Vortrag aus Anlass der Feier des 75 Geburtstages der Bismark­Gedächtnis Kirche in Aumühle gehalten von Dr.Henning von Wedel

Ich möchte Sie mitnehmen auf einen kleinen Gang durch 75 Jahre Kirche in Aumühle. Wir feiern heute allerdings nicht 75 Jahre Kirchengemeinde Aumühle, sondern den 75 ten Ge­ burtstag des Kirchengebäudes. Damit man richtig versteht, was dieser Kirchenbau bedeu­ tet, muß man allerdings ein klein wenig weiter zurückgehen, nämlich zunächst einmal zur Gründung der Kirchengemeinde Aumühle. Sie ist ausgepfarrt worden aus dem Kirchspiel . Und eine der Ursachen, warum es eine Wohltorfer Kirchengemeinde und eine Aumühler Kirchengemeinde gibt ist die, daß das Bauerndorf zur Kirchengemeinde gehörte. Das war eine sehr feine anständige Kirchengemeinde, mit vielen großen Bauernhöfen. In Aumühle dagegen gab es nur kleine „Anbauern“, so wurden die damals genannt. Die versuchten natürlich auch wie Bauern zu sein, aber es waren Hufner, ganz arme schäbige Leute. Die gehörten nicht zu dem Bauerndorf Hohenhorn und zu der Kirchengemeinde Hohenhorn, den feinen Leuten, die eine schöne Kirche in Hohenhorn hatten, sondern sie gehörten zu dem weit entfernten Brunstorf. Das waren gewissermassen die Hinterwäldler von Brunstorf – die Aumühler. Und weil das so war, war in Aumühle und Friedrichsruh auch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts nicht viel los. Aumühle lag kirchlich, wie damals die damalige Landessuperin­ tendantur meinte, gar sehr darnieder. Deshalb wurde der zweite Pfarrer in Brunstorf, der 1904 dort neu eingestellt wurde, darum gebeten, sich besonders um Friedrichsruh und Aumühle zu kümmern. Das war der Pastor Karl Gieseke, dessen Namen Sie alle schon einmal gehört haben und dessen Bild Sie in der Kirche als erstes der Pastorenreihe ansehen können, wenn Sie wol­ len. Da hatte man genau den richtigen gefunden. Pastor Gieseke war ein glühender Bis­ marckverehrer und hätte sich als Aufgabe überhaupt nichts Schöneres vorstellen können, als sich um Friedrichsruh und Aumühle zu kümmern, Aumühle vielleicht ein bißchen weni­ ger, aber Friedrichsruh – denn das war ja der Ruhsitz des alten Reichskanzlers und dort war er begraben. Also kümmerte er sich um Aumühle und Friedrichsruh und bemühte sich dann, nachdem hier etwas mehr passierte, um eine eigene Kirchengemeinde für Aumühle und Friedrichsruh. Herr Specht gründete um 1890 ungefähr die Villenkolonie, wie Sie alle wissen. Er kaufte das große Grundstück auf der Hofriede. Das ging von der Bahnbrücke, also etwa von da,wo jetzt das neue Vierfamilienhaus auf dem früheren Boddinschen oder Sievekingschen Grundstück gebaut worden ist, parallel zur Bahn bis zur Post und dem Lei­ sewitzschen Grundstück, das dann unten diesen wunderschönen Teich hatte, und dann hier oben bis zum Bismarckturm, das war die höchste Höhe der Hofriede. Und es ging dann mit einer kleinen Einbuchtung, denn die Birkenstraße gab es schon vorher, die Börn­ sener Straße hinunter bis zur Lindenstraße, die Sachsenwaldstraße hinauf, die es auch schon gab, und dann hinter der Waldstrasse an der Müllerkoppel entlang und zurück bis an den Ausgangspunkt. An der Ecke Lindenstrasse gab es schon die Meiersche Witwe. Das war der einzige Laden, der bestehen bleiben durfte im Villenviertel, ansonsten mußten sich Gewerbetreibende mit ihren etwas niedrigeren Diensten in den Ort unten zurückziehen, Richtung Wohltorf. Man merke: Richtung Wohltorf. Also, als die Villenkolonie gegründet wurde, kamen nun vornehme Hamburger her und dadurch gab es – das ist interessant, die Statistik von Aumühle zählte damals immer „Win­ ter­ und Sommerbewohner“ – im Sommer gut 300 Bewohner mehr als im Winter.Das wa­ ren Hamburger, die hier draußen in der Sommerfrische wohnten. Und damit begann die Gemeinde langsam zu wachsen. Das Gewerbe nahm natürlich auch Aufschwung durch die Kaufleute, die Handwerker, die hier arbeiteten und diejenigen, die Dienstleistungen für die Villenbewohner erbrachten, die natürlich auch hier am Ort einkauften. Und dadurch wurde es hier auch interessanter für eine Kirchengemeinde. Der Brunstorfer Pastor, der sich um Aumühle und Friedrichsruh kümmert sollte, kam auf die gute Idee, daß er seinen Dienstsitz ein bißchen näher an den verstorbenen Reichskanz­ ler heranrücken könne, indem er in Aumühle eine Pfarre gründet. Das ist ihm dann 1910 gelungen. Die beiden Ortsteile Aumühle und Friedrichsruh (sie gehörten damals zusam­ men, waren also kommunal eine Gemeinde) wurden ausgepfarrt aus Brunstorf und eine eigene Kirchengemeinde. Aber dann machte das Konsistorium leider einen Riesenfehler. Es hat nämlich gedacht Wohltorf sei so weit von Hohenhorn weg, aber ganz dicht an Aumüh­ le. Das wird dort mit eingemeindet. Das ist ja nur ein kleines Bauerndorf. Wohltorf hatte zwar auch einige Villen, es war aber längst noch nicht so weit entwickelt wie die Villen­ Kolonie hier. Und so wurde also eine neue Kirchengemeinde Friedrichsruh, Aumühle, Wohl­ torf gegründet. In genau dieser Reihenfolge muß man sich das auch in dem Kopf des neuen Pastors vor­ stellen: Da haben wir das „wichtige“ Friedrichsruh, den Ort des Bismarckschen Gedenkes mit dem Wohnsitz der Familie, dem Mausoleum und den Sarkophagen. Daneben haben wir Aumühle mit dem tüchtigen Herrn Specht, der was aus dem Orte macht, und wo es auch Spaß macht zu predigen, weil dort im Sommer immer interessante Leute kommen. Und schließlich haben wir noch das Bauerndorf Wohltorf, ­ na, das machen wir so mit. Das fanden die Wohltorfer natürlich nicht so schön. Und deshalb gab es 1927 einen fürchterli­ chen Streit. Der Kirchenvorstand teilte sich in zwei Parteien: in die Wohltorfer und in die Aumühler Partei. Aus dem, was man ursprünglich vorhatte, nämlich eine gemeinsame Kirche zwischen Wohltorf und Aumühle für die Gesamtgemeinde zu bauen, wurde nun nichts mehr. Die Wohltorfer bestanden auf eine eigene Kirche, sie wollten wieder selbst­ ständig sein, sei es, weil sie zu diesen Brunstorfer Hinterwäldlern oder sei es, weil sie nicht zu diesem sehr bismarckfreundlichen nationalen Herrn Gieseke gehören wollten. Sie kämpften und erreichten, daß sie ausgepfarrt wurden. Sie wählten sich einen ganz jungen Pfarrer, Pastor Schröder, den viele hier im Saal noch persönlich kennen. Pastor Schröder, war nicht nur ein sehr junger, sondern auch ein hoch intellektueller Pas­ tor. Pastor Giesecke dagegen etwas schlichter und vielleicht 15 Jahre älter. Und damit be­ gann nun der klassische Wettlauf zwischen Wohltorf und Aumühle. Zunächst einmal: wer hat als erster eine Kirche? Es begann damit, daß man sich über das Geld stritt, denn in Aumühle wurde schon lange für eine Kirche gesammelt – seit 1910. Pastor Gieseke hat in seinem Gemeindebrief sehr schön beschrieben, wie das damals begonnen hatte. Es be­ gann nämlich interessanterweise mit einem Katholiken, der die erste Spende gab für den Kirchbau in Aumühle. Der damalige Großgrundbesitzer Specht ­ damals noch Großgrund­ besitzer, weil er noch nicht so viele Parzellen verkauft hatte ­ wollte der Kirchengemeinde eine große Parzelle zwischen Oberförsterkoppel und Tannenweg zur Verfügung stellen. Es war das Grundstück, auf dem dann später der Elektriker Sass seinen Betrieb hatte. Es wurde ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, für eine große Kirche mit Pastorat. Und weil man damals der Meinung war, in Aumühle wird es immer irgendwie große Bis­ marckgedenkfeiern und ähnliches geben, plante man eine sehr große Kirche. Damals noch nicht als Bismarck­Gedächniskirche aber durchaus mit der Idee, dort Bismarckgedenkfei­ ern und dergleichen auch kirchlich begleiten zu können. Es wurde etwas richtig Großes geplant. Den Architektenwettbewerb gewann ein Architekt aus Bremen, ein Herr Eplenius. Es wurden dann noch ein paar Entwürfe zusätzlich angekauft. Alle Entwürfe waren etwa in dem Stil, in dem das Hauptgebäude der Universität gebaut ist, also dem Stil, wie ihn Her­ mann Diestel baute, der später in Bergedorf gewohnt hat. Ich würde sagen im neo­ romantisch­historisierenden Stil. Sehr groß, sehr schön. Wer in München die Kirche an der Münchener Freiheit kennt, kann sich eine Vorstellung machen, wie der Entwurf von Epleni­ us ausgesehen hat. Eine große, fast quadratische Kirche, mit einer sehr weiten Halle, mit großen Nebengängen und großen Emporen, eine großartige Sache, davor ein riesiger Turm und angebaut ein fabelhaftes großes Pastorat auch im Stil der damaligen Zeit, alles ganz schick. Aber leider wurde nichts daraus, denn man hatte zwar fleißig gesammelt und Pastor Gie­ seke war ein wirklich großer Geldsammler, ein genialer Geldsammler, aber es kam der Erste Weltkrieg. Pastor Gieseke ist vor allen Dingen auf die wirklich ganz hervorragende Idee gekommen, Auslandsdeutsche, die aus Aumühle stammten, nämlich Herrn Jacobi, Herrn Petersen und Herrn Eggers für die Sammlung von Geld einzuspannen. Die drei leb­ ten in Südamerika. Er hatte sie dort einmal besucht, und dabei hatte er die dortigen deut­ schen Gemeinden veranlaßt für diese Bismarckgedenkstelle hier, Geld zu sammeln. Es gab zur damaligen Zeit in Südamerika überall Bismarckvereine der Auslandsdeutschen zur Pflege der Vehrung des Gründers des Reiches. Die haben die Herren animiert mitzuma­ chen. Und das hat wunderbar geklappt. Vor allen Dingen war es später wunderbar, obwohl der erste Weltkrieg erstmal alles zum Stillstand brachte. Nach dem ersten Weltkrieg be­ hielt nämlich dort das Geld seinen Wert, während hier das Geld nichts mehr wert war. Als man 1924 wieder bauen wollte, sollte die Kirche 4 Millionen kosten (Rentenmark natür­ lich). Man hatte aber nur 4.000 Reichsmark, das war nicht viel. Das war in Rentenmark einiges mehr, wenn auch nicht mehrere Millionen, und man hatte zusätzlich auch noch viele Spendenzusagen aus Südamerika in Dollar. Das war natürlich in der damaligen Zeit alles sehr viel wert, aber es reichte bei weitem nicht aus. Also man mußte neu sammeln. Das hat man ab1924 wieder getan. Und das ging auch gut voran, bis 1927 dann die Auseinandersetzung mit Wohltorf kam, wodurch ein Teil des Baufonds bedauerlicherweise nach Wohltorf abgegeben werden musste. Die Wohltorfer waren mit der Aufteilung aber nicht zufrieden. Es gab eine große Auseinan­ dersetzung um einen Restbetrag. Es wurden Anwaltsbriefe hin und her geschrieben zwi­ schen den beiden Kirchenvorständen. Schließlich ist der Streit gütlich beigelegt worden, nachdem die Landessuperintendantur den Wohltorfern nahegelegt hatte, sie seien gut ge­ nug bedient, sie sollten doch auf weitere Forderungen verzichten. Das haben sie dann auch getan. Die Wohltorfer sind also doch gar nicht so schlimm, wie wir Aumühler manchmal denken. 1927 sollte es also wieder losgehen mit dem Kirchenbau. Man hatte immerhin ausreichend Geld um wieder planen zu können, und man plante jetzt eine Kirche nur noch für Aumüh­ le. Im März 1927 schreibt Pastor Gieseke im neuen Gemeindeblatt, das damals noch wun­ derbar gedruckt wurde, über die Gemeinden, die gerade auseinandergegangen waren und überlegt was denn nun das beste für die Aumühler Kirchengemeinde sei. „Und was ist das beste? Das ist die Frage! Bisher befinden wir uns erst in den allerersten Beratungen und haben u. a. festgelegt, daß die Kirche sich halten soll, in den Grenzen, wie sie der Gemeindekirche einer kleineren Gemeinde gezogen sind.“ Also nicht mehr dieses große fabelhafte Gebäude von Herrn Eplenius, eine Superkirche, in der notfalls auch 1000 Men­ schen Platz hätten, wenn man eine große Bismarckgedenkfeier macht, sondern eine Ge­ meindekirche. „Die eigene Gemeinde soll sich Sonntag für Sonntag hier wohl fühlen, auch wenn die Be­ sucherzahl einmal nicht allzu groß ist.“ ­ darauf werde ich zurückkommen auf die kleine Besucherzahl ­ „Dazu kommt nun, daß ein weiterer fester Beschluß der Kirchenvertretung vorliegt, wonach diese Kirche den Namen Bismarck­Gedächniskirche im Sachsenwald tra­ gen soll“. So nun war es heraus, sie sollte also Bismarck­Gedächniskirche heißen. „Was hat uns dazu veranlaßt? Die einzigartige Lage dieser Kirche, die im Sachsenwald zu stehen kommt, und deren Glocken über die Ruhestätte Bismarcks hin ertönen werden. Keine andere Kirche kann sich dessen rühmen, als die unsrige. Sie wird dann auch mit ihrer stimmungsvollen Umgebung unmittelbar hineingerückt in die geheimnisvolle Welt hochragender Kiefern und Fichten des Sachsenwaldes. Allein deshalb schon darf sie die Berechtigung in sich tragen, Bismarck­Gedächniskirche im Sachsenwald genannt zu wer­ den.“ Das war der Beschluß und seine Begründung und das war dann später ein Problem. Anläßlich des Bau´s und rechtzeitig zu der Einweihungsfeier ist ein Buch unter dem Titel „Der Sachsenwald“, das einige Jahre vorher erschienen war, von Pastor Gieseke neu he­ rausgegeben worden. In der Einleitung hat er dann noch mehr dazu gesagt, warum unsere Kirche Bismarck­Gedächniskirche im Sachsenwald heißt. Und vor allem auch „im Sachsen­ wald“, das ist nämlich sehr, sehr wichtig. Also Pastor Gieseke selbst: „Der Sachsenwald hat eine eigenartige geographische Lage. Wenn man sich einen Kreis von 100 Meilen, (damit sind preußische Landmeilen gemeint, also 7 und ein bißchen Kilo­ meter, also fast 750 Kilometer) Entfernung vom Walde gezogen denkt, und die Länder und Städte sich ansieht, die dieser Kreis berührt, so bemerkt man, daß der Sachsenwald einen Mittelpunkt höchst eigener Art darstellt. In 100 Meilen Entfernung stehen wir im Süden auf dem Alpenkamm, der Grenzscheide zwischen italienischem und deutschem Volkstum. Jen­ seits beginnt die romanische Welt. In gleicher Entfernung, etwas östlich, liegt die Stadt Wien. Der alte Vorposten germanischen Wesens gegen den Orient. In Südwesten des glei­ chen, als letzte deutsche Stadt, nahe der französischen Sprachgrenze, Bern – die Haupt­ stadt der Schweiz. Vollenden wir den Kreis, immer in 100 Meilen Entfernung vom Sach­ senwald, so liegt im Nordwesten davon der Mittelpunkt des Angelsächsischen Reiches, London, im Norden Oslo und Stockholm, die Hauptstädte der germanisch­nordischen Rei­ che. Und im Osten stoßen wir auf die Grenze von Deutschland und Rußland. So bildet also dieses Waldgebiet den Mittelpunkt des germanischen Mitteleuropas. Anders ausgedrückt, der Sachsenwald geographisch angesehen, ist das Herz der germanischen Welt! Eigenarti­ gerweise liegen übrigens auch Paris, Warschau und Krakau, die Hauptstädte der West­ und Ostmächte, die die germanische Welt Mitteleuropas mit eisernen Griffen umklammert hal­ ten, auf dieser Kreislinie, die den alten Wald, in dem Bismarck ruht, so merkwürdig um­ zieht.“ Soweit die erste Einleitung. Und dann schreibt er weiter über die Bismarck­ Gedächniskirche, die zwar noch nicht gebaut war, für die aber die Entwürfe vorlagen: „Die Mitte der Kirche wird gebildet durch eine starke Säule. Ein eigenartiges Motiv. Um das sich der Rundbau legt. Diese Säule ist mit ausgesprochener Absicht gerade dieser Kirche eingefügt worden. Sie soll symbolisch andeuten, daß die Gemeinde und mit ihr das Deut­ sche Volk in unseren Tagen in Sonderheit sich sammeln muß um einen Mittelpunkt, soll nicht immer größere Zersplitterung unserer trauriges Los werden. Die Säule, um die Deut­ sches Leben sich sammeln muß, um nicht von feindlichen Mächten zerrieben zu werden, ist vielfacher Deutung fähig. Einen historischen Ausdruck hat sie gefunden in dem Bismarck­Wort: „Wir Deutsche fürch­ ten Gott aber sonst nichts in der Welt.“ Dieses Wort wird in der Kirche selbst, der Säule gegenüber seinen Platz finden. Es ist angebracht über der Altarnische, nicht besonders in die Augen fallend, aber immerhin erkennbar aus der Wand herauswachsend, und gerade so tief sich einbohrend; fragend, mahnend und auch beschämend in das Empfinden derer, die diese Kirche zu stiller Andacht in unserer Zeit betreten. Die Säule der Bismarck­ Gedächniskirche stehend im Mittelpunkt des germanischen Volkstums der Welt, und über ihr leuchtend in dunklen Abendstunden das Kreuz des Turmes. Das Kreuz des Turmes ist eine Spende des Luftschiffbau´s Zeppelin, Dr. Erkner.“ Der Brief, mit dem sich Pastor Gieseke für die Übersendung des Kreuzes bedankt, den ha­ be ich dort ausgehängt, den kann man sich nachher mal ansehen, er ist sehr hübsch. Ein Fingerzeig auch hier wieder, die Aumühler haben es irgendwie mit dem Himmel besonders gut. Man hatte während des Bau´s, als das Kreuz noch nicht da aber der Bau sonst schon fertig war, damit es nicht so traurig aussah, ein großes Holzkreuz oben auf den Turm gestellt. Das neue Kreuz war übrigens eine ganz besondere Konstruktion.Man hat lange dafür gebraucht, herauszufinden, wie man es machen kann. Es sollte von innen be­ leuchtet, und es mußte leicht sein, aber trotzdem so, daß es nicht korodiert Zunächst soll­ te es eine Aluminiumkonstruktion sein, dann Holz mit Kupfer drum… nun gut, ein schwieri­ ges Geschäft. Es war nun da. Das Kreuz noch unten und oben das provisorische Holzkreuz. Und was passiert in der Nacht, bevor das Kreuz oben angebracht werden sollte..? Der liebe Gott schickt einen schönen Orkan, der wirft das das alte Holzkreuz herunter und man kann in Ruhe das neue aufbauen und hat überhaupt keinen Streß…! Wie wir alle wissen, ist das in Aumühle immer so. Als wir nämlich, (ich greife mal vor in die Zeit sehr sehr viel später unter Pastor Laitenberger), wir die Fortsetzung der Achse Friedhof Kirche planten. Die Kirche ist genau deshalb an der Stelle gebaut worden, wo sie steht und so ausgerichtet. wie sie es jetzt ist, weil die Mittelachse des Friedhofs, die es ja schon gab (den Friedhof gab es schon seit 1910), fortgesetzt werden sollte durch und in dem Bau. Die haben wir ja dann mit dem Kirchenweg noch weiter fortgesetzt mit Blick auf den Bismarckturm. Dafür mußten wir Bäume fällen. Ich hatte schon mit der Friedrichsru­ her Forstverwaltung darüber gesprochen, daß die das irgendwann mal für uns machen, sobald es bei ihnen paßt. Das war aber gar nicht mehr nötig, denn auch jetzt schickte uns der liebe Gott wieder einen Orkan, und der pustete genau die Bäume weg, die wir fällen mußten, insbesondere auch zwei große alte Bäume, bei denen ich einen kleinen Streß mit der Gemeinde hier hatte, wegen der Genehmigung zum Fällen. Also wunderbar, so geht uns das mit dem Himmel. Und so ähnlich geht es uns auch immer beim Jubiläum – was haben wir heute? Wunderbaren Sonnenschein! und genauso war es vor 25 Jahren, als das 50­jährige Jubiläum gefeiert wurde. Mitten in einer furchtbaren Schlechtwetterperiode, herrschte am Tag des Jubiläums Sonnenschein! Das hat Pastor Arp damals in seinem Be­ richt über das Jubiläum ausdrücklich dankbar vermerkt, daß der Himmel uns in Aumühle besonders gnädig ist. So half er auch damals beim Kirchenbau mit dem Kreuz. So, nun wieder zurück zu unserer Baugeschichte. Es war natürlich extrem schwierig von diesen wunderbaren Entwürfen vor dem ersten Weltkrieg, mit den großen Hallenkirchen, Abschied zu nehmen. Die waren alle nun nicht mehr brauchbar, denn es sollte eine kleine Gemeindekirche werden.Man hat auch nicht mehr so viel Geld, man hatte ungefähr 160.000 Reichsmark. Das war viel Geld damals, sehr viel Geld. Aber es reichte nur so ge­ rade eben für einen kleineren Rohbau. Man brauchte ja aber auch noch ein bißchen Aus­ stattung usw., es mußte also weiter fleißig gesammelt werden. Keinesfalls reichte es für die alten Entwürfe. Also entschloss man sich das Ganze noch mal neu aufzulegen. Es wurden Architekten aufgefordert, Entwürfe einzureichen und es wurde ein neues Preisge­ richt eingerichtet. Dazu gehörte der Frankfurter Stadtbaumeister Martin Elsässer, nachdem bedauerlicherweise Prof. Fritz Schuhmacher aus Hamburg abgesagt hatte, und es gehörte Otto Bartning dazu, jedenfalls behauptet das mein Schwiegervater in seiner damaligen Jubiläumsschrift. Ich konnte das nicht verifizieren aber vielleicht stimmt es ja. Otto Bar­ ning war ein großer Mann damals. Wollen mal hoffen, daß er dazu gehörte, oder vielleicht auch nicht, ich weiß es nicht. Je nachdem, wie man nun die Kirche findet, die daraus ge­ worden ist. Es wurden in einem beschränkten Wettbewerb drei Architkten aufgefordert. Die drei Entwürfe sind leider in unserem Archiv nicht erhalten. Das Preisgericht kam zu dem Ergebnis: Die wollen wir alle nicht. Es hatte sich auch wieder der Architekt Eplinius aus Bremen beteiligt, den man auch auf­ gefordert hatte, obwohl er an sich noch den Auftrag von vor dem Ersten Weltkrieg hatte. Herr Elsässer war der Auffassung, daß alles, was die Architekten vorgeschlagen hatten, gar nicht richtig zu diesem Grundstück passe. Denn das Grundstück, das die Familie von Bismark zur Verfügung gestellt hatte, ist ein dreieckiges Grundstück. Das sieht man nicht sofort, das sieht man nur richtig gut, wenn man in das Kataster sieht. Sonst ist das gar nicht so deutlich, obwohl man es natürlich in der Natur auch nachvollziehen kann. Die Börnsener Straße, der altbekannte Spazierweg neben der Schule am Friedhof entlang und oben quer der Friedhofsquerweg. Es weiß eigentlich jeder, daß das ein Dreieck ist, aber im Bewußtsein ist es doch nur ein Stück Wald und nicht ein Dreieck. Aber wie eben Architek­ ten sind, und Herr Elsässer war ein berühmter Kopfarchitekt, der sehr viel auf Symbolik und Volumenfragen gegeben hat, für ihn war es ganz klar: „Auf einem dreieckigen Grund­ stück kann man nur einen einzigen Bau vernünftig errichten, (weil dreieckige Häuser kei­ nen Sinn machen) einen Rundbau. Also baut einen Rundbau liebe Aumühler, das ist eine gute Idee, vor allem wenn ihr dann noch eine Säule in die Mitte stellt, auf der alles ruht und die die Kirche symbolisiert. Und wenn ihr dann noch den Turm so baut, dass er über der Säule in der Mitte der Kirche nach oben weist, auf das was wichtig ist, nämlich auf den Himmel und von da tönen die Glocken, dann ist das ist eine wunderbare Sache. Das soll es sein, einen Rundbau mit einer Säule in der Mitte.“ Er wurde dann gefragt, wen man denn bitten könne, das zu machen? Er verwies auf einen seiner Meinung nach sehr guten Mann in Hamburg Herrn Bohmhoff. Bohmhoff & Schöne war ein junges Büro, das schon andere seiner Aufassung nach sehr schöne Kirchen gebaut hatte. Er war sich sicher, dass die in der Lage seien die Aufgabe zu lösen. Sie konnten es auch, muß man sagen, denn sie haben einen, wie ich finde, jedenfalls vom Äußeren her, wunderschönen Bau geschaffen. Ein sehr gut proportioniertes Gebäude, das, wie die Architekten damals selber sagten, einerseits das Heimische, (nämlich die heimi­ sche Bauform Klinker aufnimmt), und anderseits etwas Neues und Eigenwilliges gestaltet. Ich glaube das ist richtig. Das haben die Architekten richtig gesehen. Sie haben einen wunderschönen Rundbau geschaffen, und sie haben vor allen Dingen eine interessante Idee gehabt, die sich dann in der Praxis allerdings nicht verwirklicht hat. Aber es war eine interessante Idee. Sie haben vorne den Altar gebaut, zwischen den beiden Treppentür­ men. Damit hat es nach der Aussage der Architekten selbst folgende Bewandtnis: „1. Bei großen Gottesdiensten, die man im Freien abhält, kann von dort der Pastor sprechen, 2. Bei Bismarckgedenkfeiern kann dort der Festredner positioniert werden, und 3. etwaige Fahnen, die mitgebracht werden, können auch wunderbar dort oben aufgestellt werden.“ Fahnen, ein wichtiges Thema. Bei der Grundsteinlegung, hier ist ein Bild davon, sieht man zwei wunderschöne Kirchenfahnen. Das Bild müssen Sie sich nachher mal näher ansehen. Man sieht dort ganz klein Pastor Gieseke in der Erde, wie er gerade den Grundstein fest­ macht, ansonsten ist alles leer. Ich finde es ist ein symbolisches Bild, denn so ging es dem armen Pastor Gieseke, nachdem er seine schöne Kirche gebaut hatte, war er nachher ziemlich alleine. Die beiden Fahnen sind, wenn man die Vorlieben Pastor Giesekes in Betracht zieht, sehr bemerkenswert. Es sind Kirchenfahnen und das hat seinen Grund. Es gab nämlich eine große Kontroverse bei der zwei Monate davor liegenden Feier des 1. Mai, der hier auch immer kirchlich begangen wurde. Da hatte Pastor Gieseke die Reichsfahne nicht aufzie­ hen lassen. Er hatte eine Kirchenfahne, eine Lauenburger Fahne, eine preußische Fahne und noch irgendeine Fahne, wahrscheinlich eine Bismarckfahne aber keine Reichsfahne aufgezogen. Worauf der Rechtsanwalt Dr. Blunk, (das war der Vater von Frau Dr. Mau, die noch viele kennen, der in der schönen Villa Ecke Birkenstraße, Börnsener Straße wohnte), sagte: „Ich ziehe meine Zusage 1.000 Reichsmark für die Kirche zu geben zurück, wenn Sie so wenig zum Reich stehen, Herr Pastor Gieseke.“ Das war natürlich dem Pastor Gieseke sehr sehr peinlich. Deshalb hat er dann, weil er die Reichsfahne nicht mochte, denn das war ja die Weimarer Reichsfahne, bei der Grundstein­ legung das Fahnenproblem in der Weise umgangen, daß er nur Kirchenfahnen aufgehängt hat. Die Fahnen spielten schon immer eine große Rolle. Zum Beispiel war eines der Bedenken gegen die Lösung der Architekten, mit den beiden Seiteneingängen, daß man dann schlecht mit Fahnen in die Kirche einziehen könne. Bei der Einweihungsfeier, die über den Reichsrundfunk übertragen wur­ de, wies Pastor Gieseke den Rundfunk aber darauf hin, daß das keine politische Feier sei, sondern eine rein kirchliche Feier. Und falls etwa nationale Verbände mit Fahnen und dergleichen auf­ tauchen sollten, so müßten sie vor der Kirche bleiben.Mit Fahnen dürften sie nicht in die Kirche hin­ ein. Wie es Pastor Gieseke mit dem Germanischen hatte, habe ich vorgelesen, weil es so schön die Zeitumstäne charakterisiert und weil man auch wissen muß, daß das der Hintergrund für die Namensgebung und den Bau war. So schlimm war er aber gar nicht. Ich komme darauf gleich noch einmal zurück.

Also, jetzt ging es endlich mit dem Bauen richtig los, die Grundsteinlegung im Jahre1928, natürlich am Todestag Bismarcks, am 30.07.1928. Beginn der Bauarbeiten: 1. Spatenstich am 30.07.1929. Das Richtfest dann am 12.10.1929. Dieses Datum hat keinen besonderen Bezug. Der Dachstuhl war einfach nur fertig. Dann kam im März 1930 die Glockeneinho­ lung, vom Bahnhof Friedrichsruh, von der ich hier auch ein sehr schönes Bild habe. Der Bahnhof Aumühle war ja ungeeignet dafür, da hätte man die Glocken die Treppen hoch transportieren müssen, deshalb wurden sie aus Friedrichsruh feierlich hierhergebracht. Die Glocken hiessen Bismark, Hindenburg und Luther. Zu dieser Glockeneinholung blies das erste Mal der Posaunenchor der Gemeinde. Den Posaunenchor hatte Pastor Gieseke ins Leben gerufen und die Instrumente aus eigenen Mitteln angeschafft. Sie blieben auch sein Eigentum. Ich habe auf diesen Instrumenten auch irgendwann einmal gespielt, Anfang der 60­iger Jahre. Ich weiß nicht, wo die heute sind, und ich weiß nicht, ob sie damals noch im Eigentum von Pastor Gieseke standen, aber jedenfalls finde ich es doch sehr bemerkenswert, daß ein Pastor Instrumente aus eigenen Mitteln anschafft, damit seine Gemeinde einen schönen Posaunenchor hat. Diese Posaunenchorarbeit hat leider nur kurz geblüht, nämlich nur bis 1933. Da wurde nämlich die SA gegründet und die jungen Leute gingen in die SA und hatten keine Zeit mehr, Posaune bei der Kirche zu blasen.

Im März 1930 fand also der Glockeneinzug mit erstmaligem Auftritt des Posaunenchors statt und dann am 30.07.1930 die Einweihung der Kirche. (Wir feiern heute ­ leider ein bißchen zu früh ­ wegen der Ferien.) Pastor Rößler hat es im Gottesdienst schon erwähnt, bei der Einweihung wurde wie heute als erstes Lied “Tu mir auf die schöne Pforte“ gesungen. Es gab dann ein schönes Kirchenkonzert mit einem großen Chor aus Reinbek verstärkt durch Altonaer Sänger und es gab Sologesang von Irmgard Pauly.Der eine oder andere hier hat sie vielleicht noch gekannt. Irmgard Pauly war die älteste Tochter des Kunsthallendirektors Pauly, der damals in der Sachsenwaldstraße wohnte. Sie war eine große Geigerin und auch Sängerin. Sie hat später, wenn ich das richtig entsinne, einen Konzertmeister in Berlin geheiratet und ist aus Aumühle weggezogen. Sie hat sich in den 30­iger Jahren sehr darum bemüht, hier Kirchenkonzerte zustande zu bringen, aber der Zuspruch blieb verhalten, obwohl die Konzerte von hoher Qualität waren.Wie Pastor Gieseke schrieb: „Leider war die Resonanz nicht ganz so, wie wir sie uns erhofft hatten.“ Deshalb schlief diese Initi­ ative bald wieder ein. Es gab aber jedenfalls eine sehr schöne Einweihungsfeier mit viel Musik, und nun stand die Kirche da, mit dieser wunderbaren Säule und dem Bismarckwort, das aus der Wand so hervortreten wollte und ein bißchen mahnen, wie wir das vorhin gehört haben. Dazu schreibt Pastor Gieseke: “Das ist dem Künstler nicht so ganz gelungen. Das Bismarckwort steht dort ziemlich kräftig.“ In meiner Jugend stand es dort auch noch und hatte vielleicht dann die Wirkung, die sich Pastor Gieseke ursprünglich mal vorgestellt hatte. Es war nicht mehr so ganz leicht zu entziffern, denn es war schon ziemlich verblaßt. In der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg hielt man von diesem Wort nicht mehr ganz so viel und ich war schon damals, und bin es heute noch, dem damaligen Pastor Ehrenforth sehr dankbar, daß er dieses Wort bei der Neuausmalung der Kirche hat übermalen lassen, so daß es nicht mehr da stand.

Soviel also zur Architektur der Kirche, dem Hintergrund dazu und zu der Namensgebung: Ein glühender Bismarck­verehrer wollte eine Kirche schaffen, die einerseits der Bismarck­ verehrung als dem Einiger des Deutschen Reichs gewidmet war, an­dererseits jemandem, der dem Deut­schen Volk Werte vermittelte, daß es nicht zer­splittert. Mit dem Namen sollten bestimm­te nationale Werte vermittelt werden und das war in der damaligen Zeit ja auch vielleicht bitter nötig. Diese Form der Vermittlung und die Asso­ziationen, die mit der Person Bismarks verbunden waren, riefen aber auch schon, als die Kirche gebaut wurde, Verwunderung hervor. Denn schon1927/28 als noch geplant wurde, gab es bereits einen kleinen Disput oder eher einen sehr heftigen Disput über die Namensgebung. Zunächst meldete sich die Landessu­ perintendantur: „Da haben wir doch Bedenken, das ist kein Kirchenvater und kein Heiliger. Könnte sie nicht Lutherkirche heißen, das wäre doch viel sinnvoller. Sie kann auch ganz anders heissen, aber jedenfalls nicht nach Bismarck.“ Es gelang aber Pastor Gieseke diese Bedenken zu zerstreuen und er hoffte nun sei Friede. Die Landessuperintendantur hatte nämlich sinngemäss eingeräumt „ Das sehen wir ein, der Bismarck war ein sehr gläubiger Mann. Wenn ihr das Gedächtnis auf seine Lebensan­ schauung bezieht und ihn ganz persönlich als Vorbild hinstellen wollt, ist das verständlich. Denn Bismarck selbst hat von sich gesagt, daß er nur ein großer Mann geworden ist, weil Gott ihn geleitet hat.“ Er war auch tatsächlich ein sehr gläubiger Christ. Das kann seinen Gedanken und Erinne­ rungen gut entnehmen, wer das etwa nachprüfen möchte. Das Konsistorium hatte sich also damit abgefunden. Nun kam von einer ganz anderen Sei­ te Kritik, nämlich von den Hamburger Sozialpfarrern, die in den Arbeitervierteln tätig wa­ ren, die waren der Meinung: “Na, Bismarck mit seiner Sozialistengesetzgebung und so, das geht nicht – das gibt Streit, das ist ein falsches Signal für unsere Gemeinden, wenn jemand eine Kirche nach Bismarck nennt.“ Diesen Streit hat aber, wie man so schön sagt, Pastor Gieseke einfach abgewettert. Es gab zwar große Zeitungskontroversen und Diskussionen im Kirchenvorstand, aber im Endeffekt blieb es bei der „Bismarck­Gedächniskirche“. Sie wurde also 1930 eingeweiht mit einer wunderschönen im Reichsrundfunk übertragenen Feier. Fahnen und dergleichen wurden nicht hereingetragen. Aber nur wenig später, wir wissen es alle, begann eine neue Zeit. 1933 kam sie diese neue Zeit. Das ist natürlich an Aumühle nicht spurlos vorrübergegan­ gen, wie man vielleicht hoffen könnte, sondern hat auch in Aumühle, wie man so schön sagt, zugeschlagen. Es begann am 1. Mai 1933. Da war das Neue Deutsche Reich ja noch relativ neu. Man wollte wie immer eine Maifeier mit kirchlicher Beteiligung machen. Nach dem Beschluss des Kirchenvorstandes sollte es morgens um 7.00 Uhr vor der Kirche los­ gehen. Damals stand man noch früh auf. Es sollte damit beginnen, daß an den vier Ecken der Kirche Eichen gepflanzt wurden. Das ist nachher auch geschehen, und zwar eine Eiche vom Stahlhelm, eine von der NSDAP, eine von dem vaterländischen Frauenverein und eine vom Jungmädchen­Bund. Nun griff aber darauf der NSDAP Ortsgruppenleiter ein uns sagte, „das kommt überhaupt nicht in Frage, die große 1. Mai­Feier findet morgens um 7.00 Uhr nicht etwa vor der Au­ mühler Kirche statt, sondern die findet vor der Gruftkapelle in Friedrichsruh statt. Denn wir wollen anknüpfen an Bismarck“. Das war ja damals die große Idee der Nazis. Sie woll­ ten anknüpfen an das alte Reich und sich damit mehr Rückhalt verschaffen, als wenn sie auf sich selbst gestellt wären. Das war ja am Anfang noch so. Deshalb hatte man auch zunächst Hindenburg als Reichspräsident behalten. Also so, wie es sich der Kirchenvorstand vorgestellt hatte, ging es nicht. Die Morgenfeier mußte in Friedrichsruh stattfinden. Aber ich lese vielleicht besser vor, was in der Kirchenchronik zu diesem 1. Mai steht: „Am 1. Mai durften wir unseren Morgengruß früh um 7.00 Uhr unter vollzähliger Beteili­ gung aller nationalen Verbände vor der Gruftkapelle in Friedrichsruh dem Eckehard unse­ res Deutschen Volkes bringen. Es konnte dabei zum Ausdruck gebracht werden, daß wir an diesem 1. Mai im Aufbruch eines ganz neuen Deutschen Lebens stünden. Und es war, wie wenn er selbst der Schmied des Deutschen Reiches mit einem langen Blicke uns anschaute und über uns hinweg auf das ganze Deutsche Volk als traue er seinen Augen nicht und seinen Ohren nicht. Das Deutsche Volk war zu neuem nationalen Leben erwacht. Da braucht er sich seines Volkes Sinken nicht mehr zu schämen. Es war aufs Neue auferstan­ den, um eine große Mission in der Völkerwelt zu erfüllen. Zum Schluß wurde unter dem Vorantritt der Fahnen, als der Fürst und die Fürstin die Gruftkapelle betraten, das Horst­ Wessel­Lied gesungen, dessen machtvolle und zugleich ergreifende Töne von der Feuer­ wehrkapelle weit hingetragen durch die geöffneten Fenster auch bis zu den stillen in der Morgendämmerung liegenden Sarkophagen drang.“ Aha denkt man, so war das also mit unserem Pastor Gieseke. Mein Schwiegervater hat in der Festschrift zum 50­jährigen Jubiläum geschrieben, er sei ein liberaler, nationaler Mann gewesen. Wenn man dies nun hört, fragt man sich, ob diese Einschätzung richtig war, und denkt wohl eher nicht. Aber so ist es auch nicht richtig, sondern es war tatsächlich anders. Das werde ich noch zeigen. Nur man muß auch dieses hier wissen. Also, das war der 1. Mai 1933. Wenig später erfolgte dann die Auflösung aller Kirchenvorstände und aller kirchlichen Glie­ derungen durch eine preußische Verfügung. Es gab jetzt einen preußischen Kirchenkom­ missar, der alles auflöste und Neuwahlen ausgeschrieb. Dabei wurde vorgeschrieben, daß mindestens die Hälfte dem Regime genehme Mitglieder in die Kirchenvertretungen zu wäh­ len seien. Die Kirchenvertretung war das Gremium, das dann aus seiner Mitte den Kir­ chenvorstand wählte. Also die Hälfte mußten verläßliche Leute sein. Das wurde über die zur Genehmigung einzureichenden Listen gesteuert.Die Aufstellung der Liste erolgte ohne Streit mit der Partei und den genehmigenden Stellen einmütig. So wurde auch in Aumühle neu gewählt und es wurde ein neuer Kirchenvorstand über eine neue Kirchenvertretung bestellt. Es tauchten nun in der Kirchenvertretung interessanterweise das erste Mal in grö­ ßerem Umfang Akademiker auf. Bis dahin war das nämlich nicht so. Der Aumühler Kir­ chenvorstand wurde im Wesentlichen bis auf ganz kleine Ausnahmen aus dem sogenann­ ten Dorf rekrutiert. Herr Richard, Herr Bochmann, Herr Koop, ein Nationalsozialist, der schon früh NSDAP­Mitglied war, aber ein sehr vernünftiger Mann war. Jedenfalls geht das aus den Kirchenvorstandsprotokollen hervor, aus denen man ersehen kann, wie er sich im Vorstand verhalten hat. Dann war der Oberförster Tietze aus Friedrichsruh, also ein Forstmann, ein Eisenbahner aus Friedrichsruh, dessen Namen ich im Augenblick vergessen habe, und der Direktor der Sparkasse, Herr Hagen, dabei. Das waren alles keine Angehörigen der Oberschicht ganz normale Leute und jedenfalls nicht aus den Villen. Urplötzlich tauchen nun in der Kirchen­ vertretungswahl auf: Otto von Bismarck, Geheimrat Professor Jessen, der Kaufmann Zöll­ ner, der Kaufmann DeVivanco und andere. Zum ersten Mal wurde eine ganz andere Schicht in die Kirchenvertretung gewählt. Aber komischerweise im Kirchenvorstand selbst beteiligten Sie sich nur wenig. Gut zur Hälfte war der Kirchenvorstand wieder der alte, obwohl ja nun diese Gruppe hätte sehr viel mehr Leute reinwählen können. Sie sorgten nur dafür, daß der arme Herr Heyne, der Vater unseres Herrn Heyne, der hier unter uns sitzt, nur eine Stimme bekam, als für den Kirchenvorstand gewählt wurde. Das war allerdings kein Wunder, denn dieser Kir­ chenvorsteher Heyne hat wenig später, 1934, den Antrag gestellt, man solle sich mal ü­ berlegen, wo man sich denn eigentlich hinwenden wolle, nämlich in die eine Richtung oder in die andere, d. h. zu den Deutschen Christen oder zur Bekennenden Kirche. Mit leider nur einer Stimme, nämlich seiner eigenen, wurde bei der Abstimmung für die Bekennende Kirche gestimmt, alle anderen stimmten aber nun nicht etwa für die Deutschen Christen, so nun wieder auch nicht. Nein, alle anderen stimmten dafür, sich völlig neutral zu verhal­ ten. Bloß nichts damit zu tun haben – wir halten uns völlig raus. Ein Befund, der übrigens genauso für unsere etwas entfernteren Nachbarn in Bergedorf gilt. Dort hat man diese Zeit auch gerade untersucht und genau das gleiche festgestellt: Der Kirchenvorstand hat dort damals auch entschieden: „Weder Noch. Uns interessiert das alles nicht, wir machen weiter wie immer“. So ist es auch in Aumühle gegangen. Das Interesse der Nationalsozialisten an der Kirche ließ dann auch schnell wieder nach in Aumühle. Pastor Gieseke hat das 1937 außerordentlich bitter kommentiert und sinnge­ mäss geschrieben:“ Ich hatte mir doch erhofft, daß es durch eine Partei, die etwas tut und wirklich Neues machen will, eine Belebung des kirchlichen Lebens gibt. Was ist eingetre­ ten? In Aumühle genau das Gegenteil. Jetzt hatten wir gar nichts mehr. Jetzt fing der Bür­ germeister an, eigene Hochzeitsrituale auszurichten, die NS­Frauenschaft machte eine Weihnachtsfeier mit umgedichteten Weihnachtsliedern, ein Sonnenwendlichtfest. Die Ju­ gend machte eine eigene Weihnachtsfeier, angeführt von Hitlerjugend und SA. Und in meiner Kirche sitzen ein paar alte Leute. Beim Heldengedenktag, früher ein großes Ereig­ nis, waren alle in der Kirche und hinterher ein Zug auf den Friedhof zum Ehrenmal, mit einer großen Feier mit Fahnen und allem drum und dran. Heute machen die um halb zehn zur Gottesdienstzeit ihre eigene Feier mit Fahnen, und in der Kirche sitzen drei alte Frauen und ein paar Kinder.“ Also große, große Enttäuschung bei Pastor Gieseke. Auch interessant zu wissen: Er hatte die erste Gruppe der Deutschen Christen, die Ortsgruppe, gegründet; hatte vier Kirchen­ vorsteher dahineingerufen und dann hat nichts weiter gemacht. Das war eine gute Me­ thode um die Sache aus der Kirche rauszuhalten. Diese Ortsgruppe der deutschen Chris­ ten hat nichts gemacht, hat nichts bewirkt und sollte auch nichts bewirken. Der Pastor Gieseke hatte nämlich relativ schnell erkannt, daß es mit dem neuen Aufbruch nichts war, sondern daß das in die falsche Richtung lief, daß das ein „Holzweg“ war, und hat sich dann dafür entschieden, schlicht und normal weiterzumachen. Das war dann natürlich gegen den Trend der Zeit, aber auch nicht in Richtung Bekennende Kirche. In Wohltorf wirkte zur gleichen Zeit Pastor Schröder, der sich zur Bekennenden Kirche be­ kannte. Deshalb wandte sich Herr Heyne dorthin zusammen mit einigen anderen Aumüh­ lern, die der bekennenden Kirche zugehören wollten. Da gab es nun auch manche Schwierigkeiten aber immerhin war dort noch ein einigermassen funktionierendes Ge­ meindeleben, während hier in Aumühle praktisch nichts mehr geschah. 1938/39 fielen manchmal Gottesdienste aus, sehr bedauerlich, weil nur zwei oder drei da waren. Da würden wir heute Gottesdienst halten, denn zwei oder drei reichen ja bekann­ termaßen. Aber damals fand man das zu wenig, also ist der Gottesdienst ausgefallen we­ gen schlechter Beteiligung. Ich verweise noch einmal auf dieses symbolkräftige Bild von der Grundsteinlegung, und auf die Worte bei der Entscheidung eine kleinere Kirche zu bauen, „wenn wir denn vielleicht mal mit wenigeren versammelt sind.“ Es waren Ende der 30iger Jahre so wenige, daß es sich überhaupt nicht mehr lohnte. Dann kam für Pastor Gieseke und für unsere Kirche eine noch schlechtere Zeit, wie wir alle wissen. 1939 brach der Krieg aus und man mußte sich darum bemühen, überhaupt noch Leute in die Kirche zu bekommen. Und es war dann auch so, daß die meisten Pastoren, vor allem die jüngeren Pastoren eingezogen wurden. Pastor Gieseke wurde nicht eingezogen, und er bekam nun die schöne Aufgabe, die Kirchengemeinden Aumühle, Brunstorf , und Wohltorf zu verwalten. Alle vier. Man kann sich vorstellen wie das war. Das ist nicht gutgegangen. Er konnte das auch gar nicht schaffen, das war absolut unmöglich. Schon allein die Amtshandlungen wie Beerdigungen, Taufen und Kon­ firmationen die weiter liefen, überforderten die Kraft eines Pastors. Das Ergebnis war, daß 1945 das kirchliche Leben total darniederlag, wie es so schön hieß. Die gleiche Situation wie zu Beginn der Tätigkeit von Pastzor Gieseke. Am 1. April 1945 ging Pastor Gieseke in den Ruhestand. 1874 geboren, 1945 in den Ruhestand. Also mit 70/71 Jahren. Doch man hatte keinen neuen Pastor und deshalb wurde Pastor Gieseke mit der Verwal­ tung der Kirchengemeinde beauftragt eine gewisse Zeit. Dann gab es eine Stimmung ge­ gen ihn. Leider s läßt sich nicht mehr feststellen, warum es schlechte Stimmung gab, da das Archiv der Aumühler Kirche leider sehr unvollständig ist. Jedenfalls es gab schlechte Stimmung und Pastor Gieseke wurde abberufen und Pastor Schröder, der inzwischen zurückgekehrt war, wurde mit der Verwaltung der Kirchengemeinde beauftragt. Aber nur kurz, dann kam, das war nun genau das Richtige, Pastor Jöns aus Lassan. Der war ein der Mitbegründer der Deutschen Christen. Das passte nun überhaupt nicht zu dieser Zeit. Der kam hier auch überhaupt nicht an und nach drei Monaten ist er schon wieder gegangen. Dann kam Pastor von Kitzell, auch nur mit der Verwaltung beauftragt. Der schreibt in der Chronik ­ er war nur ein Jahr hier schreibt aber sehr bewegend ­ : „Es war fast nichts zu machen. In Aumühle herrschte die folgende Meinung vor ­ bloß nichts gegen die Kirche tun. Aber auch bloß nicht hingehen“. Das war die vorherrschende Meinung in Aumühle gleich nach dem Krieg. An sich denkt man, hatte Religion doch Konjunktur. Ich muß sa­ gen, aus meiner Jugend erinnere ich mich daran, daß es so war, wie Pastor von Kitzell es beschreibt: Kirche muß es geben. Gegen sie macht man nichts aber man muß auch nicht unbedingt zu ihr halten. Das ist nun auch nicht erforderlich. Jedenfalls war die vorherr­ schende Stimmung im Ort im allgemeinen so. Das ist auch lange so geblieben. Wenn man sich vorstellt, daß z.B. der Schützenverein, der nach dem Krieg im Aufbruch und in großer Blüte war, erst 1963/1964 angefangen hat, animiert von Pastor Arp zum Schützengottes­ dienst zu kommen, dann stellt man fest, das es lange gedauert hat, bis man wieder anfing etwas „mit der Kirche am Hut zu haben“. Das war zumindest gleich nach 1945 nicht der Fall. Dann kam Pastor Speck, ein Missionar aus Indien. Einige von Ihnen werden sich an ihn erin­ nern, ein sehr handfester Mann, aber auch ein sehr kantiger Mann. Ihn kennzeichnet sehr schön, daß er 1950 acht Konfirmanden wegen absolutem Unwissen, geboren aus Trägheit von der Konfirmation zurückstellte. Da war natürlich die Hölle los, hier in Aumühle. Das hatte es noch nie gegeben. Vier Konfirmanden ließen sich woanders konfirmieren, die hatten einen Pastor gefunden, der sie kon­ firmierte. Vier Konfirmanden lern­ ten nach und wurden dann doch noch von Pastor Speck konfirmiert. 1952 wurde Pastor Speck aber schon wieder als Missionar erneut nach Indien ausgesandt und es wurde neu ausgeschrieben. Es bewarb sich u. a. ein junger Pastor aus namens Hans Jochen Arp. Der pre­ digte hier Probe, 1950. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen durch Eingriffe von hö­ herer Hand, ich glaube es war der Landessuperintendent Matthiesen, der diesen Pastor unbedingt in Ratzeburg halten wollte, wurde dann nicht Pastor Arp vom Kirchenvorstand in die nähere Wahl gezogen, sondern es wurde jemand gewählt, der gar nicht probegepre­ digt hatte, wenn ich das richtig aus den Kirchenprotokollen entnommen habe. Dem Kir­ chenvorstand wurde jemand aus dem Osten, ein Flüchtlingspastor empfohlen und gewählt. Das war Pastor Ehrenforth. Sein Sohn und seine Tochter sitzen hier. Viele von uns erin­ nern sich an Pastor Ehrenforth. Er hat eine, wie man sagen muß, außerordentlich segens­ reiche Tätigkeit entfaltet. Er hat die sehr tüchtige Frau Heyne, die Ehefrau des einzigen Aufrechten im Kirchenvorstand des Jahres 1934, im Kirchenvorstand halten können. Viele werden sich an Tilly Heine erinnern.Sie war eine bekannte Erscheinung hier in unserer Gemeinde, die sehr viel für das kirchliche Leben getan hat. Und er konnte auch einige an­ dere Kirchenvorsteher aus der Zeit davor halten und es begann ein Aufschwung. Der Kir­ chenbesuch nahm zu, Pastor Ehrenforth führte das regelmäßige Abendmahl ein. Bis dahin gab es hier nur in der Karwoche, am Buß­ und Bettag und an ein oder zwei Sonntagen sonst im Jahr nach dem Gottesdienst das Abendmahl. Sieben bis acht Abendmahlsfeiern waren üblich wohlgemerkt im Jahr. Pastor Ehrenforth sorgte dafür, daß die Gottesdienstordnung sich dem Umfeld anpaßte, nämlich die neue lutherische Agende 1. Das war damals eine große Tat. Von einigen Alt­ Aumühlern, ich erinnere mich da an meinen verstorbenen Freund Wulfi Gärtner, ist noch bis in die 80iger Jahre hinein kritisiert worden, daß die gute alte Gottesdienstordnung ab­ geschafft worden war. Das war nämlich eine ganz kurze und knappe Ordnung mit mög­ lichst wenig Gebeten, und ohne „Getüddel“ , wie er sich immer ausdrückte. Daß die nun 1952 abgeschafft worden ist durch Pastor Ehrenfort, das paßte einigen Amühlern über­ haupt nicht. Pastor Ehrenforth hat vor allem zwei wesentliche Dinge gemacht. Er hat einmal, nicht zu­ letzt weil er Kinder im richtigen Alter hatte, etwas für die Jugendarbeit getan. Es begann erstmals eine richtige Jugendarbeit hier, die vorher nicht besonders gut gelaufen ist. Und er begann eine Männerarbeit, mit großem Erfolg zunächst. Da gibt es 24 bis 27 Männern aus Aumühle, die am Männertag teilnehmen und vergleich­ bare, Erfolgsmeldungen in der Kirchenchronik. Allerdings ist das dann Ende der 50iger Jahre aus für Pastor Ehrenforth nicht ganz einsehbaren Gründen leider wieder eingeschla­ fen. Irgendwie haben sich die Männer auf die Dauer doch nicht so wohl gefühlt in dieser Arbeit. Warum auch immer es eintrat, das Ende dieser blühneden Arbeit ist schwer nach­ zuvollziehen. Pastor Ehrenforth hat auch an der Kirche selbst etwas gemacht. Und zwar hat er den Mit­ teleingang geschaffen. Der Mitteleingang ist schon gleich am Anfang diskutiert worden, als die Kirche gebaut wurde. Und zwar deshalb, weil man mit den Särgen durch die Seiteneingänge schwer hi­ neinkam. Herr Heyne hat mir vorhin gesagt, die Aumühler liegen alle auf der Backe. Weil man die Särge um die Ecke tragen mußten, um in die Kirche hineinzukommen, mußte der Sarg gekippt werden. Das war natürlich ein Grund. Der zweite Grund, weshalb man den Mitteleingang gerne haben wollte, war, daß viele Be­ sucher den Eingang gar nicht fanden. Die Leute kamen hier bei der Kirche an. Da gab es ja noch nicht den schönen Kirchenweg, der in der Mitte hochgeht, sondern man kam von den Seiten, entweder von der Börnsener Straße oder von der Schule aus auf die Kirche zu. Und dann stand man da und sah auf eine Wand. Da war alles richtig zu. Hinter den drei Torbögen war ja nur eine feste Wand. Nur rechts und links kaum erkenn­ bar gab es die Türen, die jetzt auch noch da sind. Die eine führt heute in den kleinen Raum und die andere Tür zur Treppe zur Empore. Also gingen die Leute um die Kirche herum und suchten auf der anderen Seite, ist ja eine Rundkirche, da muß es doch irgend­ wo einen Eingang geben. Hinten war aber nur der Nebeneingang, der war meist verschlos­ sen. Also man kam nicht in die Kirche hinein. Das war der zweite Grund, weshalb Pastor Ehrenforth einen Mitteleingang schaffen wollte. Und nun zum dritten Grund: Alle die sich an die Kirche erinnern, wie sie früher war, wer­ den es wissen. Sie war eine merkwürdige Mischung aus Rundkirche und gerichteter Kirche. Durch die beiden Eingänge kam man seitlich in den Kirchenraum und ging von der Wand geleitet an dem Rund der Kirche entlang. In der Mitte war alles vollgestellt mit Bänken, es gab keine Gänge, man konnte nur außen herumgehen. Überall sehr lange Bänke und in der Mitte die Riesensäule, die man von den Eingängen her zunächst gar nicht so wahr­ nahm. Wenn man sich dann aber auf eine Bank setzte, stand plötzlich diese Riesensäule vor einem, jedenfalls, wenn man sich in den hinteren Teil der Kirche setzte oder die Säule stand neben einem. Sie war außerordentlich störend. Leider gibt es kein Bild, auf der man die Säule so sehen kann, wie sie tatsächlich wirkte. Aber alle, die das noch erinnern, wis­ sen, es war sehr schwierig. Diese markante Säule auf der ja nun das deutsche Germanen­ tum gewissermaßen ruhte, die war doch eher ein Hindernis. Sie war schon während der Planung als ein Hindernis empfunden worden. Schon zu der Zeit hat man sich darüber ge­ stritten, ob man diese Säule möchte oder nicht. Der Architekt Elsässer fand die Säule schön, weil auf ihr so wunderbar symbolisch alles ruht. Genauso wie unser Propst, der bei der Visitation auch fand, daß es schade ist, daß die Säule weg ist. Der hätte mal die Kir­ che sehen sollen, wie sie vorher aussah, dann hätte er sicher nicht gesagt, schade, daß die Säule weg ist. Interessanterweise hat man während der Bauzeit weiter darüber diskutiert, ob man die Säule nicht weglassen kann. Aber Herr Elsässer war der Meinung, die Säule muß sein. Pas­ tor Gieseke wollte die Säule zuerst auch nicht. Aber dann hat er ihren starken Symbolge­ halt akzeptiert, wie wir vorhin gesehen haben. Es gibt ein undatieres Blatt im Archiv wohl aus dem Anfangf der dreissiger Jahre nach der Tinte und der Handschrift. Das hat irgend jemand aus dem Kirchenvorstand geschrieben. Auf dem Blatt sind alle Argumente ver­ merkt für einen Mitteleingang und gegen die Säule. Und es wird gefragt, ob man da nicht etwas unternehmen könnte. Schon sehr kurze Zeit, nachdem man die Kirche in Gebrauch genommen hatte,hat man gemerkt, daß es mit der Säule heikel war. Also wurde nun endlich doch ein Mitteleingang geschaffen und damit derr Kirche auch eine Richtung gegeben. Das ist durchaus eine Verbesserung gewesen, wenngleich sie natürlich garnicht den Intentionen des ursprünglichen Entwurfes und den diesem zugrundeliegenden Ideen entzsprach. . Die Kirche war zwar einerseits ein Rundbau aber anderseits hatte sie hinten die sehr grosse Altarnische. Auf dem einen Bild hier ist das sehr schön abgebildet. Das war ein bißchen so wie ein UFA­Lichtspieltheater, jedenfalls so ein bißchen von der Anmutung her. Ein schöner, großer runder Raum mit einer gropssen Säule in der Mitte und dann vorne diese riesige, hohe Altarnische, die damals viel höher war als sie heute ist. Die war indirekt beleuchtet, man sah nämlich nicht,von wo sie beleuchtet wurde. Das Licht fiel von oben durch die Seitenfenster, die damals auch viel höher saßen, als sie heute sitzen. Seitlich von oben fiel aus nicht sichtbaren Fenstern das Licht in den Altarraum oder er wurde indirekt beleuchtet durch Lampen, die ebenfalls nicht sichtbar waren. Auf der einen Seite war eine Sakristei und auf der anderen Seite eine Fürstenloge, die später aber nicht mehr in Betrieb war. Wenn nun das Licht so von oben hereinfiel hatte man, jedenfalls mir ging es immer so, den gleichen Eindruck wie früher im Kino. Da gab es diese großen Säle mit indirekter Be­ leuchtung. Der Vorhang wurde von unten und von der Seite beleuchtet. Dann ging, wenn es losgehen sollte, der Vorhang auf. Und so ähnlich war das hier in unserer Kirche auch. Die Altarnische wirkte wie eine Kinobühne. Und vor dieser Kinobühne stand früher, als die Kirche neu gebaut war, die Kanzel in der Mitte. So hat das auch Pastor Ehrenforth noch vorgefunden. Die Kanzel stand niedrig, der Altar war erhöht, mehrere Stufen hoch, und davor stand etwas niedriger die Kanzel in der Mitte aus durchaus sinnvollen akustischen Gründen. Aber das ganze machte doch ein merkwürdiges Bild. Hinter der Altarwand war das Kreuz, das auch noch viele von Ihnen kennen, weil es hier im Gemeindesaal noch lange gehangen hat. Es war von dem Bildhauer Ruckteschell aus München, der auch das Kreuz in Wohltorf geschaffen hat. Dazu folgende hübsche kleine Anekdote: Es sollten ursprünglich ganz andere Worte auf dem Kreuz stehen, aber Herr von Ruckteschell schrieb dann, er bekomme das mit den Buchstaben nicht hin, und er müsse andere Worte wählen und machte auch entsprechende Vorschläge.. Und dann hiess es weiter: Bitte gleich schreiben, wenn es nicht paßt. Pastor Gieseke wartete aber erst die Kirchenvorstandssitzung ab und schrieb dann dem Künstler: Das geht nicht, wir wollen unsere Worte. Die Antwort kam postwendend: Nun ist es zu spät, ich habe es schon fer­ tiggemacht. Das war also die Altarnische, die damals schon einen recht merkwürdigen Anblick bot. Dann ist aber von Pastor Ehrenfort die Kanzel nach links versetzt worden, aus der Mitte heraus, etwa dahin,wo die Kanzel heute auch steht. Und die Altarnische ist, wenn ich das richtig entsinne, auch anders beleuchtet worden. Der Kinoeffekt ist dadurch weitgehend entfallen. Man hat die ganze Kirche insgesamt neu beleuchtet. Früher gab es grosse weisse Kuppellampen. Auf dem einen Bild hier kann man sie gut sehen.Damals sind dann Messingleuchter mit stilisierten Kerzen drauf reingekommen.Das gab eine sehr viel besse­ re Beleuchtung. Dadurch, durch die Milderung des Kinoeffektes und durch den Mittelein­ gang hat die Kirche sehr gewonnen. Wenn man nun in die Kirche hineinkam, konnte man sich sofort orientieren. Man war nicht mehr wie früher erst einmal ein bißchen hilflos und irrte nicht mehr herum. Natürlich war der Mitteleingang eigentlich keine richtige Lösung , denn man guckte als erstes auf die Säule, wenn man durch den Eingang herein kam. Das war von den Architekten schon richtig gedacht, daß man nicht gleich als erstes auf eine grosse Säule guckt, wenn man in die Kirche hereinläuft. Gut, das waren also die Änderun­ gen, die Pastor Ehrenforth an und in der Kirche angebracht hat. Es gab noch einige bauli­ che Änderungen. Es ist an der Rückseite noch etwas angebaut worden, was heute keine Rolle mehr spielt, und die Leichenhalle ist umgestaltet worden. Aber, und das war für die weitere Entwicklung der Gemeinde wichtig, es wurde eine Woh­ nung für den Organisten geschaffen. Der an sich unbrauchbare, wunderschöne große Kir­ chenboden auf dem man ursprünglich mal Gemeinderäume schaffen wollte, (dafür fehlte aber das Geld), wurde jetzt einer sinnvollen Nutzung zugeführt, indem er einer Großfamilie als Wohnung diente nämlich dem Organisten mit seiner zahlreichen Familie. Einige werden sich noch erinnern, die werden da oben einmal gewesen sein, wie ich auch früher in mei­ ner Jugend. Der Kirchenboden war jetzt also belebt. Nicht mehr wie vorher, nur von Mäu­ sen und Mardern, sondern er wurde jetzt von Menschen genutzt. Und dieser Kirchenmusiker entfaltete auch eine gesegnete Tätigkeit. Es war der Kirchen­ musiker Waak, der eine Chorarbeit aufbaute, die es vorher so nicht gab. (Vorher gab es nur einen Kinderchor, und den Posaunenchor zu Pastor Giesekes Zeiten, den aber nur bis 1933, dann war erstmal lange nichts.) Nach dem Krieg gab es zwar einen kleine Kantorei, aber alles war sehr schwierig.Der Kir­ chenmusiker Herr Richard, der erste Kirchenmusiker hier, war im Krieg geblieben, vermißt, man hoffte aber lange, er komme wieder. Er war hierher gekommen, weil eine junge Mu­ siklehrerin hier die Orgel spielte, bevor man eine Organistenstelle hatte. Die hatte nun dieser Organisten Richard geheiratet. Das paßte alles sehr gut, denn er wollte natürlich gern dahin, wo seine Frau Musiklehrerin war und so kam Herr Richard nach Aumühle. Er muß ein guter Organist gewesen sein. Genaueres ist darüber zwar nicht vermerkt in den Chroniken, aber jedenfalls gab es nie irgendwelche Fragen, daß die Kirchenmusik etwa nicht gut sei hier in Aumühle. Während und nach dem Krieg vertrat seine Frau vertrat ihn. Viele werden sich noch an Frau Richard erinnern, als Vertreterin ihres Mannes, der dann doch leider im Krieg geblieben ist. Dann begann Herr Wag seine rege und intensive Kanto­ reiarbeit, die sich dann mit, ich würde mal sagen wechselndem Erfolg fortsetzte, die gan­ zen 50iger Jahre bis in den Beginn der 60iger Jahre hinein. 1958 kam dann Herr Krebel, der den Posaunenchor wieder ins Leben rief. Möglicherweise mit den Instrumenten von Pastor Gieseke, ich weiß es nicht. Zum Ende der Zeit von Herrn Krebel 1961war die Orgel sehr stark reparaturbedürftig und der Aumühler Kirchenvorstand recht wohlhabend. Er konnte zweierlei tun: Damals wurde gerade der Sportplatz geplant.Er sollte direkt neben der Kirche, im Anschluß an die Schule gebaut werden. Altrernativ war vorgeschlagen ihn an der Sach­ senwaldstrasse zu bauen, damit der Friedhof nicht gestört wurde, dafür mussten aber neue Zuwege geschaffen werden. Und so gab die Kirchengemeinde der Gemeinde 30.000,00 DM, damit sie ihren Sportplatz weiter hinten baute und nicht direkt neben dem Friedhof. Außerdem konnte man sich eine neue Orgel leisten und es wurde also die alte Orgel er­ setzt. Die war vorher, auch etwas wie Kino, versteckt in Nischen über den beiden Trep­ penhäusern eingebaut. Es gab damals zwei Treppenhäuser zur Empore und über jedem Treppenhaus war eine Nische in der Wand, aus denen heraus tönte die Orgel in die Kirche. Die damals weltbekannte Orgelbaufirma von Beckerat wurde gebeten, eine neue Orgel zu bauen. Und das war der erste neue Edelstein der späteren Gestaltung unserer Kirche. Denn die Orgel wurde genauso wie sie jetzt da steht, in die alte Kirche mit der großen Altarnische und der Säule in der Mitte hineingebaut. Sie nahm die Formensprache der Kir­ che in einer gewissen Weise auf, mit den Rundungen des Prospektes aber auch mit den klaren Linien der Orgelpfeifen, und fügte sich erstaunlich gut in diesen alten Raum ein. Obwohl einige Aumühler zunächst gar nichts hielten von einem Prospekt, sondern den Ni­ schen mit der unsichtbaren Orgel nachtrauerten Das ist ja immer so, das Neue muß sich erst durchsetzen und zeigen, daß es besser ist. An die Nischen hatte man sich gewöhnt, die störten den Rundraum nicht und man hatte da­ durch eine riesige schöne Chorempore die nur in der Mitte den Spieltisch der Orgel hatte. Das kann man auf dem Bild hier gut sehen. Die Empore wurde in der Nutzung etwas ein­ geschränkt durch die neue Form. Ds waren zunächst einige dagegen. Die Orgel hat sich, wie wir alle wissen, bestens bewährt. Unser Kirchenmusiker sagt, sie sei ein wunderbares Instrument. Die Orgel ist dann später noch erweitert worden um ein Schwellwerk, damit man auch moderne Musik auf ihr spielen kann. Modernere Musik als Bach oder Mozart. Die Orgel ist durch die Erweiterung sehr schön geworden und mit einem großen Konzert mit Bachs Magnifikat eingeweiht worden. Das war 1978. So jetzt zurück zur Baugeschichte: Pastor Ehrenforth hat den Mitteleingang geschaffen, die Altarnische verändert, die Beleuchtung umgestellt und eine neue Orgel eingebaut. Dann kam Pastor Arp hierher. Und Pastor Arp hatte die glückliche Fügung, daß gerade zu dem Zeitpunkt ein großer Kirchensteuereingang hier war. Damals ging nämlich noch von den Kirchensteuern ein Teil direkt an die Gemeinden. Der Eingang war viel höher als in anderen Jahren, weil jemand seinen Betrieb verkauft hatte und zwar einen relativ großen Betrieb. Damals trat man noch nicht aus der Kirche aus, wenn so etwas passierte, heute tut man das leider. Ein großer Geldsegen ergoß sich nun über Aumühle und machte es möglich den Turm für die Kirche in Kuddewörde zu finanzieren, bzw. besser gesagt ihr den Turm zu schenken, einen Kindergarten in und noch vieles mehr. Aber unab­ hängig davon ergab sich auch die Möglichkeit, die Kirche jetzt mal richtig anzufassen, wie man so schön sagt. Es gab damals einen sehr an architektonischen und künstlerischen fragen interessierten Kirchenvorstand, der an der Gestaltung der Kirche echtes Interesse hatte und das förder­ te. Man kam dann auf die Idee, daß man den Architekten Grundmann bitten wollte, der damals in Hamburg gerade sehr bekannt als Kirchenbauer war, ob er das nicht machen könne. Der Kirchenvorstand war damit einverstanden, daß man Herrn Grundmann bat und der kam her, guckte sich das an, schaute sich die alten Pläne und Beschlüsse an und sag­ te: „Oh das ist ja interessant, das ist ja gewissermassen von Elsässer, der ist mein Lehrer gewesen.“ Und er hatte sofort Lust mitzumachen. Er hat die Kirche dann so geschaffen, wie sie jetzt ist. Ich meine es ist eine der schönsten Kirchen im gesamten Umkreis. Das sie so schön ge­ worden ist, hängt damit zusammen, daß er das Problem der Kirche, einerseits Rundbau und andererseits gerichtet, perfekt gelöst hat. Es ist jetzt ein richtiger Rundbau und trotz­ dem ist in der Kirche selbst noch die Richtung erkennbar, nämlich die Richtung der Achse vom Friedhof durch die Kirche hindurch. Übrigens steht der Altar nicht in Richtung Os­ ten,sondern auf dieser Achse. Wäre er korrekt nach Osten ausgerichtet, müßte eigentlich weiter nach links gerückt sein. Die grosse Achseas hat er durch die Raumfalte aufgenom­ men, die durch das Dreieck über der früheren Altarnische und heute Taufkapelle gebildet wird.. Dadurch hat die Kirche eine klare Richtung und trotzdem ist sie endlich ein echter Rundbau geworden. Eine wie ich finde, perfekte Lösung. Außerdem sind das wieder Drei­ eck und Kreis. Damit nimmt er genau das auf, was die Ursprungsidee der Kirche war, nämlich eine runde Kirche auf einem dreieckigen Grundstück. Jetzt gab es eine runde Kir­ che mit einem dreieckigen Pfalz, der ihr eine Richtung gibt, und der die Gemeinde nicht nur auf die Mitte gucken läßt, sondern gleichzeitig auch nach vorn. Und genau das passier­ te jetzt auch. Sie hatte einen Pastor, der aus der Jugendarbeit kam, und es gab unglaublich viel Neues. Es gab einen neuen Organisten, in Gestalt von Herrn Wulf, der ganz moderne Musik auf dieser fabelhaften Orgel machte. Er hat bei vielen von uns, die hier sitzen, die Liebe zur modernen Orgelmusik, insbesondere französischer Orgelmusik geweckt. Es wurden be­ rühmte Organisten hierher eingeladen, die wunderbare Konzerte gaben. Grosse französi­ sche Improvisationskünstler spielten auf unserer Orgel. Er machte auch neue Musik mit dem Chor, nicht zum Vergnügen aller Choristen. Der Chor litt unter diesem Organisten, so muß man wohl sagen, denn die Chorarbeit litt darunter, dass er eben zu modern war, für das was hier auch von den jungen Leuten damals geschätzt wurde. Aber in der Orgelarbeit war er wunderbar. Und dann kam, glücklicherweise nicht so sehr viel später, Friedemann Schiebe und nun ging es mit der Kirchenmusik bergauf. Und das, was daraus geworden ist, konnte man heute im Gottesdienst hören. Ich meine, hörenswert. Eine fantastische Chorarbeit in einer so klöeinen Gemeinde am Rande der Grosstadt Hamburg. Kirchenmusik hat seither, seit 1969, einen ganz zentralen Stellenwert in dieser Gemeinde. Und das hängt auch mit der Kirche zusammen. Zum einen, weil sie eine hervorragende Orgel hat und zum anderen, weil sie eine fast ideale Chorakustik hat. Es gibt wenig Kir­ chen, in denen man so leicht singen kann, wie in Aumühle. Ich probiere das gerne aus, wenn ich reise. Ich stelle immer wieder fest, dass es ganz wenige Kirchen gibt, in denen Gesang so schön wie in der Aumühler Kirche klingt. Sie hat zwar relativ viel Hall, aber sie trägt jeden Sänger, auch wenn er eine etwas schwächere Stimme hat. Und deshalb macht das Chorsingen allen so viel Spaß. Die Kirche selbst hat also einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Chorarbeit. Aber das ist natürlich klar, ein Raum allein kann gar nichts bewir­ ken. Es müssen Menschen etwas darin tun. Und wir haben das Glück gehabt über 30 Jahre lang einen erstklassigen Kirchenmusiker gehabt zu haben. Aus der Zeit vor Herrn Schiebe erinnere ich nicht, ob es eine kirchenmusikalische Zu­ sammenarbeit zwischen Wohltorf und Aumühle gab, aber jedenfalls mit Herrn Schiebe gab es das. Es wurden doppelchörige Motetten aufgeführt, ein Chor Wohltorf, ein Chor Aumüh­ le. Ein großer Höhepunkt dieser Zusammenarbeit war die Aufführung der Mathäus Passion von Bach, die ja auch zweichörig ist, zur Verabschiedung von Herrn Stips hier in unserer Kirche, mit den Chören beider Gemeinden. Also, es gab wunderbare Chorkonzerte, es gab wunderbare Orgelkonzerte – die Kirche ist ein Schmuckstück auch musikalisch; weil in ihr alle Musik eben so schön klingt, und weil es fast jedem Spaß macht, in dieser Kirche Musik zu machen. Allerdings muß man erst herausfinden wie es geht. Das hat auch bei Herrn Schiebe lange gedauert, bis er heraus­ gefunden hat, wie es genau geht. Wo man sich hinstellen muss, damit man mit der Orgel harmoniert, wenn man z.B. Solo singt oder ein Instrument zusammen mit der Orgel spielt. Doch zurück zur Baugeschichte der Kirche. 1962 kam Pastor Arp, 1967 begann der Um­ bau. Dafür mußte erst der Gemeindesaal umgebaut werden, weil hier inzwischen der Got­ tesdienst stattfinden sollte. Auch damit wurde Grundmann beauftragt. Die Aumühler haben es mit den Architekten nicht so gut gemeint. Herr Eplenius, der den Auftrag schon hatte, die Kirche zu bauen, wurde dann durch den zweiten Wettbewerb ausgebootet und durfte nicht bauen. Der Architekt Baumann, der diesen Gemeindesaal geschaffen hatte, durfte ihn nicht umbauen, das machte Herr Grundmann. Die Architekten Bohnhof & Schöne, die die Kirche gebaute hatten, wurden auch wieder ausgebootet. Sie durften nicht umgestalten, das sollte Grundmann machen. Also die Aumühler haben an­ scheinend den Architekten gegenüber nicht so eine besonders freundliche Einstellung. Aber das Ergebnis spricht für sich und scheint zu rechtfertigen, was hier geschehen ist. Die Aumühler Kirche hat zwei ganz wesentliche Umgestaltungen damals erfahren, die Säu­ le kam weg. Aber damit verschwand nicht etwa die tragende Säule unseres Glaubens, die sie symbolisierte, sondern damit kam das in die Mitte, was eigentlich die Mitte sein soll. Wo versammelt sich denn die Gemeinde? Um Gottes Wort und Sakrament. Kirche ist immer da wo Gottes Wort rein gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden. Confessio Augustana VII. Nur da ist Kirche. Und das wird in dieser Kirche jetzt ganz deutlich. Die Sakramentsverwal­ tung steht in der Mitte. Sakrament und Wort gehören nun einmal zusammen. Denn wenn nur gepredigt wird, oder wie das Luther einmal gesagt hat, leeres Stroh gedroschen wird, dann kommt nichts dabei herum. Es muß auch gelebt werden. Und das wird gelebt im Sakrament. Die Gemeinde sammelt sich im Sakrament und lebt Gottes Wort,. Das ist genau das, was dieser Kirchenbau ausdrückt und sichtbar macht. Jetzt steht das Sakrament in der Mitte und die Kanzel ist dicht an den Altar herangerückt, sie steht nicht mehr vor dem Altar, sie steht auch nicht mehr neben dem Altar sondern sie ist an den Altar herangerückt. Dadurch wird das deutlich, was damal die große Überlegung war: Wie kriegen wir das wieder zu­ sammen, gottesdienstliche Feier und Wortverkündigung. Oder, wie können die Protestan­ ten sich ­ das würde mein Schwager Wolfgang Teichert sagen – das Ritual zurückerobern. All das wird in diesem Kirchenbau ganz deutlich. Ich finde diese Kirche ist ein hervorra­ gendes Beispiel für diese Überlegungen in den 60iger und 70iger Jahren unseres vorigen Jahrhunderts. In der Kirche, religiöse Feier, religiöse Emotionen und die protestantische Tradition der reinen Wortverkündung zusammen zu bringen, bleibt immer wieder eine grosse Aufgabe. Und die ist in unserer Kirche wunderbar gelöst. Das Ergebnis können wir da drüben sehen, es lohnt sich immer wieder es zu betrachten. So, was gilt es noch zun erwähnen aus den 75 Jahren? Nach dem großen Umbau ist nicht mehr viel Grosses passiert aber doch wesentliches. Es ist das Altarbild dazugekommen. Durch die Stiftung eines Aumühlers, der es immer ein bißchen schade fand, daß da hinten, wo wir jetzt diese Richtung durch die Raumfalte haben, nichts war. Es endete mit einer weißen Wand. Pastor Arp hat es mal mit modernen abstrakten Bildern versucht, das war aber keine überzeugende Lösung. Er hat selbst die Bilder dann in den hinteren Teil der Kirche „verbannt“. Probeweise hat man den Torso dort aufgehängt, der jetzt links von der Kanzel hängt. Der war aber da hinten viel zu klein. Das ging also auch nicht. Dann kam glücklicherweise der Stifter und stiftete das Geld für ein Altarbild. Dieses Werk ist bei Lioba Munz, einer Benediktinerin aus Fulda, in Auftrag gegeben worden. Es ist eine wunderschö­ ne Emaillearbeit. Die Künstlerin hat dafür lange gebraucht, denn es ist ein mühsames Ge­ schäft diese Emaille herzustellen. Erst nach drei Jahren war es fertig und ich finde es be­ reichert unsere Kirche sehr. Jetzt haben wir nicht nur das Sakrament in der Mitte, sondern wir haben auch bildlich den auferstandenen Christus immer vor Augen. Alle wichtigen Dinge in unserem kirchlichen Leben kommen zur Anschauung: Pfingsten mit dem Heiligen Geist in Gestalt des Wortes, Ostern mit dem auferstandenen erlösenden Christus, und das Sakrament in der Mitte als das, was alles zusammenfaßt. So ist das Innere unseres Kirchengebäudes ein wunder­ schönes Bild unserer Kirche. Hervorzuheben ist noch die Beleuchtung durch den großen Ring, der architektonisch ex­ trem wichtig ist, weil man sonst den Altar als Mitte nicht wirklich wahrnehmen würde. Es gibt aber auch immer noch Mängel an der Kirche, auch an dieser hier. Ein Mangel ist die Eingangsgestaltung, die zwar so schön gelungen ist, wie es überhaupt bei dieser Kirche möglich war. Aber die Stufe ist problematisch, die Beleuchtung ist problematisch und der Glaskasten, der in die Kirche hereinragt, ist problematisch. Man hat immer wieder darüber nachgedacht, ob man das ändern kann. Man kann es nicht ändern, es ist auch wenn sie nicht optimal ist, die beste aller möglichen Lösungen. Deshalb ist das beim grossen Umbau auch nicht verändert worden. Ich glaube diese Lösung stammt von Herrn Heyne. Es gibt dann noch weitere Mängel: Zum Beispiel, die Auftrittsstufe des Altars, auf der die Kniebänke liegen, ist schön groß, die Stufe zum Altar dagegen ist sehr klein. Ein gefährli­ ches Unterfangen für jeden Pastor, der das nicht gewohnt ist. Selbst Erfahrene, die die Kirche bestens kennen, wie Pastor Arp oder Pastor Laitenberger waren dann und wann mal in der Gefahr zu straucheln, was man ja keinem Pastor wünscht. Also haben wir überlegt, ob wir das ändern können. Zumal der große Altar in der Mitte wunderschön aber ein ganz klein bißchen zu hoch ist. Da ist zwar von den Gewichten her alles sehr wohl proportioniert aber er ist zu hoch. Wenn die Gemeinde auf den Bänken rechts und links sitzt, hat sie immer den Altar zwischen sich und den Gegenübersitzenden. Insofern trennt der Altar die Gemeinde, statt sie zusammenzuführen. Das ist auch einer der Gründe, weshalb dort kei­ ner sitzt. Der Kirchenvorstand hatte deshalb mal überlegt den Altar tiefer zu legen. Das ist aber technisch nicht zu machen. Auch die Auftrittsstufen kann man nur schwer ändern. Die Beleuchtung ist auch ein Problem. Das wissen wir alle. Wenn Herr Walter die Kirche so schön beleuchtet für den Abendgottesdienst, ist sie viel heimeliger als sonst. Also haben wir überlegt, ob wir die Beleuchtung ändern können. Es gibt dafür wunderbare Entwürfe von Herrn Kock, der ja den Altar, die Kanzel und den Taufstein geschaffen hat. Er hat auch eine Verkleidung für die Emporenvorderseite entworfen, die auch die Akustik verbessern soll. Leider ist das alles zur Zeit für uns zu teuer. Vielleicht schaffen wir das aber doch noch einmal irgendwann. Also es gibt noch Mängel vor allem die Akustik für das Wort. Es gibt aber auch immer wieder Überlegungen, die notwendig werden, weil sich das Ge­ meindeleben ändert. Der große Aufbruch der siebziger Jahre ist vorüber. Die Gemeinde ist kleiner geworden. das ist leider ganz eindeutig. Bei Pastor Gieseke war sie ganz klein. Dann war sie relativ groß. In den fünfziger Jahren hatten wir einen Kirchenbesuch von durchschnittlich 120 bis 130 Besuchern. Die Zeit der Achtundsechziger begann hier mit der berühmten Pfadfinderdemonstration anläßlich der Heldengedenkfeier am Ehrenmal. Damit kam sie nun auch nach Aumühle, die neue Zeit des sozalistischen oder besser sozialdemokratischen Aufbruchs. Von da ab ging der Kirchenbesuch leider kontinuierlich stark zurück. Es sind inzwischen nicht mehr durch­ schnittlich 120 sondern nur noch etwa bei 40 Besucher im normalen Sonntagsgottesdienst. Da muß man überlegen, ob die Innengestaltung der Kirche so noch richtig ist. Tatsächlich ist es ja so, daß normalerweise nur auf den Bänken vorm Altar in Richtung Eingang Got­ tesdienstbesucher sitzen. Der Reste der Kirche ist sozusagen unbevölkert. Darüber muß man mal nachdenken. Ist ein Kirchenraum dieser Größe für eine Gemeinde, wie sich sonn­ täglich hier normalerweise versammelt, noch richtig? Andere Zukunftsgedanken für diese Kirche sind schon teilweise verwirklicht, nämlich dadurch, daß wir sie zum Ort hin und den Gemeindesaal zu ihr hin geöffnet haben. Es ist keine reine Waldkirche mehr. Durch den neuen Kirchenweg ist die Kirche jetzt auch sichtbar, wenn man an ihr auf der Straße, z. B. auf der Börnsener Straße vorbeifährt. Früher war sie nicht sichtbar, sie war im Wald ver­ steckt und sollte auch versteckt sein, sie sollte Hhain sein, Heiliger Hain. Das war eine Vorstellung, die in dem Architektenwettbewerb von 1910 eine grosse Rolle spielte. Wir haben also die Kirche zum Ort hin geöffnet. Vielleicht müssen wir noch mehr tun, um sie den Menschen näher zu bringen und wir müßen darüber nachdenken, ob der Kirchen­ raum noch ganz zeitgemäß ist. Ich denke, wir haben mit dieser Kirche ein wirkliches Kleinod. Und alle die dieses Kleinod geschaffen haben, beginnend mit Pastor Gieseke und den Architekten Bohmhoff & Schö­ ne, dann für den Gemeindegebrauch verbessert von Pastor Ehrenforth , fortgesetzt mit dem Architekten Grundmann, dem Bildhauer Hans Kock und Pastor Arp durch den großen Umbau und dann, wie ich finde, noch einmal fortgesetzt durch Pastor Laitenberger, der ganz deutlich gemacht hat, daß diese Kirche eine Abendmahlskirche ist, die in den Ort hineinwirkt. Für ihn stand immer die Abendmahlsfeier im Mittelpunkt , weshalb wir eigent­ lich auch immer das Hochabendmahl gefeiert haben, mit weißen Gewändern. Aber viel­ leicht ist das ja auch eine Zeit, die vorbei ist. Vielleicht brauchen wir jetzt wieder das nüchterne und protestantische Wort mit dem Schwarzen Talar. Wir werden sehen, wie es in unserer Kirche weitergeht. Bisher hat sie 75 Jahre für den Ort segensreich gewirkt. Der Bau selbst hat segensreich gewirkt durch seine Gestaltung, durch seine musikalische Qualität und durch die Qualität seiner Orgel. Vor allem aber ist Segen gestiftet worden durch die Menschen, die in dieser Kirche gearbeitet und gelebt haben und die sich dort versammelt haben. Ich wünsche uns und unserer Gemeinde, daß das so weitergeht. Ich bin nicht wirklich bange darum, aber wir müssen uns darum bemühen. Und vielleicht helfen Sie alle mit. Auf weitere schöne Jahre mit unserer Aumühler Kirche. Es handelt sich um eine Mitschrift des Vortrages mit allen etwaigen Fehlern und Irrtümern.