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E 10934 Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

Aus dem Inhalt: 2 02 Vom Werbeverbot zum Werberecht 56. Jahrgang (1902 -1989) Das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess Strafverfahrensbeschleunigung durch Rechts- mittelbeschränkung? Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden (Stand: 1.1.2002)

Aus dem Rechtsprechungsteil: – VerfG : Unzulässigkeit der Kita- Volksinitiative – BGH: Zur Vereinbarung der Ehegatten über die Behandlung angleichungsdynamischer Anrechte beim Versorgungsausgleich – OLG Jena: Ermittlung des ortsüblichen Entgelts nach der NutzEV – BVerwG: Zur Rechtsnachfolge der JCC bei einer Unternehmensrestitution – OVG Frankfurt (Oder): Zum Verbot einer rechts- extremistischen Versammlung – BAG: Nachwirkung einer tariflichen Regelung nach Betriebsübergang und Ablösung durch eine Betriebsvereinbarung NJ Seiten 57-112 NOMOS In diesem Heft …

Herausgeber: AUFSÄTZE S. 57 Prof. Dr. Peter-Alexis Albrecht Universität Frankfurt a.M. Vom Werbeverbot zum Werberecht Prof. Dr. Marianne Andrae Michael Kleine-Cosack ...... 57 Universität Potsdam Hilde Benjamin (1902 -1989) Dr. Bernhard Dombek Andrea Feth ...... 64 Rechtsanwalt und Notar, Berlin Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Dr. Uwe Ewald NEUE RECHTSVORSCHRIFTEN S. 68 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess Dr. Rainer Faupel Gerd Laudemann Staatssekretär a.D., Potsdam/Berlin Georg Herbert Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Ernst Gottfried KURZBEITRÄGE S. 73 Mahrenholz Vizepräsident des Strafverfahrensbeschleunigung durch Rechtsmittelbeschränkung? Bundesverfassungsgerichts a.D., Peter Scharf und Christian Kropp ...... 73 Karlsruhe Von der Harmonisierung harmonischer Strafobergrenzen – eine Glosse Dr. Wolfgang Peller Uwe Scheffler ...... 75 Berlin Prof. Dr. Martin Posch Rechtsanwalt, Jena Karin Schubert Ministerin der Justiz des INFORMATIONEN S. 76 Landes Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Jürgen Schwarze Universität Freiburg RAK-REPORT S. 79 Prof. Dr. Horst Sendler Präsident des Bundesverwaltungsgerichts a.D., Berlin DOKUMENTATION S. 81 Dr. Dr. theol. h.c. Helmut Simon Bundesverfassungsrichter i.R., Empfehlungen des 14. Deutschen Familiengerichtstages ...... 81 Karlsruhe Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden (Stand: 1.1.2002) ...... 84 Manfred Walther Rechtsanwalt, Berlin Dr. Friedrich Wolff Rechtsanwalt, Berlin RECHTSPRECHUNG S. 85

01 Verfassungsrecht BGH: Zum insolvenzrechtlichen Aussonderungsrecht BVerfG: aufgrund von Räumungs- und Herausgabe- Zur Auslegung der Wiedereinsetzungsvorschrift ansprüchen (Biehl)...... 95 des § 45 Abs. 3 VwVfG ...... 85 BGH: VerfG Brandenburg: Zur Vereinbarung der Ehegatten über die Unzulässigkeit der Kita-Volksinitiative Behandlung angleichungsdynamischer Anrechte (Wolnicki) ...... 86 beim Versorgungsausgleich (Friederici) ...... 96 BGH: 02 Bürgerliches Recht Insolvenzfestigkeit eines künftigen, vor Eröffnung BGH: des GesO-Verfahrens durch eingetragene Vormer- Zur Amtshaftung einer Gemeinde bei kung gesicherten Auflassungsanspruchs (Ls.) . . . . 97 Falschauskunft bzgl. der Erschließung eines BGH: Kaufgrundstücks (Lühmann) ...... 88 Angaben über Mieterträge als Zusicherung BGH: einer Eigenschaft bei freiwilliger Versteigerung Zur Abtretung des Schadensersatzanspruchs eines Grundstücks (Ls.) ...... 97 für beschädigtes und später veräußertes BGH: Grundstück (Winkler) ...... 90 Zur Auswahl der Bieter durch öffentlichen BGH: Auftraggeber von Bauleistungen (Ls.) ...... 97 Neue Justiz Anspruch auf sog. Identitätserklärung bei OLG Brandenburg: Zeitschrift für Rechtsentwicklung wegen Parzellenverwechslung fehlerhafter Keine erhöhte Betreuervergütung aufgrund und Rechtsprechung in den Auflassungserklärung (Maskow)...... 90 einer in der DDR erworbenen Hochschulaus- Neuen Ländern BGH: bildung als Diplom-Staatswissenschaftler ...... 97 Zum öffentlichen Auftrag iSv § 99 Abs. 1 GWB OLG Jena: 56. Jahrgang, S. 57-112 und zur Wirksamkeit von Beschlüssen der Ermittlung des ortsüblichen Entgelts nach Vergabekammer (Ls.) ...... 93 der NutzEV (Matthiessen)...... 98 BGH: OLG Naumburg: Bereicherungsansprüche des Mieters Zur entsprechenden Anwendung von § 176 ZPO wegen Bebauung fremder Grundstücke im notariellen Vermittlungsverfahren nach NJ 2/02 (Hochheim)...... 93 §§ 87 ff. SachenRBerG ...... 99 I In diesem Heft …

OLG Naumburg: OVG Berlin: Redaktion: Zur Zustellungsvollmacht des beurkundenden Keine »erhebliche Unterbrechung« iSd § 38 Rechtsanwältin Adelhaid Brandt Notars bzgl. des Bescheids über Genehmigung Abs. 2 BBesG infolge Übernahmeverfahren (Chefredakteurin) einer Grundstücksveräußerung (Ls.) ...... 101 früherer DDR-Richter ...... 107 Barbara Andrä OLG Naumburg: OVG Greifswald: Dr. Ralf Poscher Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechts- Voraussetzungen für Ordnungsmaßnahme Redaktionsanschrift: anwalts im vereinfachten Verfahren (Ls.) ...... 101 »Überweisung in eine andere Schule« (Ls.) ...... 108 Anklamer Str. 32, 10115 Berlin OLG Jena: OVG Frankfurt (Oder): Tel.: (030) 4 42 78 72/-73 Erhöhte Betreuervergütung aufgrund Hoch- Zum Verbot einer rechtsextremistischen Fax: (030) 4 42 53 14 schulausbildung als Diplom-Pädagoge (Ls.) ...... 101 Versammlung (Rossi) ...... 108 e-mail: [email protected] 03 Strafrecht 05 Arbeitsrecht Internetadresse: http://www.nomos.de/nomos/ OLG Naumburg: BAG: zeitschr/nj/nj.htm Sofortige Beschwerde als zulässiges Rechtsmittel Keine bezahlte Freistellung bei Niederkunft der Staatsanwaltschaft gegen Ablehnung des der nichtehelichen Lebensgefährtin (Ls.)...... 109 Erscheinungsfolge: einmal monatlich Widerrufs der Strafaussetzung auf Bewährung BAG: Bezugspreise: (Artkämper) ...... 102 Nachwirkung einer tariflichen Regelung nach Jahresabonnement 108,– € OLG Brandenburg: Betriebsübergang und Ablösung durch eine inkl. Jahrgangs-CD-ROM 139,– € Keine strafrechtliche Rehabilitierung bei selb- Betriebsvereinbarung (Lakies) ...... 109 jeweils inkl. MwSt., zzgl. Porto und ständigem Einziehungsbescheid eines DDR- LAG Chemnitz: Versandkosten Grenzzollamts (Ls.) ...... 102 Urlaubsanspruch eines angestellten Lehrers Vorzugspreis: (gegen Nachweis) im Anschluss an Rehabilitationsmaßnahme € 04 Verwaltungsrecht (Ls.) ...... 111 für Studenten jährl. 30,– BVerwG: inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand- LAG Berlin: kosten Eintragung eines Genehmigungsvorbehalts Gegenstandswert bei Freistellungsverein- nach § 11c VermG und US-Pauschalentschä- barung im Kündigungsrechtsstreit (Ls.)...... 111 Einzelheft: 12,– € inkl. MwSt., digungsabkommen (Gruber) ...... 103 LAG Berlin: zzgl. Porto und Versandkosten BVerwG: Streitwert bei Anrechnung einer tariflichen Bestellungen beim örtlichen Buch- Zur Auswahl der Bewerber um einen Beförde- Abfindung auf eine Abfindung nach §§ 9 f. handel oder direkt bei der NOMOS rungsdienstposten (Ls.) ...... 104 KSchG (Ls.) ...... 111 Verlagsgesellschaft Baden-Baden. BVerwG: Abbestellungen bis jeweils Zur Genehmigung einer vollmachtlosen Anmel- 07 Berufsrecht 30. September zum Jahresende. dung eines Restitutionsanspruchs (Ls.) ...... 104 BGH: Verlag, Druckerei, Anzeigenver- BVerwG: Zulässige Einladung der Anwaltskanzlei zu waltung und Anzeigenannahme: Vermögenszuordnung eines auch als Gaststätte einer Informationsveranstaltung mit Imbiss Nomos Verlagsgesellschaft genutzten Vereinshauses eines Kleingarten- (Ls.) ...... 112 Waldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden, vereins (Ls.) ...... 104 BGH: Tel.: (0 72 21) 21 04-0 BVerwG: Zur gerichtlichen Überprüfung einer Entlassung Fax: (0 72 21) 21 04-27 Zur Restitution der von einer Schädigungs- aus dem Richterverhältnis auf Probe wegen Urheber- und Verlagsrechte: maßnahme betroffenen erbrechtlichen Mit- fehlender persönlicher Eignung (Ls.) ...... 112 Die in dieser Zeitschrift veröffentlich- berechtigung am Grundstück (Schmidt) ...... 104 BGH: ten Beiträge sind urheberrechtlich BVerwG: Unzulässigkeit der Wiederbesetzung einer geschützt. Das gilt auch für die veröf- Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungs- Notarstelle wegen Gefährdung der Lebens- fentlichten Gerichtsentscheidungen akts und Jahresfrist im vermögensrechtlichen fähigkeit anderer Notarstellen (Ls.)...... 112 und ihre Leitsätze; diese sind geschützt, Verfahren (Ls.)...... 105 BGH: soweit sie vom Einsender oder von BVerwG: Zur dienstlichen Beurteilung eines Richters der Redaktion erarbeitet und redigiert Zur Rechtsnachfolge der JCC bei einer Unter- (Ls.) ...... 112 worden sind. Kein Teil dieser Zeit- nehmensrestitution (Kolb) ...... 105 schrift darf ohne vorherige schriftliche BVerwG: Zustimmung des Verlags verwendet Termine ...... III Entschädigungsberechtigung bei faktischer werden. Das gilt insbesondere für Enteignung beweglicher Sachen durch das Aktuelle Buchumschau ...... III Vervielfältigungen, Bearbeitungen, MfS (Ls.) ...... 107 Zeitschriftenübersicht ...... VII Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbei- tung in elektronischen Systemen. ISSN 0028-3231

Redaktionsschluss: 16. Januar 2002

Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

56. Jahrgang, S. 57-112

NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie in der Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax (0 30) 4 42 53 14 NJ 2/02 II TERMINE AKTUELLE BUCHUMSCHAU

Der Deutsche Mietgerichtstag findet am 1. und 2. März 2002 in Dort- Wolfgang Thierse mund statt und steht unter dem Titel Zukunft Ost »Das Mietrecht im Schnittpunkt der Reformen«. Perspektiven für Ostdeutschland in der Mitte Europas Es wird u.a. zu folgenden Themen referiert: Rowohlt Verlag, Berlin 2001 • Schuldrechtsreform und Mietrecht (Ref.: Dr. F. Graf von Westfalen) 160 S., geb., 14,90 €. ISBN 3-87134-442-7 • Aktuelle Probleme der Mietrechtsreform (Ref.: VorsRiLG a.D. Prof. »Der Osten steht auf der Kippe« – mit dieser provozierenden These hat Dr. F. Sternel/RiAG U. Börstinghaus) Bundestagspräsident Wolfgang Thierse Anfang 2001 eine erregte • Das neue Wohnungsbaureformgesetz (Ref.: MinDg Prof. Dr. Söfker) Debatte über die Lage Ostdeutschlands ausgelöst. Der Autor nimmt • Rechtsmittel im Mietprozess nach der ZPO-Reform (Ref.: RiBGH Ball) diese Kontroverse zum Anlass, neue Ideen, Vorschläge und Perspek- Die Arbeitskreise befassen sich mit folgenden Schwerpunkten: tiven für die Zukunft in Ostdeutschland zu entwickeln. Er fordert, • Rechtliche Probleme der Barrierefreiheit (AK 1) nicht bei der Aufrechnung von Licht und Schatten stehen zu bleiben, • Das Gebot der Wirtschaftlichkeit (AK 2) sondern Illusionen zu überwinden und Kurskorrekturen zu wagen. • Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts als Partei gewerblicher Miet- verträge (AK 3) • Aktuelles Thema (AK 4) Hans Herbert von Arnim • Die Kaution bei Vermieterwechsel und Zwangsverwaltung (AK 5) Das System • Mietdatenbanken (AK 6) Die Machenschaften der Macht Tagungsort: Kongresszentrum Westfalenhallen, Goldsaal, Rheinland- Verlagsgruppe Droemer Weltbild, München 2001 damm 200, Dortmund 440 S., geb., 22,90 €. ISBN 3-426-27222-9 Tagungsgebühr: 140 € für Mitglieder des Deutschen Mietgerichtstages e.V., Im rechtlichen Untergrund ist aus den Volksvertretern die »politische 200 € für Nichtmitglieder (inkl. Mittag- u. Abendessen am 1.3.2002) Klasse« geworden, die ein Netzwerk geknüpft hat, das allmählich Anmeldung und weitere Informationen: Deutscher Mietgerichtstag e.V., unsere demokratische Ordnung überwuchert. Wie konnte es dahin Postfach 021041, 10121 Berlin. Fax: (030) 223 23 46; e-mail: anmel- kommen? Der Autor enthüllt die Strukturen, analysiert unerbittlich [email protected] Entstehung und Wirkung der dunklen Seite der Macht, legt die Funk- tionsweise des Schattensystems bloß und schärft damit den Blick für * die Kluft, die sich zwischen dem Verfassungsideal und den tatsäch- Der 26. Strafverteidigertag vom 8. bis 10. März 2002 in Mainz steht lichen Verhältnissen aufgetan hat. unter dem Thema »Sicherheit durch Strafe? – Öffentlicher Strafanspruch zwischen Corinna Böllhoff Legalitätsprinzip und Opferinteresse«. Das Rechtsmittelverfahren vor dem Gerichtshof Die einzelnen Arbeitsgruppen behandeln folgende Schwerpunkte: der Europäischen Gemeinschaften • AG 1: Opferinteressen im Strafprozess – zentral oder marginal? – Ein Streitgespräch zur Nebenklage Verfahren, Prüfungsumfang und Kontrolldichte • AG 2: Lebenslanges Wegsperren Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2001 € • AG 3: Vermeidung von Untersuchungshaft durch frühzeitige Vertei- 259 S., brosch., 45,– . ISBN 3-7890-7304-0 digermitwirkung Die Arbeit analysiert die Rechtsmittelrechtsprechung des EuGH. • AG 4: Zuviel Bewährung? – Bewährung in (elektronischen Fuß-)Fes- Im Mittelpunkt steht dabei die Ausgestaltung des auf Rechtsfragen seln? – Mehr Bewährung? beschränkten Prüfungsumfangs durch den Gerichtshof und ihre • AG 5: Die Reform des Strafprozesses Bewertung. Berücksichtigt wurden auch die auf der Regierungskonfe- • AG 6: Gefahr in Verzug und Aushöhlung des Richtervorbehalts renz von Nizza beschlossenen Reformen. Tagungsort: Kurfürstliches Schloss, Peter-Altmeier-Allee, 55116 Mainz Tagungsgebühr: 200 € für Mitglieder, 235 € für Nichtmitglieder, 180 € Rudolf Beuermann/Dieter Blümmel für junge Kollegen (Zul. bis 3 Jahre), 95 € für Referendare u. Studenten Das neue Mietrecht 2001 Anmeldung und weitere Informationen: Strafverteidigervereinigungen, Grundeigentum-Verlag, Berlin 2001 Organisationsbüro, Mommsenstr. 45, 10629 Berlin. Tel.: (030) 310 426 S., brosch., 30,– €. ISBN 3-926773-79-0 182 18, Fax: (030) 310 182 19, e-mail: strafverteidiger.vereinigungen Die Autoren informieren praxisnah und ausführlich über das gesamte, @epost-de zum 1.9.2001 reformierte Mietrecht. Das Werk enthält den neuen * Gesetzestext und für jede Vorschrift eine übersichtliche Gegenüber- Die 4. Speyerer Planungsrechtstage werden von der Deutschen stellung des alten und des neuen Rechts, eine kurze Kommentierung Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer vom 13. bis der jeweiligen Änderungen und die Begründung des Gesetzgebers. 15. März 2002 veranstaltet. Abgedruckt sind zudem alle Materialien des Gesetzgebungsverfahrens und tabellarische Übersichten der Übergangsvorschriften. Ziel der Veranstaltung ist es, aktuelle Probleme des Fachplanungsrechts aus der Sicht der Praxis vorzustellen und zu diskutieren., Die Veran- staltung besteht aus zwei Teilen: dem Speyerer Luftverkehrsrechtstag Karlheinz Muscheler am 13.3. und den 4. Speyerer Planungsrechtstagen vom Nachmittag Das Recht der Eingetragenen Lebenspartnerschaft des 13.3. bis zum 15.3.2002. Begründung – Rechtsfolgen – Aufhebung – Faktische Partnerschaft Als Themen sind u.a. geplant: Erich Schmidt Verlag, Bielefeld 2001 • Aktuelle Probleme des Schutzes vor Fluglärm aus Sicht der Rechtswis- 322 S., kart., 49,80 €. ISBN 3-503-06032-4 senschaft und der Lärmwirkungsforschung Der Autor betrachtet das Institut der Lebenspartnerschaft in rechts- • Die Beteiligungsrechte der kommunalen Gebietskörperschaften in vergleichender und -politischer Perspektive, bewertet es verfassungs- luftrechtlichen Genehmigungs- und Normsetzungsverfahren rechtlich und klärt die für die Kommentierung des LPartG zentralen • Neuere Rechtsprechung des BVerwG zum Fachplanungsrecht der Begriffe. Im Einzelnen werden die Voraussetzungen für die Begründung Flugplätze und Schienenwege einer wirksamen Lebenspartnerschaft und die vermögens- und per- • Aus der Rechtsprechung des 4. Senats des BVerwG sonenrechtlichen Wirkungen der Lebenspartnerschaft vermittelt. • Privatnützige Planfeststellung • Gestaltungsspielräume im Planfeststellungsverfahren und im Plan- feststellungsbeschluss für die planfeststellende Behörde Ludwig Kroiß • Das Verhältnis von Raumordnungs- und Regionalplanung zur Ver- Das neue Zivilprozeßrecht kehrswegeplanung Deutscher Anwaltverlag, Bonn 2002 • Aufhebung von Planfeststellungsbeschlüssen 235 S., brosch., 35,– €. ISBN 3-8240-0504-2 • Die Bedeutung Neuer Medien für das Planfeststellungsverfahren Der Autor gibt einen umfassenden Überblick über die zum 1.1.2002 in Anmeldung und weitere Informationen: Deutsche Hochschule für Ver- Kraft getretenen Neuregelungen der ZPO. Vertiefend erörtert er die waltungswissenschaften Speyer, Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow, Freiherr- praktischen Probleme, die sich speziell für den Anwalt ergeben, und vom-Stein-Str. 2, 67346 Speyer, Tel.: (06232) 654-362, Sekretariat: 654- bietet erste Formulierungshilfen an. Das Werk enthält zudem eine 360, Fax: 654-306, e-mail: [email protected] synoptische Gegenüberstellung des alten und des neuen Rechts.

Neue Justiz 2/2002 III Karl Lackner/Kristian Kühl Martin W. Huff/Felix Breidenstein/Jochen Mignat StGB Wirtschaft & Recht – Fakten und Trends Strafgesetzbuch mit Erläuterungen Jahrbuch für Management und Wirtschaftsanwälte 2002 Verlag C. H. Beck, 24., neu bearb. Aufl., München 2001 Verlag C. H. Beck, München 2001 1.353 S., in Leinen, 50,– € 174 S., geb., 49,– €. ISBN 3-406-48576-6 ISBN 3-406-47732-1 Das in Zusammenarbeit mit dem Verlag der F.A.Z. erschienene Werk Die 24. Auflage beinhaltet u.a. das StrafverfahrensänderungsG 1999 gibt einen Überblick der wichtigsten Neuregelungen und Themen für v. 2.8.2000 sowie das Ges. zur Beendigung der Diskriminierung gleich- den betrieblichen Alltag. So enthalten die Fachbeiträge u.a. praxisbezo- geschlechtlicher Gemeinschaften v. 16.2.2001. Durchgängig ist die gene Informationen über die Reformen im Arbeits- und Wirtschafts- neue Literatur mit Rechtsprechung bis Mitte 2001 berücksichtigt, die recht und behandeln das veränderte Insolvenz- und Leasingrecht. Der auch auf den ersten Reaktionen und Erfahrungen mit den umfassen- Band enthält darüber hinaus eine Übersicht über den Anwaltsmarkt den Neuregelungen des 6. StrafrechtsreformG basiert. mit Stand 1.7.2001.

Ulrich Weber/Katharina Meyer-Renkes Gerhard Köbler Altersteilzeitverträge Rechtspolnisch RWS Verlag Kommunikationsforum, Köln 2001 Deutsch-polnisches und polnisch-deutsches Rechtswörterbuch 142 S., brosch., 32,– € für jedermann ISBN 3-8145-2629-5 Verlag Franz Vahlen, München 2001 Das Buch vermittelt einen umfassenden Einblick in die Möglichkeiten, 305 S., kart., 14,– € die das AltersteilzeitG, die Ergänzungsregelungen und die aktuelle ISBN 3-8006-2720-5 Rechtsprechung insbesondere unter arbeits-, sozialversicherungs- und In einfacher Form beantwortet das neue Lexikon in zweisprachigen steuerrechtlichen Aspekten bieten. Die Vertragsmustertexte sind Emp- Übersichten alle wesentlichen aktuellen Fragen zur polnischen Rechts- fehlungen der Autoren für typische Fallgestaltungen, wie sie sich in der sprache. Ein kurzer Überblick über das polnische Rechtssystem bietet Praxis bewährt haben. Sie sind auf einer Diskette beigefügt. dem Benutzer zugleich eine erste systematische Orientierungshilfe.

Heribert Lassner Gerhard Köbler Die Altersversorgung der Arbeiterinnen, Arbeiter und Rechtsfranzösisch Angestellten des öffentlichen Dienstes Deutsch-französisches und französisch-deutsches Rechtswörterbuch Courier Verlag, 6., aktual. Aufl., Frankfurt/M. 2001 für jedermann 192 S., brosch., 19,90 € ISBN 3-930453-56-8 Verlag Franz Vahlen, 3., überarb. Aufl., München 2001 330 S., kart., 14,– €. ISBN 3-8006-2704-3 Die überarbeitete Orientierungs- und Arbeitshilfe ermöglicht, ein exemplarisches Beispiel einer Leistungsberechnung sowie Bescheide Die Neuauflage stellt im deutsch-französischen Teil rd. 10.000 deut- der Versorgungsanstalten rechnerisch und rechtlich nachzuvollziehen. schen Rechtswörtern die französischen und umgekehrt im französisch- Sonderregelungen für die neuen Bundesländer und umfangreiche deutschen Teil ca. 11.500 französischen Begriffen die deutschen Ent- Besitzstand- und Härtefallregelungen sind besonders gekennzeichnet. sprechungen gegenüber. Zudem wird ein kurzer Überblick über das französische Rechtssystem gegeben. A. Gnade/K. Kehrmann/W. Schneider/Th. Klebe/J. Rataycak Betriebsverfassungsgesetz Rolf Henrich Basiskommentar Die Schlinge Bund-Verlag, 10., neu bearb. Aufl., Frankfurt/M. 2001 Roman 608 S., kart., 22,– € Eichborn Berlin, Frankfurt/M. 2001 € ISBN 3-7663-3333-X 164 S., brosch., 17,90 . ISBN 8218-0707-5 Seit dem 28.7.2001 ist das Ges. zur Reform der Betriebsverfassung in Der erste Roman des Autors beschreibt die Verteidigung eines NVA- Kraft. Die neue Auflage des Basiskommentars informiert über alle Generals, der für mehrere Tote an der Mauer verantwortlich gemacht Neuregelungen und erläutert deren praktische Umsetzung. Die Recht- wird. Dabei werden die Grenzen des deutschen Rechtsstaats beim sprechung, insbesondere des BAG, ist bis Ende Aug. 2001 eingearbeitet. Umgang mit der jüngsten deutschen Vergangenheit ausgelotet und zugleich die Frage aufgeworfen, inwieweit der Gerechtigkeitsanspruch, der 1989 die Mauer zu Fall brachte, nun auch bei der Bewertung der Dirk Dau/Franz Josef Düwel/Hartmut Haines alten »Gegner« eingelöst wird. Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Lehr- und Praxiskommentar SGB IX Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2002 750 S., geb., 66,– €. ISBN 3-7890-7507-8 Weitere Neuerscheinungen: Mit dem zum 1.7.2001 in Kraft getretenen SGB IX werden das Recht der Rehabilitation und der Eingliederung Behinderter in die Gesell- Die Europäische Union schaft unter einem Dach vereint. Auf der Basis der gesetzgeberischen Rechtsordnung und Politik. Von B. Beutler/R. Bieber/J. Pipkorn/J. Streil. Argumentationsmuster und -motive und einer Auseinandersetzung Nomos Verlagsgesellschaft, 5., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl., Baden- mit der vorhandenen Rechtsprechung werden u.a. vertieft behandelt: Baden 2001. 800 S., brosch., 46,– €. ISBN 3-7890-7243-5. Neue Begrifflichkeiten und Abgrenzungskriterien; Umsetzungskrite- rien für die gesetzgeberischen Ziele der Konvergenz, Koordination und Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen Kooperation; das neue Leistungsrecht. Der Anhang enthält eine geson- in der ehemaligen DDR – RVI – derte Darstellung zum Verfahren und Rechtsschutz sowie zu den wich- Loseblattwerk, Verlag C. H. Beck, München 2001. 36. Erg.Lfg., rd. 570 S., tigsten Regelungen. 60,33 €. ISBN 3-406-48175-2. Grundwerk in 4 Ordnern, rd. 11.180 S., 138 €. ISBN 3-406-37740-8. Markus Köhler/Hans-Wolfgang Arndt Recht des Internet Kindeswohl und Kindeswille C. F. Müller Verlag, 3., völlig neu bearb. u. erw. Aufl., 2001 € Psychologische und rechtliche Aspekte. Von Harry Dettenborn. Ernst 232 S., kart., 25,– Reinhardt Verlag, München 2001. 145 S., kart., 19,90 €. ISBN 3-8114-2363-0 ISBN 3-497-01577-6. Die Neuauflage trägt der rasanten Entwicklung in den vergangenen Monaten Rechnung, so dass die einzelnen Rechtsgebiete z.T. in ihrer Taschenbuch Berufsausbildungsrecht Darstellung völlig überarbeitet wurden. Neu eingearbeitet wurden vor Von Bernhard Opolony. Verlag Recht und Wirtschaft, Heidelberg 2001. allem die umfangreiche Rechtsprechung und Literatur bis Mai 2001, € die eine aktuelle Übersicht über den Stand der rechtlichen Diskussion 364 S., kart., 29,– . ISBN 3-8005-3064-3. bietet. Erstmals aufgenommen wurde ein eigenes Kapitel über straf- rechtliche Probleme. (ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten)

IV Neue Justiz 2/2002 26. Strafverteidigertag NOMOS Aktuell 8. bis 10. März 2002 E ILN HM E T E Sicherheit durch Strafe? R ¤ 15 F Öffentlicher Strafanspruch zwischen Z AO E Legalitätsprinzip und Opferinteresse R T T I F I KA Baurecht für Berlin Freitag, den 8. März 2002 Eröffnungsvortrag Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied Samstag, 9. März 2002

Für Studium, Ausbildung und Fortbildung AG 1: Opferinteressen im Strafprozess – zentral oder marginal? -Ein Streitgespräch zur Nebenklage- ReferentInnen: Prof. Dr. Susanne Walther, Universität Köln Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller, Wiesbaden BAURECHT Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig, Berlin für Berlin Rechtsanwalt Johannes Latz, Köln Leiter: N.N. 2. Auflage Hansjochen Dürr/ AG 2: Lebenslanges Wegsperren Andreas Korbmacher Referenten: Richter a. Oberlandesgericht Dieter Haberstroh, Karlsruhe Dr. Jörg Kinzig, MPI, Freiburg Baurecht für Berlin Thomas Ullenbruch, stellvertr. Leiter JVA Freiburg Rechtsanwalt Erich Joester, wissenschaftl. Mitarbeiter 2. Auflage Universität Bremen

DR. HANSJOCHEN DÜRR Leiter: Rechtsanwalt Michael Moos, Freiburg Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Freiburg 2001, 245 S., brosch., DR. ANDREAS KORBMACHER Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Berlin 17,– €, 30,10 sFr, AG 3: Vermeidung von Untersuchungshaft durch frühzeitige Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden Verteidigermitwirkung ISBN 3-7890-7289-3 Referenten: Prof. Dr. Jörg-Martin Jehle, Universität Göttingen Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt/Main Richter am Oberlandesgericht Detlef Burhoff, Hamm Rechtsanwalt Univ.-Doz. Dr. Richard Soyer, Wien Mit dem Kompendium Baurecht für Berlin liegt Leiter: Rechtsanwalt Michael Sturm, Dresden die zweite Auflage in der bewährten Reihe AG 4: Zuviel Bewährung? – Bewährung in (elektronischen Fuß-) Fesseln? – Mehr Bewährung! länderspezifischer Darstellungen des beson- ReferentInnen:Prof. Dr. Heribert Ostendorf, Universität Kiel Ulrike Glörfeld, Arbeitsgem. Deutscher deren Verwaltungsrechts vor. Das Werk gibt – BewährungshelferInnen, LAG Hessen Dr. Bert Götting, Universität München mit zahlreichen Beispielen und Nachweisen Leitender Oberstaatsanwalt Dr. Wolfram Schädler, Hess. Ministerium der Justiz, Wiesbaden aus der Rechtsprechung versehen – einen Rechtsanwalt Knuth Pfeiffer, Kassel Überblick über die wesentlichen Bereiche des Leiter: Rechtsanwalt Thomas Scherzberg AG 5: Die Reform des Strafprozesses Bauplanungsrechts, des Bauordnungsrechts Referenten: Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Berlin Oberstaatsanwalt Victor Weber, Berlin sowie des Nachbar- und Rechtsschutzes in Prof. Dr. Bernd Schünemann, Universität München Ministerialdirektor Berndt Netzer, Bausachen. In einem eigenen Kapitel werden Bundesministerium der Justiz, Berlin die planungsrechtlichen Besonderheiten in Leiter: Rechtsanwalt Volker Ratzmann, Berlin AG 6: Gefahr in Verzug und Aushöhlung des Richtervorbehalts Berlin ausführlich erläutert, die sich insbe- ReferentInnen:Prof. Dr. Ursula Nelles, Universität Münster Prof. Dr. Otto Backes, Universität Bielefeld sondere aus der Eigenschaft als Stadtstaat und Richter am Amtsgericht Dr. Dierk Helmken, Heidelberg Rechtsanwalt Horst Wesemann, Bremen der Funktion als Bundeshauptstadt ergeben. Leiter: Rechtsanwalt u. Notar Axel Nagler, Essen Das Lehrbuch wendet sich in erster Linie an Sonntag, 10. März 2001 Schlussdiskus- „Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?” Studenten und Referendare, die sich im Rah- sion/Podium: N.N. Vertreter des Bundesinnenministeriums Prof. Dr. Hansjürgen Garstka, Beauftragter f. men der Ausbildung mit dem öffentlichen Datenschutz u. Informationsfreiheit, Berlin Rechtsanwalt Dr. Burkhard Hirsch, Bundestags- Baurecht befassen müssen, aber auch an vizepräsident a.D., Düsseldorf Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Vors. d. RAV, Berlin Praktiker, die sich einen ersten Zugriff und eine Moderation: Ulrike Holler, Rundfunkjournalistin, Frankfurt/Main schnelle Orientierung über das Baurecht in Berlin verschaffen wollen. Tagungsort: Anmeldung: Strafverteidigervereinigungen, Organisationsbüro Kurfürstliches Schloss Mommsenstr. 45 · 10629 Berlin Peter-Altmeier-Allee Tel 030-310 182 18 · Fax 030-310 182 19 55116 Mainz [email protected]

Beiträge 200,- € (16% MWSt. enth.= 27,59 €) f. Mitglieder 235,- € (16% MWSt. enth.= 32,41 €) f. Nichtmitglieder NOMOS Verlagsgesellschaft 180,- € (16% MWSt. enth.= 24,83 €) f. junge KollegenInnen (Zul. bis 3 Jahre) 76520 Baden-Baden · Fax (07221) 2104-43 95,- € (16% MWSt. enth.= 13,10 €) f. ReferendarInnen u. StudentInnen

Neue Justiz 2/2002 V NOMOS Aktuell Handbuch Recht und Praxis der Telekommunikation 2. Auflage

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NOMOS Verlagsgesellschaft 76520 Baden-Baden · Fax (0 72 21) 2104-43 · [email protected] Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

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Vom Werbeverbot zum Werberecht Aktuelle Rechtsprechung zum Abbau freiberuflicher Restriktionen bei der Anwaltswerbung Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Freiburg i.Br.

Das nach der »Kassation« der Standesrichtlinien durch das BVerfG bis Einschränkungen des verfassungsrechtlich wie gesetzlich verbürg- 1987 bestehende Werbeverbot der Angehörigen der rechts- und steuerbera- ten Werberechts der Rechtsanwälte ergeben sich aus dem Wettbe- tenden Berufe ist zwischenzeitlich durch ein fast unbegrenztes Werberecht werbsrecht sowie dem Berufsrecht. Stets ist jedoch im Einzelfall zu verdrängt worden. Der Gesetzgeber hat es 1994 ausdrücklich in einer prüfen, ob die Beschränkungen verfassungskonform sind. Reform der Berufsgesetze anerkannt. Der in der Folgezeit durch die Rechts- In jedem Fall hat die Werbung der Angehörigen der rechts- und anwaltskammern und ihre Repräsentativorgane gestartete Versuch, seinen steuerberatenden Berufe die sich aus dem allgemeinen Wettbewerbs- Liberalisierungswillen zu unterlaufen, kann mittlerweile als gescheitert recht ergebenden Restriktionen zu beachten. So ist nach § 1 UWG eine bezeichnet werden. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht durch ein Gericht sittenwidrige Werbung untersagt, welche z.B. bei einem Verstoß noch bestehende berufsspezifische werberechtliche Schranken bei Rechts- gegen rechtliche Bestimmungen in Betracht kommt. Dies kann der anwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern beseitigt werden. Diese Fall sein, wenn ein Anwalt z.B. trotz des Verbots des § 49b BRAO mit Berufsgruppen können heutzutage praktisch wie alle – seriösen – Dienst- der Vereinbarung von Erfolgshonoraren wirbt. Ebenso verbietet § 3 leister werben. UWG eine irreführende Werbung z.B. mit Selbstverständlichkeiten – wie bei der Angabe eines Rechtsanwalts aus den neuen Bundes- ländern »BRAGO – 10% Gebührenabschlag« oder bei der Führung I. Das Werberecht und seine Schranken im Allgemeinen von nicht verliehenen Fachanwaltsbezeichnungen;5 hingegen ist der Hinweis auf die Weiterbildung der Kanzleimitglieder nur banal, aber Das Werberecht der Angehörigen von rechts- und steuerberatenden nicht irreführend.6 Berufen ist bereits verfassungsrechtlich verbürgt.1 In den Bereich der Neben diesen für jedermann geltenden Werbungsschranken unter- durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten liegen die Angehörigen der rechts- und steuerberatenden freien Berufe fällt – so explizit das BVerfG2 – auch die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten einschließlich der Werbung. Das Werbe- recht ist auch ausdrücklich in den Berufsgesetzen wie z.B. § 43b 1 Vgl. grundsätzlich: Kleine-Cosack, Das Werberecht der rechts- und steuerberaten- BRAO anerkannt. Daher bedarf – so auch der BGH 3 – entgegen der bei den Berufe, 1999. manchen Kammern und Gerichten immer noch anzutreffenden 2 Z.B. BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 137 = NJW 2000, 3195 = NJ 2000, 312 (Leits.); siehe auch BVerfGE 85, 248, 256; 94, 372, 389 – Apothekerwerbung; BGH, NJW Vorstellung nicht die Gestattung der Anwaltswerbung der Recht- 2001, 2087 = NJ 2002, 112 (Leits.), in diesem Heft, – Anwaltswerbung II; fertigung, sondern nur deren Einschränkung. Es ist deshalb völlig BGH, NJW 2001, 2886 – Rundschreiben; st.Rspr. 3 BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II. verfehlt, wenn ein Verbot – z.B. einer Phantasiebezeichnung für eine 4 So zu Recht das OLG Karlsruhe im Urt. v. 11.1.2001 – 4 U 96/00, (n.v.), unter Kanzlei4 – noch mit dem Argument zu rechtfertigen versucht wird, Aufhebung einer gegenteiligen Entscheidung des LG Waldshut-Tiengen. 5 BVerfG, NZA 1993, 691; BRAK-Mitt. 1998, 145; vgl. dazu Kleine-Cosack (Fn 1), es bestehe kein Bedarf für diese Form des Auftretens in der Öffent- Rn 357 f. lichkeit. 6 So BVerfG, NJW 2001, 3324 – Fortbildung, Interessenschwerpunkt.

Neue Justiz 2/2002 57 Aufsätze Kleine-Cosack, Vom Werbeverbot zum Werberecht

– noch (!) – zusätzlichen berufsspezifischen Werberestriktionen. Sie erge- köstigung fehle es schließlich an der nach § 43b BRAO erforderlichen ben sich einmal aus den gesetzlichen Bestimmungen wie § 43b BRAO Berufsbezogenheit der Werbung. Hätte diese lebensfremde Ansicht sowie ergänzenden Regelungen in den Berufsordnungen. So enthält Bestand gehabt, dann müssten Besucher von anwaltlichen Informa- die entsprechende Satzung für die Rechtsanwälte derzeit in § 7 BORA tionsveranstaltungen die Brotzeit in Zukunft mitbringen. Einschränkungen bei der Angabe von beruflichen (Tätigkeits- und Entgegen der z.T. in dieser Rechtsprechung17 sowie Literatur18 ver- Interessen-)Schwerpunkten. tretenen Ansicht sind die Rechtsanwälte jedoch bei einem sonstigen, Die Bedeutung dieser berufsspezifischen Einschränkungen des nicht als »Werbung« iSd § 43b BRAO, sondern nur als werbewirksam Werberechts nimmt aufgrund eines verfassungsrechtlich bedingten zu bewertenden Verhalten nicht vollständig von den Bindungen »Kahlschlags« der Rechtsprechung rapide ab. Verbote einer bestimm- dieser berufsspezifischen Bestimmung befreit. Soweit sie nämlich ten Werbung sind schließlich stets am Maßstab des Gebots einer – z.B. in Zeitungsanzeigen – mit Geschenken, Präsenten, Verlosun- verfassungskonformen Auslegung zu überprüfen. Sie sind nach dem gen etc. »werben«, wenn sie also die Rechtsuchenden anzulocken grundlegenden Beschluss des BVerfG zur Apothekerwerbung7 und versuchen mit nicht berufsbezogenen Angaben, dann kann die der im Anschluss daran ergangenen Rechtsprechung nur dann ver- »Werbung« nach dem BGH 19 als unsachlich gem. § 43b BRAO bewer- fassungsrechtlich haltbar, wenn der mit dem Verbot verbundene tet werden. Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Dies war in der Entscheidung des OLG Brandenburg (noch) nicht der Abs. 1 GG verhältnismäßig, d.h. im Interesse des Gemeinwohls Fall, da dort nur mit einem »Imbiss« geworben wurde, worunter – so erforderlich ist. Ein Werbeverbot muss also im Interesse des Gemein- der BGH 20 unter Rekurs auf den Duden(!) – erfahrungsgemäß nur eine wohls – vor allem der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie der Kleinigkeit zu verstehen ist, ein bloßer »Gabelbissen«. Es gilt abzu- Rechtsuchenden – erforderlich sein. Nach dem BVerfG soll das für warten, ob bei einer diese Imbissgrenze überschreitenden Werbung Rechtsanwälte geltende Werbeverbot das Vertrauen der Rechtsu- – z.B. einem mehrgängigen Dinner – die Rechtsprechung noch einen chenden stärken, der Rechtsanwalt werde nicht aus Gewinnstreben Verstoß gegen § 43b BRAO annimmt. Sie sollte davon angesichts des zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen Gebots einer verfassungskonformen Auslegung des Werberechts tun- ausrichten.8 Verboten sind neben irreführender Werbung insbe- lichst Abstand nehmen. Schließlich geht von derartigen Angeboten sondere aufdringliche Werbemethoden, die Ausdruck eines rein keine nennenswerte Anlockwirkung aus; der Sonderfall einer Praxis- geschäftsmäßigen, ausschließlich an Gewinn orientierten Verhaltens veranstaltung für Sozialhilfeempfänger mit Armenspeisung dürfte sind.9 schon mangels zu erwartender Gebühreneinnahmen bei Rechts- anwälten unrealistisch sein. Zudem wäre selbst ein »großes Fressen« allenfalls individuell gesundheits-, aber nicht gemeinwohlschäd- II. Das Werberecht nach § 43b BRAO im Besonderen lich.21 Als unzulässige Werbung ist zwar die Veranstaltung von Gewinn- Nach § 43b BRAO – nichts anderes gilt für gleichlautende Bestim- spielen22 und das Anlocken mit Geschenken, hingegen nicht ohne mungen anderer Berufsgesetze wie z.B. § 57a StBerG – unterliegt das weiteres deren Vergabe anzusehen. In beschränktem Umfang war sie Werberecht der Rechtsanwälte den Schranken der Berufsbezogenheit, – z.B. bei bestimmten Anlässen – ohnehin seit jeher zulässig. der Sachlichkeit sowie einer auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall Wenn § 11 Abs. 1 BOStB bei Steuerberatern Geschenke mit wer- gerichteten Werbung. bendem Hinweis verbietet, damit z.B. Kanzleiangaben auf Präsen- ten untersagt werden sollen, ist auch diese Einschränkung ange- 1. Berufsbezogenheit sichts fehlender Gemeinwohlerforderlichkeit verfassungsrechtlich fragwürdig. Keine nennenswerte praktische Bedeutung kommt dem Erfordernis In diese Falle tappte eine Steuerberaterin in Thüringen, die auf einen der Berufsbezogenheit der Werbung zu. Das BVerfG10 unterscheidet Geschenkgutschein für eine »Entspannungsoase« ihren Kanzlei- – zumindest noch – zwischen einer tätigkeitsbezogenen informativen stempel abgedruckt hatte.23 Es macht jedoch wenig Sinn, dem Berufs- bzw. »gezielten Werbung im engeren Sinne«11 und einem sonstigen angehörigen nur einen Begleitbrief zum Präsent zu gestatten, hinge- nur werbewirksamen Verhalten wie z.B. durch Vernissagen oder gen eigene Berufsangaben unmittelbar auf dem Präsent zu verbieten. Konzerte in Praxisräumen, für das das Kriterium der Berufsbezogenheit Im Übrigen kann ein entsprechendes Verbot leicht umgangen werden; bedeutungslos ist. dies kommt z.B. in Betracht, wenn sich eine Kanzlei selbst als Winzer a) Werbewirksames Verhalten Derartige Werbeformen sind bei Rechtsanwälten grundsätzlich zulässig, zumal sie schon immer praktiziert wurden. Daher können 7 BVerfGE 94, 372 = NJW 1996, 3067. Anwälte auch Werbung durch Sponsoring betreiben,12 ohne dass 8 Vgl. nur BVerfGE 76, 196, 207 f. 9 BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 137, 138; vgl. auch neuestens BVerfG, NJW 2001, 3324 damit eine nennenswerte berufsbezogene Information verbunden ist. – Fortbildung, Interessenschwerpunkt. Ebenso dürfen sie auf Kanzleifenstern werben. Indiskutabel war 10 BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 137, 138. insoweit die Entscheidung des AnwG München,13 in welcher der 11 Ebenda: vgl. auch AnwG Hamm, MDR 2000, 55. 12 BVerfG, BRAK-Mitt. 2000, 137, 138. Abdruck eines Paragraphenzeichens auf mehreren Fenstern schon 13 AnwG München, Urt. v. 22.1.2001 – 3 AnwG Nr. 43/2000 (n.v.). mangels Berufsbezogenheit untersagt wurde. Dieses Zeichen stehe 14 AGH München, Urt. v. 6.8.2001 – BayAGH II -4/01. 15 BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II. nicht »signifikant« nur für eine Rechtsanwaltskanzlei, argumentier- 16 Ablehnend bereits Kleine-Cosack (Fn 1), Rn 379 ff. ten – im Übrigen verfassungsfrei – die Münchener Anwaltsrichter mit 17 AnwG Hamm, MDR 2000, 55. der »Erfindung« einer ganz neuen Werberechtsgrenze; der AGH 18 So z.B. Römermann, in: Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 1. Aufl. 1996, vor § 6 Rn 40 ff. München hat die rechtswidrige Entscheidung zu Recht umgehend 19 BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II; dazu Kleine-Cosack, F.A.Z. v. aufgehoben.14 28.7.2001, S. 21. 20 BGH, ebenda. 15 16 Ebenso musste der BGH mit dem OLG Brandenburg verfahren. 21 Vgl. auch Kleine-Cosack, F.A.Z. v. 28.7.2001, S. 21. Streng im Geiste des »Großen Friedrich« beurteilten die preußischen 22 OLG Koblenz, ZIP 1997, 377, 380. 23 LG Erfurt, Urt. v. 7.3.2001 – StV 2/97 u. 3/98 (n.v.): Damit hat die Steuerberaterin Richter es als berufs- und wettbewerbswidrig, wenn Rechtsanwälte zu keine sachliche Werbung betrieben, sondern gewissermaßen um eine konkrete Praxisveranstaltungen mit einem Imbiss warben. Einer derartigen Ver- Auftragserteilung im Einzelfall »gebuhlt«.

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betätigt und wahrheitsgemäß die Namen der Mitglieder auf dem nach dem BGH schlagwortartige Schwerpunktbezeichnungen für Flaschenetikett anführt. Kanzleien (z.B. »Kanzlei für Arbeitsrecht«) erlaubt.28 Das BVerfG hat zudem im Beschluss v. 12.9.200129 zu Recht betont, dass der Begriff b) Angaben zu Tätigkeits-/Interessenschwerpunkten »Interessenschwerpunkt« wenig aussagekräftig sei. Er besage nur, Soweit es sich nicht nur um schlichtes werbewirksames Verhalten, dass ein Anwalt sich für das jeweilige Gebiet interessiere. Über sondern um eine »Werbung« iSd § 43b BRAO handelt, ist der besondere Kenntnisse in diesem Bereich müsse der Jurist aber nicht Rechtsanwalt nach § 43b BRAO auf berufsbezogene Informationen verfügen. beschränkt. Dieser Schranke kommt aber keine nennenswerte Bedeu- Die Regelung des § 7 BORA wirft im Übrigen auch bei der Angabe tung zu. von branchenspezifischen Schwerpunkten einer Kanzlei unnötige Schließlich – so der BGH – unterrichtet eine Werbung (schon Probleme auf. Wenn Rechtsanwälte oder Steuerberater schwer- dann) über die bloße berufliche Tätigkeit, wenn sie die interessierte punktmäßig bestimmte Berufszweige wie z.B. Apotheker oder Auto- Öffentlichkeit darauf aufmerksam macht, dass der Werbende oder mobilhändler vertreten, dann können sie auch in aller Öffentlich- Beworbene als Rechtsanwalt tätig ist. Damit wird bereits mit der keit damit werben. Die Hinweise sind schließlich von großem schlichten Berufsangabe dem Kriterium entsprochen, so dass – wenn Informationswert für die Rechtsuchenden. Branchenkenntnisse des man es überhaupt als Werbung iSd § 43b BRAO ansieht – schon Beraters reduzieren seinen Informationsaufwand und erhöhen seine durch die namentliche Nennung des Rechtsanwalts beim Sponsoring Kompetenz. Umstritten ist jedoch noch, wie derartige branchen- dem Gebot der Berufsbezogenheit Rechnung getragen wird; davon spezifischen Kenntnisse publik gemacht werden dürfen. Für unzu- geht auch das BVerfG aus.24 lässig wurde der Terminus »Fachberatung« (im konkreten Fall für Darüber hinaus ist der Begriff »Berufsbezogenheit« weit zu inter- den Automobilhandel) erklärt; toleriert wird hingegen mittlerweile pretieren im Hinblick auf die Berufsausübungsfreiheit des Anwalts die Bezeichnung »Beratung«; teilweise gefordert wurde die Angabe wie auch das Informationsinteresse der Rechtsuchenden. Enthält als »Tätigkeitsschwerpunkt«, was jedoch schlicht unsinnig wäre, da die Werbung sonstige weitere Informationen, so stehen diese nach dann zwangsläufig und irreführend auf eine – zumindest bei Steuer- dem BGH mit der Berufsbezogenheit dann in ausreichendem beratern auch noch verbotene – gewerbliche Tätigkeit hingewiesen Zusammenhang, wenn sie für die Entscheidung der Rechtsuchen- worden wäre. den, ob dieser Rechtsanwalt beauftragt werden soll, bei vernünfti- ger und sachbezogener Betrachtung von Bedeutung sein können. 2. Sachlichkeit Dementsprechend kann ein Rechtsanwalt u.U. auch über Hobbys oder sportliche Aktivitäten wie Tauchen oder Reiten berichten; Die Werbung hat nach § 43b BRAO weiter nach Form und Inhalt haben nämlich Rechtsuchende bei entsprechender Betätigung sachlich zu sein. Der Begriff »Sachlichkeit« ist an die Stelle des Probleme bekommen, sind sie z.B. vom Pferd gefallen, dann erlaubt ursprünglich im Gesetzentwurf stehenden Ausdrucks »reklamehaft« die Sachkenntnis des Rechtsanwalts eine professionelle Bearbei- gesetzt worden. Damit wollte der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck tung. bringen, dass entgegen der früher h.A. nicht mehr jede freiberufliche Der Rechtsanwalt kann mit der Werbung nicht nur seinen eigenen Werbung als unzulässig angesehen werden darf. Allgemein kann als beruflichen Werdegang, seine Kanzlei, die Mitarbeiter etc. vorstellen. unsachlich eine Werbung nur noch bezeichnet werden,30 wenn sie Vor allem darf er über Schwerpunkte seiner Tätigkeit informieren. völlig übertrieben, plump aufdringlich, marktschreierisch ist bzw. eine Er sollte aber dabei die Regelung des § 7 BORA beachten, welche ihn reklamehafte Selbstanpreisung enthält. Im Übrigen ist unsachlich verpflichtet, diese Schwerpunkte als Tätigkeits- und/oder Interessen- auch eine belästigende sowie eine – auch nach § 3 UWG untersagte – schwerpunkte ausdrücklich zu bezeichnen. irreführende Werbung. Die Zahl der Schwerpunktangaben wird auf fünf begrenzt. Diese Regelung ist bisher noch nicht dem verfassungsrechtlichen Verdikt a) Form der Werbung zum Opfer gefallen.25 Sie ist jedoch verfassungswidrig,26 da sie in Keine nennenswerte Bedeutung kommt dem Kriterium der Sachlich- unverhältnismäßiger Weise die Werbefreiheit der Rechtsanwälte keit noch bei der Form der Werbung zu. Die Angehörigen der rechts- beschränkt. Es ist im Interesse des Gemeinwohls nicht erforderlich, und steuerberatenden Berufe haben im Wesentlichen freie Formwahl, dass nur Rechtsanwälte einer derart kleinkarierten Beschränkung soweit die Werbung nicht marktschreierisch bzw. plump aufdringlich unterliegen; keine andere Berufsordnung kennt eine vergleichbar ist. detaillierte Regelung. Das ohnehin geltende Verbot der irreführen- Der BGH versucht sich zwar in der Entscheidung Anwaltswerbung II den Werbung in § 3 UWG schützt den Rechtsuchenden auch im mit einer darüber hinausgehenden Grenzziehung: gebotenen Umfang bei Rechtsanwälten. Zudem werden in jedem »Die Beurteilung einer Werbung als unsachlich kommt insbesondere in Falle hoch qualifizierte Rechtsanwälte gemeinwohlwidrig durch die Betracht, wenn ihr Erscheinungsbild derart im Vordergrund steht, dass zahlenmäßige Beschränkung der Nennung von Schwerpunktgebie- ihr Inhalt weit dahinter zurückbleibt«.31 ten beschränkt. Schon bei oberflächlicher Betrachtung sollte jedoch außer Zweifel Es ist auch sachlich nicht zu rechtfertigen, wenn nach § 6 Abs. 2 stehen, dass der mit dieser Abgrenzung mittelbar unternommene BORA speziell in Praxisbroschüren, Rundschreiben und anderen Versuch einer Rettung der Informationswerbung weder praktikabel Informationsmitteln über § 7 BORA hinausgehende Informationen zulässig sind, bei anderen Werbeformen, z.B. bei Anzeigen, jedoch die Schranken des § 7 BORA gelten sollen. Sobald das BVerfG oder ein Fachgericht einen geeigneten Fall zu entscheiden haben, wird die Regelung des § 7 BORA daher für verfassungswidrig erklärt werden 24 BVerfG, NJW 2000, 3195. 25 Vgl. neuestens BVerfG, NJW 2001, 3324 – Fortbildung, Interessenschwerpunkt. müssen. 26 Entgegen der in der bish. Rspr. vertretenen Ansicht, z.B. BGH, NJW 2001, 1138; Die Rechtsprechung hat sie ohnehin bereits in der jüngsten Zeit siehe auch BVerfG, NJW 2001, 3324 – Fortbildung, Interessenschwerpunkt.; krit. Kleine-Cosack (Fn 1), Rn 585 f. durch eine verfassungskonforme Auslegung verfassungsrechtlich 27 BVerfG, NJW 2001, 1926. weitgehend abgeschwächt. So ist bei verfassungskonformer Aus- 28 BGH, BRAK-Mitt. 2001, 139. 29 BVerfG, NJW 2001, 3324 – Fortbildung, Interessenschwerpunkt. legung des § 7 BORA einem Fachanwalt erlaubt, aus dem Fach- 30 Vgl. Kleine-Cosack (Fn 1), Rn 135 mwN u.a. auf BVerfG, NJW 1996, 3067. anwaltsgebiet mehr als fünf Schwerpunkte anzugeben.27 Ebenso sind 31 BGH, NJW 2001, 2087.

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noch verfassungskonform wäre. Schließlich würde bei einer großen »Briefkästen«, eine Werbung mittels Telefon,52 Telefax oder im Anzeige mit banalen Anwaltsinformationen gleich die richterrecht- Internet mittels E-Mail.53 liche Schranke gelten. Ihr Heruntergehen wird aber aus verfassungs- rechtlichen Gründen verhindert, da ein Verbot nicht im Interesse des b) Inhalt der Werbung Gemeinwohls erforderlich wäre. Die maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen wie § 43b BRAO In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das BVerfG schränken das Werberecht weiter auf eine Werbung ein, die ihrem die Freiheit der Formwahl dadurch gestärkt hat, dass es ein Verbot Inhalt nach sachlich ist. einer bestimmten Form einer besonders strengen Verhältnismäßig- Während auf den Beruf bezogene – korrekte – Tatsachenbehaup- keitsprüfung unterwirft: tungen, deren Richtigkeit überprüft werden kann, grundsätzlich »Setzt das Verbot allein an der Form der Werbung an, schwächt sich die nicht gegen das auf den Inhalt bezogene Sachlichkeitsgebot ver- Beziehung zum rechtfertigenden Gemeinwohlbelang ab. Aus dem stoßen, gilt – so im Ansatz zu Recht der BGH 54 – etwas anderes bei Werbeträger unmittelbar auf eine Gefährdung … oder mittelbar auf Werturteilen über die eigene Dienstleistung. Deren Berechtigung kann einen Schwund des Vertrauens der Öffentlichkeit in die berufliche i.d.R. nicht beurteilt werden, weil sie weitgehend von subjektiven Integrität … zu schließen, ist schwerlich möglich, solange sich die Werbemittel im Rahmen des Üblichen bewegen. … Nur übertriebene Einschätzungen abhängt. Bei Werturteilen über anwaltliche Dienst- und marktschreierische Werbung, die auf eine Vernachlässigung der leistungen liegt die Gefahr besonders nahe, dass durch nicht Pflichten hindeuten könnte, soll vermieden werden.«32 überprüfbare Werbeaussagen unrichtige Erwartungen entstehen, weil Im Zweifel sind alle Formen der Werbung erlaubt, selbst wenn die Rechtsuchenden die Leistungen eines Rechtsanwalts i.d.R. nur sie neuartig für die rechts- und steuerberatende Berufe sein mögen. schwer einschätzen können.55 Sie können werben mit Briefköpfen einschließlich Logo, Praxis- Es ist jedoch – auch bei der gebotenen verfassungskonformen Aus- schildern, Hinweisen in Praxisfenstern, Anzeigen, auf Plakatflächen, legung – nicht überzeugend, wenn der BGH 56 formuliert, dass Wert- auf Bussen oder auch Taxitüren,33 in Funk und Fernsehen oder im urteile »regelmäßig nicht mit dem Sachlichkeitsgebot vereinbar« seien. Kino, mittels – auch auf Hochglanzpapier gedruckten34 – Praxis- Vielmehr ist nur Zurückhaltung bei einer auf die eigene Person oder broschüren, Rundschreiben35, durch Auftritte im Internet,36 auf Kanzlei bezogenen Qualitätswerbung geboten. Es besteht hier in Fachmessen,37 durch Kanzleiveranstaltungen vom Konzert über die Vernissage bis hin zur Informationsveranstaltung zu aktuellen Rechts- und Steuerthemen.38 Angesichts der gesetzlich wie verfassungsrechtlich verbürgten Freiheit der Formwahl sollten auch Streitigkeiten der Vergangenheit angehören, welche auf die Zahl oder Größe von Werbemaßnahmen 32 Vgl. BVerfG, NJW 1996, 3067. 33 Nicht haltbar, LG Nürnberg-Fürth, MDR 1998, 1505. Nicht überzeugend ist abstellen. Schließlich kann daraus im Regelfall keine Gemeinwohl- auch die Entscheidung des OLG Naumburg v. 13.4.2000 (Neue Wirtschafts- schädlichkeit hergeleitet werden. Daher ist im Prinzip irrelevant die briefe Nr. 1118/2000), in der die Werbung eines Steuerberaters mit Firmen- namen, Logo und Slogan »Ihr Partner in Sachen Steuer- und ...« auf einer Zahl der Werbemaßnahmen z.B. von Zeitungsanzeigen, zumal – so der Straßenbahn als reklamehaft beanstandet wurde. – Da der Ort der Werbung BGH 39 – kein besonderer Anlass für eine Werbung erforderlich ist. kraft Gesetzes wie auch bei verfassungskonformer Prüfung im Prinzip irrele- 40 vant ist, ist auch im Internet eine sog. Bannerwerbung mit Print-Anzeigen auf Nichts anders gilt für die Zahl von Praxisschildern; hier sind frühere fremden, häufig frequentierten Websites, die durch Mausklick auf die Home- Beschränkungen entfallen. page des Anbieters führen oder Sponsorenhinweise darstellen, zulässig. Die Auch an der Größe von Werbemaßnahmen sollte nicht mehr herum- gegenteilige These von Schmittmann (StB 2001, 180 ff.) mit der Begründung, es liege eine Grenzüberschreitung zwischen redaktionellem und werbendem gekrittelt werden. Es vermag nicht zu überzeugen, wenn das AnwG Teil vor und es sei eine typische Gestaltungsform der gewerblichen Wirtschaft, Stuttgart ein größeres Praxisschild an der Fassade einer an einer ist nicht haltbar, da sie am Wortlaut des § 57a StBerG wie auch an Art. 12 GG vorbei argumentiert und verkennt, dass bei der Werbung sich die freien Straßenkreuzung gelegenen Kanzlei als unsachliche Werbung bean- rechtsberatenden Berufe mit Ausnahme gewisser durch das Berufsrecht noch standete.41 Ebenso hat der BGH 42 entschieden, dass seit dem In-Kraft- bestehender Grenzen der Methoden bedienen, welche in der gewerblichen Treten der Berufsordnung der Steuerberater eine 13,4 x 18 cm große Wirtschaft üblich sind. 34 OLG München, Urt. v. 29.3.2000 – 29 U 2007/00 (n.v.). Zeitungsanzeige eines Steuerberaters grundsätzlich nicht mehr als 35 BGH, NJW 2001, 2886 – Rundschreiben. berufs- und wettbewerbswidrig beanstandet werden kann, obwohl 36 Dazu Schmittmann, StB 2001, 180. 37 BGH, NJW 1999, 2444. § 11 Abs. 1 Satz 3 BOStB eine übertriebene, auffällige oder in sonstiger 38 BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II. Form reklamehafte Werbung verbietet. Ob eine Anzeigenwerbung 39 BGH, BB 2000, 1428. 43 40 Darauf kann nach AnwG Hamm, Anwbl. 2000, 316, auch ganz verzichtet werden. übertrieben und reklamehaft wirkt, lasse sich – so auch das BVerfG – 41 AnwG Stuttgart, Beschl. 27.7.2000 – EV (A) 8/00 (n.v.). allein aus der Größe eines Inserats nicht ableiten. 42 BGH, NJW 2000, 3000. Ebenfalls ist der Ort der Werbung berufsrechtlich irrelevant. Dies 43 BVerfGE 94, 372, 396. – Apothekerwerbung. 44 BGH, NJW 1999, 2444. kann der Briefbogen sein, das Praxisschild, die Zeitungsanzeige im 45 So zu Recht LG Halle, Urt. v. 24.8.1999 – 11 O 23/99, n.v. (zulässige Werbung Anzeigen- oder Textteil, ein Informationsstand auf einer Fachmesse,44 auf Taxen; a.A. LG Nürnberg-Fürth, Bln.Anwbl. 1998, 612). Für unzulässig 45 erklärte der AGH NRW, MDR 1999, 1099, die Werbung von Anwälten auf einem eine Informationstafel vor Kaufhäusern oder auch auf Taxis sowie Linienbus. Plakatsäulen.46 46 Vgl. aber die nicht haltbare Entscheidung des OLG Frankfurt/M., BRAK-Mitt. Unsachlich ist insbesondere eine belästigende Form der Werbung.47 1999, 195: unzulässige Plazierung einer Werbesäule in der Nähe gewerblicher Anbieter. Dazu zählen nicht nur die aus dem Wettbewerbsrecht bekannten 47 Insoweit bestehen dogmatisch Überschneidungen mit der dritten Verbots- Fallgruppen des »Kundenfangs«.48 Selbstverständlich ist auch die variante des § 43b BRAO, wonach die Werbung nicht gerichtet sein darf auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall (siehe unter II. 3.). Ausübung von wirtschaftlichem Druck durch den Berufsangehö- 48 Vgl. Kleine-Cosack (Fn 1), Rn 153 ff. rigen als unsachlich zu bewerten; etwas anderes gilt aber im Falle 49 Vgl. ebenda, Rn 219. 49 50 OLG Stuttgart, ZIP 1997, 235. einer Drittwerbung, falls z.B. eine Bank den Wechsel zu einem 51 Fikentscher/Möllers, NJW 1998, 1337 ff. qualifizierten Berater nahe legt.50 Eine unsachliche belästigende 52 Zur unzulässigen Telefonwerbung vgl. BGH, NVersZ 1999, 445; vgl. auch LG Ham- Werbung liegt auch vor, wenn nicht den (Grund-)Rechten – insbe- burg, Archiv für Presserecht (AfP) 2001, 151. 53 LG Berlin, NJW-CoR 1998, 431. Nach LG Kiel, CI 2000, 170, gibt es kein Recht, sondere dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. dem Recht auf von E-Mails verschont zu bleiben, welche ein konkretes Angebot zu einem informationelle Selbstbestimmung oder der negativen Informati- Vertragsabschluss beinhalten. 51 54 BGH, NJW 2001, 2087, 2088 – Anwaltswerbung II. onsfreiheit – potentieller Werbeadressaten Rechnung getragen 55 So der BGH, ebenda, unter Berufung auf BVerfG, NJW 1988, 194. wird, bspw. durch ungewollte Werbung, eine »Verstopfung« der 56 BGH, ebenda.

60 Neue Justiz 2/2002 Kleine-Cosack, Vom Werbeverbot zum Werberecht

besonderem Maße die Gefahr der Unsachlichkeit durch verbotene Hingegen hat das BVerfG 72 nicht grundsätzlich die Angabe »reklamehafte Selbstanpreisung« und vor allem durch eine schon mit »umfassende Rechtsberatung« mit der Untermauerung durch die § 3 UWG nicht zu vereinbarende irreführende Werbung. In diese Falle Benennung von 17 Interessenschwerpunkten beanstandet. Fraglich tappen jedoch deutsche Steuerberater und Rechtsanwälte immer sei allein, ob die Rechtsanwälte zu Recht von sich behaupten durften, wieder, wie ein Blick in Praxisbroschüren, Anzeigen oder im Internet zu einer umfassenden Rechtsberatung in der Lage zu sein. Andernfalls und eine zu dieser Verbotsschranke vorliegende umfangreiche Recht- liegt – und das hat der AGH nunmehr zu prüfen – eine verbotene irre- sprechung erkennen lässt. führende Werbung vor. Als unsachlich wurden bspw. zu Recht beanstandet:57 Grenzfälle sind Bezeichnungen als »Spezialist« oder »Experte« oder »Wir erbringen Spitzenleistungen«.58 die Verwendung des Begriffs »Fachberatung«. Zwar kann Dritten Vergleichbar sah das LG Köln 59 eine unsachliche Werbung in einer – wie bspw. der Presse – aufgrund der weitergehenden Pressefreiheit Praxisbroschüre, welche u.a. folgende Sätze enthielt: wie auch der nur mittelbaren Geltung des Berufsrechts über § 1 »Spitzenleistungen für Ihre Zukunft.« »Als unabhängige Berater kennen UWG bei wettbewerbsrechtlicher Störerverantwortlichkeit der Gebrauch wird dabei keine Grenzen«. »Unser guter Ruf bei Behörden, Banken, entsprechender Qualitätsurteile nicht untersagt werden. In den Verbänden und Kammern erweist sich bei der Durchsetzung einmal Zeitungen wimmelt es demnach von Steuerberatern oder Anwälten als getroffener Entscheidungen als Vorteil. Profitieren Sie von unseren »Experten«, ohne dass daran berufsrechtlich Anstoß genommen wer- gewachsenen Kontakten«. den kann durch Maßnahmen gegenüber den Berufsangehörigen. Als unzulässig werden z.T. auch angesehen subjektiv wertende Leis- Bei einer unmittelbaren Eigenwerbung werden derartige Qualitäts- tungsbeschreibungen und damit Aussagen wie »dynamische Entwick- urteile jedoch noch beanstandet. So z.B. in der Entscheidung des lung«, »zukunftsweisendes Dienstleistungskonzept«, »modernste EDV- LG München II v. 31.8.2000,73 in der die Werbeaussage »Spezialkanzlei Technologie«60 und »rationelle Büroabwicklung«.61 für steuerstrategische Unternehmensführung und Vermögens- Das LG Berlin 62 beanstandete als unzulässige Qualitätswerbung eine planung« auf einer Homepage eines Steuerberaters als Verstoß gegen Homepage; dort konnte man lesen: § 57a StBerG gewertet wurde, weil die Werbung durch den Zusatz »Doch es ist ein ungeschriebenes Gesetz dieser Kanzlei, Sie von Anfang »Spezial-« den Eindruck außergewöhnlicher Sachkunde erwecke und an darauf hinzuweisen, wenn sie für Ihr Anliegen hier nur den zweit- daher als täuschungsgeeignet iSv § 3 UWG anzusehen sei. besten Anwalt vor Ort gefunden haben« und »Fairness, Zuverlässigkeit Nicht zu beanstanden ist die Einrichtung eines Gästebuchs im Besu- und Spitzenqualität treffen sie hier an«. cherzimmer der Kanzlei oder auf Internetseiten. Es kann auch nicht Vom BGH 63 wurde einem Anwalt eine Praxisbroschüre angelastet mit jedes Mandantenlob darin als berufsrechtswidrige Werbung – so aber angeblich unsachlichen Formulierungen wie »erfahren« und »kreativ«, unkritisch Schmittmann 74 – bezeichnet werden. Mandanten können »Spitzenleistung«, »höchste Qualitätsansprüche«, »erfolgreich«, »kompe- grundsätzlich die Leistung von Anwälten und Steuerberatern in aller tent«, »außergewöhnliche Serviceleistung«, »vorbildlich«, »qualifiziert Öffentlichkeit loben oder auch – gestützt auf die Meinungsfreiheit des und engagiert«. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG – kritisieren. Ein Anwalt oder Steuerberater Das LG München II 64 beanstandete auf einer Homepage eines muss und kann nicht dagegen einschreiten; er ist dazu auch nicht ver- Steuerberaters als reklamehafte Selbstanpreisung den Satz: pflichtet (entgegen § 21 BOStb, wonach ein Berufsangehöriger nicht »Sie haben damit einen außergewöhnlichen Steuerberater gefunden, dulden darf, dass Dritte Werbung für ihn betreiben). Schließlich hat der ihnen nach vielen Berufsjahren der umfassenden Beratung größe- der Anwalt oder Steuerberater in der Vergangenheit des totalen Werbe- rer mittelständischer Unternehmen eine komprimierte Fülle an Wis- verbots nur von einer entsprechenden Werbung und dem darauf sen und Erfahrung im Bereich der steuerstrategischen Unternehmens- basierenden Ruf gelebt. So muss er nicht einschreiten, wenn er in führung und Vermögensplanung bieten kann, … und danke Ihnen für Ihr Interesse an meinem exklusiven Leistungsprofil.« einem Lokal einen ehem. Mandanten sieht, der auf ihn zeigt und laut sagt: »Das ist ein toller Rechtsanwalt«. Vielfach gehen die Gerichte jedoch zu weit und nehmen vorschnell Im Zusammenhang mit der Frage der Grenzen von Qualitätswer- gesetz- und verfassungswidrig eine unsachliche Werbung an. Dies ist bung sind auch die zu Recht beanstandeten Fälle von Rankinglisten nicht nur der Fall, wenn – wie seitens des OLG Düsseldorf 65 – schon die der Anwaltskanzleien zu erwähnen. So hat das OLG München 75 erst Verwendung eines Stierkopf-Logos für unzulässig erklärt wird. Dies gilt auch und vor allem bei der Beanstandung bestimmter Formulie- rungen. 66 57 Auch Presseberichte z.B. über die »13 besten Scheidungsanwälte Deutschlands«: So stufte z.B. das OLG Köln bereits den banalen Slogan »Ihre OLG München, zit. von Michalski, EWiR 1992, 191 (nach § 3 UWG unzulässige Rechtsfragen sind unsere Aufgaben« als unzulässiges reklamehaftes Alleinstellungswerbung), oder die erste Serie von Focus mit den 500 besten Anpreisen und nicht als sachliche Informationswerbung ein, was Anwälten (BGH, NJW 1997, 2681) wurden zu Recht beanstandet. 58 LG Freiburg, DStRE 1998, 538, und LG Köln, Urt. v. 8.1.1998 – 17 St. 11/97 (n.v.); vom BVerfG 67 in einer Nichtannahmeentscheidung kritisiert wurde. vgl. auch EGH München, BRAK-Mitt. 1988, 271. Schließlich sei – so die Karlsruher Richter – nur sehr schwer vorstell- 59 LG Köln, ebenda. 60 Hier liegt nach st.Rpr. in jedem Fall eine irreführende Werbung iSd § 3 UWG: bar, dass durch die Aussage ein irreführender Eindruck bei den Recht- OLG Dresden, DStR 1995, 1567. suchenden entstehen könne. Abwegig war auch die Unzulässigerklä- 61 Vgl. OLG Celle, DStR 1992, 557; LG Hannover, StB 1993, 242; EG Hamm, rung des Slogans: »Alles was Recht ist, Rechtsanwälte …« als Verstoß BRAK-Mitt. 1993, 226. 62 LG Berlin, MDR 2000, 915. gegen das Sachlichkeitsgebot durch den AGH Nordrhein-Westfalen,68 63 BGH, BRAK-Mitt. 1998, 98. da in übertreibender Weise eine besonders umfassende Beratungs- 64 LG München II, StB 2001, 185. 65 OLG Düsseldorf, BRAK-Mitt. 2000, 46. kompetenz suggeriert werde. Nicht haltbar ist auch die Entscheidung 66 OLG Köln, Urt. v. 29.7.1998, WPK-Mitt. 1999, 68. des OLG Karlsruhe,69 in der der Satz beanstandet wurde: »Steuern 67 BVerfG, MDR 2000, 358. 68 AGH NRW, MDR 1999, 1099; so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 22.9.2000 – 2 U 67/00 sparen mit ihrem Steuerberater«. Wozu schaltet man denn sonst den (n.v.). Berater ein? 69 OLG Karlsruhe, DStRE 2000, 223. Wenig überzeugend ist auch die Unzulässigerklärung von Formu- 70 OLG Düsseldorf, MDR 1999, 258, 259. 71 BGH, NJW 1997, 2522, 2524. lierungen z.B. durch das OLG Düsseldorf:70 »Erbrechtliche und erb- 72 BVerfG, NJW 2001, 3324 – Fortbildung, Interessenschwerpunkt. schaftsteuerrechtliche Beratung aus einer Hand« – ähnlich aber auch 73 LG München II, Stb 2001, 185. 71 74 Schmittmann, Stb 2001, 182 der BGH – als reklamehafte Selbstanpreisung, die nicht sachlich 75 OLG München, NJW 2001, 1950; vgl. auch BGH, NJW 1997, 2681: »Die informiere, sondern eine unzulässige Selbsteinschätzung beinhalte. Besten II«.

Neue Justiz 2/2002 61 Aufsätze Kleine-Cosack, Vom Werbeverbot zum Werberecht

kürzlich die Publikation derartiger Listen im Juve-Handbuch mit dem wendet er sich nur an ganz wenige oder sogar nur einen potentiellen Titel »Wirtschaftskanzleien – Rechtsanwälte für Unternehmen« als Mandanten, bei denen er Beratungsbedarf vermutet, dann könnte es wettbewerbswidrig beurteilt. Darin wurden die nach Meinung der sich um unzulässige Mandatswerbung handeln. Redaktion besten Kanzleien in farblich hervorgehobenen Tabellen in Wichtiger als die nur am Wortlaut orientierte Unterscheidung mehrere Ranggruppen eingeteilt, die als Empfehlungslisten zu ver- zwischen Mandats- und Mandantenwerbung ist vielmehr bei der stehen und auf eigene Recherchen der Redaktion gestützt waren. Das gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 43b BRAO, dass OLG München sah darin anders als die Vorinstanz eine getarnte die auf die Erteilung eines ganz konkreten Auftrags im Einzelfall aus- wettbewerbswidrige Wirtschaftswerbung, zumal sich die Kanzleien gerichtete Werbung gemeinwohlschädlich ist. Die dritte Werberechts- mit bezahlten Anzeigen an anderer Stelle im Handbuch präsentieren schranke soll den Rechtsuchenden vor einer Beeinträchtigung seines konnten. Rechts auf freie Wahl des Rechtsberaters, wie es z.B. in § 3 Abs. 3 BRAO normiert ist, schützen.83 Bewahrt werden muss der Rechtsuchende 3. Einzelfallauftrag davor, dass Rechtsberater sich ihm aufdrängen. Die Qualität der Dienstleistungen und die Leistungsfähigkeit von Berufsangehörigen Die dritte gesetzliche Schranke des § 43b BRAO untersagt den Rechts- sind für unkundige Dritte ohnehin nur schwer zu durchschauen. anwälten eine Werbung, die auf die Erteilung eines Auftrags im Wenn Rechtsprobleme auftreten, befinden sich Rechtsuchende Einzelfall gerichtet ist. Die Auslegung dieses Verbotskriteriums war zudem oftmals auch allgemein in Schwierigkeiten (z.B. Haft, Schei- heftig umstritten. Zwischenzeitlich hat sich jedoch die hier bereits dung, Schulden, Steuerbescheid, Todes-, Unglücksfälle). Die Berufs- seit dem In-Kraft-Treten des § 43b BRAO vertretene Ansicht76 in der angehörigen sollen die Lage des ohnehin verunsicherten Bürgers Rechtsprechung77 und Literatur durchgesetzt, nach der eine restriktive nicht durch Werbung um Einzelfallaufträge erschweren. Letzterer soll Auslegung geboten ist. sich – soweit es möglich ist – frei für einen bestimmten Berufs- angehörigen entscheiden. a) Werbung an potentielle Mandanten Am Maßstab dieser Kriterien konnte kein Zweifel bestehen, dass Mit der Neuregelung des § 43b BRAO konnte kein Zweifel daran auch an Nichtmandanten gerichtete Rundschreiben zulässig sind. bestehen, dass die Werbung nicht auf (ehemalige) Mandanten An dieser Werbeform hatte sich vor allem der Streit um die beschränkt ist. Die gegenteilige Ansicht – z.B. des OLG Düsseldorf 78 in Auslegung der dritten Verbotsvariante des § 43b BRAO entzündet. der Rundschreiben-Rechtsprechung – war gesetz- und verfassungs- Sie wurde von einigen uneinsichtigen Kammern und Gerichten für widrig. Der Gesetzeswortlaut enthält keine derartige Beschränkung. unzulässig erachtet. So sah darin z.B. das OLG Düsseldorf 84 noch In der Begründung des Gesetzentwurfs ist sogar ausdrücklich auch 1998 eine unzulässige Anwaltswerbung, weil auch allgemein gehal- von »potentiellen Mandanten« die Rede.79 Jede relevante und sinn- tene Rundschreiben auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall volle Werbung ist gerade an Nichtmandanten – also potentielle gerichtet seien, zumal die Anwälte ihre Dienste auf einen ganz Mandanten – gerichtet; dies gilt erst recht bei der Verwendung bestimmten, konkret bezeichneten Regelungsbedarf angeboten bestimmter Medien wie Zeitungsanzeigen. Werbung ist bei (ehema- hätten. Nach der Gesetzesbegründung sei die gezielte Werbung um ligen) Mandanten zudem weitgehend entbehrlich; hier zählt allein Mandate verboten, weil sie mit dem Anwaltsberuf, namentlich mit die Leistung. Ist sie schlecht, dann tröstet auch nicht die Übergabe der Stellung des Rechtsanwalts als Organ der Rechtspflege nicht ver- einer Praxishochglanzbroschüre.80 einbar sei. In Übereinstimmung mit dem BGH 81 ist daher eine Anwaltswer- Der BGH 85 hat mit seiner Rundschreiben-Entscheidung nunmehr bung nicht deshalb unzulässig, weil sie sich an Personen richtet, zu auch in diesem Punkt Klarheit geschaffen unter Bestätigung der Recht- denen kein mandantschaftliches Verhältnis besteht oder bestanden sprechung des OLG Stuttgart 86 und des OLG München.87 hat. Damit steht zugleich außer Zweifel, dass den Rechtsanwälten Auch der BGH 88 folgt im Prinzip der skizzierten restriktiven Aus- auch die Werbeform des Direktmarketing erlaubt ist.82 Die entschei- legung der dritten Verbotsschranke des § 43b BRAO: Eine für sich dende Frage ist allein, wo die Grenzen einer solchen Werbung wegen genommen an sich zulässige Werbung um mögliche Auftraggeber der dritten gesetzlichen Verbotsschranke verlaufen. könne sich als eine auf die Erteilung von Aufträgen im Einzelfall Bei der unverzichtbaren verfassungskonformen Auslegung sind zwei Aspekte kumulativ erforderlich: konkretes Mandat und Gemein- wohl.

Schon der Wortlaut des § 43b BRAO verbietet nur die auf die Ertei- 76 Vgl. bereits Kleine-Cosack, BRAO, 2. Aufl. 1995, § 43b Rn 23; dem folgend z.B: lung eines Auftrags im Einzelfall gerichtete Werbung, also eine Henssler/Prütting, BRAO, 1996, § 43 Rn 45; Römermann (Fn 18), § 6 Rz 87. Mandatswerbung. Es muss daher einmal um die Werbung für konkrete 77 Vgl. nur neuestens BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II, u. NJW 2001, 2886 – Rundschreiben. Mandate gehen, also die Scheidung des Herrn X, der Verkehrsunfall 78 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 1076; vgl. auch BVerfG, NJW 1992, 1614 (Ver- des Herrn Y. Die bloße Werbung allgemein um Mandanten – also eine sendung von Formularschreiben an unbekannten Personenkreis); so aber auch Feuerich/Braun, BRAO, § 43b Rn 66; Gehre, StBerG, § 57a Rn 25; LG Düsseldorf, Mandantenwerbung – wird nicht von der dritten Verbotsschranke WPK-Mitt. 1996, 231. erfasst. Sie wird vor allem bei einer Werbung beachtet, mit der ein 79 Vgl. Römermann (Fn 18), § 6 Rn 94 ff.; siehe auch BGH, NJW 1996, 852, wonach Anwalt den Umworbenen nur allgemein informiert über sein Dienst- eine interessengerechte, sachlich angemessene, unaufdringlich gestaltete, nicht irreführende Information, »nicht als eine gezielte Werbung im Sinne eines unauf- leistungsangebot durch Angaben zu seiner Kanzlei sowie Schwer- gefordert direkten Herantretens an potentielle Mandanten angesehen werden« punkten seiner Tätigkeit. könne. 80 So auch OLG Stuttgart, AnwBl. 1997, 497. Mit der nur begrifflichen Unterscheidung zwischen zulässiger 81 BGH, NJW 2087, 2089 – Anwaltswerbung II; NJW 2001, 2886 – Rundschreiben. Mandanten- und verbotener Mandatswerbung wird die Schranke des 82 Nicht haltbar demgegenüber Eversloh, Stb 2001, 23. 83 Vgl. so bereits Kleine-Cosack (Fn 76), § 43b Rn 23; dem folgend Henssler/ § 43b BRAO jedoch nicht ausreichend umschrieben. Schließlich ist Prütting/Eylmann, BRAO, § 43 Rn 45; Hartung/Holl/Römermann, Werberecht, schon die Unterscheidung zwischen beiden Werbevarianten in der § 6 BO Rn 87. Praxis fließend. Wendet sich ein Rechtsanwalt mit einer großen Zahl 84 OLG Düsseldorf, NJW-RR 1999, 1076. 85 BGH, NJW 2001, 2886 – Rundschreiben. von Rundschreiben an potentielle Rechtsuchende und informiert er 86 OLG Stuttgart, AnwBl. 1997, 487. lediglich über sein Dienstleistungsangebot, dann liegt zwar nur eine 87 OLG München, NJW 2000, 2824: zulässige Versendung einer Praxishochglanz- broschüre. Mandantenwerbung vor. Verwendet er jedoch in seinen Schreiben 88 BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II, u. NJW 2001, 2886 – Rundschrei- bestimmte auf Mandatierung gerichtete Formulierungen oder ben.

62 Neue Justiz 2/2002 Kleine-Cosack, Vom Werbeverbot zum Werberecht

gerichtete, gegen § 43b BRAO verstoßende Werbung darstellen, wenn versteht sich von selbst. In keinem Fall darf auch hier die Werbung der Umworbene in einem konkreten Einzelfall der Beratung oder der aufdringlich sein. Vertretung bedarf und der Werbende dies in Kenntnis der Umstände Andererseits geht es zu weit, wenn man den BGH 93 beim Wort neh- zum Anlass für seine Werbung nehme. Eine solche Werbung sei als men würde und bei jedem akuten Beratungsbedarf eine unzulässige unzulässig anzusehen, weil sie in gleicher Weise wie die offene Wer- Werbung im Einzelfall annähme. Ein dissentierender Richter in einer bung um die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall in einer oft als Entscheidung des Supreme Courts hat zu Recht betont,94 dass es z.B. aufdringlich empfundenen Weise auszunützen versuche, dass sich der nicht ohne weiteres zu rechtfertigen ist, wenn eine anwaltliche Umworbene bspw. in einer Lage befinde, in der er auf Hilfe ange- Berufsregel nach einem Todesfall jede Werbung von Anwälten inner- wiesen ist und sich möglicherweise nicht frei für seinen Anwalt ent- halb von zwei Monaten untersagt; schließlich kann nicht ausge- scheiden kann. schlossen werden, dass die Betroffenen gerade entsprechende Hilfe Dieser Schrankenziehungsversuch des BGH bedarf aber partiell der benötigen. Revision. Es kann nicht allen Ernstes schon eine verbotene auf den Wo in diesen Fällen die Grenze zwischen zulässiger und verbotener Einzelfall gerichtete Werbung angenommen werden, wenn der Werbung verläuft, kann nicht allgemein, sondern nur unter Berück- Umworbene der Beratung »bedarf«. Schließlich ist gerade dann eine sichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden. So kann Werbung sinnvoll und ist jede – effektive – Werbung an einem poten- ein wirtschaftlicher Zusammenbruch eines Anlageunternehmens 95 tiellen Bedarf orientiert. Die Auslegung des BGH ist schädlich für den nicht verglichen werden mit einem Todesfall. Auch ist in vielen Fällen Rechtsuchenden und schränkt zudem unverhältnismäßig die Berufs- oftmals ein koordiniertes und schnelles Handeln unverzichtbar, weil ausübungsfreiheit des Anwalts ein, der andernfalls zu einer ineffek- sonst ein Zugriff auf vorhandene Vermögenswerte zu spät kommt. tiven Werbung mit hohen Streuverlusten verpflichtet würde. Recht- Im Übrigen sollte bei einer voreiligen Verurteilung anwaltlicher lich ist vielmehr – insoweit in Übereinstimmung mit dem BGH – Werbung berücksichtigt werden, dass sie – und so ist die Praxis – leicht entscheidend, dass die Werbung nicht aufdringlich auf eine konkrete durch Pressemitteilungen oder auch durch die Gründung von Initi- Mandatserteilung gerichtet ist und die Freiheit des Rechtsuchenden ativen Betroffener, welche dann einen Rechtsanwalt empfehlen, bei der Beraterwahl erhalten bleibt. umgangen werden kann. b) Grenzfälle Die verbotene Aufdringlichkeit der Werbung kann sich aus den III. Ausblick Umständen oder dem Inhalt der Werbung ergeben. Unstreitig liegt eine gesetzwidrige Werbung vor, wenn der werbende Berufsange- Der zähe Kampf um das Werberecht der freien Berufe in den vergan- hörige den Umworbenen offen und direkt auffordert, ihn zu beauf- genen Jahren verdeutlicht exemplarisch die Überforderung mancher tragen bzw. seinen bisherigen Berater zu wechseln. Entgegen dem beteiligter Juristen jedweder Provenienz beim Vollzug des werbe- OLG Dresden 89 ist aber keine Gemeinwohlschädlichkeit in dem Satz rechtlichen Paradigmenwechsel. Sie haben ein gestörtes Verhältnis zu erkennen: zu Freiheitsrechten an den Tag gelegt. Es bedarf nicht der prophe- »Sofern Sie Beratungsbedarf auf den genannten Gebieten haben und tischen Kraft des aus der griechischen Mythologie bekannten hier anwaltlich noch nicht vertreten sind, stehen wir ihnen als sach- Sehers Teiresias, um zu prognostizieren, dass sich die Problematik der kundige Ansprechpartner gerne zur Verfügung«. Grenzen des Werberechts der freien Berufe schon in naher Zukunft Ebenso wenig vermag zu überzeugen, wenn der AGH Baden Württem- weitgehend erledigen wird. Der Freiberuflerstatus rechtfertigt schließ- berg 90 die schlichte Formulierung beanstandete: lich keine nennenswerten Werbungsrestriktionen mehr, welche »Wir beraten Sie in allgemeinen Rechtsangelegenheiten«. über das für alle Dienstleistungsberufe geltende Wettbewerbsrecht hinausgehen. Wie fließend die Grenzen sind, zeigt eine Entscheidung des AnwG Die Öffnung der nationalen Dienstleistungsmärkte im Zuge der Hamm.91 Es beanstandete nicht die Anzeige eines Rechtsanwalts: Globalisierung wird den bisher vor allem verfassungsrechtlich »Das Transplantationsgesetz lässt Organentnahmen bei Einwilligung bedingten Abbauprozess noch erheblich beschleunigen. Letztlich von Angehörigen zu. Schaffen Sie selbst Klarheit. Machen Sie das Testa- steht der gesamte Sonderstatus der Freiberufler mit ihren Privilegien ment Ihres Körpers … Auskünfte und Beratung Rechtsanwalt …«. auf dem Prüfstand. Die massiven Attacken des Brüsseler Wettbewerbs- Das AnwG München hat in einem Beschluss 92 den nach einer Auf- kommissars Montis sollten auch den blindesten Verteidigern der nahme eines neuen Partners in einer Anzeige enthaltenen Satz Freiberuflichkeit deutlich gemacht haben, welch scharfer Wind ihnen »Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit« nicht beanstandet; in der Zukunft ins Gesicht bläst. die Staatsanwaltschaft sah darin eine unzulässige aufdringliche Wer- bemethode. c) Werbung in Katastrophenfällen Fraglich ist, welche Bedeutung der dritten Alternative des § 43b BRAO zukommt in Katastrophenfällen (z.B. Eschede, Kaprun oder New 89 OLG Dresden, BRAK-Mitt. 1998, 239. 90 AGH BW, NJW 1997, 1316. York) bzw. bei sonstigen Notlagen wie bei wirtschaftlichen Zusam- 91 AnwG Hamm, MDR 2000, 55. menbrüchen (z.B. von Holzmann oder der Herstatt-Bank). Dass hier 92 AnwG München, Beschl. v. 22.1.1990 – 3 AnwG Nr. 51/1997 (n.v.). 93 BGH, NJW 2001, 2087 – Anwaltswerbung II. äußerste Zurückhaltung mit jedweder Werbung im Hinblick auf die 94 Vgl. die Nachw. bei Kleine-Cosack (Fn 1), Rn 214. betroffenen Opfer und ihnen nahe stehende Personen geboten ist, 95 Zu eng AGH BW, Beschl. v. 25.6.2001 – AGH 13/01 (III) - 2 (n.v.).

Neue Justiz 2/2002 63 Aufsätze

Hilde Benjamin (1902-1989) Dr. Andrea Feth, Berlin

Anlässlich des 100. Geburtstages Jugend in Berlin-Steglitz von Prof. Dr. Hilde Benjamin skizziert die Autorin das Bild der Geboren wurde Hilde Benjamin am 5.2.1902 in Bernburg/Saale als bekanntesten und zugleich wohl Hildegard Lange, Tochter des kaufmännischen Angestellten Walter umstrittensten Juristin der DDR, die Lange und seiner Frau Adele. Die Familie zog 1904 nach Berlin, wo beim Aufbau des Rechtssystems in die Geschwister Heinz und Ruth geboren wurden. Ihr Elternhaus der DDR eine besondere Rolle gespielt war evangelisch, aber nicht religiös geprägt, liberal-bürgerlich und hat. Sie war maßgeblich an der kulturell interessiert. Hilde Benjamin besuchte die Sachsenwald- und personellen Umstrukturierung der Fichtenbergschule in Steglitz und bestand 1921 das Abitur. Ihr in der Justiz, als Vorsitzende Richterin am Jugend entstandenes Interesse für klassische Musik und Literatur Obersten Gerichts bei der Aburtei- pflegte sie während ihres gesamten Lebens. lung von Gegnern des Staates und Die Novemberrevolution 1918 erlebte sie bereits bewusst und war als Justizministerin an der Ausar- wie viele im Bürgertum entsetzt über die Ermordung von Rosa Luxem- beitung neuer, sozialistischer Gesetze burg und Karl Liebknecht. Sie schloss sich der Wandervogel-Bewegung beteiligt. an, die 1896 in Steglitz gegründet worden war. Diese älteste Organi- sation der Jugendbewegung wollte weg von der konventionellen Welt der Erwachsenen hin zu Naturbezug und Humanität. Hier entstand ihr Symbolfigur der DDR-Justiz für viele junge Intellektuelle der Zeit typisches Weltbild: Ablehnung der bürgerlichen Konventionen, ausgeprägtes Gefühl für soziale Unge- Hilde Benjamin, Justizministerin der DDR von 1953 bis 1967, wäre am rechtigkeit und eine vage links orientierte politische Einstellung. 5.2.2002 100 Jahre alt geworden. Ihr Leben erstreckte sich über meh- Hilde Benjamin entschloss sich 1921, nach dem Vorbild Karl Lieb- rere Epochen der deutschen Geschichte, vom Kaiserreich, dessen Ende knechts, mit dessen Tochter sie zur Schule gegangen war, Rechtswis- sie bereits bewusst als junges Mädchen erlebte, über die Weimarer senschaft zu studieren. Diese Studienwahl erstaunt insofern, als erst ab Republik und die Zeit des Nationalsozialismus bis zur deutschen Nach- 1922 Frauen zum 2. Staatsexamen und damit zu juristischen Berufen kriegsgeschichte. Sie starb im April 1989, so dass ihr die Erfahrung vom zugelassen wurden. Frauen stellten damals eine verschwindende Ende des Staates, dessen Aufbau sie ihr Leben gewidmet hatte, erspart Minderheit der Jurastudenten, die feindselig behandelt wurde (auch blieb.1 wenn dies von Hilde Benjamin nicht bestätigt worden ist). Hinzu kam, Sie war eine der bekanntesten und gleichzeitig gefürchtetsten dass sie sich das Studium teilweise selbst verdienen musste, was ihre Personen der DDR-Geschichte, bekannt unter Namen wie »die rote Außenseiterrolle festigte, aber auch ihr soziales Engagement verstärkte. Hilde« oder »die blutige Hilde«. Zugleich wurde sie von der Staats- Nach dem 1. Staatsexamen 1924 war sie als Referendarin in Berlin in führung der DDR hochgeehrt; den Karl-Marx-Orden, die höchste der Jugendgerichtshilfe, beim Jugendamt und im Frauengefängnis Auszeichnung der DDR, erhielt sie zweimal.2 tätig. 1928 absolvierte sie die 2. Staatsprüfung. In der BRD war sie eines der negativen Symbole der DDR. Roman 1926 heiratete sie Georg Benjamin, einen sieben Jahre älteren Arzt und Herzog meinte in seiner Antrittsrede als Bundespräsident am 1.7.1994 Kommunisten aus einer großbürgerlichen jüdischen Familie, Bruder des zur Frage der deutschen Nation: Philosophen und Schriftstellers . Die Familie Benjamin »Man kann nicht Hitler gegen Beethoven aufrechnen oder Himmler gegen war wohlhabend, religiös liberal und akademisch gebildet. Georg Benja- Robert Koch oder Hilde Benjamin gegen Grundgesetz und Rechtsstaat.«3 min hatte über die Wandervogel-Bewegung, seine Kriegserlebnisse im Ersten Weltkrieg und sein soziales Engagement als Arzt und Gesund- Und Rudolf Wassermann, OLG-Präsident a.D., setzte Hilde Benjamin heitspolitiker den Weg zur KPD gefunden. Er sollte zum prägenden Vor- und Roland Freisler als »Exponenten totalitärer Justiz« gleich: bild für seine Frau werden, wie sie selbst in seiner Biographie schreibt: »Beide waren beflissene Diener ihrer Systeme, Vollstrecker ihrer »Richtig aber war, dass die Gemeinschaft mit Georg Benjamin, der mir Weltanschauungen und in diesem Sinne eifernde, rücksichtslose und an Alter, Lebens- und Parteierfahrung überlegen war, meine politische parteiliche Überzeugungstäter mit allen Konsequenzen, die sich daraus Entwicklung beschleunigte, so dass ich im November 1927 Mitglied der ergaben. In die Justizgeschichte sind sie als Verkörperung ihrer unheil- kommunistischen Partei wurde.«6 vollen Systeme eingegangen, für die Parteilichkeit und Terror charakte- ristisch waren.«4 Die KPD war bereits zur »Partei neuen Typs« geworden, die die Führungsrolle der KPdSU bedingungslos anerkannte und unter der Auch in der DDR hatte sie keinen sonderlich guten Ruf. Der Beiname Leitung Ernst Thälmanns nach dem Prinzip des demokratischen »die rote Hilde« war zwar eine eher anerkennend gemeinte Bezeich- Zentralismus straff von oben nach unten organisiert war. Für Hilde nung, die aus der Zeit als linke Rechtsanwältin in stammte. Benjamin, die einen scharfen Intellekt und ausgeprägte Disziplin hatte, Sie war aber zugleich als »rote Guillotine« oder »blutige Hilde« gefürch- aber auch die Neigung zum schroffen Umgang mit Gegnern wie tet, vor allem wegen ihrer Tätigkeit als Vorsitzende Richterin in den Genossen, wurde diese Parteidisziplin selbstverständlich. Konzern- sowie Kriegs- und Boykotthetzeprozessen des Obersten Gerichts der DDR Anfang der 50er Jahre.5 Ihr Bild in der Öffentlichkeit 1 Zur Biographie Hilde Benjamins vgl. A. Feth, Hilde Benjamin – Eine Biographie, war außer durch harte Strafen von ihrem Verhalten während der Berlin 1997; M. Brentzel, Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902-1989, Berlin 1997. 2 Vgl. Verzeichnis der Orden und Auszeichnungen Hilde Benjamins in: A. Feth, Verhandlungen geprägt, die sie im Stil der Schauprozesse nach sowje- ebenda, S. 247 ff. tischem Vorbild durchführte. Sie ähnelte dabei ihrem großen Vorbild 3 Der Tagesspiegel v. 2.7.1994. 4 R. Wassermann, DRiZ 1994, 285. Andrej Wyschinski und wurde für die DDR-Justiz jener Jahre zur Leit- 5 Z.B. Westdeutsche Zeitung v. 18.6.1952. figur, wie es Wyschinski für die Sowjet-Justiz der 30er Jahre gewesen war. 6 H. Benjamin, Georg Benjamin. Eine Biographie, 2. Aufl., Leipzig 1982, S. 185.

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Rechtsanwältin in Berlin Mit Rückendeckung der SMAD konnte Hilde Benjamin ihre Vorstel- lung von Volksrichtern durchsetzen. Diese sollten nach einem inter- Im April 1929 erhielt Hilde Benjamin ihre Zulassung zur Anwaltschaft nen Erlass der SMAD v. 17.12.1945 »überzeugte Antifaschisten im und eröffnete ihre Kanzlei in Wedding, einem roten Arbeiterviertel Alter von 25 bis 35 Jahren (sein) …, die nach ihren Fähigkeiten und von Berlin. Die Praxis war eine »Laufpraxis« mit Ehescheidungs- Charaktereigenschaften die Gewähr dafür bieten, dass sie den Lehr- sachen, Mietstreitigkeiten und Beleidigungsklagen, aber auch Kündi- gang mit Erfolg besuchen und späterhin ein Richteramt ausfüllen gungsschutzklagen vor den Arbeitsgerichten und Strafsachen von können«.9 Die Kurse dauerten zunächst sechs Monate, später ein Jahr. Arbeitern wegen Streikbeteiligung. Der bedeutendste Prozess, an dem Die SED bemühte sich, möglichst viele Arbeiter für die Ausbildung sie beteiligt war, war 1930 das Verfahren gegen Arbeiter, die sich für zu gewinnen, denn es ging nicht nur um die Entnazifizierung der den Tod des SA-Mannes Horst Wessel zu verantworten hatten. Justiz, sondern um ihre »Demokratisierung«, d.h. um die radikale Ver- Neben ihrer Arbeit als Rechtsanwältin unterrichtete sie an der änderung der personellen Zusammensetzung der Justiz in kürzester »Marxistischen Arbeiterschule« und engagierte sich in ihrer »Straßen- Zeit. Dieser einmalige Elitenaustausch gelang auch: Ende 1950 waren zelle«, der Grundorganisation der KPD. Durch den Kontakt mit 61% der Richter und Staatsanwälte in der DDR Absolventen der Arbeitern über ihre Anwaltstätigkeit und die ärztliche Praxis ihres Volksrichterlehrgänge, fast 40% stammten aus Arbeiterfamilien, 54% Mannes, die Erfahrung der Diskriminierung von Arbeitern durch die der Richter und 87% der Staatsanwälte waren SED-Mitglieder, ca. 10% Behörden und vor Gericht wurde sie zur überzeugten Marxistin. waren Frauen. Hilde Benjamin hatte großen Wert darauf gelegt, dass Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 war die möglichst viele Frauen an den Kursen teilnahmen. Sie hatte sich Familie Benjamin – seit Ende 1932 mit Sohn Michael – in akuter Gefahr. immer wieder persönlich um deren Probleme gekümmert, wie sie auch Georg Benjamin, der gerade zum Bezirksverordneten in Wedding wieder- in späteren Jahren die Karrieren der Volksrichter genau verfolgte und gewählt worden war, wurde in Schutzhaft genommen. Er wurde aus der förderte entsprechend dem Motto »Neue Macht, neue Kader«, mit Ärztekammer ausgeschlossen ebenso wie Hilde Benjamin die Zulassung dem sie ein Kapitel in dem von ihr herausgegebenen Buch »Zur zur Rechtsanwaltschaft entzogen wurde. Da er sich nach seiner Entlas- Geschichte der Rechtspflege der DDR« überschrieb. sung für die illegale KPD engagierte, wurde er 1936 zu einer sechs- jährigen Zuchthausstrafe verurteilt, nach deren Ablauf er 1942 im KZ Sachsenhausen ermordet wurde. Hilde Benjamin, die zunächst noch für Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR die Sowjetische Handelsvertretung gearbeitet hatte, zog mit ihrem Sohn zu ihren Eltern nach Steglitz und verbrachte die Jahre der Nazi- Mit der Gründung der DDR am 7.10.1949 wurde Hilde Benjamin herrschaft möglichst unauffällig, wohl um ihren Sohn zu schützen. zunächst Vizepräsidentin des Obersten Gerichts. Justizminister wurde Mit dem Tod ihres Mannes verlor Hilde Benjamin die Person, die sie , ein Sozialdemokrat, der sich für die Vereinigung von KPD in ihrer persönlichen und politischen Entwicklung am meisten und SPD eingesetzt hatte, aber keinerlei Rechtskenntnisse besaß. beeinflusst hatte. Zugleich verknüpfte sich die Erinnerung an ihn auf Grund für seine Ernennung anstelle der Juristin und Kommunistin fatale Weise mit der Bindung an die Partei. Jede Kritik an der Partei Hilde Benjamin war, dass in der ersten Zeit nach der Vereinigung der oder gar der Bruch mit ihr wäre ein Verrat an ihm gewesen. Nach beiden Parteien alle Positionen mit SPD- und KPD-Funktionären pari- seinem Tod stand die Partei in ihrem Leben an erster Stelle, keine tätisch besetzt wurden. Aber es ist zu vermuten, dass auch eine gewisse Bindung, keine Beziehung ging dieser vor, wie sie selbst 1951 in ihrem Abneigung der SED-Führung gegen Hilde Benjamin eine Rolle spielte. internen Lebenslauf für die SED schrieb. Für die »Arbeiterkader« an der Parteispitze fehlte ihr der richtige »Stallgeruch«, sie blieb eine Akademikerin aus bürgerlichem Haus, die intellektuelle Interessen pflegte, nicht in Moskau im Exil gewesen war Staatsanwältin und Mitarbeiterin der Zentralen und deren Linientreue und aggressiver Eifer selbst den Genossen etwas Justizverwaltung in der SBZ unheimlich war. Der Sprung in das Politbüro gelang ihr bezeichnen- derweise nie. Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches im Mai 1945 und der Am Obersten Gericht war sie Vorsitzende des Senats für die erst- Übernahme durch die Rote Armee war Hilde Benjamin bereit, instanzlichen Strafverfahren, an dem unter ihrem Vorsitz insgesamt nach zwölf Jahren erzwungener Untätigkeit für einen neuen Staat ein- 13 erstinstanzliche Urteile gesprochen wurden. Die sog. Konzernpro- zutreten. Sie wurde als Oberstaatsanwältin mit der Wiedereröffnung zesse gegen die Deutsche Continentale Gasgesellschaft (DCGG) und des Amtsgerichts Steglitz-Lichterfelde beauftragt: gegen den Solvay-Konzern richteten sich gegen Mitarbeiter dieser »Und auch das erschien mir selbstverständlich, daß der Rechtsanwalt, Betriebe und Ministerialbeamte, die versucht hatten, die Betriebe der der Arbeiter gegen die Weimarer Reaktion verteidigt hatte, nun Staats- Enteignung zu entziehen bzw. Teile des Vermögens in den Westen zu anwalt zur Verteidigung des neuen werdenden Staates war, wenn sich schaffen, und damit gegen SMAD-Befehl Nr. 160 verstießen. Die auch uns das Wesen und der Weg des werdenden neuen Staates noch Verfahren fanden vor Publikum statt, um der Bevölkerung vor Augen keineswegs klar abzeichnen konnte.«7 zu führen, wie Widerstand gegen die Enteignungen geahndet wurde, Im Juli 1945 wurde Deutschland in vier Sektoren eingeteilt und die und endeten mit hohen Zuchthausstrafen für die Angeklagten, denn Sowjetische Militäradministration (SMAD) errichtete Deutsche Zen- – wie es in einem Urteil des Obersten Gerichts hieß – »Die Verbrechen tralverwaltungen, darunter eine für Justiz (DJV), in der Hilde Benjamin der Angeklagten bestehen im Grunde darin, dass sie diese unsere ab August 1946 die Kaderabteilung leitete. Präsident der DJV wurde Entwicklung zu stören versuchen«.10 der 85-jährige , der wie die meisten Mitarbeiter ein Eine zweite Gruppe von Urteilen betraf Verfahren wegen Kriegs- und bürgerlicher Jurist war. Nur der Vizepräsident und die Leiter der Boykotthetze. Rechtsgrundlage war Art. 6 der Verfassung v. 7.10.1949, Abteilungen Gesetzgebung und Personal waren Kommunisten, getreu dem Motto Ulbrichts »Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben«.8 Die bürgerlichen und kommunis- 7 H. Benjamin: Von nun an muß die Justiz dem Volke dienen, aus: Wir sind die Kraft. Der Weg zur Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Institut für tischen Juristen in der DJV stritten intensiv über die Frage, wie der Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1959, S. 104. Personalmangel in der Justiz behoben werden könne, der durch die 8 W. Leonhard, Die Revolution entläßt ihre Kinder, München 1955, S. 317. 9 Zit. nach H. Benjamin, Zur Frage des Volksrichters, Denkschrift von Nov. 1945, konsequente Entlassung aller nazibelasteten Juristen in der SBZ SAPMO-BA NL 182/1118, S. 4. (ca. 85%) entstanden war. 10 Urteil im Moog-Prozess, NJ 1951, 184.

Neue Justiz 2/2002 65 Aufsätze Feth, Hilde Benjamin (1902-1989)

der u.a. bestimmte, dass Boykotthetze und Kriegshetze Verbrechen begleitet und legte großen Wert auf Geheimhaltung. Da sie selbst sehr seien. Diese Verfassungsbestimmung enthielt weder bestimmte Tatbe- viel und genau arbeitete, verlangte sie dies auch von den Mitarbeitern. standsmerkmale noch einen Strafrahmen. Nach Art. 6 der Verfassung Wie ihre langjährige Sekretärin Gittel Weiß es umschrieb, war mit ihr wurden zum einen Zeugen Jehovas verurteilt, zum anderen eine Bande »nicht gut Kirschen essen«, wenn etwas nicht oder nicht gut erledigt von Jugendlichen, die sich »Bluthunde« nannte, außerdem Mitglie- wurde. Sie konnte freundlich und liebenswürdig sein, aber auch chole- der des »Bundes deutscher Jugend« und der »Kampfgruppe gegen rische Wutanfälle bekommen. Ihr persönlicher Referent Dr. Gerhard Unmenschlichkeit« sowie des »Untersuchungsausschusses freiheit- Schreier bezeichnet sie als »Mutter und Furie zugleich«.14 licher Juristen«. Die Angeklagten hatten meist Flugblätter verteilt und Hilde Benjamin hatte zunächst die schwierige Aufgabe zu lösen, die Informationen beschafft, in einzelnen Fällen aber auch Anschläge Gerichte bei der Aburteilung der Akteure des 17. Juni 1953 zu steuern. geplant. Die Strafen waren angesichts der Taten sehr hart, meist Die Richter mussten in ihrem »sozialistischen Rechtsbewusstsein« exorbitant hohe Zuchthausstrafen, in zwei Fällen Todesurteile, die unterstützt werden, um einerseits den »Neuen Kurs« fortzusetzen, der auch vollstreckt wurden. den Unmut der Arbeiter besänftigen sollte, und andererseits diejeni- Diese Verfahren prägten das Bild Hilde Benjamins in der Öffentlich- gen streng abzuurteilen, die es gewagt hatten, sich gegen die SED- keit in Ost und West. Ihre Verhandlungsführung, geschult am Vorbild Führung aufzulehnen. Die Gerichte sollten unterscheiden zwischen des Staatsanwalts der UdSSR und Anklägers Stalins in den Schau- dem »ehrlichen Arbeiter«, der aus Leichtfertigkeit, Not oder politischer prozessen der 30er Jahre, Andrej Wyschinski, wird von einem in den Zurückgebliebenheit eine Straftat beging, und dem »Provokateur«, der Westen geflohenen Juristen so beschrieben: die bestehende Ordnung untergraben wollte. Im Justizministerium »Wenn Hilde Benjamin einen Prozeß leitet, wird gekämpft. Nicht um das wurde ein Operativstab unter Leitung von Hilde Benjamin eingerich- Urteil, daran ist nichts zu ändern. Aber die Angeklagten ringen um tet, der zu allen wichtigen anstehenden Urteilen vorab konsultiert einen Rest menschlicher Würde, um ihre Haltung. Und gerade die will wurde und seine Entscheidung telefonisch an die Richter in der die Rote Hilde vernichten … Die 51jährige beherrscht alles im Raum. ganzen DDR weitergab. Diese »operative Leitung« der Strafgerichte Sie kennt die Prozeßakten bis ins Detail. Es gibt nichts, was sie hindern könnte, die Verhandlung genau zu dem Urteil zu lenken, das vorge- wurde über die Justizverwaltungsstellen in den Bezirken und die schrieben wurde. Was die Angeklagten sagen oder stammeln ist für Instrukteure, die die Gerichte aufsuchten, dauerhaft ausgebaut, denn Hilde Benjamin allenfalls eine willkommene Gelegenheit, die Brillianz die auch in der DDR garantierte Unabhängigkeit der Richter galt nur ihres Verstandes, die Schärfe ihrer satirischen Zwischenbemerkungen für die Weisungsfreiheit im Einzelfall. Die Richter in der DDR blieben und vor allem ihre Macht funkeln zu lassen.«11 immer unsicher, wie sie das Prinzip der »sozialistischen Gesetzlich- Sämtliche Prozesse wurden im Politbüro vorbereitet und die Strafen keit«, das einerseits die strikte Einhaltung der Gesetze, andererseits die vor der Verhandlung bereits festgelegt. Es gibt Anzeichen, dass sie parteiliche Anwendung im Sinne der aktuellen politischen Entwick- zuvor auch mit den »Freunden« aus der Sowjetunion abgesprochen lung verlangte, in ihren Entscheidungen umsetzen sollten. Hinzu kam, waren. Aus der Verhandlungsführung Hilde Benjamins und aus den dass auch Parteistellen bis hin zum Politbüro immer wieder in die Urteilen lässt sich ein Freund-Feind-Schema ablesen, das in der Tradi- Rechtsprechung eingriffen. tion der kommunistischen Bewegung stand, in Zeiten des Kalten Die nach Stalins Tod und dem XX. Parteitag der KPdSU einsetzende Krieges aber durchaus auch im Westen üblich war. Hilde Benjamin war Liberalisierungsperiode fand in der Rechtswissenschaft der Sowjet- der Überzeugung, dass diese Arbeit ihre Pflicht war, aber ganz lässt sich union besonders fruchtbare Resonanz. Auch Hilde Benjamin machte ihre Härte damit nicht erklären. Ihre persönlichen Erlebnisse während vorsichtige Versuche, vom Stalinismus abzurücken und der Justiz im der Nazizeit, der Tod ihres Mannes müssen in ihr ein Bedürfnis nach sozialistischen Staat eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren. Im Rache, zumindest Vergeltung an echten und vermeintlichen Gegnern Januar 1958 distanzierte sie sich von der These, dass alle Verbrechen ausgelöst haben. im Klassenkampf wurzelten, und forderte die Einrichtung eines Ihre Richtertätigkeit wurde in der westlichen Presse immer wieder kriminologischen Instituts. Gleichzeitig forderte sie, das Prinzip des mit der des Präsidenten des Volksgerichtshofs Roland Freisler verglichen; demokratischen Zentralismus und der doppelten Unterstellung nicht sie wurde als »rote Guillotine« und »erste Henkerin« bezeichnet. Kein auf die Justiz anzuwenden, was ein Schritt zur Unabhängigkeit der anderer Richter oder Justizpolitiker der DDR wurde derart diffamiert. Justiz gewesen wäre. Doch Ulbricht konnte sich gegen die Opposition Dies kann seine Ursache darin haben, dass sie für den Westen nicht im Politbüro durchsetzen und machte auf der Babelsberger Juristen- nur ein Symbol des DDR-Regimes war, sondern es als Frau gewagt konferenz im April 1958 klar, dass »die Beschlüsse der Partei die hatte, in die männlich geprägte Juristenwelt einzubrechen und dort Grundlage für die Staats- und Rechtswissenschaft«15 seien. eine führende Rolle zu übernehmen. Der »Untersuchungsausschuss Hilde Benjamin gehorchte prompt und widerrief im Juni 1958 in freiheitlicher Juristen« schrieb über sie: einem Beitrag in der »Neuen Justiz« ihre Ansicht von der besonderen »Im allgemeinen liegt das Amt eines Strafrichters ohnehin nicht im Rolle der Justiz im demokratischen Zentralismus als »überwundene Wesen einer natürlichen unverbildeten Frau. Das Richteramt in einem enge Betrachtung«.16 Dieser Vorfall zeigt, dass sie durchaus eine eigen- kommunistischen Polizeistaat ist aber in jedem Fall ein trauriges Gewerbe, ständige Rolle in der DDR-Justiz spielte und es auch wagte, eine eigene 12 für jeden Richter, ob männlichen oder weiblichen Geschlechts.« Meinung öffentlich zu vertreten. Aber sobald sie Widerstand von Seiten des Politbüros spürte, gab sie diesen sofort auf. Dies mag selbst- verständliche Parteidisziplin gewesen sein, es mag aber auch ganz Justizministerin der DDR pragmatischer Opportunismus und schlichte Angst eine Rolle gespielt haben. Die Ereignisse des 17. Juni 1953 führten für Hilde Benjamin endlich auch zu einer äußerlich führenden Position. Nachdem Justizminister 11 Abendpost v. 16.7.1953. Max Fechner über ein Interview gestürzt war, in dem er den Fehler 12 Portraits aus der Sowjetzone (14): Dr. Hilde Benjamin, 1950, Bundesarchiv Berlin. gemacht hatte, auf das verfassungsrechtlich verbriefte Streikrecht 13 Max Fechner wurde am 15.7.1953 seines Amtes enthoben, aus der SED ausge- hinzuweisen,13 wurde sie am 17.7.1953 zu seiner Nachfolgerin ernannt schlossen, verhaftet und 1955 vom Obersten Gericht wegen »Verbrechens gegen Art. 6 der Verf./DDR zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. 1956 wurde er entlas- und ein Jahr später auch ZK-Mitglied. Den Mitarbeitern des Justiz- sen und 1958 durch Wiederherstellung seiner Parteimitgliedschaft rehabilitiert. ministeriums begegnete sie mit Misstrauen und versuchte, eine angeb- 14 Interview der Verf. mit G. Schreier am 18.8.1994. 15 Staats- und rechtswissenschaftliche Konferenz in Babelsberg am 2. u. 3. April liche sozialdemokratische Verschwörung aufzudecken. Zugleich führte 1958. Protokoll, Berlin 1958, S. 41. sie einen neuen Arbeitsstil ein: Sie war ständig von Leibwächtern 16 H. Benjamin, NJ 1958, 365

66 Neue Justiz 2/2002 Feth, Hilde Benjamin (1902-1989)

Durch den sog. Rechtspflegeerlass v. 4.4.1963 wurde dem Justiz- »nunmehr offen hervorgetretenen Faschisierung des Bonner Separat- ministerium die Zuständigkeit für die Anleitung und Kontrolle der staates« Aufgabe der DDR sei, Gerichte entzogen und auf das Oberste Gericht übertragen. Dieser »unseren demokratischen Staat und sein Recht ständig weiter zu einschneidende Verlust an Kompetenzen resultierte aus Strukturver- festigen, um unsere Demokratie, die vorbildlich für ganz Deutschland ist, zur vollen Entfaltung zu bringen. Damit erfüllen wir eine Funktion änderungen im Staatsapparat zugunsten der Machtausübung Walter von gesamtdeutscher Bedeutung, wir zeigen den Werktätigen in ganz Ulbrichts, der nach dem Bau der Mauer unangefochten herrschte. Nach Deutschland, wie der Weg zu gehen ist, der zu Frieden, nationaler dem Tode des Staatspräsidenten war durch Gesetz Einheit und Wohlstand führt.«18 v. 12.9.1960 der Staatsrat gebildet worden, dessen Vorsitzender eben- Kurz nach ihrem 65. Geburtstag wurde Hilde Benjamin mitgeteilt, dass falls Ulbricht wurde. Seitdem hatte das Oberste Gericht dem Staatsrat sie vom Amt des Justizministers zurücktreten solle. Sie hatte damit direkt zu berichten. Hilde Benjamin war über diesen Machtverlust sehr nicht gerechnet und war persönlich verletzt. Ihre Verabschiedung im ungehalten, fügte sich aber. Justizministerium am 17.7.1967 verlief ähnlich frostig wie ihr Amts- In den folgenden Jahren konzentrierte sie sich auf die Reform des antritt und soll nur ca. 25 Minuten gedauert haben. Ihr Nachfolger Strafgesetzbuches und des Familiengesetzbuches. Das neue StGB, das wurde der 38-jährige Dr. Kurt Wünsche, ein Politiker der LDPD.19 Damit unter ihrem Vorsitz ausgearbeitet wurde, trat erst 1967 in Kraft, wurde das Justizministerium erstmals einem Politiker einer Block- obwohl bereits seit Gründung der DDR daran gearbeitet worden war. partei überlassen. Dabei spielte Rücksicht auf Veränderungen in der Sowjetunion eine Die Gründe für ihre Absetzung sind nicht bekannt, aber möglicher- Rolle, aber auch die bundesdeutsche Entwicklung. Im Zusammen- weise wollte Ulbricht während der sich anbahnenden Annäherung hang mit einer Teilreformierung des alten StGB durch das Strafrechts- zwischen Ost und West das Ansehen der DDR dadurch verbessern, dass ergänzungsgesetz von 1957 war Hilde Benjamin vom Politbüro dann er Hilde Benjamin, eine Symbolfigur des Stalinismus, durch einen ausdrücklich mit der Erarbeitung eines neuen StGB beauftragt worden, Blockpolitiker ersetzte. Dies würde bedeuten, dass sie der Entspan- weil in der Bundesrepublik ebenfalls an einer Neufassung gearbeitet nungspolitik geopfert worden wäre. Angesichts des verheerenden wurde. Inhaltlich blieb das StGB geprägt von der bekannten Unter- Rufs, den sie im Westen genoss, ist dies eine durchaus plausible scheidung der Täter nach ihrer politischen Haltung. Durch eine Fülle Erklärung. Man kann ihre Entlassung aber auch als Zeichen der zu von abstrakt und unscharf gehaltenen Tatbeständen in den Verbre- Ende gehenden Ulbricht-Ära sehen. chen gegen die Menschlichkeit oder gegen die DDR war es möglich, jede beliebige Handlung als Staatsverbrechen mit harten Strafen bis zur Todesstrafe zu ahnden. Andererseits sah das Gesetz Milderungs- Professorin an der Deutschen Akademie für möglichkeiten für »resozialisierungsfähige Ersttäter« vor, entkrimi- Staats- und Rechtswissenschaft nalisierte homosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen und erlaubte den Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation. Persönlich war Hilde Benjamin aber nicht in Ungnade gefallen. Nach- Diese Mischung aus Repression und Resozialisierung sowie der Ent- dem sie den Entwurf des StGB noch fertiggestellt hatte, erhielt sie den pönalisierung von privaten Verhaltensweisen tragen die Handschrift Lehrstuhl für Geschichte der Rechtspflege als Professorin an der Hilde Benjamins. Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft »Walter Die Erarbeitung des FGB war Hilde Benjamin ein persönliches Ulbricht« in Potsdam-Babelsberg, der eigens für sie eingerichtet Anliegen. Seit 1945 hatte sie sich für die Reform des überholten worden war, sich aber im Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft in patriarchalischen Familienrechts des BGB eingesetzt, das durch die Berlin-Mitte befand. Sie beschäftigte sich dort mit einem mehr- Rechtsprechung und das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz bändigen Werk »Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR«, in das sie und die Rechte der Frau von 1950 schon an die in der DDR-Verfas- ihre persönlichen Erfahrungen einbringen konnte und das sie nicht sung verbriefte Gleichberechtigung der Frau angepasst worden war. als Geschichtsschreibung, sondern als Fortsetzung ihres Beitrags zur Das Thema Familie war für die Männer des Politbüros nebensächlich, Durchsetzung und Entwicklung des Sozialismus in der DDR ansah. während Hilde Benjamin die Auffassung vertrat, dass die Familie auch Die ersten drei Bände erschienen 1976, 1980 und 1986. Ein vierter im sozialistischen Staat wichtige Funktionen habe und nur ein Band wurde bereits ausgearbeitet und sollte 1990 erscheinen. modernes Familienrecht die Gleichberechtigung der Frau ermög- Neben der Arbeit an der »Geschichte der Rechtspflege« veröffent- lichen könne. Das schließlich im Jahre 1965 verabschiedete FGB war lichte Hilde Benjamin u.a. 1977 die bereits erwähnte Biographie ihres auf das Prinzip der gleichberechtigten Ehe von zwei berufstätigen Mannes Georg Benjamin, in der sie auch ihr Leben vor 1945 beschreibt.20 Partnern aufgebaut und entsprach weitgehend Hilde Benjamins 1976 erschien eine Studie über Karl Liebknecht, in der dessen Haltung Vorstellungen. zur Klassenjustiz dargestellt wird.21 Die Reform des Familienrechts wurde immer auch mit Blick auf die Am 18.4.1989 starb Hilde Benjamin – wenige Monate vor dem gesamtdeutsche Rechtsentwicklung geführt. So wurde 1954 ein Ent- Untergang des Staates, den sie als ihr Lebenswerk und bis zum Ende wurf deshalb vorgelegt und sogar dem Bundesfamilienministerium als das bessere Deutschland ansah. Sie blieb von der Ideologie des zugeleitet, weil es der BRD nicht gelungen war, innerhalb der Frist des Marxismus-Leninismus überzeugt, für deren Realisierung in der DDR Art. 117 Abs. 1 GG bis 1.4.1953 ein grundrechtskonformes Familien- sie wohl zu viele persönliche Opfer gebracht hatte, um noch mit ihr recht zu erlassen.17 In ihrem Begleitschreiben an den Bonner Fami- brechen zu können. lienminister brachte Hilde Benjamin die Hoffnung zum Ausdruck, dass auf dem Gebiet des Familienrechts die Einheitlichkeit der deutschen Rechtsentwicklung gewahrt werden könnte. Es ist allerdings nicht bekannt, ob Hilde Benjamin an dieser Rechts- 17 Zum 1.4.1953 trat das Familienrecht des BGB weitgehend außer Kraft und musste einheit ein persönliches Interesse gehabt hat. In ihren Begründungen durch Richterrecht ersetzt werden. Eine Reformierung des BGB iSd Art. 3 Abs. 2 GG erfolgte erst durch das GleichberechtigungsG v. 18.6.1957. zu Gesetzesentwürfen verwies sie immer wieder auf die Auswirkungen 18 H. Benjamin, Die Hauptaufgaben der Justiz bei der Durchführung des neuen der Änderungen auf die Rechtseinheit in Deutschland; andererseits Kurses. Überarbeitetes und ergänztes Stenogramm einer Rede, gehalten vor Funktionären der Justiz am 29.8.1953, Berlin 1953, S. 4. war sie auch überzeugt von der Überlegenheit der sozialistischen 19 K. Wünsche war bis zum Jahre 1972 und dann erneut vom 11.1.1990 bis Rechtsordnung, so dass eine Rechtseinheit für sie wohl immer nur 15.8.1990 Justizminister der DDR. 20 H. Benjamin (Fn 6). unter sozialistischer Federführung denkbar war. In einer Rede vor 21 H. Benjamin, Karl Liebknecht zum Wesen und zu Erscheinungen der Klassen- Justizfunktionären am 29.8.1953 erklärte sie, dass es angesichts der justiz, Potsdam-Babelsberg 1976.

Neue Justiz 2/2002 67 Neue Rechtsvorschriften

Das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess VorsRiOVG Gerd Laudemann, Frankfurt (Oder)

Am 1.1.2002 ist das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im 2. Verwaltungsrechtsweg für eigentumsrechtliche Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) v. 20.12.2001 (BGBl. I S. 3987) in Ausgleichsansprüche Kraft getreten. Es hat zu einigen bedeutsamen Änderungen der VwGO geführt, die im folgenden Überblick erläutert werden. Die Neufassung von § 40 Abs. 2 Satz 1 (2. Halbs.) VwGO stellt klar, dass für eigentumsrechtlich gebotene Ausgleichsansprüche der Verwal- tungsrechtsweg eröffnet ist. Eine derartige Regelung entspricht der I. Vorbemerkung vom BVerfG 4 geforderten einheitlichen Entscheidung über Eigen- tumsbeschränkung und Ausgleich im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Das RmBereinVpG1 – Update 7.0 des seit 1.1.1997 geltenden 6. VwGO- GG. Das BVerfG hatte in seiner neuesten Rechtsprechung betont, dass ÄndG – hat für das Zeitalter der Informationstechnik geradezu »sen- Ausgleichsregelungen, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in sationell lange« auf sich warten lassen. Bedenken daran, ob in diesen besonderen Fällen wahren sollen, unzulänglich sind, wenn sie sich Kategorien im Rahmen von Prozessordnungen gedacht werden sollte, darauf beschränken, dem Betroffenen einen Entschädigungsanspruch will der Verfasser hier aber ebenso wenig nachgehen wie der Frage, ob in Geld zuzubilligen. Die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG mit dem geänderten Regelwerk wirklich nur »Randkorrekturen« vor- verlange vielmehr, dass in erster Linie Vorkehrungen getroffen würden, genommen wurden, wie eine Entwurfsbegründung zum Allgemeinen die eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermeiden Teil angibt.2 Die Abschaffung des Zulassungsrechts für Beschwerde- und die Privatnützigkeit des Eigentums soweit wie möglich erhalten. verfahren und insoweit die Herstellung des Rechtszustandes vor dem Da nach dieser Rechtsprechung der Zusammenhang der demnach erfor- 6. VwGO-ÄndG dürfte vielmehr einen bedeutenden Einschnitt in das derlichen Einzelfallentscheidungen auch verwaltungsverfahrensrecht- Rechtsmittelrecht beim OVG darstellen. Kritik an dem Zulassungs- lich gewährleistet werden muss, wäre es widersprüchlich, den Rechts- recht des 6. VwGO-ÄndG war in vielfältigster Weise aufgetreten, nach- weg für den nachfolgenden gerichtlichen Rechtsschutz aufzuspalten.5 dem die Auswirkungen auf die Justizgewährung sichtbar wurden.3 Dem will das neue Regelwerk Rechnung tragen. 3. Wegfall des Verweises in § 46 Nr. 3 VwGO auf § 145 VwGO

Der in der Regelung über die instanzielle Zuständigkeit des OVG ehemals II. Überblick über die Rechtsänderungen in der VwGO enthaltene und bereits mit dem 6. VwGO-ÄndG entfallene Hinweis auf (Art. 1 RmBereinVpG) § 145 VwGO wurde durch Aufhebung von § 46 Nr. 3 VwGO beseitigt.

1. Konzentration bzw. Dekonzentration von gerichtlichen Verfahren 4. Einfache Beiladung in Normenkontrollverfahren auf ein Verwaltungsgericht bzw. mehrere Verwaltungsgerichte Die Frage der Zulässigkeit einer Beiladung nach §§ 65, 66 VwGO in Die geltende Regelung von § 3 VwGO schreibt im Einklang mit dem Normenkontrollverfahren war vom BVerwG 6 bislang verneint worden. sich aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 97 GG für die Organisation Diese Auslegung von § 47 VwGO wurde vom BVerfG 7 jedoch in Frage der Gerichtsbarkeit und Bestimmung des gesetzlichen Richters vor, gestellt. Das BVerfG folgerte aus dem grundgesetzlichen Anspruch auf dass die in § 3 Abs. 1 VwGO genannten grundlegenden Entschei- effektiven Rechtsschutz, dass die Gerichte in den jeweiligen Verfahren dungen durch Gesetz im formellen Sinn zu treffen sind. Hierbei den Grundrechten tatsächliche Wirksamkeit verschaffen müssen, so ermöglichte bereits § 3 Abs. 1 Nr. 4 VwGO die Zuweisung einzelner dass bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Prozessnorm Sachgebiete an ein Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Ver- diejenige zu wählen sei, die dem Gericht ermögliche, die Grundrechte waltungsgerichte und gab insoweit die Grundlage für eine Konzen- der Verfahrensbeteiligten durchzusetzen und zu verwirklichen. Der tration. § 3 Abs. 1 Nr. 4 a VwGO sieht darüber hinaus vor, dass Ver- generelle Ausschluss der Beiladung im Normenkontrollverfahren sei fahren, bei denen sich die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 im Hinblick darauf bedenklich. Satz 1, 2 oder 4 VwGO bestimmt, durch Landesgesetz einem Ver- Dem trägt die Neuregelung (in § 47 Abs. 2 angefügter Satz 4) im waltungsgericht oder mehreren Verwaltungsgerichten eines Landes Sinne der Möglichkeit einer einfachen Beiladung Rechnung. Dies soll zugewiesen werden können. jedoch nicht ausschließen, dass sich das Ermessen des Gerichts im Damit wird zum einen eine Konzentration der Zuständigkeit auf Hinblick auf die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen einer ein Verwaltungsgericht über seinen Gerichtsbezirk hinaus für Person so verdichten kann, dass eine Beiladung zwingend wird.8 Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen gegen eine Bundesbehörde oder eine bundesunmittelbare Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des 1 Vgl. im Übrigen BR-Drucks. 405/01 u. 906/01; BT-Drucks. 14/6393, 14/6854; 14/7474, 14/7744 u. 14/7779, im Internet: www.bundestag.de. öffentlichen Rechts sowie für Klagen gegen den Bund auf Gebieten, 2 BT-Drucks. 14/6393, Begr. zum Allgemeinen Teil, S. 8. die in die Zuständigkeit der diplomatischen und konsularischen 3 Zur Kritik am 6. VwGO-ÄndG vgl. nur Wilke, NordÖR 2001, 6, 7 ff., zu dem Ent- Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland fallen, wurf eines 7. VwGO-ÄndG des Freistaates Bayern sowie des sog. Diskussions- entwurfs des BMJ; Uechtritz, NVwZ 2000, 1217 ff., S. 1222 zu den Änderungs- gesondert geregelt. Grundsätzlich neu gegenüber § 3 Abs. 1 Nr. 4 vorschlägen des DAV (in DVBl 2000, 969); Franßen, DVBl 2000, 536 ff.; VwGO ist die Zulässigkeit einer Dekonzentration von Gerichts- Stüer/Hermanns, VBlBW 2000, 256, 261 Fn 5; Hüttenbrink, DVBl 2000, 882 ff.; zur 7. VwGO-Novelle (Ref.Entw.) Redeker, NVwZ 2001, 411. verfahren. Handlungsbedarf sah insofern das Land Nordrhein-West- 4 BVerfGE 100, 226, 243 ff. ; E 102, 1, 17 ff. falen mit Blick auf bislang beim VG Köln konzentrierte zahlreiche 5 Vgl. auch BVerwGE 94, 1, 8; anders BGH, NJW 1995, 964, 965. Vertriebenenverfahren, die sich gegen das Bundesverwaltungsamt 6 BVerwGE 65, 131,134 ff. 7 BVerfG, NVwZ 2000, 1283. richten. 8 BT-Drucks. 14/6393 zu Art. 1 Nr. 2, S. 9.

68 Neue Justiz 2/2002 Laudemann, Das Gesetz zur Bereinigung …

5. Sachliche Zuständigkeit des BVerwG bei Klagen gegen den Bund 8. Akteneinsichtsregelung betreffend Vorgänge im Geschäftsbereich des BND Aufgrund des Urteils des BVerfG v. 27.10.1999 – 1 BvR 385/90 –14 war Durch Streichung des Wortes »dienstrechtliche« (erg.: Vorgänge ) in eine Neuregelung des Akteneinsichtsrechts erforderlich geworden. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO dürfte der Anwendungsbereich erweitert Das BVerfG hatte in diesem Zusammenhang auf eine Auskunftsklage worden sein. hin festgestellt, die Belange der Geheimhaltung bestimmter Vorgänge und die Rechtsansprüche des Betroffenen könnten insbesondere 6. Postulationsfähigkeit dadurch besser in Einklang gebracht werden, dass die Akten dem Gericht vorgelegt werden, das – unter Verpflichtung zur Geheimhaltung – Mit der Formulierung in § 67 Satz 1 VwGO »Rechtslehrer im Sinne des nachprüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Auskunftsverwei- Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt« wurde eine gerung im konkreten Fall erfüllt sind (in-camera-Verfahren). Gleichstellung von Professoren der Universitäten und Fachhochschulen Dem ist der Gesetzgeber mit § 99 Abs. 2 VwGO nunmehr in der vorgenommen, da deren wissenschaftliche Qualifikation nach § 44 Weise nachgekommen, als das hierfür gem. § 99 Abs. 2 Satz 1, 2 VwGO Abs. 1 HRG den gleichen Anforderungen unterliegt. zuständige OVG bzw. BVerwG auf Antrag eines Beteiligten durch In Satz 2 ist dem Wegfall der Zulassungsbeschwerde (vgl. unter Beschluss über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Vorlage der II. 14.) mit der Regelung des Vertretungszwangs Rechnung getragen Urkunden und der Akten oder die Auskunftsverweigerung entschei- worden »für Beschwerden und sonstige Nebenverfahren, bei denen det. Der Antrag ist bei dem für die Hauptsache zuständigen Gericht zu in der Hauptsache Vertretungszwang besteht, mit Ausnahme der stellen (§ 99 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Dieses gibt den Antrag und die Beschwerden gegen Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe«. Hauptsacheakten an den zuständigen Fachsenat ab (§ 99 Abs. 2 Satz 4 Damit verbleibt es zum einen entsprechend der Empfehlung des Bun- VwGO). Gemäß §§ 4 Satz 2, 189 VwGO sind beim OVG bzw. BVerwG desrats9 im Rechtsmittelverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom Präsidium Fachsenate mit drei Vertretern für die Zuständigkeit beim Vertretungszwang zum anderen wird dieser für sonstige Neben- gem. § 99 Abs. 2 VwGO auf die Dauer von vier Jahren zu bestimmen. verfahren mit Ausnahme der Beschwerden gegen Beschlüsse im Ver- Die oberste Aufsichtsbehörde ist dem den Vorschriften des materiel- fahren der Prozesskostenhilfe – entgegen der bisherigen überwiegen- len Geheimschutzes unterliegenden Antragsverfahren beizuladen den obergerichtlichen Rechtsprechung10 – eingeführt. und hat der Vorlageaufforderung bzw. dem Auskunftsbegehren, für Satz 3 erweitert die Postulationsfähigkeit für Gebietskörperschaften, das § 100 VwGO nicht gilt, gem. § 99 Abs. 2 Satz 5 bis 7, 9 VwGO indem diese sich durch entsprechend qualifiziertes Personal der nachzukommen und zwar unter den Voraussetzungen von § 99 Abs. 2 Aufsichtsbehörde oder des kommunalen Spitzenverbandes, dem sie Satz 8 VwGO in von der obersten Aufsichtsbehörde bestimmten angehören, vertreten lassen können. Räumlichkeiten. Für das Beschlussverfahren gelten gem. § 99 Abs. 2 Satz 4 enthält mit der Verweisung auf § 14 Abs. 3 Satz 2 SGG statt Satz 9 bis 11 VwGO Geheimhaltungsregelungen. Der Beschluss des OVG Angabe von bislang »Vereinigungen der Kriegsopfer und Behinderten« kann durch Beschwerde angefochten werden, über die das BVerwG als nicht mehr zeitgemäße Bezeichnung der in Betracht kommenden entscheidet (§ 99 Abs. 2 Satz 13, 14 VwGO). Verbände keine sachliche Änderung. Die ursprüngliche Absicht, den Begriff des Nachteils für das Wohl Satz 6 erweitert die Postulationsfähigkeit von Mitgliedern und des Bundes oder eines Landes iSv § 99 Abs.1 Satz 2 VwGO zu definie- Angestellten von Gewerkschaften. Danach sollen diese künftig auch ren, ist in Ansehung des Urteils des BVerfG v. 27.10.1999 wieder fallen in Angelegenheiten postulationsfähig sein, die in einem Zusammen- gelassen worden. Das BVerfG hatte angemerkt, dass die Weigerungs- hang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von gründe in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO äußerst abstrakt formuliert seien, Arbeitnehmern iSd § 5 ArbGG stehen, einschließlich der Prüfungs- aber mit Blick auf die Rechtsprechung des BVerwG noch hinreichend angelegenheiten. konkretisierbar.15 Erfasst werden nach der Begründung des Gesetzesentwurfs11 also insbe- sondere die Angelegenheiten des Arbeitsschutzes für Arbeitnehmerinnen 9. Berufungszulassungsregelungen und Arbeitnehmer im Erziehungsurlaub, betreffend die Zustimmung zur Kündigung nach dem Schwerbehindertenrecht, Angelegenheiten des Arbeitsschutzes für werdende und stillende Mütter, Angelegenheiten, die a) Zulassungskompetenz des Verwaltungsgerichts das Anpassungsgeld von Arbeitnehmern des Steinkohlebergbaus betreffen, Auf weitgehende Übereinstimmung in der Diskussion zur Novellie- Prüfungen von Auszubildenden und anderen Arbeitnehmern sowie rung des Rechtsmittelrechts ist insbesondere aus Gründen der Gewin- aufenthaltsrechtliche Streitigkeiten nach dem AuslG, soweit diese im nung von Synergieeffekten die Zulassungskompetenz des VG gestoßen. Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis stehen. Im Übrigen soll die Postulationsfähigkeit dieses Personenkreises sich auf alle durch § 52 Nr. 4 Das VG kann nunmehr mit seinem Urteil zugleich die Berufung VwGO in Bezug genommenen Streitigkeiten sowie solche in Personal- zulassen, an welche Entscheidung das OVG gebunden ist. Sofern das vertretungsangelegenheiten beziehen. VG keine Entscheidung trifft, ist das Zulassungsverfahren zum OVG Angemerkt sei, dass mit dem durch das 6. VwGO-ÄndG eingefügten eröffnet (§ 124a Abs. 4 VwGO). Eine ablehnende Zulassungsentschei- – einschränkenden – Zusatz »soweit er einen Antrag stellt« lediglich solche Prozessbeteiligten vom Vertretungszwang ausgenommen werden sollen, die – wie z.B. ein Beigeladener – sich ohne eigene Antragstellung 9 BT-Drucks. 14/6854 zu Art. 1 Nr. 6, S. 2; BT-Drucks. 14/7744 zu Art. 1 Nr. 6, S. 1. am Rechtsstreit beteiligen können. Der Verzicht auf die Stellung eines 10 OVG Saarlouis, NVwZ-RR 2000, 841, für die Verpflichtung zur Bestellung eines förmlichen Antrags und auf jegliche Äußerung zur Sache ändert an dem Bevollmächtigten; OVG Münster (10. Senat), NVwZ-RR 1999, 474; OVG Bautzen, 12 NVwZ 1999, 891 (unter Aufgabe entgegengesetzter Rspr.); VGH Mannheim, Vertretungszwang nach § 67 Abs. 1 VwGO hingegen nichts. NVwZ 1998, 753, für einen Kostenfestsetzungsbeschluss; ebenso VGH Mün- chen, NVwZ-RR 2000, 127; VGH München, BayVBl 1999, 543; NJW 1999, 379, 7. Aufhebung der Heilungsmöglichkeit im vorbereitenden Verfahren für die zulassungsfreie Beschwerde gegen einen Rechtswegverweisungsbeschluss; ebenso OVG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 19.6.2000 – 4 E 64/00 – u. Beschl. v. 12.9.2000 – 4 E 79/00. Die mit dem 6. VwGO-ÄndG eingeführte, aber umstritten gewesene 11 BT-Drucks. 14/6393 zu Art. 1 Nr. 6, S. 9, 10. 12 BVerwG, NVwZ-RR 2000, 325. Heilungsmöglichkeit von Verfahrens- und Formfehlern im vorberei- 13 BT-Drucks. 14/7744 zu Art. 1 Nr. 6 b, c, S. 1, 2. tenden Verfahren nach entsprechender Fristsetzung seitens des Vor- 14 BVerfGE 101, 106; vgl. auch OVG Münster, NVwZ 2001, 820 f.; Margedant, 13 NVwZ 2001, 759 ff.; Beutling, DVBl 2001, 1252 ff. sitzenden oder Berichterstatters ist gegen den Willen des Bundesrats 15 Vgl. auch BVerfGE 57, 250, 284; BVerwGE 75, 1, 10; Kopp/Schenke, VwGO, wieder gestrichen worden (§ 87 Abs. 1 Nr. 7, § 94 Satz 2 VwGO). 12. Aufl. 2000, Rn 7 zu § 99.

Neue Justiz 2/2002 69 Neue Rechtsvorschriften Laudemann, Das Gesetz zur Bereinigung …

dung darf das VG nicht treffen (§ 124a Abs. 1 Satz 3 VwGO). Die vom Bezüglich des Zulassungsgrundes der besonderen rechtlichen oder VG zugelassene Berufung ist binnen Monatsfrist beim VG einzulegen. tatsächlichen Schwierigkeiten hat das BVerfG den Anforderungs- Die Begründung ist binnen zwei Monaten nach Zustellung des maßstab, dass die Komplexität der Sache messbar über das im ver- Urteils beim OVG einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der waltungsgerichtlichen Verfahren der jeweiligen Eigenart Übliche Berufungseinlegung beim VG erfolgt ist (§ 124a Abs. 3 Satz 2 VwGO). hinausgeht, beanstandet. Erkenntnisse über das in vergleichbaren Die Berufungsbegründungsfrist kann auf Antrag von dem Vorsitzen- Streitverfahren übliche Maß an Komplexität könne sich ein nicht den des Senats (§ 124a Abs. 3 Satz 3 VwGO) verlängert werden. gerade auf das jeweilige Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt mit Zulassungsgründe für das VG sind allein gem. § 124 a Abs. 1 VwGO zumutbarem Aufwand nicht beschaffen, während sie dem angeru- die Gründe der Grundsätzlichkeit und Divergenz gem. § 124 Abs. 2 fenen Gericht ohne weiteres zugänglich seien. Letztlich werde auch Nr. 3 u. 4 VwGO.16 mit der Anforderung »messbar« wiederum ein Kriterium eingeführt, dass sich im vorliegenden Zusammenhang einer rationalen Hand- b) Berufungszulassungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht habung entziehe und damit den Betroffenen hinsichtlich der Erfolgs- Die Regelungen entsprechen im Grundsatz dem bisherigen § 124a aussichten eines Antrags ein unkalkulierbares Risiko aufbürde. VwGO. Wesentlich ist zum einen die Verlängerung der Frist für die Zum zu beachtenden Maßstab gab das BVerfG den Hinweis, ob eine beim VG einzureichende Begründung des Zulassungsantrags gem. Sache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht schwierig sei, werde § 124 a Abs. 4 Satz 4, 5 VwGO auf zwei Monate nach Zustellung des sich häufig schon aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen erstinstanzlichen Urteils. Hiermit wurde ein allgemeines Anliegen im Urteils ergeben. Der Antragsteller genüge seiner Darlegungslast dann Interesse des Rechtsschutzsuchenden aufgegriffen. Dies führt nun- regelmäßig mit erläuternden Hinweisen auf die einschlägigen Passa- mehr aber zu einem markanten Unterschied zur Zweiwochenfrist im gen des Urteils. Hiermit scheint allerdings wiederum das eingangs vom Asylprozess gem. § 78 Abs. 4 AsylVfG. Ob diese kurze Frist allein im BVerfG beanstandete abstrakte Verständnis von dem Maßstab für die- Hinblick auf die Tatsache, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG17 sen Zulassungsgrund auf, dass wohl mit seinem retrospektiven Ansatz der Aufenthalt des Asylbewerbers nur dem Betreiben des Asylver- nicht in die richtige Richtung weist. So sei in diesem Zusammenhang fahrens dient, noch zu rechtfertigen ist, erscheint mit Blick auf die angemerkt, dass es gerade wegen der fehlenden gesetzlichen Vorgaben Probleme für die Anwaltschaft nicht unbedenklich. für eine abstrakte Bemessung des maßgeblichen – die Zulassung eröff- 1) Soweit § 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO regelt, dass die Berufung nenden – Schwierigkeitsgrades wohl nicht darauf ankommt, welcher zuzulassen ist, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 VwGO darge- Schwierigkeitsgrad abstrakt dem Rechtsstreit beizumessen war, legt ist und vorliegt, entspricht dies der bisherigen praktizierten sondern welche Klärungen des Rechtsstreits konkret noch erforderlich Rechtslage. § 124 a Abs. 1 Satz 4 VwGO aF stellte die Darlegungsan- sein werden.23 Der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen forderung bzgl. der Zulassungsgründe auf. Hieran knüpfte § 124a oder rechtlichen Schwierigkeiten erfüllt eine Auffangfunktion.24 Er ist Abs. 2 Satz 1 VwGO aF die Regelung an, »über den Antrag ist durch für die Fallkonstellation gedacht, dass die Komplexität des Rechts- Beschluss zu entscheiden«. Danach hatte die Prüfung des Vorliegens der streits unter Würdigung des erstinstanzlichen Urteils und des Zulas- Zulassungsgründe auf der Grundlage der Darlegung zu erfolgen. sungsantrags noch kein Wahrscheinlichkeitsurteil darüber zulässt, wie Das VerfG Brandenburg hatte es verfassungsrechtlich deshalb nicht letztlich zu entscheiden ist. Das Gericht muss sich bei der Zulassung beanstandet, wenn das OVG den Gesetzgeber beim Wort nimmt und nicht ergebnisorientiert festlegen. Maßgeblich hat hiernach zu sein, den jeweiligen Zulassungsgrund nur anhand dessen prüft, was der ob die Fragen bereits im Zulassungsverfahren mit der erforderlichen Rechtsmittelführer vorgetragen hat.18 Sicherheit zur Entscheidungsfindung vom Gericht zu beantworten Die Neufassung beruht auf einem Vorschlag des Bundesrats. Der hatte sind. Hierbei ist auch an ein angemessenes zeitliches Maß für die darauf hingewiesen, durch die im Entwurf der Bundesregierung19 vorge- Entscheidung über die Zulassung zu denken. Jeder umfangreichere sehene Formulierung, der auf die Anforderung »dargelegt ist« verzichtete, Ermittlungsaufwand hat zu unterbleiben.25 könne der Eindruck entstehen, das OVG habe – in Abweichung zur gel- tenden Rechtslage – die Berufung bei Vorliegen eines Zulassungsgrundes Bezüglich der unverändert gebliebenen weiteren Zulassungsgründe gem. (von Amts wegen) zuzulassen, ohne dass es der Darlegung dieses Zulas- § 124 Abs. 2 Nr. 3 bis 5 VwGO sei hier nur kurz erwähnt: sungsgrundes bedürfte.2o Zur Darlegung der Grundsätzlichkeit ist die Rechts- oder Tatsachenfrage auszuformulieren und substantiiert zu erläutern, warum sie entscheidungs- 2) Hinsichtlich der Darlegung der Zulassungsgründe und deren erheblich ist. Sodann hat der Antragsteller darzustellen, dass die Frage Bedeutung wird hier nur auf die bisherige Judikatur und Literatur noch nicht geklärt und warum sie – nach bislang gängiger Definition – »im verwiesen.21 Insbesondere ist das Urteil des BVerfG v. 23.6.200022 Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwick- zu berücksichtigen, dass einer zu restriktiven Handhabung der Anfor- lung des Rechts« klärungsbedürftig ist.26 derungen an die Darlegung der Zulassungsgründe eine deutliche Absage erteilt hat. Danach dürfen die Anforderungen an die Darlegung 16 Vgl. auch Fn 26, 27. der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie von 17 BVerfGE 86, 280, 286. einem durchschnittlichen, nicht auf das einschlägige Rechtsgebiet 18 VerfG Brandenburg, DVBl 1999, 1722 = NJ 2000, 193 (bearb. v. Walter); vgl. auch spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbaren Aufwand nicht mehr OVG Frankfurt (Oder), ZfB 1999, 127; OVG Lüneburg, FEVS Bd. 51, 37, 38 f.; VGH Mannheim, NVwZ 1997, 1230; OVG Münster, NVwZ 1997, 1224; VGH Kassel, erfüllt werden können. Hiernach hat das BVerfG bzgl. des Zulassungs- DVBl 1998, 243; Günther, NVwZ 1998, 472. grundes der ernstlichen Zweifel es beanstandet, wenn das Gericht 19 BT-Drucks. 14/6393 zu Art. 1 Nr. 8-10, S. 12, 13. 20 BT-Drucks. 14/6854, zu Art. 1 Nr. 10, S. 5; BT-Drucks. 14/7744 zu Art. 1 Nr. 9, S. 2. dem Rechtsmittelführer abverlangt, einen vollständigen Begrün- 21 Vgl. nur Sodan/Ziekow, VwGO, Losebl. Stand Juli 2000, §§ 124, 124 a VwGO; dungskontext zu liefern, den das Gericht im Falle der Stattgabe selbst Kuhla, DVBl 2001, 172 ff.; Uechtritz, NVwZ 2000, 1217; Laudemann, NJ 2000, 172, 173 ff. mwN. zu entwickeln hätte. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer 22 BVerfG, DVBl 2000, 1458. Gerichtsentscheidung seien vielmehr schon immer dann begründet, 23 Vgl. auch OVG Weimar, NVwZ 2001, 448; Kuhla, DVBl 2001, 172, 178; Uechtritz, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine angebliche Tat- NVwZ 2000, 1217, 1219/20; Laudemann, NJ 2000, 172, 174 mwN. 24 Vgl. BT-Drucks. 13/5098 zu Art. 1 Nr. 15, S. 24; Laudemann, NJ 1999, 6, 8 mwN. sachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt 25 Vgl. Kuhla, in: Kuhla/Hüttenbrink, Der Verwaltungsprozeß, 2. Aufl. 1998, F werde. Das Zulassungsverfahren habe außerdem nicht die Aufgabe, Rn 16 ff.; Seibert, DVBl 1997, 935; OVG Magdeburg, NJ 1998, 607 (bearb. v. Flint). 26 BVerfG, DVBl 1995,35; BVerwG, NJW 1997, 3328 = NJ 1998, 46 (bearb. v. Kolb); das Berufungsverfahren vorweg zu nehmen. An die Begründung des VerfG Brandenburg, NVwZ 2000, 60, 62; VerfG Brandenburg, Beschl. v. Zulassungsantrags dürften daher nicht dieselben Anforderungen 17.9.1998, LVerfGE 9, 88 mwN; VGH Mannheim, NVwZ 2000, 1315; OVG Lüne- gestellt werden wie an die spätere Berufungsbegründung nach § 124 burg, DVBl 2000, 1461; OVG Koblenz, NVwZ 1999, 1127; OVG Frankfurt (Oder), Mitt. STGB Bbg. 12/1998, 450; OVG Lüneburg, FEVS Bd. 49, 421; Sodan/Ziekow Abs. 3 VwGO. (Fn 21), § 124 Rn 173 ff.; Laudemann, NJ 2000, 172, 175 mwN.

70 Neue Justiz 2/2002 Laudemann, Das Gesetz zur Bereinigung …

Die Divergenz von einem der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten statthaft, wenn der Beteiligte auf die Berufung verzichtet hat oder die Gerichte als Sonderfall der grundsätzlichen Bedeutung ist nur dann Frist für die Berufung oder den Antrag auf Zulassung der Berufung hinreichend bezeichnet, wenn der Zulassungsantrag einen inhaltlich verstrichen ist. bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- satz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung der in Die Anschlussberufung kann gem. § 127 Abs. 2 Satz 2 VwGO bis zum § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten eben solchen Ablauf eines Monats nach der Zustellung der Berufungsbegründungs- die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechts- schrift eingelegt werden. Sie ist – innerhalb der Frist – zu begründen; vorschrift widersprochen hat.27 bzgl. Form und Inhalt gelten gem. § 127 Abs. 3 Satz 1, 2 VwGO die Der dem entsprechenden revisionsrechtlichen Zulassungsgrund (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) nachgebildete Zulassungsgrund des Verfahrensmangels Regelungen für die Berufungsbegründung, § 124 a Abs. 3 Satz 2, 4 u. 5 (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) setzt voraus, dass durch unrichtige Anwendung VwGO. Nicht geregelt ist nunmehr die selbständige Anschlussberu- oder Nichtanwendung einer prozessualen Vorschrift das Gerichtsverfahren fung. Diese liegt vor, wenn sich ein Beteiligter innerhalb der für ihn fehlerhaft geworden ist.28 Die Feststellung eines Verfahrensfehlers kann geltenden Berufungsfrist der Berufung angeschlossen hat. Sie ist nach nur auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Sicht der Vorinstanz erfol- gen, ansonsten ist gegen letztere Entscheidung z.B. mit dem Zulassungs- geltendem Recht so zu behandeln, als habe der Beteiligte die Berufung grund der ernstlichen Zweifel vorzugehen. Dies ist insbesondere bei der selbständig eingelegt. Ein Bedürfnis für eine entsprechende ausdrück- Geltendmachung einer unterlassenen Aufklärung oder Beweiserhebung liche Regelung besteht deshalb nicht. (§ 86 Abs. 1 VwGO) zu bedenken. Hierauf kann sich im Übrigen nicht Mangels Sonderregelung im AsylverfahrensG gilt § 127 VwGO auch berufen, wer entsprechende Anträge zur Aufklärung unterlässt, die sich dem Erstrichter nicht aufdrängen mussten.29 Im Übrigen muss sich der Rechts- im Asylprozess, in dem er allerdings nur geringe Bedeutung erlangen mittelführer aller ihm zur Verfügung stehenden prozessualer Mittel bedie- wird. Dies liegt daran, dass nach herrschender Rechtsprechung die nen, um einen Verfahrensverstoß schon erstinstanzlich abzuwenden.30 Entscheidungen über den Schutz nach Art. 16 a GG, nach § 51 AuslG 3) Im Falle der Zulassung der Berufung durch das OVG ist das und nach § 53 AuslG drei verschiedene Streitgegenstände darstellen Antragsverfahren als Berufungsverfahren – ohne Einlegung einer und eine Anschlussberufung nur innerhalb ein und desselben Streit- Berufung – fortzusetzen (§ 124 a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Der Beschluss gegenstandes zulässig ist.35 Hat das OVG z.B. – bei im Übrigen abwei- soll nunmehr kurz begründet werden (§ 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO). sendem erstinstanzlichen Urteil – nur gegen die stattgebende Ent- Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlus- scheidung nach § 53 AuslG dem Antrag des Bundesbeauftragten auf ses über die Zulassung bei dem OVG zu begründen ( § 124a Abs. 6 Zulassung der Berufung stattgegeben, kommt eine unselbständige Satz 1, 2 VwGO). Auch wenn im Zulassungsantrag bereits ein Beru- Anschlussberufung des Klägers mit dem Ziel der Anerkennung als fungsantrag gestellt wurde und dieser – zusätzlich – begründet wurde, Asylberechtigter oder der Feststellung von Abschiebungshindernissen darf ein zusätzlicher Schriftsatz – ggf. mit Bezugnahmen – nach der nicht in Betracht. Zulassungsentscheidung nicht fehlen.31 Allerdings kann sich ein solcher Antrag auch im Wege der Auslegung eindeutig ergeben, was 12. Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht regelmäßig für den Klageabweisungsantrag gilt.32 Die Begründungs- frist gem. § 124 Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 3 VwGO kann vom Vor- Mit der Neufassung von § 130 Abs. 2 VwGO wird die Zurückverwei- sitzenden des Senats verlängert werden. Besonders sei darauf hinge- sungsmöglichkeit der Sache nach eingeschränkt, in dem zum einen wiesen, dass weiterhin keine Dispositionsbefugnis des Gerichts bzgl. die Voraussetzung aufgestellt wird, dass ein wesentlicher Verfahrens- der Begründungsfrist für den beim VG einzulegenden Zulassungs- mangel eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme not- antrag besteht (§ 124a Abs. 4 VwGO), was in der Praxis bis in die wendig macht. Zudem muss in jedem Fall ein Beteiligter die Zurück- jüngste Zeit gelegentlich von den Prozessvertretern übersehen wird. verweisung beantragen. Für die hiermit verfolgte Tendenz der weiteren Einschränkung einer Zurückverweisung ist ein Handlungsbedarf nicht 10. Vorlageverfahren an das Bundesverwaltungsgericht recht ersichtlich, da wohl allgemein bei den OVG von der Zurück- verweisungsmöglichkeit nur sehr restriktiv Gebrauch gemacht wurde. Neu geregelt mit § 124b VwGO ist nunmehr ein zeitlich befristet bis Die neue Regelung kann nun zunächst mit den zahlreichen unbe- zum 31.12.2004 (vgl. Art. 6, 7 Abs. 2 RmBereinVpG) geltendes Vor- stimmten Rechtsbegriffen »wesentlicher« Verfahrensmangel, der eine lageverfahren zur Klärung von Auslegungsfragen bzgl. § 124 Abs. 2 »umfangreiche« oder »aufwendige« Beweisaufnahme erforderlich VwGO (der Zulassungsgründe) oder § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO (der Begründungsanforderungen).33 Zulassungsgründe sind entsprechend § 124 Abs. 2 Nr. 3 u. 4 VwGO die Grundsätzlichkeit bzw. Divergenz. 27 BVerfG, NVwZ 1993, 465; BVerfG, Beschl. v. 21.1.2000 – 2 BvR 2125/97; BVerwG, Der Beschluss ergeht von Amts wegen und ist nicht anfechtbar. Das VIZ 1999, 409, 410; BVerwG, NVwZ 1998, 1184; BVerwG, NJW 1997, 3328; BVerwG, NVwZ 1996, 1010; BVerwG, NVwZ 1993, 465; OVG , NVwZ BVerwG entscheidet nur über die Rechtsfrage. Im Falle der Ablehnung 1999, 430; VGH Mannheim, DVBl 1997, 1326; OVG Münster, NVwZ 1998, 306; einer beantragten Vorlage ist der Beschluss nach den allgemeinen OVG Berlin, NJW 1998, 200, 201. 28 Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow (Fn 21), Rn 228 ff. zu § 124; Laudemann, NJ 1999, 9 Regelungen gem. § 152 VwGO nicht anfechtbar. Eine »Nichtvorlage- Fn 52-59. beschwerde« eröffnet § 124b VwGO nicht. 29 BVerwG, NVwZ 1988, 1019, DVBl 1997, 1343, NVwZ-RR 1996, 369. 30 OVG Frankfurt (Oder), ZfB 1999, 127, 128, zur Rüge des Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz; BVerwG, NVwZ 1999, 65, zum Rügeverlust im Asyl- 11. Anschlussberufung prozess bzgl. Mängel der Dolmetscherübersetzung; bzgl. der Anforderungen des rechtlichen Gehörs an die Einführung einer Erkenntnisliste: OVG Münster, NVwZ-Beil. 1/1999, 2; BVerfG, NVwZ 1993, 769; DVBl 1995, 847; BVerwG, Die neue Regelung des § 127 VwGO beseitigt entstandene Unklarhei- NJW 1980, 1972, 1973; VGH Mannheim, InfAuslR, 2000, 34; OVG Weimar, ten, weil § 127 VwGO aF durch das 6.VwGO-ÄndG unverändert blieb InfAuslR 1998, 519, 520; 31 BVerwG, NVwZ 2000, 315; NVwZ 2000, 67 = InfAuslR 2000, 97; zur Wiederein- und somit Zweifel auftraten, worauf sich die Anschlussberufung nun- setzung: BVerwG, NVwZ 2000, 66; BVerwG, AuAS 1998, 249 = NVwZ 1998, 1311; mehr beziehen sollte.34 Aus der Regelung von § 127 Abs. 5 VwGO, BayVGH, DÖV 2001, 44; VGH Mannheim, NVwZ 1999, 207; OVG Münster, nach der die Anschließung ihre Wirkung verliert, wenn die Berufung NVwZ 1999, 208; NWVBl 1999, 270; OVG Lüneburg, FEVS Bd. 49, 545, 546. 32 BVerwGE 12, 189, 190; OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 12.8.1999 – 4 A 231/99. zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird, wird deutlich, 33 Die Befristung stellt sich wohl als Kompromiss zu der die Regelung für überflüs- dass es sich um ein unselbständiges Rechtsmittel handelt. Es ist also sig – weil verfahrensverzögernd wirkend – haltenden Auffassung des Bundesrats dar: BT-Drucks. 14/ 7744 zu Nr. 5, S. 2. die – unselbständige – Anschließung an die zugelassene Berufung 34 Vgl. Kuhla, in: Kuhla/Hüttenbrink (Fn 25), F Rn 77; Seibert, DVBl 1997, 940; und nicht eine Anschließung an das Zulassungsverfahren geregelt. Siems, NVwZ 2000, 160 f.; Laudemann, NJ 2000, 172, 177; VGH München, NVwZ 2000, 213; VGH Mannheim, NVwZ 1998, 1320, 1322. Die Anschlussberufung ist deshalb beim OVG einzulegen. Als unselb- 35 BVerwG, Beschl. v. 18.5.1999 – 9 B 282/99, in JURIS; NVwZ-RR 1997, 253; OVG ständige Anschlussberufung ist sie gem. § 127 Abs. 2 VwGO auch Münster, NVwZ 2001, 1423.

Neue Justiz 2/2002 71 Neue Rechtsvorschriften Laudemann, Das Gesetz zur Bereinigung …

macht, zu Problemen einer gleichmäßigen Anwendung führen. Auch 16. Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen geht den OVG durch die Bindung an die Antragstellung seitens eines seitens juristischer Personen des öffentlichen Rechts und Behörden Beteiligten eine gewisse Flexibilität bei der Verfahrensgestaltung verloren. Entgegen der Empfehlung des Bundesrats hat die Bundes- Dem in § 162 Abs. 2 VwGO genannten Adressatenkreis wird mit dem regierung jedoch die Gleichstellung mit der entsprechenden zivilpro- angefügten Satz 2 die Möglichkeit eingeräumt, entsprechende Auf- zessualen Regelung für wichtiger angesehen.36 wendungen nach dem Pauschsatz von § 26 Satz 2 BRAGO zu fordern. Neu ist die Regelung von § 130 Abs. 1 VwGO, ohne allerdings für Hierfür sprachen Gründe der Verwaltungsvereinfachung.40 das OVG mit der Verpflichtung zur Beweiserhebung und zur Ent- scheidung in der Sache neue Anforderungen aufzustellen. 17. Anwendung von § 110 ZPO

13. Sprungrevision Die neu aufgenommene Regelung des § 165a VwGO stellt klar, dass § 110 ZPO, der die Sicherheitsleistung von Ausländern für die Prozess- Die Vorschrift des § 134 Abs. 1 VwGO regelt wie bisher die Zulässig- führung regelt, im Verwaltungsgerichtsprozess anzuwenden ist. keit der Sprungrevision. Diese steht den Beteiligten zu, wenn der Kläger und der Beklagte schriftlich zustimmen und wenn sie von dem 18. Wegfall der anwaltlichen Vertretung bei Beschwerden VG im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird. Mit der gegen Prozesskostenhilfebeschlüsse redaktionellen Überarbeitung der Vorschrift durch Hinzufügung der Worte »der Einlegung der Sprungrevision« (sc.: schriftlich zustimmen) Die in § 166 VwGO eingefügte Bezugnahme auf die zweite Alternative im Satz 1 u. 3 soll aufgetretenen Missverständnissen, dass sich jeweils des § 569 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nF sieht vor, dass die Beschwerde gegen die die normierte Zustimmung auf die Einlegung der Sprungrevision Zurückweisung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe durch das VG beziehen soll, entgegengetreten werden.37 auch zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann, so dass in Beschwerdeverfahren dieser Art auch gem. § 78 Abs. 3 ZPO keine 14. Beschwerdeverfahren anwaltliche Vertretung erforderlich ist.

In Abkehr von der Regelung des 6. VwGO-ÄndG38 verbleibt es gem. 19. Zwangsgeld § 146 Abs. 1 VwGO wie nach früherem Recht als Rechtsmittel gegen ablehnende erstinstanzliche Beschlüsse wieder generell bei der Das Zwangsgeld, das bei einer Vollstreckung gegen eine Behörde ver- Beschwerde, da in § 146 VwGO die Zulassungsregelungen gem. Abs. 4 hängt werden kann, entspricht nach der Gesetzesbegründung41 nicht bis 6 gestrichen worden sind und damit das dort in Bezug genommene mehr den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen und ist deshalb Zulassungsrecht entfallen ist. Das Beschwerdeverfahren betreffend nicht geeignet, effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Mit der Neu- vorläufige Rechtsschutzverfahren gem. §§ 80, 80a u. 123 VwGO fassung ist das Zwangsgeld in § 172 VwGO deshalb auf 10.000 EUR enthält aber einige gegenüber sonstigen Beschwerden bedeutsame heraufgesetzt worden. Änderungen. So ist der Entscheidung des OVG kein Abhilfeverfahren vor dem VG vorgeschaltet; § 148 VwGO findet keine Anwendung. 20. Gerichtskostenfreiheit Die Beschwerde ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Ent- scheidung des VG zu begründen; im Übrigen ist bzgl. Form und Die Gerichtskostenfreiheit für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozial- Einlegungsfrist § 147 VwGO zu beachten. Sofern die Begründung leistungsträger wird aufgehoben. Eine Berechtigung für die Gerichts- nicht bereits mit der Beschwerde eingereicht ist, ist sie beim OVG ein- kostenfreiheit nach § 188 Satz 2 VwGO war nach dem Grundgedanken zureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe dieser Norm, der an eine unterstellte geringe Zahlungskraft des regel- darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben mäßig hilfebegehrenden Klägers anknüpft,42 nicht zu erkennen. ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzu- 21. Übergangsregelung lässig zu verwerfen. Das OVG prüft nur die dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 VwGO). Hiermit erlangt die Begründungspflicht der Nach § 194 VwGO richtet sich die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs Beschwerde eine ähnliche Bedeutung, wie sie der Darlegung im Zulas- gegen eine gerichtliche Entscheidung nach den bisher geltenden Vor- sungsverfahren zukommt. Schwierigkeiten dürfte der Praxis aber die schriften, wenn die mündliche Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, Bestimmung der Anforderungen für eine zulässige Begründung geschlossen worden ist, oder die Entscheidung vor dem In-Kraft-Treten bereiten, die sich im Zulassungsrecht gerade an den Zulassungs- dieses Gesetzes bekannt gegeben, verkündet oder von Amts wegen gründen orientieren. Diese Anleihe an das Zulassungsrecht erscheint anstelle einer Verkündung zugestellt worden ist. Fristgerecht vor dem wenig praxisgerecht, hat die Zurückweisung einer Beschwerde als 1.1.2002 eingelegte Rechtsmittel gegen Beschlüsse in Verfahren der unzulässig gegenüber der als unbegründet doch keine entscheidende Prozesskostenhilfe gelten als durch das OVG zugelassen. Bedeutung. Für die Prozessvertretung der Beteiligten sind für Verfahren, die vor dem 1.1.2002 anhängig geworden sind oder für die die Klagefrist vor 15. Kostenauferlegung bei Verschulden eines Beigeladenen diesem Tag begonnen hat, sowie in Verfahren über Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen, die vor dem 1.1.2002 bekannt gegeben Die Kostenregelung bei Verschulden eines Beteiligten (bisher in § 155 Abs. 5 VwGO) wird aus redaktionellen Gründen zu § 155 Abs. 4 VwGO und zugleich ausdrücklich für den Beigeladenen gem. § 154 36 Vgl. BT-Drucks. 14/6854 zu Art. 1 Nr. 12, S. 5, zu Nr. 16, S. 10. Abs. 3, 2. Halbs. VwGO normiert. Mit letzterer Bestimmung soll klar- 37 BT-Drucks. 14/6393 zu Art. 1 Nr. 13, S. 14 gestellt werden, dass die Mutwillenskostenregelung als lex spezialis 38 Vgl. zu den seinerzeitigen rechtssystematischen Erwägungen des Gesetzgebers zur Einführung des Zulassungsrechts auch für das vorläufige Rechtsschutzver- den übrigen Kostenbestimmungen vorgeht. Daher kann ein zum fahren: BT-Drucks. 13/3993, S. 23. Verfahren Beigeladener auch dann zur Kostentragung herangezogen 39 BT-Drucks. 14/6854 zu Art. 1 Nr. 15 a, b, S. 7. 40 BT-Drucks. 14/7744 zu Art. 1 Nr. 15 c, S. 4. werden, wenn er im gerichtlichen Verfahren keinen Antrag gestellt 41 BT-Drucks. 14/6393 zu Art. 1 Nr. 18, S. 14. hat.39 42 Vgl. BVerwGE 48, 233, 237 f.

72 Neue Justiz 2/2002 Laudemann, Das Gesetz zur Bereinigung … Kurzbeiträge

oder verkündet oder von Amts wegen anstelle einer Verkündung den Neuregelungen des Zulassungsrechts die damit z.T. auch gehegten zugestellt worden sind, die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vor- Erwartungen nach deutlicher Steigerung der Zulassungsquoten schriften anzuwenden. erfüllen werden. Bezüglich der Zulassungskompetenz des VG ist §§ 40 Abs. 2 Satz 1, 154 Abs. 3, 162 Abs. 2 Satz 3 und 188 Satz 2 festzustellen, dass für die Zulassung zahlenmäßig relevanter die VwGO sind für ab 1.1.2002 anhängig werdende Verfahren in der Zulassungsgründe der »ernstlichen Zweifel« und der »besonderen neuen Fassung anzuwenden. tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten« sind, die dem VG verschlossen bleiben. Quantitativ bedeutsame Auswirkungen ins- besondere mit Blick auf den weiteren Verfahrensweg zum BVerwG sind III. Weitere Änderungen (Art. 2 bis 6 RmBereinVpG) hiernach kaum zu erwarten. Dessen befristete Befassung mit Verfahren nach § 124b VwGO kann bzgl. vereinzelter Probleme, etwa hinsicht- a) Artikel 2 – Aufhebung von § 46 des BundesleistungsG betreffend lich der Frage der Berücksichtigung von neuem Streitstoff sowie die Sonderregelung des Berufungsverfahrens. nachträglicher Änderungen der Sach- und Rechtslage im Zulassungs- b) Artikel 3 – Aufhebung des Gesetzes zur Beschränkung von Rechts- verfahren,43 Bedeutung erlangen. Weiterhin könnte das unterschied- mitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit idF des Ges. v. 1.11.1996 liche Verständnis des Zulassungsgrundes der »besonderen tatsäch- (BGBl. I S. 1626) zur Vereinheitlichung der Rechtsordnung in der Bun- lichen oder rechtlichen Schwierigkeiten« vereinheitlicht werden.44 desrepublik. Wesentliche Vorgaben für die Handhabung des Zulassungsrechts hat c) Artikel 4 – Hinweis in § 79 Abs. 2 AsylVfG, dass die Regelung über die allerdings – wie oben dargestellt – das BVerfG bereits aufgestellt. Eine Zurückverweisung nach § 130 Abs. 2, 3 VwGO keine Anwendung findet. bedeutsame Steigerung der Eingangszahlen beim OVG mit Wegfall des d) Artikel 5 – Änderung des FlurbereinigungsG bzgl. der bislang Zulassungsrechts für Beschwerdeverfahren im vorläufigen Rechts- erforderlichen weiteren Befähigung eines der Berufsrichter für den schutz ist mit Blick auf den Vertretungszwang und die besonderen Dienst der Flurbereinigungsbehörde; diese entfällt. Anforderungen an die Begründung kaum zu erwarten. Das OVG wird e) Artikel 6 – Aufhebung von § 124b VwGO zum 1.1.2005 (vgl. Art. 7 sich immerhin bei Erfüllung der Begründungspflichten durch die RmBereinVpG, der das In-Kraft-Treten des Gesetzes regelt). Prozessvertreter im vorläufigen Rechtsschutzverfahren künftig statt zunächst mit Zulassungsfragen sogleich mit der Entscheidung in der Sache befassen können und damit dem Bürger wieder etwas näher IV. Ausblick kommen. Das ist auch gut so.

Dem Willen des Gesetzgebers, Fehlentwicklungen im Verwaltungs- prozess entgegenzusteuern und allen Beteiligten eine moderne und 43 Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow (Fn 21), Rn 130 ff., Rn 136 ff. zu § 124 VwGO; offen gelassen von BVerwG, NVwZ 1998, 1179. flexible Prozessordnung zur Verfügung zu stellen, sollte die Anerken- 44 Vgl. hierzu nur Wilke, NordÖR 2001, 6, 10; Kuhla, DVBl 2001, 172, 178; nung nicht versagt werden. Es bleibt hingegen abzuwarten, ob sich mit Uechtritz, NVwZ 2000, 1217, 1219 f.

Strafverfahrensbeschleunigung benden Probleme sind unterschiedlich und komplex, sie führen in der durch Rechtsmittelbeschränkung? Praxis – insbesondere auch bei Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft – teilweise zu ungewollten Überraschungen. Die Konsequenz der Recht- VorsRiLG Peter Scharf, Mühlhausen, und sprechung hieraus ist, dass notwendige Unterscheidungen zuneh- RiAG Christian Kropp, Sondershausen mend an Konturen verlieren. Insoweit wirkt diese Rechtsprechung zur gewollten Verfahrensverkürzung möglicherweise kontraproduktiv. In Zeiten knapper werdender Ressourcen bei den Gerichten gewinnt die Verfahrensverkürzung eines Strafverfahrens zunehmend an Bedeutung. 2. Meinungsstand Beschränkungen von Rechtsmitteln gehören seit jeher zu den herkömmlichen Mitteln der Verfahrensverkürzung. Im Interesse einer gebotenen Beschleuni- Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit gung der Verfahren plädieren die Autoren entgegen der bisherigen Praxis der der Entscheidungen ist der Richter der folgenden Instanz bei Gerichte für eine restriktivere Auslegung der einschlägigen Normen des Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung an die Feststellungen des Berufungsrechts. Ausgangsgerichts gebunden. Die Prüfung der Wirksamkeit einer sol- chen Rechtsmittelbeschränkung erfolgt von Amts wegen. Hierzu hat 1. Vorbemerkung die Rechtsprechung zahlreiche Unterscheidungen getroffen: In den Fällen unzureichender oder gar fehlender Feststellungen zum Schuld- Die Reichweite und Wirksamkeit von Rechtsmittelbeschränkungen, ausspruch in der Ausgangsinstanz fehlt der nächsten Instanz die Basis vornehmlich auf das Strafmaß, sind seit langem, insbesondere seit der für eine Entscheidung zum Strafausspruch, so dass die Mangelhaftig- Monographie von Grünwald1 umstritten. Die Rechtsprechung der letz- keit des Schuldspruchs aus diesem Grund schon zur Unwirksamkeit ten 20 Jahre ist von der Tendenz geprägt, die Bindungswirkung bei der Rechtsmittelbeschränkung führt.3 In solchen Fällen steht der einer Beschränkung auch auf Feststellungen auszudehnen, die für die gesamte Richterspruch zur Überprüfung an. Strafbarkeit als solche keine tragende Rolle spielen. Damit wird, wie Kudlich2 treffend ausführt, das Risiko bzw. die Möglichkeit einer 1 Grünwald, Die Teilrechtskraft im Strafverfahren, 1964. Rechtsmittelbeschränkung erschwert und angesichts einer vielschich- 2 Kudlich, NStZ 2000, 275. tig-filigranen Rechtsprechung undurchschaubar. Die sich daraus erge- 3 Im Einzelnen KK-Ruß, 4. Aufl., Rn 7 ff. zu § 318 StPO.

Neue Justiz 2/2002 73 Kurzbeiträge Scharf/Kropp, Strafverfahrensbeschleunigung durch Rechtsmittelbeschränkung?

In der Rechtsliteratur sind hierzu bspw. Fälle entschieden worden, 3. Lösungswege in denen zum Grad der Schuldfähigkeit4 oder zur Schuldform5 keiner- lei Ausführungen in erster Instanz gemacht worden waren. Gleiches Der oben vorgestellte Befund zeigt die Konturenlosigkeit der spruch- gilt für widersprüchliche Feststellungen6 und bei Fehlen von Feststel- richterlichen Praxis. Die dadurch geschaffene Unsicherheit über die lungen zum Schuldumfang oder von Angaben zur möglichen Freiwil- Reichweite der Bindungswirkung kann dabei in der Praxis einer Ver- ligkeit eines Rücktritts vom Versuch.7 fahrensbeschleunigung durch Rechtsmittelbeschränkung im Wege Über diese eindeutige Ausgangslage hinaus hat die Rechtsprechung stehen, wobei die Gründe hierfür vielschichtig sein mögen. So kann jedoch auch strafmindernde und -erhöhende Umstände in diesen bspw. das Bedenken, die Revisionsinstanz käme zu einer abweichen- Befund einbezogen. Hierbei wird zwischen sog. doppelrelevanten den Beurteilung über die Wirksamkeit oder Reichweite der Beschrän- Umständen und sonstigen Umständen unterschieden. Doppelrelevante kung, zu einer möglicherweise überflüssigen Beweisaufnahme drän- Umstände liegen vor, wenn die Annahme oder Nichtannahme eines die gen. Dies ist der Beschleunigung des Verfahrens unzuträglich. Strafbarkeit erhöhenden oder mildernden Umstands einen untrenn- Welche Fallgruppen sind damit vornehmlich betroffen? baren Teil der Schuldfrage bildet.8 Dazu zählen etwa fehlende Fest- a) Eine im Vordergrund stehende Fallgruppe betrifft Konstellatio- stellungen zur Schuldform oder zum Wirkstoffgehalt von Betäu- nen, in denen die Konturen zwischen echter und vermeintlicher Doppel- bungsmitteln, keine anlassbedingte Prüfung der Schuldfähigkeit, relevanz zu verschwimmen drohen. Die ausufernde Kasuistik in diesem fehlende Strafbarkeit der Tat oder Änderung der Gesetzeslage, so dass Bereich sollte zurückgedrängt und restriktiver behandelt werden. die Tat nunmehr nicht mehr strafbar ist. Ein weiteres Beispiel für die Angesichts eines mehrere Jahrzehnte andauernden Zustands dürfte enge Verzahnung von Straf- und Schuldfrage sind Fehler bei der der Gesetzgeber mehr denn je gefordert sein, ein Normgefüge zu schaf- Anwendung der §§ 243 u. 21 StGB, etwa die fehlerhafte Annahme oder fen, das einer Verfahrensverkürzung dient und einer materiellen die Nichtannahme eines der dort genannten Merkmale. Wahrheitsfindung um jeden Preis entgegentritt. Diese Forderung hat Es bestehen insoweit zwischen Schuld- und Rechtsfolgenausspruch früher schon Paeffgen14 aufgestellt. Da nach beinahe 15 Jahren der so enge Verbindungen und Berührungspunkte, dass beide Bereiche Gesetzgeber immer noch nicht reagiert hat und die Rechtsprechung mitbetroffen sind und eine Beschränkung daher unwirksam ist. sich immer konturenloser weiterentwickelt, muss zumindest durch Auf der anderen Seite stehen sonstige Umstände, die das Tatgesche- eine restriktivere Handhabung der maßgeblichen Vorschriften des hen lediglich näher umschreiben und mit der Tatbestandserfüllung Berufungsrechts in Form einer entsprechenden Auslegung reagiert nichts zu tun haben, wie etwa das Maß der Pflichtwidrigkeit, der Zeit- werden. Ausgangspunkt hierfür wäre die Norm des § 327 StPO: »Der punkt des Tatentschlusses oder die Beweggründe zur Tatbegehung.9 Prüfung des Gerichts unterliegt das Urteil nur, soweit es angefochten lm Fall des BayObLG 10 handelte es sich bspw. um die Frage, ob der ist.« Sie wäre im Sinne einer restriktiveren Handhabung entsprechend Täter zur Tatzeit rauschgiftabhängig war oder nicht. Das Revisions- abzuändern. gericht sah das Landgericht an die entsprechenden Feststellungen des Sieht man die Einlegung von Rechtsmitteln als Dispositionsrecht Amtsgerichts gebunden; es verneinte einen Spielraum für weitere des Angeklagten an, so ist es nicht nachvollziehbar, warum dem viel- Feststellungen. Insoweit sind Rechtsmittelbeschränkungen in diesem fach durch Verteidiger vertretenen Angeklagten das Risiko unrichtiger Bereich wirksam. Urteilsfeststellungen genommen werden soll. Wer das Rechtsmittel Die Kasuistik und nähere Einordnung in der neueren Rechtspre- beschränkt, muss damit rechnen, dass er mit gewissen Punkten präklu- chung ist gerade im Hinblick auf letztgenannte Fallgruppen schlicht- diert sein kann. Es ist in diesen Fällen der Angeklagte, der aufgrund weg unübersichtlich geworden. Nach einem Urteil des Kammergerichts seines Rechtsmittels das Urteil erster Instanz zur Überprüfung bringt. v. 5.10.2000 11 steht sogar die fehlerhafte Subsumtion eines ausrei- Damit bestimmt er auch den Umfang der Überprüfung. Unrichtige chend festgestellten Sachverhalts unter ein bestehendes Strafgesetz der Sachverhaltsfeststellungen mag er durch ein unbeschränktes Rechts- Wirksamkeit der Beschränkung nicht entgegen. Das BayObLG12 geht mittel aufklären lassen. Unterlässt er dies, ist es im Sinne eines prozess- andererseits inzwischen schon soweit, bei einer Trunkenheitsfahrt die ökonomischen Verhandelns nicht Sache des Berufungsgerichts, von fehlenden Feststellungen zu den Umständen einer Alkoholaufnahme Amts wegen seinen Fall vollständig zu überprüfen. und zu den Gegebenheiten einer Fahrt zur Unwirksamkeit der Rechts- Fraglich ist allerdings, ob eine restriktivere Auslegung des § 327 StPO mittelbeschränkung führen zu lassen. Vielfach erscheint wie im dort auch auf andere Konstellationen zur Förderung der Beschleunigung genannten Beispiel die Differenzierung zwischen doppelrelevanten des Verfahrens ausgedehnt werden kann. und sonstigen Umständen argumentativ zufällig. b) Eine insoweit andere relevante und in der Praxis durchaus häufi- Besonders krass werden solche Fälle im Bereich der Drittschädi- ger anzutreffende Fallgruppe betrifft Fälle schwerer Mängel beim Schuld- gung: Die Frage der Berücksichtigung eines Mitverschuldens des spruch erster Instanz in Form gänzlich fehlender oder lückenhafter Feststel- Opfers ist nach h.M., unabhängig vom Erfordernis einer Beweisauf- lungen. Eine Abgrenzung dieser Fallgruppe zur ersten dürfte in der nahme, zur Straffrage zu rechnen.13 Enthält das Urteil erster Instanz Praxis keine Schwierigkeiten bereiten, da die vorliegenden Lücken im hierzu keinerlei oder ungenügende Ausführungen, so ist ein Mangel Urteil im Gegensatz zu den oben angesprochenen Fällen vollständiger, im Schuldspruch gegeben. Beim Opfermitverschulden handelt es sich aber hinsichtlich der angenommenen Bindungswirkung zu weitge- per se nicht um einen Umstand, der zur Subsumtion unter einen henden Feststellungen offensichtlich sind. Zu fragen ist, ob auch hier Straftatbestand erforderlich ist; er bestimmt eher das Maß der Pflicht- die Beschränkung des Rechtsmittels in das Risiko des Rechtsmittel- widrigkeit. Als sonstiger Umstand besteht daher eine Bindungs- führers gestellt werden soll. Muss er auch solche gravierenden Mängel wirkung. Fehlen hingegen einschlägige Feststellungen, kann das Beru- fungsgericht insoweit unbeschränkt aufklären, ohne sich dem Aspekt 4 BGH, NJW 1985, 283. der Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe widmen zu müssen. 5 OLG Düsseldorf, VRS 64, 36 u. 67, 271. Anders dagegen sind Feststellungen zur Schadenshöhe zu betrach- 6 BGH, NZV 2001, 434. 7 BGH, MDR 1996, 551. ten. Kommt das Amtsgericht etwa bei einer Beitragsvorenthaltung 8 Siehe Rechtsprechungsnachw. bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Aufl., Rn 17 nach § 266a StGB zu einem Schaden von 25.000 €, ergeben sich im zu § 318 StPO. 9 So BGHSt, 30, 340, und BayObLG, NStZ 2000, 275. Termin vor dem Berufungsgericht aber weitaus geringere Schäden, 10 BayObLG, ebenda. so ist die zweite Instanz an diesen weiteren Umstand – nämlich die 11 KG, l Ss 227/00. 12 BayObLG, VersR 1997, 1158. unzutreffenden Feststellungen zur Schadenshöhe – gebunden. 13 Siehe Nachw. bei Frisch, in: SK-StPO, Rn 52 zu § 318 StPO. Diese Unterscheidungen erscheinen nicht sachlogisch. 14 Paeffgen, StV 1986, 504.

74 Neue Justiz 2/2002 Scharf/Kropp, Strafverfahrensbeschleunigung durch Rechtsmittelbeschränkung?

hinnehmen oder tritt hier das Prinzip materieller Gerechtigkeit mehr der vermeintlich »unerträglichen Strafbarkeitslücken« zu konkurrieren: in den Vordergrund? Natürlich wäre es wünschenswert, im Sinne einer die Harmonisierung von Strafrahmen, wenngleich man mit Dencker/ Verfahrensbeschleunigung und einer einheitlichen Dogmatik auch in Struensee/Nelles/Stein sagen sollte, dass auch hier das »Schlagwort ›Straf- diesen Fällen die restriktive Handhabung des § 327 StPO strikt durch- verschärfung‹« passender gewesen wäre.1 Sei’s drum! Jedenfalls hat zuhalten. Allerdings spricht in diesem Zusammenhang für ein Zulas- nun auch das Land Brandenburg in einem Gesetzesantrag »Entwurf sen von Ausnahmen der Umstand, dass schon dem Schuldspruch die eines Gesetzes zur Verbesserung des strafprozessualen Adhäsions- hinreichende Basis in den Feststellungen fehlt und damit praktisch verfahrens und des beschleunigten Verfahrens« v. 3.8.20012 diesen die Beschränkung gleichsam der Unterwerfung unter einen fiktiven Topos für sich entdeckt und argumentiert mit harmonisierender Schuldspruch gleichkäme. Den Angeklagten hierüber disponieren »Anpassung«, »Gleichbehandlung« und »Übertragung«. zu lassen, hieße gleichsam eine Art Unterwerfungsurteil zuzulassen. Nachdem ich mir diesen Entwurf, der nun ausgerechnet das eigent- Das sieht die StPO nicht vor. lich immer verzögernde und die Sache verkomplizierende Adhäsions- Die Lösung muss sich mithin innerhalb der systematischen Gren- verfahren mit dem Brandenburger »Steckenpferd«3 Beschleunigtes zen des Rechtsmittelrechts bewegen, will man nicht de lege ferenda Verfahren vermählen will, besorgt hatte, bemerkte ich beim ersten größere Teile des Rechtsmittelrechts zur Disposition stellen. Die Überfliegen, dass dabei rasch mal eben das Beschleunigte Verfahren bis vorgeschlagene Auslegung der Vorschrift darf sich dabei nicht in zu einer Strafobergrenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe ausgedehnt Wertungswidersprüche zu anderen Normen begeben. Eine solche werden soll. In der Begründung zu dieser vorgeschlagenen Änderung grundlegende Norm ist § 301 StPO, der insbesondere auch Rechtsmit- von § 419 StPO lese ich sodann als einzige Erklärung Folgendes: tel der Staatsanwaltschaft zugunsten des Angeklagten regelt. Zu fragen »Mit dem neuen § 419 StPO wird der Anwendungsbereich des beschleu- ist, ob sich eine Änderung oder eingeschränkte Auslegung des § 327 nigten Verfahrens entsprechend der Regelung für das Strafbefehlsver- StPO im Wertungswiderspruch zu dieser Norm befinden würde. Sieht fahren auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren erweitert.« man die Befugnis zum Einlegen von Rechtsmitteln als Dispositions- Und als Begründung für diese »entsprechende Erweiterung«: recht an, so müssen die Schranken des § 327 StPO auch innerhalb des »Eine Gleichbehandlung beider Verfahrensarten insoweit erscheint § 301 StPO gelten. Im Lichte einer Verfahrensbeschleunigung kann erforderlich, um zu verdeutlichen, dass die beiden beschleunigenden ratio dieser Norm nicht Sachverhaltsaufklärung um jeden Preis sein. Verfahrensarten der Strafprozessordnung im Wesentlichen gleiche Voraussetzungen haben … Die Anpassung der Strafobergrenzen ist auch Daher muss auch die Staatsanwaltschaft unrichtige Sachverhaltsfest- deshalb erforderlich, weil es nicht vertretbar erscheint, die Strafgewalt stellungen durch ein unbeschränktes Rechtsmittel beheben lassen. des Gerichts aufgrund einer Hauptverhandlung geringer auszugestalten Auch hier hat der Angeklagte über das Rechtsmittel jedenfalls insoweit als im schriftlichen Verfahren.« disponiert, als er auf die Einlegung eines eigenen Rechtsmittels ver- Dies mag ja durchaus plausibel klingen, doch, so schießt mir durch zichtet hat. den Kopf, seit wann liegt denn die Strafobergrenze im Strafbefehls- Angesichts der in Unübersichtlichkeit mündenden Entwicklung der verfahren bei zwei Jahren Freiheitsstrafe? Diese Neuerung muss Rechtsprechung erscheint es daher letztlich geboten, die zuweilen offenbar an mir vorbeigegangen sein. Ich tröste mich mit den gerade gekünstelt anmutende Unterscheidung zwischen doppelrelevanten gelesenen Worten Gössels, der angesichts ständiger StPO-Änderungen und sonstigen Umständen aufzugeben und bei Beschränkung der konstatiert hat, dass es jedenfalls Mitte 2001 »kein Erläuterungsbuch Berufung sogar unrichtige Feststellungen erster Instanz für die Folge- zur StPO gibt, das von den neuesten Gesetzesfassungen ausgeht«.4 instanz als formal bindend anzusehen. Das Risiko einer Präklusion Ich lese dann weiter, diesmal in der Begründung zu dem brandenbur- infolge der Rechtsmittelbeschränkung trägt der Angeklagte bzw. im gischen Gesetzesentwurf unter »Allgemeines«. Dort finde ich zunächst Rahmen des § 301 StPO die Staatsanwaltschaft. Soll dieses Risiko ver- nochmals: mieden werden, muss generell in den selteneren Fällen einer solchen »Gleichzeitig wird der Anwendungsbereich des beschleunigten Verfah- Problematik ein unbeschränktes Rechtsmittel eingelegt werden. rens durch die Möglichkeit, Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verhän- Mit der vorgestellten restriktiven Auslegung der einschlägigen gen zu können, erweitert.« Normen des Berufungsrechts, nämlich §§ 318 u. 327 StPO, tritt die Und danach kommt es kurz und prägnant, ohne weitere Erklärungen: inhaltliche Richtigkeit des Urteils im Sinne einer Verfahrensbeschleu- »Diese Regelung wird konsequenterweise auf das Strafbefehlsverfahren nigung etwas hinter seine formelle Bestandskraft zurück. Dies führt übertragen«. zwar zu Einbußen an der Widerspruchsfreiheit der Urteile. Angesichts Also: Das Erfordernis der Änderung des § 419 StPO ergibt sich laut der hier vertretenen Hervorhebung des Dispositionsgedankens des Gesetzesentwurf aus der Notwendigkeit der Harmonisierung der Straf- Rechtsmittelführers und der Tatsache, dass auch ansonsten unrichtige obergrenzen und führt zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs Urteile in Rechtskraft erwachsen können, wenn sie nicht zu einer des Beschleunigten Verfahrens auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren Überprüfung geführt werden, erscheint dies indessen akzeptabel. entsprechend der Regelung für das Strafbefehlsverfahren. Nur, die Regelung des Strafbefehlsverfahrens wiederum – eben noch als Ziel- objekt der Anpassung genannt – soll überhaupt erst mit demselben Gesetzesentwurf auf Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren ausgedehnt werden, ebenfalls mit der Begründung, dass dies angesichts der Strafobergrenze des Beschleunigten Verfahren nur konsequent sei. Von der Harmonisierung harmonischer Was das bedeutet? Nichts anderes, als dass in diesem brandenburgischen Entwurf unter dem Topos »Harmonisierung« nicht zwei Regelungen Strafobergrenzen – eine Glosse einander angeglichen, sondern, in einer Art argumentatorischem Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler, Ping-Pong-Spiel, schlichtweg jede für sich geändert wird. Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Diese doppelte »Harmonisierung« erinnert an die Anekdote von der kleinen Stadt, in der der Bürgermeister die Rathausuhr auf die Kirchturm- uhr abstimmte und der Pfarrer diese wiederum auf die Rathausuhr … Mit dem 6. Strafrechtsreformgesetz von 1998 wurde ein neuer Argu- mentationstopos für strafrechtliche Änderungen ins Blickfeld gerückt, 1 Dencker/Struensee/Nelles/Stein, Einführung in das 6. StrRG, 1998, S. 2. 2 BR-Drucks. 618/01. der beste Aussichten hat, künftig in der Hitliste der beliebtesten 3 Näher dazu Scheffler, NJ 1999, 113. Begründungen für Strafrechtsänderungen sogar mit dem Klassiker 4 Gössel, GA 2001, 494.

Neue Justiz 2/2002 75 Informationen

BUNDESGESETZGEBUNG Aufklärung von Straftaten. Den entsprechen- Das Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungs- den Zeugen und ihnen nahe stehenden Per- gesetzes und anderer Gesetze v. 14.12.2001, in Auswertung der BGBl. 2001 I Nr. 65 bis 77 sonen soll ein umfassender und wirksamer Kraft seit 21.12.2001, ermöglicht einen optio- Die Neufassung des BundeserziehungsgeldG Schutz geboten werden (z.B. vorübergehende nal zweistufigen Aufbau der Finanzverwaltung (BErzGG) in der v. 1.1.2002 an geltenden Tarnidentität, psychologische Betreuung, von Bund und Ländern. Es legt u.a. fest, dass Fassung ist am 7.12.2001 bekannt gemacht Beschaffung eines Arbeitsplatzes). Vorausset- durch Rechtsverordnung auf Mittelbehörden worden. (BGBl. I Nr. 65 S. 3358) zung für die Aufnahme in das Zeugenschutz- und Bundesvermögensämter verzichtet wer- programm ist, dass die Aufklärung einer den und eine Aufgabenwahrnehmung durch Mit der Gleichstellungsbeauftragten-WahlVO Straftat von erheblicher Bedeutung, z.B. bei andere Finanzbehörden erfolgen kann. (GleibWV) v. 6.12.2001 – in Kraft getreten am terroristischer Gewaltkriminalität oder bei (BGBl. I Nr. 70 S. 3714) 13.12.2001 – ist zugleich die Frauenbeauf- der organisierten Kriminalität, ohne die Aus- tragten-WahlVO v. 31.10.1994 außer Kraft sage der zu schützenden Person aussichtslos Das Elektronischer Geschäftsverkehr-G (EGG) getreten. (BGBl. I Nr. 65 S. 3374) oder zumindest wesentlich erschwert wäre. v. 14.12.2001 dient der Umsetzung der RL Das Gesetz ist am 1.1.2002 in Kraft getreten. 2000/31/EG des Europäischen Parlaments Mit dem Gesetz über elektronische Register und (BGBl. I Nr. 67 S. 3510) und des Rates v. 8.6.2000 und ändert das Justizkosten für Telekommunikation (ERJuKOG) TeledienstG, die ZPO und das Teledienste- v. 10.12.2001, im Wesentlichen seit 15.12.2001 Das Gesetz zur Verbesserung des zivilgericht- datenschutzG. Es ist am 21.12.2001 und in Kraft, wird u.a. der Online-Abruf aus lichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstel- hinsichtl. der Umstellung von Vorschriften dem maschinell geführten Handelsregister lungen sowie zur Erleichterung der Überlassung auf Euro am 1.1.2002 in Kraft getreten. erleichtert. Geändert wurden u.a. das HGB, der Ehewohnung bei Trennung v. 11.12.2001 ist (BGBl. I Nr. 70 S. 3721) BGB, EGHGB, AktG, FGG und GVG sowie am 1.1.2002 in Kraft getreten. Nach § 1 des Kostenvorschriften betr. Euro-Umstellung. GewaltschutzG (GewSchG) können die Gerichte Mit der Arbeitslosenhilfe-VO (AlhiV 2002) (BGBl. I Nr. 66 S. 3422) den Gewalttäter künftig zum Verlassen der v. 13.12.2001 ist die Arbeitslosenhilfe-VO Ehewohnung und der unmittelbaren Umge- v. 7.8.1974, zuletzt geändert durch Ges. v. Durch das Gesetz zur Änderung des BewertungsG bung der verletzten Person verpflichten. In 26.6.2001, mit Wirkung v. 1.1.2002 außer v. 10.12.2001 wurde § 138 Abs. 4 geändert. einer nichtehelichen Beziehung kann bei Kraft getreten. (BGBl. I Nr. 70 S. 3734) Das Ertragsverfahren zur Bewertung von Gewalttätigkeit eines Partners, auch wenn Immobilien im Rahmen der Erbschaft- und es sich um dessen Wohnung handelt, die Die 35. VO zur Änderung straßenverkehrsrecht- Schenkungsteuer, das ab 1996 befristet für Wohnung für einen befristeten Zeitraum der licher Vorschriften (35. ÄndVStVR) v. 14.12.2001 einen Zeitraum von sechs Jahren eingeführt verletzten Person überlassen werden; dies soll untersagt dem Führer eines Kfz künftig das worden war, ist über den 31.12.2001 hinaus insbes. erfolgen, wenn das Wohl im Haushalt Betreiben oder Mitführen von Radarwarn- für weitere fünf Jahre festgeschrieben worden. lebender Kinder gefährdet ist. Mit dem Gesetz geräten (§ 23 Abs. 1b StVO). Zudem wurde (BGBl. I Nr. 66 S. 3435) wurden u.a. das BGB, GVG, FGG und die ZPO ein neues Verkehrszeichen bzgl. der vorüber- geändert. (BGBl. I Nr. 67 S. 3513) gehenden Nutzung eines Seitenstreifens von Das Job-AQTIV-Gesetz v. 10.12.2001, im Autobahnen als Fahrspur eingeführt. Die Wesentlichen seit 1.1.2002 in Kraft, ändert Mit Gesetz zur Einführung des Euro in Rechts- ÄndVO ist am 1.1.2002 in Kraft getreten; die verschiedene Paragraphen des 3., 4., 5., 6., 9. pflegegesetzen und in Gesetzen des Straf- und gleichzeitig geänderte BKatV und die Fahr- u. 11. Buches SGB, das Arbeitnehmerüber- Ordnungswidrigkeitenrechts, zur Änderung der erlaubnis-VO treten am 1.3.2002 in Kraft. lassungsG, das BetrVG und das ArbGG. Durch Mahndruckverordnungen sowie zur Änderung (BGBl. I Nr. 71 S. 3783) eine Reform der arbeitsmarktpolitischen weiterer Gesetze v. 13.12.2001 wurden insges. Instrumente sollen Beschäftigungsmöglich- 34 Gesetze und VO zum 1.1.2002 geändert. Das SteueränderungsG 2001 (StÄndG 2001) keiten besser genutzt und insbes. Langzeit- (BGBl. I Nr. 68 S. 3574) v. 20.12.2001 ändert insges. 36 Gesetze und arbeitslosigkeit abgebaut werden. Mutter- VO und ist im Wesentlichen am 23.12.2001 schaftsurlaub und Erziehungszeiten werden Mit 7. Gesetz zur Änderung der Pfändungs- in Kraft getreten. (BGBl. I Nr. 72 S. 3794) in die Versicherungspflicht zur BA einbezo- freigrenzen v. 13.12.2001 wurden die Pfän- gen. Das Arbeitslosengeld für Zeiten der Ver- dungsfreigrenzen ab 1.1.2002 deutlich ange- Die 1. ÄndVO der Kindesunterhalt-VordruckVO sicherungspflicht wegen der Betreuung und hoben. Bei der Neubemessung orientiert sich v. 19.12.2001 dient der Vereinfachung und Erziehung eines Kindes wird im Falle kürzerer das Gesetz nicht ausschließlich an dem Anstieg Beschleunigung des sog. vereinfachten Ver- Erziehungszeit nach dem Entgelt bemessen, der Lebenshaltungskosten, sondern berück- fahrens über den Unterhalt Minderjähriger. das die Betroffenen zuletzt vor der Erziehung sichtigt auch die gegenwärtigen Sozialhilfe- Sie fasst mit Wirkung zum 1.1.2002 § 1 Abs. 2 erhalten haben. (BGBl. I Nr. 66 S. 3443) sätze, jedoch ohne regionale Differenzierung. Nr. 1 neu und ersetzt die Anlagen 1 u. 2 durch Künftig werden die Pfändungsfreibeträge alle die Anlagen I u. II. (BGBl. I Nr. 72 S. 3842) Die Wahlordnung (WO) v. 11.12.2001 dient zwei Jahre zum 1. Juli (erstmals 2003) ent- der Durchführung des BetrVG idF v. 25.9.2001 sprechend der prozentualen Entwicklung des Mit Gesetz zur Änderung der StPO v. 20.12.2001 und regelt u.a. die Wahl des Betriebsrats nach Grundfreibetrags nach dem Einkommen- sind nach § 100f die neuen §§ 100g u. 100h §§ 14 u. 14a des Gesetzes. Die WO ist am steuerrecht angepasst. (BGBl. I Nr. 69 S. 3638) eingefügt worden, die die Auskunftspflicht 15.12.2001 in Kraft getreten; gleichzeitig trat über Telekommunikationsverbindungsdaten die 1. VO zur Durchführung des BetrVG v. Das 6. BesoldungsänderungsG (6. BesÄndG) gegenüber Strafverfolgungsbehörden regeln. 16.1.1972 außer Kraft. (BGBl. I Nr. 66 S. 3494) v. 14.12.2001, im Wesentlichen seit 1.1.2002 Die bis 31.12.2004 befristete Regelung ist am in Kraft, ändert insges. 11 Gesetze und VO, 1.1.2001 in Kraft getreten. Das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes u.a. durch Berücksichtigung von Dienstzeiten (BGBl. I Nr. 73 S. 3879) gefährdeter Zeugen v. 11.12.2001 bezweckt die in einer Einrichtung der EU beim Besol- Gewinnung wichtiger Zeugen und die Auf- dungsdienstalter und Anpassung der BesO B Das SteuerverkürzungsbekämpfungsG (StVBG) rechterhaltung ihrer Aussagewilligkeit für die für die LAG. (BGBl. I Nr. 70 S. 3702) v. 19.12.2001 ändert u.a. das UmStG 1999, die

76 Neue Justiz 2/2002 AO und das StGB; mit ihm soll insbes. der GESETZESINITIATIVEN Altersrente von Sonderpflegegeldempfängern missbräuchlichen Inanspruchnahme des Vor- Aus der Antwort der Bundesregierung steuerabzugsrechts begegnet werden. Es ist am Reform des Parteiengesetzes (14/7892) auf eine Kleine Anfrage der PDS 20.12.2001 bzw. 1.1.2002 in Kraft getreten. Die Koalition hat den Entwurf eines 8. Geset- geht hervor, dass sie zzt. Möglichkeiten prüft, (BGBl. I Nr. 74 S. 3922) zes zur Änderung des ParteienG (BT-Drucks. die bestehenden Regelungen zur Berücksich- 14/7778) vorgelegt, um bessere Vorkehrun- tigung von Beschäftigungszeiten während des Mit VersorgungsÄndG 2001 v. 20.12.2001 gen gegen kriminelle Handlungen bei der Bezugs von Invalidenrente bzw. Blinden- und wurden zum 1.1.2002 die Reformmaßnah- Beschaffung und Verwaltung von Parteifinan- Sonderpflegegeld in der DDR zu verbessern. men im Bereich der gesetzlichen Renten- zen zu treffen. So soll u.a. beim Bundestags- Diese Zeiten seien bisher bei der Berechnung versicherung durch Änderung und Ergänzung präsidenten ein besonderes Verwaltungsver- der Altersrente grundsätzlich nicht oder nur zahlreicher Vorschriften auf die Beamten- fahren zur Überprüfung der Richtigkeit von z.T. als Beitragszeiten berücksichtigt worden. versorgung übertragen. Mit Änderung von Rechenschaftsberichten der Parteien geschaf- Zudem werde geprüft, Beschäftigungszeiten § 2 der Beamtenversorgungs-ÜbergangsVO fen, die Rechenschaftspflicht erweitert und während des Bezugs einer Invalidenrente in wurde festgelegt, dass bei kommunalen Wahl- künftig auch die Angabe von Beteiligungen an der DDR als Pflichtbeitragszeiten anzurechnen beamten im Beitrittsgebiet, die mindestens Wirtschaftsunternehmen eingefordert werden. und für einen Arbeitsverdienst bis zu 600 DM acht Jahre im Amt waren und vor dem Eine umfassende Reform des ParteienG strebt eine Zahlung des Arbeitnehmeranteils zum 3.10.2000 in den Ruhestand getreten sind, auf auch die CDU/CSU-Fraktion mit einem Gesetz- SV-Beitrag zu unterstellen. das Erfordernis einer 10-jährigen ruhegehalt- entwurf (BT-Drucks. 14/7441) an. (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 7.1.2002) fähigen Dienstzeit verzichtet wird. (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 19.11. (BGBl. I Nr. 74 S. 3926) u. 13.12.2001) EUROPA Das ProstitutionsG (ProstG) v. 20.12.2001, in Rehabilitierung von Opfern der NS-Homo- Kraft seit 1.1.2002, regelt die Rechtsverhält- sexuellenverfolgung Bekämpfung des Terrorismus nisse der Prostituierten. Nach § 1 begründen Auf eine Kleine Anfrage der PDS-Fraktion hat Der Rat der EU hat die VO (EG) Nr. 2580/2001 sexuelle Handlungen, die gegen ein vorher die Bundesregierung mitgeteilt, dass sie noch über spezifische, gegen bestimmte Personen vereinbartes Entgelt vorgenommen werden, in dieser Wahlperiode mit der Vorlage eines und Organisationen gerichtete restriktive eine rechtswirksame Forderung; sie kann Gesetzentwurfs zur Rehabilitierung der Opfer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terroris- nach § 2 nur im eigenen Namen geltend der Homosexuellenverfolgung im National- mus erlassen (ABl. Nr. L 344 v. 28.12.2001 S. 70). gemacht werden. Die in § 180a Abs. 1 StGB sozialismus rechne. Die PDS hatte auf eine Danach werden alle Gelder, andere finanzielle bisher unter Strafe gestellte Förderung der Entschließung des Bundestags v. 7.12.2000 Vermögenswerte und wirtschaftliche Ressour- Prostitution wurde gestrichen. verwiesen, in der die Bundesregierung auf- cen eingefroren, die der in einer Liste aufge- (BGBl. I Nr. 74 S. 3983) gefordert worden war, das Gesetz zur Aufhe- führten natürlichen oder juristischen Person, bung nationalsozialistischer Unrechtsurteile Vereinigung oder Körperschaft gehören, in Das Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrecht- in der Strafrechtspflege durch ein weiteres deren Eigentum stehen bzw. von ihr verwahrt licher Vorschriften v. 20.12.2001 verlängert Gesetz zu ergänzen, das sich auf die §§ 175 u. werden. im StrRehaG, VwRehaG und BerRehaG die 175a Nr. 4 RStGB bezieht. Zusammen mit (aus: www.elextra.de 21/001-2002) Fristen zur Antragstellung auf eine Rehabi- dem Entwurf werde, so die Bundesregierung, litierung wegen politischer Verfolgung in dann auch ein Bericht über die Entschädigung der DDR um weitere zwei Jahre bis zum homosexueller NS-Opfer vorgelegt. Über die BUNDESGERICHTE 31.12.2003. (BGBl. I Nr. 75 S. 3986) Errichtung einer Stiftung oder über Projekt- förderung sei bereits diskutiert worden; dieser BVerfG: Blockadeaktionen können Nötigung sein Das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittel- Prozess sei aber noch nicht abgeschlossen. Mit Beschl. v. 24.10.2001 (1 BvR 1190/90 u.a.) rechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVG) v. (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 14.1.2002) hat das BVerfG unter Zurückweisung von Ver- 20.12.2001 hat zum 1.1.2002 u.a. zahlreiche Zum Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer fassungsbeschwerden entschieden, dass sich Änderungen der VwGO vorgenommen. Unrechtsurteile v. 28.5.1998 siehe die Meinung Demonstranten wegen Nötigung strafbar (BGBl. I Nr. 75 S. 3987) von K. Schubert »Ein Ende jahrzehntelanger Pein- machen können, wenn sie sich zusammen- Siehe dazu den Erläuterungsbeitrag von G. Laude- lichkeit«, NJ 1998, 430. ketten und dadurch eine »physische Barriere« mann auf S. 68 ff., in diesem Heft. errichten. Der Entscheidung liegt eine 1986 Verjährungsfrist für Abfindungs- und erfolgte zweistündige Blockade des Baugelän- Das BundeswehrneuausrichtungsG (BwNeuAusrG) Ausgleichsansprüche nach dem LwAnpG des der Wiederaufbereitungsanlage Wackers- v. 20.12.2001 sieht u.a. durch Änderung des Die FDP-Fraktion hat einen Gesetzentwurf zur dorf durch mehrere Demonstranten zugrunde. WehrpflichtG (Art. 1) die Verkürzung des Änderung des LwAnpG (BT-Drucks. 14/7834) Das BVerfG hat betont, dass das Gebot der Grundwehrdienstes von zehn auf neun und vorgelegt, mit dem die Verjährungsfrist für Bestimmtheit der Strafandrohung gem. des Zivildienstes von elf auf zehn Monate vor. alle Abfindungs- und Ausgleichsansprüche Art. 103 Abs. 2 GG nicht verletzt ist, wenn die Nach § 1 des neuen PersonalanpassungsG um zwei Jahre bis Ende 2003 verlängert Strafgerichte das Tatbestandsmerkmal der (Art. 4) können in den Jahren 2002 -2006 »bis werden soll. Damit sollen die vor allem recht- Gewalt in § 240 StGB auf solche Blockade- zu 3.000 Berufssoldaten mit ihrer Zustim- lichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des aktionen anwenden, bei denen die Teilneh- mung vor Überschreiten der für sie maßgeb- Gesetzes gelindert werden, da die Vermögens- mer über die durch ihre körperliche Anwe- lichen Altersgrenze in den Ruhestand versetzt auseinandersetzungen noch nicht abgeschlos- senheit verursachte psychische Einwirkung werden, wenn sie das 50. Lebensjahr voll- sen seien. Aufgrund der »Vorbildfunktion des hinaus eine physische Barriere errichten. Die endet haben und hiermit die Jahrgangsstruk- LwAnpG für vergleichbare Vorgänge in ande- Blockadeaktion in Wackersdorf sei als Ver- turen an die Vorgaben des jeweils gültigen ren Ländern« stehe die Bundesrepublik in der sammlung iSd Art. 8 Abs. 1 GG zu bewerten, Personalstrukturmodells angepasst werden«. Pflicht, das Gesetz sorgfältig zu prüfen. die rechtswidrig gewesen sei. Die Demons- (BGBl. I Nr. 75 S. 4013) (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib v. 20.12.2001) tranten hätten zu der kontrovers diskutierten

Neue Justiz 2/2002 77 Informationen

Frage einer friedlichen Nutzung von Atom- NEUE BUNDESLÄNDER denburg (BbgJEuroUG) v. 18.12.2001 ist am kraft Stellung nehmen wollen. Dieser vom 1.1.2002 in Kraft getreten. (GVBl. I Nr. 22 S. 300) GG geschützte Zweck müsse im Einzelfall mit Berlin den Auswirkungen der Blockade abgewogen Die Polizei hat Anfang Januar 2002 ein Pilot- Die GenehmigungsfreistellungsVO (GenehmFV) werden, wobei es auf Dauer und Intensität projekt zur Anwendung und Durchsetzung des v. 20.11.2001 regelt die Genehmigungs- der Aktion sowie darauf ankomme, ob sie GewaltschutzG gestartet. Nach diesem Gesetz freiheit von Rechtsgeschäften der Gemeinden vorher bekannt gegeben worden sei und können Gewalttäter u.a. aus der Wohnung in Bezug auf den Verkauf oder Tausch von Ausweichmöglichkeiten bestanden hätten. gewiesen werden (siehe auch Inform. auf S. 76, Grundstücken oder grundstücksgleichen Rech- Diese Maßstäbe hätten die Instanzgerichte in diesem Heft). Das Projekt läuft zunächst in ten. Sie ist am 15.12.2001 in Kraft getreten; unberücksichtigt gelassen, was sich auf das fünf Bezirken für sechs Monate und soll bei gleichzeitig trat die GenehmFV v. 6.12.1994 Ergebnis (Ausspruch von Verwarnungen) aber erfolgreichem Verlauf auch auf andere Berli- außer Kraft. (GVBl. II Nr. 23 S. 631) nicht ausgewirkt habe. In einem weiteren Fall ner Bezirke ausgeweitet werden. Die Univer- bestätigte das BVerfG eine Geldstrafe gegen sität Osnabrück wird das Projekt wissenschaft- Mecklenburg-Vorpommern den Verantwortlichen einer Gruppe von Sinti lich betreuen. Die 5. KonzentrationsÄndGVO v. 27.11.2001 und Roma, die 1990 mit ihren Kfz die Auto- (aus: v. 5./6.1.2002) bestimmt, dass ab 1.1.2002 für Verfahren bahn kurz vor dem Grenzübergang Basel nach der LandesdisziplinarO oder dem blockiert hatten, um ein Gespräch mit dem Die 3. VO zur Änderung der VO über die Wahr- BundesdisziplinarG einschl. der Verfahren UN-Flüchtlingskommissar zu erzwingen. nehmung bestimmter polizeilicher Aufgaben nach § 66 Abs. 3 ZivildienstG das VG Schwe- Der Entscheidung sind zwei Sondervoten durch Angestellte der Polizei v. 11.12.2001 ist rin für den Bezirk des OVG zuständig ist. zu der Blockade in Wackersdorf beigefügt. am 21.12.2001 in Kraft getreten. Sie fasst zahl- (GVBl. M-V Nr. 16 S. 499) Richterin Jaeger und Richter Bryde verneinen reiche Paragraphen neu, die u.a. die Befugnisse das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der in der Geschwindigkeits- und in der Parkraum- Mit 1. ÄndVO v. 10.12.2001 wurde die Hunde- Gewalt aus § 240 StGB; die Richterin Haas überwachung betreffen. (GVBl. Nr. 53 S. 675) halterVO v. 4.7.2000 (GVBl. M-V S. 295, 391) sieht die Aktion gar nicht vom Schutzbereich geändert; die Beträge für Gebührenerhebun- der Versammlungsfreiheit erfasst. Durch VO zur Bestimmung der Zentralstelle gen wurden ab 1.1.2002 auf Euro umgestellt. (aus: Pressemitt. des BVerfG Nr. 120/01) nach der VO (EG) Nr. 1348/2000 des Rates v. (GVBl. M-V Nr. 17 S. 525) 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und BGH: Zur Wirksamkeit einer Haftungs- außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Han- Das 10. ÄndG v. 21.12.2001 ändert umfassend beschränkung des Vermieters einer Wohnung delssachen in den Mitgliedstaaten v. 18.12.2001 das AbgeordnetenG M-V v. 20.12.1990 zum Mit Beschl. v. 24.10.2001 (VIII ARZ 1/01) hat wird festgelegt, dass diese Aufgaben mit Wir- 1.1.2002 bzw. 1.11.2002. (GVBl. M-V Nr. 18 der BGH auf die Vorlagefrage des OLG Ham- kung v. 23.12.2001 von der Senatsverwaltung S. 621) burg entschieden, dass der in einem For- für Justiz wahrgenommen werden. mularmietvertrag vereinbarte Ausschluss von (GVBl. Nr. 54 S. 715) Sachsen Schadensersatzansprüchen des Mieters wegen Das Ges. zur Neuregelung des Landesplanungs- Sachschäden, die durch Mängel der Mietsache Brandenburg rechts und zur Änderung der Sächs. BauO v. verursacht wurden, für die der Vermieter Die neue JVA in Cottbus-Dissenchen hat Anfang 14.12.2001 enthält in Art. 1 das Landespla- infolge leichter Fahrlässigkeit verantwortlich Jan. 2002 den Probebetrieb aufgenommen. Die nungsG (SächsLPlG) und ändert in Art. 2 u. 3 ist, nach § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGB-G unwirksam ist. insges. 266 Bediensteten werden sich zunächst das Sächs. NaturschutzG und die Sächs. BauO. Ein solcher Haftungsausschluss schränke die mit den neuen Gegebenheiten und der Alarm- Es ist am 29.12.2001 in Kraft getreten; gleich- sich aus dem Gesetz ergebende Hauptpflicht und Sicherheitstechnik vertraut machen. Ab zeitig trat das SächsLPlG v. 24.6.1992 außer des Vermieters ein, die Mietsache in einem April ist die JVA für den Vollzug von Untersu- Kraft. (SächsGVBl. Nr. 17 S. 716) vertragsgemäßen Zustand zu erhalten, was zu chungs- und Strafhaft an jungen und erwach- einer unangemessenen Benachteiligung des senen männlichen Gefangenen zuständig; Mit VO der Sächs. Staatsregierung v. 11.12.2001 Mieters führe. Bei der Abwägung der Belange sie verfügt über 605 Haftplätze, davon 570 im und mit VO des Sächs. Staatsministeriums der von Vermieter- und Mieterseite sei wesentlich, geschlossenen und 35 im offenen Vollzug. Justiz v. 22.11.2001 sind zum 1.1.2002 in zahl- dass der Mieter sich vor den finanziellen Fol- (aus: Pressemitt. des Min. d. Justiz Bbg. reichen Rechtsvorschriften Euro-bedingte gen der typischerweise von Mängeln der Woh- v. 20.12.2001) Änderungen vorgenommen worden. nung verursachten Schäden nicht durch den (SächsGVBl. Nr. 17 S. 725, 731) Abschluss einer Hausratversicherung schützen Das Ges. zur Neuordnung des Landesdisziplinar- könne. Hingegen könne der Vermieter für rechts (LDiszNOG) v. 18.12.2001 enthält in Mit VO des Sächs. Staatsministeriums des Innern durch eine leicht fahrlässige Verletzung seiner Art. 1 das LandesdisziplinarG (LDG) und v. 12.12.2001 erfolgten zum 1.1.2002 Euro- Instandhaltungspflicht entstandene Schäden ändert mehrere landesrechtliche Vorschrif- bedingte Änderungen in 13 Rechtsvorschriften. eine Haftpflichtversicherung abschließen. ten. Es ist am 1.1.2002 in Kraft getreten. (SächsGVBl. 2002 Nr. 1 S. 3) In dem Rechtsstreit hatte der Kl. Schadens- (GVBl. I Nr. 19 S. 254) ersatz von rd. 25.000 DM verlangt. Wegen Sachsen-Anhalt eines Defekts im Flachdach des Hauses war Durch das PolizeistrukturreformG (PolStrRefG) Das 3. RechtsbereinigungsG v. 7.12.2001 dient Wasser in die Mietwohnung eingedrungen v. 18.12.2001 werden insges. 12 Gesetze und der Bereinigung des Landesrechts zur Umstel- und Mobiliar beschädigt worden. Nach den VO des Landes geändert. Art. 15 enthält lung auf Euro. (GVBl. LSA Nr. 55 S. 540) Feststellungen des LG hätte die Dachhaut Personalüberleitungsvorschriften, die mit wegen ihres Alters einer laufenden, aber unter- In-Kraft-Treten des Gesetzes am 1.7.2002 Die VO über die Kosten im Verwaltungszwangs- bliebenen Überwachung bedurft. Den Ver- wirksam werden. (GVBl. I Nr. 20 S. 282) verfahren (VwVKostVO) v. 11.12.2001 ist am mieter treffe daher der Vorwurf der leichten 1.1.2002 in Kraft getreten; gleichzeitig trat die Fahrlässigkeit. Das Ges. zur Umstellung von Vorschriften aus VwVKostVO v. 30.11.1994 außer Kraft. (aus: Pressemitt. des BGH Nr. 2/02) dem Bereich der Justiz auf Euro im Land Bran- (GVBl. LSA Nr. 56 S. 562)

78 Neue Justiz 2/2002 RAK-Report

Thüringen Nach der 2. Thüringer Verwaltungsgerichts- Mit 1. ÄndG v. 17.12.2001 wurde das Thür. Die Thür. Allgemeine VerwaltungskostenO zuständigkeitsVO (2. ThürVGZVO) v. 12.12.2001 RichterG v. 17.5.1994 (GVBl. S. 485) umfas- (ThürAllgVwKostO) v. 3.12.2001 und die Thür. ist ab 1.1.2002 für die den VG zugewiesenen send geändert. Es ist am 29.12.2001 in Kraft PolizeikostenVO (ThürPolKostV) v. 1.12.2001 Streitigkeiten wegen Entscheidungen der getreten. Gleichzeitig traten die Ordnung bestimmen jeweils die ab 1.1.2002 geltenden Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen über die Bildung und Arbeitsweise der Rich- Gebührenbeträge in Euro. Die ThürAllgVw- sowie nach dem InVorG, dem VZOG und der terwahlausschüsse v. 22.7.1990 und das Ges. KostO v. 27.9.1993 und die ThürPolKostV GVO das VG Gera zugleich für die Bezirke der zur Entlastung der Richterwahlausschüsse v. v. 8.7.1993 wurden außer Kraft gesetzt. VG Weimar und Meiningen zuständig. 14.5.1991 außer Kraft. (GVBl. Nr. 11 S. 456, 465) (GVBl. Nr. 11 S. 471) (GVBl. Nr. 12 S. 491)

zu erfahren, welche biometrischen Daten in ihren Personalpapieren Rechtsanwaltskammer BERLIN gespeichert werden. Der Bundesrat hat dem Gesetz gleichwohl am 20.12.2001 zugestimmt, so dass es bereits mit Jahresbeginn wirksam werden konnte. Geschäftsstelle: Littenstr. 9, 10179 Berlin Tel.: (030) 30 69 31-0, Fax: (030) 30 69 31 99 Wissenswertes E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-berlin.de RAuN Kay-Thomas Pohl, Präsident der RAK Berlin, hat im Interview Präsident: RA und Notar Kay-Thomas Pohl im »Kammerton«, den monatlichen Mitteilungen der RAK, zum Vizepräsidenten: RAin und Notarin Sabine Seip und Jahreswechsel die Erwartung geäußert, dass der neue Berliner Senat RA und Notar Bernd Häusler nicht an der Justiz spare und dass er die Arbeitsabläufe in der Justiz Geschäftsführerin: RAin Marion Pietrusky neu organisiere. Die Justiz arbeite weiterhin ineffizient, da bspw. die internen Postlaufzeiten zu lange dauerten und die Richter gegen- Termine über ihrer Geschäftsstelle und der Kanzlei zu wenig Befugnisse Zur ordentlichen Kammerversammlung des Jahres 2002 lädt die RAK hätten. ihre Mitglieder für Mittwoch, den 6. März 2002, von 15 bis 18 Uhr Der Kammerpräsident stellte im Rückblick auf das Jahr 2001 fest, dass ein in das Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, es einem Teil der Anwälte wirtschaftlich schlechter gehe, da bei der 10557 Berlin. RAK die Verfahren zum Widerruf der Anwaltszulassung wegen Ver- Am Freitag, den 22. Februar 2002, bietet die Kammer eine Fort- mögensverfall zugenommen hätten. bildungsveranstaltung zur neuen Insolvenzordnung an. RA Joachim In der Vorschau auf 2002 rechnet er mit einer intensiven Diskussion Bauer wird von 10 bis 15 Uhr das Insolvenzänderungsgesetz v. über die Neugestaltung der BRAGO. 26.10.2001 zu einem Schwerpunkt seines Vortrags im Logenhaus, Emserstr. 12-13, 10719 Berlin-Wilmersdorf, machen. Am Freitag, den 15. März 2002, wird ebenfalls im Logenhaus für die RAK RA Dr. Stefan Weidert von 10 bis 14 Uhr über »E-commerce und Schuldrecht« referieren. Rechtsanwaltskammer BRANDENBURG Die Wanderausstellung »In bester Verfassung? – 50 Jahre Grund- gesetz« ist vom 8. Februar bis zum 13. März 2002 im Landgericht Mitte, Littenstraße 11-17, 10179 Berlin, zu sehen. Die Ausstellung Geschäftsstelle: Grillendamm 2, 14776 Brandenburg an der Havel wird von der RAK Berlin gemeinsam mit der BRAK eröffnet. Die RAK Tel.: (03381) 25 33-0, Fax: (03381) 25 33-23 beabsichtigt, die Ausstellung mit Veranstaltungen für Juristen und Präsident: RA Ulf Schulze, Brandenburg Schüler zu begleiten. Die Veranstaltungen werden auf der Internet- Vizepräsident: RA Frank-Walter Hülsenbeck, Potsdam seite der RAK angekündigt. Die Ausstellung wandert zum Schluss Geschäftsführer: RAin Dr. Sylvia Hänig, RA Dr. Horst Schulze noch zum BVerfG. Standpunkt Standpunkt BRAGO-Strukturnovelle Terrorismusbekämpfungsgesetz Im Wesentlichen trägt der von der Expertenkommission vorgelegte Der Vorstand der RAK Berlin hat den Bundesrat im Dezember 2001 Entwurf des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes dem Erfordernis der mit einer Presseerklärung dazu aufgerufen, dem Terrorismusbekämp- Anpassung der Rechtsanwaltsgebühren an die veränderten Kanzlei- fungsgesetz nicht zuzustimmen. Der Kammervorstand kritisierte vor und Lebenshaltungskosten Rechnung. allem, dass die Ausweitung der Kompetenzen des Bundesverfassungs- In seiner Stellungnahme gegenüber dem Ministerium der Justiz des schutzes und des Bundesnachrichtendienstes zu tiefen Eingriffen in Landes Brandenburg hat der Vorstand allerdings Änderungsbedarf die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger führe. Es sei nicht zum Ausdruck gebracht. Das betrifft insbesondere die vorgesehene nachgewiesen, dass sich die neuen Kompetenzen zur Bekämpfung des Kappung der Gebühr für ein »erstes Beratungsgespräch« auf 100 Terrorismus eigneten. Auch die Verfahrensregeln seien rechtsstaatlich Euro, die Fixierung von Nr. 2301 des Gebührenverzeichnisses auf nicht zu akzeptieren. Bürger würden u.U. auch nachträglich nicht den Inhalt des Schreibens und die vorgesehene Reduzierung der erfahren, dass der Verfassungsschutz ihr Konto bei der Bank überprüft Rechtsanwaltsgebühren im Bußgeldverfahren. Ferner wurde ausge- hat. Ausländer hätten anders als Deutsche nicht den Anspruch darauf, führt, dass die Beibehaltung des Abwesenheitsgeldes und der Fahrt-

Neue Justiz 2/2002 79 RAK-Report

kostenpauschale in bisheriger Höhe wirtschaftlich nicht mehr ver- Ausbildungsplatzentwickler tretbar ist. Die RAK Sachsen macht auch in den Jahren 2002 und 2003 zur Nicht zuletzt hat der Vorstand mit Nachdruck darauf verwiesen, dass Schaffung und Förderung von Ausbildungsplätzen auf der Grundlage der 10%ige Gebührenabschlag Ost nicht mehr gerechtfertigt ist und bestehender Fördermöglichkeiten von der Möglichkeit der Einstel- dass es dessen Aufhebung spätestens mit der Umsetzung der Struktur- lung eines Ausbildungsplatzentwicklers Gebrauch. Im vergangenen reform bedarf. Jahr wurden durch diese Aktivitäten 147 Ausbildungsplätze in den Kanzleien geschaffen. Personalien Frau RAin Dr. Sylvia Hänig ist zur Geschäftsführerin der RAK berufen worden. Frau Dr. Hänig verfügt über langjährige Berufserfahrung und war seit 1999 Präsidentin des Brandenburgischen Anwaltsgerichts- hofs. Rechtsanwaltskammer SACHSEN-ANHALT

Geschäftsstelle: Gerhart-Hauptmann-Str. 5, 39108 Magdeburg Tel.: (0391) 2 52 72 10-11, Fax: (0391) 2 52 72 03 Rechtsanwaltskammer SACHSEN Präsident: RA Dr. Joachim Sattler, Wernigerode Vizepräsidenten: RA Lothar Haferkorn, Dessau, und RA Detlef Bischoff, Halle Geschäftsstelle: Atrium am Rosengarten, Glacisstr. 6, 01099 Dresden Geschäftsführerin: Brigitte Worg Tel.: (0351) 31 85 90, Fax: (0351) 3 36 08 99 E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-sachsen.de Termine Präsident: RA Dr. Günter Kröber, Leipzig Die RAK führt am 11.2.2002 gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Vizepräsidenten: RA Markus M. Merbecks, Chemnitz, RAin Karin Berufsbildung und mit Unterstützung des Landesverbandes der Freien Meyer-Götz, Dresden, und RAin Dr. Susanne Pohle, Leipzig Berufe eine »Regionalberatung zur Sicherung und Weiterbildung des Geschäftsführer: Jörg Zepnek Ausbildungsplatzangebots in den neuen Ländern« durch. Hierbei nutzen wir das Ende 1999 durch das Bundesministerium für Termine Bildung und Forschung bis zum Jahre 2003 laufende Projekt. Inhalt Die Kammerversammlung in diesem Jahr findet am 22. März 2002 in dieses Erfahrungsaustausches wird die gegenwärtige Situation bei der Leipzig statt. Sicherung von Ausbildungsplätzen im Bereich der Freien Berufe und Ab Januar bis voraussichtlich Ende April 2002 ist in den Räumen der die Einschätzung der Qualität der Erstausbildung sein. Mitarbeiter des Geschäftsstelle eine Ausstellung des Malers und Grafikers Guntram Bundesinstituts für Berufsausbildung werden über Entwicklungs- Walther aus Leipzig zu sehen. Seine Werke können zu den Öffnungs- tendenzen und Förderungsmöglichkeiten informieren. zeiten der Kammergeschäftsstelle besichtigt werden. Die 44. Tagung der Gebührenreferenten der Rechtsanwaltskammern Wissenswertes Deutschlands findet am 9. März 2002 in Dresden statt. Am 1.1.2002 ist die AV des Ministeriums der Justiz v. 4.12.2001 zur Ver- wendung von Gerichtskostenmarken; Einziehung wegen der Umstel- Wissenswertes lung auf Euro in Kraft getreten, mit der Folgendes geregelt wird: Übernahme der Anwaltszulassung 1. Die auf DM lautenden Gerichtskostenmarken des Landes Sachsen- Mit Wirkung vom 1.1. 2002 sind der RAK Sachsen gemäß Beschluss des Anhalt (Jahrgänge 2001 und früher) werden mit Ablauf des 28.2.2002 sächsischen Kabinetts nunmehr die Aufgaben und Befugnisse nach der für ungültig erklärt und aus dem Verkehr gezogen. Sie dürfen noch bis BRAO und dem Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte zum 28.2.2002 zur Zahlung angenommen werden. in Deutschland (EuRAG) übertragen worden. Im Rahmen des Neujahrs- 2. Bei Verwendung nach dem 1.1.2002 ist neben den aufgerufenen empfangs der Kammer erfolgte eine symbolische Übertragung in Gerichtskostenmarken der entsprechende Euro-Betrag zu vermerken, Gegenwart des Staatsministers der Justiz und weiterer Repräsentanten der kaufmännisch auf den nächsten Cent auf- oder abzurunden ist. aus Landtag, Bundestag und Justiz sowie Vertretern weiterer Kammern 3. Die aufgerufenen Gerichtskostenmarken können bei den Gerichts- im Freistaat Sachsen. stellen bis zum 30.6.2002 zur Werterstattung eingereicht werden. Die Gerichtskostenmarken anderer Bundesländer können in Sachsen- Reform der Juristenausbildung Anhalt nicht umgetauscht oder erstattet werden. Die vom Vorstand eingesetzte Arbeitsgruppe »Juristenausbildungs- 4. Die anderen Landesjustizverwaltungen werden entsprechende reform« hat zu den vorliegenden Entwürfen der Regierungskoalition Kostenmarkenaufrufe bekannt geben. Nach Ablauf des unter Nr. 1 und der Justizministerkonferenz eigene Vorschläge erarbeitet, die u.a. genannten Stichtages dürfen auch die zur Einziehung aufgerufenen der Mitgliedschaft zur Diskussion mitgeteilt wurden, um zur Jahres- Gerichtskostenmarken in DM anderer Länder nicht mehr zur Zahlung hauptversammlung im März 2002 eine abschließende Meinungsbil- angenommen werden. dung herbeiführen zu können. 5. Wegen der Bekanntgabe des Aufruftermins durch die Behörden- leitung sowie wegen der Werterstattung und der Vernichtung der auf- Arbeitsgruppe Mediation gerufenen Gerichtskostenmarken wird auf Nr. 9 und 13 der Justiz- Auf Vorschlag aus der Mitgliedschaft wurde am 11.12.2001 eine kostenmarkenO (AV des MJ v. 11.2.1991, MBl. LSA S. 29) verwiesen. Arbeitsgruppe »Mediation« in der konstituierenden Sitzung gebildet. 6. Mit Ablauf des 31.12.2001 wird der Verkauf von Gerichtskosten- Bislang haben 44 Rechtsanwälte in Sachsen Mediation als Interessen- marken in Sachsen-Anhalt eingestellt. Gerichtskostenmarken anderer oder Tätigkeitsschwerpunkt angegeben. Die Arbeitsgruppe hat sich Bundesländer werden weiterhin gem. der Vereinbarung über die frei- u.a. das Ziel gesetzt, die Tätigkeit des Mediators in der Öffentlichkeit zügige Verwendung von Gerichtskostenmarken und Abdrucken von stärker bekannt zu machen. Das nächste Treffen findet bereits Anfang Gerichtskostenstemplern (AV des MJ v. 19.3.1996, JMBl. LSA S. 1091) Februar statt. als Zahlungsnachweis anerkannt.

80 Neue Justiz 2/2002 Dokumentation

Mit Befriedigung haben wir zur Kenntnis genommen, dass das BVerfG Rechtsanwaltskammer THÜRINGEN eine Verfassungsbeschwerde gegen den Gebührenabschlag angenom- men und zugestellt hat. Die Zukunft wird zeigen, ob der Gesetzgeber erneut erst dann handelt, wenn aus Karlsruhe die »rote Karte« gezeigt Geschäftsstelle: Bahnhofstr. 27, 99084 Erfurt wird. Tel.: (0361) 6 54 88-0, Fax: (0361) 6 54 88-20 E-Mail: [email protected] BRAGO-Strukturreform Präsident: RA Dr. Michael Burmann, Erfurt In Vorbereitung befindet sich ein Gesetz über die Vergütung der Vizepräsident: RA Ralf Seeler, Gera Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG). Nach dem Geschäftsführer: RA Dr. Matthias Hechler, Erfurt vorliegenden Kommissionsentwurf soll das Rechtsanwaltsgebühren- recht vereinfacht werden, insbesondere soll der Aufbau des Gesetzes Termine den übrigen Kostengesetzen angepasst werden, indem auf einen all- Die diesjährige Kammerversammlung der RAK wird am 5. Juni 2002, gemeinen Teil folgend die Gebührentatbestände in einem Vergütungs- ab 14.00 Uhr, in Erfurt, Kaisersaal, stattfinden. Der Vorstand hat verzeichnis abschließend geregelt werden. Ziel des Gesetzentwurfs ist beschlossen, die Kammerversammlung nicht mehr »wandern« zu auch eine Gebührenanpassung insgesamt an die Angleichung der lassen, sondern regelmäßig in Erfurt durchzuführen. Einkommensentwicklung in anderen Bereichen, wobei zu berück- sichtigen ist, dass die Rechtsanwaltsgebühren zuletzt zum 1.7.1994 Standpunkt angepasst wurden. In welcher Höhe insgesamt die Gebührenanpas- 10%iger Gebührenabschlag »Ost« sung, die sowohl die Kollegen Ost als auch die Kollegen West betref- Es darf nicht wahr sein: Auch im 13. Jahr der deutschen Wiederver- fen würde, erfolgen soll, ist noch nicht bekannt. Das Vorhaben wird einigung müssen die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte den vom Vorstand der RAK Thüringen bei Kritik zu Einzelpunkten jedoch Gebührenabschlag noch immer hinnehmen. Als durchaus positiv sehen befürwortet. wir in diesem Zusammenhang an, dass es unseren Berliner Kolleginnen und Kollegen gelungen ist, die Ungleichbehandlung der Kollegen und Wissenswertes in Ost- und Westberlin zu beenden. Auch die Kollegen in Ostberlin Am 31.12.2001 waren in Thüringen 1.705 Rechtsanwälte zugelassen. können nunmehr ohne Abschlag abrechnen. Besonders bedauerlich ist Per 31.12.2000 hatte Thüringen 2.431.255 Einwohner, womit per in diesem Zusammenhang, dass es der Gesetzgeber abgelehnt hat, eine 31.12.2001 ca. 1.425 Einwohner auf einen Rechtsanwalt kamen. Öffnungsklausel zu verabschieden, wonach die Länder ermächtigt wür- Nachfolgend einige territoriale Beispiele, die jedoch kritisch zu sehen den, in eigenem Ermessen den Abschlag abzuschaffen. Der Thüringer sind, da die Amtsgerichtsbezirke mit den kreisfreien Städten und Land- Justizminister, Herr Dr. Birkmann, hatte bereits angedeutet, von einer kreisen nicht übereinstimmen: solchen Öffnungsklausel Gebrauch machen zu wollen. Die Argumente, Erfurt hatte zum 31.12.2000 insgesamt 200.564 Einwohner. Dem die in Berlin zur Abschaffung des Gebührenabschlags geführt haben, standen per 31.12.2001 426 Rechtsanwälte gegenüber, das ist ein gelten natürlich auch für die Kollegen im übrigen Beitrittsgebiet in Anwalt je 471 Einwohner. In Gera hatten am 31.12.2000 112.835 Ein- zumindest ähnlicher Weise. Sicher liegt der Unterschied zwischen Kol- wohner ihren Sitz. Dem standen per 31.12.2001 154 Rechtsanwälte legen in Thüringen und Kollegen in den benachbarten Bundesländern gegenüber, das sind ca. 733 Einwohner pro Rechtsanwalt. Letztlich nicht wie früher in Berlin möglicherweise nur in der Straßenseite. hatte zum gleichen Zeitpunkt Jena 99.893 Einwohner, denen 175 Dennoch besteht oftmals bereits Sichtweite zum anderen Gebühren- Rechtsanwälte gegenüberstanden, also ca. 571 Einwohner je Rechts- gebiet. Dies ist ebenso wenig in Thüringen hinnehmbar wie in Berlin. anwalt.

Empfehlungen des 14. Deutschen Familien- Der Erlös aus der Veräußerung des Familienheims ist als Surrogat Teil der gerichtstages eheprägenden Einkommensverhältnisse. Bei der Veräußerung eines Familienheims sind die Zinsen aus dem Verkaufserlös als Surrogat der bisherigen Wohnbedarfsdeckung, bei der Unter Beachtung seiner Satzungsziele, die einheitliche Rechtsanwendung, die Veräußerung sonstiger Immobilien als Surrogat der bisherigen Mietein- Fortbildung des Rechts sowie die intensive Zusammenarbeit und Fortbildung künfte anzusehen. (AK 13) der Familienrichter und anderer am Familiengerichtsverfahren Beteiligter Auch fiktives Einkommen aus unterlassener Erwerbstätigkeit oder aus der überregional zu fördern, ist der 14. Deutsche Familiengerichtstag im Versorgung des neuen Partners stellt ein derartiges Surrogatseinkommen September 2001 auf der Basis der Diskussionen in seinen Arbeitskreisen zu dar. (AK 1) den nachfolgend abgedruckten Ergebnissen gekommen, die sich in Form von b) Fiktives Einkommen und Obliegenheit Der Ansatz fiktiven Einkommens setzt eine konkrete Prüfung der beruf- Empfehlungen an Rechtsberatung und Rechtsprechung sowie an Gesetz- lichen Einsatzfähigkeit voraus. Eine pauschale Beurteilung nur anhand der gebung und Verwaltung richten. Bewerbungen genügt nicht. (AK 2) Zur Sicherstellung des Mindestunterhalts für ein minderjähriges und ihm A. Empfehlungen an die Rechtsberatung und Rechtsprechung gleichgestelltes Kind kann es für den Unterhaltspflichtigen geboten sein, I. Unterhalt zusätzlich zu einer vollschichtigen Tätigkeit eine Nebentätigkeit zu über- 1. Ehegatten- und Kindesunterhalt nehmen. (AK 2) a) Surrogatseinkommen c) Existenzminimum Erwerbseinkommen des Ehegatten, der während der Ehe den Haushalt Kindesunterhalt: Im Kindesunterhaltsrecht sind als Existenzminimum geführt oder Kinder betreut hat, ist als sog. Surrogatseinkommen anzu- 135% des Regelbetrages für Kinder anzusetzen. (AK 14) sehen. Eine Monetarisierung des Wertes der häuslichen Arbeit soll nicht Ehegattenunterhalt: Ein Ehegatte hat einen von den ehelichen Lebensver- erfolgen. (AK 1 ) hältnissen unabhängigen Mindestbedarf als Existenzminimum. (AK 14)

Neue Justiz 2/2002 81 Dokumentation Empfehlungen des 14. Deutschen Familiengerichtstages

d) Auskunft über das Einkommen b) Internationale Kindesentführung Zur Überprüfung der Richtigkeit der gesetzlich geschuldeten Auskunft aa) In internationalen Rückführungsfällen ist das Kind persönlich anzu- besteht ein – evtl. nachträglich geltend zu machender – Ergänzungsan- hören. (AK 21) spruch auf Vorlage von Anlagenspiegeln und Kontennachweisen; falls bb) Im Rahmen von Art. 13 HKÜ ist entsprechend der Zielsetzung des erforderlich sind Summen- und Saldenlisten, BWA, Sachkonten, Geschäfts- Abkommens zu berücksichtigen, ob der entführende Elternteil an dem führer- und Gesellschaftsverträge sowie Verträge mit Angehörigen vorzu- Sorgerechtsverfahren im Herkunftsstaat beteiligt wird und tatsächlich teil- legen. Insoweit tritt das Geheimhaltungsinteresse des Unternehmers oder nehmen kann. (AK 21) Dritter hinter das Informationsbedürfnis des Auskunftsberechtigen zurück. 4. Verfahrenspfleger (AK 3) Die Auskunft kann bei unklarer Geschäftsentwicklung oder bei Verdacht a) Nicht der Streit allein, sondern Gewalt, sexueller Missbrauch sowie von Manipulationen für einen längeren Zeitraum als die üblichen drei totale Umgangsverweigerung indizieren die Bestellung eines Verfahrens- Jahre verlangt werden. (AK 3) pflegers. (AK 22) Die Vorlage der Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung bzw. der Ein- b) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll so früh wie möglich erfolgen. nahmeüberschussrechnung kann erst ab Juli des Folgejahres verlangt (AK 22) werden. Im Übrigen wird die Pflicht zur zeitnahen Auskunftserteilung III. Güterrecht/Vermögensauseinandersetzung nicht dadurch berührt, dass die Abschlussarbeiten noch nicht fertiggestellt Vermögensauseinandersetzung außerhalb des Güterrechts worden sind. (AK 3) Bei unzureichender Auskunft ist das Einkommen unabhängig von der 1. Teilungsversteigerung steuerlichen Bemessungsgrundlage anhand des tatsächlichen Geldzuflus- Bei Bruchteilsgemeinschaften soll der Übererlös den bisherigen Miteigen- ses (cash flow) festzustellen. (AK 3) tümern gemäß den im Grundbuch eingetragenen Anteilen zugeteilt wer- Dem Selbständigen obliegt es, substantiiert vorzutragen zu Positionen wie: den. (AK 19) außergewöhnliche Erträge, außergewöhnliche Aufwendungen und Rück- 2. Ausgleichsansprüche sollen nur im Wege eines Widerspruchs gem. § 115 lagen für geplante Investitionen. (AK 3) ZVG berücksichtigt werden. (AK 19) e) Mangelfall 3. Eine nachträgliche Korrektur des Zugewinnausgleichs z.B. durch analoge Der Vorwegabzug des Kindesunterhalts unterbleibt bei der Berechnung des Anwendung des § 2313 BGB ist nicht vorzunehmen. (AK 5) Einsatzbetrages für die Ehegatten im Mangelfall, wenn sich daraus ein Missverhältnis zum wechselseitigen Bedarf des Unterhaltsberechtigten IV. Versorgungsausgleich ergibt. (AK 16) 1. Anwendbarkeit der Barwertverordnung Aus § 1612b Abs. 5 BGB ist nicht zu schließen dass bis zur 6. Einkom- Die BarwertVO und die dazu erlassenen Tabellen sind verfassungswidrig, mensgruppe der Düsseldorfer Tabelle die Feststellung des tatsächlich zu weil aufgrund der den Tabellen zugrunde liegenden veralteten biometri- berücksichtigenden Einkommens und des sich daraus ergebenden Tabel- schen Werte und wegen unzureichender Erfassung der Teildynamik von lenunterhalts entbehrlich geworden ist. Versorgungen eine den Gleichheitssatz des Art. 3 GG verletzende Unter- Die Feststellung ist mit Blick auf einen Ehegattenunterhaltsanspruch, ein bewertung von nicht volldynamischen Anrechten erfolgt und außerdem Abänderungsverfahren und eine etwaige Mangelfallberechnung erforder- die Berücksichtigung von Hinterbliebenenrenten bei der Barwertbildung lich. (AK 16) nicht befriedigend gelöst ist. Denkbare Regelungsmöglichkeiten für die 2. Betreuungsunterhalt gerichtliche Praxis bis zum In-Kraft-Treten einer verfassungskonformen Neuregelung sind: § 1615 l Abs. 2 Satz 2 BGB ist dahin zu verstehen, dass der betreuende a) Aussetzung des Versorgungsausgleichsverfahrens Elternteil i.d.R. frei ist in der Entscheidung, das Kind persönlich zu betreuen b) Teilentscheidung über den Versorgungsausgleich, soweit auf Seiten des und auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten – im gleichen Umfang wie der ausgleichsberechtigten Ehegatten keine nicht volldynamischen Anrechte betreuende Elternteil eines ehelichen Kindes. (AK 4) zu berücksichtigen sind Wenn die Mutter eines nichtehelichen Kindes mit dem Vater des Kindes c) Entscheidung für eine Übergangszeit aufgrund der bisherigen BarwertVO, nicht nur kurzfristig zusammen gelebt hat und von ihm in der Vergan- wobei die Möglichkeit einer späteren Abänderung der Entscheidung nach genheit ganz oder teilweise unterhalten wurde, so bestimmen die wirt- schaftlichen Verhältnisse der nichtehelichen Lebensgemeinschaft ihre § 10a VAHRG besteht Lebensstellung und damit ihren Bedarf. (AK 4) d) Anderweitige Bewertung der Anrechte, etwa unter Anwendung von Ersatztabellen zur BarwertVO. (AK 6) II. Sorge- und Umgangsrecht 2. Berechnung betrieblicher Versorgungsanrechte 1. Richterliche Reaktion nach §1666 BGB Der Ehezeitanteil kapitalgedeckter betrieblicher Versorgungsanrechte a) In Fällen des § 1666 BGB soll im Eilverfahren nicht nur das Aufent- ist bis zu einer endgültigen Regelung bei Anwendung des § 1587a haltsbestimmungsrecht übertragen werden, sondern auch das Recht, Maß- Abs. 5 BGB nach § 1587a Abs. 2 Nr. 5 BGB zu ermitteln. Die Umrech- nahmen nach § 36 SGB VIII zu beantragen. (AK 11) nung dieser Anrechte hat mit Hilfe desjenigen Deckungskapitals zu b) Die Möglichkeit, im Rahmen des § 1666 BGB Weisungen an den erfolgen, dass den ermittelten ehezeitlichen Anrechten entspricht. Personensorgeberechtigten zu erteilen, soll vermehrt genutzt werden. (AK 18a) (AK 11) 2. Umgangsrecht V. Verfahren In Umgangsrechtsverfahren soll bereits im gerichtlichen Erkenntnisver- 1. Abänderungsverfahren (§ 323 ZPO) fahren dann, wenn Umgangsstörungen erkennbar sind, über Maßnahmen Die grundlegende Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Differenz- zur Sicherstellung des Umgangs beraten werden. Ggf. sollen gerichtliche methode macht eine Abänderung früherer Unterhaltstitel möglich; bei Konsequenzen angedroht werden. (AK 20) Prozessvergleichen und notariellen Urkunden ab Verzug des Unterhalts- pflichtigen. (AK 1) 3. Kindesentziehung a) National 2. Rechtmittelverfahren aa) Das Familiengericht soll – auf der Grundlage des § 1666 BGB entspre- In Unterhaltssachen kann in Anlehnung an die Rechtsprechung zu chend der Rechtslage nach dem HKÜ – die unverzügliche Rückführung des § 629a Abs. 3 ZPO aF auch nach Ablauf der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 Kindes anordnen, wenn das Kind von einem Elternteil ohne Absprache mit ZPO nF noch Anschlussberufung eingelegt werden, wenn sich die für dem anderen Elternteil aus dem bisherigen Mittelpunkt des familiären das Urteil maßgeblichen Tatsachen nach Fristablauf wesentlich ändern. Zusammenlebens herausgenommen wurde, es sei denn, dass diese Maß- (AK 12) nahme zu einer schwerwiegenden Kindeswohlgefährdung führen würde. (AK 21) VI. Lebenspartnerschaftsgesetz bb) Zur Entscheidung über alle Rechtsfragen zum Kindeswohl ist allein 1. Unterhaltsansprüche der Lebenspartner das vor der Entziehung des Kindes zuständige Familiengericht berufen. a) Die Vorschriften des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) über den (AK 21) Unterhalt bei Getrenntleben und über den nachpartnerschaftlichen Unter-

82 Neue Justiz 2/2002 Empfehlungen des 14. Deutschen Familiengerichtstages

halt sind so auszulegen, dass es nicht zu einer Besserstellung gegenüber b) Im Bereich der Teilungsversteigerung wird bei Bruchteilsgemeinschaf- dem Ehegattenunterhalt kommt. (AK 24) ten der Übererlös den bisherigen Miteigentümern gemäß den im Grund- b) Der Unterhaltsberechtigte kann im nachpartnerschaftlichen Unterhalt buch eingetragenen Anteilen kraft Gesetzes zugeteilt. (AK 19) nicht besser gestellt werden als im Unterhalt bei Getrenntleben der Part- ner. § 12 Abs. 2 Satz 1 LPartG ist daher so auszulegen, dass eine Verwirkung IV. Hausrat des Unterhaltsanspruchs nur bei grober Unbilligkeit in Betracht kommt. Die materiell-rechtlichen Vorschriften der HausratsVO sollten in das (§ 1579 BGB iVm § 16 Abs. 2 Satz 2 LPartG). (AK 24) 4. Buch des BGB, die verfahrensrechtlichen Vorschriften in ein Familien- verfahrensrecht oder sonst einschlägige Gesetze (ZPO, FGG) eingegliedert 2. Bestand der Partnerschaft werden. a) Rechtsfolgen der unwirksamen Begründung Fehlt es an den Voraussetzungen für eine wirksame Begründung der V. Versorgungsausgleich Lebenspartnerschaft gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1-4 LPartG ist die Partnerschaft 1. Betrieblicher Versorgungsausgleich ex tunc unwirksam. (AK 24) Alle betrieblichen Versorgungsleistungen (Kapital- wie Rentenleistungen), b) Beendigungserklärungen die vor dem Alter von 60 Jahren bzw. vor Rentenbeginn weder beliehen Erklärungen nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 LPartG setzen voraus, dass der Wille noch rückgekauft werden können, unterfallen dem Versorgungsausgleich. zur Fortsetzung der Lebenspartnerschaft tatsächlich nicht mehr besteht; (AK 18a) sie können nicht auf »Vorrat« abgegeben werden. (AK 24) 2. Abänderbarkeit von Entscheidungen VII. Erbrecht a) In Fällen, in denen nach der verfassungswidrigen BarwertVO entschie- Bei der Feststellung, ob eine unbenannte Zuwendung gem. § 2325 BGB wie den worden ist, muss eine Abänderung entsprechend den neuen Regelun- eine Schenkung zu behandeln ist, ist der Zweck der Zuwendung stärker zu gen möglich sein. (AK 6) berücksichtigen. Hat etwa in der Alleinverdienerehe ein Ehepartner sämt- b) Die relative Wesentlichkeitsgrenze von 10% in § 10a Abs. 1 Satz 2 liche Finanzierungsleistungen für das im Miteigentum beider Ehegatten VAHRG ist zu streichen; bei einer absoluten Mindestgrenze soll es aber ver- stehende Hausgrundstück getragen, kann der Zweck der Zuwendung einer bleiben. (AK 6) Gleichstellung mit einer Schenkung entgegenstehen. (AK 17) 3. Ausgleichsform a) Die Ausgleichsform der Realteilung soll soweit wie möglich erweitert B. Empfehlung an den Gesetzgeber werden. Die bisherigen Regelungen über die Ausgleichsformen (§§ 1 Abs.2 I. Unterhalt u. 3, 2 VAHRG) sowie über den Einmalausgleich (§ 1587b Abs. 3 Satz 3 1. Kindesunterhalt BGB) sind entsprechend anzupassen. (AK 6) Existenzminimum b) Soweit eine Realteilung nicht möglich oder nicht zweckmäßig ist, sind Der Regelbetrag für den Unterhalt minderjähriger Kinder ist auf 135% des die Anrechte nicht mehr gem. § 1587 Abs. 3 BGB nach der BarwertVO und Regelbetrags anzuheben. (AK 14) dem Prinzip der fiktiven Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung, Unterhaltsansprüche minderjähriger und ihnen gleichgestellter volljähri- sondern auf eine andere geeignete Weise zu bewerten, z.B. durch einen Ver- ger Kinder erhalten in Höhe des Existenzminimums den Vorrang vor allen gleich der unterschiedlichen Dynamik. Bei Eintritt des Rentenfalls muss anderen Unterhaltsansprüchen. (AK 14) eine Abänderung nach § 10a VAHRG und eine Anpassung an die aktuel- len Werte gewährleistet bleiben. (AK 6) 2. Übergang von Unterhaltsansprüchen § 91 BSHG ist dahin zu fassen, dass auch bei Ansatz fiktiver Einkünfte auf 4. Gegenstandswert Seiten des Pflichtigen – trotz Schuldnerschutzes – der Unterhaltsanspruch Der Mindestgegenstandswert, zumindest im isolierten Versorgungsaus- auf den Träger der Sozialhilfe übergeht, wobei Härtefälle nach § 91 Abs. 2 gleichsverfahren, ist auf 5.000 DM festzusetzen. (AK 6) Satz 2 BSHG korrigiert werden können. (AK 14) 5. Schuldrechtlicher Versorgungsausgleich 3. Betreuungsunterhalt nach § 1615 l BGB a) Es ist klarzustellen, dass eine nach der Ehescheidung erfolgte Abfindung Die Vorschriften des § 1577 Abs. 2 und des § 1577 Abs. 3 BGB sind auf den eines betrieblichen Versorgungsanrechts nicht zum Wegfall einer aus Betreuungsunterhaltsanspruch des § 1615 l BGB zu erstrecken. (AK 4) diesem Anrecht herzuleitenden schuldrechtlichen Ausgleichsrente führt. (AK 18a) II. Sorge- und Umgangsrecht b) Es bedarf einer gesetzlichen Regelung, wonach ein zukünftiger schuld- Verfahren rechtlicher Ausgleichsanspruch des Berechtigten durchsetzbar sein muss. Der Gesetzgeber soll klarstellen, dass Anordnungen und Ablehnungen (AK 18a) der Bestellung eines Verfahrenspflegers selbständig anfechtbar sind. (AK 22) VI. Verfahren 1. Zuständigkeit des Familiengerichts III. Güterrecht/Vermögensauseinandersetzung Die sachliche Zuständigkeit des Familiengerichts gem. § 23b Abs. 1 Satz 2 1. Güterrecht GVG ist auf sonstige vermögensrechtliche Auseinandersetzungen zwi- a) Anspruchshöhe schen Ehegatten nach gescheiterter Ehe zu erweitern. (AK 17) § 1378 Abs. 2 BGB ist dahingehend zu ergänzen, dass § 1375 Abs. 2 u. 3 2. Wohnungszuweisung BGB entsprechend anwendbar ist. (AK 5) b) Auskunft In § 49a FGG ist eine neue Ziff. 13 einzufügen. Das Jugendamt soll hier- § 1379 Abs. 1 Satz 1 BGB ist dahingehend zu ergänzen, dass jeder Ehegatte nach im Hauptverfahren zur Wohnungszuweisung zu beteiligen sein, verpflichtet ist, dem anderen auf Verlangen Belege vorzulegen, soweit wenn Kinder zur häuslichen Gemeinschaft gehören. (AK 8) diese auch im allgemeinen Rechtsverkehr erteilt zu werden pflegen (z.B. VII. Lebenspartnerschaftsgesetz (LPartG) Kontoauszüge). (AK 5) 1. Das Bestehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft ist ausdrücklich c) Sicherheitsleistung als Ehehindernis gem. § 1306 BGB zu bezeichnen. (AK 24) § 1389 BGB ist dahingehend abzuändern, dass eine Sicherheitsleistung ab 2. Bei unwirksamer Begründung einer Lebenspartnerschaft gem. § 1 Abs. 2 Trennung verlangt werden kann. (AK 5) LPartG gelten die Regeln über die Abwicklung von Dauerschuldverhält- d) Kostenentscheidung nissen. (AK 24) § 93d ZPO soll auf Auskunftsansprüche im Rahmen des Zugewinnaus- 3. Für die eingetragene Partnerschaft ist die Vermögenstrennung als gleichs ausgedehnt werden. (AK 5) gesetzlicher Güterstand einzuführen. (AK 24) 2. Vermögensauseinandersetzung außerhalb des Güterrechts a) Es ist klarzustellen, dass die Bietersicherheit für den bietenden Mit- Anm. d. Redaktion: Die Empfehlungen des 13. Deutschen Familiengerichtstages eigentümer entfällt. (AK 19) sind abgedruckt in NJ 2000, 135 ff.

Neue Justiz 2/2002 83 Dokumentation

Unterhaltsleitlinien des OLG Dresden 19. In den Unterhaltsbeträgen (Tabellensätzen) sind keine Krankenkas- (Stand 1.1.2002) senbeiträge enthalten. Soweit das Kind nicht in einer Familienversicherung mitversichert ist, hat es zusätzlich Anspruch auf Zahlung der Krankenver- sicherungsbeiträge. Das Nettoeinkommen ist in diesen Fällen vor Einstu- Im Beiheft zu NJ 8/2001, S. 29 ff., wurden die ab 1.7.2001 geltenden Unter- fung in die entsprechende Einkommensgruppe vorweg um diese Beträge haltsleitlinien des OLG Dresden veröffentlicht. Mittlerweile hat das OLG zu bereinigen. … zum 1.1.2002 Änderungen/Ergänzungen vorgenommen, die im Folgenden 24. Sind beide Elternteile barunterhaltspflichtig, so richtet sich die Ein- abgedruckt werden (zum Stand per 1.1.2002 der anderen unterhaltsrecht- stufung in die Tabelle (Nr. 16.3.) nach dem zusammengerechneten Ein- kommen der Eltern. Sie haften im Verhältnis ihres den angemessenen lichen Leitlinien und Tabellen der OLG der neuen Länder sowie der Berliner Eigenbedarf (Nr. 12) übersteigenden Einkommens, jedoch höchstens auf Tabelle und der Düsseldorfer Tabelle siehe auch NJ 2001, 640 ff.). den ihrem Einkommen entsprechenden Tabellenbetrag. Eine Barunterhaltspflicht beider Eltern ist bspw. anzunehmen bei voll- III. Kindesunterhalt jährigen Kindern, bei Kindern in Pflegestellen oder bei erheblich günsti- geren Einkommensverhältnissen des betreuenden Elternteils. 15.1. Die Regelbeträge (nach §§ 1 u. 2 der Regelbetrag-VO) bilden die Basis für den Fall, dass Unterhalt (entsprechend § 1612a BGB) in dynamisierter Form verlangt wird. IV. Kindergeld Sie betragen in Euro nach § 2 Regelbetrag-VO 25. Das auf das jeweilige Kind entfallende Kindergeld ist nach § 1612b Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Hälfte auf den Tabellenunterhalt anzurechnen. in der in der in der Eine Anrechnung des Kindergelds, die zu einer Verringerung des Zahl- 1. Altersstufe 2. Altersstufe 3. Altersstufe betrags führen würde, unterbleibt, soweit der Unterhaltspflichtige außer (bis 5 Jahre) (6 bis 11 Jahre) (12 bis 17 Jahre) Stande ist, Unterhalt in Höhe von 135% des Regelbetrags zu leisten 174 211 249 (§ 1612b Abs. 5 BGB). Für Kinder mit ständigem Aufenthalt im Beitrittsgebiet wird ab Einkom- 15.2. Die Höchstbeträge für das vereinfachte Verfahren über den Unterhalt mensgruppe 5 stets das Kindergeld zur Hälfte auf den Unterhaltsbetrag Minderjähriger (§ 645 Abs. 1 ZPO) betragen nach der Tabelle angerechnet. 261 317 374 26.1. Ist der Unterhaltspflichtige außer Stande, Unterhalt in Höhe von 16.1. Der dem Barexistenzminimum entsprechende Mindestbedarf minder- 135% des Regelbetrags abzüglich des hälftigen Kindergelds (77 EUR für das jähriger Kinder beträgt 135% des Regelbetrags der jeweiligen Altersstufe und 1. bis 3. Kind, 89,50 EUR für das 4. und jedes weitere Kind) zu leisten, so beläuft sich auf findet ein den Unterhaltspflichtigen entlastender Abzug des Kindergelds vom Zahlbetrag nicht statt. Der beim Zahlbetrag berücksichtigte Kinder- 235 285 337 geldanteil kann nach folgender Formel errechnet werden: Der Mindestbedarf volljähriger Kinder, die noch im Haushalt der Eltern Betrag, den der Unterhaltspflichtige aufbringen kann, oder eines Elternteils wohnen, beträgt 390 EUR. abzüglich des um das hälftige Kindergeld verminderten Mindestbedarfs Fordern Kinder nicht mehr als den Mindestbedarf, brauchen sie nur darzu- (135% des Regelbedarfs) legen, inwieweit sie über eigene Einkünfte verfügen. Dem Unterhaltspflich- = anzurechnender Kindergeldanteil tigen bleibt der Einwand mangelnder Leistungsfähigkeit vorbehalten. 26.2. Die Anrechnung des Kindergelds und die Unterhaltszahlbeträge für 16.2. Die nachfolgende Tabelle stellt nicht die vom Unterhaltspflichtigen 1. bis 3. Kinder können bis zur Einkommensgruppe 4 der nachfolgenden zu zahlenden Beträge, sondern den Barunterhaltsbedarf von Kindern dar, Tabelle entnommen werden. (Zu den Kindergeldabzugsbeträgen und den die bei den Eltern oder einem Elternteil leben. Sie ist identisch mit der Zahlbeträgen ab dem 4. Kind vgl. Berliner Tabelle. Für Kinder im alten Bun- Düsseldorfer und der Berliner Tabelle. desgebiet vgl. die Anlage zu Teil A Anmerkung 10 der Düsseldorfer Tabelle.) Die zu zahlenden Beträge ergeben sich nach der Kindergeldverrechnung (vgl. Nrn. 25 u. 26) und stehen unter dem Vorbehalt ausreichender Leis- Tabellengruppe 1. Altersstufe 2. Altersstufe 3. Altersstufe tungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners. a (Regelbetrag) 74 211 249 16.3. Kindesunterhaltstabelle (alle Beträge in Euro) Kindergeldanrechnung 16 3 0 Zahlbetrag 158 208 249 Altersstufen in Jahren b (Tabellenbetrag) 181 220 259 bereinigtes Netto- Kindergeldanrechnung 23 12 0 einkommen des Barunter- 0-5 6-11 12-17 ab 18 Zahlbetrag 158 208 259 haltspflichtigen 1 (Tabellenbetrag) 188 228 269 a) bis 1.000 174 211 249 288 Kindergeldanrechnung 30 20 9 b) 1.000 bis 1.150 181 220 259 299 Zahlbetrag 158 208 260 Gruppe: 2 (Tabellenbetrag) 202 244 288 1 1.000 bis 1.300 188 228 269 311 Kindergeldanrechnung 44 36 28 2 1.300 bis 1.500 202 244 288 333 Zahlbetrag 158 208 260 3 1.500 bis 1.700 215 260 307 355 3 (Tabellenbetrag) 215 260 307 4 1.700 bis 1.900 228 276 326 377 Kindergeldanrechnung 57 52 47 5 1.900 bis 2.100 241 292 345 399 Zahlbetrag 158 208 260 6 2.100 bis 2.300 254 308 364 420 4 (Tabellenbetrag) 228 276 326 7 2.300 bis 2.500 267 324 382 442 Kindergeldanrechnung 70 68 66 8 2.500 bis 2.800 282 342 404 467 Zahlbetrag 158 208 260 9 2.800 bis 3.200 301 365 431 498 10 3.200 bis 3.600 320 388 458 529 11 3.600 bis 4.000 339 411 485 560 VI. Unterhaltsberechnung in Mangelfällen 12 4.000 bis 4.400 358 434 512 591 13 4.400 bis 4.800 376 456 538 622 33. … über 4.800 nach den Umständen des Falls 34. Der Einsatzbetrag für Kinder bestimmt sich nach deren Mindestbedarf (Nr. 16.1.), soweit der Verpflichtete nur anteilig neben dem anderen Eltern- 17. In sog. Ost-West-Fällen richtet sich der Bedarf nach dem Wohnort des teil haftet, nach seinem Anteil. Der Einsatzbetrag für den Ehegatten ergibt Unterhaltsberechtigten, die Leistungsfähigkeit (Selbstbehalt) nach dem sich aus dessen eheangemessenem Bedarf abzüglich anrechenbarer Ein- Wohnort des Unterhaltsverpflichteten. künfte. 18. Die Tabelle weist monatliche Unterhaltsrichtsätze aus, bezogen auf Abweichend von Nr. 27 kann der Vorwegabzug des Kindesunterhalts bei einen gegenüber einem Ehegatten und zwei Kindern Unterhaltspflich- der Berechnung des Einsatzbetrags für den Ehegatten unterbleiben oder in tigen. Bei einer größeren/geringeren Anzahl Unterhaltsberechtigter sind geringerer Höhe vorgenommen werden, wenn andernfalls ein Missver- Ab- oder Zuschläge in Höhe eines Zwischenbetrags oder die Einstufung in hältnis zum wechselseitigen Bedarf der Beteiligungen entsteht. niedrigere/höhere Gruppen angemessen. (mitgeteilt von RinOLG Erika Demmer, Dresden)

84 Neue Justiz 2/2002 Rechtsprechung

01 VERFASSUNGSRECHT setzung sei schon deshalb verfassungswidrig, weil ihr Widerspruch nicht verfristet gewesen sei. Zum einen sei eine zusätzliche individuelle 01.1 – 2/02 Bekanntgabe an sie geboten gewesen, zum anderen sei die der öffent- Verwaltungsprozessrecht/Wiedereinsetzung in den vorigen Stand/ lichen Bekanntmachung beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung rechts- Rechtsschutzgarantie fehlerhaft. Darüber hinaus habe der BGH den Wiedereinsetzungs- BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 31. Juli 2001 – antrag auf Grund einer mit dem Wortlaut von § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG 1 BvR 1061/00 nicht vereinbaren Auslegung abgelehnt und ihnen dadurch den Zugang zu einer Sachentscheidung in unzumutbarer Weise erschwert. VwVfG § 45 Abs. 3 Satz 2; GG Art. 19 Abs. 4 Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Sie führte zur Zurückver- Zur Auslegung der Wiedereinsetzungsvorschrift des § 45 Abs. 3 weisung der Sache an den BGH. VwVfG. (Leitsatz der Redaktion) Aus den Entscheidungsgründen: Die Beschwerdef. sind Eigentümerinnen eines von einem Umlegungs- II. 1. … Die angegriffene Entscheidung des BGH verstößt gegen Art. 19 verfahren betroffenen bebauten Grundstücks. Der Umlegungs- Abs. 4 GG. Der BGH hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdef. beschluss wurde am 12.9.1997 im ABl. der Stadt bekannt gemacht. auf Grund einer mit dem Wortlaut von § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG nicht Am 11.11.1997 und damit nach Ablauf der Widerspruchsfrist teilte die vereinbaren Auslegung abgelehnt und ihnen dadurch die Möglichkeit Stadt den in anderen Bundesländern wohnenden Beschwerdef. mit, der Erlangung einer Sachentscheidung genommen. dass sich ihr Grundstück in einem »rechtskräftig eingeleiteten a) Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes durch Art. 19 Umlegungsgebiet« befinde. Antragsgemäß erhielten die Beschwerdef. Abs. 4 GG gebietet eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung am 18.11.1997 eine Kopie des Umlegungsbeschlusses. Zu diesem von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung nahmen sie mit Schriftsatz v. 24.11.1997 Stellung. Am 9.12.1997 des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen legten sie den angekündigten Widerspruch ein und beantragten nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren (vgl. BVerfGE 77, vorsorglich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die 275 [284]; 78, 88 [99]; Beschl. der 2. Kammer des Ersten Senats v. Versäumung der Widerspruchsfrist. Zur Begründung machten sie u.a. 23.6.2000, NVwZ 2000, 1163). Dem Richter ist es verwehrt, durch geltend, sie hätten erst am 4.12.1997 telefonisch erfahren, dass der übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften Umlegungsausschuss sich über die von ihnen geäußerten Bedenken den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts hinwegsetzen wolle. Der Widerspruch wurde als unzulässig, da verfris- unzumutbar zu verkürzen (vgl. BVerfGE 84, 366 [369 f.]). Dies hat der tet, zurückgewiesen. Auch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung Richter auch bei der Prüfung, ob Wiedereinsetzung in den vorigen zum LG Chemnitz blieb ohne Erfolg. Das OLG Dresden änderte das Stand zu gewähren ist, zu berücksichtigen. Deshalb dürfen die Anfor- Urteil des LG ab und hob den Umlegungsbeschluss unter Gewährung derungen an die Darlegungslast nach den für die Wiedereinsetzung in von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf. den vorigen Stand maßgeblichen Vorschriften nicht überspannt Der BGH hob das Urteil des OLG auf und wies die Berufung der werden. Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darf Beschwerdef. zurück (NJ 2000, 599 [bearb. v. Flint]): insbes. nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Rechtslage unüber- Zwar könne mit dem OLG davon ausgegangen werden, dass die Unter- sichtlich ist (vgl. BVerfGE 96, 44 [50]). Im Zweifel verdient diejenige lassung einer vorherigen Anhörung der Beschwerdef. verfahrensfehlerhaft Interpretation eines Gesetzes den Vorzug, die dem Bürger den Zugang und der Anhörungsmangel für die Versäumung der Widerspruchsfrist zu den Gerichten eröffnet (vgl. BVerfGE 15, 275 [281 f.]). (mit)ursächlich gewesen sei. Die sich gleichsam »automatisch« anschlie- b) Mit diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen steht das ange- ßende Anwendung des § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG durch das OLG ziehe jedoch nicht in Betracht, dass den Beschwerdef. jedenfalls nach Zugang griffene Urteil des BGH nicht in Einklang. der maßgeblichen Unterlagen am 18.11.1997 der Umlegungsbeschluss aa) Gem. § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG gilt die Versäumung der Rechts- und dessen wesentliche Zielsetzung bekannt gewesen sei. Hätten die behelfsfrist als nicht verschuldet, wenn u.a. die erforderliche Anhö- Beschwerdef. eine solche Kenntnis schon zu einem Zeitpunkt erlangt rung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsakts unterblieben gehabt, als die Frist für einen Widerspruch gegen den Umlegungsbeschluss noch nicht abgelaufen gewesen sei, und gleichwohl einen fristwahrenden und dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts ver- Widerspruch unterlassen, so hätte ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen säumt worden ist. Das für die Wiedereinsetzung maßgebende Ereignis, Stand nicht gewährt werden können. Denn es sei nicht ersichtlich, wie sie der Wegfall des Hindernisses, tritt im Zeitpunkt der Nachholung der in einem solchen Fall in einem Wiedereinsetzungsantrag hätten darlegen unterlassenen Verfahrenshandlung ein (§ 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG). und glaubhaft machen können, die Fristversäumung beruhe iSd § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG auf dem Unterbleiben ihrer Anhörung vor Erlass des Umle- Die Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG ist § 126 Abs. 3 AO nachgebil- gungsbeschlusses. Die vorstehende Erwägung lege vor dem Hintergrund der det und bezweckt bei Verfahrensfehlern der Behörde den besonderen allgemeinen Grundsätze des Wiedereinsetzungsrechts eine entsprechende Schutz des davon Betroffenen durch die erleichterte Möglichkeit, Auslegung des 2. Satzes dieser Vorschrift nahe. Die Regel des § 45 Abs. 3 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erhalten (vgl. … BT-Drucks. Satz 2 VwVfG schließe nicht aus, dass im Einzelfall auch schon vor Been- digung der »Nachholung« behördlicher Verfahrenshandlungen eine Situa- 7/4494, S. 9). Die Regelung betrifft u.a. den Fall, dass die Versäumung tion eintrete, in der bei wertender Betrachtung keine Rede mehr davon sein der Rechtsbehelfsfrist auf der Unterlassung einer Anhörung beruht. könne, dem Betroffenen sei weiterhin die Einlegung eines Rechtsmittels Der Lauf der Wiedereinsetzungsfrist beginnt erst, wenn die Behörde unmöglich oder unzumutbar gewesen. Ein solcher Ausnahmefall sei nach ihren Fehler korrigiert und die erforderliche Anhörung nachgeholt hat. dem Regelungszusammenhang zwischen den Sätzen 1 u. 2 des § 45 Abs. 3 VwVfG jedenfalls dann anzunehmen, wenn der – wie hier – an sich gege- Auch der BGH wertet den Anhörungsmangel als (mit)ursächlich bene Ursachenzusammenhang zwischen dem Unterbleiben der vorherigen dafür, dass die Beschwerdef. die Widerspruchsfrist versäumt haben. Anhörung des Beteiligten und der Versäumung der Anfechtung des Ver- Der in § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG geforderte Kausalzusammenhang waltungsakts nachträglich durch Vorgänge unterbrochen werde, die, hätten zwischen Verfahrensmangel und Fristversäumung war insofern zunächst sie schon während des Laufs der Anfechtungsfrist vorgelegen, einer Wieder- einsetzung auf der Grundlage des § 45 Abs. 3 Satz 1 VwVfG von vornherein gegeben mit der Folge, dass die gesetzliche Fiktion des fehlenden entgegengestanden hätten. Bei diesem Verständnis des § 45 Abs. 3 VwVfG Verschuldens eintrat. Nach dem Wortlaut des § 45 Abs. 3 Satz 2 VwVfG hätte sich den Beschwerdef. spätestens nach dem 18.11.1997 aufdrängen und nach dem von dieser Vorschrift erkennbar verfolgten Zweck des müssen, dass sie unverzüglich Widerspruch einlegen müssten. besonderen Schutzes von behördlichen Verfahrensfehlern Betroffener Mit ihrer Verfassungsbeschwerde haben sich die Beschwerdef. gegen beginnt der Lauf der Wiedereinsetzungsfrist in diesem Fall mit der die Entscheidungen des BGH und des LG gewendet und u.a. eine Ver- Nachholung der Anhörung, d.h. ab dem Zeitpunkt, ab dem die letzung von Art. 19 Abs. 4 GG gerügt. Die Versagung der Wiederein- Anhörung abgeschlossen ist, die Behörde also abschließend Stellung

Neue Justiz 2/2002 85 Rechtsprechung Verfassungsrecht

nimmt (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 2000, § 45 Rn 54; Schäfer, in: bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr und für Kinder der fünften und Obermayer, VwVfG, 1999, § 45 Rn 86; Meyer, in: Meyer/Borgs, VwVfG, sechsten Schuljahrgangsstufe ist ein entsprechener Anspruch nur für 1982, § 45 Rn 38). Danach haben die Beschwerdef. ihren Wiederein- den Fall eingeräumt, dass eine Tagesbetreuung aus bestimmten Grün- setzungsantrag rechtzeitig gestellt. den erforderlich ist (siehe i.E. § 1 Abs. 2 u. 3 Kita-G 2000). Wenn demgegenüber der BGH im Wege der Auslegung des § 45 Im Mai 2000 begann die Volksinitiative »Für unsere Kinder – Volks- Abs. 3 Satz 2 VwVfG zu der Auffassung gelangt, den Beschwerdef. hätte initiative zur Sicherung des Rechtsanspruchs aller Kinder auf Erzie- sich spätestens mit dem Zugang des Umlegungsbeschlusses auf- hung, Bildung, Betreuung und Versorgung in Kindertagesstätten« – sog. drängen müssen, dass eine unverzügliche Einlegung des Widerspruchs Kita-Volksinitiative – mit der Sammlung von Unterschriften für einen unumgänglich sei mit der Folge, dass diese und der Antrag auf Gesetzentwurf, der im Wesentlichen die Wiederherstellung des Rechts- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht fristgerecht seien, so anspruchs auf einen Kita-Platz in dem früheren Umfang vorsah. Im Juli begegnet dies im Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG verfassungsrechtlichen 2000 legten die Vertreter der Volksinitiative dem Präsidenten des Land- Bedenken. Der BGH engt unter Berufung auf allgemeine Grundsätze tags den Gesetzentwurf und 147.358 dafür gesammelte Unterschriften des Wiedereinsetzungsrechts den Anwendungsbereich der einen vor. Im Okt. 2000 kam der Hauptausschuss des Landtags zu dem Ergeb- Sonderfall regelnden Vorschrift des § 45 Abs. 3 VwVfG ein und verlegt nis, dass die Volksinitiative nach § 5 VolksabstimmungsG (VAGBbg) damit den Beginn der Wiedereinsetzungsfrist auf einen Zeitpunkt vor unzulässig sei; § 5 Abs. 2 VAGBbg regelt – insoweit wie Art. 76 Abs. 2 LV – der nachgeholten Anhörung. Damit wird der Rechtsuchende gezwun- u.a., dass Volksinitiativen zum Landeshaushalt unzulässig sind. gen, den Rechtsbehelf stets vorsorglich einzulegen. Mit dieser Inter- Hiergegen haben die Vertreter der Kita-Volksinitiative das VerfG des pretation der Vorschrift überspannt der BGH die Anforderungen Landes angerufen. daran, was von den Beschwerdef. von Rechts wegen verlangt werden Das VerfG hat den Antrag zurückgewiesen. muss, um ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und damit eine gerichtliche Sachentscheidung zu ermöglichen. Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Das VerfG hat festgestellt, dass der Antrag unbegründet ist. Bei der Kita-Volksinitiative handele sich um eine »Volksinitiative 01.2 – 2/02 zum Landeshaushalt« iSv Art. 76 Abs. 2 LV, § 5 Abs. 2 VAGBbg, wie sie Volksinitiativen/Reichweite des Haushaltsvorbehalts/Rechtsanspruch nach diesen Bestimmungen nicht zulässig sei. Zwar würden durch die auf Kita-Platz angestrebte Regelung weder der Wortlaut des HaushaltsG noch der VerfG Brandenburg, Urteil vom 20. September 2001 – 57/00 Haushaltsplan geändert. Art. 76 Abs. 2 LV erfasse jedoch auch solche Regelungen, die zu gewichtigen staatlichen Ausgaben führten und sich LVBbg. Art. 2 Abs. 4 Satz 1, 76 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 97 Abs. 3; unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Gesamtgefüge des Bbg. VolksabstimmungsG §§ 5 Abs. 2, 9 Abs. 6 Satz 1, 11 Haushalts und der weiteren Umstände des Falls als wesentliche 1. Der Ausschluss von Volksinitiativen »zum Landeshaushalt« gem. Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts darstellten (1.). Art. 76 Abs. 2 LV erfasst nach seinem Sinn und Zweck auch – aber auch Eine solche Regelung liege vor, weil die von der Volksinitiative ange- erst – solche Initiativen, die zu gewichtigen staatlichen Ausgaben führen strebte Ausdehnung des Rechtsanspruchs u.a. auf Betreuung in einer und sich unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf das Gesamt- Kindertagesstätte zu im Haushaltsplan nicht vorgesehenen gewich- gefüge des Haushalts und der weiteren Umstände des Falls als wesent- tigen staatlichen Mehrausgaben führen und konkret einer in Wahr- liche Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts darstellen. nehmung der Budgethoheit getroffenen haushaltspolitischen Entschei- 2. Wann eine Volksinitiative in diesem Sinne zu gewichtigen staat- dung des Landtags zuwiderlaufen würde (2.). lichen Ausgaben führt und sich unter Berücksichtigung der Auswir- 1.a) Nicht bereits aus begrifflichen (Wortlaut-), historischen und kungen auf das Gesamtgefüge des Haushalts und der weiteren systematischen Gründen, die eine eindeutige Auslegung nicht Umstände des Falls als wesentliche Beeinträchtigung des parlamen- zuließen, jedoch aus Sinn und Zweck des Art. 76 Abs. 2 LV folge, tarischen Budgetrechts darstellt, lässt sich nicht allgemein und dass diese Bestimmung auch solche Initiativen erfasse, die auf den pauschal beantworten, sondern hängt von einer wertenden Gesamt- Gesamtbestand des Haushalts Einfluss nähmen und sich als wesent- betrachtung ab. Dabei kann auch – und nicht zuletzt – ins Gewicht liche Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments darstellten. fallen und ggf. den Ausschlag geben, ob die Volksinitiative in engem Zweck der Beschränkung der Volksgesetzgebung durch Art. 76 Abs. 2 sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer konkreten LV sei die Sicherung der Budgethoheit des Landtags. Schutzgegenstand haushaltspolitischen Entscheidung des Parlaments steht und sich den des Budgetrechts sei dabei im heutigen parlamentarischen Regie- Umständen nach erkennbar gegen eine bewusste Entscheidung des rungssystem neben der überkommenen Kontrollfunktion auch das Haushaltsgesetzgebers richtet. Recht der parlamentarischen Mehrheit und der von ihr getragenen Regierung, ihr politisches Programm in Gestalt des – i.d.R. in kompli- Problemstellung: zierten politischen Aushandlungsprozessen erreichten – Haushalts- Im März 2000 brachte die brandenburgische Landesregierung mit dem plans zu verwirklichen. Von daher bestehe der Zweck eines Haushalts- Bestreben, eine mittelfristige Konsolidierung des Landeshaushalts zu vorbehalts auch darin, Volksbegehren und Volksentscheide mit ermöglichen, den Entwurf eines HaushaltsstrukturG 2000 – Ges. zur - Kostenauswirkungen jedenfalls von einer gewissen haushaltswirt- Beseitigung des strukturellen Ungleichgewichts im Haushalt v. schaftlichen Schwelle an zu unterbinden und derartige Entschei- 28.6.2000 – ein; dieses Gesetz ist seit dem 1.7.2000 in Kraft (GVBl. I. dungen dem parlamentarischen Gesetzgeber vorzubehalten. Weitere S. 90). Art. 3 des Gesetzes sieht haushaltswirksame Änderungen des Kin- Folgerungen ließen sich einer an Sinn und Zweck ausgerichteten dertagesstättenG (Kita-G v. 10.6.1992, GVBl. I S. 178) vor; während nach Auslegung der den Haushaltsvorbehalt regelnden Bestimmungen der bish. Fassung des Kita-G allen Kindern bis zum Ende des Grundschul- allerdings nicht entnehmen: Der Zweck des Haushaltsvorbehalts alters ein Rechtsanspruch u.a. auf Betreuung und Versorgung in Kinder- bestehe nicht auch darin, die Leistungsfähigkeit des Staats und seiner tagesstätten zur Seite stand (siehe i.E. § 1 Kita-G 1992), regelt die im Zuge Verwaltung vor Eingriffen durch den Volksgesetzgeber zu sichern; des HaushaltsstrukturG 2000 in Kraft getretene Fassung des Kita-G unter insoweit könne nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass allein der Festlegung bestimmter Betreuungszeiten einen solchen Anspruch parlamentarische Gesetzgeber in der Lage wäre, einen verantwor- grundsätzlich nur noch für Kinder vom vollendeten zweiten Lebens- tungsbewussten Ausgleich zwischen Einnahmen und Ausgaben herzu- jahr bis zur Versetzung in die fünfte Schuljahrgangsstufe; für Kinder stellen. Auch könne der Einschätzung, dem Volksgesetzgeber fehle

86 Neue Justiz 2/2002 Verfassungsrecht

grundsätzlich der Sachverstand für die Beurteilung der finanziellen 2. Gemessen an den vorgenannten Gesichtspunkten handele es Tragweite gesetzgeberischer Entscheidungen, nicht uneingeschränkt sich vorliegend um eine Initiative, die unter den Haushaltsvorbehalt gefolgt werden. Schließlich könne auch die Auffassung nicht geteilt falle. Der mit der Initiative erstrebte erweiterte Rechtsanspruch auf werden, mit Hilfe des Finanzvorbehalts gelte es, einem Missbrauch der einen Kita-Platz würde gewichtige staatliche Ausgaben auslösen. Volksgesetzgebung zu begegnen, weil die Gefahr bestünde, dass Inte- Insbes. wegen des dauerhaft benötigten zusätzlichen Personals würden ressengruppen von ihnen vertretenen Bürgern durch Volksbegehren langfristige haushaltwirtschaftliche Bindungen entstehen. Insgesamt Sondervorteile verschaffen würden; nach der Rechtslage im Land Bran- gehe es bei im Raume stehenden Mehraufwendungen in einer Größen- denburg werde spätestens auf der Ebene des Volksentscheids durch das ordnung von ca. 34 Mio. DM im Jahr 2001 und jeweils ca. 48 Mio. DM Mehrheitserfordernis sowie jedenfalls durch das weitere Erfordernis, für die folgenden Jahre bei einem Haushaltsvolumen von ca. 19 Mrd. dass mindestens ein Viertel der Stimmberechtigten dem Gesetzentwurf DM um eine durchaus beträchtliche finanzielle Belastung; dabei zustimmen müsse (vgl. Art. 78 Abs. 2 LV), verhindert, dass eine kleine könne es nicht darauf ankommen, dass die Pflicht zur Finanzierung Gruppe ihre Sonderinteressen gegen den Willen der Mehrheit der des erhöhten Aufwands zunächst die Kommunen treffe, weil das Staatsbürger durchsetze. Nicht volksgesetzgebungsspezifisch sei schließ- Land nach Art. 97 Abs. 3 Sätze 2 u. 3 LV u.a. verpflichtet wäre, für die lich die Gefahr, dass ggf. ein Teil des Volkes zu Ungunsten eines ande- Mehrbelastung der Gemeinden einen entsprechenden finanziellen ren Teils über die Verteilung von Steuermitteln oder wirtschaftlichen Ausgleich zu schaffen. Eine finanzielle Belastung in der vorgenannten Lasten entscheide. Dass sich Mehrheitsentscheidungen zu Lasten einer Größenordnung brauche allerdings für sich allein noch nicht stets und Minderheit auswirken könnten, sei kein Sonderproblem der Volks- unter allen Umständen unter den Haushaltsvorbehalt des Art. 76 gesetzgebung, sondern liege im Prinzip der Mehrheitsentscheidung Abs. 2 LV zu fallen. Vorliegend bedürfe es insoweit auch keiner begründet; die Durchsetzung von Partikularinteressen sei gleicher- abschließenden Entscheidung. Denn das Budgetrecht des Landtags maßen auch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren denkbar. erscheine durch die entstehenden staatlichen Mehrausgaben mit ihren b) Unbeschadet dessen dürften angesichts der in Art. 2 Abs. 4 Satz 1 Auswirkungen auf den Landeshaushalt jedenfalls bei Mitberücksich- LV grundsätzlich anerkannten Gleichrangigkeit von parlamentari- tigung der weiteren Umstände des Falls greifbar und wesentlich schem Gesetzgeber und Volksgesetzgeber die inhaltlichen Zulässig- beeinträchtigt. Es trete nämlich ausschlaggebend hinzu, dass ein enger keitsschranken für die Volksgesetzgebung nicht (durch eine allzu weite zeitlicher und sachlicher Zusammenhang mit einer bewussten haus- Auslegung des Haushaltsvorbehalts) derart verengt werden, dass die haltspolitischen Entscheidung bestehe, die der Landtag mit dem Haus- Volksgesetzgebung ihre praktische Bedeutung verliere. Bei einer haltsstrukturG 2000 eben auch durch die Einschränkung des Rechts- Beschränkung auf Gesetze und andere Vorlagen ohne (nennenswerte) anspruchs auf einen Kita-Platz in dem Bemühen getroffen habe, die Haushaltsauswirkungen würde das Volksinitiativrecht in Anbetracht Haushaltsprobleme des Landes in den Griff zu bekommen. Eine Ver- der nahezu universalen Haushaltsrelevanz aller staatlichen Entschei- änderung des Kita-G, wie sie die Volksinitiative anstrebe, würde damit dungen stark eingeschränkt. Ein erheblicher Teil von Volksinitiativen eine haushaltswirtschaftliche Grundentscheidung des parlamenta- fiele unter Berufung auf den Haushaltsvorbehalt schon der Zulässig- rischen Gesetzgebers revidieren; die Initiative stelle insgesamt eine keitsüberprüfung durch den Hauptausschuss zum Opfer und würde gezielte Reaktion auf eine bewusste haushaltspolitische Entscheidung damit bereits in dieser Phase der inhaltlichen Erörterung im Parlament des Parlaments dar. Damit handele es sich – unter Mitberücksichtigung entzogen. Die fruchtbare Möglichkeit, im Rahmen der inhaltlichen der gewichtigen Kostenauswirkungen – um eine wesentliche Beein- Befassung mit dem Gegenstand der Volksinitiative neue Ansätze auf- trächtigung des Budgetrechts des Parlaments, so dass der Haushalts- zugreifen und auf ihre Verträglichkeit mit den eigenen Vorstellungen vorbehalt des Art. 76 Abs. 2 LV nach seinem Sinn und Zweck greife. und der Haushaltslage zu überprüfen, ginge weitgehend verloren. Die Entscheidung ist mit 6 gegen 2 Stimmen und unter Abgabe eines Von daher dürfe eine allzu weite Auslegung des Haushaltsvorbehalts (gemeinsamen) Sondervotums zweier Verfassungsrichter ergangen. nicht dazu führen, dass die Bürger von der Wahrnehmung ihres Volks- Nach dem Sondervotum handele es sich bei der Kita-Volksinitiative initiativrechts nach Art. 76 Abs. 1 Satz 1 LV (»Alle Einwohner haben nicht um eine gem. Art. 76 Abs. 2 LV unzulässige Initiative zum Lan- das Recht, dem Landtag im Rahmen seiner Zuständigkeit bestimmte deshaushalt. Unter Landeshaushalt seien lediglich das Haushaltsgesetz Gegenstände der politischen Willensbildung zu unterbreiten«) abge- und der Haushaltsplan des Landes zu verstehen. Eine demgegenüber schreckt würden. Eine Volksinitiative, die ggf. Auswirkungen auf die weitergehende Auslegung des Art. 76 Abs. 2 LV verstoße gegen die in Haushaltslage habe, dürfe aus diesen Gründen nur für den Fall als Art. 2 Abs. 4 Satz 1 LV als Verfassungsgrundsatz geregelte Gleich- unzulässig behandelt werden, dass sie zu gewichtigen staatlichen rangigkeit von parlamentarischem Gesetzgeber und Volksgesetzgeber. Ausgaben führe und sich unter Berücksichtigung der Auswirkungen Die in dem Sondervotum vertretene enge Auslegung des Art. 76 Abs. 2 auf das Gesamtgefüge des Haushalts und der weiteren Umstände des LV führe im Ergebnis auch nicht zu einer Beeinträchtigung des Falls als eine wesentliche Beeinträchtigung des Budgetrechts des Land- Budgetrechts des Landesparlaments. Das folge u.a. daraus, dass es sich tags darstelle. Wann dies der Fall sei, hänge von einer wertenden bei der Budgethoheit lediglich um eine formelle Gesetzgebungskom- Gesamtbetrachtung ab. Maßgebend könnten die in Rede stehenden petenz handele. Diese sei als solche nicht geeignet, die Kompetenzen Beträge als solche sowie Art und Dauer der finanziellen Belastung, aber des Volksgesetzgebers zu beschränken. Im Übrigen bestimme die etwa auch der Prozentwert sein, den der Kostenaufwand der von der Mehrheitsmeinung keinen nachvollziehbaren Maßstab für die Grenz- Initiative angestrebten Regelung im Verhältnis zum Gesamthaushalt ziehung zwischen zulässigen und unzulässigen Inhalten. oder zur »freien Spitze« der nicht bereits gesetzlich oder anderweitig gebundenen Mittel oder auch zum jeweils betroffenen Einzelhaushalt Kommentar: ausmache. Berücksichtigung könnten ferner Sachgehalt und Wertig- »Vitalisierung oder Störung der parlamentarischen Demokratie?« – mit keit des Anliegens der Volksinitiative verdienen, weil für die Kosten- dieser Formulierung hat Josef Isensee, ausgewiesener Kenner der Nutzen-Relation ggf. auch inhaltliche Momente eine Rolle spielten. Materie, die Legitimationsfrage der Volksgesetzgebung kürzlich auf Schließlich könne ins Gewicht fallen, ob die Volksinitiative in einem den Punkt gebracht (DVBl 2001, 1161). Die Verfassung des Landes engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer konkreten Brandenburg geht für seinen Verfassungsraum von Ersterem aus; haushaltspolitischen Entscheidung des Parlaments stehe und sich den daran hat das VerfG des Landes mit seiner – 50 Seiten umfassenden – Umständen nach erkennbar gerade gegen eine bewusste Entschei- Grundsatzentscheidung v. 20.9.2001 aus Anlass der Klärung, wie weit dung des Haushaltsgesetzgebers richte und unter diesem Gesichts- der Haushaltsvorbehalt gem. Art. 76 Abs. 2 LV reicht, keinen Zweifel punkt die parlamentarische Budgetverantwortung in Frage stelle. gelassen.

Neue Justiz 2/2002 87 Rechtsprechung Verfassungsrecht

Naturgemäß ergibt sich dies nicht bereits aus dem Ergebnis der Ent- 02 BÜRGERLICHES RECHT scheidung, wiewohl dieses in seiner Konsequenz einleuchten sollte. Liegt der wesentliche Sinn des Haushaltsvorbehalts darin, ein Unter- 02.1 – 2/02 laufen der Budgethoheit des Landtags zu verhindern, darf eine Initia- Amtshaftung/Falschauskunft einer Gemeinde gegenüber Urkunds- tive – hier die Kita-Volksinitiative im Hinblick auf das Haushalts- notar bzgl. Erschließung eines Kaufgrundstücks strukturG 2000 – dem Haushaltsgesetzgeber, wie es in den Gründen der BGH, Urteil vom 3. Mai 2001 – III ZR 191/00 (OLG Jena) Entscheidung des VerfG heißt, nicht »gewissermaßen in den Arm BGB § 839 Abs. 1 u. 3; DDR-NotVO § 18 Abs. 1; GG Art. 34 fallen«. Dass dies nicht für jede – also nicht auch etwa für eine haus- haltswirtschaftlich völlig unbedeutende – Volksinitiative gilt, die sich 1. Die Amtspflicht zu einer richtigen, klaren, unmissverständlichen unmittelbar bzw. gezielt gegen eine vom Landtag in Wahrnehmung sei- und vollständigen Auskunft gilt auch bei einer Bescheinigung, in der ner Budgethoheit getroffene haushaltspolitische Entscheidung richtet, auf Nachfrage eines Urkundsnotars der Bürgermeister einer Gemeinde ist in den Gründen klargestellt; insoweit macht das VerfG deutlich, bestätigt, dass die Erschließung eines Kaufgrundstücks abgeschlossen dass es für die Annahme einer wesentlichen Beeinträchtigung des ist und der Erwerber nicht zu Erschließungskosten herangezogen wird. Budgetrechts des Parlaments – also für ein Eingreifen des Haushalts- 2. Die einem Dritten obliegende Amtspflicht besteht bei der Erteilung vorbehalts – stets (auch) des Vorliegens gewichtiger Kostenauswirkun- einer solchen Auskunft auch gegenüber zukünftigen Grundstücks- gen (für die hier Mehraufwendungen von 34 bzw. 48 Mio. DM bei erwerbern. Die unmittelbare Beteiligung am Amtsgeschäft ist ebenso einem Haushaltsvolumen von ca. 19 Mrd. DM sprachen) bedarf. wenig Voraussetzung für die Annahme einer drittgerichteten Amts- Freilich ergibt sich der eingangs festgestellte Befund aus den pflicht, wie ein Rechtsanspruch des Betroffenen auf die in Frage »Zwischentönen« der Entscheidung, und zwar nicht nur dort bspw., wo stehende Amtshandlung. Die Gemeinde ist einem Grundstückserwer- das VerfG von der »fruchtbare(n) Möglichkeit« spricht, im Rahmen der ber daher amtshaftungspflichtig, wenn sich entgegen der erteilten inhaltlichen Befassung mit dem Gegenstand der Volksinitiative neue Auskunft herausstellt, dass die Erschließung noch nicht abgeschlossen Ansätze aufzugreifen, oder wo es heißt, dass eine allzu weite Auslegung war und ein Erschließungsbetrag von ihm gefordert wird. des Haushaltsvorbehalts nicht dazu führen dürfe, dass die Volksgesetz- 3. Als anderweitige Ersatzmöglichkeit iSv § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB gebung ihre praktische Bedeutung verliere. So stellt das Gericht im kommt eine konkurrierende Notarhaftung nach § 18 Abs. 1 der DDR- Rahmen der Prüfung, welche Folgerungen aus einer systematischen VO über die Tätigkeit von Notaren in eigener Praxis nicht in Betracht. Auslegung von Art. 76 Abs. 2 LV gezogen werden können, auch fest, (Leitsätze des Bearbeiters) dass es sich für die Verfassungsrechtslage im Land Brandenburg nicht uneingeschränkt der Auffassung des BVerfG (zur Volksinitiative nach Problemstellung: schleswig-holsteinischem Verfassungsrecht, vgl. BVerfGE 102, 176) und Die Kl. begehren die Feststellung darüber, dass der Rechtsnachfolger anderer LVerfG zu den Haushaltsvorbehaltsklauseln in anderen Lan- einer Gemeinde, eine bekl. thüringische Stadt, für eine unrichtige desverfassungen anzuschließen vermöge, wonach aus systematischen Auskunft des Bürgermeisters über die Beendigung und die Kosten der Erwägungen grundsätzlich eine ausdehnende Auslegung des Haus- Erschließung eines Baugebiets nach Grundsätzen der Amtshaftung haltsvorbehalts angezeigt sei und dieser bei Auswirkungen auf den schadensersatzverpflichtet ist. Haushalt im Zweifel greife. Die Verfassungsrechtslage in Brandenburg Durch notariellen Vertrag v. 5.8.1993 kauften die Kl. ein Baugrund- – so das VerfG des Landes – sei vielmehr offener. Gleiches zeigt die Deut- stück in einer thüringischen Gemeinde, welche inzwischen in die lichkeit, mit der das Gericht ausführt, es könne nicht ohne weiteres bekl. Stadt eingemeindet worden ist. In dem Kaufvertrag verpflichtete unterstellt werden, dass nur der parlamentarische Gesetzgeber und sich die Verkäuferin, die öffentlich-rechtlichen Erschließungsbeiträge nicht auch der Volksgesetzgeber, und zwar auch vom Sachverstand her, zu tragen und die innere und äußere Erschließung des Grundstücks zu in der Lage sein solle, einen verantwortungsbewussten Ausgleich zwi- gewährleisten. Gegenüber der Gemeinde hatte sie sich verpflichtet, das schen Einnahmen und Ausgaben herzustellen, und dass es nicht dem Baugebiet zu erschließen. Zur Absicherung dieser letzteren Verpflich- Gedanken folgen könne, wonach es mit Hilfe des Finanzvorbehalts tung diente eine bis zum 15.5.1993 befristete Bankbürgschaft. gelte, einem Missbrauch der Volksgesetzgebung oder einer damit ver- Als Voraussetzung für die Auszahlung des auf die Erschließungs- bundenen Gefahr der Schaffung von Sondervorteilen zu begegnen. leistungen entfallenden Kaufpreisanteils wurde vereinbart, dass der Dass es das VerfG in der Sache selbst bei der von ihm herausge- Notar eine Bestätigung darüber einholt, arbeiteten, im ersten Leitsatz abgedruckten Formel zu der Frage »dass die äußere und innere Erschließung entsprechend dem bestehen- belassen hat, in welchen Fällen Volksinitiativen generell unter den den Bebauungsplan fertiggestellt, abgenommen, abgerechnet und bezahlt ist oder die Zahlung sichergestellt ist und feststeht, dass der Haushaltsvorbehalt des Art. 76 Abs. 2 LV zu zählen sind, und insbes. Käufer nicht mehr für Erschließungskosten für die Erschließung ent- davon abgesehen hat, im Wege etwa einer »mathematisierenden« sprechend dem Bebauungsplan nach BauGB oder Kommunalabgaben- Betrachtungsweise zahlenmäßig bestimmte (starre) Größen für ein gesetz herangezogen wird.« Eingreifen des Haushaltsvorbehalts festzulegen, ergibt sich zwangs- Bereits vor Vertragsschluss hatte der Bürgermeister mit Schreiben läufig aus der Natur der Sache, zumal dann, wenn man auch den v. 3.6.1993 an den Notar bestätigt, dass Sachgehalt und die Wertigkeit des Anliegens der Volksinitiative mit zu »1. Die Zahlung der Erschließungskosten für die äußere und innere berücksichtigen hat. Im Grunde lässt sich abstrakt kaum bestimmen, Erschließung entsprechend dem bestehenden Bebauungsplan für das wann eine Volksinitiative solche – regelmäßig mittelbaren – Auswir- gesamte Baugebiet … sichergestellt ist und 2. feststeht, dass die Grundstückseigentümer der vorbezeichneten kungen auf die Budgethoheit zeitigt, dass von einer wesentlichen Grundstücke oder Teilflächen dieser Grundstücke nicht mehr für diese Beeinträchtigung des Budgetrechts gesprochen werden kann; dies- Erschließungskosten nach BauGB oder Kommunalabgabengesetz her- bezügliche Abgrenzungsversuche etwa des BVerfG zur Volksinitiative angezogen werden.« nach schleswig-holsteinischem Verfassungsrecht, aber auch von Ver- Der Notar zahlte teilweise den Kaufpreis an die Verkäuferin. Diese kam fassungs- bzw. Staatsgerichtshöfen anderer Länder bestätigen dies jedoch ihren Verpflichtungen aus dem mit der Gemeinde geschlos- (vgl. BVerfGE 102, 176; BayVerfGH, NVwZ-RR 2000, 401, 403; senen Erschließungsvertrag nicht nach. Seit Ende 1994 ist sie zahlungs- BremStGH, NordÖR 1998, 297, 299; NRWVerfGH, NVwZ 1982, 188, unfähig. Die Bürgschaft war nicht fristgemäß in Anspruch genommen 189; siehe auch – zum Urt. des Thür. VerfGH v. 19.9.2001 – Jutzi, worden. NJ 2001, 644, 646). Die bekl. Stadt nahm nach der Eingemeindung die Erschließungs- RiOVG Boris Wolnicki, Frankfurt (Oder) maßnahmen selbst vor und verlangte von den Kl. hierfür die Kosten.

88 Neue Justiz 2/2002 Bürgerliches Recht

Das gegen die entsprechenden Bescheide von den Kl. geführte Der Feststellungsantrag ist begründet, weil den Kl. der geltend verwaltungsgerichtliche Verfahren ist noch nicht beendet. In ihm gemachte Amtshaftungsanspruch dem Grunde nach zusteht. erklärten die Kl. die Aufrechnung ihres Amtshaftungsanspruchs Die Auskunft des Bürgermeisters v. 3.6.1993 war falsch, weil sich die gegenüber den Erschließungskosten. Die Bekl. verzichtete bisher auf Gemeinde nur durch eine bis zum 15.5.1993 befristete Bürgschaft die zwangsweise Einziehung der Erschließungsbeiträge. abgesichert hatte, die nicht rechtzeitig in Anspruch genommen worden Die Kl. begründen ihren Feststellungsantrag zur Schadensersatz- war. Bei Anlegung des das Amtshaftungsrecht beherrschenden objek- verpflichtung mit der Unrichtigkeit der Auskunft des Bürgermeisters. tivierten Sorgfaltsmaßstabs ist auch der Fahrlässigkeitsvorwurf begrün- Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat ihr stattgegeben. det, weil die Unrichtigkeit für den Bürgermeister erkennbar war. Die Revision der Bekl. hatte keinen Erfolg. Die Kl. sind auch »Dritte« iSd § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Amts- pflicht, eine Auskunft richtig, klar, unmissverständlich und vollständig Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: zu geben, so dass der Empfänger der Auskunft entsprechend disponie- Der Feststellungsantrag der Kl. ist zulässig und begründet. ren kann, besteht gegenüber jedem Dritten, in dessen Interesse oder auf Hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags führt der BGH u.a. aus, dass dessen Antrag die Auskunft erteilt wird (Senatsurt. v. 10.7.1980, NJW ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung iSv § 256 1980, 2573, 2574, und v. 10.7.1986, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Aus- Abs. 1 ZPO besteht. Unter Hinweis auf die st.Rspr. (BGH, NJW 1993, kunft 1 = VersR 1987, 50). Dem Inhalt der Auskunft kann entnommen 648) kann ein solches Interesse auch im Falle eines erst künftig aus werden, dass sie dem Notar als amtlicher Nachweis über die Sicher- dem Rechtsverhältnis erwachsenden Schadens angenommen werden, stellung der Erschließung und über die Freistellung der Grund- wenn nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Verlauf der stückseigentümer des Plangebiets von der Heranziehung zu Erschlie- Dinge der Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich ist. Wird der ßungsbeiträgen dienen und im Grundstücksverkehr, d.h. bei der Schadensersatzanspruch aus der Verletzung einer Vorschrift (hier § 839 Beurkundung und Abwicklung der notariellen Kaufverträge über die BGB) hergeleitet, die das Vermögen im Allgemeinen schützt, ist im Grundstücke des Plangebiets, verwendet werden sollte. Bei der Erteilung Interesse des Anspruchsgegners bereits für die Zulässigkeit der Klage zu der Auskunft war deshalb auch auf die Interessen der zukünftigen verlangen, dass der Anspruchsteller die Wahrscheinlichkeit eines auf Grundstückserwerber als eines durch die Beziehung zum Plangebiet die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts dartut. begrenzten Personenkreises, der die erschlossenen Grundstücke kaufen Diese Wahrscheinlichkeit eines Schadens liegt hier vor, weil der Notar und mit Wohnhäusern bebauen wollte, in individualisierter und qua- im Vertrauen auf die Auskunft des Bürgermeisters den für die Erschlie- lifizierter Weise Rücksicht zu nehmen. Die unmittelbare Beteiligung am ßungsleistungen bestimmten Teilbetrag an die Verkäuferseite zahlte, Amtsgeschäft ist ebenso wenig Voraussetzung für die Annahme einer obwohl nicht feststand, dass die Kl. seitens der Gemeinde nicht mehr drittgerichteten Amtspflicht wie ein Rechtsanspruch des Betroffenen für die Erschließungskosten herangezogen werden konnten. auf die in Frage stehende Amtshandlung (BGHZ 137, 11, 15 mwN). Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert auch nicht daran, Ein mögliches Fehlverhalten des Notars bleibt außer Betracht. Im dass die Kl. gegen die Bescheide der Erschließungskosten verwaltungs- Verhältnis zwischen der Staatshaftung und der konkurrierenden gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Der Revision kann Notarhaftung greift das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 Satz 2 nicht in der Argumentation gefolgt werden, dass neben dem bereits BGB bei beiderseitiger Fahrlässigkeit nicht ein. Dies gilt auch dann, anhängigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit nicht notwendig wenn der Notar eine nach §§ 23, 24 BNotO übernommene Amtspflicht ein weiterer vor den ordentlichen Gerichten zu führen ist, weil die Kl. verletzt hätte (BGHZ 123, 1, 7). In den neuen Ländern richteten sich mit ihren auf das Schreiben des Bürgermeisters der Gemeinde gestütz- Schadensersatzansprüche gegen einen Notar nach dem damals gel- ten Einwendungen auch beim VG gehört werden könnten. Gegen tenden § 18 Abs. 1 der VO über die Tätigkeit von Notaren in eigener diese Auffassung spricht, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren Praxis, der auf § 19 Abs. 1 BNotO verwies. Die BNotO war bis 1998 in keinen Fall des Primärrechtsschutzes iSd § 839 Abs. 3 BGB darstellt. den neuen Ländern nicht unmittelbar anwendbar, weil gem. Anl. II, Unter Verweis auf die st.Rspr. zu § 839 Abs. 3 BGB (BGH, Urt. v. Kap. III, Sachg. A, Abschn. III, Nr. 2 des EinigungsV die DDR-NotVO 12.10.2000, NVwZ 2001, 468, sowie BGHZ 123, 1, 7; 137, 11, 23) sind nach Maßgabe der im EinigungsV geregelten Änderungen fortgalten. nur solche Rechtsbehelfe bedeutsam, die sich unmittelbar gegen die Nach § 18 Abs. 1 DDR-NotVO haftete für Schadensersatzansprüche, schädigende Amtshandlung oder Unterlassung selbst richten und die sich aus der Verletzung von Amtspflichten ergaben, der Notar dem nach gesetzlicher Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung Geschädigten nach den »Vorschriften des Zivilrechts«. Damit war bezwecken und ermöglichen. Hier richten sich die verwaltungsge- zunächst auf die Zivilrechtsordnung der DDR Bezug genommen. richtlichen Rechtsbehelfe der Kl. gerade nicht gegen die unrichtige Nachdem diese außer Kraft getreten ist, waren die entsprechenden Auskunftserteilung als solche, sondern gegen die späteren, in Wider- Bestimmungen des Rechts der Bundesrepublik Deutschland anzuwen- spruch zu jener Auskunft stehenden Beitragsbescheide. Auch wurde den. Da sich die DDR-NotVO eng an die BNotO anlehnte, war die über den Stand der verwaltungsgerichtlichen Verfahren nichts vorge- Vorschrift des § 19 Abs. 1 BNotO als die sachnächste Haftungsnorm tragen. Insbes. ist nicht erkennbar, ob die hier in Rede stehende Amts- anzusehen (BGH, Urt. v. 15.1.1998, BGHR NotVO/DDR § 18 Abs. 1 haftung der Bekl. dort überhaupt entscheidungserheblich werden kann. Notarhaftung 1 mwN). Deswegen sieht der erkennende Senat keine Bei der Bewertung der von den Kl. erfolgten Aufrechnung ist zu berück- Bedenken, auch im Verhältnis zwischen Staatshaftung und Notarhaf- sichtigen, dass nach § 226 Abs. 3 AO die Aufrechnung gegen öffentliche tung in den neuen Bundesländern die Anwendung der Subsidiaritäts- Abgaben nur zulässig ist, wenn die Gegenforderung unbestritten oder klausel des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB auszuschließen. rechtskräftig festgestellt ist. Dieser Rechtssatz gilt nach § 1 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a des Thür. KommunalabgabenG v. 7.8.1991 Kommentar: (GVBl. S. 329) auch für Abgaben, welche die Gemeinden aufgrund ande- Dieses Urteil reiht sich in eine lange Liste von Entscheidungen des rer Gesetze erheben. Hierunter fallen Beiträge (§ 1 Abs. 2 des Ges.), zu BGH oder der OLG in den neuen Ländern ein, welche die verfahrens- denen auch die Erschließungsbeiträge nach §§ 127 ff. BauGB gehören. und materiellrechtliche Stellung der Geschädigten in Amtshaftungs- Auch das »Stillhalteabkommen« zwischen den Parteien, aufgrund verfahren sichert bzw. verbessert. Hier ist vor allem auf die Bestätigung dessen die Bekl. vorläufig darauf verzichtet, die Beiträge zwangsweise der in der st.Rspr. angewandten Rechtsgrundsätze hinzuweisen, wonach einzuziehen, spricht dafür, die Amtshaftungsfrage dem Grunde nach kein anderweitiger Rechtsbehelf iSv § 839 Abs. 3 BGB vorliegt, wenn noch vor der endgültigen Entscheidung über die sachliche Berechti- sich mögliche Behelfe nicht unmittelbar gegen die schädigende Hand- gung der Erschließungsbeiträge zu klären. lung richten, die den Amtshaftungsanspruch auslösen. Wie in dem

Neue Justiz 2/2002 89 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

bereits am 12.10.2000 vom BGH entschiedenen Fall (aaO – unzutreffende senat geht in st.Rspr. davon aus, dass ein Geschädigter auch dann noch Auskunft über die Höhe von Erschließungskosten) stellen die Wider- Ersatz der Reparaturkosten verlangen kann, wenn er das Kfz bereits sprüche gegen entsprechende Bescheide über Erschließungskosten veräußert hat. Dies gilt auch dann, wenn der Verkäufer hierbei ein keine Rechtsmittel dar, die geeignet sind, den Schaden abzuwenden. Geschäft macht, indem er einen Preis erzielt, der zzgl. der Reparatur- Dr. Hans Lühmann, Humboldt-Universität zu Berlin kosten den Wert des Kfz vor der Beschädigung übersteigt. Diese Auffassung teilt der im vorliegenden Fall entscheidende V. Zivilsenat ausdrücklich weiterhin nicht. Er nähert sich der Rspr. des VI. Zivil- 02.2 – 2/02 senats jedoch insoweit an, als er nunmehr eine Abtretung des Schadensersatz/Naturalrestitution trotz Veräußerung der Sache/ Schadensersatzanspruchs an den Käufer zulässt. Abtretung Die vorsichtige Korrektur der Rspr. des V. Zivilsenats ist zu begrüßen, BGH, Urteil vom 4. Mai 2001 – V ZR 435/99 (Kammergericht) führt aber nicht zur gewünschten und dem BGH aufgegebenen Rechts- klarheit und -einheitlichkeit. Eine Vorlage an den Großen Senat wäre BGB § 249 Satz 2 wünschenswert gewesen. Der divergierende VI. Zivilsenat (grund- Wird das Eigentum an einem beschädigten Grundstück übertragen, so legend schon BGHZ 66, 239) stellt entgegen der Rspr. des V. Zivilsenats erlischt der Anspruch aus § 249 Satz 2 BGB auf Zahlung des zur die Dispositionsfreiheit des Geschädigten in den Vordergrund. Es ist Herstellung erforderlichen Geldbetrags dann nicht, wenn er spätestens allgemein anerkannt, dass der Geschädigte einen einmal verein- mit Wirksamwerden der Eigentumsübertragung an den Erwerber des nahmten Geldbetrag nicht zur Reparatur der Sache verwenden muss. Grundstücks abgetreten wird (teilw. Aufgabe von BGHZ 81, 385, 392). Er kann den beschädigten Gegenstand auch unrepariert verkaufen und das Geld behalten, selbst wenn er dabei »Gewinn macht«. Dann Problemstellung: ist aber nicht einzusehen, weshalb bei einem Verkauf vor Durch- Die Kl. erwarben 1997 ein Haus, das einige Zeit zuvor durch Arbeiten setzung des Schadensersatzanspruchs etwas anderes gelten soll – wie auf dem Nachbargrundstück beschädigt worden war. Es zeigten sich der V. Zivilsenat nach wie vor meint. Somit käme es auf zeitliche umfangreiche Setzungsrisse. Ein Sachverständigengutachten bezifferte Zufälligkeiten an, was kein hinreichendes Differenzierungskriterium die Reparaturkosten auf knapp 500.000 DM. Etwaige Schadensersatz- für eine unterschiedliche Sachbehandlung darstellt. Dies zeigt, dass ansprüche gegen die – jetzt bekl. – Baufirmen trat der Verkäufer an die eine Lösung von Begrifflichkeiten und die Anwendung des norma- Kl. ab. Diese verlangen nun Ersatz der Reparaturkosten. tiven Schadensbegriffs erforderlich ist, um die offene Streitfrage zu Das KG hat die Klage abgewiesen. Mit Übereignung des Grundstücks klären. Verkauft der Geschädigte den unreparierten Gegenstand sei der Anspruch des Verkäufers auf Naturalrestitution nach § 249 – ohne Abtretung der Schadensersatzforderung – zu einem Preis, der Satz 1 BGB gemäß der Rspr. des Revisionssenats untergegangen. Denn für ihn günstig ist, weil er nach Erhalt des Schadensersatzes mehr als der Verkäufer könne die mit diesem Anspruch geschützte Integrität des den Zeitwert des Gegenstands bekommt, ist dies seinem kaufmän- beschädigten Gegenstands aufgrund der Veräußerung nicht mehr her- nischen Geschick zu verdanken. Es gibt keinen Grund, den – ohnehin stellen. Daher sei die Abtretung mangels Schadens ins Leere gegangen. nicht schutzwürdigen – Schädiger von diesem Umstand profitieren zu Ein Schadensersatzanspruch aus § 251 Abs. 1 BGB, der abtretbar lassen, der mit dem schädigenden Ereignis nichts zu tun hat. Daher gewesen wäre, sei nicht geltend gemacht worden. sind die gesetzgeberischen Bestrebungen (enthalten in dem im Sept. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur 2001 vom Bundeskabinett beschlossenen Entwurf eines 2. Ges. zur anderweitigen Entscheidung an das BerufungsG zurückverwiesen; Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften, BT-Drucks. 14/7752), er gab hierzu seine bisher vertretene Rspr., auf die sich das KG berufen diese – unzutreffend »fiktive Herstellungskosten« genannten – Schä- hatte, teilweise auf. den nicht mehr in vollem Umfang zu ersetzen, ein Systembruch und rechtspolitisch verfehlt. Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Die Schuldrechtsreform ändert an dem bestehenden Rechtszustand Schadensersatzansprüche, die auf die Reparatur einer beschädigten allerdings nichts, so dass die Frage, ob Schadensersatz auf Reparatur- Sache oder den entsprechenden Geldbetrag zielen, sind Ansprüche aus kostenbasis nach Veräußerung des beschädigten Gegenstands möglich § 249 BGB auf Naturalrestitution. Der V. Zivilsenat des BGH bekräftigt ist oder nicht, leider nach wie vor davon abhängt, welcher Senat beim seine auch innerhalb des BGH stark umstrittene Auffassung, dass diese BGH über diese Frage entscheidet. Schadensersatzansprüche – anders als solche nach § 251 BGB – das Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin Herstellungsinteresse des Eigentümers schützen und daher prinzipiell untergehen, wenn die beschädigte Sache vor der Durchsetzung des Anspruchs veräußert wird. Denn nach Veräußerung könne der 02.3 – 2/02 Voreigentümer die Integrität der beschädigten Sache nicht mehr Grundstückskaufvertrag/fehlerhafte Auflassungserklärung/Anspruch herstellen – dies könne nur noch der neue Eigentümer. Früher vertrat auf Identitätserklärung/Verjährung nach ZGB der Senat die Auffassung, eine Abtretung dieses Anspruchs sei daher BGH, Urteil vom 18. Mai 2001 – V ZR 353/99 (OLG Brandenburg) im Falle der Veräußerung unmöglich. Diese Ansicht gibt er nun aus- ZPO §§ 62, 256, 264 Nr. 2, 521; BGB §§ 117, 155, 242; drücklich auf und meint, dass wenn der Eigentümer den Anspruch EGBGB Art. 231 § 6; ZGB §§ 472, 474 spätestens mit der Veräußerung des Gegenstands an den Erwerber abtrete, das Herstellungsinteresse des (neuen) Eigentümers erhalten 1. Ist den Parteien bei Erklärung der Auflassung irrtümlich eine bleibe und der Anspruch auf Naturalrestitution nicht untergehe. unschädliche Parzellenverwechslung unterlaufen, hat der Kläger Infolgedessen könne im vorliegenden Fall der Grundstückskäufer lediglich Anspruch auf Erteilung einer der Form des § 29 GBO Schadensersatz auf Reparaturkostenbasis verlangen. entsprechenden, die Falschbezeichnung richtig stellenden, Erklärung (Identitätserklärung). Der Übergang von einer Auflassungsklage zur Kommentar: Klage auf Abgabe der Identitätserklärung, die beide auf denselben Die Entscheidung bedeutet eine Annäherung der divergierenden Rspr. Kaufvertrag gestützt werden, stellt keine Klageänderung, sondern des V. Zivilsenats einerseits und des VI. Zivilsenats des BGH anderer- eine qualitative Klagebeschränkung iSv § 264 Nr. 2 ZPO dar. seits zum Verhältnis der Schadensersatzansprüche aus §§ 249 u. 251 2. Wird im Falle der materiell-rechtlich notwendigen Streitgenossen- BGB. Der mit dem Schadensersatz bei Kfz-Unfällen befasste VI. Zivil- schaft verfahrenswidrig ein Teilversäumnisurteil gegen einzelne

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Streitgenossen erlassen, erwächst dieses in formeller und materieller das Flurstück 315, eingewilligt hatten bzw. dazu verurteilt worden Rechtskraft, wenn es nicht von einem der betroffenen Streitgenossen waren, zu der Erklärung, dass sich die Auflassung im Grundstücks- angefochten wird. Ergeht gegen die übrigen Streitgenossen ein kaufvertrag auf die Flurstücke 312 u. 315 bezieht. streitiges Urteil, hindert eine hiergegen von einem Streitgenossen eingelegte Berufung nur den Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: (im Anschluss an Senat, BGHZ 131, 376 = NJ 1996, 525). Diejenigen Das BerufungsG hat die Klage, soweit sie auf Abgabe der Auflassungs- Streitgenossen, gegen die das rechtskräftige Teilversäumnisurteil erklärung gerichtet ist, für unzulässig gehalten. Bei einer Parzellen- ergangen ist, sind daher in der Berufungsinstanz nicht als Partei verwechslung bedürfe es keiner erneuten Auflassung, da eine falsche beteiligt. Gegen sie kann keine unselbständige Anschlussberufung Bezeichnung unschädlich sei. Das weitere Klagebegehren hielt das eingelegt werden. BerufungsG für unbegründet. Die Bekl. seien nicht verpflichtet, zu 3. Übersehen Parteien, die sich auf den lastenfreien Übergang eines erklären, dass sich die erfolgte Auflassung auf die Flurstücke 315 u. 312 Grundstücks einigen, das Bestehen einer möglicherweise valutierten beziehe, auch wenn diese nach dem wirklichen Willen der Vertrags- Hypothek, führt dies regelmäßig nicht zu einer fehlenden Einigung über parteien Gegenstand der Auflassung sein sollten. Die irrtümliche den Kaufpreis. Ungeregelt bleibt lediglich, ob und unter welchen Voraus- Falschbezeichnung des Flurstücks 315 habe zu einem versteckten setzungen der Käufer Beseitigung des Rechtsmangels verlangen kann. Einigungsmangel über einen vertragswesentlichen Punkt mit Nichtig- 4. Hat ein Grundstückskäufer lediglich aufgrund einer den Vertrags- keitsfolge geführt. Das Flurstück 315 sei mit einer im Kaufvertrag nicht parteien bei Erklärung der Auflassung irrtümlich unterlaufenen genannten, den beurkundenden Kaufpreis übersteigenden Hypothek Parzellenverwechslung kein Eigentum erworben, kommt eine Durch- belastet, über deren Übernahme bzw. Löschung keine Einigung erzielt brechung der Verjährung nach § 472 Abs. 2 ZGB in Betracht, wenn worden sei. Auch führe die vom Kl. eingeräumte unrichtige Beurkun- der Kaufvertrag vollständig abgewickelt worden ist und die Parteien dung des Kaufpreises zur Nichtigkeit des Vertrags. Außerdem sei der über mehr als 20 Jahre davon ausgegangen sind, der Eigentums- Anspruch auf Abgabe einer Identitätserklärung gem. § 474 Abs. 1 Nr. 2 wechsel sei wirksam vollzogen worden. ZGB, § 11 EGZGB, Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB verjährt. Da sich ein Rechtsmittel im Zweifel – so der BGH – gegen alle Problemstellung: obsiegenden Gegner richtet, sind Revisionsbekl., obwohl nicht alle im Mit notariellem Kaufvertrag v. 10.5.1973 erwarben der Kl. und seine Rubrum erwähnt sind, zunächst die mit Schlussurteil des LG zur Auf- zwischenzeitlich von ihm beerbte Ehefrau von der 1986 verstorbenen lassung verurteilten Bekl., denn diese waren infolge der von einem Teil Eigentümerin (Erblasserin) zwei Grundstücke zum notariell beur- von ihnen eingelegten Berufung als materiell-rechtlich notwendige kundeten Kaufpreis von 10.000 M. Darüber hinaus wurden weitere Streitgenossen iSd § 62 Abs. 1 2. Alt. ZPO auch in der Berufungsinstanz 15.000 M gezahlt. Nicht geklärt werden konnte, zu welchem Zeitpunkt als Partei beteiligt. Da das BerufungsG in die Abänderung des erst- diese Mehrpreisabrede getroffen wurde. Die Bekl. sind Erben bzw. instanzlichen Urteils auch das zusammen mit dem Schlussurteil ergan- Erbeserben der Erblasserin. gene Teilversäumnisurteil einbezogen hat, sind auch die betreffenden Die Erblasserin war Eigentümerin dreier Grundstücke, nämlich des Bekl. Revisionsbekl. Sie sind zwar – ebenso wenig wie die Bekl., gegen Flurstücks 315 mit einer Größe von 450 m2, bebaut mit einem Mehr- die bereits vorher Teilversäumnisurteil ergangen war – gem. § 62 ZPO familienhaus, sowie der unbebauten Grundstücke Flurstück 272 mit Partei im Berufungsverfahren geworden, denn die gegen sie verfah- einer Fläche von 640 m2 und Flurstück 312 mit einer Fläche von renswidrig ergangenen Teilversäumnisurteile sind rechtskräftig gewor- 1.070 m2. Auf dem bebauten Grundstück ist seit dem 31.12.1930 eine den, weil die eingelegten Berufungen sich nur gegen das Schlussurteil Buchhypothek über 13.500 RM eingetragen. Auf den anderen Grund- richteten. Trotzdem hat das BerufungsG unter Verstoß gegen §§ 705, stücken lastet eine Wegeerhaltungspflicht. Der verkaufte Grundbesitz 322 Abs. 1 ZPO zugunsten dieser in II. Instanz nicht Partei geworde- wurde im Vertrag angegeben als Flurstücke 272 u. 312 und verbal nen Bekl. ein formell rechtskraftfähiges Urteil gefällt, das vom Kl. wirk- beschrieben als mit einem Mehrfamilienhaus bebaut sowie Garten sam mit der Revision angefochten werden kann. Die Bekl., gegen die und Wiese mit einer Gesamtgröße von 1.710 m2 und Belastung mit das erste Teilversäumnisurteil ergangen war, sind nicht am Revisions- einer Wegeerhaltungspflicht; weitere Belastungen wären nicht ein- verfahren beteiligt, da dieses nicht mit aufgehoben wurde. getragen, der Einheitswert betrage 11.900 M. Der von Amts wegen zu beachtende Verstoß gegen die Rechtskraft Aufgrund der mit dem Vertrag erklärten Auflassung wurden die des Teilversäumnisurteils führt zu dessen Wiederherstellung. Im Übri- Käufer als Eigentümer der Flurstücke 272 u. 312 in das Grundbuch gen wendet sich die Revision gegen die Abweisung des in II. Instanz eingetragen und nahmen das Gartenflurstück 312, aber nicht das von gestellten Antrags auf Abgabe einer Identitätserklärung. Zu Recht ist einer LPG genutzte Flurstück 272 in Besitz, sondern weiterhin das das BerufungsG davon ausgegangen, dass die mit unselbstständiger unmittelbar an das Gartengrundstück angrenzende, auf dem Flurstück Anschlussberufung vorgenommene Antragsumstellung als qualitative 315 befindliche Mehrfamilienhaus, für dessen Nutzung sie kein Ent- Klagebeschränkung iSv § 264 Nr. 2 ZPO zulässig ist. Der Klagegrund gelt zahlten. Die Erben verpachteten das Flurstück 272. (Verschaffung von Eigentum am Flurstück 315) wird nicht ausge- Der Kl. hat gegen die Erben mit der Behauptung, dass im notariel- wechselt, aber anstelle der Auflassung nur noch Identitätserklärung len Kaufvertrag die Flurstücke 272 u. 315 verwechselt worden seien, begehrt. Gegen die rechtskräftig verurteilten Bekl. konnte der Kl. nicht Klage auf Auflassung des Flurstücks 315 erhoben. wirksam Anschlussberufung einlegen. Der Kl. macht zwar mit der Das LG hat der Klage gegen einen Teil der Bekl. mit Teilversäumnis- Anschlussberufung wiederum einen Anspruch geltend, den nur alle urteil einem weiteren Teilversäumnis- und Schlussurteil stattgegeben. Mitglieder der Erbengemeinschaft gemeinsam erfüllen können, aber In der Berufungsinstanz hat der Kl. im Wege der Anschlussberufung er braucht seine Klage nicht auf diejenigen notwendigen Streitgenos- seine Klage auf Abgabe der Erklärung umgestellt, dass sich die erfolgte sen zu erstrecken, die die von ihm begehrte Leistung außergerichtlich Auflassung auf die Flurstücke 315 u. 312 beziehe. Hilfsweise hat er die anerkannt haben oder gegen die ein rechtskräftiger Titel dieses Inhalts Zustimmung zu einer Grundbuchberichtigung verlangt. vorliegt. Er kann nämlich sein Ziel des Eigentumserwerbs am Flurstück Das BerufungsG hat die Berufung eines Teils der Bekl. abgewiesen 315 dadurch erreichen, dass er beim Grundbuchamt Erklärungen aller und die Anschlussberufung des Kl. zurückgewiesen. Miterben vorlegt, die entweder auf Auflassung oder auf klarstellende Die Revision des Kl. führte zur teilweisen Aufhebung bzw. Abände- Identitätserklärung gerichtet sind rung des Berufungsurteils und zur Verurteilung der Bekl., die noch Rechtsfehlerfrei nimmt das BerufungsG auch an, dass bei Beurkun- nicht in die Abgabe einer erneuten Auflassungserklärung, bezogen auf dung des Kaufvertrags und der Auflassung eine (unschädliche) Parzel-

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lenverwechslung erfolgt ist. Zutreffend stellt es auf den tatsächlichen Der Kaufvertrag ist damit wirksam wie gewollt, sodass der Kl. Erfül- Willen der Vertragsschließenden und nicht allein auf den Vertrags- lung verlangen kann durch Verurteilung der noch nicht rechtskräftig wortlaut ab. Besonders wichtig ist dabei die in der Präambel darge- zur Auflassung verurteilten Bekl. zur Richtigstellung der Eintragungs- stellte Interessenlage – Erwerb zu Wohnzwecken und zur Gartennutzung bewilligung. unter Vornahme eines Wohnungstauschs – und die im Vertrag enthal- Rechtsirrig ist zudem die Annahme des BerufungsG, der Kl. sei auf- tene Beschreibung (Mehrfamilienhaus, Garten und Wiese). Dass die grund Verjährung gem. § 222 Abs. 1 BGB, Art. 231 § 6 Abs. 1 EGBGB an im Kaufvertrag aufgeführte Größe der Grundstücke und die genannten der Durchsetzung seines Anspruchs gehindert. Zwar war mit In-Kraft- Belastungen sich auf die Flurstücke 272 u. 312 beziehen, ist nicht Treten des ZGB am 1.1.1976 (gem. § 11 ZGB) die 30-jährige Verjäh- entscheidend, da diese Daten, wie die Flurstücksbezeichnungen, rungsfrist des § 195 BGB durch eine 2-jährige Verjährungsfrist abgelöst ersichtlich dem Grundbuch entnommen worden sind. Die versehent- worden. Dass das BerufungsG die Erhebung der Einrede der Ver- lich erfolgte unrichtige Flurstücksbezeichnung hat auch auf die jährung in der Geltendmachung der Verwirkung des Erfüllungs- Gültigkeit der erteilten staatlichen Genehmigungen keinen Einfluss, anspruchs gesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Das BerufungsG da auch für die Genehmigungsbehörde erkennbar war, dass das Eigen- verneint jedoch rechtsfehlerhaft das Vorliegen der Voraussetzungen tum an einem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstück übertragen des § 472 Abs. 2 ZGB, der in besonders gelagerten Fällen eine Verjäh- werden sollte. rungsdurchbrechung ermöglicht, wenn sich die Verjährung, wie hier, Rechtsfehlerhaft ist dagegen die Annahme des BerufungsG, der weiter nach dem Recht der DDR bestimmt. Die Voraussetzungen sind Vertrag sei wegen einer verborgenen Unvollständigkeit hinsichtlich streng. Es müssen für die Rechtsschutzgewährung trotz eingetretener des Kaufpreises nicht zustande gekommen. Diese soll darin liegen, dass Verjährung schwerwiegende Gründe vorliegen, die Rechtsschutz- die Parteien einen lastenfreien Übergang gewollt, aber eine Regelung gewährung im Interesse des Gläubigers dringend geboten erscheinen für die auf dem Flurstück lastende Hypothek nicht getroffen haben, und dem Schuldner zuzumuten sein. In jedem Falle ist eine besonders was einen Hauptpunkt des Vertrags betreffe. Wenn das Grundstück in schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensverhältnisse des Gläu- Abteilung III lastenfrei übergehen sollte, betrifft die übersehene bigers erforderlich, die unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Hypothek nicht die Vereinbarung über den Kaufpreis, sondern stellt Schuldners und seines Verhaltens die Durchbrechung der Verjährung einen den Vertragsparteien verborgen gebliebenen Rechtsmangel zwingend gebietet. Das kommt nicht nur dann in Betracht, wenn ein dar, auf den sich der vereinbarte Gewährleistungsausschluss nicht Verhalten des Schuldners maßgeblich dazu beigetragen hat, dass der erstreckt. Ungeregelt blieb also die Frage, ob und unter welchen Vor- Gläubiger seinen Anspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht hat. aussetzungen der Kl. die Beseitigung der Hypothek verlangen kann, Die Voraussetzungen des § 472 Abs. 2 ZGB können auch dann erfüllt z.B. gem. § 434 BGB oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung sein, wenn eine rechtzeitige Geltendmachung des Anspruchs aus oder, weil insofern die Geschäftsgrundlage fehlt, durch Vertrags- sonstigen, nicht auf einem Verhalten des Schuldners beruhenden anpassung. All das betrifft lediglich die Vertragsmodalitäten, aber Gründen verhindert worden ist, die nicht auf eine Pflichtverletzung nicht die Wirksamkeit des Vertrags. des Berechtigten zurückzuführen sind. Das ist hier der Fall. Die Falsch- Unrichtig ist auch die Auffassung des BerufungsG, der beurkundete bezeichnung und der Eintragungsfehler waren von den Vertrags- Kaufvertrag sei als Scheingeschäft gem. § 117 Abs. 1 BGB und die schließenden unbemerkt geblieben, die für mehr als 20 Jahre davon tatsächlich gewollte Vereinbarung eines Preises von 25.000 M mangels ausgingen, dass der Eigentumswechsel an dem bebauten Flurstück Beurkundung nach §§ 117 Abs. 2, 313 Satz 1, 125 Satz 1 BGB nichtig. wirksam vollzogen worden war. Deshalb erscheint es schlechthin Jedenfalls ist es den Bekl. gem. § 242 BGB verwehrt, sich auf eine unbillig, dem Kl. unter Hinweis auf die Verjährung eine Korrektur mögliche Formnichtigkeit des Kaufvertrags zu berufen. des erfolgten Eintragungsfehlers zu verweigern. Dies liefe auf eine Für ein Schuldverhältnis, das vor dem Wirksamwerden des Beitritts einseitige Vollziehung des Kaufvertrags hinaus, da der Kl. angesichts entstanden ist, bleibt das bisherige Recht maßgebend (Art. 232 § 1 der eingetretenen Verjährung von Rückforderungsansprüchen oder EGBGB). Trotz der Ablösung des BGB durch das ZGB am 1.1.1976 Schadensersatzforderungen wegen Nichterfüllung keine Möglichkeit waren die Rechte der Parteien nunmehr wieder an dem Maßstab des hätte, den Kaufpreis und die übergebene Wohnung ohne Zustimmung § 242 BGB zu prüfen. Danach haben in der ehem. DDR mit unter- der Bekl. zurückzuerhalten, obwohl er andererseits seine Eintragung verbrieftem Kaufpreis geschlossene Verträge im Allgemeinen Bestand. in das Grundbuch nicht bewirken kann. Die Beurkundung eines zu niedrigen Kaufpreises sollte vor allem Die Bekl. haben kein schutzwürdiges Interesse, denn sie bauen auf dazu dienen, ein genehmigungsfähiges Rechtsgeschäft darzustellen, einen unbemerkt gebliebenen Eintragungsfehler und auf die nach was bei Offenlegung der wirklich gewollten Vertragsbedingungen Vertragsabschluss eingetretene Abkürzung der Verjährung. Die nicht möglich gewesen wäre. Die Vertragspartner wollten offensicht- Durchbrechungsregelung des § 472 Abs. 2 ZGB sollte aber gerade für lich die getroffenen Abreden vollziehen, denn sie haben alle dafür die Festlegung kurzer Verjährungsfristen im ZGB einen Ausgleich erforderlichen Handlungen ausgeführt und sich über 20 Jahre so schaffen. verhalten, als wäre der Vertrag rechtsbeständig. Die Erblasserin nahm den ausgehandelten Kaufpreis in Empfang und führte den Wohnungs- Kommentar: tausch durch. Hat eine Vertragspartei längere Zeit aus einem nichtigen Im vorliegenden Verfahren gab es 24 Beklagte, von denen drei aus Vertrag erhebliche Vorteile gezogen und wollen sich ihre Rechts- unterschiedlichen Gründen vor der ersten Entscheidung ausschieden. nachfolger unter Berufung auf den Formmangel ihren Verpflich- Abgesehen davon, dass einige den klägerischen Anspruch außer- tungen aus dem zumindest zugunsten der Verkäuferseite vollständig gerichtlich anerkannt hatten, hat die I. Instanz die verbliebenen Bekl. abgewickelten Kaufvertrag entziehen, so handeln sie im hohen Maße prozessual auseinander dividiert. Sie ist zwar inhaltlich zu einer ein- widersprüchlich und treuwidrig. heitlichen Entscheidung gekommen, aber die prozessuale Trennung Die Bekl. können sich auch nach § 242 BGB nicht auf eine Nichtig- führte dazu, dass in der II. Instanz auch inhaltlich unterschiedliche keit des Kaufvertrags wegen Verstoßes gegen die preisrechtlichen Entscheidungen möglich wurden, was die II. Instanz, so weit wie es ihr Bestimmungen berufen, denn in der Rechtswirklichkeit der DDR möglich erschien, wieder zusammenzubinden suchte, indem sie das genoss ein Vertrag, bei dem die Parteien die tatsächliche vereinbarte gleichzeitig ergangene End- und Teilversäumnisurteil zusammen- Vergütung nicht offen gelegt haben, um die preisrechtliche Unbe- brachte. Der BGH hat diesen prozessualen Knoten entwirrt, was ihm denklichkeitsprüfung zu »umgehen«, nach § 69 ZGB Bestandsschutz, allerdings nur deshalb möglich war, weil er inhaltlich zu einer ande- dessen Wegfall keine Rückabwicklung rechtfertigt. ren Entscheidung kam als die Berufungsinstanz. Dadurch laufen

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nunmehr die wieder hergestellten Versäumnisurteile, die außerge- 02.5 – 2/02 richtlich erfolgten Einigungen, auf die die Gerichte natürlich keinen Ungerechtfertigte Bereicherung/Bebauung eines fremden Grund- direkten Einfluss haben, und die vom BGH getroffene Entscheidung stücks durch Mieter/Zurückbehaltungsrecht des Schuldners zwar auf unterschiedlichen Wegen, aber doch auf ein Ziel zu. BGH, Urteil vom 22. Juni 2001 – V ZR 128/00 (OLG Rostock) Dafür, dass hier eine unschädliche Parzellenverwechslung vorliegt, BGB §§ 812, 951, 994 ff. sprechen sehr starke Gründe, denn das von den Parteien Gewollte war eindeutig erkennbar. Das haben alle befassten Instanzen aner- Bereicherungsansprüche des Mieters wegen der Bebauung eines kannt. fremden Grundstücks in der berechtigten Erwartung des späteren Weniger überzeugend ist die Argumentation des BGH, dass die Eigentumserwerbs (condictio ob rem) werden auch nach der Beendi- Nichtberücksichtigung der Hypothek nichts mit dem Kaufpreis zu tun gung des Mietverhältnisses nicht durch §§ 994 ff. BGB ausgeschlossen. hat, denn im Allgemeinen werden Hypotheken in Anrechnung auf den Kaufpreis mit übernommen oder vom Verkäufer zur Löschung Problemstellung: gebracht. Hier handelte es sich allerdings um eine bereits zum Die Bekl. kauften mit notariell beurkundetem Vertrag v. 19.1.1994 von Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahre 1973 sehr alte Hypothek, der Kl. mehrere teilweise mit landwirtschaftlichen Gebäuden bebaute nämlich eine aus dem Jahre 1930. Die Gläubiger hätten vielleicht Grundstücke. Der Gesamtkaufpreis war am 2.2.1994 fällig. Mit seiner damals schon im Wege des Aufgebotsverfahrens nach § 1170 BGB Zahlung sollte der Besitz übergehen. Ohne Zahlung geleistet zu haben, ausgeschlossen werden können. Die wirtschaftliche Bedeutung dieser begannen die Bekl. mit dem geplanten Umbau hin zu einem Ein- Hypothek dürfte deshalb wesentlich geringer sein, als die Berufungs- kaufszentrum. instanz sie unter Hinweis darauf, dass sie den vereinbarten Kaufpreis Am 25.7.1994 und am 26.7.1995 änderten die Parteien die im Ver- übersteigt, eingeschätzt hat. Jedenfalls gibt der BGH Hinweise, wie trag v. 19.1.1994 zur Fälligkeit des Kaufpreises getroffene Regelung. dieses Problem gelöst werden kann. Am einfachsten dürfte es sein, Zusätzlich wurde vereinbart, dass die Bekl. für die Zeit bis zu dem im zunächst die Anwendbarkeit des § 1170 BGB zu prüfen. Vertrag v. 19.1.1994 vereinbarten Übergang der Nutzungen und Lasten Originell ist die vom BGH vorgenommene Deutung des § 69 Abs. 2 für die bereits außerhalb und unabhängig von den Notarverträgen ZGB als Bestandsschutzregel. Eher könnte man in § 68 Abs. 2 Satz 2 durchgeführte Nutzung ein Nutzungsentgelt zu bezahlen haben. ZGB, wonach bei Preisverstößen der Vertrag mit dem zulässigen Preis Bei Eintritt der Fälligkeit zahlten die Bekl. den Kaufpreis nicht. wirksam ist, eine Bestandsschutzregelung sehen. § 69 Abs. 2 ZGB Daraufhin forderte die Kl. die Bekl. zur Zahlung eines Teilbetrags von knüpft daran an, indem er in dem Fall, in dem sich die Partner des 270.000 DM auf und setzte ihnen in einem zweiten Schreiben hierzu Preisverstoßes bewusst waren, eine Einziehung des Mehrpreises eine Frist bis zum 21.3.1996 verbunden mit der Erklärung, die zugunsten des Staates ermöglicht. Dieser Anspruch besteht nun mit Annahme des Kaufpreises nach Ablauf dieser Frist abzulehnen; das Wegfall dieser Regelung nicht mehr, ganz davon abgesehen, dass er Nutzungsverhältnis gelte für diesen Fall als gekündigt. Die Bekl. verjährt wäre, sodass insofern allenfalls eine indirekte Bestands- zahlten weiterhin nicht. Sie erklärten vielmehr, dass das Vertragsver- schutzwirkung eintritt. hältnis auch aus ihrer Sicht mit Wirkung zum 21.3.1996 beendet sei Sehr überzeugend sind die Ausführungen des BGH zur Anwendung und sich in der »Rückabwicklungsphase« befinde. der Verjährungsdurchbrechungsregelung des § 472 Abs. 2 ZGB in Dem Verlangen der Kl. nach Räumung und Herausgabe der Grund- diesem Fall. Es ist in der Tat erstaunlich, mit welcher Unverfrorenheit stücke sind die Bekl. während des Rechtsstreits unter dem Vorbehalt der überwiegende Teil einer Erbengemeinschaft versucht, einen Ver- von Verwendungsersatzansprüchen nachgekommen. Gegenüber dem trag zurückzudrehen, den die Erblasserin offensichtlich so gewollt hat, Anspruch der Kl. auf Zahlung von 6.960 DM Verzugszinsen auf den wie er bisher realisiert worden war. Dem kann die Rechtsordnung Kaufpreis und Einwilligung in die Löschung der zugunsten der Bekl. nicht Vorschub leisten. Deshalb liegt hier sicher ein Paradebeispiel der eingetragenen Vormerkungen machen sie ein Zurückbehaltungsrecht Anwendung des § 472 Abs. 2 ZGB vor. Der BGH hat gleichzeitig den wegen ihrer Baumaßnahmen geltend. warnenden Zeigefinger erhoben und auf den Ausnahmecharakter Das LG hat der Klage stattgegeben. Das OLG hat die auf die Ver- dieser Regelung hingewiesen. sagung eines Zurückbehaltungsrechts beschränkte Berufung durch Auch wenn man in der Begründung den einen oder anderen Urt. v. 9.4.1998 zurückgewiesen. Diese Entscheidung hat der BGH mit Schönheitsfehler entdecken mag, ist der Entscheidung im Ergebnis Urt. v. 1.10.1999 aufgehoben und den Rechtsstreit an das OLG zurück- voll zuzustimmen. verwiesen (NJ 2000, 198 [Leits.]); woraufhin dieses die Berufung Rechtsanwalt Prof. Dr. Dietrich Maskow, Berlin wiederum zurückwies. Auf die erneute Revision der Bekl. wurde auch dieses zweite Urteil des BerufungsG aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweiten 02.4 – 2/02 Verhandlung zurückverwiesen. Vergaberecht/Stellung des öffentlichen Auftraggebers zum Beauftrag- ten/Wirksamkeit der Beschlüsse der Vergabekammer Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: BGH, Beschluss vom 12. Juni 2001 – X ZB 10/01 (OLG Jena) 1. Rechtsfehler hinsichtlich der auch von der Revision nicht bean- standeten Anwendung des Rücktrittsrechts auf die Abwicklung des GWB §§ 99 Abs. 1, 106 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 Kaufvertrags sind nicht ersichtlich. Ferner sind die Aufwendungen der 1. Zur Wirksamkeit von Beschlüssen der Vergabekammer des Landes Bekl. richtigerweise nicht als notwendige Verwendungen auf die von Thüringen ist nicht erforderlich, dass diese auch vom ehrenamtlichen den Baumaßnahmen betroffenen Grundstücke gewertet worden Beisitzer unterschrieben werden, der an der Entscheidung mitge- (§§ 347, 994 BGB). wirkt hat. 2. Hinsichtlich der Ablehnung eines Anspruchs der Bekl. auf Aus- 2. Betraut ein öffentlicher Auftraggeber eine GmbH mit Dienstleis- gleich der Werterhöhung der Grundstücke durch die Baumaßnahmen tungen, kommt es nicht zu einem öffentlichen Auftrag iSv § 99 Abs. 1 der Bekl. nach §§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 (condictio ob rem), 818 Abs. 2 GWB, wenn der öffentliche Auftraggeber alleiniger Anteilseigner des BGB geht das Berufungsurteil jedoch fehl. Beauftragten ist, er über diesen eine Kontrolle wie über eigene Dienst- a) Die Bekl. haben die Baumaßnahmen als berechtigte Besitzer stellen ausübt und der Beauftragte seine Tätigkeit im Wesentlichen durchgeführt. Auf das durch die »außerhalb und unabhängig von den für diesen öffentlichen Auftraggeber verrichtet. Notarverträgen« erfolgte Überlassung des Besitzes begründete Rechts-

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verhältnis finden aufgrund der rückwirkenden Vereinbarung v. Dabei hat der BGH jedoch verkannt, dass sich Leistungs- und 26.7.1995 die Bestimmungen der §§ 535 ff. BGB Anwendung. Für das Nichtleistungskondition bereits begrifflich gegenseitig ausschließen. Ende des Mietverhältnisses ist auf die Erlangung des Eigentums an den Zumindest das letzte Urteil ist daher unhaltbar (so auch Münch- Grundstücken durch die Bekl. abzustellen. Komm-Lieb, BGB, 3. Aufl., § 812 Rn 161 a.E.). Nach allem bleibt die Die Bebauung der Grundstücke sollte jedoch nicht der Kl., sondern Frage, ob der BGH mit dem vorliegenden Urteil den richtigen Weg den Bekl. zugute kommen und ihnen mit dem vereinbarten Eigen- eingeschlagen hat. tumserwerb verbleiben. § 547 BGB schließt daher einen bereiche- Gegen die Anwendung der condictio ob rem ließen sich mit Medicus rungsrechtlichen Anspruch der Bekl. aus §§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2, (Bürgerliches Recht, 18. Aufl., Rn 693) vor allem zwei Kritikpunkte 818 Abs. 2 BGB auf Ausgleich der Wertsteigerung, welche die Grund- anbringen. Zum einen könnten die Baumaßnahmen mit Blick auf die stücke durch die Baumaßnahmen erfahren haben, nicht aus (BGHZ ausschließliche Nutzung durch den Bauherrn (die Bekl.) bereits nicht 44, 321, 323; 108, 256, 261; Emmerich, JuS 1990, 143, 144). mehr als Leistung an den Grundstückseigentümer (die Kl.) anzusehen Nach den Feststellungen des BerufungsG waren sich die Parteien sein. Zum anderen fragt sich, ob die bereits aufgrund des Kaufvertrags darüber einig, dass die Kl. die Bauleistung der Bekl. nur im Hinblick versprochene Eigentumsübertragung zugleich als »bezweckter Erfolg« auf die erwartete Eigentumsübertragung erhielt. Dieser übereinstim- iSd § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BGB aufgefasst werden kann. mend verfolgte Zweck kann nicht mehr erreicht werden. Die Erwar- Es sind zwar grundsätzlich auch durchaus Konstellationen denkbar, tung der Parteien ist gescheitert, seit feststeht, dass der Kaufvertrag v. in denen das bewusste Bauen auf dem (noch) fremden Grundstück 19.1.1994 nicht durchgeführt werden wird. Folglich hat die Kl. den als vorübergehende, bewusste, ziel- und zweckgerichtete Mehrung Wertzuwachs, den die Grundstücke durch die Baumaßnahmen der fremden Vermögens, mithin als Leistung, angesehen werden kann Bekl. erfahren haben, nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2, § 818 BGB (vgl. MünchKomm-Lieb, aaO, § 812 Rn 161; a.A. Esser-Weyers, Beson- auszugleichen. deres Schuldrecht, 7. Aufl., § 49 Abs. 2, S. 456). Eine solche ist im vor- b) Die §§ 346 ff. BGB stehen diesem Anspruch nicht entgegen. liegenden Fall jedoch nicht gegeben, da die Bebauung nach Kenntnis Die kaufvertragliche Verpflichtung zur Grundstücksübertragung war aller Beteiligten nicht der Kl., sondern ausschließlich den Bekl. zugute nicht der Rechtsgrund der Bauleistung. Die Bekl. hatten den erfor- kommen sollte. Der mit der Vermögensverschiebung verfolgte Zweck derlichen Besitz vielmehr »außerhalb und unabhängig« hiervon zur kann daher auch nicht in einer (vorübergehenden) Vermögens- zweckbestimmten Nutzung (Durchführung von Baumaßnahmen) mehrung bei der Kl. gesehen werden. Mithin fehlt es bereits an einer eingeräumt bekommen. Der Besitz sollte – selbst als die Bekl. diesen Leistung. Darüber hinaus scheidet mangels synallagmatischer Ver- längst innehatte – nach dem (geänderten) Vertrag erst mit der voll- knüpfung zwischen den Baumaßnahmen und dem Eigentumserwerb ständigen Bezahlung des Kaufpreises auf die Bekl. übergehen. die Annahme eines »bezweckten Erfolgs« iSd condictio ob rem aus c) Die condictio ob rem wird auch nicht durch die Vorschriften der (vgl. Larenz/Canaris, Besonderes Schuldrecht, Bd. II, 13. Aufl., § 68 §§ 994 ff. BGB ausgeschlossen. Auf Bereicherungsansprüche wegen Abs. 1 Nr. 3e, S. 153 f., mwN; so auch BGH, NJW 1992, 2690). Die Baumaßnahmen auf fremdem Grund und Boden, die von einem Baumaßnahmen erfolgen nicht, um den bisherigen Eigentümer zur berechtigten Besitzer in der begründeten Erwartung des späteren Eigentumsübertragung zu bewegen. Sie werden vielmehr unabhängig Eigentumserwerbs vorgenommen werden, sind die Vorschriften der von einer nach dem Kaufvertrag in naher Zukunft zu erwartenden §§ 987 ff. BGB – auch im Falle eines nicht mehr berechtigten Besitzers – Eigentumsübertragung und aus persönlichen Gründen vorgenommen. nicht anzuwenden (vgl. BGHZ 10, 171, 177; 44, 321, 323; 108, 256, Es handelt sich auch aus diesem Grunde nicht um einen Fall der 262; BGH, NJW 1996, 52 m. Bespr. Canaris, JZ 1996, 344, 347). condictio ob rem. Einer Ausweitung des Anwendungsbereichs der condictio ob rem Kommentar: steht der Gedanke der Rechtssicherheit und die umfangreiche Rege- Mit diesem und dem Urteil in der Parallelsache v. 22.6.2001 (V ZR lung der gerade diesen Sachverhalt erfassenden Verwendungskon- 123/00), in der es um die Klage hinsichtlich der in der Zwischenzeit diktion entgegen. Der Einwand, die Verwendungskondiktion führe zu abgetretenen Ansprüche aufgrund der Baumaßnahmen geht, bestätigt einem sofort fälligen Anspruch und entspreche daher nicht dem der BGH seine bish.Rspr. in wesentlichen Punkten. Zugleich zeichnet Willen der Parteien während der Schwebe der Rechtslage (Münch- sich eine Entscheidung in der Frage ab, über welche Norm Baumaß- Komm-Lieb, aaO, § 812 Rn 161), überzeugt nicht. Vereinbarungen der nahmen auf fremdem Grund und Boden, die in der begründeten Parteien stellen regelmäßig einen Rechtsgrund dar und verhindern so Erwartung eines späteren Eigentumserwerbs erfolgten, bereicherungs- einen sofortigen Anspruch des (bisherigen) Eigentümers. Die berei- rechtlich abzuwickeln sind. cherungsrechtliche Haftung des Eigentümers sollte sich daher allein Hinsichtlich des Verhältnisses der §§ 994 ff. BGB und des § 547 aF an den §§ 539a Abs. 1 (§ 547 BGB aF), 684 Satz 1 bzw. § 951 iVm § 812 BGB (jetzt nach In-Kraft-Treten des SchuldrechtsmodernisierungsG: Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB orientieren (zu weiteren Einzelheiten Medicus, § 539a Abs. 1 BGB) zum bereicherungsrechtlichen Anspruch führt das aaO, Rn 895 ff.). Urteil die bish.Rspr. unverändert fort. Abschließend sei noch darauf verwiesen, dass mit Blick auf das Beachtlich sind hingegen die Ausführungen des BGH zum Bereiche- errichtete Einkaufszentrum in der Bemessung des bereicherungs- rungsanspruch wegen der Bebauung eines fremden Grundstücks in der rechtlichen Anspruchs das Hauptproblem für das BerufungsG liegen berechtigten Erwartung des späteren Eigentumserwerbs. wird, denn es ist durchaus vorstellbar, dass über die Grundsätze der Bisher gingen selbst innerhalb der Rspr. die Meinungen über die aufgedrängten Bereicherung der Ersatzanspruch der Bekl. erheblich zu bereicherungsrechtliche Haftung des Eigentümers in diesem Fall aus- reduzieren oder sogar ganz auszuschließen ist (MünchKomm-Lieb, einander. Zum einen wurde der Anspruch auf §§ 951 Abs. 1, 812 Abs. 1 aaO, § 812 Rn 105 u. § 818 Rn 34 ff., insbes. Rn 41). Satz 1 Alt. 2 BGB (Verwendungskondiktion) gestützt (vgl. BGH, NJW Nach allem spricht wenig für die hier vom BGH vertretene Ansicht. 1961, 1251; WM 1967, 1250). Zum anderen ist aber auch § 812 Abs. 1 Auch wäre es mit Blick auf das Verhalten der Bekl. wünschenswert Satz 2 Alt. 2 BGB (condictio ob rem) zur Lösung des Problems heran- gewesen, wenn der BGH in konsequenter Weiterführung seines gezogen worden (vgl. BGHZ 35, 356; 44, 321). In der Folge hat der BGH Ansatzes den § 815 BGB in seine Betrachtungen einbezogen hätte. die Frage der einschlägigen Norm mangels Relevanz sogar ganz offen Es bleibt abzuwarten, ob sich der vom BGH eingeschlagene Weg gelassen (NJW 1970, 136, 137). Schließlich vertrat er die Auffassung, zumindest in der Rspr. durchsetzen wird. Eine einheitliche Linie ist es lägen sowohl die Voraussetzungen der condictio ob rem als trotz aller Kritik in jedem Fall wünschenswert. auch einer Verwendungskondiktion vor (vgl. BGHZ 108, 256, 263). Danny Hochheim, wiss. Mitarbeiter, Universität Potsdam

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02.6 – 2/02 Entscheidend ist nun, welcher dieser Ansprüche dem Aussonde- Insolvenz/Aussonderungsrecht/Räumungs- und Herausgabeansprüche rungsrecht zugrunde liegt. Grundsätzlich verweist diese Norm sowohl aus vor Insolvenzeröffnung bestehendem Mietverhältnis auf die vertraglichen als auch auf die dinglichen Regelungen und BGH, Urteil vom 5. Juli 2001 – IX ZR 327/99 (OLG Naumburg) daraus entstehenden Ansprüche. Dem Wortlaut lässt sich insofern keine Einschränkung entnehmen. Allerdings ist der Aussonderungs- BGB §§ 556, 985; GesO §§ 1 Abs. 1, 12 Abs. 1, 13 Nr. 1; anspruch aufgrund der haftungsrechtlichen Systematik des Insol- KO §§ 1 Abs. 1, 43, 59 Abs. 1 Nr. 1, 207; InsO §§ 1, 47, 55 Abs. 1 Nr. 1 venzverfahrens begrenzt (so auch schon BGHZ 72, 263, in einem 1. Der Herausgabeanspruch des Vermieters begründet ein Aussonde- weiteren Zusammenhang): Eine weitergehende Herausgabepflicht als rungsrecht im Konkurs nur in demselben Umfang wie derjenige nach die gesetzliche kann nur nach den Regeln gem. § 55 InsO (§ 13 Nr. 1 § 985 BGB. Ein weitergehender mietvertraglicher Räumungsanspruch GesO, § 59 KO) zur Masseverbindlichkeit werden. So z.B., wenn der ist lediglich eine Insolvenzforderung (Abweichung von BGHZ 127, Verwalter persönlich nach Verfahrenseröffnung – wie bei der Altlas- 156, 165 ff.). tenhaftung auch – den Zustand eines Grundstücks durch ihm selbst 2. Die Konkursmasse des Mieters haftet für einen vertragswidrigen zuzurechnende Handlungen verursacht hat. Aussonderungsansprü- Zustand der Mietsache, über die das Mietverhältnis vor Konkurs- che können deshalb nicht im Umfange vertraglicher Ansprüche (§ 556 eröffnung beendet war, – insbesondere für Altlasten – nur, soweit der BGB) verstanden werden, weil andernfalls die bezweckte Begrenzung Konkursverwalter den Zustand durch ihm selbst zuzurechnende von Masseschulden unterlaufen würde. Handlungen verursacht hat. Der vermietende Eigentümer, für den der Verwalter der B. GmbH 3. Auch in der Insolvenz einer juristischen Person obliegt dem Ver- gehandelt hat, konnte also trotz seines grundsätzlich bestehenden walter jedenfalls vorrangig die bestmögliche Gläubigerbefriedigung. Anspruchs gem. § 556 BGB im Insolvenzverfahren nur Herausgabe Demgegenüber treten denkbare Liquidationsaufgaben zurück. nach § 985 BGB (§ 43 KO, § 47 InsO) verlangen. Den weitergehenden Anspruch auf Zahlung der Räumungskosten, der sich aus der positi- Problemstellung: ven Forderungsverletzung des § 556 BGB und aus §§ 989, 990 BGB Das Urteil befasst sich mit dem Umfang des insolvenzrechtlichen ergeben kann, muss er als Insolvenzgläubiger zur Tabelle anmelden, Aussonderungsanspruchs aufgrund von Herausgabeansprüchen nach so dass er dann nur nach der Quote befriedigt wird. Die hieraus § 556 aF u. § 985 BGB in der Insolvenz. folgende Teilbarkeit des Anspruchs gem. § 556 BGB in den gesetzlichen Der Kl. ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen Herausgabeanspruch (Aussonderungsrecht) einerseits und den ver- der B. GmbH. In dieser Eigenschaft vermietete er Betriebsgrundstücke traglichen Räumungsanspruch (Insolvenzforderung) andererseits einschl. wesentlicher Bestandteile an die P. GmbH (nachfolgend P.). rechtfertigt der BGH mit folgender Überlegung: Wenn der vermie- Wegen erheblicher Mietzinsrückstände der P. kündigte der Kl. das tende Eigentümer nicht seinen vertraglichen, sondern nur den ding- Mietverhältnis durch Schreiben v. 17.1.1997 fristlos. lichen Anspruch geltend machen darf, kann der Vermieter, der nicht Aufgrund eines gegen die P. gestellten Gesamtvollstreckungsantrags Eigentümer ist, nicht dadurch besser gestellt werden, dass er aus- erließ das AG Magdeburg am 20.11.1997 ein allgemeines Verfügungs- schließlich einen vertraglichen Anspruch hat. Das auf vertraglicher verbot gegen sie und bestellte den Bekl. zum Sequester. Am 1.1.1998 Grundlage bestehende Aussonderungsrecht (§ 43 KO, § 47 InsO) sollte, wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren gegen die P. eröffnet und wie der BGH zutreffend feststellt, lediglich die Position des Nicht- der Bekl. zum Verwalter ernannt. eigentümers, der aber Herausgabeansprüche hat, im Vergleich zu Der Kl. verlangte vom Bekl. die Räumung und Herausgabe der anderen Gläubigern verstärken. Er sollte aber nicht den Nichteigen- Betriebsgrundstücke, insbes. die Beseitigung der »auf den … Flächen tümer besser stellen als den Eigentümer. Vielmehr muss der ver- erfolgten Verfüllungen durch Bauschutt, Müll oder ähnlichem«. mietende Nichteigentümer dem Inhalt nach dem vermietenden Das LG hat den Bekl. antragsgemäß verurteilt; das OLG hat die Eigentümer gleichgestellt werden. Also kann auch der Nichteigen- Berufung zurückgewiesen. tümer im Rahmen der Aussonderung nur die Wiedereinräumung des Die Revision des Bekl. hatte Erfolg und führte zur Klageabweisung. unmittelbaren Besitzes verlangen, nicht dagegen die Wiederherstel- lung des ursprünglichen vertragsgemäßen Zustands der Mietsache auf Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Kosten der Insolvenzmasse. Der BGH legt mit seiner Entscheidung klar, dass für den Umfang des Aussonderungsanspruchs allein der dingliche Anspruch nach § 985 Kommentar: BGB und nicht der ggf. daneben bestehende weitergehende vertrag- Der Entscheidung des BGH ist zuzustimmen. Der BGH teilt zu Recht liche Anspruch nach § 556 BGB maßgeblich ist. Dabei unterlässt es der den Anspruch aus § 556 aF BGB im Rahmen des Insolvenzverfahrens BGH, § 12 Abs. 1 Satz 1 GesO zu untersuchen, der hier einschlägig in die Herausgabe und die Wiederherstellung des vertragsgemäßen wäre. Vielmehr prüft er den Aussonderungsanspruch allgemein, auch Zustands auf. Das lässt sich so aus § 556 aF BGB nicht herauslesen und in Hinsicht auf § 43 KO und § 47 InsO. stellt aufgrund der Orientierung des Anspruchsinhalts am § 985 BGB Der Eigentümer (für den hier der Verwalter der B. GmbH handelt), auch insoweit eine Durchbrechung des Trennungsprinzips dar, nach der sein Betriebsgrundstück vermietet, hat nach Kündigung des Miet- dem vertragliche und dingliche Ansprüche vollkommen unabhängig vertrags gegen den Mieter u.a. den Herausgabeanspruch aus § 556 BGB und unbeeinflusst nebeneinander stehen. Diese Durchbrechung wird und den aus § 985 BGB. Beide Anspruchsgrundlagen bestehen neben- aber richtigerweise durch die oben erläuterte Haftungssystematik einander, haben jedoch unterschiedliche Inhalte. § 985 BGB gibt nur des Insolvenzverfahrens (§ 38 InsO – Insolvenzforderung einerseits, einen Anspruch auf Wiedereinräumung des unmittelbaren Besitzes. § 55 InsO – vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeiten ande- Alles weitere, z.B. Schadensersatz wegen Verschlechterungen durch rerseits) notwendig und gerechtfertigt und ist außerdem in § 108 Müllablagerungen, richtet sich nach den §§ 987 ff. BGB, berührt aber Abs. 2 InsO bereits vom Gesetzgeber selbst so konzipiert. Damit ist nicht den Anspruch aus § 985 BGB. Im Gegensatz dazu gibt § 556 BGB die Rspr. des XII. Zivilsenats des BGH überwunden, nach der noch die einen Anspruch auf Rückgabe der vertraglich vereinbarten Mietsache. Entfernung zurückgelassener Sachen vom Aussonderungsanspruch Sie muss also in dem gleichen Zustand zurückgegeben werden, in dem erfasst gewesen war (vgl. BGHZ 127, 156, 165 ff.). sie dem Mieter übergeben wurde, würde also auch die Räumung Im Urteil wurde jedoch mit Rücksicht auf BGHZ 86, 204, aus- inzwischen abgelagerter Bauabfälle etc. umfassen. Der Anspruch aus drücklich offen gelassen, ob ebenso zu entscheiden wäre, wenn der § 556 BGB ist somit weitergehender als derjenige aus § 985 BGB. Mietvertrag nicht vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt

Neue Justiz 2/2002 95 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

worden wäre. Der BGH stellt stattdessen nochmals klar, dass die soweit begrenzt, als sie den durch die §§ 1587 ff. BGB abgesteckten Insolvenzmasse für diesen Fall jedenfalls dann für Verschlechterungen Rahmen für Eingriffe in öffentlich-rechtliche Versorgungsverhältnisse o.ä. an der Mietsache haften muss, wenn diese durch eine Handlung nicht überschreiten dürfe. Nichtig seien daher Vereinbarungen, auf- des Insolvenzverwalters oder ihm zuzurechnende Handlungen ver- grund derer mehr Rentenanrechte übertragen werden sollen, als sich ursacht worden sind. Dies ergibt sich bereits aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. aus der Gesamtberechnung (§ 1587a Abs. 1 BGB) ergebe. Ebenso Wenn die Verschlechterung allerdings nicht durch den Insolvenz- dürfe die Ausgleichsrichtung nicht verändert werden. Das OLG habe verwalter persönlich verursacht wurde und der Mietvertrag bei insoweit zutreffend festgestellt, dass sich weder die Ausgleichsrichtung Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch bestand, dürften die gleichen unzulässig verändert noch der Ausgleich nach den gesetzlichen Regeln Grundsätze wie im entschiedenen Fall anzuwenden sein. Der einzige zu einem – wenn auch geringfügig – höheren Ausgleichsbetrag führen Unterschied besteht dann nämlich nur in der Kündigung bzw. dem würde, als dieser sich unter Zugrundelegung der Vereinbarung Bestand des Mietvertrags. Das kann aber nicht entscheidend sein berechne. Da ein Zurückbleiben in der Ausgleichshöhe im Rahmen des für Veränderungen oder Verschlechterungen der Mietsache, die § 1587o Abs. 2 BGB zulässig sei, wären die Parteien insoweit in ihrer vom Insolvenzschuldner vor Verfahrenseröffnung verursacht wurden. Dispositionsfreiheit nicht eingeschränkt gewesen. Auch hier müsste dann folgerichtig zugunsten der Masse die Aber auch ein Verstoß gegen § 2 Abs. 1 VAÜG, was mit der weite- beschränkte Haftung gem. § 12 Abs. 1 GesO, § 43 KO, § 47 InsO iVm ren Beschwerde gerügt worden war, hat der BGH nicht festgestellt. § 985 BGB bestehen. Zwar wäre ohne die Vereinbarung das Verfahren auszusetzen gewe- Rechtsanwalt Dr. Kristof Biehl, Potsdam sen. Die Aussetzung sei aber keine starre Regelung, denn im Falle des Eintritts eines Rentenfalls beim Berechtigten sei der Ausgleich auch vor der Einkommensangleichung durchzuführen. Aufgrund der 02.7 – 2/02 Vereinbarung werde wegen der von den gesetzlichen Regeln abwei- Versorgungsausgleich/Vereinbarung über Behandlung angleichungs- chenden Bewertung auch weder die Ausgleichsrichtung geändert dynamischer Anrechte noch eine höhere Rentenanwartschaft übertragen als gesetzlich BGH, Beschluss vom 5. September 2001 – XII ZB 28/97 (OLG Brandenburg) zulässig. Diese Rechtsauffassung hat der BGH in einer Parallelentscheidung BGB §§ 1587a, 1587o; VAÜG § 2 Abs. 1 vom selben Tag nochmals bestätigt und darüber hinaus ergänzend Zur Zulässigkeit einer Vereinbarung, durch die Ehegatten, die in der festgestellt, dass es keiner ausdrücklichen Genehmigung einer solchen Ehezeit jeweils angleichungsdynamische Anrechte (Ost) erworben Vereinbarung durch das FamilienG bedarf. Vielmehr sei es ausrei- haben, bestimmen, dass außerdem vorhandene nichtangleichungs- chend, wenn diese konkludent aus der Durchführung des Ausgleichs dynamische Anrechte (West) des Ausgleichsberechtigten wie anglei- auf der Grundlage der Vereinbarung ersichtlich wird (Beschl. v. chungsdynamische Anrechte (Ost) behandelt werden sollen. 5.9.2001 – XII ZB 38/97).

Problemstellung: Kommentar: Der Versorgungsausgleich unterliegt bis zur Einkommensangleichung Es verwundert etwas, dass der BGH in diesem konkreten Fall ausführ- in den neuen Bundesländern erheblichen Restriktionen, insbes. wer- lich zu den Rechtsfragen Stellung bezieht, denn zwingend war dies den täglich viele Verfahren ausgesetzt, weil Ost- und West-Anrechte nicht. Während des Verfahrens der weiteren Beschwerde war für die aufeinander treffen und ein zweigleisiger Ausgleich nicht möglich ist, Ehefrau der Rentenfall eingetreten, der Ausgleich war also auf jeden sofern nicht der Ausgleichsberechtigte schon Bezieher einer Rente ist. Fall auch ohne die genehmigte Vereinbarung durchzuführen und das Dies zu vermeiden hat – erfolgreich – ein FamilienG mittels einer Ver- Verfahren war auch aufgrund einer notwendigen Aktualisierung der einbarung erreicht. Folgende Situation lag zugrunde: Der Ehemann Rentenauskunft an das OLG zurückzuverweisen. Mit Eintritt des (Altersrenter) verfügte über angleichungsdynamische Anrechte i.H.v. Rentenfalls der Ehefrau war die Geschäftsgrundlage für die Vereinba- 1286,51 DM, die Ehefrau über solche von 771,84 DM. Außerdem ver- rung entfallen, denn – dies ist aus dem Tatbestand ersichtlich – deren fügte sie über dynamische Anrechte i.H.v. 29,68 DM. Dass die Ehefrau ausschließlicher Zweck war es, die Aussetzung zu vermeiden. zum Ausgleich berechtigt ist war offenkundig. Da sie jedoch über die Insoweit ist ein Unterschied zu der weiteren Entscheidung vom geringeren angleichungsdynamischen Anrechte verfügte, gleichzeitig selben Tag (XII ZB 38/97) festzustellen, denn dort hatten die Parteien aber auch über dynamische Anrechte, der Ehemann jedoch nicht, war zwar auch die Aussetzung vermeiden wollen, die sich aus der Bewer- nach § 2 VAÜG derzeit ein Ausgleich nicht zulässig, sondern das tung ergebende Verminderung des Ausgleichsbetrags aber ausdrück- Verfahren hätte ausgesetzt werden müssen. Um dies zu vermeiden lich als Teilverzicht vereinbart. Aber auch für diesen ausdrücklichen protokollierte das FamilienG eine Vereinbarung, in der die Eheleute Teilverzicht wird sich ebenso wie bei einem als Folge der Vereinbarung festlegten, »dass die nichtangleichungsdynamischen Anrechte der Ag. eintretenden faktischen Verzicht in einer Vielzahl von Fällen die Frage i.H.v. 29,68 DM wie angleichungsdynamische Anrechte behandelt stellen, ob die – genehmigte – Vereinbarung noch Wirkung für sich werden«. Nach Genehmigung dieser Vereinbarung durch das beanspruchen kann. Denn bei einem Abänderungsantrag bestimmt FamilienG konnten die West- und Ost-Anrechte der Ehefrau addiert § 10a Abs. 9 VAHRG ausdrücklich, dass eine Abänderung nur dann werden, da sie als gleichwertig zu behandeln waren, und der Ausgleich ausgeschlossen ist, wenn dies ausdrücklich vereinbart wurde. konnte nach den allgemeinen Regeln des Versorgungsausgleichs Wenn ausschließlich die Aussetzung vermieden werden soll und durchgeführt werden. eine geringe Verminderung des Ausgleichsbetrags nur die Rechtsfolge Das OLG hat diese Vorgehensweise bestätigt, jedoch die weitere ist, wird man mit guten Gründen im Abänderungsverfahren die Beschwerde zugelassen. Der BGH hat die Rechtsauffassung der Vor- Vereinbarung als inzwischen wirkungslos behandeln müssen. Unter instanzen bestätigt. Berücksichtigung dieser Wirkungen des Abänderungsverfahrens erscheint die Feststellung des BGH, dass die Regeln des VAÜG nicht Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: umgangen wurden, wohl einer kritischen Betrachtung zugänglich. Zunächst hat sich der BGH mit der Frage auseinandergesetzt, ob Welchem Zweck dient eine sofortige Durchführung des Versorgungs- Gegenstand einer Vereinbarung nach § 1587o Abs. 2 BGB auch eine ausgleichs, wenn der Leistungsfall erst nach der Einkommensanglei- Bewertungsfrage sein könne und hat dies unter Hinweis auf die chung erfolgen wird, die Dynamik damit für alle Anrechte gleich ist? bish.Rspr. bejaht. Die Dispositionsbefugnis der Parteien werde jedoch Soll etwa der als Rechtsfolge festgestellte geringe Teilverzicht dann

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nach wie vor gelten und wie soll er berechnet werden, wenn es den 02.10 – 2/02 Wertunterschied nicht mehr gibt? Fragen, auf die vom BGH keine Schadensersatz aus Verschulden bei Vertragsschluss/Bauleistungen/ Antworten gegeben werden. Bevorzugung von Bietern durch öffentlichen Auftraggeber Ich halte deshalb die Vereinbarung des konkreten Falls wegen BGH, Urteil vom 16. Oktober 2001 – X ZR 100/99 (OLG Jena) offenkundiger Umgehung der gesetzlichen Ausgleichsregeln des VOB/A § 25 Nr. 3 Abs. 3 VAÜG für unwirksam (§ 134 BGB). Die Vereinbarung des Parallelfalls hingegen ist m.E. wirksam, weil ein zulässiger und wertmäßig feststell- Ein öffentlicher Auftraggeber von Bauleistungen macht von seinem barer Teilverzicht ausdrücklich vereinbart wurde, der quantifizierbar ihm durch § 25 Nr. 3 VOB/A eingeräumten Ermessen fehlerhaften ist und nach der Einkommensangleichung eine Absenkung des Gebrauch, wenn er einen Bieter gegenüber einem ebenfalls geeig- Ausgleichsbetrags nach sich zieht. neten und preislich günstigeren anderen Bieter nach dem Prinzip Auch soweit vom BGH für die Dispositionsbefugnisse der Ehegatten »bekannt und bewährt« bevorzugt. auf den Eingriff in öffentlich-rechtliche Versorgungsverhältnisse abgestellt wird, erscheint dies als zu eng, denn auch private Ver- sorgungsträger können im Falle der Realteilung (§ 1 Abs. 2 VAHRG) 02.11 – 2/02 betroffen sein und müssen aufgrund der Systematik gleichen Rechts- Betreuervergütung/erhöhte Stundensätze/in DDR erworbene Hoch- schutz erfahren wie die öffentlich-rechtlichen Träger. Bedenklich schulausbildung als Diplom-Staatswissenschaftler erscheint mir auch der Hinweis, dass ein Verstoß gegen die Ausgleichs- OLG Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2001 – 9 Wx 54/00 (LG Cottbus) systematik bei den öffentlich-rechtlichen Trägern nur dann fest- BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 zustellen sei, wenn der Halbteilungsgrundsatz dadurch verletzt wird, dass ein größerer Betrag übertragen wird als dies nach den gesetzlichen Keine erhöhte Betreuervergütung aufgrund einer in der DDR erwor- Regeln zulässig wäre. Richtig ist zwar, dass sich der Halbteilungs- benen Hochschulausbildung als »Diplom-Staatswissenschaftler«. grundsatz aus den Ausgleichsregeln des § 1587b BGB ergibt. Aber (Leitsatz der Redaktion) ebenfalls ein wichtiger Grundsatz ist in § 1587a Abs. 1 BGB verankert, der auf alle zu berücksichtigenden Rechte abstellt und den Ausgleich Aus den Entscheidungsgründen: beschränkt auf die Hälfte des Wertunterschieds. Wenn durch Teil- Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass der Betreuerin eine Ver- Vereinbarung oder aufgrund fehlerhafter Ermittlung auf Seiten des gütung aus der Staatskasse zu zahlen ist, da diese die Betreuung Berechtigten ein Anrecht nicht oder nicht richtig berücksichtigt wird, berufsmäßig führt und der Betreute mittellos ist (§§ 1836 Abs. 1 Satz 2, verschiebt sich im Einzelfall der Wertausgleich und eine Beschwer des Abs. 2 Satz 1, 1836a BGB). – auch öffentlich-rechtlichen – Trägers erscheint in einem solchen Die Höhe der Vergütung ist für die erforderliche Zeit entsprechend der Fall nicht ausgeschlossen, da es nach st.Rspr. des BGH auf eine Qualifikation des Betreuers zu bemessen (§ 1 Abs. 1 BVormVG). finanzielle Mehrbelastung nicht ankommt (BGH, NJW 1981, 1274). Abweichend von dem Mindeststundensatz i.H.v. 35 DM können Soweit der BGH auf den Halbteilungsgrundsatz abstellt, übersieht er, erhöhte Stundensätze gezahlt werden, wenn der Betreuer über beson- dass dieser Grundsatz durch ein Supersplitting nach § 3b VAHRG dere Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind relativiert wird. und die durch eine abgeschlossene Lehre bzw. eine abgeschlossene Wenn die Grenzen, die der BGH aufzeigt, eingehalten werden, bietet Hochschulausbildung oder durch eine dieser Ausbildung vergleichbare die Entscheidung den FamilienG in vielen Fällen einen einfachen abgeschlossene Ausbildung erworben wurden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Weg, die Halde der ausgesetzten Ausgleichsverfahren nicht noch BVormVG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die besonderen Kennt- weiter anwachsen zu lassen; die bessere Lösung wäre jedoch eine nisse für das konkrete Betreuungsverfahren von Nutzen sind, wenn die schnelle Einkommensangleichung. erworbenen Fachkenntnisse für die Führung von Betreuungen allge- VorsRiOLG Dr. Peter Friederici, Naumburg mein nutzbar sind (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BVormVG). Besondere Kenntnisse sind Fähigkeiten, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und regelmäßig nicht durch Lebenserfahrung erworben 02.8 – 2/02 werden, also solche Kenntnisse, die über ein Grundwissen deutlich Grundbuchberichtigung/Auflassungsanspruch/Vormerkung/Insolvenz hinausgehen, wobei das Grundwissen je nach Bildungsstand bzw. Aus- BGH, Urteil vom 14. September 2001 – V ZR 231/00 (OLG Rostock) bildung mehr oder weniger umfangreich sein kann. Nutzbar im Sinne dieser Vorschrift sind die Fachkenntnisse dann, wenn sie betreuungs- BGB § 883 Abs. 1 Satz 2; GesO § 9 Abs. 1 Satz 3 relevant sind und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohle Ein künftiger Auflassungsanspruch, der durch eine vor Eröffnung des des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Gesamtvollstreckungsverfahrens eingetragene Vormerkung gesichert Leistung zu erbringen. Als betreuungsrelevant in diesem Sinne sind wird, ist insolvenzfest. daher regelmäßig Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft anzu- nehmen. Darüber hinaus kommt Rechtskenntnissen eine Bedeutung zu. 02.9 – 2/02 Es ist auch nicht erforderlich, dass die konkrete Betreuung sämtliche Grundstücksversteigerung/Sachmängel/zugesicherte Eigenschaft/ Kenntnisse erfordert (vgl. insges. BayObLG, NJWE-FER 2000, 87; OLG Mieterträge Dresden, NJWE-FER 2000, 207; OLG Jena, FGPrax 2000, 110; Palandt/ BGH, Urteil vom 5. Oktober 2001 – V ZR 275/00 (Kammergericht) Diederichsen, BGB, 58. Aufl., Rz 9 zu § 1836). Ob die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG erfüllt sind, BGB § 459 Abs. 2 unterliegt der Beurteilung des Tatrichters. Das Rechtsbeschwerde- Die Grundsätze der Rspr., nach der die in einem Kaufvertrag enthal- gericht kann dessen Würdigung nur auf Rechtsfehler überprüfen. tenen und ausdrücklich zum Gegenstand der Vereinbarung gemach- Insoweit ist daher zu prüfen, ob der Tatrichter einen der unbestimm- ten Angaben über tatsächlich erzielte Mieterträge regelmäßig für die ten Rechtsbegriffe verkannt hat, von ungenügenden oder verfahrens- Zusicherung einer Eigenschaft sprechen, finden auch bei freiwilliger widrig zu Stande gekommenen Feststellungen ausgegangen ist, Versteigerung eines Grundstücks Anwendung (Fortführung von wesentliche Umstände außer Betracht gelassen, der Wertung maß- zuletzt BGH, Urt. v. 30.3.2001, NJW 2001, 2551). geblicher Umstände unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt, gegen die

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Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht beachtet hat 02.12 – 2/02 (Keidel/ Kuntze/ Winkler, FGG, 13. Aufl., Rz 30 ff. zu § 27; Jansen, FGG, Nutzungsentgelt/Ermittlung des ortsüblichen Entgelts bei Erhöhungs- 2. Aufl., Rz 27 zu § 27). erklärung/Garagengrundstücke Das LG ist zutreffend davon ausgegangen, dass die von der OLG Jena, Urteil vom 31. Mai 2001 – 1 U 1413/00 (LG Erfurt) (rechtskräftig) Betreuerin erworbene Hochschulausbildung als »Diplom-Staatswis- NutzEV §§ 3, 5 senschaftler« den vorgenannten Voraussetzungen nicht gerecht wird. Entgegen der Auffassung der Betreuerin kommt es für die Einstufung Bei der Ermittlung des ortsüblichen Entgelts nach § 3 NutzEV sind bei nicht auf die darüber hinaus erworbene Berufserfahrung bzw. ihre Erhöhungserklärungen vor dem 1.11.1997 auch solche Entgelte zu langjährige Tätigkeit als Betreuerin an. berücksichtigen, die ihrerseits aufgrund einer Erhöhung des Nut- Soweit das LG darüber hinaus davon ausgegangen ist, dass die von zungsentgelts nach den Vorschriften der NutzEV zustande gekom- der Betreuerin erworbenen Kenntnisse im Staats- und Gesellschafts- men sind. (Leitsatz des Bearbeiters) recht der früheren DDR sowie das schwerpunktmäßige Studium des Marxismus-Leninismus nicht genügen, um die Anforderungen an Problemstellung: besondere für die Führung von Betreuungen nutzbare Kenntnisse zu Mit der Klage verlangt die kl. Wohnungsbaugesellschaft von der bekl. erfüllen, lassen diese Feststellungen keinen Rechtsfehler erkennen. Garagengemeinschaft restliches Nutzungsentgelt für die Zeit von 1995 Dies wird seitens der Beschwerdef. auch mit ihrer sofortigen weiteren bis 1998. Die heute als eingetragener Verein konstituierte Garagenge- Beschwerde nicht angegriffen. Vielmehr vertritt sie die Auffassung, meinschaft schloss mit der Rechtsvorgängerin der Kl., dem VEB KWV, dass die für die Betreuung besonders nutzbaren Kenntnisse im Rah- am 10.9.1984 einen Vertrag über die unbefristete Nutzung von Grund- men ihrer Ausbildung im Wirtschafts-, Arbeits-, Agrar- und Familien- stücken zum Zwecke der Errichtung und Nutzung von Reihengaragen. recht sowie im Verwaltungsrecht erworben worden sind. Darüber Mit Schreiben v. 26.11.1993 erklärte die Kl. die Erhöhung des Nut- hinaus seien auch die im Rahmen ihrer absolvierten pädagogisch- zungsentgelts auf 60 DM pro Garage und Jahr. Nachdem die Kl. durch psychologischen Ausbildung erworbenen Kenntnisse nutzbar. den Gutachterausschuss der Stadt das ortsübliche Nutzungsentgelt Das LG hat sich auch mit diesen absolvierten Ausbildungsschwer- gem. § 7 NutzEV für vergleichbar genutzte Grundstücke pro Stellplatz punkten in nicht zu beanstandener Weise auseinander gesetzt. und Jahr i.H.v. 240 DM ermittelt hatte, erhöhte sie mit Schreiben Danach hat es zu Recht festgestellt, dass die Betreuerin ausweislich v. 24.3.1995 das Nutzungsentgelt für die 205 Garagen mit Wirkung des vorgelegten Abschlusszeugnisses lediglich ausgewählte Probleme zum 1.7.1995 auf einen monatl. Betrag von insges. 4.100 DM. Der des Wirtschafts-, Arbeits-, Agrar- und Familienrechts als Ausbildungs- Bekl. widersprach der letzten Erhöhung und zahlte weiterhin das schwerpunkt belegt hatte. Schon aus der Zusammenfassung der nach der ersten Erhöhung geschuldete Entgelt sowie nachfolgend verschiedenen Rechtsgebiete und der Beschränkung auf ausgewählte weitere Teilbeträge. Probleme lässt sich entnehmen, dass nicht die Vermittlung von juris- Der Bekl. hat sich gegenüber der Klage im Wesentlichen damit ver- tischen Grundkenntnissen und damit das Erlernen »des juristischen teidigt, das Gutachten des Gutachterausschusses sei nicht verbindlich. Handwerks« Gegenstand dieses Studiums gewesen sind. Vielmehr ist Das LG hat ein gerichtliches Gutachten zur Höhe des ortsüblichen davon auszugehen, dass Ausbildungsgegenstand nur die Problemstel- Entgelts eingeholt. Es hat die Hauptforderung sodann zugesprochen. lungen gewesen sein dürften, die sich für die staatliche Verwaltung Der Bekl. wendet sich mit seiner Berufung gegen die Feststellungen der früheren DDR im Rahmen dieser Rechtsgebiete ergeben haben. des Sachverständigen, da dieser bei der Ermittlung des ortsüblichen Inwieweit das im Jahre 1975 vermittelte Verwaltungsrecht der DDR, Entgelts auch auf Vergleichsgrundstücke zurückgegriffen habe, die zu dem mangels Vorhandenseins eines Verwaltungsgerichtswesens ihrerseits der NutzEV unterlägen. lediglich die Kenntnisse über den Aufbau und die innerstaatlichen Das OLG hat die Berufung überwiegend als unbegründet zurück- Verwaltungsstrukturen gehört haben, nunmehr für die Führung von gewiesen. Betreuungen noch nutzbar sein sollte, erschließt sich nicht. Der Betreuerin ist insoweit zuzustimmen, dass vom Vorliegen besonderer Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Kenntnisse dann auszugehen wäre, wenn sie die Grundlagen des Das OLG hält die Erhöhung des Nutzungsentgelts für die Garagen- Rechts studiert und insoweit das »juristische Handwerk« erlernt hätte, grundstücke auf 240 DM pro Stellplatz und Jahr nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 dann hätte nicht ausschließlich auf die in der früheren DDR obliga- der NutzEV ab dem 1.11.1995 für wirksam. Es folgt dabei den torischen Studienfächer wie z.B. Marxismus-Leninismus abgestellt Ausführungen des vom LG bestellten Sachverständigen. Dieser habe werden können. Jedoch hat sie gerade nicht Rechtswissenschaft stu- das ortsübliche Nutzungsentgelt zutreffend ermittelt. Das OLG ist mit diert, sondern ihre Ausbildung als Staatswissenschaftlerin absolviert. dem Sachverständigen und entgegen dem Einwand des Bekl. der Dass es in diesem Rahmen auch zur Behandlung ausgewählter Fragen Auffassung, als ortsüblich iSd § 3 Abs. 2 NutzEV seien auch die Ent- des Rechts gekommen ist, kann nicht bezweifelt werden. Jedoch ist gelte für solche Grundstücke anzusehen, bei denen das Nutzungs- dieser Teil der Ausbildung nur von untergeordneter Bedeutung gewe- entgelt nicht aufgrund freier Vereinbarung, sondern aufgrund von sen, so dass die zusätzlich vermittelten Kenntnisse nicht als besonders »Erhöhungsverlangen« des Verpächters nach der NutzEV festgelegt nutzbar iSd § 1 BVormVG angesehen werden können. worden sei. Eine anderweitige Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, Dabei hat das OLG offen gelassen, ob es sich bei den nach den Vor- weil die Betreuerin darüber hinaus pädagogisch-psychologische schriften der NutzEV erhöhten Nutzungsentgelten um einseitig Grundfragen der staatlichen Leitung vermittelt bekommen hat. Auch erhöhte Entgelte oder – nach erfolgter Zahlung – um konkludent insoweit ist festzustellen, dass es sich lediglich um Grundfragen in der abgeschlossene Vereinbarungen handele. Jedenfalls ergebe sich aus der Ausbildung gehandelt hat und diese darüber hinaus auf die staatliche NutzEV nicht, dass einseitig erhöhte Entgelte bei der Ermittlung der Leitung, d.h. auf die Führung innerhalb der Verwaltungsstrukturen, ortsüblichen Höhe grundsätzlich nicht heranzuziehen seien. Zumin- begrenzt gewesen ist. Dass es sich um besondere Kenntnisse, die über dest gelte dies für die Erhöhungsschritte nach § 3 Abs. 1 Nr. 1-3 ein Grundwissen hinausgehen, gehandelt hat, ist daher nicht anzu- NutzEV. Das Gericht stützt sich hierbei auf die Erwägungen des nehmen. Gesetzgebers in der BR-Drucks. 381/97 zur Änderung der NutzEV im Da die Betreuerin demnach nicht die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Jahre 1997. Der vom Gesetzgeber dort kritisierten »Erhöhungsauto- Satz 1 BVormVG erfüllt, war ihre weitere Beschwerde als unbegründet matik« habe durch die Begrenzung der Erhöhungsschritte erst ab 1997 zurückzuweisen. begegnet werden sollen. Für die Zeit davor sei eine Begrenzung vom

98 Neue Justiz 2/2002 Bürgerliches Recht

Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Ob sich für »Erhöhungs- stab nicht auf die in der DDR festgelegten und nach der NutzEV verlangen« ab dem 1.11.1997 etwas anderes ergebe, könne hier dahin- erhöhten Entgelte zurückgreifen wollte. Diese Entgelte sind gerade gestellt bleiben. Auch aus dem Vergleich mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 MHG keine frei ausgehandelten Marktpreise, sondern Folge gesetzlicher könne nicht abgeleitet werden, dass im Rahmen der Ermittlung des Preisvorgaben. Ein nach der NutzEV erhöhtes Entgelt kann entgegen ortsüblichen Entgelts gem. § 3 Abs. 2 NutzEV nicht auf durch Nut- den Erwägungen des OLG regelmäßig auch nicht dadurch den zungsentgelterhöhungen nach § 3 NutzEV festgelegte Entgelte zurück- Charakter einer nach dem 3.10.1990 abgeschlossenen Vereinbarung gegriffen werden könne. Ziel der NutzEV sei eine Erhöhung der Nut- gewinnen, dass es vom Nutzer gezahlt wird. Dem steht entgegen, zungsentgelte auf ein sozial verträgliches Maß, Ziel des MHG dagegen dass die Erklärung über die Erhöhung des Nutzungsentgelts gem. § 6 eine Begrenzung der Entgelte auf ein sozial verträgliches Maß. NutzEV eine einseitige rechtsgestaltende Erklärung darstellt (der vom Das OLG führt abschließend aus, die Erhöhung sei unwirksam, OLG Jena verwendete Begriff »Erhöhungsverlangen« ist daher bereits soweit die Kl. vor dem 1.11.1997 ein Entgelt i.H.v. 240 DM pro Jahr terminologisch unscharf), die anders als die Erklärung nach § 2 MHG begehre. Die Kl. habe sich vielmehr an die in § 3 NutzEV aufgeführten keiner Annahme bedarf. In der Lit. wird daher – soweit sie hierzu Erhöhungsschritte zu halten. Stellung nimmt – einhellig die Auffassung vertreten, dass als Vergleichs- maßstab nach § 3 Abs. 2 NutzEV nur neu abgeschlossene Verträge Kommentar: in Betracht kommen (Rövekamp, Schuldrechtsanpassung, 2. Aufl., Die Entscheidung des OLG überrascht unter verschiedenen Gesichts- Rn 330; Schnabel/Sattler, Ermittlung der Nutzungsentgelte und punkten. Dabei wird man kaum das Ergebnis beanstanden können, Verkehrswerte von Erholungsgrundstücken, 1. Aufl. 2000, S. 8), nicht nach dem ein Entgelt von 240 DM pro Stellplatz und Jahr als orts- aber die nach der NutzEV einseitig erhöhten Entgelte (so ausdrückl. üblich für ein in Weimar gelegenes Garagengrundstück anzusehen ist. Schilling, bei: Kiethe (Hrsg.), Komm. z. SchuldRAnpG, § 3 NutzEV Allerdings kann die Begründung des Urteils nicht in allen Punkten Rn 12; ders., in: Rädler/Raupach/Bezzenberger, § 3 NutzEV Rn 10; überzeugen. Zimmermann, VIZ 1997, 575, 577): Da nach der Konzeption der Zunächst verwundert, dass der Rechtsstreit überhaupt in erster NutzEV die einseitigen Entgelterhöhungen ihre Grenze an den orts- Instanz vor dem LG geführt werden konnte. Begründet doch § 55 üblichen Entgelten finden, können sie begriffsnotwendig für diese SchuldRAnpG für alle Streitigkeiten zwischen Grundstückseigen- Obergrenze nicht bestimmend sein (Schilling, aaO). tümern und Nutzern über Ansprüche aus Vertragsverhältnissen nach Schließlich kann auch der Begründung nicht gefolgt werden, mit § 1 Abs. 1 SchuldRAnpG eine vom Streitwert unabhängige ausschließ- der das OLG Jena die Klage teilweise abgewiesen hat, dass nämlich die liche Zuständigkeit des Amtsgerichts, die sich auch auf Streitigkeiten Erhöhungsschritte gem. § 3 Abs. 1 NutzEV nicht eingehalten worden über das Nutzungsentgelt für solche Grundstücke gem. § 20 Abs. 1 seien. § 3 Abs. 1 NutzEV gilt für die hier fraglichen Garagengrund- SchuldRAnpG iVm der NutzEV bezieht. Gem. § 40 Abs. 2 Satz 1 ZPO stücke gem. § 5 Satz 2 NutzEV nicht. Aus diesem Satz ergibt sich konnte daher auch durch rügelose Einlassung die erstinstanzliche vielmehr, dass das Entgelt bei Garagengrundstücken ohne Zwischen- Zuständigkeit des LG nicht begründet werden. schritte bis zur ortsüblichen Höhe angehoben werden darf (Schilling, Den Ausführungen des OLG zum Verfahren bei der Ermittlung des aaO, § 5 Rn. 1). ortsüblichen Entgelts nach § 3 Abs. 2 NutzEV kann nicht gefolgt RiOLG Dr. Holger Matthiessen, Brandenburg a.d.Havel werden. Dieses ortsübliche Entgelt stellt bekanntlich die Obergrenze für alle nach der NutzEV möglichen Erhöhungen des Nutzungs- entgelts für Erholungs- oder Garagengrundstücke dar. Sie ist gem. § 3 02.13 – 2/02 Abs. 2 NutzEV vorrangig nach einem Vergleichsmaßstab unter Berück- Notarielles Vermittlungsverfahren zur Sachenrechtsbereinigung/ sichtigung der nach dem 2.10.1990 frei vereinbarten Entgelte für Zustellung an Prozessbevollmächtigten vergleichbar genutzte Grundstücke zu ermitteln. In der Praxis hat die OLG Naumburg, Beschluss vom 26. Juli 2001 – 11 Wx 5/01 (LG Halle) Ermittlung dieser Obergrenze erhebliche Schwierigkeiten bereitet, ZPO §§ 88 Abs. 2, 176; SachenRBerG §§ 87 ff., 96 Abs. 5 Satz 2, da Vergleichsgrundstücke oftmals nicht ermittelt werden konnten Abs. 6, 104; FGG §§ 13, 16, 22, 96 (vgl. Trimbach/Matthiessen, NJ 1996, 406). Dies hat schließlich zu einer Änderung der VO im Jahr 1997 geführt, nach der in § 3 Abs. 3 Zur entsprechenden Anwendung des § 176 ZPO im notariellen Ver- NutzEV ein Hilfsverfahren vorgesehen worden ist, um das ortsübliche mittlungsverfahren nach §§ 87 ff. SachenRBerG. Entgelt durch Ableitung vom Bodenwert ermitteln zu können (vgl. hierzu Trimbach/Matthiessen, NJ 1997, 523). Die Schwierigkeiten bei Der Beteiligte zu 1) war Eigentümer von Grundstücken. Die Beteiligte der Ermittlung des ortsüblichen Entgelts wären freilich dann beseitigt, zu 2) nahm für sich das Eigentum an auf diesen Grundstücken ohne dass es hierzu einer Änderung der NutzEV bedurft hätte, wenn befindlichen Gebäuden in Anspruch und beantragte beim Notar S. die man das ortsübliche Entgelt unter Rückgriff auf die Entgelte solcher Durchführung eines notariellen Vermittlungsverfahrens gem. §§ 87 ff. Vergleichsgrundstücke ermitteln könnte, die ihrerseits der NutzEV SachenRBerG. Der Antrag wurde dem Beteiligten zu 1) mit Ladung unterfallen. Solche Grundstücke gibt es in großer Zahl, ihre Nutzungs- zum Verhandlungstermin am 25.11.1996 persönlich zugestellt. Mit entgelte sind insbes. den auf Verpächterseite stehenden Kommunen Schriftsatz v. 21.10.1996 zeigte Rechtsanwalt und Notar H., an, dass er gut bekannt und daher leicht zu ermitteln. die rechtlichen Interessen des Beteiligten zu 1) vertrete; er versicherte Allerdings steht ein solches Verfahren im Widerspruch sowohl zum Vollmacht. Verordnungstext als auch zur Begründung der VO und zur einhelligen Als der Beteiligte zu 1) im Termin am 25.11.1996 säumig war, fertigte Auffassung in der Lit. § 3 Abs. 2 NutzEV nennt bewusst als Vergleichs- Notar S. einen Vermittlungsvorschlag und ließ diesen dem Beteiligten maßstab »nach dem 2.10.1990 vereinbarte Entgelte«. Der Verord- zu 1) mit einer Ladung zum Termin am 18.12.1996 persönlich zustel- nungsgeber bezeichnet in der Begründung der NutzEV in ihrer len. Als der Beteiligte zu 1) zu diesem Termin wieder nicht erschien, ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1993 als Ziel der VO die Anpas- beurkundete Notar S. den Vermittlungsvorschlag als vertragliche Ver- sung der in der DDR nicht unter marktwirtschaftlichen Gesichts- einbarung. Eine Ausfertigung des Vertrags mit Verhandlungsprotokoll punkten festgelegten Nutzungsentgelte an einen nach dem 3.10.1990 ließ er dem Beteiligten zu 1) persönlich zustellen. Mit Fax v. 6.3.1997 bestehenden Marktpreis (BR-Drucks. 344/93, abgedr. in: Kuhlmey/ beantragte Rechtsanwalt und Notar H. die Anberaumung eines neuen Wittmer, Text- und Dokumentationsband SchuldRÄndG, S. 215). Termins. Weder der Beteiligte zu 1) noch Rechtsanwalt und Notar H. Bereits dies macht deutlich, dass der Gesetzgeber als Vergleichsmaß- legten dem Notar S. eine Vollmachtserklärung des Beteiligten zu 1) vor.

Neue Justiz 2/2002 99 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

Mit Bestätigungsbeschluss v. 6.5.1997 bestätigte der Notar S. den damit ebenfalls klar erkennen, das er zumindest in der Frage der Vermittlungsvorschlag v. 18.12.1996; darin wurde u.a. ausgeführt, Zustellung ebenfalls den Verfahrensbetrieb in den Händen des von dass das Telefax des Rechtsanwalts und Notars H. v. 6.3.1997 keine ihm beauftragten Verfahrensbevollmächtigten wissen will. Diese Ver- fristwahrende Bedeutung gehabt habe, weil die Bevollmächtigung gleichbarkeit beider Situationen rechtfertigt die analoge Anwendung durch den Beteiligten zu 1) nicht nachgewiesen sei. Am 11.6.1997 des § 176 ZPO (zum Vorstehenden: BGH, Rpfleger 1975, 350 f.). wurde der Bestätigungsbeschluss dem Beteiligten zu 1) persönlich Nach bzgl. der Anwendbarkeit des § 176 ZPO im Verfahren der durch den Gerichtsvollzieher zugestellt. Mit am 25.10.2000 beim LG freiwilligen Gerichtsbarkeit noch weitergehender Auffassung des KG eingegangenem Schriftsatz hat der Beteiligte zu 1) gegen den Beschluss (Rpfleger 1985, 193) ist § 176 ZPO in Verfahren der freiwilligen Gerichts- barkeit grundsätzlich bereits dann anzuwenden, wenn ein Beteiligter eine sofortige Beschwerde eingelegt, im Wesentlichen mit der Begründung, unbeschränkte Verfahrensvollmacht erteilt und dem Gericht überreicht die Voraussetzungen des § 96 Abs. 5 Satz 2 SachenRBerG hätten nicht hat. Ein Beteiligter bringe seinen Willen, dass Zustellungen allein an vorgelegen. Der Beschluss habe in entsprechender Anwendung des den Bevollmächtigten erfolgen sollten, dann klar genug zum Ausdruck, § 176 ZPO an den Bevollmächtigten Rechtsanwalt und Notar H. wenn die dem Gericht überreichte Vollmachtsurkunde ausdrücklich die Ermächtigung an den Bevollmächtigten enthalte, Zustellungen entgegen- zugestellt werden müssen. Da er an den Beteiligten zu 1) persönlich zunehmen. zugestellt worden sei, sei die Zustellung unwirksam. In noch weitergehender Weise hält das BayObLG § 176 ZPO im Ver- Das LG hat die sofortige Beschwerde verworfen, da sie verspätet fahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit bereits dann für anwendbar, wenn und damit unzulässig sei. Nach der Zustellung an den Beteiligten zu 1) zwar eine schriftliche Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt worden ist, wenn aber die umfassende Bevollmächtigung als nachgewiesen zu erach- persönlich am 11.6.1997 habe die Beschwerdefrist am 12.6.1997 zu ten ist (BayObLG, FamRZ 1994, 1599). Dies wurde vom BayObLG als laufen begonnen. Es sei nicht gem. § 176 ZPO erforderlich gewesen, gegeben angesehen, als Rechtsanwälte sich als Bevollmächtigte bestellt den Bestätigungsbeschluss dem Rechtsanwalt und Notar H. zuzu- hatten und ein Schreiben eines Beteiligten beigefügt hatten, in dem von stellen. »seinem Anwalt« die Rede war. Die vom Beteiligten zu 1) dagegen eingelegte weitere sofortige Auch wenn in den genannten Entscheidungen an die Konkretheit Beschwerde hatte keinen Erfolg. der Bevollmächtigung zur ausschließlichen Entgegennahme von Zustellungen im Einzelnen unterschiedliche Anforderungen gestellt Aus den Entscheidungsgründen: werden, stimmen die Entscheidungen darin überein, dass eine Ver- II. 1. … Nach den vom LG … getroffenen tatsächlichen Feststellun- fahrensbevollmächtigung des Vertreters durch den betreffenden gen, die vom Beteiligten zu 1) nicht angegriffen werden, ist dem Beteiligten für das Gericht, das Zustellungen vorzunehmen hat, als Beteiligten zu 1) der Bestätigungsbeschluss am 11.6.1997 durch den nachgewiesen zu erachten sein muss. Dem schließt sich der Senat an. Gerichtsvollzieher zugestellt worden. Gem. §§ 22 Abs. 1, 96 FGG, § 96 Der gesetzliche Grund für eine Differenzierung bei der Zustellung an Abs. 6 SachenRBerG hätte die sofortige Beschwerde innerhalb von Bevollmächtigte im streitigen Zivilprozessverfahren und der Zustel- zwei Wochen nach Zustellung des Bestätigungsbeschlusses eingelegt lung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist die unterschied- werden müssen. Diese Frist ist nicht gewahrt; die Beschwerdeschrift liche Regelung der Prozess- bzw. Verfahrensvollmacht und der gericht- ist erst nach über drei Jahren, am 25.10.2000, beim LG Halle einge- lichen Überprüfung der Vollmacht. § 88 Abs. 2 ZPO, demzufolge der gangen. Mangel der Prozessvollmacht nicht von Amts wegen zu prüfen ist, 2. Entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1) hat die zweiwöchige wenn als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt, so dass auch bei Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde mit der Zustellung gänzlichem Fehlen einer schriftlichen Prozessvollmacht Zustellungen des Bestätigungsbeschlusses am 11.6.1997 an den Beteiligten zu 1) gem. § 176 ZPO an den als Bevollmächtigter auftretenden Rechtsanwalt persönlich begonnen. Die Zustellung des Bestätigungsbeschlusses war zu bewirken sind, gilt im FGG-Verfahren nicht; die Bestellung von wirksam. Die Voraussetzungen, unter denen gem. § 16 FGG, § 176 ZPO Vertretern für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit richtet die Zustellung des notariellen Bestätigungsbeschlusses ausschließlich sich nach § 13 FGG. Im Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist eine an einen Verfahrensbevollmächtigten, hier an Rechtsanwalt und amtswegige Überprüfung der Vollmacht eines sich als Vertreter Notar H. , hätte erfolgen müssen, waren nicht gegeben. bestellenden Rechtsanwalts nicht ausgeschlossen. Der Nachweis der § 176 ZPO ist, auch im Hinblick auf § 16 Abs. 2 Satz 1 FGG, im Ver- Vollmacht ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu verlangen. Vom fahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht ohne weiteres anwendbar. Verlangen des Nachweises kann abgesehen werden mit Rücksicht auf Gegen eine uneingeschränkte Anwendung des § 176 ZPO in der die Stellung des Bevollmächtigten als Rechtsanwalt und Notar; es kann freiwilligen Gerichtsbarkeit spricht, dass § 176 ZPO eine umfassende auch von einem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass Rechts- Prozessvollmacht mit gesetzlich fest umrissenem Inhalt voraussetzt, anwälte nicht ohne Vollmacht handeln (Bumiller/Winkler, FGG- die das FGG nicht kennt. Hiervon wird allgemein für die streitigen Komm., 7. Aufl., § 13 Rn 13); dies ist aber nicht zwingend. Angesichts Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Ausnahme gemacht, des Fehlens eines Instituts einer umfassenden Verfahrensvollmacht im da sie dem Zivilprozessverfahren stark ähneln, die Interessenlage des Anwendungsbereich des FGG und angesichts der dadurch bedingten Beteiligten somit derjenigen der Prozesspartei stark angenähert ist. Möglichkeit, dass ein Beteiligter den Verfahrensbetrieb möglicher- Die analoge Anwendbarkeit des § 176 ZPO ist jedoch nicht nur dann weise nicht vollständig aus den Händen geben will, wenn er einen gerechtfertigt, wenn sich die ähnliche Interessenlage des Beteiligten Vertreter bestellt, ist das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts, auch mit derjenigen der Prozesspartei abstrakt aus der Vergleichbarkeit von bei den »echten Streitverfahren«, bzw. hier das pflichtgemäße Zivilverfahren und streitigem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbar- Ermessen des Notars nicht in der Weise reduziert, dass eine von einem keit ergibt. Gleiches muss auch dann gelten, wenn sich die Vergleich- Rechtsanwalt und Notar geltend gemachte Verfahrensvollmacht, die barkeit aus den konkreten Umständen des Einzelfalls ergibt. Dies ist eine Zustellungsvollmacht des betreffenden Beteiligten umfasst, ohne zumindest dann der Fall, wenn der Verfahrensbeteiligte dem Gericht schriftlichen Nachweis als erteilt angesehen werden müsste. gegenüber klar zum Ausdruck gebracht hat, dass Zustellungen ledig- Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Sinn einer förmlichen Zustel- lich an seinen Bevollmächtigten erfolgen sollen. Dem § 176 ZPO liegt lung in einem Gerichtsverfahren oder einem damit vergleichbaren nämlich der Gedanke zugrunde, dass die Prozesspartei sich durch die Verfahren darin liegt, dass der Zugang des betreffenden Schriftstücks Vollmachtserteilung des eigenen Prozessbetriebs begeben hat und alles beim Verfahrensbeteiligten sichergestellt wird. Eine Zustellung an den in die Hände des von ihr beauftragten Anwalts gelegt wissen will. Beteiligten persönlich, der zudem im Verfahren gem. §§ 87 ff. Enthält die in einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erteilte SachenRBerG selbst die sich aus einer Zustellung ergebenden Kon- Vollmacht eine Klausel mit dem o.g. Inhalt, so lässt der Beteiligte sequenzen ziehen und Verfahrenshandlungen vornehmen kann,

100 Neue Justiz 2/2002 Bürgerliches Recht

gewährleistet dies in jedem Fall. Bei Zustellung an einen Vertreter, 02.14 – 2/02 dessen Bevollmächtigung zu bestimmten Maßnahmen zweifelhaft ist, Grundstückskaufvertrag/Zustellung des Bescheids über Genehmigung/ ist nicht mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass der Beteiligte Notar als Bevollmächtigter erreicht wird. Vor diesem Hintergrund ist der Beteiligte durch eine OLG Naumburg, Beschluss vom 15. August 2001 – 2 Ww 18/01 (AG Stendal) weniger extensive Anwendung von § 176 ZPO im Hinblick auf gewisse RSG §§ 4, 10 Satz 1; GrdstVG §§ 2, 3 Abs. 2 Satz 2, 6 Abs. 1 u. 2, Anforderungen an den Nachweis der Vollmacht nicht unangemessen 9 Abs. 1 Nr. 1, 12; LwVG §§ 42 Abs. 2, 45 benachteiligt. 3. Zumindest im vorliegenden Fall ist eine abstrakte Qualifizierung 1. Grundsätzlich gilt nach § 3 Abs. 2 Satz 2 GrdstVG der Notar, der des notariellen Vermittlungsverfahrens als »echtes Streitverfahren« den Vertrag beurkundet hat, auch als ermächtigt, die Genehmigung oder »nichtstreitiges Verfahren« für die Klärung der Frage, welche zu beantragen, mit der Folge, dass dann auch die Zustellung des Anforderungen an den Nachweis einer Vollmacht gestellt werden, Bescheids an den Notar als Bevollmächtigten erfolgen kann. damit § 176 ZPO Anwendung finden kann, nicht ausschlaggebend. 2. Beschränken die Parteien eines Grundstückskaufvertrags aber die Eine Zuordnung des Verfahrens gem. §§ 87 ff. SachenRBerG zur Zustellungsvollmacht des beurkundenden Notars auf die Empfang- Begrifflichkeit des »echten Streitverfahrens« oder des »nichtstreitigen nahme eines stattgebenden Bescheids, ist ein versagender Bescheid Verfahrens« ist auch nicht mit hinreichender Trennschärfe möglich. den Vertragsparteien persönlich zuzustellen. Das notarielle Vermittlungsverfahren gem. §§ 87 ff. SachenRBerG weist einige Merkmale auf, die üblicherweise wegen ihrer Bezüge zur Dispositionsmaxime auf ein echtes Streitverfahren hindeuten, 02.15 – 2/02 nämlich die Möglichkeit der Zurücknahme des Antrags, des Aner- Vereinfachtes Verfahren/Beiordnung eines Rechtsanwalts kenntnisses, des Verzichts, des Vergleichs und der übereinstimmenden OLG Naumburg, Beschluss vom 27. August 2001 – 14 WF 125/01 Erledigung in der Hauptsache (hierzu Vossius, SachenRBerG, 2. Aufl., (AG Wittenberg) § 89 Rn 6). Das Vermittlungsverfahren kann zumindest auch als ZPO §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 93, 93d, 121 Abs. 2, 127, 577, 648 Abs. 2, Vorstufe eines streitigen Gerichtsverfahrens, nämlich der Klage gem. 652, 655 Abs. 1, 3 u. 5; BGB §§ 1612b, 1612c § 104 SachenRBerG, gesehen werden, was das Vermittlungsverfahren in die Nähe des echten Streitverfahrens rückt (so Krauß, in : Czub Die Notwendigkeit, Einwendungen des Gegners sachgerecht zu begeg- Schmidt-Räntsch/Frenz, SachenRBerG, Komm., 89 Rn 6). Wie beim nen und überhaupt die durchgängig für einen normalen Sterblichen Zivilprozess stehen sich Inhaber von widerstreitenden Rechtspositio- juristisch zu verschachtelte und überfrachtete Konzeption des sog. ver- nen gegenüber. Andererseits ist für echte Streitverfahren der freiwilli- einfachten Verfahrens, zumal im Zusammenspiel mit § 2 Unterhalts- gen Gerichtsbarkeit kennzeichnend, dass das Gericht der freiwilligen anspassungsG, adäquat zu erfassen, lässt im Allgemeinen und erst recht Gerichtsbarkeit materiell rechtskräftig über subjektiv private Rechte im besonderen Falle die Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Vertretung zwischen den Beteiligten entscheidet, die sich im entgegengesetzten im vereinfachten Verfahren nicht nur ratsam, sondern nachgerade Interesse gegenüberstehen, selbst wenn sie das Gericht einverständlich unerlässlich und damit iSd § 121 Abs. 2 ZPO erforderlich erscheinen. anrufen und keine streitige Verhandlung stattfindet (Keidel/Kuntze/ Winkler, FGG, Komm., 14. Aufl., § 12 Rn 196). Dies ist beim Verfah- ren gem. §§ 87 ff. SachenRBerG nicht der Fall. Der Notar entscheidet 02.16 – 2/02 nicht; er kann nur vermitteln. Bei Nichtzustandekommen einer Betreuervergütung/erhöhte Stundensätze/Fachkenntnisse aufgrund Einigung bleibt nur der Klageweg. Gesichtspunkte, die dagegen spre- Hochschulstudiums als Diplompädagoge chen, das notarielle Vermittlungsverfahren als echtes Streitverfahren OLG Jena, Beschluss vom 8. November 2001 – 6 W 495/01 (LG Mühlhausen) anzusehen, hat das LG zutreffend dargestellt. BGB § 1836a; BVormVG § 1 Abs. 1 Satz 2 4. Inwieweit das Verfahren gem. §§ 87 ff. SachenRBerG als »streitig« oder »nicht streitig« zu qualifizieren sein mag, kann dahingestellt 1. Besondere Kenntnisse oder Fachkenntnisse sind solche, die über ein bleiben. Denn in jedem Fall führen die Besonderheiten der in § 16 FGG bestimmtes Grundwissen deutlich hinausgehen, wobei dieses Grund- geregelten Verfahrensvollmacht dazu, dass der Notar S. ohne einen wissen je nach Bildungsstand oder Ausbildung unterschiedlich sein schriftlichen Vollmachtnachweis eine Zustellungsvollmacht des kann. Für die Führung der Betreuung nutzbar sind solche Fachkennt- Rechtsanwalts und Notars H. nicht als gegeben ansehen musste. nisse dann, wenn sie den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Der Beteiligte zu 1) hat im vorliegenden Fall gegenüber dem Notar S. Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, den Rechtsanwalt und erhöhte Leistung zu erbringen. Dabei ist es nicht nötig, dass die Notar H. zu irgendetwas bevollmächtigt zu haben. … Kenntnisse das gesamte Anforderungsprofil der Betreuung abdecken, Der Schriftsatz des Rechtsanwalts und Notars H. v. 6.3.1997 hat beim vielmehr reichen Kenntnisse zur Bewältigung eines bestimmten Notar S. berechtigten Anlass zu Zweifeln am Umfang der Vollmacht Aufgabenkreises aus (vgl. Senat, FGPrax 2000, 110). gegeben; denn mit dem Hinweis, den vom Notar anberaumten Termin an 2. Da es sich bei der Betreuung ihrem Wesen nach um rechtliche den Beteiligten zu 1) weitergegeben zu haben, woraufhin der Termin versäumt worden sei, hat Rechtsanwalt und Notar H. zu erkennen gegeben, Betreuung (§ 1901 Abs. 1 BGB) handelt, kommt insbesondere recht- dass er gerade nicht umfassend sämtliche Verfahrenshandlungen über- lichen Kenntnissen eine besondere Bedeutung zu; betreuungsrelevant nehmen wollte und sollte, sondern dass zumindest die Teilnahme am sind aber auch Kenntnisse in den Bereichen Medizin, Psychologie, Notartermin, ein Kernstück des Verfahrens überhaupt, vom Beteiligten Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziologie und Wirtschaft, sofern die zu 1) und nicht oder zumindest nicht nur vom Rechtsanwalt und Notar H. wahrgenommen werden sollte. Eine Verpflichtung des Notars, Zustel- abgeschlossene Ausbildung in ihrem Kernbereich auf die Vermittlung lungen ausschließlich an Rechtsanwalt und Notar H. zu bewirken, ist betreuungsrelevanten Fachwissens ausgerichtet ist, wie etwa bei den demnach nicht begründet worden. Studiengängen Rechtswissenschaft, Medizin, Psychologie, Sozialarbeit, 5. Soweit der Beteiligte zu 1) einwendet, die Grundsätze eines fairen Sozialpädagogik, Soziologie oder Betriebswirtschaft (vgl. Senat, aaO). Verfahrens hätten es erfordert, dass der Notar S. den Rechtsanwalt und 3. Ein Hochschulstudium als Diplompädagoge mit den Schwerpunkt- Notar H. zur Herreichung einer Zustellungsvollmacht aufgefordert fächern Erwachsenen- und Jugendpädagogik, Erwachsenen- und hätte, führt dies nicht dazu, dass die an den Beteiligten zu 1) bewirkte Jugendpsychologie, Familienpädagogik, Arbeitspsychologie und Zustellung des Bestätigungsbeschlusses als solche unwirksam wäre. Alterspsychologie kann die Erhöhung der Betreuervergütung nach § 1 (wird ausgeführt) Abs. 1 Satz 2 BVormVG begründen.

Neue Justiz 2/2002 101 Rechtsprechung

03 STRAFRECHT verbundenen zeitlichen Rechtsunsicherheit versuchen die Befürwor- ter dieses Lösungsansatzes dadurch zu begegnen, dass sie Vertrauens- 03.1 – 2/02 schutzgrundsätze seitens des Verurteilten zulassen wollen, mit der Ablehnung des Widerrufs der Strafaussetzung/sofortige Beschwerde Folge, dass eine unverzügliche Einlegung der Beschwerde zur (zusätz- der Staatsanwaltschaft als zulässiges Rechtsmittel lichen) Zulässigkeitsvoraussetzung wird (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. OLG Naumburg, Beschluss vom 19. September 2001 – 1 Ws 343/01 (LG Stendal) 27.4.1989, 3 Ws 257/89, zitiert in JURIS). Das OLG Naumburg tritt dem Postulat einer enumerativ-abschlie- StPO § 453 Abs. 2 ßenden Aufzählung der Fälle einer sofortigen Beschwerde entgegen, Gegen die Ablehnung des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewäh- zumal sich dieses kaum auf die anerkannten Auslegungsregeln beru- rung steht der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der sofortigen fen kann (vgl. auch OLG Hamm, NStZ 1988, 219; OLG Düsseldorf, Beschwerde zu. JMBl. NW 1989 S. 23; LR-Wendisch, StPO, § 453 Rn 30, jew. mwN). Vielmehr ist der Wortlaut insoweit offen, so dass die Auslegung nach Problemstellung: Systematik und Sinn und Zweck in den Vordergrund tritt: Bei syste- Begeht ein erwachsener Verurteilter während der laufenden Bewäh- matischer Betrachtungsweise scheint ein Kehrseitenargument nach- rungszeit eine neue Straftat und zeigt mit dieser, dass sich die Erwar- vollziehbarer, woraus folgt, dass sowohl der Widerruf der Aussetzung tung, die mit der Strafaussetzung zur Bewährung verbunden war, nicht als auch dessen Ablehnung nach gleichen Regeln zu behandeln und erfüllt hat, so ist durch die Vollstreckungsbehörde zu überprüfen, ob daher mit demselben Rechtsmittel (der sofortigen Beschwerde) anzu- nur ein Antrag auf Verlängerung der Bewährungszeit oder auf Wider- greifen sind. Auch der Telos der Norm stützt diese Betrachtungsweise, ruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu stellen ist. Die Entscheidung da die für die Lebensführung des Betroffenen einschneidende Frage, trifft – sofern sich der Verurteilte in Haft befand – die Strafvoll- ob er seine (Rest-)Strafe zu verbüßen hat, nach Sinn und Zweck der streckungskammer. Lehnt diese den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerrufsnormen schnell und verbindlich geklärt werden sollte. Hier Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ab, so stellt sich die Frage sind exakte zeitliche Grenzen vonnöten und nicht etwa eine in der nach dem zulässigen Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Ob hier eine Konkretisierung nur schwer zu greifende Korrektur der Beschwerde- einfache oder eine sofortige – d.h. an die Wochenfrist des § 311 StPO möglichkeit durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes und die gebundene – Beschwerde zulässig ist, ist generell umstritten, wobei mit Notwendigkeit einer unverzüglichen Beschwerdeeinlegung. Eine der Einordnung des Rechtsmittels natürlich auch die Frage nach der unverzüglich-unbefristete Beschwerdemöglichkeit ist der StPO zudem (Nicht-)Abhilfemöglichkeit eng verbunden ist. im Übrigen fremd. Da die Beschwerdefrist bekanntermaßen erst ab Der 1. Strafsenat des OLG hat die sofortige Beschwerde als zulässiges Zustellung läuft, werden durch die Notwendigkeit einer sofortigen Rechtsmittel erachtet. Beschwerde auch keine nennenswerten Interessen der Staatsanwalt- schaft tangiert, zumal auch bei der sofortigen Beschwerde nur die Ein- Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: legung fristgebunden ist und die Beschwerdebegründung unproble- Das OLG stellt zunächst klar, dass gegen die Entscheidungen, die sich matisch nachgeschoben werden kann. auf eine Strafaussetzung zur Bewährung beziehen, die einfache Für die staatsanwaltliche Praxis dürfte der mit der Entscheidung des Beschwerde grundsätzlich zulässig ist, die dann auch nur darauf OLG Naumburg sicherlich noch nicht endgültig entschiedene Streit gestützt werden kann, dass eine getroffene Anordnung gesetzeswidrig um das richtige Rechtsmittel zur Folge haben, dass vorsichtshalber ist. Mit einer sofortigen Beschwerde müssen bei der Strafaussetzung eine sofortige Beschwerde eingelegt werden wird. zur Bewährung der Widerruf der Aussetzung, der Erlass der Strafe und Die gleiche Argumentation gilt – im Sinne eines argumentum a maiore der Widerruf des Erlasses angefochten werden. Insoweit sei der Wort- ad minus – bzgl. der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde auch in den laut des § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO eindeutig. Fällen, in denen statt eines beantragten Widerrufs der Strafaussetzung zur Nicht ausdrücklich geregelt sei allerdings das Rechtsmittel im Falle Bewährung die Strafvollstreckungskammer nur die Bewährungszeit einer Negativentscheidung der Strafvollstreckungskammer, die hier in verlängert (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, § 453 Rn 13). der Ablehnung des Widerrufs liege. Allein der Wortlaut des § 453 Abs. 2 Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper, Dortmund StPO lasse keinen sicheren Rückschluss auf das Rechtsmittel in solchem Fall zu; insbes. fielen derartige Negativentscheidungen nicht unter die »getroffenen Anordnungen«, da damit ausschließlich die nachträgliche 03.2 – 2/02 Anordnung von Auflagen und Weisungen gemeint sei und nicht die Strafrechtliche Rehabilitierung/Einziehungsbescheid/DDR-Grenzzollamt Ablehnung des Widerrufs (vgl. dazu OLG Stuttgart, NStZ 1995, 93). OLG Brandenburg, Beschluss vom 17. Oktober 2001 – 2 Ws (Reha) 13/01 Die sofortige Beschwerde sei als das gebotene Rechtsmittel anzu- (LG Cottbus) sehen, zumal es zwingend geboten sei, dass über die Frage, ob eine DevisenG/DDR § 19; StrRehaG § 1 Abs. 5; OWG/DDR §§ 2 Abs. 1, Strafe zu verbüßen ist oder weiter zur Bewährung ausgesetzt bleibt, 6 Abs. 1 Nr. 3, 40 ff. schnell und verbindlich abschließend entschieden werde. Ein auf § 19 DevisenG/DDR gestützter selbständiger Einziehungs- Kommentar: bescheid eines Grenzzollamts der DDR stellt eine Ordnungsstrafmaß- Mir erscheinen beide Standpunkte gleich gut vertretbar. nahme dar, die der strafrechtlichen Rehabilitierung iSd StrRehaG nicht Die Befürworter der Gegenauffassung (vgl. KK-Fischer, StPO, § 453 zugänglich ist. (Leitsatz der Redaktion) Rn 16; SK-Paeffgen, StPO, § 453 Rn 18; Funck, NStZ 1995, 568, jew. mwN) weisen darauf hin, dass der Wortlaut des § 453 StPO eine Anm. d. Redaktion: Das OLG Brandenburg hat ausgeführt, dass es an seiner sofortige Beschwerde ausschließe, da insoweit eine enumerativ- Entscheidung nicht durch den Beschluss des OLG Dresden v. 26.3.1993 (2 Ws abschließende Aufzählung vorläge und die Anfechtbarkeit eines 617/93) gehindert sei. Dort sei zwar die Ansicht vertreten worden, ein auf § 19 Widerrufs anders zu bewerten sei als die Ablehnung des Widerrufs. DevisenG/DDR gestützter Einziehungsbescheid der Zollverwaltung sei reha- Für diese Auffassung spricht die generelle Systematik der StPO, nach bilitierungsfähig, wenn er – wie hier – in untrennbarem Zusammenhang mit der eine sofortige Beschwerde einer ausdrücklichen Anordnung einer Verurteilung wegen beabsichtigten unerlaubten Verlassens der DDR stehe bedarf. Sie eröffnet der Staatsanwaltschaft als zulässiges Rechtsmittel und an einen Verstoß gegen § 18 DevisenG/DDR anknüpfe. Auf Anfrage des die einfache und damit nicht fristgebundene Beschwerde; der damit Senats habe das OLG aber mitgeteilt, dass es an dieser Ansicht nicht festhalte.

102 Neue Justiz 2/2002 04 VERWALTUNGSRECHT Die bekl. OFD wies den Widerspruch als unbegründet zurück, worauf die Kl. Klage erhob. Das VG hat die Klage abgewiesen. 04.1 – 2/02 Die Revision der Kl. hatte keinen Erfolg. Vermögensrecht/staatliche Verwaltung/US-Pauschalentschädigungs- abkommen/Genehmigungsvorbehalt/Eigentumsübergang Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2001 – 8 C 7/01 (VG Berlin) Das Eigentum an dem Grundstück sei nach Art. 3 Abs. 9 Satz 2 US- Pauschalentschädigungsabkommen auf die Bekl. übergegangen und VermG § 11c; US-Pauschalentschädigungsabkommen Art. 1, 3 Abs. 3 die staatliche Verwaltung habe inzwischen geendet. Das Ersuchen der u. 9; GG Art. 14 Bekl., einen Genehmigungsvorbehalt in das Grundbuch einzutragen, 1. Ein Widerspruch gegen das Ersuchen nach § 11c Satz 5 VermG auf sei somit nach § 11c Satz 3 iVm Satz 5 VermG begründet gewesen. Eintragung eines Genehmigungsvorbehalts in das Grundbuch kann Zweck der in § 11c Satz 5 VermG vorgesehenen entsprechenden nur damit begründet werden, der Vermögenswert sei nicht nach Art. 3 Anwendung des § 11c Sätze 1 bis 4 VermG sei es, einen nochmaligen Abs. 9 Satz 2 des US-Pauschalentschädigungsabkommens auf die Ausgleich von Vermögensschädigungen, die der DDR zuzurechnen Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil der Vermögenswert seien und die durch Gewährung einer Entschädigung ausgeglichen von dem Abkommen nicht erfasst werde oder weil der betroffene würden, zu vermeiden und daher den Anspruch der Bekl. auf Zuord- US-Bürger sich für die Geltendmachung von Ansprüchen nach den nung durch den Genehmigungsvorbehalt vorläufig zu sichern. Die deutschen Vorschriften entschieden habe. Eintragung eines Genehmigungsvorbehalts setze somit nur voraus, 2. Von dem US-Pauschalentschädigungsabkommen werden alle Ver- dass der betreffende Vermögenswert in das US-Pauschalentschädi- mögenswerte erfasst, hinsichtlich derer nach dem in Art. 1 des Abkom- gungsabkommen wirksam einbezogen worden sei (vgl. BVerwG, NJ mens genannten US-Gesetz Ansprüche gegen die DDR anerkannt 1998, 155 [bearb. v. Kolb] für die Entschädigungsabkommen nach § 1 worden sind. Eine auch nach dem 3.10.1990 fortbestehende Eintra- Abs. 8 Buchst. b VermG). gung des Alteigentümers im Grundbuch steht dem nicht entgegen. Art. 1 US-Pauschalentschädigungsabkommen zähle einzelne 3. Die Regelung des § 11c Satz 5 VermG verstößt nicht gegen Art. 14 GG. Ansprüche auf, die unter das Programm gem. dem US-Bundesgesetz 94-542 v. 18.10.1976 fallen. Unabhängig von dieser Aufzählung wür- Problemstellung: den alle nach diesem US-Bundesgesetz anerkannten Ansprüche vom Die Kl. wendet sich gegen einen Genehmigungsvorbehalt nach § 11c Abkommen erfasst, denn in der Gesetzesbegründung (BR-Drucks. VermG, der 1994 auf Ersuchen der bekl. Bundesrepublik Deutschland 553/92, S. 12 ff.) gehe die Bundesregierung nur auf das Entschä- in das Grundbuch eingetragen wurde. digungsprogramm der USA ein, ohne den Eingriffsarten besondere Der Alteigentümer des betroffenen Grundstücks musste während Bedeutung zuzumessen. der NS-Zeit als rassisch Verfolgter Europa verlassen und zog in die Dass die Kl. hinsichtlich des Wahlverfahrens nicht individuell USA, weshalb das Grundstück durch Beschluss des KG v. 24.3.1941 benachrichtigt worden sei, da der zuständigen amerikanischen Behörde aufgrund der VO über die Behandlung feindlichen Vermögens v. nur die Anschrift ihrer verstorbenen Rechtsvorgängerin bekannt war, 15.1.1940 (RGBl. I S. 191) unter Verwaltung gestellt und ein Verwal- ändere nichts an der wirksamen Fristsetzung und der nach Art. 3 tervermerk im Grundbuch eingetragen wurde. Nach dem Tod des Abs. 3 US-Pauschalentschädigungsabkommen eingetretenen Fiktion Alteigentümers wurde seine Witwe Alleinerbin. Diese erwarb 1946 die (vgl. BVerwG, NJ 2001, 215 [Leits.]). US-Staatsangehörigkeit. 1978 machte sie aufgrund des Bundesgesetzes § 11c Satz 5 VermG verstoße auch nicht gegen Art. 14 GG. Zum 94-542 der Vereinigten Staaten von Amerika v. 18.10.1976 gegenüber einen gehe es hier nur um ein Sicherungsmittel. Davon abgesehen den Behörden der USA einen Schadensersatzanspruch von 43.300 US-$ liege auch in der Überleitung des Eigentums an dem streitigen Grund- geltend, da ihr Grundstück 1946 durch den Treuhänder der sowje- stück nach Art. 3 Abs. 9 Satz 2 US-Pauschalentschädigungsabkommen tischen Militärkommandantur auf der Grundlage des SMAD-Befehls auf die Bekl. kein rechtswidriger Eingriff in das verfassungsrechtlich 124 iVm dem SMAD-Befehl 12 in Verwaltung genommen worden sei. geschützte Eigentumsrecht der Kl. Vielmehr handle es sich um eine Mit Bescheid v. 18.6.1980 wurde ihr von den US-Behörden ein Scha- sachlich gerechtfertigte Inhalts- und Schrankenbestimmung iSd densersatzanspruch i.H.v. 12.000 US-$ nebst Zinsen zuerkannt. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, denn Art. 14 GG schütze nur die am 3.10.1990 Die Erben der 1985 verstorbenen Alleinerbin des Alteigentümers noch bestehenden Rechtspositionen. Die verbliebenen Befugnisse der schlossen 1994 einen Erbauseinandersetzungsvertrag. Das AG lehnte noch im Grundbuch eingetragenen Eigentümer von Vermögens- den Vollzug des Vertrags jedoch mit Hinweis auf den Genehmigungs- werten, die unter die Regelungen über die staatliche Verwaltung von vorbehalt nach § 11c VermG ab. Daraufhin beantragte die Kl. bei der ausländischem Vermögen fielen, seien während der DDR-Zeit jedoch Bekl., die Vollziehung des Erbauseinandersetzungvertrags zu geneh- nahezu gehaltlos geworden (BVerwGE 99, 276 = NJ 1996, 168 [Leits.]). migen. Dies wurde abgelehnt, da nach Ansicht der Bekl. das Grund- Ferner habe die Rechtsvorgängerin der Kl. durch ihre Antragstellung stück in seiner Gesamtheit dem Abkommen zwischen der Regierung bei der US-Behörde zu erkennen gegeben, dass sie mit der Einbezie- der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten hung ihres Vermögenswerts in das Entschädigungsabkommen ein- Staaten von Amerika über die Regelung bestimmter Vermögens- verstanden ist und damit eine Vermögensdisposition getroffen, an der ansprüche v. 13.5.1992 (US-Pauschalentschädigungsabkommen, sich die Kl. festhalten lassen müsse. Hinzu komme, dass den betroffe- BGBl. II S. 1223) unterliege. Daraufhin legte die Kl. gegen das Eintra- nen US-Staatsangehörigen die – befristete – Wahlmöglichkeit einge- gungsersuchen des Genehmigungsvorbehalts bei der Bekl. Wider- räumt worden sei, auf ihre Entschädigung in den USA zu verzichten spruch ein. Der Alteigentümer sei für den gesamten Zeitraum, in der und stattdessen Ansprüche nach dem VermG geltend zu machen. die DDR bestand, als Eigentümer im Grundbuch eingetragen gewesen. Damit unterfalle das Grundstück nicht dem Anwendungsbereich des Kommentar: VermG. Gegenstand des US-Pauschalentschädigungsabkommens Der Sachverhalt ist auf den ersten Blick befremdend: Da wurde ein könnten aber nur Vermögenswerte sein, die dem VermG unterfallen. Grundstückseigentümer während der DDR-Zeit zwar in seiner Verfü- Außerdem habe sich die Kl. weder für die Annahme des Abfindungs- gungsbefugnis eingeschränkt, jedoch nicht enteignet, und dann kommt betrags in den USA entschieden noch sei ihr eine Wahlmöglichkeit nach der Wende die Bundesrepublik Deutschland und erklärt, sie sei mit zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Verfahren einge- In-Kraft-Treten des US-Pauschalentschädigungsabkommens Grund- räumt worden. stückseigentümerin geworden. Das BVerwG vertritt aber zu Recht die

Neue Justiz 2/2002 103 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

Auffassung, dass hier in der Tat ein Eigentumsübergang stattgefunden Ablauf der Ausschlussfrist des § 30a Abs. 1 Satz 1 VermG diese hat. Der Grund dafür liegt darin, dass der Alteigentümer (bzw. dessen Anmeldung gegenüber dem vollmachtlosen Vertreter genehmigt, Rechtsnachfolgerin) sich 1978 dafür entschieden hatte, nicht auf Resti- bürdet eine Aufforderung des Vermögensamts nach §§ 180 Satz 2, tution zu hoffen, sondern Entschädigung in den USA zu beantragen. 177 Abs. 2 Satz 1 BGB, sich zur Genehmigung der vollmachtlosen Diese 1978 getroffene Entscheidung konnten die Rechtsnachfolger des Anmeldung zu erklären, dem Berechtigten die Obliegenheit auf, Alteigentümers 1992 in Kenntnis der nunmehr eröffneten Möglichkeit die schon erteilte Genehmigung gegenüber dem Vermögensamt zu der Naturalrestitution revidieren, was sie in casu nicht taten. bestätigen. Im Zusammenhang mit dem Abkommen zwischen der DDR und Österreich hatte das BVerwG (NJ 1998, 155 [bearb. v. Kolb]) bereits entschieden, dass auch solche Ansprüche unter die Pauschalent- 04.4 – 2/02 schädigungsabkommen fallen, die zu Unrecht angemeldet wurden. Vermögenszuordnung/kommunales Finanzvermögen/Vereinshaus Im Anschluss an die Lit. (Gruber, VIZ 1999, 646 [650]) hat das BVerwG eines Kleingartenvereins diesen Grundsatz nun auch auf das US-Pauschalentschädigungs- BVerwG, Urteil vom 13. September 2001 – 3 C 31/00 (VG Leipzig) abkommen angewandt, denn nur so kann vermieden werden, dass der EinigungsV Art. 22 Abs. 1 Satz 1; VZOG § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Anmelder in den USA Entschädigung und zugleich in Deutschland ein Grundstück erhält. Das Gericht hat dabei klargestellt, dass dies nicht 1. Die von einer Gemeinde ermöglichte Nutzung eines Anwesens als nur für die Eintragung eines Genehmigungsvorbehalts gilt, sondern es Vereinshaus eines Kleingartenvereins dient einem Zweck, der eine hat über den ihm unterbreiteten Streitgegenstand hinaus zur Vermei- Zuordnung als kommunales Finanzvermögen rechtfertigt. dung zukünftiger Rechtsstreitigkeiten ferner festgestellt, dass dieser 2. Diente das Vereinshaus zugleich als öffentlich zugängliche Gast- Grundsatz auch auf den Eigentumsübergang Anwendung findet. Der stätte, so hängt die Zuordnung davon ab, welcher Nutzungsanteil Argumentation einiger Rechtsnachfolger von Anspruchstellern nach überwog. Bei einer gemischt genutzten Gaststätte kommt es insoweit dem US-Pauschalentschädigungsabkommen, sie müssten sich die vor allem darauf an, ob die Gäste, Konsumenten oder Käufer in ihrer Handlungen ihrer Rechtsvorgänger nicht zurechnen lassen (vgl. auch Mehrzahl einen Vereinsbezug aufwiesen oder nicht. VG Chemnitz, NJ 2000, 554 [bearb. v. Gruber]), ist mit diesem Urteil endgültig jegliche Basis entzogen. Anm. d. Redaktion: Der 3. Senat hat sich in dieser Entscheidung in Bezug auf Nicht weiter problematisiert hat das BVerwG die fehlerhafte Ver- die Zuordnung des Betriebs einer öffentlichen Gaststätte als kommunales weisung hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeit beim Genehmi- Finanzvermögen ausdrücklich der Rechtsauffassung des 7. Senats in seinem gungsvorbehalt. Satz 5 des § 11c VermG verweist auf die Sätze 1 bis 4. Urt. v. 15.12.1994 (BVerwGE 97, 240, 243 f. = NJ 1995, 440) angeschlossen. Nach Satz 4 iVm Satz 1 kann ein Widerspruch des Bucheigentümers Dort wurde ausgeführt: »Der Betrieb einer Gaststätte ist keine im Interesse des gegen einen Genehmigungsvorbehalt nur darauf gestützt werden, dass wirtschaftlichen und kulturellen Wohls der Gemeindeeinwohner zu erbrin- der Vermögenswert nicht Gegenstand der in § 1 Abs. 8 Buchst. b gende kommunale Aufgabe, sondern gehört zur erwerbswirtschaftlichen VermG bezeichneten Vereinbarungen ist. § 1 Abs. 8 Buchst. b VermG Betätigung der Gemeinden. Eine solche erwerbswirtschaftliche Betätigung erwähnt aber nur die von der DDR geschlossenen Vereinbarungen. liegt außerhalb des Bereichs kommunaler Daseinsvorsorge. Daß die Gaststätte Vertragspartner des US-Pauschalentschädigungsabkommens war jedoch auch für kommunale Veranstaltungen und als Ort der Begegnung für Bürger die Bundesrepublik Deutschland und nicht die DDR. Hier liegt ein und Vereine genutzt wird, führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine solche offensichtliches Redaktionsversehen vor. Die genannte Vorschriften- Mitbenutzung von Gaststättenräumen … stellt die erwerbswirtschaftliche kette ist daher im Wege der Auslegung so zu lesen, wie es das BVerwG Zweckbestimmung der Gaststätte nicht in Frage.« getan hat (dazu Gruber, VIZ 1999, 646 [648]). Prof. Dr. Joachim Gruber, D.E.A. (Paris I), Westsächsische Hochschule, Zwickau 04.5 – 2/02 Vermögensrecht/schädigende Maßnahme/Rückübertragung einer erbrechtlichen Mitberechtigung am Nachlassgrundstück 04.2 – 2/02 BVerwG, Urteil vom 20. September 2001 – 7 C 4/01 (VG Dresden) Beförderungsdienstposten/Bewerberauswahl/Anforderungsprofil VermG §§ 1 Abs. 1 Buchst. c, 4 Abs. 1 Satz 1 BVerwG, Urteil vom 16. August 2001 – 2 A 3/00 Wurde eine erbrechtliche Mitberechtigung am Nachlassgrundstück GG Art. 33 Abs. 2; BRRG § 12 Abs. 2; BLV §§ 11, 12 von einer Schädigungsmaßnahme betroffen, ist eine Restitution mög- 1. Bei der Auswahl unter den Bewerbern um einen Beförderungs- lich, wenn die Erbengemeinschaft im Schädigungszeitpunkt aus dem dienstposten hat der Dienstherr die Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 geschädigten Erbanteil und einem volkseigenen Anteil bestand. GG zu beachten. 2. Das anlässlich einer Stellenausschreibung festgelegte »Anforde- Problemstellung: rungsprofil« eines Beförderungsdienstpostens bleibt für den Dienst- Der 1949 verstorbene Vater der Kl., Eigentümer des im Streit befind- herrn bei der Auswahl der Bewerber verbindlich. lichen Grundstücks, wurde von seinen Kindern und seiner Ehefrau beerbt. Eine Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft erfolgte nicht. Der Erbanteil der Kl. wurde nach deren Ausreise aus der DDR 04.3 – 2/02 staatlich verwaltet und im Grundbuch wurde ein Verwaltervermerk Vermögensrecht/Restitutionsanspruch/Erklärung zur Genehmigung eingetragen. Die Mitberechtigung der 1967 verstorbenen Mutter der der vollmachtlosen Anmeldung Kl. wurde 1968 in Volkseigentum überführt, da alle bekannten Erben BVerwG, Urteil vom 13. September 2001 – 7 C 30/00 (VG Dresden) die Erbschaft ausgeschlagen hätten. Anfang 1984 verzichtete einer der Brüder der Kl. im Auftrag der Miterben auf das Eigentum an dem VermG § 30a Abs. 1 Satz 1; VwVfG § 14; BGB §§ 177 Abs. 2, 180, Grundstück; die Kl. ihrerseits verzichtete im März 1984 vor einem 182 Abs. 1 Notar in der Bundesrepublik auf ihre Mitberechtigung am Grundstück. Hat ein vollmachtloser Vertreter einen vermögensrechtlichen Rück- Im Mai 1984 genehmigte der Rat der Stadt den Eigentumsverzicht. übertragungsanspruch angemeldet und hat der Berechtigte vor In der Folge wurde der VEB KWV Rechtsträger des volkseigenen

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Grundstücks. Nachdem der staatliche Verwalter den Erbanteil an den stück sei erst mit der Veräußerung und damit im Zuge der schädi- Rechtsträger verkauft hatte, wurde im Okt. 1984 der Verwaltervermerk gungsbedingten Auflösung der mit dem Volkseigentum bestehenden im Grundbuch gelöscht. Erbengemeinschaft aus dem Nachlassvermögen ausgeschieden. Eine Die von der Kl. beantragte Restitution ihrer Mitberechtigung am solche Schädigung sei durch Rückübertragung des Rechts unter Grundstück wurde von der bekl. Behörde abgelehnt. Auf die Klage Wiederherstellung der Erbengemeinschaft wiedergutzumachen. der Kl. verpflichtete das VG die Bekl., die Entschädigungsberechtigung der Kl. hinsichtlich ihres Rechts an dem Grundstück festzustellen. Eine Kommentar: Rückübertragung ihres Miterbenanteils am Grundstück lehnte das VG Nach Ansicht des BVerwG hat der staatliche Verwalter den klägeri- mit der Begründung ab, dass die Erbengemeinschaft auseinander- schen Miterbenanteil am Nachlassvermögen »ohne Rücksicht auf den gesetzt und eine Restitution »von der Natur der Sache her« gem. § 4 Willen der Eigentümerin« veräußert. Wenn man sich den Ablauf der Abs. 1 Satz 1 VermG ausgeschlossen sei. Geschehnisse anschaut, ist dies m.E. zweifelhaft: Am 26.3.1984 hatte Die dagegen gerichtete Revision der Kl. hatte Erfolg. die Kl. auf ihre Mitberechtigung am Nachlass verzichtet und hierfür sogar den Gang zu einem Notar mitsamt den anfallenden Notarkosten Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: nicht gescheut. Der Kl. war es demnach ernst, ihren Miteigentums- Nach Ansicht des BVerwG ist der private Erbanteil der Kl. zu restitu- anteil an dem möglicherweise maroden Anwesen, dessen Unterhal- ieren. § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG (»Eine Rückübertragung des Eigentums- tung Kosten verursacht hätte, loszuwerden. Es spricht auch einiges rechtes oder sonstiger Rechte an Vermögenswerten ist ausgeschlossen, dafür, dass sie im Kontakt mit ihren Geschwistern in der DDR stand, wenn dies von der Natur der Sache her nicht mehr möglich ist.«) stehe die ihr zuvor von der wirtschaftlich schwierigen Situation des Nach- der Rückübertragung nicht entgegen. lasses berichtet hatten, und sie deshalb zunächst ihren Bruder bat, Die durch die Veräußerung des klägerischen Erbanteils »bewirkte auch in ihrem Namen Anfang 1984 gegenüber den DDR-Behörden auf Vereinigung aller Miterbenanteile in Volkseigentum« sei entgegen der das Eigentum am Grundstück zu verzichten. Nachdem sie erfahren Ansicht des VG nicht als Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft hatte, dass sie ihre Verzichtserklärung vor einem Notar in der Bun- anzusehen, die eine Restitution ausschließen würde. Dies sei nur desrepublik abgeben müsse, tat sie diesen rechtlichen Schritt. Es gibt dann der Fall, wenn der Nachlassgegenstand ohne Schädigung der auch keinen Hinweis auf einen Sinneswandel der Kl. im Herbst Erbengemeinschaft aus dem Nachlassvermögen ausgeschieden sei desselben Jahres, als der staatliche Verwalter die Veräußerung des (BVerwG, Urt. v. 24.10.1996 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 93 = NJ klägerischen Miterbenanteils betrieb. Vielmehr kann unterstellt 1997, 209; Beschl. v. 7.11.1997 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 51). werden, dass dies mit ihrem Einverständnis erfolgte, da ja zumindest Dieser Rspr. liege die Überlegung zugrunde, dass die frühere Berech- theoretisch die Möglichkeit bestand, dass der Verkauf der Mitberech- tigung eines geschädigten Miterben an dem Nachlassgegenstand tigung an Volkseigentum noch einen, wenn auch geringen wirtschaft- nicht unter Begünstigung der nicht von einer Schädigung betroffe- lichen Gegenwert einbringen würde. nen Miterben wiederhergestellt werden dürfe. Hierin komme der Man kann auch darüber diskutieren, ob die DDR-Behörden tatsäch- Grundsatz der Konnexität zum Ausdruck: Sofern ein geschädigter lich die rechtlichen Folgen der klägerischen Verzichtserklärung »nicht Erbanteil »untergegangen« sei, der »untrennbar« mit nicht geschä- gelten lassen wollten«. Zwar durfte die Kl. angesichts der angeordne- digten Erbanteilen verbunden war, sei eine Restitution nicht möglich. ten staatlichen Verwaltung nicht über ihr Recht verfügen. Ob dies Dies solle dann nicht gelten, wenn eine Rückübertragung des geschä- wirklich ein Hinderungsgrund für die Behörden gewesen wäre, den digten Erbanteils die nicht geschädigten Miterben nicht begünstigen Verzicht als wirksam zu akzeptieren, ist allerdings fraglich. Denn die würde. Der Wiederherstellung einer Erbengemeinschaft von Volks- DDR war mit all den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bemüht, das eigentum und privatem Erbanteil, welche durch dessen Entzug Volkseigentum der DDR zu »mehren«. Die DDR-Behörden gingen mit »schädigungsbedingt beendet« wurde, stehe nicht entgegen, dass der Einhaltung ihrer Bestimmungen und Gesetze oft sehr nachlässig »diese Form des gemeinschaftlichen Eigentums dem allgemeinen um. Hätte der Rat der Stadt nicht den im Grundbuch eingetragenen Rechtsverkehr entzogen ist« (BVerwG, Urt. v. 24.8.2000 – Buchholz Verwaltervermerk entdeckt, wäre möglicherweise auch für den Mit- 428 § 1 Abs. 2 VermG Nr. 10). erbenanteil der Kl. sofort Eigentum des Volkes eingetragen worden. Entgegen der Ansicht des VG sei die Erbengemeinschaft nicht auf- Einer nachträglichen Veräußerung durch den staatlichen Verwalter grund der Veräußerung der klägerischen Mitberechtigung durch den wäre dann lediglich noch klarstellende Wirkung zugekommen, da die staatlichen Verwalter an Volkseigentum auseinandergesetzt worden. DDR gem. § 297 Abs. 2 ZGB als Grundsatz auch das Abstraktions- Den von der Kl. abgegebenen Verzicht hätten die DDR-Behörden prinzip kannte. »nicht gelten lassen«, weil die Kl. aufgrund der angeordneten staat- RD Udo Michael Schmidt, Sächs. LARoV, Dresden lichen Verwaltung nicht über ihr Recht verfügen durfte (vgl. Nr. V Abs. 1 der Hinweise und Erläuterungen des Ministeriums der Finan- zen v. 8.5.1978 zur Durchführung des § 310 ZGB, abgedr. in: Schrif- 04.6 – 2/02 tenreihe des BARoV, H. 1, 1991, S. 389 [395]). Der staatliche Verwalter Vermögensrecht/Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts/ habe auch nicht an der von der Erbengemeinschaft beabsichtigten Jahresfrist Erbauseinandersetzung mitgewirkt. Er habe die Mitberechtigung der BVerwG, Urteil vom 20. September 2001 – 7 C 6/01 (VG Dresden) Kl. ohne Rücksicht auf den Willen der Eigentümerin veräußert. VwVfG § 48 Abs. 4 Satz 1; VermG § 32 Abs. 1 Satz 1 Dies begründe eine schädigende Maßnahme gem. § 1 Abs. 1 Buchst. c VermG, wie auch das VG zu Recht festgestellt habe. Eine endgültige Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG beginnt regelmäßig erst Aufteilung des Nachlasses gem. § 2042 BGB bzw. § 423 ZGB sei nach Abschluss eines gem. § 32 Abs. 1 Satz 1 VermG durchgeführten hingegen nicht erfolgt. Da die Erbengemeinschaft zwischen der Kl. und Anhörungsverfahrens. dem Volkseigentum somit durch eine schädigende Maßnahme been- det worden sei, liege auch keine vertragliche Erbauseinandersetzung vor. Es liege auch keine Übertragung des Erbanteils der Kl. iSd § 2033 04.7 – 2/02 Abs. 1 BGB bzw. § 401 ZGB an Volkseigentum vor, da die Veräußerung Vermögensrecht/Unternehmensrestitution/schädigende Maßnahme/ des Erbanteils durch den staatlichen Verwalter gerade nicht auf dem Judenverfolgung/JCC als Rechtsnachfolger Willen der Kl. beruht habe. Deren Mitberechtigung an dem Grund- BVerwG, Urteil vom 26. September 2001 – 8 C 11/00 (VG Berlin)

Neue Justiz 2/2002 105 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

VermG § 1 Abs. 6, § 2 Abs. 1 Sätze 3 u. 4, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1a; Bei einer Unternehmensschädigung, von der das VG ausgegangen REAO Art. 3 Abs. 1b, 2 u. 3, Art. 8 war, regele § 2 VermG die Rückgabeberechtigung aber nicht abschlie- ßend. Nach § 6 Abs. 1a Satz 1 VermG erfordere die Rückgabe oder Fehlen bei einer Unternehmensrestitution weitere nichtjüdische Rückführung eines Unternehmens ein Quorum der angemeldeten ver- geschädigte Berechtigte nach dem VermG, so tritt die Conference on mögensrechtlichen Ansprüche von mehr als 50 v.H. der Kapitalanteile. Jewish Material Claims against für die von jüdischen Berech- Wegen des Vorliegens eines Schädigungstatbestands nach § 1 Abs. 6 tigten nicht geltend gemachten Ansprüche gem. § 2 Abs. 1 Sätze 4 VermG sei ein solches Quorum der im Zeitpunkt der Schädigung u. 3 VermG als Rechtsnachfolger auch dann ein, wenn jüdische vorhandenen Gesellschafter der H.-GmbH oder deren Rechtsnachfol- Anteilseigner an der aus rassischen Gründen zur Selbstauflösung ger hier aber nicht erforderlich. gezwungenen jüdischen juristischen Person weniger als 50 v.H. der Die Nichtanwendbarkeit des § 6 Abs. 1 a Satz 1 VermG begründet das Anteile auf sich vereinigt hatten. BVerwG zunächst mit der Klarstellung durch die Abs. 3 u. 4 des § 2 VermG, die mit Art. 1 Nr. 2 des 2. VermRÄndG v. 14.7.1992 (BGBl. I Problemstellung: S. 1257) eingefügt wurden. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, Die Conference on Jewish Material Claims against Germany (JCC) hat dass sich die Berechtigung der JCC bereits aus § 2 Abs. 1 Satz 3 AnmVO Anträge auf Rückübertragung von Grundvermögen in Berlin und für idF v. 11.10.1990 (BGBl. I S. 2162) ergeben habe (so auch die amtl. das Betriebsvermögen der ehem. H.-GmbH gestellt. Die streitbefange- Begr. zu § 2 VermG, BT-Drucks. 11/7831, S. 4). nen Flächen waren Bestandteil eines 130.000 m2 großen Grundstücks, Darüber hinaus sei der Begriff »Rechtsnachfolger« in den Fällen des das seit 1929 im Eigentum der H.-GmbH stand. Ab 1933 wurde das § 1 Abs. 6 VermG weit auszulegen und die Nachfolgeorganisationen iSd inzwischen parzellierte Grundstück an verschiedene Personen ver- Rückerstattungsgesetzgebung als Rechtsnachfolger anzusehen, soweit äußert. Ein Flurstück wurde mit notariellem Vertrag v. 8.3.1939 an die der Vermögenswert ehemals Eigentum inzwischen aufgelöster Vereini- Hausbau-Gesellschaft, das Grundstück F.-Straße 7 mit notariellem gungen gewesen sei. Dies gelte ohne Unterschied, ob von der Schä- Vertrag v. 31.5.1939 an die Eheleute K. veräußert. Beide Verträge digung ein jüdisches Unternehmen, ein jüdischer Verein oder eine wurden nach § 8 der VO über den Einsatz des jüdischen Vermögens jüdische Gemeinde betroffen gewesen seien. Da die Bestimmungen der v. 3.12.1938 (RGBl. I S. 1709) von der Stadt Berlin genehmigt. Der 3. VO zum ReichsbürgerG v. 14.6.1938 (RGBl. I S. 627) die Auflösung Vertrag v. 8.3.1939 enthält eine Erklärung des Geschäftsführers der eines jüdischen Gewerbebetriebs schon dann vorsahen, wenn die Kapi- H.-GmbH, dass diese wohl als jüdisch angesehen werden könne. Über talbeteiligung der jüdischen Anteilseigner mehr als 1/4 betrug, würde es die Aktionäre der ... AG, die nahezu alleinige Gesellschafterin der dem Zweck der Wiedergutmachung widersprechen, wenn die Rechts- H.-GmbH gewesen ist, liegen keine Erkenntnisse vor. Ihre am 1.12.1939 nachfolge durch die JCC eine jüdische Kapitalbeteiligung von mehr als eingeleitete Liquidation wurde am 1.12.1941 abgeschlossen. Ehem. 50 v.H. voraussetzte. Auch die Nachfolgeorganisationen des Rücker- unmittelbare oder mittelbare Gesellschafter bzw. deren Rechtsnach- stattungsrechts seien für die Geltendmachung des Rückerstattungs- folger haben keine vermögensrechtlichen Ansprüche angemeldet. anspruchs nicht auf ein Quorum angewiesen gewesen (vgl. Art. 7 REAO Der Bekl. hat den Antrag der JCC mit der Begründung abgelehnt, es [abgedr. in: Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände sei nicht ersichtlich, dass die H.-GmbH eine jüdische juristische 2. Aufl. 1950, S. 24 ff.], Art. 8 US-REG u. Art. 7 BR-REG [jew. abgedr. in: Person gewesen sei. Auf die dagegen gerichtete Klage hat das VG den Kubuschok/Weißstein, Rückerstattungsrecht der britischen und ameri- Bekl. zur Feststellung der Restitutionsberechtigung der Kl. verpflich- kanischen Zone, 1950, S. 24 ff.]). Dies sei von Belang, da die alliierten tet. Ausgehend von der Bestätigung einer fristgerechten Anmeldung Rückerstattungsregeln und die dazu ergangene Rspr. iSv § 1 Abs. 6 bejahte das VG das Vorliegen einer Unternehmensschädigung. Die VermG heranzuziehen seien (BVerwGE 108, 157 [163] = Buchholz 428 Kl. sei als Rechtsnachfolgerin einer während des Nationalsozialismus § 1 VermG Nr. 167 = NJ 1999, 329 [bearb. v. Keßler] und v. 22.2.2001, aufgelösten juristischen Person, deren Hauptgesellschafter unmit- DVBl. 2001, 1155 = NJ 2001, 438 [Leits.]). Der Gesetzgeber habe das telbar bzw. mittelbar eine AG mit unbekannten, z.T. jüdischen VermG in Anlehnung an das alliierte Rückerstattungsrecht konzipiert, Aktionären gewesen sei, Berechtigte iSv § 1 Abs. 6 VermG. Im Hinblick um die Anwendung der rückerstattungsrechtlichen Grundsätze im auf die zu beurteilenden Verkäufe und die mit ihnen eine unmittel- Wege der analogen Anwendung zu ermöglichen (BT-Drucks. 12/2994). bare Einheit bildende spätere Liquidation der Gesellschaft sei die Daraus ergebe sich für die Kl., dass sie dank ihrer bereits durch § 2 Abs. 1 H.-GmbH als jüdisches Unternehmen behandelt worden. Beweise für Satz 3 AnmVO eingeräumten subsidiären Stellung ebenso wie die Nach- die Widerlegung der Verfolgungsbedingtheit seien nicht ersichtlich. folgeorganisationen des alliierten Rückerstattungsrechts für die erfolg- Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Verfügungsberech- reiche Geltendmachung eines Rückübertragungsanspruchs keines tigten hatte keinen Erfolg. Quorums bedürfe. Seien mithin die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Satz 4 VermG erfüllt, stehe zugleich fest, dass die JCC Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Rechtsnachfolgerin desjenigen sei, dem die Rückgabeberechtigung bei Da das BVerwG – bezogen auf die Feststellung einer fristgemäßen Anmeldung originär zustünde. Bezogen auf die hier in Betracht zu Anmeldung der vermögensrechtlichen Ansprüche und der Tatsachen, ziehende Unternehmensrestitution bedeute dies, dass gem. § 2 Abs. 1 die die Anspruchsberechtung nach § 1 Abs. 6 VermG begründen – Satz 4 VermG eine unmittelbare Rechtsnachfolge nach dem unter- an die von keinem der Beteiligten gerügten Sachverhaltsermittlungen gegangenen geschädigten Unternehmen (§ 6 Abs. 1a Satz 1 VermG) des VG gebunden war, setzen sich die Entscheidungsgründe haupt- stattfinde. Die (auch) im Rahmen der Unternehmensstilllegung (§ 6 sächlich mit der Frage der Rechtsnachfolge der JCC auseinander. Abs. 6a Satz 1 VermG) angeordnete »Wiederbelebung« der geschädig- Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG seien Berechtigte iSd VermG u.a. ten Gesellschaft zum Zwecke der Restitution des Betriebsgrundstücks Rechtsnachfolger juristischer Personen, deren Vermögenswerte von nach § 6 Abs. 1a Satz 2 VermG sei deshalb unabhängig davon nicht Maßnahmen nach § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen sind. Infolge erforderlich, ob und in welchem Umfange die JCC durch jüdische des Nichtvorliegens vermögensrechtlicher Ansprüche der von national- Anteile am Unternehmensträger beteiligt sei. Dies gelte jedenfalls dann, sozialistischen Zwangsmaßnahmen betroffenen Gesellschaft oder ihrer wenn keine konkurrierenden Anmeldungen vorlägen. Allerdings käme Anteilseigner gelte die Kl. selbst als Rechtsnachfolgerin (§ 2 Abs. 1 die vom VG in Betracht gezogene Bruchteilsrestitution (§ 3 Abs. 1 Satz 10 Satz 3 VermG). Dasselbe treffe auch – wie hier – auf jüdische juristische VermG) nicht in Frage, da sie nur den originär geschädigten Gesell- Personen zu, die verfolgungsbedingt zur Selbstauflösung gezwungen schaftern zustünde (§ 3 Abs. 1 Satz 5 VermG), von denen jedoch nicht worden seien. Die JCC bleibe daher als einziger Nachfolger übrig. bekannt sei, welches Mitglied jüdisch gewesen sei.

106 Neue Justiz 2/2002 Verwaltungsrecht

Kommentar: 04.9 – 2/02 Die vorliegende Entscheidung des 8. Senat des BVerwG verdeutlicht, Besoldung/Berechnung der Lebensaltersstufen/ehem. DDR-Richter/ dass es trotz der mehrfachen Änderung des VermG zur Klarstellung der Unterbrechung der Richtertätigkeit durch Übernahmeverfahren Anspruchsberechtigung bei Schädigungen nach § 1 Abs. 6 VermG, OVG Berlin, Urteil vom 17. Juli 2001 – 4 B 9/99 (VG Berlin) (rechtskräftig) nach wie vor Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung der BBesG § 38 Abs. 2 Satz 2 betreffenden Regelungen gibt. In diesem Sinne erleichtert das Urteil die Entscheidung vermögensrechtlicher Anträge von Bürgern und Die wesentlich durch das Übernahmeverfahren bedingte Unterbre- Vereinigungen, die in der Zeit vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 aus chung der Tätigkeit eines übernommenen »Ostrichters« von neun rassischen, politischen, religiösen und weltanschaulichen Gründen Monaten und 19 Tagen ist nicht notwendig erheblich iSd § 38 Abs. 2 verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangs- Satz 2 BBesG (Einzelfall). verkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Angesichts der tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Die 1952 geborene Kl. war nach ihrem Studium in Leipzig ab 1976 Sachverhalts und der in vielen Fällen vorhandenen konkurrierenden Vertragsrichterin in N., ab 1978 in gleicher Funktion am Zentralen Ver- Ansprüche sowohl von Rechtsnachfolgern der Betroffenen und tragsgericht in Berlin tätig und schließlich von Juli bis zum 2.10.1990 der JCC als Nachfolgeorganisation als auch von Zweitgeschädigten Richterin am Stadtgericht Berlin. Anschließend erhielt sie für die dürften bei den ÄRoV und LÄRoV trotz des fortgeschrittenen Dauer von sechs Monaten Wartegeld nach Anl. I des EinigungsV. Abarbeitungsstands noch eine Reihe derartiger offener Fälle zur Auf ihre Bewerbung vom Sept. 1990 wurde sie am 22.7.1991 unter Entscheidung anstehen. Aus diesem Grunde ist es zu begrüßen, Berufung in das Richterverhältnis auf Probe zur Richterin im Land dass das BVerwG immer wieder darauf hinweist, dass das VermG das Berlin ernannt. Im Zeitraum zwischen dem 3.10.1990 und ihrer Ziel verfolgt, sich im Bereich der Restitution verfolgungsbedingter Ernennung war die Kl. nicht berufstätig; sie widmete sich im Hinblick Vermögensverluste, zu denen es während der nationalsozialistischen auf die angestrebte weitere Richtertätigkeit ihrer Weiterbildung. Gewaltherrschaft auf dem Gebiet der späteren DDR gekommen war, Inzwischen ist die Kl. Richterin auf Lebenszeit. Als Ergebnis der soweit wie möglich an die Grundsätze des alliierten Rückerstattungs- Überprüfung, ob Tätigkeiten in der DDR zur Festsetzung einer günsti- rechts und der dazu ergangenen Rechtsprechung anzulehnen. Die geren Lebensaltersstufe als der sich durch Anwendung des § 38 Abs. 2 Besonderheit besteht in diesen Fällen darin, dass das Vorliegen eines Satz 1 BBesG ergebenden führen könnten, setzte die Präsidentin des verfolgungsbedingten Vermögensverlusts nicht nur bei der Frage der KG durch Bescheid v. 31.10.1996 mit Wirkung v. 22.7.1991 als Berechtigung zu prüfen und positiv festzustellen ist, sondern schon Beginndatum für die Lebensaltersstufen den 1.4.1985 fest. Dagegen bei der Beurteilung der Rechtsnachfolge berücksichtigt werden muss. erhob die Kl. Widerspruch, mit dem sie geltend machte, die Zeit vom Das zeigt sich besonders deutlich bei Unternehmensschädigungen. 3.10.1990 bis 22.7.1991 stelle keine Unterbrechung ihrer richterlichen Hier muss von den Berechtigten weder nachgewiesen werden, dass Tätigkeit dar, zumal ihr Arbeitsverhältnis zunächst auf sechs Monate ihre Kapitalbeteiligung mehr als 50 v.H. an der geschädigten Gesell- geruht habe; im Hinblick auf die Dauer ihrer früheren richterlichen schaft beträgt, noch dass sich sämtliche bzw. die Mehrheit der Anteile Tätigkeit sei eine etwaige Unterbrechung jedenfalls nicht erheblich iSd in jüdischem Besitz befanden. Insoweit sind die nach § 1 Abs. 6 § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG. Den Widerspruch wies die Senatsverwaltung VermG Geschädigten privilegiert, da sie von den sonst für Unter- für Justiz zurück. nehmensrestitutionen geltenden Einschränkungen befreit sind. Dies Ihre auf Feststellung des Beginndatums für die Lebensaltersstufen wird schon dadurch gerechtfertigt, dass die Nachfolgeregelungen auf den 1.10.1983 gerichtete Klage hat das VG abgewiesen und zur darauf gerichtet sind, zu verhindern, dass der Fiskus des Staates Begründung im Wesentlichen ausgeführt: begünstigt wird, in dessen jüngster Geschichte sich das wiedergut- Die Bescheide des Bekl. seien rechtmäßig. Weil die Kl. am Tage ihrer zumachende Unrecht ereignet hat. Konsequent ist in dieser Hinsicht Ernennung bereits 38 Jahre alt gewesen sei, sei der Berechnung des ihr auch die Feststellung des BVerwG, dass eine Wiederbelebung der zustehenden Grundgehalts ein Lebensalter zugrunde zu legen, das um die Hälfte der vollen Lebensjahre vermindert sei, die sie seit Vollendung des geschädigten Gesellschaft, vorliegend als H.-GmbH i.L., nicht erfor- 35. Lebensjahres bis zum Einstellungstag zurückgelegt habe (§ 38 Abs. 2 derlich ist. Satz 1 BBesG). Für die Zeit bis zum 30.11.1991 könne sich die Kl. dem- Prof. Dr. Angela Kolb, Hochschule Harz, Halberstadt gegenüber schon deshalb nicht mit Erfolg auf § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG berufen, weil die eine Berücksichtigung richterlicher Tätigkeit in der DDR für die Festsetzung des Besoldungsalters eröffnende Ergänzung der Vorschrift durch Art. 6 Nr. 4 Buchst. a des Ges. über die Anpassung von 04.8 – 2/02 Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern 1992 (BGBl. I Vermögensrecht/Enteignung/Entschädigungsberechtigung/Eigen- 1993 S. 342) nach dessen Art. 12 Abs. 2 Nr. 3 erst mit Wirkung v. 1.12.1991 tumsverlust aufgrund Wegnahme beweglicher Sachen durch MfS in Kraft getreten sei. Sie habe aber auch für die Zeit danach keinen Anspruch auf Festsetzung eines günstigeren Besoldungsalters. Vorausset- BVerwG, Urteil vom 26. September 2001 – 8 C 20/00 (VG Weimar) zung hierfür sei nämlich, dass sich ihre Tätigkeit als Proberichterin ohne erhebliche Unterbrechung an die Tätigkeit als Richter in der DDR ange- VermG §§ 1 Abs. 3, 2 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 1 Satz 1; EntschG § 5a Abs. 5 schlossen habe. Daran fehle es, weil die zwischen dem 3.10.1990 und ihrer 1. Eine schädigende Maßnahme iSd § 1 Abs. 3 VermG liegt vor, wenn Ernennung verstrichene Zeit eine erhebliche Unterbrechung iSd § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG darstelle. Die sechsmonatige Wartezeit nach dem der Leiter eines -Durchsuchungstrupps anlässlich einer strafpro- 3.10.1990 bedeute eine Unterbrechung im Sinne dieser Vorschrift, welche zessualen Wohnungsdurchsuchung Wertgegenstände zum Zwecke auf eine »Tätigkeit« abstelle, an der es während des Ruhens des Arbeits- der Devisenbeschaffung in Besitz genommen oder sich selbst eigen- verhältnisses gefehlt habe. Das Gleiche gelte auch für die Zeit danach bis nützig zugeeignet hat, da die Handlung im engen inneren und äuße- zu ihrer Ernennung. ren Zusammenhang mit dem staatlichen Durchsuchungsakt steht. Die Berufung der Kl. hatte Erfolg. 2. Ein zeitnaher schriftlicher Beleg iSv § 5a Abs. 5 EntschG für den Verlust beweglicher Sachen kann auch in Schriftstücken des Geschä- Aus den Entscheidungsgründen: digten oder aus seinem Umkreis liegen, sofern sie im engen zeitlichen Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig, als sie für die Zusammenhang mit der Schädigung erstellt wurden. Zeit ab 1.12.1991 als Beginndatum für die Berechnung der Lebens- altersstufen zum Bemessen des Grundgehalts der Kl. den 1.4.1985 Anm. d. Redaktion: Siehe zu dieser Problematik auch BVerwGE 104, 84 = NJ bestimmen. Die Kl. hat Anspruch darauf, dieses auf den 1.10.1983 fest- 1997, 325, u. BVerwG, Urt. v. 18.10.2000, NJ 2001, 214 (bearb. v. Keßler). zusetzen.

Neue Justiz 2/2002 107 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

Da die Kl. nach Vollendung des 35. Lebensjahres als Richterin ein- Dauer der Vortätigkeit sowie die Auswirkung der Unterbrechung in gestellt wurde, ergibt sich das Beginndatum für die Lebensaltersstufen, den Blick zu nehmen (…). Danach ist die Phase hier unerheblich. des Grundgehalts (§ 38 Abs. 1 Satz 1 BBesG) aus § 38 Abs. 2 BBesG. Die Kl. war nahezu 14 Jahre lang als Vertragsrichterin tätig gewesen. Es wird um die Hälfte der vollen Lebensjahre vermindert, die sie seit Gemessen hieran erscheint der Unterbrechungszeitraum eher gering Vollendung des 35. Lebensjahres bis zu dem bei der Einstellung und steht zur vorangegangenen Berufszeit nicht in einem Miss- vollendeten Lebensjahr zurückgelegt hatte (Satz 1), sofern nicht mit verhältnis, welches geböte, die Unterbrechung ungeachtet sonstiger Rücksicht auf frühere Tätigkeiten nach bestimmten Maßgaben ein Umstände als erheblich anzusehen. günstigeres Einstellungsdatum fingiert wird (Satz 2). Die Unterbrechung hatte ihre Ursache auch nicht in der Sphäre der Die letztgenannte Norm wirkt zu Gunsten der Kl.: Sie war (relevant Kl., war vielmehr allein Folge des Beitritts und der speziell für Berlin gem. § 38 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. BBesG) Richterin nach dem Recht der getroffenen Übernahmeregelung. Das Verfahren beschränkte sich auf DDR und ihre Einstellung schloss sich an jene Tätigkeit ohne erheb- den notwendigen Zeitraum. Die Kl. wurde (so der Bekl.) vergleichs- liche Unterbrechung an. weise schnell ernannt. Zudem hatte sie durch Antrag schon vor dem Zwar endete die Tätigkeit mit Ablauf des 2.10.1990 (sog. Beitritt), Beitritt und i.d.R. zügiges Beantworten von Rückfragen alles getan, was nicht erst am 2.4.1991 (Ablauf des sog. Wartestandes). sie zum schnellen Abschluss beitragen konnte (dass sie im Okt. 1990 Schon dem Gesetzeswortlaut nach ist eine Tätigkeit verlangt. Dass in einem Falle angeforderte Unterlagen und Fragebögen nicht sofort bloßes Innehaben jenes Status nicht ausreicht, findet Bestätigung im vorlegte, wirkte sich letztlich nicht verzögernd aus, weil das Verfahren Gesetzeszusammenhang. So wird in § 38 Abs. 4 Satz 1 BBesG eine der ohnehin erst nach Vorliegen der sehr viel später erteilten Auskunft Regelung in Abs. 2 Satz 1 entsprechende Rechtsfolge für Zeiten ange- des BStU der DDR weiter gefördert wurde). Ins Gewicht fällt weiter, ordnet, in denen ein Richter bei bestehendem Dienstverhältnis keinen dass die Kl. sich während des Übernahmeverfahrens nicht von ihrem Anspruch auf Besoldung hatte, er seinem Beruf nicht nachging. Auch bisherigen Beruf durch Wechsel in einen anderen gelöst, sondern der Normzweck wird nur bei Ausüben der in § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG diesen Zeitraum für Weiterbildungsmaßnahmen im Hinblick auf das und (kraft Verweisung) § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-5 DRiG bezeichneten angestrebte neue Richteramt genutzt hatte. Berufe erfüllt. Erfahrungen und Kenntnisse, die nach Wertung des (mitgeteilt von VorsRiOVG Dr. Hellmuth Günther, Berlin) Gesetzes für die richterliche Arbeit von Nutzen sind, werden nicht durch bloße Berufszugehörigkeit erworben. An solcher Berufstätigkeit fehlte es im Falle der Kl. seit dem Ablauf 04.10 – 2/02 des 2.10.1990. Weil mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die Schulrecht/Ordnungsmaßnahme in Berlin (West) bestehende Gerichtsorganisation auf das gesamte OVG Greifswald, Beschluss vom 28. August 2001 – 2 M 72/01 (Revision nicht Stadtgebiet erstreckt wurde (Anl. I, Kap. III, Sachg. A, Abschn. IV EV), zugelassen) war das Stadtgericht Berlin, an dem sie zuletzt gearbeitet hatte, aufge- SchulG M-V § 60; VwGO § 80 Abs. 5 löst und ruhte ihr Arbeitsverhältnis zunächst für die Dauer von sechs Monaten (Anl. I, Kap. XIX, Sachg. A, Abschn. III, Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 Zu den Voraussetzungen der Ordnungsmaßnahme »Überweisung in iVm Abs. 3 EV), um mangels Übernahme während der Ruhenszeit (…) eine andere Schule«. mit deren Ablauf zu enden (…). (mitgeteilt von RiOVG Jürgen Aussprung, Greifswald) Aber die neun Monate und 19 Tage währende Pause zwischen Vor- tätigkeit und Ernennung bildete keine erhebliche Unterbrechung (iSd Anm. d. Redaktion: In der Begründung zu dieser Entscheidung setzt sich das § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG). OVG damit auseinander, dass bei Entscheidungen über Ordnungsmaß- Dass eine solche Zeitspanne notwendig die geforderte Kontinuität nahmen nach dem SchulG M-V das außerschulische Verhalten eines Schülers auflöst, lässt sich dem Wortlaut der Norm nicht entnehmen. dann maßgeblich ist, wenn es den Unterrichts- und Schulbetrieb unmittelbar Er steckt keinen konkreten zeitlichen Rahmen unschädlicher Unter- und besonders schwerwiegend stört, und dass zum Wesen des Schulbesuchs brechung ab. Wenn der Gesetzgeber eine feste zeitliche Grenze gewollt eine angst- und gewaltfreie Atmosphäre gehört. Die Mitwirkung an Gewalt- hätte, hätte er sie festgelegt. Mit der Wahl des Wortes »erheblich«, zu anwendung Mitschülern gegenüber rechtfertige im vorliegenden Fall die Über- dessen Verständnis sich den Gesetzesmaterialien nichts entnehmen weisung in eine andere Schule mit gleichem Bildungsabschluss. lässt (…), gebietet er vielmehr wertendes Grenzziehen auf der Grund- lage des Normzwecks (…). Auch Unterbrechungen infolge Wartezeit und Übernahmeverfahren 04.11 – 2/02 früherer DDR-Richter sind weder per se noch prinzipiell erheblich. Versammlungsverbot/Meinungsfreiheit Sonst würde die Vergünstigung des Art. 6 Nr. 4 Buchst. a Bundes- OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 15. September 2001 – 4 B 310/01.Z besoldungs- und VersorgungsanpassungsG 1992 (v. 23.3.1993, BGBl. I (VG Frankfurt [Oder]) S. 342; Ergänzung von § 38 Abs. 2 Satz 2 BBesG) normwidrig partiell VersG § 15 Abs. 1; GG Art. 5 , 8; VwGO §§ 124 Abs. 2, 146 Abs. 4 leer laufen. Während die Richter der DDR im Gros des Beitrittsgebiets zunächst weiter amtierten und nach positiv abgeschlossener Über- Solange die Schwelle zur Strafbarkeit einer Meinungsäußerung nicht prüfung unmittelbar übernommen wurden (Anl. I, Kap. III, Sachg. A, überschritten ist, bietet das auf einer Versammlung voraussichtlich Abschn. III Nr. 8o EV), eine Unterbrechung bei ihnen grundsätzlich propagierte Gedankengut für sich genommen auch dann keine Hand- nicht eintreten konnte, endete die Beschäftigung der Richter im Ost- habe für ein versammlungsrechtliches Verbot, wenn es nach verstän- teil Berlins wegen der für Berlin vereinbarten besonderen Regelung digem Empfinden abseitig und schwer erträglich erscheint und der generell mit dem Beitritt. Ihr Übernahmeverfahren dauerte – wie dem Werteordnung des Grundgesetzes zuwiderläuft. (Leitsatz des Bearbeiters) Gesetzgeber inzwischen bekannt war – entgegen den bei Abschluss des EinigungsV gehegten Erwartungen (vgl. Erläuterungen zu den Problemstellung: Anlagen zum EinigungsV, BT-Drucks. 11/7817, S. 33 f.) regelmäßig Die Entscheidung betrifft die Durchführung einer rechtsextremisti- geraume Zeit, was dem Zeitbedarf für das Einholen erforderlicher schen Versammlung. Die von den Ast. geplante Versammlung »Gegen Auskünfte geschuldet war. Globalisierung und Eurowahn« wurde vom Ag. mit der Begründung Bei der nötigen Einzelfallwürdigung, die zusätzlich den zuletzt verboten, die vorliegenden strafrechtlichen Verurteilungen eines Ast., erwähnten Aspekt zu berücksichtigen hat, sind vor allem Art und des stellv. Versammlungsleiters und des Hauptredners sowie die

108 Neue Justiz 2/2002 Verwaltungsrecht

Zugehörigkeit dieser Personen zur NPD ließen den Schluss zu, bei dem auf die konkrete angemeldete Versammlung die hinreichend begrün- angemeldeten Aufzug werde es zur Begehung von Straftaten kommen. dete Gefahr besteht, es werde zu einer Begehung dieser Straftaten Dem Antrag der Ast., die aufschiebende Wirkung des gegen diese kommen, rechtfertigt schon der Inhalt der erwarteten Äußerungen das Verbotsverfügung eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen, Verbot der Versammlung. wurde vom VG stattgegeben. Demgegenüber geht das OVG Münster (zuletzt Beschl. v. 29.6.2001, Der daraufhin vom Ag. gestellte Antrag, die Beschwerde gegen den NVwZ 2001, 1316 [Leits.]) davon aus, auch unterhalb der Straf- Beschluss des VG zuzulassen, wurde vom OVG zurückgewiesen. barkeitsgrenze könne die individuelle oder kollektive Äußerung – ver- Zugleich wurde den Ast. untersagt, im Rahmen der angemeldeten fassungsimmanent – beschränkt werden. Aus dem »historischen Versammlung Transparente strafbaren Inhalts zu benutzen und Uni- Gedächtnis der Verfassung«, das seinen Niederschlag u.a. in Art. 139 formen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck GG gefunden habe, folge, dass solche Anschauungen von dem einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit ausgeschlossen seien, die wie etwa Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen schlechterdings unverein- Unter Betonung seines gem. § 146 Abs. 4 iVm § 124 Abs. 2 VwGO ein- bar seien. Dass sich das OVG Frankfurt (Oder) diesen Argumenta- geschränkten Prüfungsmaßstabs erkennt das OVG keine ernstlichen tionsversuchen des OVG Münster nicht anschließt und sich noch Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des VG, dass das private nicht einmal mit ihnen auseinandersetzt, ist nicht negativ als blinder Interesse der Ast. an der Durchführung der Versammlung das öffent- (und womöglich vorauseilender) Gehorsam gegenüber dem BVerfG zu liche Interesse des Ag. an der Durchsetzung der Verbotsverfügung bewerten. Außer wegen ihres liberalen Grundrechtsverständnisses ist überwiege. Vielmehr sei die Verbotsverfügung voraussichtlich rechts- die Entscheidung auch insofern zu begrüßen, als sie die Anwendung widrig: Die strafrechtlichen Verurteilungen der in Bezug genommenen des Versammlungsrechts im Land Brandenburg kalkulierbar macht Personen lägen weit zurück oder ließen keinen hinreichenden ver- und damit entscheidend zur Rechtssicherheit beiträgt. sammlungsspezifischen Zusammenhang erkennen, sie böten schon deshalb keine ausreichende Grundlage für ein Versammlungsverbot. Literaturhinweis: Im Übrigen fehle den herangezogenen Verurteilungen der konkrete M. Kutscha, »Ist das Versammlungsrecht noch zeitgemäß?«, NJ 2001, Bezug zu der geplanten Versammlung. 346 ff. Soweit die Verbotsverfügung an den Inhalt der auf der Versammlung Dr. Matthias Rossi, Humboldt-Universiät zu Berlin erwarteten Meinungsäußerungen anknüpfe, müsse sie sich an dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und nicht an dem der Versamm- lungsfreiheit messen lassen. Daraus folge, dass unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit kein Raum für ein an den Inhalt der erwarteten 05 ARBEITSRECHT Meinungsäußerungen anknüpfendes Verbot bliebe. Weder der Verbots- verfügung selbst noch dem Zulassungsantrag ließen sich aber kon- 05.1 – 2/02 krete, hinreichend greifbare Tatsachen entnehmen, die den Schluss Bezahlte Freistellung/Niederkunft der nichtehelichen Lebensgefährtin/ zuließen, es werde bei der Durchführung der Versammlung zu der vom Gleichheitssatz Ag. befürchteten Begehung von Straftaten (insbes. solcher nach § 86a BAG, Urteil vom 18. Januar 2001 – 6 AZR 492/99 (LAG Potsdam) u. § 130 StGB) kommen. Und sofern im konkreten Fall hinreichend BAT-TgRV-O § 52 Abs. 1 u. 3; BGB § 616; GG Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1, fassbare Anhaltspunkte für ein mit hoher Wahrscheinlichkeit zu 2 u. 5 erwartendes militärisches bzw. an den Nationalsozialismus erinnern- des Gepräge der Versammlung vorliegen sollten, ließe sich eine solche Ein Angestellter einer Landesversicherungsanstalt in den neuen Gefahr durch mildere Mittel als ein vorbeugendes Verbot, insbes. Bundesländern kann weder nach § 616 BGB iVm § 52 Abs. 1 Buchst. a durch geeignete versammlungsrechtliche Auflagen beseitigen. BAT-TgRV-O noch nach § 52 Abs. 3 Unterabs. 1 BAT-TgRV-O bezahlte Freistellung aus Anlass der Niederkunft seiner mit ihm nicht verhei- Kommentar: rateten Lebensgefährtin verlangen. Die Beschränkung des Anspruchs Mit dem Beschluss übernimmt das OVG Frankfurt (Oder) ausdrücklich auf die Niederkunft der Ehefrau verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 u. die Rspr. des BVerfG zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Art. 6 GG. das Verbot von Demonstrationen der NPD bzw. rechtsextremistischer Organisationen und beteiligt sich nicht an dem offenen Aufstand des OVG Münster gegen die Rspr. des BVerfG. Im lnteresse der »für die 05.2 – 2/02 demokratische Ordnung des Grundgesetzes schlechthin konsti- Betriebsübergang/Nachwirkung einer tariflichen Regelung/Betriebs- tuierenden Meinungsfreiheit« hat das BVerfG in mehreren jüngeren vereinbarung als ablösende Regelung Entscheidungen (zuletzt Beschl. v. 24.3.2001, NJW 2001, 2069, Beschl. BAG, Urteil vom 1. August 2001 – 4 AZR 82/00 (LAG Rostock) v. 12.4.2001, NVwZ 2001, 907 [Leits.]) deutlich gemacht, dass BGB § 613a Abs. 1, TVG §§ 3, 4 Äußerungen, die nach Art. 5 Abs. 2 GG nicht unterbunden werden dürfen, auch nicht Anlass für versammlungsbeschränkende Maß- Eine vor dem Betriebsübergang für einen anderen Betrieb geschlos- nahmen nach Art. 8 Abs. 2 GG sein können. Bis zur Grenze ihrer sene Betriebsvereinbarung ist nur dann eine andere Regelung iSd Strafbarkeit fallen deshalb grundsätzlich auch das öffentliche Auf- § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB, wenn sie der Sache nach denselben Gegen- treten von Neonazis sowie die Verbreitung nationalsozialistischen stand regelt und betriebsverfassungsrechtlich im übernommenen Gedankenguts in öffentlichen Versammlungen unter den Schutz des Betrieb gilt. Grundgesetzes. Die allgemeine Strafbarkeitsschwelle wird im hier interessierenden Problemstellung: Kontext vor allem durch § 130 StBG (Volksverhetzung), § 86a StGB Die Parteien streiten um die Höhe der Jahressonderzuwendung für das (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) Jahr 1996. oder §§ 90a, b StGB (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole Der Kl. ist seit 1991 bei der Bekl. bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der oder von Verfassungsorganen) nachgezogen. Nur wenn im Hinblick M. GmbH, als Staplerfahrer in der Betriebsstätte R. beschäftigt. Für das

Neue Justiz 2/2002 109 Rechtsprechung Arbeitsrecht

Arbeitsverhältnis des Kl. zur M. GmbH galt kraft beiderseitiger Tarif- Abs. 3 TVG an (vgl. zuletzt BAG, NZA 2001, 453 = NJ 2001, 390 gebundenheit der MantelTV der Ernährungswirtschaft Sachsen- [Leits.]). Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG beschränke sich darauf, Anhalt v. 19.8.1991 (im Folgenden: MTV S-A) unmittelbar und zwin- bis zum Abschluss einer anderen Abmachung den materiell-recht- gend. Er war vom Verband der Ernährungswirtschaft Niedersachsen/ lichen Zustand für das Arbeitsverhältnis beizubehalten, der beim Bremen/Sachsen-Anhalt e.V. – Arbeitgebervereinigung – und der Gewerk- Eintritt der Nachwirkung bestanden hat. schaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Landesbezirk Niedersachsen/ Durch den Übergang des Betriebs in R. mit Wirkung v. 1.9.1996 auf Bremen abgeschlossen und umfasste auch bestimmte Betriebe/Unter- die Bekl. nach § 613a BGB würden die nachwirkenden Tarifnormen nehmen in Mecklenburg-Vorpommern. Zum 31.12.1993 wurde der zwischen den Parteien weitergelten. Im Zeitpunkt des Betriebsüber- MTV S-A gekündigt. Die M. GmbH war aus dem tarifschließenden gangs galten die Regelungen des MTV S-A für das Arbeitsverhältnis des Arbeitgeberverband ausgetreten. Kl. mit der Rechtsvorgängerin der Bekl. noch kraft Nachwirkung und Nach § 12 Ziff. 1 des MTV S-A erhalten Arbeitnehmer, die am seien so gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses 1. Dezember eines Kalenderjahres eine ununterbrochene Betriebszu- des Kl. mit der Bekl. geworden. gehörigkeit von elf Monaten haben und sich an diesem Tag im unge- Nach § 613a Abs. 1 Satz 1 u. 2 BGB trete der Betriebserwerber in die kündigten Arbeitsverhältnis befinden, eine Jahressondervergütung für Rechte und Pflichten der im Zeitpunkt des Betriebsübergangs beste- das Jahr 1993 i.H.v. 65% des tariflichen Monatsentgelts. henden Arbeitsverhältnisse ein, wobei die durch Rechtsnormen eines Die Bekl. unterhielt einen Feinkostbetrieb in L. (Mecklenburg-Vor- Tarifvertrags geregelten Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsver- pommern) und ist nicht tarifgebunden. Sie übernahm zum 1.9.1996 hältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer den Betrieb der M. GmbH in R. werden und dann vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Im Betrieb der M. GmbH bestand ein Betriebsrat, dessen Vorsitzen- Betriebsübergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers nicht mehr geän- der der Kl. war. Im Betrieb der Bekl. in L. unterschrieb die Betriebs- dert werden dürfen. Dieser gesetzliche Schutz stelle auf die Verhält- ratsvorsitzende am 11.6.1996 eine von der Bekl. erarbeitete nisse beim Betriebsübergang ab. Dementsprechend komme es auf den »Betriebsvereinbarung zur Absicherung der Arbeitsbedingungen und Inhalt der tarifvertraglichen Rechte und Pflichten zu diesem Zeitpunkt Betriebsordnung« (im Folgenden: Betriebsvereinbarung 1996). an. Gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gelten die tarifvertraglichen § 7 Ziff. 1 der Betriebsvereinbarung lautet: Regelungen nicht mehr gem. § 4 Abs. 1 TVG normativ für das »Mit der Entgeltzahlung im November eines Jahres erhalten die Arbeit- Arbeitsverhältnis bei dem nicht (oder inkongruent) tarifgebundenen nehmer/innen eine weitere Jahressonderzuwendung. ... Betriebserwerber, sondern werden Inhalt des Arbeitsverhältnisses. Über die Höhe dieser Sonderzuwendung wird im Oktober eines Jahres § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB sorge, ausgehend von den Verhältnissen im zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelt, wobei die voraus- Zeitpunkt des Betriebsübergangs, für eine Besitzstandswahrung auf sichtliche Ertragslage des Unternehmens zu berücksichtigen ist.« arbeitsvertraglicher Ebene. Gehe der Betrieb des Arbeitgebers im Wege Die Bekl. setzte die Höhe der Sonderzuwendung 1996 auf 350 DM fest der Betriebsnachfolge auf einen anderen Arbeitgeber über, so trete und zahlte sie an die Arbeitnehmer beider Betriebe. Der weiterhin im dieser auch in diejenigen Arbeitsvertragsbedingungen ein, die auf Betrieb R. bestehende Betriebsrat der ehem. M. GmbH wurde nicht nachwirkenden Tarifnormen beruhen. Da die Tarifnorm bereits beim beteiligt. Betriebsübergang nur noch nachwirkte (§ 4 Abs. 5 TVG), ändere ihr Zum 1.7.1997 wurde für die Arbeitnehmer der Fisch- und Feinkost- Übergang in das Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB industrie in Mecklenburg-Vorpommern ein MantelTV vereinbart, der nichts daran, dass sie nach § 4 Abs. 5 TVG jederzeit durch eine andere in § 7 für Arbeitnehmer eine Jahressonderzuwendung i.H.v. 300 DM Abmachung ersetzt werden könne. Dies ergebe eine an Sinn und brutto vorsieht. Zweck orientierte Auslegung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Arbeit- Mit seiner Klage verlangt der Kl. die Differenz aus der nach § 12 nehmer soll durch diese Bestimmung beim Betriebsübergang nach Ziff. 1 MTV S-A für das Jahr 1996 zu zahlenden Sonderzuwendung § 613a BGB gegen den Verlust rechtlicher Arbeitsbedingungen i.H.v. unstreitig 1293,18 DM brutto und dem gezahlten Betrag i.H.v. geschützt werden, nicht aber soll seine rechtliche Stellung dadurch 350 DM brutto, mithin 943,18 DM brutto. Er hat die Ansicht vertre- verbessert werden, dass bereits abänderbare Arbeitsbedingungen der ten, die Betriebsvereinbarung 1996, die die Bekl. mit dem Betriebsrat einjährigen Veränderungssperre unterstellt werden. in L. abgeschlossen habe, gelte gem. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht Die vor dem Betriebsübergang im Betrieb der Bekl. in R. abge- für die Arbeitsverhältnisse der in der Betriebsstätte R. beschäftigten schlossene Betriebsvereinbarung sei aber keine »andere« Regelung iSd Arbeitnehmer. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift, die Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. die Nichtgeltung des Satzes 2 des § 613a Abs. 1 BGB zur Folge habe, Die Revision des Kl. hatte Erfolg. lägen nicht vor. Denn die vorliegende Betriebsvereinbarung erfasse schon von ihrem räumlichen/betrieblichen Geltungsbereich nicht Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: den übernommenen Betrieb. Das BAG meint, dem Kl. stünden weitere 943,18 DM brutto als rest- Die Betriebsvereinbarung 1996 habe für die Mitarbeiter in der über- liche Sonderzuwendung für das Jahr 1996 zu. Der Anspruch des Kl. nommenen Betriebsstätte R. deswegen nicht nach § 613a Abs. 1 Satz 3 richte sich auch nach dem Betriebsübergang nach den nachwirkenden BGB die Geltung des § 613 Abs. 1 Satz 2 BGB ausschließen können, Bestimmungen (§ 4 Abs. 5 TVG) des § 12 Abs. 1 MTV S-A in der zum weil sie betriebsverfassungsrechtlich nicht im übernommenen Betrieb Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Fassung. Dem stehe die nach § 77 Abs. 4 BetrVG zwingend und unmittelbar gegolten habe. Betriebsvereinbarung 1996 nicht entgegen. Die Betriebsvereinbarung 1996 sei von der Bekl. und dem bei ihr im Ursprünglich habe der am 19.8.1991 abgeschlossene MTV S-A zwi- Betrieb in L. gebildeten Betriebsrat abgeschlossen worden, bevor die schen dem Kl. und der Betriebsveräußerin, der M. GmbH, aufgrund Bekl. den Betrieb der M. GmbH übernommen habe. Dementsprechend beiderseitiger Tarifgebundenheit nach §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG heißt es in § 1 der Betriebsvereinbarung, dass sie »für alle im Betrieb gegolten. Ab dem 1.1.1994 wirkten die Regelungen des MTV S-A gem. des Arbeitgebers beschäftigten Arbeitnehmer/innen« gilt. Partner der § 4 Abs. 5 TVG nach. Durch den Verbandsaustritt der Rechtsvorgän- Betriebsvereinbarung 1996 war der in dem Betrieb in L. gebildete gerin der Bekl. sei die Tarifgebundenheit nicht entfallen. Gem. § 3 Betriebsrat. Bei Abschluss der Betriebsvereinbarung habe daher nur die Abs. 3 TVG bliebe die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag Belegschaft des Betriebs in L. von der Betriebsvereinbarung erfasst endet. Die Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG schließe sich auch bei werden können. Der Übergang des Betriebs der M. GmbH in R. auf die einem Verbandsaustritt dem Ende der Tarifgebundenheit nach § 3 Bekl. hätte nicht zur Folge, dass sich der Geltungsbereich der Betriebs-

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vereinbarung auch auf den Betrieb in R. erstreckte. Denn der Betrieb Eine »andere« Betriebsvereinbarung iSd § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB kann in R. habe mit eigener Identität weiterbestanden; für Arbeitnehmer – so das BAG – nur eine solche sein, die auch wirklich im übernom- eines anderen Betriebs habe der Betriebsrat in L. keine Betriebsver- menen – und nicht in einem anderen – Betrieb des Unternehmens gilt. einbarungen abschließen können. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB sei nicht Das Gegenteil wird man schwerlich begründen können, da das die Intention zu entnehmen, alle Beschäftigten im Unternehmen Mandat und folglich die kollektive Regelungskompetenz des Betriebs- gleich zu behandeln dergestalt, dass der Normenkatalog des Erwerbers rats auf den jeweiligen Betrieb begrenzt ist. ungeachtet des Regelungsniveaus im übernommenen Betrieb gelte. RiArbG Thomas Lakies, Berlin/Karlsruhe

Kommentar: Die Entscheidung macht das komplizierte Zusammenspiel des Schick- 05.3 – 2/02 sals von Arbeitsvertragsinhalten nach einem Betriebsübergang deut- Urlaub im Anschluss an Rehabilitationsmaßnahme/angestellter Lehrer lich. Die Grundregel des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ist ebenso simpel LAG Chemnitz, Urteil vom 31. Juli 2001 – 7 Sa 808/00 L (ArbG Leipzig) wie einleuchtend: Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechts- (rechtskräftig) geschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte BAT-O § 47 Abs. 6; SR 2 1 I Nr. 5 BAT-O und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Bei ausschließlich individualrechtlich gepräg- Dem Anspruch eines angestellten Lehrers, im Anschluss an eine ten Arbeitsverhältnissen führt dies dazu, dass die Arbeitsvertrags- Maßnahme der Rehabilitation gem. § 47 Abs. 6 Satz 5 BAT-O Urlaub inhalte (Vergütung, Arbeitszeit usw.) so, wie sie mit dem Betriebsver- zu verlangen, steht die Sonderregelung für Angestellte als Lehrkräfte äußerer vereinbart waren, auf den Betriebserwerber übergehen. Es wird (SR 2 1 I BAT-O) nicht entgegen, solange es – wie hier – an der Schule gleichsam nur der Vertragspartner (auf Arbeitgeberseite) ausgewechselt keine entsprechenden verbeamteten Lehrkräfte gibt. (Leitsatz der bei Fortbestand des Vertragsinhalts. Redaktion) § 613a Abs. 1 Satz 2-4 BGB regelt das Schicksal der kollektiv-recht- (mitgeteilt von Rechtsanwalt Roland Gross, Leipzig) lichen Normen, die auf das Arbeitsverhältnis beim Betriebsveräußerer eingewirkt haben. Grundsatz ist zunächst die individualrechtliche Weitergeltung der kollektiv-rechtlichen Normen. Diese werden Inhalt 05.4 – 2/02 des Arbeitsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit/Kündigungsrechtsstreit/ Betriebserwerber und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Freistellungsvereinbarung Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert LAG Berlin, Beschluss vom 1. Oktober 2001 – 17 Ta 6136/01 (Kost) werden (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB). Die kollektiv-rechtlichen Normen, (ArbG Berlin) die beim Betriebsveräußerer gegolten haben, werden jedoch sogleich BRAGO § 8 abgelöst, d.h. ersetzt, wenn die Rechte und Pflichten aus dem Arbeits- verhältnis bei dem Betriebserwerber durch Rechtsnormen eines ande- 1. Die in einem Kündigungsrechtsstreit getroffene Vereinbarung über ren Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung ersetzt eine Freistellung des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Streitwert- werden (§ 613a Abs. 1 Satz 3 BGB). In diesem Fall tritt eine neue festsetzung gesondert zu bewerten. kollektive Ordnung an die Stelle der alten. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB 2. Die Höhe des Werts hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. sichert den Vorrang kollektivrechtlicher Regelungen beim Betriebs- Bestand ein besonderes Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers, erwerber vor denen beim Betriebsveräußerer, die sonst nach § 613a kann der Wert bis zu 50 v.H. des für den Freistellungszeitraum geschul- Abs. 1 Satz 2 BGB zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses werden. deten Entgelts betragen. Ohne ein besonderes Beschäftigungsinte- Die einjährige Veränderungssperre des Satzes 2 verbietet dabei nur resse ist es i.d.R. sachgerecht, den Wert auf 10 v.H. bzw. bei fehlen- eine individualrechtliche Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, der Anrechnung eines Zwischenverdienstes auf 25 v.H. des für den nicht eine Änderung, ggf. Verschlechterung, durch eine kollektiv- Freistellungszeitraum geschuldeten Entgelts festzusetzen. rechtliche Regelung. Hierum rankt sich aber eine Reihe von Proble- 3. Der Freistellungszeitraum umfasst lediglich Zeiten, in denen der men. Ein Problem ist in der Entscheidung angesprochen. Der Betriebs- Arbeitnehmer freigestellt wird. erwerber tritt auch in diejenigen Arbeitsvertragsbedingungen ein, die – wie vorliegend – auf nachwirkenden Tarifnormen beruhen. Bei der Ablösung durch einen »anderen Tarifvertrag« ist mittlerweile geklärt, 05.5 – 2/02 dass dies die kongruente Tarifgebundenheit sowohl des neuen Betriebs- Streitwert/Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer inhabers als auch des Arbeitnehmers voraussetzt (BAG v. 21.2.2001 – Abfindung 4 AZR 18/00 – AP TVG § 4 Nr. 20; BAG, NZA 2001, 510). LAG Berlin, Beschluss vom 26. Oktober 2001 – 17 Ta (Kost) 6152/01 Umstritten ist, ob der Übergang kollektiv-rechtlicher Arbeitsbedin- (ArbG Berlin) gungen in das Arbeitsverhältnis (§ 613a Abs. 1 Satz 2 BGB) auch dann nicht eintritt, wenn der Gegenstand beim Betriebserwerber durch ArbGG § 12 Abs. 7; KSchG §§ 9, 10 eine andersartige kollektive Vereinbarung geregelt ist, d.h., ob z.B. der Übergang tarifvertraglicher Arbeitsbedingungen in das Arbeitsver- 1. Einigen sich die Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhält- hältnis dadurch ausgeschlossen wird, dass derselbe Gegenstand beim nisses gegen Zahlung einer Abfindung in entsprechender Anwen- Erwerber durch eine Betriebsvereinbarung geregelt ist und umgekehrt, dung der §§ 9, 10 KSchG, erhöht sich der Vergleichswert nicht um den weil der Geltungsgrund der Kollektivnorm durch § 613a Abs. 1 Satz 2 Abfindungsbetrag. ausgetauscht wird (bejahend: MünchKomm-BGB-Schaub, § 613a BGB 2. Vereinbaren die Parteien in einem gerichtlichen Vergleich, dass eine Rn 196; KR/Pfeiffer, 5. Aufl., § 613a BGB Rn 100; Meyer, NZA 2001, tarifliche Abfindung auf eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG 751, jew. mwN; ablehnend: Richardi/Annuß, in: Staudinger, BGB, angerechnet wird, so treffen sie hinsichtlich des tariflichen Abfin- § 613a Rn 185). dungsanspruchs eine Regelung, die bei der Streitwertfestsetzung zu Das BAG hat diese Frage vorliegend nicht entschieden, weil die berücksichtigen ist. Der Wert dieser Regelung beträgt regelmäßig Betriebsvereinbarung 1996 schon von ihrem räumlichen/betrieb- 10 v.H. des tariflichen Abfindungsbetrags, wenn durch sie allein einem lichen Geltungsbereich nicht den übernommenen Betrieb erfasst hat. Titulierungsinteresse der klagenden Partei genügt werden soll.

Neue Justiz 2/2002 111 Rechtsprechung

07 BERUFSRECHT 07.3 – 2/02 Notar/Wiederbesetzung einer Notarstelle/Unzulässigkeit wegen 07.1 – 2/02 Gefährdung der Lebensfähigkeit anderer Notarstellen Rechtsanwalt/Werbung/Informationsveranstaltung BGH, Beschluss vom 16. Juli 2001 – NotZ 7/01 (OLG Dresden) BGH, Urteil vom 1. März 2001 – I ZR 300/98 (OLG Brandenburg) BNotO § 4 UWG § 1; BRAO § 43b Zur Unzulässigkeit der Wiederbesetzung einer Notarstelle im Tätig- Der Zulässigkeit einer Informationsveranstaltung von Rechtsanwälten keitsgebiet der Ländernotarkasse Leipzig, wenn im betroffenen Amts- zur eigenen anwaltlichen Tätigkeit oder zu allgemeinen rechtlichen bereich ein Viertel der Notare auf Einkommensergänzung angewie- Themen steht grundsätzlich nicht entgegen, dass zu ihr Personen sen ist und der der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO zugrunde eingeladen werden, zu denen kein mandantschaftliches Verhältnis gelegte Richtwert für das Urkundsaufkommen nachhaltig und deut- besteht oder bestanden hat, und dass ein kostenloser Mittagsimbiss lich unterschritten wird. gereicht wird (teilweise Aufgabe von BGHZ 115, 105, 110 ff. – Anwaltswerbung I = NJ 1992, 219). 07.4 – 2/02 Anm. d. Redaktion: Mit dieser Entscheidung hat der BGH das Urteil des OLG Richter/dienstliche Beurteilung/richterliche Unabhängigkeit Brandenburg v. 20.8.1998 aufgehoben. Das OLG hatte unter Abänderung BGH, Urteil vom 10. August 2001 – RiZ(R) 5/00 (LG Leipzig) der Entscheidung des LG Potsdam die bekl. Rechtsanwälte verurteilt, es DRiG §§ 26, 71 Abs. 3; BRRG § 126 Abs. 3; SächsRiG § 6; zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs SächsJustAG § 16 Abs. 1; VwGO § 38; GG Art. 31, 33 Abs. 2, 97 gegenüber natürlichen und juristischen Personen, zu denen kein mandant- schaftliches Verhältnis besteht oder bestanden hat, zu einem Informations- a) Die dienstliche Beurteilung eines Richters und jede dazu abgege- gespräch inkl. Mittagsimbiss einzuladen und hierbei durch ein berufs- bene Stellungnahme einer übergeordneten dienstaufsichtführenden bezogenes Referat fundierte Ratschläge und Informationen unentgeltlich Stelle, die sich in irgendeiner Weise kritisch mit dem dienstlichen oder anzubieten. außerdienstlichen Verhalten eines Richters befasst, stellen Maßnah- Siehe auch die Kritik von Kleine-Cosack an der, einen ähnlichen Sachverhalt men der Dienstaufsicht iSd § 26 Abs. 3 DRiG dar, gegen die mit der betreffenden Entscheidung des OLG Brandenburg v. 28.10.1997, NJ 1998, nachvollziehbaren Behauptung, sie beeinträchtigten die richterliche 224. Unabhängigkeit, das Richterdienstgericht im Prüfungsverfahren Zur aktuellen Rechtsprechung beim Abbau freiberuflicher Restriktionen angerufen werden kann (st.Rspr.). bei der Anwaltswerbung siehe den Beitrag von Kleine-Cosack auf S. 57 ff., b) Das Dienstgericht hat ausschließlich darüber zu entscheiden, ob in diesem Heft. eine Maßnahme der Dienstaufsicht die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt. Die allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle obliegt den Verwaltungsgerichten (st.Rspr.). 07.2 – 2/02 c) Dienstliche Beurteilungen der Richter sind grundsätzlich mit ihrer Richterverhältnis auf Probe/Entlassung wegen fehlender persönlicher verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) Eignung/gerichtliche Überprüfung vereinbar. Art. 97 GG hindert den Landesgesetzgeber nicht daran, der BGH, Urteil vom 20. Juni 2001 – RiZ (R) 1/00 (OLG Jena) obersten Landesbehörde dienstaufsichtliche Befugnisse gegenüber den Richtern einzuräumen (vgl. BVerfGE 38, 139 [151 f.]). DRiG § 22 Abs. 2 Nr. 1; ThürRiG §§ 45 ff. d) Im Rahmen der landesgesetzlichen Regelungen, nach denen dem 1. Die auf § 22 Abs. 2 Nr. 1 DRiG gestützte Entscheidung, ob ein Dienstherrn die dienstliche Beurteilung der Richter obliegt, kann die Richter auf Probe für das Richteramt geeignet ist, stellt einen Akt zuständige oberste Landesbehörde Beurteilungsrichtlinien erlassen, wertender Erkenntnis dar, der der obersten Dienstbehörde einen ohne dazu einer weiteren gesetzlichen Ermächtigung zu bedürfen. Beurteilungsspielraum gewährt. Eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit kann darin 2. Die gerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob der nicht erblickt werden (wie BGHZ 77, 111 [112 f.]). Begriff der Eignung verkannt oder ein unrichtiger Sachverhalt e) Die Dienstaufsicht des Präsidenten des OVG als übergeordneter zugrunde gelegt worden ist, ob allgemeingültige Wertmaßstäbe Dienstaufsichtsbehörde für das VG (§ 38 Abs. 2 VwGO) erstreckt nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt worden sich auf dessen Richter. Die Beteiligung des Präsidenten des OVG an sind (st.Rspr. des Senats). Dies gilt auch für die Umstände, die bei den dienstlichen Beurteilungen der erstinstanzlichen Richter trägt der obersten Dienstbehörde Zweifel an der persönlichen Eignung dem aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden verfassungsrechtlichen Gebot des Antragstellers am Richteramt begründet haben. (Leitsätze der Rechnung, dass der Dienstherr in seinem Bereich die Anwendung Redaktion) gleicher Beurteilungsmaßstäbe sicherstellen muss.

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Neue Justiz 2/2002 VII