fort- ZusFr Renate Blank CDU/CSU ...... 11804 B setzung der Sanktionspolitik Aufstellung eines neuen Bundesverkehrswege- MdlAnfr 14, 15 plans; Neuerarbeitung der Unterlagen für die Max Straubinger CDU/CSU Einstufung als „vordringlich“ und „Neubau“, Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper zum Beispiel bei der Ortsumgehung Roten- BMI ...... 11795 B, 11796 C burg/Lispenhausen im Zuge der B 83 ZusFr Max Straubinger MdlAnfr 24, 25 CDU/CSU ...... 11795 C, 11796 C CDU/CSU ZusFr Eckart von Klaeden CDU/CSU ...... 11796 A Antw PStSekr Siegfried Scheffler BMVBW ...... 11804 D, 11805 C ZusFr Dr. Klaus Rose CDU/CSU ...... 11796 A, 11797 A ZusFr Helmut Heiderich CDU/CSU . . 11805 A, D

ZusFr Albert Deß Anbindung von ländlichen Regionen an das CDU/CSU ...... 11796 B, 11797 B Fernverkehrsnetz der Deutschen Bahn AG MdlAnfr 26 Finanzierung des Weiterbaus der A 6 zwischen Dr. Gerd Müller CDU/CSU Amberg und Waidhaus, insbesondere mit ei- nem Darlehen der Europäischen Investitions- Antw PStSekr Siegfried Scheffler BMVBW 11806 B bank ZusFr Dr. Gerd Müller CDU/CSU ...... 11806 C MdlAnfr 16, 17 ZusFr Heinz Wiese (Ehingen) CDU/CSU . . . 11807 A Klaus Hofbauer CDU/CSU ZusFr Hartmut Schauerte CDU/CSU ...... 11807 C Antw PStSekr BMF ...... 11797 C, 11800 C ZusFr Klaus Hofbauer CDU/CSU ...... 11797 D Zusatztagesordnungspunkt 1: ZusFr Renate Blank Aktuelle Stunde betr.Unterschiedliche CDU/CSU ...... 11798 C, 11800 C Vorschläge aus der Koalition, die Beiträ- ge zur Arbeitslosenversicherung kurz- ZusFr Reinhold Strobl SPD ...... 11798 D fristig abzusenken ...... 11808 A ZusFr Georg Girisch Hans-Joachim Fuchtel CDU/CSU ...... 11808 A CDU/CSU ...... 11799 A, 11801 B , Parl. Staatssekretär BMA . . . . . 11809 A ZusFr Max Straubinger CDU/CSU ...... 11799 C, 11801 C F.D.P...... 11811 B ZusFr PStSekr Siegfried Scheffler Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/ BMVBW ...... 11799 D, 11801 D DIE GRÜNEN ...... 11812 D ZusFr Albert Deß CDU/CSU ...... 11800 A Dr. Klaus Grehn PDS ...... 11813 D Renate Jäger SPD ...... 11814 D Finanzierungsvorschlag des Vizepräsidenten Heinz Schemken CDU/CSU ...... 11815 D der Europäischen Investitionsbank (EIB), Wolfgang Roth, für das fehlende Teilstück der SPD ...... 11816 D A 6 zur tschechischen Grenze CDU/CSU ...... 11817 C MdlAnfr 18 Walter Hoffmann (Darmstadt) SPD ...... 11818 C Renate Blank CDU/CSU Andreas Storm CDU/CSU ...... 11819 D Antw PStSekr Karl Diller BMF ...... 11802 A Renate Rennebach SPD ...... 11821 A ZusFr Renate Blank CDU/CSU ...... 11802 B Dr. Bernd Protzner CDU/CSU: ...... 11821 D ZusFr PStSekr Siegfried Scheffler BMVBW 11802 C ZusFr Georg Girisch CDU/CSU ...... 11803 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Zeitpunkt der Fertigstellung des fehlenden Teil- Vereinbarte Debatte zur Situation in Ju- stücks der A 6 zur tschechischen Grenze goslawien ...... 11822 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 III

Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 11822 D MdlAnfr 10, 11 Jürgen Koppelin F.D.P. Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU ...... 11824 C SPD ...... 11826 C Antw PStSekr Fritz Rudolf Körper BMI . . . . 11835 D Peter Weiß (Emmendingen) CDU/CSU . . . 11827 D Anlage 4 Dr. F.D.P...... 11828 C Zunahme der Zahl von Förderprojekten nach Wolfgang Gehrcke PDS ...... 11830 A § 96 Bundesvertriebenengesetz; Projekte im Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/ Jahr 2000 DIE GRÜNEN ...... 11831 A MdlAnfr 2, 3 CDU/CSU ...... 11831 D Hartmut Koschyk CDU/CSU Dr. SPD ...... 11833 A Antw StMin Dr. Michael Naumann BK . . . . . 11836 B

Nächste Sitzung ...... 11834 D Anlage 5 Ungleichbehandlung von Soldaten gegenüber Anlage 1 Beamten bei Verwundung in einem Krisenre- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11835 A aktionseinsatz in der nachdienstlichen Versor- gung; Veränderungen bei den Einberufungskri- terien für Wehrpflichtige Anlage 2 MdlAnfr 19, 20 Eventuelle Verschärfung der §§ 86, 86 a Straf- Günther Friedrich Nolting F.D.P. gesetzbuch (Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungs- Antw PStSekr BMVg ...... 11836 D widriger Organisationen) MdlAnfr 5 Anlage 6 CDU/CSU Änderung von § 25 Abs. 3 Soldatengesetz im Antw PStSekr Dr. Eckhart Pick BMJ ...... 11835 C Hinblick auf Interessenkonflikte bei der Wahr- nehmung kommunaler Ämter durch Soldaten Anlage 3 MdlAnfr 21, 22 Dr. Heinrich L. Kolb F.D.P. Nichteinladung Österreichs zum zehnten Jah- restag der deutschen Einheit Antw PStSekr Walter Kolbow BMVg ...... 11837 B

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11783

(A) (C)

123. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Beginn: 13.00 Uhr

Vizepräsident Dr. :Die Sit- schafts- und Finanzpolitik betreiben. Es wird also regel- zung ist eröffnet. mäßig überprüft, ob die aktuelle Haushaltsentwicklung in den einzelnen Mitgliedstaaten im Einklang mit den Zielen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die der Programme steht. heutige Tagesordnung um eine vereinbarte Debatte zur Situation in Jugoslawien erweitert werden. Vorgesehen Deutschland hat sein erstes Stabilitätsprogramm An- ist, den Zusatzpunkt um 16 Uhr aufzurufen. Sind Sie da- fang Januar 1999 vorgelegt. Die Aktualisierung des Pro- mit einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann gramms vom Dezember 1999 hat gezeigt, dass die ur- werden wir so verfahren. sprünglich im Programm ausgewiesenen Ziele vorsichtig und realistisch gesetzt wurden. Im Januar dieses Jahres Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: haben wir eine Ergänzung des aktualisierten Stabilitäts- Befragung der Bundesregierung programms vorgelegt, die die Auswirkungen der Steuer- reform 2000 berücksichtigt. Der jetzt vorgelegte Entwurf (B) Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- für eine Aktualisierung des deutschen Stabilitätspro-(D) binettssitzung mitgeteilt: Aktualisierung des deutschen gramms belegt, dass die Politik der Bundesregierung den Stabilitätsprogramms. Das Wort für den einleitenden Anforderungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes voll fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister der Finan- und ganz Rechnung trägt. zen, Hans Eichel. Herr Eichel, bitte schön. Sowohl im Jahr 2000 als auch im Jahr 2001 bewegt sich das Staatsdefizit auf der im aktualisierten Stabilitäts- Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Prä- programm vom Januar dieses Jahres vorgegebenen Linie. sident! Meine Damen und Herren! Das Bundeskabinett Für das Jahr 2000 erwarten wir für den Staat in der hat heute die von mir vorgelegte Aktualisierung des deut- Abgrenzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, schen Stabilitätsprogramms beschlossen. Im Sommeralso unter Einschluss der Gebietskörperschaften und So- 1997 haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zialversicherungen, ein Defizit von 1 Prozent des Brut- ihr klares Bekenntnis zu dauerhafter finanzpolitischertoinlandsprodukts. Damit erreichen wir das für Deutsch- Stabilität mit der Verabschiedung des Stabilitäts- undland ursprünglich erst für das Jahr 2002 festgelegte Wachstumspaktes unterstrichen. Die Umsetzung der Be- mittelfristige Stabilitätsziel. 2001 allerdings werden wir stimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes wird wegen der Steuerreform einen auf ein Jahr begrenzten An- in den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen der Mit- stieg des Staatsdefizites auf 1,5 Prozent haben. Im Jahr gliedstaaten dokumentiert. Diese Programme sind jähr- 2002 wird das Staatsdefizit wieder 1 Prozent betragen. Im lich zu aktualisieren. Jahr 2004, dem Endjahr der Projektion, wird das Defizit ganz verschwunden sein. Damit werden wir dem Anlie- Auf der Basis einer Bewertung durch die Europäische gen gerecht, einen zusätzlichen Sicherheitsabstand zum Kommission prüfen der Wirtschafts- und Finanzaus- mittelfristigen Stabilitätsziel zu schaffen. Erstmals gibt es schuss der Europäischen Union und danach der Ecofin- dann beim Staat insgesamt – ich betone das – keine neuen Rat, ob die Programme den Vorschriften des Stabilitäts- Schulden. und Wachstumspaktes entsprechen. Im Rahmen eines kontinuierlichen finanzpolitischen Überwachungsprozes- Der Bundeshaushalt ist, wie Sie wissen, im Jahr 2004 ses auf der Ebene der Europäischen Union werden wir noch mit einer Nettoneuverschuldung von 20 Milliar- künftig sehr viel intensiver auch hier im Deutschen Bun- den DM projektiert. Zu diesem Zeitpunkt können bereits destag darüber zu beraten haben, weil damit die Rahmen- die Gesamtheit von Ländern und Kommunen sowie im daten für unsere wirtschafts- und finanzpolitischen Ent- Übrigen auch die Sozialversicherungssysteme mit Über- scheidungen gesetzt werden. Mit der Verantwortung für schüssen rechnen, während der Bundeshaushalt noch die gemeinsame Währung müssen wir gemeinsam Wirt- nicht in dieser Situation sein wird. 11784 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Bundesminister Hans Eichel (A) Ich weise auf diese Tatsache hin, weil in der letzten Zeit schafts- und Währungsunion in Verbindung mit unserer (C) immer wieder diskutiert wird, was die Länder leisten kön- Währung, dem Euro, letzten Endes negativ beurteilen? nen und was der Bund leisten kann. Die Länder als Ge- samtheit sind in ihrem Stabilitätsbemühen weiter. 2006 Bundesminister der Finanzen: Herr Kol- wird auch der Bundeshaushalt ausgeglichen sein. Hans Eichel, lege Michelbach, dies war jetzt nicht Gegenstand des Sta- Bei der Rückführung der Schuldenstandsquote werden bilitätsprogramms; darauf weise ich zunächst hin. wir durch die Verwendung der Erlöse aus der Versteige- Des Weiteren befinden wir uns in einem vertrags- rung der UMTS-Lizenzen zur Schuldentilgung auf jeden gemäßen Stadium, das heißt, die Verträge von Maastricht Fall besser abschneiden, als in der letzten Aktualisierung unterstellt. Erstmals seit der Einrichtung der Euro-Zone und Amsterdam geben zurzeit keine Handhabe für weiter werden wir ab dem Jahr 2001 – damit ein Jahr früher als gehende Harmonisierung – obwohl ich Ihnen zustimme: geplant – den Maastricht-Referenzwert von 60 Prozent Ich wünsche sie mir ganz ausdrücklich. des Bruttoinlandsprodukts deutlich unterschreiten. Für Das Ganze geht übrigens in verschiedene Richtungen. den Schuldenstand 2004 erreichen wir einen Wert von Sie haben gesagt, bei uns seien bestimmte Verbrauchsteu- 54,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. ern höher. Das ist nur zum Teil richtig. Einige Steuern sind Die deutsche Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik auch wesentlich niedriger; die Mehrwertsteuer bei uns ist steht mit ihrer Ausrichtung auf günstige gesamtwirt-mit am niedrigsten in ganz Europa. Was die Besteuerung schaftliche Rahmenbedingungen einerseits und nachhal- des Benzins betrifft, gibt es eine Reihe von Ländern, die tige Strukturreformen andererseits voll im Einklang mit eine höhere Belastung haben, als Deutschland sie hat, wie den europäischen Grundzügen der Wirtschaftspolitik – Sie wissen. Das ist übrigens auch Ausdruck von Wettbe- dies alles unter den, denke ich, als realistisch anzusehen- werb, und zwar im Rahmen der geltenden Verträge in Eu- den Annahmen, die wir dieser Projektion zugrunde gelegt ropa. haben; das ist immer die Voraussetzung. Man muss sich auch einmal entscheiden, Herr Kollege Die heute im Kabinett beschlossene Aktualisierung des Michelbach: Will man in Europa jetzt alles angleichen Stabilitätsprogramms wird damit sowohl den europä-oder will man Wettbewerb? Ich habe gerade Ihre Fraktion ischen als auch den nationalen finanzpolitischen Erfor- so verstanden, als ob sie europäischen Wettbewerb wolle. dernissen gerecht. So weit mein Bericht über die heute Wenn man europäischen Wettbewerb will, muss man auch beschlossene Aktualisierung des deutschen Stabilitätspro- akzeptieren, dass es unterschiedliche Steuersätze gibt; gramms. man muss dann nur dafür sorgen, dass es keinen unfairen Steuerwettbewerb gibt. (B) (D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Vielen An dieser Stelle sage ich: Wir haben in den Verträgen Dank, Herr Bundesminister. noch keine hinreichende Handhabe. Es gibt einen unfai- ren Steuerwettbewerb. Wir sind in diesem Detail auch Wir kommen zu den Fragen. Ich bitte, zunächst Fragen schon vorangekommen. Der Code of Conduct ist inzwi- zu dem angesprochenen Themenbereich zu stellen. Als schen beschlossen und es geht jetzt sozusagen um das Erster hat sich Kollege Michelbach gemeldet. Bitte schön, Rückabwickeln von unfairen Steuerpraktiken bei den in- Herr Michelbach. direkten Steuern. Bei den direkten Steuern – auch dort wüsste ich eine Reihe von unfairen Praktiken – sind wir Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Präsident! Sehr dagegen noch nicht weit genug, da wir dort keine ausrei- geehrter Herr Bundesfinanzminister! Sie haben die Ak- chende Rechtsgrundlage haben. Wir müssen sehen, dass tualisierung des deutschen Stabilitätsprogramms in Ver- wir erst eine Rechtshandhabe bekommen, um uns auch bindung mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt vonbei den direkten Steuern mit dieser Frage beschäftigen zu 1997 angesprochen. Sie haben erklärt, dass die Verant- können. wortung für die Währung natürlich insbesondere bei der gemeinsamen Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- liegt; natürlich gehört zur Finanzpolitik auch die Steuer- tere Frage, Herr Kollege Michelbach. politik. Wie wir wissen, Herr Bundesfinanzminister, haben wir Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Finanzminister, einen sehr starken Verfall des Euro-Außenwertes von über Sie haben bei Ihrer Aktualisierung des Stabilitätspro- 25 Prozent. Dies wird natürlich auf teilweise fehlende gramms die Frage des Staatsdefizits und der Schulden- Harmonisierung zurückgeführt. Haben Sie, was die Har- standsquote angesprochen. Meine Frage hierzu ist: Wie monisierung der Steuerpolitik betrifft, nicht erhebliche schätzen Sie denn die Entwicklung der wirtschaftlichen Defizite durch einseitige Erhöhungen der Steuern insbe- Rahmenbedingungen ein, die letztendlich wesentlich auf sondere bei den Verbrauchsteuern durch die Ökosteuer in die Konjunkturentwicklung, die Steuereinnahmen und Deutschland und zusätzliche Kaufkraftbelastungen des damit auch auf die Erfüllung des vorgegebenen Stabi- deutschen Verbrauchers? Haben Sie nicht gleichzeitig bei litätszieles Einfluss haben werden? wichtigen Entscheidungen – zum Beispiel bei der einheit- lichen Zinsbesteuerung und bei anderen Harmonisie- Wir haben aktuell die Aussage eines führenden Wirt- rungsaufgaben – keine weiteren Fortschritte erzielt? Ist schaftsinstitutes vorliegen, wonach wir durch die jetzigen das nicht auch ein Grund, warum die Märkte die Wirt- politischen Rahmenbedingungen eine Konjunkturbremse Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11785

Hans Michelbach (A) erwarten müssten. Demnach hätten wir in diesem Jahr ein glättungsgesetz leider nicht der Tatsache Rechnung trägt, (C) Wachstum von 3,0 Prozent zu erwarten, für das nächste dass die Umstellung bei der Euro-Einführung keine reine Jahr wird ein Wachstum von weniger als 3,0 Prozent pro- Währungsumstellung ist, sondern sich die Zahlen teil- gnostiziert. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?weise erheblich ändern? Die Zahlen ändern sich und der Würde eine solche Entwicklung nicht nur die Konjunktur Wert verändert sich auch. Normalerweise müsste der Wert beeinträchtigen, sondern darüber hinaus auch die Errei- bei der Umrechnung gleich bleiben. Zum Beispiel haben chung des Stabilitätszieles erschweren? Sie den Sonderausgabenpauschbetrag, der bisher 108 DM beträgt, in diesem Gesetz, das heute im Finanzausschuss beraten worden ist, auf 36 Euro reduziert. Das entspricht Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Die Er- nur 70,41 DM; Sie kürzen also den Betrag für die Bürger, reichung des Stabilitätszieles ist natürlich umso leichter, die den Sonderausgabenpauschbetrag bisher erhalten ha- je größer das Wachstum ist, wenn man gleichzeitig – das ben, um über 30 Prozent. Glauben Sie nicht, dass dies ist zwingende Voraussetzung – Ausgabendisziplin übt. – bei aller Wachstums- und Stabilitätsbemühung – dann Wie Sie wissen, haben wir diesen Konsolidierungsprozess kontraproduktiv für eine positive Einschätzung der ge- im vergangenen Jahr mit dem Haushalt 2000 eingeleitet meinsamen Währung ist? und damit von dieser Seite ausdrücklich die Vorausset- zungen geschaffen. Wir werden dieses Bemühen mit dem Haushalt 2001 als dem zweiten in Folge fortsetzen und es Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr wird spannend sein zu sehen, wie sich alle zu diesemBundesminister, bitte schön. Haushalt verhalten werden. Was die Rahmenbedingungen betrifft, so möchte ich Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Ich will nur darauf hinweisen, dass die Ölpreisentwicklung, wenn dazu zwei Dinge sagen. sie lange Zeit auf so hohem Niveau, wie wir es kurzfristig Erstens. Was das Steuer-Euroglättungsgesetz betrifft: hatten, verharren würde – was im Moment aber nicht der Weil es keine 1:1-Relation zwischen D-Mark und Euro Fall ist –, gegebenenfalls auch einen bremsenden Effekt gibt, sondern das eine leicht krumme Zahl ist, muss man auf die konjunkturelle Entwicklung haben könnte. nach oben oder unten runden. Das Ergebnis dieser Run- Die Prognosen fast aller Institute sowie des Interna- dungen ist übrigens, dass der Staat bei der Umstellung auf tionalen Währungsfonds liegen hinsichtlich der Wachs- insgesamt rund 350 Millionen DM an Einnahmen ver- tumsentwicklung höher als die Annahme der Bundesre- zichtet. Man kann aber natürlich nicht jedes Mal nach un- gierung. Wir haben im Stabilitätsprogramm für diesesten abrunden; denn dann entstehen Einnahmeausfälle, die Jahr einen erhöhten Wert von 2,75 Prozent zugrunde ge- nach der Steuerreform niemand mehr verkraftet. Sie ken- (B) legt – es kann möglicherweise noch etwas mehr werden, nen die Erklärung der Bundesländer zu diesem Fall. Ich (D) und zwar bis zu 3 Prozent – und sind auch für das nächste bitte jedenfalls festzuhalten: Bei der Umstellung gewinnt Jahr von 2,75 Prozent sowie für die Folgejahre vonder Staat nichts, sondern gibt rund 350 Millionen DM ab. 2,5 Prozent ausgegangen. Darin steckt auch die Annahme, Zweiter Punkt. Was das Vertrauen zur Währung be- dass durch die Steuerreform ein halbes Prozent an zusätz- trifft, weise ich nur darauf hin, dass alle Daten in der Euro- lichem Wachstum erzeugt wird. Das sehen auch die Wirt- Zone, seit wir den Euro haben, besser sind als in der schaftsforschungsinstitute, soweit sie sich zu diesem D-Mark-Zeit in den 90er-Jahren. Auch dies muss sich ein- Thema geäußert haben, als eine realistische Projektion an. mal öffentlich herumsprechen. Unter dieser Vorausset- Im Übrigen, Herr Kollege Michelbach, liegt die Wachs- zung, Herr Kollege Michelbach, hätten wir alle – in Ihrer tumsrate dann, wenn das so kommt – ich bin dabei immer Regierungszeit ist der Euro eingeführt worden und wir ha- etwas vorsichtig –, weit über dem, was der Durchschnitt ben dem auch zugestimmt – gemeinsam allen Grund, ein der 90er-Jahre gewesen ist. Stückchen mehr Vertrauensarbeit für die gemeinsame (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ist Währung zu betreiben. das !) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- Michelbach, wir wollen hier natürlich nicht nur einen Dia- tere Frage, Herr Kollege Michelbach. log haben. Ihre letzte Frage also, bitte schön.

Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Finanzminister, Hans Michelbach (CDU/CSU): Ich möchte diese die Aktualisierung des Stabilitätsprogramms ist sehr eng letzte Frage dazu noch stellen. Sicherlich hat das Steuer- mit der grundsätzlichen Festlegung der Stabilitätskrite- Euroglättungsgesetz insgesamt 380 Millionen DM weni- rien im Maastricht-Vertrag und dem damit verbundenen ger Belastung für die gesamten Steuerzahler gebracht. Stabilitäts- und Wachstumspakt verbunden. In diesem Zu- Aber die Steuerzahler, die den Sonderausgabenpausch- sammenhang stellt sich die Frage, wie unsere Währung, betrag nutzen, trifft es insgesamt mit 115 Millionen DM die dann im Euro-Land eine gemeinsame ist, von den Bür- mehr Belastung. Auch das, Herr Bundesfinanzminister, gern akzeptiert wird. Wie verhält es sich dann, dass ge- bitte ich zu sehen. Ist damit nicht verbunden, dass der wissermaßen das notwendige Vertrauenssignal für die Er- Steuerzahler, der davon betroffen ist, unser Steuer-Euro- höhung der Akzeptanz des Euro in der Bevölkerung nicht glättungsgesetz und unseren Euro letzten Endes natürlich gegeben wird, wenn jetzt zum Beispiel das Steuer-Euro- nicht positiv darstellen wird? 11786 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr (C) Bundesminister, bitte schön. Koppelin, eine weitere Frage, bitte schön.

Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Also Jürgen Koppelin (F.D.P.): Ich möchte Sie, Herr Bun- noch einmal: Es profitieren fast alle davon, weil runddesfinanzminister, trotz dieser Aussage noch einmal fra- 350 Millionen DM an Steuereinnahmen ausfallen. Alle gen, wie Sie den Volksentscheid in Dänemark bewerten. profitieren – gerade auch der, der den Sonderausgaben- pauschbetrag nutzt – in gewaltigem Maße von der Sen- Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Auch kung der Einkommensteuer. Das alles tritt zum 1. Januar dazu haben wir, die Finanzminister, uns gemeinsam in Kraft, und zwar in ganz massiver Weise. Deswegen geäußert. Wir hätten natürlich ein anderes Votum begrüßt. muss ich ausdrücklich sagen: Es macht wirklich keinen Wir bedauern dieses Votum. Aber Sie wissen auch – ich Sinn, ein einzelnes Element herauszupicken und gegen möchte das ein Stück weiterführen; das gilt in sehr diffe- das Ganze zu wenden. Das Ganze – ich sage es noch ein- renziertem Maße für die kleineren Mitglieder –, dass Dä- mal – führt zu einem Einnahmeverlust von rund 350 Mil- nemark besonders sensibel – das wird noch eine große lionen DM. Der Bundesrat muss das auch noch be-Rolle spielen – auf Fragen des Souveränitätsverzichtes schließen. reagiert. Sie wissen, unsere Position – nicht nur, aber spe- ziell die deutsche – ist sehr integrationsfreundlich. Die dänische war in diesem Punkt sehr zurückhaltend. Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Jetzt hat wissen, dass Dänemark ohnehin eine Sonderposition in- der Kollege Koppelin eine Frage. nerhalb der Europäischen Union einnimmt und wie Groß- britannien eine Opting-out-Klausel hat. Ich sage es etwas salopp: Dänemark brauchte zwei Volksabstimmungen, (F.D.P.): Herr Bundesminister, da Jürgen Koppelin um Mitglied in der Europäischen Union zu werden. Mög- wir von einer gemeinsamen Währung sprechen: Darf ich licherweise wird das bei der gemeinsamen europäischen Sie bei dieser Gelegenheit fragen, wie Sie den Volksent- Währung auch der Fall sein. scheid in Dänemark beurteilen, den Euro abzulehnen? Sie hätten eigentlich Interesse daran haben müssen – wie alle Dänemarks Nein zum Euro hat im Übrigen – das haben Finanzminister –, dass sich Dänemark für den Euro ent- Sie auch an den Reaktionen der Märkte gemerkt – für die scheidet. Sehen Sie da nicht auch Diskrepanzen mit dem Währung keine weitere Bedeutung gehabt, weil Däne- Außenminister? Unter anderem die Politik unseresmarks Volkswirtschaft für Euro-Land nur eine sehr ge- ringe Bedeutung hat. Dänemarks Volkswirtschaft hat nur Außenministers hat dazu geführt, dass es zu einem sol- einen Anteil von 2,7 Prozent am Bruttoinlandsprodukt des (B) chen Entscheid in Dänemark gekommen ist, nämlich (D) Euro-Raums. Aber ich sage ausdrücklich: Ich als dezi- durch seine starre Haltung gegenüber Österreich. Eindierter Befürworter der europäischen Integration – das wichtiges Argument für dieses Nein zum Euro in Däne- gilt für die gesamte Bundesregierung – hätte mir ein posi- mark war die Haltung gegenüber Österreich. Das hat eine tives Votum Dänemarks gewünscht, keine Frage. entscheidende Rolle gespielt; das hat der sozialdemokra- tische Ministerpräsident auch sehr deutlich gemacht. Meine Frage ist also: Wie beurteilen Sie diesen Volksent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- scheid? Müssten Sie nicht einmal mit dem Außenminister tere Frage, Herr Koppelin. darüber reden, dass er sich gegenüber kleineren Ländern wie Österreich etwas mehr zurücknimmt, damit möglichst Jürgen Koppelin (F.D.P.): Eine kurze Frage, Herr alle den Euro bekommen? Bundesminister: Erstaunlich war, dass etwa 60 Prozent der dänischen Bevölkerung, als die ersten Umfragen durchgeführt wurden, für die Einführung des Euro waren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Bun- Wie erklären Sie sich, dass es zum Schluss ein ablehnen- desminister, bitte. des Votum gegeben hat? Welche Kriterien mögen da eine Rolle gespielt haben? Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Kol- lege Koppelin, das geht auch nach dem Motto: Der Ele- Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Ich kann fant frisst wärmer – es gibt drei Arten von wärmer. Sie das schwer beurteilen, weil ich die innenpolitische Situa- kommen immer auf dasselbe Thema zurück. Die Antwort tion in Dänemark nicht genau kenne. Aber es gab auch in ist relativ einfach und Sie kennen sie auch. Sie wissen, Deutschland eine ähnliche Entwicklung. Der Zustim- dass das eine gemeinsame Aktion von 14 Mitgliedern der mung zum Euro gingen auch in Deutschland sehr unter- Europäischen Union gegenüber dem 15. Mitglied gewe- schiedliche Phasen voraus: Als der Euro eingeführt sen ist und dass die Bundesregierung keineswegs an der wurde, waren nicht nur die Märkte euphorisch, sondern Spitze der Bewegung gestanden hat, sondern sich in dem auch die Mehrheit der Bevölkerung stimmte ihm zu. Nach Rahmen solidarisch verhalten hat. Das mögen Sie zwar jetzt durchgeführten Meinungsumfragen ist das nicht kritisieren. Aber das ist zigmal im Bundestag diskutiert mehr so. Insofern gibt es parallele Entwicklungen. worden. Dem habe ich auch vonseiten der Bundesregie- Herr Koppelin, wir sind sicherlich verpflichtet, das rung nichts Neues hinzuzufügen. Thema der europäischen Integration im eigenen Land Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11787

Bundesminister Hans Eichel (A) noch offensiver zu diskutieren. Jedes Mitgliedsland steht mich recht erinnere, war es die damalige Bundestags-(C) in dieser Verantwortung. mehrheit, die das in den 90er-Jahren immer abgelehnt hat, als wir im Zusammenhang mit der deutschen Einigung (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Die österreichische den Versuch gemacht haben, plebiszitäre Elemente in das Regierung!) Grundgesetz hineinzubringen. Wenden Sie sich also nicht – Wenn Sie den Bericht der drei Weisen lesen, die sich mit an meine Adresse. der österreichischen Situation beschäftigt haben, dann Zweitens. Ich weise darauf hin, dass die D-Mark im werden Sie feststellen, dass dort eine Reihe von Sorgen Verhältnis zum Dollar gerade auch zu Zeiten Ihrer Regie- zum Ausdruck gebracht wird. Es geht dort unter anderem rung teilweise weitaus schlechter stand als heute der Euro, – das ist einer der Vorbehalte – auch um die Frage der In- ohne dass wir eine solch dramatische Debatte um unsere tegrationsfreundlichkeit der Regierungen. Währung, die D-Mark, geführt hätten. Dies hat auch da- mit zu tun, dass es eine neue, eine junge Währung ist, die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Eine erst unser Vertrauen benötigt. Dazu gehört, dass wir die Frage des Kollegen Brüderle. Debatte sachlich führen. Dazu gehört auch der Sachver- halt, dass die D-Mark zum Dollar schon viel schlechter stand als heute der Euro zum Dollar. Das muss mit in die Rainer Brüderle (F.D.P.): Herr Bundesfinanzminis- Betrachtung einbezogen werden, um auf diesen Sachver- ter, Sie sagten eben, die Abstimmung in Dänemark habe halt einigermaßen rational zu reagieren. keine Auswirkungen auf den Euro gehabt. Sollten Sie das nicht überdenken? Denn man hatte erwartet, dass der Euro-Kurs wieder steigen würde, wenn Dänemark seiner Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Einführung zustimmt. Die jetzige Situation der Gemein- Brüderle, eine weitere Frage, bitte. schaftswährung ist noch immer bedrückend. Das liegt nicht etwa daran, dass finstere Mächte des weltweiten Rainer Brüderle (F.D.P.): Herr Bundesfinanzminis- Turbokapitalismus im Rahmen einer Verschwörung den ter, werden Sie sich bei Ihrer Leidenschaft für Volksab- Kurs des Euro nach unten drücken; das ist vielmehr Folge stimmungen dafür einsetzen, dass die Anregung Ihres der freien Entscheidung der Unternehmen und Parteifreundes der Verheugen, eine Volksabstimmung über Wirtschaftsbürger der Welt, die Euro-Land – Deutschland die Osterweiterung durchzuführen, bald die Umsetzung ist das Kernstück – im Vergleich zum Dollarraum deutlich durch die Bundesregierung erfährt? Oder ist Ihre Leiden- weniger zutrauen. schaft für Volksabstimmungen themenabhängig? Solange man davon ausgeht, dass man im Dollarraum bessere Renditen erzielen kann, so lange wird das Geld (B) Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr(D) eher in die Vereinigten Staaten als in Euro-Land fließen. Brüderle, zunächst einmal weise ich darauf hin, dass es in Deshalb ist mit dem Nein der Dänen zum Euro die Chance Ihrer Partei bisher überhaupt keine Bereitschaft gegeben auf Besserung des Euro-Kurses vertan worden. Die fatale hat, Volksabstimmungen ins Grundgesetz aufzunehmen. Folge könnte sein, dass jetzt die Schweden und die Briten Diese Bereitschaft hat es nie gegeben, auch nicht als Sie – wenn sie die Abstimmung bald durchführen – ähnlich an der Regierung waren. Insofern finde ich Ihre Frage ablehnend reagieren werden. Es wäre schon eine schwie- merkwürdig. rige psychologische Situation – die Entwicklung einer Währung hängt entscheidend von psychologischen Fak- Wenn man diese Frage diskutiert, wird man sehr genau toren ab –, wenn die europäischen Völker die Einführung diskutieren müssen, was der Gegenstand von Volksab- der neuen Währung in Volksabstimmungen ablehnten. stimmungen sein kann und was nicht. Hierzu gehören zum Beispiel Fragen der inneren Gesetzgebung. Aber Wir haben im Gegensatz zu den Dänen und den Fran- auch die weitestreichenden Vorschriften in Deutschland, zosen nicht einmal den Mut gehabt, bei uns eine Volksab- die von Ihnen und Ihrer Partei nie mitgetragen worden stimmung über Maastricht durchzuführen. Die Stim- sind, schließen zum Beispiel Haushaltsgesetze aus. Das mungslage wird sich nicht ändern, wenn wir das gilt sowohl für die Kommunal- als auch für die Länder- Reformtempo nicht beschleunigen und wenn wir nicht verfassungen, in denen es Volksabstimmungen gibt. wenigstens die europäischen Nachbarländer überzeugen können, dass der Euro eine gute Währung ist. Sie wissen, dass es Parteiengespräche gibt, ob wir ple- biszitäre Elemente ins Grundgesetz einführen sollen. Die- ser Frage werden Sie sich im Herbst stellen müssen. Bei Bundesminister der Finanzen: Herr Kol- Hans Eichel, Fragen, die nur uns betreffen, habe ich kein Problem da- lege Brüderle, bei Ihren Ausführungen konnte ich nicht mit, zum Beispiel, ob wir beitreten oder nicht. Wir müs- genau die Frage erkennen. Daher will ich einige wenige sen aber sehr darüber nachdenken, ob wir in Deutschland Bemerkungen zu Ihren Äußerungen machen. eine Debatte führen wollen, dass zum Beispiel Polen der Erstens. Zur Volksabstimmung. Ich habe überhaupt Europäischen Union beitritt. Das ist nicht nur unsere kein Problem damit, dass wir die Frage der europäischen Entscheidung. Herr Verheugen hat ausdrücklich betont, Einigung mit unserer Bevölkerung ganz intensiv disku- dass er eine solche Anregung nicht gegeben hat. Ich habe tieren. Das halte ich für dringend notwendig. Sie richten meine Bedenken, eine solche Frage überhaupt zum Ge- diese Frage aber an die falsche Adresse. Sie wissen, dass genstand von Volksabstimmungen zu machen. Wir müs- die Partei, der ich angehöre, Volksabstimmungen längst sen darüber intensiv nachdenken, ob das bei unserem Ver- im Grundgesetz festgeschrieben haben wollte. Wenn ich hältnis zu Polen und Europa gut gehen kann. 11788 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Noch eine Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Bun- (C) Frage, Herr Kollege Brüderle? desminister, bitte.

Rainer Brüderle (F.D.P.): Würden Sie mir zustim- Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Ich wie- men, dass es keine Beantwortung meiner Frage ist, wenn derhole: Diese Debatte gibt es in Europa überhaupt nicht, ich Sie nach Ihrer Haltung frage und Sie darauf verwei- weil die Frage der Erweiterung des Euro-Landes vertrag- sen, dass wir eine andere Haltung haben? Ich persönlich lich geregelt ist. Eine Erweiterung hängt ausschließlich bin überhaupt nicht für eine Volksabstimmung über die von Antragstellung und Erfüllung von Kriterien ab. Das Osterweiterung und bin bei diesem Thema außerordent- ist bereits völkerrechtlich geregelt. Dabei lege ich darauf lich vorsichtig. Ich möchte von Ihnen keine Bewertung Wert, dass es bei der Erfüllung der Kriterien keinen Ra- batt gibt. unserer Position haben, sondern möchte Ihre Position kennenlernen. Offenbar verquicken Sie in Ihrer Fragestellung etwas, was nichts miteinander zu tun hat: Die Osterweiterung ist keine Osterweiterung von Euro-Land, sondern eine Er- Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: So wie es weiterung der Europäischen Union. Wer der Europä- mir nicht zusteht, Ihre Frage zu bewerten, Herr Abgeord- ischen Union beitritt, ist also noch lange nicht im Euro- neter, müssen Sie bitte akzeptieren, dass ich die Antwort Land. Vielmehr muss er eine Reihe zusätzlicher Kriterien so gebe, wie ich sie gebe. erfüllen, um im Euro-Land aufgenommen werden zu können. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Gibt es Nehme ich aber das, was Sie angesprochen haben, als weitere Fragen zu dem angesprochenen Themenbereich? – eine reale Fragestellung – es gibt, wie gesagt, diese Fra- Herr Michelbach. gestellung in der europäischen Politik überhaupt nicht –, dann würde es bedeuten, dass die Osterweiterung der Eu- ropäischen Union erst kommen kann, wenn zum Beispiel (CDU/CSU): Herr Bundesfinanz- Hans Michelbach die Briten Euro-Land beigetreten sind. Ein solches Junk- minister, in der Wissenschaft wird zur Stabilisierung des tim gibt es nicht. Führen Sie diese Debatte doch einmal in Euro die Diskussion geführt, ob es nicht besser sei,den eigenen Reihen – dabei wünsche ich Ihnen viel Ver- zunächst einmal die Euro-Zone mit Großbritannien und gnügen –; ich bin ganz sicher, dass Sie mit dieser These den skandinavischen Ländern zu erweitern, bevor man die allein stehen werden. bisher nicht finanzierte Erweiterung in Angriff nimmt. Müsste diese Stabilisierung des Euro nicht absoluten Vor- (B) rang genießen? Welche Auffassung hat die Bundesregie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Ich be- (D) rung zu diesem Thema? ende jetzt diesen Themenbereich der heutigen Kabinetts- sitzung. Eine Frage zu einem anderen Thema stellt der Abgeordnete von Klaeden. Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Herr Ab- geordneter, Sie haben eben zwei völlig verschiedene Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Minister, ich Sachverhalte miteinander verglichen. Eine solche Debatte frage Sie, ob sich das Kabinett mit dem Wunsch meiner gibt es in Europa überhaupt nicht. Die Frage, wie man die Fraktion beschäftigt hat, die Bundesregierung möge we- Euro-Zone erweitert, ist – übrigens mit unserer Zustim- gen der Verletzung des ImmunitätsrechtsVerfassungs- mung – zu einer Zeit vertraglich geregelt worden, als Sie klage gegen das Land Nordrhein-Westfalen erheben. die Regierung gestellt haben. Daraus ergibt sich allesUnser Fraktionsvorsitzender hatte dazu gestern dem Bun- Übrige. Deshalb gibt es die von Ihnen eben gestellte Frage deskanzler geschrieben. Allein antragsberechtigt ist die in der politischen Wirklichkeit überhaupt nicht. Bundesregierung. Deswegen meine Frage, ob Sie sich da- mit heute schon beschäftigt haben oder nicht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- lege Michelbach stellt jetzt die letzte Frage zum ange- Hans Eichel, Bundesminister der Finanzen: Das war sprochenen Themenbereich. Danach werden wir zu ande- nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. ren Fragen kommen. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Danke sehr. Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Bundesfinanz- minister, auch Sie sind doch mit Sicherheit der Auffas- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Gibt es sung, dass im Moment der Euro-Außenwert verfällt und weitere Fragen, die über den angesprochenen Themenbe- es notwendig ist, ihn zu stabilisieren. Besteht daher nicht reich hinausgehen? – Das ist nicht der Fall. Damit beende die Aufgabe, darüber nachzudenken, wie man den Euro ich die Befragung der Bundesregierung. Vielen Dank, stabilisieren kann, und ist der von mir in meiner Frage an- Herr Bundesminister. gesprochene Weg der Stabilisierung des Euro durch Er- Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 2: weiterung des Euro-Landes um wesentliche Volkswirt- schaften nicht einer der Wege, die hier zu beschreiten Fragestunde wären? – Drucksache 14/4206 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11789

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- (C) ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und tere Zusatzfrage, bitte schön. Entwicklung. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Erich Stather zur Verfügung. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): In dem Zeitungsartikel der „taz“, zu dem das Auswärtige Amt Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Weiß auf: nachher Stellung nehmen wird, wird am Schluss ein Spre- Ist nach Auffassung der Bundesregierung die Existenz eines cher des BMZ, also Ihres Hauses, zitiert: „Es gibt bei uns eigenständigen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung auch für die Zukunft notwendigim BMZ keine Überlegungen, das AA zu integrieren“. oder wird seitens der Bundesregierung kurz-, mittel- oder lang- Kommt mit dieser Bemerkung nicht doch zum Ausdruck, fristig eine Integration des Bundesministeriums für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in das Auswärtige dass in Ihrem Hause offensichtlich einiges an Verärgerung Amt angestrebt? darüber besteht, dass seitens des Staatssekretärs im Aus- wärtigen Amt Pleuger eine Integration des BMZ in das Bitte schön, Herr Staatssekretär. AA zur Sprache gebracht worden ist?

Erich Stather, Staatssekretär im Bundesministerium Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Staatssekretär, bitte. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beant- worte den ersten Teil der Frage mit Ja und den zweiten Teil der Frage mit Nein. Erich Stather, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Herr Abgeordneter, diese Äußerung ist so zu verstehen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- dass eine vertrauensvolle und gute Zusammenarbeit zwi- lege Weiß, eine Zusatzfrage? schen meinem Ministerium und dem Auswärtigen Amt (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das drängt besteht. Was Berichte in Zeitungen wie der „taz“ betrifft: sich auf!) Ich habe vor etwa drei Wochen einen längeren Artikel über Sie in der „Badischen Zeitung“, der Zeitung unserer Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr gemeinsamen Heimat, gelesen. Ich hatte den Eindruck, Staatssekretär, bevor ich die Zusatzfrage stelle, muss ich dass auch Sie davon überzeugt sind, dass Journalisten eine Anmerkung machen. Nachher wird noch das Aus- nicht immer vollständig das berichten, was Staatsse- wärtige Amt eine Frage von mir zu diesem Thema beant- kretäre oder Abgeordnete sagen. Insofern müssen wir mit (B) (D) worten; eben ist vom BMZ die zweite von mir einge-der Berichterstattung durch Zeitungen leben. reichte Frage beantwortet worden. Daher geht der Zusammenhang etwas verloren. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie sind tere Frage des Kollegen Koppelin. aber kompliziert!) – Kompliziert ist die Methodik der Beantwortung durch Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Sie die Bundesregierung und nicht die Frage eines Abgeord- haben soeben behauptet, es gebe eine gute und vertrau- neten. ensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem BMZ. Daher darf ich Sie fragen, ob es ein Herr Staatssekretär, da aus Ihrem Hause immer wieder Beispiel für die gute Zusammenarbeit ist, wenn das Aus- Klagen aufkommen, wie beschwerlich es ist, dass daswärtige Amt Botschaften in Afrika schließt, ohne Rück- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit sprache mit dem BMZ zu nehmen. und Entwicklung seinen Sitz in Bonn hat, während die Kopfstelle in Berlin ist – gerade für kleinere Häuser wie das BMZ ist diese Situation besonders schwierig zu be- Erich Stather, Staatssekretär im Bundesministerium wältigen –: Gibt es erste Überlegungen – vielleicht für die für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Phase nach der nächsten Bundestagswahl –, dass durch Wir haben auch in dieser Frage unsere Meinungen ausge- eine Eingliederung des BMZ in das AAtauscht. das Es kann sein, dass wir nicht bei jeder Schließung Berlin/Bonn-Gesetz in diesem Punkt unterlaufen werden einer Botschaft mit dem Auswärtigen Amt einer Meinung könnte? sind. Aber die Bundesregierung hat sich eine gemeinsame Meinung gebildet. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Staatssekretär, bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Die Fra- gen 2 und 3 des Kollegen Koschyk werden schriftlich be- antwortet. Erich Stather, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Aus- Herr Abgeordneter, auf diese Frage kann ich einfach mit wärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Nein antworten. Dr. Ludger Volmer zur Verfügung. 11790 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Ich rufe die Frage 4 des Kollegen Weiß (Emmendin- gen von Herrn Védrine zurückgeht, in denen er Frank-(C) gen) – der Zusammenhang mit Frage 1 wurde schon an- reich als Vorbild dargestellt hat. gesprochen – auf: Nun erleben wir ja derzeit innerhalb der Europäischen Trifft es zu, dass der Staatssekretär im Auswärtigen Amt,Kommission eine Neuorganisation, die, insbesondere Gunter Pleuger, zum Abschluss der ersten deutschen Botschafter- konferenz geäußert hat, dass durch eine Eingliederung des Bun- durch die Gründung des neuen Amtes Europaid, tenden- desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- ziell dazu führt, dass die Entwicklungszusammenarbeit wicklung in das Auswärtige Amt Synergieeffekte erzielt werden quasi in den Bereich Auslandsbeziehungen der Europä- könnten und dass bei den Gesprächen zur Bildung der derzeitigen Bundesregierung eine solche Zusammenlegung der beiden Bun- ischen Union integriert wird. Es findet also genau der Pro- desministerien erörtert worden ist, wie dies die „taz“ am 7. Sep- zess statt, dass die Entwicklungshilfe Bestandteil der tember 2000 gemeldet hat? Außenpolitik wird bzw. unter das Primat der Außenpoli- tik gerät. Sind denn diese Tendenzen in der Europäischen Dr. Ludger Volmer,Staatsminister im Auswärtigen Union, die von der Bundesregierung in gewisser Weise Amt: Herr Kollege Weiß, Ihre Frage beantworte ich wie mitzuverantworten sind, und die in anderen europäischen folgt: Auf Frage eines Journalisten hat StaatssekretärLändern für die Bundesregierung ein Anlass, dass auch in Deutschland diese Frage erörtert und diskutiert wird? Dr. Gunter Pleuger eine Äußerung des französischen Außenministers Védrine auf der Botschafterkonferenz bestätigt, wonach die französische Regierung durch die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Zusammenlegung des Entwicklungshilferessorts mit dem Staatsminister. französischen Außenministerium Synergieeffekte erzielt habe. Der Staatssekretär hat ferner auf die bekannte Tat- Dr. Ludger Volmer,Staatsminister im Auswärtigen sache verwiesen, dass wir in Deutschland weiterhin – Amt: Es kann wohl nicht bestritten werden, dass es einen auch als Ergebnis der Koalitionsgespräche – ein eigen- Zusammenhang und Schnittstellen zwischen Entwick- ständiges Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- lungs- und Außenpolitik gibt und dass man sich immer menarbeit und Entwicklung haben. wieder Gedanken machen muss, wie man diese Schnitt- stellen organisiert, also auf der einen Seite darüber, wie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- man die Arbeit aufteilt, und auf der anderen Seite darüber, satzfrage des Kollegen Weiß. wie man dann wieder kooperiert. Solche Überlegungen zur Gestaltung der gemeinsamen Arbeit werden täglich angestellt. Das führte aber nicht dazu, dass wir uns Ge- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr danken über den Neuzuschnitt des gesamten Ressortsys- (B) Staatsminister Volmer, in dem bereits zitierten Artikel der tems gemacht haben. (D) „taz“ wird aber auch ausgeführt, dass Herr Staatssekretär Pleuger in diesem Gespräch offensichtlich einen Einblick in die Koalitionsverhandlungen gewährt hat. Er habe dort Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- geäußert, dass bei der Regierungsbildung im Gespräch tere Frage des Kollegen Koppelin. war – es ist dann anders gekommen –, beide Ministerien, Auswärtiges Amt und BMZ, zusammenzulegen. Das be- Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Staatsminister, ist Ih- stätigt offensichtlich – auch wenn das Ergebnis war, dass nen auch das Gerücht zur Kenntnis gekommen, dass bei es bei zwei Häusern bleibt –, dass in der Koalition solche den Koalitionsverhandlungen nur deswegen nicht be- Überlegungen angestellt worden sind. Trifft das zu? Wie schlossen wurde, BMZ und Auswärtiges Amt zusammen- war der Abwägungsprozess? zulegen, weil man ein Ministerium für Frau Wieczorek- Zeul suchen musste? Das Ministerium selber hat ja kaum Einfluss und auch keine freien finanziellen Möglichkei- Dr. Ludger Volmer,Staatsminister im Auswärtigen ten. Amt: Ich selber habe den zitierten Artikel in der „taz“ nicht gelesen. Insoweit dort behauptet wird, ein Ge- sprächsgegenstand der Koalitionsverhandlungen sei ge- Dr. Ludger Volmer,Staatsminister im Auswärtigen wesen, die beiden Häuser zusammenzulegen, kann ich Ih- Amt: Das war, Herr Koppelin, nicht nur, kein Gegenstand nen sagen, dass wir darüber definitiv nicht geredet haben. von Gesprächen, sondern auch kein Gegenstand von Fan- Die Koalitionsverhandlungen zur Außenpolitik wurden tasien. von dem Kollegen Verheugen und mir geführt. Dieses war (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber so absolut kein Thema. alte Geschichten noch einmal aufzuwärmen ist auch ganz lustig!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- tere Zusatzfrage, Kollege Weiß. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Vielen Dank, Herr Staatsminister. Es gibt keine weiteren Fragen zu diesem Punkt. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Staatsminister, Sie haben bei der Beantwortung der ersten Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes- Frage bereits darauf hingewiesen, dass die Äußerung von ministeriums der Justiz. Die Frage 5 des Abgeordneten Herrn Staatssekretär Pleuger offensichtlich auf Äußerun- Austermann soll schriftlich beantwortet werden. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11791

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Wir kommen damit gleich zum Geschäftsbereich des Meine erste Frage lautet: Was hat die Bundesregierung (C) Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und in den letzten neun Monaten seit Erscheinen dieser Pres- Jugend. Zur Beantwortung steht Staatssekretär Petersemitteilung konkret getan, um das Versprechen von Frau Haupt zur Verfügung. Bergmann zu erfüllen bzw. die Erwartungen, die sie bei den Tagesmüttern, als sie diese Pressemitteilung lasen, Ich rufe die Fragen 6 und 7 der Kollegin Ina Lenke auf: geweckt hat, auch zu erfüllen? Was ist im Ministerium Wann wird die Bundesregierung die durch die Bundesministe- ganz konkret geschehen? rin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Christine Bergmann, bereits im Januar in der Zeitschrift „Focus“ angekün- digte Verbesserung der Sozialversicherungssituation für Tages- Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministerium mütter herbeiführen und ihnen einen Zugang zur gesetzlichen für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Ich sagte be- Rentenversicherung verschaffen? reits, dass wir die Länder und die Kommunen lediglich Wo sieht die Bundesregierung weiteren Handlungsbedarf, um auffordern können. Das tun wir regelmäßig in den Sit- die Situation der Tagesmütter generell zu verbessern? zungen der Jugendministerinnen- und Jugendminister- konferenz. Aber wir haben auch Gespräche mit den kom- Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministerium munalen Spitzenverbänden geführt. Es gibt im Bereich für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Abgeord- der Kinderbetreuung inzwischen sehr viele neue Ele- nete Lenke, ich möchte Ihre beiden Fragen gemeinsam mente, die die einzelnen Länder auch erproben wollen. In beantworten. diesem Zusammenhang beziehen wir uns zusätzlich im- mer wieder auf die Tagespflege. Das ist ein ständiger Pro- In dem von Ihnen zitierten „Focus“-Artikel hat Frau zess, ein ständiges Arbeiten mit den Ländern und Kom- Bundesministerin Dr. Bergmann keine Verbesserung der munen. Sozialversicherungssituation von Tagesmüttern angekün- digt, sondern sie hat die Länder und Gemeinden gebeten, diese Art der Kinderbetreuung finanziell stärker zu unter- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Weitere stützen und auf sichere landesrechtliche Grundlagen zu Zusatzfrage, Frau Lenke? stellen. Für die Kinderbetreuung sind bekanntlich die Bundesländer und die Kommunen verantwortlich. Ina Lenke (F.D.P.): Es geht hier um die gesetzliche Die soziale Absicherung von Tagesmüttern hat nicht Rentenversicherung. Sie haben selber gesagt, dass die Ta- nur für die Bundesregierung einen hohen Stellenwert.gesmütter angesichts der niedrigen Stundenlöhne, die sie bekommen, kaum noch die Möglichkeit haben, die hohen Auch die Jugendministerinnen- und Jugendministerkon- Beiträge, die höher als bei einer Arbeitnehmerin sind, in ferenz hat dieses bereits vor zwei Jahren bekräftigt, sich die Rentenversicherung einzuzahlen. Deshalb meine (B) jedoch angesichts der angespannten Finanzlage der öf- (D) Frage, in welche Richtung Ihre Überlegungen gehen: hin fentlichen Haushalte nicht in der Lage gesehen, gesetzli- zur individuellen Absicherung, also einer privaten Ren- che Regelungen zu treffen. Wir werden weiterhin mit den tenversicherung, oder sehr stringent hin zur gesetzlichen Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden im Ge- Rentenversicherung? Wie hätten Sie es gern? spräch bleiben, um insgesamt Verbesserungen im Bereich der Kinderbetreuung und damit auch für die Tagespflege zu erreichen. Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Frau Abgeord- Der Zugang zur Rentenversicherung ist Tagesmüttern, nete Lenke, sehr viele Tagesmütter unterliegen bereits der wie Sie wissen, nicht grundsätzlich verschlossen. Sie ha- gesetzlichen Rentenversicherung. Das betrifft zum Bei- ben zum Beispiel die Möglichkeit, durch eine freiwillige spiel diejenigen, die mehrere Kinder betreuen. In einzel- Versicherung in die Rentenversicherung zu kommen. Das nen Bereichen, wie zum Beispiel in Baden-Württemberg, wird aber bedauerlicherweise nicht hinreichend genug in ist es so, dass die Verbände Tagesmütter anstellen und Anspruch genommen, weil es den Tagesmüttern wegen auch entsprechend die Rentenversicherungsbeiträge über- der geringen Vergütung häufig nicht möglich ist, die Mit- nehmen. tel für die Rentenversicherung aufzubringen. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer regiert denn da?) In der Sache geht es uns also gemeinsam um eine Ver- besserung der finanziellen und sozialversicherungsrecht- – Ähnliche Regelungen gibt es auch in Schleswig-Hol- lichen Rahmenbedingungen für die Tagesmütter. Diesstein und in Mecklenburg-Vorpommern. Verschiedene können wir aber nur gemeinsam mit den Ländern undLänder und ebenso verschiedene Kommunen haben der- Kommunen erreichen. artige Regelungen. Aber uns geht es nicht darum, dass die gesetzliche Ren- tenversicherung in diesem Bereich sofort zum Zuge Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- frage, Frau Lenke. kommt, sondern wir müssen erst einmal das Gesamtsys- tem der Betreuung durch Tagesmütter in Gang setzen. Dazu gehören die Weiterbildung sowie die Renten- und Ina Lenke (F.D.P.): Ich muss mich schon fragen, Herr die Sozialversicherung. Natürlich müssen die Länder und Staatssekretär, warum die Frauenministerin dann eine sol- Kommunen diesen Bereich der Kinderbetreuung auch che Pressemitteilung herausgibt, mit der sie ja auch die hinreichend bezahlen. Wenn das der Fall ist, hat eine Ta- Botschaft geben wollte, dass sie sich darum kümmert. gesmutter die Möglichkeit, sich freiwillig zu versichern. 11792 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Staatssekretär Peter Haupt (A) Möglicherweise hat sie auch andere Arbeitsbedingungen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Gibt es (C) die zur gesetzlichen Rentenversicherung führen. Jeden- weitere Fragen zu diesem Punkt? – Das ist nicht der Fall. falls sehen wir zurzeit nicht die Notwendigkeit, hier ge- Vielen Dank, Herr Staatssekretär. setzliche Veränderungen vorzunehmen. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Weitere cherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Zusatzfrage, Kollegin Lenke? Staatssekretärin Gila Altmann zur Verfügung.

Ina Lenke (F.D.P.): Herr Staatssekretär, Sie haben die Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs Länder und Kommunen auch heute wieder indirekt auf- auf: gefordert, die finanzielle Situation der Tagesmütter zu In welchem Umfang erwartet die Bundesregierung zur Ver- verbessern. Welche Vorstellungen haben Sie denn den meidung von Betriebsbeeinträchtigungen deutscher Kernkraft- Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden in die- werke Transporte abgebrannter Brennelemente? ser Hinsicht vorgetragen? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir arbeiten Herr Dr. Laufs, Sie fragen, in welchem Umfang die Bun- mit den Ländern und Gemeinden an der Verbesserung der desregierung Transporte abgebrannter Brennelemente Kinderbetreuung insgesamt. Sie wissen, dass die Kinder- erwartet. Dazu antworte ich Ihnen wie folgt: betreuung für Kinder unter drei Jahren und für Kinder Den Kraftwerken Biblis, Neckarwestheim und Phi- über sechs Jahren noch sehr verbessert werden muss. Des- lippsburg sind im Januar und Juli dieses Jahres Genehmi- halb muss immer wieder das gesamte System ange-gungen für Transporte bestrahlter Brennelemente in das sprochen werden. Zwischenlager Ahaus erteilt worden. Die erteilten Geneh- Zweitens kommt es darauf an, dass wir einzelnenmigungen umfassen die Beförderung von 16 Behältern. Kommunen verdeutlichen, dass die Tagesmütter eine Am 22. September dieses Jahres hat das Bundesamt für ganz wichtige Betreuungsaufgabe wahrnehmen und dass Strahlenschutz Transporte abgebrannter Brennelemente man diese Aufgabe unterstützen sollte. Wir haben unszur Wiederaufarbeitung genehmigt. Es handelt sich um zum Beispiel angeboten, gute Beispiele einzelner Kom- Transporte aus den Atomkraftwerken Biblis, Philippsburg munen zu veröffentlichen, um deutlich zu machen, was es und Stade zur Wiederaufarbeitungsanlage der Cogema in in diesem Bereich in der Republik bereits gibt. Die Kom- La Hague. (B) munen haben allerdings erhebliche Bedenken; denn die (D) einzelnen Aktivitäten sind von der jeweiligen finanziellen Die Zahl der zukünftigen erforderlichen Transporte Situation abhängig und es gibt unterschiedliche Auffas- hängt ganz wesentlich davon ab, wie schnell es den Be- sungen hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeit der Ta- treibern gelingt, die beantragten standortnahen Zwi- gesmütter und der Gestaltung der Kinderbetreuung. schenlager in Betrieb zu nehmen. Nach der Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Energieversor- gungsunternehmen vom 14. Juni 2000 dürfen die Betrei- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Frau Lenke, weitere Zusatzfrage? ber bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bis zur Inbetriebnahme der jeweiligen standortnahen Zwi- schenlager in die regionalen Zwischenlager sowie bis zur Ina Lenke (F.D.P.): Ich habe jetzt drei Fragen an die Beendigung der Wiederaufarbeitung ins Ausland trans- Bundesregierung gestellt und Sie, Herr Haupt, haben mir portieren. Die Wiederaufarbeitung setzt allerdings den als Staatssekretär geantwortet. Können Sie mir zumindest Nachweis der schadlosen Verwertung voraus. eine ganz konkrete Überlegung Ihres Hauses hinsichtlich der Sozialversicherung für Tagesmütter, eine ganz kon- krete Idee, die Sie gegenüber den Ländern und Gemein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- den geäußert haben, vortragen? Bisher haben Sie nichts frage, Kollege Laufs. Konkretes gesagt, nur, dass Sie in Gesprächen sind. Ich würde gerne heute eine konkrete Idee von Ihnen aus die- Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, sem Hause mitnehmen. wird die Bundesregierung in Abstimmung mit den betrof- fenen Landesregierungen darauf hinwirken, dass die Auf- Peter Haupt, Staatssekretär im Bundesministerium nahme von Atomtransporten möglichst unspektakulär er- für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Wir haben bei- folgen kann? spielsweise den Kommunen gesagt, dass die Modelle zur Vermittlung der Tagesmütter über die entsprechenden Ta- Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- gesmütterverbände und die entsprechende Unterstützung nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Si- dieser Verbände ein gutes Beispiel für die Gestaltung der cherlich. Kinderbetreuung sind. Es gibt verschiedene Kommunen, die sich diese Beispiele anschauen und dann entscheiden, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: War das ob sie diesem Weg folgen. jetzt die Antwort?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11793

(A) Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): In welchem Zeitrahmen werden, ohne dass sich abzeichnet, wann solche Prüfun- (C) können die Atomtransporte nach Ihrer Meinung tatsäch- gen abgeschlossen sind? lich stattfinden? Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Ich kann den Unmut, den Sie gerade beschrieben haben, Das hängt davon ab, zu welchem Ergebnis die noch aus- nicht nachvollziehen, weil wir im Juni dieses Jahres die in stehenden Prüfungen kommen. Die Empfehlungen aus diesem Zusammenhang stattgefundenen Konsensge- den Gutachten sind abgearbeitet. Es gab aber noch Prü- spräche erfolgreich abgeschlossen haben. Darüber hinaus fungen nach § 4 des Atomgesetzes durch das BfS. Die gibt es die ständig bestehende Koordinierungsgruppe Prüfungen betrafen zum Beispiel die Zuverlässigkeit des „Transporte“, die die Fragen, die Sie gerade angesprochen Beförderers, die Sicherungsmaßnahmen bezüglich Frei- haben, regelt. setzung und Diebstahl. Es ging auch um die Qualifizie- rung des Personals und um die atomrechtliche Deckungs- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- vorsorge. Des Weiteren wird noch die verkehrsrechtliche tere Frage des Kollegen von Klaeden. Zulassung geprüft, um Kontaminationen zu vermeiden.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Staatssekre- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Ich rufe tärin, Sie haben gerade in Ihrer Antwort auf die Frage des nun die Frage 9 des Abgeordneten Dr. Paul Laufs auf: Kollegen Laufs darauf hingewiesen, dass allein nach Was unternimmt die Bundesregierung, um die baldige Auf- Recht und Gesetz entschieden werde und politische Erwä- nahme von Transporten zu ermöglichen? gungen dabei keine Rolle spielten, und in diesem Zusam- menhang auf das Ermessen der Behörde hingewiesen. Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- Gehe ich richtig in der Annahme, dass politische Erwä- nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: gungen bei der Ermessensausübung keine Rolle spielen? Sie fragen, was die Bundesregierung unternimmt, um die baldige Aufnahme von Transporten zu ermöglichen. Ich Gila Altmann, Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- antworte Ihnen darauf – ergänzend zu dem, was ich Ihnen nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Es eben mitgeteilt habe – wie folgt: Die Schaffung der Vo- geht hier darum, nach fachlichen Erwägungen zu urteilen. raussetzungen für Transporte ist grundsätzlich Sache der Aufgrund der Vorkommnisse, die in der Vergangenheit Betreiber. Die Behörden des Bundes und der Länder prü- zum Stopp von Atomtransporten geführt haben, ist dies (B) fen lediglich, ob diese Voraussetzungen vorliegen. Die das Mindeste, was wir tun können und was wir zu tun ha- (D) Voraussetzungen habe ich Ihnen gerade genannt. ben. Aufgabe der Politik ist es letztlich, hier Überzeu- gungsarbeit zu leisten. Wie gesagt, die Abwägung bezieht sich auf rein fachliche, rechtliche und gesetzliche Ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- frage, Herr Kollege Laufs. sichtspunkte.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Vielen Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): Sie haben gerade eine Dank, Frau Staatssekretärin. beachtliche Liste von offenen Fragen vorgetragen. Wann wird das BfS diese Überprüfung abgeschlossen haben? Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Par- lamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper zur Ver- Parl. Staatssekretärin beim Bundesmi- Gila Altmann, fügung. nister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Kollege Laufs, wir haben diese Diskussion schon öf- Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Koppelin sollen ter geführt. Ich kann nur wiederholen: Die Überprüfungen schriftlich beantwortet werden. erfolgen nach Recht und Gesetz und nicht nach politi- schen Erwägungen. Insofern liegt es im Ermessen der Be- Deswegen rufe ich nun die Frage 12 des Kollegen hörden, zu entscheiden, wann die Prüfungen abgeschlos- Dr. Klaus Rose auf: sen sind. Welche Beweggründe hatte die Bundesregierung, Österreich zu den Feierlichkeiten am 3. Oktober 2000 in Dresden nicht ein- zuladen, obwohl sich die österreichische Regierung mit der Grenz- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Weitere öffnung zu Ungarn für die ausreisewilligen deutschen Bürger aus Zusatzfrage, Herr Laufs. der ehemaligen DDR historische Verdienste erworben hat? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Dr. Paul Laufs (CDU/CSU): Verstehen Sie angesichts der Tatsache, dass Atomtransporte die einzig verbliebene Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Möglichkeit sind, um den Betrieb bestimmter Kern-desminister des Innern: Herr Kollege Rose, Ihre Frage be- kraftwerke aufrechtzuerhalten, den Unmut und das Unbe- antworte ich wie folgt: Zu den Feierlichkeiten zum zehn- hagen der Betroffenen darüber, dass nun seit vielen Jah- ten Jahrestag der Einheit Deutschlands am 3. Oktober ren von den Ihnen unterstellten Behörden Fragen geprüft 2000 in Dresden hat die Bundesregierung – übrigens auch 11794 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) im Namen des Bundespräsidenten und des Bundesrats- hat, deren Einladung meines Erachtens durch Ihre Argu- (C) präsidenten – Vertreter der ausländischen Staaten, die den mentation nicht abgedeckt ist? Zwei-plus-Vier-Vertrag unterzeichnet haben, die so ge- nannte Troika und die Višegrad-Staaten auf der Ebene der Parl. Staatssekretär beim Bun- Staats- und Regierungschefs eingeladen. Die EU-Mit- Fritz Rudolf Körper, desminister des Innern: Herr Kollege, Sie wissen, dass gliedstaaten – einschließlich Österreichs; darauf zielt ja Ihre Frage – sind durch die EU-Troika vertreten gewesen. Frau Halonen aus Finnland kommt und als Vertreterin ih- res Landes Mitglied der Troika ist. Sie wissen vielleicht Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass darüber hi- auch, dass der eigentliche Vertreter, der Vertreter Portu- naus auf Vorschlag der Bundesregierung der österreichi- gals, aus gewissen – aus seiner Sicht verständlichen – sche Botschafter – wie alle anderen in Deutschland ak- Gründen absagen musste. So ist die Einladung von Frau kreditierten Botschafter auch – eingeladen worden ist und Halonen zu verstehen: in ihrer Eigenschaft als Mitglied an den Feierlichkeiten teilgenommen hat. der Troika. Ich denke, protokollarisch ist das in keinster Weise zu beanstanden. Es ist korrekt. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Ihre Zu- satzfrage, Herr Rose. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Dann kommen wir zur Frage 13 des Kollegen Klaus Rose: Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Wird sich die Bundesregierung für die Nichteinladung Öster- sind Sie sich bewusst, dass es eine etwas schofelige An- reichs zu den Einheitsfeierlichkeiten am 3. Oktober 2000 bei der gelegenheit war, die Österreicher mit diesem sehr all- österreichischen Bundesregierung entschuldigen? gemein gehaltenen Argument auszugrenzen, nachdem es ohne die Österreicher gar nicht zur Beteiligung der Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Višegrad-Staaten und anderer gekommen wäre? desminister des Innern: Herr Kollege Rose, es tut mir Leid, diese Frage in aller Kürze mit einem klaren und ein- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- fachen Nein beantworten zu müssen. desminister des Innern: Herr Kollege Dr. Rose, diese Mei- nung teile ich nicht. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- satzfrage von Herrn Rose, bitte. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- tere Zusatzfrage? – Bitte. Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Ihr (B) (D) Nein bezieht sich also – dies nur zu meinem Verständ- Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Darf ich dann fragen, nis – auf meine Frage, ob sich die Bundesregierung bei ob sich die Bundesregierung bewusst ist, dass die deut- der österreichischen Bundesregierung entschuldigen will. schen Mitbürger verärgert sind und sich für diese Haltung Wenn Sie dies mit Nein beantworten, dann muss ich Sie der Berliner Regierung sogar schämen, und dies nicht nur fragen, ob die Bundesregierung andere Schritte überlegt, an der Grenze zu Österreich und in konservativen Krei- die – vielleicht wird das diplomatisch anders ausgedrückt, sen, sondern auch – öffentlich geäußert – in sozialdemo- aber es hat doch das gleiche Ziel – einer Entschuldigung kratischen Kreisen? nahe kommen.

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Herr Dr. Rose, ich glaube, dass es desminister des Innern: Ich sage Ihnen noch einmal ganz keinen Anlass gibt, sich in irgendeiner Form zu schämen. deutlich: Das protokollarische Verfahren, das vorgab, wer Das Protokoll hat klare Kriterien dahin gehend vorge- in welcher Form eingeladen worden ist, gibt keinen An- sehen, wer eingeladen wird und wer nicht eingeladenlass, sich in irgendeiner Form zu entschuldigen. Das war wird. Ich habe Ihnen erläutert, dass Österreich aufgrund korrekt und ist korrekt und bleibt korrekt. bestimmter Kriterien eingeladen worden war. Diese Ein- ladung ist ja im Übrigen auch angenommen worden. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört, tere Zusatzfrage von Herrn Rose. hört!)

Dr. Klaus Rose(CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Bitte praktiziert die Bundesregierung diesbezüglich schon eine schön, Herr Kollege Straubinger. Art Reisediplomatie? Falls Sie als Vertreter des Innenmi- nisteriums das nicht wissen sollten, frage ich, ob Sie be- Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, reit sind, dem Bundeskanzleramt und dem Auswärtigen wie verträgt sich Ihre Begründung, die österreichische Amt nahe zu legen, möglichst bald engere Kontakte mit Bundesregierung nicht zusätzlich einzuladen, obwohl die dem inzwischen ja nicht mehr mit Sanktionen belegten Višegrad-Staaten eingeladen worden sind, mit der Tatsa- Österreich anzustreben und zu einer besseren Nachbar- che, dass die finnische Staatspräsidentin teilgenommen schaft beizutragen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11795

(A) Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- (C) desminister des Innern: Was diese Verhaltensweise anbe- frage, Kollege Straubinger. langt, braucht die Bundesregierung, glaube ich, Herr Kol- lege Dr. Rose, keine guten Ratschläge. Wir werden das Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Verhältnis zu Österreich auch in Zukunft auf der Grund- einem Zeitungsbericht der „Passauer Neuen Presse“ ent- lage der EU-Beschlüsse pflegen. Ich denke, das werden nehme ich, dass die Regierungen Polens, Tschechiens, der auch Sie noch sehen. Slowakei und Ungarns aufgrund ihrer besonderen Unter- stützung der dortigen Gruppen, die seinerzeit für Freiheit Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- und damit für die Überwindung des Eisernen Vorhangs tere Frage des Kollegen Straubinger, bitte schön. eingetreten sind, besonders eingeladen worden sind. Hätte man nicht trotzdem zwangsläufig an Österreich denken müssen, weil es den Eisernen Vorhang mit geöff- Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, net hat? bedauert die Bundesregierung wenigstens das Versehen, Österreich nicht zu den Feierlichkeiten am 3. Oktober ein- geladen zu haben, angesichts der Tatsache, dass sich Ös- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- terreich im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung desminister des Innern: Herr Kollege Straubinger, ich Deutschlands historische Verdienste erworben hat? Denn habe Ihnen die Kriterien des Protokolls dargelegt und er- Österreich und Ungarn waren ja die ersten Staaten, die klärt, wer aufgrund welcher Tatsache eingeladen worden den Eisernen Vorhang an ihrer Grenze geöffnet haben. Die ist. Sie haben die so genannten Višegrad-Staaten genannt. damaligen Außenminister von Österreich und Ungarn ha- Was Sie sagen, war in der Tat so. Ich habe das bereits bei ben diesen symbolträchtigen Schritt vollzogen und damit der Beantwortung der Frage des Kollegen Dr. Rose mit- vielen ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern der DDR geteilt. schnellstmöglich zur Freiheit verholfen. Im Übrigen waren die Zwei-plus-Vier-Vertragstaaten ebenso wie die EU eingeladen und vertreten. Ich sage Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- noch einmal deutlich – das ist ein kleiner Unterschied, den desminister des Innern: Herr Kollege Straubinger, ichSie bitte verinnerlichen sollten –: Österreich war in einer muss Sie insofern korrigieren, als es sich hierbei nicht um bestimmten Form eingeladen und diese Einladung wurde ein Versehen handelt, sondern man nach klaren protokol- auch angenommen. Das habe ich bereits deutlich gemacht larischen Kriterien vorgegangen ist. Österreich war ein- und daran gibt es nichts herumzureden. Das Protokoll war ebenso wie die Handhabung korrekt. (B) geladen in der Person des Botschafters, der diese Einla- (D) dung angenommen hat, und war auf EU-Ebene vertreten durch die Anwesenheit der so genannten Troika. Wenn Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zweite sich ein bisschen in protokollarischen Dingen auskennen, Zusatzfrage, Herr Kollege Straubinger. werden Sie meine Aussage verstehen. Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kom- Sie verweisen immer auf das Protokoll und haben in der men dann zur Frage 14 des Kollegen Straubinger, die ja Beantwortung der ersten Frage des Kollegen Rose darauf den gleichen Inhalt hat wie die eben gestellte Frage: hingewiesen, dass der Bundeskanzler diese Einladungen Wird die Bundesregierung weiterhin, trotz der historischen auch im Namen des Bundestagspräsidenten und des Verdienste, Österreich bei Feierlichkeiten zur deutschen Einheit Bundesratspräsidenten ausgesprochen hat. Wurde die nicht einladen? Problematik, Österreich nicht einzuladen, auch in enger Bitte schön, Herr Staatssekretär. Abstimmung mit dem Bundestags- und dem Bundes- ratspräsidenten erörtert?

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Herr Kollege Straubinger, die in Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- der Frage enthaltene Feststellung, dass Österreich zu den desminister des Innern: Herr Kollege Straubinger, ich be- Feierlichkeiten zum Tag der deutschen Einheit am 3. Ok- antworte als Vertreter des Bundesinnenministeriums diese tober 2000 nicht eingeladen wurde, trifft nicht zu.Fragen, weil das Bundesinnenministerium für das so ge- Der österreichische Botschafter in Deutschland, Herrnannte Inlandsprotokoll zuständig ist. Darüber hinaus Dr. Lutterotti, ist auf Vorschlag der Bundesregierung zu- darf ich auf Ihre Frage bemerken, dass es keinerlei Dis- sammen mit allen anderen in Deutschland akkreditierten kussionen und Streitereien über die Art der verschiedenen Botschaftern eingeladen worden und hat, wie ich das vor- Einladungen gegeben hat. Es gab auch keine Ausei- hin schon ausgeführt habe, an den Feierlichkeiten in Dres- nandersetzung darüber, wer welche Einladung an welcher den teilgenommen. Darüber hinaus war ÖsterreichStelle unterschrieben hat. Auch das ist im Einklang mit – ich wiederhole mich leider noch einmal – wie alle an- der Sächsischen Staatsregierung erfolgt. deren EU-Mitgliedstaaten durch die Anwesenheit der so genannten Troika auf der Ebene der Staats- und Regie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- rungschefs repräsentiert. tere Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden. 11796 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Staatssekre- der Sitzplätze eine Rolle spielt. Dafür müssen Sie Ver-(C) tär, teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass Österreich ständnis haben. Im Übrigen denke ich, dass das in Bezug einen besonderen Beitrag zur Öffnung des Eisernen Vor- auf die erwähnten Feierlichkeiten am 3. Oktober korrekt hangs, der mit dem Beitrag der Višegrad-Staaten ver-gehandhabt wurde. Hier gibt es nichts zu beanstanden und gleichbar ist, geleistet hat? ist kein Platz für Kritik.

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kom- desminister des Innern: Dass Österreich einen besonderen men jetzt zur Frage 15 des Abgeordneten Straubinger: Beitrag im Zuge der deutsch-deutschen Einigung geleis- Möchte die Bundesregierung mit der Nichteinladung Öster- tet hat, ist keine Frage. Deshalb ist auch eine Einladung reichs zu den Einheitsfeierlichkeiten die Sanktionspolitik der EU- Österreichs in der Form, die ich bereits mehrere Male dar- Länder gegen Österreich fortsetzen, obwohl diese offiziell für be- gestellt habe, erfolgt. endet erklärt wurde? (Dr. [PDS]: Das ist doch auch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- schon beantwortet worden!) tere Zusatzfrage des Kollegen Dr. Rose. Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, die desminister des Innern: Herr Kollege Straubinger, Nein ist Frage des Kollegen Straubinger war darauf gerichtet, ob meine Antwort. die Bundesregierung auch in Zukunft Österreich nicht (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Sehr gut! Es wird einladen wird. Ich möchte Sie fragen, ob Sie in Zukunft langsam lächerlich!) bei der gleichen protokollarischen Auffassung bleiben, dass Sie nämlich unter Österreich immer den öster- reichischen Botschafter verstehen. Oder laden Sie doch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- einmal die österreichische Regierung ein? satzfrage, Kollege Straubinger?

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, desminister des Innern: Sie wissen, Herr KollegeSie werden mir wohl Recht geben, dass es für internatio- Dr. Rose, dass es verschiedene Veranstaltungen gibt, über nale Verhandlungen und Vereinbarungen immer gut ist, die protokollarisch zu entscheiden ist. Wir werden von eine besondere Atmosphäre zu schaffen. Auch der Bun- (B) Fall zu Fall entscheiden, wie das Protokoll gestaltet wer- deskanzler handelt mittlerweile entsprechend. Er bemüht (D) den soll. sich zum Beispiel um eine besondere Atmosphäre in der Ich merke an Ihren Fragen, dass Sie lieber eine offene deutschen Parteienlandschaft. Flanke der Bundesregierung gesehen und in den Wunden Wäre es nicht im Interesse einer besonderen und bes- herumgegraben hätten. Das gelingt Ihnen nicht, weil das seren Atmosphäre innerhalb der EU und im Interesse der Protokoll korrekt war. Es wird auch zukünftig korrektengeren Verbindung der Länder gewesen, nach den un- sein. glücklichen Sanktionen gegen Österreich, an denen sich die Bundesregierung maßgeblich beteiligt hat, die Regie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- rung Österreichs einzuladen? tere Zusatzfrage des Kollegen Deß. (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Sagenhaft!) Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Herr Kollege Straubinger, Sie ma- chen einen Fehler. Sie bringen nämlich das Protokoll in Albert Deß (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, es wurde heute immer wieder auf das Protokoll hingewiesen. Zusammenhang mit den EU-Sanktionen gegen Öster- Es hat Äußerungen gegeben, dass man aus Platzgründen reich, die in der Tat offiziell als beendet betrachtet wer- nicht Vertreter von mehr Staaten eingeladen hat. Was hätte den. Die Form unserer Einladung und unsere Einladungs- man getan, um das Protokoll korrekt einzuhalten, wenn liste beruhen auf bestimmten Protokollfragen. Diese habe sich alle CSU-Abgeordneten angemeldet hätten? Wären ich Ihnen erklärt. Ich denke, daran gibt es nichts zu bean- sie aus Platzgründen wieder ausgeladen worden? standen. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie ha- ben eine ganz tolle Sorge! – Dr. Ruth Fuchs Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- [PDS]: Die Gefahr bestand ja!) frage, Kollege Straubinger.

Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatsekretär, desminister des Innern: Wer etwas zu dem Thema Platz- wird bei zukünftigen EU-Verhandlungen das Protokoll gründe geäußert hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich eine größere Rolle spielen als etwa atmosphärische Fra- sage aber ganz offen: Protokollfragen sind häufig ganz gen, um innerhalb der Europäische Union zu besseren praktische Fragen, bei denen manchmal auch die Anzahl Entscheidungen zu kommen? Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11797

(A) Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) desminister des Innern: Sie dürfen bestimmte Dinge wie desminister des Innern: Herr Vizepräsident, herzlichen zum Beispiel das Protokoll auf nationaler Ebene und das Dank. Ich war nicht so genau über das Reiseprogramm auf EU-Ebene nicht verwechseln. Ich möchte Ihnen nur meines Fraktionsvorsitzenden und darüber informiert, wo ein Beispiel nennen: Es gab eine Bodenseekonferenz, an er zu- und wo er abgesagt hat. Aber ich denke, dass Mo- der ganz normal die Innenminister aller Alpenregion-Län- torradfahren ein schönes Hobby ist. der beteiligt waren. Ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ich habe letztes Mal diese Verhaltensweise der Bundesregierung, wie sie sich Kaiserschmarren gegessen! Ist das auch was für in der Vergangenheit zeigte, für richtig halten. Das kann Sanktionen?) ich nur bestätigen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das kann Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- ich bestätigen. tere Zusatzfrage, Kollege Rose. (Heiterkeit)

Dr. Klaus Rose(CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Vielen Dank, Herr Staatssekretär. nachdem Sie das Ende der Sanktionen klar befürwortet Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- haben, möchte ich Sie fragen: Kann ich davon ausgehen ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der und darf ich dies auch der Bevölkerung bei uns sagen, Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller zur Verfü- dass Mitglieder der Bundesregierung demnächst, wenn gung. sie wieder in die Toskana oder sonst wohin fahren, eine Zwischenstation in Österreich machen und alles wieder Wir kommen zur Frage 16 des Kollegen Hofbauer: gut wird? Wird die Bundesregierung im Zuge der Herstellung einer durchgehenden Autobahnverbindung auf der europäischen Ma- gistrale zwischen Paris und Prag für den Weiterbau der Autobahn Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- A 6 zwischen Amberg und Waidhaus das Angebot der Europä- desminister des Innern: Herr Kollege Dr. Rose, wo er Ur- ischen Investitionsbank annehmen, 50 Prozent der Finanzierung des 600-Millionen-DM–Projektes als zinsloses Darlehen zu ge- laub macht, kann jeder selbst entscheiden. Im Übrigen währen? war die Entscheidung über die Sanktionen nicht Sache der Bundesregierung, sondern dies war eine Entscheidung der Parl. Staatssekretär beim Bundesminister EU. Sie ist so getroffen worden, wie sie Ihnen bekannt ist. Karl Diller, der Finanzen: Herr Kollege Hofbauer, ein konkreter Fi- (B) nanzierungsvorschlag seitens der Europäischen Investiti- (D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- onsbank ist der Bundesregierung bisher nicht unterbreitet tere Zusatzfrage des Kollegen Deß. worden. Die Autobahn A 6 ist nach Auffassung der Bun- desregierung ein wichtiger Baustein sowohl im nationa- len wie im europäischen Autobahnnetz. 10 Kilometer der (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, hat die Albert Deß 54 Kilometer langen Strecke zwischen Amberg und der Bundesregierung Sanktionen gegen den Fraktionsvorsit- Bundesgrenze sind – wie Ihnen selbst bestens bekannt – zenden der SPD, Struck, eingeleitet, nachdem dieser sich bereits für den Verkehr freigegeben. Weitere 8 Kilometer während der Sanktionszeit an der Bundestags-Motorrad- sind im Bau. fahrt von Berlin nach Wien beteiligt hat? Die Bundesregierung verfolgt das Ziel, die A 6 zu- nächst zwischen Pfreimd und der Bundesgrenze konti- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- nuierlich weiterzubauen. Sie beabsichtigt jedoch nicht, desminister des Innern: Herr Kollege Deß, ich will Ihnen Vorfinanzierungsangebote anzunehmen, die die bestehen- als Antwort etwas sehr Persönliches sagen: Ausgerechnet den Vorbelastungen des Straßenbauhaushaltes von mehr in der Woche um den 3. Oktober weilte ich privat in Ös- als 8 000 Millionen DM noch weiter erhöhen. Vorfinan- terreich. Mir ist nicht bekannt, dass daran etwas zu bean- zierungsmodelle schränken nämlich für den Haushaltsge- standen war und dies Folgen nach sich zieht. setzgeber künftiger Jahre die disponiblen Mittel ein. So (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Haben Sie erreichen die Vorbelastungen aus den bislang vorfinan- sich denn da zu erkennen gegeben?) zierten 27 Straßenbauprojekten etwa ab dem Jahr 2004 rund 600 Millionen DM jährlich und werden erst ab dem Jahre 2015 spürbar zurückgehen. Vor dem Hintergrund Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Ich darf unseres konsequenten Konsolidierungskurses beabsichti- Sie vielleicht darüber aufklären, dass der Kollege Struck gen wir also, dieses Instrument nicht mehr einzusetzen. an dieser Reise nicht teilgenommen hat. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Der Kollege Thierse war Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- Schirmherr dieser Reise und der ist auch in der satzfrage des Kollegen Hofbauer. SPD! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aus Sorge vor Sanktionen?) Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, – Ich habe selbst mitgemacht, deswegen weiß ich das. zunächst ist es bemerkenswert, dass meine Frage, die die 11798 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Klaus Hofbauer (A) Finanzierung einer ganz konkreten Straße betrifft, vom Ich denke, man sollte sich das Ganze noch einmal ge- (C) Finanzministerium beantwortet wird. Aber kann ich Ihrer nau anschauen. Ein Angebot liegt nicht vor. Aber im Prin- Antwort entnehmen: Wenn Sie das Angebot bekämen, zip schätzen wir das „shadow-toll“-Modell so ein, dass es würden Sie es nicht annehmen und für den restlichen Teil nichts anderes als eine private Vorfinanzierung ist. Was müsste eine neue Finanzierung gesucht werden? ich zur privaten Vorfinanzierung gesagt habe, gilt.

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- der Finanzen: Herr Kollege Hofbauer, ich habe mich bei tere Zusatzfrage, Kollege Hofbauer, bitte schön. dem Büro von Herrn Wolfgang Roth in Luxemburg kun- dig gemacht und dankenswerterweise seinen Redetext für diese Veranstaltung – ich glaube, sie war in Nürnberg – er- Klaus Hofbauer (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, es halten. Ich habe mir seine Ausführungen, angeschaut und ist zunächst bemerkenswert, dass Sie diese Frage schon mir bei einer ersten Prüfung eine ganze Reihe von dicken sehr intensiv geprüft und gewürdigt haben. Kann ich an- Fragezeichen machen müssen. nehmen, dass ein solches Finanzierungsmodell ausfällt? Das „shadow-toll“-Finanzierungsinstrument ist bisher in Großbritannien und Portugal angewandt worden. Die Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Europäische Investitionsbank weist darauf hin, dass sie der Finanzen: Wenn es sich bei den Prüfungen tatsächlich beispielsweise den Vorzug hat, „triple A“ eingestuft zu herausstellt, dass es sich um ein privates Vorfinanzie- sein. Das heißt, sie kann Kredite zu günstigsten Konditio- rungsmodell handelt, dann fällt es aus. nen aufnehmen. Das ist für andere Staaten durchaus in- teressant, für die Bundesregierung nicht, weil die Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Weitere desrepublik Deutschland ebenfalls „triple A“ bewertet ist. Zusatzfrage, Kollegin Blank. Das heißt, niemand kann günstiger Kredite als der Bund selbst aufnehmen. Renate Blank (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist Im Übrigen hat Herr Roth selbst darauf hingewiesen, Ihnen bekannt, dass ich bei der damaligen Veranstaltung dass Dreh- und Angelpunkt eines „shadow-toll“-Konzep- mit dem Vizepräsidenten der Europäischen Investitions- tes ist, dass die Konzessionäre, also die privaten Bauge- bank anwesend war und dass der Vizepräsident ausführte, sellschaften, schon den ersten Planungsschritt selber ma- es sei eine Schande, dass dieses Projekt der A6 noch nicht chen können. Bis zur Planfeststellung müssen also nicht weiter vorangetrieben wurde und dass die derzeitige rot- mehr die Staatsbauämter oder die Straßenbauprojektäm- grüne Bundesregierung dringend handeln sollte? (B) ter des Staates alles betreiben, sondern die Konzessionäre (D) sind von Anfang an eingeschaltet, um mit ihrem techni- schen Know-how vielleicht zu einer Linienführung zu ge- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister langen, die kostengünstiger ist, oder um andere techni- der Finanzen: Verehrte Kollegin, mir persönlich ist Ihre sche Konzeptionen für die Verwirklichung einer Strecke Anwesenheit nicht bekannt gewesen. Ich nehme das zur anzubieten, was sich dann im Preis niederschlägt. Kenntnis. Darüber hinaus macht Herr Roth in seinen Ausführun- Im Übrigen kann Herr Roth mit seiner Kritik nur die gen auf Folgendes aufmerksam – ich zitiere ihn –: frühere Bundesregierung gemeint haben; denn dieses Pro- blem existiert ja seit 1989 und was bisher bereitgestellt Der Fremdmittelanteil ist bei „shadow-toll“-Projek- worden ist, sieht man ja. Sie – so könnte man unterstel- ten normalerweise hoch, da die erforderlichen Auto- len – entdecken dieses Thema erst, nachdem Sie nicht bahngebühren so berechnet sind, dass sie den Schul- mehr in der Verantwortung sind. dendienst mit einer Sicherheitsmarge decken.

Das würde bedeuten: Wir hätten nicht nur die Zinsbelas- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- tung, dies sich aufgrund von „triple A“ ergibt, sondern satzfrage des Kollegen Strobl. auch noch eine Sicherheitsmarge zu tragen, die wir in un- serer bisherigen Finanzierung gar nicht haben. Deswegen denke ich, dass man, wenn man sich das einmal intensi- Reinhold Strobl (SPD): Herr Staatssekretär, trifft es ver anschaut, viele Haken bis hin zu Folgendem findet: zu, dass die Europäische Investitionsbank zur Finanzie- Herr Roth sagte selbst, dass die Betreiber dann für die ge- rung eine so genannte Schattenmaut verlangen würde? samte „shadow-toll“-Strecke geradestehen müssen. Das Wer müsste diese Mehrkosten tragen? sind dann 30 Jahre. Das lassen sie sich auch bezahlen, weswegen sich das Ganze noch einmal verteuert. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Es ist die Frage zu stellen – das müsste meines Erach- der Finanzen: Herr Kollege, verzeihen Sie, ich habe den tens auch Sie politisch interessieren –: Wird eine „sha- englischen Ausdruck gebraucht. „Shadow-toll“ heißt auf dow-toll“-Lösung nicht dazu führen, dass wir in diesem Deutsch: Schattenmaut. Schattenmaut wird sie genannt, Bereich nicht nur Generalunternehmer, sondern auch Ge- weil nicht der Benutzer wie üblich die Gebühren zahlt. neralübernehmer haben und dass der normale Hand-Wenn Sie zum Beispiel durch Frankreich fahren, müssen werksbetrieb, der sich vielleicht noch beim Bau einer ein- Sie an einem Häuschen Ihren Obolus entrichten, um wei- zigen Brücke engagieren könnte, völlig außen vor ist? terfahren zu können; das gäbe es an einer solchen Strecke Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11799

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) nicht. „Shadow-toll“ bedeutet: Statt des PKW- oder Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- (C) LKW-Fahrers wirft – im übertragenen Sinne – der Staat tere Zusatzfrage des Kollegen Straubinger. – Herr Girisch, die Münze ein; der Staat hätte also diese Mautgebühren zu Sie haben nur das Recht auf eine Frage. zahlen. Wie hoch die Mautgebühren sein sollen, müsste man Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, natürlich erst einmal schätzen. Das heißt, es müssten Ver- Sie haben das Stichwort gegeben und sich vorhin bei kehrsprognosen zugrunde gelegt werden: Fahren dortIhren Antworten vehement gegen Vorfinanzierungen auch 10 000, 20 000, 50 000 oder 80 000 PKW, wie viele tau- von privater Seite ausgesprochen. Wie muss ich es ver- stehen, dass die Bundesregierung zum Beispiel bei einem send LKW passieren die Strecke in 24 Stunden? Daraus Teilstück der A31 in Niedersachsen bereit ist, eine private würde sich dann eine Gebühr errechnen. Dann ist die Vorfinanzierung durch Unternehmer, Landkreise und das spannende Frage: Wie schließt man solche Verträge – mit Land Niedersachsen zu gestatten? einer Revisionsklausel? Wenn sich die Prognosen nicht bewahrheiten: Wer trägt dann die Ausfallkosten? – Wenn die Prognosen übertroffen werden: Wer kriegt dann den Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Profit? Wie wird das Ganze dann wieder korrigiert? der Finanzen: Herr Kollege, ich bitte die Frage an das zu- ständige Ressort zu richten, weil ich im Moment nicht re- Es gibt einen Rattenschwanz von zusätzlichen Proble- kapitulieren kann, wie die genauen Finanzierungskondi- men, deswegen muss man das Ganze sehr sorgfältig prü- tionen für die von Ihnen genannte Strecke waren. Das fen. Finanzministerium ist nicht für den Bau der einzelnen Strecken zuständig, sondern höchstens für die generelle Frage der Finanzierung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- tere Zusatzfrage des Kollegen Girisch. Ich persönlich darf dazu bemerken: Als es darum ging, die Zahl der privat vorfinanzierten Strecken zu erhöhen, war ich als Mitglied des Haushaltsausschusses einer der Georg Girisch (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, leh- Befürworter eines Versuches. Aber die Befürworter waren nen Sie diese Art der Finanzierung auch dann ab, wenn im sich über alle Parteigrenzen hinweg einig: Wenn die erste Zuge der EU-Osterweiterung ein Vorschlag von der EU auf diese Weise vorfinanzierte Strecke nach einem til- kommt? Lehnen Sie diesen Vorschlag auch ab, wenn er gungsfreien Jahr dem Bund zur Tilgung übereignet wird, wegen der EU-Osterweiterung sehr von der Bayerischen brauchen wir zusätzliches Geld und dieses zusätzliche Staatsregierung befürwortet wird? Sie wissen ja, dass die- Geld hat Ihre Regierung nicht vorgesehen, im Gegenteil: (B) ses im Zuge der EU-Osterweiterung besonders dringlich Sie hat uns im Verkehrshaushalt viele Finanzierungspro- (D) ist. bleme hinterlassen, weil viele Projekte angefangen wor- den sind, ohne dass deren Finanzierung in der mittelfristi- gen Finanzplanung bis zum Ende gesichert war. Das ist Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister eines unserer großen Probleme. Hätten Sie damals sorg- der Finanzen: Wissen Sie, ich bin kein Bayer wie Sie, son- fältiger gehandelt, wäre es heute um vieles leichter. dern ich bin Rheinland-Pfälzer.

(Rainer Brüderle [F.D.P.]: Das hat auch was Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielleicht für sich!) wäre Herr Staatssekretär Scheffler bereit, Ihre Antwort zu Hier sitzt der frühere rheinland-pfälzische Verkehrsmi- ergänzen? – Bitte schön, Herr Scheffler. nister Rainer Brüderle. Er hatte zusammen mit der damals verantwortlichen Bundesregierung ein ähnliches Problem Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- hinsichtlich einer europäisch wichtigen Straße, die vom desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Vie- Verkehrsaufkommen so ähnlich wie auch Ihre A 6 einzu- len Dank, Herr Präsident. Lieber Kollege, Sie kennen an schätzen ist: Sie ist bei bei der letzten Prüfung noch rela- sich die Antwort. Die so genannte Emsland-Autobahn tiv schwach, weil das Nutzen-Kosten-Verhältnis beiwird völlig anders als der hier besprochene Vorschlag zur 1,7 Prozent lag, glaube ich – dafür ist eigentlich ein ande- A 6 finanziert. In dem Fall der A31 hat die Wirtschaft den res Ressort zuständig – und nicht bei 3 Prozent, wie es Be- Vorschlag gemacht, Geld zur Verfügung zu stellen – es waren anfangs 200 Unternehmen und mittlerweile sind es dingung ist, wenn eine Maßnahme als vordringlicher Be- 600 Unternehmen – dann kamen Kommunen und andere darf anerkannt werden soll. Gebietskörperschaften dazu. Was ganz wichtig ist: Das Aber die rheinland-pfälzische Landesregierung ist da- Land Niedersachsen finanziert 285 Millionen DM. Der mals an die Bundesregierung herangetreten und hat ge- Bund wird diese Aufwendungen später refinanzieren, und sagt: Die A 60 zwischen Bitburg und der belgischenzwar zu dem Zeitpunkt, an dem diese Straße bzw. Auto- Staatsgrenze ist uns so wichtig, dass wir uns mit Landes- bahn zum Bau vorgesehen ist. mitteln an der Finanzierung beteiligen. Vielleicht machen Das Entscheidende ist: Die Refinanzierung erfolgt Sie einmal diesen Vorschlag der Bayerischen Staatsregie- ohne Zinsbelastung und ohne Tilgung. Diese zusätzlichen rung und dann kann das Fachressort zusammen mit der Belastungen werden also vom Land Niedersachsen bzw. Bayerischen Staatsregierung darüber nachdenken. von den Kommunen und anderen Gebietskörperschaften 11800 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler (A) übernommen. Insofern kann man diese – ich nenne sie Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister (C) einmal – Mischfinanzierung nicht mit dem bayerischen der Finanzen: Herr Kollege Hofbauer, Finanzierungsmo- Vorschlag vergleichen, da die Bayerische Staatsregierung delle, die eine Vorbelastung künftiger Haushalte nach sich ausdrücklich erklärt hat, sie wolle nicht die Zinslasten ziehen, kommen für uns nicht in Betracht. Die Bundesre- übernehmen. Sie will zwar die Maßnahme vorgezogen gierung strebt an, die Fertigstellung der A 6 zwischen haben, wie es Herr Kollege Diller hier richtig vorgetragen Pfreimd und der Bundesgrenze bis zum Jahre 2010 si- hat, aber die Zinsbelastung und die Belastung aus der Til- cherzustellen. Positiv wirkt sich hierbei aus, dass für die gung sollen vom Bund getragen werden. Deshalb wollen Restlaufzeit des Investitionsprogrammes, also in den Jah- wir dieses so genannte Betreibermodell nicht. ren 2001 und 2002, insgesamt rund 1 100 Millionen DM mehr für Straßenbauprojekte des Bundes zur Verfügung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Vielen stehen, als zum Zeitpunkt der Aufstellung des Program- Dank, Herr Staatssekretär. mes abzusehen war. Mit der Bayerischen Staatsregierung wird der Betrag Es bleibt noch die Zusatzfrage des Kollegen Deß. festzulegen sein, der für die A 6 aus dem auf Bayern ent- fallenden Anteil zur Verfügung gestellt werden kann. Für die Zeit nach 2002 obliegt es Ihnen, dem Deutschen Bun- Albert Deß (CDU/CSU): Herr Staatssekretär Diller, da Sie der alten Bundesregierung an dieser Stelle Ver- destag, im Rahmen der Novellierung des Fernstraßenaus- säumnisse anlasten, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass baugesetzes über die Beibehaltung oder die Änderung SPD-Politiker vor Ort diese Autobahn bis Anfang dervon Prioritäten im Bundesfernstraßenbau zu entscheiden. 90er-Jahre für überflüssig gehalten haben und dass ein SPD-Landtagskollege dem damaligen Wirtschafts- und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- Verkehrsminister Gustl Lang sogar vorgehalten hat – ich frage, Kollege Hofbauer? – Das ist nicht der Fall. zitiere sinngemäß –, dass er eine Autobahn plant, die ins Niemandsland führt? Es liegt eine Reihe von weiteren Wortmeldungen vor. Ladies first – Frau Blank, bitte schön.

Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, Sie werden verstehen, dass Renate Blank (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Sie ich weder die Diskussion vor Ort kenne noch sie von hier führen aus, dass Sie keine Projekte im Konzessionsmodell aus in toto kommentieren will. Jedenfalls bestätigt das, mehr vorantreiben oder genehmigen wollen. Ist Ihnen be- was ich eben vom Kollegen Scheffler gehört habe, ei-kannt, dass die Haushälter der SPD in der Zeit, in der sie (B) gentlich das, was ich am Beispiel von Rheinland-Pfalz ge- in der Opposition waren, die von uns vorgeschlagenen(D) sagt habe. Wenn die Bayerische Staatsregierung hochgra- Projekte noch einmal um 13 oder 14 Projekte ergänzt ha- dig daran interessiert ist, dass diese Autobahn frühzeitiger ben, um ihre eigenen Straßen vor Ort zu haben? Wie be- gebaut wird, als wir es aufgrund unserer finanziellenurteilen Sie, nachdem Sie vorher sehr kritisch mit diesem Möglichkeiten machen können, bliebe ihr die Überlegung Finanzierungsmodell umgegangen sind, aus heutiger unbenommen, sich – wie Rheinland-Pfalz und, wie ich Sicht Ihre damalige Zustimmung zu diesem Modell? höre, andere Bundesländer auch – mit Eigenmitteln zu be- teiligen. Da der bayerische Staatshaushalt in einer völlig anderen Situation ist als der Bundeshaushalt, müsste das Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für die Staatsregierung besonders leicht sein. der Finanzen: Verehrte Frau Blank, ich habe mich schon vorhin als einer derjenigen geoutet, der – vor sechs Jahren Ich darf noch einmal auf Folgendes hinweisen: Als wir war es wohl – im Haushaltsausschuss mit dafür gesorgt von Herrn Dr. Theodor Waigel das Finanzministerium hat, dass es einen breiten Konsens zur Ausweitung der und damit auch die Schulden des Bundes und die Zinslas- Modelle gegeben hat. ten übernommen haben, mussten wir jede vierte Mark, die wir an Steuern von den Bürgerinnen und Bürgern einneh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) men durften, nur für das Zahlen von Zinsen ausgeben. Das Ich möchte auch nicht verschweigen, dass ich einmal Bundesverfassungsgericht hat einmal im Falle von Saar- die Hoffnung hatte, eine andere bundesdeutsche Auto- land und Bremen geurteilt: Wer jede vierte Mark seiner bahn fertig stellen zu lassen, nämlich die A1, die von Kiel Steuereinnahmen nur für das Zahlen von Zinsen ausgeben nach Saarbrücken führt und über 700 Kilometer lang ist. muss, befindet sich – so wörtlich – in einer extremen Haushaltsnotlage. – Das ist das Erbe, das wir jetzt schul- Die gesamte Strecke ist fast fertig gestellt. Es fehlen nur tern müssen. noch 35 Kilometer in der Eifel. Seit 1987, als ich Mitglied des Deutschen Bundestages wurde, habe ich mich darum (Albert Deß [CDU/CSU]: Leider darf ich bemüht, dort Bewegung hineinzubekommen. Während keine weitere Zusatzfrage stellen!) Ihrer Regierungszeit konnten gerade einmal 4 Kilometer der A 48 zwischen der Anschlussstelle Mehren und der Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kom- Anschlussstelle Daun fertig gestellt werden. Ich habe ge- men jetzt zur Frage 17 des Abgeordneten Hofbauer: hofft, die restlichen Kilometer könnten im Rahmen eines Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die dann Modells der privaten Vorfinanzierung fertig gestellt wer- verbleibende Restfinanzierung sicherzustellen? den. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11801

Parl. Staatssekretär Karl Diller (A) Ich habe vorhin auch gesagt – darüber waren wir uns Max Straubinger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, (C) damals alle bewusst –: Wir brauchen zusätzliches Geld, angesichts Ihrer Äußerung, dass in den einzelnen Bun- wenn die Tilgung beginnt. Ich möchte Ihnen das an einem desländern letztendlich überhaupt keine Autobahnen Beispiel aus Rheinland-Pfalz deutlich machen: Der Bau mehr gebaut werden könnten, wenn man sie vorfinan- der A 60 von Bitburg bis nach Wittlich wird privat vorfi- zierte, möchte ich Sie fragen: Gilt das nicht im selben nanziert. Der letzte Bauabschnitt – den ersten habe ich Maße für die A 31, da auch dieses Projekt, wie Herr kürzlich übergeben dürfen – wird ab 2002 dem Verkehr Staatssekretär Scheffler vorhin ausgeführt hat, vorfinan- übergeben werden. Dann beginnt die Tilgung. Nach der ziert ist und die Tilgungssumme von den Neubaumitteln, alten Konzeption, die während Ihrer Regierungszeit ent- die dem Land Niedersachsen zustehen, später abgezogen standen ist, bedeutet dies, dass die Hälfte der Tilgungs- wird, und zwar nach meinen Informationen ab dem Jahr summe von den Neubaumitteln, die dem Bundesland2010? Rheinland-Pfalz nach dem berühmten Schlüssel eigent- Wir können beide nicht wissen, wie der Verkehrshaus- lich zustehen, über 15 Jahre hinweg abgezogen wird. Der halt im Jahr 2010 aussehen wird und welche finanzielle Autobahnbau in Rheinland-Pfalz würde ab dem Jahr 2002 Unterstützung wir haben werden. Darum haben wir das zum Stillstand kommen, wenn nicht zusätzliche Mittel zur entsprechende Gutachten des Wissenschaftlichen Diens- Verfügung gestellt werden. Die spannende Frage ist, ob tes des Deutschen Bundestages in Auftrag gegeben, nach das gelingen wird. dem die Vorfinanzierung der A 31 finanzverfassungs- rechtlichen Gesichtspunkten nicht stand hält. Wir sind der Meinung: Den Weg der privaten Vorfi- nanzierung zu gehen, um dadurch Zeit zu gewinnen, hilft nur kurzfristig. Mittelfristig holt uns das wieder ein und Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister fällt uns doppelt und dreifach auf die Füße, weil ein Still- der Finanzen: Ich bitte, die Frage über die A 31 mit dem stand im Autobahnbau eintritt. Deshalb ist die private Vor- Fachressort zu diskutieren. Bezüglich des schnelleren finanzierung, so wie Sie sie während Ihrer Regierungszeit Verwirklichens möchte ich zunächst einmal festhalten, vorgesehen hatten und wie ich sie zunächst unterstützt was durch die Kenntnis der Drucksache 14/4090 – Be- hatte, kein Weg für die Zukunft. schlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ver- kehr, Bau- und Wohnungswesen – über die A 6 bekannt geworden ist. Hier sind offenbar noch nicht in allen Be- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- reichen die entsprechenden Voraussetzungen nach dem satzfrage des Kollegen Girisch. Baurecht erfüllt. Dies muss erst noch geschehen. Man sollte sich erst darum kümmern, dass die Voraussetzungen nach dem Baurecht gegeben sind. Ich rate jedem drin- (B) Georg Girisch (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Sie (D) haben sich zur Frage der privaten Vorfinanzierung kritisch gend: Reden Sie einmal mit der Bayerischen Staatsregie- geäußert. Sie haben aus einem Redetext des Präsidenten rung, ob sie sich nicht das Land Rheinland-Pfalz zum Roth zitiert. Meine Frage ist: Könnten Sie uns diesen Re- Vorbild nimmt und mit eigenem Geld ohne Anspruch auf detext und die Bewertung aus Ihrem Hause zuleiten?Rückzahlung durch den Bund dazu beiträgt, ein bestimm- Nach meinen Informationen hat sich Herr Roth in diesem tes Straßenbauprojekt voranzutreiben, weil es ihr regional Text auch über die derzeitige Bundesregierung kritisch bzw. überregional besonders wichtig ist. Ich wünsche Ih- nen dabei viel Erfolg. geäußert, weil die Finanzierung der A 6 zögerlich behan- delt wird. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Staatssekretär Diller, vielen Dank. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, ich stelle Ihnen gerne – ich Herr Staatssekretär Scheffler ist bereit, die Frage er- habe überhaupt keine Bedenken – den Redetext des Herrn gänzend zu beantworten. Roth zur Verfügung. Die Anmerkungen, die ich vorgetra- gen habe, stammen nicht aus meinem Hause; sie spiegeln Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- vielmehr meine kritischen Gedanken wider, die mir heute desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Er- Morgen, nachdem ich den Redetext auf meinen Schreib- gänzend möchte ich anmerken – ich habe angenommen, tisch bekommen habe, spontan eingefallen sind. Insofern dass das vorhin Ausgeführte deutlich genug war –, dass ist dem im Augenblick nichts hinzuzufügen. dies keine zusätzliche Belastung des Bundeshaushaltes Herr Roth muss zur Kenntnis nehmen, dass es einen erfordert. Sie haben die Jahreszahl 2010 genannt. Natür- Prioritätenkatalog gibt, der uns verpflichtet, zunächst alle lich haben wir die klassischen Finanzierungsinstrumente, Straßenbauprojekte abzuarbeiten, die in Ihrer Regie-die für ein Fernstraßenausbaugesetz und für Maßnahmen rungszeit zwar begonnen worden sind, für die aber keine nach dem Bundesverkehrswegeplan ab einem Zeitraum X dauerhafte und saubere Finanzierung vorliegt. Das ist un- – nehmen wir einmal das Jahr 2010 oder das Jahr 2015 – ser Problem. Hätten Sie uns dieses Problem nicht hinter- erforderlich sind. Ab dem Jahr 2010 oder 2015 werden die Maßnahmen, vorbehaltlich der Zustimmung des Deut- lassen, dann wären wir in vielen Bereichen schon weiter. schen Bundestages – man unterliegt der Jährlichkeit der Haushalte –, durchgeführt. Das geschieht aber ohne zu- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- sätzliche Tilgungsquote und ohne zusätzliche Zinsquote satzfrage des Kollegen Straubinger. zu der entsprechenden Länderquote. Insofern ist dies ein 11802 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler (A) erheblicher Unterschied, denn die Handlungsspielräume Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- (C) werden entsprechend der gemeinsamen Vereinbarung nur desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Herr eingeschränkt. Als Berliner salopp gesagt: Sie wollenPräsident! Sehr geehrte Frau Kollegin Blank, ich werde doch als Land diese Maßnahme nicht geschenkt bekom- nachher noch die von Ihnen eingereichte Frage beantwor- men. Die Haushaltsfinanzierung muss natürlich gesichert ten; aber vielleicht betrachten Sie dies als einen fließen- werden. den Übergang. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Herr Staatsse- Ich stimme dem Kollegen Diller vollinhaltlich zu, dass kretär Diller hat gerade etwas anderes ausge- die alte Bundesregierung Gelegenheit gehabt hätte, die führt!) genannten Maßnahmen im Rahmen der Finanzierung der Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan bzw. aus dem Fünfjahresplan vorzuziehen. Sie wissen, dass die Voraus- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Straubinger, Ihr Fragerecht ist erschöpft. setzungen aber erst seit Juli mit dem Baurecht für die Strecke Amberg-Ost–Pfreimd vorliegen, und zwar mit der Wir kommen zur Frage 18 der Kollegin Blank: Möglichkeit des sofortigen Vollzugs. Aber auch der so- Ist die Bundesregierung bereit, dem vom Vizepräsidenten der fortige Vollzug unterliegt der Jährlichkeit der Haushalte. Europäischen Investitionsbank, EIB, Wolfgang Roth, vorgeschla- Es gilt hier also wieder, wie der Berliner sagt: Ohne Moos genen Finanzierungsmodell, bei dem die EIB bis zu 50 Prozent der noch notwendigen Investitionskosten von circa 600 Million- nichts los. Insoweit geht es der neuen Bundesregierung en DM durch ein zinsgünstiges langfristiges Darlehen mit bis zu wie der alten: Wenn die entsprechenden Mittel nicht im 18 zins- und tilgungsfreien Jahren vorfinanziert, beizutreten und Haushalt ausgewiesen sind, kann nicht gebaut werden. die dazu notwendigen 300 Millionen DM im Konzessionsmodell zur Verfügung zu stellen? Die Mittel für die von mir genannte Strecke konnten aber, wie gesagt, nicht in den Haushalt eingestellt werden, weil kein Planungsrecht bestand. Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident, ich bin in einer schwierigen Im Übrigen erinnere ich daran, Kollegin Blank, dass Situation. Die Kollegin hat die gleiche Frage gestellt wie für den Abschnitt Woppenhof–Kaltenbaum noch ein der Kollege Straubinger. Sie ist im Prinzip schon beant- Planfeststellungsverfahren bis voraussichtlich Mitte 2001 wortet worden. Ich kann nichts Neues hinzufügen. läuft. Neben Baurecht brauchen wir das Kriterium der si- cheren Durchfinanzierung einer Strecke im Investitions- plan 1999 bis 2002. In diesem Zusammenhang ist daran Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vielleicht zu erinnern, dass uns die alte Bundesregierung eine Bug- möchte die Kollegin Blank noch eine Zusatzfrage stellen. welle oder Unterfinanzierung des Bundesverkehrswege- plans in Höhe von 80 bis 100 Milliarden DM hinterlassen (B) (D) Renate Blank (CDU/CSU): Es ist richtig, dass ich hat. Demgegenüber hat jetzt der Bundesminister für Ver- zwei Zusatzfragen stellen möchte. kehr, Bau- und Wohnungswesen in Abstimmung mit dem Finanzminister – ich bin meinem Kollegen Karl Diller Herr Staatssekretär Diller, ist Ihnen bekannt, dass die außerordentlich dankbar, dass er dem zugestimmt hat, ob- neue Bundesregierung alles besser machen wollte und wohl er, wie wir gehört haben, weniger ein Lobbyist für dass sie sich nach der Bemerkung des Kollegen Scheffler Bayern als vielmehr für Rheinland-Pfalz ist – in das IP- der Infrastrukturverantwortung entzieht, wenn Sie zum Mittel für entsprechende Streckenabschnitte eingestellt Beispiel einen Landesanteil aus Bayern, Rheinland-Pfalz und darüber hinaus aus der Reduzierung der globalen oder anderen Ländern wollen? Ist dies ein Rückzug aus Minderausgabe, die immerhin 1,1 Milliarden DM aus- Ihrer Infrastrukturverantwortung? Sie haben zu der Arbeit macht, für Bayern noch einmal circa 140 Millionen DM der vorherigen Bundesregierung gesagt, dass sie die A 6 lockergemacht. Ihnen ist sicherlich der Brief des Bundes- hätte fertig stellen sollen. Ist Ihnen bekannt, dass von der ministers für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen an den alten Bundesregierung die Baureife im Zusammenhang zuständigen bayerischen Staatsminister Beckstein be- mit der A6 immer schnell realisiert wurde, sodass für die kannt, in dem es heißt, dass sowohl zur Verstärkung des restlichen 54 Kilometer die Voraussetzungen nach dem in Bau befindlichen Abschnittes der A6 als auch für einen Baurecht erfüllt sind? Neubauabschnitt der A 6 der vom Kollegen Diller ge- nannte Zehnjahreszeitraum von der Bundesregierung ge- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister sichert ist. Es entspricht übrigens auch der mündlichen der Finanzen: Verehrte Frau Kollegin, ich habe lediglich Vereinbarung unserer Vorgängerregierung, dass die darauf hingewiesen, dass sich die Bundesregierung ange- Strecke bis zur tschechischen Grenze in den nächsten sichts der ihr zur Verfügung stehenden finanziellen Mög- zehn Jahren realisiert werden soll. lichkeiten bemüht, das alles bis zum Jahre 2010 sicherzu- Wir suchen hier natürlich gemeinsam, verehrte Kolle- stellen. Wer also einen früheren Zeitpunkt will, der möge gin Blank, nach neuen Möglichkeiten. Ohne dass bereits einmal darüber nachdenken, ob nicht der Weg gangbar danach gefragt worden wäre – vielleicht wird diese Frage wäre, den beispielsweise Rheinland-Pfalz seinerzeit be- nachher noch gestellt –, sage ich, dass es dem Bundes- schritten hat, um zu einem früheren Abschluss des Baus kanzler, dem Finanzminister und dem zuständigen Fach- der A 60 zu kommen. minister mit dem Wirtschaftsstandort Deutschland – Sie haben ihn vorhin angesprochen – ernst ist. Die Tatsache, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr dass sie gewillt sind, eine vernünftige Verkehrsinfrastruk- Staatssekretär Scheffler, bitte schön. tur zur Verfügung zu stellen, zeigt dies ganz deutlich, wo- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11803

Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler (A) hingegen Ihre frühere Regierung die Bereiche Forschung Wenn ich Sie jetzt frage: „Haben wir schon für sämtli- (C) und Bildung ebenso wie den Infrastrukturbereich ver-che 54 Kilometer nicht mehr beklagbares Baurecht?“, nachlässigt hat. Sie haben zwar von Nord nach Süd sehr dann werden auch Sie mir antworten: Nein. Deswegen viele kleine Spatenstiche gemacht; aber die Finanzierung wäre es absolut unverantwortlich, Ihnen heute ein festes war nicht gesichert. Umso wichtiger ist unser Weg, durch Datum für die Übergabe der gesamten Strecke zu nennen. die Zinseinsparungen aufgrund des SchuldenabbausWir wissen überhaupt nicht, wann wir für die noch be- durch die Mittel aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen klagbaren Entscheidungen im Planfeststellungsverfahren entsprechende Gelder zur Verfügung zu stellen. Die not- tatsächliches Baurecht bekommen. Wenn sich abzeichnet, wendigen Abstimmungen sind natürlich noch nicht abge- dass die Voraussetzungen nach dem Baurecht vorliegen, schlossen. Es ist aber klar, dass sich für den Zehnjahres- dann wird es in der Tat Zeit, sich um die Finanzierung zu zeitraum weitere Möglichkeiten ergeben. kümmern. Das wollen wir dann gerne tun. Der Zeithori- zont ist Ihnen genannt worden. Ich habe für die Bundes- regierung erklärt, dass sie Ihre Auffassung der nationalen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine wei- und internationalen Bedeutung der A 6 teilt. tere Zusatzfrage der Kollegin Blank. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Vielen Renate Blank (CDU/CSU): Herr Staatssekretär Dank, Herr Staatssekretär. Diller, wie stehen Sie heute zu den Anträgen der damali- Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministe- gen SPD-Opposition, dass die Tilgungsleistungen fürriums der Verteidigung – die Fragen 19, 20, 21 und 22 – Konzessionsmodelle nicht aus dem Haushaltsplan 12, sollen schriftlich beantwortet werden. sondern aus dem Haushaltsplan 32 erfolgen sollten? Oder sind Ihnen diese Anträge nicht bekannt? Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis- teriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, bei dem wir uns schon eben teilweise aufgehalten haben. Herr Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister Staatssekretär Scheffler steht zur Beantwortung der Fra- der Finanzen: Diesen Antrag möchte ich gerne erst einmal gen zur Verfügung. sehen. Die Frage 23 der Kollegin Blank ist eigentlich schon mehrfach beantwortet worden. Ich weiß nicht, ob Sie Wert Renate Blank (CDU/CSU): Einverstanden. darauf legen, dass wir die Antwort noch einmal hören. (Renate Blank [CDU/CSU]: Aber (B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine Zu- selbstverständlich!) (D) satzfrage des Kollegen Girisch. – Sie wollen sie noch einmal hören. Dann rufe ich die Frage 23 der Kollegin Blank auf: Georg Girisch (CDU/CSU): Meine Herren Staatsse- kretäre, Sie merken, dass wir Sie zu diesem Thema sehr Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zur zeitna- hen Fertigstellung des fehlenden 54 Kilometer langen Teilstücks intensiv befragen. Wir tun dies deshalb, weil wir erstens beim wichtigen Infrastrukturprojekt Autobahn A 6 in Richtung davon überzeugt sind, dass eine besondere Dringlichkeit Tschechische Republik? besteht, und weil wir zweitens der Meinung sind, Sie Bitte schön, Herr Staatssekretär. müssten wissen, dass wir täglich oder mindestens einmal in der Woche über unsere SPD-Kollegen in der Zeitung le- sen, dass sie sich in Berlin massiv für zusätzliches Geld Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- einsetzen. Jetzt höre ich von Ihnen beiden immer wieder: desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Sehr Vor 2010 wird die A 6 zwischen Amberg-Ost und Waid- geehrte Frau Kollegin Blank, diese Frage ist in der Ver- haus nicht fertig. Glauben Sie, dass man aufgrund dergangenheit schon mehrfach behandelt worden. Wir kön- Dringlichkeit – auch wegen eines Besuchs des Herrn Bun- nen daraus auch eine zweistündige Debatte machen. deskanzlers – eine Finanzierung zustande bringt, die eine Herr Präsident, gestatten Sie eine Vorbemerkung. schnellere Fertigstellung als bis zum Jahr 2010 ermög- licht? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Herr Staatssekretär, da wir dieses Thema schon mehrfach be- Karl Diller, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister handelt haben, bitte ich Sie, sich bei der Beantwortung der Finanzen: Auch ich führe gelegentlich mit Bürgerin- kurz zu fassen. nen und Bürgern in meinem Wahlkreis Diskussionen da- rüber, welche Bedeutung der vordringliche Bedarf in der Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- Realität hat. Einer der den Bürgerinnen und Bürgerndesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: schwer vermittelbaren Gesichtspunkte ist – ich hoffe, die Werte Kollegin Blank, Sie wissen, dass ich von Freitag bis Vermittlung gelingt wenigstens bei Ihnen –: Um sichSonntag voriger Woche in Lindau am Bodensee, Ingol- überhaupt um die Finanzierung zu kümmern, ist nicht ein stadt, Donauwörth und in anderen Städten, Kommunen Planfeststellungsbeschluss Voraussetzung, sondern ein und Gemeinden, die auch hoch belastet sind und in denen nicht mehr beklagbares Baurecht. fehlende Ortsumgehungen und fehlende Lückenschlüsse 11804 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler (A) bei den Bundesfernstraßen zu beklagen sind, parteiüber- von Nürnberg nach Prag, eventuell durch den Bundes-(C) greifend Gespräche geführt habe. Dort sagte man: Es gibt kanzler, wenn er in die Oberpfalz kommt, eine Zusage er- abseits der A 6 auch noch Kommunen und Gemeinden, teilt wird? und es kann nicht sein, liebe Bundesregierung, dass euer ganzes Geld in die A6 fließt. – Ich möchte daran erinnern, dass für den Abschnitt der A 6 in Baden-Württemberg Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- rund 50 Millionen DM im Investitionsprogramm vorge- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Ich sehen sind. beteilige mich hier nicht an Spekulationen. Ich weiß nicht, was der Bundeskanzler vor Ort zusagt. Ich weiß aber, dass Nun zur Beantwortung Ihrer Frage, die sowohl vom in Abstimmung zwischen Bundeskanzler, Finanzminister Kollegen Diller als auch von mir an sich schon beantwor- und auch Minister Klimmt – ich sagte das bereits – aus tet wurde: Entsprechend der Bedeutung, die die Bundes- den Zinseinsparungen aufgrund des Schuldenabbaus regierung dem Teilstück Amberg-Ost–Waidhaus der A 6 durch die Mittel aus dem Verkauf der UMTS-Lizenzen – das ist die Bundesgrenze – sowohl im nationalen als zusätzliche Gelder gerade für den Ausbau der Ver- auch im europäischen Autobahnnetz beimisst, verfolgt sie kehrsinfrastruktur in Form einer Verstärkung der Bahn- wie ihre Vorgängerin konsequent deren kontinuierlichen strecken – das in erheblichem Maße –, der Straßen und si- Ausbau. Priorität hat dabei der Abschnitt von Pfreimd im cher auch der Wasserstraßen bereitgestellt werden. Dann Bereich der A 93 zur Bundesgrenze nach Waidhaus auf- gilt es, in Abstimmung mit der Bayerischen Staatsregie- grund der Vereinbarung mit der tschechischen Regierung, rung zur A 6 Stellung zu nehmen. die D 5 von Prag über Pilsen nach Waidhaus baldmög- lichst an das deutsche Autobahnnetz anzubinden. Hierfür Im Übrigen, werte Kollegin Blank, darf ich wiederho- wird die durchgehende Fertigstellung innerhalb derlen, dass im Schreiben des Bundesverkehrsministers an nächsten zehn Jahre angestrebt. Staatsminister Beckstein schon vorgeschlagen wurde, für Erleichternd wirkt sich hier die Entscheidung des Bun- die Verstärkung der im Bau befindlichen Abschnitte der deskabinetts zum Bundeshaushalt 2001 und zur Finanz- A 6 bzw. für den Abschnitt der A 6, der noch nicht neu be- planung bis 2004 vom 21. Juni dieses Jahres aus, die Mit- gonnen wurde, finanzielle Mittel aus der globalen Min- tel für den Bundesfernstraßenbau in den kommendenderausgabe bereitzustellen. Jahren gegenüber der bisherigen, dem Investitionspro- gramm 1999 bis 2002 zugrunde liegenden Finanzplanung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kom- zu erhöhen. Ob eine Finanzierung für das Schlussstück, men jetzt zur Frage 24 des Kollegen Helmut Heiderich: den Abschnitt zwischen Amberg-Ost und Pfreimd im Be- reich der A 93, nach einer Bestätigung des vordringlichen In welchem Jahr bzw. in welchem konkreten Zeitraum wird (B) die Bundesregierung in der Lage sein, von den Ländern angemel- (D) Bedarfs im Rahmen der Novellierung des Fernstraßen- dete Straßenbaumaßnahmen nach Dringlichkeit, Kostenvolumen ausbaugesetzes innerhalb dieses Zeitraums möglich ist, und, ausreichende Landesplanung vorausgesetzt, Verwirkli- kann gegenwärtig nicht gesagt werden. chungsjahr auszuweisen, vor dem Hintergrund ihrer Erklärung, sie wolle den Bundesverkehrswegeplan nach von ihr noch festzu- legenden Gesichtspunkten neu erstellen? Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Vielen Dank. – Frau Blank, jetzt bitte ich darum, die Geduld der Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- Kolleginnen und Kollegen nicht zu missbrauchen. Das desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Herr Thema ist eigentlich abgehandelt. Bitte schön. Kollege Heiderich, die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Bundesverkehrswegeplan 1992 zügig zu Renate Blank (CDU/CSU): Herr Präsident, erlauben überarbeiten. Viele der einzelnen Arbeitsschritte bauen Sie mir bitte als Parlamentarierin die Anmerkung, dass es aufeinander auf. Der Zeitbedarf für eine langfristige Netz- nicht kritikwürdig ist, ob, wie oft, wie lange Parlamenta- konzeption der DB AG lässt eine abschließende Fest- rier eine Frage stellen und ob sie dieses Thema jede Wo- legung bezüglich der Fertigstellung des Bundesverkehrs- che aufgreifen. Herr Staatssekretär, ich verbitte mir das. wegeplans noch nicht zu. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dass wir hier Fra- gen, die die Bevölkerung vor Ort interessieren, jederzeit Es kann deshalb derzeit nicht ausgeschlossen werden, stellen können. dass es im Ergebnis zu Verzögerungen gegenüber dem ur- sprünglich geplanten Zeitbedarf kommt. Aufgrund des (Renate Rennebach [SPD]: Das ist keine Frage! vorgelegten Investitionsprogramms 1999 bis 2002 hat Die Rügen hat der Präsident vorzunehmen! – dies keine Auswirkung auf die notwendige Kontinuität Ilse Janz [SPD]: Aber Sie müssen es nicht an ei- der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Der überar- nem Tag dreimal fragen!) beitete Bundesverkehrswegeplan soll nach Maßgabe des voraussichtlich verfügbaren Finanzrahmens alle Maß- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol- nahmen enthalten, die innerhalb des Geltungszeitraums legin Blank, kommen Sie bitte zu Ihrer Frage. des neuen Bundesverkehrswegeplans verwirklicht wer- den sollen. Renate Blank (CDU/CSU): Meine Frage lautet: Herr Staatssekretär, gehen Sie davon aus, dass für die Fertig- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Zusatz- stellung dieses wichtigen Stücks der A 6, die Verbindung frage, Herr Kollege Heiderich. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11805

(A) Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Helmut Heiderich (C) ich darf fragen, ob Sie schon Kenntnis haben, wann die auf: grundsätzlichen Kriterien verfügbar sein werden, nach Werden die im Rahmen der Aufstellung des Bundesverkehrs- denen Sie die angemeldeten Maßnahmen beurteilen und wegeplanes 1992 erarbeiteten Unterlagen – zum Beispiel Um- weltverträglichkeitsprüfungen – für die Einstufung von Maßnah- einstufen wollen. men im neuen Bundesverkehrswegeplan als „vordringlich“ und „Neubau“ in Hessen wie zum Beispiel auch bei der Umgehungs- straße Rotenburg/Lispenhausen an der B 83 neu erarbeitet werden Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- müssen und wird die Bundesregierung gegebenenfalls die hessi- sche Landesregierung zur Vorlage dieser Unterlagen innerhalb ei- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Wir ner bestimmten Frist verpflichten? hatten zum Beispiel heute im Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen eine Anhörung dazu, wie es mit der Bahnreform bzw. dem Schienenverkehr insgesamt wei- Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- tergehen soll. Die DB AG hat ihre strategischen Überle- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Herr gungen, ob im Personenfernverkehr, im Regionalverkehr Kollege Heiderich, es ist vorgesehen, dass die Dringlich- oder auch im Güterverkehr, noch nicht abgeschlossen. In- keit für alle noch nicht realisierten und noch nicht im Bau befindlichen Projekte neu festgestellt wird. Dabei wird in sofern kann ich Ihnen heute nicht sagen, wann die ent- der Regel eine erneute gesamtwirtschaftliche Bewertung sprechenden Ergebnisse an die Bundesregierung weiter- mit einer neuen Nutzen-Kosten-Betrachtung durchge- gegeben werden. Aber Sie werden mir sicher zustimmen, führt. Hierbei werden aktualisierte Kostenangaben, Ver- dass ein überarbeiteter Bundesverkehrswegeplan ohne die kehrsdaten und Prognosen zugrunde gelegt werden. Die neuen Planungen hinsichtlich der Schiene völlig unreali- für die gemeldeten Maßnahmen benötigten Daten zur Ak- stisch wäre. tualisierung der Kosten- und Planungsdaten wurden dem BMVBW inzwischen von der hessischen Landesregie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:Weitere rung zur Verfügung gestellt. Zusatzfrage, Herr Heiderich? Die Ortsumgehung B 83 Rotenburg/Lispenhausen ist im aktuellen Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen im Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, „weiteren Bedarf“ enthalten. Die B 83 Rotenburg/Lispen- ich möchte auf Ihre eben gemachte Anmerkung zurück- hausen gehört zu den vom Land gemeldeten Maßnahmen kommen. Sehen auch Sie es so, dass die verfügbaren Fi- für die anstehende Überarbeitung des Bundesverkehrswe- nanzmittel, die Sie für die Finanzierung des Programms geplanes und Fortschreibung des Bedarfsplanes für die 1999 bis 2002 brauchen, noch bis etwa in das Jahr 2007 Bundesfernstraßen und wird erneut bewertet. (B) hinein so weit gebunden sein werden, dass in dieser Zeit Die 1995 abgeschlossene Umweltverträglichkeitsstu- (D) keine neuen Straßenbaumaßnahmen, jedenfalls nicht in die wird, soweit erforderlich, zur ökologischen Beurtei- größerem Umfang, vollzogen werden können? lung der Maßnahmen im Rahmen der Arbeiten zur Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes herange- (V o r s i t z: Vizepräsident ) zogen.

Parl. Staatssekretär beim Bun- Siegfried Scheffler, Vizepräsident Rudolf Seiters: Zusatzfrage? desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Dem stimme ich nicht zu. Ich stimme jedoch zu, dass die neue Bundesregierung durch die Unterfinanzierung des alten Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Bundesverkehrswegeplanes in Höhe von 80 bis 100 Mil- habe ich Sie eben richtig verstanden, dass die Kosten- liarden DM gezwungen war, hier ein Investitionspro-schätzungen nicht einfach nur um einen Faktor fortge- gramm 1999 bis 2002 aufzulegen, und dass sie sichschrieben werden, der sich aus der zeitlichen Verzögerung natürlich Gedanken gemacht hat, wie der Infrastruktur- ergibt, sondern dass die entsprechenden Zahlen auf Basis heutiger Technik und der heutigen Wettbewerbssituation nachholebedarf künftig zu finanzieren ist. Deshalb set- völlig neu ermittelt werden? zen wir zur Finanzierung des Engpassbeseitigungspro- gramms, des Anti-Stau-Programms, ab dem Jahre 2003 mit einer Laufzeit bis zum Jahre 2007 die streckenbezo- Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- gene LKW-Gebühr neben der klassischen Haushaltsfi- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Sie nanzierung an die erste Stelle. Ferner setzen wir zusätz- haben Recht. Ich will das an einem aktuellen Beispiel er- lich 1,1 Milliarden DM im Zeitraum des Investitionspro- läutern. Im Falle der von Ihnen angeführten Bundesstraße gramms ein, die durch die Reduzierung der globalen Min- besteht die Chance, dass diese Maßnahme gegebenenfalls derausgabe frei werden. Daran erkennen Sie auf das der Grundlage aktueller Verkehrs- und Kostendaten Bemühen der Bundesregierung – nicht nur unseres Hau- und eines dadurch bedingten besseren Nutzen-Kosten- ses –, hier mehr als die Vorgängerregierung für den Aus- Verhältnisses – ich will hier nicht spekulieren – vom wei- bau der Verkehrsinfrastruktur zu tun. teren Bedarf in den vordringlichen Bedarf eingestuft wird, sofern die hessische Landesregierung bzw. der Deutsche Bundestag, der über den Bedarfsplan entscheidet, zustim- Vizepräsident Rudolf Seiters: Es gibt keine weite- men. Vorher hätte es keine Chance gegeben – die Reali- ren Zusatzfragen. sierung dieser Maßnahme wäre aufgrund der unter der 11806 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler (A) Vorgängerregierung vorgenommenen Einstufung in den Die Gestaltung der Schienenfernverkehrsangebote der (C) weiteren Bedarf nach hinten gerutscht –, dass diese Straße DB AG gehört seit der Bahnreform zum ausschließlich ei- in absehbarer Zeit gebaut worden wäre. genverantwortlichen unternehmerischen Bereich der nach dem Aktiengesetz arbeitenden Gesellschaft. Es ist Auf- gabe des Unternehmens selbst, das Angebot daraufhin zu Vizepräsident Rudolf Seiters: Eine zweite Zusatz- beobachten, wie es vom Markt angenommen wird, und frage. entsprechende Anpassungen an die Nachfrage vorzuneh- men. Hierzu gehört auch die Einführung von neuen Fern- Helmut Heiderich (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, verkehrsangeboten auf bestimmten Strecken und die Auf- Sie haben eben die Einstufung angesprochen. Das Land gabe von Leistung bei ungenügender Nachfrage. Hessen hat meines Wissens die Einstufung in den vor- Der Bund kommt dem grundgesetzlichen Auftrag dringlichen Bedarf beantragt. Ich darf fragen, wie sich durch die Bereitstellung von Investitionshilfen für das diese zukünftige Einstufung von der bisherigen Einstu- Netz nach, die gleichzeitig die DB AG in die Lage verset- fung des alten Bundesverkehrswegeplanes unterscheiden zen, auf dieser Basis das nach dem Grundgesetz erforder- wird? Oder wird es bei der alten Einstufung bleiben? liche Angebot zu realisieren. Er wird sein finanzielles En- gagement für den Erhalt und Ausbau des Schienennetzes Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- künftig noch weiter verstärken. desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Die hessische Landesregierung hat die Einstufung dieser Vizepräsident Rudolf Seiters:Eine Zusatzfrage, Maßnahme in den vordringlichen Bedarf beantragt, wozu Herr Kollege Müller. zunächst im Rahmen der Überarbeitung des Bundesver- kehrswegeplanes eine neue Bewertung und damit die Überprüfung der Möglichkeit einer eventuellen Einstu- Dr. Gerd Müller (CDU/CSU): Herr Präsident, darf ich fung in den vordringlichen Bedarf erforderlich sind. Das vielleicht eine Vorbemerkung machen und mich dann auf ist ein Unterschied. eine Zusatzfrage beschränken? Ich könnte Ihnen mit Blick auf die Überarbeitung des Es macht den Kolleginnen und Kollegen zunehmend Probleme, Fragen zu stellen – die Bundestagsverwaltung Bundesverkehrswegeplanes die neuen Daten nennen, die lehnt diese ab –, die im Zusammenhang mit der Politik der sich von den Daten der alten Bundesregierung unter- Bahn stehen. Die Bahn ist eine hundertprozentige Tochter scheiden. Der Umweltgesichtspunkt, also der ökologische des Bundes. Sie ist aber selber nicht imstande, wichtige und der raumordnerische Gedanke, aber auch der städte- Anfragen bezüglich der inneren Organisation und der dor- bauliche Effekt spielen bei der Neubewertung eine stär- (B) tigen Zustände zu beantworten. Es gibt also keine Kon- (D) kere Rolle als bisher. Die Bewertung erfolgt nämlich nach troll- und Nachfragemöglichkeiten mehr. Man sollte die- den neuesten Kriterien. ses Thema einmal fraktionsübergreifend im Ältestenrat behandeln. Vizepräsident Rudolf Seiters:Dann rufe ich die Konkrete Zusatzfrage: Herr Staatssekretär, Hof– Frage 26 des Kollegen Dr. Gerd Müller auf: Oberstdorf und Ulm–Lindau sind nur zwei Beispiele für Wie stellt der Bund sicher, dass die Deutsche Bahn AG (DB die Streichorgie der Bahn im Fernverkehr. Die Bahn zieht AG) auch in Zukunft dem grundgesetzlichen Auftrag gerecht wird, auch ländliche Regionen an das Fernverkehrsnetz der DB sich über das ganze Land hinweg aus dem Fernverkehr AG anzubinden? zurück – ich nenne die Streichung von Interregios – und übereignet die Bedienung an die Länder, ohne dass dafür vom Bund entsprechende Gelder zur Verfügung gestellt Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- werden. Dies widerspricht dem grundgesetzlichen Auf- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Herr trag, nicht nur die Ballungszentren, sondern auch die Kollege Müller, nach Art. 87 e Abs. 4 des Grundgesetzes ländlichen Regionen zu bedienen. Was unternimmt der gilt: Bund im Aufsichtsrat der Bahn AG, um dieser Politik, die Der Bund gewährleistet, dass dem Wohl der All-gegen die Fläche, gegen die ländlichen Regionen gerich- gemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, tet ist, entgegenzuwirken? beim Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Ei- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sehr senbahnen des Bundes sowie bei deren Verkehrsan- berechtigte Frage!) geboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den Schienenpersonennahverkehr betreffen, Rech- nung getragen wird. Das Nähere wird durch Bundes- Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- gesetz geregelt. desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Zunächst ist festzustellen: Für den Infrastrukturbereich ist Für den Infrastrukturbereich ist die Konkretisierung ja durch das Bundesschienenwegeausbaugesetz eine Kon- durch das Schienenwegeausbaugesetz erfolgt. Danach fi- kretisierung erfolgt. Danach finanziert der Bund im Rah- nanziert der Bund im Rahmen der zur Verfügung stehen- men der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel Inves- den Haushaltsmittel Investitionen in die Schienenwege titionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des der Eisenbahnen des Bundes. Die Investitionen umfassen Bundes. Diese umfassen, wie ich bereits ausgeführt habe, Bau, Ausbau sowie Ersatzinvestitionen. Bau, Ausbau und Ersatzinvestitionen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11807

Parl. Staatssekretär Siegfried Scheffler (A) Damit keine Ausdünnung erfolgt, ist durch die Bun- AG betreffen, dann werden wir – ich denke, das ist par- (C) desregierung das so genannte investive Zukunftspaket teiübergreifend so – die Stellungnahme der DB AG ein- Schiene auf den Weg gebracht worden, mit dem wir dem holen und Ihnen nicht nur die Positionen der Bundesre- Schienenverkehr insgesamt, aber insbesondere auch dem gierung, sondern auch die Stellungnahme der DB AG Schienenfernverkehr eine Zukunftsperspektive eröffnen – auch die zu bestimmten Strecken – darlegen. wollen, damit trotz begrenzter Finanzmittel – ich möchte jetzt nicht wieder auf den Zeitraum von vor 1998 zurück- Ich lasse jetzt noch kommen – mehr als bisher investiert werden kann und die Vizepräsident Rudolf Seiters: eine Zusatzfrage des Kollegen Schauerte zu. DB AG ihr Netz beibehalten kann. Dabei sind nicht die gefahrenen Zugkilometer entscheidend. Vielmehr ist von Bedeutung, wie wir mehr Kunden, also mehr Personen Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Herr Staatssekre- bzw. mehr Güter, auf die Schiene bekommen. Deshalb hat tär, Ihr wiederholter Verweis darauf, dass Sie noch nichts die Bundesregierung das Zukunftspaket Schiene, das in sagen können, weil die Bahn ihr Konzept noch nicht vor- den nächsten zehn bis 15 Jahren umgesetzt werden soll, gelegt habe, veranlasst mich zu einer Bemerkung und ei- auf den Weg gebracht, durch das der DB AG voraussicht- ner daran anschließenden Frage. Es ist ja erstaunlich, dass lich 2 bis 2,5 Milliarden DM jährlich zur Verfügung ge- wir nach Überschreiten der Halbzeit dieser Legislaturpe- stellt werden können. riode erkennen müssen, dass Sie im Umgang mit der Bahn und ihren Konzepten noch nichts vorweisen können. Um dazu beizutragen, dass diese Zeit des Abwartens, die ja Eine Zusatzfrage des Vizepräsident Rudolf Seiters: schädlich ist für Deutschland, verkürzt wird, frage ich: Kollegen Wiese. Wann rechnen Sie denn damit, dass die Deutsche Bahn Ih- nen ein Konzept vorlegt, bzw. was können Sie tun, damit Heinz Wiese (Ehingen) (CDU/CSU): Herr Staatsse- die Bahn das möglichst bald tut? kretär, teilen Sie meine Auffassung, dass die Steigerung der Attraktivität der Bahn im ländlichen Raum auch da- Parl. Staatssekretär beim Bun- durch erfolgen kann, dass das Netz leistungsfähig ausge- Siegfried Scheffler, desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Hier baut wird? Ich möchte genau die Strecke ansprechen, die geht es nicht nur um Konzepte, sondern um mit Bund und mein Kollege Müller gerade erwähnt hat, die Strecke von Ländern abgestimmte Strecken, die in einem zukünftigen Ulm nach Lindau, die so genannte Südbahn. Das Land Bundesverkehrswegeplan der verkehrlichen Entwicklung Baden-Württemberg bemüht sich seit Jahren darum, die – man denke nur an die Öffnung in Richtung Osteuropa – Südbahn zu elektrifizieren. Bei der Südbahn handelt es bis zum Jahre 2015 Rechnung tragen müssen. Insofern sich um die letzte Strecke zwischen Hamburg und Rom, sind wir auch abhängig von der DB AG. (B) die mit Dieselloks betrieben wird; man muss sich das ein- (D) mal vorstellen. Wir wollen diese Strecke im Hinblick auf Sie haben das Stichwort Halbzeit genannt. Ich könnte die internationale Anbindung leistungsfähiger machen. Ihnen natürlich aufzählen, was alles schon erreicht wurde. Das Land Baden-Württemberg hat 40 Millionen DM zur So ist die Abstimmung mit den Ländern bei den Straßen Mitfinanzierung angeboten. Die Steigerung der Attrakti- und bei den Wasserstrassen erfolgt und ein Konzept für vität in diesem Bereich könnte dazu führen, dass einedie Luftfahrt vorgelegt worden. Die Koalitionspartner Ausdünnung des Netzes im ländlichen Raum nicht erfolgt sind in der Tat angetreten, um in enger Abstimmung mit und dass die Nutzung von Interregiozügen wieder attrak- der DB AG ein entsprechendes Konzept für die Schiene tiv sein könnte. zu realisieren. Aber ich muss schon darauf verweisen, dass dies anfangs auch wegen des Vorgängers, den Sie eingesetzt haben, problematisch war. Siegfried Scheffler, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen: Bei Erst heute wieder haben wir im Ausschuss für Verkehr, der Beantwortung der ersten Frage in diesem Zusammen- Bau- und Wohnungswesen eine Anhörung mit dem hang sagte ich, dass die DB AG ihr künftiges Konzept Thema „Wo geht die Bahn hin? – Bilanz der Bahnreform“ noch nicht abschließend erarbeitet hat. Sie heben viel- durchgeführt. Wir gehen davon aus, dass uns die DB AG leicht auf das neue Konzept MORA ab, über das in den noch in diesem Jahr ein Konzept vorlegt. nächsten Monaten eine Entscheidung getroffen wird. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Aha, in die- Für den Bund besteht gemäß EWG-Verordnung sem Jahr noch!) 1191/69 die Verpflichtung der Sicherstellung eines dem Die einjährige Verzögerung hat aber natürlich Konse- Wohl der Allgemeinheit dienenden Verkehrsangebotes. quenzen auf die Erarbeitung des Bundesverkehrswege- Aber das Ziel des Gewährleistungsauftrages, der vorhin plans. angesprochen worden ist, nämlich das Wohl der Allge- meinheit, orientiert sich an den tatsächlichen Verkehrsbe- dürfnissen. Insofern kann ich von hier aus nicht konkret Vizepräsident Rudolf Seiters:Ich danke Ihnen, beantworten, ob die Strecke Lindau–Ulm letztendlichHerr Parlamentarischer Staatssekretär. dem jetzigen Verkehrsbedürfnis entspricht. Wir sind am Ende der Fragestunde. Die Fraktionen ha- Ich möchte noch einmal kurz auf die Vorbemerkung ben sich darauf verständigt, die Sitzung des Bundestages des Kollegen Dr. Müller eingehen: Wenn schriftliche Fra- nicht zu unterbrechen, sondern sogleich in die Aktuelle gen an die Bundesregierung gestellt werden, die die DB Stunde überzuleiten. 11808 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Vizepräsident Rudolf Seiters (A) Ich rufe also den Zusatzpunkt 1 auf: Jahre 2001 von 6,5 auf 6 Beitragspunkte vorzunehmen. (C) Aktuelle Stunde Das macht 7 Milliarden DM aus. auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU Zweitens. Wenn die Entwicklung es zulässt, sollte im Jahre 2002 eine weitere Absenkung um 0,5 Beitrags- Unterschiedliche Vorschläge aus der Koalition, punkte vorgenommen werden. Das würde weitere 7 Mil- die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung kurzfristig abzusenken liarden DM ausmachen, die wir an die Beitragszahler zurückgeben könnten. Das ist auch gerechtfertigt. Ich gebe zunächst für die antragstellende Fraktion dem Kollegen Hans-Joachim Fuchtel das Wort. (Peter Dreßen [SPD]: Bei Ihnen waren immer nur Erhöhungen an der Tagesordnung!) Wenn wir ein Polster in Höhe von 16,5 Milliarden DM ha- Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieben und 7 Milliarden DM an die Beitragszahler zurück- CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat schon bei der Haus- geben, befinden wir uns immer noch in der Situation, dass haltsdebatte die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslo- wir allen Risiken begegnen können. senversicherung vorgeschlagen und gefordert. In der Zwi- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schenzeit stoßen auch Kollegen der Grünen in dieses der F.D.P.) Horn. Selbst die Gewerkschaften haben sich entsprechend geäußert. Frau Engelen-Kefer ist, was das politischeSo pfleglich ist die frühere Opposition mit uns in der Re- Spektrum angeht, ja wirklich nicht unsere Freundin.gierungszeit von nicht umgegangen. Des- Wenn aber selbst diese Dame, deren Äußerungen wir an- wegen ist es ganz eindeutig: Wir müssen die Sache jetzt sonsten wirklich kritisch betrachten, davon spricht, die in Angriff nehmen, und Sie als Gewerkschaftler sollten Regierung solle ihre Verschiebebahnhöfe aufgeben, vielleicht einmal Frau Engelen-Kefer Gehör schenken; denn diese Dame denkt in diesem Punkt offensichtlich (Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Dann muss es weiter als Sie. ernst sein!) Wenn wir pro 100 000 Arbeitslose weniger 3 Milliar- dann zeigt dies, wie weit es gekommen ist. So etwas ha- den DM veranschlagen, dann ergibt das bei prognosti- ben wir bisher noch nicht erleben dürfen. zierten 320 000 Arbeitslosen weniger nach Adam Riese (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine Bruttoentlastung in Höhe von 9,6 Milliarden DM. Es gibt etliche sachliche Gründe, warum eine solche (Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Die glauben Absenkung zum jetzigen Zeitpunkt möglich ist: nicht an ihre eigenen Zahlen! Das ist das Pro- blem!) (B) Erstens. Die Arbeitslosigkeit geht zurück. (D) Im Jahre 2000 wird der Arbeitsminister 3 Milliar- (Konrad Gilges [SPD]: Das habt ihr 16 Jahre den DM als Zuschuss brauchen. Wenn man diese Zahlen nicht geschafft!) zugrunde legt, hat man im nächsten Jahr 6,6 Milliar- Zweitens. Die Bundesregierung hält mit ihren Haus- den DM zur Verfügung. Wenn Sie sich jetzt vergegen- haltsansätzen für das nächste Jahr die Ausgaben künstlich wärtigen, dass 0,5 Beitragspunkte 7 Milliarden DM aus- hoch, indem sie Verlagerungen aus dem Bundeshaushalt machen, ist schon allein aus diesem Grunde eine hin zum Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit vornimmt. Beitragssenkung möglich. Drittens. Die Bundesanstalt für Arbeit hat mit nunmehr (Peter Dreßen [SPD]: So kann man keine ak- 12,5 Milliarden DM Außenstände in Rekordhöhe. tive Arbeitsmarktpolitik machen!) (Peter Dreßen [SPD]: Wer ist denn dafür ver- Hinzu kommen noch die Punkte, die ich gerade schon ge- antwortlich? Sagen Sie das auch mal!) nannt habe. Viertens. Wenn die Zahl der Arbeitslosen sinkt, kann (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und man mit Fug und Recht verlangen, dass auch die Bundes- der F.D.P.) anstalt schlanker wird und Einsparungen bei ihr vorge- nommen werden. Diese Zahlen sind realistisch und wir sollten den ge- zeichneten Weg gehen. Wir sollten ihn auch deshalb ge- Meine Damen und Herren, daraus ergibt sich bei soli- hen, weil wir den Beitragszahlern weiterhin ins Auge der Berechnung ein Spielraum von 16,5 Milliarden DM. schauen wollen. Die Beitragszahler wurden seit der deut- Zieht man die Gewerkschaftsunterlagen heran, so wächst schen Einheit ganz schön belastet. Jetzt haben wir die der Spielraum auf 20 Milliarden DM. Deswegen ist es Möglichkeit, sie zu entlasten, und wir sollten die Chance angezeigt, die Absenkung jetzt vorzunehmen. Ich sage nutzen und die Entscheidung nicht auf das Wahljahr ver- hier ganz deutlich, dass das überhaupt nichts mit Leis- schieben. Deswegen kommt unser Vorschlag heute. tungseinschränkungen zu tun hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) – (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: So schnell wie Gerd Andres, Parl. Staatssekretär: Das ist nicht möglich!) wahr!) Wir hoffen, dass wir uns im Interesse der Menschen auf Der Herr Staatssekretär wird sicher gleich hier das Ge- ein gutes Ergebnis einigen können. genteil behaupten; deswegen muss ich ihm noch etwas vorrechnen. Erstens. Wir schlagen vor, die Absenkung im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11809

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die Bundesregie- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Zu mir? Ich (C) rung spricht der Parlamentarische Staatssekretär beim bin eine nicht wegzudenkende Größe in der So- Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Gerd zialpolitik!) Andres. beantragt, den Zuschuss für die Bundesanstalt für Arbeit (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie könnten auf Null zu senken. Ein Jahr später kommt der Kollege sich jetzt sehr beliebt machen! Sagen Sie Ja!) Andreas Storm – nach Presseberichten – zu der Erkennt- nis, dass es nicht sinnvoll zu begründen sei, warum der Zuschuss gegen Null laufen solle. – Sie reden nachher Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminis- noch und können etwas dazu sagen. ter für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst fest- Im Übrigen finde ich, dass auch die Fraktion der F.D.P. halten: Diese Aktuelle Stunde ist das Eingeständnis von keinen Anlass zur Schadenfreude hat. Sie hat im letzten CDU und CSU, dass sie die Erfolge der Bundesregierung Jahr den gleichen Antrag gestellt. in der Arbeitsmarktpolitik wahrnehmen und anerkennen. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Und im vorletzten auch! Darüber freuen wir uns. Vielen Dank dafür. Das hätten wir schon viel früher haben können!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Meine Damen und Herren, der Präsident der Bundes- DIE GRÜNEN – Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist anstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, hat letzte Woche die Quatsch!) niedrigste Arbeitslosenquote in einem September seit Ich bezweifle aber, dass die Union in der Frage der Bei- 1993 verkündet. Eine Arbeitslosenquote von 9 Prozent ist tragssenkung und des Schuldenabbaus ein guter Ratgeber sicher noch viel zu hoch. Vor allem im Osten sind wir ist. noch lange nicht am Ziel. (Peter Dreßen [SPD]: Das ist wahr!) (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Und in Nord- rhein-Westfalen! – Karl-Josef Laumann Wenn ich auf die Entwicklung der Beitragssätze und des [CDU/CSU]: Und erst in Hannover! – Dr. Bundeszuschusses zu Zeiten der Regierung Kohl schaue, Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Was ist denn jetzt mit muss ich feststellen, dass weder die Interessen der Bei- den Beiträgen? Rauf oder runter? Was jetzt?) tragszahler noch die der Arbeitsämter bei Ihnen in guten Aber die Zahlen beweisen, dass unsere Reformpolitik an- Händen waren. Die Entwicklung der Beiträge zur Ar- geschlagen hat. Dies ermutigt uns, den eingeschlagenen beitslosenversicherung war zu Ihrer Zeit ein fröhliches Weg konsequent fortzusetzen. Rauf und Runter. Meistens ging es rauf und nur selten run- (B) ter. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN) (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Zu der Zeit wollte der Gerd Andres noch eine steuerfinan- Nur so kommen wir endlich von den Rekordständen bei zierte Arbeitsmarktpolitik!) den Arbeitslosenzahlen herunter, die uns die Kohl-Regie- rung hinterlassen hat. So haben Sie 1991 den Beitragssatz um satte 2,5 Pro- zent auf 6,8 Prozent erhöht. 1993 wollten Sie trotz safti- (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Sagen Sie ger Beitragserhöhungen den Haushalt der Arbeitsämter doch mal etwas über die Zukunft! – Hartmut ohne Bundeszuschuss ausgleichen. Der Bundeszuschuss Schauerte [CDU/CSU]: Etwas mehr Niveau, belief sich zum Jahresende 1993 auf über 24 Milliar- Herr Kollege!) den DM. Natürlich freuen wir uns, dass die gute Wirtschafts- Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie ha- und Arbeitsmarktentwicklung Anlass gibt, über eine ben in Ihrer Regierungszeit den Defizit-, Beitrags- und Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu Arbeitslosenrekord aufgestellt. diskutieren. All diejenigen, die Beiträge zur Arbeitslosen- versicherung zahlen, sollen von den Erfolgen der Bun- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist Geschichte! desregierung in der Arbeitsmarktpolitik nicht nur monat- Schauen Sie in die Zukunft!) lich in den Medien hören oder lesen; sie sollen sie auch im Damit sind Sie dreifacher Rekordhalter. Das muss hier Portemonnaie spüren können. festgehalten werden. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Also senken!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deshalb ist die Bundesregierung dafür, den Beitrag zur DIE GRÜNEN) Arbeitslosenversicherung so schnell wie möglich zu sen- Die Union sollte auch ihre Strategie in der Arbeits-ken. marktdebatte überdenken. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Johannes (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Sie sind Singhammer [CDU/CSU]: Auf geht’s! – Karl- wirklich sehr qualifiziert!) Josef Laumann [CDU/CSU]: 2002 macht ihr Letztes Jahr hat die CDU/CSU-Fraktion – hören Sie gut es! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Genau zu, Herr Laumann, zu Ihnen komme ich auch noch – das ist unsere Forderung!) 11810 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) Aber wir dürfen die richtigen Debatten nicht zumFinanzpolitik den Arbeitsämtern erhebliche Hypotheken (C) falschen Zeitpunkt führen. Eine Beitragssatzsenkung im aufgeladen hat. Sie trägt damit ein gerüttelt Maß Mitver- nächsten Jahr können wir uns einfach noch nicht leisten. antwortung daran, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt einfach noch nicht möglich ist, die Beiträge zur Arbeits- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Weil dann noch keine losenversicherung zu senken. Bundestagswahl ist!) (Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Möglich ist Herr Fuchtel, Sie sind ja Haushälter und bilden sich ein, es!) rechnen zu können. Die Entscheidung zu den Einmalzahlungen war im (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Der Mann Übrigen nicht die erste Entscheidung aus Karlsruhe, auf- kann rechnen!) grund derer diese Bundesregierung für verfassungswidri- Ihnen sage ich ganz offen: Bei einem Gesamtetat der Bun- ges Handeln der früheren Bundesregierung geradestehen desanstalt für Arbeit von rund 100 Milliarden DM über muss. Polster in Höhe von 16,5 Milliarden DM bis gar 20 Milli- Die gute wirtschaftliche Entwicklung und der Rück- arden DM zu philosophieren – das wären 20 Prozent der gang der Arbeitslosigkeit machen es möglich, dass die Gesamtausgaben – ist völlig absurd; lassen Sie sich das Bundesanstalt für Arbeit im kommenden Jahr voraus- einmal sagen. sichtlich ohne Bundeszuschuss auskommt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das hätten wir schon DIE GRÜNEN) vor zwei Jahren haben können!) Wenn wir jetzt vorschnell handeln, gefährden wir nur un- Das ist ein Erfolg, auf den wir stolz sind, den wir aber sere erfolgreiche Reformpolitik, die letztlich auch für den auch nicht gefährden dürfen. Der Vorwurf, wir würden Arbeitsmarkt ganz wichtig ist. den Zuschuss zusammenstreichen, ist völliger Unsinn. Wir können die Beiträge auch schon deshalb nichtDer Bund muss nur dann einen Zuschuss leisten – das wis- schnell senken, weil die Regierung Kohl unbezahltesen Herr Fuchtel, die Union und auch die F.D.P. nur zu ge- Rechnungen hinterlassen hat. Wie Sie wissen, hat dasnau –, wenn bei den Arbeitsämtern ein Defizit anfällt. We- Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres entschie- gen der sinkenden Arbeitslosenzahlen werden nach den den, dass Einmalzahlungen wie Urlaubs- oder Weih-jetzigen Schätzungen beim Arbeitslosengeld deutlich ge- nachtsgeld in die Bemessungsgrundlage von Arbeitslo- ringere Ausgaben anfallen. sengeld einzubeziehen sind. Die alte Bundesregierung (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Na also!) hatte sich in der Vergangenheit stets geweigert, Beiträge (B) aus Einmalzahlungen auch auf der Leistungsseite zuEin Bundeszuschuss wird nicht nötig sein. Damit hat die (D) berücksichtigen. Das ist ein Kapitel, das ich mit Ihnen, Selbstverwaltung der Bundesanstalt seit langer Zeit wie- Herr Laumann, und ein paar anderen Kollegen zu bespre- der die Möglichkeit, aus eigener Kraft einen ausgegliche- chen habe. nen Haushalt vorzulegen. Herr Fuchtel, damit Sie sich auch dies merken: Das ist seit 1987 das erste Mal wieder Wir haben Ihnen in Hearings und Debatten vorherge- der Fall. Von 1987 bis 1998 hatten Sie die Verantwortung, sagt, was kommt. Sie aber haben die Ohren auf Durchzug auch für die Bundesanstalt für Arbeit. Sie waren die ganze gestellt und eine gesetzliche Regelung geschaffen, deren Zeit nicht in der Lage, für diese Bundesanstalt einen aus- Folgen wir jetzt leider ausbaden müssen. geglichenen Haushalt auf die Beine zu stellen. Auch das, (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Warum finde ich, ist ein wichtiger Tatbestand. habt ihr sie nicht sofort geändert?) Auch ohne Bundeszuschuss werden die Mittel der Ar- – Weil wir auf das Urteil gewartet haben. beitsämter ausreichen, um die Arbeitsmarktpolitik weiter- hin auf hohem Niveau zu verstetigen. Die Regierung Kohl (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) hat bei jedem noch so leichten Rückgang der Arbeits- – Langsam. Wir haben das Urteil begrüßt und setzen es marktzahlen die Arbeitsmarktpolitik zusammengehauen. zügig um – im Gegensatz zu Ihnen. Sie haben doch nur (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Herr weiße Salbe darauf geschmiert. Auch Sie hatten ein Urteil Andres, wie ist das denn mit der steuerfinan- des Bundesverfassungsgerichts. zierten Arbeitsmarktpolitik?) (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Warum Diesen Fehler werden wir nicht machen. Wir werden Ihre kriegen die, die keine Einsprüche eingelegt ha- Politik nicht wiederholen. ben, denn dann kein Geld?) Diese Bundesregierung setzt unverändert deutlich an- Es stellt ein Stück sozialer Gerechtigkeit wieder her. Al- dere Akzente in der Arbeitsmarktpolitik. Ich will nur ei- lerdings sind die finanziellen Konsequenzen aus dem Ein- nige Beispiele nennen. Wir schichten von den passiven zu malzahlungs-Urteil gravierend und belasten den Haushalt den aktiven Leistungen um. der Bundesanstalt für Arbeit in diesem Jahr mit etwa 2,4 Milliarden DM und im kommenden Jahr mit rund (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Am Ende 3,7 Milliarden DM. seiner Amtszeit ist er in der Realität angelangt!) Diese Entscheidung ist ein Beispiel dafür, wie die Re- Es ist besser, Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren. gierung Kohl durch eine unverantwortliche Sozial- und Mit unserem Jugendsofortprogramm haben wir ein deut- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11811

Parl. Staatssekretär Gerd Andres (A) liches Signal gegen den Skandal gesetzt, dass vielen jun- ten unter Ihrem Stein sitzen bleiben können und sich gar (C) gen Menschen schon der Start in das Berufsleben kaputt- nicht zu bewegen brauchen, diesen Rückgang hätten wir gemacht wird. genauso gehabt. (Beifall der Abg. Andrea Nahles [SPD]) (Beifall bei der F.D.P.) Mit der Neuregelung des Schlechtwettergeldes haben wir Darüber hinaus haben wir in einem exportorientierten die witterungsbedingte Arbeitslosigkeit am Bau reduziert. Land aufgrund des schwachen Euros und seiner Außen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) wirkung im Moment glücklicherweise auch mehr Arbeits- plätze. Das ist selbstverständlich. Die positiven Effekte Die Fortentwicklung der Altersteilzeit trägt dazu bei, wei- spüren wir jetzt. Aber nichtsdestoweniger verwechseln tere Arbeitsplätze auch mit jüngeren Menschen besetzen Sie immer noch das Geld der Bundesregierung mit dem zu können. Unser Gesetz zum Abbau der Arbeitslosigkeit Geld der Beitragszahler. Schwerbehinderter wird eine besonders benachteiligte Gruppe auf dem Arbeitsmarkt stärken. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie sind zögerlich und zaghaft. Sie haben jetzt genü- gend Spielräume, um die Beiträge zu senken. Ich könnte das noch entsprechend fortsetzen. Allen hier im Hause unterstelle ich einfach, dass sie bei etwas (Konrad Gilges [SPD]: Sie haben doch nie gutem Willen erkennen können, dass wir mit einer Sen- Beiträge gezahlt!) kung der Beitragssätze zur Arbeitslosenversicherung un- sere erfolgreiche Politik gefährden würden. – Ich habe selbstverständlich schon Beiträge gezahlt, Kol- lege Gilges. – (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie ist ohnehin gefährdet!) (Konrad Gilges [SPD]: Wo?) Das wollen wir nicht. Die Bürgerinnen und Bürger bitte Sie haben jetzt die Möglichkeiten, die Beiträge um ich noch um etwas Geduld, wenn es mit der Senkung der 0,5 Prozentpunkte zu senken, und zwar sofort und nicht Beitragssätze noch nicht so schnell geht, wie wir uns dies erst im kommenden Jahr. Anfang des kommenden Jahres alle sicherlich wünschen. Das ist wie bei der Rentenversi- können Sie den Satz um weitere 0,5 Prozentpunkte sen- cherung. ken. Ich werde Ihnen vorrechnen, wie das möglich ist. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Vor den Sie haben das Sofortprogramm gegen die Jugendar- (B) Wahlen werden Sie sich bewegen!) beitslosigkeit aufgelegt, das sich mit Menschen beschäf- (D) An die Adresse der Union sage ich: Ein Polster von tigt, die noch niemals Beiträge eingezahlt haben, und es 20 Milliarden DM, ein Fünftel der Gesamtausgaben der aus der Finanzierung durch den Gesetzgeber in die Bundesanstalt für Arbeit, zu konstatieren halte ich für un- Finanzierung durch die Bundesanstalt mit 2 Milliar- verantwortlich. Sie werden uns nicht dazu bringen, Herr den DM überführt. Das heißt, es wird durch die Beitrags- Fuchtel, Ihnen auf den Leim zu gehen. zahler finanziert. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Andrea Nahles [SPD]: Sachlich falsch!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Darüber hinaus haben Sie die Kosten für die Strukturan- DIE GRÜNEN – Karl-Josef Laumannpassungsmaßnahmen und weitere arbeitsmarktpolitische [CDU/CSU]: Das war eine Rede von gestern!) Leistungen in Höhe von 2,35 Milliarden DM aus dem Haushalt von Herrn Riester herausgelöst und in den Haus- halt der Bundesanstalt überführt. Das nennt Herr Riester Ich gebe nunmehr Vizepräsident Rudolf Seiters: – mit Verlaub gesagt – im Rahmen der Haushaltskonsoli- dem Kollegen Dirk Niebel für die F.D.P.-Fraktion das dierung auch noch „sparen“. Ich verstehe unter Sparen et- Wort. was anderes. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Jetzt kommt der geballte Sachverstand der (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten F.D.P.!) der CDU/CSU) Allein die nicht realisierten Forderungen der Bundes- Dirk Niebel (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr ver- anstalt für Arbeit in der Größenordnung von 4 Milliarden ehrten Damen und Herren! Wir freuen uns über jeden ein- DM würden einen großen Spielraum schaffen. Wenn Sie zelnen Menschen, den wir weniger in der Arbeitslosen- noch dazu berücksichtigen, dass die Arbeitslosenzahlen in statistik haben. Das ist völlig klar. Aber tun Sie doch bitte diesem Jahr um 250 000 gesunken sind und wenn ich auch nicht so, Herr Staatssekretär, als wenn dies das Ergebnis nur 1 Milliarde DM an Einsparungen für jeweils 100 000 glorreicher Regierungspolitik wäre. weniger Arbeitslose ansetzen würde, dann kommen wir hier noch mal auf 2,5 Milliarden DM. Zusammen mit (Zurufe von der SPD: Doch!) dem, was ich gerade genannt habe, macht das mehr als Wir haben allein aufgrund der demographischen Ent-14 Milliarden DM für die Bundesanstalt. Das ist mehr als wicklung jedes Jahr 200 000 Arbeitslose weniger. Sie hät- ein Beitragspunkt. 11812 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Dirk Niebel (A) Noch nicht erwähnt habe ich hierbei, dass FrauAkzeptieren Sie endlich, Kollege Andres, dass die(C) Engelen-Kefer im Namen des DGB oder der Bundesan- Menschen in diesem Land besser mit ihrem eigenen Geld stalt – ich weiß nicht, für wen sie in dem Interview ge- umgehen können, als es der Staat kann. sprochen hat – am 9. Oktober im „Handelsblatt“ fest- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten gestellt hat, dass sich weitere 6 Milliarden DM versiche- der CDU/CSU – Lachen bei der SPD) rungsfremde Leistungen für Jugendliche, die noch nie eingezahlt haben, im Haushalt der Bundesanstalt finden. Das schafft den Menschen Luft und den Investoren die Möglichkeit, Arbeit zu schaffen. Es sichert zukünftige Die überdimensionierte Arbeitsmarktpolitik mitBeitragszahler in den sozialen Sicherungssystemen 23 Milliarden DM habe ich nicht angesprochen. Ich habe nicht angesprochen, dass auf der einen Seite durch sin- (Konrad Gilges [SPD]: Sie haben das Geld der kende Beitragszahlungen, auf der anderen Seite durch die Bürger verplempert!) Kaufkraft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die und es schafft neue Arbeitsplätze. Investitionsbereitschaft und die Schaffung von Arbeits- plätzen natürlich erhöht werden. Dadurch zahlen wieder Das ist die Politik, die Sie in der Zukunft beschreiten mehr Beitragszahler ein, sodass noch mehr Spielräume müssen. Dann können Sie den Arbeitsmarktausgleich für Entlastungen geschaffen werden. vielleicht schaffen. Wir sind dann gerne bereit, Sie an Ih- rer Leistung zu messen und nicht an dem Umstand, dass (Beifall bei der F.D.P. – Konrad Gilges [SPD]: die Menschen in diesem Land früher aus dem Arbeits- Wenn Sie noch weiterrechnen, kommen Sie auf markt ausscheiden und etwas älter geworden sind. null, Sie Künstler! – Renate Rennebach [SPD]: In welcher Gesellschaft wollen Sie eigentlich Tun Sie was! Machen Sie Arbeitsmarktpolitik! Ruhen leben?) Sie sich nicht auf demographischen Zahlen aus! Ich habe nicht angesprochen, dass sich das Arbeitslo- Vielen Dank. sengeld von der Versicherungsleistung mehr und mehr zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten einer Daueralimentierung entwickelt hat und man selbst- der CDU/CSU – Renate Rennebach [SPD]: Was verständlich auch Spielräume schaffen kann, indem man macht die F.D.P.: Sie lässt das Tafelsilber mit- hier den Leistungsbezug durch Begrenzung auf 12 bis 18 gehen! Erst verkaufen Sie das letzte Tafelsilber Monate neu regelt. und dann wollen Sie es wieder mitnehmen! – Ich habe nicht angesprochen, dass Herr Jagoda im Weiterer Zuruf von der SPD: Auf Ihren Lorbee- ren können wir uns nicht ausruhen!) (B) nächsten Jahr mit mindestens 300 000 Arbeitslosen weni- (D) ger rechnet. Und ich habe nicht die Leistungsausweitung bei den Sonderzahlungen, wie Weihnachts- und Urlaubs- Vizepräsident Rudolf Seiters:Die Kollegin Dr. geld, angesprochen. Es macht überhaupt keinen Sinn,Thea Dückert spricht nunmehr für die Fraktion Bünd- dass Sie Leistungen ausweiten, anstatt die Sonderzahlun- nis 90/Die Grünen. gen von den Beiträgen freizustellen;

(Beifall bei der F.D.P.) Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): kein einziger Leistungsempfänger hätte auch nur einen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbst- einzigen Pfennig weniger bekommen, als das heute der verständlich ist es so, dass die Senkung der Lohnneben- Fall ist. Vielmehr hätten Sie Spielräume geschaffen und kosten ein ganz wesentlicher Faktor für die Entspannung den Menschen das Geld zurückgegeben. Das wäre sinn- der Beschäftigungssituation ist. voll gewesen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Dann seien Ich habe auch noch nicht angesprochen, dass Sie bei Sie doch einfach ein bisschen mutig!) der Bundesanstalt für Arbeit neue Wege beschreiten müs- Dass wir die Sache ernst nehmen und dass wir etwas ma- sen. Sie müssen zumindest in Modellprojekten versuchen, chen, will ich Ihnen vorführen. den Arbeitsämtern vor Ort Globalhaushalte zuzuweisen, mit denen sie inklusive des Personalhaushaltes den Ar- Schauen Sie sich die Zahlen noch einmal an – Herr beitsmarktausgleich vor Ort regeln können, weil die Allo- Niebel, sie sind gerade für Sie, aber auch für die kation tatsächlich nur regional richtig funktionieren wird. CDU/CSU, besonders peinlich –: Vom Jahre 1990 bis zum Jahre 1998, also innerhalb von acht Jahren, sind die Liebe Kollegin Dückert, wenn ich mir die Diskussion Lohnnebenkosten von 35,5 Prozent auf 42,1 Prozent um bei den Grünen anschaue, kann ich feststellen, dass Sie 6,6 Prozent gestiegen. vielleicht im Jahre 2002 die Beiträge um eventuell (Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich glaube, da war doch 0,8 Prozentpunkte senken wollen. Aber es ist offenkun- was, 1990! – Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: dig, was Sie damit vorhaben: 2002 sind Bundestagswah- War da nicht ein großes deutsches Ereignis?) len; die Grünen wollen Geschenke verteilen, anstatt jetzt die Menschen in diesem Land, Arbeitnehmer und Arbeit- Im Jahre 1991 stiegen allein die Beiträge der Arbeitslo- geber, zu entlasten und Spielräume für neue Beschäfti- senversicherung um 2,5 Prozent. Wir haben die Lohnne- gung zu schaffen. benkosten in unserer Regierungszeit bereits um 1 Prozent Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11813

Dr. Thea Dückert (A) gesenkt. Ich finde, da gibt es für Sie keinen Grund, hier nahmen nutzen, die insbesondere Langzeitarbeitslosen(C) den Mund zu spitzen und zu versuchen, zu pfeifen. und jugendlichen Arbeitslosen helfen. (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Das ist doch (Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜND- unter Ihrem Niveau! Sie wissen doch, dass die NIS 90/DIE GRÜNEN]) Wiedervereinigung dazwischen lag!) Es ist und bleibt das richtige Ziel, mit der Senkung der Sie haben die Entwicklung zu verantworten. Herr Fuchtel, Lohnnebenkosten weiterhin eine positive Entwicklung bei uns ist es nicht so, dass wir nur in ein Horn blasen, wie auf dem Arbeitsmarkt zu unterstützen. Sie meinen. Wir haben schon längst gehandelt. Das ist die (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Fangen Sie Wahrheit. damit an! Dazu laden wir Sie ein!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist der Beitrag, den die Arbeitsmarktpolitik leisten Natürlich geht es darum, der positiven Entwicklung am kann. Das ist insbesondere für die Ausdehnung der Nach- Arbeitsmarkt, die durch das Gesamtkonzept der Politik frage im Bereich der gering Qualifizierten, die ein niedri- der Bundesregierung in Gang gesetzt worden ist, eineges Einkommen haben, sowie im Bereich der Teilzeitar- weitere Senkung der Steuern und Abgaben folgen zu las- beit notwendig. sen. Dass wir diese positive Beschäftigungsentwicklung haben – Herr Niebel, Sie kennen die Zahlen sehr wohl –, (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Herzliche Einladung!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Die Zahlen sind von Mai bis Juni um 2,3 Prozent gestiegen!) Deswegen – das sage ich ganz deutlich – stehen wir weiterhin zu dem Ziel, hat nicht einfach nur mit der demographischen Entwick- lung zu tun. Dass wir diese positive Beschäftigungsent- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Geben Sie wicklung haben, ist eindeutig die Frucht einer Politik, die sich einen Ruck!) auf beides gesetzt hat, auf Abgabensenkung und auf Steu- die Lohnnebenkosten in dieser Legislaturperiode, bis zum ersenkung, einer Politik, die versucht, aus Haushalts-, Fi- Jahre 2002, auf unter 40 Prozent zu senken. Der Spiel- nanz- und Arbeitsmarktpolitik ein Gesamtkonzept zu ent- raum hierzu liegt in der Arbeitslosenversicherung. Ich bin wickeln. auch weiterhin davon überzeugt, dass die Arbeits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN marktentwicklung im Jahre 2002 eine Beitragssenkung und bei der SPD) von ungefähr 0,8 Prozent zulassen wird. Um welche Pro- zentzahl sich der Beitrag dann letztendlich senken lässt, Die vorsichtigsten Prognosen zeigen uns, dass wir in wird sich zeigen, wenn sich die Entwicklung so stabili- den nächsten Jahren mit einer weiteren Entspannung am siert, wie wir das hoffen. Aber das Ziel, das wir uns vor- (B) (D) Arbeitsmarkt rechnen dürfen. Aber, Herr Fuchtel, es ist genommen haben, nämlich die Beiträge unter 40 Prozent doch so, dass Sie uns zum Beispiel bei den Einmalzahlun- zu senken, verfolgen wir weiterhin. gen eine Last hinterlassen haben, mit der Folge, dass wir in diesem und im nächsten Jahr Beiträge an die Beitrags- Ich danke Ihnen. zahlerinnen und Beitragszahler zurückgeben müssen. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden wir tun, indem wir die Einmalzahlungen ausglei- und bei der SPD) chen. Wir zahlen also Gelder zurück, die Sie – das ist durch das Bundesverfassungsgericht verbrieft – diesen Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern in verfassungs- Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die Fraktion der widriger Weise weggenommen haben. PDS spricht der Kollege Dr. Klaus Grehn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dr. Klaus Grehn (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolle- Ich sage Ihnen noch eines: Es ist ein Irrglaube, anzu- ginnen und Kollegen! Es ist sowohl meine feste Überzeu- nehmen, dass es bei einer positiven Arbeitsmarktentwick- gung als auch die meiner Fraktion, dass sich dieses Thema lung, wie wir sie jetzt haben, möglich ist, gleichzeitig die nicht für politische Grabenkämpfe eignet. aktiven Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik zu reduzie- (Beifall bei der PDS) ren. Wenn wir uns die strukturellen Probleme beispiels- weise im Ost-West-Gefälle und bei der Jugend-Herr Kollege Fuchtel, Sie haben pathetisch festgestellt, arbeitslosigkeit ansehen, müssen wir erkennen, dass wir man müsse den Arbeitnehmern in die Augen schauen. Maßnahmen wie das JUMP-Programm, das wir sofort Schauen Sie den Arbeitslosen in die Augen und reden Sie aufgelegt haben, weiterführen müssen. Wenn wir dasdann aus deren Sichtweise! nicht täten, säßen wir nämlich dem Irrglauben auf, den Sie Herr Kollege Niebel, wenn Sie von einer überdimen- hier verbreiten: dass die positive Entwicklung schon An- sionierten Arbeitsmarktpolitik sprechen, sollten Sie das lass bieten würde, sich aus der Arbeitsmarktpolitikaus Ihrer Erfahrung als Arbeitsmarktvermittler den Ar- zurückzuziehen. Aber das ist nicht richtig. Wir müssen beitslosen sagen, deren einzige Hoffnung und Chance beides tun, wir müssen eine Doppelstrategie fahren, oftmals der Arbeitsplatz auf dem zweiten Arbeitsmarkt (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Die alte ist. grüne Doppelstrategie!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Der Ansatz ist falsch! – wir müssen die positive Beschäftigungsentwicklung ei- Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Der Ansatz mag falsch nerseits zur Beitragsentlastung und andererseits für Maß- sein, aber das ist die Realität!) 11814 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Dr. Klaus Grehn (A) Angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt, das auch finanziell einträglicher, als die Achterbahn, das Auf (C) heißt des Umfangs der offenen und der verdeckten Ar- und Ab der Beitragssätze zu besteigen. Sie wissen so gut beitslosigkeit sowie der Teilzeitarbeitslosigkeit – Sie tun wie ich – die deutsche Einheit hat es bewiesen –: Es ist re- ja so, als ob auf dem Arbeitsmarkt der Wohlstand ausge- lativ einfach, Beiträge zu senken. Das ist den Leuten brochen wäre –, und angesichts der seit Jahren abge-leicht plausibel zu machen. Aber es ist schwer, die Bei- schmolzenen Absicherung der Betroffenen gibt es keinen tragssätze erneut anzuheben. Machen Sie nichts vorzeitig. Anlass, über die Senkung der Beiträge zur Arbeitslosen- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Abkassieren durch die versicherung zu diskutieren. Soweit es – aus unterschied- ganze Bank, was?) lichen Gründen – die erfreuliche Senkung der Arbeitslo- senquote gibt – Kollege Fuchtel und Kollege Niebel, Sie – Das ist kein Abkassieren. Bisher hat jeder Arbeitnehmer haben sich dazu geäußert –, gilt immer noch: Einedas noch zahlen können. Aber ich verstehe schon Ihre Schwalbe macht noch keinen Sommer. Die saisonale Be- Auffassung als Mitglied der Partei der Besserverdienen- lebung der Arbeitslosigkeit – sprich: der Anstieg der Ar- den, Herr Kollege Niebel. beitslosigkeit – steht vor der Tür. Ich erinnere mich sehr (Dirk Niebel [F.D.P.]: Wer hat denn 40 Jahre genau an die Einschätzung des ehemaligen Präsidenten Misswirtschaft betrieben? Wenn wir auf die der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Franke, der davon Ebene wollen, sind wir dabei!) sprach, dass der Winter den Arbeitsmarkt im eisigen Griff hat. Der nächste Winter kommt bestimmt. – Sie betreiben jetzt eine bessere Wirtschaft; das sehe ich. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Der wird kalt und grau- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Offenkundig!) sam mit der Ökosteuer!) Wenn Sie dem Gedankengang folgen können, dass Hinzu kommt, dass im Osten die Signale am Arbeits- man einen anderen Denkansatz verfolgen sollte, dann markt auf Rot stehen. Bisher ist der Osten an der Senkung werden Sie noch lange Zeit nicht über eine Absenkung der der Arbeitslosigkeit kaum beteiligt gewesen. Stattdessen Beiträge nachdenken können. vernehmen wir Ankündigungen von weiteren Entlassun- Nicht bekannt sind auch die unterschiedlichen Wir- gen. Wir wissen, dass es einen sich selbst tragenden Auf- kungen von Entlastung und Belastung. Sollten die Vor- schwung nicht gibt. schlagenden der Auffassung anhängen, dass eine Senkung Die Einnahmen aus der Arbeitslosenversicherung wer- der Lohnnebenkosten Arbeitsplätze schafft, so kann ich den angesichts dieser Entwicklung dringend gebraucht, nur auf das Leben verweisen: 20 Jahre lang haben Sie es um die Lohnersatzleistungen und die dringend erforderli- versucht. 20 Jahre lang haben Sie die Unternehmen sub- chen Maßnahmen der Arbeitsförderung zu finanzieren. ventioniert, (B) Wir sehen eher ein Loch in der Finanzierung durch die (D) (Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie haben es Bundesanstalt für Arbeit, und zwar auch wegen der Strei- 40 Jahre getan!) chung der Bundeszuschüsse an die Bundesanstalt. haben Lohnkostenzuschüsse gezahlt mit dem Ergebnis, Für den Fall, dass die von uns erwünschte, aber nicht dass die Arbeitslosigkeit kontinuierlich gestiegen ist. Ich absehbare Sensation der nachhaltigen Verbesserung auf verstehe sehr gut, dass die gegenwärtige Regierungsko- dem Arbeitsmarkt eintreten sollte, sehen wir dringenden alition diesen Weg nicht beschreiten will. Handlungsbedarf bei der Rücknahme der sozialen Grau- samkeiten – das ist ein Terminus, der von beiden Seiten (Beifall bei der PDS – Hartmut Schauerte des Hauses verwendet worden ist – [CDU/CSU]: Sie Kaputtmacher, Sie!) (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Immer weiter – Eine sehr sachliche Bemerkung. Ich bedanke mich. ausgeben, immer obendrauf! – Gegenruf der Abg. Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Es geht um Men- Ich gebe nun der Kol- schen, verdammt noch mal!) Vizepräsident Rudolf Seiters: legin Renate Jäger für die SPD-Fraktion das Wort. der vergangenen und gegenwärtigen Regierungskoalition. Die Liste ist lang, sehr lang. Sie reicht von der Kürzung Renate Jäger (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ver- des Arbeitslosengeldes und der Arbeitslosenhilfe über die ehrten Kolleginnen und Kollegen! Fast alle im Deutschen Streichung der originären Arbeitslosenhilfe, die jährliche Bundestag vertretenen Parteien haben bereits in der ver- Kürzung der Arbeitslosenhilfe, Senkungen der Leistun- gangenen Legislaturperiode massivst die Senkung der gen für Teilnehmer an Maßnahmen der Arbeitsförderung Lohnnebenkosten angemahnt und eingefordert. bis zur Beendigung der Zahlung von Sachkostenzuschüs- sen. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt können wir es machen!) (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Schlagen Sie doch eine Beitragserhöhung vor!) Die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände haben diese Forderung gleichermaßen erhoben, und zwar in der Jedes Nachdenken über Veränderungen im Haushalt Erwartung und in der Hoffnung, dass dadurch mehr Be- der Bundesanstalt für Arbeit, gleich welcher Art, muss schäftigung angeregt wird. von dem Ausmaß der Betroffenheit und der realen Situa- tion dieser Menschen ausgehen. Das ist erfolgverspre- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Jetzt können wir es ma- chender und – das ist unsere Überzeugung – auf Dauer chen! Jetzt geht es!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11815

Renate Jäger (A) Die CDU/CSU und die F.D.P., die 16 Jahre lang die pazitäten im Verwaltungsbereich auch dort keine Be-(C) Möglichkeit hatten, die Lohnnebenkosten zu senken, re- schäftigung finden. Aber genau deshalb darf die aktive deten zwar davon, aber handelten nicht. Arbeitsmarktpolitik nicht zurückgefahren werden. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Also, die Mir ist schon bewusst, dass es das erklärte Ziel einiger deutsche Einheit kam 1990!) Unionspolitiker ist, dies doch zu tun; zum einen deshalb, weil sie generell gegen eine aktive Arbeitsmarktpolitik Wir, die SPD, waren damals in der Minderheit und konn- sind und den zweiten Arbeitsmarkt nicht fördern wollen ten nicht handeln. – sie sagen das mitunter nicht laut –, (Dirk Niebel [F.D.P.]: Aber nun können Sie!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Quatsch! Sonst hätten – Ja, nun haben wir die Mehrheit. – Wir haben in den letz- wir es doch 16 Jahre lang nicht gemacht!) ten zwei Jahren bereits vielfältige Maßnahmen ergriffen, und zum anderen deshalb, weil sie die Effektivität einzel- die wesentlich zur Senkung bzw. zur Stabilisierung der ner Maßnahmen infrage stellen. Es ist natürlich in Ord- Lohnnebenkosten beigetragen haben. Selbst Letzteres ha- nung, wenn man den Sinn der einen oder anderen Maß- ben Sie nicht geschafft. nahme hinterfragt: Ist sie günstiger oder ungünstiger (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ hinsichtlich der Chancen auf Eingliederung in den ersten DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Arbeitsmarkt? Sie haben doch die Sache mit den 630-Mark- Effektivität und Zielgenauigkeit sind zwar ohnehin Arbeitsplätzen gemacht! – Dirk Niebel [F.D.P.]: ständig zu überprüfen, gegebenenfalls zu verändern oder Und die Ökosteuer eingeführt!) auch anzupassen. Aber wenn nun einmal der erste Ar- Die neue Mehrheit hat also nicht nur geredet, sondern beitsmarkt insbesondere im Osten zu wenige Beschäf- auch gehandelt. Sie hat ihre Maßnahmen zur Senkung der tigungsmöglichkeiten bietet und wenn wettbewerbsfähige Lohnnebenkosten gegen die Stimmen derer durchgesetzt, Arbeitsplätze nicht vorhanden sind, dann ist eine Maß- die noch vor drei Jahren hätten handeln können. Ausge- nahme noch immer mehr wert als Vandalismus auf der rechnet die gleiche Seite des Hauses erhebt heute wieder Straße oder Resignation mit einem Ende in Alkohol und die Forderung, die Lohnnebenkosten über die Beiträge Drogen. zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Natürlich ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ folgen auch wir langfristig dieses Ziel. Aber man kann DIE GRÜNEN) dies nicht tun, ohne die reale Situation auf dem Arbeits- markt außer Acht zu lassen. Die Verstetigung der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf hohem Niveau und der Beitrag des BMA-Haushalts zur (B) (Dirk Niebel [F.D.P.]: „Langfristig“ heißt vor (D) Haushaltskonsolidierung lassen eine Beitragssenkung für der Bundestagswahl?) 2001 nicht sinnvoll erscheinen. Wir haben real einiges vorzuweisen. Die Situation hat Eine Beitragssenkung zum jetzigen Zeitpunkt könnte sich auch real verbessert. Meine Kollegen wiesen bereits sich sogar kontraproduktiv auf die weitere Arbeitsmarkt- darauf hin, dass der Bundesanstalt für Arbeit erstmals seit entwicklung auswirken. Sie als Opposition sollten sich 1987 kein Bundeszuschuss, der aus Steuergeldern finan- freuen, dass die Verbindung von guter, qualitätsvoller Ar- ziert wird, gewährt werden muss. Das ist ein Ergebnis und beitsmarktpolitik mit Haushaltskonsolidierung so erfolg- ein Erfolg der positiven Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und reich gelungen ist. Steuerpolitik dieser Bundesregierung. Danke. Bedenken wir aber auch: Die Arbeitsmärkte in Ost und West sind noch gespalten. Sie entwickeln sich zum Teil (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ auseinander – so bedauerlich das auch ist; Sie kennen das –: DIE GRÜNEN) Während die Zahl der Arbeitslosen im Westen sinkt, stag- niert bzw. steigt die Zahl der Arbeitslosen, insbesondere Der Kollege Heinz die der jungen Leute, im Osten. Dies ist eine Folge des Vizepräsident Rudolf Seiters: Schemken spricht für die CDU/CSU-Fraktion. Umstrukturierungsprozesses, der bei weitem noch nicht abgeschlossen ist. Während sich die Beschäftigungslage im Osten im gewerblichen Bereich – darauf habe ich kürz- Heinz Schemken (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe lich in meiner Rede zum Haushalt 2001 hingewiesen – Kolleginnen und Kollegen! Der Arbeitsmarkt lebt in den deutlich verbessert hat, müssen im Bau- und Verwal-letzten Monaten von Sondermeldungen. Das nehmen wir tungsbereich erhebliche Überkapazitäten abgebaut wer- zur Kenntnis. Diese Sondermeldungen müssen wir aber den. In den letzten acht Jahren Ihrer Regierungszeit haben gründlichst hinterfragen. Das ist wichtig, denn es wurde Sie den Umstrukturierungsprozess nicht zum Erfolg füh- deutlich, dass der Herr Staatssekretär auf eine Palette von ren können. Deswegen kann nach zwei Jahren auch den Angeboten zurückgriff, die noch nicht wirksam sind. Nachfolgern diesbezüglich kein Vorwurf gemacht wer- Vorab, damit ich nicht missverstanden werde: Wir den. waren uns immer darüber einig, dass jeder einzelne Ar- Natürlich ist es bitter, dass viele junge Leute im Bau- beitslose ein Schicksal ist. Es kommt darauf an, jeden ein- bereich von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Bitter ist es zelnen Arbeitslosen in Arbeit zu bringen. Aber der Ar- auch, dass junge Leute aufgrund des Abbaus von Überka- beitsmarkt ist nicht nur die statistische Größe der 11816 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Heinz Schemken (A) Arbeitslosen, sondern der Arbeitsmarkt ist entscheidend alle Steuerzahler finanziert wird, in den Haushalt der(C) danach zu bewerten, wo neue Arbeitsplätze entstehen. Die Bundesanstalt für Arbeit, der durch die Beitragszahler fi- entstehen durch die Wirtschaft, durch den Handel, durch nanziert wird. das Handwerk und durch die Dienstleistungsangebote. Ich stelle mir vor, dass hier die Redner Andres, Dreßler Hier sieht es eben nicht so rosig aus. Das müssen wir,und Schreiner stehen und so argumentieren, wie sie es wenn wir ehrlich sind, zugeben. seinerzeit taten, als es darum ging, die versicherungs- Wenn die letzten drei Jahre seit 1998 bewertet werden, fremden Leistungen aus den Versicherungssystemen he- so stellen wir fest, dass im Jahr 1998 ein positiver Ansatz rauszuhalten. vorhanden war. Es gab nämlich einen Zuwachs an Ar- (Renate Rennebach [SPD]: Das haben wir beitsplätzen von 350 000. Wenn man im Vergleich dazu doch gemacht!) den Zuwachs an Arbeitsplätzen des letzten Jahres von 120 000 nimmt und das unselige 630-Mark-Gesetz einbe- – Ja, das haben wir gemacht. zieht, ist festzustellen: Das war eine Nullrunde. (Renate Rennebach [SPD]: Ihr habt es ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sucht, wir haben es gemacht!) Das ist lediglich eine statistische Größe. – Sie wissen genau, dass Sie jetzt wieder mit 4,4 Milliar- den DM die Arbeitslosenversicherung belasten. Sie gehen (Konrad Gilges [SPD]: Das glaubt doch keiner! sogar mit der aktiven Arbeitsmarktspolitik in den Haus- Du machst doch wieder irgendwelche Kunst- halt der Bundesanstalt, wodurch Sie die Beitragszahler griffe!) mit weiteren 5 Milliarden DM belasten. Die alte Regie- Die sinkenden Arbeitslosenzahlen werden von der Regie- rung hatte diese Maßnahmen zu Recht in den allgemeinen rung als Verdienst ihrer Politik reklamiert. Das ist falsch. Haushalt eingestellt. (Konrad Gilges [SPD]: Hör doch auf mit dem Noch einmal zur Vergangenheit: Es gab in den 16 Jahren unserer Regierung wirklich einen beträchtli- Stricken!) chen Anstieg der Beschäftigtenzahl. Als wir die wirk- – Ich weiß, dass das nicht passt. same Steuerreform 1986/90 durchführten, ist die Zahl der Beschäftigten in der alten Bundesrepublik von 26 Mil- (Renate Rennebach [SPD]: Es passt nicht nur lionen auf 29 Millionen erhöht worden. nicht, es stimmt auch nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU) Der Rückgang der Arbeitslosenquote beträgt bei uns 1 Prozent. Vergleichen Sie das einmal mit anderen Län- Jeder weiß, dass dann die Wiedervereinigung kam; wir (B) dern in Europa – ob Sie es hören wollen oder nicht –:sollten uns hier nichts vormachen. Wer wollte sich zu je- (D) Frankreich 2 Prozent, Spanien 4 Prozent, Finnland 2 Pro- ner Zeit den Problemen verschließen? Wir haben diese zent. Probleme gemeinsam gelöst; Sie, Frau Jäger, haben es ge- rade noch einmal zum Ausdruck gebracht. Es ist im In einer Darstellung der Beschäftigungspolitik durch Grunde genommen schon ein Trick, jene Probleme der al- die Bertelsmannstiftung – die nicht in dem Verdacht ten Bundesregierung anzulasten. steht, für die CDU/CSU als Hauspostille zu schreiben – heißt es, dass die Bundesrepublik Deutschland im Wett- bewerb mit vergleichbaren Ländern – die Bewertung geht Vizepräsident Rudolf Seiters:Herr Kollege von 0 bis 10 – an 15. Stelle mit 5,8 liegt. Das ist eine Tat- Schemken, Sie müssen jetzt leider zum Schluss kommen. sache. Das ist ein Bericht der Bertelsmannstiftung aus dem Jahr 2000. Hätten wir nicht die demographische Ent- Heinz Schemken (CDU/CSU): Wir werden das nicht wicklung, hätten wir gar keine Entlastung. Denn es gibt mitmachen und deshalb darauf bestehen, dass die Bei- keinen Millimeter Bewegung bei der Beschäftigung – das träge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden, da- ist das Entscheidende – mit die Lohnnebenkosten sinken. Nur so entstehen neue (Beifall bei der CDU/CSU) Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. und auch nicht in der Arbeitslosenzahl. Da der Generatio- Schönen Dank. nenvertrag aber letztlich von der Beschäftigungslage bzw. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Zahl der Arbeitslosen abhängig ist, gilt das Versiche- rungsprinzip in jeder Hinsicht: bei der Gesundheit, bei der Rente, bei der Arbeitslosenversicherung und auch bei der Vizepräsident Rudolf Seiters:Für die SPD-Frak- tion spricht die Kollegin Andrea Nahles. Pflege. Hinzu kommt, Herr Staatssekretär – hier beißt keine (SPD): Herr Präsident! Meine Kolle- Maus den Faden ab –, dass Sie bei dieser Lage, die sich Andrea Nahles ginnen und Kollegen! Haben wir wirklich gemeinsam das im finanziellen Bereich bei der Bundesanstalt für Arbeit Ziel, die Arbeitslosigkeit auf Dauer zu senken? Wenn ich durchaus positiv darstellt, hergehen und verlagern: mir diese Debatte anhöre, bekomme ich Zweifel. Was be- Langzeitarbeitslosenprogramm mit 750 Millionen DM, treiben Sie denn mit dieser Debatte? Zum einen erzeugen Strukturanpassungsprogramm Ost mit 1,7 Milliar- Sie bewusst falsche Hoffnungen bei den Beitragszahlern, den DM. Sogar die 2 Milliarden DM für das JUMP-Pro- gramm verlagern Sie aus dem Bundeshaushalt, der durch (Renate Rennebach [SPD]: Richtig!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11817

Andrea Nahles (A) zum anderen verunsichern Sie die Leistungsempfänger marktpolitik auf die Bremse tritt und nicht durchstartet, (C) der aktiven Arbeitsmarktpolitik. der nimmt die Verfestigung von Arbeitslosigkeit bewusst in Kauf. (Zuruf von der CDU/CSU: Wieso das denn?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ – Ja, natürlich. Zum Dritten entziehen Sie den Arbeitsäm- tern das, was sie am dringendsten brauchen, nämlich eine DIE GRÜNEN) langfristige Perspektive für ihre Planungen. Das ist die Quintessenz Ihrer Forderungen. (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Was sagen Ich muss sagen: Mein Verständnis für die Opposition Sie denn dazu, dass das JUMP-Programm jetzt hält sich wirklich in Grenzen. vom Beitragszahler finanziert wird?) (Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Dann sind Das alles machen Sie im alten Stil: rein in die Kartof- wir auf dem richtigen Weg!) feln, raus aus den Kartoffeln. Sie haben in der Vergan- genheit die Arbeitsmarktspolitik immer dann vernachläs- Wir setzen unsere klare Linie fort. Wir werden die Bei- sigt, wenn keine Wahlen vor der Tür standen, und sietragssätze erst dann senken, wenn wir es verantworten kurzfristig verstärkt, wenn Wahlkampf war. Dieser Politik können. haben wir ein Ende gesetzt. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Karl-Josef Laumann [CDU/CSU]: Der Beitragszahler ist eine Melk- Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich erteile dem Kol- kuh!) legen Johannes Singhammer, CDU/CSU-Fraktion, das Wir haben zwei Ziele. Wir werden einerseits die allge- Wort. meine Arbeitslosigkeit weiter absenken; ich bin da sehr optimistisch. Andererseits werden wir jene Kontinuität Johannes Singhammer (CDU/CSU): Herr Präsi- und klare Linie beibehalten, die wir mit der Verstetigung dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lohn- der Arbeitsmarktpolitik in den letzten zwei Jahren schon nebenkosten müssen jetzt gesenkt werden, nicht irgend- bewiesen haben. wann einmal. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen DIE GRÜNEN) [SPD]: Und die Arbeitslosenzahlen nach oben, Ich will Ihnen Folgendes ganz klar sagen: Sie reden die nicht?) Erfolge herunter. Aber allein im letzten Monat sind 96 000 Bei der Arbeitslosenversicherung besteht ein Spielraum (B) Menschen weniger arbeitslos gewesen. (D) in Höhe von einem halben Prozent. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Ja, klasse! Das haben (Peter Dreßen [SPD]: Sie hat Ihnen doch er- aber nicht Sie gemacht!) klärt, warum! Sie müssen einmal die Ohren auf- Wir haben uns ganz konkret um benachteiligte Gruppen machen!) gekümmert. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen – ein Sor- genkind von uns allen – ist, wie heute im Nehmen Sie nicht immer wieder einen langen Anlauf – in Ausschuss berichtet hat, durch unsere zielgruppenorien- Ihren Wahlprogrammen kündigt der Bundeskanzler die tierte Schwerpunktsetzung im letzten halben Jahr umSenkung der Lohnnebenkosten an –, sondern springen Sie 180 000 zurückgegangen. endlich! Herr Staatssekretär Andres, ich erkläre Ihnen, warum Sie es gefahrlos tun können. Lehnen Sie sich ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mal entspannt zurück DIE GRÜNEN) (Andrea Nahles [SPD]: Der ist überhaupt nicht Dann haben wir das Programm zur Bekämpfung der Ju- unentspannt!) gendarbeitslosigkeit aufgelegt. Im Westen haben wir es geschafft, die Jugendarbeitslosigkeit um 17 Prozent abzu- und stellen Sie sich Folgendes vor: Am 12. Oktober des bauen. Besonders viel Freude macht mir, dass wir das ein- Jahres 2000 starten Sie, Ihr Arbeitsminister Riester und zige Land in Europa sind, in dem junge Frauen in gerin- der Bundeskanzler in die Toskana. Sie bleiben dort ein gerem Maße, nämlich um 1 Prozent weniger, als junge Jahr, bis zum 12. Oktober des Jahres 2001. Männer arbeitslos sind. In allen anderen europäischen (Dirk Niebel [F.D.P.]: Lassen Sie sie bis 2002 Ländern sind junge Frauen mehr, zum Teil um 10 Prozent da! Das ist viel besser!) mehr, von Jugendarbeitslosigkeit betroffen. Das ist ge- zielte Arbeitsmarktpolitik, die wir fortführen werden. Sie verbringen dort den Herbst und das Frühjahr; Sie ge- nießen den Sommer, trinken Wein, rauchen eine Zigarre, Aber – jetzt kommen wir zu dem entscheidendenlehnen sich zurück und erfreuen sich Ihres Lebens – eine Punkt –: Leider können wir keine Entwarnung geben. Ich schöne Vorstellung. Dann kommen Sie am 12. Oktober habe von den Erfolgen gesprochen. Doch trotz unserer des Jahres 2001 zurück. Ich garantiere Ihnen Folgendes: Bemühungen ist die Jugendarbeitslosigkeit im Osten be- Die Zahl derjenigen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung dauerlicherweise um 9 Prozent gestiegen. In der mittleren stehen, ist um mindestens 230 000 geringer geworden. Altersgruppe besteht die Tendenz zur Verfestigung der Arbeitslosigkeit. Wer jetzt im Rahmen unserer Arbeits- (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso ist das!) 11818 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Johannes Singhammer (A) Warum ist das so? Das liegt daran, dass immer mehr Deshalb sage ich Ihnen, Herr Andres: Geben Sie den(C) Menschen in Deutschland beschlossen haben, keinen27,7 Millionen Versicherten die Beiträge zurück, die ih- Nachwuchs zu bekommen. Es werden immer weniger nen gehören. Sie gehören nicht Ihnen, sondern den Versi- Kinder geboren, cherten. (Peter Dreßen [SPD]: Herr Singhammer, das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) glauben Sie doch selber nicht, was Sie da er- zählen!) Ich garantiere Ihnen eines: Sie werden die Ökosteuer nicht durchhalten. und die nachfolgende Generation wird – das steht schon jetzt fest – um ein Drittel kleiner als die jetzige Genera- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Abkassierer!) tion sein. Aus diesem Grund wird sich der Arbeitsmarkt Der Fraktionsvorsitzende Merz hat Ihnen eine entspre- weiter entspannen. Das geschieht völlig unabhängig von chende Wette angeboten. Ich könnte Ihnen bezüglich der Ihrer Arbeitsmarktpolitik. Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Peter nauso eine Wette anbieten. Sie werden die Arbeitslo- Dreßen [SPD]: Herr Singhammer, Sie sollten senversicherungsbeiträge senken, aber Sie wollen es erst nicht mit dem Kehlkopf, sondern mit dem Kopf im Jahre 2002 als Wahlgeschenk tun. Machen Sie es jetzt! reden!) Setzen Sie es schon im kommenden Jahr um! Das ist sau- ber und gerecht. Weil die Zahl der Arbeitslosen ohne Ihr Zutun geringer wird, Herr Kollege Dreßen, werden natürlich auch weni- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- ger Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung notwen- ruf von der SPD: Das war eine dumme Rede!) dig. Es ist klar: Weniger Arbeitslose bedeuten weniger Ausgaben der Bundesanstalt für Arbeit. Vizepräsident Rudolf Seiters: Nun spricht für die (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist logisch!) SPD-Fraktion der Kollege Walter Hoffmann. Der Spielraum, der sich damit eröffnet, ist beträchtlich. Die Kollegen haben hier schon eine Reihe von Gründen Walter Hoffmann (Darmstadt) (SPD): Herr Präsi- benannt. Die wichtigsten möchte ich wiederholen, um dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich Ihnen zu zeigen, welche Möglichkeiten Sie haben:denke, es gibt für uns alle heute Anlass zur Freude. Wir 100 000 Arbeitslose bedeuten, gesamtvolkswirtschaftlich haben in der Tat eine neue Qualität der Diskussion. Jahre- betrachtet, 3 Milliarden DM weniger. Schon im laufenden lang diskutierten wir über eine Erhöhung der Beiträge zur Jahr hätte die Bundesanstalt für Arbeit, wenn sie genau Sozialversicherung. Jahrelang diskutierten wir über eine (B) rechnete, den Zuschuss von 7 Milliarden DM gar nicht Kürzung von Leistungen bzw. eine Einschränkung von(D) nötig; vielmehr benötigte sie nur einen Zuschuss vonLeistungen. Heute sind wir aufgrund der günstigen Situa- 3 Milliarden DM. tion am Arbeitsmarkt in der Lage, endlich über eine Sen- (Peter Dreßen [SPD]: Ihre Rechenart hat zu kung von Beiträgen zu diskutieren. Das hat doch für uns 1,5 Billionen Schulden geführt!) alle eine neue Qualität, und das ist auch gut so. Gleichzeitig werden die Einnahmen auch in diesem und (Beifall bei der SPD) im nächsten Jahr um 2,5 bis 4 Milliarden DM steigen. Sie wissen, dass sich seit unserem Regierungsantritt in Was macht die Bundesregierung nun mit diesem Geld- der Tat einiges positiv verändert hat. Die Arbeitslosenzahl segen? Das Geld wird nicht denjenigen zurückgegeben, im September 1998 betrug 3,9 Millionen, heute sind es die einen Anspruch darauf haben, nämlich den in der Ar- 3,684 Millionen. Die Quote sank von 10,3 Prozent auf beitslosenversicherung Versicherten; stattdessen werden 9 Prozent – ein Minus von 1,3 Prozent. Auch das ist un- die eingezahlten Beiträge zur Ausgabenersparnis desterm Strich eine erfreuliche Entwicklung. Herrn Eichel verwandt. Die Versicherten sind die Duka- Ihnen, Herr Schemken, möchte ich eines noch einmal tenesel des Herrn Eichel. sagen, weil ich schon sehr genau darauf achte, ob in den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zahlen der Erwerbstätigen bzw. der sozialversicherungs- Susanne Kastner [SPD]: So ein Quatsch!) pflichtig Beschäftigten auch die geringfügig Beschäftig- ten mit enthalten sind. Fakt ist: Bei den Erwerbstätigen Da sind die 2 Milliarden DM aus dem Programm JUMP. haben wir 0,5 Millionen mehr als vor einem halben Jahr; Da sind die 750 Millionen DM aus dem Langzeitarbeits- es sind nun 38,55 Millionen Erwerbstätige. losenprogramm, und ab dem kommenden Jahr kommen Gelder aus dem Strukturanpassungsprogramm Ost dazu. (Dr. Bernd Protzner [CDU/CSU]: Inklusive 630-Mark-Beschäftigte!) Der Kumpel, der sich jetzt krumm legt und in die Arbeitslosenversicherung einzahlt, zahlt letztendlich eine Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben Art Zusatzsteuer an Herrn Eichel, weil dieser die eigent- wir eine Steigerung auf 27,9 Millionen – ohne die 630- lich notwendigen Zahlungen aus dem Steuersäckel nicht Mark-Versicherungsverhältnisse – zu verzeichnen. Auch herausrückt. Das ist es! das sind 0,5 Millionen mehr. (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Dreßen (Widerspruch bei der F.D.P. – Dirk Niebel [SPD]: Das ist blanker Unsinn!) [F.D.P.]: Das ist falsch aufgeschrieben worden!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11819

Walter Hoffmann (Darmstadt) (A) Auch das ist eine erfreuliche Entwicklung. Wir sind hier Sie wissen: Eine Rücknahme der Ökosteuer bedeutet eine (C) wirklich auf einem guten Weg. höhere Beitragsbelastung, höhere Rentenversicherungs- beiträge und höhere Lohnnebenkosten. Sie haben es nicht geschafft – das muss man einfach objektiv festhalten; ich bewerte das zunächst gar nicht –, (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sie geben während Ihrer Regierungszeit den Arbeitslosenbeitrag zu es doch gar nicht für die Rentenversicherung senken. Von daher habe ich volles Verständnis dafür, dass aus!) es für Sie reizvoll ist, endlich in eine Diskussion über Bei- Sie führen also eine Kampagne für höhere Lohnneben- tragssenkungen einzutreten, nachdem Sie allein den Ar- kosten, stellen sich aber hier hin und diskutieren die Not- beitslosenbeitrag seit 1982 insgesamt viermal erhöht ha- wendigkeit von Beitragssenkungen. ben. Zu Beginn im Jahre 1982 – auch da müssen wir einfach noch einmal die Fakten benennen – betrug er (Beifall bei der SPD – Dirk Niebel [F.D.P.]: 4 Prozent; heute sind es 6,5 Prozent. Das ist doch Quatsch!) (Dr. [F.D.P.]: Das wich- Die Argumentation der Arbeitgeber in diesem Zusam- tigste Faktum verschweigen Sie jetzt aber!) menhang ist vielleicht ehrlicher. Sie fordern, genau wie Sie, eine Senkung des Beitrags. – Darauf komme ich jetzt zu sprechen, Frau Schwaetzer. – Entscheidend ist: Auch vor der Wiedervereinigung haben (Dirk Niebel [F.D.P.]: Der DGB auch!) Sie es nicht geschafft, den Beitragssatz unter den zu Be- Aber sie sagen im gleichen Atemzug, dass dies nur bei ei- ginn Ihrer Regierungszeit gültigen Wert zu senken. ner Einschränkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik mög- (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Das lich ist. stimmt nicht!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Habe ich etwas anderes – Schauen Sie es doch einmal genau nach. gesagt?) (Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Aber wir ha- Genau das wollen wir nicht. ben nach 1990 gesenkt!) (Beifall bei der SPD) Ich erinnere noch einmal an die fatale Entwicklung der Wir haben ein klares Konzept: Wir wollen die Arbeits- Lohnnebenkosten: 1982 lagen sie bei 34 Prozent, 1998 bei marktpolitik auf hohem Niveau, bei 44 Milliarden DM, 43 Prozent. Ich bin sicher, dass es uns gemeinsam gelin- verstetigen, gen wird, auch in der Arbeitslosenversicherung eine Sen- kung des Beitragssatzes unter den zu Beginn unserer Re- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist völlig überdi- (B) gierungszeit gültigen Wert zu bewerkstelligen. mensioniert!) (D) (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aha! Nur wir werden die Lohnnebenkosten zum richtigen Zeit- im Wahljahr wollen Sie es machen!) punkt senken, wir betreiben forciert einen Rückgang der Staatsverschuldung und wir werden alle vorhandenen Der entscheidende Unterschied zwischen uns und Ih- Ausgaben und Beitragssenkungen seriös finanzieren. Ich nen besteht darin, dass wir diese Änderungen erst dann bin überzeugt, dass die Menschen, die Wählerinnen und vornehmen, wenn sie solide und seriös finanzierbar sind. Wähler in diesem Land die Ehrlichkeit dieser Politik dau- (Beifall bei der SPD) erhaft honorieren werden. Es wird nichts weiter auf Pump finanziert. (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie jetzt „Ehrlichkeit“ gesagt?) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das will keiner!) Ich bin auch überzeugt, dass es uns mit diesen Instrumen- Diese Grundsätze durchziehen unsere gesamte Finanzpo- ten gelingen wird, die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu ver- litik. Auch das hat sich in diesen zwei Jahren positiv ver- bessern. Dies liegt letztlich in unser aller Interesse. ändert. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Es gibt einen weiteren Unterschied. Wir haben die Lohnnebenkosten bereits in zwei Schritten gesenkt. Ich Für die CDU/CSU- erinnere an die Senkung der Rentenversicherungsbeiträge Vizepräsident Rudolf Seiters: Fraktion spricht der Kollege Andreas Storm. von 20,3 Prozent auf 19,3 Prozent. Für das Jahr 2001 ist ein kleinerer Schritt der Senkung vorgesehen, aller Vo- raussicht nach auf 19,1 Prozent. Andreas Storm (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Hoffmann hat eben die Sie führen eine Kampagne gegen die Ökosteuer. Senkung der Lohnnebenkosten noch einmal als Ziel der (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Da ma- Koalition ausgegeben. chen wir weiter!) (Andrea Nahles [SPD]: Das machen wir Wir senken mithilfe der Ökosteuer die Lohnnebenkosten, doch!) um Arbeit zu verbilligen. Frau Dr. Dückert hat angekündigt, man wolle in dieser (Dirk Niebel [F.D.P.]: Schmarren!) Wahlperiode unter die 40-Prozent-Marke kommen. An 11820 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Andreas Storm (A) Adam Riese führt kein Weg vorbei: Ohne eine Senkung und um die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der(C) des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung werden Sie das Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit zu finanzie- nicht schaffen. ren. Nach den eigenen Zahlen des Bundesarbeitsministers Die SPD hat noch im Juni 1997 einen Antrag zur Senkung in seinem Rentenkonzept liegt der Rentenbeitrag im Jahr der Lohnzusatzkosten eingebracht, in dem sie eine Entlas- 2002 nach der Reform bei 19 Prozent. Dass der Beitrag tung der Sozialversicherung von der Finanzierung allge- zur Krankenversicherung unter die13,6 Prozent fällt, die mein gesellschaftlicher Aufgaben wir im Moment haben, glaubt die Gesundheitsministerin (Zuruf von der SPD: Das haben wir doch ge- selber nicht mehr. Wir haben Defizite in der Pflegeversi- macht!) cherung. Der Beitrag wird bei mindestens 1,7 Prozent bleiben. Das bedeutet, eine Absenkung des Gesamt-durch die Senkung des Beitrages an die Bundesanstalt für sozialversicherungsbeitragssatzes unter die 40-Prozent- Arbeit um 1 Prozentpunkt vorgeschlagen hat. Marke ist ohne eine gravierende Absenkung des Beitrags Frau Kollegin Dückert, die Grünen haben im April zur Arbeitslosenversicherung nicht machbar. 1997 im Rahmen eines Gesetzentwurfs gefordert – das ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auch in ihr Wahlprogramm eingegangen –: „Die Finan- zierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik ist auf eine weit- Nun ist die spannende Frage: Warum wollen Sie dies gehende Finanzierung aus Steuermitteln umzustellen.“ allenfalls, wenn überhaupt, im Wahljahr machen? Warum nicht gleich? ( [CDU/CSU]: Hört! Hört!) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Ich finde die Frage gar Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der Koali- nicht so spannend! Sie ist doch ganz klar zu be- tion: Wie tief sind Sie eigentlich gesunken, es als eine so- antworten!) zialpolitische Errungenschaft hinzustellen, dass sich der Steuerzahler mit keiner einzigen Mark an der Finanzie- Die Kollegen haben Ihnen geschildert, dass der notwen- rung des Haushaltes der Bundesanstalt für Arbeit beteili- dige Spielraum vorhanden ist. gen soll? Es ist die Politik des Arbeitsministers, den Bundeszu- (Beifall bei der CDU/CSU) schuss zur Bundesanstalt für Arbeit wider jede sozial- und In Bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat ordnungspolitische Vernunft ersatzlos zu streichen. Der die Koalition in der Tat kein Ruhmesblatt vorzuweisen. Kollege Staatssekretär Andres war auch noch stolz darauf. Der erste Akt begann im vergangenen Jahr, als Walter (B) (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Traurig, Riester die Zahlung an die gesetzliche Rentenversiche-(D) traurig!) rung für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe um mehr als die Hälfte reduziert hat. Entgegen Ihren Lippenbe- Es war ein anerkannter Grundsatz über die Fraktions- kenntnissen bedeutet dies: grenzen hinweg, dass Maßnahmen der Arbeitsförderung im Bereich von Fortbildung und Umschulung sowie Maß- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das bedeutet Alters- nahmen etwa im Bereich der Arbeitsbeschaffung zumin- armut!) dest in Teilen gesamtgesellschaftliche Aufgaben sind und Anstatt die Altersarmut zu bekämpfen, schaffen Sie zum deshalb teilweise aus Steuermitteln zu finanzieren sind. ersten Mal für diejenigen, die längere Zeit arbeitslos sind, (Beifall bei der CDU/CSU) ein gravierendes Problem hinsichtlich der sozialen Si- cherheit im Alter. Ich darf in Erinnerung rufen, was der heutige sozialpo- litische Sprecher der SPD-Fraktion, der Kollege Adolf (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ostertag, in der Arbeitsmarktdebatte am 7. November Peter Dreßen [SPD]: Tragen Sie doch die 1996 formuliert hat: Grundsicherung mit!) Wir brauchen eine Reform der Arbeitsförderung, die Das ist ein sozialpolitischer Kahlschlag, wie ihn die deut- diesen Namen wirklich verdient. sche Sozialpolitik in Jahrzehnten nicht gekannt hat. (Beifall bei der SPD) (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist sozialpolitische Kälte!) Fortschrittlich wäre gewesen, die Arbeitsmarktpoli- tik auf eine solide Finanzbasis zu stellen. Hierzu Es wird deutlich, dass dem Arbeitsminister jeglicher gehört ein stabiler, regelgebundener Bundeszu-sozialpolitischer Kompass fehlt. Sparen ist kein Selbst- schuss, zweck. (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Hört! (Andrea Nahles [SPD]: Deswegen habt ihr die Hört!) Wahl verloren!) Wer im Bundeshaushalt spart und damit Löcher in die So- um die aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zialkassen reißt, wer Beitragszahlern das Geld aus der Ta- zu verstetigen sche zieht – es ist ja nicht das Geld des Finanzministers (Andrea Nahles [SPD]: Damals war das ja oder des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn auch nötig!) Jagoda, sondern es sind die schwerverdienten Groschen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11821

Andreas Storm (A) der Männer und Frauen, die die Beiträge entrichten, und Arbeitslosigkeit hatten, die es zu bewältigen galt – selbst- (C) der Unternehmen, die die Arbeitgeberanteile zahlen –, der verständlich. schadet unserem Land und er schadet damit langfristig (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Aha!) dem Arbeitsmarkt und seiner Entwicklung. Diese Arbeitslosigkeit betrug in Gesamtdeutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 7,3 Prozent, 6,3 Prozent im Westen und 10,3 Prozent im Osten. Vizepräsident Rudolf Seiters: Nun spricht für die Sie haben damals einen Haushalt von knapp 72 Milli- SPD-Fraktion die Kollegin Renate Rennebach. arden DM gehabt. Heute beträgt er 100 Milliarden DM. Noch heute beträgt dank Ihrer freundlichen Senkung der Renate Rennebach (SPD): Sehr verehrter Herr Prä- Sozialleistungen, die Sie uns in den letzten Jahren Ihrer sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! IchRegierung, in der Zeit, in der sich die Arbeitslosigkeit ver- möchte einige Kollegen aus der Opposition zitieren: Herr doppelt hat, beschert haben, Fuchtel hat so etwas noch nie erlebt. Herr Schemken wun- (Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Haben dert sich, wenn die Arbeitslosenzahlen sinken, und redet Sie die rückgängig gemacht? Davon habe ich von Tricks. Herr Schauerte sagt, an allem sei die Einheit nichts mitbekommen!) Schuld. die Arbeitslosenrate in Westdeutschland 7,2 Prozent und (Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Sind wir in Ostdeutschland 16,6 Prozent. hier im Kabarett?) Das gilt es zu ändern. Wir wollen stabile Arbeitsmarkt- Herr Niebel will gar keine Arbeitsmarktpolitik mehr. zahlen in West- und Ostdeutschland. (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das ist überhaupt nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wahr!) DIE GRÜNEN) Herr Singhammer klärt uns auf. Wir wollen eine Arbeitsmarktpolitik, die ihren Namen (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Natür- auch verdient, die Arbeit schafft. Wir wollen die Arbeits- lich! – Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: losigkeit verringern. Sie verunsichern die Beitragszahle- Und Herr Storm fordert Beitragssenkungen!) rinnen und Beitragszahler lediglich mit Ihrem Gedöns Wir hatten schon immer das Gefühl, Sie haben 16 Jahre über Prozentherauf- und -herabsetzungen. Wir arbeiten lang nicht in dieser Republik gelebt. Jetzt weiß ich genau aktiv und werden es weiter tun. (B) – Sie haben uns aufgeklärt –, wo Sie gelebt haben: Sie leb- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Den Arbeitnehmern das (D) ten in der Toskana, und zwar allesamt. Die heutige Oppo- Geld zu lassen, das sie verdient haben, ist doch sition hat 16 Jahre in der Toskana gelebt und tut heute so, keine Verunsicherung!) als hätte sie mit allem nichts mehr zu tun. Wenn Sie, Herr Singhammer, in den nächsten Jahren in (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Keiner die Toskana führen, dann würde mich das sehr freuen. war so oft dort gewesen wie der Bundes- Denn dann müssten wir uns nicht mehr anhören, was kanzler!) Adam Riese und Eva Zwerg bei Ihnen alles falsch ge- Wenn Sie nicht mehr weiterwissen, dann sagen Sie, dass macht haben. die Einheit Schuld sei. Ich finde, dies ist ein unmögliches Vielen Dank. Verhalten. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich weiß noch genau, wie ich im Mai 1991 hier im DIE GRÜNEN – Johannes Singhammer Reichstag meine erste Rede im Deutschen Bundestag [CDU/CSU]: Wenn Sie mir den Urlaub zahlen, hielt. Dreimal dürfen Sie raten, worum es ging. Es ging mache ich es!) darum, dass der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Jagoda, die Notbremse gezogen hat, weil die Bundesan- Als letzter Redner in stalt es sich aufgrund der deutschen Einheit nicht mehr Vizepräsident Rudolf Seiters: der Aktuellen Stunde spricht für die CDU/CSU-Fraktion leisten konnte, die Arbeitsmarktpolitik in den neuen Län- der Kollege Dr. Bernd Protzner. dern über die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler fi- nanzieren zu lassen. Dreimal dürfen Sie raten, was die da- (Renate Rennebach [SPD]: Der sieht auch malige Bundesregierung gemacht hat. Sie hat die Beiträge braun aus, finde ich! Der war auch in der Tos- um 2 Prozentpunkte angehoben. kana!) (Zuruf von der SPD: So ist es!) Dr. Bernd Protzner(CDU/CSU): Herr Präsident! Damit es nicht so auffällt, haben Sie noch den Griff in die Meine Damen und Herren! Frau Rennebach, Sie müssen Rentenkasse gemacht: 1 Prozentpunkt weniger Renten- sich entscheiden, was Sie tun. Die SPD hat – ungeachtet versicherungsbeiträge. der Wirklichkeit – ihre Arbeitsmarktpolitik der letzten Sie haben also ab April 1991 den Beitrag von 4,3 Pro- Monate so sehr gelobt, dass die Arbeitnehmer bei uns im zent auf 6,8 Prozent angehoben, weil wir eine sehr hohe Land jetzt sagen: Jetzt muss die Konsequenz kommen; 11822 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Dr. Bernd Protzner (A) jetzt müssen die Beiträge gesenkt werden. – Sie werden Arbeitnehmer mehr zur Verfügung hätte. Umgekehrt wäre (C) von Ihrem Selbstlob eingeholt; das ist Ihr Problem. auch bei den Unternehmen mehr Geld für neue Investi- tionen und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze vorhan- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den. In der Tat ist es so, dass Sie sich entscheiden müssen: (Dirk Niebel [F.D.P.]: Alles Abzocker!) Betreiben Sie eine Versicherungskasse oder betreiben Sie eine Sparkasse? – Herr Staatssekretär Andres, ich ver- Ich kann Ihnen nur sagen: Der Druck wird steigen. Sie stehe, dass Sie Reserven haben wollen, auf die man bei selber werden angesichts der anstehenden Wahlen unter Gelegenheit zurückgreifen kann. – Oder betreiben Sie gar Druck geraten. Ich kann Sie nur auffordern: Entscheiden eine andere Form von Kasse, eine Verschiebekasse zu- Sie sich jetzt für eine Beitragssenkung! Zögern Sie die Sa- gunsten Herrn Eichels und seines Bundeshaushaltes? che nicht hinaus! Die Bürger brauchen dieses Geld drin- gend. Sie werden ja von Ihnen in anderen Bereichen, zum Ich kann mich an die jahrelangen Diskussionen über Beispiel im Rahmen der Ökosteuer, sehr stark belastet. versicherungsfremde Leistungen in der Rentenversiche- Geben Sie den Arbeitnehmern das zurück, was ihnen rung hier im Hause erinnern. Die haben wir abfinanziert; gehört, und lassen Sie es nicht beim Staat und bei der Bun- die haben wir über die Steuerkasse übernommen. desanstalt für Arbeit. (Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) NEN]: Sie? Das ist wohl der größte Witz!) Ständig werden nun aber den Beitragszahlern in der Ar- Vizepräsident Rudolf Seiters: Die Aktuelle Stunde beitslosenversicherung neue versicherungsfremde Leis- ist beendet. tungen aufgebürdet. Das muss ein Ende haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich rufe nunmehr Zusatzpunkt 2 auf: Die Beitragszahler empfinden die heutigen Beiträge Vereinbarte Debatte aufgrund der zu hohen Punkte als Strafzahlung, als Straf- zur Situation in Jugoslawien kasse. Das muss ein Ende haben. Übrigens hat das Ihr Bundeskanzler angekündigt. Er hat gesagt, er wolle die Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Arbeitskosten, die Lohnnebenkosten senken. Ich bin si- Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Das Haus ist damit cher, dass er Sie dazu bringen wird. Spätestens dann,einverstanden. wenn die nächsten Wahlen näher rücken, wird eine Sen- Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zunächst kung erfolgen. dem Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer. (B) (D) Sie muss auch erfolgen. Mittlerweile geben wir in die- sem Bereich pro Jahr 100 Milliarden DM aus. Wir müs- Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: sen uns entscheiden, ob wir eine Staatswirtschaft wollen, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den Er- in der Bürokraten bzw. Verwaltungen entscheiden, ob Ar- eignissen vom vergangenen Donnerstag und dem Sturz beitsplätze entstehen, oder ob wir eine soziale Marktwirt- von Milosevic, mit der friedlichen, demokratischen und schaft haben wollen, in der die Marktkräfte gestärkt wer- freiheitlichen Revolution in Belgrad ist, so können wir den und Arbeitnehmer und Personalleiter entscheiden, wo feststellen, der letzte Teil einer kommunistischen Diktatur sie arbeiten und wo Arbeitsplätze entstehen. Dafür müs- mit zehnjähriger Verspätung gefallen, sind die Ereignisse sen Mittel zur Verfügung gestellt werden. von 1989/90 auch dort nachgeholt worden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Allerdings: Es handelt sich hier um einen tragischen, der F.D.P. – Zuruf der Abg. Renate Rennebach einen blutigen Umweg, den Serbien unter der Diktatur [SPD]) Milosevics genommen hat. Mit dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens kam es zu vier Kriegen, für die Milosevic – Frau Rennebach, erzählen Sie doch einmal den Arbeit- die Verantwortung zu tragen hat: in Slowenien, in Kroa- nehmern, warum sie 130 DM oder bis zu 250 DM mehr, tien, in Bosnien-Herzegowina und schließlich im Kosovo. als es erforderlich ist, in die Arbeitslosenversicherung Solange nicht eingegriffen wurde, solange man Milosevic zahlen müssen. nicht in den Arm gefallen ist, hat er weitergemacht, sodass (Renate Rennebach [SPD]: Wo denn?) wir als Ergebnis dieser Kriege heute feststellen müssen: Es gab mehr als 300 000 Tote, Millionen von Flüchtlingen Wenn wir den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um haben ihre Heimat verloren, es ist unsägliches Leid über 0,5 Prozent absenken würden, ergäbe sich im Durch- die Menschen gebracht worden. schnitt ein Betrag von 130 DM, den ein Arbeitnehmer we- niger zu zahlen hätte. Das Eingreifen war richtig und es war notwendig. Wenn man etwas kritisieren kann, dann nicht, dass es (Renate Rennebach [SPD]: Das ist reine Komik stattgefunden hat, sondern eher, dass es zu spät gekom- oder Frechheit, was Sie hier von sich geben! men ist. So sehr ich die Argumente dagegen verstehe, Reine Komik!) möchte ich doch einen Augenblick zurückblicken und fra- Wenn man konsequent vorgehen würde und das Zwei- gen, wo wir heute stünden, wenn wir ihnen gefolgt wären. Stufen-Modell des Kollegen Fuchtel umsetzen würde, Es hätte garantiert nicht einen Sieg der Demokratie in Bel- dann ergäbe sich ein Betrag von 260 bis 400 DM, den ein grad gegeben und damit die große Chance, die Kriege auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11823

Bundesminister Joseph Fischer (A) dem Balkan dauerhaft zu beenden und eine nachhaltige aber es ist alles auf dem offenen Markt geschehen. An die- (C) Friedensordnung zu schaffen, die es ermöglicht, diesen ser ganzen Sache gab es nichts Geheimes. Teil Europas an das Europa der Integration aufschließen (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das macht es nicht zu lassen, ihn heran- und eines fernen Tages auch hinein- besser!) zuführen, sondern wir stünden vor einer weiteren Eskala- tion von Gewalt, von Terror, von Krieg. – Den Zwischenruf „Das macht es nicht besser“ muss ich doch zu Protokoll geben. Sie finden es falsch, dass wir uns Deswegen, meine Damen und Herren: So schwer uns aufseiten der demokratischen Opposition engagiert ha- diese Entscheidung auch gefallen ist, sie war richtig. Es ben? war hohe Notwendigkeit, der großserbischen Politik Milosevics, die auf Krieg, auf Vertreibung, auf Terror, auf (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Überhaupt nicht, Massenvergewaltigungen setzte, im Kosovo Einhalt zu Herr Kollege Fischer!) gebieten. – Gut, dann legen wir es ad acta. Das hätte mich sonst (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch erstaunt, Herr Gehrcke. und bei der SPD) Es war von entscheidender Bedeutung – ich möchte Sie Ich möchte bei diesem kurzen Rückblick aber auch daran erinnern, wie wichtig das im Übergangsprozess von nochmals betonen, dass die deutsche Politik im Kosovo- der Franco-Diktatur oder der Salazar-Diktatur zur Demo- Krieg – ich möchte mich bei allen hier im Haus bedanken, kratie war –, dass sich die Demokraten engagiert haben. die diese Politik unterstützt haben – von Anfang an darauf Ich sehe darin keine Einmischung von außen. gesetzt hat, dass wir zu einem nachhaltigen, zu einem dau- (Beifall bei der SPD) erhaften Frieden kommen. Unter der deutschen Präsi- dentschaft haben wir den Fünf-Punkte-Plan entwickelt, Wir haben es getan, um dieDemokratie zum Sieg zu der dann in der Petersberger Vereinbarung umgesetztführen; umso mehr müssen wir es jetzt tun, um diesen wurde. Auf dem Kölner Gipfel wurden alle wesentlichen Prozess, der mitnichten gefestigt ist, erfolgreich zur Kon- Elemente der Resolution 1244, die heute die Grundlage solidierung bringen zu können, damit sich die Demokra- der Politik gegenüber dem Kosovo darstellt und insofern tie in Serbien dauerhaft durchsetzen kann. auch Grundlage für die Beendigung des Krieges im Ko- Die Europäische Union hat dazu erste Schritte mit der sovo war, entwickelt. Dass Russland wieder ins Boot ge- Aufhebung des Öl- und Flugembargos und den ersten An- holt wurde, war eine Initiative von Bundeskanzlersätzen zur Herstellung normaler Wirtschaftsbeziehungen Schröder im Rahmen der deutschen Präsidentschaft. getan. Ich denke, das ist entscheidend, auch wenn die Frage der Kontrolle und des Einfrierens der Konten von Wir haben eine Politik entwickelt, die präventiv tätig (B) Milosevic und seiner engeren Gefolgschaft noch nicht ge- (D) werden will, das heißt, die vermeiden will, dass solche klärt ist. Auch der Visabann sollte noch nicht aufgehoben Konfliktpotenziale überhaupt noch zur Explosion kom- werden. men können respektive dass solche verbrecherischen Ideologien Unterstützung finden. Diese Politik hat uns Aber wir müssen zügig vorankommen. Wir müssen dazu gebracht, die Idee desStabilitätspaktes zu ent- den Stabilitätspakt dafür einsetzen. Die Europäische wickeln und den Stabilitätspakt dann mit der Unterstüt- Union muss ihre Entscheidungen treffen. National haben zung unserer Partner tatsächlich als zentrales Element wir unsere Entscheidungen getroffen und sind bereit, uns präventiver Politik und einer nachhaltigen Friedensord- etwa bei der Räumung der Donau wie auch bei anderen nung auf dem Balkan ins Leben zu rufen und umzusetzen. Infrastrukturprojekten, bei humanitären Projekten, bei der Stärkung demokratischer Institutionen und beim Aufbau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einer demokratischen Struktur zu engagieren. Wir wollen und bei der SPD) uns wie früher einbringen, um die Beziehungen zwischen Genau dort müssen wir jetzt ansetzen. Wir haben uns unserem Land und Serbien wieder positiv zu gestalten. in all den Monaten seit dem Ende des Kosovo-Krieges en- Wir sind auch bereit, Serbien mit offenen Armen wie- gagiert: in der Stärkung der demokratischen Opposition, der in die Völkergemeinschaft aufzunehmen und auf dem in der Stärkung der zivilgesellschaftlichen Selbsthei-Weg nach Europa positiv zu begleiten. Allerdings hat die lungskräfte. Ich möchte allen politischen Stiftungen, die Konsolidierung der Demokratie jetzt Vorrang. Die sich daran beteiligt haben, und all denen, die sich bei der Gerechtigkeitsfrage und der Aspekt derjenigen, die Städtepartnerschaft in der Bundesrepublik Deutschland schwerste Schuld auf sich geladen haben – 300 000 Tote und bei den kritischen Medien engagiert haben, herzlich wiegen schwer –, werden auf Dauer nicht ausgeblendet danken; denn über Monate hinweg waren dies entschei- werden können. Auch das ist eine Frage der Selbstreini- dende Beiträge für den Sieg der Demokratie. gung. Gerade wir wissen, wovon die Rede ist. Das ist eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Frage der inneren Stabilität der Demokratie. Auch wenn bei der SPD und der CDU/CSU) sie jetzt nicht vorrangig ist – die Konsolidierung der de- mokratischen friedlichen Veränderungen muss Vorrang Daran ist nichts geheim gewesen. Jetzt kann man lesen, haben –, wird diese Frage auf der Tagesordnung bleiben; das wäre geheim gewesen. Dazu kann ich Ihnen nur sa- denn Gerechtigkeit muss sich durchsetzen. gen: Viele hat das nicht interessiert, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Karl Lamers [CDU/CSU]: So ist es!) und bei der SPD) 11824 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Bundesminister Joseph Fischer (A) Meine Damen und Herren, Europa und im Rahmen des Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Herr Präsi- (C) Stabilitätspaktes auch unser Partner Russland sowie die dent! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! USA, Japan und andere, aber auch die Bundesrepublik Ein Bürgerkrieg löst heute keine einzige Frage. Es Deutschland sind bereit, das Ihrige dazu beizutragen. Wir käme nur zu Massakern, wie während des Zweiten müssen uns allerdings davor hüten, dass jetzt ein Serbien- Weltkrieges zwischen serbischen Tschetniks und zuerst-Eindruck entsteht. Wir brauchen einen regionalen kroatischen Ustaschen. Da könnte Europa nicht ruhig Ansatz, der allen am Stabilitätspakt Beteiligten hilft. zusehen. Dass sich die Demokratie in Belgrad durchsetzt, ist die – Der wohl bekannteste jugoslawische Dissident, entscheidende Voraussetzung dafür, dass wir dauerhaften Milovan Djilas, hat diese Sätze in seinen späten Jahren Frieden auf dem Balkan schaffen können. Der westliche nach dem Zusammenbruch des Tito-Jugoslawiens gesagt. Balkan ist eine Region Europas. Wenn wir hier über den Wie Recht er doch hat und wie gut es doch ist, dass es bei Sieg der serbischen Revolution und seine Konsequenzen dieser – lassen Sie mich es so sagen – Halbrevolution in diskutieren, müssen wir wissen, dass der westliche Bal- den letzten Tagen in Serbien keinen Bürgerkrieg zwischen kan Teil einer europäischen Gesamtverantwortung ist. Es verschiedenen Lagern gegeben hat, so wie wir ihn viermal handelt sich nicht de jure um einen Erweiterungsprozess in der letzten Dekade erleben mussten. Dies muss zual- der Europäischen Union, aber de facto ist es ein Bestand- lererst gesagt werden. teil dieses Prozesses. Der Dank geht an alle besonnenen Kräfte, auch an die, Diese Region muss an das Europa der Integration he- die dem System Milosevic gedient haben und erkannt ha- rangeführt und aus dem Zeitalter der Kriege und der na- ben, dass das letzte Aufbäumen, die letzte Agonie einer tionalistischen Verblendung und des nationalistischen Diktatur, einer Autokratie, nicht auch noch zu einem Blut- Hasses herausgeführt werden. Sie wird Bestandteil dieser vergießen im eigenen Volk führen darf. Auch denen will Anstrengung hinsichtlich des gesamteuropäischen Verei- ich für diese eine Einsicht danken. nigungsprozesses in einem Europa, das über fünf Jahr- zehnte hinweg geteilt war. Gerade das wiedervereinigte Europa kann hierüber zwar erfreut sein, aber nicht ru- Deutschland trägt hier eine besondere Verantwortung. hig zusehen. Unser Handeln und Abwägen ist gefordert. Deswegen ist es auch gut, dass wir über die Situation in Mit dem Sieg der Demokratie in Belgrad haben wir Jugoslawien so kurz nach den dramatischen Ereignissen jetzt die große Chance, dazu beizutragen, dass sich diese dort diskutieren, in einer Zeit, in der wir – hier stimme ich wirklich unumkehrbar konsolidiert, dass sich die Demo- Ihnen zu – natürlich noch nicht von einer Konsolidierung kratie durchsetzt. Es besteht die große Chance, dafür zu des Prozesses ausgehen können. Die Nachrichten des sorgen, dass auch die letzte kommunistische Diktatur der gestrigen und heutigen Tages über das Verhalten der noch (B) Vergangenheit angehört. Wir haben die große Chance, (D) immer Milosevic-orientierten Mehrheit im serbischen dazu beizutragen, dass es mit den blutigen Morden auf Parlament sprechen Bände hinsichtlich der Schwierigkeit, dem Balkan, mit den Balkankriegen, ein Ende hat. Wir ha- eine Regierung zustande zu bringen. Ich hoffe, dass uns in ben die große Chance, Demokratie in einem sich vereini- den nächsten Tagen und Wochen nicht noch mehr Schwie- genden Europa zu schaffen, wenn wir uns der Herausfor- rigkeiten in dieser Richtung ins Haus stehen. derung, die die Erweiterung dieses Europas an uns stellt, gerecht erweisen. In Wahrheit erleben wir die Agonie der letzten stalinis- tischen Bastion Europas. Spät, zehn Jahre nach dem Fall Deswegen wird es notwendig sein, dass wir uns nicht der Mauer in Berlin, fällt auch dieses System in sich zu- nur materiell engagieren, sondern dass wir zusammen mit sammen. In Wahrheit sind mit dem Zusammenbruch des unseren Partnern dauerhaft mit der Bundeswehr, aber Reiches von Milosevic auch ideologische Fantasien end- auch mit zivilen Kräften in der Region präsent sind, so- gültig beerdigt worden, die in früheren Jahren, was Jugo- lange dies notwendig ist. slawien betrifft, bei uns sehr viel Sympathie gefunden hat- Frieden setzt voraus, dass Vertrauen geschaffen wird. ten. Ich will an diesem Tag schon noch einmal erwähnen, Vertrauen wird nur wachsen, wenn Sicherheit gewährleis- was alles Rühmendes über das Modell der jugoslawischen tet ist und gleichzeitig die Wahrheit ausgesprochen wird. Gesellschaft, der Arbeiterselbstverwaltung, der Block- Sie ist die Grundlage der Versöhnung und Versöhnung ist freiheit, in linken Studierstuben geschrieben und geäußert die Grundlage, auf der der Frieden steht. Dies werdenworden ist. Wie kläglich hat dieses Modell jetzt – wenn noch sehr schmerzhafte Prozesse. Dies setzt voraus, dass man ein Bild nehmen möchte – geendet: mit der Flucht wir uns dauerhaft und langfristig engagieren. Aber die des letzten Hauptschmarotzers, des Sohnes von Chance, die wir jetzt haben, nämlich in diesem Europa Milosevic, nachdem er das Günstlingssystem in diesem dauerhaft Frieden zu schaffen, ist diesen Einsatz wert. Wirtschaftsmodell nicht mehr fortsetzen konnte. Ich bedanke mich. Milosevic konnte sich so lange über die Zeit retten, weil er den kommunistischen Anstrich, den Tito seiner (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Diktatur gegeben hatte, durch einen nationalistischen er- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der setzt hat. Ich erinnere an die Rede von Milosevic auf dem CDU/CSU und der F.D.P.) Amselfeld im Jahre 1989 vor 1 Million Menschen. Sie fand an dem Denkmal zur Schlacht auf dem Amselfeld Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die CDU/CSU- statt, das heute von norwegischen KFOR-Soldaten be- Fraktion spricht der Kollege Christian Schmidt. wacht wird. Es war bemerkenswert, wie sehr er auf dem Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11825

Christian Schmidt (Fürth) (A) Klavier des Chauvinismus gespielt hat. Beide Diktatur- Das ist in den nächsten Jahren wichtig. Es geht nicht da- (C) formen waren der Ausgangspunkt für die Missachtung rum, den Kollegen Scharping, der sowieso zu wenig Geld und Verletzung der Menschenrechte von einzelnen Bür- für seine Bundeswehrreform hat, die er nicht finanzieren gern und ethnischen Minderheiten. kann, anzugreifen, Nun hat das Volk in Serbien gesprochen. Es hat sich ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- klar gegen Milosevic ausgesprochen. Das ist eine Nieder- NEN]: Das diskutieren wir morgen!) lage von Milosevic. Damit es ein Sieg der Demokratie wird, bedarf es noch vieler Arbeit. Es wird sehr viel an der – dann diskutieren wir morgen weiter –, aber im Sinne der Person von Präsident Kostunica hängen. Ich glaube aber, Prävention ist es besser, 5 Millionen DM für die politi- dass wir gut beraten sind, nicht allein einzelnen Personen schen Stiftungen zu belassen, weil sie bei der Konsolidie- anzuhängen, denn Demokratie hat in ihrem Wesensgehalt rungsarbeit der nächsten Jahre Erhebliches werden leisten nicht die Orientierung auf eine Person, sondern die Orien- können und müssen. tierung auf eine bürgerliche Gesellschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie (Beifall bei der CDU/CSU) bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Es geht um den friedlichen Ausgleich mit den Nachbarn, das Land muss weg vom Chauvinismus und der Plan- Dass wir allerdings ein Schwergewicht der Arbeit beim bzw. Chaoswirtschaft hin zu einem offenen, europaorien- Stabilitätspakt sehen, den wir unterstützen, ist selbstver- tierten Land geführt werden. ständlich. Nun muss ich allerdings auch hier sagen: Der Hier sehe ich die Schwierigkeiten, ohne Wasser in den Kollege Weiß, der sich sehr intensiv um die Mittel in den Wein gießen zu wollen, und auch in der Frage, aus wel- neuen Haushalten für Osteuropa bemüht hat, sagte mir cher Motivation nun der Umschwung stattgefunden hat, nicht nur zu meinem Erschrecken, dass die Mittel für den nicht bei denen von Otpor, nicht bei denen, die seit Jahren Stabilitätspakt von 541 Millionen DM in diesem Haushalt in der Opposition sind und die wir alle nach Kräften un- im nächsten um 151 Millionen DM, also um 28 Prozent, terstützt haben. Dies war manchmal nicht ganz einfach; gekürzt werden. Dort ist eine große Diskrepanz zwischen denn man musste manchmal abwägen: Schade ich ihm Anspruch und Wirklichkeit. Nun machen Sie einmal in mehr, als dass ich ihm nutze, wenn ich ihm helfe? Bringe der Regierung Ihre Arbeit, meine Damen und meine Her- ich ihn in Gefahr? ren! Ich darf bei dieser Gelegenheit den Dank an die po- Ich will zu einem weiteren Punkt unserer Politik Stel- litischen Stiftungen noch einmal aufgreifen. Herr lung nehmen. Die Frage der notwendigen militärischen (B) Minister, wir haben heute früh im Ausschuss darüber Intervention, die Frage der Präsenz der NATO ist – ich(D) diskutiert. Es war wieder einmal – in diesem Fall bin ich sage das hier – im Wesentlichen unstreitig. Über die Mit- so vermessen – von der deutschen politischen Bildung tel der Behandlung eines diktatorischen, aggressiven Re- der Stiftungen und auch aus einer konkreten Nach- gimes müssen wir allerdings in einem Punkt noch einmal kriegssituation ein Export von Demokratiebestrebungen reden. Möglicherweise sehr viele in diesem Haus und in und von Zusammenarbeit im besten Sinne. So wie er der Regierung spüren Unbehagen gegenüber der Sankti- auch in Spanien funktioniert hat, so können wir einen onspolitik in der Form, wie sie bisher gelaufen ist. Wenn kleinen Teil – sicherlich nicht den großen Anteil; ihn hat wir die Erfolge und Konsequenzen der Sanktionspolitik das serbische Volk und die Opposition für sich in An- nüchtern und vorurteilsfrei diskutieren – ich empfehle spruch zu nehmen – am Erodieren des Systems Milosevic uns, das in einigen Wochen einmal zu tun –, dann werden von dieser Seite den Stiftungen zuzuschreiben. wir nach meiner Überzeugung feststellen, dass beispiels- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie weise das Ölembargo längst nicht den Effekt gehabt hat, bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE den es hätte haben sollen. Demnach hätte die Revolution GRÜNEN und der F.D.P.) im Winter stattfinden müssen; denn da war es kalt. Nein, sie hat jetzt aufgrund anderer Umstände stattgefunden. Das mache ich gerne bei dieser Gelegenheit und auch weil ich mit Freude den Beifall fast des ganzen Hauses zur (Zuruf von der SPD: Wahlen!) Kenntnis nehme. – Völlig richtig, es waren die Wahlen. Das Problem war, Dabei möchte ich darauf hinweisen – der Finanzminis- dass man die Zivilbevölkerung trifft. – Die Kamarilla, die ter ist nicht da, also richte ich den Appell direkt an den die Macht hatte, hat sich in den warmen Stuben gewärmt Bundeskanzler –: und das Geld auf die Seite geschafft. Das ist kein über- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Er kann auch ein zeugender Ansatz, Menschen für die Demokratie zu ge- bisschen Außenpolitik machen!) winnen. Deswegen will ich diese Sache hier ansprechen. Ich weiß, das die Adressaten dieser Diskussion nicht nur Der Herr Außenminister bekommt für seinen Etat für die hier im Deutschen Bundestag und in der Bundesregie- politischen Stiftungen 5 Millionen DM weniger. Wir hal- rung, sondern im transatlantischen Dialog zu finden und ten das nicht für gut. zu suchen sind. Ich finde, wir als Parlamentarier, die wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie mit Leuten aus anderen Parlamenten reden, wie zum Bei- bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- spiel aus dem amerikanischen Kongress, sollten uns das SES 90/DIE GRÜNEN) Ganze noch einmal genauer anschauen. 11826 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Christian Schmidt (Fürth) (A) Es ist richtig, dass die Quick-Start-Projekte, die an- Vizepräsident Rudolf Seiters:Ich gebe das Wort (C) gekündigt worden sind, kommen. Ich glaube, es ist nun dem Kollegen Gernot Erler für die SPD-Fraktion. notwendig, das wir Herrn Kostunica unterstützen, indem die Infrastruktur verbessert wird und Straßen gebaut wer- den. Aber wichtiger als Straßen ist in der nächsten Zeit vor Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- allem die Etablierung der Demokratie. Es muss der nen und Kollegen! Der 5. Oktober dieses Jahres wird als Rahmen für eine Demokratie geschaffen werden, nämlich ein Tag des sensationellen Szenenwechsels in Belgrad mit eine Verfassung. Es ist die Frage, welche Pfeiler derweit reichenden Folgen in ganz Südosteuropa in die Rechtsordnung in den nächsten Monaten mit unserer Un- Zeitgeschichte eingehen. terstützung und mit der des Südosteuropapaktes, soweit (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des das gewollt ist, eingerammt werden können. Das wird BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) über die Zukunft der Regierung Kostunica, über Otpor und alles, was dazu gehört, entscheiden. Es geht ein hörbares Aufatmen durch ganz Europa. Wir gedenken in dieser Stunde aber auch der Hunderttausende Ein Punkt macht mir allerdings noch Sorge: Wir haben von Opfern des 13-jährigen Regimes des Slobodan alle genügend Erfahrung, wie in den Reformstaaten in ei- Milosevic. Es ist gut, dass einige dieser Opfer im Inneren ner Anfangseuphorie die Erwartungen von der Bevölke- von Serbien nicht umsonst gewesen sind. rung verständlicherweise unwahrscheinlich hochge- puscht werden und dann festzustellen ist, dass in einem Es ist ein politischer Wechsel eingeleitet, aber noch desolaten, zugrunde gerichteten Wirtschaftssystem die nicht vollendet. Das hängt mit der nach der Konstitution Gesundung der Wirtschaft und der damit zusammenhän- relativ schwachen Position des jugoslawischen Präsiden- gende Wohlstandszuwachs nicht automatisch kommen. ten zusammen, mit der Machtposition, die in der serbi- Die Not der Regierungen, zu begründen, dass sie dasschen Regierung und dem serbischen Präsidenten kon- Ganze in den ersten Jahren nicht bewältigen können, wird zentriert ist, aber auch damit, dass die bisherige groß werden. Es muss verhindert werden, dass es so weit Nomenklatura von Milosevic noch nicht abgedankt hat. kommt und verzweifelte Regierungen dorthin flüchten, Sie testet vielmehr jeden Tag – auch heute – ihren politi- wo Milosevic angefangen hat: in den Nationalismus. schen Spielraum. Deswegen sollte hier ein Konsens da- Diese Frage ist noch nicht entschieden. Bei allem guten rüber bestehen, dass für uns und für alle in Europa die Willen, den ich unterstelle, hören wir natürlich schonhöchste Priorität heute heißen muss: Stabilisierung des noch kritische Äußerungen über die Zukunft des Kosovo, politischen Wechsels in Jugoslawien. über die Frage des Verhältnisses Montenegro/Serbien, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des über das Verhalten der nach der Resolution 1244 instal- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der (B) lierten Behörde unter Verwaltung von Herrn Kouchner CDU/CSU) (D) und über andere Dinge, so über den „Aggressor NATO“. Darüber müssen wir reden – zwar nicht heute oder mor- Man nimmt jetzt von allen Seiten Fragezeichen und gen, aber auch nicht zu spät. Die Euphorie darf nicht dazu Einwände wahr. Auch Sie, Herr Kollege Schmidt, haben verführen, so zu tun, als wären die Dinge alle in Butter. eben sehr vorsichtig darauf hingewiesen, dass Kostunica, Sie sind es in Serbien nicht. Es ist der Anfang gemacht der neue Präsident, ein Nationalist sei. Er bestreitet das im worden, dass wir sie gemeinsam ins Reine bringen kön- Übrigen selbst nicht. Man muss aber eine Rückfrage da- nen. bei stellen: Ohne eine nachdrückliche und demonstrative Vertretung der serbischen Interessen, ohne eine prakti- Es ist viel Diplomatie gefragt. Wenn ich die Besuchs- zierte Distanz zum Westen, auch eine kritische Distanz zu diplomatie verfolge und mir überlege, wer alles in nächs- all dem, was der Westen auch während des Krieges in die- ter Zeit in Belgrad erscheint oder Kontakte dorthin hat, ser Region gemacht hat, hätte Kostunica – davon bin ich bitte ich darum, dass bei diesen Gelegenheiten Herrn Kostunica auch deutlich gemacht wird, dass es unver- überzeugt – diese Mehrheit nicht gewonnen und wir sind rückbare Positionen gibt, die er auch nicht durch sein Ver- doch froh, dass er sie gewonnen hat. halten in den nächsten Monaten in eine solche Schieflage (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des bringen kann, dass später keine vernüftige, friedliche BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Regelung des Friedens und der Zukunft beispielsweise des Kosovo möglich ist. Das ist eine Besorgnis, über die Kostunica hat auch für die Zukunft eine feste Position wir in diesem Hause immer wieder reden müssen, um klar hinsichtlich der serbischen bzw. jugoslawischen Inte- zu machen, dass Milosevic ebenso ausgeliefert werden grität. Das bezieht sich sowohl auf Montenegro als auch muss wie Karadzic und Mladic, die ebenso noch frei he- auf den Kosovo. Der entscheidende Unterschied ist: Er ist rumlaufen, obwohl sie Kriegsverbrecher sind. bereit, darüber einen Dialog zu führen. Ich frage: Wäre es nicht katastrophal, wenn die Auflösung der Bundesrepu- Es muss, Herr Außenminister, auch eine Regelung un- blik Jugoslawien, die weder der Westen noch die interna- ter Einbeziehung der Kosovo-Albaner geschaffen wer- tionale Gemeinschaft Milosevic abgetrotzt hat, jetzt als den, die verhindert, dass die Bundeswehr auf Dauer dort eine Forderung an den neuen, demokratisch gewählten bleiben muss. Wir wollen, dass die KFOR zum gegebenen Präsidenten Kostunica herangetragen würde? Das wäre Zeitpunkt aus dem Kosovo heraus kann, und wir wollen, falsch. Insofern kann ich von hier aus Herrn Djukanovic dass sich diese Region selbst befriedet, damit die Men- nicht nur wünschen, dass er sich schnell von seinem Au- schen friedlich miteinander leben können. tounfall erholt, sondern ihn auch auffordern: Nehmen Sie (Beifall bei der CDU/CSU) die ausgestreckte Hand zum Dialog an und unterstützen Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11827

Gernot Erler (A) Sie den neu gewählten Präsidenten! Das ist das, was wir 600 000 Kriegsflüchtlinge aus Kroatien, aus Bosnien-(C) von Ihnen erwarten. Herzegowina, aus dem Kosovo. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Jetzt ist die Glaubwürdigkeit Europas bzw. des Wes- tens gefordert. Wir haben immer gesagt: Wenn das Pro- Andernfalls glaube ich, dass der große politische Erfolg blem Milosevic weg ist, wird es großzügige Zusagen ge- ganz schnell gefährdet sein und sich in eine Niederlage ben. An die EU richten wir jetzt vor allem die Erwartung, verwandeln könnte. dass nicht nur Zusagen erfolgen, sondern dass auch ohne Wenn die Hauptaufgabe also in der Stabilisierung des große bürokratische Hemmnisse schnell gehandelt wird. politischen Wechsels besteht, war es richtig, sofort politi- Es gibt einen Fonds, der für die Einbeziehung von Jugo- sche Unterstützung zu organisieren. Ich glaube, wir kön- slawien in die europäischen Programme zur Verfügung nen hier der Bundesregierung und den anderen europä- steht. Natürlich ist es auch notwendig, Jugoslawien so ischen Regierungen dafür dankbar sein, dass sie dasschnell wie möglich in den Stabilitätspakt einzubeziehen. schnell und überzeugend getan haben. Die Aufnahme per- Herr Kollege Schmidt, Sie haben eben etwas Kriti- sönlicher Kontakte ist auch psychologisch sehr wichtig. sches über die Ausstattung gesagt. Ich hoffe, wir sind uns Es ist daher gut, dass jetzt viele Leute nach Belgrad fah- hier einig und in gleicher Weise informiert. Es gibt zwei ren. Ich freue mich, dass auch der Bundestag dabei ver- Ebenen. Nach wie vor gibt es kein europäisches Land, das treten ist. Heute Morgen sind zwei unserer Kollegen, die wie die Bundesrepublik zusätzlich zu den europäischen seit langem Kontakte zur serbischen Opposition haben, Beiträgen zum Stabilitätspakt ein bilaterales Programm und Christoph Moosbauer, dorthinvon 1,2 Milliarden DM aufgelegt hat. Es würde mich aufgebrochen. freuen, wenn die anderen europäischen Länder das ge- Aber es ist klar: Die größten Erwartungen richten sich nauso machten. Auch das gehört zu einem korrekten Bild jetzt auf den ökonomischen und finanziellen Bereich.dazu; das muss hier einmal gesagt werden. Dazu möchte ich gleich sagen: Ich begrüße es sehr – ich Eines aber darf jetzt auf keinen Fall passieren: Die Ein- hoffe, wir alle tun das –, dass das Bundesministerium für beziehung Jugoslawiens in den Stabilitätspakt darf nicht wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung heute zu einem Verdrängungswettbewerb führen. Ich stehe noch im Rahmen einer Soforthilfe 10 Millionen DM zur Ver- unter dem Eindruck einer Reise, die ich letzte Woche, also fügung gestellt und gesagt hat, dass in diesem Jahr wei- während dieser Ereignisse, durch Bulgarien, Mazedonien tere 20 Millionen DM für den Aufschub von Projekten zur und Albanien gemacht habe. Dort wurde überall besorgt Verfügung stehen. Das genau ist es, was gebraucht wird: gefragt, was dies an Verdrängung auslösen könnte. Wir schnelle Soforthilfe. müssen im finanziellen und im politischen Bereich auf je- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Fall dafür sorgen, dass die Nachbarn Jugoslawiens (B) DIE GRÜNEN) jetzt auf keinen Fall politische Opfer des von uns so be- (D) grüßten Wechsels in Belgrad werden. Wir finden es auch richtig, dass die Außenminister der Europäischen Union am Montag einen Teil der Sanktio- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen, nämlich die, von denen die Bevölkerung am meis- DIE GRÜNEN) ten betroffen ist, aufgehoben haben. Wir sagen aber genauso: Es hat keine Eile, zum Beispiel das Waffenem- Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege Erler, bargo aufzuheben. Ich finde es nicht überzeugend, dass gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Weiß? unsere russischen Freunde jetzt diesbezüglich einen Vor- stoß machen. Es hat auch keine Eile, dass die Visabe- schränkungen für die noch bestehende Nomenklatur auf- Gernot Erler (SPD): Gerne. gehoben werden, und schon gar nicht, dass die Konten, die diese Nomenklatur im Ausland angelegt hat und die (Emmendingen) (CDU/CSU): Herr Kol- noch eingefroren sind, geöffnet werden. Peter Weiß lege Erler, nach diesen Ausführungen möchte ich Sie fra- Nein, man muss es einmal deutlich beim Namen nen- gen: Wie will die Koalition gewährleisten, dass das, was nen: Milosevic und seine Familie sind nicht nur ein Hort Sie vorgetragen haben, tatsächlich stattfindet, nämlich von Kriegsverbrechern. Milosevic ist auch ein raffgieri- dass es Unterstützung für die Bundesrepublik Jugosla- ger Feigling, der in einer Zeit, in der sein Volk die größ- wien, insbesondere für die Teilrepublik Serbien, im Rah- ten Entbehrungen ertragen musste, Millionen DM beiseite men unserer bilateralen Hilfen gibt, ohne dass es zu einer geschafft hat, um notfalls ein sorgenfreies Leben im Aus- Schmälerung der Hilfen und der Zusammenarbeit mit land führen zu können. den anderen Ländern Südosteuropas und Osteuropas kommt? Wie soll also die zusätzliche Hilfe für Serbien (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Hilfe für die an- GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. sowie deren Länder gewährleistet werden – das haben Sie eben bei Abgeordneten der PDS) vorgetragen –, wenn nach den uns jetzt vorliegenden Die soziale Lage der Bevölkerung in Jugoslawien ist in Haushaltsentwürfen der Bundesregierung die gesamten der Tat katastrophal: Der Durchschnittslohn beträgtMittel für Mittel- und Osteuropa sowie für Südosteuropa 100 DM pro Monat, die Arbeitslosigkeit 40 Prozent. Die von jetzt 541 Millionen DM – ich habe die Mittel der Ti- Inflationsrate kann in diesem Jahr noch 100 Prozent er- tel für Südosteuropa, MOE und für die Transformations- reichen. In Jugoslawien, in Serbien gibt es – das ist eine programme zusammengerechnet – im Jahr 2001 um Tatsache, die man manchmal vergisst – immer noch151 Millionen DM, also um 28 Prozent, gekürzt werden? 11828 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Gernot Erler (SPD): Herr Kollege Weiß, ich habe Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die F.D.P.-Frak- (C) eben schon gesagt – dafür gab es Beifall –, dass das BMZ tion spricht der Kollege Dr. Klaus Kinkel. heute extra 30 Millionen DM zur Verfügung gestellt hat. Alle Projekte des Quick-Start-Programms sind im Rah- men des Stabilitätspaktes finanziell abgesichert. Ich gebe Dr. Klaus Kinkel (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kol- Ihnen in einem Punkt Recht: Ich persönlich bin der Mei- leginnen und Kollegen! Glückwunsch an das serbische nung, dass es zu Beginn des nächsten Jahres eine weitere Volk, das nach langer Lethargie und Passivität das Joch Geberkonferenz bzw. Finanzierungskonferenz über den des Diktators und Kriegsverbrechers Milosevic abge- Stabilitätspakt geben muss. Aber unterscheiden auch Sie schüttelt hat! Die Opposition konnte sich zu lange nicht bitte zwischen dem, was ohnehin im Rahmen der europä- einigen; wir haben es erlebt. Die ganze Hoffnung ruht ischen Programme gemacht wird, und dem, was aufjetzt auf dem neuen Präsidenten Kostunica. Er wird es bilateraler Ebene zusätzlich getan wird. nicht einfach haben. Ich füge hinzu: Wir werden es mit ihm auch nicht einfach haben. Aber er braucht dringend (Karl Lamers [CDU/CSU]: Es gibt weniger eine Chance. Er braucht Unterstützung, weil das serbische Geld! Das steht fest!) Volk seine ganze Hoffnung auf ihn setzt. Wir sind weiterhin verpflichtet, das militärische Enga- Ich möchte gleich am Anfang sagen, dass alle Serben gement der KFOR in Jugoslawien fortzusetzen. Ich – auch die hier in der Bundesrepublik lebenden – wissen glaube, darüber sind wir uns auch einig, weil die KFOR sollten, was wir immer wieder erklärt haben: Wir möch- immer eine doppelte Aufgabe zu erfüllen hatte. Es ist zwar ten, dass die Serben in die Völkergemeinschaft, nach Eu- sicherlich richtig, dass die Aufgabe der KFOR, den Ko- ropa zurückkehren. Nichts richtet sich gegen das serbi- sovo vor Übergriffen jugoslawischer Sondereinheiten und sche Volk. Militärs zu schützen, inzwischen weniger bedeutend ge- worden ist. Das begrüßen wir. Aber die KFOR hat auch (Beifall bei der F.D.P., der SPD und der CDU/ noch die Aufgabe, den Bürgerfrieden im Kosovo zu er- CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- halten und Minderheiten vor radikalisierten Albanern zu SES 90/DIE GRÜNEN) schützen. Allein aus diesem Grund wird es – das müssen Die Serben gehören zu uns, wir wollen sie bei uns haben. wir bedenken – kein schnelles Ende dieser Mission geben Jetzt kommt auf die Bundesregierung, auf den Bundestag, können, zu der die Bundeswehr mit 8 000 Soldaten einen auf uns alle einiges zu. Ich denke, wir sollten uns auf die wesentlichen und wichtigen Beitrag leistet, den wir auch Frage konzentrieren: Was kann man tun? sehr anerkennen. Erstens. Ich schließe an das an, was Sie gesagt haben, Mein letzter Punkt betrifft die Frage der Gerechtigkeit. Herr Erler: Der neuen Führung in Belgrad muss – ich Ich glaube, wir dürfen keinen Zentimeter von der For- sage das deutlicher als Sie – unmissverständlich klar ge- (B) derung abweichen, dass Milosevic und die anderen iden- (D) macht werden, dass ein demokratischer Neuanfang mit tifizierten Kriegsverbrecher vor den Internationalen Ge- richtshof in Den Haag gestellt werden müssen. Aller- Milosevic nicht möglich und nicht denkbar ist. dings muss die Frage, in welchem Zeitraum das passieren (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) muss und kann, in Verbindung mit der Priorität der Stabilisierung des politischen Wechsels in Belgrad gese- Da darf es kein Herumdeuteln und kein Zögern geben: hen werden. Milosevic gehört nicht nach Belgrad, sondern nach Den Haag. Es darf ihm auch niemand Asyl geben. In diesem Zusammenhang muss noch ein anderer ver- nünftiger Gedanke berücksichtigt werden. Das Sen- Frau Beer – gerade war sie noch anwesend – war zu- sationelle an der politischen Entwicklung in Jugoslawien sammen mit mir und anderen Kollegen in der letzten Wo- ist doch die Selbstbefreiung. Das Ende des Regimesche drei Tage im Kosovo. Ich war am 10. Jahrestag der Milosevic ist von innen und nicht von außen eingeleitet Wiedervereinigung nicht nur in Pristina und Prizren bei worden. Aber Milosevic hat auch sehr viele Verbrechen der Bundeswehr, sondern auch in den Bergdörfern. Ge- gegen die eigene Bevölkerung begangen. Die neue Ge- meinsam mit Rupert Neudeck von der Cap Anamur war sellschaft in Jugoslawien hat die Chance und auch das ich in etwa sechs bis acht dieser Dörfer. Wenn Sie dabei Recht, dies von sich aus zu klären und das begangene Un- gewesen wären, hätten Sie die Folgen dieser unseligen recht selber aufzuarbeiten. Dagegen könnten wir keinen Zerstörungswut bis auf 1 000, 1100 bzw. 1 200 Meter hi- Einwand erheben, selbst wenn wir die Forderung auf-nauf sehen können: Kein einziges Haus ist dort intakt. Die rechterhalten, dass die Verbrechen auch noch auf interna- Bergbauern, mit denen ich zusammengekommen bin, ha- tionaler Ebene verfolgt werden müssen. ben am 14. Mai letzten Jahres entweder durch Granaten oder durch brutale Ermordung elf Familienmitglieder ver- Der 5. Oktober bietet uns eine riesige Chance und ist loren. Sie hausen heute im Schafstall. Ich war erschüttert. uns zugleich Verpflichtung. Wir haben immer gesagt: Nur Bei diesem Besuch ist mir wieder klar geworden, was die- dann, wenn Milosevic weg ist, kann es dauerhafte Stabi- ser Mann für eine Verantwortung auf sich geladen hat. lisierung in Südosteuropa geben. Ich finde, wir haben viele gute Gründe, jetzt zusammenzuarbeiten und die Sta- Das, was ich heute sage, habe ich nicht erfunden. Ich bilisierung gemeinsam zu unterstützen. habe es in den letzten Jahren immer wieder gesagt, auch als ich ihm als Außenminister die Hand geben musste, um Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ganz bestimmte Dinge durchzusetzen. Bei den Gesprä- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ chen habe ich immer das Gefühl gehabt, dass die Frage DIE GRÜNEN) im Raum stand: War da etwas? Man musste ihm und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11829

Dr. Klaus Kinkel (A) Milutinovic, Herr Kollege Fischer, sagen: Ja, da war et- Sechstens. Wir dürfen bitte nicht die Nachbarvölker(C) was. Da waren vier Aggressionskriege. Es gab schreckli- der Serben vergessen. Ich weiß, dass jetzt die Statusfrage ches Morden und Verwüsten, nicht nur jetzt im Kosovo, eine ganz große Rolle spielen wird. Was die Resolution sondern auch vorher in Bosnien, in Mostar. Dieser Mann 1244 des UN-Sicherheitsrats für den Kosovo angeht, gibt gehört zur Verantwortung gezogen. Ich sage mit Klarheit: es in absehbarer Zeit keine Chance auf Änderung. Das Jemand, der so viel Schlimmes verursacht hat und dafür heißt, es kann um nicht mehr als um eine Zusage weitest- die Hauptverantwortung trägt, darf nicht ruhig schlafen. gehender Autonomie gehen. Den Wunsch aller Kosova- Ich habe nichts gegen eine Vor-Gericht-Stellung in Jugo- ren, um Gottes willen die Unabhängigkeit zu erreichen, slawien, aber ich habe nicht den Eindruck, dass dies in ab- weil es nie mehr möglich sein werde, mit den Serben zu- sehbarer Zeit geschieht. Deshalb ist es ganz wichtig, dass sammenzuleben, dürfen wir, darf die Völkergemeinschaft sich die Stärke des Rechts durchsetzt. nach meiner Meinung letztlich nicht akzeptieren. Ein Zweitens. Wir müssen den Serben zeigen, dass sie zu Groß-Albanien kommt übrigens für die Kosovaren nicht Europa gehören. Deshalb war es richtig – das unterstützen in Frage; mit Albanien wollen sie nicht zusammengehen. wir –, die Sanktionen aufzuheben, im Augenblick ohne Auch findet man keinerlei Widerhall, wenn man mit ih- Bedingungen. Hilfsprogramme sind notwendig: Hilfe nen über die Albaner in Griechenland und Mazedonien beim wirtschaftlichen und demokratischen Aufbau und spricht. Eine Unabhängigkeit allein für den Kosovo wird eine schnelle, direkte Hilfe vor dem Winter für die be- es aber nicht geben können. Dasselbe gilt für Montene- troffenen Menschen, vor allem im Kosovo, wo die Situa- gro. Aber wir dürfen beide Regionen nicht vergessen und tion wirklich furchtbar ist. müssen mit den Menschen dort ehrlich diskutieren. Wir dürfen auch nicht so tun, als stehe unmittelbar etwas be- Drittens. Dazugehören in Europa heißt natürlich auch, vor – das hat die Bundesregierung nicht getan; das will ich Perspektiven in den europäischen und internationalen ausdrücklich sagen –, was wir nicht zusagen können. Organisationen zu haben. Deshalb glaube ich, dass man den Serben im Hinblick auf den Europarat Licht am Ende Fazit: Die erfreuliche Entwicklung in Serbien stellt des Tunnels aufzeigen muss, ebenso im Hinblick auf die eine große Chance dar, jetzt die Balkanregion zu stabili- OSZE. Man muss auch Licht am Ende des Tunnels auf- sieren und an Europa heranzuführen. Gerade in diesen Ta- zeigen, was das Schild in der Vollversammlung der Ver- gen ist mir aufgefallen – man ist ja fast beschämt, wenn einten Nationen anbetrifft – Herr Kollege Fischer, Sieman durch den Kosovo reist; das wird Ihnen auch so ge- werden es bei Ihrem diesjährigen Besuch wieder gesehen gangen sein –, wie wir Deutsche mit überschwänglichem haben –, hinter dem derzeit niemand sitzt. SchließlichDank überschüttet werden. Dieser Dank gebührt jetzt in muss auch Licht am Ende des Tunnels aufgezeigt werden, erster Linie der Bundeswehr, die dort eine tolle Arbeit (B) (D) was eine direkte Affinität zu Europa anbelangt. Ich wage leistet. in diesem Zusammenhang einen Gedanken zu äußern, (Beifall bei der F.D.P., der SPD, der CDU/CSU von dem ich weiß, dass er nicht unumstritten sein wird: und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wenn sich die demokratischen Strukturen durchsetzen, sollte man den Serben ein Assoziierungsverhältnis beson- Dieser Dank gebührt aber auch allen Nichtregierungsor- derer Art in Aussicht stellen. Ich spreche ausdrücklich von ganisationen wie beispielsweise Help und Cap Anamur. einem Verhältnis besonderer Art, einem, wenn man so Der hier manchmal so angegriffene Rupert Neudeck hat will, „Vorzimmerstatus“ ohne konkrete Zusagen. in der Zwischenzeit allein im Kosovo 3 400 Häuser ge- baut. Viertens. Hinsichtlich der Flüchtlingsfrage bitte ich gerade nach meinem Kosovo-Besuch in der letzten Wo- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie che herzlich darum, dass wir nichts übereilen. bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Sabine Leutheusser- Schnarrenberger [F.D.P.]) Ich mag nicht die Hinterzimmervisionäre, sondern die Macher. Die Flüchtlinge müssen zurück und sie wollen alle zurück. Aber sie jetzt, vor einem harten Winter, und in ei- (Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Wenn er sie allein ner Situation, in der in den Dörfern oben – bereits jetzt gebaut hätte!) herrscht dort massive Kälte, bereits jetzt fällt dort– Er hat sie quasi allein initiiert. – Diese Macher sollten Schnee – noch die Hälfte der Menschen in UNHCR-Zel- wir unterstützen. ten lebt, zurückzuschicken, das sollte man sich sehr genau überlegen. Wir haben lange genug Zeit gehabt und sollten Mein Dank gilt im Übrigen den Deutschen, die über auch jetzt noch ein bisschen Zeit haben. lange Jahre hier viele Flüchtlinge aufgenommen haben und die auch privat Enormes gestiftet haben, damit Not (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten und Elend in der Balkanregion einigermaßen gemildert der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNIS- werden können. Einen solchen Dank sollten wir gerade in SES 90/DIE GRÜNEN) einer solchen Situation nicht ganz hintanstellen. Fünftens. Ich warne vor Euphorie – Herr Schmidt hat Vielen Dank. das auch getan – in Bezug auf den weiteren Fortgang der Dinge. Es wird nicht ganz einfach werden. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 11830 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die Fraktion der Herr Außenminister, wenn man Ihrer Logik folgt, dann(C) PDS spricht der Kollege Wolfgang Gehrcke. kommt man zu dem Ergebnis, dass es keine Entwicklung von innen war. Sie sagen: Letztendlich war es der äußere Druck; der Krieg selbst hat das bewirkt. Ich behaupte: Es (PDS): Sehr geehrter Herr Präsi- Wolfgang Gehrcke war eine Entwicklung von innen; die Menschen selbst dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die PDS-Bun- haben es bewirkt und die Menschen selbst haben sich ent- destagsfraktion begrüßt mit aufrichtigem Herzen den de- schieden. mokratischen Wechsel in Jugoslawien. Wir wünschen dem neuen Präsidenten Kostunica Glück bei seiner (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Christian schweren Aufgabe, zu Frieden, Demokratie und Aussöh- Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Es war jedenfalls nung beizutragen. Allein wird er es nicht leisten können, nicht der historische Materialismus! – Manfred wenn es die Zivilgesellschaft nicht leistet. Ich wünsche Grund [CDU/CSU]: Sagen Sie einmal etwas vor allen Dingen, dass das Leben in Jugoslawien für die zum Wahlergebnis!) einzelnen Menschen und für das Volk insgesamt etwas – Natürlich hat Milosevic die Wahlen verloren. Es war leichter wird, weil sich die Situation verbessert. Darum richtig, dass sich die Menschen erhoben haben, keine muss es letztlich gehen. Wahlfälschung zugelassen haben und Milosevic gehen Die Menschen in Jugoslawien selbst haben die Ära musste. Das ist eindeutig und unstrittig. Milosevic beendet. Die Politik von Milosevic war – ich (Beifall bei Abgeordneten der PDS ) sage das in bewusster Hinwendung zum Außenminister und zum Kollegen Schmidt – alles, nur nicht kommunis- Die Völker Jugoslawiens und nicht Bomben, Raketen und tisch oder sozialistisch. Die Politik von Milosevic war Sanktionen der NATO haben über die politischen Mehr- despotisch und nationalistisch; er hat seinem Volk und der heitsverhältnisse entschieden. Balkanregion großen Schaden zugefügt. Gerade nach der (Manfred Grund [CDU/CSU]: Die habt ihr mit Rede des Kollegen Schmidt füge ich hinzu: Ich glaube, ausgezählt, die Stimmen!) dass man auch von diesem Pult aus die serbischen Sozia- listinnen und Sozialisten, die serbischen Kommunistin- – Ich habe sie genauso wenig wie Sie ausgezählt. Das ist nen und Kommunisten gegen Milosevic in Schutz neh- doch Unsinn. men muss. Ich verteidige die Würde der serbischen (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Die SED war das!) Sozialistinnen und Sozialisten, weil zu ihrer Geschichte der Widerstand gegen Hitler und Stalin gehört. Auch das Ich sage mit Bedacht und Überlegung: Der völker- sollten wir aus unseren Debatten nicht ausblenden. Wer rechtswidrige Krieg der NATO war auch eine Misstrau- das tut, der fälscht ebenfalls die Geschichte. enserklärung gegen das Volk Jugoslawiens. Keiner, der (B) den Krieg verantwortet bzw. unterstützt hat, kann sich(D) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Wie Wahlergeb- deshalb aus meiner Sicht heute mit ruhigem Gewissen auf nisse!) das Volk von Jugoslawien berufen, auf das er letztendlich Politiker wie Milosevic und der verstorbene Tudjman Bomben hat werfen und Raketen hat schießen lassen. – ich sage das voller Bitternis; ich glaube, man merkt sie (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Gernot einem an – waren durch die Politik der damaligen Bun- Erler [SPD]: Nur die PDS!) desregierung möglich. Die vorschnelle Anerkennung der Loslösung einzelner Staaten und die Zerschlagung Jugo- Der Krieg hat die Veränderung in Jugoslawien nicht her- slawiens sind die Wurzel dieser entsetzlichen Entwick- beigeführt, sondern nur hinausgezögert. Der Krieg hat lung. letztendlich zu einer Verlängerung der Amtszeit von Milosevic beigetragen. (Beifall bei Abgeordneten der PDS – Karl Lamers [CDU/CSU]: Das ist unglaublicher Un- (Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Eine ganz inte- sinn, den Sie da erzählen!) ressante These!) – Es sind Wurzeln in unterschiedlicher Art und Weise. Vor Herr Außenminister, ich will meinen Zwischenruf er- dieser geschichtlichen Verantwortung kann man sichklären, mit dem ich gesagt habe, das mache die Sache nicht davonstehlen. nicht besser. Sie haben nur einen Teil Ihrer politischen Vorgehensweise dargestellt. Ich halte die Unterstützung In der Rückschau sollte man überlegen, was alles hätte der demokratischen Opposition in der ganzen Welt für entwickelt werden können und wie viel besser die Situa- eine Selbstverständlichkeit. Da hätte man sehr viel mehr tion für die Menschen gewesen wäre, wenn man die Gel- tun müssen. Ihre Politik hat eine Doppelstrategie verfolgt: der nicht für den Krieg und für Kriegsfolgen, sondern für Unterstützung der demokratischen Opposition und Sank- die Förderung sozialen Wohlstands eingesetzt hätte. tionen. Die Sanktionen haben nach meiner Überzeugung das einfache Volk getroffen; sie haben Nationalismus ge- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schürt und ihn nicht abgebaut. Deswegen habe ich formu- NEN]: Dann hätte Milosevic aufgehört?) liert, das mache die Sache nicht besser. Ich widerspreche der hier vom Außenminister ent- Man darf jetzt keine zusätzlichen Belastungen und Sta- wickelten Logik, dass der Krieg, die Sanktionen, der bilitätsrisiken zulassen oder gar herbeiführen. Ich meine, Druck den Wechsel in Belgrad möglich gemacht haben. das gilt besonders für den Status Montenegros und des (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Kosovos. Wer heute eine Statusdebatte beginnt – Kollege Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11831

Wolfgang Gehrcke (A) Kinkel hat hier damit bereits angefangen –, der zündelt an zur Sprache kommen wird. Ich möchte Borka Pavicevic (C) dem erreichten Zustand und gefährdet die Stabilität. Wir nennen, die das Zentrum für Kulturelle Dekontamination sollten alles tun, um die Stabilität nicht zu gefährden. Wir gründete. brauchen Wiederaufbau, Zuwendung, Auseinanderset- Ich möchte Biljana Srbljanovic nennen, die in all den zung, Debatte, Wahrheit und Aufklärung. Ohne das geht Jahren die „Belgrader Trilogie“ schrieb und die noch es nicht. während des Kosovo-Krieges im Bombenhagel ihre Wir brauchen auch – das will ich von dieser Stelle aus Beiträge und ihr Tagebuch schrieb, das wir alle im „Spie- deutlich sagen – eine Einbeziehung in den Stabilitätspakt. gel“ nachlesen konnten. Nur direkte Hilfe, wie sie angesprochen wurde, reicht Wir haben der jungen Studentenbewegung Otpor zu nicht aus. danken. Hunderte von ihnen sind verprügelt, kurzfristig Ich bin für die Aufhebung vieler Sanktionen, aber nicht verhaftet und einige sogar schwer gefoltert worden. für die Aufhebung von Waffenembargos. Ich halte die rus- Ich möchte die vielen Deserteure nennen, die sich an- sische Politik in diesem Bereich für völlig unakzeptabel. gesichts der Realität dieses ethnischen Krieges von Vielmehr möchte ich, dass wir Waffenembargos auch ge- Milosevic abgewandt haben. Viele von Ihnen haben in gen andere Länder aussprechen. Da hätten wir gemeinsam Europa vergeblich um Asyl nachgesucht. eine Menge zu tun. Einbeziehung ist nötig, aber auch Be- reitschaft zum Wiederaufbau und zur Übernahme der Unser Dank gilt auch den Professorinnen und Profes- Kriegsfolgen und -lasten in Serbien selbst. Wenn diese soren, die entlassen wurden, weil sie vor drei Jahren keine Zeichen nicht kommen, werden sich die Startbedingun- Ergebenheitserklärung unterzeichnet haben, als das in- gen für Kostunica sehr schnell verschlechtern. fame Universitätsgesetz als Teil der psychologischen Kriegsvorbereitung für den Kosovo-Krieg erlassen Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. wurde. Nach ihrer Weigerung, die Erklärung zu unter- (Beifall bei der PDS) zeichnen, haben sie in alternativen Seminaren weiter ge- lehrt. Vizepräsident Rudolf Seiters:Der Kollege Wir danken auch den unabhängigen Journalisten Dr. Helmut Lippelt spricht nunmehr für die Fraktionund Journalistinnen, die trotz der Repression ihrer Me- Bündnis 90/Die Grünen. dien, trotz Geldbußen und Haftstrafen ihre Arbeit der Aufklärung fortgesetzt haben. Vorgestern wurde von Kostunica der Journalist Filipovic begnadigt, der wegen Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Berichten über das serbische Militär und seine Verbrechen Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! im Kosovo zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt wor- (B) Erlauben Sie mir als jemandem, der seit 1991 jedes Jahr (D) den war. Wir hoffen sehr, dass auch Flora Brovina, die immer wieder nach Belgrad gefahren ist, weil er wusste, couragierte kosovo-albanische Ärztin, Dichterin und dass es dort nicht nur das Regime Milosevic gab, sondern Menschenrechtlerin, die seit April 1999 im Gefängnis in auch Leute, die die europäischen Werte hochhielten und Pozarevac festgehalten wird, in den nächsten Tagen frei- die Zivilgesellschaft im besten Sinne darstellten, hier ei- gesprochen wird. Wir hoffen, dass viele von den noch fast nige Namen zu nennen und denen zu danken, denen wir 1 000 aus dem Kosovo verschleppten kosovo-albanischen neben dem Dank, den wir hier heute schon gehört haben, politischen Gefangenen ebenfalls freigelassen werden. auch zu danken haben. Ich nenne auch zwei Politiker, die nie Chauvinisten ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- worden sind: Zarco Korac und Goran Svilanovic. wie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Alle, die ich genannt habe, waren das Gewissen ihres Landes und werden, denke ich, die Garanten für eine de- Ich möchte die Professoren der juristischen Fakultät in mokratische und zivile Gesellschaft in Serbien sein. Belgrad nennen, die noch 1991, als die ethnischen Kriege längst begonnen hatten, in Belgrad ein Symposion zu Idee (Beifall im ganzen Hause) und Wirklichkeit des Rechtsstaates veranstalteten. Ich möchte die Frauen in Schwarz nennen, die mit Vizepräsident Rudolf Seiters: Für die CDU/CSU- ihren wöchentlichen Mahnwachen gegen Krieg und Ras- Fraktion spricht der Kollege Karl Lamers. sismus antraten. Sie wurden viel beschimpft und waren noch vor einem halben Jahr schwersten Repressionen (CDU/CSU): Herr Präsident! Verehrte ausgesetzt – Hausdurchsuchungen usw. –, sodass einige Karl Lamers Kolleginnen und Kollegen! Unter uns gibt es ein großes fliehen mussten. Maß an Übereinstimmung hinsichtlich der Beurteilung Ich möchte Sonja Biserko und das gesamte Helsinki- der Lage in Serbien. Wir sind alle glücklich und froh, dass Komitee für Menschenrechte in Serbien mit allen Mitar- in Serbien eine Revolution – ich zögere, es zu sagen – beitern nennen, die jedes Jahr tapfer ihr Buch über die stattgefunden hat. Jedenfalls hat sie begonnen. Wir sind Menschenrechtssituation herausgebracht haben. froh, dass dieses Volk jetzt eine Chance hat, zu Demokra- tie, Wohlfahrt und zu Europa zu finden. Ich möchte Natasa Kandic nennen und die Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter des Humanitarian Law Center, die Wir wissen, dass sich auch Chancen für ein neues Ver- viel dokumentiert haben von dem, was noch in Den Haag hältnis zwischen diesem Land, Europa und dem Westen 11832 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Karl Lamers (A) aufgetan haben. Aber Chancen sind keine Wirklichkeit. – Aber mit unserer militärischen Hilfe, Herr Kollege(C) Wir alle wissen sehr gut, dass der Ausgang dieses Prozes- Erler. Außerdem sind, wie Sie wissen, die Serben zu ei- ses noch offen ist. Wir müssen das sehr nüchtern ins Kal- nem großen Teil geflohen. kül ziehen. (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wissen, dass der neue Präsident und die Kräfte, die NEN]: Wir wissen doch, dass 50 000 Krajina- ihn unterstützen, vor einer ungewöhnlich schwierigen Serben in die Krajina gegangen sind!) Aufgabe stehen. Wir wissen, dass die ganze Politik und Sie werden nicht bestreiten können, dass sie im Augen- die Institutionen demokratisiert werden müssen. Wir wis- blick nicht zurückkehren können. sen noch besser, dass es auch eine Revolution in den Köp- fen geben muss; sie hat bestenfalls bei einigen wenigen Es stellt sich in der Tat die Frage: Wie kann unsere begonnen. Ich bin nicht einmal sicher, inwieweit sie im Hilfe aussehen? Ich unterstreiche das, was alle Kollegen Kopf des neuen Präsidenten schon stattgefunden hat. hier gesagt haben: Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um zu helfen, wobei die symbolische Be- Auch Sie haben es gesagt, Herr Minister: Ohne der deutung vielleicht noch größer ist. Wir müssen dem ser- Wahrheit ins Gesicht zu blicken, ohne sich einzugestehen, bischen Volk klar machen: Wir, also der Westen, die Eu- welche Verbrechen im Namen des serbischen Nationalis- ropäische Union, sind nicht sein Feind, sondern sein mus begangen worden sind, und ohne sich einzugestehen, Partner. Wir wollen sein Freund sein. Wer schnell hilft, dass der zehnjährige, sich in vier Etappen abspielende hilft doppelt. Krieg von Serbien verloren worden ist, wird alles, was (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie bislang stattgefunden hat, und alles, was wir tun können, bei Abgeordneten der SPD und des Abg. tun wollen und auch wirklich tun werden, nicht dazu Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- führen, dass der Prozess ein glückliches Ende findet. NEN]) Deswegen finde ich es richtig, was der Kollege Kinkel Es ist richtig, wenn wir den Serben helfen wollen, nach gesagt hat: Wir müssen die hier lebenden Serben bitten, Europa zurückzukehren. Wenn wir darunter die Mitglied- alles in ihren Kräften Stehende zu tun, um eine solche Re- schaft in der Europäischen Union verstehen, dann muss volution in den Köpfen in Serbien stattfinden zu lassen. man realistischerweise sagen, dass diese sehr ferne Per- Ich stelle mit großer Freude fest, dass jenes Element in spektive den Serben heute nicht unmittelbar helfen kann. der serbischen Gesellschaft, das – bei allen Einschrän- Wir sehen doch, wie schwierig es ist, unsere östlichen kungen, die ich mache – doch wohl der größte und rele- Nachbarn in der von uns erhofften und gewünschten Zeit (B) vanteste Teil der Zivilgesellschaft Serbiens ist, nämlich in die Europäische Union einzugliedern. (D) die serbisch-orthodoxe Kirche, seine Haltung in der letz- Die Frage stellt sich schon, ob uns nicht – ich sage es ten Zeit deutlich – und zwar zum Richtigen, zum Guten einmal bewusst salopp – etwas Neues einfallen muss. hin – verändert hat und dass die serbisch-orthodoxe Kir- che hier sich sehr engagiert. Wir sollten das mit allem (Joseph Fischer, Bundesminister: Haben wir Nachdruck unterstützen. doch!) – Wir haben noch nichts Neues, Herr Minister. – Ich fand Wir wissen: Keines der Probleme ist gelöst. Das, was sehr interessant, was Klaus Kinkel hier gesagt hat. Ich man im Falle Serbiens zu Recht – ohne jedwede, uns gehe weiter. Heute Morgen waren im Auswärtigen Aus- merkwürdig erscheinende Konnotation – als die nationale schuss Kollegen aus Mazedonien zu Gast. Der mazedoni- Frage bezeichnen kann, ist nicht gelöst. Besser müsste ich sche Kollege hat mehrmals betont – Sie waren ja dabei, sagen: Sie ist in einem ganz anderen Sinne gelöst, alsHerr Kollege Erler –: Wir brauchen so etwas wie eine in- Milosevic sie lösen wollte. Milosevic wollte sie lösen, in- stitutionalisierte Kooperation. – Das ist vollkommen rich- dem er alle Serben in einem Großserbien zusam-tig. Wieso institutionalisieren wir nicht denStabilitäts- menfasste. Jetzt leben fast alle Serben sozusagen in einem pakt? Kleinserbien. Das bedeutet, dass 750 000 Flüchtlinge in Serbien leben, und nicht etwa nur 600 000, wie Sie, Herr (Joseph Fischer, Bundesminister: Das machen Erler, es gesagt haben. Es sind nicht alles Serben, aber wir doch!) doch gewiss der größte Teil. – Nein, das verstehe ich nicht unter Institutionalisierung. Ist das die endgültige Antwort der Geschichte? Die Ich verstehe darunter, dass dieser Stabilitätspakt eine In- Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, wenn stitution wird wie die Europäische Union. Er soll gewis- Klaus Kinkel sagt: Sie müssen alle zurückkehren. – Es sermaßen zu einer Euregio besonderer Art werden, an der wäre die erste unter den zahllosen Vertreibungen, die wir alle – nicht nur die Staaten des früheren Jugoslawien, son- im vergangenen Jahrhundert erlebt haben, die wiederdern auch die Nachbarn wie etwa die Ungarn und die rückgängig gemacht werden würde. Die bisherigen Er- Griechen – beteiligt sind, in der sie Kooperation üben, in der die Europäische Union sie dazu veranlassen, nötigen- gebnisse sprechen nicht dafür, dass wir in diesem Fall et- falls auch zwingen kann, mitzuarbeiten. In dieser Institu- was Neues erleben. tion sollte die Europäische Union nicht nur einen Sitz und (Gernot Erler [SPD]: Ins Kosovo sind 1 Mil- eine Stimme haben, sondern – auch eine ausschlagge- lion zurückgekehrt!) bende Rolle spielen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11833

Karl Lamers (A) Ich glaube, dies ist eine sehr viel realistischere Vorstel- lich so nicht möglich gewesen. Die Hilfen für die von der (C) lung von der Heranführung dieses Teils unseres Konti- Opposition regierten Städte durch Energielieferungen, nents an die Europäische Union als das Versprechen einer durch Straßenbau und Bildungsangebote waren ein Bau- wirklich fern liegenden Mitgliedschaft in der Europä-stein dieser Politik. Ein anderer war die Unterstützung der ischen Union. Opposition und der freien Medien mit Telefonen, Com- Es mag sein, dass der Gedanke zu kühn sein mag. Ich putern und Büromaterial. Schließlich möchte ich an das bin allerdings davon überzeugt, dass die bisherigen Wege beharrliche Bemühen unseres Außenministers und seiner mit Sicherheit nicht ausreichen. Unsere größte Anstren- engagierten Mitstreiter erinnern, durch sanften Druck von gung muss die in unseren eigenen Köpfen sein. außen den Oppositionssolisten in Belgrad klarzumachen, dass sie nur Erfolg haben können, wenn sie in einem Or- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. chester spielen. Wir hoffen nun darauf, dass dieses Or- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chester zusammenbleibt und nicht zerfällt und dass es dazu beiträgt, dass es zu weniger dissonanten Tönen auf dem Balkan kommt. Für diese ausgezeichnete Konflikt- Vizepräsident Rudolf Seiters: Nun spricht für die prävention sei der Bundesregierung von dieser Stelle aus SPD-Fraktion der Kollege Dr. Eberhard Brecht. herzlich gedankt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (SPD): Sehr geehrter Herr Prä- Dr. Eberhard Brecht DIE GRÜNEN) sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Politiker sollten eigentlich nicht sentimental sein. Und trotzdem: Eine Äußerung des Abgeordneten Gehrcke veranlasst Als die Bilder von den Hunderttausenden von Menschen, mich zu einer weiteren Bemerkung. Mit Ihrer Erlaubnis, die durch die Straßen Belgrads marschierten und ihre No- Herr Präsident, zitiere ich im Originalton eine Presseer- menklatura in die Pensionierung schickten, über denklärung von Herrn Gehrcke: Äther gingen, da wurden meine Augen feucht. Ich glaube, das war bei manch anderem Kollegen ähnlich. Es bleibt ein bitterer Beigeschmack, wenn der Wes- ten einen Erfolg der Opposition mit einer selten so In den Zeitungen liest man in diesem Zusammenhang massiv praktizierten Einmischung verbunden hat. Worte wie „schwärmen“ und „Euphorie“. Eine Zeitung schrieb, dass man angesichts der Entwicklungen nicht be- (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Richtig!) soffen werden sollte. Das sollten wir in der Tat nicht Dieser ungeheuerliche Satz müsste einmal interpretiert – viele meiner Vorrednerinnen und Vorredner haben das ja werden. bereits festgestellt –, denn eine Konsolidierung ist noch (B) nicht durchgesetzt. Die Revolution ist noch nicht endgül- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Wieso? Zu dieser (D) tig gewonnen. Einmischung bekennen wir uns!) In einem solchen Moment sollten wir einmal zurück- Denn diese Einmischung war ein Teil der Voraussetzung schauen: Was haben wir denn noch vor wenigen Wochen für die jetzigen Entwicklungen. Diesen bitteren Beige- der serbischen Opposition zugetraut? Da gab es die Eli- schmack hatte Herr Gehrcke hoffentlich auch bei der von ten und da gab es das serbische Volk, dem wir nachsagten, Milosevic angerichteten Apokalypse, als Hunderttau- dass es in seiner großen Mehrheit lethargisch und ergeben sende von Menschen umgekommen sind, sei. Wir meinten, die Serben hätten sich bereits im De- (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das wissen Sie zember 1996 bei den Demonstrationen, die überwiegend doch!) erfolglos waren, die Füße wund gelaufen. Wir meinten, die Serben hätten kein Vertrauen mehr zu der völlig zer- als Hunderttausende von Menschen als Flüchtlinge durch splitterten Opposition. Wir meinten, das serbische Volk den Balkan irrten, und angesichts der dortigen Zerstörun- sei in seiner materiellen Not darauf fixiert, den täglichen gen und des Hasses, der zwischen den Generationen auf- Überlebenskampf zugunsten der Familien zu gewinnen. gebaut worden ist. Die Verwüstungen in den Köpfen wer- Dabei hätten wir uns an den Herbst 1989 erinnern kön- den wahrscheinlich den Neuanfang des neuen Jugos- nen. Niemand von uns Ostdeutschen konnte damals das lawiens erheblich erschweren. Ergebnis vorhersehen, das wir mit unseren kleinen Einga- Zunächst geht es nun um die innenpolitische Konsoli- ben, unseren Protesten und den zarten Friedensgebeten dierung Jugoslawiens. Nach der weitgehenden Aufhe- mit am Anfang 20, 30 Menschen angeschoben haben. bung der Sanktionen stehen jetzt für die Bundesrepublik Schließlich fiel von uns im Laufe dieses Prozesses die und die EU eine humanitäre Soforthilfe und die Einbezie- Angst ab und wir bekamen von Tag zu Tag mehr Kraft hung Jugoslawiens in den Stabilitätspaktauf dem Pro- zum Gestalten, sodass schließlich klar wurde, dass nicht gramm. Wir haben eben gerade gehört, was beschlossen ein Diktator, sondern nur das Volk mit seinen frei ge-worden ist. Es wäre fatal – darauf haben schon verschie- wählten Vertretern der wahre Souverän sein kann. Das ist dene Redner hingewiesen –, wenn die finanziellen Mittel auch hier in Serbien passiert. innerhalb des Stabilitätspaktes nun zulasten der anderen Doch nicht nur den Menschen in Serbien ist an dieser Empfängerländer umgeschichtet werden. Deswegen Stelle zu danken. Ohne die präventive Politik der west- muss der Stabilitätspakt in der Tat ergänzt und erweitert lichen Regierungen, der Nichtregierungsorganisationen werden. Ich hoffe, dass die Haushälter noch bis zur Be- und Kommunen wäre das Wunder von Belgrad vermut- reinigungssitzung zu einer Verständigung kommen und 11834 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

Dr. Eberhard Brecht (A) dies, wenn das möglich ist, auch seinen Niederschlag im Auch die Kosovo-Albaner werden sich den neuen Rea-(C) Einzelplan 05 findet. litäten stellen müssen. Eine Regelung des Status der Das serbische Volk hat in seiner großen Mehrheit am früher autonomen Provinz Kosovo scheint auf absehbare 5. Oktober die Revolution gewonnen. Das serbische Volk Zeit nicht erreichbar. Hier sollten keine falschen Hoffun- ist der Gewinner. Dass umgekehrt Milosevic und seine gen erweckt werden. Wichtiger ist es vielmehr, den ge- Nomenklatura die klaren Verlierer sind, liegt auf dergenseitigen Hass aus der Ära Milosevic abzubauen. Mit Hand. kleinen Schritten der Vertrauensbildung könnte es mög- lich sein, langfristig den Boden für eine Statusregelung zu Daneben gibt es die in der Region, die ich vielleicht bestellen. Denn erst wenn die Menschen begreifen, dass einmal „sekundäre Verlierer“ nennen möchte: Da sind die ihr persönliches Glück, ihre Lebensqualität weniger von nationalistischen Serben um Radovan Karadzic in der Re- Grenzverläufen, Flaggen und Hymnen als vielmehr von publik Srpska, die nun ihren Übervater verloren haben. Es der Einhaltung der Menschenrechte, von Demokratie, ist nur zu hoffen, dass die radikalen Kräfte schwächerProsperität und Bildung abhängen, wird für sie ein Leben werden. Diese Hoffnung ist begründet durch das ebenfalls in Frieden und Glück möglich sein. nachlassende Störfeuer der kroatischen Nationalisten in der Föderation nach dem Tode von Franjo Tudjman. Die Geschichte der letzten zehn Jahre – die „Erbfolge- kriege“ eines größenwahnsinnigen Diktators – macht das Auch die serbischen Hardliner im Kosovo haben mit Verhältnis der Serben zu ihren Nachbarn nicht gerade ein- Slobodan Milosevic ihren fanatischsten Mitstreiter für fach. Eine Ausgrenzung der Serben würde dem Geist des frühere Privilegien gegenüber den Albanern verloren. Stabilitätspaktes und auch unseren Interessen widerspre- Dennoch ist es derzeit völlig offen, in welchem Ausmaß chen. Mit der Revolution der letzten Woche wurde eine sich Präsident Kostunica in seiner Kosovo-Politik von seinem Amtsvorgänger unterscheiden wird. notwendige Bedingung für die Wiederherstellung von Vertrauen geschaffen. Hinreichend ist dies noch lange Auch diejenigen Montenegriner, die eine Sezession nicht. Wir sollten dem serbischen Volk und seinen Nach- von Serbien, unabhängig von den politischen Verhältnis- barn dabei helfen, das Konfliktpotenzial abzubauen und sen in Belgrad, betreiben, werden kaum noch auf die – oh- Vertrauen aufzubauen. nehin verhaltene – Unterstützung des Westens für ihr Vor- haben rechnen können. Die ersten Reaktionen ausVielen Dank. Podgorica auf die Revolution waren entsprechend verhal- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ ten. Milo Djukanovic und sein Kabinett sollten nicht an DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der alten Unabhängigkeitsträumen für die winzige Teilrepu- CDU/CSU) blik festhalten, sondern auf dem Verhandlungswege eine (B) akzeptable Neufassung der jugoslawischen Verfassung (D) erstreiten. Zu diesem schweren, aber realistischen Weg Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich schließe die Aus- sollten wir beide Seiten ermuntern, wenn nicht gar drän- sprache. gen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schließlich befürchten nun die Kosovo-Albaner, dass Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächs- die internationale Gemeinschaft ihren Anspruch auf eine te Sitzung des Deutschen Bundestages ein auf morgen, unabhängige Republik Kosovo von der Agenda interna- Donnerstag, den 12. Oktober 2000, 9 Uhr. tionaler Gespräche streichen wird. Mit einem imperialen Die Sitzung ist geschlossen. Diktator im Rücken als Feindbild war die Notwendigkeit einer albanischen Republik Kosovo leichter vermittelbar. (Schluss: 17.49 Uhr) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11835

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Dr. Blüm, Norbert CDU/CSU 11.10.2000 Dr. Schwall-Düren, SPD 11.10.2000 Angelica Breuer, Paul CDU/CSU 11.10.2000 Welt, Jochen SPD 11.10.2000 Burchardt, Ursula SPD 11.10.2000 Wettig-Danielmeier, SPD 11.10.2000 Elser, Marga SPD 11.10.2000 Inge Dr. Gehb, Jürgen CDU/CSU 11.10.2000 * für die Teilnahme an der 104. Jahreskonferenz der Interparlamen- Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 11.10.2000 tarischen Union Haack (Extertal), SPD 11.10.2000 Karl-Hermann Anlage 2 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 11.10.2000 Antwort Hemker, Reinhold SPD 11.10.2000 des Parl. Staatssekretärs Dr. Eckhart Pick auf die Frage des Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 11.10.2000 Abgeordneten Dietrich Austermann (CDU/CSU) DIE GRÜNEN (Drucksache 14/4206, Frage 5) Beabsichtigt die Bundesregierung eine Verschärfung der §§ 86, Dr.-Ing. Jork, Rainer CDU/CSU 11.10.2000 86 a Strafgesetzbuch (Verbreiten von Propagandamitteln verfas- sungswidriger Organisationen und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) im Hinblick auf die aktuelle Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 11.10.2000 Entwicklung beim Rechtsextremismus? (B) Koschyk, Hartmut CDU/CSU 11.10.2000 Die Strafvorschriften in den §§ 86, 86 a und 130 StGB (D) sind 1994 geändert bzw. neu eingeführt worden. Neben Lippmann, Heidi PDS 11.10.2000 den allgemeinen Strafvorschriften zum Schutz von Leben Meckel, Markus SPD 11.10.2000 und Gesundheit (§§ 211 ff., §§ 223 ff. StGB), die in den Jahren 1994 und 1998 erheblich verbessert, auch ver- Neumann (Gotha), SPD 11.10.2000 schärft worden sind, leisten sie einen wichtigen und un- Gerhard verzichtbaren Beitrag zur entschiedenen Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Es kommt Nickels, Christa BÜNDNIS 90/ 11.10.2000 entscheidend darauf an, die vorhandenen Strafvorschriften DIE GRÜNEN in der Praxis konsequent anzuwenden und dabei die vom Nietan, Dietmar SPD 11.10.2000 Gesetzgeber zur Verfügung gestellten Strafrahmen auszu- schöpfen. Die in den §§ 86, 86 a und 130 StGB geregelten Ostrowski, Christine PDS 11.10.2000 Propagandadelikte könnten mit Freiheitsstrafe bis zu drei oder fünf Jahren bestraft werden; bei tätlichen Angriffen Philipp, Beatrix CDU/CSU 11.10.2000 drohen noch höhere Strafen. Die Tatsache, dass zurzeit kein unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf Pieper, Cornelia F.D.P. 11.10.2000 gegeben ist, ändert allerdings nichts daran, dass die Bun- Rühe, Volker CDU/CSU 11.10.2000 desregierung die gewonnenen Erfahrungen in der Praxis weiterhin beobachtet und auch in Zukunft ständig prüfen Schily, Otto SPD 11.10.2000 wird, ob und gegebenenfalls durch welche Maßnahmen die strafrechtlichen Vorschriften gegen Rechtsextremis- Schlee, Dietmar CDU/CSU 11.10.2000 mus und Fremdenfeindlichkeit verbessert werden können. Schloten, Dieter SPD 11.10.2000* Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 11.10.2000 Anlage 3 Hans Peter Antwort Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 11.10.2000 Andreas des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die Fra- gen des Abgeordneten Jürgen Koppelin (F.D.P.) (Druck- Schösser, Fritz SPD 11.10.2000 sache 14/4206, Fragen 10 und 11): 11836 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Welche Gründe haben die Bundesregierung bewogen, weder Präsentation der deutschen Kultur und Geschichte im öst- (C) den österreichischen Bundespräsidenten noch den österreichischen Bundeskanzler zur Feier des zehnten Jahrestages der deutschen lichen Europa ist eine Aufgabe von gesamtstaatlicher Be- Einheit einzuladen? deutung, die auch künftig für die Bundesregierung ihren Kann sich die Bundesregierung daran erinnern, dass Tausende besonderen Stellenwert haben wird. Nach der politischen von Flüchtlingen aus der ehemaligen DDR von Ungarn aus über Öffnung der osteuropäischen Staaten und der Herstellung Österreich in die damalige Bundesrepublik Deutschland kommen der deutschen Einheit haben sich jedoch die Anforderun- konnten und diese reibungslose Passage nur mit Hilfe der öster- reichischen Regierung möglich war? gen an die Kulturarbeit nach § 96 BVFG gewandelt. Die- se veränderte Aufgabenstellung war Anlass für den Be- Zu Frage 10: auftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, ein neues Förderkonzept zu erar- Zu den Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Ein- beiten, das vom Bundeskabinett verabschiedet wurde und heit Deutschlands am 3. Oktober 2000 in Dresden hat die gegenwärtig dem Deutschen Bundestag zugeleitet wird. In Bundesregierung – auch im Namen des Bundespräsiden- Umsetzung der Konzeption wird die Bundesregierung ten und des Bundesratspräsidenten – Vertreter der auslän- Haushaltsmittel in angemessener Höhe zur Verfügung dischen Staaten, die den Zwei-Plus-Vier-Vertrag unter- stellen. Bei den angesprochenen Zuweisungen zu laufen- zeichnet haben, die so genannte EU-Troika und die den kulturellen Aufwendungen der Bundesstadt Bonn han- Višegrad-Staaten auf der Ebene der Staats- und Regie- delt es sich um überkommene Verpflichtungen, die de- rungschefs eingeladen. Die EU-Mitgliedstaaten – ein- gressiv abgesenkt werden. Ein Zusammenhang zwischen schließlich Österreich – sind durch die EU-Troika vertre- diesen Leistungen und den Fördermitteln nach § 96 Bun- ten gewesen. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass desvertriebenengesetz besteht nicht. darüber hinaus der österreichische Botschafter – wie auch alle anderen in Deutschland akkreditierten Botschafter – Zu Frage 3: auf Vorschlag der Bundesregierung eingeladen worden ist und an den Feierlichkeiten teilgenommen hat. In diesem Jahr wurden bereits über 370 Einzelprojekte gefördert. Eine Auflistung wäre in diesem Zusammen- Zu Frage 11: hang zu umfangreich. Sie geht dem Fragesteller gesondert zu. Über abgelehnte Projektförderungsanträge wird keine Ja. Statistik geführt. Angaben hierüber könnten nur mit einem unvertretbar hohen Verwaltungs- und Zeitaufwand erstellt werden, der in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen In- Anlage 4 formationswert steht. Antwort (B) (D) des Staatsministers Dr. Michael Naumann auf die Fragen Anlage 5 des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/CSU) (Drucksache 14/4206, Fragen 2 und 3): Antwort Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerung des Beauf- des Parl. Staatssekretärs Walter Kolbow auf die Fragen des tragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Staatsminister Dr. Michael Naumann, in der Zeit- Abgeordneten Günther Friedrich Nolting (F.D.P.) schrift „Die Woche“ vom 29. September 2000, er habe sich über (Drucksache 14/4206, Fragen 19 und 20): das Anwachsen der „Förderung im Rahmen des Vertriebenenför- derungsgesetzes von knapp 8 Millionen DM jährlich auf strecken- Trifft es zu, dass Soldaten bei Verwundung in einem Krisenre- weise 58 Millionen DM“ „sehr gewundert“, angesichts der der aktionseinsatz in der nachdienstlichen Versorgung schlechter ge- Bundesregierung entstehenden Verpflichtung aufgrund des ge- stellt sind als Beamte? setzlichen Auftrages aus § 96 Bundesvertriebenengesetz, und hält Plant das Bundesministerium der Verteidigung, außer der mitt- die Bundesregierung die in der Vergangenheit und gegenwärtig lerweile bekannt gewordenen Streichung des Tauglichkeitsgra- von ihr vorgenommene Förderung in diesem Bereich für unver- des 7, weitere Verschärfungen bzw. Veränderungen bei den Ein- hältnismäßig, zum Beispiel vor dem Hintergrund der Tatsache, berufungskriterien für Wehrpflichtige? dass allein für Zuweisungen zu laufenden kulturellen Aufwen- dungen der Bundesstadt Bonn im Entwurf des Bundeshaushaltes für das Jahr 2001 60 Millionen DM veranschlagt sind? Zu Frage 19: Welche Projekte fördert die Bundesregierung im laufenden Jahr im Rahmen des § 96 Bundesvertriebenengesetz (mit Angabe Ein Vergleich sämtlicher Versorgungsansprüche von der Höhe der Förderung), und bei welchen Anträgen zu Projekten Soldaten aller Statusgruppen, die in einem Krisenreakti- aus diesem Bereich hat die Bundesregierung eine Förderung im onseinsatz verwundet werden, mit den Versorgungsan- laufenden Jahr abgelehnt? sprüchen der Beamten im Falle eines Dienstunfalls kann wegen der Regelungsvielfalt der betreffenden Systeme Zu Frage 2: nicht zu einer allgemeingültigen bewertenden Aussage Der Bundeshaushalt (Titelgruppe 07) gibt Aufschluss führen. Schon die unterschiedlichen Versorgungsrege- über den Anstieg der Fördermittel in den letzten Jahr- lungen für Berufssoldaten auf der einen und für Soldaten zehnten. Während 1982 noch rund 8 Millionen DM För- auf Zeit sowie Soldaten, die aufgrund der Wehrpflicht dermittel veranschlagt waren, erfolgte zwischen 1990 Wehrdienst leisten, auf der anderen Seite sind durch die und 1992 praktisch eine Verdoppelung von 30 Millio- verschiedenartige Ausgestaltung der Dienstverhältnisse nen DM auf rund 59 Millionen DM. Dass die Empfänger bedingt. Die Versorgungsleistungen für die nur vorüber- dieses Geldsegens etwas überfordert waren, sei nur am gehend dienenden Soldaten auf Zeit und Soldaten, die auf- Rande erwähnt. Danach blieben im Jahre 1992 rund 8 Mil- grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten, sind in erster Li- lionen DM ungenutzt. Die Erforschung, Erhaltung und nie auf eine Wiedereingliederung in das zivile Leben Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000 11837

(A) ausgerichtet. Ihre soziale Sicherheit nach dem Ausschei- Beabsichtigt die Bundesregierung eine Änderung des § 25 (C) Abs. 3 Soldatengesetz dahin gehend, dass die Wahrnehmung von den aus der Bundeswehr wird durch Leistungen der Be- Aufgaben, die einem Soldaten durch ein kommunales Wahlamt schädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsge- entstehen, untersagt werden kann, sofern dienstlichen Interessen setz und durch Nachversicherung in der gesetzlichen gegenüber den Interessen der kommunalen Selbstverwaltung Vor- rang einzuräumen ist, und welche Art von dienstlichen Interessen Rentenversicherung sichergestellt. Der zur Dienstleistung könnten dies sein? auf Lebenszeit verpflichtete Berufssoldat erhält demge- Wie beurteilt die Bundesregierung diese Regelung vor dem genüber bei Eintritt des Versorgungsfalles eine dem Be- Hintergrund des Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform, und sieht amtenrecht nachgebildete Versorgung, sodass allenfalls die Bundesregierung in dieser geplanten Änderung die Gefahr ei- ner politischen Einflussnahme von Vorgesetzten der Bundeswehr dieser Personenkreis mit der versorgungsrechtlichen Si- auf kommunale Selbstverwaltungsorgane mit soldatischen Mit- tuation eines dienstunfallgeschädigten Beamten ver- gliedern? gleichbar ist. Bei diesem Vergleich ist von Bedeutung, dass die Begriffe „Wehrdienstbeschädigung“ und „Dienst- Zu Frage 21: unfall“ nicht deckungsgleich sind. Die Regelungen und Vorschriften über die Wehrdienstbeschädigung im Solda- In dem Entwurf eines „Gesetzes zur Änderung des Sol- tenversorgungsgesetz unterscheiden sich wesentlich von datengesetzes und anderer Vorschriften“ ist die Änderung denen über die Dienstunfallversorgung der Beamten. Der mit dem in der Frage formulierten Inhalt vorgesehen. Das Wehrdienstbeschädigungsbegriff ist dabei weitergehend allgemeine gesetzgeberische Anliegen einer stundenwei- als der Begriff des Dienstunfalls im Beamtenrecht. So ha- sen Befreiung vom Dienst kann auf der Basis der bisheri- ben Soldaten bei Dienstunfällen, wehrdienstbedingten gen gesetzlichen Regelung („ist ... Urlaub ... zu ge- Erkrankungen und gesundheitlichen Schädigungen auf- währen“) zwar im inländischen Routinedienstbetrieb grund wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse Versor- verwirklicht werden, weil zeitweilige Abwesenheiten von gungsschutz, während dieser Schutz für Beamte lediglich Soldaten aufzufangen sind. Dies gilt jedoch nicht mehr auf Dienstunfälle und Berufskrankheiten begrenzt ist. Da- speziell bei Auslandseinsätzen, an die bei Schaffung der neben können Berufssoldaten neben der Grundrente wei- derzeitigen Bestimmungen im Jahre 1979 noch nicht zu denken war. Es ist daher notwendig, die vorgesehene Ge- tere Leistungen aus der Beschädigtenversorgung erhalten, setzesänderung einzufügen. soweit diese höher sind als der Unterschiedsbetrag zwi- schen der Normal- und der Unfallversorgung. Ich erinnere daran, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die Einsatzbereitschaft Die Vorschriften über die einmalige Entschädigung der Streitkräfte Verfassungsrang besitzt (BVerfGE 48, bzw. einmalige Unfallentschädigung, die bei bestimmten S. 127, 160). Es ist deshalb sachgerecht, im Einzelfall ei- Unfällen durch Tätigkeiten mit besonderer Gefährdung ne Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich garan- oder bei einem rechtswidrigen Angriff in Betracht kom- tierten Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden und der men, finden sowohl auf Soldaten aller Statusgruppen als ebenfalls verfassungsrechtlich geforderten Verteidigungs- (B) auch auf Beamte Anwendung. Eine Schlechterstellung der (D) fähigkeit der Bundeswehr vorzunehmen. Zwischen diesen Soldaten liegt somit nicht vor. Hinsichtlich der Unter- konkurrierenden Verfassungsgütern muss dann ein scho- schiede in der Heilbehandlung zwischen wehrdienstbe- nender Ausgleich gefunden werden. Bei der Abwägung schädigten Soldaten und dienstunfallbeschädigten Beam- werden die Fälle äußerst selten auftreten, in denen auf ei- ten nach dem Eintritt in den Ruhestand wird auf die nen kommunalen Mandatsträger nicht verzichtet werden ausführliche Antwort des Bundesministeriums der Vertei- kann, weil er als dringend benötigter, nicht ersetzbarer digung vom 19. Mai 2000 – Drucksache 14/3421 –, die na- Spezialist in den Streitkräften dient. Insoweit schafft der mens der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der umfangreiche Personalbestand der Bundeswehr bereits F. D. P. vom 12. April 2000 – Drucksache 14/3212 – über- weitgehende Personalersatzmöglichkeiten. Aber selbst im mittelt wurde, hingewiesen. Hinblick auf den unentbehrlichen Experten müsste ge- prüft werden, ob seine ständige Präsenz im Auslandsein- Zu Frage 20: satz unumgänglich ist oder ob es etwa ausreicht, dass er Die Streitkräfte stehen vor einem Prozess grundlegen- sich im Inland für einen kurzfristigen Einsatz verfügbar der Verkleinerung und Umstrukturierung, der von zuneh- hält. mender Professionalisierung begleitet sein wird, um glei- che Aufgaben mit weniger Personal bewältigen zu können. Zu Frage 22: Dadurch erhöhen sich die an die Wehrpflichtigen zu stel- Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an der Fähig- lenden Mindestanforderungen. Die Abschaffung des Ver- keit und am Willen der Disziplinarvorgesetzten zu zwei- wendungsgrades „T 7“ ist die Konsequenz hieraus. Ob es feln, die notwendigen Entscheidungen sachgerecht und weitergehender Anpassungsmaßnahmen bedarf, wird der unvoreingenommen zu treffen. Befürchtungen sind um so Truppenalltag nach Einnahme der neuen Strukturen zeigen weniger begründet, als im Falle eines Verdachts des Miss- müssen. brauchs von Kompetenzen oder der Überbetonung der In- teressen des Dienstherrn alle Möglichkeiten des Be- schwerderechts, einschließlich des Eilverfahrens, offen Anlage 6 stehen. Damit ist auch die Kontrolle durch unabhängige Antwort Gerichte gewährleistet. Um jedoch zu einer einheitlichen, allen übergeordneten Belangen gerecht werdenden Ent- des Parl. Staatssekretärs Walter Kolbow auf die Fragen des scheidungspraxis zu kommen, wird daran gedacht, die Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb (F.D.P.) (Drucksache Feststellung des Vorrangs dienstlicher Interessen in jedem 14/4206, Fragen 21 und 22): Einzelfall auf der ministeriellen Ebene zu treffen. 11838 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 123. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 11. Oktober 2000

(A) Die Bundeswehr hat in ihrer Tradition des Konzepts der schen Geschehen teilhaben können und die Integration(C) Inneren Führung auch weiterhin größtes Interesse daran, der Bundeswehr in das gesellschaftliche Gefüge fördern. dass Soldaten als Staatsbürger in Uniform durch Aus- An der wo immer möglichen Förderung der Ausübung die- übung eines kommunalen Mandats unmittelbar am politi- ser Ehrenämter wird sich nichts ändern.

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