E 10934 NJ • Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

Herausgeber: Aus dem Inhalt: Prof. Dr. Marianne Andrae Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard M. Posch: 60 Jahre »Neue Justiz« S. 145 Dr. Michael Burmann Dr. Bernhard Dombek G. Janke: Die Rechtsprechung zur Anwendung Dr. Frank Engelmann des ZGB der DDR: Schadensersatz, Erbrecht und Dr. Margarete von Galen besondere Bestimmungen S. 151 Lothar Haferkorn Georg Herbert Ch. Preschel: Die neue Bauordnung des Landes Dr. Gerhard Hückstädt Sachsen-Anhalt S. 157 Dr. Günter Kröber Prof. Dr. Martin Posch G. Dörr: Das Sozialverwaltungsrecht zur Bescheid- Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg Korrektur S. 160 Dr. Axel Schöwe Karin Schubert Rechtsprechungsteil: Prof. Dr. Horst Sendler † Manfred Walther BVerfG: Unzulässige Richtervorlage zum Sachenrechts- Dr. Friedrich Wolff moratorium S. 170 BGH: Bestimmbarkeit des Vertragsbeginns im Gewerbe- raummietvertrag S. 175 OLG Rostock: Keine Entschädigung nach StrEG bei unsachgemäßer Verwahrung einer beschlagnahmten Sache durch einen Dritten S. 178 OVG Bautzen: Ordnungsrechtliche Verantwortung des Verwalters für Altlasten in der Insolvenz S. 186 BGH: Haftung der Bundesrepublik für isolierte Verbindlichkeiten aus DDR-Erbschaften S. 189

406 Nomos 60. Jahrgang Seiten 145-192 In diesem Heft …

Redaktion: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt AUFSÄTZE S. 145 (Chefredakteurin) Rechtsanwältin Susan Vogel 60 Jahre »Neue Justiz« Redaktionsanschrift: Martin Posch ...... 145 Französische Str. 13, 10117 Tel.: (030) 22 32 84-0 Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR: Fax: (030) 22 32 84 33 Schadensersatz, Erbrecht und besondere Bestimmungen E-Mail: [email protected] Gerd Janke ...... 151 http://www.nomos.de Erscheinungsfolge: einmal monatlich Bezugspreise: Jahresabonnement: 136,– € NEUE RECHTSVORSCHRIFTEN S. 157 inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand- kosten Die neue Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt Einzelheft: 15,– € inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand- Christina Preschel kosten Vorzugspreis für Studenten: gegen Nachweis jährlich 39,– € inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand- KURZBEITRÄGE S. 160 kosten Bestellungen beim örtlichen Buch- Das Sozialverwaltungsrecht zur Bescheid-Korrektur handel oder direkt bei der Nomos Gernot Dörr ...... 160 Verlagsgesellschaft Baden-Baden. Abbestellungen bis jeweils Kaufvertrag im deutsch-polnischen Rechtsverkehr 30. September zum Jahresende. Mirek Hempel und Frank Skamel ...... 162 Verlag/Druckerei: Nomos Verlagsgesellschaft Waldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden Tel.: (07221) 21 04-0 INFORMATIONEN S. 164 Fax: (07221) 21 04-27 Anzeigenverwaltung und -annahme: Gesetzesinitiativen ...... 164 sales˛friendly Bettina Roos Europa ...... 165 Maarweg 48, 53123 Bonn Neue Bundesländer ...... 165 Tel.: (0228) 978 98-0 Fax: (0228) 978 98-20 E-Mail: [email protected] Urheber- und Verlagsrechte: RAK-REPORT S. 168 Die in dieser Zeitschrift veröffentlich- ten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für die ver- öffentlichten Gerichtsentscheidungen REZENSIONEN S. 169 und ihre Leitsätze; diese sind geschützt, soweit sie vom Einsender oder von der Redaktion erarbeitet und redigiert Nomos Gesetze: worden sind. Kein Teil dieser Zeit- Öffentliches Recht – Strafrecht – Zivilrecht schrift darf ohne vorherige schriftliche Von Thomas P. Stähler Zustimmung des Verlags verwendet werden. Das gilt insbesondere für Brigitte Udke: Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Bruchstücke. Arbeit und Recht im Spiegel einer Zeitschrift 1969-1989 Übersetzungen, Mikroverfilmungen Von Wolfgang Gast und die Einspeicherung und Verarbei- tung in elektronischen Systemen. ISSN 0028-3231 RECHTSPRECHUNG S. 170 Redaktionsschluss: 13. März 2006 ̈ 01 Verfassungsrecht ̈ 02 Bürgerliches Recht BVerfG: BGH: Unzulässige Richtervorlage zum Sachen- Erlaubnis zur Untervermietung von Neue Justiz rechtsmoratorium...... 170 Wohnraum ...... 173 Zeitschrift für Rechtsentwicklung BVerfG: BGH: und Rechtsprechung in den Keine Sonderversorgung für Beschäftigte Parabolantenne und Mietrecht Neuen Ländern im Gesundheitswesen der DDR (Leits.) ...... 171 (bearb. v. Nawroth)...... 174 LVerfG Mecklenburg-Vorpommern: 60. Jahrgang, S. 145-192 Darlegungslast bei einer Verfassungs- BGH: beschwerde wegen Verletzung des Bestimmbarkeit des Vertragsbeginns Konnexitätsprinzips (bearb. v. Jutzi) ...... 171 im Gewerberaummietvertrag (m. Anm. Meyer-Harport) ...... 175 VerfGH Sachsen: Beschränkung des passiven Wahlrechts BGH: NJ 4/06 (Leits.) ...... 172 Rückzahlung einer Mietkaution (Leits.)...... 177 I In diesem Heft …

BGH: ̈ 04 Verwaltungsrecht Mieterhöhungsverlangen für Bruttokaltmiete und Vergleichbarkeit unterschiedlicher Miet- OVG Bautzen: strukturen (Leits.) ...... 177 Kostenübernahme für Verwaltung des Barbetrags eines in einem Pflegeheim BGH: betreuten Hilfebedürftigen (bearb. v. Walter) . . . . . 184 Rechtskraft bei Zurückweisung der Nicht- zulassungsbeschwerde (Leits.) ...... 177 OVG Bautzen: BGH: Ordnungsrechtliche Verantwortung des Nachforderung rückständiger Gewerberaum- Verwalters für Altlasten in der Insolvenz und Freigabeerklärung (bearb. v. Biehl)...... 186 miete und Verwirkung (Leits.)...... 177 BGH: BVerwG: Vorrang der Individualvereinbarung Vergütung für beigeordneten Rechtsanwalt ...... im Gewerberaummietvertrag (Leits.) ...... 177 (Leits.) 188 OLG Rostock: OVG Bautzen: Keine Entschädigung nach StrEG bei unsach- Beitragsberechnung in Abwassersatzung gemäßer Verwahrung einer beschlagnahmten und Äquivalenzprinzip (Leits.) ...... 188 Sache durch einen Dritten ...... 178 OVG Weimar: OLG : Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung Kein Ankaufsrecht nach SachenRBerG wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen für ehemals volkseigene Grundstücke ...... 179 (Leits.) ...... 188 OLG Jena: OVG Weimar: Zweigniederlassungsanmeldung einer Limited Anforderungen an öffentliche Bekannt- JURISTINNEN bei Sitz der Hauptniederlassung im Ausland . . . . . 180 machungen (Leits.) ...... 188 – Lexikon zu Leben und Werk – OLG Dresden: Unwirksame Wettbewerbsklausel ̈ 05 Recht der offenen Vermögensfragen Marion Röwekamp im Gewerberaummietvertrag (Leits.) ...... 181 Herausgegeben vom Deutschen BGH: OLG Jena: Haftung der Bundesrepublik für isolierte Juristinnenbund e.V. Eintragung ins Handelsregister wegen Verbindlichkeiten aus DDR-Erbschaften 2005, 466 S., geb., 48,– €, Verlegung des Sitzes der Gesellschaft (Leits.) . . . . 181 (bearb. v. Gruber)...... 189 ISBN 3-8329-1597-4 OLG Rostock: BGH: Kostenerstattung und PKH (Leits.) ...... 182 Vorrang der Vermögenszuordnung vor Das Lexikon dokumentiert die Kammergericht: Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach persönliche und die Berufsge- Schadensersatz für Anordnung eines Arrestes dem VerkFlBerG ...... 189 schichte von etwa 150 Frauen, und Zahlungsunfähigkeit einer GmbH (Leits.) . . . 182 BVerwG: die Jura studiert oder die Rechts- OLG Naumburg: Selbständige Geltendmachung von wissenschaft im weitesten Sinn Nichtverjährbarkeit von Ansprüchen aus Ansprüchen eines Erben bei angeordneter geprägt haben. Das Spektrum Testamentsvollstreckung (bearb. v. Schmidt) . . . . 190 eingetragenen Rechten nach ZGB (Leits.) ...... 182 reicht von der Lehrerin Marie BVerwG: Raschke, die sich 1896 mit 46 ̈ 03 Straf-/Ordnungswidrigkeitenrecht Enteignung von Vermögenswerten nach Jahren als Gasthörerin an der Maßgabe der »Liste 3« (Leits.)...... 192 Berliner Universität für Jura ein- Kammergericht: BVerwG: Wiedereinsetzung bei fehlerhafter Ladung und schrieb, bis zu Erika Scheffen, die Rückübertragung einer Darlehensforderung öffentliche Zustellung im Jugendstrafverfahren als eine der wenigen Frauen in (Leits.) ...... 192 (bearb. v. Reitmaier) ...... 182 den 40er Jahren Jura studierte BVerwG: BGH: und später Richterin am Bundes- Ermittlung der Ablösebeträge für dingliche Anspruch auf Einzelunterbringung während gerichtshof wurde. Rechte (Leits.) ...... 192 der Ruhezeit (Leits.) ...... 183 OLG Brandenburg: Die Biografien spiegeln wieder, OLG Brandenburg: wie die ersten Studentinnen Keine Verjährungsunterbrechung durch Vertragsstrafeklauseln in Treuhandverträgen erneute Versendung des Anhörungsbogens (Leits.) ...... 192 zwischen 1900 und 1911 an den bei Betroffenenwechsel (Leits.) ...... 183 juristischen Fakultäten zugelas- sen wurden, wie 1922 Frauen OLG Brandenburg: Zustellung eines Bußgeldbescheids Leits.) ...... 184 auch die klassischen Rechtsbe- rufe ergreifen durften, wie 1933 Kammergericht: viele Juristinnen ihre Arbeit ver- Handyverbot auch im offenen Strafvollzug NJ aktuell ...... III (Leits.) ...... 184 loren, verfolgt und ermordet Buchumschau ...... VI wurden oder rechtzeitig emi- Kammergericht: grierten, wie Juristinnen bis 1945 Vergütung eines Pflichtverteidigers (Leits.)...... 184 Veranstaltungstermine ...... VII aus der Öffentlichkeit ver- schwanden und welch einen großen Anteil sie am Wiederauf- bau der deutschen Justiz nach dem Zweiten Weltkrieg hatten.

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II NJ aktuell Heft 4/2006

BVerfG: Zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung Europäische Gerichte Die Verfassungsbeschwerde einer Richterin, die sich gegen die Anord- nung der Durchsuchung ihrer Wohnung wegen des Verdachts der EuGH: Mangelnde deutsche Umsetzung der Antidiskriminierungs- Verletzung von Dienstgeheimnissen gewandt hatte, war erfolgreich. Richtlinie Im Rahmen der Durchsuchung war u.a. auf die im Computer der Der EuGH hat mit Urt. v. 23.2.2006 (Rs. C-43/05) festgestellt, dass Beschwerdef. gespeicherten Daten sowie auf die Einzelverbindungs- Deutschland die RL 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen nachweise ihres Mobilfunktelefons Zugriff genommen worden. Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäfti- Das BVerfG hob mit Urt. v. 2.3.2006 (2 BvR 2099/04) einstimmig die gung und Beruf nicht fristgerecht umgesetzt hat. Deutschland habe angegriffenen Beschlüsse des LG auf. Zwar sei nicht das Fernmelde- seine Verpflichtungen aus der RL verletzt, indem es bis zum 2.12.2003 geheimnis verletzt, da nach Abschluss des Übertragungsvorgangs im nicht alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen habe, die not- Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherte wendig gewesen wären, um dieser RL in Bezug auf die Diskriminierung Verbindungsdaten nicht vom Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung umfasst würden. Die Daten seien jedoch durch das Recht auf infor- sowie der sexuellen Ausrichtung nachzukommen. mationelle Selbstbestimmung und ggf. durch das Recht auf Unverletz- (aus: EU-Informationen des DAV, Büro Brüssel, Nr. 8/06 v. 24.2.2006) lichkeit der Wohnung geschützt. Im vorliegenden Fall sei die Zur deutschen Gesetzesinitiative für ein AntidiskriminierungsG siehe die Beschwerdef. in ihren Grundrechten verletzt, da die Durchsuchungs- Inform. in NJ 2006, 115. anordnung des LG dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hin- reichend Rechnung trage. EuGH: Auslandsverluste von Wohneigentum (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 13/06 v. 2.3.2006) Ein deutsches Ehepaar macht mit seiner Klage bei der Berechnung der BVerfG: Rückkaufswert einer Lebensversicherung bei vorzeitiger Kündigung Einkommensteuer Verluste aus einem Haus in Frankreich geltend. Auf den Vorlagebeschluss des BFH hat der EuGH mit Urt. v. 21.2.2006 Die Verfassungsbeschwerde eines Versicherungsnehmers, der 1992 (Rs. C-152/03) entschieden, dass die deutsche Regelung, nach der seine kapitalbildende Lebensversicherung vorzeitig gekündigt hatte, die Berücksichtigung »negativer Einkünfte« aus dem Ausland bei der war jedenfalls im Kern erfolgreich. Dieser hatte sich gegen die im Wege Festsetzung des Einkommensteuersatzes ausgeschlossen ist, dem der »Zillmerung« erfolgte Berechnung des Rückkaufswerts seiner Gemeinschaftsrecht zuwiderläuft. Lebensversicherung gewandt. Dabei werden dem Versicherungs- (aus: Pressemitteilung des EuGH Nr. 17/06 v. 21.2.2006) nehmer die Abschlusskosten nicht gesondert in Rechnung gestellt, sondern mit der insgesamt zu zahlenden Prämie verrechnet. Die Prämienhöhe wird so berechnet, dass sie über die Gesamtlaufzeit des Vertrags gleich bleibt und Prämienzahlungen zunächst dazu verwendet werden, die Abschlusskosten zu decken. Bei Vertragsschluss war die genaue Berechnung der Zillmerung in dem den Versicherungs- Bundesgerichte nehmern nicht bekannten von der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan des Versicherungsunternehmens dargestellt worden. BVerfG: Abschussermächtigung im LuftsicherheitsG nichtig Für nach dem 28.7.1994 abgeschlossene Lebensversicherungsverträge gilt eine veränderte Rechtslage. Allerdings hat die Neuregelung im Jahr Mit Urt. v. 15.2.2006 (1 BvR 357/05) entschied das BVerfG, dass § 14 1994 die Anwendbarkeit der vorliegend angegriffenen Berechnung des Abs. 3 LuftsicherheitsG (LuftSiG), der die Streitkräfte ermächtigt, Rückkaufswerts nach der Zillmer-Methode nicht beseitigt. Luftfahrzeuge, die als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen einge- Die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat mit Beschl. v. setzt werden sollen, abzuschießen, mit dem GG unvereinbar und 15.2.2006 (1 BvR 1317/96) festgestellt, dass der verfassungsrechtliche nichtig ist. Schutzauftrag Vorkehrungen dafür erfordere, dass die Versicherungs- Für die Regelung fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des nehmer einer kapitalbildenden Lebensversicherung erkennen können, Bundes. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 u. Abs. 3 Satz 1 GG, der den Einsatz der in welcher Höhe Abschlusskosten mit der Prämie verrechnet werden Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen oder beson- dürfen, und dass sie bei einer vorzeitigen Beendigung des Lebensver- ders schweren Unglücksfällen regelt, erlaube dem Bund nicht einen sicherungsverhältnisses eine Rückvergütung erhalten, deren Wert Einsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen. Darüber auch unter Berücksichtigung in Rechnung gestellter Abschlusskosten hinaus sei § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem Grundrecht auf Leben und mit in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt der Menschenwürdegarantie des GG nicht vereinbar, soweit von dem gezahlten Versicherungsprämien steht. Gleichwohl wurde die Ver- Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luft- fassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da ihr fahrzeugs betroffen werden. Diese würden dadurch, dass der Staat ihre aufgrund der vorangegangenen Urteile des Ersten Senats des BVerfG Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt, als bloße Objekte v. 26.7.2005 (siehe Pressemitt. in NJ 9/05, III) und der BGH-Urteile behandelt; ihnen werde dadurch der Wert abgesprochen, der dem v. 12.10.2005 zur Verrechnung der Abschlusskosten bei vorzeitiger Menschen um seiner selbst willen zukommt. Vertragsauflösung für die aktuell geltende Rechtslage (siehe Pressemitt. Damit war die Verfassungsbeschwerde von vier Rechtsanwälten, in NJ 11/05, III f.) keine grundsätzliche Bedeutung mehr zukomme. einem Patentanwalt und einem Flugkapitän, die sich unmittelbar (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 16/06 v. 7.3.2006) gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG gewandt hatten, erfolgreich. Zur beabsichtigten Neuregelung des Versicherungsvertragsrechts siehe die (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 11/06 v. 15.2.2006) Inform. auf S. 164, in diesem Heft.

Neue Justiz 4/2006 III BVerfG: Unentgeltliche Rechtsberatung durch berufserfahrenen Juristen Des Weiteren hat der BGH entschieden, dass der Mieter preisfreien Die Verfassungsbeschwerde eines pensionierten Richters, der schon Wohnraums grundsätzlich keinen Anspruch gegen den Vermieter auf seit langem um die Anerkennung der »altruistischen Rechtsberatung« Überlassung von Fotokopien der Abrechnungsbelege zur Betriebs- kämpft, gegen seine Nichtzulassung als Wahlverteidiger in einem kostenabrechnung hat. Einen solchen Anspruch des Mieters sieht das Strafverfahren war erfolgreich. LG und OLG hatten die Zulassung als Gesetz für den Bereich des preisfreien Wohnraums nicht vor. Auch ein Verteidiger versagt, weil der Beschwerdef., der bereits zweimal wegen Anspruch des Mieters nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unerlaubter geschäftsmäßiger Besorgung fremder Rechtsangelegen- (§ 242 BGB) auf Übersendung von Fotokopien war im vorliegenden heiten verurteilt worden war, die nach Art. 1 § 1 RBerG erforderliche Fall nicht gegeben. Der Vermieter kann ein berechtigtes Interesse Erlaubnis nicht besitze. daran haben, den Mieter auf die Einsichtnahme in die Rechnungs- Das BVerfG hob mit Beschl. v. 16.2.2006 (2 BvR 951/04 u. 1087/04) belege zu verweisen, um einen zusätzlichen Aufwand zu vermeiden und dem Mieter mögliche Unklarheiten im Gespräch sofort zu die angegriffene Entscheidung des OLG auf. Die Nichtzulassung des erläutern. Hierdurch kann Fehlverständnissen der Abrechnung und Beschwerdef. als Wahlverteidiger im Strafverfahren stelle einen nicht zeitlichen Verzögerungen durch ein Verlangen des Mieters nach gerechtfertigten Eingriff in seine allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Übersendung weiterer Kopien von Rechnungsbelegen vorgebeugt Abs. 1 GG) dar. Die Sache wurde zur neuen Entscheidung an das OLG werden. Dieses Interesse des Vermieters würde nicht hinreichend zurückverwiesen. berücksichtigt, wenn er dem Mieter stets – auch gegen Kostenerstat- Bereits mit Beschl. v. 29.7.2004 (vgl. Pressemitt. in NJ 9/04, III) hatte das tung – auf dessen Anforderung hin Belegkopien zu überlassen hätte. BVerfG das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung durch einen Ein Anspruch des Mieters auf Übermittlung von Fotokopien kommt Volljuristen in Frage gestellt. Der Begriff der Geschäftsmäßigkeit in allerdings ausnahmsweise dann in Betracht, wenn ihm die Einsicht- Art. 1 § 1 RBerG könne unter Abwägung der Schutzzwecke des RBerG nahme in die Abrechnungsunterlagen in den Räumen des Vermieters einerseits und des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nicht zugemutet werden kann. So lag der Fall hier jedoch nicht. andererseits eine Auslegung erfordern, die die unentgeltliche Rechts- (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 34/06 v. 8.3.2006) besorgung durch einen berufserfahrenen Juristen nicht erfasst. Nach den Grundsätzen dieser Entscheidung kann Art. 1 § 1 RBerG auf die BGH: Unwirksamer Kündigungsverzicht im Staffelmietvertrag vom Beschwerdef. ausgeübte unentgeltliche Rechtsberatung keine Anwendung finden, wenn bei der Auslegung des Begriffs »Geschäfts- Mit Urt. v. 25.1.2006 (VIII ZR 3/05) hat der BGH entschieden: Über- mäßigkeit« die grundrechtlich garantierte Handlungsfähigkeit des steigt die Dauer des in einem Staffelmietvertrag formularmäßig ver- Beschwerdef. hinreichende Beachtung findet. einbarten Kündigungsverzichts den in § 557a Abs. 3 BGB genannten Zeitraum von vier Jahren, so ist die Klausel wegen unangemessener (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 17/06 v. 9.3.2006) Benachteiligung des Mieters insgesamt unwirksam (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die zur Vorgängerbestimmung (§ 10 Abs. 2 Satz 6 MHG) ent- BGH: Abrechnung von Betriebskosten im Wohnraummietrecht wickelte Rspr., nach der ein solcher Kündigungsverzicht nur insoweit Der Bekl. ist Mieter einer nicht preisgebundenen Wohnung der Kl. in unwirksam ist, als er den Zeitraum von vier Jahren übersteigt, lässt sich Berlin. Mit ihrer Klage hat die Kl. u.a. Zahlung rückständiger Mieten auf § 557a BGB nicht übertragen. sowie Nachforderungen aus Betriebskostenabrechnungen verlangt. Die Parteien hatten im Jahr 2002 einen formularmäßigen Staffelmiet- Der Bekl. beanstandete, dass die Kl. die im selben Gebäude befindlichen vertrag unterschrieben, in dem unter § 27 (»Sonstige Vereinbarungen«) Gewerbeflächen und die darauf entfallenden Kosten in den Betriebs- die Kündigung auf die Dauer von fünf Jahren ausgeschlossen wurde. kostenabrechnungen nicht vorweg abgezogen und ihm darüber hinaus Die Mieter (Bekl.) kündigten das Mietverhältnis zum 31.1.2003. trotz eines entsprechenden Verlangens keine Fotokopien zu den ein- Obwohl die Vermieterin die Kündigung zurückwies, zogen die Bekl. zelnen Abrechnungsbelegen überlassen habe. Im Übrigen hat der Bekl. aus und übergaben die Wohnung Anf. Febr. 2003. Ab 15.6.2003 wurde wegen der von ihm beanstandeten Abrechnungsweise die Aufrechnung die Wohnung weitervermietet. Die Klage der Kl. auf entgangene Miete erklärt und Widerklage erhoben. Das BerufungsG hat der Klage im und Nebenkostenvorauszahlungen blieb in den Vorinstanzen erfolg- Wesentlichen stattgegeben und die Widerklage insgesamt abgewiesen. los. Der BGH wies die vom LG zugelassene Revision zurück. Der BGH hat mit Urt. v. 8.3.2006 (VIII ZR 78/05) die Revision des Bekl. Der Kündigungsausschluss in § 27 des Mietvertrags ist insgesamt zurückgewiesen. Bei der Abrechnung des Vermieters von preisfreiem unwirksam, da die Dauer des formularmäßigen Kündigungsverzichts Wohnraum über Betriebskosten – soweit die Parteien nichts anderes von fünf Jahren den Mieter unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 vereinbart haben – ist ein Vorwegabzug der Kosten, die auf die in Satz 1 BGB). Zwar hat der Senat wiederholt entschieden, dass auch ein einem gemischt genutzten Gebäude befindlichen Gewerbeflächen beiderseitiger, zeitlich begrenzter Kündigungsausschluss in einem entfallen, jedenfalls dann nicht geboten, wenn sie bzgl. aller oder ein- Formularmietvertrag über Wohnraum grundsätzlich zulässig ist (Urt. zelner Betriebskostenarten nicht zu einer ins Gewicht fallenden Mehr- v. 30.6.2004, NJW 2004, 3117). Ein formularmäßiger Kündigungsaus- belastung der Wohnraummieter führen. Der Vorwegabzug ist nur für schluss ist jedoch wegen unangemessener Benachteiligung des Mieters bestimmte Mietverhältnisse im öffentlich geförderten Wohnungsbau i.d.R. unwirksam, wenn seine Dauer mehr als vier Jahre beträgt (Senat, gesetzlich vorgeschrieben (§ 20 Abs. 2 Satz 2 der NeubaumietenVO). Urt. v. 6.4.2005, NJW 2005, 1574). Diese Grundsätze gelten auch, wenn Er soll verhindern, dass die Wohnungsmieter mit Kosten belastet – wie hier – der Kündigungsverzicht in AGB eines Staffelmietvertrags werden, die allein oder in höherem Maße aufgrund einer gewerblichen vereinbart ist (Senat, Urt. v. 23.11.2005 – VIII ZR 154/04). Nach § 557a Nutzung in gemischt genutzten Objekten entstehen. Abs. 3 Satz 1 BGB kann bei einem derartigen Vertrag das Kündigungs- Dem Wohnungsmieter entsteht kein Nachteil, wenn er durch die recht des Mieters für höchstens vier Jahre seit Abschluss der Staffel- Umlage der auf das Gebäude entfallenden Gesamtkosten nach einem mietvereinbarung ausgeschlossen werden. einheitlich für alle Mieter geltenden Maßstab nicht schlechter gestellt Soweit der Senat einen formularmäßigen Ausschluss des Kündigungs- wird als im Falle einer Voraufteilung zwischen Wohn- und Gewerbe- rechts von mehr als vier Jahren in einem Staffelmietvertrag nach § 10 flächen. Nach diesen Grundsätzen waren die Betriebskostenabrech- Abs. 2 Satz 6 MHG lediglich als teilunwirksam angesehen hat (Urt. nungen der Kl. ordnungsgemäß. Das BerufungsG hatte angenommen, v. 29.6.2005, WuM 2005, 519), beruhte dies auf einem abweichenden die in dem Gebäude befindlichen fünf Gewerbebetriebe (darunter ein Inhalt der Vorschrift, der Ausdruck eines entsprechenden gesetzge- Job-Center und ein Internet-Café) hätten keine erhebliche Mehr- berischen Willens gewesen ist. belastung hinsichtlich der einzelnen Betriebskostenarten verursacht. (aus: Urteil des BGH v. 25.1.2006 – VIII ZR 3/05) Fortsetzung auf Seite V IV Neue Justiz 4/2006 Neue Justiz 06 Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung 4 in den Neuen Ländern 60. Jahrgang • Seiten 145-192

Herausgeber: Prof. Dr. Marianne Andrae, Universität Potsdam • Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard, Institut für Anwaltsrecht der Universität Leipzig • Dr. Michael Burmann, Präsident der Rechtsanwaltskammer Thüringen • Dr. Bernhard Dombek, Rechtsanwalt und Notar, Berlin, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer • Dr. Frank Engelmann, Präsident der Rechtsanwaltskammer Brandenburg • Dr. Margarete von Galen, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Berlin • Lothar Haferkorn, Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt • Georg Herbert, Richter am Bundes- verwaltungsgericht • Dr. Gerhard Hückstädt, Präsident des Landesverfassungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und Präsident des LG Rostock • Dr. Günter Kröber, Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen • Prof. Dr. Martin Posch, Rechtsanwalt, Jena • Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg, Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg • Dr. Axel Schöwe, Präsident der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern • Karin Schubert, Bürgermeisterin und Senatorin für Justiz des Landes Berlin • Prof. Dr. Horst Sendler†, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts a.D., Berlin • Manfred Walther, Rechtsanwalt, Berlin • Dr. Friedrich Wolff, Rechtsanwalt, Berlin Chefredakteurin: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt Redaktionsanschrift: Französische Str. 13 • 10117 Berlin • Tel.: (030) 22 32 84-0 • Fax: (030) 22 32 84 33 • E-Mail: [email protected] • http://www.nomos.de

60 Jahre »Neue Justiz« Rechtsanwalt Prof. Dr. Martin Posch, Jena*

Im Januar 1947 erschien das erste Heft der Zeitschrift »Neue Justiz«; lismus prägende Herrschaft des Privateigentums über die Volks- im Jahr 2006 verzeichnet sie ihren 60. Jahrgang. Die NJ prägte und wirtschaft abgelöst werden. spiegelte seit Beginn ihres Erscheinens die Entwicklung des Justizwesens Noch stärker, wenn auch nicht unumstritten im öffentlichen im Osten Nachkriegsdeutschlands, zunächst in der SBZ, dann in der Rechtsbewusstsein, wirkten die Änderungen der Rechtsverhält- DDR, schließlich in den ostdeutschen Bundesländern. Der Autor, seit nisse durch die Enteignungen im Rahmen der Bodenreform vor fast drei Jahrzehnten eng mit der Zeitschrift verbunden, skizziert nach- allem zugunsten vertriebener Bauern und Landarbeiter, die folgend die ihrer Gründung zugrunde liegende Programmatik, ihre früh- zugleich an alte, vor allem auf den ostelbischen Großgrundbesitz zeitige Einbindung in die Politik der SED und schließlich den mit der bezogene Forderungen anknüpften. Wiedervereinigung Deutschlands erfolgten Neubeginn. Am Beginn ihres Erscheinens zeichnete (1860- 1954), der ehem. Justizminister, Vizekanzler und »berühmte 4 »Neue Justiz« – ein Programm voller Hoffnung Justizreformer der Weimarer Zeit«, als Chef der mit dem Neuauf- bau der Justiz betrauten »Deutschen Justizverwaltung« in der SBZ Die NJ war bei ihrer Gründung eingebunden in das Ziel, auf der (und Mitbegründer der Liberaldemokratischen Partei) verant- Grundlage des Potsdamer Abkommens der Siegermächte die Gesellschaft wieder zu demokratisieren, die Kriegs- und Naziver- * Der Verf. war seit Gründung des Redaktionskollegiums der NJ (1977) dessen Mitglied und gehört seit der Ersetzung durch das Herausgeberkollegium brecher zu entmachten und den faschistischen Ungeist auszu- (1990) diesem an. Er lehrte seit 1951 bis zu seiner Emeritierung im Jahre merzen. Sie unterstützte, auch innenpolitisch legitimiert durch 1986 Zivilrecht, u.a. auch Internationales Privatrecht an der Friedrich- die damalige öffentliche Meinung,1 die besatzungsrechtlichen Schiller-Universität Jena. 1 So erzielte ein Volksentscheid in Sachsen v. 30.6.1946 die Bevölkerungs- und innerstaatlichen Rechtsakte zur Überführung der Boden- mehrheit (77,7% Ja-Stimmen); ähnlich übrigens im gleichen Jahr auch die schätze und der mit Faschismus und Aggressionskrieg verketteten Bevölkerungsmehrheit in Hessen, dort aber ignorierte die Besatzungsmacht das Ergebnis. Konzerne in die Hände des Volkes. 2 Dem Verf. als aus Kriegsgefangenschaft zurückgekehrtem linken Studen- Die anfangs rasch zunehmende Attraktivität der Zeitschrift2 ten empfahl sie sich als markante antifaschistische Erscheinung im Orientierung suchenden rechtspolitischen Stimmengewirr der Nach- erwuchs aus der Erläuterung einer Rechtspolitik,3 die eine konse- kriegszeit. quente Abkehr von der menschenfeindlichen faschistischen Ver- 3 Siehe z.B. den Vergleich der Justizpolitik in der SBZ und der US-Besat- zungszone durch W. Abendroth, NJ 1947, 112 ff., und die Erläuterungen gangenheit und die Zukunftsvision einer demokratischen Gesell- des Mitautors des Textes der Thüringer Landesverfassung, Karl Schultes, aus schaft in einem ihr dienenden Staat verkörperte. Dabei sollte Thüringer Sicht, NJ 1948, 1 ff. 4 So der damalige Präsident des BVerwG, Horst Sendler, in seinem Editorial – und das deckte sich mit den Absichten der Besatzungsmacht – für die Herausgeber der NJ von 1991 (S. 137); siehe auch die Würdigung in zwar keineswegs das Privateigentum, wohl aber die den Kapita- NJ 1948, 141 f.; 1950, 33.

Neue Justiz 4/2006 145 Aufsätze Posch, 60 Jahre »Neue Justiz«

wortlich für die Herausgabe der NJ5 und gab den von ihr zu tischem Juristenrecht aus der Position, die bereits Bebel geübt gehenden Weg vor.6 hatte und für die Schiffers umfassende Reformvorschläge standen. Als Reaktion vor allem der mit dem Neuaufbau des Verwal- In seinem Editorial von 1947 hatte Schiffer die »dreifache Ent- tungs- und Justizwesens betrauten Opfer des Faschismus auf die fremdung des deutschen Rechts«12 beklagt: die »Volksfremdheit gnadenlose faschistische Terrorjustiz und unter nachhaltiger des Rechts – Rechtsfremdheit des Volkes – Weltfremdheit der Wirkung und Wertung der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse Richter«;13 es genüge auch nicht, den grausam zerstörten Rechts- bildete sich im Osten Deutschlands eine massive Tendenz, unter staat wiederherzustellen, vielmehr komme es darauf an, »einen Anlehnung an die sowjetische Strafrechtspraxis über die Gefolgs- neuen, und zwar einen demokratischen Rechtsstaat zu schaffen«. leute der Täter Gericht zu halten. All dies bestimmte weitgehend Auch wenn die Erinnerung an die Person Schiffers und sein auch die sich in der Zeitschrift reflektierende besondere Härte der Wirken schon bald verblasste, blieb sein Einfluss in den Folge- Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. jahren auf wesentliche Bereiche der Rechtsentwicklung richtungs- Die NJ begleitete und unterstützte den tief greifenden perso- weisend. Das galt zunächst für die grundlegende Justizreform, die nellen Umbruch der Entfernung faschistisch belasteter Beamter noch unter seiner maßgebenden Verantwortung begann; so vor und Juristen aus Macht- und Entscheidungspositionen, besonders allem die Einführung der von ihm schon in der Weimarer Zeit aus dem Justizwesen. Hierbei wurden insbesondere die belasteten geforderten dreigliedrigen Gerichtsstruktur 14 mit dem neuen Richter und Staatsanwälte7 durch zurückgekehrte politisch oder Gerichtsverfassungsgesetz (1952) und den damit notwendig rassisch verfolgte Emigranten sowie durch Anwälte ersetzt, weiter- werdenden normativen Änderungen des Verfahrensrechts. hin durch politisch unbelastet erscheinende sowie in sowjeti- Diese Reform war gekennzeichnet durch ihren vereinfachten schen Kriegsgefangenenlagern politisch umerzogene Persönlich- und Zeit sparenden Instanzenzug mit oberstem Gericht als bloßer keiten, die ihre Bereitschaft bekundet hatten, Verantwortung für Revisionsinstanz, Untergerichten als einheitlichen Zugangs- den Aufbau Deutschlands in antifaschistischem Sinne zu tragen. gerichten mit Einschränkung der Rechtsmittel und Kostenredu- Als besondere Aufgabe ergab sich dabei für die Zeitschrift, die zierung (später auch kostenloser Rechtsberatung für Bürger), aufgrund der Situation gebotene kurzfristige, normativ geregelte durch den Ausbau des Laienelements im Gerichtswesen und die Ausbildung geeigneter Persönlichkeiten für den Richterberuf im generelle Entlastung der Justiz (später auch von Bagatellstreitig- Einklang mit Reformvorschlägen und mit Zustimmung von Eugen keiten). Sie bildete mit ihrer Folgegesetzgebung die für die Justiz Schiffer 8 als »Volksrichter«9 zu unterstützen und neben deren einschneidenden Neuerungen, die von der NJ durch ihre Bericht- systematischer Aus- und Weiterbildung durch »Richterkurse«10 erstattung und Kommentierung ständig unterstützt wurden. Die mittels weiterer geeigneter Informationsvermittlung bei ihrer Reformen bestimmten zudem den das Justizwesen ordnenden beruflichen Weiterbildung mitzuwirken. Inhalt der an das Weimarer Vorbild erinnernden ersten Verfas- sung der DDR.15 Schiffer, dessen Reformvorschläge bereits in der Weimarer Zeit heftig umstritten waren und der schon aus rassischen Gründen Schiffers Einfluss prägte auch die bereits Anfang der 1950er- in der Nazi-Zeit verfemt war, geriet auch im neuen Amt in Mei- Jahre beginnenden Vorarbeiten für ein künftiges deutsches Zivil- nungsverschiedenheiten mit der ihn dennoch stets respektierenden gesetzbuch und für ein neues Zivilprozessrecht, denen die NJ Besatzungsmacht und war auch ideologischer Kritik ausgesetzt.11 besondere Aufmerksamkeit widmete. Die Richtung dieser Arbei- ten bis zu ihrem Abschluss deckte sich mit seiner vehementen Das Besatzungsrecht, das die erste Rechtsgrundlage der erwähn- Kritik der Begriffsjurisprudenz, insbesondere des BGB, und seiner ten Enteignungen und Ablösung der belasteten Beamten- und Forderung nach Überwindung der damit zwangsläufig verbun- Richterschaft sowie grundlegender Strukturen des sich neu heraus- denen Volksfremdheit von Recht und Justiz. bildenden Staatswesens darstellte, war in der NJ – wie in der gesamten Presse der SBZ und danach der DDR – niemals Gegen- Diese Kritik wurde von seinem aus der SPD hervorgegangenen stand der Diskussion oder gar der Kritik. Dasselbe galt für die nach Nachfolger (zugleich Stellv. Vorsitzenden der SED) und ersten dem Vorbild der Besatzungsmacht alle Politik in Staat und Gesell- Justizminister der DDR, Max Fechner (1892-1973), der seit 1949 als schaft beherrschende Partei. Wie die Presse insgesamt, so kon- trollierte sie auch die Arbeit der NJ. 5 Ab Gründung der DDR (1949) erfolgte die Herausgabe der NJ durch das Die SED wirkte von Anfang an darauf hin, dass ihr vorgeblich Ministerium der Justiz, seit 1961 traten das Oberste Gericht und der Gene- ralstaatsanwalt hinzu, die in der Folgezeit als institutionelle Herausgeber im Interesse der deutschen Arbeiterklasse historisch legitimierter wechselten. Bis 1977 zeichnete ein aus Juristen bestehendes Redaktions- permanenter Führungsanspruch auch als Axiom für die Rechts- kollegium verantwortlich, dem 1991 dann ein Herausgeberkollegium von deutschen Juristinnen und Juristen folgte. ordnung nicht in Frage gestellt wurde. Erst allmählich wurde dabei 6 Siehe Editorial in NJ 1947, 1. Schiffers vorwärts drängende publizistische die Tragweite ihrer verhängnisvollen Unterordnung unter das Aktivität äußerte sich allerdings vorwiegend in der Tagespresse seiner Partei Diktat der sowjetischen Parteiführung erkennbar, von der sie (»Der Morgen«). 7 Schiffer hatte besonders darauf gedrängt, dass auch alle nur nominell selbst kontrolliert wurde und der sie rechenschaftspflichtig war. belasteten Richter und Staatsanwälte aus ihren Ämtern entfernt wurden; vgl. J. Ramm, Eugen Schiffer und die Reform der deutschen Justiz, 1987, S. 180. 8 Siehe J. Ramm, ebenda. Ausrichtung nach sowjetischem »Vorbild« 9 Schiffer wertete sie als »zweiten gleichwertigen Typus des Berufsrichters«, unterschieden »im wesentlichen nur durch Vor- und Weiterbildung«, siehe Schiffer, Die deutsche Justiz, 2. Aufl., München 1949, S. 229 u. 284 ff., sowie Die Partei forderte uneingeschränkte Bekenntnisse zum sowje- J. Ramm (Fn 7), S. 136. tischen Recht als (angeblichem) Vorbild für alle anstehenden 10 Schiffer, ebenda, S. 289 ff.; vgl. auch O. Hartwig, »Die Ausbildung der Volks- Reformen. Nichtsdestoweniger blieb – im Gegensatz zum öffent- richter«, NJ 1947, 157 ff. 11 So z.B. durch den damals einflussreichen Völkerrechtler Peter Alfons lichen Recht – trotz aller verbalen Würdigung dessen Einfluss auf Steiniger, NJ 1949, 251 ff. das Privatrecht (der als mehrdeutig verstandene Begriff galt damals 12 Siehe NJ 1947, 1. Ausführlich schon Schiffer in der 1. Aufl. seines Werks »Die deutsche Justiz«, Berlin 1928, S. 61 ff. als ein Tabu) wie seine Weiterentwicklung gering. Der Grund 13 Ähnlich in der völlig umgearbeiteten 2. Aufl. (Fn 9), S. 29 ff. dafür war nicht nur die Weitergeltung von BGB, HGB und ZPO 14 Schiffer, Die deutsche Justiz, 1. Aufl. (Fn 12), S. 251 ff., 343 ff., 355, ähn- lich in der 2. Aufl. (Fn 9), S. 126, 186 u. 220 ff. bis in die Mitte der 1970er-Jahre, sondern vor allem die gleichzei- 15 Schiffer war auch Vorsitzender des damaligen Verfassungsausschusses der tige prinzipielle deutsche Kritik an diesen Kodifikationen als kasuis- Provisorischen Volkskammer der DDR.

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solcher zunächst für die Herausgabe der NJ verantwortlich war,16 Nathan kommt das große Verdienst zu, Justizpolitik zwar unter ausdrücklich übernommen.17 ehrlicher Berufung auf die Partei, der er sich wie so viele wegen In die gleiche Richtung zielten vielfältige weitere Bemühungen, ihrer antifaschistischen Konsequenz verbunden fühlte, aber mit vor allem ehem. Emigranten, an demokratische und liberale Tra- ganzem Herzen in demokratischer Gesinnung und im Geiste des ditionen, Staats- und Rechtsvorstellungen des vorfaschistischen die Reform einleitenden Eugen Schiffer gestaltet zu haben, unter Deutschlands anzuknüpfen. Sie erwiesen sich letztlich als im dessen Leitung seine legislatorische Tätigkeit nach seiner Rück- Rechtsdenken nachwirkender Widerstand auch gegen einige kehr vom englischen Exil begonnen hatte. substanzarme Werbungsversuche sowjetischer Rechtslehrer als Emissäre,18 sich dem dafür wenig eignenden sowjetischen Rechts- Die DDR-Gesetzgebung im Spiegel der Zeitschrift system anzunähern. Dennoch konnten diese Bemühungen verschiedenartige unheil- Nahezu unbeeinflusst von sowjetischen Mustern verlief die von volle Einwirkungen sowjetischer Rechtsentwicklung nicht verhin- der NJ begleitete und intensiv unterstützte Entwicklung des Zivil- dern. Das gilt besonders für das Strafrecht, das nach sowjetischer, rechts. Die Praxis war und blieb bis 1975 durch die Fortgeltung vor allem von A. J. Wyschinski als »Vertreter sozialistischer Gesetz- des BGB geprägt, allerdings erheblich modifiziert 30 durch den lichkeit«19 vertretener Lehre als »Instrument« des politisch und staat- zunächst besatzungsrechtlich, dann verfassungsrechtlich veran- lich verordneten »Klassenkampfes« gnadenlos missbraucht wurde. kerten privilegierten Schutz des Volkseigentums. Als »wohl dunkelstes Kapitel der DDR-Rechtsgeschichte«20 Die in der NJ und der sonstigen juristischen Literatur gleich- bleibt hierbei die Inszenierung der berüchtigten »Waldheimer zeitig mit den bereits Anfang der 1950er-Jahre unter reger Mitwir- Prozesse« im schrecklichen Gedächtnis. Es überlagerte die Bedeu- kung von Hans Nathan und Heinz Such beginnenden Vorarbeiten tung der zumeist zeitgemäßen und praxisnahen Berichterstat- zum ZGB 31 geführte zivilrechtliche Diskussion war vorwiegend tung über die alltägliche Judikatur der Strafgerichte. Dennoch auf die Gestaltung einer neuen deutschen – zunächst als gesamt- durfte die Zeitschrift über Wertung und praktische Handhabung deutsches Vorhaben gedachte – Kodifikation des Zivilrechts des politischen Strafrechts 21 und seiner Härte 22 nur restriktiv in gerichtet. Deren Regelungen mit den sich daraus ergebenden vorgegebener Diktion berichten. Nach der Wende hat sich die NJ Rechten und Pflichten sollten im Gegensatz zum BGB dem Bürger der Thematik dann wiederholt gewidmet.23 als primärem Adressaten verständlich sein und ihm die Wahrung All das wurde damals von der dürftig informierten24 kritischen seiner Rechte erleichtern. Öffentlichkeit eher widerwillig als abschreckende Übertreibung Zwar wurde in politisch offiziell abzusegnenden Konzeptionen, der Reaktion auf den Faschismus hingenommen, zunächst noch Arbeitsrichtlinien und Gliederungsschemata regelmäßig der seltener als genuiner Auswuchs des Stalinismus verstanden. Anschein der Annäherung an die sowjetische bzw. russische Die Führung der SED achtete nicht nur darauf, dass faschisti- Gesetzgebung und Lehre erweckt und gepflegt, doch fanden diese sche Staats- und Rechtsvorstellungen radikal ausgerottet wurden, – abgesehen von der ohnehin gebotenen Sonderstellung des sondern drängte im Gegensatz zur Situation in anderen europä- ˇ ischen Volksdemokratien, insbesondere in Ungarn, der CSSR und 16 Fechner war nach den Massenstreiks am 17. Juni 1953 aller Funktionen ent- in Bulgarien, auch zunehmend darauf, dass in der Lehre wie in hoben worden, nachdem er unter Berufung auf die geltende Verfassung das allen Publikationen »bürgerliche« Rechtsgrundsätze und Lehr- Streikrecht in den volkseigenen Betrieben bejaht hatte; daraufhin wurde sein Name selbst in den beiden Auflagen des in der DDR erschienenen meinungen ausdrücklich »bekämpft« oder zumindest ignoriert »Meyers Neues Lexikon« nicht mehr erwähnt. Zu Fechner siehe R. Beckert, wurden.25 Das fügte sich völlig in die beiderseits generell geübte NJ 2003, 454 ff. 17 M. Fechner, »Volk und Justiz«, in: ders. (Hrsg.), Beiträge zur Demokratisie- Sprachregelung des Kalten Krieges ein. rung der Justiz, Berlin 1948, S. 9 ff., 17. Darüber hinaus galt das Verdikt auch für Meinungen, die nach 18 Z.B. Tarchow für das Zivilrecht, Kerimow für das Staatsrecht. 19 Siehe K. Polak, »Über A. J. Wyschinskis Lehren und seine Praxis«, NJ 1955, Ansicht der Partei als revisionistisch anzusehen waren. Dies 65 ff. behinderte die wissenschaftliche Diskussion erheblich, die zwar 20 So die Chefredakteurin, Adelhaid Brandt, anlässlich einer von der NJ- Redaktion in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Deutschlandfor- intern zu differenzieren suchte,26 was aber in Publikationen – und schung im Okt. 1991 veranstalteten Podiumsdiskussion, siehe K. Dukes, somit auch in der NJ – keinen adäquaten Niederschlag finden »Die ›Waldheimer Prozesse‹ und die Herausbildung stalinistischer Struktu- ren in der DDR«, NJ 1991, 549 f. konnte. 21 Siehe dazu u.a. U. Ewald, »Geschichte und Struktur des politischen Straf- Die Zeitschrift spiegelte seit 1953 die schrittweise und zaghaft rechts der DDR bis 1968«, NJ 1990, 420 ff.; F. Werkentin, »Gelenkte Recht- sprechung – zur Strafjustiz in den frühen Jahren der DDR«, NJ 1991, 479 ff. mit dem Ende der Stalin-Ära einsetzende Humanisierung des 22 Aufrechte Richter, die sich dem widersetzten, wurden trotz verfassungs- Strafrechts, seiner Praxis und wissenschaftlichen Interpretation mäßig garantierter Unabhängigkeit gemaßregelt oder ihres Amtes entho- ben; siehe z.B. R. Witte (Redakteur der NJ), »›Als Richter politisch nicht und gegen starrsinnige Widerstände auch das ruhmlose Ende der tragbar‹. Ehemalige Richter berichten über ihren Fall«, NJ 1990, 145 ff. strafrechtlichen Klassenkampfdogmatik zugunsten zunehmend 23 Siehe NJ 1991, 209 f., 301 f., 355 ff., 392 ff., 548 ff.; 1994, 409 f. 24 So z.B. der damalige, die Waldheimer Prozesse verharmlosende und international anerkannter Resozialisierungsaufgaben. Auch auf erschreckend rechtfertigende Kurzbericht aus dem Ministerium der Justiz anderen Rechtsgebieten nahm der tatsächliche Einfluss der von H. Heinze, »Kriegsverbrecherprozesse in Waldheim«, NJ 1950, 250. substanzlos, aber weiterhin verbal gepriesenen sowjetischen 25 In diese Richtung beeinflusste besonders Karl Polak die Aufmerksamkeit der Parteiführung, siehe dazu M. Howe, NJ 2005, 539 ff. Rechtsordnung ab. 26 So ließ sich z.B. der bekannte Autor der Zeitschrift und in Leipzig Zivil- und Wirtschaftsrecht lehrende Heinz Such (1910-1976) – neben Nathan der Hierzu trug nicht zuletzt die immense publizistische und wohl namhafteste Rechtswissenschaftler der DDR – anfangs von Vorstel- redaktionelle Arbeit des zeitweiligen Chefredakteurs der NJ, Hans lungen der Interessenjurisprudenz Jherings leiten. Zu Such siehe R. Steding, Nathan, bei,27 der neben seiner Tätigkeit als Hauptabteilungsleiter NJ 2003, 627 ff. 27 Er verfügte über bemerkenswerte journalistische Erfahrung, hatte er doch »Gesetzgebung« des Ministeriums der Justiz und als Hochschul- nach seiner Emigration (1933) an der »Weltbühne« und der politsatirischen lehrer an der Humboldt-Universität zu Berlin entgegen sowjeti- Zeitschrift »Simpel« mitgewirkt. 28 In der NJ erschienen von ihm über 200 Beiträge. schem Brauch wichtige Urteile nicht nur systematisch in der NJ 28 29 Siehe Nachruf in NJ 1971, 599. Zum Leben und Wirken Nathans vgl. auch sowie in Sammlungen usw. veröffentlichen ließ, sondern auch in M. Mollnau, NJ 2000, 626 ff. 30 Zu den dabei auftretenden Rechtsfragen siehe z.B. Nathan, »Sozialistisches Anmerkungen – weitgehend von seiner Hand – mit nachhaltiger Eigentum und guter Glaube«, NJ 1957, 749 ff. Wirkung die Entwicklung der Justizpraxis beeinflusste.29 31 Der Verf. dieses Beitrags war seit Beginn an ihnen beteiligt.

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sozialistischen Eigentums – nur selten32 Beachtung bei der kon- Sie wurden verschärft und zugleich verunsichert durch die – kreten legislatorischen Arbeit. rückschauend einhellig kritisch, dabei aber recht kontrovers Davon abgetrennt wurde der gesamte Bereich des Arbeitsrechts beurteilte 43 – Babelsberger Konferenz von 1958, die das Recht wegen der prinzipiellen Neuordnung der Arbeitsverhältnisse, rigoros der Parteipolitik unterordnete und überdies durch Ulbrichts die dem überkommenen Warencharakter der Arbeitskraft ent- neben persönlichen Maßregelungen dort verkündetes absurdes gegengestellt, daher der marktbestimmten Charakteristik des Verbot des Verwaltungsrechts die wissenschaftliche Diskussion zivilrechtlichen Rechtsgeschäfts und folglich dem sachlichen und Publikationen dazu – auch in der NJ – lähmte. Geltungsbereich des BGB von vornherein entzogen wurden. Sie Aus dem auf rechtstheoretischem Gebiet folgenden eigenen wurden nach vorangehenden einzelnen Regelungen 1961 im Orientierungsverlust erwuchs zunehmend die Suche nach Sicher- 1977 novellierten Arbeitsgesetzbuch zusammengefasst.33 heit unter Berufung auf sowjetische Lehrmeinungen. Unter dem Eine ebenfalls eigenständige Entwicklung nahm das Familien- dadurch aufgewerteten Einfluss eigenartiger sowjetischer Streit- recht schon wegen der verfassungsrechtlich als unmittelbar gel- positionen über die Wesensbestimmung der einzelnen Bereiche tendes Recht statuierten Gleichberechtigung der Frau. Nach des Rechtssystems wurden auch in der NJ Fragen der ideologisch vorbereitenden Normierungen des materiellen und des Verfah- richtigen Bestimmung sowie der Abgrenzung und Systema- rensrechts34 und deren Umsetzung durch die Judikatur35 erfolgte tisierung der Rechtszweige auf Kosten sachgerechter Weiter- daher bereits 1965 eine umfassende Neuregelung des Familien- entwicklung des Rechts zu einem Hauptfeld ideologischer rechts,36 die an die Stelle der familienrechtlichen Bestimmungen Auseinandersetzung und politischer Bekenntnisfragen über ihre des BGB und des Kontrollrats trat. vorwiegend abstrakt behaupteten Funktionen. 44 Die NJ widmete sich eingehend den neuen materiellen Rechts- So wurde nach in der NJ nur sporadisch reflektierten drama- und neuartigen Verfahrensfragen, die vor allem aus dem neuen tischen Diskussionen um die Konzeption des ZGB ab 1963 mit Rollenverständnis der Frau und ihrer beruflichen Entfaltungs- parteipolitischem und staatlichem Nachdruck einer damals auf- chancen erwuchsen, sich aus der entsprechenden Modernisie- kommenden absurden sowjetischen Doktrin gefolgt, das Zivil- rung der ehelichen Vermögensbeziehungen und Einführung des recht habe in seiner Funktion und Abgrenzung dem Wirkungs- Zerrüttungsprinzips bei der Neuordnung des Scheidungsrechts bereich des von Marx definierten Wertgesetzes zu entsprechen, ergaben und die mit der Reformierung der Stellung nichtehelicher woraus sich praktisch u.a. die legislatorische Frage ableitete, ob Kinder verbunden waren. Dieser tief greifende gesellschaftliche das Wirtschaftsvertragsrecht wie nach sowjetischer Lehrmeinung Umbruch wurde in der Zeitschrift von lebhaften, teilweise leiden- dem Zivilrecht zuzuordnen sei. Daraus erwuchs die politische schaftlichen Beiträgen gefördert und begleitet.37 Forderung, diesen Teil des Wirtschaftsrechts in die Regelung des künftigen ZGB aufzunehmen. Zwar hatte neben Hans Nathan u.a. auch die damalige Ministe- rin der Justiz noch erheblichen Einfluss auf die Diese Forderung drohte jedoch die Gefahr heraufzubeschwö- familienrechtliche Entwicklung.38 Dieser wird aber völlig über- ren, dass die Vertragsverhältnisse der Bürger in ihrer Entstehung schattet von ihrer, den Tod Stalins und seine Entlarvung sowie und ihrem Bestand ebenso wie die Wirtschaftsverträge zumindest die Verurteilung seiner Terrorjustiz und anderer Verbrechen in der indirekt den Entscheidungen der Planungsbürokratie und deren Sowjetunion39 überdauernden berüchtigten Haltung in politischen Straf- und Schauprozessen nach Wyschinskis Vorbild. Über deren 32 Eine Ausnahme bildete z.B. die weniger bedeutsame Wiedereinführung der erschütternde Dramatik mit konstruierten Verleumdungen unter in der deutschen Rechtsentwicklung längst überholten Klageverjährung. 33 Mit ihrer Entwicklung, Gesetzgebung und Judikatur befasste sich arbeits- demonstrativer Mitwirkung der Justizministerin berichtet bei- teilig mit und neben der NJ (bspw. NJ 1977, 125 ff.) ab 1956 vornehmlich spielhaft der Betroffene Walter Janka in seinem Essay »Schwierig- die Zeitschrift »Arbeitsrecht«, seit 1962 »Arbeit und Arbeitsrecht«. Siehe zu keiten mit der Wahrheit«,40 dabei auch über die schwere Aufgabe dieser Zeitschrift auch die Rez. von W. Gast auf S. 169, in diesem Heft. 34 Siehe hierzu bereits Nathan, NJ 1949, 25 ff., und familienrechtliche für seinen damaligen, ihm nahe stehenden Strafverteidiger, dem Novellierungen von 1955 u. 1956. heutigen Mitherausgeber der NJ, Rechtsanwalt Friedrich Wolff. 35 Z.B. W. Heinrich, »Die Rechtsprechung der Instanzgerichte zur Eheverord- nung«, NJ 1956, 264 ff.; W. Heinrich/E. Göldner/H. Schilde, »Die Recht- Völlig anders entwickelte sich unter direktem Einfluss der sprechung der Instanzgerichte in Ehesachen«, NJ 1957, 304 ff. Parteiführung das ebenfalls vom Zivilrecht getrennte Wirtschafts- 36 FGB v. 20.12.1965 (sowie FVerfO v. 17.2.1966), nach umfangreichen Vor- arbeiten weiter modernisiert durch FamRÄndG v. 20.7.1990, das nach recht, und zwar nicht nur das dem sowjetischen Modell nachge- seiner Verkündung am 1.10.1990 in Kraft trat und somit zwei Tage später bildete, von der Parteiführung und ihren politischen, sowjeti- der Einführung des Bundesrechts zum Opfer fiel. 37 Siehe nur NJ 1965, 414 ff.; 1966, 8 ff. (zum Verlauf der Diskussion über den schen Interessen angepassten Planentscheidungen unmittelbar FGB-Entwurf). beherrschte Wirtschaftsverwaltungsrecht, sondern auch das damit 38 Siehe dazu auch A. Feth, NJ 2002, 64 ff. (S. 67). verzahnte und ihm völlig untergeordnete Wirtschaftsvertrags- 39 Auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Febr. 1956 durch Chruschtschow, worüber allerdings in der DDR unter Leugnung des eigenen Personenkults recht. Dieses Gebiet, das unmittelbar der rechtlichen Realisierung wahrheitswidrig berichtet wurde, so insbes. auf dem 26. Plenum der SED der von Parteibeschlüssen diktierten durchgängigen Wirtschafts- im März 1956, das die Inszenierung der erneuten politischen Prozesse gegen Janka, Harich u.a. einleitete. planung zu dienen hatte, dessen Vertragsbeziehungen der ordent- 40 Rowohlt 1989, S. 85 ff. Zum Urteil des Obersten Gerichts der DDR v. lichen Gerichtsbarkeit entzogen blieben und den Entscheidungen 5.1.1990, mit dem die strafrechtliche Verurteilung von Walter Janka, Gustav Just, Heinz Zöger u. Richard Wolf aus dem Jahr 1957 aufgehoben – dem Modell der sowjetischen Arbitrage ähnlicher – weisungs- wurde, siehe NJ 1990, 50; zur späteren Kassation des Urteils gegen Wolf- abhängiger »Vertragsgerichte« oblagen, war nur sporadisch gang Harich u.a. siehe NJ 1990, 206. Gegenstand von Beiträgen in der NJ.41 41 Dieser Aufgabe widmete sich von 1957 bis 1969 die Zeitschrift »Vertrags- system«, gefolgt ab 1970 bis 1993 von der Zeitschrift »Wirtschaftsrecht« Die vielfältigen Ansätze und divergierenden Vorstellungen zur neben systematischen Entscheidungssammlungen zur Spruchpraxis der Vertragsgerichte. weitgehenden Neugestaltung der Rechtsgebiete und der Kriterien 42 Weit mehr noch in der theoretisch-ideologisch orientierten, von 1952 bis ihrer Gliederung in einem sich logisch nachvollziehbar darbieten- 1990 erschienenen Zeitschrift »Staat und Recht«, aus deren Redaktion der den und funktionsfähigen künftigen Rechtssystem zur Realisierung Verf. dieses Beitrags vor seiner Redaktionsmitgliedschaft bei der NJ ausschied. 43 Siehe K. A. Mollnau, »Über die Wyschinski-Rezeption der Babelsberger sozialistischer Zukunftserwartungen führten zu grundsätzlichen Konferenz«, NJ 1991, 94 ff.; J. Eckert, „Die Babelsberger Konferenz 1958«, und kontroversen Streitigkeiten, die in den wissenschaftlichen NJ 1992, 544 ff. Siehe auch den Abdruck eines Manuskripts von K.-H. Schö- neburg aus dem Jahr 1988, das in der Zeitschrift »Staat und Recht« nicht 42 Beiträgen für die NJ die anstehenden theoretischen und prakti- veröffentlicht werden durfte, und dann in NJ 1990, 5 ff., erschien. schen Probleme verdrängten und überlagerten. 44 Siehe NJ 1958, 738 ff. (Such); 1964, 150 f. u. 431 ff. (G.-A. Lübchen).

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zunehmenden – teilweise chaotische Züge annehmenden – Ände- damit zugleich die möglichst weitgehende Aufhebung der dem rungen ausgesetzt sein würden. Dies hatte eine jahrelange Stag- Bürger schwer begreiflich zu machenden dogmatischen und pro- nation der Arbeiten am ZGB zur Folge, ein Stillstand, der auch den zessualen Trennung von öffentlicher Strafe und privater Wieder- Inhalt der NJ insofern beeinträchtigte, als Gegenmeinungen zeit- gutmachung. weilig nicht veröffentlicht werden durften. Während die der staatlichen Gerichtsbarkeit zunächst für Erst mit der komplexen gesetzlichen Neuregelung der Wirtschafts- Arbeitssachen vorgeschalteten Laiengerichte in Betrieben, Insti- verträge durch das Vertragsgesetz von 1965 und seine umfang- tutionen und sonstigen Arbeitsstätten (Konfliktkommissionen) reichen Ergänzungen 45 erledigte sich diese Stagnation faktisch vornehmlich durch die Gewerkschaften und ihre Publikationen von selbst. Die Neuorientierung der Arbeit am ZGB, die fortan sowie die Zeitschrift »Arbeit und Arbeitsrecht« betreut, informiert weitgehend die in der NJ veröffentlichten Beiträge bestimmte, war und angeleitet wurden, oblag diese Aufgabe hinsichtlich der nunmehr darauf gerichtet, ein Gesetzbuch primär für den Bürger 1968 unter dem gemeinsamen Oberbegriff der »Gesellschaft- zu gestalten und hierbei auch die generellen Eigentums- und Haf- lichen Gerichte« hinzutretenden Schiedskommissionen als Laien- tungsregeln für alle Bereiche der Gesellschaft aufzunehmen. gerichte für einfache Zivilrechtsstreitigkeiten (z.B. des Nachbar- rechts), Ordnungswidrigkeiten usw. vornehmlich der NJ. Mit Inkrafttreten des ZGB wuchs, auch wenn stattdessen die Die Zeit der scheinbaren Stabilisierung der DDR ordentlichen Gerichte unmittelbar (und stets zur Überprüfung oder Vollstreckbarkeitserklärung von Schiedskommissionen getrof- Seit dem Inkrafttreten des ZGB und der ZPO (sowie des Ges. über fener Entscheidungen) angerufen werden konnten, die Bedeutung internationale Wirtschaftsverträge und des Rechtsanwendungs- dieser zu wählenden Laiengerichte für einfache zivilrechtliche gesetzes als Kodifikation des Internationalen Privatrechts) ab 1976 Streitigkeiten; denn die Rechtsmaterie war für Laienrichter und widmete sich die NJ der umfangreichen Aufgabe, bereits vor dem Beteiligte überschaubar, die Verfahren sparten den Verfahrens- Erscheinen neuer Lehrmaterialien, Lehrbücher und Kommentare beteiligten Kosten und führten meist schnell und ohne Prozess- – und danach unter Bezug auf sie und die entsprechende Judika- risiken zum Rechtsfrieden. Damit wuchs auch das öffentliche tur – die neuen Regelungen nicht nur den Juristen, sondern der Interesse, sich in der NJ über das geltende Recht zu informieren. zunehmend interessierten breiten Öffentlichkeit nahe zu brin- Angeregt durch Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion gen46 und die Justizpraxis bei ihrer Anwendung zu orientieren. häuften sich mit der zunehmenden Distanzierung der Bürger- Dies galt vor allem für das völlig neu geordnete und verein- schaft von der lähmenden Parteipolitik in den 1980er-Jahren in 47 fachte Schuld- und Haftungsrecht mit einer Neuregelung des Wissenschaft und in Justizkreisen allenthalben eher unterdrückte Gewährleistungs- und Garantierechts. Es galt ebenso für seine als öffentlich bekannt werdende Überlegungen, das bestehende neue, für Vertrags- und Deliktshaftung übersichtlich abgestimmte Recht und seine Anwendung unter Aufrechterhaltung sozialisti- Trennung des Verschuldensprinzips für die Verantwortlichkeit scher Ziele zu demokratisieren, um damit auf die sich zunehmend des Bürgers (§ 333 ZGB) vom strengeren objektiven Haftungs- offenbarenden gesellschaftlichen Widersprüche des politischen prinzip für die Betriebe (§ 334 ZGB) wie für die Erweiterung und Systems wirksam zu reagieren. Sie suchten zumeist eine Steuerung Modernisierung der überkommenen Tatbestände und Folgen der der Gesellschaft nach nicht parteipolitisch, sondern wissen- Gefährdungshaftung. Die vereinfachten Regelungen des Eigen- schaftlich objektiv fundierten Strategien und entsprechenden tumsrechts, insbesondere des Bodenrechts, bedurften hingegen demokratisch zu ermittelnden Planungsalternativen unter kriti- wegen der bereits früher erfolgten Umwälzungen der Eigentums- scher Verwertung der eigenen Erfahrungen. struktur, der geringen Veränderungen der zivilrechtlichen Regeln Diese Vorstellungen konnten jedoch vorerst in der NJ wie auch des Immobilienrechts und der partiellen Beibehaltung der beste- in anderen legalen innerstaatlichen Publikationen keinen Nieder- henden Normierung der Grundpfandrechte weniger der publi- schlag finden, da sich die hierzulande um drohenden Machtver- zistischen Aufmerksamkeit der NJ. lust bereits vergeblich sorgende Parteiführung von der politische Besonderes Gewicht kam den umfassenden Änderungen des Reformen einleitenden sowjetischen Entwicklung erstmalig50 offen deusche Tradition fortbildenden Erbrechts zu. Dies betraf vor distanzierte und jede derartige Regung zu unterbinden suchte.51 allem die Beschränkung der gesetzlichen Erbfolge auf drei Ord- nungen48 neben dem Ehegatten und die – nach heftigen intern geführten Auseinandersetzungen um Sinn und Grenzen der 45 Novelliert durch das VertragsG von 1982 sowie des auf die Wiener Testierfreiheit erfolgte – Beschränkung des durch die biologische Kaufrechtskonvention (CISG) abgestimmten Ges. über Internationale Wirtschaftsverträge (GIW) und des RechtsanwendungsG (RAG) als erster Abstammung beherrschten antiquierten deutschen Pflichtteils- deutscher Kodifikation des Internationalen Privatrechts. rechts auf die realen, dieses Rechtsschutzes bedürfenden Fami- 46 Die NJ wurde nicht nur von Juristen, sondern insbes. auch von Mitgliedern der Schieds- und Konfliktkommissionen, von Schöffen und am Recht lienbeziehungen (d.h. neben dem Ehegatten insbes. die minder- interessierten Bürgern gelesen. jährigen und wirtschaftlich noch nicht selbständigen Kinder). 47 In der Vereinfachung teilweise bereits Lösungen der späteren bundesdeut- schen Schuldrechtsreform von 2001 vorwegnehmend. Diese Änderungen fanden, wie die generelle Vereinfachung 48 Zu den Vorzügen siehe O. Werner, »Angleichung des Erbrechts«, in: E. Koch und Allgemeinverständlichkeit der Regelungen, schnell die (Hrsg.), 10 Jahre Deutsche Rechtseinheit, 2001, S. 111 ff., 114. 49 Zur DDR-Regelung im Vergleich zu mehreren Ländern, auch zur BRD, siehe Zustimmung der Öffentlichkeit und der Juristen, bedurften daher M. R. Will (Hrsg.), Schadensersatz im Strafverfahren. Rechtsvergleichendes kaum der literarischen Rechtfertigung, wohl aber der die Praxis Symposium zum Adhäsionsprozess, 1990; siehe ferner rückschauend M. Schönfeldt/H. Schönfeldt, NJ 1992, 448 ff., sowie D. Rössner/Th. Klaus, begleitenden Interpretation durch die Zeitschrift. NJ 1996, 288 f. Weitergehend als zunächst in anderen Ländern49 hat auch die 50 Abgesehen von der seinerzeitigen, den eigenen Personenkult leugnenden verlogenen Berichterstattung über Chruschtschows Abrechnung mit NJ die seit 1978 obligatorische Anwendung eines mit dem StGB Stalins Verbrechen auf dem XX. Parteitag der KPdSU. von 1968 novellierten Adhäsionsverfahrens vorbereitet und 51 So fand z.B. die vom Verf. in der Jenaer Publikationsreihe »Forschungs- ergebnisse« der Friedrich-Schiller-Universität, Teil I vom Febr. 1989 u. Teil II popularisiert. Besonders nach Inkrafttreten des auch für den Straf- vom Nov. 1989, als Manuskriptdruck (G/89/4) vorgetragene grundsätzliche richter überschaubaren Schadensersatzrechts des ZGB bewährte Kritik am bestehenden »realsozialistischen« Wirtschaftssystem mit Reform- vorschlägen trotz seiner Zugehörigkeit zur Redaktion keine Aufnahme in sich die dadurch erreichte prozessuale Besserstellung des Opfers der NJ und wurde daher in der Westberliner Zeitschrift »Recht in Ost und und die geförderte Bereitschaft des Täters zur Wiedergutmachung, West« (1989, 127 ff. u. 1990, 19 ff.) veröffentlicht.

Neue Justiz 4/2006 149 Aufsätze Posch, 60 Jahre »Neue Justiz«

Deutsche Einheit und Neubeginn der Zeitschrift den Lesern die zwischen 1990 und 1994 monatlich erschienene Beilage »Grundzüge des Rechts der Bundesrepublik«. In 48 Folgen Mit dem Fall der Mauer verdichteten sich im Osten Deutschlands gab sie ostdeutschen Juristen Gelegenheit, sich mit den Grund- in fast allen wissenschaftlichen Institutionen und weiten Kreisen zügen des neuen Rechts auf insgesamt 16 Rechtsgebieten einge- der Bevölkerung diese Überlegungen zu offener kritischer Analyse hend vertraut zu machen. des bestehenden Rechts und seiner Anwendung sowie zur Ver- Inzwischen erschien die seit der Wiedervereinigung Deutsch- gleichung beider deutscher und anderer ähnlicher Rechtsordnun- lands vergangene Zeit herangereift, die Spalten der Zeitschrift gen vorzugsweise mit dem Ziel, gewonnene Erfahrungen sowie verstärkt auch der bilanzierenden Berichterstattung und Wertung bereits bewährte rechtliche Lösungen für eine künftige gemein- der Rechtsentwicklung in dieser bewegenden Zeitspanne zu same deutsche Rechtsordnung nutzbar zu machen. Sie waren widmen.66 durchgängig begleitet von den öffentlichen ostdeutschen Erwar- Heute begleitet die »Neue Justiz« entsprechend den Bedürf- tungen, diesen nunmehr von der Parteidiktatur selbst befreiten nissen der Praxis schwerpunktmäßig die Rechtsentwicklung Staat als den ihren in ein künftiges Deutschland einzubringen. und Rechtsprechung in den Neuen Ländern. Ihr Inhalt ist vor- Entsprechende Überlegungen konnten jedoch in der kurzen wiegend bestimmt von der Beurteilung bestehender und dabei Zeitspanne bis zum Ende der DDR und der danach noch zuneh- zu beachtender früherer Regelungen, Rechtsverhältnisse und menden Entfremdung der Bürgerschaft vom Staat auch in der NJ Rechte, besonders den sich dabei ergebenden Streitfragen und kaum bis zur Publikation reifen. Sie endeten abrupt mit dem Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung sowie ergangenen und Verzicht auf eine abgestimmte objektive Bewertung und eine anstehenden Entscheidungen. Zugleich greift die NJ rechts- Zusammenführung der beiden deutschen Rechtsordnungen. Eine politische und rechtspraktische Fragen auf, die von allgemeinem Bilanz des damaligen Standes auch der ostdeutschen Diskussion Interesse sind und das bundesdeutsche Recht insgesamt betreffen. ergab das Heidelberger Symposium vom Dez. 1990.52 Damit hat die »Neue Justiz« nach den Wirren vergangener Die nahezu pauschale Rezeption53 des bestehenden und dieses Zeiten ihren Platz auf dem bundesdeutschen juristischen damit konservierenden54 Bundesrechts führte folglich auch zur Zeitschriftenmarkt gefunden und sich mittlerweile dort fest Neubestimmung der Zeitschrift,55 die Leserschaft mit dem neuen etabliert. Rechtszustand zunächst vertraut zu machen und sich zunehmend den aus der Übergangssituation ergebenden intertemporalen Kol- lisionsfragen zwischen alter und neuer Rechtsordnung unter 52 Erschienen unter dem Titel »Der Weg zur deutschen Rechtseinheit«, hrsg. Zugrundelegung des EinigungsV zu widmen. v. E. Jayme/O. Furtak, Heidelberg 1991. Gleichzeitig verstummten jedoch viele Autoren der NJ, 53 Selbst die erwähnte, nur Tage zuvor in Kraft getretene, umfassend moder- nisierte Neufassung des ostdeutschen Familienrechts blieb im Einigungs- nachdem sie wegen beruflicher und/oder persönlicher »Nähe« prozess inhaltlich unbeachtet. zum gestürzten Regime als Wissenschaftler »abgewickelt« oder als 54 G. Haney, »Die Crux der nur einfachen Negation …«, in: Recht und Ideo- logie, FS f. Hermann Klenner, Freiburg/Berlin 1996, S. 310 ff. (337). Richter oder Staatsanwälte aus dem Justizdienst entfernt und 55 Die NJ übernahm 1990 der seit 2000 zum Verlag C. H. Beck gehörende zumeist durch westdeutsche Juristen ersetzt worden waren.56 Nomos Verlag unter redaktioneller Leitung von Adelhaid Brandt mit einem neu gebildeten Herausgeberkollegium unter Mitwirkung namhafter west- Dies wirkte sich umso einschneidender und nachhaltiger aus, deutscher Juristen, die neben ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen da weitaus rigoroser geprüft und entschieden wurde,57 als im bereitwillig die Mitverantwortung für das problembeladene Gelingen der deutschen Rechtseinheit besonders in den östlichen Bundesländern über- westlichen Nachkriegsdeutschland, wo mit wenigen Ausnahmen nahmen. Richter, Beamte und Wissenschaftler im Amt geblieben waren. Die 56 Zur prinzipiellen Problematik siehe H. Krüger, »Überlegungen zum Sinn und Zweck einer Tätigkeit westdeutscher Verwaltungsrichter an Gerichten betroffenen Autoren blieben der NJ jedoch weitgehend als sich in im Gebiet der DDR«, NJ 1990, 423 f. Zum später eintretenden Justizalltag den zulässigen rechtlichen Grenzen58 etablierende Rechtsanwälte im Osten siehe den Bericht über eine im Mai 1995 durchgeführte Tagung an der Ev. Akademie Meißen mit richterlichen Erlebnisberichten eines oder in anderen verwandten Berufen neben den neu hinzukom- »Übernommenen aus dem Osten«, eines »Neuen aus dem Westen« und menden Interessenten als Leser erhalten. eines »Erfahrenen aus dem Westen« in NJ 1995, 471 ff. 57 Zum radikalen Abschied von der DDR-Justiz und dem damit verbundenen Mit der tief greifenden Wende der ostdeutschen Rechtsent- Elitenwechsel siehe rückblickend J. Limbach, »Die deutsche Einheit als wicklung führte die NJ – einleitend mit einem Editorial des in Herausforderung der Justiz«, NJ 2002, 453 ff. 59 58 Siehe hierzu M. Kleine-Cosack, »Rechtsstaat und freie Advokatur im - diesem Jahr verstorbenen Horst Sendler – eine kritische Ausein- Strudel«, NJ 1992, 329 ff. andersetzung mit vergangenen Erscheinungen, Auffassungen 59 NJ 1991, 137. und Orientierungen, die sich als mit rechtsstaatlichen Prinzipien 60 Siehe z.B. den Bericht von A. Gängel »›Die Steuerung der Justiz in der DDR‹ oder: Warum eine Diskussion nicht mehr zu steuern ist«, NJ 1996, 22 f., unvereinbar erwiesen hatten.60 Bei den geführten Diskussionen über eine von der NJ-Redaktion im Okt. 1995 organisierte Gesprächsrunde belastete allerdings neben der Kritik an Versuchen zur Gleichset- zwischen Ost- und Westjuristen. 61 Vgl. H. Sendler, »Über Rechtsstaat, Unrechtsstaat und anderes«, NJ 1991, zung von vergangenem Geschehen mit faschistischem Unrecht 379 ff.; V. Schöneburg, »Recht im nazifaschistischen und im ›realsozialisti- auch eine durch das Editorial ausgelöste, gelegentlich grob ver- schen‹ deutschen Staat – Diskontinuitäten und Kontinuitäten«, NJ 1992, 49 ff.; I. Müller, »Die DDR – ein ›Unrechtsstaat‹?«, NJ 1992, 281 ff. Zum einfachende Entgegensetzung von Rechtsstaat und Unrechts- deutschen Sonderweg bei der strafrechtlichen Bewältigung kommunisti- staat 61 die trotz klarer Ansätze62 bei weitem noch diffus geführte scher Vergangenheit siehe B. Schlink, »Rechtsstaat und revolutionäre Gerechtigkeit«, NJ 1994, 433 ff. sachliche Bewertung der Vergangenheit. 62 Vgl. z.B. U. Ewald, damals Mitglied des NJ-Herausgebergremiums, NJ 1990, Die NJ übernahm zugleich die Berichterstattung über Probleme 420 ff., sowie V. Schöneburg, NJ 1992, 49 ff.; siehe ferner E. Jayme/O. Furtak (Fn 52) und zuvor bereits R. Henrich, Der vormundschaftliche Staat, 1989. und Lösungen beim Umbau des Justizwesens, u.a. aus eigener 63 Von Karin Schubert, damals Gerichtspräsidentin am BezG Neubranden- Erfahrung durch Mitherausgeber der Zeitschrift, so für Mecklen- burg, NJ 1992, 194 ff. 63 64 65 64 Von Rainer Faupel, damals Staatssekretär im dortigen Justizministerium, burg-Vorpommern, für Brandenburg und für Thüringen. NJ 1992, 534 ff. Dazu trat – anknüpfend an bewährte und neu gewonnene 65 Von Peter Caesar, damals Justizminister in Rheinland-Pfalz, NJ 1991, 475 ff. 66 So z.B. zahlreiche Rechtsprechungsübersichten zur Sachenrechtsbereinigung, redaktionelle Erfahrungen mit den Bedürfnissen der Leserschaft – zur Schuldrechtsanpassung und zu den offenen Vermögensfragen. Siehe die systematische Unterrichtung über die laufende Gesetzgebung auch jüngst R. Robra, »15 Jahre Einigungsvertrag – Was wurde erreicht, was bleibt zu tun?«, NJ 2005, 433 ff., und die seit 1994 veröffentlichten Beiträge und Rechtspraxis vorwiegend für den in den Neuen Ländern von G. Janke, »Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR«, praktisch tätigen Juristen. Besonders breite Zustimmung fand bei zuletzt in NJ 2005, 529 ff., 2006, 7 ff., 54 ff. sowie 151 ff., in diesem Heft.

150 Neue Justiz 4/2006 Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR Schadensersatz, Erbrecht und besondere Bestimmungen Rechtsanwalt i.R. Gerd Janke, Berlin

Nachdem der Autor zunächst seine Rechtsprechungsübersichten zum den Betrag abziehen darf, den er für den Erwerb an einen Dritten Eigentum und zum Vertragsrecht (NJ 12/2005, 529 ff.) sowie zum geleistet hatte, wenn er wusste oder wissen musste, dass er keinen Grundstücksrecht (NJ 1/2006, 7 ff.; NJ 2/2006, 54 ff.) fortgesetzt hat, Anspruch auf die Sache hatte.7 widmet er sich abschließend den Rechtsproblemen beim Schadensersatz, Erbrecht und den besonderen ZGB-Bestimmungen. Judikatur und Schrift- tum sind im Wesentlichen wiederum seit Oktober 2002 berücksichtigt. II. Erbrecht 8

Als bemerkenswertes Buch zum ZGB sei auf die Dissertation von I. Schadensersatz und Herausgabe unberechtigt Kathleen Andre’ hingewiesen.9 In dieser Schrift werden sämtliche erlangter Leistungen 1 Institute des ZGB-Erbrechts erläutert und mit den entsprechen- den Regelungen des BGB verglichen. Dabei hat die Verfasserin die Die Zahl der Rechtsstreitigkeiten wegen Schadensersatzes und gesamte einschlägige Rechtsprechung und Literatur verarbeitet. Herausgabe unberechtigt erlangter Leistungen, die gem. Art. 232 Der Band kann jedem Praktiker als Nachschlagewerk und Orien- § 1 EGBGB und dem Umkehrschluss aus Art. 232 § 10 EGBGB auf tierungshilfe für die Lösung der noch auftretenden deutsch- der Grundlage der §§ 330 ff. bzw. der §§ 356 f. ZGB geführt wor- deutschen Erbrechtsfälle empfohlen werden. den sind, dürfte in den vergangenen drei Jahren stark zurückge- gangen sein. Es wurden daher auch nur wenige Entscheidungen 1. Nachlassspaltung veröffentlicht. Nunmehr – 15 Jahre seit der Deutschen Einheit – sind die meisten Prozesse, die aufgrund dieser ZGB-Bestimmun- War ein zwischen dem 1.1.1976 und dem 2.10.1990 verstorbener gen zu entscheiden waren, rechtskräftig abgeschlossen. Neue Erblasser nicht Deutscher mit ständigem Wohnsitz oder gewöhn- Rechtsstreitigkeiten sind wegen der inzwischen eingetretenen lichem Aufenthalt in der DDR (also kein DDR-Bürger) und war Verjährung dieser Schadensersatz- und Herausgabeansprüche dieser Erblasser Eigentümer von Grundstücken oder/und recht- nicht zu erwarten. lich selbständigen Gebäuden in der DDR oder/und Inhaber von Das LG Rostock hat entschieden, dass bei der Bemessung der dinglichen Rechten an solchen in der DDR befindlichen Immo- Höhe des infolge einer Körperverletzung bestehenden Aus- bilien, dann trat Nachlassspaltung ein. In diesen Fällen wurde gleichsanspruchs nach § 338 Abs. 3 ZGB eine Orientierung an den das in der DDR befindliche Immobiliarvermögen nach dem gem. § 847 BGB 2 zuzuerkennenden Beträgen angezeigt ist. Zweck Erbrecht der DDR vererbt. Dies folgt aus Art. 235 § 1 Abs. 1 iVm des nach § 338 Abs. 3 ZGB zu zahlenden Betrags ist es, den entsprechender Anwendung von Art. 236 § 1 und Art. 3 Abs. 3 Geschädigten mit Hilfe zusätzlicher Geldmittel in den Stand zu EGBGB iVm den §§ 25 Abs. 2 u. 29 RechtsanwendungsG (RAG). setzen, sich nach seinen Bedürfnissen und seiner Wahl einen Der in der DDR befindliche bewegliche Nachlass sowie der angemessenen Ausgleich an Lebensinhalt zu verschaffen. Da im gesamte Nachlass außerhalb der DDR wurde nach dem Recht des gegebenen Fall die 1988 geborene Klägerin infolgte einer ärzt- Staates vererbt, dessen Bürger der Erblasser zum Zeitpunkt seines lichen Fehlbehandlung an einer schweren Behinderung leidet, Todes war. hielt das LG Rostock einen Ausgleichsbetrag von 475.000 DM Auch hinsichtlich eines Bodenreformgrundstücks trat Nach- € 3 (= 242.863,64 ) für angemessen. lassspaltung ein, wenn ein Erblasser, auf den die o.g. Vorausset- In diesem Zusammenhang sei auf den instruktiven Beitrag zu zungen zutrafen, bei seinem Tode noch als Eigentümer eines § 338 Abs. 3 ZGB von Ingo Fritsche hingewiesen.4 solchen Grundstücks im Grundbuch eingetragen war. Boden- Zu § 356 ZGB (Herausgabe unberechtigt erlangter Leistungen) reformgrundstücke wurden dann ebenfalls nach DDR-Recht 10 liegen zwei veröffentlichte Entscheidungen vor. vererbt. In einem vom OLG Brandenburg entschiedenen Fall hatten Per- Nachlassspaltung trat auch ein, wenn ein zwischen dem sonen, die in einem Erbschein unrichtig als Erben ausgewiesen 1.1.1976 und dem 2.10.1990 verstorbener Erblasser, der nicht waren, an andere Personen u.a. Kommanditanteile unentgeltlich abgetreten. Diese am 1.4.1990 erfolgten Abtretungen waren gem. § 413 Abs. 2 Satz 1 u. 2 ZGB rechtswirksam. 1 Vgl. dazu auch G. Janke, NJ 1994, 439 f.; NJ 1996, 344 ff.; NJ 1999, 622 ff.; NJ 2003, 64 ff. Vom OLG wurde jedoch dahin erkannt, dass gem. § 356 Abs. 1 2 Seit dem 1.8.2002 gilt für den Ersatz immaterieller Schäden, die durch Körperverletzungen entstanden sind, anstelle des aufgehobenen § 847 BGB ZGB die Berechtigten (= die Erben) von den Abtretungsempfän- der insoweit inhaltsgleiche § 253 Abs. 2 BGB. gern die Herausgabe des unentgeltlich Erlangten bzw. desjenigen 3 LG Rostock, Urt. v. 18.2.2002, VIZ 2003, 45. verlangen können, was diese als Ersatz für die von ihnen unent- 4 I. Fritsche, NJ 2004, 438. 5 OLG Brandenburg, Urt. v. 6.5.2003, VIZ 2004, 42 (insbes. S. 44 li. Sp. u. geltlich erlangten Kommanditanteile von Dritten erhalten hatten.5 S. 46) = NJ 2003, 545 (Leits.). Diese weite Auslegung des § 356 Abs. 1 ZGB führt zum gleichen 6 So auch BGH, Urt. v. 22.10.1999, NJ 2000, 199 = VIZ 2000, 113 = ZOV 2000, 31, sowie I. Fritsche, Komm. zum Urt. des OLG Naumburg v. 28.10.1997, Ergebnis wie die Anwendung des § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB in den NJ 1998, 483. Fällen, in denen der unentgeltliche materielle Vorteil von den 7 KG, Urt. v. 2.3.2004, VIZ 2004, 275. Zuwendungsempfängern erst nach dem 2.10.1990 erlangt wurde.6 8 Vgl. dazu auch G. Janke, NJ 1994, 440 ff.; NJ 1996, 346 ff.; NJ 1999, 625 ff.; NJ 2003, 6 ff. Vom Kammergericht wurde aus § 357 Abs. 2 Satz 1 ZGB abge- 9 K. Andre’, Erbrecht im Wandel. Institute im Wechsel von BGB und ZGB, Aachen 2002. leitet, dass derjenige, der für eine von ihm ungerechtfertigt 10 BayObLG, Beschl. v. 15.1.2003, NJ 2003, 484 (bearb. v. Heidrich) = VIZ 2003, erlangte Sache Wertersatz leisten muss, vom Wert der Sache nicht 254.

Neue Justiz 4/2006 151 Aufsätze Janke, Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR

DDR-Bürger war, einen Miteigentumsanteil an einem in der DDR v. 22.1.2004 – im Gegensatz zur Rechtsprechung des BGH und befindlichen Grundstück hinterlassen hatte.11 des BVerfG – u.a., dass War jedoch ein Mitglied einer Erbengemeinschaft, die an einem 1. das sog. Modrow-Gesetz alle Beschränkungen hinsichtlich der DDR-Grundstück oder an einem Miteigentumsanteil bestanden Nutzung der (Bodenreform-)Grundstücke aufgehoben hat und hatte, verstorben, so war hinsichtlich solcher gesamthänderi- mit Inkrafttreten dieses Gesetzes Erben von Bodenreformland schen Beteiligungen (Miterbenanteil an einem Grundstück oder vollwertiges Eigentum erworben haben; Miterbenanteil an einem am Grundstück bestehenden Miteigen- 2. die Verurteilung solcher Erben zur Auflassung der Grundstücke tumsanteil) keine Nachlassspaltung eingetreten. Ein solcher an den Landesfiskus eine Enteignung iSd Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des Miterbenanteil wurde – ebenso wie der andere (bewegliche) Nach- 1. Zusatzprotokolls zur EMRK darstellte; lass – gem. § 25 Abs. 1 RAG und Art. 25 EGBGB nicht nach dem 3. das Fehlen einer jeglichen Entschädigung für den Zugriff des Erbrecht der DDR, sondern nach dem für den Erblasser geltenden Staates auf das Eigentum der Erben von Bodenreformgrund- Erbstatut vererbt.12 stücken zu deren Nachteil den zwischen dem Schutz des Eigen- Zur Haftung für Nachlassverbindlichkeiten, zur Erbausschla- tums und den Erfordernissen des Allgemeininteresses herbei- gung sowie zur Anfechtung der Erbausschlagung bei Nachlass- zuführenden gerechten Ausgleich stört und deswegen Art. 1 des spaltung kann auf einen instruktiven Aufsatz von Malte Ivo ver- 1. Zusatzprotokolls zur EMRK verletzt worden ist.20 wiesen werden.13 In der Rechtsliteratur wurde das Urteil überwiegend begrüßt.21 Auch sei an dieser Stelle auf weitere Veröffentlichungen zum 2. Bodenreformgrundstücke Recht der Bodenreformgrundstücke hingewiesen.22 a) Abwicklung der Bodenreform Die Bundesregierung hatte gegen dieses Urteil Rechtsmittel ein- gelegt, was zur Verweisung des Rechtsstreits an die Große Kammer Nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 iVm § 12 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. d des EGMR führte. und Nr. 2 Buchst. c EGBGB14 waren Erben von Bodenreform- grundstücken verpflichtet, diese Immobilien beim Vorliegen Da das Urteil v. 22.1.2004 somit keine Rechtskraft erlangt hat, bestimmter Voraussetzungen unentgeltlich an den jeweiligen Lan- war es bereits deshalb nicht geeignet, Restitutionsklagen nach desfiskus aufzulassen, wenn der Grundstückseigentümer vor dem § 580 Nr. 6 oder 7 ZPO gegen Urteile zu begründen, durch die 16.3.1990 verstorben war. Fast alle ordentlichen Gerichte – auch Erben von Bodenreformgrundstücken verpflichtet worden waren, der BGH – hielten diese gesetzlichen Bestimmungen für verfas- diese unentgeltlich an den Fiskus aufzulassen. Solche Wiederauf- sungskonform und verpflichteten Erben von Bodenreformgrund- nahmebegehren wurden daher – teilweise auch mit einer ande- stücken zu deren unentgeltlicher Auflassung an den Fiskus.15 ren Begründung – abgelehnt.23 Das BVerfG legte in einem im Okt. 2000 erlassenen Nichtan- Die Große Kammer des EGMR hat dem Rechtsmittel der Bundes- nahmebeschluss dar, dass die o.g. Vorschriften des EGBGB zwar regierung stattgegeben. Der Gerichtshof ging in seinem Urteil v. dazu führen, 30.6.2005 davon aus, dass es sich bei dem Eingriff in die Rechte »dass die bisherigen Eigentümer von Grundstücken aus der Boden- der Erben von Bodenreformgrundstücken, indem diese Immo- reform ihr Eigentum verlieren. Darin liegt jedoch keine Enteignung bilien unentgeltlich an den Fiskus auflassen mussten, um eine iSv Art. 14 Abs. 3 GG … [Die genannten EGBGB-Normen stellen] gesetzlich vorgesehene Entziehung des Eigentums gehandelt hat, daher eine Regelung über die Bestimmung von Inhalt und Schranken das Fehlen jeglicher Entschädigungen bei Eigentumsentziehun- des (Grundstücks-)Eigentums iSv Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.«16 gen aber – wie hier – unter außergewöhnlichen Umständen Diese Rechtsprechung stieß jedoch in der Literatur und zuweilen auch bei unteren Gerichten auf – z.T. massive – Kritik, worauf bereits in früheren Veröffentlichungen eingegangen wurde.17 11 KG, Beschl. v. 3.6.2003, NJ 2004, 178 (bearb. v. Heidrich) = VIZ 2004, 92. 12 BGH, Beschl. v. 24.1.2001, NJ 2001, 316 = ZEV 2001, 235, sowie KG, Beschl. Die Kritiker wiesen insbesondere auf § 1 des Ges. über die v. 3.6.2003, ebenda. Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform18 13 Vgl. M. Ivo, NJW 2003, 185, unter Bezugnahme auf BayObLG, Beschl. v. 5.7.2002, NJW 2002, 216 = VIZ 2003, 259 = NJ 2003, 44 (Leits.). Zu dieser hin. Dadurch war bestimmt worden, dass für das Recht zum Besitz, Entscheidung vgl. bereits G. Janke, NJ 2003, 6 ff. (insbes. S. 7 m. Fn 3). zur Nutzung und zur Verfügung von Bodenreformgrundstücken 14 Die §§ 11-16 des Art. 233 EGBGB waren durch das 2. VermRÄndG v. 14.7.1992 (BGBl. I S. 1257, 1275, 1278) in das EGBGB eingefügt worden die Bestimmungen des ZGB gelten und »in Rechtsvorschriften und sind am 22.7.1992 in Kraft getreten. enthaltene entgegenstehende Verfügungsbeschränkungen … auf- 15 Vgl. z.B. BGH, Urteile v. 17.12.1998 – V ZR 200/97, BGHZ 140, 223 = gehoben« sind. Das BodenreformG enthält jedoch keine Übergangs- NJ 1999, 203 = NJW 1999, 1470 = VIZ 1999, 157 = ZOV 1999, 124, sowie V ZR 341/97, NJ 1999, 207 = VIZ 1999, 176 = ZOV 1999, 128. bestimmungen für Bodenreformgrundstücke, deren Eigentümer 16 BVerfG, Beschl. v. 6.10.2000, NJ 2001, 247 = VIZ 2001, 111. beim Inkrafttreten dieses Gesetzes am 16.3.1990 bereits verstor- 17 Vgl. G. Janke, NJ 1999, 622 ff. (insbes. S. 626 f.); NJ 2003, 6 ff. (insbes. S. 7 f.), sowie die dort angegebene Lit. ben, aber noch im Grundbuch eingetragen waren. 18 V. 6.3.1990 (GBl. I S. 134) – im Folgenden: BodenreformG, nach dem Im Aug. 2002 entschied das BVerfG erneut, dass das Boden- damaligen Ministerpräsidenten der DDR auch als »Modrow-Gesetz« bezeichnet. reformG bzgl. der Verpflichtung bestimmter Erben, Bodenreform- 19 BVerfG, Beschl. v. 16.8.2002, ZOV 2003, 22. grundstücke unentgeltlich an den Fiskus aufzulassen, eine ver- 20 EGMR (III. Sektion), Urt. v. 22.1.2004, NJ 2004, 167 = NJW 2004, 923 = VIZ 2004, 166 = ZOV 2004, 10. deckte Regelungslücke enthält, die nachträglich durch Art. 233 21 Vgl. z.B. A. Kolb, NJ 2004, 145; M. Reinkenhof, NJ 2004, 250; G. Schnabel, §§ 11 ff. EGBGB geschlossen wurde, weshalb die dadurch geschaf- ZOV 2004, 2; Th. Purps, ZOV 2004, 3 ff. (insbes. S. 5); F. Wilhelms, ZOV 2004, 158. fene Verpflichtung zu einer solchen Auflassung verfassungskon- 22 Vgl. A. Kolb, ebenda, insbes. S. 146 f.; L. Schramm, NJ 2004, 448; Th. Purps, form ist.19 NJ 2005, 145 (insbes. S. 146 unter II.); E. Röper, NJ 2005, 296 (insbes. S. 297 ff. unter III.). Einen kurzen Überblick über die Entwicklung des Bodenreform- Mehrere Bürger, die verpflichtet worden waren, geerbte Boden- rechts und die höchstrichterliche Rspr. dazu enthält der redaktionelle Bei- reformgrundstücke unentgeltlich an den Fiskus aufzulassen, trag in NJ 2004, 118. 23 OLG Dresden, Beschl. v. 1.4.2004, VIZ 2004, 459; OLG Brandenburg, Urt. hatten deshalb wegen Verletzung ihres Eigentumsrechts Klage v. 9.6.2004, VIZ 2004, 525 = NJ 2004, 472 (Leits.), und dazu BVerfG, Beschl. gegen die Bundesrepublik Deutschland beim EGMR in Straßburg v. 17.8.2004, NJ 2005, 26 (Leits.); LG Rostock, Urt. v. 9.12.2004, ZOV 2005, 49; AG Brandenburg, Urt. v. 1.6.2004, NJ 2004, 370 = VIZ 2004, 412 = ZOV erhoben und von der Kleinen Kammer des Gerichtshofs Recht 2004, 254. Vgl. auch M. Reinkenhof, NJ 2004, 250 (insbes. S. 251 ff.); bekommen. Die Dritte Sektion des EGMR entschied durch Urteil F. Selbmann, NJ 2005, 103.

152 Neue Justiz 4/2006 Janke, Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR

gerechtfertigt sein kann. Davon ausgehend entschied die Große 1. StaatsV verpflichtet hatte.27 Daher wurde das BodenreformG Kammer, dass im vorliegenden Fall keine Verletzung des Art. 1 des auch nicht im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten dieses 1. Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) vorliegt. deutsch-deutschen Vertrags (1.7.1990) geändert oder aufgehoben.28 Dabei ließ sich der Gerichtshof insbesondere von folgenden Die am 18.3.1990 frei gewählte Volkskammer hat dieses Gesetz Gesichtspunkten leiten: auch in der folgenden Zeit nicht aufgehoben oder geändert, so 1. Dass das Modrow-Gesetz von einem nicht demokratisch gewähl- dass es bis zum Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur BRD ten Parlament in einer Periode des Übergangs zwischen zwei (3.10.1990) im ursprünglichen Wortlaut fortgalt. Da offenbar politischen Systemen verabschiedet worden war und die weder die BRD bei den Verhandlungen zum 1. StaatsV die Ände- betreffenden Erben nicht mit Gewissheit auf den Fortbestand rung oder Aufhebung des BodenreformG gefordert hatte, noch ihres formellen Eigentumstitels vertrauen konnten. die frei gewählte Volkskammer dieses Gesetz einer Revision unter- zog oder annullierte, dürfte der Fakt, dass dieses Gesetz von einem 2. Dass zwischen der Wiedervereinigung Deutschlands (3.10.1990) nicht aus freien Wahlen hervorgegangenen Parlament erlassen und der Verabschiedung des 2. VermRÄndG (14.7.1992) nur ein worden war, für die Beurteilung der Rechtslage bedeutungslos kurzer Zeitraum gelegen hat. In dieser Zeit sah sich der Gesetz- sein. geber ungeheuren Aufgaben gegenüber, um beim Übergang zur Marktwirtschaft komplexe eigentumsrechtliche Fragen zu lösen. Entgegen der im Urteil der Großen Kammer des EGMR vertre- Dazu gehörte auch die Abwicklung der Bodenreform. Der tenen Auffassung konnten bei der Vereinigung der beiden deut- Gesetzgeber ist in einer angemessenen Zeit tätig geworden, um schen Staaten die Erben von Bodenreformgrundstücken davon die von ihm als ungerecht erachteten Folgen des Modrow- ausgehen, dass ihnen das Eigentum an diesen Immobilien ver- Gesetzes zu korrigieren. bleiben und der Fiskus insoweit keine Ansprüche stellen werde. Insoweit ist bedeutsam, dass die Volkskammer im Juni 1990 3. Dass die Folgen des Modrow-Gesetzes aus Gründen der sozialen Verfassungsgrundsätze erlassen hatte,29 deren Art. 2 Satz 1 Gerechtigkeit einer Korrektur bedurften, um zu vermeiden, dass »Privateigentum einschließlich des Erwerbs von Eigentum und der Erwerb des vollen Eigentums durch die Erben der Boden- eigentumsgleichen Rechten an Grund und Boden sowie an reformgrundstücke nicht zufällig vom Handeln oder Untätig- Produktionsmitteln« ausdrücklich gewährleistete. Seit dem sein der DDR-Behörden abhing. Die betroffenen Erben profi- 3.10.1990 galt zudem für sämtliche ererbten Bodenreformgrund- tierten durch das Modrow-Gesetz von einem Zufallsgewinn stücke die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. (»unverhoffter Glücksfall«). Diese Situation ohne Entschädi- Zu 2.: Es trifft zu, dass Bundestag und Bundesregierung nach der gung zu bereinigen, sei nicht unverhältnismäßig.24 deutschen Vereinigung umfangreiche eigentumsrechtliche Pro- Da die Große Kammer des EGMR es für nicht unverhältnismäßig bleme lösen mussten, die durch den Übergang zur Marktwirt- hält, dass der bundesdeutsche Gesetzgeber den betroffenen Erben schaft im Gebiet der DDR entstanden waren und einer schnellen keine Entschädigung gewährt, ist das Urteil m.E. aus nachfolgen- Klärung bedurften. Dazu gehörte jedoch nicht die »Abwicklung den Gründen unrichtig: der Bodenreform«. Zu 1.: Dem EGMR ist darin zuzustimmen, dass das Boden- Die Bodenreform war durch eine auf besatzungshoheitlicher reformG nicht von einem demokratisch gewählten Parlament Grundlage erfolgte Enteignung des Großgrundbesitzes in der erlassen worden war. Aber auch nicht demokratisch legitimierte damaligen SBZ ermöglicht worden. Diese Enteignungen durften Institutionen haben in der Vergangenheit gesetzliche Bestimmun- nicht rückgängig gemacht werden; es war lediglich möglich, gen erlassen, die gegenüber dem vorhergehenden Rechtszustand den früheren Eigentümern Ausgleichsleistungen zu gewähren.30 einen Fortschritt darstellten und deren Grundsätze heute noch Hinsichtlich vieler aus der Bodenreform stammenden Grund- gelten. Man denke nur an zwei Paragraphen der Einleitung des stücke war es jedoch erforderlich, später – insbesondere durch von einem absolut regierenden König am 5.2.1794 erlassenen Erbfolge – eingetretene Wechsel der Eigentümer festzustellen und preußischen Allgemeinen Landrechts, die wie folgt lauten: die Grundbücher zu aktualisieren. »§ 74 Um einen den Erfordernissen der Marktwirtschaft genügenden Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Verkehr mit allen Bodenreformgrundstücken zu gewährleisten, Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kolli- war es lediglich erforderlich, sion) eintritt, nachstehen. – Bürger, denen vor dem 3.10.1990 rechtswirksam Bodenreform- § 75 grundstücke zugeteilt worden waren, als neue Eigentümer in die Grundbücher einzutragen, soweit dies noch nicht geschehen war; Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genö- – den Erben verstorbener Eigentümer Erbscheine zu erteilen und die tigt wird, zu entschädigen gehalten.« Erben ebenfalls in die Grundbücher einzutragen; Diese noch jetzt in dem bekanntesten BGB-Kommentar abge- 25 24 EGMR (Große Kammer), NJ 2005, 513 (m. Anm. Jakob) = NJW 2005, 2907. druckten Vorschriften dürften auch bei der Aufnahme des 25 Vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 65. Aufl. 2006, Rn 48 vor § 903. Art. 14 Abs. 3 Satz 1 in das Grundgesetz – zumindest stillschwei- 26 Vgl. z.B. das Ges. zur Änderung und Ergänzung des LPG-Gesetzes v. gend – Pate gestanden haben. Leider wurde diese Verfassungs- 6.3.1990 (GBl. I S. 133), durch dessen § 5 den Genossenschaftsbauern die ihnen durch § 12 Nr. 4 erster Spiegelstrich Satz 2 EGZGB entzogenen Pflicht- norm, die eine Verpflichtung zur Entschädigung bei Enteignun- inventarbeiträge zurückübereignet wurden; vgl. auch das Ges. zur Unterstüt- gen zwingend festlegt, durch den frei gewählten Bundestag bei zung von Genossenschaften der Landwirtschaft, die durch staatliche Regle- mentierung mit hohen Krediten belastet sind, v. 6.3.1990 (GBl. I S. 135). der Einfügung der §§ 11 ff. in Art. 233 EGBGB nicht beachtet. 27 Vgl. Art. 4 Abs. 1 iVm Anl. III (Von der DDR aufzuhebende oder zu ändernde Rechtsvorschriften) des Vertrags über die Schaffung einer Das BodenreformG gehört – wie eine Reihe anderer Gesetze – Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der DDR und der BRD zu den auf Initiative der Modrow-Regierung erlassenen Rechts- v. 18.5.1990 (GBl. I S. 332, 346 = BGBl. II S. 537, 554). vorschriften, durch die in der Vergangenheit vorgenommene 28 Vgl. das Ges. über die Änderung oder Aufhebung von Gesetzen der DDR v. 28.6.1990 (GBl. I S. 483). Restriktionen aufgehoben wurden und der Übergang zur Markt- 29 Vgl. die Verfassungsgrundsätze v. 17.6.1990 (GBl. I S. 299). wirtschaft eingeleitet wurde.26 Es war, solange die DDR bestand, 30 Vgl. Nr. 1 der Gemeins. Erklärung der Regierungen der DDR und der BRD zur Regelung offener Vermögensfragen v. 15.6.1990 (GBl. I S. 1629, 1977 = geltendes Recht und gehörte nicht zu den Gesetzen, zu deren BGBl. II S. 889, 1237); dazu BVerfG, Urt. v. 23.4.1991, NJ 1991, Sonderh., I Aufhebung oder Änderung sich die DDR gegenüber der BRD im = NJW 1991, 1597.

Neue Justiz 4/2006 153 Aufsätze Janke, Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR

– für unbekannte Erben Nachlasspfleger zu bestellen und diese mit fiskus aufzulassen. Auf diese Weise wären unter Einhaltung dieser der Ermittlung der Erben zu beauftragen sowie Verfassungsnorm die materiellen Interessen aller Erben von – Erbauseinandersetzungen zwischen mehreren Erben von Boden- Bodenreformgrundstücken berücksichtigt worden. reformgrundstücken zu vermitteln oder im Wege der Zwangsver- steigerung durchzuführen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Erben von Boden- Dies hätte von den ordentlichen Gerichten (insbes. den Grund- reformgrundstücken durch das BodenreformG einen »Zufalls- buchämtern und Nachlassabteilungen der Amtsgerichte) unter gewinn« erzielt haben. Dieser »Gewinn« war letztlich auf die Mitwirkung der Notare auf der Grundlage des herkömmlichen politische Wende des Herbstes 1989 zurückzuführen. Allerdings Zivilrechts vorgenommen werden können. Durch die Verpflich- unterliegen auch »Zufallsgewinne« nicht der Einziehung, wenn tung bestimmter Erben, ihre ererbten Bodenreformgrundstücke sie unter Einhaltung der Gesetze erzielt werden. unentgeltlich an den Landesfiskus aufzulassen, wurde die Ein- Es gab seit Herbst 1989 auch noch andere Zufallsgewinne: So sind z.B. in der DDR befindliche Mietwohngrundstücke, die vor diesem führung marktwirtschaftlicher Verhältnisse in der Landwirtschaft Zeitpunkt niemand kaufen wollte und die deshalb praktisch wertlos weder ermöglicht noch gefördert, sondern lediglich dem Fiskus waren, in den 1990er-Jahren zu Preisen zwischen einer und zwei Mio. DM des jeweiligen neuen Bundeslandes eine zusätzliche Einnahme- verkauft worden. Niemand ist aber auf den Gedanken gekommen, die quelle verschafft. Verkäufer solcher Immobilien zu verpflichten, den größten Teil dieser Erlöse bei den Finanzämtern abzuliefern, um damit einen gerechten (?) Zu 3.: Die aus dem BodenreformG folgende Regelung, nach der Gleichstand mit den Bürgern herzustellen, die ähnliche Immobilien allen Erben der noch im Grundbuch eingetragenen verstorbenen noch vor der politischen Wende des Jahres 1989 für einen Preis von nur einigen Tausend M/DDR veräußern konnten. Eigentümer von Bodenreformgrundstücken die volle Eigentümer- stellung verschafft wurde, war auch nicht sozial ungerecht. Das Urteil der Großen Kammer des EGMR v. 30.6.2005 ist end- gültig. Dadurch wurde die Berechtigung einer entschädigungs- Die im Spätsommer 1945 von den damaligen Ländern der SBZ losen Enteignung von Bürgern eines Staates anerkannt, der einem erlassenen Rechtsvorschriften über die Bodenreform sahen für die anderen Staat beigetreten ist, dessen Grundgesetz das Eigentum den neuen Eigentümern zugeteilten Grundstücke keine Beschrän- der Bürger des beigetretenen Staates vor entschädigungsloser kungen bzgl. des Erbrechts vor.31 Demzufolge sicherten die Lan- Enteignung schützen sollte, worauf die enteigneten Bürger auch desregierungen allen Bürgern, denen in der zweiten Hälfte der (vergeblich) vertraut hatten. 1940er-Jahre Land aus der Bodenreform zugeteilt worden war, in den ihnen ausgehändigten Übereignungsurkunden zu, dass ihnen b) Enteignete Bodenreformgrundstücke und Erbrecht das darin näher bezeichnete »Grundstück … rechtskräftig zum persönlichen, vererbbaren Eigentum übergeben« worden war.32 Vor dem Inkrafttreten des BodenreformG (16.3.1990) erwarb der Erbe eines Bodenreformgrundstücks daran nur Eigentum, wenn Auch später wurde das Erbrecht an Bodenreformgrundstücken ihm dieses vom Rat des Kreises übertragen wurde. Der Eigentums- von den DDR-Landwirtschaftsbehörden akzeptiert. Allerdings erwerb durch Erbschaft bedurfte vor diesem Zeitpunkt somit noch konnte nur ein Allein- oder Miterbe ein ererbtes Bodenreform- eines Verwaltungsakts bzw. musste noch durch einen solchen grundstück als Eigentümer übernehmen, wenn er bereit war, es bestätigt werden.34 selbst oder (ab 1960) im Rahmen einer LPG zu bewirtschaften. Wurde nach dem Tode des Eigentümers ein anderer Bodenbewer- Erst mit der Rechtswirksamkeit des Verwaltungsakts trat der ber Eigentümer des Grundstücks, dann hatte dieser den Abge- Erbe bzgl. des Bodenreformgrundstücks in die Rechtsposition des benden (= den Erben des verstorbenen Eigentümers) den seit der verstorbenen Eigentümers ein. War jedoch einem Bürger bereits Bodenreform geschaffenen und noch vorhandenen Wertzuwachs vor dem 16.3.1990 das Eigentum an einem Bodenreformgrund- zu erstatten.33 Diese Regelung galt bis Ende Aug. 1975. stück entzogen worden, erging nach dem Tode dieses Bürgers kein Verwaltungsakt, weil das Bodenreformgrundstück nicht mehr zur Nachdem seit Frühj. 1960 in der DDR Landwirtschaft grund- Erbschaft gehörte. Die Erben konnten daher beim Erbfall hin- sätzlich nur von LPGen und Volkseigenen Gütern betrieben sichtlich des bereits enteigneten Grundstücks nicht in die Rechts- werden konnte, ließ das Interesse, Eigentum an Bodenreform- position des Erblassers eintreten, die dieser vor der Enteignung grundstücken zu übernehmen, merklich nach. Erklärte sich weder hatte. Daher sind Erben von Bürgern, denen das Eigentum an ein Erbe noch ein Verwandter eines verstorbenen Eigentümers einem Bodenreformgrundstück bereits vor dem 16.10.1990 ent- eines Bodenreformgrundstücks bereit, dessen Eigentümer zu zogen worden war, bzgl. dieses Grundstücks keine berechtigten werden, gingen die Räte der Kreise grundsätzlich dazu über, das Grundstück in den staatlichen Bodenfonds zurückzuführen, ohne den Erben den Wertzuwachs zu erstatten. Danach wurde das 31 Vgl. z.B. das Ges. über die Bodenreform im Lande Thüringen v. 10.9.1945 Grundstück zumeist einer LPG zur Nutzung übergeben. (Thür. Gesetze und Verordnungen, H. 1, S. 5 = Reg.Bl. für das Land Thüringen 1945 I S. 13; auch abgedr. in: Humboldt-Universität zu Berlin, Sektion Diese Praxis wurde von den Räten der Kreise auf § 4 letzter Rechtswissenschaft [Hrsg.], Bodenrecht. Textausg., 3. Aufl., Berlin 1986, S. Abs. der BesitzwechselVO 1975/88 gestützt, beinhaltete jedoch 143, Nr. 2.4.1) sowie die VO über die Bodenreform in der Provinz Sachsen (= das spätere Land Sachsen-Anhalt – G. J.) v. 3.9.1945 (VOBl. für die Provinz eine gem. Art. 16 DDR-Verf. 1968/74 verbotene entschädigungs- Sachsen 1945 Nr. 1 S. 28; auch teilw. abgedr. bei B. Grün, VIZ 1998, 551. lose Enteignung des den Erben gebührenden Wertzuwachses am 32 So die Urkunden, mit denen das Eigentum an Bodenreformland übertra- Bodenreformgrundstück. Durch das Inkrafttreten des Boden- gen wurde. Eine noch im Jahre 1949 im damaligen Land Mecklenburg aus- gestellte Urkunde ist bei O. Rühle, Vom Untertan zum Staatsbürger, Berlin reformG wurde die weitere verfassungswidrige Enteignung der 1957, vor S. 161, abgebildet. Vgl. auch den Wortlaut der in der Provinz Erben von Bodenreformgrundstücken unterbunden und den Sachsen verwendeten Urkundenvordrucke in: G. Rohde u.a., Lehrb. Boden- recht, Berlin 1976, S. 152. Erben ihr Eigentum an diesen Grundstücken gesichert. 33 Vgl. § 8 Abs. 1 der VO über die Auseinandersetzung bei Besitzwechsel von Es wäre gerecht gewesen, durch ein bundesdeutsches Gesetz Bauernwirtschaften aus der Bodenreform v. 21.6.1951 (GBl. S. 629) idF des § 3 der ÄndVO v. 23.8.1956 (GBl. I S. 685). Beide Verordnungen wurden denjenigen Erben von Bodenreformgrundstücken, denen bei der durch § 12 Abs. 2 der VO über die Durchführung des Besitzwechsels bei Zurückführung dieser Grundstücke in den staatlichen Boden- Bodenreformgrundstücken v. 7.8.1975 (GBl. I S. 629) mit Wirkung v. 1.9.1975 außer Kraft gesetzt. Die VO v. 7.8.1975 wurde durch die 2. DVO fonds der Wertzuwachs nicht erstattet worden war, eine Aus- v. 7.1.1988 (GBl. I S. 25) geändert. Die VO v. 7.8.1975 idF der 2. DVO v. gleichsleistung zu gewähren, anstatt auch noch andere Erben zu 7.1.1988 (im Folgenden: BesitzwechselVO 1975/88) wurde durch § 3 Abs. 2 BodenreformG (Fn 18) mit Wirkung v. 16.3.1990 aufgehoben. verpflichten, die von ihnen geerbten Bodenreformgrundstücke 34 OG, Urt. v. 12.3.1953, OGZ 2, 115 (insbes. S. 118 f.) = NJ 1953, 498 (insbes. entgegen Art. 14 Abs. 3 GG unentgeltlich an den jeweiligen Landes- S. 499).

154 Neue Justiz 4/2006 Janke, Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR

Rechtsnachfolger iSd § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG und deshalb inso- § 8 Abs. 1 EGZGB nach dem bis dahin geltenden Recht abzuwickeln weit weder restitutions- noch entschädigungsberechtigt.35 sind.43 Zu den erbrechtlichen Verhältnissen iSd Rechtsvorschrift gehören jedoch auch die durch die §§ 2018 ff. BGB geregelten 3. Auslegung und Wirksamkeit letztwilliger Verfügungen Beziehungen zwischen den Erben einerseits und Erbschaftsbesit- zern andererseits. Ist ein Erblasser nach dem Erbrecht des ZGB beerbt worden, In derselben Entscheidung wurde vom BGH dahin erkannt, richtet sich auch die Auslegung der von ihm hinterlassenen letzt- dass der erst 1976 entstandene Erbschaftsanspruch der Verjäh- willigen Verfügungen nach den ZGB-Bestimmungen, insbeson- rungsfrist von 30 Jahren unterlag. Diese Rechtsauffassung wurde dere nach § 372 und den §§ 375-382 ZGB. Testamente und auf § 8 Abs. 1 EGZGB iVm § 195 BGB aF (jetzt § 197 Abs. 1 Nr. 2 Erbverträge, soweit sich diese auf abgespaltenen Nachlass – in der BGB) gestützt. Dies wurde ebenfalls kritisiert, weil offenbar § 11 DDR befindliches Immobilienvermögen – beziehen können, sind Abs. 1 Satz 1 EGZGB nicht angewandt worden war.44 insoweit ebenfalls nach den Bestimmungen des ZGB auszulegen.36 Nach dieser gegenüber § 8 Abs. 1 EGZGB speziellen Bestim- Vom Kammergericht wurde dahin erkannt, dass dann, wenn der mung war das ZGB auf die Verjährung aller Ansprüche – und Erblasser in einem Testament verfügt hat, dass eine Person seinen somit auch auf die Verjährung sämtlicher erbrechtlichen Ansprü- Nachlass verteilen und den größten Anteil davon erhalten soll und che – anzuwenden, die bei seinem Inkrafttreten noch nicht weitere Personen jeweils Geldbeträge erhalten sollen, darin eine verjährt waren. Im gegebenen Fall war daher der bereits 1976 Einsetzung der erstgenannten Person als Alleinerbe liegen kann. entstandene Herausgabeanspruch gem. § 474 Abs. 1 Nr. 5 iVm Hat der gem. Art. 25 Abs. 1 EGBGB nach dem Erbrecht des BGB § 475 Nr. 2 Satz 2 ZGB spätestens nach zehn Jahren und somit beerbte Erblasser in dieser Weise eine Person zu seinem Allein- 1986, als das ZGB noch galt, verjährt. Es hätte daher allenfalls erben eingesetzt, so gilt die Erbeinsetzung auch für das der Nach- geprüft werden können, ob den Erben trotz eingetretener Verjäh- lassspaltung unterliegende Immobiliarvermögen in der DDR, rung nach § 472 Abs. 2 ZGB Rechtsschutz zu gewähren gewesen sofern das Testament keinen Anhaltspunkt für die Annahme ent- wäre. Die Verjährungsvorschriften des BGB hätten jedoch nicht hält, dass sich die Erbeinsetzung nicht auch auf dieses Immobi- angewandt werden dürfen (Umkehrschluss aus Art. 231 § 6 Abs. 1 liarvermögen bezieht.37 Rechnete ein solcher Erblasser allerdings Satz 1 EGBGB). nicht damit, noch Inhaber von Immobiliarvermögen in der DDR Einem vom OLG Brandenburg entschiedenen Rechtsstreit lag zu sein, muss für die Annahme, er habe bei seiner Erbeinsetzung zugrunde, dass ein 1986 erteilter unrichtiger Erbschein, der die auch über den abgespaltenen Nachlassteil verfügen wollen, ein DDR als Alleinerbin eines im selben Jahr verstorbenen Erblassers besonderer Anhaltspunkt vorliegen.38 auswies, dazu geführt hatte, dass der Nachlass dieses Erblassers – im Wesentlichen ein Geldbetrag (einschließlich Zinsen) i.H.v. 4. Fiskuserbschaft und Bestandsschutz etwa 90.000 M/DDR – vom Staatsfiskus der DDR vereinnahmt und verbraucht worden war. Eine Eintragung von Eigentum des Volkes in Abt. I des Grund- Der Erbeserbe des Erblassers forderte von der BRD – vertreten buchs oder in einem Bestandsblatt, die aufgrund eines unrichti- durch das Bundesvermögensamt – gem. § 399 Abs. 1 Satz 1 iVm gen Erbscheins erfolgte, der die DDR als Erbin auswies (fehlerhafte § 33 Abs. 2 Satz 1 u. 2 bzw. iVm den §§ 356 f. ZGB die Herausgabe Fiskuserbschaft), begründet in aller Regel keinen Bestandsschutz dieses Geldbetrags bzw. Wertersatz. Das OLG hat im Berufungsver- für das Volkseigentum am betreffenden Grundstück oder recht- fahren – wie zuvor das LG Cottbus – entschieden, dass derartige 39 lich selbständigen Gebäude nach Art. 237 § 1 Abs. 1 EGBGB. Ansprüche des Klägers nicht bestehen. Eine solche Immobilie kann jedoch gem. Art. 237 § 2 Abs. 2 Da der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes DDR-Bürger war, EGBGB in Volkseigentum übergegangen sein.40 sind für die erbrechtlichen Verhältnisse – dazu gehören auch Ansprüche, die sich aus der Erbschaft ergeben – gem. Art. 235 § 1 5. Sonstige Entscheidungen zum Erbrecht Abs. 1 EGBGB die Bestimmungen des DDR-Rechts – hier die o.g. Vorschriften des ZGB – maßgebend. Die rechtliche Regelung des Erbscheins in § 413 ZGB entsprach inhaltlich etwa den Vorschriften des § 2353 und der §§ 2365-2367 Das OLG führte jedoch aus, dass Ansprüche gegen die BRD BGB. deshalb nicht bestehen, weil diese nicht Rechtsnachfolgerin der ersatzlos untergegangenen DDR ist. Auch aus dem EinigungsV45 Vom OLG Brandenburg wurde dahin erkannt, dass aufgrund – insbesondere aus dessen Art. 22 (Finanzvermögen) – und aus eines unrichtigen Erbscheins gem. § 413 Abs. 2 Satz 2 ZGB ein anderen gesetzlichen Bestimmungen geht nicht hervor, dass die gutgläubiger Erwerb von Kommanditanteilen erfolgt war.41 BRD für diese DDR-Verbindlichkeiten haftet.46 Der BGH hat entschieden, dass der Herausgabeanspruch des Erben gegenüber dem Erbschaftsbesitzer (Erbschaftsanspruch) gem. den §§ 2018 ff. BGB auch dann noch während der Geltung 35 BVerwG, Beschlüsse v. 27.3.2003, VIZ 2003, 428 = ZOV 2003, 188 = NJ des ZGB entstehen konnte, wenn der Erbfall vor dessen Inkraft- 2003, 324 (Leits.), sowie v. 20.5.2003, VIZ 2003, 427 = ZOV 2003, 267 = NJ treten (1.1.1976) eingetreten war. Diese Rechtsauffassung wurde 2003, 497 (Leits.). 36 BayObLG, Beschl. v. 15.1.2003 (Fn 10); KG, Beschl. v. 3.6.2003 (Fn 11). vom BGH mit Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB iVm § 8 Abs. 1 EGZGB 37 KG, ebenda. begründet. Nach diesen Bestimmungen ist für die Regelung 38 BayObLG, Beschl. v. 15.1.2003 (Fn 10). 39 OLG Dresden, Urt. v. 13.2.2003, NJ 2003, 436 (m. Anm. Gruber) = VIZ 2003, erbrechtlicher Verhältnisse das Recht anzuwenden, das zum Zeit- 481 = ZOV 2003, 178. punkt des Erbfalls (hier: 1953) galt. 40 OLG Jena, Urt. v. 18.3.2003, VIZ 2003, 346, bestätigt durch BGH, Urt. v. 17.10.2003, NJ 2004, 268 = VIZ 2004, 128 = ZOV 2004, 17. Die Anwendung der §§ 2018 ff. BGB auf einen erst 1976 – mit- 41 OLG Brandenburg, Urt. v. 6.5.2003, VIZ 2004, 42. hin während der Geltung des ZGB – entstandenen Erbschafts- 42 St. Schreiber in seinem Komm. zu BGH, Urt. v. 12.12.2003, NJ 2004, 317 f. 43 Vgl. dazu auch ZGB-Komm., 1. Aufl., Berlin 1983, Anm. 1 zu § 8 EGZGB anspruch hat in der NJ Kritik hervorgerufen.42 Die Anwendung (S. 511) sowie die insoweit gleich lautende korrigierte 2. Aufl., Berlin 1985. der BGB-Vorschriften auf den vorliegenden Fall ist m.E. jedoch 44 BGH, Urt. v. 12.12.2003, NJ 2004, 316, 317 f. (bearb. v. St. Schreiber) = VIZ 2004, 342 = ZOV 2004, 81 zutreffend erfolgt, weil bei vor dem 1.1.1976 eingetretenen Erb- 45 V. 31.8.1990 (GBl. I S. 1629 = BGBl. II S. 889). fällen alle dadurch entstandenen erbrechtlichen Verhältnisse gem. 46 OLG Brandenburg, Urt. v. 17.12.2003, NJ 2004, 227.

Neue Justiz 4/2006 155 Aufsätze Janke, Die Rechtsprechung zur Anwendung des ZGB der DDR

Dieser Rechtsauffassung ist der BGH in seiner Revisionsent- sprechend bebaut worden waren.54 Die Entstehung von volks- scheidung im Wesentlichen gefolgt. Er hat dahin erkannt, dass die eigenem Sondereigentum an baulichen Anlagen setzte in solchen BRD nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge für Verbindlich- Fällen nicht die Zustimmung des Grundstückseigentümers zur keiten der DDR haftet. Im vorliegenden Fall handelt es sich um Bebauung voraus.55 eine weder im EinigungsV noch sonst besonders geregelte Ver- In Bestätigung seiner Rechtsprechung hat das BVerwG später bindlichkeit der DDR, die nicht mit von der BRD übernommenen erkannt, dass dann, wenn ein vom Rat des Kreises gepachtetes Gegenständen des DDR-Vermögens zusammenhängt. Hier liegt nichtvolkseigenes Grundstück einer LPG zur Nutzung übergeben vielmehr eine sog. isolierte Verbindlichkeit vor, die ersatzlos weg- worden war56 und die LPG dieses Grundstück später einem VEB gefallen ist.47 zur Nutzung übertragen hatte (§ 18 Abs. 2 Buchst. h LPG-G 1982), die vom VEB auf dem Grundstück errichteten Gebäude gem. § 459 Abs. 1 Satz 1 ZGB Volkseigentum geworden waren. Einer zusätz- III. Zu den »Besonderen Bestimmungen« des ZGB48 lichen vertraglichen Vereinbarung zwischen VEB und Grund- 1. Aufbauhypothek stückseigentümer hatte es auch hier nicht bedurft. In solchen Fällen ist die Zusammenführung von Boden- und Sondereigen- In einer im Febr. 2004 getroffenen Entscheidung hat das Kammer- tum an Gebäuden im Wege der Bodenneuordnung57 nicht aus- gericht dahin erkannt, dass dann, wenn bei einer Klage auf Grund- geschlossen.58 buchberichtigung (§ 894 BGB) beantragt wird, die Löschung einer Das OLG Brandenburg entschied in einer Grundbuchsache, dass Aufbauhypothek (§ 456 ZGB) zu bewilligen, der Hypotheken- Ferienbungalows (Erholungsbauten), die von einem VEB errich- gläubiger dafür beweispflichtig ist, dass eine der Hypothek tet worden waren, der die dafür erforderliche Fläche aufgrund zugrunde liegende Forderung überhaupt entstanden ist. Dies folgt eines im Jahre 1986 geschlossenen Nutzungsvertrags in Besitz aus § 454 Abs. 1 Satz 2 ZGB. Nach dieser gem. § 456 Abs. 2 erster hatte, keine Gebäude iSd § 459 Abs. 1 Satz 1 und des § 295 Abs. 2 Halbsatz ZGB auf Aufbauhypotheken entsprechend anzuwen- ZGB sind. Für solche Bauwerke sind daher auch keine Grund- denden Vorschrift besteht eine Hypothek nur in der jeweiligen bücher anzulegen und keine Sicherungsvermerke in die Grund- Höhe der Forderung, für die sie bestellt wurde, einschließlich bücher einzutragen. Der Art. 233 § 2c iVm § 8 Satz 2 EGBGB findet Zinsen und Nebenforderungen. insoweit keine Anwendung.59 Von den VEB auf vertraglich genutz- Das Recht der DDR enthielt zwar eine auch für Hypotheken ten Bodenflächen errichtete Bungalows und andere Erholungs- geltende Vermutung der Richtigkeit des Grundbuchs,49 nicht bauten stellen allenfalls Baulichkeiten iSd § 313 Abs. 2 iVm § 296 jedoch eine § 1138 BGB entsprechende Erstreckung dieser Rich- Abs. 1 ZGB dar, die rechtlich wie bewegliche Sachen zu behandeln tigkeitsvermutung auf die einer Hypothek zugrunde liegende und deshalb nicht grundbuchfähig sind. Forderung. Der Hypothekengläubiger konnte sich daher für das Vom OVG Frankfurt (Oder) wurde klargestellt, dass für sozialis- Bestehen der gesicherten Forderung nicht auf eine Eintragung im tische Genossenschaften – hier für eine Konsumgenossenschaft – Grundbuch berufen, sondern musste das Entstehen der Forde- kein gesondertes Gebäudeeigentum nach § 459 ZGB entstehen rung nachweisen.50 konnte.60 Diese Rechtslage besteht gem. Art. 233 § 3 Abs. 1 Satz 1 EGBGB Waren an einem nichtvolkseigenen Grundstück von einem weiterhin fort. Das jetzt gem. Art. 231 § 10 EGBGB für die Rechtsträger von Volkseigentum, der das Grundstück vertraglich Aufbauhypothek zuständige Kreditinstitut trägt daher die Dar- nutzte, bedeutende Erweiterungs- oder/und Erhaltungsmaßnah- legungs- und Beweislast dafür, dass der Aufbauhypothek eine men durchgeführt worden, so entstand an dem Grundstück ent- Kreditforderung zugrunde liegt, sowie für die Höhe der Forde- sprechend der Werterhöhung kraft Gesetzes (§ 459 Abs. 1 Satz 2 rung. Wird vom Grundstückseigentümer die Löschung einer ZGB) ein volkseigener Miteigentumsanteil. Die spätere Eintra- Aufbauhypothek verlangt, ist somit das betreffende Kreditinstitut gung eines solchen Miteigentumsanteils im Grundbuch hatte insoweit beweispflichtig. Kann dieser Beweis nicht geführt wer- – ebenso wie die Anlegung von Gebäudegrundbüchern für gem. den, ist die Löschungsbewilligung zu erteilen. Hingegen trägt bei einer Aufbaugrundschuld der Sicherungs- geber (der Grundstückseigentümer) die Beweislast dafür, dass 47 BGH, Urt. v. 30.11.2005, NJ 2006, 189 (bearb. v. Gruber), in diesem Heft. dieser Grundschuld keine Forderung zugrunde liegt.51 48 Vgl. dazu auch G. Janke, NJ 1994, 442 f.; NJ 1996, 350; NJ 1999, 630 ff.; NJ 2003, 66 ff. 49 Vgl. § 7 iVm § 9 der GrundstücksdokumentationsO v. 6.11.1975 (GBl. I 2. Sicherung des sozialistischen Eigentums bei Baumaßnahmen S. 697) – im Folgenden: GDO, geänd. durch § 2 Nr. 3 des 1. ZivilRÄndG. auf vertraglich genutzten nichtvolkseigenen Grundstücken 50 So bereits BGH, Urt. v. 15.11.1994, NJ 1995, 260 = DtZ 1995, 101 = VIZ 1995, 233 = ZOV 1995, 33, sowie ZGB-Komm. (Fn 43), Anm. 1.1 zu § 454 (S. 486). Nach § 459 Abs. 1 Satz 1 ZGB wurden die von den VEB, staatlichen 51 KG, Urt. v. 26.2.2004, ZOV 2004, 247. Zur Begründung von Aufbaugrund- schulden vgl. auch G. Janke, NJ 2003, 64 ff. (insbes. S. 66, Fn. 29). Organen oder Einrichtungen auf vertraglich genutzten nicht- 52 Die Aufhebung erfolgte durch Nr. 7 der Anl. 1 zum 2. ZivilRÄndG. volkseigenen Grundstücken errichteten Gebäude und baulichen 53 VO über die Sicherung des Volkseigentums bei Baumaßnahmen von Betrie- Anlagen unabhängig vom Eigentum am Boden Volkseigentum. ben auf vertraglich genutzten nichtvolkseigenen Grundstücken v. 7.4.1983 (GBl. I S. 129), geänd. durch § 15 Abs. 1 Nr. 2 der Gebäudegrundbuchver- § 459 ZGB wurde zwar bereits mit Wirkung v. 9.8.1990 aufge- fügung (GGV) v. 15.7.1994 (BGBl. I S. 1606, 1610) sowie die zu dieser VO hoben;52 die aufgrund dieser gesetzlichen Bestimmung und der erlassene DB v. 7.4.1983 (GBl. I S. 130). 54 So bereits ZGB-Komm. (Fn 43), Anm. 1.1 Abs. 2 zu § 459 (S. 490). 53 dazu erlassenen Ausführungsvorschriften begründeten Rechts- 55 BVerwG, Urt. v. 2.9.1998, BVerwGE 107, 177 (insbes. S. 186 f.) = VIZ 1999, verhältnisse und Ansprüche blieben jedoch nach Maßgabe des 91 (insbes. S. 94). 56 Vgl. dazu § 9 Abs. 1 LPG-G v. 3.6.1959 (GBl. I S. 577) sowie § 18 Abs. 1 Art. 233 § 8 EGBGB unberührt. LPG-G v. 2.7.1982 (GBl. I S. 443) – im Folgenden: LPG-G 1982. Das BVerwG hatte bereits 1998 entschieden, dass aufgrund des 57 Vgl. § 64 LandwirtschaftsanpassungsG (LwAnpG) idF der Bkm. v. 3.7.1991 (BGBl. I S. 1418), zuletzt geänd. durch Art. 7 Abs. 45 des MietrechtsreformG § 459 Abs. 1 Satz 1 ZGB auch dann Volkseigentum an baulichen v. 19.6.2001 (BGBl. I S. 1149, 1174). Anlagen entstanden war, wenn nichtvolkseigene Bodenflächen, 58 BVerwG, Urt. v. 24.3.2004, NJ 2004, 426 = VIZ 2004, 377. 59 OLG Brandenburg, Beschl. v. 9.12.2002, NJ 2003, 318 (bearb. v. Maskow) = die der Rat des Kreises zugunsten einer LPG gepachtet hatte, von VIZ 2003, 197 = ZOV 2003, 108 u. 173. den VEB zur Bewirtschaftung übernommen und von diesen ent- 60 OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 10.4.2003, ZOV 2003, 275.

156 Neue Justiz 4/2006 Janke, Die Rechtsprechung … Neue Rechtsvorschriften

§ 459 Abs. 1 Satz 1 ZGB entstandene volkseigene Gebäude – nur Unter Beachtung auch des Art. 231 § 6 Abs. 1 u. 2 EGBGB iVm deklaratorische Bedeutung. § 474 Abs. 1 Nr. 3 ZGB und § 852 Abs. 1 BGB aF kam der BGH zu Ein nach § 459 Abs. 1 Satz 2 ZGB entstandener volkseigener dem Ergebnis, dass der Anspruch zum Zeitpunkt der Klageerhe- 64 Miteigentumsanteil, der nicht im Grundbuch eingetragen war, bung noch nicht verjährt war. konnte seit dem 3.10.1990 von einem Erwerber des Grundstücks Das OLG Naumburg hat darauf hingewiesen, dass auch während gem. § 892 BGB gutgläubig erworben werden. Ein gutgläubiger der Geltung des ZGB Ansprüche von Grundstückseigentümern Erwerber des volkseigenen Miteigentumsanteils kann auch nicht auf Herausgabe ihrer Grundstücke nicht der Verjährung unter- nach § 113 Abs. 3 SachenRBerG auf Grundbuchberichtigung in lagen. Der Herausgabeanspruch gegen einen unberechtigten Anspruch genommen werden.61 Grundstücksbesitzer (§ 33 Abs. 2 Satz 1 ZGB) beruhte auf dem Grundstückseigentum, das auch in der DDR ein im Grundbuch 3. Verschiedenes eingetragenes Recht darstellte. Die Nichtverjährbarkeit des Herausgabeanspruchs folgte somit aus § 479 Abs. 1 Satz 1 ZGB Die Anwendung des § 467 Abs. 2 u. 3 ZGB im Verhältnis zu § 295 und dem gleich lautenden § 10 Abs. 1 Satz 1 GDO.65 Diese Abs. 1 ZGB bei der rechtlichen Beurteilung der Eigentumsverhält- Bestimmungen entsprachen dem jetzt geltenden § 902 Abs. 1 nisse an einem Gebäude, das sich nach der Teilung des Grundstücks, Satz 1 BGB. auf dem es errichtet worden war, nunmehr auf benachbarten Allerdings wurde vom OLG im gegebenen Fall unter Anwen- Grundstücken befindet, ist in einer Entscheidung des BGH darge- dung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) dahin legt.62 erkannt, dass der jetzt auf § 985 BGB gestützte Herausgabe- Das OLG Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass eine Verlän- anspruch des klagenden Grundstückseigentümers verwirkt war, gerung der Verjährungsfrist gem. § 474 Abs. 3 ZGB – in Überein- da die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger das umstrittene Flur- stimmung mit dem bis zum 31.12.2001 in Kraft gewesenen § 225 stück fast 70 Jahre unangefochten in Besitz hatten und es auch BGB – unwirksam war.63 von ihnen bebaut worden war.66 Nunmehr kann eine Verlängerung der Verjährungsfrist bis zur Dauer von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn vereinbart werden (Umkehrschluss aus § 202 Abs. 2 BGB). Weiterhin sei auf eine Entscheidung des BGH bzgl. der Verjäh- rung eines Ausgleichsanspruchs wegen eines Gesundheitsscha- 61 OLG Naumburg, Urt. v. 8.6.2004, VIZ 2004, 540 = OLG-NL 2004, 247. dens (§ 338 Abs. 3 ZGB) hingewiesen. 62 Vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2003, VIZ 2004, 130. Siehe dazu bereits G. Janke, Im vorliegenden Fall resultierte dieser Anspruch aus einer 1984 NJ 2006, 54 ff., 60 unter V. 3. Zur Anwendung des § 467 Abs. 2 Satz 2 ZGB erfolgten ärztlichen Behandlung des damals noch minderjährigen im Verhältnis zu § 295 Abs. 1 ZGB vgl. auch OG, Urt. v. 26.3.1985, NJ 1986, Klägers. Der von seiner Mutter im Jahre 1987 gestellte Schadens- 254. 63 OLG Brandenburg, Urt. v. 19.3.2003, VIZ 2003, 456 (Leits.). ersatzantrag wurde vom beklagten Klinikum etwa 1989 dessen Haft- 64 BGH, Urt. v. 1.3.2005, NJ 2005, 368 (bearb. v. I. Fritsche). pflichtversicherer zur Bearbeitung übergeben. Da dieser den Anspruch 65 So bereits OG, Urt. v. 26.11.1985, NJ 1986, 255 (insbes. S. 256), sowie BGH, im Sept. 1995 dem Grunde nach anerkannt hatte, war die Verjährung Urt. v. 7.7.2000, NJ 2001, 96 = VIZ 2000, 676 = ZOV 2000, 392. des Ausgleichsanspruchs zunächst gem. § 477 Abs. 1 Nr. 6 ZGB 66 OLG Naumburg, Urt. v. 24.5.2005, OLG-NL 2005, 225 = NJ 2006, 182 gehemmt und später gem. § 208 BGB aF unterbrochen. (Leits.), in diesem Heft.

Die neue Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt Privatdozentin Dr. Christina Preschel, Berlin

Nachdem jüngst im Land Berlin eine neue Bauordnung in Kraft getreten Das Prüfprogramm soll in bauaufsichtlichen Zulassungs- ist, hat nun auch der Gesetzgeber des Landes Sachsen-Anhalt mit verfahren auf die Teile begrenzt werden, bei denen eine bauauf- Wirkung vom 15.3.2006 eine neue Bauordnung verabschiedet. Es sichtliche Prüfung unverzichtbar ist und Dritte diese Prüfung handelt sich dabei um die dritte Bauordnung seit Gründung des Landes. nicht leisten können. Die wesentlichen Neuregelungen werden nachfolgend von der Autorin Regelungen, die sich mit dem Planungsrecht deckten bzw. über- erläutert. schnitten, wurden weitgehend aus der BauO LSA entfernt (§§ 6, 46 Abs. 2, 4 u. 5 aF). Anforderungen an die öffentliche Zugäng- lichkeit baulicher Anlagen für behinderte Menschen ohne fremde I. Ziel des Gesetzes Hilfe wurden in den Bestimmungen über das barrierefreie Bauen in § 49 verankert. In Orientierung an der von der Bauministerkonferenz beschlos- senen Musterbauordnung (MBO) von 2002 und mit dem Ziel eines für Mitteldeutschland möglichst einheitlichen Bauord- 1 Art. 1 des 3. InvestitionserleichterungsG v. 20.12.2005 (GVBl. LSA S. 769). nungsrechts bezweckt der Landesgesetzgeber mit der neuen Sie löst die BauO v. 9.2.2001 (GVBl. LSA S. 50), zuletzt geänd. durch Ges. v. Bauordnung (BauO LSA)1 eine weitgehende Annäherung an 18.11.2005 (GVBl. LSA S. 698, 704), ab. Zur BauO LSA 2001 siehe Ch. Pre- schel, NJ 2001, 235 ff. Im Folgenden beziehen sich alle Paragraphen ohne die 2004 novellierten Bauordnungen der Länder Sachsen und Gesetzesangabe auf die BauO LSA. Thüringen.2 2 LT-LSA Drucks. 4/2252.

Neue Justiz 4/2006 157 Neue Rechtsvorschriften Preschel, Die neue BauO LSA

II. Die wesentlichen Neuregelungen im Einzelnen BauNVO), die Festsetzung von Baulinien (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO), die Baugrenzen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO) und die 1. Gebäudeklassen/Sonderbauten Bebauungstiefen (§ 23 Abs. 4 Satz 1 BauNVO). Sie ist auch im Falle einer Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB zulässig. Es entfällt ferner Nach dem Vorbild der MBO werden fünf Gebäudeklassen ent- die öffentlich-rechtliche Sicherung des Anbauzwangs (§ 6 Abs. 1 sprechend den unterschiedlichen Anforderungen an den Brand- Satz 2 Nr. 2 aF), da sich der Zwang bzw. die Erlaubnis zum Anbau schutz bestimmt (§ 2 Abs. 3 u. 4). Wie auch in der neuen Berliner bereits aus dem Bauplanungsrecht ergibt.7 BauO3 lösen sich die Brandschutzanforderungen damit von der bisherigen Abstufung allein nach der Gebäudehöhe und richten 3. Bauaufsichtsbehörden sich nach einer Kombination dieses Kriteriums mit der Zahl und Größe von Nutzungseinheiten. Mit § 56 entfällt die Möglichkeit der Übertragung von Aufgaben einer Bauaufsichtsbehörde auf Gemeinden mit mind. 25.000 Ein- Der Gesetzgeber hat, gestützt auf bauaufsichtliche Praxiserfah- wohnern (§ 63 Abs. 1 Satz 2 aF). Damit sollen sich die bauauf- rungen, den Kreis der Sonderbauten weiter gezogen als die MBO. sichtlichen Befugnisse auf der Ebene der Landkreise und kreis- Erfasst werden bauliche Anlagen, die unabhängig von der Art freien Städte konzentrieren, was mit dem weitgehenden Verzicht ihrer Nutzung – aufgrund ihrer Höhe oder Ausdehnung – als auf bauaufsichtliche Prüfungen, mit den Freistellungsverfahren Sonderbauten eingeordnet werden. Alle weiteren Sonderbauten- und der in § 71 vorgesehenen Konzentrationswirkung der Bau- typen sind dadurch bestimmt, dass sie von einer größeren Zahl genehmigung und vor allem mit dem vom Gesetzgeber verfolgten von Personen (Verkaufsstätten, Versammlungsstätten oder Groß- Konzept der »Genehmigung aus einer Hand« im Zusammenhang raumbüros) genutzt werden, wobei über die Flächengrößen oder steht. die Personenzahlen eine »Einstiegsschwelle« bestimmt wird oder die Sonderbauteneigenschaft sich daraus ergibt, dass sie der Gemeinden, denen die Aufgaben einer unteren Bauaufsichts- Nutzung durch erhöht schutzbedürftige Personen dienen (Kran- behörde bereits übertragen worden sind, behalten diesen Status kenhäuser, Schulen usw.). Schließlich werden bauliche Anlagen gem. § 87 Abs. 3. erfasst, die wegen ihrer Atypik im Baugenehmigungsverfahren behandelt werden sollen. 4. Baugenehmigungsverfahren Der Sonderbautenbegriff hat wie in den anderen novellierten Die Neufassung knüpft an die vorhandenen Verfahrenstypen Bauordnungen verfahrenssteuernde Wirkung, da Sonderbauten Genehmigungsfreistellung (§ 61), vereinfachtes Baugenehmi- (grundsätzlich) weder der Genehmigungsfreistellung (§ 61) noch gungsverfahren (§ 62) und Baugenehmigungsverfahren (§ 63) an. dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 62) unterfal- len, sondern im Baugenehmigungsverfahren (§ 63) zu behandeln Das in § 63 geregelte »herkömmliche« Baugenehmigungs- sind. Dort werden auch alle bauordnungsrechtlichen Anforde- verfahren (§ 77 aF) zielt nicht mehr auf eine umfassende Prüfung rungen geprüft und nach § 50 Abs. 1 Satz 1 weitere besondere der auf das jeweilige Bauvorhaben anzuwendenden öffentlich- Anforderungen gestellt oder (kompensatorische) Erleichterungen rechtlichen Anforderungen und damit auf eine Baugenehmigung zugelassen (§ 50 Abs. 1 Satz 2). An den Sonderbautenbegriff als (grundsätzlich) umfassende öffentlich-rechtliche Unbedenk- knüpfen auch die besonderen Anforderungen hinsichtlich der lichkeitsbescheinigung. bautechnischen Nachweise an.4 Das Prüfprogramm im Baugenehmigungsverfahren beschränkt Die Verantwortung für die Sicherheit der Anlagen, die nicht sich vielmehr im Wesentlichen auf die baurechtliche Zulässigkeit. mehr dem Sonderbautenbegriff unterfallen, geht hingegen voll- Damit verabschiedet sich nun auch Sachsen-Anhalt – insbeson- ständig auf den Bauherrn und die am Bau Beteiligten über. dere gegen den Widerstand der kommunalen Spitzenverbände – von der sog. Schlusspunkttheorie. 2. Abstandsflächen Die Baugenehmigung wird grundsätzlich unbeschadet anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften erteilt, wenn die bauplanungs- Die Regelabstandsfläche wird unter Beibehaltung der bisherigen rechtliche Zulässigkeit gegeben ist und das Bauordnungsrecht Mindestabstandsflächentiefe von 3 m auf 0,4 H (H = Wandhöhe) nicht entgegensteht. Zur Gewährleistung der Rechtssicherheit der reduziert (§ 6 Abs. 5). Zugleich entfallen eine Vielzahl von über- Bauherrn und Investoren will der Landesgesetzgeber das Bau- flüssigen Detailregelungen und auch das Schmalseitenprivileg nebenrecht allerdings so umgestalten, dass alle Gestattungen und (§ 6 Abs. 6 aF). Damit will der Gesetzgeber – wie auch in Berlin – Erlaubnisse für Vorhaben, die einer Baugenehmigung bedürfen eine deutliche Straffung und Vereinfachung des Abstandsflächen- und nicht in anderen Verfahren entschieden werden, in der Bau- rechts insbesondere vor dem Hintergrund der Verantwortungs- genehmigung enthalten sind oder durch die Bauaufsichtsbehörde verlagerung auf die am Bau Beteiligten im Freistellungs- und erteilt werden.8 5 vereinfachten Genehmigungsverfahren erreichen. Das deutlich eingeschränkte Prüfprogramm umfasst nach § 63 Den Gemeinden wird in § 85 Abs. 1 Nr. 3 eine erweiterte die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Bauvorhaben nach Möglichkeit zur planerischen Festlegung abweichender Maße den §§ 29-38 BauGB (Nr. 1) und das gesamte Bauordnungsrecht der Abstandsflächentiefe mittels örtlicher Bauvorschriften ein- (Nr. 2). Sonstiges »aufgedrängtes« öffentliches Recht (Nr. 3) wird geräumt, soweit dies zur Gestaltung des Ortsbildes oder zur Ver- nur geprüft, wenn das übrige Fachrecht ausdrücklich eine Präven- wirklichung der Festsetzungen einer städtebaulichen Satzung tivkontrolle im Baugenehmigungsverfahren vorschreibt. erforderlich ist. § 6 Abs. 1 Satz 3 stellt den Vorrang des bundesrechtlichen Bau- planungsrechts gegenüber dem Bauordnungsrecht klar.6 Damit 3 V. 29.9.2005 (GVBl. S. 495). Siehe dazu Ch. Preschel, NJ 2006, 61 ff. entfallen Regelungen, die sich bereits aus dem Planungsrecht 4 LT-LSA Drucks. 4/2252, Begr. zu § 2. 5 Ebenda, Begr. zu § 6. ergeben bzw. zu diesem in Widerspruch standen. 6 Vgl. dazu grundsätzlich BVerwG, Beschl. v. 11.3.1994, NVwZ 1994, 1008. 7 Vgl. sog. Doppelhaus-Entscheidung, BVerwGE 110, 355 = NVwZ 2000, Die Zulässigkeit der Grenzbebauung ergibt sich z.B. bereits aus 1055. den bundesrechtlichen Vorschriften über die Bauweise (§ 22 8 LT-LSA Drucks. 4/2252, Allgemeines.

158 Neue Justiz 4/2006 Preschel, Die neue BauO LSA Kurzbeiträge

Die Entscheidung darüber, ob eine eigenständige fachrecht- Gemeinden dann zugute kommen, wenn sie planungsrechtliche liche Prüfung oder eine in das Baugenehmigungsverfahren Fragen nicht rechtssicher beurteilen können, dürfte aber auch aus integrierte präventive Prüfung fachrechtlicher Anforderungen der Sicht des Bauherrn unter dem Gesichtspunkt der Verhältnis- durchgeführt werden soll, wird aufgrund seiner größeren Sach- mäßigkeit gegenüber der Versagung zu begrüßen sein. nähe vom jeweiligen Fachrecht getroffen. Das Fachrecht trägt Im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 62) werden somit die Verantwortung dafür, ob und in welchem Umfang das zunächst nur die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschrif- bauordnungsrechtliche Genehmigungsverfahren mit der Prüfung ten der §§ 29-38 BauGB geprüft. Abweichungen vom sonstigen von Fachrecht belastet wird, und dafür, in welchem Maße materiellen Bauplanungsrecht werden erst nach gesondertem fachrechtliche Anlagenzulassungsverfahren mit baurechtlichen Antrag gem. § 66 in das Prüfprogramm einbezogen. Der Bauherr Genehmigungsverfahren verknüpft und koordiniert werden. muss also aktiv werden, denn die Behörde prüft die Abweichun- Soweit es an einer Koordination von fach- und baurechtlichen gen nicht von sich aus. Genehmigungsverfahren fehlt (sog. parallele Anlagengenehmi- Andere öffentlich-rechtliche Anforderungen (sog. aufgedräng- gungsverfahren), verbleibt es entsprechend der Rechtsprechung 9 tes öffentliches Recht) werden im vereinfachten Verfahren wie im bei der Prüfung im fachrechtlichen Verfahren, verbunden mit normalen Baugenehmigungsverfahren geprüft, soweit wegen der einer Bindungswirkung für das Baugenehmigungsverfahren. Baugenehmigung eine fachrechtliche Gestattung zurücktritt. Besteht für sonstiges öffentliches (Fach-)Recht bisher kein § 60 regelt wie § 69 aF die Verfahrensfreiheit von Bauvorhaben, präventives Kontrollverfahren, muss vom Gesetzgeber entschie- die nicht iSd § 29 Abs. 1 BauGB planungsrechtlich relevant sind. den werden, ob dafür eigenständige oder mit dem bauordnungs- Einige bislang nach § 69 aF freigestellte Bauvorhaben, bei denen rechtlichen Verfahren koordinierte Anlagenzulassungsverfahren darüber keine entsprechende Klarheit bestand, sind daher unter erforderlich sind. Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerwG10 nicht mehr Zugleich verdeutlicht die BauO LSA das Bestreben, Genehmi- im Katalog des § 60 enthalten. Aus Gründen der Vereinheit- gungen möglichst aus einer Hand zu erteilen. Das zeigt auch lichung wurde der Katalog der verfahrensfreien Vorhaben der die Neuregelung in § 85 Abs. 2 Satz 4. Aus Gründen der Ver- MBO im Wesentlichen übernommen. waltungsvereinfachung entscheidet die Bauaufsichtsbehörde in Mit der Verfahrensfreiheit werden die Bauvorhaben nach § 60 der Baugenehmigung auch über örtliche Bauvorschriften, Geneh- nunmehr auch begrifflich von der Genehmigungsfreistellung migungen oder Abweichungen. In diesen Fällen ist dann das nach § 61 unterschieden.11 Einvernehmen der Gemeinde (vgl. § 68) für die Erteilung der § 60 Abs. 3 stellt die Beseitigung von Anlagen verfahrensfrei, Genehmigung erforderlich. deren Beseitigung i.d.R. keine statisch-konstruktiven Schwierig- keiten aufwirft und auch mit Blick auf das Nachbarschaftsver- 5. Genehmigungsfreistellung und Genehmigungsverfahren hältnis keiner bauaufsichtlichen Tätigkeit bedarf. Dies betrifft die Beseitigung von verfahrensfrei errichteten Anlagen, freistehen- Die Regelung des Freistellungsverfahrens in § 61 entspricht im den Gebäuden der Gebäudeklassen 1 und 3 sowie von sonstigen Wesentlichen § 68 aF. Anlagen, die keine Gebäude sind, mit einer Höhe von bis zu 10 m. Der Katalog der freigestellten Vorhaben wurde etwas erweitert, Die beabsichtigte Beseitigung aller anderen Anlagen unterliegt bleibt aber eher konservativ. Er bezieht sich auf Wohngebäude einem Anzeigeverfahren. bis zur Gebäudeklasse 3, d.h. bis zu einer Höhe von 7 m, umfasst § 74 folgt dem bundesweiten Trend und stellt nunmehr auch aber sonstige Gebäude nur bis zur Gebäudeklasse 2. Damit schöpft im Wortlaut klar, dass auf die Erteilung eines Vorbescheids – anders der Gesetzgeber – anders als z.B. in Berlin – nicht alle Möglich- als nach § 72 Abs. 1 Satz 1 aF, der als Ermessensentscheidung keiten der MBO aus, die eine Freistellung mit Ausnahme von ausgestaltet war und damit im Widerspruch zum Anspruch auf Sonderbauten zulässt. Entsprechend zurückhaltend bleibt auch Baugenehmigung und zur bauaufsichtlichen Praxis stand – selbst der sachliche Anwendungsbereich des vereinfachten Verfahrens ein Rechtsanspruch besteht. nach § 62. Die Freistellung beschränkt sich wie bisher auf Vorhaben im 6. Bautechnische Nachweise Geltungsbereich von qualifizierten Bebauungsplänen nach § 30 Abs. 1 und vorhabenbezogenen Bebauungsplänen gem. §§ 12 Auch mit § 65 hat der Gesetzgeber das Konzept der MBO über- u. 30 Abs. 2 BauGB. Von der Ausweitung der Freistellung auf nommen und die Regelungen über die bautechnischen Nachweise den nicht beplanten Innen- (§ 34 BauGB) und den Außenbereich zur Einhaltung der Standsicherheit, des Brand-, Schall-, Wärme- (§ 35 BauGB) unter der Voraussetzung, dass die bauplanungs- und Erschütterungsschutzes unabhängig von den Bestimmungen rechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens durch Vorbescheid zu bauaufsichtlichen Verfahren und Bauvorlagen getroffen. (§ 74) festgestellt worden ist, hat der Gesetzgeber abgesehen, da Bautechnische Nachweise sind nur noch dann Bauvorlagen, insoweit die Möglichkeit des vereinfachten Baugenehmigungs- wenn eine bauaufsichtliche Prüfung vorgesehen ist. verfahrens gem. § 62 eröffnet ist. Damit gelten die Anforderungen des § 65 grundsätzlich nicht Das freigestellte Bauvorhaben muss den Festsetzungen des für verfahrensfreie Bauvorhaben (§ 60) einschließlich der Beseiti- Bebauungsplans entsprechen und damit auch ohne Ausnahmen gung von Anlagen, soweit in der BauO LSA selbst oder in einer (§ 31 Abs. 1 BauGB) und Befreiungen (§ 31 Abs. 2 BauGB) zuläs- Rechtsverordnung aufgrund § 84 Abs. 3 nicht etwas anderes sig sein. Auch hier bleibt die Freistellungsregelung zwar hinter bestimmt ist. Unberührt bleibt die Verantwortlichkeit des Bau- anderen Bauordnungen zurück, ist dafür aber klar und eindeutig. herrn für die Einhaltung der materiell-rechtlichen Anforderungen (vgl. § 58 Abs. 2) des Bauvorhabens, die ggf. auch die Erstellung Die Gemeinde hat innerhalb von einem Monat nach Zuleitung der erforderlichen Bauunterlagen über die vorläufige Untersagung gem. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB hinausgehend die Möglichkeit, 9 Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.5.1989, NVwZ 1989, 1163 – Zwischenlager Ahaus. gem. § 61 Abs. 2 Nr. 4 das Bauvorhaben in das vereinfachte Bau- 10 BVerwG, Urt. v. 7.5.2001, NVwZ 2001, 1046. genehmigungsverfahren umzuleiten. Das soll vor allem kleineren 11 LT-LSA Drucks. 4/2252, Begr. zu § 60.

Neue Justiz 4/2006 159 Kurzbeiträge Preschel, Die neue BauO LSA

bautechnischer Nachweise bei verfahrensfreien Vorhaben erfor- entsprechende Gestaltung ableiten lässt und die Gestaltung des derlich machen kann. öffentlichen Raums durch die Gemeinde im Einklang mit den Die in § 65 enthaltenen Prüfeinschränkungen werden durch baugestalterischen Absichten steht. So sind baugestalterische Anforderungen an die Ersteller bautechnischer Nachweise und Vorgaben in einer Satzung nicht zulässig, wenn ein neuer Ortsteil an die Prüfung solcher Nachweise auch außerhalb des bau- abgesetzt von der Gemeinde entsteht oder in der näheren Umge- ordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens kompensiert. In bung bereits entsprechende, das Ortsbild bestimmende Vorbilder Abhängigkeit von der bautechnischen Schwierigkeit und vom vorhanden sind.14 Risikopotenzial bestimmter Bauvorhaben stellt § 65 ein dreistufi- Auf eine Ermächtigung zum Erlass von Satzungen über Kinder- ges Modell für die Kompensation entfallender bauaufsichtlicher spiel- und Freizeitflächen, über die Gestaltung von Gemein- Prüfungen zur Verfügung.12 schaftsanlagen, über Lager-, Camping- und Zeltplätze sowie Grundsätzlich genügt die Bauvorlageberechtigung nach § 64 Abstellplätze für Fahrräder etc. wurde mangels bauordnungs- Abs. 2 Nr. 1, 2 u. 4 auch für die Erstellung der bautechnischen rechtlicher Notwendigkeit verzichtet. Nachweise (§ 65 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1). Für bestimmte Nach § 85 Abs. 5 treten örtliche Bauvorschriften nach fünf Jah- Vorhaben (§ 65 Abs. 2) wird eine besondere Qualifikation des ren außer Kraft, können jedoch für jeweils fünf Jahre verlängert Nachweisaufstellers als qualifizierter Tragwerks- bzw. Brand- werden. Dies gilt auch für bestehende Satzungen. Damit soll schutzplaner gefordert. Soweit der Standsicherheits- und/oder erreicht werden, dass örtliche Bauvorschriften nur bei Erforder- Brandschutznachweis nicht von einem Nachweisberechtigten lichkeit erlassen werden bzw. in Kraft bleiben, einer laufenden erstellt wird, löst dies gem. § 65 Abs. 2 eine bauaufsichtliche Kontrolle unterworfen und überflüssige, umfangreiche, oftmals Prüfung dieser Nachweise mit entsprechenden Gebühren aus. zu unbestimmte und im Widerspruch zu anderen Regelungen Das bisherige Modell der Aufgabenprivatisierung, d.h. des stehende Satzungsbestimmungen beseitigt werden. privat tätigen Sachverständigen, dem im Freistellungsverfahren und im vereinfachten Baugenehmigungsvorhaben die Prüfung * Insgesamt folgt der Landesgesetzgeber mit der neuen BauO LSA bautechnischer Nachweise zugewiesen wurde, wird zur Angleichung durch Orientierung an der MBO dem Trend zur Angleichung des an die Bauordnungen von Sachsen und Thüringen zugunsten Bauordnungsrechts in den Ländern, wobei vor allem das Bestre- einer bloßen Funktionsprivatisierung aufgegeben. Die bautech- ben der Angleichung an die Bauordnungen von Thüringen und nischen Nachweise über die Standsicherheit und den Brandschutz Sachsen deutlich wird. werden durch die Bauaufsichtsbehörde selbst oder durch belie- hene Prüfingenieure geprüft. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, Hinsichtlich der Verlagerung der Verantwortung in den pri- gem. § 84 im Verordnungswege ggf. eine einheitliche Zulassung vaten Bereich bleibt die BauO LSA zurückhaltender als z.B. die von Prüfingenieuren sowie Bewertung, Berechnung und Kosten- Berliner BauO, was sich vor allem im Umfang der Genehmi- erhebung in diesen drei Bundesländern zu regeln.13 gungsfreistellung widerspiegelt. Erfreulich ist jedenfalls, dass der Gesetzgeber nicht einfach moderne Konzeptionen übernimmt, 7. Örtliche Bauvorschriften/Baugestaltung sondern sich unter Berücksichtigung der Verwaltungserfahrungen vor allem um klare und widerspruchsfreie Regelungen bemüht § 85 schränkt den gesetzlichen Rahmen für den Erlass örtlicher und dabei auch von einem gewissen Pragmatismus leiten lässt. Bauvorschriften als Satzung gegenüber der bisherigen Ermächti- gungsgrundlage in § 90 Abs. 1 aF erheblich ein. 12 LT-LSA Drucks. 4/2252, Begr. zu § 65. Gestaltungssatzungen können künftig nur noch erlassen wer- 13 Ebenda, Begr. zu § 84. den, wenn sich aus dem bereits vorhandenen Ortsbild eine 14 Ebenda, Begr. zu § 85.

Das Sozialverwaltungsrecht zur Einzelfallentscheidung durch die Behörde selbst außerhalb eines förmlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Die allgemeinen Regeln zur Bescheid-Korrektur Bescheid-Korrektur reichen von der Berichtigung offenbarer Professor Dr. Gernot Dörr, Berlin Unrichtigkeiten in § 38 SGB X bis zu Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten mit Drittwirkung in § 49 SGB X. Die Korrektur von Verwaltungsakten hat wegen deren Häufigkeit in der Praxis und aufgrund der damit einhergehenden finanziellen Folgen für a) Bestandskraft und Korrektur nach dem SGB X die Betroffenen große Relevanz. Der Autor beleuchtet im Folgenden Auch in der Verwaltungspraxis haben als Regeln zur Bescheid- das komplexe Regelungssystem und benennt aus aktuellem Anlass Korrektur die Vorschriften zur Änderung im Verfügungssatz eines insbesondere spezielle Regeln der Rentenversicherung. Verwaltungsakts größte Bedeutung. Auf den Verfügungssatz oder Tenor eines Verwaltungsakts bezieht sich – objektiv – dessen 1. Systematische Prinzipien Bestandskraft, wie sie § 39 Abs. 2 SGB X für die entscheidende Verwaltung und § 77 SGG2 für die Betroffenen der Einzelfallrege- Für die gesamte Sozialverwaltung – mit Aufgaben aus den allge- meinen Büchern SGB II bis SGB XII oder den besonderen Teilen 1 nach § 68 SGB I – regelt das SGB X die Prinzipien der Korrektur 1 Geltend idF v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130). von Verwaltungsakten, also der Änderung einer behördlichen 2 Auch in der maßgebenden Fassung v. 23.9.1975 (BGBl. I S. 2535).

160 Neue Justiz 4/2006 Dörr, Das Sozialverwaltungsrecht zur Bescheid-Korrektur

lung umschreiben. Die so verbindliche Sachentscheidung darf Weise speziell wirkt § 310c SGB VI11 zur Neufeststellung wegen des oder muss die zuständige Behörde Zusammentreffens eigentümlicher Sozialleistungen aus der DDR – zurücknehmen bei anfänglich materieller Rechtswidrigkeit mit rentenrechtlich erheblichen Zeiten einer Beschäftigung.12 (§§ 44, 45 SGB X), – widerrufen »trotz« – materieller – Rechtmäßigkeit (§§ 46, 47 2. Aktuelle Neuregelungen der Rentenversicherung SGB X), Zur Gestaltung des Rentenversicherungsrechts als bedeutsamer – aufheben bei entscheidungserheblich veränderten Verhält- Teil des Sozialrechts hat die Gesetzgebung des Bundes noch in der nissen (§ 48 SGB X). 15. Legislaturperiode aktuelle Korrektur-Vorschriften erlassen, Diese Rechtsregeln übertragen das Korrektur-System des Allge- die exemplarisch zum einen als spezielle Bestimmungen nur für meinen Verwaltungsrechts aus den §§ 48, 49 VwVfG 3 auf die begrenzte Sachgebiete wirken, zum anderen als besondere Rege- Sozialverwaltung und ergänzen es generell nach traditionellen lungen über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus Prinzipien des Sozialrechts.4 Dazu gehört vor allem eine betonte Bedeutung haben. Berücksichtigung des Vertrauensschutzes von Betroffenen begüns- tigender Leistungsentscheidungen.5 a) Bescheid-Änderung nach Versorgungsausgleich Eine normative Parallele zum Allgemeinen Verwaltungsrecht stellt exemplarisch § 47 Abs. 2 SGB X dar, der – ähnlich § 49 Wird ein bereits rentenberechtigter Versicherter Verpflichteter Abs. 3 VwVfG – den Widerruf eines rechtmäßigen Zuwendungs- eines Versorgungsausgleichs, führt dies gem. § 101 Abs. 3 Satz 1 bescheids auch für die Vergangenheit ermöglicht.6 Als eigenstän- SGB VI zu einer Minderung seiner Rente erst dann, wenn der/die dige Korrektur-Bestimmung des Sozialverwaltungsrechts erfasst Berechtigte des Versorgungsausgleichs hieraus effektiv Sozial- die Aufhebung nach § 48 SGB X – ggf. durch Aussparen nach § 48 leistung erhält.13 Abs. 3 SGB X7 – Verwaltungsakte mit Dauerwirkung ohne Rück- Das VerwaltungsvereinfachungsG v. 21.3.200514 mindert dieses sicht darauf, ob sie ursprünglich rechtmäßig erlassen worden sog. Rentner-Privileg durch einen ergänzenden § 101 Abs. 3 Satz 4 waren oder nachträglich rechtswidrig geworden sind. SGB VI: Wenn Leistungen aus dem Versorgungsausgleich an den berechtigten anderen Ehegatten oder Lebenspartner nachträglich b) Besondere generelle Regelungen bekannt werden oder rückwirkend zufließen, ist der Renten- bescheid des Ausgleichspflichtigen deswegen mit Rückwirkung in Die Strukturen von Rücknahme, Widerruf und Aufhebung von diesem zeitlichen Umfang aufzuheben. Verwaltungsakten schreibt das weitere Sozialrecht in besonderen Die allgemeinen Regeln aus den §§ 24, 48 SGB X sind – aus- Bestimmungen fort, dies z.T. unter generellen Modifikationen. drücklich nach § 101 Abs. 3 Satz 4 Halbsatz 2 SGB VI – in diesen § 28f Abs. 2 Satz 5 SGB IV bspw. fordert von Trägern der Ren- Fällen nicht anzuwenden. Statt ihrer gilt zur neuen Sachentschei- tenversicherung den Widerruf eines Summenbeitragsbescheids,8 dung das spezielle Rentenversicherungsrecht. Ausgenommen davon wenn nachträglich die notwendigen versicherungsrechtlichen bleiben nur die Übergangsfälle aus – dem zugleich eingefügten – Daten für eine individualisierte Beitragsentscheidung bekannt § 268a SGB VI mit rechtskräftiger Entscheidung eines Familien- werden. Die Bescheid-Korrektur hier im Wege eines Widerrufs gerichts zum Versorgungsausgleich vor dem 30.3.2005. steht auch terminologisch im geltenden System des Sozialver- waltungsrechts, weil der vorher »summiert« erlassene Verwal- b) Rechtspositionen aus Zusatz- oder Sonderversorgung in der DDR tungsakt gem. § 28f Abs. 2 Satz 1 SGB IV rechtmäßig ergangen war. Ansprüche und Anwartschaften aus den besonderen Versor- gungssystemen der DDR hat nach der Wiedervereinigung das Die allgemeinen Korrektur-Regeln aus den §§ 44, 45, 48 SGB X Anspruchs- und AnwartschaftsüberführungsG (AAÜG)15 grund- modifiziert für den Bereich der Arbeitsförderung generell § 330 sätzlich in die Rentenversicherung überführt. Die Ausgestaltung Abs. 1 bis 4 SGB III:9 Die Rücknahme einer belastenden Rechts- dieser Überleitung von Rechtspositionen warf (und wirft) im widrigkeit begrenzt die Vorschrift mit ihrem Abs. 1,10 die Rück- Einzelnen zahlreiche verfassungsrechtliche Fragen auf, die vor- nahme einer Begünstigung sehen die Abs. 2 u. 4 »verstärkend« wiegend in der Folge verfassungsgerichtlicher Normenkontrolle vor, ebenso die Aufhebung wegen veränderter Verhältnisse zu Novellierungen des maßgebenden Gesetzes auslösten.16 Ungunsten Betroffener mit Abs. 3. c) Verschiedene spezielle Bestimmungen 3 Des Bundes, nunmehr idF v. 23.1.2003 (BGBl. I S. 102). 4 Vgl. BVerwG, NVwZ 2004, 1002. Neben den allgemeinen Korrektur-Vorschriften nach dem System 5 Siehe auch BVerfG, DVBl. 2002, 1041. des SGB X stehen in den unterschiedlichen Aufgabenfeldern der 6 Zur praktischen Anwendung: BSG, Urt. v. 14.12.2000, Breithaupt (Slg. von Entscheidungen der Sozialversicherung, Versorgung und Arbeitslosenver- Sozialverwaltung bereichsspezifische Bestimmungen zur Korrek- sicherung) 2001, 572. tur besonderer Sachbescheide. Im Umfang ihrer generellen 7 Dazu u.a. Waschull, in: Diering/Timme/Waschull (Hrsg.), LPK SGB X, 2004, § 48 Rn 88-99. Regelung verdrängen sie gem. § 37 Satz 1 Halbsatz 1 SGB I die 8 Einzelheiten bei Sehnert, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), Komm. zum SGB IV, allgemeinen Korrektur-Prinzipien. 2004, § 28f Rn 9-11. 9 Zuletzt geänd. durch (»Hartz-IV«-)Ges. v. 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954). In der Krankenversicherung normiert auf diese Weise § 95 10 Aus der Anwendung: BSG, Urt. 25.3.2003, BSGE 91, 47. Abs. 6 SGB V die Entziehung einer Vertragsarzt-Zulassung. In der 11 Eingefügt durch ÄndG v. 20.6.2002 (BGBl. I S. 2074). 12 Die Problematik verfahrensrechtlicher Gesetzgebung in diesem Zusam- Rentenversicherung gelten verschiedene Paragraphen zur Neu- menhang erläutert Diel, in: Hauck/Noftz (Fn 8), § 310c Rn 21. feststellung oder zur erneuten Neufeststellung von Rentenleis- 13 Im Einzelnen zu dieser Vorschrift: Maier/Michaelis (Hrsg.), Versorgungs- ausgleich in der gesetzlichen Rentenversicherung, 7. Aufl. 2004, S. 400 ff. tungen. § 309 SGB VI bspw. zur Neufeststellung (wegen des 14 Verkündet am 29.3.2005 (BGBl. I S. 818). Zusammentreffens mehrerer oder der nachträglichen Anerken- 15 AAÜG, ausgefertigt als Art. 3 RÜG, ursprünglich v. 25.7.1991 (BGBl. I S. 1606). nung bestimmter rentenrechtlicher Zeiten) schließt für seinen 16 So das AAÜG-ÄndG v. 11.11.1996, BGBl. I S. 1674, und das 2. AAÜG-ÄndG Anwendungsbereich die Geltung des § 48 SGB X aus. In gleicher v. 27.7.2001, BGBI. I S. 1939.

Neue Justiz 4/2006 161 Kurzbeiträge Dörr, Das Sozialverwaltungsrecht zur Bescheid-Korrektur

Eine jüngere Entscheidung des BVerfG v. 23.6.200417 erkärt trifft eine solche generelle Regelung für den Bereich der Arbeits- Vorschriften zur begrenzten Anerkennung von Arbeitsentgelten förderung; § 47a Abs. 2 Satz 2 SGB V23 schließt – systemgerecht – vor allem aus bestimmten »staatsnahen Funktionen« (§ 6 Abs. 2 die Anwendung des § 44 SGB X für unanfechtbar festgestellte u. 3 Nr. 8 AAÜG) für unvereinbar mit dem allgemeinen Gleich- Krankengeld-Ansprüche ausdrücklich aus. § 14b AAÜG (siehe heitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der gerichtlichen Aufforderung oben unter 2. b) – begrenzt jetzt »auf die gleiche Weise« Bescheid- zur generellen Neuregelung ist der parlamentarische Gesetzgeber Korrekturen im Wege der Rücknahme in der Folge verfassungs- mit dem 1. Ges. zur Änderung des AAÜG v. 21.6.200518 nach- gerichtlicher Normenkontrolle. gekommen. Das Gesetz selbst kann für begrenzte Sachbereiche die Korrek- Das erneuerte »Überführungs-Recht« aus diesem Gesetz gilt für tur von Verwaltungsakten speziell normieren. Auch das BVerfG ist Betroffene mit insoweit offenen Verwaltungsverfahren, d.h. ohne in der Lage, mit Gesetzeskraft nach § 31 Abs. 2 BVerfGG fest- allseits bestandskräftigen Verwaltungsakt, mit Wirkung vom zulegen, in welchem Umfang seine Feststellung der Verfassungs- 1.1.1997 bzw. 1.7.1993 (nach Art. 2 Abs. 2 u. 3 des ÄndG). Ein widrigkeit einer Rechtsvorschrift bestandskräftige Verwaltungs- wiederaufgreifendes Verwaltungsverfahren zur Bescheid-Korrek- akte aus deren Anwendung erfasst. tur ist in allen anderen Fällen angezeigt, in denen Verwaltungs- Ohnedies und grundsätzlich gilt aber in der Sozialverwaltung akte unter Anwendung der als verfassungswidrig erkannten § 44 SGB X für Verwaltungsakte, deren belastende Regelung Rechtsvorschriften unanfechtbar geworden sind. als rechtswidrig erkannt wird, weil sie auf einer verfassungs- Nach § 14b AAÜG idF des ÄndG können solche Bescheide nur widrigen24 Vorschrift beruhen: Sie sind zwingend zurückzu- für die Zeit nach dem 30.6.2004, dem Monat der verfassungs- nehmen. gerichtlichen Entscheidung, zurückgenommen werden. Die Rücknahme im Einzelfall des anfänglich rechtswidrigen, belas- tenden Verwaltungsakts hat systemgerecht nach § 44 SGB X zu erfolgen. 17 BVerfG, NJ 2004, 504 m. Anm. Brandt. Soweit bis zum 23.6.2005, also vor Verkündung des neuen 18 Verkündet am 24.6.2005 (BGBl. I S. 1672). 19 IdF v. 11.8.1993 (BGBl. I S. 1473). Gesetzes, der Anwartschaftsüberführung im Einzelfall ein güns- 20 Wie in der Entscheidung v. 18.11.2003, NJW 2004, 146, zu § 14 Abs. 1 tigerer Verdienst zugrunde gelegt wurde, als dies das geänderte MuSchG. 21 Siehe Wiesner, in: v. Wulffen (Hrsg.), Komm. zum SGB X, 5. Aufl. 2005, § 44 materielle Recht seitdem (in § 6 Abs. 2 AAÜG) vorsieht, gilt ein Rn 23. solcher Bescheid nach § 14a AAÜG weiter. Die Anwendbarkeit der 22 Ebenso Spellbrink/Hellmich, SGb 2001, 605 (610); Waschull (Fn 7), § 44 Rn 24. allgemeinen Korrektur-Regel aus § 48 SGB X (Aufhebung wegen 23 IdF des Ges. v. 21.12.2000 (BGBl. I S. 1971). entscheidungserheblich geänderter Verhältnisse) wird damit 24 Vgl. auch Niesel, in: ders. (Hrsg.), Komm. zum SGB III, 3. Aufl. 2005, § 330 ausgeschlossen. Rn 13.

3. Korrektur-Grundsätze nach Normenkontrolle

Aus vielen Gründen gewinnt die Kontrolle sozialrechtlicher Gesetzgebung am Maßstab des Grundgesetzes immer größere praktische Bedeutung. Hier macht es deshalb Sinn, die Auswir- kung einer Normenkontroll-Entscheidung des BVerfG auf sachlich einschlägige, bestandskräftige Bescheide der Sozialverwaltung Kaufvertrag im deutsch-polnischen »grundsätzlich« zusammenzufassen. Schon seit langem geht die Entscheidungspraxis des BVerfG in Rechtsverkehr Verfahren der Normenkontrolle über die positiven Struktur- Mirek Hempel und Frank Skamel, wiss. Mitarbeiter, vorgaben aus § 78 BVerfGG 19 hinaus. Das Gericht stellt häufig nur Universität Leipzig die Unvereinbarkeit einer einfach-gesetzlichen Vorschrift mit dem Grundgesetz fest, dies bisweilen verbunden mit einer Bestim- Am 18. November 2005 veranstaltete der Lehrstuhl für Zivilrecht mung zu deren weiterer Anwendung »bis zu einer generellen und Internationales Privatrecht der Fakultät für Rechts- und Ver- Neuregelung«.20 Dass eine mit der Verfassung unvereinbare Vor- waltungswissenschaften der Schlesischen Universität zu Katto- schrift für nichtig erklärt wird, bildet jedenfalls auf dem Gebiet witz in Zusammenarbeit mit dem Institut für Anwaltsrecht und des Sozialrechts keinen Regelfall.21 dem Institut für Bank- und Kapitalmarktrecht der Universität Für in der Sache der verfassungsrechtlichen Überprüfung mit- Leipzig eine Tagung zum Kaufvertrag im deutsch-polnischen berührte Parallelfälle trifft § 79 Abs. 2 BVerfGG eine allgemeine Rechtsverkehr. Bestimmung: Nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, die auf Im Anschluss an die Leipziger Veranstaltung im Mai 2005 zum einer für nichtig erklärten Norm beruhen, bleiben unberührt, Recht des E-Commerce (vgl. Skamel, NJ 2005, 399) fand damit die dies jedoch vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Rege- grenzüberschreitende Kooperation der beteiligten Institute mit lung. Als eine besondere gesetzliche Vorschrift zur Behandlung dieser Tagung in Kattowitz ihre rasche Fortsetzung. Wiederum unanfechtbarer Verwaltungsakte ist – nach wie vor – § 44 SGB X kamen etwa 80 deutsche und polnische Teilnehmer aus Wissen- anzusehen.22 schaft und Praxis zusammen; neben mehreren Vorträgen bot sich Konsequent nehmen besondere Vorschriften des Sozialrechts ihnen die Möglichkeit, die aufgeworfenen Fragen des autonomen § 44 SGB X in Bezug, wenn sie die Umsetzung verfassungsgericht- deutschen und polnischen sowie des europäischen und inter- licher Normenkontroll-Entscheidungen auf bestandskräftige Ver- nationalen Kaufrechts in Diskussion mit den Referenten zu waltungsakte für einzelne Sachgebiete regeln. § 330 Abs. 1 SGB III vertiefen.

162 Neue Justiz 4/2006 Hempel/Skamel, Kaufvertrag im deutsch-polnischen Rechtsverkehr

Einleitend sprach Prof. Dr. Maksymilian Pazdan (Kattowitz) zum Polen eine Überschneidung von Trennungs- und Einheits- Verhältnis von Wiener UN-Kaufrecht (CISG) und dem wesentlich prinzip. europarechtlich beeinflussten Recht des Verbrauchsgüterkaufs. Nach Art. 155 § 1 pZGB geht bereits durch Abschluss eines zur Hieran anschließend widmeten sich Prof. Dr. Wojciech Popiolek Eigentumsübertragung verpflichtenden Vertrags das Eigentum (Kattowitz) der Pflicht des Käufers zur Annahme der Ware im auf den Erwerber über. Bei nur der Gattung nach bestimmten UN-Kaufrecht und Dr. Maria Anna Zachariasiewicz (Kattowitz) Sachen ist zusätzlich die Übertragung des Besitzes erforderlich. Bei dem Vertragsschluss nach den Vorschriften des CISG. Grundstückskäufen folgt hieraus die lediglich deklaratorische Das autonome deutsche Kaufrecht führte Prof. Dr. Tim Drygala Bedeutung der Eintragung im Grundbuch. Nach Art. 156 pZGB ist (Leipzig) in die Debatte ein und problematisierte die Auswirkun- es aber auch möglich, Verträge zu schließen, die zunächst nur zur gen der Schuldrechtsreform in Bezug auf die Haftung des Ver- Übertragung des Eigentums verpflichten. käufers beim Unternehmenskauf. Mit der Schuldrechtsreform Freilich muss ein entsprechender Parteiwille deutlich aus dem entschied sich der deutsche Gesetzgeber für die Erstreckung der Vertrag hervorgehen, andernfalls bleibt es bei dem Grundsatz der europarechtlichen Vorgaben der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie Einheitlichkeit von Verpflichtung und Eigentumsübertragung. (RL 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. Da die dingliche Wirkung des Vertrags vom Vorhandensein einer 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs entsprechenden Verpflichtung abhängig ist, fällt das Eigentum an und der Garantien für Verbrauchsgüter) auf das gesamte deutsche einer beweglichen Sache bei Wegfall des Kaufvertrags etwa durch Kaufrecht. Deren Ausgestaltung und namentlich die Defizite Rücktritt oder Anfechtung ohne weiteres auf den Verkäufer der Umsetzung ihrer Vorgaben in Deutschland beleuchtete zurück. Bei Immobilien hingegen ist zur Rückgewähr des Eigen- PD Dr. Bettina Heiderhoff (Leipzig). tums ein zusätzlicher Vertrag erforderlich. Wie Dr. Monika Jagielska (Kattowitz) ausführte, erfolgte die Frank Skamel (Leipzig) sprach zur Abgrenzung des Kaufvertrags Umsetzung der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie in Polen durch vom Werkvertrag im deutschen Recht und verdeutlichte Schaffung des Ges. über besondere Voraussetzungen des Ver- hier die durch die Schuldrechtsreform bewirkten Änderungen brauchsgüterkaufs sowie über die Änderung des Zivilgesetzbuchs beider Vertragstypen. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr hierbei v. 27.7.2002 (pVerbrGKaufG). Dessen Vorschriften weichen das kauf- und werkvertragliche Gewährleistungsrecht. Anlass erheblich vom Gewährleistungsrecht des polnischen Zivilgesetz- der Schuldrechtsreform war die Umsetzung der nur den Ver- buchs (pZGB) ab und verdrängen beim Verbrauchsgüterkauf brauchsgüterkauf erfassenden Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie. gem. Art. 1 Nr. 4 pVerbrGKaufG die Regeln in den Art. 556-581 Der Gesetzgeber hat deren Vorgaben in weiten Teilen auf das pZGB. gesamte Kaufrecht erstreckt und auch die Regelungen der Ein zentraler Unterschied in den Rechtsfolgen der Mangelhaf- Haftung des Werkunternehmers für Mängel des Werks an die tigkeit der gelieferten Sache liegt darin, dass die Nacherfüllung veränderten Vorschriften der Mängelhaftung des Verkäufers nur beim Verbrauchsgüterkauf den übrigen Gewährleistungs- angepasst. rechten des Käufers vorgeht, indessen gem. Art. 560 § 1 pZGB nur der Rücktritt, nicht aber die Minderung nachrangig verlangt wer- Obwohl der grundlegende Unterschied der Leistungspflichten den kann. Die Gewährleistung beim Verbrauchsgüterkauf läuft von Verkäufer und Werkunternehmer auf Primärleistungsebene zwei Jahre; im Übrigen nur ein Jahr (bei Gebäuden drei Jahre). fortbesteht, gibt es auf Gewährleistungsebene (bis hin zum Wort- Ansprüche wegen Mängeln verjähren nach einem Jahr, wobei laut der Vorschriften) starke Parallelen. Dem Bestreben, aus der diese Frist allerdings nicht vor Ablauf der zweijährigen Gewähr- einheitlichen Fassung des Normtextes unreflektiert auch auf den leistungszeit enden kann. einheitlichen Inhalt der kauf- und werkvertraglichen Rechte- und Pflichtenlage zu schließen, erteilte Skamel jedoch eine deutliche Ein wesentlicher Unterschied zur deutschen Umsetzung besteht Absage: in der Obliegenheit des Käufers, zur Erhaltung seiner Mängel- rechte den Verkäufer innerhalb von zwei Monaten ab Kenntnis Indem sich etwa Inhalt und Umfang der Nacherfüllungsver- von der Vertragswidrigkeit der Ware zu informieren. Der deutsche pflichtung des mangelhaft leistenden Schuldners am Inhalt der Gesetzgeber hat von der Möglichkeit der Umsetzung dieser Vor- ursprünglichen Leistungsverpflichtung orientieren, unterscheidet gabe aus Art. 5 Abs. 2 der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie keinen sich die durch den Verkäufer zu erbringende Nacherfüllungs- Gebrauch gemacht. leistung erheblich von der des Werkunternehmers. Insbesondere besteht – anders als zuletzt durch das OLG Karlsruhe (Beschl. v. Unstimmigkeiten bei der Umsetzung zeigen sich nach der 2.9.2004, MDR 2005, 135) entschieden – eine vom Vertreten- Auffassung von Jagielska etwa darin, dass im Verbrauchsgüter- müssen unabhängige Verkäuferpflicht zum Ersatz derjenigen Ver- kauf zwar die Art. 556-581 pZGB ausgeschlossen sind, gleichwohl wendungen des Käufers auf die (unerkannt) mangelhafte Sache, aber auf die Vorschrift in Art. 558 pZGB zurückgegriffen werden die sich gerade wegen der Mangelhaftigkeit als nutzlos erweisen, muss, die das Verbot der Gewährleistungsbeschränkung gegen- über Verbrauchern regelt. Ebenso wird Art. 559 pZGB, wonach nur in den Grenzen der §§ 439 Abs. 4, 347 Abs. 2 BGB. der Verkäufer für nach Gefahrübergang entstehende Mängel Mit einem rechtsvergleichenden Beitrag von stud. iur. Marlena nicht verantwortlich ist, auch auf den Verbrauchsgüterkauf Jankowska (Kattowitz) zum Fernabsatzverkehr im deutschen und angewendet. polnischen Recht schloss die Tagung. Der Erfolg dieser zweiten Dr. Ewa Rott-Pietrzyk (Kattowitz) erläuterte das Verhältnis von Veranstaltung im Rahmen der Zusammenarbeit der Leipziger und obligatorischem und dinglichem Rechtsgeschäft im polnischen Kattowitzer Fakultäten zeigte sich nicht nur in interessanten Recht anhand der Übereignung im Rahmen der Erfüllung von Vorträgen, sondern ebenso in der angeregten Diskussion. Kaufverträgen. Ist das deutsche Recht durch die Trennung und Die Kooperation wird bereits im Mai 2006 in Leipzig mit einer Abstraktion geprägt, während bspw. im französischen Recht die Tagung zum Recht der Kreditsicherheiten im deutsch-polnischen Einheitlichkeit beider Geschäfte anzutreffen ist, findet sich in Rechtsverkehr ihre Fortsetzung finden.

Neue Justiz 4/2006 163 Informationen

GESETZESINITIATIVEN Umwandlung von Kapitalgesellschaften Das BMJ hat den Referentenentwurf eines 2. Ges. zur Änderung Moderne Verfahrensordnung für Familiengerichte des UmwG an die Länder und beteiligten Kreise zur Stellung- Das BMJ plant eine Reform des Verfahrens in Familiensachen und nahme versandt. Danach sollen deutsche Kapitalgesellschaften den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (siehe bereits künftig leichter mit anderen Unternehmen aus der EU fusio- Inform. in NJ 2005, 304). Folgende Elemente sollen dabei eine nieren können. Voraussetzungen für die Beantragung einer sog. Rolle spielen: Verschmelzungsbescheinigung beim Registergericht sind das Vor- • Erleichterung der einverständlichen Scheidung bei kinderloser liegen eines gemeinsamen Verschmelzungsplans, des Verschmel- Ehe: Scheidungswillige Ehegatten ohne gemeinsame Kinder zungsberichts und der -prüfung sowie die Beachtung der Sonder- können durch übereinstimmende, notariell beurkundete Erklä- regeln zum Schutz von Minderheitsaktionären und Gläubigern. rung ein vereinfachtes Scheidungsverfahren wählen, wenn sie Für die Eintragung der Verschmelzung im ausländischen Register sich – ebenfalls in notarieller Form – über den Ehegatten- ist dann nur noch die Vorlage dieser Bescheinigung erforderlich. unterhalt sowie – formfrei – über Hausrat und Ehewohnung (aus: Pressemitteilung des BMJ v. 17.2.2006) geeinigt haben. Sie brauchen sich dann im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nicht durch einen Anwalt vertreten zu Zusammenführung von Gerichtsbarkeiten lassen. Im Jahr 2002 erfolgten fast 71% aller Scheidungen ein- Der Bundesrat hat zwei Gesetzentwürfe beschlossen, mit denen vernehmlich; rd. 50% aller geschiedenen Ehen sind kinderlos. den Ländern die Möglichkeit eröffnet werden soll, die Gerichte • Beschleunigung von Verfahren über das Umgangs- und Sorge- der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit zu einheit- recht durch Einführung von Elementen des sog. Cochemer lichen Fachgerichten zusammenzulegen (BR-Drucks. 46 u. 47/06 Modells; [Beschluss]). Die erneute Einbringung beim Bundestag war not- • Verstärkung der Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte betroffe- wendig, da die bereits in der 15. Legislaturperiode eingebrachten ner Kinder durch Präzisierung der Funktionen des Verfahrens- gleich lautenden Entwürfe der Diskontinuität unterfallen waren. pflegers (künftig: Verfahrensbeistand); (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 7/06 v. 10.2.2006) • effizientere Gestaltung der Durchsetzung von Entscheidungen zum Sorgerecht; Funktionale Zweigliedrigkeit der Gerichtsverfahren • Zuständigkeit des »Großen Familiengerichts« insbes. für alle Bundesjustizministerin Zypries hat in der Sitzung des Rechtsaus- Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Trennung und schusses des Bundestags v. 8.2.2006 die Abschaffung der zweiten Scheidung. Tatsacheninstanz abgelehnt. So soll es auch nach einer Reform des Das geltende FGG von 1898 soll durch eine moderne Verfahrens- Rechtsmittelrechts möglich sein, in der Berufung die Tatsachen- ordnung mit überschaubaren und einheitlichen Strukturen für feststellung des Eingangsgerichts zu überprüfen. Die im Zusam- alle Rechtsgebiete ersetzt werden, die das zersplitterte Rechtsmit- menhang mit der geplanten Justizreform diskutierte »funktio- telsystem durch die flächendeckende Einführung der fristgebun- nale Zweigliedrigkeit« der Gerichtsverfahren war in der Justiz und denen sofortigen Beschwerde und die Eröffnung der Rechts- bei den Berufsverbänden auf breite Ablehnung gestoßen (siehe beschwerde zum BGH zur Klärung rechtlicher Grundsatzfragen u.a. Inform. in NJ 2005, 256). harmonisieren soll. (aus: Pressemitteilung des DRB v. 9.2.2006) Seitens der Anwaltschaft werden die Pläne des BMJ zum verein- Zur Großen Justizreform siehe G. Mackenroth, NJ 2005, 481 ff. (484). fachten Scheidungsverfahren kritisiert (siehe dazu auch den Berli- ner RAK-Report auf S. 168, in diesem Heft). Gerichtsgebühren im Sozialprozess (aus: Pressemitteilung des BMJ v. 15.2.2006) Um der Flut aussichtsloser Gerichtsverfahren entgegenzuwirken, Zur einverständlichen Scheidung siehe G. Sailer/D. Perlwitz, NJ 2005, 491 f. soll die grundsätzliche Kostenfreiheit sozialgerichtlicher Ver- fahren abgeschafft werden. Dazu hat der Bundesrat – wie bereits Reform des Versicherungsvertragsrechts Anf. 2004 – einen Gesetzentwurf zur Änderung des SGG (BR- Bundesjustizministerin hat die Eckpunkte für ein Drucks. 45/06 [Beschluss]) vorgelegt. Vorgesehen ist eine grund- neues VVG vorgestellt, das am 1.1.2008 in Kraft treten und für alle sätzlich im Voraus zu entrichtende allgemeine Verfahrensgebühr dann laufenden Verträge gelten soll. Der Entwurf berücksichtigt von 75 € vor den SG, 150 € vor den LSG und 225 € vor dem BSG. die Ergebnisse der vom BMJ eingesetzten Sachverständigenkom- Die Klage soll im Fall nicht fristgerechter Zahlung als zurückge- mission und die Entscheidungen des BVerfG v. 26.7.2005 und des nommen gelten. Zusätzlich soll von den Prozessparteien (außer BGH v. 12.10.2005 zur vorzeitigen Kündigung von Lebensver- Versicherte, Leistungsempfänger und Behinderte) eine besondere sicherungsverträgen (siehe dazu auch die Pressemitt. des BVerfG v. Verfahrensgebühr (150 € vor den SG, 225 € vor den LSG, 300 € 7.3.2006 auf S. III, in diesem Heft). Im Einzelnen sind vorgesehen: vor dem BSG) erhoben werden. Verfahren in Angelegenheiten der • Größerer Verbraucherschutz durch verbesserte Beratung und Sozialhilfe sollen weiterhin gerichtskostenfrei bleiben. Information der Versicherungsnehmer, vorvertragliche Anzeige- (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 9/06 v. 10.2.2006) pflichten sowie einen Direktanspruch in der Pflichtversicherung; • gerechterer Interessenausgleich durch Einführung eines allge- Stalking-Bekämpfung meinen Widerrufsrechts, Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prin- Der vom Bundesrat erneut eingebrachte Entwurf für ein Stalking- zips, Abschaffung des Prinzips der »Unteilbarkeit der Prämie« BekämpfungsG (BR-Drucks. 48/06 [Beschluss]) sieht die Einfüh- sowie ersatzloser Wegfall der Klagefrist; rung eines Straftatbestands der schweren Belästigung vor (siehe • Erhöhung der Transparenz von Lebensversicherungen durch Inform. in NJ 2005, 212). Die Belästigung kann durch körperliches Verankerung eines Anspruchs auf Überschussbeteiligung, Nachstellen oder Verwendung von Kommunikationsmitteln Berechnung des Rückkaufswerts nach dem Deckungskapital, geschehen; dem gleich steht die Bedrohung des Opfers, seiner Verteilung von Abschlusskosten der Lebensversicherung auf Angehörigen oder ihm nahe stehender Personen. Die Tat soll im die ersten fünf Vertragsjahre sowie Offenlegung der Abschluss- Mindestmaß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe und Vertriebskosten durch den Versicherer. geahndet werden. (aus: Pressemitteilung des BMJ v. 9.2.2006) (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 11/06 v. 10.2.2006)

164 Neue Justiz 4/2006 Bekämpfung der Zwangsheirat EUROPA Der Bundesrat hat neuerlich den Entwurf eines Zwangsheirat- BekämpfungsG (BR-Drucks. 51/06 [Beschluss]) verabschiedet. Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Er sieht u.a. vor, einen Tatbestand der Zwangsheirat in das StGB Der Rat der europäischen Justizminister hat in Brüssel die RL des einzuführen. Danach macht sich strafbar, wer eine andere Person Europäischen Parlaments und des Rates über die sog. Vorrats- mit Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Ein- datenspeicherung beschlossen. Danach verpflichten sich die Mit- gehung der Ehe nötigt oder diese Person durch Ausnutzung einer gliedstaaten, den Telekommunikationsdiensteanbietern eine Zwangslage oder ihrer Hilflosigkeit zur Eingehung der Ehe bringt. Speicherungsfrist von mind. sechs Monaten für im Einzelnen Der Opferschutz soll durch Änderungen im Zivilrecht ergänzt aufgeführte Telekommunikationsbestands- und -verkehrsdaten und u.a. die Antragsfrist für die Aufhebung einer durch wider- aufzuerlegen. Den Mitgliedstaaten steht es frei, diese Frist im rechtliche Drohung erfolgten Ehe von einem auf drei Jahre nationalen Recht bis auf 24 Monate auszudehnen. Zweck der erweitert werden. Speicherung ist die Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 13/06 v. 10.2.2006) schwerer Straftaten, zu denen auch alle mittels Telekommuni- kation begangene Straftaten gehören. Den Zugang der Strafver- Abrisskündigung folgungsbehörden zu diesen Daten müssen die Mitgliedstaaten Mit dem vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf zur Änderung unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit, des EU-Rechts und des des § 573 Abs. 2 BGB (BR-Drucks. 950/05 [Beschluss]) soll ein Völkerrechts regeln. neuer Kündigungstatbestand in das BGB aufgenommen werden. (aus: Pressemitteilung des BMJ v. 21.2.2006) Der Vermieter soll seinem Mieter künftig auch dann kündigen können, wenn das Wohngebäude überwiegend leer steht, die gemeindliche Planung eine teilweise oder vollständige Beseitigung NEUE BUNDESLÄNDER vorsieht und der Vermieter dem Mieter Wohnraum vergleich- barer Art, Größe und Ausstattung nachweist. Die Regelung sei BERLIN erforderlich, da aufgrund der Leerstandssituation auf dem Woh- Der Berliner Anwaltsverein (BAV) will sich stärker in Schulen nungsmarkt insbes. in den neuen Ländern viele Wohnungs- engagieren. Ziel sei es, dabei vor allem das Rechtsempfinden der unternehmen z.T. existenzgefährdende Mietausfälle bei gleich Jugendlichen zu verbessern. Die Unterrichtsangebote, in denen bleibenden Unterhaltskosten erleiden würden. Dem gleich lauten- den Schülern das Wechselspiel zwischen ihrem Recht und dem den Gesetzentwurf des Bundesrats in der 15. Legislaturperiode Recht der anderen aufgezeigt werden soll, werden zusammen mit hatte die Bundesregierung nicht zugestimmt; sie sah für das vor- dem Verband der Jugendrechtshäuser durchgeführt. Der BAV hat geschlagene Sonderkündigungsrecht weder ein rechtliches noch 3.600 Mitglieder und ist der zweitgrößte Ortsverband im DAV. ein praktisches Bedürfnis (siehe Inform. in NJ 2004, 255). (aus: Berliner Morgenpost v. 19.2.2006) (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 8/06 v. 10.2.2006) Der im Frühj. 2004 eingerichtete zentrale Stellenpool im öffentlichen »Wirtschafts- und Taschengeld« für nicht berufstätigen Ehegatten Dienst hat den Landeshaushalt 2005 um ca. 48 Mio. € entlastet. Der Bundesrat hat die erneute Einbringung eines Gesetzentwurfs Laut Finanzsenator Dr. Thilo Sarrazin sind im Jahr 2005 961 Mit- zur Änderung der §§ 1360, 1360a BGB (BR-Drucks. 43/06 arbeiter vermittelt worden, aber bisher nur 466 Beschäftigte auf [Beschluss]) beschlossen, mit dem der bereits jetzt bestehende finanzierte Stellen. In den nächsten sieben Jahren sollen noch Anspruch des haushaltsführenden, nicht erwerbstätigen Ehegatten 20.000 Stellen im Staatsdienst abgebaut werden. In den ersten auf ein angemessenes »Wirtschafts- und Taschengeld« gegenüber Wochen dieses Jahres sind allein mehr als 2.000 Beschäftigte aus dem berufstätigen Ehegatten ausdrücklich klargestellt werden Kindertagesstätten in den Stellenpool gekommen. soll. Außerdem sieht der Entwurf einen Auskunftsanspruch des (aus: Berliner Zeitung v. 14.2.2006) nicht berufstätigen Ehegatten gegenüber dem berufstätigen Ehe- gatten über dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse vor. Innensenator Dr. Ehrhardt Körting (SPD) lehnt Forderungen aus Der Gesetzentwurf hatte in der 15. Legislaturperiode anlässlich den Reihen der CDU nach Einbürgerungstests ab. Er bezweifelt den einer Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags ein Sinn von solchen formaliserten Tests für Einwanderer, die sich geteiltes Echo erfahren (siehe Inform. in NJ 2003, 635). teilweise schon 10 oder 15 Jahre im Land aufhalten. Aus seiner (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 22/06 v. 10.2.2006) Sicht ist die Abfrage beim Verfassungsschutz ausreichend. Der Schwerpunkt der aktuellen Debatte sollte, so Körting, vielmehr Sanktionensystem im Jugendstrafrecht bei Integrationskursen für neu ins Land kommende Zuwanderer Ziel eines vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurfs zur Verbes- liegen. serung der Bekämpfung der Jugenddelinquenz (BR-Drucks. 44/06 (aus: Frankfurter Rundschau v. 13.2.2006) [Beschluss]) ist es, durch Änderungen des Sanktionensystems im JGG die präventiven Maßnahmen zu intensivieren und jugend- Auf einer Fachtagung der Gewerkschaft der Polizei zum Thema strafrechtliche Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Dazu soll »Kriminalitätsbekämpfung« haben Polizeivizepräsident Gerd u.a. ein »Warnschuss-Arrest« eingeführt werden, der neben einer Neubeck und die 1. Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staats- zur Bewährung ausgesetzten Verhängung oder Vollstreckung der anwälte e.V. Vera Junker für ein radikales Umdenken plädiert und Jugendstrafe angeordnet werden kann. Auf Straftaten Heran- sich gegen die Verfolgung von Bagatellkriminalität ausgesprochen. wachsender soll künftig i.d.R. allgemeines Strafrecht angewendet Polizei und Justiz seien überlastet und eine Flut von Bagatellfällen und der Rahmen der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre erhöht behindere die Verfolgung schwerer Straftaten. In der Praxis sei das werden. Einem bereits in der 15. Legislaturperiode eingebrachten Legalitätsprinzip ohnehin bereits ausgehöhlt; ein »offizieller Gesetzentwurf war die Bundesregierung ebenso wie u.a. der DAV Systemwechsel« vom Legalitätsprinzip zum Opportunitätsprinzip nachdrücklich entgegengetreten (siehe Inform. in NJ 2003, 522; würde daher nur die Realität nachvollziehen, so Staatsanwältin 2004, 305). Junker. (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 20/06 v. 10.2.2006) (aus: Der Tagesspiegel v. 3.2.2006)

Neue Justiz 4/2006 165 Informationen

Am 3.3.2006 hat die bisherige Vizepräsidentin des OVG Berlin Das Sicherheits- und OrdnungsG (SOG M-V) soll vor dem Hinter- Erna Viktoria Xalter das Amt als Präsidentin des VG Berlin ange- grund terroristischer Anschläge in mehreren Bereichen verändert treten. Die 44-Jährige ist Nachfolgerin von Alexander Wichmann, werden. Der Entwurf beinhaltet u.a. für Polizei- und Ordnungs- der das Amt über 16 Jahre innehatte. Das VG Berlin ist mit insges. behörden die Ermächtigung, Videoaufzeichnungen an sog. Kri- 238 Mitarbeitern das größte deutsche Verwaltungsgericht. minalitäts- und Gefahrenschwerpunkten anzufertigen. Weitere (aus: Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Justiz v. 3.3.2006) Änderungen betreffen die Telekommunikations- und die Wohn- raumüberwachung, die Einführung eines automatischen Kfz- BRANDENBURG Kennzeichen-Lesesystems, die Blutentnahme zur Gefahrenab- Um die Privatwirtschaft vor unlauterer Konkurrenz zu schützen, wehr, die Rasterfahndung und die Aufzeichnung von Anrufen. soll das Gemeindewirtschaftsrecht novelliert und insoweit die Frage (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 21.2.2006) geklärt werden, was im Wettbewerb vergeben werden kann und muss und was eine gemeindliche Aufgabe bleibt. In den vergan- Seit Inkrafttreten des LebenspartnerschaftsausführungsG M-V am genen Jahren habe es immer wieder Fälle gegeben, in denen die 29.9.2001 wurden im Land insges. 162 Lebenspartnerschaften begründet. Davon entfielen 39 Lebenspartnerschaften auf das Kommunalaufsicht habe einschreiten müssen, weil die wirt- Jahr 2005 (2002: 40; 2003: 33; 2004: 29). schaftliche Betätigung von Kommunen Auswirkungen auf die (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 15.2.2006) Privatwirtschaft hatte, so Innenminister Jörg Schönbohm bei einer Expertenanhörung zur Änderung der GemeindeO. Am 13.1.2006 wurde die Neufassung des FinanzausgleichsG (FAG) (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 27.2.2006) in der seit dem 1.1.2006 geltenden Fassung bekannt gemacht. (GVOBl. M-V Nr. 2 S. 22) Die Polizei war im Kampf gegen politisch motivierte Kriminalität (PMK) im Jahr 2005 so erfolgreich wie nie zuvor. Die Aufklä- Mit 2. ÄndG v. 2.2.2006, in Kraft seit 11.2.2006, ist das Landes- rungsquote bei politisch motivierten Straftaten stieg auf 52,7% hochschulG (LHG M-V) v. 5.7.2002 (GVOBl. M-V S. 339), geänd. (2004: 51,3%); bei politisch motivierten Gewalttaten erreichte sie durch Ges. v. 5.6.2003 (GVOBl. M-V S. 331), u.a. durch Einfügung 89,7% (2004: 87,8%). Die Zahl der politisch motivierten Gewalt- eines § 92a geändert worden. Danach können Hochschulen zur taten sank auf 116 Fälle (2004: 131); 97 Delikte (2004: 105) waren gemeinsamen Wahrnehmung von Lehr- und Forschungsauf- rechts- und 17 (2004: 22) linksmotiviert. Es wurden insges. 1.914 gaben durch Vertrag mit Zustimmung der Senate gemeinsame Fälle der PMK registriert; 1.294 entfielen auf den Bereich Fachbereiche bilden. (GVOBl. M-V Nr. 2 S. 30) PMK/rechts und 97 auf PMK/links. Der Anstieg der Gesamtzahl um 11,5% gegenüber 2004 ist vor allem auf eine Zunahme von Das SchulG für das Land Mecklenburg-Vorpommern (SchulG M-V) Propagandadelikten zurückzuführen; dennoch liegt die Zahl v. 13.2.2006 soll nach der Gesetzesbegründung vorsorglich verfas- deutlich unter dem Niveau des Jahres 2001 (2.062 Fälle). sungsrechtliche Zweifel an den Neuregelungen des bestehenden (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 27.2.2006) SchulG, das zuletzt im Okt. 2005 geändert worden war, ausräumen. Es tritt im Wesentlichen am 1.8.2006 in Kraft; gleichzeitig tritt das Die bauliche Erneuerung der Jugendstrafanstalt Wriezen ist abge- SchulG v. 15.5.1996 außer Kraft. (GVOBl. M-V Nr. 3 S. 41) schlossen. Nachdem zunächst neue Haftplätze geschaffen worden waren, ist nun im letzten Bauabschnitt ein vorhandenes Hafthaus SACHSEN umgebaut worden, um dort die Hauskammer und einen Mehr- Die Justizminister von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zweck- und Kirchenraum unterzubringen. Die komplettierte haben sich bei einem Arbeitstreffen in Dresden auf eine Vertiefung Anstalt verfügt über 30 Haftplätze im offenen und 190 Haftplätze der länderübergreifenden Zusammenarbeit verständigt. Einen im geschlossenen Vollzug nach zeitgemäßem Standard und heu- Schwerpunkt der Gespräche zu gemeinsamen Justizprojekten in tigen Sicherheitserfordernissen. Sie ist ausschließlich für Jugend- Mitteldeutschland bildete die Zusammenarbeit im Justizvollzug, straf- und jugendliche Untersuchungsgefangene bestimmt. Durch wo die Errichtung einer gemeinsamen Justizvollzugsanstalt für die Fertigstellung kann der unwirtschaftliche geschlossene Voll- weibliche Strafgefangene und der gemeinsame Vollzug der zug in Spremberg geschlossen werden. Sicherungsverwahrung erörtert wurden. Diskutiert wurden auch (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 16.2.2006) die Verabschiedung des ForderungssicherungsG (siehe Inform. in NJ 2006, 68) und die Vereinheitlichung der Gerichtsverfassungen Am 17.1.2006 ist die Neufassung des Bbg. MeldeG (BbgMeldeG) in und Prozessordnungen für alle Gerichtsbarkeiten im Rahmen der der seit dem 24.12.2005 geltenden Fassung bekannt gemacht Großen Justizreform (siehe die Inform. auf S. 164, in diesem Heft). worden. (GVBl. I Nr. 2 S. 6) (aus: Gemeins. Pressemitteilung der Justizministerien v. 24.2.2006)

MECKLENBURG-VORPOMMERN Nach der Jahresbilanz des sächs. Strafvollzugs sind die zehn Justiz- Die Landesregierung wird ein InformationsfreiheitsG (IFG) M-V auf vollzugsanstalten des Landes ausgelastet, aber nicht überbelegt. den Weg bringen. Damit soll erstmals auch in Mecklenburg- Im Jahr 2005 waren dort im Durchschnitt 4.314 Gefangene Vorpommern jeder ohne weitere Voraussetzungen Zugang zu untergebracht (2004: 4.291). Das entspricht bei 4.321 Haftplätzen amtlichen Informationen öffentlicher Stellen haben und in Ver- einer Auslastung von 99,8%. Ein höherer Bedarf an Haftplätzen waltungsvorgänge Einsicht nehmen können. Das Gesetz soll am wird u.a. durch das Projekt »Schwitzen statt Sitzen« vermieden, 1.7.2006 in Kraft und zunächst auf fünf Jahre beschränkt werden. das es Straftätern ermöglicht, durch gemeinnützige Arbeit den Neben dem Bund haben die Länder Berlin, Brandenburg, Vollzug von Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden. Der Soziale Dienst Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein bereits ein IFG der Justiz konnte die Anzahl der dadurch abgegoltenen Hafttage erlassen. gegenüber dem Vorjahr um 21,7% erhöhen. Wie auch schon in (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 21.2.2006) den drei Jahren zuvor war kein Ausbruch aus den Justizvollzugs- Zum Gesetzentwurf für ein Sächsisches ÖffentlichkeitsG siehe K. Orantek, anstalten zu verzeichnen. NJ 2005, 351 f. (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 14.2.2006)

166 Neue Justiz 4/2006 Das Netzwerk der Opferhilfe wird noch weiter ausgebaut. Für Durch ÄndG v. 14.2.2006, in Kraft seit 18.2.2006, ist das Ges. über Zeugen in Strafverfahren stehen ab sofort an allen sächs. Straf- die Fachhochschule der Polizei v. 12.9.1997 (GVBl. LSA S. 836), gerichten besonders geschulte Ansprechpartner zur Verfügung, zuletzt geänd. durch Ges. v. 5.5.2004 (GVBl. LSA S. 256, 298), die den Zeugen qualifizierte Unterstützung und Betreuung anbie- umfassend geändert worden. Der hochschulrechtliche Status der ten. Die Telefonnummern der Ansprechpartner sind bei den Fachhochschule ist allerdings, wie im Gesetzentwurf noch vor- Gerichten erhältlich und werden künftig auch auf der Ladung gesehen, nicht geändert worden. Ihr wird nach wie vor der Status mitgeteilt. einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwal- (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 2.3.2006) tungsrecht eingeräumt. (GVBl. LSA Nr. 5 S. 34) Zum ursprünglichen Gesetzentwurf siehe M. Reinhardt, NJ 2005, 489 ff. Neuer Präsident des LAG Chemnitz ist Dr. Michael Gockel. Der 50- Jährige wurde im Mai 1993 zum Direktor, im Febr. 1995 zum Präsi- THÜRINGEN denten des ArbG Leipzig ernannt. Nach einer zwischenzeitlichen Neben höheren Strafen für Sexualstraftäter fordert Justizminister Abordnung an das LAG Chemnitz tritt er hier die Nachfolge von Harald Schliemann die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch Volker von Bergen an, der in den Ruhestand getreten ist. für hochgefährliche Ersttäter und für nach Jugendstrafrecht ver- (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 8.3.2006) urteilte Gewalttäter. Der von ihm im Landtag vorgelegte Gesetz- entwurf der Landesregierung betrifft drei Bereiche, die an die SACHSEN-ANHALT neue Rechtslage im Bund angepasst werden sollen: Änderung des Justizminister Curt Becker hat sich für eine grundlegende Reform Thür. NachbarrechtsG, Modifizierung des Thür. AusführungsG des Vereinsrechts, die durch einen Gesetzesvorschlag Baden-Würt- zum BerufsvormündervergütungsG und Aufhebung des Thür. tembergs angestoßen wurde, ausgesprochen. »Vereine sind eine Ges. über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter tragende Säule der sozialen Struktur im Land, sie sind so gut es Straftäter. Letzteres ist erforderlich, nachdem das BVerfG mit geht zu fördern.« In den Vereinsregistern Sachsen-Anhalts sind Urt. v. 10.2.2004 (NJ 2004, 310; dazu M. Krüger, NJ 2004, 295 ff.) derzeit über 17.300 Vereine eingetragen. Der Gesetzesvorschlag festgestellt hat, dass die Gesetzgebung über die Unterbringung sieht u.a. vor, einen Verein auch ohne Eintragung im Vereins- besonders rückfallgefährdeter Straftäter mangels Regelungskom- register als rechtsfähig anzusehen und damit als juristische Person petenz des Landesgesetzgebers nicht mit dem GG vereinbar ist, des Privatrechts anzuerkennen. und mit Ges. v. 23.7.2004 die nachträgliche Sicherungsverwah- (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 22.2.2006) rung in § 66b StGB eingeführt wurde. (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 26.1.2006) Das Benchmarking-Verfahren »Amtsgerichte im Leistungsvergleich« ist ein niedersächs. Projekt, durch das systematisch Geschäfts- Justizminister Schliemann beabsichtigt, eine Gesetzesinitiative auf abläufe und die Arbeit von Organisationseinheiten erfasst und den Weg zu bringen, die die organisierte und geschäftsmäßige Sterbe- verglichen werden. Das AG Schönebeck hat sich als erste Justiz- hilfe mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe behörde in Sachsen-Anhalt diesem Länder übergreifenden Leis- sanktioniert. »Die medizinisch verantwortbare Begleitung Ster- tungsvergleich gestellt und wird sich mit acht Amtsgerichten des bender, um ihnen ein würdevolles und schmerzfreies Ableben zu LG-Bezirks Braunschweig austauschen. ermöglichen«, so Schliemann weiter, »soll ausdrücklich nicht (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 13.2.2006) unter Strafe gestellt werden.« (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 7.2.2006) Justizminister Becker betonte erneut, dass die Sicherheit der Justiz- vollzugsanstalten im Land gewährleistet ist. Ein deutliches Anzei- Im Jahr 2005 wurden insges. 1.173 Delikte der politisch motivierten chen dafür sei, dass in den letzten Jahren bei einem jährlichen Kriminalität (PMK) registriert. Dies sind 238 Fälle mehr als im Vor- Durchlauf von ca. 6.000 Gefangenen nur eine Entweichung jahr. Dieser Anstieg resultiert ganz wesentlich aus der Zunahme (2004) zu verzeichnen war. Becker hatte nach dem Aufdecken der registrierten Straftaten der PMK/links von 67 Fällen im Vor- eines kriminellen Netzwerks in den Anstalten Naumburg, Volk- jahr auf 200 Fälle im Jahr 2005. Mit 620 Fällen kam es auch im stedt und Halle I im Dez. 2004 eine unabhängige Kommission Phänomenbereich PMK/rechts zu einer geringen Zunahme von eingesetzt, die dort die vorhandenen Kommunikations- und 29 Delikten gegenüber 2004. Den Hauptanteil der PMK/rechts Sicherheitsstrukturen untersuchte. Sie legte dem Minister dazu im bilden, wie auch in den Vorjahren, die sog. Propagandadelikte mit Nov. 2005 einen vertraulichen Bericht vor, mit dem sich dann der 398 Fällen. Die Aufklärungsquote konnte mit 58,5% (= 686 Fälle) Landtagsausschuss für Recht und Verfassung befasst hat. gegenüber 2004 (55,3%) nochmals gesteigert werden. Damit hielt (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 26.1.2006) die positive Entwicklung seit 2001 (47,3%) an. (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 24.2.2006) Im Jahr 2005 wurden aus Sachsen-Anhalt inges. 413 (2004: 511) ausreisepflichtige Ausländer in insges. 40 Länder abgeschoben. Unter der Schirmherrschaft von Innenminister Dr. Karl Heinz Hauptherkunftsländer waren Vietnam (143), Serbien und Mon- Gasser fand in Altenburg das Symposium »Altenburger Netzwerk tenegro (49), die Türkei (40), das Kosovo (34) sowie die Ukraine gegen illegale Graffiti« statt. Mit dieser Veranstaltung setzte der (20). Nach Androhung der Abschiebung reisten zudem 55 Perso- Freistaat seine Bemühungen fort, durch Informationen und nen freiwillig aus. Erfahrungsaustausch das gemeinsame Handeln von Polizei und (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 21.2.2006) kommunlaen Ordnungsbehörden, Wohnungsbau- und Verkehrs- unternehmen sowie von Bürgern im Kampf gegen Sprayer weiter Das am 18.2.2006 in Kraft getretene UmweltinformationsG (UIG zu verbessern. Graffiti-Schäden belaufen sich bundesweit auf LSA) v. 14.2.2006 schafft den rechtlichen Rahmen für den freien rd. 200 bis 250 Mio. € pro Jahr. In Thüringen entstanden im Jahr Zugang zu Umweltinformationen bei informationspflichtigen 2004 Schäden von rd. 2 Mio. €. Die im Mai 2004 erlassene Thür. Stellen sowie für die Verbreitung dieser Informationen im Land. Graffiti-GefahrenabwehrVO ermöglicht es, festgestellte Verstöße Es dient zugleich der Umsetzung der RL 2003/4/EG v. 28.1.2003. mit einer Geldbuße bis zu 5.000 € zu ahnden. (GVBl. LSA Nr. 5 S. 32) (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums v. 23.2.2006)

Neue Justiz 4/2006 167 RAK-Report

Rechtsanwaltskammer BERLIN Rechtsanwaltskammer SACHSEN

Geschäftsstelle: Littenstr. 9, 10179 Berlin Geschäftsstelle: Atrium am Rosengarten, Glacisstr. 6, Tel.: (030) 30 69 31-0, Fax: (030) 30 69 31 99 01099 Dresden E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-berlin.de Tel.: (0351) 31 85 90, Fax: (0351) 3 36 08 99 Präsidentin: RAin Dr. Margarete von Galen E-Mail: [email protected]; Internet: www.rak-sachsen.de Vizepräsidenten: RA und Notar Wolfgang Gustavus, Präsident: RA Dr. Günter Kröber, Leipzig RA und Notar Jann Fiedler, RA und Notar Bernd Häusler Vizepräsidenten: RA Markus Merbecks, Chemnitz; Hauptgeschäftsführerin: RAin Marion Pietrusky RAin Karin Meyer-Götz; RA Dr. Martin Abend, beide Dresden Geschäftsführerin: Ass. iur. Ina Koker Termine In der Veranstaltung am Freitag, dem 28.4.2006, 9.45 bis 18 Uhr, Wissenswertes mit RA/FAStR/vBP Kurt-Christoph Landsberg geht es um »Buch- 34. Europäische Präsidentenkonferenz führung und Steuern im Anwaltsbüro«. Teilnahmegebühr: 40 €. Die diesjährige Tagung fand vom 23. bis 25.2.2006 in Wien unter Die Teilnahme ist nur Kammermitgliedern möglich. starker Beteiligung der standes- bzw. berufsrechtlichen Anwalts- Am Mittwoch, dem 31.5.2006, 15 bis 18 Uhr, bietet die Kammer vertretungen aus fast allen europäischen Ländern statt. Die RAK erneut die Veranstaltung über die »Existenzgründung als Rechts- Sachsen wurde vertreten durch ihren Präsidenten, RA Dr. Kröber. anwalt« an. Themen der Beratungen waren das Europäische Vertragsrecht und Programm und Anmeldung für beide Veranstaltungen siehe die Rechtsangleichung in der EU im Strafrecht. Im Ergebnis hierzu www.rak-berlin.de unter Aktuelles/Termine. Dort finden sich war festzustellen, dass die überwiegende Mehrheit der Konferenz- auch die zahlreichen Kooperationsveranstaltungen mit dem repräsentanten ein einheitliches Europäisches Vertragsrecht auf- Deutschen Anwaltsinstitut (DAI) für Fachanwältinnen und Fach- grund der großen regionalen Unterschiede derzeit als nicht durch- anwälte zu einem ermäßigten Kostenbeitrag im Ausbildungs- führbar ansieht. center des DAI, Voltairestraße 1, 10179 Berlin. Beratung mit dem Landesjustizprüfungsamt Wissenswertes In einer Beratung des Vorstands der RAK Sachsen mit dem Präsi- denten und dem Vizepräsidenten des Sächsischen Landesjustiz- Die Kammerversammlung hat am 1.3.2006 auf Antrag des Vor- prüfungsamtes (LJPA) sowie den Ausbildungsleitern des OLG stands die Gebühr für die Bearbeitung des Antrags auf Zulassung zum Dresden am 25.1.2006 wurde die Optimierung der Anwaltsstation Kammergericht (§ 4 GebührenO der RAK Berlin) von 128 € auf 95 € der Referendarausbildung erörtert. Der Präsident des LJPA aner- gesenkt. kannte dabei die aktive Mitgestaltung der RAK Sachsen. Im Standpunkt Ergebnis bestand Übereinstimmung, dass aufgrund der durchge- führten Evaluation eine weitere Ergänzung der bisherigen Ver- Jahresbericht auf der Kammerversammlung waltungsvorschriften zur Referendarausbildung unter Einbezie- Die Kammerpräsidentin hat in ihrem Bericht auf der Kammer- hung der RAK Sachsen bis Ende 2006 erarbeitet wird. versammlung betont, dass die Interessenswahrnehmung neben der Berufsaufsicht Aufgabe der Anwaltskammern bleiben müsse, Kunst in der Kammer und sich damit gegen einen Vorschlag des DAV gewandt. Der DAV Mit einer Vernissage wird der Präsident der RAK Sachsen am will die Kammern auf die reine Berufsaufsicht beschränken, da er 12.4.2006 in den Räumen der Geschäftsstelle eine Ausstellung mit die anwaltlichen Interessen alleine vom DAV und den örtlichen Malereien der Künstlerin Christine Falk eröffnen. Anwaltvereinen wahrnehmen lassen will. In den letzten fünf Jahren hat sich eine beliebte Ausstellungs- RAin Dr. Margarete v. Galen wies darauf hin, dass der Kammervor- reihe in der Kammer etabliert, in der bereits elf Künstler, u.a. aus stand die Änderungen der §§ 3, 7 BORA und damit die Libera- Dresden, Köln, Berlin, Leipzig und Wroclaw (Polen) ihre Werke lisierung des Berufrechts unterstützt habe. Sie äußerte die Erwartung, präsentieren konnten. Besucher sind herzlich willkommen! dass es in Zukunft weitere Fachanwaltschaften geben werde.

Scheidungskostenhilfe Nach einem Vorschlag des BMJ sollen scheidungswillige Ehegatten ohne gemeinsame Kinder die Möglichkeit erhalten, eine Einigung Rechtsanwaltskammer THÜRINGEN über die Scheidungsfolgen vom Notar beurkunden zu lassen, so dass anschließend nur noch ein einfaches gerichtliches Verfahren ohne anwaltliche Vertretung stattfinden müsse. In einer Presse- Geschäftsstelle: Bahnhofstr. 46, 99084 Erfurt information hat die Kammerpräsidentin darauf hingewiesen, dass Tel.: (0361) 6 54 88-0, Fax: (0361) 6 54 88-20 schnelle Scheidungen zu einer sehr ungerechten Aufteilung führen E-Mail: [email protected] können, wenn sich die Ehegatten nicht anwaltlich beraten lassen. Internet: www.rak-thueringen.de Für bedürftige Eheleute müsse diese Beratung durch eine staatlich Präsident: RA Dr. Michael Burmann, Erfurt finanzierte »Scheidungskostenhilfe« gewährleistet werden. Vizepräsident: RA Ralf Seeler, Gera Geschäftsführer: RA Wulf Danker, Erfurt Personalien Auf der Kammerversammlung wurden bei der Wahl der dem Wissenswertes Abgeordnetenhaus vorzuschlagenden anwaltlichen Mitglieder Meinungsaustausch im Justizministerium des Richterwahlausschusses RA Dr. Matthias Zieger und RA Peter Am 22.2.2006 sind der Präsident und der Vizepräsident der RAK E. Schmidt-Eych gewählt. Thüringen mit dem Thüringer Justizminister Schliemann und

168 Neue Justiz 4/2006 Rezensionen

weiteren Vertretern des Justizministeriums zu einem Gespräch fand am 2.3.2006 statt. Konstruktiv wurden aktuelle Fragen der zusammengetroffen. Zu dem Tagesordnungspunkt »Große Justiz- Juristenausbildung in Thüringen sowie berufsrechtliche Schwer- reform« führten die Vertreter der RAK die Bedenken der Anwalt- punkte der Vereinsarbeit diskutiert. schaft gegen die im Gespräch stehende Funktionale Zweigliedrig- keit aus und unterstrichen die Bedeutung des Instanzenzuges für Rechtsprechung zu Hartz IV die Rechtspflege. Auf große Resonanz ist der von der RAK aus der Reihe »Recht- sprechung der Thüringer Obergerichte« angebotene Vortrag von Erfahrungsaustausch mit DAV Herrn VorsRiLSG Pablo Coseriu zum Thema »Rechtsprechung des Der jährliche Erfahrungsaustausch des Präsidiums der RAK Thüringer Landessozialgerichts zu Hartz IV«, welcher am Thüringen mit den Vorsitzenden der Thüringer Anwaltsvereine 27.1.2006 stattgefunden hat, gestoßen.

Nomos Gesetze Die Redaktion sah ihre Aufgabe darin, »die für Betriebspraktiker Öffentliches Recht – Strafrecht – Zivilrecht aktuell erforderlichen juristischen, arbeitswissenschaftlichen und Nomos Verlagsgesellschaft, 14. Aufl. (Stand: 5.8.2005), sozialen Sachinformationen aufbereitet zur Verfügung zu stellen« Baden-Baden 2005 (S. 18). Dies entsprach dem Interesse der Leser, das sich vielfältig arti- 3 Bände, insges. 4.644 Seiten, brosch., 39 €; Einzelband jeweils 16 € kulierte und erheblichen Einfluss auf Themenwahl und Darstellungs- weisen nahm. Damit war zugleich ein Konfliktfeld angelegt: Den In bereits 14. Auflage sind die Gesetzessammlungen in der bewährten Redakteuren musste der Spagat gelingen, den Anteil »politischer Agi- Schriftenreihe des Nomos Verlags erschienen. Die Werke enthalten tationsdarlegungen zugunsten konkreter Sachaussagen« im ohnehin mit Blick auf die wesentlichen anwaltlichen Tätigkeitsgebiete eine zu schmalen AuA-Heft zu reduzieren. Auswahl der maßgeblichen Regelungswerke zum Öffentlichen Recht, In den »Bruchstücken« ist jedem der wichtigsten Themenbereiche Strafrecht und Zivilrecht/Wirtschaftsrecht. ein eigenes Kapitel gewidmet, das von fachlichen Inhalten berichtet Im Band Öffentliches Recht finden sich insges. 91 Bundesgesetze, und diese aus damaliger, nicht selten auch aus heutiger Sicht beurteilt; Verordnungen und Geschäftsordnungen (des Deutschen Bundestags, wobei die Autorin ihren Vorsatz, weder nostalgisch noch verteufelnd des Bundesrats und der Bundesregierung) komplett abgedruckt, im zu werten, souverän verwirklicht. Der Bogen reicht vom »Recht auf Band Strafrecht insges. 41 Bundesgesetze, Verordnungen und Richt- Arbeit« über »Lohn und Prämie – heikles Thema« und »Initiativen, linien und im Band Zivilrecht/Wirtschaftsrecht insges. 52 Gesetze. Wettbewerb« als Instrumente, (Über-)Erfüllung der Pläne zu stimu- Im Internet können zwar kostenlos Gesetze abgerufen werden, aber lieren bis hin zur Tätigkeit der Konfliktkommissionen, die in den selten in konsolidierter Fassung. Durch Nutzung der preisgünstigen Betrieben den weitaus größten Teil arbeitsrechtlicher Streitigkeiten Nomos-Gesetzesausgaben spart man daher die Zeit für aufwendige entschieden. Unter der knappen Überschrift »WAO«, dem Kürzel für Recherchen, denn gesuchte Gesetzestexte lassen sich über das Inhalts- »Wissenschaftliche Arbeitsorganisation«, erstreckt sich auch quasi verzeichnis mit Kurztiteln am Anfang und die alphabetische Schnell- vermintes Gebiet: Man erfährt am Exempel (S. 74 f.), wie produk- übersicht auf dem Rückendeckel der jeweiligen Gesetzessammlung tivitätssteigernde Reformvorschläge (es ging um variable Arbeitszeit- rasch auffinden. Eine schnelle Recherchemöglichkeit bietet zudem gestaltung) besonders leicht und schmerzhaft mit zementierten das umfangreiche Register bzw. Stichwortverzeichnis, das am Ende ideologischen Positionen kollidierten. jedes Buchs zu finden ist. Geboten wird die kompakte Alternative zu Rolle und Gewicht der AuA lassen sich erst ganz ermessen, wenn den herkömmlichen Loseblattwerken. Durch die vorliegenden gebun- man weiß, dass juristische Fachzeitschriften in der DDR aufgrund zen- denen Ausgaben mit jährlich vollständiger Aktualisierung entfällt traler Beschlüsse »fest eingebettet in das System der Rechtserläuterung somit die Einsortierarbeit wie bei den Loseblattwerken. und -beratung der Bürger« waren (S. 100). Für die Redakteure war es Die Gesetzessammlungen zeichnen sich durch ihre gute Handlich- selbstverständlich, auf Anfrage Rechtsauskünfte zum Einzelfall zu keit aus. Da sie bequem in der Aktentasche zu Gerichtssitzungen, geben, also wie ein Anwalt beratend zu wirken. Die »Leser-Blatt-Bin- Besprechungen und dergleichen mitgenommen werden können, dung«, für Fachredaktionen heute oft ein Trauma, war so vollkommen eignen sie sich besonders für Rechtsanwälte und Richter, aber auch für gelungen, dass die AuA im »Wendejahr« 1989 ca. 96.000 zahlende Mitarbeiter in der Verwaltung sowie Studierende vor allem der juris- Abonnenten hatte, gegenüber 40.000 im Jahr 1968. Dass es nicht tischen Berufe. noch mehr waren, lag nicht an der Nachfrage, sondern an Papier- Rechtsanwalt Dr. Thomas P. Stähler, Frankfurt/M. knappheit. Obwohl die Zeitschrift zum SED-eigenen Verlag »Die Wirtschaft« gehörte und beträchtliche Gewinne abwarf, hatte ihr die »Papier- kommission« des Zentralkomitees mehrfach die Papierzuweisung gekürzt (S. 15). Eine schmerzliche, aber noch die geringste Einfluss- Brigitte Udke nahme von »oben«. Brigitte Udke beschreibt auch, wie die Publikatio- Bruchstücke nen der Parteiverlage »auf Linie« gebracht wurden. Die »Agitations- Arbeit und Recht im Spiegel einer Zeitschrift 1969 – 1989 kommission« beim ZK der SED legte fest, welche Schwerpunkte die Vertrieb über Huss-Medien (Bestellnr.: 33 49 66 66 66 0), Berlin 2005 Redaktion zu setzen hatte, welche Fragen »besonders wichtig« waren 146 Seiten, brosch., 9,80 € und welche nicht behandelt werden durften usw. Die Redakteure hatten der zentralen Sprachregelung zu folgen: Jahrelang stand etwa Phänomene, die der Vergangenheit angehören, werden vielleicht eine das Wort »Kybernetik« auf der Verbotsliste (S. 14). Was AuA trotzdem Zeit lang lebendige Spuren hinterlassen, oder jedenfalls Abbilder. erreichen konnte war, den Lesern eine unter den herrschenden Umstän- Einen Rückblick auf die Arbeitsgesellschaft DDR vermittelt die den zuverlässige, rechtlich abgesicherte Verhaltensanleitung zu geben. Zeitschrift »Arbeit und Arbeitsrecht« (AuA), noch unter einem Vor- Das letzte Kapitel der »Bruchstücke« skizziert die »Neuorientie- gängertitel bereits 1946 gegründet. Brigitte Udke, langjährige Chef- rung« der Zeitschrift ab 1990. Den neuen Verleger aus dem Westen redakteurin des Blatts, hat jetzt angefangen, dieses Archiv einer unter- vermochte die Redaktion konzeptionell, die Chefredakteurin durch gegangenen Arbeitswelt zu erschließen. Für die zweite Lebenshälfte der Kompetenz zu überzeugen. Brigitte Udke blieb im Amt, bis sie im Jahr DDR, die Jahre 1969 bis 1989, hat sie 20 Bände »ihrer« AuA in einer 2000 die Altersgrenze erreichte. Ihr Buch ist auch zu einer beruflichen zugleich beschreibenden und kritischen Untersuchung resümiert. Autobiografie geworden: unaufdringlich, aber mit einer persönlichen Entstanden ist ein spannender Zeitbericht von hoher Authentizität. Handschrift, die es umso lesbarer und lesenswerter macht. Ein nicht Denn gezeigt wird nicht nur, welche Probleme der betrieblichen zu langer Anhang mit Originaltexten rundet das Werk ab. Es ist nicht Praxis sich in der einzigen arbeitsrechtlichen Fachzeitschrift des nur für einstige AuA-Abonnenten interessant, sondern für jeden, der Landes spiegelten, sondern ebenso, unter welchen Einschränkungen genaue und realitätsgerechte Einblicke in DDR-Verhältnisse sucht. die Redaktion ihre publizistische Aufgabe zu erfüllen hatte. Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolfgang Gast, Heidelberg

Neue Justiz 4/2006 169 Rechtsprechung

01 VERFASSUNGSRECHT widrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm näher begründet wer- den (vgl. BVerfGE 86, 52 [57]). Dabei bedarf es der Auseinander- ̈ 01.1 – 4/06 setzung mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Unzulässige Richtervorlage zum Sachenrechtsmoratorium Gesichtspunkten sowie eingehender, Rspr. und Schrifttum einbezie- BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 12. Januar 2006 hender Darlegungen (vgl. BVerfGE 88, 198 [201]; 94, 315 [325] = NJ 1996, 502 [Leits.]; …). Auch ist auszuführen, weshalb das Gericht – 1 BvL 12/05 von der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung BVerfGG § 80; GG Art. 14 Abs. 1, 100 Abs. 1; überzeugt ist (vgl. BVerfGE …; 90, 145 [170] = NJ 1994, 334 [Leits.]). EGBGB Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 2. Diesen Anforderungen wird der Vorlagebeschluss des AG Zu den Anforderungen an eine Richtervorlage (hier: zum Sachen- nicht gerecht. rechtsmoratorium des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB). a) Die Vorlage wendet sich der Sache nach nicht gegen die Ver- (Leitsatz der Redaktion) fassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Norm selbst, hält vielmehr nur deren Auslegung durch das dem AG übergeordnete In einem beim AG Köpenick anhängigen Verfahren nimmt die LG (vgl. etwa das Urteil des LG Berlin v. 9.3.2004 – 64 S 424/03, Kl. die Bekl. aus vom Land Berlin abgetretenem Recht für den das mit der von der Kammer nicht zur Entscheidung angenom- Zeitraum vom 22.7.1992 bis 31.3.1995 auf Zahlung eines Nut- menen Verfassungsbeschwerde 1 BvR 954/04 angegriffen wurde, zungsentgelts von rd. 1.690 € für ein im Beitrittsgebiet belegenes und das Urteil desselben Gerichts v. 22.8.2005 – 67 S 119/05, das Grundstück in Anspruch. 1988 hatte der Magistrat der Stadt den Gegenstand des Verfahrens 1 BvR 2446/05 ist) und durch den Bekl. zum Zweck der Bebauung mit einem Eigenheim ein BGH (vgl. dessen Urteile in VIZ 2004, 38 = NJ 2003, 655 m. Anm. unentgeltliches Nutzungsrecht an dem volkseigenen Grundstück Schramm, u. VIZ 2004, 276 = NJ 2004, 417) für verfassungswidrig. verliehen. 1999 wurde das Grundstück dem Land zugeordnet, das Das AG hat zur Begründung, dass eine verfassungskonforme Aus- 2002 seine Rechte aus dem Grundstückseigentum an die Kl. abtrat. legung des Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB nicht möglich sei, im Das AG hat mit Beschl. v. 2.11.2005 (NJ 2006, 130 [Leits.]) dem Wesentlichen nur auf die gegenteilige Auslegung dieser Gerichte verwiesen. Das macht deutlich, dass es dem AG letztlich allein um BVerfG zur verfassungsrechtlichen Prüfung die Frage vorgelegt, eine verfassungsgerichtliche Überprüfung dieser Auslegung und der ob Art. 233 § 2a Abs. 1 Satz 4 EGBGB – mit der Folge, dass der ihr zugrunde liegenden Rechtsauffassung geht. Das aber steht mit Gebäudeeigentümer an den Grundstückseigentümer für die Zeit Sinn und Zweck des Art. 100 Abs. 1 GG nicht im Einklang. Dieser vom 22.7.1992 bis zum 31.3.1995 ein Nutzungsentgelt zu zahlen dient nur der Normenkontrolle. Die Verfassungsmäßigkeit gericht- hat – mit dem Recht des Gebäudeeigentümers aus dem verliehenen licher Entscheidungen ist mit der Verfassungsbeschwerde anzu- unentgeltlichen Nutzungsrecht an »Eigentum des Volkes« mit der greifen. Begründung von »Gebäudeeigentum« aus seinem Eigentum mit b) Darüber hinaus genügt die Vorlage nicht dem gesetzlichen Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist. Begründungserfordernis, weil das AG den verfassungsrechtlichen Eine verfassungskonforme Auslegung des Art. 233 § 2a Abs. 1 Prüfungsmaßstab nicht in der erforderlichen Weise herausge- Satz 4 EGBGB sei nicht angezeigt, weil es schon eine gefestigte arbeitet hat. Es hat zwar zutreffend dargestellt, dass auch das gegenteilige Rspr. u.a. des BGH gebe. Gebäudeeigentum der Bekl. vom Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG Das BVerfG hat die Vorlage für unzulässig erklärt. erfasst wird. Doch fehlen jegliche Ausführungen dazu, inwieweit der Schutzbereich dieses Grundrechts durch die Auferlegung einer Aus den Entscheidungsgründen: Entgeltpflicht i.H.v. rd. 1.690 € für die Nutzung des Grund- 1. Nach der st.Rspr. des BVerfG besteht die in Art. 100 Abs. 1 GG stückseigentums nach der vom Gericht in ihrer Verfassungs- und § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht nur, wenn das Fach- mäßigkeit in Frage gestellten Norm berührt wird. gericht eine entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für Das Gericht setzt sich mit keinem Wort mit der st.Rspr. des verfassungswidrig erachtet. Sinn des Art. 100 Abs. 1 GG ist es, BVerfG auseinander, nach der Art. 14 GG nicht das Vermögen als die Überprüfung des Gesetzgebers beim BVerfG zu konzentrieren solches schützt (vgl. BVerfGE 78, 232 [243]; 91, 207 [220]; 95, 267 (vgl. BVerfGE 17, 208 [210]). Dagegen dient die Regelung nicht [300] = NJ 1997, 360 [Leits.]). Auch nicht ansatzweise wird darauf dazu, Meinungsverschiedenheiten zwischen Gerichten desselben eingegangen, dass nach dieser Rspr. ein Verstoß gegen die Eigen- Rechtszugs zu klären (vgl. BVerfGE 78, 20 [24 f.]; 80, 54 [59]). tumsgarantie bei Auferlegung von Geldleistungspflichten erst Wie eine Norm des einfachen Rechts auszulegen ist, ist grundsätz- dann in Betracht kommt, wenn diese den Betroffenen übermäßig lich Sache des zuständigen Fachgerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]). belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beein- Ist es der Auffassung, eine Vorschrift, über deren Auslegung Streit trächtigen (vgl. BVerfGE 63, 312 [327]; 78, 232 [243]; 95, 267 besteht, sei nur bei einer bestimmten Auslegung mit der Verfassung vereinbar, muss es seiner Entscheidung diese Auslegung zugrunde legen [301]). Für eine derartige Wirkung gibt es weder nach der Darstel- und darf nicht das BVerfG anrufen (vgl. BVerfGE 22, 373 [377]; 78, 20 lung des Gerichts noch sonst irgendwelche Anhaltspunkte. [24]; 80, 54 [58]). Das gilt auch dann, wenn das im Instanzenzug über- Der Begründungspflicht ist auch nicht insoweit genügt, als das geordnete Gericht eine Auslegung vornimmt, die das nachgeordnete Gericht für verfassungswidrig hält. Denn die verfassungsgerichtliche AG annimmt, Art. 14 Abs. 1 GG sei durch die zur Prüfung gestellte Überprüfung der Entscheidungen der im Instanzenzug übergeordneten Regelung deshalb verletzt, weil dieser echte Rückwirkung Gerichte muss dem dafür vorgesehenen Verfahren der Verfassungs- zukomme. Das BVerfG hat in seinem Beschl. v. 8.4.1998 (BVerfGE beschwerde vorbehalten bleiben (…). 98, 17 [42 f.] = NJ 1998, 639 [bearb. v. Schramm]) ausdrücklich fest- Darüber hinaus wird dem Begründungserfordernis des § 80 gestellt, für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Art. 233 § 2 a Abs. 2 Satz 1 BVerfGG durch das vorlegende Gericht nur genügt, EGBGB idF von 1992 … habe der Nutzer eines von dieser Vor- wenn die Ausführungen im Vorlagebeschluss mit hinreichender schrift erfassten Grundstücks nicht mehr davon ausgehen Deutlichkeit erkennen lassen, dass das Gericht bei Gültigkeit der können, dass die von ihm gezogenen Nutzungen unentgeltlich Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle bleiben würden. Das AG geht darauf nicht näher ein, sondern ihrer Ungültigkeit und wie es dieses Ergebnis begründen würde behauptet nur pauschal, dass hier anderes gelte. (vgl. BVerfGE 86, 52 [56]). Im Vorlagebeschluss muss nicht nur der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab genannt, sondern auch Anm. d. Redaktion: Zur der mit dem Vorlagebschluss des AG Köpenick die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungs- behandelten Problematik siehe R. Blum, NJ 2006, 107 f.

170 Neue Justiz 4/2006 Verfassungsrecht

̈ 01.2 – 4/06 LVerfGG M-V ergeben, nicht gewahrt. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Keine Sonderversorgung für Beschäftigte im Gesundheitswesen LVerfGG M-V müssen Anträge, die ein Verfahren beim LVerfG ein- der DDR leiten, begründet und die erforderlichen Beweismittel angegeben BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats), Beschluss vom 18. Oktober 2005 werden. Für die Verfassungsbeschwerde bestimmt § 53 LVerfGG – 1 BvR 787/03 u. 933/03 M-V ergänzend, dass das als verletzt angesehene Recht und die gesetzliche Bestimmung, durch die sich der Beschwerdef. verletzt GG Art. 3, 14; SGB VI § 256a Abs. 2 fühlt, zu bezeichnen sind. Diese Anforderungen an den Antrag Die Nichtberücksichtigung eines besonderen Steigerungsbetrags müssen innerhalb der Frist der jeweiligen Verfahrensart erfüllt bei der Rentenberechnung auf Grundlage des SGB VI im Rahmen sein (vgl. auch BVerfGE 21, 359, 361; 24, 252, 259; Puttler, in: der Altersversorgung für Beschäftigte im Gesundheitswesen der Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 23 Rn 13). DDR ist verfassungsgemäß (im Anschluss an BVerfG, Beschl. v. Die Begründung muss vollständig und aus sich heraus ver- 30.8.2005, NJ 2006, 74, für Angehörige der Deutschen Reichs- ständlich sein. Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist bahn der DDR). (Leitsatz der Redaktion) substantiiert vorzutragen und die wesentlichen rechtlichen Erwägungen sind darzulegen (vgl. Puttler, aaO, Rn 17). Bei einer kommunalen Verfassungsbeschwerde muss ein Beschwerdef. ̈ 01.3 – 4/06 sonach darlegen, er sei in seinem Recht auf Selbstverwaltung Darlegungslast bei einer Verfassungsbeschwerde wegen Verlet- (Art. 72-75 LV M-V) selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen. zung des Konnexitätsprinzips Dazu gehört u.a. die Angabe von Tatsachen, aus denen sich seine LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 26. Januar 2006 – 15/04 faktische Belastung durch das angegriffene Gesetz ergibt. LVerf. M-V (LV M-V) Art. 72 Abs. 3; LVerfGG M-V §§ 19 Abs. 1 Satz Für nicht ausreichend hält das LVerfG, wenn die Begründung 2, 52, 53; KindertagesförderungsG M-V (KiföG M-V) § 20 darlegt, das angegriffene Gesetz verletze bei einer Gesamt- betrachtung seiner typischen Auswirkungen die Kommunen 1. Die Darlegungslast für die Sachentscheidungsvoraussetzungen allgemein oder andere Kommunen. Ein Beschwerdef. muss viel- einer Verfassungsbeschwerde liegt grundsätzlich beim Beschwerde- mehr dartun, das angegriffene Gesetz enthalte eine Pflicht zur führer. Erfüllung einer Aufgabe und deren Erfüllung führe konkret zu 2. Zu den Anforderungen an die Darlegungslast bei einer behaup- einer Mehrbelastung bei ihm selbst. Darüber hinaus muss eine teten Verletzung des strikten Konnexitätsprinzips nach Art. 72 Auseinandersetzung mit Bestimmungen des Gesetzes erfolgen, Abs. 3 LV. die eventuelle Mehrbelastungen kompensieren sollen oder ent- sprechende Auswirkungen haben können. Problemstellung: Das Gericht konzediert jedoch, die Anforderungen an die Gegenstand der kommunalen Verfassungsbeschwerde war die Frage, Begründung der Auswirkungen könnten nicht hoch sein, wenn ob § 20 KiföG M-V mit dem in Art. 72 Abs. 3 LV M-V verankerten die beschwerdef. Kommune nur begrenzt oder gar nicht in der Konnexitätsprinzip vereinbar ist. Lage ist, die tatsächlichen Auswirkungen prognostisch zu Die Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen sowie überblicken. in Tagespflege wird nach dem Gesetz gemeinsam finanziert durch das Land, die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, die Davon ausgehend bejaht das LVerfG zunächst die Einschlägig- Gemeinden und die Eltern. Land und örtliche Träger der öffent- keit der Konnexitätsregelung des Art. 72 Abs. 3 LV M-V. Aus Sinn lichen Jugendhilfe beteiligen sich an der Finanzierung durch Fest- und Zweck der Norm, die dem Schutz der Finanzkraft der beträge, deren Verteilung näher geregelt ist. Die verbleibenden Gemeinden dient, folgt, dass es keinen Unterschied macht, ob der Kosten hat die Gemeinde, in der das Kind seinen gewöhnlichen Kommune eine bestimmte Aufgabe (einschl. der Finanzierungs- Aufenthalt hat, zumindest zu 50% zu tragen, den Rest müssen die last) oder – wie hier – allein die Finanzierungslast für die Erledi- Eltern übernehmen. gung einer Sachaufgabe übertragen wird. Die Finanzierung einer Sachaufgabe stellt sich als deren Fortsetzung oder als deren beson- Gegen das am 1.8.2004 in Kraft getretene Gesetz hat die dere Ausprägung dar (BVerfGE 83, 363, 385; Mückl, DÖV 1999, Beschwerdef. – eine kreisangehörige Stadt mit rd. 19.500 Ein- 841, 847 f.; a.A. LVerfG LSA, LVerfGE 9, 368, 383 f.). wohnern – am 6.10.2004 Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie sieht das in Art. 72 Abs. 3 LV M-V verankerte Konnexitätsprinzip Nach Auffassung des LVerfG hat es die Beschwerdef. jedoch ver- durch die Finanzierungsregelungen des KiföG M-V verletzt. Zum absäumt, innerhalb der Beschwerdefrist substantiiert darzulegen, Beleg dafür hat sie mit Schriftsatz v. 7.4.2005 eine von ihr erstell- dass die Anwendung der angegriffenen Normen gerade bei ihr zu te tabellarische Gegenüberstellung der Kosten von Kindergärten Mehrbelastungen führt. So hatte die Beschwerdef. mit Schriftsatz im Gemeindegebiet vorgelegt. Daraus ergeben sich für das Jahr v. 7.4.2005 bei den Kosten des Jahres 2005 nur vier der acht 2005 im Vergleich zum Jahr 2003 erhöhte durchschnittliche vorhandenen Kindertageseinrichtungen und ausschließlich die Kosten für Kindergärten. Keine Angaben enthielt die Gegenüber- Kosten der Kindergärten mitgeteilt. Es fehlte an Darlegungen, stellung zu den Kosten von Krippen und Horten sowie zu den inwieweit die eventuellen Mehrkosten gerade auf die Neurege- Investitionszuschüssen für Horte. Die Beschwerdef. gab an, die Vor- lung durch das KiföG M-V zurückzuführen sind. lage genauerer Zahlen sei ihr nicht möglich, weil der Landkreis P. Mehrbelastungen können sich z.B. auch aus veränderten Bele- die Bestimmungen des KiföG M-V erst im März 2005 angewandt gungszahlen und gestiegenen Betriebskosten ergeben. In diesen habe. Mit Schriftsatz v. 14.11.2005 legte sie eine weitere verglei- Zusammenhang betont das Gericht – wie schon einmal zuvor – chende Kostenübersicht vor. die Pflicht des Gesetzgebers, die Kostenentwicklung in der Kinder- Die Verfassungsbeschwerde war unzulässig. tagesförderung zu beobachten und bei einem Abweichen der tatsächlichen Entwicklung zu Lasten der Kommunen von der Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: dem Gesetz zugrunde liegenden Kostenprognose angemessen zu Das LVerfG sieht die Anforderungen an die Darlegung der reagieren (vgl. StGH Bad.-Württ., LVerfGE 9, 3, 16; VerfG Bbg., Beschwerdebefugnis, wie sie sich aus §§ 19 Abs. 1 Satz 2, 53 LVerfGE 7, 144, 158 f.).

Neue Justiz 4/2006 171 Rechtsprechung Verfassungsrecht

Das LVerfG sieht den Mangel einer nicht hinreichenden Gesetz angelegter Kostensenkungspotentiale (Leistungsverträge Begründung schließlich auch nicht durch Vortrag mit Schriftsatz und -entgelte) – prinzipiell zustimmen mag, wäre vom Gesetz- v. 14.11.2005 geheilt. Abgesehen davon, dass er wegen Ablaufs der geber gewissermaßen als Vorausleistung eine ebenso nachvoll- Jahresfrist für die Verfassungsbeschwerde nicht mehr zu berück- ziehbare Kostenprognose zu verlangen. Der dem Landtag zugelei- sichtigen war, ist auch damit nach Auffassung des Gerichts eine tete Gesetzentwurf der Landesregierung bemerkt insoweit lediglich, hinreichende Substantiierung nicht gelungen. dass das Konnexitätsprinzip nach Art. 72 Abs. 3 LV M-V iVm den §§ 4 u. 91 der KommVerf. sowie die »Gemeinsame Erklärung der Kommentar: Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und der kommu- Nachdem in den vergangenen Jahren eine Reihe von Landesver- nalen Landesverbände zum Konnexitätsprinzip« – danach ist fassungen das Konnexitätsprinzip für Aufgabenverlagerungen rechtzeitig vor der ersten Kabinettsbefassung eine detaillierte oder -veränderungen zu Lasten der Kommunen entweder erst- Kostenfolgenabschätzung anzustellen – beachtet worden sind malig eingeführt (zuletzt Rheinland-Pfalz durch Ges. v. 14.6.2004, (LT-Drucks. 4/864, S. 17). GVBl. S. 321) oder im Sinne eines strikten Konnexitätsprinzips Teil der Begründung des Gesetzentwurfs ist diese Kostenfolgen- verschärft haben (so Mecklenburg-Vorpommern durch Ges. v. abschätzung nicht geworden. Im Vorblatt des Entwurfs wird 4.4.2000, GVBl. M-V S. 158), ist es nicht verwunderlich, dass die lediglich lapidar festgestellt, durch die im Gesetz formulierten Anwendung dieses Prinzips – zumal in Zeiten knapper Kassen – Anforderungen entstünden keine Mehrbelastungen der Land- auch die Verfassungsgerichtsbarkeit beschäftigt. Der Versuch ist kreise, kreisfreien Städte und kreisangehörigen Gemeinden und indes beim LVerfG dieses Mal gescheitert. Daraus zu schließen, das darüber hinaus würden den örtlichen Trägern der öffentlichen Konnexitätsprinzip – auch in seiner strikten Variante – sei wenig Jugendhilfe und den Gemeinden Gestaltungsmöglichkeiten zur effektiv, wäre verfrüht. Ein erhebliches Interesse, die Vorschrift Kostenbegrenzung eröffnet. Dies führt zu den zu bejahenden mit konkretem verfassungsrechtlichen und verfassungsgericht- Fragen, ob sich aus der Schutzfunktion des Konnexitätsprinzips lich geleiteten Leben zu erfüllen, hat das LVerfG jedoch nicht für den Gesetzgeber die Pflicht ergibt, in nachvollziehbarer Weise erkennen lassen. seine Prognosemaßstäbe offen zu legen (vgl. dazu Jutzi, aaO) und, Dem LVerfG kann in einigen seiner prozessualen Kernaussagen wenn dieser Pflicht nicht genügt wurde, ob sich die Darlegungs- zwar zugestimmt werden. So bestehen gegen die Anwendbarkeit last einer beschwerdef. Kommune nicht vermindert. des Prinzips bei reinen Finanzierungslasten vor dem Hintergrund Folgt man dem nicht, bleibt die Frage, warum das LVerfG im der ratio legis keine Zweifel. Das Gericht verlangt auch mit Recht, Sinne eines fairen Prozesses der Kommune nicht innerhalb der eine beschwerdef. Kommune müsse den entscheidungserheb- laufenden Verfassungsbeschwerdefrist durch Zwischenverfügung lichen Sachverhalt hinreichend substantiieren und darlegen, die eine nähere Konkretisierung ihres Vorbringens aufgegeben hat. Erfüllung der neuen Aufgabe führe zu einer Mehrbelastung. Die Möglicherweise hat sich das Gericht – wie an zwei Stellen der beschwerdef. Kommune hatte in der Tat wenig Mühe aufgewandt Entscheidung erkennbar wird – damit beruhigt, der Gesetzgeber und selbst mit dem nach der Jahresfrist des § 52 LVerfGG M-V müsse die tatsächliche Kostenentwicklung ohnehin beobachten eingereichten Schriftsatz nach Auffassung des LVerfG noch nicht und ggf. in finanzieller Hinsicht nachbessern. Dies hat den Vor- genügend vorgetragen. teil, dass nicht über gegensätzliche Prognosen von Gesetzgeber Zweifel sind indes angebracht, ob es zwingend erforderlich ist und einzelner Kommune gestritten werden muss. Der Nachteil darzulegen, die Mehrbelastung trete gerade bei der beschwerdef. liegt jedoch darin, dass das Konnexitätsprinzip – von offensicht- Gemeinde ein; jedenfalls wäre diese Darlegung allein nicht aus- lichen Fällen abgesehen – effektiven verfassungsgerichtlichen reichend. Art. 72 Abs. 3 Satz 2 LV M-V verlangt einen finanziellen Schutz i.d.R. erst nach längerer Anwendung einer Kosten auslö- Ausgleich für die Mehrbelastung »der Gemeinden und Kreise«. senden Norm erfährt. Daraus folgt, der Gesetzgeber muss (nur) sicherstellen, dass die MinDgt Dr. Siegfried Jutzi, Justizministerium Rheinland-Pfalz Kommunen insgesamt einen hinreichenden Ausgleich erhalten (vertikal zureichender Ausgleich) und dass dieser gerecht auf die Gebietskörperschaften verteilt wird (horizontal zureichender Aus- ̈ 01.4 – 4/06 gleich). Vertretbar erscheint es, die Darlegungslast allein auf die- Beschränkung des passiven Wahlrechts se Gesichtspunkte zu beschränken. Es überforderte jedenfalls den VerfGH Sachsen, Beschluss vom 25. November 2005 – 60-V/05 Gesetzgeber, wenn er für jede Kommune einen vollständigen Aus- gleich ihrer individuellen Mehrbelastung garantieren müsste (vgl. Sächs. Verf. Art. 4 Abs. 2 u. 3, 41 Abs. 2 Satz 1; SächsWahlG § 14 dazu Jutzi, in: Ley/Jutzi, Staats- und Verwaltungsrecht Rheinland- Nr. 2 Alt. 2 Pfalz, 2005, Teil B Rn 149). Das wäre aber die Folge, wenn aus- Die Beschränkung des passiven Wahlrechts nach § 14 Nr. 2 Alt. 2 schließlich der plausible Hinweis auf die individuelle Betroffen- SächsWahlG soll sicherstellen, dass der Wahlbewerber sich mit heit genügte. dem Freistaat Sachsen und den mit der Wahl zum Sächsischen Auch wenn man neben der Darlegung des nicht ausreichenden Landtag verbundenen Aufgaben als sächsischer Abgeordneter oder nicht gerechten Ausgleichs zusätzlich eine individuelle identifiziert sowie aus eigener Anschauung Kenntnis von den Betroffenheit der beschwerdef. Kommune verlangt, dürfte das spezifischen Gegebenheiten im Freistaat Sachsen besitzt. Dieser Gericht die Anforderungen an die Darlegungserfordernisse in Normzweck bestimmt die Anforderungen, die an einen gewöhn- concreto überspannt haben. Zwar wird auf abstrakter Ebene lichen Aufenthalt im Freistaat Sachsen iSd § 14 Nr. 2 SächsWahlG betont, die Anforderungen an die Begründung der Auswirkungen zu stellen sind, mit. könnten nicht hoch sein, wenn die beschwerdef. Kommune nur begrenzt oder gar nicht in der Lage ist, die tatsächlichen Auswir- Anm. d. Redaktion: Der VerfGH hat die Wahlprüfungsbeschwerde verwor- kungen prognostisch zu überblicken. Dieser Obersatz findet fen, da sich der zum Abgeordneten des 4. Sächs. Landtags gewählte K. am jedoch in der Subsumtion keinen (erkennbaren) Niederschlag. Wahltag mind. zwölf Monate im Freistaat Sachsen gewöhnlich aufhielt. Selbst wenn man den recht konkreten Darlegungsanforderun- Zur Unvereinbarkeit von § 15 Nr. 3 SächsWahlG mit der Sächs. Verf. siehe gen an die beschwerdef. Kommune – bis hin zur Ausschöpfung im VerfGH Sachsen, Urt. v. 25.11.2005, NJ 2006, 76 (bearb. v. Jutzi).

172 Neue Justiz 4/2006 02 BÜRGERLICHES RECHT liegt, der Wohnraum übermäßig belegt würde oder dem Vermie- ter die Überlassung aus sonstigen Gründen nicht zugemutet ̈ 02.1 – 4/06 werden kann. Erlaubnis zur Untervermietung von Wohnraum Entgegen der Auffassung des BerufungsG fehlt es nicht bereits BGH, Urteil vom 23. November 2005 – VIII ZR 4/05 (LG Berlin) dann an einem berechtigten Interesse des Mieters, wenn er Wohn- raum untervermieten will, in dem er nicht seinen Lebensschwer- BGB § 553 Abs. 1 punkt hat (LG Hamburg, ZMR 2001, 973, 974; Kellendorfer, in: Der Anspruch des Wohnungsmieters auf Erteilung der Erlaubnis Müller/Walther, Miet- und Pachtrecht, § 553 Rn 5; a.A. LG Berlin, zur Untervermietung setzt nicht voraus, dass der Mieter in der ZMR 2002, 49, 50; Blank, in: Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Aufl., Wohnung seinen Lebensmittelpunkt hat. § 553 Rn 6; ders., in: Schmidt-Futterer, 8. Aufl., § 553 BGB Rn 6). 1. Als berechtigt ist jedes, auch höchstpersönliche Interesse des Die Kl. mieteten 1992 von den Rechtsvorgängern des Bekl. eine Mieters von nicht ganz unerheblichem Gewicht anzusehen, das Wohnung in B. Die 114 qm große Wohnung verfügt über 3 1/2 mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang steht Zimmer, Kammer, Küche und Bad. Die Kl. zu 1 arbeitet in L. und (Senat, BGHZ 92, 213, 219, zu § 549 Abs. 2 Satz 1 BGB aF; Stau- hält sich nur zeitweise in B. auf. Der Kl. zu 2 lebt aus beruflichen dinger/Emmerich, BGB (2003), § 553 Rn 5 mwN). Die Kl. halten Gründen überwiegend in W., wo er eine Wohnung angemietet sich aus beruflichen Gründen überwiegend außerhalb B. auf. Der hat. Kl. zu 2 hat an seiner Arbeitsstelle in W. eine Wohnung angemie- Die Kl. baten den Bekl., ihnen die Erlaubnis zur Unterver- tet; die Kl. zu 1 arbeitet in L. Das BerufungsG hat den von den Kl. mietung von zwei Zimmern der Wohnung zu erteilen, was dieser vorgetragenen Wunsch nach einer Entlastung von den Reise- und ablehnte. Wohnungskosten, die ihnen aus beruflichen Gründen entstehen, Mit ihrer Klage begehren die Kl. die Zustimmung des Bekl. zur zutreffend als berechtigtes Interesse zur Untervermietung eines Untervermietung zweier Zimmer der Wohnung. Das AG hat die Teils der Wohnung angesehen (vgl. auch LG Berlin, NJW-RR 1994, Klage abgewiesen; das LG wies die Berufung der Kl. zurück. 1289; LG Hamburg, WuM 1994, 535; Blank, aaO, Rn 5 mwN). Auf die zugelassene Revision hat der BGH die Sache zur neuen 2. Das BerufungsG hat jedoch gemeint, ein so verstandenes berechtigtes Interesse sei mit § 540 Abs. 1 BGB nicht zu verein- Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen. baren, wonach grundsätzlich keine Untervermietung möglich sein solle; ein Anspruch auf Erteilung der Untermieterlaubnis Aus den Entscheidungsgründen: bestehe nicht, wenn der Mieter in der Wohnung nicht seinen I. Das BerufungsG … hat ausgeführt: Lebensmittelpunkt habe. Diesen Ort sieht das BerufungsG dort, Den Kl. stehe kein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Unter- wo der Mieter seinen Alltag verbringt; es hat ihn hinsichtlich der vermietung gem. § 553 Abs. 1 BGB zu, weil ihr Lebensmittelpunkt nicht mehr in B. sei. Zwar enthalte § 553 Abs. 1 BGB kein Tatbe- Kl., die überwiegend außerhalb B. leben, für die Wohnung in B. standsmerkmal des »Lebensmittelpunkts«; dieser Umstand sei jedoch verneint. im Rahmen der Prüfung des berechtigten Interesses mit heranzu- Diese Einschränkung findet im Wortlaut der §§ 540 Abs. 1, 553 ziehen. Nach der Rspr. des BGH sei als berechtigt jedes, auch höchst- persönliche Interesse des Mieters von nicht ganz unerheblichem Abs. 1 BGB keinen Anhalt. Sie ist auch weder mit der Systematik Gewicht anzusehen, das mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung der gesetzlichen Regelung noch mit dem Zweck des § 553 Abs. 1 in Einklang stehe. Dies sei hier fraglos anzunehmen. BGB vereinbar. Die von den Kl. angeführten Gründe seien auch von nicht uner- heblichem Gewicht, weil das Vorhalten mehrerer Wohnsitze zu Zwar bedarf der Mieter gem. § 540 Abs. 1 Satz 1 BGB (§ 549 zusätzlichen Kosten führe, die durch die Untermiete reduziert würden Abs. 1 Satz 1 BGB aF), der für alle Mietverhältnisse gilt, der Erlaub- … Ein so verstandenes erhebliches Interesse sei jedoch mit § 540 nis des Vermieters zur Weitervermietung der Mietsache an einen Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren, wonach grundsätzlich gerade keine Dritten. Für den Bereich der Wohnraummiete gewährt § 553 Untervermietung möglich sein solle. Es sei nicht Sinn der Regelung, dass der Gesichtspunkt des gemeinsamen Wohnens völlig in den Hin- Abs. 1 BGB dem Mieter jedoch einen Anspruch auf Erteilung der tergrund gedrängt werde. Mithin bedürfe es einer Abgrenzung für die Erlaubnis zur Untervermietung. Die Voraussetzungen dieser Fälle, in denen zwar eine Wohnung aufrechterhalten werde, diese Bestimmung sind unter Berücksichtigung des mieterschützenden Bedingung aber auch für andere Wohnungen des Mieters zutreffe. Das Zwecks der Regelung auszulegen. Das Mietverhältnis soll gerade Abgrenzungsmerkmal des Lebensschwerpunkts sei sachgerecht. Dem- gegenüber könne nicht angeführt werden, dass in der heutigen Zeit auch dann aufrechterhalten werden, wenn der Mieter den Wohn- das Vorhalten mehrerer Wohnungen im Interesse des Mieters sei. raum teilweise einem anderen zum Gebrauch überlassen möchte Dem habe der Gesetzgeber im Rahmen der Kündigungsregelungen (vgl. Senat, aaO, S. 217, zu § 549 Abs. 2 Satz 1 BGB aF; Münch- Rechnung getragen, so dass für den Mieter nur dieser Weg offen stehe. KommBGB/Schilling, 4. Aufl., § 553 Rn 2). Der Gesetzeszweck, II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung dem Mieter die Wohnung zu erhalten, bestimmt deshalb die nicht stand. Zu Unrecht meint das BerufungsG, dem Anspruch Auslegung des Begriffs »berechtigtes Interesse« und sein Verhält- der Kl. auf Erteilung der Untermieterlaubnis gem. § 553 Abs. 1 nis zu dem in § 553 Abs. 1 Satz 2 BGB genannten Zumutbarkeits- BGB stehe entgegen, dass sie ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr erfordernis (Senat, aaO). in B. hätten. Unter Zugrundelegung des vom Bekl. bestrittenen, Entgegen der Auffassung des BerufungsG erfordert es der Zweck für das Revisionsverfahren als zutreffend zu unterstellenden Vor- der gesetzlichen Regelung nicht, dass Dritte in die Wohnung auf- bringens der Kl., lediglich einen Teil der Wohnung untervermie- genommen werden, um gemeinsam mit diesen zu wohnen. Zwar ten zu wollen, sind die Voraussetzungen des § 553 Abs. 1 Satz 1 ist in der Begründung des Reg.Entw. zum MietrechtsreformG v. BGB erfüllt. 19.6.2001 als Regelfall des gesetzlichen Anspruchs nach § 553 Gem. § 553 Abs. 1 Satz 1 BGB (§ 549 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB die Aufnahme eines Lebenspartners zum Zwecke der Bildung BGB aF) kann der Mieter vom Vermieter die Erlaubnis verlangen, oder Fortführung eines auf Dauer angelegten gemeinsamen Haus- einen Teil des Wohnraums einem Dritten zum Gebrauch zu über- halts benannt (BT-Drucks. 14/4553, S. 49). Daraus folgt jedoch lassen, wenn für ihn nach Abschluss des Mietvertrags ein berech- nicht, dass der Mieter nur dann einen Anspruch auf Erteilung der tigtes Interesse hieran entsteht. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift Untermieterlaubnis hat, wenn er beabsichtigt, mit dem Unter- nicht, wenn in der Person des Dritten ein wichtiger Grund vor- mieter zusammenzuleben.

Neue Justiz 4/2006 173 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

Zudem kommt der Mobilität und Flexibilität in der heutigen Antenne zur Vermeidung von Gefahren für Dritte und von mög- Gesellschaft zunehmende Bedeutung zu, wie in der Begründung lichen Sachschäden fachgerecht installiert wird (vgl. OLG Frank- des Reg.Entw. zum MietrechtsreformG hervorgehoben wird (aaO, furt/M., NJW 1992, 2490; OLG Karlsruhe, NJW 1993, 2815; S. 38 f., zu den Kündigungsfristen). Dies kann es – wie im Falle der MünchKommBGB/Schilling, aaO, § 535 Rn 83). Jedoch durfte das Kl. – erfordern, an einer anderenorts gelegenen Arbeitsstelle eine LG den Duldungsanspruch der Bekl. nicht mit der Begründung weitere Wohnung zu begründen. insoweit unzureichenden Tatsachenvortrags der Bekl. verneinen. Bestünde ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zur Unterver- Dieses Vorbringen der Bekl., das in den von der Revision ange- mietung lediglich hinsichtlich derjenigen Wohnung, in der der Mie- führten Schriftsätzen näher ausgeführt und durch Fotos veran- ter (z.Zt.) seinen Lebensschwerpunkt hat, könnte der mit den Kosten einer doppelten Haushaltsführung belastete Mieter im Einzelfall zur schaulicht worden ist, war hinreichend substantiiert und ist vom Aufgabe der Wohnung gezwungen sein, deren teilweise Unterver- LG verfahrensfehlerhaft übergangen worden (§ 286 ZPO). mietung er begehrt, etwa weil die Wohnung, in der er sich überwie- Auf diesem Verfahrensfehler beruht die Entscheidung des LG, gend aufhält, wegen ihres Zuschnitts oder ihrer Größe für eine Untervermietung ungeeignet ist. Dies würde dem Zweck des § 553 weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das LG zu einer ande- Abs. 1 BGB zuwiderlaufen, dem Mieter die Wohnung zu erhalten, und ren Entscheidung gelangt wäre, wenn es sich mit dem Sachvor- wäre zudem mit seiner grundsätzlich anzuerkennenden Entscheidung, trag der Bekl. und den vorgelegten Fotos näher auseinandergesetzt sein Privatleben »innerhalb der eigenen vier Wände« nach seinen hätte. Sofern sich das LG außer Stande gesehen hätte, sich von der Vorstellungen zu gestalten (Senat, aaO, S. 219), nicht zu vereinbaren. fachmännischen Anbringung der Antenne anhand der vorgeleg- Soweit durch die beabsichtigte Untervermietung schützens- ten Fotos ein eigenes Bild zu verschaffen, hätte es die Antenne in werte Belange des Vermieters berührt werden, sind diese gem. Augenschein nehmen oder eine Begutachtung durch einen Sach- § 553 Abs. 1 Satz 2 BGB unter dem Gesichtspunkt der Zumut- verständigen anordnen können (§ 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO). barkeit zu berücksichtigen und gegen die Interessen des Mieters abzuwägen (Senat, aaO, S. 220 f., 222). 2. Auch die weiteren Ausführungen des LG, die Bekl. hätten den Abschluss einer Schadensversicherung nicht schlüssig dargelegt, III. Auf die Revision der Kl. ist das Berufungsurteil daher aufzu- tragen den zuerkannten Beseitigungs- und Unterlassungs- heben; die Sache ist, da es weiterer Feststellungen bedarf, zur anspruch der Kl. nicht. Es bedarf keiner Entscheidung, ob ein Ver- neuen Verhandlung und Entscheidung an das BerufungsG mieter vom Mieter den Abschluss einer Haftpflichtversicherung zurückzuverweisen (…). zur Abdeckung möglicher Schäden, die von einer Parabolantenne verursacht werden können, verlangen darf (so OLG Karlsruhe, ̈ 02.2 – 4/06 aaO). Ein solcher Anspruch kann erst dann in Betracht kommen, Parabolantenne und Mietrecht wenn der Vermieter unter der Voraussetzung einer ggf. abzu- BGH, Urteil vom 16. November 2005 – VIII ZR 5/05 (LG Berlin) schließenden Versicherung bereit oder – aufgrund des grund- rechtlich geschützten Informationsinteresses des Mieters (Art. 5 BGB § 535 Abs. 1 GG) – verpflichtet ist, die Antenne zu dulden. Ein Mieter muss keine Versicherung für eine Antenne abschließen, die er Zum Anspruch des Mieters gegen den Vermieter, die Anbringung ohnehin nicht aufstellen darf oder umgehend entfernen muss. einer Parabolantenne am Balkon der Mietwohnung zu dulden. Dass den Bekl. unter dem genannten verfassungsrechtlichen Problemstellung: Gesichtspunkt ein Anspruch auf Duldung der Antenne – abgese- hen von der Frage des Versicherungsschutzes – grundsätzlich Die Kl. vermietete an die Bekl. (deutsche Staatsangehörige polni- zustehe, hat das LG aber weder geprüft noch festgestellt. Die dafür scher Herkunft) eine Wohnung, die an das Breitbandkabelnetz der erforderliche Grundrechtsabwägung hat es – anders als das AG – Deutschen Telekom angeschlossen ist. Die Bekl. brachten auf dem in diesem Zusammenhang unterlassen. Balkon ihrer Wohnung eine Parabolantenne an, die sie an der Balkonbrüstung befestigten. Dem Beseitigungsverlangen der Kl. Soweit es einen entsprechenden Duldungsanspruch der Bekl. kamen die Bekl. nicht nach. Mit der Klage begehrt die Kl. im im Rahmen seiner Entscheidung über deren Hilfswiderklage Wesentlichen die Verurteilung der Bekl., die Parabolantenne zu grundsätzlich bejaht hat, sind seine Ausführungen rechtsfehler- entfernen und solche Maßnahmen zu unterlassen. haft (dazu unter 3.) und deshalb nicht geeignet, den Begründungs- mangel an dieser Stelle aufzufüllen. Bei dieser Sachlage könnte die Das AG gab der Klage statt; das LG wies die Berufung der Bekl. Entscheidung des LG hinsichtlich der Verpflichtung der Bekl. zur zurück. Beseitigung der vorhandenen Antenne wegen fehlenden Ver- Die Revision der Bekl. hatte Erfolg und führte zur Aufhebung sicherungsschutzes allenfalls dann Bestand haben, wenn die Kl. des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. unter der Voraussetzung nachgewiesenen Versicherungsschutzes ohne weiteres bereit gewesen wäre, die vorhandene Antenne zu Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: dulden, oder wenn die Bekl. beansprucht hätten, die Antenne auch Gem. § 541 BGB kann der Vermieter auf Unterlassung klagen, ohne versicherungsmäßige Absicherung aufstellen zu dürfen. wenn der Mieter einen vertragswidrigen Gebrauch der Mietsache An beidem fehlt es hier. Das LG hat nicht festgestellt, dass die trotz einer Abmahnung fortsetzt; der Anspruch umfasst auch die Kl. den Abschluss einer solchen Versicherung von den Bekl. ver- Beseitigung eines vom Mieter geschaffenen vertragswidrigen langt hätte und unter dieser Voraussetzung etwa bereit gewesen Zustands (MünchKommBGB/Schilling, 4. Aufl., § 541 Rn 16 mwN). wäre, die Antenne zu gestatten. Vielmehr hat die Kl. den Stand- Die Anbringung einer Parabolantenne an der Balkonbrüstung der punkt vertreten, die Bekl. seien schon aus anderen Gründen zur gemieteten Wohnung ohne Zustimmung des Vermieters ist ver- Beseitigung der Parabolantenne verpflichtet. Auch hat das LG tragswidrig, wenn der Vermieter nicht – aufgrund einer aus § 242 nicht festgestellt, dass die Bekl. den Abschluss einer Haftpflicht- BGB herzuleitenden Nebenpflicht aus dem Mietvertrag – ver- versicherung für die Parabolantenne etwa verweigert hätten. Die pflichtet ist, die Anbringung einer Parabolantenne durch den Bekl. haben im Gegenteil vorgetragen, über eine entsprechende Mieter zu dulden (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 596 mwN). Haftpflichtversicherung bereits zu verfügen. Dass der von den 1. Zwar trifft es zu, dass der Vermieter die Anbringung einer Bekl. dafür vorgelegte Versicherungsnachweis sich nicht auf eine Parabolantenne selbstverständlich nur zu dulden hat, wenn die Haftpflicht-, sondern auf eine Rechtsschutzversicherung bezieht,

174 Neue Justiz 4/2006 Bürgerliches Recht

rechtfertigt nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung, die Bekl. Eigentümers einzuräumen wäre, lässt sich dem Gemeinschafts- seien nicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung bereit, recht nicht entnehmen. wenn davon die Genehmigung der Antenne abhängen sollte. 3. Die Entscheidung des LG kann somit keinen Bestand haben; Kommentar: sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Mit der Problematik der Parabolantennen haben sich in letzter a) Nach der Rspr. des BVerfG (BVerfGE 90, 27 = NJ 1994, 239 Zeit wiederholt der BGH (vgl. NJW-RR 2005, 596, u. BGHZ, 157, [Leits.]; NJW-RR 2005, 661; BayVBl. 2005 S. 691) ist dem Grund- 322 = NJW 2004, 937) und kürzlich auch das BVerfG (vgl. NJW- recht des Mieters aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG, sich aus RR 2005, 661) beschäftigt. Dabei geht es um die Frage, ob und allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, unter welchen Voraussetzungen der Mieter (Wohnungseigen- auch in zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Anbringung von tümer) zur Aufstellung einer »Satellitenschüssel« berechtigt ist. Satellitenempfangsanlagen an Mietwohnungen Rechnung zu Für einen etwaigen Duldungsanspruch aus § 535 Abs. 1 iVm tragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das – gleichrangige – § 242 BGB bzw. für einen Entfernungsanspruch aus Sicht des Grundrecht des Vermieters als Eigentümer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Vermieters (Wohnungseigentümergemeinschaft) gem. § 541 BGB GG berührt ist, wenn von ihm verlangt wird, eine Empfangs- kommt es auf die einzelfallbezogene Abwägung der geschützten anlage an seinem Eigentum zu dulden. Das erfordert i.d.R. eine Interessen, d.h. des Grundrechts des Mieters auf Informations- fallbezogene Abwägung der von dem eingeschränkten Grund- freiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 GG) und des Grundrechts recht und dem grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten des Vermieters auf Unverletzlichkeit seines Eigentums (Art. 14 Interessen, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestands- Abs. 1 Satz 1 GG), an (allg. Meinung, z.B. BGH, aaO). Relevante merkmale des bürgerlichen Rechts (§§ 535 Abs. 1 Satz 1 u. 2, 242 und von Rspr. und Lit. näher entwickelte Beurteilungskriterien BGB) vorzunehmen ist (BVerfG, aaO). An diesen Grundsätzen, die sind etwa die Staatsangehörigkeit, ausreichende Medienversor- eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Ein- gung inkl. Decoder-Empfangsmöglichkeiten, Standort, Montage zelfalls fordern, für die sich jede schematische Lösung verbietet, und Kosten (näher dazu mwN Horst, NJW 2005, 2654, 2655 f.). hält der Senat fest. Neben der diesbezüglichen teilweisen weiteren Konkretisierung b) In Rspr. und Lit. ist anerkannt, dass in einem Mietverhältnis in der vorliegenden Entscheidung hat der BGH dem Versuch, das dem durch Art. 5 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Informa- Europäische Gemeinschaftsrecht heranzuziehen, zu Recht eine tionsbedürfnis des Mieters i.d.R. hinreichend Rechnung getragen Absage erteilt (vgl. auch LG Berlin, AfP 2005, 87, 88 f.; Dörr, WM wird, wenn der Vermieter einen Breitbandkabelanschluss bereit- 2002, 347, 351). Darüber hinaus ist hier interessant, dass es sich stellt (vgl. BGH, OLG Frankfurt/M. u. OLG Karlsruhe, jew. aaO; bei den Bekl. um deutsche Staatsangehörige (polnischer Herkunft) MünchKommBGB/Schilling, aaO, § 535 Rn 79 ff.). Dies gilt auch handelt. Die mangelnde ausländische Staatsangehörigkeit sollte gegenüber dem ausländischen Mieter, wenn für ihn über den das BerufungsG bei seiner neu vorzunehmenden Bewertung nicht Kabelanschluss ein ausreichender Zugang zu Programmen in übersehen. Denn die Einbürgerung indiziert eine Lockerung der seiner Sprache und aus seinem Heimatland besteht (BVerfG, NJW- Verbindungen zu dem früheren Heimatland, die sich auch in den RR 2005, 661; BayVBl. 2005 S. 691). Informationsbedürfnissen niederschlägt (in diesem Sinne auch In diesem Fall ist auch gegenüber einem ausländischen Mieter Horst, NJW 2005, 2654, 2655 mwN). ein sachlicher Grund für eine Versagung der Genehmigung zur Ass. iur. Mario Nawroth, wiss. Mitarbeiter, Universität Potsdam Aufstellung einer Parabolantenne gegeben. Entgegen der Auffas- sung des LG reicht es – auch unter verfassungsrechtlichen

Gesichtspunkten – für einen Anspruch des Mieters auf Duldung ̈ 02.3 – 4/06 einer Parabolantenne durch den Vermieter nicht aus, dass über Bestimmbarkeit des Vertragsbeginns im Gewerberaummietvertrag eine Satellitenempfangsanlage im Vergleich zum Breitbandkabel- BGH, Urteil vom 2. November 2005 – XII ZR 212/03 (OLG Naumburg) anschluss eine größere Anzahl von Programmen empfangen werden kann. Vielmehr kommt es darauf an, ob bereits der vor- BGB § 566 aF handene Kabelanschluss geeignet ist, das geltend gemachte Die Regelung in einem Mietvertrag, dass das Mietverhältnis mit Informationsinteresse des Mieters hinreichend zu befriedigen der Übergabe der Mietsache beginnt, ist hinreichend bestimm- (vgl. BVerfG, NJW-RR 2005, 661). bar und genügt deshalb dem Schriftformerfordernis des § 566 Ein grundsätzlicher Vorrang des Informationsinteresses des BGB aF. Mieters vor den Eigentumsinteressen des Vermieters ergibt sich auch nicht aus dem Recht der Europäischen Gemeinschaften. Die Die Rechtsvorgängerin der Kl. vermietete mit schriftlichem Ver- in Art. 49 EG geregelte Dienstleistungsfreiheit, auf die sich der trag v. 12.1.1995 an die S. AG ein Ladenlokal im Nahversor- Mieter berufen kann, ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. gungszentrum H. auf 15 Jahre. nur EuGH, Slg. 1995, I-4165 Rn 37); Gleiches gilt für die in Art. 10 § 2 des Mietvertrags lautet: EMRK gewährleistete Informationsfreiheit. Da auch das Eigen- tumsrecht von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützt wird »1. Das Mietverhältnis beginnt mit der Übergabe der Mieträume. Es endet nach Ablauf von 15 Jahren am darauffolgenden 30.6. (EuGH, Slg. 1994, I-4973 Rn 77 f.), haben die Gerichte der Mit- 2. … gliedstaaten bei der Auslegung und Anwendung des Gemein- 3. Die Übergabe der Mietfläche ist voraussichtlich im April 1996, schaftsrechts den berechtigten Interessen auch des Eigentümers die Eröffnung des Zentrums ist für Mai 1996 vorgesehen. Beide Rechnung zu tragen, so dass es – ebenso wie im nationalen Recht – Terminangaben sind für den Vermieter unverbindlich.« einer Abwägung der vom Gemeinschaftsrecht geschützten Am 17.9.1996 wurde das Objekt an die Bekl. übergeben, die das Rechtspositionen unter Berücksichtigung der Umstände des Ein- Vermögen der S. AG durch Verschmelzung übernommen hatte. zelfalls bedarf. Später erwarb die Kl. das Objekt von der Vermieterin. Mit Schrei- Dass hierbei dem Wunsch des Mieters, weitere Hörfunk- oder ben v. 24.1.2003 kündigte die Bekl. den Mietvertrag zum Fernsehprogramme mittels einer Parabolantenne empfangen zu 30.9.2003 mit der Begründung, dass der Mietvertrag die Schrift- können, von vornherein der Vorrang vor den Interessen des form nicht wahre.

Neue Justiz 4/2006 175 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

Das LG hat die Klage auf Feststellung, dass die Kündigung der Forderung bei ihrem Entstehen dann zuverlässig als der Abtretung Bekl. das Mietverhältnis der Parteien nicht beendet habe, abge- unterfallend definieren lässt (vgl. MünchKomm/Roth, BGB, 4. Aufl., wiesen. Die Berufung der Kl. blieb ohne Erfolg. § 398 Rn 81 mwN). Die – zugelassene – Revision der Kl. führte zur antragsgemäßen Auch bei Verträgen zugunsten Dritter wird es regelmäßig für Verurteilung der Bekl. ausreichend gehalten, wenn die Person des (begünstigten) Gläu- bigers bestimmbar ist; der Dritte kann »zur Zeit des Vertrags- Aus den Entscheidungsgründen: schlusses noch ungewiss sein, aber durch den Eintritt eines gewis- 1. Das OLG hat ausgeführt, der … Mietvertrag v. 12.1.1995 sei nicht sen Zustandes bestimmt werden« (MünchKomm/Kramer, aaO, wirksam auf die Dauer von 15 Jahren abgeschlossen worden. Deshalb § 241 Rn 5 mwN). Selbst Verträge, die ein Vertreter für den ihm habe die fristgemäße Kündigung der Bekl. v. 24.1.2003 das Mietver- nicht einmal bekannten Vertretenen (für den, der sich »in der hältnis zum 30.9.2003 beendet. Der Mietvertrag erfülle nicht die Schriftform des § 566 BGB aF (§ 550 BGB). Danach müssten die Zukunft als Straßenbaupflichtiger ergebe«) abschließt, hat die wesentlichen Vertragsinhalte wie Vertragspartner, Mietgegenstand, Rspr. nicht an der mangelnden Bestimmbarkeit des Vertretenen Mietzins und Mietdauer im Mietvertrag bestimmbar geregelt sein, scheitern lassen (MünchKomm/Kramer, aaO, mwN). wobei bei der Beurteilung der Bestimmbarkeit auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden könnten. Für die Frage der Bestimmbarkeit des Mietvertragsbeginns Unter Zugrundelegung dieser Kriterien sei der Mietbeginn nicht gelten keine anderen Grundsätze. Ein Sachverhalt, an den die hinreichend bestimmbar vereinbart worden. Die Parteien hätten sich Vertragsparteien den Vertragsbeginn knüpfen, muss so genau in § 2 Abs. 1 darauf geeinigt, dass das Mietverhältnis »mit der Über- bestimmt werden, dass bei seiner Verwirklichung kein Zweifel am gabe der Mieträume« beginnen solle. Zwar lasse sich nunmehr anhand Vertragsbeginn verbleibt. Das trifft hier zu. Die Parteien hatten des Übergabeprotokolls feststellen, dass die Übergabe am 17.9.1996 sich darauf geeinigt, dass das Mietverhältnis »mit der Übergabe der erfolgt sei. Das sei aber nicht ausreichend, weil die Schriftform nur gewahrt sei, wenn die Bestimmbarkeit bereits zum Zeitpunkt des Miet- Mieträume« beginnen sollte. Aufgrund dieser Beschreibung steht vertragsabschlusses gegeben sei. Der mit der Schriftform in erster der Beginn des Mietverhältnisses – nach erfolgter Übergabe – ein- Linie verfolgte Zweck, es einem späteren Erwerber zu ermöglichen, deutig fest. sich vollständig über die auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten des Mietvertrags zu unterrichten, könne sonst nicht erfüllt werden. c) Den Beginn des Mietverhältnisses an die Übergabe des Miet- Dem Umstand, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses am objekts zu knüpfen, entspricht auch einem praktischen Bedürfnis. 12.1.1995 das Mietobjekt noch nicht errichtet gewesen sei und des- halb der Übergabezeitpunkt nicht habe benannt werden können, Die vom BerufungsG vertretene Auffassung würde dazu führen, hätten die Parteien mit der Bestimmung eines »spätesten« Übergabe- dass die aus wirtschaftlichen Gründen nicht verzichtbare Ver- zeitpunkts («spätestens am …«) Rechnung tragen können. mietung noch nicht fertig gestellter Räume (sog. Vermietung 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung »vom Reißbrett weg«) über Gebühr erschwert würde. Die Mei- nicht in allen Punkten stand. nung, die Mietvertragsparteien könnten den mit der Bestimmung des Vertragsbeginns auftretenden Schwierigkeiten dadurch begeg- a) Im Ausgangspunkt zutreffend geht das BerufungsG aller- nen, dass sie einen »spätesten« Übergabezeitpunkt (»spätestens dings davon aus, dass es zur Wahrung der Schriftform des § 566 am …«) vereinbaren, hilft nicht weiter. Auch in diesem Falle müsste BGB aF zwar grundsätzlich erforderlich ist, dass sich die wesent- ein Rechtsnachfolger, der das Mietobjekt nach Übergabe an den lichen Vertragsbedingungen – insbes. Mietgegenstand, Mietzins Mieter erwirbt, das tatsächliche Übergabedatum ermitteln, weil sowie Dauer und Parteien des Mietverhältnisses – aus der Vertrags- nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Übergabe immer urkunde ergeben. Da aber auch formbedürftige Vertragsklauseln erst zum vereinbarten »spätesten« Übergabezeitpunkt erfolgt ist. grundsätzlich der Auslegung zugänglich sind, wenn sie sich als unklar und lückenhaft erweisen, brauchen indes auch wesent- 3. Da die Schriftform des § 566 BGB aF eingehalten ist, konnte liche Tatbestandsmerkmale des Rechtsgeschäfts nicht bestimmt die Bekl. den auf 15 Jahre fest abgeschlossenen Vertrag nicht angegeben zu werden, sofern nur die Einigung über sie beurkun- ordentlich kündigen. Das Mietverhältnis besteht somit weiter. det ist und ihr Inhalt bestimmbar bleibt. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Feststel- lungsklage stattzugeben. Die Bestimmbarkeit muss allerdings im Zeitpunkt des Vertrags- schlusses gegeben sein. Insoweit darf auf außerhalb der Urkunde Anmerkung: liegende Umstände zurückgegriffen werden, die aber, wie das Rechtsanwalt Dr. Dirk Meyer-Harport, LL.M., Berlin BerufungsG zutreffend annimmt, ebenfalls zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits vorliegen müssen (BGH, Senatsurt. v. In dieser Entscheidung beschäftigt sich der BGH mit der Frage, ob 7.7.1999, NJW 1999, 3257, 3259). die Formbedürftigkeit eines langfristigen Mietvertrags gewahrt ist, b) Soweit das BerufungsG aber meint, die Form des § 566 wenn im Vertrag kein genaues Datum für den Vertragsbeginn BGB aF sei vorliegend nicht gewahrt, weil der Mietbeginn nicht genannt, sondern der Beginn der mehrjährigen Vertragslaufzeit hinreichend bestimmbar vereinbart sei, kann dem nicht gefolgt an die Übergabe der Mietsache geknüpft wird. werden. Das BerufungsG stellt zu hohe Anforderungen an den Das OLG hatte ebenso wie das LG entschieden, dass die Schrift- Begriff der Bestimmbarkeit. Wäre das Datum des Mietbeginns bei form iSd § 550 BGB nicht gewahrt sei, weil die Mietzeit nicht hin- Vertragsabschluss bereits bekannt gewesen, so wäre bereits das reichend bestimmt worden ist. Der BGH ist demgegenüber der Merkmal der »Bestimmtheit« erfüllt. »Bestimmbarkeit« verlangt Ansicht, das OLG habe zu hohe Anforderungen an den Begriff der demgegenüber ein deutlich geringeres Maß an Genauigkeit. Bestimmbarkeit gestellt. Es genüge eine abstrakte Beschreibung, Dafür genügt eine abstrakte Beschreibung, die es ermöglicht, den die es ermögliche, den Mietbeginn zu ermitteln. Hierfür sei aus- Mietbeginn zu ermitteln. reichend, wenn eindeutig feststehe, dass das Mietverhältnis nach Die Frage der Bestimmbarkeit stellt sich in vergleichbarer Weise erfolgter Übergabe beginnen soll. bei der Abtretung künftiger Forderungen. Dabei verlangt die Rspr. Anhand der Rspr. zu Fragen der Bestimmbarkeit einer Forde- nicht, dass die Person des Schuldners bei Vertragsschluss feststeht. rung bei der Abtretung künftiger Forderungen und Verträgen Sie lässt es vielmehr genügen, dass die juristische Entstehungs- zugunsten Dritter kommt der BGH zu dem Schluss, dass die For- grundlage und/oder der für die Entstehung maßgebliche Lebens- mulierung »mit der Übergabe der Mieträume« den Vertragsbeginn sachverhalt so genau benannt werden, dass sich eine bestimmte hinreichend bestimmbar beschreibt. Hierzu stellt der BGH das

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praktische Bedürfnis heraus, dass noch nicht fertig gestellte BGB §§ 558, 558a, 558b Räume ohne Angabe eines konkreten Datums für den Beginn des Der Anspruch des Vermieters auf Zustimmung zu einer Erhöhung Mietverhältnisses vermietet werden können. der Bruttokaltmiete, den er mit einem Mietspiegel begründet, Mit diesem Urteil setzt der BGH eine seit längerem zu der Nettomieten ausweist, ist anhand der zuletzt auf die Woh- beobachtende Rspr. zur Lockerung des Schriftformerfordernisses nung entfallenden Betriebskosten zu beurteilen. fort. Er hatte zunächst die Forderungen an die Vertragsurkunde und insbes. Nachträge zum Vertrag gelockert. Sodann waren die Anm. d. Redaktion: Der BGH hat ausgeführt, dass das BerufungsG zu Voraussetzungen an die Erkennbarkeit der Identität des Mieters Recht angenommen hat, dass zur Herstellung der Vergleichbarkeit zwi- beim Mieterwechsel herabgesetzt worden. Mit der jetzigen Ent- schen der vertraglichen Bruttokaltmiete und den Nettovergleichsmieten scheidung, für den Zeitpunkt »Beginn des Mietverhältnisses« auf des Mietspiegels nicht auf die Durchschnittswerte des Berliner Mietspie- die Übergabe der Mietsache abzustellen, werden die Anforderun- gels für Betriebskosten abzustellen ist. Denn »dies könnte im Einzelfall zu gen an die Schriftform usw. herabgeschraubt. Ergebnissen führen, die dem Zweck des § 558 Abs. 1 BGB zuwiderlaufen, Ob angesichts dieser Entwicklung der Schutzzweck der Form- dem Vermieter einen Anspruch auf Erhöhung der Miete bis zur ortsüb- vorschriften noch erfüllt wird, erscheint fraglich. Denn der Erwer- lichen Vergleichsmiete – jedoch nicht darüber hinaus – zu gewähren«. ber der Mietsache kann anhand des Mietvertrags nicht sicher abschätzen, wann das Vertragsverhältnis begonnen hat. Zwar ̈ 02.6 – 4/06 mag es durchaus den wirtschaftlichen Interessen der ursprüng- Rechtskraft bei Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde lichen Vertragsparteien entsprechen, dass ein formwirksamer, langfristiger Mietvertrag zustande kommt, wenn der Vertrags- BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005 – VIII ZR 217/04 (LG Berlin) beginn der Übergabe der Mietsache hinreichend bestimmt beschrie- ZPO § 544 Abs. 5 Satz 3 ben ist. Wird die Nichtzulassungsbeschwerde gegen ein Berufungsurteil Es entspricht aber einem ebenso großen praktischen Bedürfnis, zurückgewiesen, so tritt die Rechtskraft des Berufungsurteils Unsicherheiten bei der Veräußerung des vermieteten Objekts zu nicht bereits mit dem Erlass, sondern erst mit der Zustellung des vermeiden. Denn ein Kaufinteressent wird ein Risiko darin sehen Zurückweisungsbeschlusses ein. müssen, die Vertragslaufzeit nicht exakt bestimmen zu können, etwa weil der Übergabezeitpunkt außerhalb des Vertrags vermerkt wurde oder zwischen den Vertragsparteien darüber Streit bestand, ̈ 02.7 – 4/06 wann die Mietsache übergabereif hergestellt wurde. Bei vorsich- Nachforderung rückständiger Gewerberaummiete und Verwirkung tiger Beurteilung wird er jedenfalls versuchen, für diese Risiken BGH, Urteil vom 19. Oktober 2005 – XII ZR 224/03 (OLG Naumburg) abgesichert zu sein und sich entsprechende vertragliche Garan- tien vom Veräußerer geben zu lassen. BGB § 242, § 539 aF Somit könnte sich der zunächst bestehende Vorteil des Ver- § 539 BGB aF kann nicht analog auf einen Mietzinsrückstand mieters, einen langfristigen Mietvertrag auch dann schließen zu angewandt werden, der aus einer vom Vermieter über längere Zeit können, wenn die Vertragslaufzeit nicht exakt feststeht, in einen widerspruchslos hingenommenen Mietminderung herrührt. Ob der Nachteil wenden, wenn die Veräußerung der Immobilie beab- Vermieter mit solchen Nachforderungen ausgeschlossen ist, beur- sichtigt wird. Sofern sich derartige Risiken bei der anwaltlichen teilt sich nach den allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung. Begleitung eines Erwerbsvorgangs zeigen, wird der Anwalt schon wegen der Gefahr eigener Haftung auf das Risiko des Erwerbers Anm. d. Redaktion: Zur Verwirkung von Mietzahlungsansprüchen des ausführlich hinweisen müssen. Vermieters und Mietminderungsansprüchen des Mieters siehe BGH, Urt. v. 26.2.2003, NJ 2003, 430 (bearb. v. Meyer-Harport).

̈ 02.4 – 4/06 ̈ 02.8 – 4/06 Rückzahlung einer Mietkaution Vorrang der Individualvereinbarung im Gewerberaummietvertrag BGH, Urteil vom 16. November 2005 – XII ZR 124/03 (OLG Naumburg) BGH, Urteil vom 21. September 2005 – XII ZR 312/02 (OLG Rostock) BGB § 566a, § 572 aF; EGBGB Art. 229 § 3 BGB § 566 aF, §§ 305b, 307; AGBG §§ 4, 9 a) Zur Anwendbarkeit des § 572 BGB aF, wenn das vermietete Nachträgliche mündliche Individualvereinbarungen haben auch Gewerbegrundstück schon vor Inkrafttreten des neuen Miet- vor Schriftformklauseln in Formularverträgen über langfristige rechts zum 1.9.2001 veräußert und das Mietverhältnis vor diesem Geschäftsraummietverhältnisse Vorrang. Zeitpunkt beendet war (im Anschluss an BGH, Urt. v. 9.3.2005 – VIII ZR 381/03, NJW-RR 2005, 962 = NJ 2005, 502 [Leits.]). Anm. d. Redaktion: Das OLG ist, so der BGH, zutreffend davon ausge- b) Zur Darlegungs- und Beweislast des Mieters eines vor dem gangen, dass die Klausel, wonach Änderungen und Ergänzungen der 1.9.2001 veräußerten Gewerbegrundstücks, wenn er vom Erwerber Schriftform bedürfen, von dem Grundsatz abweicht, dass Individual- eine an den Vorvermieter gezahlte Kaution zurückverlangen will vereinbarungen vorgehen, und die Klausel deshalb gegen das gesetzliche (im Anschluss an BGH, Urt. v. 28.9.2005 – VIII ZR 372/04, NJW Leitbild verstößt. Zugleich meint das OLG, dass in Fällen der gesetzlichen 2005, 3494). Schriftform (§ 566 BGB aF; § 550 BGB) etwas anderes zu gelten hat (so u.a. auch KG, MDR 2000, 1241). Diese höchstrichterlich bisher nicht entschiedene Frage hat der BGH hier keiner Klärung zugeführt, da sie für ̈ 02.5 – 4/06 die Entscheidung des Falls nicht erheblich war. Mieterhöhungsverlangen für Bruttokaltmiete und Vergleich- Zur Bestimmbarkeit des Vertragsbeginns in einem Gewerberaummiet- barkeit unterschiedlicher Mietstrukturen vertrag siehe BGH, Urt. v. 2.11.2005, NJ 2006, 175 m. Anm. Meyer- BGH, Urteil vom 26. Oktober 2005 – VIII ZR 41/05 (Kammergericht) Harport, in diesem Heft.

Neue Justiz 4/2006 177 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

̈ 02.9 – 4/06 Zusammenhang mit der Strafverfolgung steht, gibt das StrEG Keine Entschädigung nach StrEG bei unsachgemäßer Verwahrung keinen Ersatz, so etwa, wenn ein Untersuchungshäftling in der JVA einer beschlagnahmten Sache durch einen Dritten auf einer Bananenschale ausrutscht und sich verletzt oder wenn OLG Rostock, Urteil vom 7. November 2005 – 3 U 183/04 (LG Rostock) während der Haft Gegenstände aus seiner Habe oder seinem sons- (rechtskräftig) tigen Vermögen abhanden kommen (Meyer, aaO, § 7 Rn 16). Ähnlich liegen die Dinge hier. Die Beschlagnahme besteht StrEG §§ 2, 7; BGB § 839; GG Art. 34 darin, dass die tatsächliche Verfügungsgewalt des Gewahrsams- Wird ein beschlagnahmtes Fahrzeug durch das pflichtwidrige inhabers über Beweis-, Verfalls- und Einziehungsgegenstände ent- Verhalten eines Dritten (hier: Unterstellung bei einer Firma) zogen oder beschränkt wird und diese Gegenstände in amtliche beschädigt, ist der dadurch entstandene Schaden nicht gem. § 7 Verwahrung genommen oder sonst sichergestellt werden. Nur StrEG ersatzfähig, da er nicht durch die Strafverfolgungsmaß- soweit die typischen Folgen dieser Beschlagnahmewirkungen nahme verursacht ist. (Leitsatz der Redaktion) reichen, greift die Entschädigungsvorschrift des § 2 Nr. 4 StrEG ein (BGH, aaO). Der Schaden trat nicht – wie möglicherweise Die Kl. verlangte wegen der Beschlagnahme und Beschädigung in einem vom LG Flensburg entschiedenen Fall – durch die eines Pkw Entschädigung nach dem StrEG. Beschlagnahme oder deren lange Dauer ein (LG Flensburg, Der Sohn der Kl. kaufte 1997 einen Pkw VW Golf II zum Preis JurBüro 2004, 455 [Entwertung durch lange Standzeit eines von 2.800 DM, der auf die Kl. zugelassen wurde. Danach nahm Pkw]). Vielmehr wurde das Fahrzeug durch das pflichtwidrige der Sohn der Kl. zahlreiche Umbauten am Fahrzeug vor. Verhalten eines Dritten beschädigt. Dies lag außerhalb des nor- malen Laufs der Dinge und war somit nicht durch die Beschlag- In einem gegen die Kl. und ihren Sohn geführten Ermittlungs- nahme verursacht. verfahren wegen mittelbarer Falschbeurkundung wurde der Pkw am 20.1.1999 beschlagnahmt. Der Pkw war frisch lackiert worden, b) Ein Anspruch aus Amtspflichtverletzung gem. Art. 34 GG, der Motor ausgebaut. Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft § 839 BGB besteht nicht, da die Kl. nicht dargetan hat, dass sie wurde er bei der Firma G. untergestellt. Dort wurde der Pkw im nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag (§ 839 Abs. 1 Freien abgestellt und unsachgemäß mit einer Plane abgedeckt. Satz 2 BGB). Insoweit obliegt ihr die Darlegungs- und Beweislast Dabei entstanden Abdrücke und Blasen auf der frischen Lackie- (Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl., § 839 Rn 62). Von einer vorsätz- rung sowie zahlreiche Roststellen, da Laub und Wasser im Innen- lichen Schädigung durch Beamte des Landes ist nicht auszugehen. raum standen. Das Abstellen eines Kfz im Freien ist grundsätzlich nicht unsach- gemäß. Die Staatsanwaltschaft nahm zudem die Beschädigung Die Beschlagnahme des Fahrzeugs dauerte bis zum 18.6.1999, des Fahrzeugs nicht billigend in Kauf, denn nach einem Anruf die des separaten Motors bis zum 12.10.2000. Der Sohn der Kl. des Sohnes der Kl. bat die Staatsanwältin die Polizeibehörde, mietete am 1.6.1999 und am 28.12.1999 zwei Garagen zur Unter- den Wagen sachgemäß zu verwahren; von Lackschäden war im stellung des Pkw an. Das Ermittlungsverfahren wurde am 26.5.2000 Übrigen nicht die Rede. eingestellt. Die Kl. hat ggf. Schadensersatzansprüche aus dem mit der Das AG stellte zugunsten der Kl. und ihres Sohnes die Entschä- Firma G. geschlossenen Verwahrungsvertrag, dieser ist als Vertrag digungspflicht der Staatskasse dem Grunde nach für die Beschlag- mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, hier der Eigentümerin, nahme des Pkw und des Motors fest. einzuordnen (dazu Palandt/Heinrichs, aaO, § 328 Rn 13 ff.). Auch Die Kl. verlangte zuletzt vom bekl. Land Ersatz i.H.v. 2.689,12 € kommen Schadensersatzansprüche gegen den Verwahrer wegen für folgende Schäden: Sachschaden 1.732,13 €; Sachverständi- unerlaubter Handlung gem. §§ 823 Abs. 1, 831 BGB in Betracht. genkosten 184,43 €; Abmeldekosten 5,62 €; Garagenmiete 766,94 €. 2. Da die Kl. Schadensersatz für die Beschädigung des Fahrzeugs nicht verlangen kann, sind auch die zur Schadensfeststellung Die Generalstaatsanwaltschaft lehnte den Antrag ab. erforderlichen Sachverständigenkosten nicht zu ersetzen. Nur der Die daraufhin erhobene Klage der Kl. wies das LG ab. Schädiger hat die Kosten von Sachverständigengutachten zu Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg. erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, aaO, § 249 Rn 40). Aus den Entscheidungsgründen: Dies ist bei dem bekl. Land nicht der Fall. Der Kl. steht kein Ersatzanspruch gem. den §§ 2, 7 StrEG oder 3. Ersatz der Garagenmiete i.H.v. 766,94 € kann die Kl. nicht Art. 34 GG, § 839 BGB zu. … fordern. 1. Die Kl. kann nicht Ersatz des Sachschadens i.H.v. 1.732,13 € a) Für die Zeit nach der Freigabe des Motors aus der Beschlag- verlangen. nahme am 12.10.2000 kann die Kl. die Miete nicht mehr verlan- a) Dieser Schaden ist nicht nach § 7 StrEG ersatzfähig, da er gen, da nach ihrem eigenen Vortrag die Unterstellung in einer nicht durch die Strafverfolgungsmaßnahme verursacht ist. Das Garage nur wegen des fehlenden Motors erforderlich war. Fahrzeug wurde während der Beschlagnahme bei einem Privat- b) Die übrigen Mieten sind nicht gem. § 7 StrEG erstattungs- unternehmer untergestellt und dort beschädigt. Wie der BGH fähig, da sie nicht durch die Beschlagnahme des Motors adäquat ausgeführt hat, gewährt das StrEG nur einen Ausgleich für die verursacht wurden. Auf eine besondere Sicherung des Fahrzeugs spezifischen und typischen Folgen der entschädigungspflichtigen in einer Garage hatte die Kl. keinen Anspruch. … Strafverfolgungsmaßnahme (BGH, MDR 1979, 562; OLG Hamm, 4. Die Abmeldekosten liegen unter der Geringfügigkeitsgrenze MDR 1988, 414). Der nach § 7 StrEG zu ersetzende Vermögens- des § 7 Abs. 2 StrEG und sind somit nicht erstattungsfähig. schaden muss durch die Verurteilung oder durch den Vollzug der Maßnahme adäquat verursacht worden sein (Meyer, Strafrechts- Anm. d. Redaktion: Das OLG hatte die – nicht eingelegte – Revision zur entschädigung, 6. Aufl., § 7 Rn 12 mwN). Klärung der höchstrichterlich bislang nicht entschiedenen Frage zugelassen, Für Schäden, die auf andere Ursachen als auf den Vollzug der ob der infolge unsachgemäßer Verwahrung der beschlagnahmten Sache Maßnahme zurückzuführen sind, auch wenn die Ursache im entstehende Sachschaden gem. § 7 Abs. 1 StrEG erstattungsfähig ist.

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̈ 02.10 – 4/06 (b) Selbst wenn der Kl. an den streitbefangenen Flurstücken ein Kein Ankaufsrecht nach SachenRBerG für ehemals volkseigene Nutzungsrecht verliehen oder zugewiesen worden und selbstän- Grundstücke diges Gebäudeeigentum an dem dort 1992/93 errichteten Ärzte- haus nach Art. 233 § 2a Abs. 1 Buchst. a bzw. b, § 2b Abs. 1 Satz 1 OLG Brandenburg, Urteil vom 3. November 2005 – 5 U 29/05 EGBGB entstanden sein sollte, so liegt gleichwohl kein Rechts- (LG Potsdam) (Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt; Az.: V ZR 278/05) verhältnis vor, das dem Anwendungsbereich des SachenRBerG SachenRBerG §§ 1, 6, 7, 11, 12, 61, 68; EGBGB Art. 233 § 2a unterfiele. Abs. 1 Buchst. a und b, § 2b Abs. 1; TreuhG § 11 Abs. 2; Das SachenRBerG beendet das in Art. 233 § 2a EGBGB geregelte 5. DVO zum TreuhG § 2 Abs. 1 Recht zum Besitz für die dort im Einzelnen aufgeführten Sach- Ehemals volkseigene Vermögenswerte unterliegen nicht der verhalte und stellt an dessen Stelle ein System zur Zusammen- führung von Boden- und Gebäudeeigentum. Das SachenRBerG Sachenrechtsbereinigung, sondern der Vermögenszuordnung. erfasst aber auch und gerade bei Bauvorhaben im Rahmen des (Leitsatz der Redaktion) komplexen Wohnungsbaus ausschließlich die Bebauung privater Grundstücke, nicht aber solcher, die bestandskräftig in Volkseigen- Die Kl. begehrt die Feststellung ihrer Anspruchsberechtigung tum überführt worden sind (BT-Drucks. 12/5992 v. 27.10.1993 …). nach dem SachenRBerG für ein 4.100 qm großes Grundstück. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut der konkret derartige Der Bekl. ist – im Ergebnis eines Restitutionsverfahrens, an dem Bauvorhaben behandelnden Vorschriften der §§ 1 Abs. 3, 6 u. 7 die Kl. nicht beteiligt worden – als Alleineigentümer der Grund- SachenRBerG. flächen im Grundbuch eingetragen. Das seinerzeit im Eigentum Nach § 6 SachenRBerG findet die Sachenrechtsbereinigung im des Bekl. und seiner Ehefrau stehende Grundstück war mit Beschluss staatlichen oder genossenschaftlichen Wohnungsbau nur dann des Rates des Kreises R. v. 12.7.1989 zur Durchführung eines im statt, wenn ehemals volkseigene Betriebe der Wohnungswirtschaft Zeitraum 1985 bis 1988 beschlossenen komplexen Wohnungs- mit privaten Grundstückseigentümern oder staatlichen Verwaltern bauvorhabens gem. § 12 BaulandG enteignet worden. Nutzungsverträge mit dem Inhalt der Gestattung der Bebauung ab- Nach dem Bestätigungsbeschluss des Rates des Bezirkes P. v. geschlossen und sodann die Grundstücke bebaut haben oder zu- 28.9.1988 war für das Grundstück vorgesehen, dass der VEB KWV mindest Grundstücke mit Billigung staatlicher Stellen ohne eine R. – der Rechtsvorgänger der Kl. – als Investitionsauftraggeber/ der Bebauung entsprechende Regelung der Eigentumsverhältnisse Rechtsträger/Nutzer einen nicht näher beschriebenen Wohn- mit Gebäuden bebaut worden sind. Beide Voraussetzungen liegen block – dort mit 3.2 bezeichnet – errichtet bzw. errichten lässt. nicht vor, weil die Flurstücke nach dem BaulandG enteignet und Die Beteiligten kamen überein, den Block 3.2 als Geschäfts- bzw. in Volkseigentum überführt worden waren. Ärztehaus zu errichten. Auf dem Grundstück wurde sodann in Auch in § 7 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a bb) SachenRBerG ist für die den Jahren 1992/93 ein sog. Ärztehaus, bestehend aus fünf Anwendbarkeit dieses Gesetzes vorausgesetzt, dass die Errichtung Gewerbeeinheiten und zwei Wohnungen, errichtet. von Baulichkeiten im komplexen Wohnungsbau auf fremden, in Privateigentum stehenden Grundstücken erfolgt ist. Die Kl. hat mit ihrer Feststellungsklage die Auffassung vertre- ten, bei Maßnahmen des komplexen Wohnungsbaus sei unerheb- Ehemals volkseigene Vermögenswerte, wie das Grundstück des lich, wann mit Baumaßnahmen auf den einzelnen betroffenen Bekl., unterliegen daher nicht der Sachenrechtsbereinigung, Grundstücken begonnen worden sei; entscheidend sei vielmehr, sondern vielmehr der Vermögenszuordnung. Dies wird durch die wann das Bauvorhaben insgesamt in Angriff genommen worden Regelungen in § 1 Abs. 2 u. 3 SachenRBerG bestätigt. sei. Sie hat behauptet, mit Erschließungsmaßnahmen für das Nach § 1 Abs. 2 SachenRBerG finden die Bestimmungen dieses gesamte Bauvorhaben sei bereits vor 1989 begonnen worden. Die Gesetzes keine Anwendung, wenn das Eigentum an dem Grund- Kosten der Errichtung des Ärztehauses i.H.v. 2,5 Mio. DM habe sie stück dem Nutzer nach Maßgabe besonderer Gesetze zugewiesen aus ihrem Vermögen bezahlt. Dadurch habe sie Eigentum, min- oder zu übertragen ist. Das ist nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 SachenRBerG destens aber eine eigentümerähnliche Position an dem Bauwerk aber u.a. dann der Fall, wenn – wie hier – durch bestandskräftigen erlangt mit der Folge, dass ihr ein Ankaufsrecht nach dem Beschluss über den Entzug des Eigentumsrechts nach dem SachenRBerG zustehe. BaulandG das Eigentum an dem Grundstück entzogen und in Volkseigentum überführt worden ist. Das LG hat die Klage abgewiesen. In den Fällen der Verwendung solcher volkseigener Grundstücke Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg. für den staatlichen oder genossenschaftlichen Wohnungsbau fällt das Eigentum an dem Grundstück entweder durch den EinigungsV oder durch das VZOG in das Eigentum der Kommunen bzw. gem. dem Aus den Entscheidungsgründen: Wohnungsgenossenschafts-VermG v. 23.6.1993 (BGBl. I S. 944, 989) Der Kl. steht ein Ankaufsrecht an dem streitbefangenen Grund- den in § 9 Abs. 2 Nr. 2 SachenRBerG bezeichneten Wohnungsunter- stück aus §§ 15, 61, 68 Abs. 1 SachenRBerG nicht zu. nehmen, zu denen auch die Kl. als Rechtsnachfolgerin des VEB KWV R. gehört, kraft Gesetzes zu. Aufgrund dieser besonderen gesetzlichen Das LG hat zutreffend festgestellt, dass die hier vorliegende Regelungen über die Vermögenszuordnung bebauter ehemals volks- Bebauung eines seinerzeit volkseigenen Grundstücks in keinem eigener Grundstücke ist die Sachenrechtsbereinigung auf diese Rechtsverhältnisse nicht anwendbar (§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 2 Nr. 2 Falle den Anwendungsbereich des SachenRBerG eröffnen kann SachenRBerG). und darüber hinaus die von der Kl. behaupteten Baumaßnahmen Soweit eine Einbindung des Ärztehauses in das zur Wohnungs- vor dem 3.10.1990 für eine Verwendung des Grundstücks im Rah- versorgung genutzte Vermögen nicht möglich ist, weil das men eines komplexen Wohnungsbauvorhabens nicht ausreichen. Gebäude nicht überwiegend mit Wohnungen, sondern mit Arzt- (a) Es ist mangels hinreichend substantiierten Sachvortrags der praxen ausgestattet ist, würde gleichwohl der Ausschlusstat- Kl. bereits sehr zweifelhaft, ob deren Rechtsvorgängerin, dem VEB bestand des § 1 Abs. 2 SachenRBerG eingreifen. In diesem Fall KWV R., ein Nutzungsrecht an dem Grundstück verliehen hätte dieses Versorgungsgebäude nach der Bauabnahme auf der worden ist und an dem Bauwerk selbständiges Gebäudeeigentum Grundlage der Verträge zwischen den volkseigenen Wirtschafts- entstanden ist. (wird ausgeführt) einheiten als Investitionsauftraggeber und dem Hauptauftrag-

Neue Justiz 4/2006 179 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

geber Komplexer Wohnungsbau in die Fonds der jeweiligen volks- Hauptzweck des Unternehmens das Betreiben »von Geschäften eigenen Wirtschaftseinheiten übertragen werden müssen. Denn als gewerbliches Unternehmen« und »jeglicher Geschäfte oder nach den Rechtsvorschriften der ehem. DDR waren die Hauptauf- Handel, die nach Auffassung der Geschäftsführung durch die traggeber hierzu verpflichtet (§ 20 der 2. DVO zum VertragsG). Ausführung für die Gesellschaft vorteilhaft sein können«. Wäre entsprechend verfahren worden, hätte die Kl. bzw. deren Am 6.7.2004 hat R. B. zur Eintragung in das Handelsregister des Rechtsvorgängerin als Fondsinhaberin auch das Eigentum an dem AG Gera angemeldet, dass die Fa. B. Ltd. eine Zweigniederlassung Grundstück gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 TreuhG erworben. Zwar errichtet hat. Diese beschäftige sich mit »Handel, Entwicklung, konnte es dazu mangels abnahmefähiger Fertigstellung des Beratung und Bearbeitung von technischen Halb- und Fertig- Gebäudes nicht mehr kommen. Für diese Fälle greift jedoch § 2 teilen«. Abs. 1 der 5. DVO zum TreuhG ein. Das Registergericht hat zur Anmeldung eine Stellungnahme der Die Kl. wird als Rechtsnachfolgerin eines Nutzers eines für den Beteiligten zu 2 eingeholt. Diese hat gegen die Anmeldung Beden- komplexen Wohnungsbau betriebsnotwendigen Grundstücks ken vorgebracht, weil sich der »Unternehmensgegenstand der angesehen werden können, weil der VEB KWV R. in den Bestäti- Zweigniederlassung« nicht aus dem »Unternehmensgegenstand gungsdokumenten des Rates des Bezirks P. … als Nutzer des für der Hauptniederlassung« ableiten lasse. den Block 3.2 vorgesehenen streitbefangenen Grundstücks Nachdem die Beteiligte zu 1 die Bedenken der Beteiligten zu 2 bezeichnet war. Als Nutzerin, die das Grundstück, ohne Fonds- für unbegründet erklärt hatte, hat das Registergericht gem. Ver- inhaber geworden zu sein, bebauen ließ, wäre sie gem. § 2 Abs. 1 fügung v. 15.11.2004 die »Beanstandungen der gerichtlichen der 5. DVO zum TreuhG Rechtsträgern iSv § 11 Abs. 2 Satz 2 Verfügung v. 1.9.2004« als Eintragungshindernis bezeichnet und TreuhG gleichgestellt gewesen und das Eigentum am Grund und zu dessen Beseitigung der Beteiligten zu 1 eine Frist von sechs Boden auf sie gem. dieser Vorschrift übergegangen. Wochen gesetzt. Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 SachenRBerG … fallen Die Beteiligte zu 1 hat das gem. der Verfügung v. 15.11.2004 unter den Begriff des komplexen Wohnungsbaus nur solche erstellte Schreiben v. 18.11.2004 als Zwischenverfügung angese- Wohngebiete für den staatlichen oder genossenschaftlichen Woh- hen und hiergegen Beschwerde eingelegt, der das Registergericht nungsbau, die bis zum Ablauf des 2.10.1990 nach einer einheit- nicht abgeholfen hat. lichen Bebauungskonzeption vorbereitet und gebaut worden Das LG hat die Beschwerde zurückgewiesen und ausgeführt: sind. Daran aber fehlt es hier, weil das Ärztehaus unstreitig erst Beim Vollzug der Anmeldung einer Zweigniederlassung zur Eintra- 1992/93 errichtet worden ist. … gung in ein deutsches Handelsregister seien die Eintragungsvoraus- setzungen auch dann auf der Grundlage des deutschen Rechts fest- zustellen, wenn die Hauptniederlassung sich im Ausland befindet. Dazu gehöre, dass eine Zweigniederlassung nur vorliege, wenn ihr ̈ 02.11 – 4/06 Geschäftsgegenstand dem der Hauptniederlassung im Wesentlichen Zweigniederlassungsanmeldung einer Limited bei Sitz der Haupt- gleiche, in dem der konkrete Gegenstand der Zweigniederlassung im niederlassung im Ausland Unternehmensgegenstand der Hauptniederlassung, also der Gesell- schaft selbst, enthalten sei. OLG Jena, Beschluss vom 9. September 2005 – 6 W 320/05 (LG Gera) Das Gründungsstatut der B. Ltd. beschreibe den Hauptgeschäfts- HGB § 13e; RL 89/666/EWG Art. 2 zweck in seinen Nr. 3 (»Hauptgeschäftszweck«) u. 4 (»Absichten, unter denen die Firma errichtet wurde«) vom Allgemeinen zum Besonderen 1. Gegen vom Registergericht betreffend eine Handelsregister- gehend, so dass der Gesellschaftszweck der Hauptniederlassung sich anmeldung durch Zwischenverfügung vorgebrachte Beanstan- erst aus der Darlegung der konkreten Absichten des Unternehmens in dungen ist die Beschwerde eröffnet. Nr. 3 des Gründungsstatuts ergebe. Ihnen sei der zur Anmeldung beim Handelsregister Gera beantragte Unternehmensgegenstand insoweit 2. Die private company limited by shares des englischen Rechts nicht zuzuordnen, als auch die Entwicklung und Bearbeitung von ist eine Kapitalgesellschaft iSd § 13e Abs. 1 HGB (vgl. Art. 1 RL technischen Halb- und Fertigteilen Unternehmensgegenstand der 68/151/EWG v. 9.3.1968 iVm Art. 1 RL 78/660/EWG v. 14.8.1978 Zweigniederlassung sein soll. und Art. 1 RL 88/667/EWG v. 21.12.1989). Die dagegen gerichtete weitere Beschwerde hatte Erfolg. 3. Art. 2 Abs. 1 der RL 89/666/EWG erstreckt die Offenlegungs- pflicht »lediglich« auf Angaben »zur Tätigkeit der Zweignieder- Aus den Entscheidungsgründen: lassung« (Art. 2 Abs. 1 lit. b). Da § 13e HGB die Richtlinie umsetzt, Die angefochtene Entscheidung verletzt § 13e Abs. 2 Satz 3 HGB. beschränkt er die Offenlegung zum Gegenstand der Zweig- a) § 13e Abs. 2 Satz 3 HGB bestimmt die Einzelheiten einer niederlassung auf Angaben, welche die Zweigniederlassung Zweigniederlassungsanmeldung für den Fall, dass die »Mutter« selbst betreffen, sowie auf Hinweise auf das Register der Gesell- eine Kapitalgesellschaft ist, welche ihren Sitz im Ausland hat. schaft. Dies ist vorliegend der Fall. Der Sitz der anmeldenden Gesell- 4. Zur Feststellung, dass es sich bei der angemeldeten Zweig- schaft ist in Birmingham (England). Die anmeldende Gesell- niederlassung nicht um eine eigenständige Gesellschaft, sondern schaft ist als private company limited by shares auch eine um einen Nebenbetrieb der Gesellschaft selbst handelt, kann aus Kapitalgesellschaft iSd § 13e Abs. 1 HGB (vgl. Art. 1 RL 68/151/ § 13e Abs. 2 HGB die Notwendigkeit eines iSd § 3 Abs. 1 Nr. 2 EWG v. 9.3.1968 [ABl. L 65 S. 8] iVm Art. 1 RL 78/660/EWG v. GmbHG bestimmt bezeichneten Unternehmensgegenstands 14.8.1978 [ABl. 222 S. 11] und Art. 1 RL 88/667/EWG v. abgeleitet werden (ebenso OLG Hamm, Beschl. v. 28.6.2005, 21.12.1989 [ABl. L 395 S. 40]). GmbHR 2005, 1130). b) Die Eintragungsvoraussetzungen ergeben sich aus dem zur Im Juni 2004 wurde gem. Bestätigung des Handelsregisters für Umsetzung der RL 89/666/EWG v. 21.12.1989 (ABl. 395 S. 36) England und Wales mit dem Namen B. Ltd. als private company erlassenen deutschen Gesetz v. 27.4.1993 (BGBl. I S. 512) in das limited by shares eine Gesellschaft englischen Rechts gegründet. HGB eingefügten §§ 13d u. 13e HGB. Sitz der Gesellschaft ist Birmingham. Die 1.000 Gesellschafts- Zweck der genannten RL ist, die durch die RL 68/151/EWG u. anteile hat sämtlich Frau I. B. übernommen. Als Geschäftsführer 78/660/EWG erfolgten gesellschaftsrechtlichen Koordinierungen wurde R. B. benannt. Das Gründungsdokument bezeichnet als auf Zweigniederlassungen zu übertragen. Verweist § 13d Abs. 3

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HGB für die bei der Anmeldung zu beachtenden Vorschriften ̈ 02.12 – 4/06 generell auf das für inländische Hauptniederlassungen geltende Unwirksame Wettbewerbsklausel im Gewerberaummietvertrag Recht, so enthält § 13e für die einer deutschen GmbH gleichge- OLG Dresden, Urteil vom 3. Januar 2006 – 5 U 1451/05 (LG Dresden) stellten Gesellschaften mit Sitz im Ausland, mithin einer eng- (Revision eingelegt; Az.: XII ZR 8/06) lischen private company limited by shares, Sonderbestimmungen. BGB §§ 305c Abs. 1, 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Danach ist bei der Anmeldung der Zweigniederlassung das Bestehen der Gesellschaft als solcher sowie erforderlichenfalls 1. Ein Wettbewerbsverbot, das dem Mieter von zum Betrieb eine nach inländischem Recht gebotene Betriebsgenehmigung einer Apotheke in einem Einkaufszentrum angemieteten Räu- nachzuweisen (§ 13e Abs. 2 Satz 2 HGB). Ferner sind in der men auferlegt wird, verstößt gegen § 305c Abs. 1 BGB, wenn Anmeldung die in § 13e Abs. 2 Satz 4 Nr. 1, 2 u. 4 geforderten es in einem vom Vermieter gestellten 25-Seiten Formular- Angaben zur Muttergesellschaft bzw. zu den die Gesellschaft in mietvertrag auf der vorletzten Seite unter »Sonstiges« geregelt ihrer Zweigniederlassung rechtswirksam repräsentierenden Per- ist. sonen zu machen (Nr. 3). 2. Ein solches Wettbewerbsverbot, das ausschließlich dem Hinsichtlich der Tätigkeit der Zweigniederlassung verlangt Mieter den Betrieb eines Konkurrenzgeschäfts im räumlichen § 13e Abs. 2 Satz 3 HGB, dass die Anmeldung neben der Anschrift Umkreis von drei Kilometern um das in der Innenstadt gelegene »den Gegenstand der Zweigniederlassung« zu benennen habe. … Einkaufszentrum herum für die gesamte Vertragslaufzeit von Demgemäß erstreckt Art. 2 Abs. 1 der Zweigniederlassungs-RL die zehn Jahren untersagt, benachteiligt den Mieter gem. § 307 Offenlegungspflicht »lediglich« auf Angaben »zur Tätigkeit der Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB unangemessen. Zweigniederlassung« (Art. 2 Abs. 1 lit. b). Anm. d. Redaktion: Das OLG hatte die – zwischenzeitlich eingelegte – c) Diesen Anforderungen genügt die durch die Beteiligte zu 1 Revision zugelassen. Es sei höchstrichterlich nicht geklärt, ob die im am 6.7.2005 eingereichte Anmeldung. Die Beteiligte zu 1 hat ihre vorliegenden Fall verwendete Klausel eines Wettbewerbsverbots des Existenz nachgewiesen. Belegt ist auch die Vertretungsberechti- Vermieters innerhalb eines räumlichen Umkreises von drei Kilometern im gung für die Gesellschaft. Die Angaben zur Tätigkeit der Zweig- innerstädtischen Bereich für die gesamte Vertragslaufzeit als wirksam zu niederlassung sind inhaltlich präzise und für den Rechtsverkehr erachten ist. ohne weiteres nachvollziehbar. Weitergehende Angaben, insbes. die Forderung, die Anmeldung müsse erkennen lassen, dass die Tätigkeit der Zweigniederlassung ̈ 02.13 – 4/06 innerhalb des Geschäftszwecks der Gesellschaft selbst verbleibe, Eintragung ins Handelsregister wegen Verlegung des Sitzes der sind mit § 13e HGB nicht zu vereinbaren. Derartige Angaben kön- Gesellschaft nen auch nicht – über § 13e Abs. 2 Satz 3 HGB hinausgehend – zwecks Feststellung verlangt werden, dass es sich bei der angemel- OLG Jena, Beschluss vom 8. November 2005 – 6 W 206/05 deten Zweigniederlassung nicht um eine eigenständige Gesell- (LG Meiningen) (rechtskräftig) schaft, sondern um einen Nebenbetrieb der Gesellschaft selbst GmbHG §§ 4a, 69 Abs. 1 handele, sofern aus der konkreten Angabe zur Tätigkeit der Zweig- niederlassung die Notwendigkeit eines iSd § 3 Abs. 1 Nr. 2 Gmb- 1. Sitz der GmbH ist der Ort ihres »Betriebes«, der »Geschäftslei- HG bestimmten Unternehmensgegenstands abgeleitet wird. tung« und/oder der »Verwaltung« der Gesellschaft. 2. »Betrieb« iSd § 4a Abs. 2 GmbHG ist jeder Ort, an dem ein Für derartige Erwägungen lässt § 13e HGB seinem Wortlaut und Beitrag von einiger Bedeutung zur Verwirklichung des Unterneh- seiner Aufgabenstellung nach keinen Raum. … mensgegenstands erfolgt, so dass dort der Schwerpunkt der Un- Die in der untergerichtlichen Rspr. (LG Bielefeld, Rpfleger 2004, ternehmenstätigkeit räumlich konkretisiert ist; völlig unter- 708) vertretene Gegenansicht kann angesichts der eindeutigen geordnete Unternehmensteile erfüllen diese Voraussetzungen gemeinschaftsrechtlichen Gegebenheiten nicht überzeugen. Die nicht, so dass dorthin der Firmensitz nicht verlegt werden kann. dort vertretene Meinung läuft letztlich darauf hinaus, dass die 3. Der Umstand, dass der durch § 4a GmbHG realisierte Grund- dem Recht des Gründungsstaats entsprechenden Gründungs- satz der Übereinstimmung von tatsächlichem und statuarischem erfordernisse dem deutschen Recht anzupassen wären. Diese Kon- Gesellschaftssitz im EU-Rechtsraum aufgegeben ist (vgl. Lutter/ sequenz unterstreicht die Unvereinbarkeit der Rechtsauslegung Bayer, GmbHG, § 4a Rn 13 ff.), erfordert nicht, die durch § 4a mit den der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit dienenden GmbHG für den deutschen Rechtsraum bewirkte Beschränkung gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der europäischen Gemein- im Lichte des Art. 3 Abs. 1 GG in Zweifel zu ziehen, denn die schaft. Demgemäß ist das OLG Hamm der vom LG Bielefeld ver- europäische Rechtslage ist durch die Niederlassungsfreiheit nach tretenen Ansicht in einem Beschl. v. 28.6.2005 (GmbHR 2005, Art. 43 EGV bestimmt, welche nicht aufgrund von Erwägungen 1130) ausdrücklich entgegengetreten. beschränkt werden kann, welche innerstaatlich als sachlich recht- d) Lässt demgemäß § 13e HGB für die der Beteiligten zu 1 in fertigende Differenzierungsanlässe anerkannt und verfassungs- der Zwischenverfügung v. 15.11.2004 gemachten Auflagen rechtlich unbedenklich sind. keinen Raum, kann der diese Auflagen bestätigende Beschluss des 4. Gem. §§ 69 Abs. 1, 4a GmbHG kann der Sitz der Gesellschaft LG ebenso wenig wie die mit der Beschwerde angefochtene auch während der Liquidation verlegt werden, wobei bei einge- Zwischenverfügung Bestand haben. … stelltem Geschäftsbetrieb auf den Ort abzustellen ist, an dem die Liquidatoren ihre Tätigkeit ausüben. Anm. d. Redaktion: Die FDP-Fraktion des Bundestags hatte zu den Aus- 5. Haben die Liquidatoren ihren Geschäftssitz am bisherigen Sitz wirkungen und Problemen der Limiteds in Deutschland eine Kleine der aufgelösten Gesellschaft, kommt die Sitzverlegung an einen Anfrage an die Bundesregierung gerichtet. Deren Antwort ist abgedr. weiteren Geschäftssitz nur in Betracht, wenn hierfür nachvoll- in BT-Drucks. 16/283 v. 16.12.2005. ziehbare Gründe gegeben sind, insbesondere, wenn die Liqui- Zu Rechtsfähigkeit, Gründung und Gläubigerschutz von Limiteds siehe dationsgeschäfte tatsächlich von dem neuen Sitz aus geführt F. Karsten, NJ 2003, 122 f. werden.

Neue Justiz 4/2006 181 Rechtsprechung

̈ 02.14 – 4/06 03 STRAF-/ORDNUNGSWIDRIGKEITENRECHT Kostenerstattung und PKH OLG Rostock, Beschluss vom 25. Oktober 2005 – 8 W 79/05 (LG Rostock) ̈ 03.1 – 4/06 Wiedereinsetzung bei fehlerhafter Ladung und öffentliche Zustel- ZPO §§ 103 Abs. 2, 126 Abs. 1 lung im Jugendstrafverfahren 1. Der Kostenerstattungsanspruch der ganz oder teilweise obsie- Kammergericht, Beschluss vom 27. September 2005 – 4 Ws 128/05 genden PKH-Partei und das Beitreibungsrecht des ihr beigeord- (LG Berlin) neten Rechtsanwalts stehen grundsätzlich selbständig neben- StPO §§ 40 Abs. 3, 44, 45, 329 Abs. 3; JGG § 48 einander. Die Festsetzung kann daher auf den Namen der Partei oder gem. § 126 ZPO auf ausdrücklichen Antrag des Anwalts auf 1. Eine fehlerhafte Ladung kann nur ausnahmsweise, wenn kein Zahlung an den beigeordneten Anwalt verlangt werden. anderes Rechtsmittel dagegen existiert, über den Weg der 2. Besteht keine hinreichende Klarheit darüber, in wessen Namen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angegriffen werden. die Festsetzung gefordert wird, muss das Gericht beim Anwalt 2. Die öffentliche Zustellung der Ladung widerspricht nicht dem nachfragen. Wird dies versäumt, ist im Zweifel davon auszuge- Grundsatz der Nichtöffentlichkeit der Hauptverhandlung gegen hen, dass der Anwalt den Kostenfestsetzungsantrag im Namen einen jugendlichen Angeklagten. (Leitsätze der Bearbeiterin) seiner Partei stellt. (Leitsätze der Redaktion) Problemstellung: Gegen den zur Tatzeit jugendlichen Angekl. ist durch das ̈ 02.15 – 4/06 Jugendschöffengericht wegen unerlaubten Handeltreibens mit Schadensersatz für Anordnung eines Arrestes und Zahlungs- Betäubungsmitteln in vier Fällen das Zuchtmittel des Jugend- unfähigkeit einer GmbH arrestes und daneben eine Weisung verhängt worden. Kammergericht, Urteil vom 14. Oktober 2005 – 6 U 217/04 Dagegen hat der Angekl. Berufung eingelegt. Zur Hauptver- (LG Berlin) (rechtskräftig) handlung ist er, da kein Wohnsitz bekannt war, durch das LG ZPO § 945; BGB § 823 Abs. 2; GmbHG § 64 Abs. 1 mittels öffentlicher Zustellung geladen worden. Zur Berufungs- verhandlung ist der Angekl. nicht erschienen. Das LG hat deshalb 1. Ein Schadensersatzanspruch aus § 945 ZPO setzt voraus, dass seine Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO verworfen. Hiergegen hat die Voraussetzungen für den Erlass des Arrestes zur Zeit seines sich der Angekl. mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den Erlasses nicht vorlagen; dies ist nach der objektiven Rechtslage vorigen Stand nach §§ 44, 45 StPO gewandt. Das LG hat den und nicht auf der Grundlage des Vorbringens im Arrestverfahren Antrag als unbegründet verworfen. zu beurteilen. Wird der Schadensersatzanspruch darauf gestützt, Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte in der Sache dass Vertragsverhandlungen über den Verkauf eines noch vor- keinen Erfolg. handenen und im Insolvenzantragsverfahren verschwiegenen Vermögenswerts – Auflassungsanspruch an Grundstücksteil- Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: fläche – wegen der Eintragung der Pfändung des Anspruchs im Das KG betont in seiner Entscheidung, dass es an seiner Rspr. fest- Grundbuch scheiterte, so belegt dies im Nachhinein den Arrest- hält, wonach eine fehlerhafte Ladung grundsätzlich nicht über grund. den Weg der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sondern nur 2. Zur Darlegungslast bei der Geltendmachung eines Anspruchs mit dem jeweils zulässigen Rechtsmittel angegriffen werden kann. aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 64 Abs. 1 GmbHG, wenn über einen längeren Zeitraum keine Arbeitnehmeranteile zur Sozialver- Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 44, 45 StPO sicherung mehr gezahlt, seit mehreren Jahren keine Jahres- ist nämlich nur dann zu gewähren, wenn der Betroffene glaubhaft abschlüsse mehr erstellt und im Insolvenzantragsverfahren weder macht, dass er ohne Verschulden gehindert war, eine Frist einzu- Aktiva noch – außer den bekannten Sozialversicherungsbeitrags- halten oder – wie hier – zur Berufungshauptverhandlung zu schulden und Steuerverbindlichkeiten – Passiva angegeben und erscheinen (§ 329 Abs. 3 iVm §§ 44, 45 StPO). Der Beschwerdef. ermittelt wurden. begründet sein Vorbringen vorliegend jedoch damit, dass er überhaupt nicht ordnungsgemäß geladen worden sei, weil die Anm. d. Redaktion: Zur Abgrenzung der vorübergehenden Zahlungs- öffentliche Zustellung der Ladung nach § 40 Abs. 3 StPO dem stockung von einer zur Insolvenzantragspflicht führenden Zahlungs- Grundgedanken des § 48 JGG, der die Nichtöffentlichkeit der unfähigkeit siehe das Grundsatzurteil des BGH v. 24.5.2005, NJW 2005, Hauptverhandlung festschreibt, zuwiderläuft. 3062. Ausnahmsweise kommt nach der Auffassung des Senats ein Zustellungsmangel als Wiedereinsetzungsgrund allerdings dann in Betracht, wenn ein Rechtsschutz auf andere Weise nicht zu ̈ 02.16 – 4/06 erlangen ist. So liegt der Fall hier, denn dem zur Tatzeit jugend- Nichtverjährbarkeit von Ansprüchen aus eingetragenen Rechten lichen Angekl. steht gegen ein Urteil des BerufungsG kein weiteres nach ZGB Rechtsmittel mehr zu (vgl. § 55 Abs. 2 Satz 1 JGG). Die Beschwerde OLG Naumburg, Urteil vom 24. Mai 2005 – 11 U 140/04 ist danach zulässig. (LG Magdeburg) (rechtskräftig) In der Sache stellt der Senat jedoch fest, dass der § 48 JGG einer öffentlichen Zustellung der Ladung nicht entgegensteht. Nach BGB §§ 242, 902, 985; ZGB §§ 474, 479 Abs. 1 Satz 1 § 48 JGG sind die Verhandlung und die Verkündung einer jugend- Zur Verwirkung eines auf ein Grundstück gerichteten Heraus- richterlichen Entscheidung gegen einen (zur Tatzeit) Jugend- gabeanspruchs. lichen nicht öffentlich. Die Vorschrift ist vor dem Hintergrund des Erziehungsgedankens des Jugendstrafrechts zu sehen, denn Anm. d. Redaktion: Siehe dazu G. Janke, NJ 2006, 151 ff. (157 m. sie soll dem Schutz des jugendlichen Angekl. vor Bloßstellung Fn 66), in diesem Heft. dienen.

182 Neue Justiz 4/2006 Straf-/Ordnungswidrigkeitenrecht

Die öffentliche Zustellung einer Ladung berührt nach Auffas- Bei der Aufnahme des Tatvorwurfs in die öffentliche Ladung sung des KG weder jugendpsychologische noch -pädagogische ist allerdings Vorsicht geboten. Wenn möglich sollte der Tat- Gesichtspunkte. Aus der Ladung sind außer dem Namen, vorwurf in den Anordnungsbeschluss nach § 40 Abs. 3 StPO Geburtsdatum und -ort des Angekl. keine weiteren persönlichen überhaupt nicht aufgenommen werden. Ist dies aus Gründen der Details abzulesen. Außerdem spricht für die Zulässigkeit der genauen Bestimmbarkeit nicht vermeidbar, sollte die Formulie- öffentlichen Ladung nach Auffassung des Senats auch das im rung möglichst allgemein gehalten werden. Im zu entscheiden- Jugendstrafrecht besonders geltende Beschleunigungsgebot. den Fall war der Angekl. unter dem Tatvorwurf »Verstoß gegen Demgemäß widerspricht die öffentliche Zustellung der Ladung das BtMG« geladen worden. Dagegen ist sicherlich nichts einzu- nicht den Grundprinzipien des Jugendstrafrechts. Der Angekl. ist wenden. im Ergebnis der ordnungsgemäßen Ladung nicht gefolgt; seine Ließe man die öffentliche Ladung in Fällen wie vorliegend Berufung und sein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen nicht zu, hätte es im Übrigen der jugendliche Angekl. in der Stand sind danach zu Recht durch das LG verworfen worden. Hand, wann die Berufungsverhandlung stattfinden und ein Urteil gegen ihn rechtskräftig werden kann. Dies steht aber im direkten Kommentar: Widerspruch zum Beschleunigungsgebot des Jugendstrafrechts. Das KG beschäftigt sich in seinem Beschluss mit zwei Problemen Zuzustimmen ist daher der Entscheidung auch unter dem des Verfahrensrechts. Gesichtspunkt, dass dies ansonsten einem Verstoß gegen Grund- prinzipien des Jugendstrafrechts Vorschub leisten würde. Wiedereinsetzung soll danach über den Wortlaut der §§ 44, 45 Staatsanwältin Dr. Andrea Reitmaier, Berlin StPO hinaus nur ausnahmsweise und nur dann, wenn kein anderes Rechtsmittel zur Verfügung steht, gewährt werden. Damit hält das Gericht an seiner st.Rspr. fest, wohingegen in Rspr. und ̈ 03.2 – 4/06 Lit. seit längerem herrschend die Auffassung vertreten wird, Wie- Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit dereinsetzung könne auch demjenigen gewährt werden, der keine Frist versäumt hat, aber zu Unrecht so behandelt worden ist. Es BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2005 – 5 ARs (Vollz) 54/05 ist zwar bedauerlich, dass sich das KG zu keiner Änderung seiner (OLG Naumburg) Rspr. durchringen kann, vorliegend ist dieser Streit jedoch ohne StVollzG §§ 18 Abs. 1 Satz 1, 201 Nr. 3 Satz 1 Bedeutung, weil die Vorschriften über die Wiedereinsetzung zumindest hier durch das Gericht als anwendbar erachtet werden. Bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Einzelunterbrin- gung während der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) in einem Interessanter ist daher der zweite Gesichtspunkt, mit dem sich nach Inkrafttreten des StVollzG umgebauten Einzelbauwerk der Senat auseinanderzusetzen hat: Gilt der Grundsatz der einer aus mehreren Bauwerken bestehenden – vor Inkrafttreten Nichtöffentlichkeit des Verfahrens nach § 48 JGG auch für die des StVollzG erbauten – Justizvollzugsanstalt ist auf den öffentliche Zustellung von Entscheidungen und Ladungen? Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Das KG verneint, bezogen auf die öffentliche Zustellung einer Folge, dass § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die gesamte Justiz- Ladung, die Frage und dies sicherlich zu Recht. Der in § 48 JGG vollzugsanstalt weiter anzuwenden ist. festgeschriebene Nichtöffentlichkeitsgrundsatz ist Ausfluss des allgemeinen erzieherischen Gedankens des Jugendstrafrechts und Anm. d. Redaktion: Auf den Vorlagebeschluss des OLG Naumburg v. durchbricht den überragenden Grundsatz der Öffentlichkeit einer 5.4.2005 (NJ 2005, 468 [bearb. v. Fiedler]) hat der BGH u.a. ausgeführt: Hauptverhandlung. Es soll während der gesamten Verhandlung »Der Senat hält die Rechtsansicht des vorlegenden OLG für zutreffend. vor dem Jugendrichter für den Jugendlichen nicht der Eindruck Anstalt iSd § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG meint die gesamte JVA. Auf sie entstehen, dass er Mittelpunkt von allgemeinem Interesse sei. und damit den Zeitpunkt ihrer Errichtung beziehen sich auch die Außerdem soll eine Stigmatisierung vermieden werden. Außer- ›räumlichen Verhältnisse‹ nach dem 1.1.1977 umgebauter Hafthäuser halb der Hauptverhandlung ist der Grundsatz dann nicht anzu- (im Ergebnis auch Arloth, in: Arloth/Lückemann, StVollzG, § 201 Rn 1; wenden, wenn die für den Jugendlichen befürchteten Folgen, die a.A. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 18 Rn 4 …).« ja gerade der Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit sind, nicht eintreten können.

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das JGG selbst bereits ̈ 03.3 – 4/06 in § 48 JGG Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtöffentlichkeit Keine Verjährungsunterbrechung durch erneute Versendung des vorsieht. Nach § 48 Abs. 2 JGG kann bestimmten Personen, z.B. Anhörungsbogens bei Betroffenenwechsel dem Verletzten, Beamten der Kriminalpolizei oder dem Bewäh- OLG Brandenburg, Vorlagebeschluss vom 16. November 2005 – rungshelfer bzw. Erziehungsbeistand sowie zu Ausbildungs- 1 Ss (OWi) 156 Z/05 zwecken, die Anwesenheit in der Hauptverhandlung gestattet werden. Wenn neben dem Jugendlichen ein Heranwachsender OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2; StVG § 26 Abs. 3 oder Erwachsener angeklagt ist, ist die Verhandlung gem. § 48 Die erneute Absendung eines Anhörungsbogens im EDV-unter- Abs. 3 JGG ohnehin öffentlich. Die Öffentlichkeit kann dann nur stützten Bußgeldverfahren an einen von der Person des bisher in Ausnahmefällen, wenn dies im Interesse der Erziehung des als Betroffenen geführten Kfz-Halter abweichenden Fahrer als jugendlichen Angekl. geboten ist, ausgeschlossen werden. neuen Betroffenen (sog. Betroffenenwechsel) bedarf keiner Im vorliegenden Fall enthielt die öffentliche Zustellung der schriftlichen Anordnung mit handschriftlicher Unterschrift oder Ladung folgende Angaben: Name und Geburtsdatum des Angekl., Namenskürzel durch den Sachbearbeiter der Verwaltungsbehörde, die Tatsache, dass gegen den Angekl. ein erstinstanzliches Urteil um die Verjährungsunterbrechung gem. § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ergangen ist, das mit der Berufung angefochten worden ist, sowie OWiG herbeizuführen. (Leitsatz der Redaktion) die Terminsstunde und den Saal. Mit Recht betont das KG, dass hierdurch weder ein schutzwürdiges Interesse noch schutz- Anm. d. Redaktion: Der 1. Strafsenat des OLG sieht sich an einer Ent- würdige Belange des jugendlichen Angekl. tangiert werden. scheidung im aus dem Leitsatz ersichtlichen Sinne durch die Rspr. des

Neue Justiz 4/2006 183 Rechtsprechung

OLG Dresden (vgl. DAR 2004, 534; 2005, 570) gehindert. Er hat die 04 VERWALTUNGSRECHT strittige Rechtsfrage der Verjährungsunterbrechung daher dem BGH zur Beantwortung vorgelegt. ̈ 04.1 – 4/06 Kostenübernahme für Verwaltung des Barbetrags eines in einem Pflegeheim betreuten Hilfebedürftigen ̈ 03.4 – 4/06 OVG Bautzen, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 4 B 886/04 (VG Leipzig) Zustellung eines Bußgeldbescheids (Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt; Az.: 5 B 20/06) OLG Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2005 – BSHG §§ 2, 3, 21 Abs. 3, 68 Abs. 1, 90, 93; SGB XI §§ 72, 84 1 Ss (OWi) 239 B/05 1. Der Aufwand für die Verwaltung eines einem Pflegebedürf- OWiG § 51; VwZG § 3 tigen gewährten Barbetrags nach § 21 Abs. 3 BSHG wird von der Die Zustellung eines Bußgeldbescheids ist auch dann wirksam, Hilfe zur Pflege durch eine vollstationäre Betreuung nach § 68 wenn das Geschäftszeichen des Bußgeldbescheids nur auf dem Abs. 2 Satz 2 BSHG iVm § 28 Abs. 1 Nr. 8 SGB X umfasst. zuzustellenden Schriftstück angebracht ist, aber durch ein Sicht- 2. Die soziale Betreuung iSv § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XI bezieht sich fenster des Briefumschlags lesbar ist. (Leitsatz der Redaktion) auf Dienstleistungen, die typischerweise durch die Familie oder sonst nahe stehende Personen eines Hilfebedürftigen wahrge- nommen werden und die nun die Einrichtung an deren Stelle für ̈ 03.5 – 4/06 den Pflegebedürftigen wahrzunehmen hat. Handyverbot auch im offenen Strafvollzug 3. Der sozialhilferechtliche Bedarfsdeckungsgrundsatz gilt auch Kammergericht, Beschluss vom 30. September 2005 – 5 Ws 362/05 Vollz in einem sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis, in dem der (LG Berlin) Träger der Sozialhilfe sich zur Erfüllung seiner Hilfeverpflichtung gegenüber dem stationär in der Einrichtung eines Dritten leben- StVollzG §§ 19 Abs. 2, 32, 83 Abs. 1 den Hilfebedürftigen der Hilfe des Dritten bedient. Der Besitz und die dadurch mögliche Benutzung eines Mobil- telefons gefährden die Sicherheit und Ordnung auch in einer Problemstellung: Anstalt des offenen Vollzugs in einem Maße, das es ausschließt, Der in einem Pflegeheim lebende Kl. begehrte die Verpflichtung Gefangenen die Verwendung eines Handys innerhalb der Anstalt des Bekl. zur Übernahme von Kosten, die ihm von dem ihn zu erlauben. (Leitsatz der Redaktion) betreuenden Pflegeheimträger für die Verwaltung seines Bar- betrags gesondert in Rechnung gestellt wurden. Anm. d. Redaktion: Damit wurde erstmals obergerichtlich entschieden, Der Kl. leidet seit 1994 an einem ausgeprägten organischen dass der Besitz und die Benutzung von Mobiltelefonen auch im offenen Psychosyndrom und ist dauerhaft hinsichtlich körperlicher wie Strafvollzug allgemein verboten werden dürfen. Vgl. insoweit für den geistiger Verrichtungen von der Hilfe anderer Personen vollstän- geschlossenen Vollzug OLG Hamburg, NStZ 1999, 638. dig abhängig; der Grad der Behinderung beträgt 100. Er ist auch nicht in der Lage, den ihm von dem Bekl. gewährten monatlichen Barbetrag selbst zu verwalten. ̈ 03.6 – 4/06 Der Kl. wird in einem Pflegeheim vollstationär gepflegt. Ein Vergütung eines Pflichtverteidigers Betreuer ist auch für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge Kammergericht, Beschluss vom 13. September 2005 – 3 Ws 383/05 bestellt. Der Bekl. gewährt dem Kl. zu seiner monatlichen Rente (LG Berlin) ergänzende Sozialhilfe durch Übernahme der Kosten für Pflege- RVG § 61 Abs. 1; StPO §§ 140, 141 leistungen des Heims, verschiedene einmalige Leistungen und einen Barbetrag von derzeit monatl. 112 €. Der Betreuer hat mit Aus dem Wortlaut des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG folgt eindeutig, dass dem Pflegeheim einen Heimvertrag geschlossen, der eine aus- bei der Beurteilung der Frage, ob nach dem 1.7.2004 nach drückliche Bestimmung über die Verwaltung des Barbetrags nicht BRAGO oder nach RVG abzurechnen ist, auf den Zeitpunkt enthält. Die Verwaltung wurde zunächst ohne die Erhebung abzustellen ist, zu dem der Vorsitzende die Verfügung über die zusätzlicher Kosten übernommen. Bestellung des Pflichtverteidigers unterschrieben hat. (Leitsatz Nach dem Angebot eines neuen Heimvertrags, wonach für der Redaktion) »Zusatzleistungen« ein Betrag von 13 € für die Geldverwaltung berechnet werden sollte, beantragte der Betreuer die Übernahme Anm. d. Redaktion: Im vorliegenden Fall hat das KG festgestellt, dass der Kosten für die Verwaltung des Barbetrags durch den Bekl. nach der Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 RVG das alte Gebühren- Dieser lehnte den Antrag ab, da Zusatzleistungen nicht Bestand- recht weiter anzuwenden ist, da die Verfügung über die Bestellung des teil der Pflegevergütung seien und der Sozialhilfeträger nicht vor- Rechtsanwalts v. 30.6.2004 datiere; auf den Zeitpunkt des Zugangs der schreiben könne, inwiefern das Pflegeheim Verwahrkonten ent- Beiordnungsverfügung an ihn (hier: 5.7.2004) komme es nicht an. geltlich führe. Im Gegensatz zur Auffassung des KG vertritt die Kommentarlit. zum RVG allerdings nahezu einhellig den Standpunkt, maßgeblich sei der Zeitpunkt, Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kl. Klage mit an dem die Verfügung über die Bestellung dem Anwalt zugegangen sei dem Begehren, den Bekl. zur Übernahme der Kosten für die (vgl. nur Baumgärtel/Houben/Hergenröder/Lompe, RVG, Abschn. 9, § 61 Verwaltung des Barbetrags zu verpflichten. Das VG gab der Klage Rn 5; Hartung/Römermann, RVG, § 60 Rn 21; Hansens/Braun, Praxis des statt. Vergütungsrechts, Übergangsregelungen Rn 28; Gebauer/Schneider Auf die Berufung des Bekl. änderte das OVG das Urteil, soweit [Hrsg.], RVG, 2. Aufl., § 61 Rn 16; Goebel/Gottwald [Hrsg.], RVG, § 60 der Bekl. zu einer Kostenübernahme für einen über den Erlass Rn 29). des Widerspruchsbescheids hinausgehenden unbegrenzten Zeit- Zur Vergütung eines vor dem 1.7.2004 als Wahlverteidiger tätig gewor- raum verpflichtet worden war. Im Übrigen wies es die Berufung denen Pflichtverteidigers vgl. KG, Beschl. v. 17.1.2005, NJ 2005, 421. zurück.

184 Neue Justiz 4/2006 Verwaltungsrecht

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Dagegen spricht nicht, dass der Bekl. damit im Ergebnis eine Der Kl. hat einen Anspruch gegen den Bekl. als sachlich überört- Leistung des Pflegeheims vergütet, obgleich das Pflegeheim lichen Träger der Sozialhilfe auf Übernahme der Kosten der keinen Anspruch gegen den Bekl. auf eine weitere Vergütung hat. Verwaltung des Barbetrags als Hilfe zur Pflege nach § 68 Abs. 1 Bzgl. der in § 93 Abs. 2 BSHG angesprochenen Vereinbarung Satz 1 BSHG. ergibt sich eine Verpflichtung zur Gewährleistung des Bedarfs- deckungsgrundsatzes durch den Sozialhilfeträger, der sich zur Der Inhalt der Hilfe zur Pflege nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG Erfüllung seiner Hilfeverpflichtung eines Dritten bedient, aus bestimmt sich gem. § 68 Abs. 2 Satz 2 BSHG nach den Regeln der § 93a Abs. 1 Satz 3 BSHG, der bestimmt, dass die von der Einrich- Pflegeversicherung für die in § 28 Abs. 1 Nr. 1, 5-8 SGB XI aufge- tung zu erbringenden »Leistungen … ausreichend« sein müssen. führten Leistungen. Inhalt der in § 28 Abs. 1 Nr. 8 SGB XI angesprochenen vollstationären Pflege ist nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Der sozialhilferechtliche Bedarfsdeckungsgrundsatz gilt dem- nach auch in einem sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis, in SGB XI auch die soziale Betreuung. Sie trägt im Interesse einer dem der Träger der Sozialhilfe sich zur Erfüllung seiner Hilfever- ganzheitlichen Pflege dazu bei, dass der Pflegebedürftige soweit pflichtung gegenüber dem stationär in der Einrichtung eines wie möglich ein selbstbestimmtes und selbständiges Leben inner- Dritten lebenden Hilfebedürftigen der Hilfe des Dritten bedient. halb und außerhalb einer Einrichtung führen kann. Demzufolge Dem steht nicht entgegen, dass der Bekl. durch die Kostenüber- bezieht sich die soziale Betreuung auf die Dienstleistungen, die nahme letztlich eine Leistung des Pflegeheims gleichsam vergü- ansonsten typischerweise durch die Familie oder nahe stehende tet, obgleich diese Leistung nach § 84 Abs. 4 SGB XI durch den Personen wahrgenommen werden und die nun die Einrichtung Pflegesatz bereits abgegolten und das Pflegeheim nicht berechtigt an deren Stelle wahrzunehmen hat. Die Betreuung dient der ist, einen aus seiner Sicht durch den Pflegesatz nicht gedeckten Unterstützung bei der Erledigung persönlicher Angelegenheiten. Aufwand dem Pflegebedürftigen in Rechnung zu stellen. Dem Kl. Die Verwaltung des dem Kl. nach § 21 Abs. 3 BSHG gewährten ist nicht nach § 2 Abs. 1 BSHG zuzumuten, diese vorrangige Barbetrags durch das Pflegeheim ist eine solche § 28 Abs. 1 Nr. 8 Verpflichtung des Pflegeheims durchzusetzen. Die Erfüllung die- SGB XI zuzuordnende Unterstützungsleistung, weil sie mit der- ser vorrangigen Verpflichtung kann der Bekl. jedoch bewirken, jenigen typischerweise vergleichbar ist, die dem Hilfebedürftigen indem er den Anspruch des Kl. gegen den Heimträger auf Erstat- außerhalb einer Einrichtung zuteil werden würde. Das Pflege- tung der von diesem beglichenen Kosten auf sich nach § 90 BSHG heim muss dem Pflegebedürftigen bei seiner persönlichen Lebens- (jetzt: § 93 SGB XII) überleitet sowie geltend macht und damit das führung helfen und sich nicht nur auf die Gewährleistung von Nachrangverhältnis der Sozialhilfe wiederherstellt. Grundpflege, Unterkunft und Verpflegung beschränken, sondern Das Pflegeheim ist wegen § 84 Abs. 4 SGB XI nicht berechtigt, in dem nun neuen Lebensmittelpunkt auch die soziale Betreu- einen – aus Sicht des Pflegeheims – nicht gedeckten Aufwand ungsarbeit leisten. Diese bezieht sich auch auf die Beratung über »privat« in Rechnung zu stellen. Eine zusätzliche Vergütung des den Umgang mit dem zur persönlichen Verfügung gewährten Pflegeheims kann auch nicht im Wege einer Vereinbarung mit Barbetrag oder dessen Verwaltung. dem Pflegebedürftigen über eine Zusatzleistung iSd § 88 SGB XI Deren Kosten hatte der Kl. auch nicht durch seinen Barbetrag erfolgen. zu bestreiten. Der Barbetrag zur persönlichen Verfügung für den Die demzufolge vorrangige Verpflichtung des Pflegeheims zu Hilfebedürftigen in einer Einrichtung dient der entsprechenden einer dem Kl. nicht gesondert in Rechnung zu stellenden Verwal- Ergänzung einmaliger Leistungen der Sozialhilfe und den in der tung des Barbetrags war für den Kl. nicht durchsetzbar, weshalb Einrichtung erbrachten laufenden Leistungen. Nicht vom Bar- das Nachrangprinzip der Sozialhilfe nach § 2 Abs. 1 BSHG seinem betrag zu bestreiten ist der Aufwand für eine Leistung, die – wie Hilfeanspruch nicht entgegensteht. hier – ein Pflegebedürftiger als Hilfe zur Pflege iSd § 68 Abs. 2 Ob ein Hilfesuchender auf die Selbsthilfe verwiesen werden BSHG beanspruchen kann. kann, ist immer eine Frage der Zumutbarkeit. Dem Kl. war es auf- Eine wegen der Nachrangigkeit der Sozialhilfe dem Anspruch grund seiner persönlichen Verhältnisse nicht zuzumuten, seinen entgegenstehende bedarfsdeckende Alternative nach § 2 Abs. 1 Anspruch auf eine nicht gesondert in Rechnung zu stellende Ver- BSHG in Gestalt der Verwaltung des Barbetrags durch den Betreuer waltung seines Barbetrags gegen das Pflegeheim durchzusetzen. besteht nicht; denn dieser ist hierzu nicht verpflichtet, weil auch Aus der Verpflichtung des Bekl., den Hilfeanspruch des Kl. zu die Betreuung gegenüber anderen Hilfen nachrangig ist (§ 1896 erfüllen, folgt nicht, dass das Pflegeheim von der Erfüllung seiner Abs. 2 BGB). vorrangigen Verpflichtung freigestellt wird. Die Wiederherstel- Dem Hilfeanspruch steht nicht entgegen, dass der Kl. die lung des sozialhilferechtlichen Nachrangprinzips kann der Bekl. Kosten für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum bereits durch den Übergang des Anspruchs des Kl. gegen den Sozialhilfe- beglichen hat und damit Sozialhilfe für die Vergangenheit begehrt. träger wegen der rechtsgrundlosen Kostenerhebung bis zur Eine Ausnahme von dem Erfordernis einer fortdauernden Notlage Höhe der geleisteten Sozialhilfe nach § 90 BSHG bewirken. Damit besteht dann, wenn einem Hilfebedürftigen ihm zustehende ist der Bekl. in der Lage, die Erfüllung der – vorrangigen – Ver- Sozialleistungen verwehrt werden und er durch die Einlegung von pflichtung des Pflegeheims durchzusetzen und damit abzuweh- Rechtsbehelfen eine Sozialhilfegewährung erstreiten muss. ren, dass er letztlich einer Vergütungsverpflichtung gegenüber Der Bekl. kann gegen den Anspruch des Kl. nicht einwenden, dem Pflegeheim über den »Umweg« des Pflegebedürftigen aus- dass er nach § 93 Abs. 2 BSHG nur im Rahmen einer Vereinbarung gesetzt ist. mit dem Pflegeheim verpflichtet sei und des Weiteren nach § 93 Abs. 7 BSHG iVm § 84 Abs. 4 Satz 1 SGB XI mit dem auch für den Kommentar: Pflegebedürftigen verbindlichen Pflegesatz alle Leistungen abge- Die sehr komplexe und ausführliche Entscheidung des OVG hat golten seien. Die Regelungen beziehen sich gleichermaßen auf die Übernahme der (bereits entrichteten) Kosten für die Verwal- das Rechtsverhältnis zwischen Sozialhilfe- und Heimträger; sie tung des Barbetrags nach § 21 Abs. 3 BSHG zum Inhalt und bezieht berühren nicht einen nach dem sozialhilferechtlichen Bedarfs- sich noch auf die vor dem 1.1.2005 geltenden Regelungen. Sie deckungsgrundsatz anzuerkennenden Hilfeanspruch eines Leis- verdient hinsichtlich des Ergebnisses Zustimmung, denn sie trägt tungsberechtigten gegen den Sozialhilfeträger. den Besonderheiten eines Pflegeheimaufenthalts Rechnung.

Neue Justiz 4/2006 185 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

Neben den die teilweise Klageabweisung begründenden (hier 1. Eine ordnungsrechtliche Inanspruchnahme von Gesamtvoll- nicht referierten) Ausführungen zum zeitlichen Geltungsbereich streckungs- oder Insolvenzverwaltern für Störungen, die von der einer behördlichen Regelung eines Sozialhilfefalls (vgl. BVerwG, Masse ausgehen, kommt nur insoweit in Betracht, als die Tatbe- Urt. v. 31.8.1995, DVBl. 1996, 305) stehen die wechselseitigen standsmerkmale der jeweiligen Eingriffsnorm in der Person des Verpflichtungen der Beteiligten im häufig anzutreffenden sog. Gesamtvollstreckungs- bzw. Insolvenzverwalters vorliegen (wie sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis im Vordergrund, in dem BVerwG, Urt. v. 23.9.2004, BVerwGE 122, 75). sich der Träger der Sozialhilfe zur Erfüllung seiner Hilfeverpflich- 2. Nachsorgeanordnungen iSv § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG sind stets tung gegenüber dem stationär in einer Einrichtung eines Dritten an den (letzten) Inhaber oder Betreiber einer Deponie zu (z.B. Pflegeheim) lebenden Hilfebedürftigen der Hilfe des Dritten richten. bedient (vgl. dazu BVerwG, Beschl. v. 26.10.2004 – 5 B 50/04). 3. Liegt keine förmliche Zulassungsentscheidung zum Betrieb Die aus dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz einer Deponie vor, so kann das vollständige und dauerhafte resultierende vorrangige Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zu Ausbleiben faktischer Betriebshandlungen des Inhabers zur betonen, stellt den Kern der Entscheidung dar. Annahme einer Stilllegung führen. Dies gilt auch dann, wenn es ohne Zustimmung des Inhabers zu »wilden« Ablagerungen von Der Senat macht in seiner Entscheidung vor allem deutlich, Abfällen durch Dritte gekommen ist (Abweichung von der Recht- dass grundsätzlich eine Verpflichtung des Pflegeheims bzw. -trägers sprechung des vormals zuständigen 1. Senats des OVG Bautzen). besteht, im Rahmen der vollstationären Pflege nach § 28 Abs. 1 Nr. 8 SGB XI auch für die soziale Betreuung des Pflegebedürftigen Problemstellung: zu sorgen. Deren Bedeutung wächst – wie im Fall des Kl. offen- sichtlich – mit dem Maß der Pflegebedürftigkeit, das dem im Der Kl. ist Gesamtvollstreckungsverwalter über das Vermögen Pflegeheim Betreuten die Erledigung seiner persönlichen Angele- einer GmbH i.L. Er wendet sich gegen eine zwangsgeldbewehrte genheiten wie auch die Verwaltung seines Barbetrags, der gerade Nachsorgeanordnung für eine seit etwa 1900 genutzte Betriebs- der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse dient, nicht mehr deponie der Insolvenzschuldnerin. ermöglicht. Die Hilfe zur Pflege, die tatsächlich vom Pflegeheim Die GmbH hatte ihre Produktion sowie die weitere Ablagerung erbracht wird, umfasst nach § 68 Abs. 1 Satz 1 BSHG auch diese von Abfällen auf der Betriebsdeponie zum Sept. 1993 eingestellt. soziale Betreuung. Mit Beschl. v. 30.11.1993 eröffnete das AG das Gesamtvoll- Zwar ist das Pflegeheim regelmäßig nur im Rahmen seiner Ver- streckungsverfahren über das Vermögen der GmbH und bestellte einbarung mit dem Sozialhilfeträger nach § 93 Abs. 2 BSHG zu den Kl. zum Gesamtvollstreckungsverwalter. In der Folgezeit kam Leistungen gegenüber dem Hilfesuchenden verpflichtet, weil es ohne Zustimmung des Kl. oder der GmbH i.L. zu »wilden« gem. § 93 Abs. 7 BSHG iVm § 84 Abs. 4 Satz 1 SGB XI mit dem Ablagerungen von Hausmüll, Schrott und Industrieabfällen im Pflegesatz, den der Sozialhilfeträger gewährt, alle Leistungen abge- Bereich der Deponie. golten sind. Dies berührt aber nicht den dem Kl. als Hilfesuchen- Der Liquidator der Insolvenzschuldnerin hatte mit einem an den gegenüber dem Sozialhilfeträger bestehenden Hilfeanspruch, das Regierungspräsidium (RP) Dresden gerichteten, unter dem der dem sozialhilferechtlichen Bedarfsdeckungsgrundsatz Rech- Briefkopf der GmbH verfassten Schreiben v. 13.2.1995 die beab- nung zu tragen hat. Dieser besagt, dass der Sozialhilfeträger sichtigte Stilllegung der Deponie »gem. § 10a AbfallG« angezeigt. unbeschadet der Leistungen der Pflegeeinrichtung stets zur indi- In diesem Schreiben, das nach den Ausführungen des Liquidators viduellen Bedarfsdeckung verpflichtet ist. »in Abstimmung« mit dem Kl. erfolgte, wurde u.a. mitgeteilt, dass die Deponie bereits seit dem »30.11.1993« stillgelegt sei. Daraus folgert der Senat mit nachvollziehbarer Begründung, dass es dem Kl. nicht auferlegt werden kann, die Kosten der Ver- Nachdem das damalige Staatliche Umweltfachamt R. in einer waltung des Barbetrags aus diesem Barbetrag zu zahlen. Auch Stellungnahme vom Juli 1995 vermerkt hatte, dass die Still- besteht keine Verpflichtung des Betreuers, die Kosten zu tragen. legungsanzeige unvollständig und der Deponieboden nur Das Prinzip der Selbsthilfe bzw. des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 unzureichend gegen Versickerungen geschützt sei, hörte das Abs. 1 BSHG) gebietet es weiterhin nicht, vom Kl. zu verlangen, seinerzeit zuständige Landratsamt den Kl. im Sept. 1995 zum seinen gegen das Pflegeheim bestehenden, durch den Pflegesatz Erlass einer Anordnung nach § 10 Abs. 2 AbfG an und wies darauf bereits abgegoltenen Anspruch auf Verwaltung seines Barbetrags hin, dass die Betriebsdeponie keinen Bestandsschutz genieße, da dem Pflegeheim gegenüber (gerichtlich) geltend zu machen. Ihm sie weder nach dem Recht der DDR genehmigt worden sei, noch ist dies wegen der schweren Erkrankung und damit der Tatsache, eine Altanlagenanzeige nach § 9a Abs. 2 AbfG vorliege. dass er auf die im Pflegeheim geleistete Betreuung existentiell Mit einem an den Liquidator gerichteten Schreiben v. 23.10.1996 angewiesen ist, nicht zuzumuten. gab der Kl. das »Deponiegelände« aus der Gesamtvollstreckungs- Dieses Ergebnis ist auch deshalb gerechtfertigt, weil sich der masse frei und wies darauf hin, dass der Liquidator für die weitere Bekl. als nachrangig verpflichteter Sozialhilfeträger den Anspruch Verwaltung und ggf. auch wirtschaftliche Verwertung der Depo- des Kl. gegen den Heimträger auf Erstattung der bereits geleiste- nie zuständig sei. Die erfolgte Freigabe teilte der Kl. dem RP mit ten Zahlungen wegen der rechtsgrundlosen Kostenerhebung Schreiben v. 25.10.1996 mit. nach § 90 BSHG (jetzt: § 93 SGB XII) übertragen lassen kann. Nachdem sich der Liquidator gegen eine behördliche Inan- RinVG Susanne Walter, Hamburg spruchnahme verwahrt und der Kl. auf die für eine Deponie- sanierung unzureichende Masse hingewiesen hatte, erließ das RP einen zwangsgeldbewehrten Bescheid gegenüber dem Kl., durch ̈ 04.2 – 4/06 den die weitere Ablagerung von Abfällen auf der Deponie unter- Ordnungsrechtliche Verantwortung des Verwalters für Altlasten sagt und u.a. die Errichtung einer Grundwassermessstelle sowie in der Insolvenz und Freigabeerklärung die Entnahme und Untersuchung von Wasserproben angeordnet wurden. Zur Begründung des auf §§ 21 Abs. 2, 36 Abs. 2 KrW-/ OVG Bautzen, Urteil vom 18. Oktober 2005 – 4 B 271/02 (VG Dresden) AbfG gestützten Bescheids führte das RP im Wesentlichen aus, der (Revision eingelegt; Az.: 7 C 3/06) Kl. sei als Gesamtvollstreckungsverwalter für den ordnungsge- KrW-/AbfG § 36 Abs. 2 aF; GesO § 8 Abs. 2 mäßen Deponieabschluss verantwortlich und könne sich seinen

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ordnungsrechtlichen Verpflichtungen nicht durch die Freigabe in der Folgezeit einen erneuten Deponiebetrieb aufgenommen von Vermögensgegenständen entziehen. oder dies auch nur beabsichtigt zu haben. Liegt keine förmliche Widerspruch und Anfechtungsklage des Kl. blieben erfolglos. Zulassungsentscheidung zum Betrieb einer Abfalldeponie vor, reicht jedenfalls das vollständige und dauerhafte Ausbleiben jeg- Das VG begründete die Klageabweisung damit, dass gem. § 21 licher faktischen Betriebshandlungen des Inhabers zur Annahme Abs. 1 KrW-/AbfG die zuständige Behörde im Einzelfall die erfor- einer Stilllegung aus. An dieser Beurteilung ändert sich weder derlichen Anordnungen zur Durchführung des KrW-/AbfG habe etwas dadurch, dass die Stilllegungsanzeige des Liquidators v. treffen können, weil sie Kenntnis von der tatsächlichen Still- 13.2.1995 »in Abstimmung« mit dem Kl. erfolgt ist, noch dadurch, legung erlangt habe und der Kl. bei Erlass der Anordnung Inhaber dass zwischen der faktischen Deponiestilllegung im Herbst 1993 der Deponie gewesen sei. Denn mit der Eröffnung des Gesamt- und der Stilllegungsanzeige vom Febr. 1995 ein Zeitraum von vollstreckungsverfahrens sei die Verwaltungs- und Verfügungs- deutlich mehr als einem Jahr verstrichen ist. befugnis über die zum Vermögen der GmbH gehörende Deponie auf den Kl. übergegangen; ansonsten hätte er auch keine Still- Eine Inhaber- oder Betreiberstellung des Kl. lässt sich auch nicht legung veranlassen können. Ein Gesamtvollstreckungsverwalter daraus ableiten, dass es nach der faktischen Stilllegung der Depo- sei selbst im Fall einer sofortigen Stilllegung für die weitere Erfül- nie dort zu »wilden« Ablagerungen von Abfällen gekommen ist. lung der öffentlich-rechtlichen Pflichten aus einem Deponie- Denn diese erfolgten nicht etwa auf Veranlassung des Kl. oder der betrieb verantwortlich. Für seine Inanspruchnahme reiche es aus, GmbH oder mit deren Billigung, sondern wurden gegen deren dass die Gemeinschuldnerin die Deponie vor Eröffnung des Willen illegal von Dritten vorgenommen. Die ordnungsrechtliche Gesamtvollstreckungsverfahrens betrieben habe. Verantwortlichkeit eines Deponiebetreibers oder eines Grund- stückseigentümers in Fällen dieser Art beschränkt sich darauf, die Der Kl. macht hiergegen geltend, nie Inhaber oder Betreiber der ungenehmigten Ablagerungen zu beseitigen, umfasst aber nicht Deponie iSv § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG gewesen zu sein, da dies eine zugleich die Sanierungsverantwortung für eine über Jahrzehnte noch betriebene – also nicht stillgelegte – Deponie voraussetze. hinweg anderweitig genutzte Betriebsdeponie. Dies trägt der Die »wilden« Ablagerungen Dritter im Bereich der Deponie seien von Verfassungs wegen gebotenen Begrenzung der Zustands- nicht geeignet, eine Betreiberstellung des Kl. für die bereits still- störerhaftung durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rech- gelegte Anlage zu begründen. Er sei auch nicht als Zustandsstörer nung. heranzuziehen, da durch seine Freigabeerklärung die Verwal- tungs- und Verfügungsbefugnis über die Deponie an die GmbH Soweit sich der vormals zuständige 1. Senat des OVG (Beschl. zurückgefallen sei. v. 15.10.1999, SächsVBl. 2000 S. 96) auf den Standpunkt gestellt hat, ein Gesamtvollstreckungsverwalter könne jedenfalls als Das OVG hat der Berufung des Kl. stattgegeben. Zustandsstörer für die Erfüllung der Pflichten aus § 36 Abs. 2 KrW-/ AbfG herangezogen werden, vermochte sich der erkennende Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Senat dem nicht anzuschließen. Das OVG geht davon aus, dass die einzig in Betracht kommende Eine ordnungsrechtliche Inanspruchnahme von Gesamtvoll- Ermächtigungsgrundlage für eine Inanspruchnahme des Kl. in streckungs- oder Insolvenzverwaltern für Störungen, die von der § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG zu sehen ist, der die Anordnung von im Masse ausgehen, kommt nur insoweit in Betracht, als die Tatbe- Interesse einer gemeinwohlverträglichen Abfallentsorgung gebo- standsmerkmale der jeweiligen Eingriffsnorm in der Person des tenen Nachsorgemaßnahmen umfassend regelt. Gesamtvollstreckungsverwalters vorliegen. Da § 36 Abs. 2 KrW-/ § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG lässt nur Anordnungen gegenüber dem AbfG nicht lediglich an die Verfügungsmacht über eine Deponie, »Inhaber einer Deponie« zu. Inhaber oder Betreiber einer Depo- sondern – insoweit mit §§ 5, 22 BImSchG vergleichbar – an die nie iSd Vorschrift kann nur derjenige sein, der sowohl die recht- Stellung als Anlagenbetreiber anknüpft, reichen die Verfügungs- liche Verfügungsgewalt über die Anlage innehat, als auch die befugnis und der Besitz über ein Deponiegelände zur Inanspruch- tatsächliche Betriebsführung der Deponie wahrnimmt. Ist eine nahme nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG nicht aus. Ebenso wenig kann Anlage nacheinander von mehreren Inhabern betrieben worden, der Kl. als Rechtsnachfolger der in Gesamtvollstreckung befind- so ist nach dem Normzweck des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG stets der lichen GmbH herangezogen werden. letzte Deponiebetreiber heranzuziehen, also derjenige, der bei Eine Inanspruchnahme des Kl. zur Durchführung der angeord- Bekundung der Stilllegungsabsicht (§ 36 Abs. 1 KrW-/AbfG) oder neten Maßnahmen scheidet schließlich auch aufgrund der Frei- im Zeitpunkt der tatsächlichen dauernden Stilllegung die Betrei- gabeerklärung des Kl. aus, da dies zur Folge hätte, dass selbst eine berstellung innehatte. Vorgänger des letzten Inhabers können bestehende Ordnungspflicht des Kl. aus § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG nicht nach § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG, sondern nur nach Maßgabe entfallen wäre. Denn die Freigabe von Massegegenständen durch anderer ordnungsrechtlicher Vorschriften – etwa als Verhaltens- den Gesamtvollstreckungsverwalter ist auch bei kontaminierten oder Zustandsstörer – herangezogen werden. Gegenständen zulässig und für das Ordnungsrecht grundsätzlich Nach diesen Grundsätzen scheidet eine Inanspruchnahme des beachtlich. »Die grundsätzliche Beachtlichkeit der Freigabe- Kl. aus, weil er die Deponie zu keinem Zeitpunkt selbst betrieben erklärung schließt es zwar nicht aus, dass eine solche Erklärung hat. Die vom Kl. mit Eröffnung des Gesamtvollstreckungsver- wegen der Tatbestandsmerkmale, an die die Ordnungspflicht fahrens erlangte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die anknüpft, ordnungsrechtlich ins Leere gehen kann oder dass der zum Vermögen der GmbH gehörende Betriebsdeponie sowie Gesetzgeber ihr gezielt die ordnungsrechtlichen Wirkungen deren Besitz reichen zur Begründung einer Betreiberstellung nicht nimmt. Ob einer dieser Fälle vorliegt, ist jedoch durch Auslegung aus, weil neben der – bis zur erfolgten Freigabe ohne weiteres gege- des jeweiligen Ordnungsrechts zu ermitteln.« benen – rechtlichen Verfügungsmacht über die Deponie auch Da das KrW-/AbfG keine ausdrückliche Regelung zu dieser Frage eine tatsächliche Betriebsführung durch den Kl. erforderlich enthält, ist entscheidend, ob eine Freigabeerklärung mit dem gewesen wäre. Normzweck des § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG – der Inanspruchnahme Daran hat es hier gefehlt, da der Kl. mit der Eröffnung des des letzten Deponiebetreibers für erforderliche Nachsorgemaß- Gesamtvollstreckungsverfahrens die zuvor von der GmbH bereits nahmen – vereinbar ist. Dies ist selbst dann zu bejahen, wenn das (faktisch) dauerhaft stillgelegte Deponie übernommen hat, ohne bloße »Liegenlassen« einer Deponie zur Begründung einer Betrei-

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berstellung ausreichen sollte. Denn in diesem Fall hätte die Frei- ̈ 04.4 – 4/06 gabe zur Konsequenz, dass die durch den Liquidator vertretene Beitragsberechnung in Abwassersatzung und Äquivalenzprinzip GmbH i.L., die in der Deponie nach erfolgter Freigabe ebenso OVG Bautzen, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 5 D 24/03 wenig Betriebshandlungen vorgenommen hat, als letzte Deponie- (Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt) betreiberin anzusehen und gem. § 36 Abs. 2 KrW-/AbfG ord- nungspflichtig wäre. Dass die GmbH i.L. mangels finanzieller SächsKAG §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 Abs. 1 Satz 1 Mittel zur Durchführung der angeordneten Maßnahmen nicht in 1. Bildet der Aufgabenträger der Abwasserbeseitigung zwei der Lage ist, rechtfertigt allein noch keine andere Beurteilung der getrennte öffentliche Einrichtungen – der Vollentsorgung des Rechtslage. Schmutz- und Niederschlagswassers einerseits und der Teil- entsorgung des Schmutzwassers andererseits – und legt er den Kommentar: Beitragssatz in jeder der Einrichtungen trotz unterschiedlicher Begrüßenswert ist die Feststellung des OVG, dass eine Freigabe- Vorteilsvermittlung in derselben Höhe fest, müssen jedenfalls erklärung des Gesamtvollstreckungs-/Insolvenzverwalters grund- die Gebührensätze im Rahmen der Einrichtung der Vollentsor- sätzlich auch im öffentlichen Recht beachtlich ist. gung über denjenigen der Einrichtung der Teilentsorgung liegen. Diese Feststellung wird im Weiteren jedoch dadurch relativiert, Legt er hingegen einheitliche Abwassergebührensätze fest, muss dass die rechtliche Wirkung der Freigabe von den Vorgaben der die notwendige abgabenrechtliche Differenzierung durch einen jeweiligen ordnungsrechtlichen Ermächtigungsnorm abhängig höheren Beitragssatz für die Vollentsorgung getroffen werden. ist. Eine ordnungsrechtliche Verpflichtung greift danach nur, 2. Fehlerhafte Rechtsnormen können nur dann wieder Gültigkeit wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm auch in erlangen, wenn eine solche Möglichkeit im höherrangigen Recht der Person des Verwalters vorliegen. Dies bedeutet, dass ein Ver- ausnahmsweise zugelassen ist. walter sich nicht darauf verlassen kann, durch eine Freigabe- erklärung allein eine Beschränkung der öffentlich-rechtlichen Anm. d. Redaktion: Das OVG hat auf den Normenkontrollantrag die Haftung zu erreichen. Zwar wird eine Haftung nach dem jewei- Beitragsregelungen der Abwassersatzung des Ag. für unwirksam erklärt. ligen bereichsspezifischen Ordnungsrecht oftmals ausgeschlossen sein, solange der Verwalter – wie im vorliegenden Fall – selbst nicht aktiv tätig wird. Die Möglichkeit der Betriebsfortführung ist ̈ 04.5 – 4/06 ihm jedoch dadurch von vornherein verschlossen. Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung wegen Nichteinhal- Das Urteil knüpft an die Rspr. des BVerwG an, wonach allein tung der Abstandsflächen nach dem Ordnungsrecht zu bestimmen ist, ob den Gesamtvoll- OVG Weimar, Urteil vom 26. Oktober 2005 – 1 KO 1180/03 (VG Gera) streckungs-/Insolvenzverwalter eine Ordnungspflicht für eine (rechtskräftig) Störung trifft, die von einem Massegegenstand ausgeht. Der ThürBO § 6 Widerspruch zur Rspr. des BGH, der in der Insolvenzeröffnung eine Zäsur für die Bewertung einer Sanierungspflicht als Masse- Von einer großflächigen Werbeanlage (3,90 x 2,89 m bei einer verbindlichkeit sieht, bleibt damit auch weiterhin bestehen. Tiefe von 0,64 m) auf einem 2,50 m hohen Standfuß gehen auch dann Wirkungen wie von einem Gebäude iSd § 6 Abs. 1 Satz 2 Literaturhinweis: ThürBO (§ 6 Abs. 10 ThürBO aF) aus, wenn sie nicht parallel, Zur uneinheitlichen Rspr. der ordentlichen Gerichte und der sondern quer zur Nachbargrenze errichtet wird. Sie muss daher Verwaltungsgerichte siehe B. Klose, »Verantwortung für Altlasten zu Nachbargrenzen Abstandsflächen einhalten. in der Insolvenz«, NJ 2005, 393 ff. Rechtsanwalt Dr. Kristof Biehl, Potsdam ̈ 04.6 – 4/06 Anforderungen an öffentliche Bekanntmachungen ̈ 04.3 – 4/06 OVG Weimar, Urteil vom 5. September 2005 – 4 N 1205/97 (rechtskräftig) Vergütung für beigeordneten Rechtsanwalt Thür. KommunalO (ThürKO) §§ 2, 129 Abs. 1; Thür. Ges. über die BVerwG, Beschluss vom 28. Dezember 2005 – 1 KSt 1/05 kommunale Gemeinschaftsarbeit (ThürKGG) §§ 19 Abs. 1, 47; RVG §§ 15, 33 Abs. 8, 56, 61 Abs. 1 KommVerf. §§ 5, 61; Thür. BekanntmachungsVO (ThürBekVO) §§ 1 Abs. 2 Nr. 2, 6 Satz 2 1. Über Erinnerungen gegen die Festsetzung der Vergütung für den beigeordneten Rechtsanwalt nach § 56 RVG entscheidet der 1. Unwirksame Gründung eines Wasser- und Abwasserzweckver- zuständige Senat des BVerwG in entsprechender Anwendung bands wegen Bekanntmachung der Verbandssatzung im falschen von § 33 Abs. 8 RVG grundsätzlich durch den Einzelrichter. Bekanntmachungsorgan. 2. Hat der Prozessbevollmächtigte die Kläger schon im erst- und 2. Zu den Anforderungen an öffentliche Bekanntmachungen und zweitinstanzlichen Verfahren vertreten, folgt daraus weder, dass Bekanntmachungsregelungen vor Inkrafttreten der ThürKO und ihm iSd Übergangsvorschrift des § 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ein unbe- der ThürBekVO (Bestätigung der bish. Rechtsprechung, vgl. Urt. dingter Auftrag zur Vertretung auch in dem Verfahren über eine v. 9.12.2003 – 4 KO 583/03, ThürVGRspr. 2005, 7). von der Gegenseite eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzu- lassung der Revision im Berufungsurteil erteilt worden ist, noch Anm. d. Redaktion: Der Normenkontrollantrag betraf die Beitrags- und handelt es sich insoweit um die Erledigung derselben Angele- Gebührensatzung v. 27.11.1996 zur Entwässerungssatzung des Wasser- genheit iSd § 15 RVG. und Abwasserzweckverbands Apfelstädt-Ohra, die im Amtsblatt des Landkreises Gotha v. 15.1.1997 bekannt gemacht worden war. Das OVG Anm. d. Redaktion: Zur Vergütung eines Pflichtverteidigers nach altem hat die Satzung für unwirksam erklärt. Gebührenrecht siehe KG, Beschl. v. 13.9.2005, NJ 2006, 184 (Leits.), Zur Veröffentlichung von Straßenbaubeitragssatzungen im Land Branden- in diesem Heft. burg siehe OVG Frankfurt (Oder), Urt. v. 23.11.2004, NJ 2005, 381 (Leits.).

188 Neue Justiz 4/2006 05 RECHT DER OFFENEN VERMÖGENSFRAGEN sinnvoll nicht ohne eine nähere Bestimmung des jeweiligen Rechtsträgers treffen lassen, der für eine bestimmte Verbindlich- ̈ 05.1 – 4/06 keit in Zukunft einstehen soll. Eine solche Regelung wird aber Haftung der Bundesrepublik für isolierte Verbindlichkeiten aus gerade nicht in Art. 135a Abs. 2 GG, sondern durch die Vorschrif- DDR-Erbschaften ten des EinigungsV (Art. 21 ff.) getroffen. BGH, Urteil vom 30. November 2005 – IV ZR 4/04 (OLG Brandenburg) Kommentar: EinigungsV Art. 22 Abs. 1 Satz 1; GG Art. 135a Zuzustimmen ist dem BGH, dass der Herausgabeanspruch des 1. Die Bundesrepublik Deutschland haftet nicht im Wege der wahren Erben auf Art. 235 § 1 Abs. 1 EGBGB iVm § 356 ZGB Universalsukzession für Verbindlichkeiten der ehem. DDR. gestützt werden kann (so bereits Gruber, Komm. zu AG Leipzig, 2. Im EinigungsV und auch sonst nicht besonders geregelte NJ 2001, 104). Verbindlichkeiten der ehem. DDR, die nicht mit übernommenen Nicht überzeugend ist dagegen die Annahme, es gebe dafür Gegenständen des Aktivvermögens zusammenhängen (sog. keinen Anspruchsgegner. Der BGH folgert aus dem Umstand, dass isolierte Verbindlichkeiten), sind ersatzlos weggefallen. in einigen Bestimmungen des EinigungsV (Art. 22 Abs. 4 Satz 3, 23, 24, 26 Abs. 2, 27 Abs. 1 Satz 3) der Übergang von Schulden Problemstellung: normiert wird und bei Art. 22 Abs. 1 EV ein ausdrücklicher Der Kl. forderte von der bekl. Bundesrepublik Deutschland die Hinweis auf Verbindlichkeiten fehlt, dass letztgenannte Norm nur Zahlung von 22.281,36 €. Dieser Betrag entsprach dem Spar- positives Vermögen umfasst. Diese Schlussfolgerung ist sehr guthaben, das die DDR 1986 als Alleinerbin des Bruders des Kl. gewagt. In den erstgenannten Fällen wäre ohne Erwähnung der vereinnahmt hatte. Nach der Wende wurde der Erbschein zuguns- Verbindlichkeiten nämlich nur das positive Vermögen überge- ten der DDR für kraftlos erklärt und in einem neuen Erbschein die gangen, da – wie der BGH zu Recht erkennt – Forderungen stets Rechtsvorgängerin des Kl. als Alleinerbin ausgewiesen. Deren dem Finanzvermögen und niemals dem Verwaltungsvermögen Alleinerbe ist der Kl. unterfallen. Beim Finanzvermögen war daher keine ausdrückliche LG und OLG (NJ 2004, 227) haben die Klage abgewiesen. Regelung bzgl. der Verbindlichkeiten notwendig. Die Revision des Kl. war erfolglos. Entscheidend ist vielmehr, ob unter den Begriff »Vermögen« auch Verbindlichkeiten fallen oder nicht. Hier vermisst man beim Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: BGH eine saubere Subsumtion. Das BVerfG hat 1962 ausgeführt, dass unter Vermögen iSd Art. 134 GG sowohl die Aktiva als auch Das OLG geht zutreffend davon aus, dass nach Art. 235 § 1 EGBGB die Passiva zu verstehen seien (BVerfGE 15, 126). Es ist kein für die Erbfolge das ZGB maßgebend ist. Dieses gewährt dem Anzeichen dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber von dem seit wahren Erben einen Anspruch nach § 356 ZGB gegen denjenigen, der BVerfG-Entscheidung üblichen Sprachgebrauch abweichen der zu Unrecht Vermögenswerte aus dem Nachlass besitzt. wollte (vgl. Gruber, Komm. zu OLG Dresden, NJ 2001, 378). Es ist aber keine Rechtsgrundlage dafür ersichtlich, dass die Dieses Ergebnis erscheint mir im Übrigen auch unter Billig- Bekl. verpflichtet ist, einen Anspruch aus § 356 ZGB zu erfüllen, keitsgesichtspunkten richtig zu sein, denn am 3.10.1990 war eine der sich ursprünglich gegen die DDR gerichtet hat. relativ große Zahl von vor diesem Zeitpunkt angefallenen Erb- Zwar geht der EGMR in seiner Entscheidung v. 30.3.2005 unter fällen noch nicht abgewickelt, in denen der Erblasser Geldver- Ziff. 77 u. 81 (NJ 2005, 325, 326 m. Anm. Kolb) davon aus, dass die mögen hinterlassen hatte und die DDR Erbe geworden war. In all Bekl. Rechtsnachfolgerin der DDR geworden sei. Er hat daraus diesen Fällen wurden die Geldbeträge durch die Behörden der aber nicht die Folgerung gezogen, dass die Bekl. für alle Verbind- Bundesvermögensverwaltung (heute Bundesanstalt für Immo- lichkeiten der DDR hafte, sondern festgestellt, dass die Bekl. nicht bilienaufgaben), der treuhänderischen Verwalterin des Finanz- verpflichtet sei, Unrecht und Schäden wiedergutzumachen, zu vermögens nach Art. 22 EV, eingefordert. Es ist nicht einzusehen, denen es auf Veranlassung der DDR gekommen ist. wieso das Finanzvermögen dann nicht auch für Verbindlich- Auch im EinigungsV ist ein Übergang von Schulden der hier in keiten aus zu Unrecht von der DDR vereinnahmten Erbschaften, Rede stehenden Art auf die Bekl. nicht vorgesehen. Der streitige, die aus Geldvermögen bestanden, haften soll. von der DDR vereinnahmte Nachlass fällt unter das in Art. 22 Prof. Dr. Joachim Gruber, D.E.A. (Paris I), Abs. 1 Satz 1 EV geregelte Finanzvermögen. Soweit Schulden Westsächsische Hochschule, Zwickau aufgrund des EinigungsV von neuen Rechtsträgern zu überneh- men sind, wurden dazu jeweils besondere Regelungen getroffen, so z.B. in Art. 22 Abs. 4 Satz 3 EV für die Schulden im Zusam- ̈ 05.2 – 4/06 menhang mit dem zur Wohnungsversorgung genutzten Vermö- Vorrang der Vermögenszuordnung vor Bereinigung der Rechts- gen; in Art. 26 Abs. 2 EV bzgl. der Verbindlichkeiten, die mit dem verhältnisse nach dem VerkFlBerG Vermögen der Reichsbahn zusammenhängen; in Art. 27 Abs. 1 BGH, Beschluss vom 17. November 2005 – V ZR 74/05 (OLG Jena) Satz 3 EV bzgl. der zum Sondervermögen Deutsche Post gehören- den Verbindlichkeiten. Art. 22 Abs. 1 EV enthält dagegen keine TreuhG § 11 Abs. 2; EGBGB Art. 233 § 2a Abs. 9; ausdrückliche Regelung, dass Verbindlichkeiten übergehen. VerkFlBerG §§ 3, 9 Abs. 1 Eine Haftung ergibt sich auch nicht aus Art. 135a Abs. 2 GG. Hat eine Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 2 TreuhG am 1.7.1990 Diese Vorschrift ordnet nicht einen Übergang jeder beliebigen das Eigentum an einem Grundstück erlangt, ist damit die Eigen- Verbindlichkeit der DDR auf die BRD an, sondern ermächtigt den tumslage endgültig geklärt; für eine spätere Bereinigung der Gesetzgeber zum Ausschluss und zur Beschränkung u.a. von Rechtsverhältnisse nach § 3 VerkFlBerG und somit für einen Verbindlichkeiten der DDR. Eine konstitutive Regelung des Anspruch des Grundstückseigentümers gegen den öffentlichen Übergangs aller Verbindlichkeiten der DDR auf neue Rechtsträger, Nutzer auf Zahlung des Moratoriumszinses (Art. 233 § 2a Abs. 9 wie sie dem Art. 135a Abs. 2 GG teilweise zugeschrieben wird EGBGB) bzw. des vorläufigen Nutzungsentgelts (§ 9 Abs. 1 (Bernsdorff, NJW 1997, 2712; Gruber, VIZ 2001, 528), hätte sich VerkFlBerG) ist kein Raum.

Neue Justiz 4/2006 189 Rechtsprechung Recht der offenen Vermögensfragen

Die Kl. verlangte von dem Bekl. Nutzungsersatz und Ersatz nicht habe. Diese Frage stellt sich hier nicht, weil der vorliegende Sach- gezogener Nutzungen bzgl. eines Grundstücks in M. Das Grund- verhalt nicht von Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB erfasst wird. stück stand in Volkseigentum; Rechtsträger war die Stadt M. a) Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ein besonderes, mit Von 1977 bis 1979 errichtete der V. M. auf dem Grundstück ein einem Endzeitpunkt versehenes Moratorium, mit dem eine in der Gebäude, das ab 1978 von der I. genutzt wurde. 1984 ging die DDR begründete öffentliche Nutzung fremder Privatgrundstücke Rechtsträgerschaft an dem Grundstück auf den V. über. Zum bis zur endgültigen Bereinigung der Rechtsverhältnisse aufrecht- 1.7.1990 erlangte die Kl. das Grundstückseigentum nach § 11 Abs. 2 erhalten wird (BVerfG, WM 2001, 778, 779 = NJ 2001, 419 m. TreuhG und wurde am 1.10.1992 in das Grundbuch eingetragen. Anm. Schramm); die Regelung knüpft an die Fälle des »rückstän- Die Nutzung des Grundstücks durch die nach dem 3.10.1990 digen Grunderwerbs« an, die dadurch gekennzeichnet sind, dass vom Streithelfer des Bekl. weitergeführte I. endete Ende 1992. in der DDR Grundstücke ohne förmliche Enteignung oder Über- Vom 1.1.1993 bis zum 31.1.1995 nutzte der Bekl. das Grundstück führung in Volkseigentum für öffentliche Zwecke benutzt wurden unentgeltlich als medizinische Fachschule. (Senat, Urt. v. 18.1.2002, WM 2002, 768, 771 = NJ 2002, 366 Am 2.11./10.12.1992 schlossen die Parteien eine Vereinbarung [bearb. v. Matthiessen]). über die Wärme- und Wasserversorgung des Gebäudes ab dem b) Hier liegen die Dinge jedoch anders. Das Grundstück war seit 1.1.1993. Am 14./21.1.1993 regelten der Streithelfer des Bekl., die 1952 Volkseigentum; damit scheidet ein Fall des rückständigen I. und der Rechtsvorgänger des Bekl. in einer Vereinbarung die Grunderwerbs aus. Die Kl. wurde am 1.7.1990 Grundstücks- weitere Nutzung des Grundstücks durch den Rechtsvorgänger des eigentümerin; damit fehlte es in dem hier maßgeblichen Zeit- Bekl. Die Beteiligten gingen davon aus, dass der Streithelfer Eigen- raum an einer Bereinigungslage. Die Vermögenszuordnung nach tümer des Grundstücks war. § 11 Abs. 2 TreuhG hat Vorrang vor jeder anderen Bereinigung; Das LG hat der auf die Verurteilung des Bekl. zur Zahlung von sie ist abschließend. Das hat der Senat bereits für den Anwen- 601.700,19 € nebst Zinsen gerichteten Klage i.H.v. 508.918,76 € dungsbereich des SachenRBerG entschieden (Urt. v. 19.9.2003, (Nutzungsersatz vom 1.1.1993 bis 6.3.1996) nebst Zinsen stattge- WM 2004, 677, 678 = NJ 2004, 323 [Leits.]). Für die Bereinigung geben. Auf die Berufung des Bekl. hat das OLG die Verurteilung der Rechtsverhältnisse nach dem VerkFlBerG, das das Moratorium auf 294.919,51 € nebst Zinsen reduziert. nach Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB verlängert hat, ohne seinen Zweck zu verändern (Senat, Urt. v. 18.1.2002, aaO), gilt nichts Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil anderes. Wollte man Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB auch in diesem haben beide Parteien Beschwerde eingelegt. Fall anwenden, beseitigte man damit die mit der endgültigen Die Beschwerden blieben ohne Erfolg. Zuordnung verbundenen Rechtsfolgen.

Aus den Entscheidungsgründen: c) Die entsprechende Anwendung der Norm kommt nicht in Betracht, weil die Kl. und ihre Rechtsvorgängerin in der DDR kein II. Nach Auffassung des BerufungsG kann die Kl. von dem Bekl. nach § 988 BGB den Ersatz der vom 1.1.1993 bis zum 31.1.1995 gezogenen Eigentum verloren haben (vgl. Senat, Urt. v. 18.1.2002, aaO). Nutzungen verlangen. Die Kl. sei seit dem 1.7.1990 Eigentümerin des d) Daraus folgt, dass die Eigentumslage hinsichtlich des Grund- Grundstücks, der Bekl. seit dem 1.1.1993 unentgeltlicher Besitzer. Er habe kein Recht zum Besitz gehabt. Eine vertragliche Regelung über stücks mit der erfolgten Zuordnung endgültig geklärt war. Da dem die Nutzung des Grundstücks existiere nicht. Ein Besitzrecht nach Bekl. das Gebäude nicht zugeordnet wurde, liegt ein Eigentümer- Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB habe der Bekl. nicht gehabt, weil er das Besitzer-Verhältnis nach §§ 987 ff. BGB vor; der Bekl. schuldet Grundstück erst seit dem 1.1.1993 genutzt habe und er sich auf die Nutzungsentgelt nach § 988 BGB (vgl. Senat, Urt. v. 26.11.2004, vorhergehende Nutzung durch seinen Streithelfer nicht berufen könne. Zwar folge das nicht aus dem Umstand, dass zwei verschiedene NJW-RR 2005, 743, 745 = NJ 2005, 233 [bearb. v. Gruber]). öffentlich-rechtliche Körperschaften als Schulträger aufgetreten seien; 4. Der Bekl. macht auch erfolglos den Zulassungsgrund der aber der Streithelfer habe seine Nutzung aufgegeben, und der Bekl. Sicherung einer einheitlichen Rspr. im Hinblick auf die Verteilung habe eine neue Schule eröffnet. der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Umfangs der Investitionen oder Dispositionen, die ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Grundstücksnutzung schaffen könnten, habe Grundstücksnutzung geltend. Das BerufungsG hat keine generel- der Bekl. nicht getroffen. Ab dem 1.2.1995 schulde der Bekl. keinen len Ausführungen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast Nutzungsersatz, weil er nicht bösgläubig iSv § 990 Abs. 1 BGB gewe- bei einem Anspruch auf Nutzungsherausgabe gemacht, die ver- sen sei. Er habe sich aufgrund der Vereinbarung mit seinem Streit- allgemeinerungsfähig wären, sondern die Umstände des konkre- helfer v. 14./21.1.1993 für zum Besitz berechtigt gehalten; später habe er sein vermeintliches Besitzrecht von dem erwarteten positiven ten Falls zugrunde gelegt. … Ausgang des erst 1998 zu seinen Ungunsten ausgegangenen Vermö- genszuordnungsverfahrens abgeleitet. III. Die Nichtzulassungsbeschwerden sind zulässig, bleiben in ̈ 05.3 – 4/06 der Sache jedoch ohne Erfolg … Selbständige Geltendmachung von Ansprüchen eines Erben bei 1. Entgegen der Auffassung der Kl. stellen sich hinsichtlich des von angeordneter Testamentsvollstreckung dem BerufungsG verneinten Anspruchs auf Nutzungsersatz für die Zeit BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2005 – 7 C 8/05 (VG Chemnitz) ab dem 1.2.1995 keine entscheidungserheblichen Fragen von grund- sätzlicher Bedeutung … Das BerufungsG ist nämlich nicht davon aus- VermG §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 30 Abs. 1 Satz 1, 30a Abs. 1 Satz 1; gegangen, dass der Bekl. bei der Erlangung des Besitzes am 1.1.1993 bösgläubig iSv § 990 Abs. 1 BGB gewesen und erst später gutgläubig BGB §§ 2205, 2212 geworden sei. Vielmehr ist der angefochtenen Entscheidung zu entneh- Der Erbe eines vor Inkrafttreten des VermG verstorbenen Geschä- men, dass das BerufungsG den Bekl. von dem Zeitpunkt seiner Besitz- erlangung an für gutgläubig hinsichtlich seines Besitzrechts gehalten digten kann vermögensrechtliche Ansprüche auch dann selbstän- hat. … dig geltend machen, wenn Testamentsvollstreckung angeordnet 3. Der Bekl. macht erfolglos geltend, dass die grundsätzliche ist. Frage zu klären sei, ob der Moratoriumstatbestand des Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB voraussetze, dass die öffentliche Körperschaft, Problemstellung: die ein Grundstück zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben Herr G. war Miteigentümer der in Chemnitz gelegenen Grund- nutze, es selber bereits am 3.10.1990 in gleicher Weise genutzt stücke Z. Straße 244 und Z. Straße 246. Er wurde 1957 von Frau G.

190 Neue Justiz 4/2006 Recht der offenen Vermögensfragen

und deren Tochter E. beerbt. Die Tochter war 1958 aus der DDR jedoch – wie hier – ein Berechtigter vermögensrechtliche Ansprü- geflohen. Die Grundstücksanteile wurden von einem VEB treu- che anmeldet, ist er nach dem VermG hierzu befugt. Vorschriften händerisch verwaltet und 1971/72 enteignet. Die Tochter wurde des BGB über die Testamentsvollstreckung müssen weder unmit- Alleinerbin ihrer 1968 verstorbenen Mutter. telbar noch analog angewendet werden. 1989 verstarb die Tochter; sie hatte mit letztwilliger Verfügung Die Anmeldung wirkte auch fristwahrend. Die Kl. hatte in dem die Kl. als Erbin bestimmt und Testamentsvollstreckung ange- Anmeldeschreiben zwar die Grundstücke Z. Straße 44 u. 46 und ordnet. nicht die von ihr wirklich begehrten Grundstücke Z. Straße 244 Die Kl. meldete 1990 vermögensrechtliche Ansprüche an. u. 246 genannt. Dies ist aber unschädlich, da die Kl. als Rechts- Dabei bezeichnete sie die in Chemnitz gelegenen Grundstücke nachfolgerin von Frau E., geb. G., Ansprüche angemeldet hat. mit »Z. Straße 44/46«. Der Anmeldung waren verschiedene Außerdem waren dem Antrag Anlagen beigefügt, welche sich aus- Schreiben beigefügt, so die »Löschungsbewilligung einer Grund- drücklich auf das Grundstück Z. Straße 244 und auf die Flurstücke, schuld … eingetragen auf Blatt 226 des Grundbuchs für B., Eigen- die das Grundstück Z. Straße 246 bilden, beziehen. tümer (Herr) G., Chemnitz, Z. Straße 244«, ein Schreiben des Das BVerwG zitiert in diesem Zusammenhang aus seinem Urt. Rates der Stadt Chemnitz (»Löschungsbewilligung der auf den v. 5.10.2000 (Buchholz 428 § 30 VermG Nr. 21), wonach »die Grundstücken Z. Straße 44/46 ruhenden Hypotheken«) und ein Möglichkeit eines Irrtums bei der Hausnummer eines vor Jahr- weiteres Schreiben, welches die Löschungsbewilligung für die auf zehnten enteigneten Grundstücks besonders nahe liegt«. Bei der den Blättern 226, 227, 228, 229 u. 230 des Grundbuchs für B. ein- Auslegung einer Anmeldung ist »in erster Linie an den nament- getragene Grundschuld vorsah. lich bezeichneten Berechtigten anzuknüpfen; denn dieser oder Das ARoV und die Widerspruchsbehörde lehnten die Rücküber- sein Rechtsnachfolger sind vorzugsweise imstande, zur Klärung tragung der Grundstücke wegen Ablaufs der Ausschlussfrist des bestehender Zweifel über Art, Umfang und Lage des beanspruch- § 30a VermG ab. Dagegen hat die Kl. Klage erhoben. ten Vermögensgegenstands beizutragen«. Im Jahr 2000 wurde eine Teilfläche des Grundstücks Z. Straße Da das VG eine Auslegung der Anmeldung nicht vorgenom- 244, Flurstück 135, investiv veräußert. men hatte, konnte das BVerwG die Auslegung als grundsätzliche Mit Schreiben v. 26.1.2005 stimmte der Testamentsvollstrecker Aufgabe des Tatsachengerichts selbst vornehmen. Weil ohne der vermögensrechtlichen Antragstellung der Kl. sowie der weitere Sachverhaltsaufklärung jedoch nicht beurteilt werden gerichtlichen Geltendmachung der Restitutionsansprüche durch konnte, ob die Grundstücke einer schädigenden Maßnahme iSd die Kl. in deren eigenem Namen zu. § 1 VermG unterlagen und ob Restitutionsausschlussgründe gem. §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 5 VermG vorliegen, wurde die Sache zur ander- Das VG wies die Klage mit der Begründung ab, die Kl. habe weitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. die Klage nicht fristgemäß angemeldet. Zudem sei sie aufgrund der Testamentsvollstreckung von der Geltendmachung dieser Kommentar: Ansprüche ausgeschlossen gewesen. Das VG hatte ermittelt, dass die auf den Blättern 227-230 des Grundbuchs für B. eingetragenen Die Rspr. des BVerwG zur Frage des Restitutionsanspruchs als Flurstücke Nr. 138-141 dieser Gemarkung das Grundstück Z. Nachlassforderung bei einem Erbfall vor Inkrafttreten des VermG Straße 246 bildeten. ist m.E. nicht überzeugend. Zwar soll der Vermögensgegenstand Auf die Revision der Kl. hat das BVerwG das VG-Urteil auf- des Erblassers auf der einen Seite aufgrund einer schädigenden gehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Maßnahme gem. § 1 VermG zunächst aus dem Nachlass ausschei- Entscheidung zurückverwiesen. den, so dass der Vermögensgegenstand weder bei gesetzlicher noch bei testamentarischer Erbfolge dem Nachlass (an-)gehört. Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Das soll auch für den Restitutionsanspruch gelten. Anders als das VG kommt das BVerwG zu dem Ergebnis, dass der Auf der anderen Seite wird der Rückübertragungsanspruch »mit Erbe eines vor Inkrafttreten des VermG (29.9.1990) verstorbenen seinem Entstehen« wirtschaftlich wie eine Nachlassforderung Geschädigten auch dann selbständig und im eigenen Namen behandelt. In der hier besprochenen Entscheidung betont das vermögensrechtliche Ansprüche geltend machen kann, wenn BVerwG diesen wirtschaftlichen Gesichtspunkt gar nicht mehr, Testamentsvollstreckung angeordnet ist. Der Rückübertragungs- sondern setzt ihn stillschweigend voraus und verweist auf sein anspruch entsteht in diesem Fall »erstmals in der Person des Urt. v. 8.5.2003 (aaO). Rechtsnachfolgers des verstorbenen Geschädigten«. Das BVerwG befindet sich (lediglich) mit seiner wirtschaftli- Die vom VermG erfassten Enteignungsmaßnahmen sind ding- chen Sichtweise in guter Gesellschaft: Die Zivilgerichte behandeln lich wirksam. Der zurückbegehrte Vermögenswert ist mit der den Restitutionsanspruch ebenfalls wie eine Nachlassforderung schädigenden Maßnahme aus dem Vermögen des Geschädigten (BGHZ 123, 76, 79 = NJ 1993, 514; BayObLG, VIZ 1995, 723; OLG ausgeschieden, weshalb er nicht dem Nachlass angehört. Dies gilt Köln, VIZ 2002, 155, 156), und auch der Gesetzgeber sieht in § 2a auch für den Restitutionsanspruch. Der Erbe ist dann als Rechts- VermG vor, dass der Rückgabeanspruch dem Nachlass des Geschä- nachfolger Berechtigter (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Fall VermG). digten zuzurechnen ist. Bereits nach der AnmVO konnten Berechtigte vermögens- Weshalb aber, so fragt man sich, theoretisiert dann das BVerwG, rechtliche Ansprüche anmelden (§ 2 Abs. 1 Satz 1 AnmVO). Mit dass der Vermögensgegenstand zunächst keinem Nachlass ange- der später erlassenen Bestimmung des § 30 VermG wollte der hören soll, um ihn dann doch dem Nachlass unter wirtschaft- Gesetzgeber diese Antragsbefugnis nicht einschränken. Aus dem lichen Aspekten zuzuordnen? Das BVerwG begründet dies mit Senatsurt. v. 8.5.2003 (NJ 2003, 495 [bearb. v. Gruber]) folgt nichts dem Hinweis, dass die »vom VermG erfassten Enteignungsmaß- anderes. Dort hatte sich der Senat mit dem umgekehrten Fall nahmen dinglich wirksam« sind. Gerade die Frage der dinglichen zu befassen, wonach bei bestehender Testamentsvollstreckung Wirksamkeit von Enteignungen und Grundbuchänderungen der Testamentsvollstrecker, nicht aber der Berechtigte selbst wurde in der DDR von den Behörden aber oft lax und willkürlich den Anspruch angemeldet hatte. Da das VermG diesen Fall nicht gehandhabt und damit oftmals gegen die GVVO und die GBO regelt, wurde § 2205 BGB entsprechend herangezogen. Wenn verstoßen. Bei Zugrundelegung der früher geltenden ZGB-Bestim-

Neue Justiz 4/2006 191 Rechtsprechung Recht der offenen Vermögensfragen

mungen lagen deshalb nicht selten Verfahrensverstöße vor, die 2. Dass nach der Rechtsordnung der DDR keine (zusätzliche) einer dinglich wirksamen Enteignung entgegenstanden. Haftung des VEB begründet wurde, der das Unternehmen weiter- Das Argument der dinglichen Wirksamkeit hat den Gesetzgeber führte, stellt keinen Eingriff in bestehende Rechte und damit allerdings nicht davon abgehalten, den Restitutionsanspruch dem weder rechtlich noch faktisch eine Enteignung dar. Nachlass des Geschädigten zuzurechnen, ohne den dogmatischen Umweg einer vermögensrechtlichen wirtschaftlichen Betrach- Anm. d. Redaktion: Zur Entschädigung eines mittelbar geschädigten tungsweise zu gehen. Gläubigers siehe BVerwG, Urt. v. 29.10.2003, BVerwGE 119, 158 = NJ 2004, 188 (Leits.). Im Übrigen steht der Annahme eines zunächst ausgeschiede- nen Vermögensgegenstands aus dem Nachlass ein erbrechtlicher Gesichtspunkt entgegen. Eine hypothetische Betrachtung wird ̈ 05.6 – 4/06 nämlich dem letzten Willen des Erblassers nicht immer gerecht. Ermittlung der Ablösebeträge für dingliche Rechte Besonders deutlich ist dies bei dem vorliegenden Fall zu BVerwG, Beschluss vom 4. November 2005 – 7 B 73/05 (VG Berlin) erkennen: Die Erblasserin war 1989 verstorben. Unklar ist, wann sie ihren letzten Willen mit der angeordneten Testamentsvoll- VermG § 18 Abs. 2; HypAblV § 3 Abs. 3 streckung aufgesetzt hatte. Falls dies erst 1989 geschehen sein 1. Anfangszeitpunkt für die Berechnung der jährlichen Abschläge sollte, hatte die Erblasserin im Spätherbst möglicherweise noch nach § 18 Abs. 2 VermG ist grundsätzlich die Eintragung der das nahende Ende der DDR mitbekommen. Vielleicht hatte sie dinglichen Rechte im Grundbuch. noch ganz konkret auf eine Wiedergutmachung des geschehenen 2. Dem zeitlichen Auseinanderfallen von Kreditierung und ding- Teilungsunrechts gehofft. Das Urteil schweigt hierzu. Aber wes- licher Sicherung kann durch die Billigkeitsregelung des § 3 Abs. 3 halb sollte die Verstorbene lediglich für den sonstigen Nachlass, HypAblV Rechnung getragen werden. nicht jedoch für die 1971/72 in der DDR enteigneten Grund- stücksanteile Testamentsvollstreckung angeordnet haben? Eine plausible Erklärung dafür gibt es zumindest nicht. ̈ 05.7 – 4/06 RD Udo Michael Schmidt, Sächs. Staatsministerium des Innern, Dresden Vertragsstrafeklauseln in Treuhandverträgen OLG Brandenburg, Urteil vom 26. Oktober 2005 – 4 U 194/04 (LG Frankfurt [Oder]) (rechtskräftig) ̈ 05.4 – 4/06 Enteignung von Vermögenswerten nach Maßgabe der »Liste 3« BGB §§ 339, 340; AGBG §§ 5, 9; EGBGB Art. 229 § 5; BVerwG, Beschluss vom 5. Dezember 2005 – 7 B 81/05 (VG Berlin) InVorG § 13 Abs. 1 Satz 3

VermG § 1 Abs. 8 Buchst. a 1. Zur Wirksamkeit einer Vertragsstrafeklausel in einem Grund- stückskaufvertrag hinsichtlich der in einem bestimmten Zeitraum Eine vom sog. demokratischen Magistrat von Groß-Berlin nach zu erfüllenden Investitionsverpflichtung. Maßgabe der »Liste 3« zum Ges. zur Einziehung von Vermögens- 2. Der Eintritt der Durchführungsfiktion nach § 13 Abs. 1 Satz 3 werten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten v. 8.2.1949 InVorG hat auf das Fortbestehen einer Investitionsverpflichtung beschlossene Enteignung eines Vermögenswerts erfolgte auch und der zugehörigen Vertragsstrafe keine Auswirkung (vgl. BGH, dann auf besatzungshoheitlicher Grundlage iSv § 1 Abs. 8 NJW 2002, 2102). (Leitsätze der Redaktion) Buchst. a VermG, wenn die vor dem 5.2.1949 erfolgte Beschlag- nahme des Vermögenswerts der sowjetischen Besatzungsmacht Anm. d. Redaktion: Die Kl. nahm die Bekl. auf Zahlung einer Vertrags- nicht bekannt war (im Anschluss an Urt. v. 13.2.1995, BVerwGE strafe aus einem Grundstückskaufvertrag mit Investitionsverpflichtung 98, 1 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 38 = NJ 1995, 328). i.H.v. ca. 325.000 € in Anspruch. Die Bekl. hat behauptet, die Investi- tionsverpflichtung sei ausschließlich in den Vertrag aufgenommen wor- den, um die während der Vertragsverhandlungen bekannt gewordenen ̈ 05.5 – 4/06 Anmeldungen auf Rückübertragung des Kaufgegenstands nach dem Rückübertragung einer Darlehensforderung VermG zu überwinden. Das LG verurteilte die Bekl. zur Zahlung der BVerwG, Beschluss vom 22. November 2005 – 7 B 32/05 (VG Leipzig) geforderten Vertragsstrafe. Die zu übertragenen Flächen seien bei Ver- tragsschluss »noch anmeldebehaftet« iSd InVorG gewesen; die Durchfüh- VermG § 1 Abs. 1 Buchst. a rungsfiktion nach § 13 Abs. 1 Satz 3 InVorG lasse den hiervon unab- 1. Der Gläubiger eines Darlehens, das ohne dingliche Sicherung hängigen Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe unberührt. Die an den Inhaber eines Betriebs zur Verwendung für das Unter- dagegen gerichtete Berufung der Bekl. hatte keinen Erfolg. nehmen gegeben wurde, ist durch die spätere Verstaatlichung Zu Vertragsstrafeklauseln in Treuhandverträgen siehe auch BGH, NJ des Unternehmens selbst nicht iSd § 1 Abs. 1 Buchst. a VermG 1998, 479 (Leits.); 1999, 598; 2003, 311 (jew. bearb. v. St. Schreiber); entschädigungslos enteignet worden, wenn die Darlehensforde- 2003, 597 (Leits.); OLG Naumburg, NJ 2004, 369 (Leits.); OLG Bran- rung gegen den früheren Inhaber des Betriebs fortbesteht. denburg, NJ 2005, 560 (bearb. v. St. Schreiber).

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192 Neue Justiz 4/2006 Fortsetzung von Seite IV BVerwG: Verbot von Elektroreizgeräten zur Hundeerziehung Termine für 2006 Das BVerwG hat mit Urt. v. 23.2.2006 (3 C 14/05) entschieden, dass der Einsatz von Elektroreizgeräten, die erhebliche Leiden oder Schmer- zen verursachen können, bei der Hundeausbildung nach geltendem Bundesverfassungsgericht (Auswahl) Tierschutzrecht verboten ist. • Vb. zur Überprüfung bestandskräftiger Ablehnungsbescheide zu Der Kl. führt Seminare zur Hundeerziehung durch und möchte dabei Unfallfolgen aus DDR-Zeiten (1 BvR 1982/01 u. 850/02) den Einsatz von Elektroreizgeräten vorführen. Der bekl. Landkreis hält • Vb. zur Verfassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung heimlich das für unzulässig. Das BVerwG gab dem Landkreis – wie schon die durchgeführter genetischer Vaterschaftstests als Darlegungs- und Vorinstanzen – Recht. Das TierschutzG verbietet die Verwendung von Beweismittel in Vaterschaftsanfechtungsverfahren (1 BvR 421/05 u. Geräten, die durch direkte Stromeinwirkung das artgemäße Verhalten 465/05) eines Tieres erheblich einschränken oder es zur Bewegung zwingen • Vb. gegen § 24c KWG betr. den automatisierten Abruf von Konten- und dem Tier dadurch nicht unerhebliche Schmerzen, Leiden oder stammdaten zu Zwecken der Abgaben- und Sozialverwaltung (1 BvR Schäden zufügen, soweit dies nicht nach bundes- oder landesrecht- 1550/03) lichen Vorschriften zulässig ist. Von diesem Verbot werden die vom Kl. • Vorlage des BGH zur Koppelung der Vergabe öffentlicher Aufträge verwendeten Elektroreizgeräte erfasst. Dabei kommt es nicht auf die an eine Tariftreueerklärung (1 BvL 4/00) konkrete Verwendung der Geräte im Einzelfall, sondern darauf an, ob • Vb. zur Verfassungsmäßigkeit fehlenden Rechtsschutzes für einen sie von ihrer Bauart und Funktionsweise her geeignet sind, dem Tier bei der Bestellung zum Insolvenzverwalter nicht berücksichtigten nicht unerhebliche Schmerzen zuzufügen. Bewerber (1 BvR 2530/04) (aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 8/06 v. 23.2.2006) • Vb. zur Verfassungsmäßigkeit des gesetzlichen Verbots zum Abschluss einer Vereinbarung zwischen Rechtsanwalt und Mandant über ein BAG: Übergang von Betriebsteilen und Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs Erfolgshonorar (1 BvR 2576/04) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB in Bundesverwaltungsgericht (Auswahl) die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs beste- • Rechtsschutz gegen Eintragungen in eine Personenakte des Bundes- henden Arbeitsverhältnissen ein. Erwerben verschiedene rechtlich amtes für Verfassungsschutz (3 C 34/05) selbständige Unternehmen vom insolvent gewordenen Arbeitgeber • Vermögenszuordnung von Flächen, die früher einer Gemeinschaft nur einzelne Betriebsmittel, führt dies dann zu einem Teilbetriebs- von Separationsinteressenten gehörten (3 C 18/05) übergang, wenn diese Betriebsmittel die Identität eines bereits zuvor • Erlösauskehr trotz Rücktritts vom bereits vollzogenen Kaufvertrag? beim Arbeitgeber organisatorisch verselbständigten Teilbetriebs präg- (3 C 31/05) ten. Haben die Erwerber dieser Betriebsmittel zur Betriebsführung • Bewilligung einer Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau einen Gemeinschaftsbetrieb gebildet, so wird dieser Betrieb ebenfalls (5 C 10/05; Revision gegen OVG Berlin, Urt. v. 16.12.2004, NJ 2005, nicht gem. § 613a BGB neuer Arbeitgeber. Zum einen bleiben bei 381 [Leits.]) einem Gemeinschaftsbetrieb die ihn errichtenden Unternehmen • Voraussetzungen für redlichen Erwerb von Bodenreformland (7 C Arbeitgeber der bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer. Zum anderen 7/05) wird auf die Betriebsführungsgesellschaft nichts, was die Identität • Anforderungen an die Bekanntmachung kommunaler Satzungen einer wirtschaftlichen Einheit ausmacht, übertragen. (10 CN 2 u. 3/05) Dies entschied das BAG mit Urt. v. 16.2.2006 (8 AZR 211/05). Damit • Grundsteuererlass wegen unterschiedlicher Steuermesszahlen (10 C blieb die Klage des Kl., der die Feststellung begehrt hatte, dass das mit 6/05 u. 8/05) der Insolvenzschuldnerin begründete Arbeitsverhältnis zu unverän- derten Arbeitsbedingungen auf die Bekl. übergegangen und die Kün- digung unwirksam sei, in allen Instanzen erfolglos. (aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 11/06 v. 16.2.2006) Landesgerichte BAG: Gesetzlich angeordneter Übergang von Arbeitsverhältnissen Das BAG entschied mit Urt. v. 2.3.2006 (8 AZR 124/05), dass § 613a OVG Berlin-Brandenburg: Höhe der Rückmeldegebühr an Berliner Abs. 6 BGB auf den gesetzlich angeordneten Übergang eines Arbeits- Hochschulen verfassungswidrig verhältnisses keine Anwendung findet. Auch eine sinngemäße Anwen- Mit Beschl. v. 15.2.2006 (8 B 2 u. 3/04) hat das OVG Berlin-Branden- dung kommt nicht in Betracht, wenn ein Gesetz zur Überleitung burg beschlossen, die Verfahren über zwei Klagen gegen die an Berliner von Arbeitsverhältnissen von einem Land auf eine Stiftung des öffent- Hochschulen erhobenen Rückmeldegebühren auszusetzen und die lichen Rechts ausdrücklich nur auf die Anwendung der rechts- Klagen dem BVerfG vorzulegen. erhaltenden Regelungen gegen den neuen Arbeitgeber nach § 613a Das OVG hält die Erhebung einer Rückmeldegebühr i.H.v. 51,13 € Abs. 1-4 BGB verweist. (früher: 100 DM) für verfassungswidrig. Die Gebühr stehe in einem Der Kl. war beim bekl. Land als Bühnenhandwerker in einem Opern- groben Missverhältnis zum Gebührenzweck der Kostendeckung. Die haus beschäftigt. Aufgrund eines Gesetzes übernahm eine Stiftung die Bearbeitung einer Rückmeldung bei den Berliner Hochschulen verur- Trägerschaft und die Betriebsmittel der drei Opern in Berlin. Das sache nur einen durchschnittlichen Verwaltungsaufwand von 11,42 € Gesetz ordnete zudem den Übergang der Arbeitsverhältnisse der bei (früher: 22,34 DM). Die Gebühr betrage damit das 4,5-fache des Kos- den Opernhäusern beschäftigten Arbeitnehmer an. Der Kl. und zahl- tenaufwands. reiche Arbeitnehmer widersprachen dem Übergang des Arbeitsver- (aus: Pressemitteilung des OVG Berlin-Brandenburg Nr. 5/06 v. 15.2.2006) hältnisses. Mit der Klage verlangt der Kl. die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis aufgrund seines Widerspruchs nicht von dem bekl. OVG Berlin-Brandenburg: Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten Land auf die Stiftung übergegangen ist. Die Vorinstanzen haben die der Berliner Hochschulen bei NC-Klagen der Studienbewerber Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. blieb erfolglos. Das OVG hat mit Beschl. v. 1.2.2006 (1 K 72/05) festgestellt, dass (aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 15/06 v. 2.3.2006) Berliner Hochschulen sich in NC-Klageverfahren durch Rechtsanwälte

Neue Justiz 4/2006 V ihrer Wahl vertreten lassen können und die Anwaltskosten von dem im Rechtsstreit unterlegenen Studienbewerber grundsätzlich zu erstat- Buchumschau ten sind. Ob dieser Grundsatz ausnahmsweise nicht gilt, wenn eine Klage lediglich der Einhaltung der Klagefrist dient, bedurfte keiner Jürgen Meyer (Hrsg.) Entscheidung. Denn nach Auffassung des OVG hat der Studienbewer- Charta der Grundrechte der Europäischen Union ber im entschiedenen Fall seine Klage entgegen seiner ausdrücklichen Nomos Verlagsgesellschaft, 2. Aufl., Baden-Baden 2006 Erklärung in der Klageschrift und entgegen der Auffassung des VG ca. 650 S., geb., 98,– € nicht lediglich »fristwahrend« erhoben. Mit der Klage habe der Eintritt ISBN 3-8329-1583-4 Die Charta der Grundrechte ist als Teil II in den Verfassungsvertrag der der Bestandskraft des Ablehnungsbescheids für die Dauer des parallel Europäischen Union aufgenommen worden. Sie umfasst die in Europa geführten Eilverfahrens verhindert und damit das Rechtsschutzinter- geltenden Menschen- und Bürgerrechte, die bislang nur in nationalen esse für jenes Verfahren erhalten werden sollen. Verfassungen und europäischen und internationalen Verträgen ent- (aus: Pressemitteilung des OVG Berlin-Brandenburg Nr. 4/06 v. 15.2.2006) halten sind. Der Kommentar erläutert die Gewährleistungen anhand der Entstehungsgeschichte, erschließt ihre Bedeutung für die Praxis und berücksichtigt auch die Probleme, die sich aus der Übersetzung in VG Berlin: Aufschiebende Wirkung bei Klage von Beamten über die Amtssprachen der EU ergeben. Versetzung zum Stellenpool Das VG Berlin hat in drei Entscheidungen des vorläufigen Rechts- Hildegard Hamm-Brücher schutzes mit Beschl. v. 9.2.2006 (7 A 57/05) den Anträgen von Beamten In guter Verfassung? gegen ihre Versetzung zum Stellenpool im Wesentlichen stattgegeben Nachdenken über die Demokratie in Deutschland Verlag C. H. Beck, München 2006 und festgestellt, das ihre Klagen aufschiebende Wirkung haben. 205 S., geb., 19,90 € Das BVerwG hatte bereits mit Beschl. v. 2.8.2005 (NJ 2006, 40 [bearb. ISBN 3-406-54083-X v. Jakob]) entschieden, dass es sich bei der Versetzung zum Stellenpool Auch Politiker haben Visionen und Träume. Hildegard Hamm-Brücher nach dem StellenpoolG nicht um eine Versetzung iSd einschlägigen hatte Zeit ihres Lebens viele Visionen und Träume – und hat sie Beamten- und Tarifrechts handele, weil den zum Stellenpool versetz- umgesetzt, soviel und so oft wie möglich. Ob beim Thema Demokratie, beim Umgang mit der NS-Vergangenheit, ob bei Bildung oder Gleich- ten Beamten dort keine Tätigkeiten zugewiesen werden. Daraus folgt berechtigung – nie hat sie sich von ihren Vorstellungen getrennt. nach Auffassung des VG, dass die Versetzung zum Stellenpool nicht Immer ging und geht es ihr um die Vision einer demokratischen Iden- schon kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist und die Klage gegen die tität der Deutschen. Das neue Buch versammelt Beiträge, die aus Anlass Versetzung aufschiebende Wirkung hat. ihres 85. Geburtstags im Mai 2006 vorgelegt werden. (aus: Pressemitteilung des VG Berlin Nr. 2/06 v. 24.2.2006) Karl Heinrich Friauf/Wolfram Höfling (Hrsg.) Berliner Kommentar zum Grundgesetz (BKGG) LSG Berlin-Brandenburg: Voraussetzungen einer Bedarfsgemeinschaft Erich Schmidt Verlag, Berlin 2005 Paare, die seit weniger als einem Jahr zusammenleben, sind i.d.R. noch Loseblattkomm. in 2 Ordnern, einschl. 14. Lfg. 3.130 S., 98,– € keine eheähnliche Gemeinschaft und bilden deshalb auch keine ISBN 3-503-05911-3 Bedarfsgemeinschaft. Bei der Bedürftigkeitsprüfung zur Gewährung Der Berliner Kommentar trägt insbesondere der Entwicklung des GG seit der Wiedervereinigung Rechnung. Er folgt bei den einzelnen Erläu- von Arbeitslosengeld II (Alg II) darf das Einkommen der beiden Part- terungen einem einheitlichen Gliederungsraster: 1. Darstellung der ner nicht zusammengerechnet werden. Dies entschied das LSG Berlin- Entwicklungslinien der Verfassungsbestimmungen; 2. Verdeutlichung Brandenburg mit Beschl. v. 18.1.2006 (L 5 B 1362/05 AS ER). der gemeinschaftsrechtlichen, internationalen und rechtsvergleichen- Der Ast. des Verfahrens bezog seit Sept. 2005 Alg II und lebte seit dieser den Bezüge; 3. Kommentierung. Abgerundet werden die Erläuterungen durch eine Auflistung der einschlägigen Leitentscheidungen. Zeit auch mit seiner Partnerin kinderlos in einer gemeinsam ange- mieteten Wohnung in Berlin. Das Job-Center rechnete das Einkom- H. Haarmeyer/G. Pape/G. Stephan/C. Nickert (Hrsg.) men der Partnerin sofort auf das Alg. II des Ast. an. Dieser wandte sich Formularbuch Insolvenzrecht an das SG Berlin mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung. Das Band 1: Regelinsolvenzverfahren • Insolvenzplanverfahren • Eigenver- SG gab dem Job-Center Recht. Mit seiner Beschwerde hatte der Ast. waltung • Internationales Insolvenzrecht Erfolg. Das LSG meint, von einer »Einstands- und Verantwortungs- ZAP Verlag für die Rechts- und Anwaltspraxis, Recklinghausen 2006 943 S., geb., mit CD-ROM, 128,– € gemeinschaft«, die allein eine Einkommensanrechnung rechtfertige, ISBN 3-89655-060-8 könne noch nicht die Rede sein; ein Zusammenwohnen führe nicht Mit dem ersten Band des neuen Formularbuchs liegt erstmals ein automatisch zu einer eheähnlichen Gemeinschaft. praxisorientierter Leitfaden vor, der alle wesentlichen Aspekte der sach- (aus: Pressemitteilung des LSG Berlin-Brandenburg v. 26.1.2006) bearbeitenden und gestaltenden Insolvenzabwicklung übersichtlich aufbereitet und zusammenfasst. Der Band ist für den Arbeitsalltag in den Kanzleien konzipiert; die Darstellung folgt dabei dem »normalen« SG Berlin: Unzumutbares Stellenangebot mit Lohn unter Sozialhilfehöhe Gang des Insolvenzverfahrens. Alle aufgeführten Muster sind auf der Arbeitsagenturen dürfen Arbeitslose nicht in Stellen vermitteln, für beiliegenden CD-ROM enthalten. Sie sind vielfach in der Praxis erprobt die eine an der Sozialhilfe orientierte Lohnhöhe nicht erreicht wird. und bilden jeweils den aktuellen Rechtsstand ab. Das entschied die 77. Kammer des SG Berlin mit Urt. v. 27.2.2006 (S 77 Hans Buschbell AL 742/05). Ein Lohn sei unzulässig, der die Höhe der Sozialhilfe für Münchener Anwaltshandbuch Straßenverkehrsrecht einen alleinstehenden Hilfebedürftigen nicht erreicht (hier: Stunden- Verlag C. H. Beck, 2., neu bearb. und erw. Aufl., München 2006 lohn im Tarifgebiet Ost i.H.v. 5,93 €). Die Arbeitsagenturen dürften 1.241 S., in Leinen, 118,– € derartige Stellenangebote nicht unterbreiten; bei Ablehnung durch ISBN 3-406-53533-X den Arbeitslosen dürften Sanktionen nicht verhängt werden. Die Der Band zum Straßenverkehrsrecht (Stand Okt. 2005) behandelt alle für den Rechtsanwalt wichtigen Aspekte dieses Tätigkeitsgebiets: ver- Kammer stützt ihr Urteil auf Entscheidungen des ArbG Bremen und kehrsrechtliches Straf- und OWi-Verfahren, Recht der Fahrerlaubnis, des SG Fulda. Sie weicht jedoch von einem Urteil des BAG v. 24.3.2004 Verkehrszivilrecht und Recht der Kraftfahrtversicherung. Formulie- (5 AZR 303/03) ab, das als Grenze für die Wirksamkeit einer Entgelt- rungshilfen, Schriftsatzmuster und Checklisten erleichtern die anwalt- vereinbarung den »Hungerlohn« angesehen hat. Auch die übrigen liche Arbeit. Einen besonderen Schwerpunkt der Neubearbeitung bildet u.a. der Bereich der Personengroßschäden, speziell zu Beweisfragen Kammern des SG Berlin haben bislang Tariflöhne unter der Höhe der und Begutachtung. Zahlreiche Verweise auf Rechtsprechung und Lite- Sozialhilfe nicht als unzumutbar eingestuft. ratur ermöglichen die rasche Überprüfung und Zitierung der einschlä- (aus: Pressemitteilung des SG Berlin v. 2.3.2006) gigen Rechtsauffassungen.

VI Neue Justiz 4/2006 Heinz-Joachim Peters/Stefan Balla Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung Veranstaltungstermine Handkommentar Nomos Verlagsgesellschaft, 3. Aufl., Baden-Baden 2006 533 S., geb., 69,– € Der 57. Deutsche Anwaltstag vom 25. bis 27. Mai 2006 in Köln steht ISBN 3-8329-1721-7 unter dem Motto »Vertrauen ist gut – Anwalt ist besser!«. Das UVPG und die entsprechenden Spezialregelungen haben im Som- mer 2005, insbesondere aufgrund der Umsetzung der SUP-Richtlinie Schwerpunkte des Fachprogramms sind: der EU, eine erhebliche Erweiterung erfahren. Vor diesem Hintergrund • Neue Strategien auf dem Anwaltsmarkt wurde der Handkommentar einer umfassenden Neubearbeitung • Neue Modelle im Kanzleimarketing unterzogen, in die auch die Umweltprüfung des BauGB und des ROG • Qualität verkaufen! – Die Gemeinschaftswerbung des DAV einbezogen wurden. • Die Werbung ist frei! • Vergütungsvereinbarung der Rechtsanwälte in Deutschland – Ergeb- H. H. Wohlgemuth/Th. Lakies/A. Malottke/St. Pieper/B. Proyer nisse einer empirischen Analyse BBiG – Berufsbildungsgesetz Veranstaltungsorte: Maritim Hotel Köln, Heumarkt 20, und Hotel Inter- Bund-Verlag, 3., überarb. u. erw. Aufl., Frankfurt/M. 2006 Continental Köln, Pipinstr. 1, jeweils 50667 Köln 703 S., geb., 68,– € Teilnehmergebühr: 80 € für DAV-Mitglieder, 185 € für Nicht-Mitglieder ISBN 3-7663-3234-1 Weitere Informationen und Anmeldung (bis 4.5.2006): DAV-Veranstaltungs- Der im Juni 2004 zwischen Wirtschaftsverbänden und Bundesregie- büro, DeutscheAnwaltAkademie, Littenstr. 11, 10179 Berlin. Tel.: (030) rung geschlossene »Ausbildungspakt« blieb auch im Rechtsbereich 726152-0, Fax: (030) 72 61 53 188; E-Mail: [email protected]; nicht ohne Folgen. Denn mit dem am 1.4.2005 in Kraft getretenen Internet: www. anwaltverein.de BerufsbildungsreformG ist es zu einschneidenden Änderungen des * Berufsbildungsrechts gekommen. Die Neuauflage des bewährten Kom- Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Friedrich-Schiller-Uni- mentars erläutert praxisnah und aktuell die Bestimmungen des BBiG versität Jena veranstaltet am 5./6. Mai 2006 die Tagung und verarbeitet alle Neuregelungen sowie die neue Rechtsprechung seit »Die Sicherung der Energieversorgung auf globalisierten Märkten«. der letzten Auflage von 1995. Vortragsthemen sind u.a.: Norman M. Spreng/Stefan Dietrich • Strategische Bedingungen für die Nutzung der Weltenergiereserven: Studien- und Karriere-Ratgeber für Juristen Energiesicherheit und internationale Sicherheitspolitik (Ref.: Dr. Frie- demann Müller, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin) Studium – Referendariat – Beruf • Gewährleistungs- und Erfüllungsverantwortung auf globalen Ener- Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 2006 giemärkten (Ref.: Richter des BVerfG Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio) 342 S., brosch., 19,95 € • Joint-venture-Verträge zur Erschließung ausländischer Rohstoffvorkom- ISBN 3-540-23642-2 men (Ref.: Prof. Dr. Ulrich Ehricke, LL.M., M.A., Universität zu Köln) Der Karriere-Ratgeber bietet das Rüstzeug, um Studium, Referendariat • Mobilisierung neuer Finanzquellen und Investitionsschutz zur Erschlie- und Berufseinstieg erfolgreich zu meistern. Angefangen von der ßung ausländischer Rohstoffvorkommen (Ref.: Dr. Helga Steeg, ehem. Finanzierung des Studiums über effizientes Studieren und Auslands- Exekutivdirektorin der IEA) studium bis hin zum 1. Staatsexamen wird gezeigt, was im Studium zu • »Energie« als Thema des Welthandelsrechts (Ref.: Dr. Frank Schorkopf, beachten ist. Es folgen Hinweise u.a. zu Referendariat, 2. Staatsexamen, Universität Bonn) Bewerbung, Vorstellungsgespräch und Assessment-Centern. • Energieversorgung zwischen Daseinsvorsorge und internationaler Libe- ralisierung (Ref.: Prof. Dr. Michael Fehling, LL.M., Bucerius Law School, Mathias Weber (Hrsg.) Hamburg) Das Web-Adressbuch für Deutschland 2006 • Kartellrecht als Instrument der sicheren Energieversorgung? Die 6.000 wichtigsten deutschen Internet-Adressen (Ref.: Prof. Dr. Wulf-Henning Roth, Universität Bonn) • Der »Regulierer« als nationaler Garant der Energiesicherheit angesichts m.w. Verlag, 9., überarb. u. erw. Aufl., Frankfurt/M. 2006 926 S., kart., 15,90 € globalisierter und liberalisierter Märkte? (Ref.: Martin Cronenberg, ISBN 3-934517-06-4 Vizepräsident der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommu- nikation, Post und Eisenbahnen, Bonn) Das Web-Adressbuch ist eine Alternative zur bekannten Suchmaschine Die Veranstaltung wird abgerundet durch eine Podiumsdiskussion »Google« und ermöglicht den schnellen Zugriff auf alle wichtigen »Erneuerbare Energien und sichere Energieversorgung«. deutschen Internet-Adressen. Zu über 1.700 Themengebieten wurden von den über acht Mio. deutschsprachigen Web-Seiten nur die 6.000 Tagungsort: Altes Schloss Dornburg, 07778 Dornburg/Saale besten Internet-Adressen ausgewählt und aussagekräftig beschrieben. Teilnehmergebühr: kostenfrei Weitere Informationen und Anmeldung: Prof. Dr. Stefan Leible, z. Hd. Frau Susanne Prater, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Rechtswissenschaft- liche Fakultät, Carl-Zeiss-Str. 3, 07743 Jena. Tel.: (03641) 9-42160, Weitere Neuerscheinungen: Fax: (03641) 9-42162; E-Mail: [email protected]; Internet: www.recht.uni-jena.de/z09/energierecht/index.html Europa von A bis Z * Taschenbuch der europäischen Integration. Hrsg. von Werner Wei- Das Kommunale Bildungswerk e.V. veranstaltet am 11. und 12. Mai denfeld u. Wolfgang Wessels. Nomos Verlagsgesellschaft, 9. Aufl., 2006 die Berliner Personaltage 2006 zu dem Thema € Baden-Baden 2006. 496 S., brosch., 19,90 . ISBN 3-8329-1378-5. »Der TVöD als Chance – Praktische Fragen des Übergangs zum neuen Tarifrecht«. Diversion im Jugendstrafrecht Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht das neue Entgeltsystem, das Von Christian Grote. Kriminologische Zentralstelle e.V., Wiesbaden sich an der individuellen Leistung und Berufserfahrung der Beschäf- 2006. 459 S., brosch., 30,– €. ISBN 3-926371-70-6. tigten orientiert. Mit der Umsetzung des TVöD sind Chancen und Risiken verbunden, die von Experten unter verschiedenen Aspekten Zur strafrechtlichen Beurteilung der Rettungsfolter praxisbezogen beleuchtet werden. Die Referenten sind Wirtschafts-, Von Georg Wagenländer. Duncker & Humblot, Berlin 2006. 212 S., Rechts- und Verwaltungswissenschaftler, die sich seit Jahren mit brosch., 64,– €. ISBN 3-428-12056-6. tarifrechtlichen Fragen befassen. Die Berliner Personaltage wenden sich an Führungskräfte, Personal- Kriminologie verantwortliche, Fortbildungsbeauftragte, Personalentwickler, Personal- räte und Politiker. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen. Von Hans-Dieter Schwind. Kriminalistik Verlag, 16., neu bearb. u. erw. Aufl., Heidelberg Veranstaltungsort: Steinbeis-Zentrum, Gürtelstr. 29 a/30, 10247 Berlin € 2006. 723 S., kart., 27,– €. ISBN 3-7832-0017-2. Gebühr: 295 Weitere Informationen: Kommunales Bildungswerk e.V., Gürtelstr. 29 a/30, 10247 Berlin. Herr Dr. Andreas Urbich, Tel.: (030) 2933500, E-Mail: (ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten) [email protected]

Neue Justiz 4/2006 VII