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Biographie Prof. Dr. Hilde Benjamin

Biographie Prof. Dr. Hilde Benjamin

1/2004 Juristinnenbiographie

BiographieProf. Dr. Hilde Benjamin

Bei der Auseinandersetzung mit der Person Hilde Benjamin steckt die/der kriti- sche JuristIn in einer Bredouille. Bewegt sich das Spektrum der Einschät- zungen doch meist zwischen den Extremen grenzenloser Verdammung oder blinder Idealisierung. Mit dieser Biographie sei ein differenzierter Blick auf diese eindrucksvolle Frau versucht.

Hilde Benjamin wurde am 5. Febru- Ihre Kanzlei wurde größer und 1932 ar 1902 in Bernburg als Helene Ma- trat Dr. Götz Berger als Sozius ein. rie Hildegard Lange und Tochter ei- (Berger setzte sich später in der DDR ner gutbürgerlichen Familie geboren. für Robert Havemann ein und erhielt Sie wuchs in auf und besuchte dafür ein Berufsverbot.) Noch in ho- in Steglitz das Lyzeum. Von 1921 bis hem Alter erinnerte sich Berger gern 1924 studierte sie Rechtswissenschaft an die Zusammenarbeit mit Hilde kaum Hilfe zu erwarten hatten. an den Universitäten Berlin, Heidel- Benjamin. Sie habe sich durch ihren Nach dem Berufsverbot konnte berg und und schloss ihre Mut und ihre Entschlossenheit sowie sie, wegen ihrer guten Russisch- Ausbildung 1927 mit dem Assessor- durch ihre menschliche Herzlichkeit kenntnisse, als juristische Beraterin Examen ab. Politisiert wurde Hilde ausgezeichnet. der Sowjetischen Handelsgesellschaft Benjamin durch die Novemberrevo- Berlin arbeiten bis sie 1939 als An- lution und insbesondere durch die Antifaschistin gestellte in der Konfektionsindustrie Ermordung von Rosa Luxemburg und im Nationalsozialismus dienstverpflichtet wurde. Karl Liebknecht. Während des Stu- diums war sie Mitglied des Soziali- Bereits im März 1933 wurde Hilde Funktionärin in der DDR stischen Studentenbundes; 1924/25 Benjamin die Anwaltszulassung ent- war sie in der SPD; 1927 trat sie in zogen. Ihr Mann, Georg Benjamin, Nach dem Krieg siedelt Hilde Benja- die KPD ein. den sie 1926 geheiratet hatte, wurde min in den sowjetischen Sektor Ber- als Jude verhaftet und bis Weihnach- lins um und wird bereits im Mai 1945 Anwältin in der ten 1933 in „Schutzhaft“ genommen. als Oberstaatsanwältin in Berlin- Weimarer Republik Das bedeutete im Klartext: die Ver- Lichterfelde eingesetzt. bringung ins KZ Sonnenburg. 1936 1946 tritt sie der SED bei und Im April 1928 wird Hilde Benjamin wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus beginnt eine steile Funktionärs- Rechtsanwältin in Berlin-. verurteilt und nach Verbüßung der karriere. Als Leiterin der Personalab- Mit vollem Einsatz und nahezu be- Haft ins KZ Mauthausen überstellt, teilung in der Justizverwaltung treibt dingungslos setzte sie sich auch im wo er 1942 an einem Starkstrom- sie die Entnazifizierung der JuristIn- Beruf für ihre Partei, die KPD, ein. schlag starb. Für Hilde Benjamin war nenschaft energisch voran. Zur Auf- Zudem arbeitete sie mit der Roten klar, dass ihr Mann ermordet wurde, füllung der dadurch entstandenen Hilfe Berlin zusammen. Als Strafver- trotz der Behauptung der KZ-Leitung, enormen Personallücke forcierte Hil- teidigerin und Anwältin in Arbeits- er hätte Selbstmord begangen. de Benjamin die Einsetzung von rechtssachen engagierte sie sich vor Hilde Benjamin war somit wäh- „VolksrichterInnen“ und „Volks- allem für Parteifreunde und mittello- rend des Nationalsozialismus allein- staatsanwältInnen“, die in Schnell- se ArbeiterInnen. 1930 wurde sie im erziehende Mutter für ihren 1932 ge- kursen das juristische Handwerk er- viel beachteten „Mordfall Horst borenen Sohn Michael Benjamin. lernen sollten. Ihr Ziel war dabei die Wessel“ aktiv, indem sie eine Ange- Trotz dieser Schwierigkeiten half sie Schaffung eines neuen „Richtertyps“: klagte verteidigte und als „weiblicher u.a. jüdischen Mitmenschen, die von Der „parteiliche Richter“ im Dienste Verteidiger“ die Presse beschäftigte. der übrigen „deutschen“ Bevölkerung des proletarischen Staates war das

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Ziel. Daneben sollte aber auch das Von 1949 bis 1967 war Hilde Eine solche Bilanz konnte sicher Männermonopol auf Richterstellen Benjamin Mitglied der auch der eine oder andere männliche durchbrochen werden. Bereits Anfang und von 1954 bis zu ihrem Tode Mit- Kollege vorweisen, doch nur die Frau der 60er Jahre betrug der Richter- glied des Zentralkomitees (ZK) der Hilde Benjamin kam zu ihrer heuti- innenanteil in der DDR über 30 Pro- SED. 1952 wurde sie zur Ehrendok- gen Berühmtheit als DDR-Richterin. zent. torin der Humboldt-Universität zu Bei aller berechtigten Kritik, auf sie Nach Gründung der DDR wird Berlin ernannt. wurde ganz besonders kritisch ge- Hilde Benjamin Vizepräsidentin des schaut und sie diente konservativen Obersten Gerichts der DDR, bis sie Die „Rote Hilde“ Kreisen als Musterfeindbild. Sie war 1953 zur Justizministerin ernannt nicht nur Kommunistin und diente wird. Die Ernennung wurde möglich, Hilde Benjamin wird heute zumeist einem „Unrechtsstaat“, an ihr konnte nachdem Vorgänger Fechner von der auf ihre extreme Härte als Richterin auch gezeigt werden, wohin es führt, SED-Führung entfernt wurde. Fech- in politischen Strafprozessen der wenn sich eine Frau einen Anzug an- ner machte nach dem 17. Juni 1953 DDR-Justiz reduziert und im anti- zieht, Krawatte trägt und sich in den „Fehler“, gegenüber dem Zentral- kommunistischen Konsens als „Rote männliche Domänen vorwagt. organ der SED, Neues Deutschland, Hilde“ bezeichnet. Angeklagte in den Dass Kritik an Hilde Benjamin – das Streikrecht für verfassungsgemäß besagten Prozessen waren zumeist losgelöst von konservativen-antikom- zu erklären und wurde daraufhin als Alt-Nazis, tatsächliche und vermeint- munistischen Vorurteilen – berechtigt „Feind der Partei“ verhaftet. Hilde liche „Wirtschaftssaboteure“ oder ist, sei exemplarisch an den wohl be- Benjamin übernahm danach die juri- auch so harmlose „Republikfeinde“ kanntesten politischen Prozessen der stische „Aufarbeitung“ der Ereignis- wie Zeugen Jehovas. Doch die Tatsa- DDR, den Waldheimer Prozesse von se im Sinne der SED. So übernahm che, dass die große Masse der Verur- 1950, aufgezeigt. Hilde Benjamin sie persönlich die Instruierung der teilten tatsächlich als VerbrecherInnen identifizierte sich voll mit der politi- unteren Gerichte, um eine schnelle angesehen werden dürfte, kann kei- schen Justiz der DDR und war auch Aburteilung der „faschistischen Pro- nesfalls beruhigen. Hilde Benjamin an den Waldheimer Prozessen betei- vokateure“ sicherzustellen. 1967 war trat als Vorsitzende Richterin des 1. ligt. sie selbst nicht mehr als Ministerin Strafsenats des Obersten Gerichts der Vor eigens dafür eingerichteten erwünscht und musste zurücktreten. DDR streng auf und handelte nach Sondergerichten wurden damals ca. Nachdem die strikte ihrem Grundsatz der „parteilichen 3.400 Gestapo-Mitarbeiter, NS-Funk- Härte einer Hilde Benjamin sehr zu Richterin“. Ihre Härte begründete sie tionäre, KZ-Personal aber auch eini- schätzen wusste, hielt er sie als „Sta- folgerichtig auch mit der Notwendig- ge wenig bis gar nicht belastete Per- linistin“ nun nicht mehr für zeitgemäß keit des Schutzes der DDR. Anklagte sonen verurteilt. und ließ sie fallen. Sie übernahm nun mussten sich bspw. bei ihr unwürdi- Alles begann mit einem Brief des den Lehrstuhl für Geschichte der ger Verhöre unterziehen. Die Bilanz Vorsitzenden der Sowjetischen Kon- Rechtspflege am Institut für Straf- ihrer Richterinnentätigkeit von 1949 trollkommission in Deutschland, Ar- rechtspflege und Kriminalitätsbe- bis 1953 beinhaltet 67 Verurteilungen, meegeneral Tschujkow. In diesem kämpfung an der Deutschen Akade- darunter zwei Todesurteile, 15 lebens- Brief wurde das weitere Verfahren mie für Staats- und Rechtswissen- längliche Haftstrafen und insgesamt bezüglich der in Speziallagern inter- schaften in Potsdam-Babelsberg. ca. 550 Jahre Zuchthaus. nierten Alt-Nazis festgelegt: 15.038 Personen sollten entlassen, 10.513 bereits verurteilte Personen an DDR- Gefängnisse übergeben und 3.432 noch nicht verurteilte Personen der DDR-Justiz zur Verurteilung überge- ben werden. Weitere besonders bela- stete 649 Personen sollten in sowjeti- scher Hand verbleiben. Die Verur- teilung der 3.400 Inhaftierten war damit bereits beschlossen und wur- Waldheim mit Zuchthaus de vom Innen- und Justizministeri-

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Selbst im Strafrecht sorgte Hilde Benjamin für Fortschritte. Die Lei- tung der Kommission für ein neues Strafgesetzbuch wurde ihr als „Trost- pflaster“ nach ihrem „Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen“ vom Mi- nisterposten belassen. So setzte sie z.B. durch, dass das StGB teilweise von überholten Moralvorstellungen befreit wurde (u.a. bezüglich homo- sexueller Handlungen oder dem Ver- bot der Abtreibung). Bezüglich des Hilde Benjamin (Mitte) als Vizepräsidentin des Obersten Gerichts bei einer politischen Strafrechts sorgte sie frei- der wenigen „öffentlichen Verhandlungen“ in Waldheim, Juni 1950 lich für eine weitere Verschärfung und um auf Weisung der SED vorberei- ren; 1.829 Haftstrafen zwischen 15 die Beibehaltung der Todesstrafe. tet. An diesen Vorbereitungen war und 25 Jahren; 146 lebenslängliche Am 18. April 1989 starb Hilde Hilde Benjamin als Vertreterin des Haftstrafen und 32 Todesurteile (24 Benjamin in Berlin. Justizministeriums beteiligt. Wesent- davon wurden vollstreckt). Zwischen Karl Kadi liches Ergebnis dieser Vorbereitungs- 1952 und 1956 gab es immer wieder gespräche war, dass die Verfahren Begnadigungen, so dass nach 1956 schnell durchgezogen werden sollten nur noch 30 Verurteilte tatsächlich Literatur zum Weiterlesen: und die Schuldsprüche denen der so- inhaftiert blieben, wobei 470 Men- • Brentzel, Marianne, Die Machtfrau: Hilde wjetischen Militär-Tribunale ähneln schen in der Haft starben. Benjamin 1902 - 1989, 1997 sollten, zumindest aber Haftstrafen • Eisert, Wolfgang, Die Waldheimer Prozes- von 10 Jahren nicht unterschritten Die „andere“ Hilde se. Der stalinistische Terror 1950. Ein dunk- werden sollten. Die sowjetischen Tri- les Kapitel der DDR-Justiz, 1993 bunale hatten in der Regel 25jährige Hilde Benjamin war Mitbegründerin • Feth, Andrea, Hilde Benjamin – Eine Bio- graphie, 1997 Haftstrafen verhängt. Die Richter- des Demokratischen Frauenbundes der DDR und setzte sich im Rahmen • Otto, Wilfriede, Die Waldheimer Prozesse, Innen bei den Prozessen mussten be- DuR 1992, S. 396 ihrer Kompetenzen für die Rechte der sonders treue SED-Mitglieder sein, • Otto, Wilfriede, Die „Waldheimer Prozes- Frauen ein. Bereits Anfang der 50er die sich den Parteiweisungen bedin- se“ 1950. Historische, politische und juri- gungslos unterwerfen würden. Die Jahre stritt sie für ein fortschrittliches stische Aspekte im Spannungsverhältnis RichterInnen wurden angewiesen, Familiengesetzbuch auf der Grundla- zwischen Antifaschismus und Stalinismus, 1993 täterInnenbezogen zu urteilen und ge der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Schließlich gab es 1965 tat- • Rottleuthner, Helmut (Hrsg.), Steuerung der nicht tatbezogen. Das heißt, auf Be- Justiz in der DDR. Einflussnahme der Po- sächlich einen Entwurf für ein Fami- weismaterial etc. sollte es nicht ent- litik auf Richter, Staatsanwälte und Rechts- liengesetz unter Federführung von scheidend ankommen. anwälte, 1994 Die Masse der Verfahren fand Hilde Benjamin. Der Entwurf wurde • Schneider, Heinz-Jürgen / Schwarz, Erika / unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter reger Beteiligung öffentlich dis- Schwarz, Josef, Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands, 2002, S. 86 f. statt. Lediglich 10 Verfahren wurden kutiert. Es gab 23.737 registrierte Änderungsvorschläge aus der Bevöl- • Werkentin, Falco, Politische Strafjustiz in als Schauverfahren initiiert. Die Öf- der Ära Ulbricht, 1995 kerung, wovon 230 (nicht nur redak- fentlichkeit wurde durch ausgewähl- • Werkentin, Falco, Die „Waldheimer Pro- tionelle Änderungen) tatsächlich in te Funktionäre gestellt und der Ablauf zesse“ der Jahre 1950/52, in: Materialien des Prozesses wurde genauestens ge- der Endfassung des Gesetzes berück- der Enquete-Kommission. Aufarbeitung plant und vorher gar geprobt. sichtigt wurden. Das Gesetz enthielt von Geschichte und Folgen der SED-Dik- tatur in Deutschland (12. Wahlperiode des Es dauerte ungefähr 2 Monate, u.a. die Gleichstellung ehelicher und nicht-ehelicher Kinder, die Reform Deutschen Bundestages), hrsg. vom Deut- bis sämtliche 3.400 „Verfahren“ schen Bundestag, 1995, Band IV, S. 849 des Scheidungs- und Namensrechts durchgeführt waren. Das Ergebnis: ff. 385 Haftstrafen unter 10 Jahren; 916 sowie die Förderung der Berufstätig- Haftstrafen zwischen 10 und 15 Jah- keit der Frauen.

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