E 10934 Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern
Aus dem Inhalt: 9 03 F. Karsten: Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei Insolvenzreife der GmbH 57. Jahrgang R. Beckert: Max Fechner (1892-1973) P. Scharf/Ch. Kropp: Unterbrechung der Hauptver- handlung – eine Reform ist überfällig! S. Sonnewendová: Die Stellung ausländischer Rechtsanwälte in der Tschechischen Republik Petitionsbericht des Deutschen Bundestags 2002
Aus dem Rechtsprechungsteil: LVerfG Meckl.-Vorp.: Verfassungswidriger Ausschluss eines Landtagsabgeordneten aus seiner Fraktion BGH: Zuteilungsfähigkeit für Bodenreformgrundstück BayObLG: Nachlassspaltung bei Bodenreformgrund- stücken und Auslegung eines Erbvertrags nach ZGB OLG Dresden: Ansprüche des Verbrauchers aus Gewinnzusage BVerwG: Wertfeststellung im Bodenordnungsverfahren OVG Frankfurt (Oder): Verhältnis von Brandschutz- recht und Ordnungsbehördenrecht LAG Halle/Saale: Berechnung der Beschäftigungs- zeiten nach § 19 BAT-O bei Arbeitgeberwechsel in DDR NJ Seiten 449-504 NOMOS Berlin In diesem Heft …
Herausgeber: AUFSÄTZE S. 449 Prof. Dr. Marianne Andrae Universität Potsdam Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard bei Insolvenzreife der GmbH Institut für Anwaltsrecht Frederik Karsten ...... 449 der Universität Leipzig Max Fechner (1892-1973) Dr. Michael Burmann Rudi Beckert ...... 454 Präsident der Rechtsanwaltskammer Thüringen Dr. Bernhard Dombek Rechtsanwalt und Notar, Berlin KURZBEITRÄGE S. 459 Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Unterbrechung der Hauptverhandlung – eine Reform ist überfällig! Lothar Haferkorn Peter Scharf und Christian Kropp ...... 459 Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt Die Stellung ausländischer Rechtsanwälte Georg Herbert in der Tschechischen Republik Richter am Bundesverwaltungsgericht Simona Sonnewendová ...... 460 Dr. Gerhard Hückstädt Restitution nach dem VermG, wenn der Eigentümer Präsident des Landesverfassungsgerichts noch im Grundbuch steht? Mecklenburg-Vorpommern und Fritz Enderlein ...... 462 Präsident des LG Rostock Dr. Günter Kröber Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen INFORMATIONEN S. 463 Kay-Thomas Pohl Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin Prof. Dr. Martin Posch DOKUMENTATION S. 467 Rechtsanwalt, Jena Petitionsbericht des Deutschen Bundestags 2002 ...... 467 Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg Generalstaatsanwalt des Landes Zum Nutzerwechsel bei Erholungs- und Garagengrundstücken Brandenburg in den neuen Ländern (Merkblatt des BMJ) ...... 469 Dr. Axel Schöwe Präsident der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern Karin Schubert REZENSIONEN S. 470 Bürgermeisterin und Senatorin für Justiz des Landes Berlin Jens Meyer-Ladewig: Ulf Schulze Kommentar zur EMRK Präsident der Rechtsanwaltskammer Von Frank Hoffmeister Brandenburg Th. Raiser/K.-M. Schmidt/P.-F. Bultmann: Prof. Dr. Horst Sendler Anwaltsklausuren Präsident des Bundesverwaltungs- Von Hans-Ulrich Borchert gerichts a.D., Berlin Manfred Walther Rechtsanwalt, Berlin Dr. Friedrich Wolff RECHTSPRECHUNG S. 471 Rechtsanwalt, Berlin 01 Verfassungsrecht BGH: Kennzeichnung als Bodenreformgrundstück LVerfG Mecklenburg-Vorpommern: im Grundbuch ...... 477 Verfassungswidriger Ausschluss eines Landtags- abgeordneten aus seiner Fraktion (Jutzi) ...... 471 BGH: VerfG Brandenburg: Erfüllung durch Hinterlegung (Winkler) ...... 478 Keine Aussetzung des In-Kraft-Tretens einer BGH: eine Gemeinde auflösenden Bestimmung Zur Relevanz von Investitionszulagen für der im Wege der einstweiligen Anordnung (Ls.)...... 473 Unterhaltsbemessung zugrunde zu legendes VerfGH Sachsen: Einkommen eines Selbständigen (Ls.) ...... 479 Sächs. PolizeiG teils verfassungswidrig (Ls.) . . . . . 473 BGH: Thüringer VerfGH: Keine Ansprüche nach SachenRBerG bei § 6 Abs. 3 Thür. AbgeordnetenG mit unentgeltlicher Überlassung einer Reichs- Neue Justiz Landesverfassung unvereinbar (Ls.) ...... 473 heimstätte (Zank) ...... 479 Zeitschrift für Rechtsentwicklung BGH: und Rechtsprechung in den 02 Bürgerliches Recht Neuen Ländern Umfang des Auflassungsanspruchs bei der BGH: Bodenreformabwicklung ...... 481 Unangemessene Benachteiligung durch AGB 57. Jahrgang, S. 449-504 bei langfristiger Bindung an Gestattungs- BGH: verträge (Kholstinina)...... 474 Pflichtverletzung eines Geschäftsführers bei Insolvenzreife der GmbH (Ls.) ...... 481 BGH: Vorrang des Zuordnungsrechts für Treuhand- BGH: unternehmen vor Bestimmungen des SachenR- Zuteilungsfähigkeit für Bodenreform- NJ 9/03 BerG über Bestellung von Dienstbarkeiten . . . . . 476 grundstück (m. Anm. Schramm) ...... 482 I In diesem Heft …
BGH: OVG Bautzen: Redaktion: Haftung für ärztlichen Behandlungsfehler Zur Satzung des Regionalplans »Oberes Elbtal/ Rechtsanwältin Adelhaid Brandt (Ls.) ...... 483 Osterzgebirge« (Ls.) ...... 497 (Chefredakteurin) BGH: OVG Greifswald: Barbara Andrä Pflichten des Rechtsanwalts bei Rechtsmittel- Sofortige Vollziehung einer bauaufsichts- Redaktionsanschrift: schriftanfertigung (Ls.)...... 483 behördlichen Beseitigungsverfügung gegen Französische Str. 13, 10117 Berlin illegal errichteten Wintergarten (Otto) ...... 497 BayObLG: Tel.: (030) 22 32 84-0 Nachlassspaltung bei Bodenreformgrund- OVG Magdeburg: Fax: (030) 22 32 84 33 stücken und Auslegung eines Erbvertrags Beitragsfestsetzung aufgrund einer E-Mail: [email protected] nach ZGB (Heidrich) ...... 484 Schmutzwasserbeitragssatzung (Ls.) ...... 498 Internetadresse: OLG Dresden: OVG Berlin: http://www.nomos.de Haftung des GmbH-Geschäftsführers Auslegung des Begriffs »Ersatzfahrzeug« Erscheinungsfolge: einmal monatlich für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialver- iSv § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO (Ls.)...... 498 sicherung (Ls.) ...... 487 Bezugspreise: OVG Frankfurt (Oder): Jahresabonnement 118,– € OLG Dresden: Verhältnis von Brandschutzrecht und jeweils inkl. MwSt., zzgl. Porto und Ansprüche des Verbrauchers aus Gewinn- Ordnungsbehördenrecht (Behmenburg) ...... 498 Versandkosten zusage (Schreiber) ...... 487 05 Arbeitsrecht OLG Dresden: Vorzugspreis: (gegen Nachweis) für Studenten jährl. 32,– € Gebührenabschlag Ost für Rechtsanwälte BAG: bei überörtlicher Sozietät ...... 489 inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand- Hinweispflicht des Ausbilders auf für das kosten OLG Jena: Ausbildungsverhältnis anzuwendenden Kostenerstattung für zweitinstanzlichen Prozess- Tarifvertrag (Ls.) ...... 500 Einzelheft: 13,– € inkl. MwSt., bevollmächtigten bei Berufungsrücknahme (Ls.). . . 489 BAG: zzgl. Porto und Versandkosten OLG Naumburg: Vertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge Bestellungen beim örtlichen Buch- Kein Gebührenabschlag für Rechtsanwälte und Auslegung (Ls.) ...... 500 handel oder direkt bei der NOMOS Verlagsgesellschaft Baden-Baden. nach EinigungsV bei Kostenerstattung gem. BAG: Abbestellungen bis jeweils § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO (Ls.) ...... 490 Vereinbarungen im Arbeitsvertrag über 30. September zum Jahresende. OLG Naumburg: satzungsmäßig einzuhaltende allgemeine Eintragung einer Genossenschaft der Arbeitsbedingungen (Ls.) ...... 500 Verlag, Druckerei, Anzeigenver- Separationsinteressenten im Grundbuch (Ls.) . . . 490 LAG Halle/Saale: waltung und Anzeigenannahme: Berechnung der Beschäftigungszeiten nach Nomos Verlagsgesellschaft OLG Jena: Waldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden, Zuständigkeit und Verweisung in Wohnungs- § 19 BAT-O bei Arbeitgeberwechsel in DDR/ hier: für Jubiläumszuwendung ...... 500 Tel.: (0 72 21) 21 04-0 eigentumssachen (Ls.) ...... 490 Fax: (0 72 21) 21 04-27 LAG Berlin: 04 Verwaltungsrecht Streitwert bei mehreren Abmahnungen (Ls.) . . . . 502 Urheber- und Verlagsrechte: Die in dieser Zeitschrift veröffentlich- BVerwG: 06 Sozialrecht ten Beiträge sind urheberrechtlich Wertfeststellung in Bodenordnungsverfahren . . . . 491 geschützt. Das gilt auch für die veröf- BVerwG: BSG: fentlichten Gerichtsentscheidungen Kein Restitutionsausschluss von Bodenreform- Voraussetzungen für eine Ermessensleistung und ihre Leitsätze; diese sind geschützt, grundstücken bei redlichem Erwerb der rück- nach § 6 UnterstützungsabschlussG bei soweit sie vom Einsender oder von gabebegehrenden Körperschaft (Kolb) ...... 494 Gesundheitsschädigung in DDR ...... 503 der Redaktion erarbeitet und redigiert BSG: worden sind. Kein Teil dieser Zeit- BVerwG: schrift darf ohne vorherige schriftliche Verfolgungsbedingter Vermögensverlust und Voraussetzungen für Bezug von Knappschafts- Zustimmung des Verlags verwendet Anforderungen an Art. 3 Abs. 2 u. 3 REAO (Ls.) . . . 495 ausgleichsleistungen (Ls.) ...... 503 werden. Das gilt insbesondere für BVerwG: LSG Chemnitz: Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Berechnung des Grundstückswerts bei Sperrzeit bei Gewährung von Arbeitslosengeld Übersetzungen, Mikroverfilmungen (Ls.) ...... 504 Eigentumsverzicht in DDR (Ls.) ...... 495 und die Einspeicherung und Verarbei- tung in elektronischen Systemen. BVerwG: Verfahrensfortgang ...... 504 Rechtzeitige Anmeldung eines Restitutions- ISSN 0028-3231 anspruchs durch Testamentsvollstrecker/ Eigentumserwerb durch ausländischen Staat NJ aktuell ...... III Redaktionsschluss: (Gruber)...... 495 18. August 2003 Buchumschau ...... VI BVerwG: Rechtsnachfolgeeigenschaft iSd VermG/ Termine ...... VII hier: Erben von Bodenreformgrundstück (Ls.) . . . . 497 Zeitschriftenübersicht ...... IX
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57. Jahrgang, S. 449-504
NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie in der Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax (0 30) 22 32 84 33 NJ 9/03 II NJ aktuell Heft 9/2003
lagen und Gegenstände bestätigt wurde, den Beschwerdef. zu 1 in Bundesgerichte seinem Recht aus Art. 47 Satz 2 iVm Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde der weiteren Beschwerdef. und BVerfG: § 3 Abs. 2 BORA mit Grundgesetz unvereinbar und nichtig der Antrag im Organstreitverfahren wurden zurückgewiesen. Das BVerfG hat in diesem Verfahren die umstrittene Frage geklärt, ob Mit Beschl. v. 3.7.2003 (1 BvR 238/01) hat das BVerfG entschieden, im Fall einer Ermittlung gegen einen beschuldigten Mitarbeiter des dass § 3 Abs. 2 BORA v. 29.11.1996 mit der grundrechtlich geschützten Abgeordneten auch auf Schriftstücke zugegriffen werden kann, die der Berufsausübungsfreiheit unvereinbar und nichtig ist. Dies gilt auch Abgeordnete diesem im Rahmen seines Direktionsrechts überlassen für inhaltsgleiche Fassungen dieser Vorschrift in späteren Bekannt- hat. In den Räumen des Bundestags hat der Abgeordnete unmittelbar machungen. Mit ihren Verfassungsbeschwerden hatten sich drei Herrschaftsmacht über Schriftstücke iSd Art. 47 Satz 2 GG, die seinem Rechtsanwälte, die gemeinsam eine Anwaltskanzlei betreiben, gegen Direktionsrecht unterliegen. Solche Schriftstücke dürfen in den Räum- die von der RAK ausgesprochene Verpflichtung zur Niederlegung von lichkeiten des Bundestags auch bei dem Mitarbeiter eines Abgeordneten Mandaten gewehrt, nachdem sie einen Rechtsanwalt angestellt hat- nicht beschlagnahmt werden. Soweit sich Schriftstücke außerhalb der ten, der zuvor bei einer auf der Gegenseite tätigen Sozietät beschäftigt Räume des Bundestags bei einem Mitarbeiter befinden, ist die recht- war. Das BVerfG hob den Beschluss des BGH, der die Entscheidung der liche und tatsächliche Beherrschungsmöglichkeit des Abgeordneten RAK bestätigt hatte, auf, weil die Beschwerdef. in ihren Grundrechten so weit gelockert, dass der Schutzbereich des Art. 47 GG verlassen wird. aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt werden. Dazu führte das BVerfG aus: (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 60/03 v. 30.7.2003) Zu den in § 43a Abs. 4 BRAO geregelten Grundpflichten eines Rechts- anwalts gehört es, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten. BVerfG: Kritik an Regelungen zum Kindergeld Dieses Verbot wird in § 3 BORA auf Sozietäten erstreckt. § 3 Abs. 2 Mit Beschl. v. 9.4.2003 (1 BvL 1/01 u. 1 BvR 1749/01) hat das BVerfG BORA lässt indessen keinen Raum für eine Abwägung im Einzelfall. entschieden, dass § 1612b Abs. 5 BGB nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG Die Möglichkeit des Sozietätswechsels ist für die Anwaltschaft zuneh- verstößt, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unter- mend von Bedeutung. Eine Vielzahl von Anwälten geht in Sozietäten haltsberechtigten Kindes die Anrechnung des Kindergeldes auf den ihrem Beruf nach. Ein Kanzleiwechsel ist keine Seltenheit mehr und Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichti- kommt selbst für hochspezialisierte Rechtsanwälte in Betracht. gen Elternteils abhängig macht und diesen vor dem betreuenden § 3 Abs. 2 BORA erschwert den Berufswechsel, weil der aufnehmenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Kanzlei grundsätzlich die Mandatsniederlegung und damit der Ver- Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen. zicht auf Einnahmen zugemutet wird. Damit sind Beeinträchtigungen Zugleich verwies das BVerfG aber darauf, dass die das Kindergeld der Berufsausübungsfreiheit verbunden, die nicht weiter gehen dürfen, betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrecht- als sie vom Eingriffszweck unumgänglich sind. Dies ist bei § 3 Abs. 2 lichen Verflechtung dem Verfassungsgrundsatz der Normenklarheit BORA nicht der Fall. Diese Bestimmung beschränkt die Nachteile für immer weniger genügen. So bringt § 1612b BGB nicht genügend klar die aufnehmende Sozietät nicht auf das zum Schutz von Gemeinwohl- zum Ausdruck, welche in Bezug genommene Größe das Existenzmi- interessen erforderliche Minimum. Sie lässt eine Prüfung im Einzelfall nimum eines Kindes ausmacht. Außerdem ermöglicht es die Vorschrift nicht zu, ob Sicherungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beach- dem Verordnungsgeber, über die einkommensorientierte Veränderung tung der Verschwiegenheitspflicht bestehen. Dies hängt von der Orga- der Regelbeträge maßgeblich zu beeinflussen, was der Gesetzgeber in nisation und der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den § 1612b Abs. 5 BGB als prozentuale Größe zum Maßstab für die Anwälten im jeweiligen Einzelfall ab. Wird hingegen an die formalen Bestimmung des Existenzminimums eines Kindes genommen hat. Außenbeziehungen von Rechtsanwälten durch eine Pflicht zur Man- Unter Bezugnahme auf einen Entschließungsantrag des Bundestags, datsniederlegung ein Mobilitätshindernis geknüpft, führt dies zu einer mit dem dieser die Bundesregierung gebeten hat, das Unterhaltsrecht unverhältnismäßigen Erschwerung des Kanzleiwechsels. in Abstimmung mit sozial- und steuerrechtlichen Parallelregelungen (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 56/03 v. 23.7.2003) zu überprüfen und Vorschläge für eine Neuregelung zu erarbeiten, sind die gesetzgebenden Organe auch von Verfassungs wegen aufgefordert, BVerfG: Beschlagnahmeprivileg bei Abgeordneten hier Abhilfe zu schaffen. Schriftstücke, für die der Abgeordnete glaubhaft macht, dass sie ihm (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 64/03 v. 5.8.2003) im Zusammenhang mit seiner parlamentarischen Arbeit anvertraut sind, dürfen in den Räumen des Bundestags auch bei einem Mitarbei- BGH: Zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ter eines Abgeordneten nicht beschlagnahmt werden. Dies entschied Der BGH hatte in zwei Entscheidungen darüber zu befinden, inwieweit mit Urt. v. 30.7.2003 (2 BvR 508/01 u. 2 BvE 1/01) das BVerfG im ein Vermieter, der dem Mieter wegen Eigenbedarfs kündigt, verpflich- Rahmen eines Verfassungsbeschwerde-Verfahrens und eines gegen tet ist, dem Mieter eine ihm zur Verfügung stehende Wohnung, die den Präsidenten des Deutschen Bundestags gerichteten Organstreit- vermietet werden soll, zur Anmietung anzubieten. Mit Urteilen v. verfahrens. Beschwerdef. und Ast. sind 13 Abgeordnete des Bundestags 9.7.2003 (VIII ZR 311/02 u. 276/02) entschied der BGH, dass und Mitglieder bzw. stellvertretende Mitglieder der Arbeitsgruppe der grundsätzlich eine Anbietpflicht zu bejahen und eine unter Verstoß SPD-Bundestagsfraktion im Parteispenden-Untersuchungsausschuss gegen diese Verpflichtung ausgesprochene Kündigung wegen Rechts- des 14. Deutschen Bundestags, der Beschwerdef. zu 1 und Ast. zu 1 war missbrauchs unwirksam ist. Diese Pflicht besteht jedoch nur, wenn die deren Obmann. Das BVerfG hat weiter festgestellt, dass der Beschluss des andere Wohnung bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist zur LG München I, mit dem u.a. die Beschlagnahme der in der Wohnung Verfügung steht und sie sich im selben Haus oder in derselben Wohn- und im Büro des beschuldigten Mitarbeiters sichergestellten Unter- anlage befindet.
Neue Justiz 9/2003 III In dem dem Verfahren VIII ZR 311/02 zugrunde liegenden Fall hatte Folge hatte, dass das von der Kl. erworbene Modell 523i nicht mehr der kl. Vermieter seiner Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt. hergestellt wurde. Nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch vor Beendigung des Nach der Rspr. des Senats ist ein als Neuwagen verkaufter Pkw nicht Räumungsprozesses war in demselben Haus eine gleich große Woh- mehr »fabrikneu«, wenn das betreffende Modell nicht mehr unverän- nung frei geworden, die der Vermieter jedoch anderweitig vermietete. dert hergestellt wird. Im jetzt entschiedenen Fall hatte das OLG Köln Die Mieterin hatte den Eigenbedarf des Kl. bestritten und geltend hiergegen Bedenken. Es meinte, der Zeitpunkt der fabrikinternen Pro- gemacht, der Vermieter hätte ihr diese Wohnung als Alternative duktionsumstellung sei der Rspr. des BGH nicht eindeutig als maß- anbieten müssen. geblich zu entnehmen; er sei überdies »nicht nahe liegend« und nicht Der BGH hat zunächst festgestellt, dass den Vermieter grundsätzlich praktikabel, weil er dem Händler und erst recht dem Kunden häufig die Pflicht trifft, eine ihm zur Vermietung zur Verfügung stehende verschlossen bleibe. Das OLG hat deshalb – abweichend von der Rspr. andere Wohnung dem Mieter anzubieten. Zwar ist bei der Kündigung des VIII. Zivilsenats – auf den Beginn der Auslieferung des neuen einer Mietwohnung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich die Entschei- Modells an den Handel abgestellt. Es ist weiter davon ausgegangen, im dung des Vermieters, wie er eine ihm gehörende Wohnung nutzen vorliegenden Fall sei der Kaufvertrag noch vor jenem Zeitpunkt abge- wolle, zu respektieren. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, schlossen worden; deshalb sei das verkaufte Fahrzeug noch fabrikneu dass die Kündigung wegen Eigenbedarfs gegen einen Mieter einen gewesen. Im Übrigen habe die Verkäuferin auch nicht ungefragt auf erheblichen Eingriff in dessen Lebensumstände darstellt und deshalb den bevorstehenden Modellwechsel hinweisen müssen. Die auf Rück- so schonend wie möglich ausgeübt werden muss. Der Vermieter ist daher gängigmachung des Kaufvertrags oder Schadensersatz gerichtete Klage gehalten, diesen Eingriff abzumildern, soweit ihm dies möglich ist. hat es daher abgewiesen. Der Senat hat damit die von den Instanzgerichten bereits seit länge- Der BGH hält auch nach Prüfung der vom OLG angestellten Erwä- rem praktizierte Rspr. zur Anbietpflicht des Vermieters bestätigt. gungen mit seinem Urt. v. 16.7.2003 (VIII ZR 243/02) an seinem Weiter wird ausgeführt, dass die Verpflichtung des Vermieters nur bisherigen Standpunkt fest. Er teilt insbes. nicht die Befürchtung, der besteht, wenn die Alternativwohnung spätestens bis zum Ablauf der Zeitpunkt der Produktionseinstellung eines bestimmten Automodells Kündigungsfrist zur Vermietung zur Verfügung steht. Anderenfalls sei dem Vertragshändler einer Fahrzeugmarke häufig nicht bekannt. würde nämlich derjenige Mieter privilegiert, der sich nach Ablauf der Dieser Zeitpunkt ist entgegen der Auffassung des BerufungsG auch Kündigungsfrist unberechtigt weiterhin in der Wohnung aufhält. hinreichend genau feststellbar; der Umstand, dass die gesamte Pro- Durch eine nach Vertragsende fortgeltende Anbietpflicht wird der duktionsumstellung von einem auf ein neues oder anderes Pkw- Vermieter in seinem durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsrecht Modell wegen der erforderlichen Umrüstung der Produktionsanlagen, unverhältnismäßig eingeschränkt. Soweit sich im Räumungsverfahren etwa damit verbundener Werksferien und der Anlaufzeit für die Her- herausstellt, dass ein Eigenbedarf tatsächlich nicht vorliegt, bedarf es stellung des neuen Typs möglicherweise mehrere Wochen in Anspruch zum Schutze des Mieters einer Anbietpflicht nicht, weil die vom Ver- nimmt, spricht deshalb nicht gegen die Produktionseinstellung als mieter ausgesprochene Kündigung dann ohnehin unwirksam ist. maßgebliche Zäsur für die Frage, ab wann ein Fahrzeug nicht mehr In dem Verfahren VIII ZR 276/02 hatte der Kl. eine Kündigung wegen unverändert hergestellt wird und das betreffende Modell demzufolge Eigenbedarfs ausgesprochen, um seinem Bruder und dessen sechsköp- nicht mehr als fabrikneu iSd Rspr. des BGH angesehen werden kann. figer Familie zu ermöglichen, in die Wohnung der bekl. Mieter einzu- (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 94/03 v. 16.7.2003) ziehen. Das BerufungsG hat die Kündigung für rechtsmissbräuchlich gehalten, weil der Kl. seinen Bruder nicht veranlasst hatte, eine die- BGH: Zum kreditfinanzierten Beitritt zu geschlossenem Immobilienfonds sem gehörende, mehrere Kilometer entfernt gelegene Wohnung den Der Bekl. und Revisionskl. hatte bei der Kl., einer Kreissparkasse, ein Mietern anzubieten. Diese Wohnung war im Zeitpunkt der Kündigung Darlehen aufgenommen, das der Finanzierung des Anteilserwerbs an vermietet, wurde aber später frei. Der Bruder des Kl. vermietete sie einem geschlossenen Immobilienfonds dienen sollte. Nachdem die weiter, ohne sie den Bekl. angeboten zu haben. Fondsgesellschaft ihre Ausschüttungen an den Bekl. eingestellt hatte, Der Senat entschied, dass der Vermieter grundsätzlich auch für seine kündigte der Bekl. seine Gesellschaftsbeteiligung wegen arglistiger Geschwister Eigenbedarf geltend machen könne. Bei Geschwistern Täuschung fristlos und stellte die Zins- und Tilgungsleistungen an die bestehe noch ein so enges Verwandtschaftsverhältnis, dass es eines Kl. ein. Das BerufungsG gab der Klage der Kl. auf Rückzahlung des zusätzlichen, einschränkenden Tatbestandsmerkmals, wie etwa einer Darlehens statt und wies die Widerklage des Bekl. auf Erstattung der engen sozialen Bindung zum Vermieter, nicht bedürfe. Die Anbiet- bis zur Zahlungseinstellung geleisteten Zahlungen ab. pflicht des Vermieters hat der Senat im konkreten Fall jedoch deshalb Mit Urt. v. 21.7.2003 (II ZR 387/02) hat der BGH auf die Revision des verneint, weil sich die Wohnungen nicht in der erforderlichen räum- Bekl. das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Ver- lichen Nähe zueinander befanden. Es ist nicht Sache des Vermieters, handlung und Entscheidung an das BerufungsG zurückverwiesen. dem Mieter jede andere, ihm zur Verfügung stehende Wohnung zur Nach Auffassung des Senats stellt der kreditfinanzierte Beitritt zu Nutzung anzubieten. Seine Verpflichtung beschränkt sich vielmehr einem geschlossenen Immobilienfonds ein Verbundgeschäft nach § 9 auf eine im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befindliche Abs. 3 u. 4 VerbrKrG dar, wenn, wie hier, der Vermittler der Fonds- Wohnung, um dem Mieter zu ermöglichen, eine Wohnung in seiner beteiligung zugleich unter Verwendung von Formularen der Bank die vertrauten Umgebung zu beziehen. Finanzierung des Anteilserwerbs anbietet. Folge des Verbundgeschäfts (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 90/03 v. 9.7.2003) ist es, dass die Kündigung der Gesellschaftsbeteiligung wegen arglisti- ger Täuschung sowohl dazu berechtigt, die Zahlungen auf das Dar- BGH: Festhalten an Neuwagen-Rechtsprechung lehen einzustellen, als auch in entsprechender Anwendung des § 9 Der BGH hatte sich erneut mit der Frage zu befassen, ab wann ein als Abs. 2 Satz 4 VerbrKrG dazu, die Rückzahlung der an die Bank bis zur Neufahrzeug verkauftes Kraftfahrzeug nicht mehr als »fabrikneu« Kündigung geleisteten Zahlungen zu verlangen. Allerdings gilt dies anzusehen ist, wenn in dem Zeitraum, in dem der Kaufvertrag abge- nur insoweit, als die Fondsbeteiligung des Anlegers nicht schon durch schlossen worden ist, ein Modellwechsel stattgefunden hat. In dem Verluste, die von ihm anteilig mitzutragen sind, gemindert ist. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um den Kauf eines Bank ist daher gehalten, nach Kündigung der Gesellschaftsbeteiligung Pkw mit der Typenbezeichnung 523i der 5er-Reihe der Marke BMW und damit zugleich des Darlehensvertrags das Geschäft abzurechnen. bei der bekl. BMW-Vertragshändlerin. An dieser Reihe hatte BMW im Im Ergebnis kann sie ihr Darlehen von dem Anleger damit nur inso- Spätsommer 2000 eine sog. Modellpflege vorgenommen, die u.a. zur weit zurückfordern, wie die Darlehenssumme das ihr überlassene
IV Neue Justiz 9/2003 Abfindungsguthaben des Anlegers übersteigt. Hat der Anleger auf das 2002 allen betroffenen Eigentümern für weitere 15 Jahre gewährt. Darlehen bereits mehr zurückgezahlt als den der Bank danach zuste- Im Febr. 2003 beschloss der Berliner Senat zur Entlastung des Berliner henden Betrag, so kann der Anleger diesen Mehrbetrag sogar von der Haushalts den Ausstieg aus der Anschlussförderung rückwirkend zum Bank zurückfordern. 1.1.2003; die IBB lehnte daraufhin den Antrag der S. auf Anschlussför- (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 97/03 v. 22.7.2003) derung ab. Bis zur Entscheidung über ihre dagegen erhobene Klage hat Zur aktuellen Rechtsentwicklung beim fremdfinanzierten Erwerb von Immo- die S. die vorläufige Zahlung der Anschlussförderung begehrt. Das VG bilien und Fondsanteilen siehe I. Fritsche/St. Fritsche, NJ 2003, 231 ff., 288 ff. hat dieses Verlangen abgelehnt. Die Beschwerde der S. hatte Erfolg. Nach Auffassung des OVG spricht alles dafür, dass die Ast. unter Ver- BAG: Unwirksamer Spruch der Einigungsstelle über Höchstarbeitszeit trauensschutzgesichtspunkten die Anschlussförderung beanspruchen und Bereitschaftsdienst kann. Denn das Förderverhältnis war bei verständiger Auslegung des Der Arbeitgeber ist ein Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes. (Grund-)Förderungsbescheids nicht auf 15, sondern auf 30 Jahre ange- Er betreibt im staatlichen Auftrag den Rettungsdienst in einem Land- legt. Nach den Bestimmungen des WohnungsbauförderungsG hatte kreis. Auf Antrag des Betriebsrats hat eine betriebliche Einigungsstelle das Land Berlin die Pflicht, bei der Vergabe der (Grund-)Förderung einen Rahmendienstplan beschlossen. Ihm zufolge wird die »wöchent- darauf zu achten, dass die Sozialwohnungen auf Dauer mit für Sozial- liche durchschnittl. Höchstarbeitszeit in Form von persönlicher Anwe- mieter geeigneten Mieten bewirtschaftet werden konnten. Da die für senheit am Arbeitsplatz dienstplanmäßig auf 48 Stunden beschränkt«; die Finanzierung aufgenommenen Darlehen üblicherweise eine plan- in der Arbeitszeit »können Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst mäßige Tilgungsdauer von 30 Jahren haben und die »Lücke« zwischen enthalten sein«. Die übrigen Regelungen haben die Dauer und Lage Kostenmiete (23,21 DM/qm) und »Mietermiete« (4,89 DM/qm) von Schichten und Bereitschaftsdienst, die Dauer der Ruhezeit nach aufgrund der besonderen politischen und wirtschaftlichen Situation Schichtende und Pausenzeiten zum Gegenstand. Der Arbeitgeber hat Berlins außergewöhnlich groß gewesen ist, war allen Beteiligten den Spruch angefochten. Die Vorinstanzen wiesen seinen Antrag ab. bewusst, dass die »Lücke« nach Ablauf der (Grund-)Förderung weiter- Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers war teilweise erfolgreich. hin in nahezu unveränderter Höhe bestehen bleiben würde, die Mit Beschl. v. 22.7.2003 (1 ABR 28/02) hat das BAG entschieden, dass Objekte bei Ausbleiben der Anschlussförderung also zwangsläufig eine betriebliche Einigungsstelle keine Regelung über den Umfang der notleidend werden würden. Dementsprechend wurde in der Vergan- wöchentlichen Höchstarbeitszeit und die Einordnung von Bereit- genheit auch nahtlos Anschlussförderung gewährt. schaftsdienst als Arbeitszeit treffen kann. Der Spruch ist unwirksam, Die nunmehr vom Land angeführte Entspannung am Wohnungsmarkt soweit er die wöchentl. Höchstarbeitszeit – unter Einbeziehung des und die angespannte Haushaltslage berechtigten das Land zu einer Bereitschaftsdienstes – festlegt. Die Einigungsstelle ist hierfür nicht Verringerung der Förderung, nicht aber zum völligen Ausstieg aus der zuständig. Der Betriebsrat hat zwar nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG Anschlussförderung. Denn die finanziellen und wohnungswirtschaft- über die Lage der Arbeitszeit mitzubestimmen, nicht aber über deren lichen Risiken sind bei Gewährung der (Grund-)Förderung vom Land wöchentlichen Umfang. Die Unwirksamkeit der genannten Regelun- erkannt, aber aus politischen Gründen bewusst eingegangen worden. gen hat auf die Wirksamkeit der übrigen Teile des Spruchs keinen Ein- Der Erlass der einstweiligen Anordnung zugunsten der S. ist notwen- fluss. Diese sind unabhängig von der maßgeblichen Höchstarbeitszeit dig, weil sie ohne eine vorläufige Zahlung der Anschlussförderung in auch für sich allein sinnvoll und praktikabel. ihrer Existenz bedroht ist. Zwar könnte sie bei Wegfall der Anschluss- (aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 51/03 v. 23.7.2003) förderung die Kostenmiete erheben; diese ist jedoch unter keinen Umständen zu erzielen, weil sie mit derzeit 11,09 € noch weit ober- halb der ortsüblichen Miete von 6,55 € für vergleichbare freifinan- zierte Wohnungen liegt. (aus: Pressemitteilung des OVG Berlin Nr. 21/03 v. 25.7.2003)
Landesgerichte OVG Frankfurt (Oder): Anschluss- und Benutzungszwang für sog. abwasserfreies Grundstück bestätigt Das OVG hat durch Urt. v. 31.7.2003 (2 A 316/02) die Berufung von OVG Berlin: Zur Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau Grundstückseigentümern gegen ein Urteil des VG Potsdam zurückge- Mit Beschl. v. 24.7.2003 (5 A 8/03) verpflichtete das OVG Berlin auf wiesen, mit dem die Klage auf Befreiung vom Anschluss- und Benut- die Beschwerde eines privaten Wohnungsbauunternehmens (S.) das zungszwang zu den zentralen öffentlichen Einrichtungen und Anla- Land Berlin im Wege einstweiliger Anordnung, dem Unternehmen gen der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung abgewiesen vom 1.2.2003 an für die Zeit der Rechtshängigkeit der Klage eine worden war. finanzielle Hilfe zu den laufenden Aufwendungen für die im sozialen Die Kl. hatten die Befreiung vom Anschlusszwang an die öffentlichen € Wohnungsbau errichtete Mietwohnanlage i.H.v. monatl. rd. 17.600 Einrichtungen unter Hinweis darauf beantragt, dass ihre Wasserver- zu zahlen. Die Entscheidung hat Bedeutung für eine Reihe gleich sorgung aus einem auf ihrem Grundstück befindlichen Brunnen gelagerter Fälle. gewährleistet sei; Abwasser falle auf ihrem Grundstück nicht an, weil Das Land Berlin förderte den sozialen (Miet-)Wohnungsbau in den sie eine Trockentoilette installiert hätten und das in ihrem Haushalt Jahren 1972 bis 1999 in der Weise, dass sich die bauwilligen Eigen- anfallende Schmutzwasser nach der Reinigung in einer sog. Brauch- tümer die benötigten finanziellen Mittel für den Bau der Sozialwoh- wassergewinnungsanlage bzw. Grauwasserbehandlungsanlage für das nungen am Kapitalmarkt beschafften und das Land Berlin anschlie- Tränken des von ihnen gehaltenen Viehs und im Übrigen zur Bewäs- ßend degressiv gestaffelte Aufwendungshilfen vergab, die die Lücke serung ihres Gartens verwendet werde. Das behandelte Grauwasser zwischen der sich aus den Kapital- und Bewirtschaftungskosten errech- weise Badewasserqualität iSd einschlägigen EU-Richtlinie auf. nenden Kostenmiete und der vom Sozialmieter zu tragenden »Mieter- Der bekl. Wasser- und Abwasserzweckverband hatte die Befreiung auf miete« decken sollten. In den Förderungsbescheiden der Wohnungs- der Grundlage einer nach seinem Satzungsrecht erforderlichen Abwä- bau-Kreditanstalt Berlin (jetzt Investitionsbank Berlin – IBB) war die gung des privaten Interesses an der Befreiung mit den öffentlichen Dauer der (Grund-)Förderung auf 15 Jahre begrenzt; die Eigentümer Interessen an der Dauerhaftigkeit der Entsorgungssicherheit, an den waren aber verpflichtet, ggf. nach Ablauf der 15 Jahre weitere Förder- gesundheitlichen Anforderungen und an der Inanspruchnahme der mittel anzunehmen. Diese sog. Anschlussförderung, wurde bis Ende öffentlichen Einrichtungen abgelehnt; Vorrang gebühre dem öffent-
Neue Justiz 9/2003 V lichen Interesse an der Entsorgungssicherheit und der Notwendigkeit, dass der Betrieb der von ihm errichteten öffentlichen Anlagen wirt- Buchumschau schaftlich und technisch nur gewährleistet sei, wenn die Grundstücke im Einzugsbereich der Anlagen möglichst umfassend die Anlagen in Rudi Beckert Anspruch nähmen. Lieber Genosse Max Das OVG hat die vom bekl. Zweckverband vorgenommene Abwägung Aufstieg und Fall des ersten Justizministers der DDR Max Fechner bestätigt und von den Kl. geäußerte Zweifel an der Verfassungsmäßig- Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2003 347 S., brosch., 42,– €. ISBN 3-8305-0149-8 keit des Anschluss- und Benutzungszwangs verworfen. Eine Befreiung Der politische Werdegang Fechners im Osten Deutschlands vom stell- kommt insoweit nur in Betracht, wenn das private Interesse unter vertretenden Vorsitzenden der SED, Präsidenten der Deutschen Zen- jedem der in der Satzung angeführten Gesichtspunkte das öffentliche tralverwaltung für Justiz bis zum ersten Justizminister der DDR endete Interesse überwiegt. Insbes. die Abwasserbeseitigung ist eine den bereits 1953. Im Zusammenhang mit den Ereignissen des 17. Juni wurde er inhaftiert und durch die eigene Justiz als Staatsfeind verurteilt. Gemeinden bzw. den von ihnen gebildeten Zweckverbänden gesetz- Der Autor beschreibt den widerspruchsvollen Lebensweg von Max lich übertragene hoheitliche Pflichtaufgabe. Die Träger dieser Aufgabe Fechner. (Siehe dazu den Beitrag von R. Beckert, S. 454 ff., in diesem Heft) haben zu entscheiden, ob sie die Abwasserbeseitigung durch zentrale oder dezentrale öffentliche Anlagen erledigen oder sie im Rahmen des Ulf Bischof Abwasserbeseitigungskonzepts auch den Grundstückseigentümern Die Kunst und Antiquitäten GmbH im Bereich Kommerzielle zur eigenen Erledigung mit Hilfe von Kleinkläranlagen überlassen, Koordinierung die nach der ab 1.9.2003 geltenden Neufassung der BauO Bbg. im De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, Berlin 2003 534 S., geb., 138,– €. ISBN 3-89949-048-7 Gegensatz zur noch geltenden Rechtslage nicht mehr genehmigungs- Die Arbeit umreißt den rechtlichen Rahmen für den Außenhandel in pflichtig und baurechtlich grundsätzlich zulässig sind. Die Wirtschaft- der DDR und seine Unternehmen und behandelt ausführlich den lichkeit und technische Funktionsfähigkeit zentraler Einrichtungen Bereich Kommerzielle Koordinierung als Sonderbereich des DDR- liegt im Interesse der Allgemeinheit. Die Zahl der Nutzer ist letztlich Außenhandels, seine Struktur und die wirtschaftlichen Aktivitäten. Dargestellt wird die Geschäftstätigkeit der Kunst und Antiquitäten ausschlaggebend für die Höhe der für die Inanspruchnahme zu ent- GmbH von ihrer Gründung im Jahre 1973 und der Übernahme des richtenden Gebühren. Antikhandel Pirna bis zu ihrer Abwicklung im Jahre 1990. (aus: Pressemitteilung des OVG Frankfurt [Oder] v. 1.8.2003) Horst Göppinger/Peter Wax OLG Dresden: Stadt Dresden muss nicht für Altverbindlichkeiten einstehen Unterhaltsrecht Gieseking Verlag, 8., neu bearb. Aufl., Bielefeld 2003 Die Kl., eine 1742 gegründete Schul- und Armenstiftung, die u.a. 1.318 S., geb., 128,– €. ISBN 3-7694-0921-3 Darlehen für Eigenheime an einkommensschwache Familien verge- Die zwölf Autoren haben für die 8. Auflage Gesetzgebung, Rechtspre- ben hat, verlangte von der bekl. Stadt Dresden Auskunft über den Wert chung und Literatur durchgängig bis April, teilweise bis Sommer 2002 der von ihr verwalteten Darlehensforderungen einschließl. sämtlicher eingearbeitet. Das bewährte Konzept mit seiner Aufteilung in mate- Zinsansprüche. Die Stiftung war 1960 zwangsaufgehoben und ihr rielles Recht, Verfahrensrecht, Internationales Privat- und Verfah- rensrecht und Steuerrecht wurde beibehalten. Für die hohe Qualität Vermögen in Volkseigentum überführt worden. 1997 wurde rechts- des Handbuchs stehen erfahrene und publizistisch ausgewiesene Prak- kräftig die Rechtswidrigkeit der Zwangsaufhebung festgestellt. tiker-Autoren. Das OLG hat mit Urt. v. 30.7.2003 (6 U 1/03) das abweisende LG-Urteil bestätigt. Die bekl. heutige Stadt Dresden sei mit der früheren Stadt als Herbert Grziwotz juristische Person weder identisch noch deren Rechtsnachfolgerin. Die Beratungshandbuch Lebenspartnerschaft Bekl. sei als »juristische Person des öffentlichen Rechts« durch die Verlag C. H. Beck, München 2003 252 S., geb., 25,– €. ISBN 3-406-49359-9 KommVerf. v. 17.5.1990 neu gegründet worden und nicht in Fortset- Das Recht berücksichtigt die Tendenz zu neuen Familienformen bisher zung der früheren Stadt Dresden lediglich wieder aufgelebt. nur vereinzelt. Partner sind deshalb darauf angewiesen, faire Lösungen (aus: Pressemitteilung des OLG Dresden Nr. 30/03 v. 30.7.2003) für ihre konkrete Lebensgemeinschaft selbst zu finden. Dieser Trend zur »Verhandlungsbeziehung« stellt neuartige Anforderungen an die juris- tische Beratung. Das neue Handbuch mit zahlreichen Beispielen und Tipps aus der Praxis bietet insoweit eine Arbeitshilfe für Anwälte und Notare; Checklisten dienen der Fehlervermeidung.
Dirk Schulz/Ulrich Bert/Holger Lessing Personalnachrichten Handbuch Insolvenz Insolvenzverfahren • Haftung • Gläubigerschutz •Sanierung und Auswege Haufe Verlag, Freiburg/Berlin/München 2003 Deutscher Richterbund 302 S., geb., mit CD-ROM, 39,80 €. ISBN 3-448-05620-0 Die Bundesvertreterversammlung des DRB hat Wolfgang Arenhövel Der Band behandelt alle Aspekte der Insolvenz. Schwerpunkte sind zum neuen Vorsitzenden gewählt. Der 1946 geborene Präsident des u.a.: Voraussetzungen des Insolvenzantrags, Haftung der Organe und LG Osnabrück löst Geert Mackenroth ab, der ab 1.8.2003 zum Staats- Gesellschafter einer juristischen Person, Sanierung eines insolventen Unternehmens, Stellung der Arbeitnehmer, Steuern in der Insolvenz sekretär im Justizministerium des Freistaates Sachsen ernannt wurde. sowie strafrechtliche Fragen. Die CD-ROM beinhaltet Gesetzestexte, (aus: Pressemitteilung des DRB v. 26.7.2003) Checklisten, Musterbriefe und -anträge.
Bundesverwaltungsgericht Günter Jochum/Kay-Thomas Pohl Nachlasspflegschaft Am 17.7.2003 hat MinR Stefan Liebler seine Tätigkeit als Richter am Ein Handbuch für die Praxis mit zahlreichen Formularmustern BVerwG angetreten. Der 1958 geborene Jurist war zunächst Richter Bundesanzeiger Verlag, 2., überarb. u. erw. Aufl., Köln 2003 am VG Stuttgart, ab 1996 Richter am OVG Bautzen und zuletzt im 498 S., geb., 82,– €. ISBN 3-89817-231-7 Sächs. Justizministerium tätig. Er wurde dem u.a. für das Vermögens- Die Autoren, routinierte Nachlasspfleger, beantworten detailliert zuordnungsrecht und das Recht zur Bereinigung von SED-Unrecht sämtliche Fragen der Nachlasspflegschaft und stellen die einschlägigen Verfahren in ihrer praktischen Abwicklung dar. Behandelt werden u.a. zuständigen 3. Revisionssenat des BVerwG zugewiesen. Ermittlung und Sicherung des Nachlasses, Erbenermittlung, Erb- (aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 32/03 v. 21.7.2003) scheinsverfahren, Erbauseinandersetzung und Nachlassverwaltung.
VI Neue Justiz 9/2003 Wolfgang Däubler (Hrsg.) Kommentar zum Tarifvertragsgesetz Termine mit Kommentierung der Staatlichen Vergütungskontrolle im Arbeits- recht und des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Der Bundesverband der Jugendrechtshäuser e.V. veranstaltet in Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003 Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung vom 1.800 S., geb., 158,– €; Subskr.preis bis 3 Mon. nach Ersch. (Aug.) 138,– €. 9. bis 12. September 2003 in Potsdam die Fachkonferenz gegen rechts ISBN 3-7890-8341-0 »Ein Bündnis zwischen Bildung und Justiz gegen Rechtsextremismus, Die Autoren des neuen Großkommentars zum TVG behandeln u.a. fol- Rassismus und Fremdenfeindlichkeit«. gende Themen: Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stamm- personal; Firmentarife zur Standortsicherung und »Bündnisse für Die Veranstaltung soll dem Verständigungsprozess zwischen Juristen, Arbeit«; Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung und zur sog. Präventionsfachleuten und Mitarbeitern des Strafvollzugs mit Verant- Riester-Rente; europäische Kollektivvereinbarungen; Staatliche Vergü- wortlichen der politischen Bildung und der Sozialpädagogik bei der tungskontrolle im Arbeitsrecht. Die wesentlichsten Normen außerhalb Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Anti- des TVG und das Arbeitnehmer-EntsendeG sind ebenfalls kommentiert. semitismus und Gewalt dienen. Tagungsort: Tagungshaus Blauart, Hermannswerder 23, 14473 Potsdam € € Karl-Peter Pühler Tagungsgebühr: 75 einschl. 3 Übernachtungen u. Verpflegung; 35 BAT-Ost Bund/Länder 2003/2004 ohne Übernachtung Anmeldungen und weitere Informationen: Bundesverband der Jugend- Verlagsgruppe Jehle Rehm, 11., aktual. Aufl., München 2003 rechtshäuser e.V., Königsberger Str. 28 A, 12207 Berlin. Tel.: (030) 76884- 460 S., kart., 18,90 €. ISBN 3-8073-1992-1 187 oder -188, Fax: (030) 76884 190, E-mail: Bundesverband@jugend- Die Textausgabe informiert über die in den neuen Ländern geltenden rechtshaus.de aktuellen tarifvertraglichen Vorschriften für Angestellte im öffentlichen Dienst bei Bund und Ländern. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildet der * BAT-O einschließlich der wichtigsten Sonderregelungen. Die Vergü- Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer tungsordnungen sowie der aktuelle Vergütungstarifvertrag einschließ- veranstaltet am 25. September 2003 das Wirtschaftsforum lich ergänzender Regelungen zu Zuwendung, Urlaubsgeld etc. sowie der »Kommunale Unternehmenswirtschaft im Wandel«. Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit sind enthalten. Als Themen sind u.a. geplant: • Kommunale Daseinsvorsorge im Zeichen unternehmenswirtschaft- Kathrin Winkler lichen Wandels in den Kommunen Die Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS in der Praxis • Kommunale Wasserversorgung als wirtschaftlicher Ausnahmebereich? Eine rechtstatsächliche Untersuchung der vom Thüringer Kultusminis- • Public Private Partnership – Strategien zur Positionierung kommu- terium wegen MfS-Verstrickung und/oder Verschweigens dieser Ver- naler Unternehmen im Wettbewerb strickung ausgesprochenen Kündigungen und ihrer Überprüfung • Kommunale Unternehmen als vergaberechtliche Auftraggeber: Mög- durch die Thüringer Arbeitsgerichtsbarkeit lichkeiten und Grenzen einer aufgabenbezogenen Organisation Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. u.a. 2003 Anmeldung und weitere Informationen: Deutsche Hochschule für Ver- 278 S., brosch., 45,50 €. ISBN 3-631-50518-3 waltungswissenschaften Speyer, Freiherr-vom-Stein-Str. 2, 67346 Die Autorin dokumentiert auf der Grundlage einer umfangreichen Speyer, Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow, Tel.: (06232) 654-360 Fax: (06232) Datenerhebung die Handhabung des einigungsvertraglichen Sonder- 654-421, E-mail: [email protected] kündigungsrechts wegen MfS-Verstrickung in der Praxis. Hintergrund ist dabei die Frage, inwieweit sich das Sonderrecht bewährt hat und * die damit angestrebten Ziele der Einigungsvertragsparteien erreicht Die Deutsche Richterakademie führt im IV. Quartal 2003 u.a. folgende worden sind. Für die empirische Untersuchung wurden alle Kündi- Tagungen durch: gungen und die entsprechenden Kündigungsschutzverfahren beim Tagungsstätte Trier: Thüringer Kultusministerium untersucht. • 12.10.-18.10. Familienrecht für Fortgeschrittene Der Sexualstraftäter: Ermittlungsverfahren – Hauptver- Christoph Degenhart/Siegfried Reich (Hrsg.) handlung – Vollzug Staats- und Verwaltungsrecht Freistaat Sachsen • 20.10.-25.10. Probleme des Haftungsrechts Mit Stichwortverzeichnis und alphabetischem Schnellregister Strafrechtspflege in Europa • 3.11.-8.11. Die Zukunft der Europäischen Union C. F. Müller Verlag, 5., neu bearb. Aufl., Heidelberg 2003 € • 10.11.-15.11. Das Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen 569 S., kart., 13,50 . ISBN 3-8114-1904-8 nach der Reform des Zivilprozesses Das Textbuch mit Stand 1.4.2003 gibt Studenten der Juristischen • 17.11.-22.11. Verhandlungsführung und forensische Rhetorik Fakultäten an den Universitäten des Freistaates Sachsen, der Fach- Insolvenzrecht und Zivilrecht hochschulen und Verwaltungsakademien sowie Rechtsreferendaren • 23.11.-29.11. Gemeinschaftsrecht im Zivilrecht die Landesgesetze in die Hand, die für die Ausbildung unumgänglich, Europarecht in der verwaltungsgerichtlichen Praxis aber nach den Prüfungsbestimmungen auch ausreichend sind. • 1.12.-6.12. Einführung in das private Baurecht Rund um den Anlegerschutz • 8.12.-13.12. English Law (Sprachkurs) Weitere Neuerscheinungen: • 14.12.-20.12. Europa und Zivilrecht Organisierte Kriminalität Landesrecht Brandenburg Tagungsstätte Wustrau: Hrsg. von Alexander v. Brünneck. 9. Aufl. (Stand: 1.1.2003), Nomos • 15.10.-25.10. Verfassung und Recht im bürgerlichen Zeitalter Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003. 1.700 S., brosch., 18,– €. Justiz und Judentum ISBN 3-8329-0051-9. • 2.11.-8.11. Justiz, Medien, Medienrecht Psychologie der Zeugenaussage Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union • 10.11.-14.11. Europäisches Sozialrecht Hrsg. von H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann. Verlag C. H. Beck, Erfahrungsaustausch zum SchuldRModG 2., völlig neu bearb. Aufl., München 2003. 930 S., in Leinen, 85,– €. • 16.11.-22.11 Akt. Fragen aus dem Handels- und Gesellschaftsrecht ISBN 3-406-47838-7. Mediative Elemente in der (familien-)gerichtlichen Praxis – Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Ent- - scheidung (Aufbaukurs) Das verkehrsrechtliche Mandat • 24.11.-29.11. Rhetorik, Gesprächs- und Verhandlungsführung, Band 1: Verteidigung in Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenver- Plädoyer und Sprachtechnik (Aufbauseminar) fahren. Von Hans-Jürgen Gebhardt. Deutscher Anwaltverlag, 4. Aufl., • 1.12.-6.12. Kindschaftsrecht Bonn 2003. 716 S., geb., 69,– €. ISBN 3-8240-0532-8. • 8.12.-13.12. Aktuelle Fragen des Asyl- und Ausländerrechts »Über die Unabhängigkeit der Justiz« • 15.12.-20.12. Zuwanderung zwischen Integration u. Abschottung (ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten) Weitere Informationen: www.deutsche-richterakademie.de
Neue Justiz 9/2003 VII VORSORGE MUSS NICHT TEUER SEIN Justiz~Versicherungskasse Nomos Lebensversicherungsverein auf Gegenseitigkeit Als SELBSTHILFEEINRICHTUNG der Angehörigen des JUSTIZ- und STRAFVOLLZUGSDIENSTES Handbuch bieten wir Ihnen, Ihren Angehörigen und den mit Ihnen in häus- licher Gemeinschaft lebenden Personen zu anerkannt günstigen der Resozialisierung Tarifen und Bedingungen Versicherungen bis zur Höchstsumme von 8.000,Ð EURO Ð auf den Todes- und Erlebensfall Ð zur Bildung eines Kapitals Cornel / Kawamura-Reindl Maelicke / Sonnen (Hrsg.) Was aus politischen Sonntags- reden in die Rechtspraxis Eingang Anerkannte Leistungsmerkmale, die für uns sprechen: findet, vermittelt das Handbuch Sofortiger Versicherungsschutz Handbuch der der Resozialisierung. Ð nach Zahlung des 1. Beitrages Ð Resozialisierung Die Neuauflage Schon nach einem Jahr bei Fälligkeit hoher Gewinnzuschlag aktualisiert die bisherigen Bei- Hohe Beteiligung an den Überschüssen 2. Auflage träge und greift aktuelle The- Au§erdem: men – Strafvollstreckung, Gnadenerweise, gemeinnüt- Grundsätzlich kein ärztliches Zeugnis zige Arbeit zur Vermeidung der Das Vertrauen unserer Mitglieder Vollstreckung von Ersatzfrei- Ð stellen auch Sie uns auf die Probe Ð NOMOS heitsstrafen, Medien sowie Wir würden uns freuen, Sie als Mitglied unserer berufsständischen Sozialtherapie und Maßregel- Gemeinschaft begrüßen zu dürfen. vollzug – erstmals auf Weitere Auskünfte erteilt Ihnen unsere Geschäftsstelle in Köln Handbuch der arbeitet in die Darstellung Anschrift:Drosselweg 44, 50735 Köln praktische Fallbeispiele, Ge- Tel.: 02 21 / 71 44 77 oder 71 47 23 Resozialisierung setzes- und Entscheidungs- Fax: 02 21 / 712 61 63 Herausgegeben von materialien, Tabellen, Schau- E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Heinz Cornel, bilder und Übersichten ein Internet: www.Justiz-Versicherungskasse.de Fachhochschule für verknüpft alle rechtlichen, Sozialarbeit und pädagogischen, psychologi- Sozialpädagogik, schen, sozialarbeiterischen/ Berlin, Prof. Gabriele sozialpädagogischen und Ulf Marzik/Thomas Wilrich Kawamura-Reindl, kriminologischen Aspekte zu GSO-Fachhochschule einem in sich stimmigen Ge- Nürnberg, Dr. Bernd samtwerk, das offene Fragen Bundesnaturschutzgesetz Maelicke, Kiel und und Konfliktlinien klärt und so Prof. Dr. Bernd Rüdeger zur konzeptionellen und prak- Sonnen, Universität tischen Fachentwicklung bei- Hamburg trägt. Das neue BNatSchG vom 3. April 2002 ist als Rahmengesetz bis 2. Auflage 2003, 568 S., April 2005 von den 16 Ländern umzusetzen. Der Kommentar von brosch., 49,– €, Die Autoren stehen für dieses Marzik/Wilrich erläutert die neuen Vorschriften und den Stand von ISBN 3-8329-0159-0 Konzept: Rechtsprechung und Literatur der nicht geänderten naturschutz- Prof. Dr. Heinz Cornel, Fachhoch- rechtlichen Vorschriften, insbesondere in den Bereichen ¥ Verhältnis schule für Sozialarbeit und So- des Naturschutzes zur Land- und Forstwirtschaft ¥ Biotopverbund ¥ zialpädagogik, Berlin, Dr. Bernd Vertragsnaturschutz ¥ Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ¥ Maelicke, Kiel, Prof. Gabriele Schutzgebietsausweisungen und europäisches Netz »Natura 2000« • Kawamura-Reindl,GSO-Fachhoch- Verträglichkeitsprüfung nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie ¥ Ver- schule Nürnberg, Prof. Dr. Bernd einsbeteiligung und -klage. Rüdeger Sonnen, Universität Der Kommentar berücksichtigt auch – insbesondere beim »Herz- Hamburg stück« des BNatSchG, der Eingriffsregelung Ð die von Bundes- und Länderministerien und Landesämtern für Naturschutz und Umwelt- Fax07221/2104-43 · www.nomos.de · [email protected] schutz sowie Verbänden herausgegebenen Arbeitshilfen, Leitfäden und Praxishinweise. Er wendet sich an Behörden, Verbände und In-
vestoren, Landschaftsplaner und -architekten, Rechtsanwälte und an Cornel/Kawamura- Name alle am Naturschutz Interessierten. Reindl/Maelicke/ Ulf Marzik ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sonnen (Hrsg.) Straße Rechtswissenschaft und im Studiengang Umweltmanagement der Handbuch der Freien Universität Berlin. Resozialisierung PLZ,Wohnort Dr. Thomas Wilrich ist Rechtsanwalt im Bereich Bau-, Planungs- und 2. Auflage 2003, Umweltrecht. 568 S., brosch., 49,– €, Telefon ISBN 3-8329-0159-0 1. Auflage 2003, 800 S., geb., 59,Ð €, ISBN 3-7890-8316-X Datum, Unterschrift
Sie haben das Recht, die Ware innerhalb von 2 Wochen nach Lieferung ohne Begründung an Ihre Buchhandlung oder an den Nomos Verlag, Waldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden, Nomos zurückzusenden, wobei die rechtzeitige Absendung genügt. [email protected] Kosten und Gefahr der Rücksendung trägt der Empfänger.
VIII Neue Justiz 9/2003 Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern
Chefredakteurin: Rechtsanwältin Adelhaid Brandt 03 Anschrift der Redaktion: 9 Französische Straße 13 ¥ 10117 Berlin ¥ Tel. (030) 2232840 ¥ Fax (030) 22328433 ¥ e-mail: [email protected] 57. Jahrgang ¥ Seiten 449-504
Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei Insolvenzreife der GmbH Dr. Frederik Karsten, Leipzig*
Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen gehört im Normalfall abzuführen. Bekanntermaßen macht sich nämlich ein Arbeitgeber zu den letzten Schritten einer GmbH auf ihrem Weg in die Insolvenz. Für nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar, wenn er der Einzugsstelle Beiträge deren Geschäftsführer ist dies oft mit einer persönlichen Haftung verbunden. des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeits- Anlässlich einer ausführlich begründeten Entscheidung des OLG Dresden förderung vorenthält. Dies gilt wegen § 14 Abs. 1 Satz 1 StGB auch für v. 16.1.2003 (NJ 2003, 487 [Leits.], in diesem Heft) werden in diesem den Geschäftsführer, und da § 266a StGB als Schutzgesetz iSd § 823 Beitrag die aktuellen Tendenzen der Rechtsprechung bei der Haftung aus Abs. 2 BGB anerkannt ist, droht ihm neben einer Strafverfolgung auch § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB untersucht. eine persönliche Haftung.2 Die Haftung des Geschäftsführers wegen eines Verstoßes gegen § 266a StGB hat große Bedeutung und beschäftigt auch die höchst- I. Problemstellung richterliche Rechtsprechung in zunehmendem Maße.3 Manche Frage wurde geklärt – hierzu zählt auch der in der Rechtsprechung und Gerät eine GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, muss sich deren Literatur über lange Jahre intensiv ausgefochtene Streit darüber, ob Geschäftsführer mit einer Vielzahl von Gläubigern auseinandersetzen, Sozialversicherungsbeiträge iSv § 266a StGB vorenthalten werden die ihn mehr oder minder freundlich dazu drängen, die noch offenen können, wenn kein Lohn mehr ausgezahlt wurde.4 Nach wie vor ist Verbindlichkeiten schleunigst zu begleichen. Banken drohen mit der aber umstritten, ob Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Kündigung von Kreditverträgen, sofern nicht in den nächsten Tagen abzuführen sind, wenn die GmbH nach der Maßgabe des § 64 Abs. 1 ein Zahlungseingang zu verzeichnen ist, Händler liefern dringend GmbHG überschuldet oder zahlungsunfähig – also insolvenzreif – ist. benötigte Materialien nur noch gegen Vorkasse oder holen bereits Im Kern geht es hierbei um die Frage, welche Bedeutung der Grund- gelieferte Ware wieder ab und auch die Arbeitnehmer, die sich – ins- besondere in Zeiten steigender Arbeitslosenquoten – noch für eine kurze Zeit vertrösten lassen, kündigen an, die Arbeit niederzulegen, * Der Verf. ist Syndikus der Handwerkskammer Chemnitz. 1 Im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers haben die Arbeitnehmer nach §§ 183 ff. wenn deren Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht mehr über das Insol- SGB III einen Anspruch auf Insolvenzgeld, das die rückständigen Ansprüche auf venzgeld abgesichert sind.1 Arbeitsentgelt in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis (Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse) Um den Geschäftsbetrieb des Unternehmens solange wie möglich absichert, vgl. hierzu Nerlich/Römerman-Hamacher, InsO, vor § 113 Rn 61 ff. aufrechtzuerhalten, verteilt der Geschäftsführer häufig die knappen 2 Vgl. hierzu Altmeppen, ZIP 1997, 1173, 1184; Medicus, GmbHR 2000, 7. 3 So Groß, ZIP 2001, 945, 946; ein Beleg für die praktische Relevanz bietet auch Mittel unter diesen Gläubigern. Hierbei geht er ein großes Risiko ein, die Vielzahl der von Meyke, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 3. Aufl. wenn nicht mehr genug Geld übrig bleibt, um auch noch die Sozial- 2002, Rn 359 ff., zitierten Entscheidungen. 4 So BGH, Urt. v. 16.5.2000, NJW 2000, 2993; BGH, Beschl. v. 28.5.2002, NJW versicherungsbeiträge für die bei der GmbH angestellten Arbeit- 2002, 2480 = NJ 2002, 437 (Leits.). Zum Meinungsstand vor dieser höchstrich- nehmer an die Krankenkassen als die dafür zuständige Einzugsstelle terlichen Klärung vgl. Groß, ZGR 1998, 551, 558.
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satz der gleichrangigen Befriedigung aller Gläubiger, der schon vor Hierbei geraten ihm aus nahe liegenden Gründen die Krankenkassen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Regelungen der Insolvenz- ins Visier, denn ein gegen sie gerichteter Titel kann auch mit Erfolg anfechtung und den gegen den Geschäftsführer gerichteten Zah- vollstreckt werden kann. lungsanspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG verwirklicht wird, für die Haftung aber auch die Strafbarkeit des Geschäftsführers wegen der 2. Meinungsstand Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen hat. Besonders deutlich wird dies in einem Urteil des OLG Dresden v. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 129 InsO setzt eine Insolvenz- 16.1.2003.5 Eine Krankenkasse machte gegen den Geschäftsführer anfechtung das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung voraus. einer mittlerweile insolventen GmbH Schadensersatz wegen vorent- Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Arbeitnehmer- haltener Arbeitnehmeranteile geltend. Der Geschäftsführer wurde anteile an den Sozialversicherungsbeiträgen bei wirtschaftlicher auch in der Berufungsinstanz verurteilt, die nicht abgeführten Betrachtungsweise den jeweiligen Arbeitnehmern gehören, schließ- Arbeitnehmerbeiträge, die in den letzten drei Monaten vor Stellung lich wurden sie von deren Löhnen abgezogen. Wenn der Arbeitgeber des Insolvenzantrags fällig wurden, zu zahlen. Der Beklagte berief nun dieses Geld an die Krankenkassen weiterleite, handele er gewisser- sich u.a. darauf, dass die ausgebliebene Abführung dieser Beiträge von maßen als Treuhänder fremden Vermögens, so dass seine Gläubiger einem Insolvenzverwalter hätte angefochten werden können und der durch solche Zahlungen nicht benachteiligt werden können. Klägerin deshalb kein Schaden entstanden sei. Diesen Einwand ließ Diese nur gelegentlich anzutreffenden Argumentation12 hat die weit das OLG Dresden schon deshalb nicht gelten, weil seiner Auffassung überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur13 mit nach die Zahlungen der Arbeitnehmeranteile nicht gem. §§ 129 ff. InsO folgenden Erwägungen zurückgewiesen: Auch wenn die versiche- anfechtbar sind – anderer Ansicht ist der IX. Zivilsenat des BGH 6 rungspflichtigen Beschäftigten und deren Arbeitgeber die nach dem (hierzu nachfolgend unter II.). Ohnehin soll sich nach Meinung der Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- Dresdner Richter ein Geschäftsführer nicht darauf berufen können, versicherung jeweils zur Hälfte tragen würden, sei der Arbeitgeber dass den Krankenkassen durch die unterbliebenen Zahlungen ja kein nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV alleiniger Schuldner der Gesamt- Schaden entstanden sei, denn dies wäre mit dem Schutzzweck des sozialversicherungsbeiträge und damit auch des Arbeitnehmeranteils. § 266a StGB nicht vereinbar. Hiermit weicht das Berufungsurteil Da er diesen Betrag selbst dann zu zahlen habe, wenn ein Lohn an die von der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats beim BGH 7 ab (hierzu Arbeitnehmer nicht ausgezahlt wurde, sei nicht einzusehen, weshalb unter III.). Schließlich stehe, so das OLG Dresden, auch die Regelung man die Verpflichtung zur Zahlung der Arbeitnehmeranteile wirt- in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, die bei Insolvenzreife der GmbH eine schaftlich nicht dem Arbeitgeber zurechnen solle. An den Arbeit- Ersatzpflicht des Geschäftsführers für bestimmte Zahlungen begrün- nehmeranteilen bestehe auch regelmäßig keine treuhänderische den könne, einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a Abs. 1 StGB Mitberechtigung des Arbeitnehmers, die einer Insolvenzanfechtung nicht entgegen (nachfolgend unter IV.). Diese Ansicht steht wiederum entgegenstehen könnte. Wenn der Arbeitgeber aber mit der Abfüh- im Widerspruch zu einer Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH,8 der rung der Arbeitnehmeranteile auch eine eigene Pflicht erfülle, so in einer solchen Konstellation ein deliktisches Verschulden und damit können diese Zahlungen die übrigen Gläubiger benachteiligen, so auch eine Strafbarkeit nach § 266a StGB verneint. Dessen Ausführun- dass eine Insolvenzanfechtung zulässig sei. Schließlich sei mit § 266a gen erfassen aber – wie das OLG Dresden ausdrücklich hervorhebt – StGB auch kein vorrangiger Zugriff der Einzugsstellen auf Vermö- »nicht die gesamte Tragweite der zu beurteilenden Problematik«. genswerte der Insolvenzschuldner verbunden. Seit In-Kraft-Treten der InsO seien die früheren Vorrechte der Krankenkassen entfallen, so dass Gegen die OLG-Entscheidung wurde Revision eingelegt. Beim auch für sie der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger gelte. Aktenstudium werden die BGH-Richter nur wenig Gefallen an der Dieser dürfe aber nicht auf dem Umweg über § 266a StGB mittelbar eben zitierte Formulierung finden, zumal der II. Zivilsenat seit dem durchbrochen werden.14 1.1.2002 u.a. auch für Rechtsstreitigkeiten über die persönliche Inan- spruchnahme von Gesellschaftsorganen wegen Nichtabführung von Demgegenüber soll nach Auffassung des OLG Dresden eine Insol- Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung zuständig ist.9 venzanfechtung hier nicht möglich sein. Die Dresdner Richter argumentieren im Wesentlichen wie folgt: Eine Benachteiligung anderer Insolvenzgläubiger scheide von vornherein aus, weil die II. Anfechtbarkeit von Zahlungen der Arbeitnehmeranteile sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche der Krankenkassen auf zur Sozialversicherung Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge gegenüber den Ansprüchen anderer Gläubiger der Gemeinschuldnerin privilegiert seien. Gegen 1. Insolvenzanfechtung eine derartige Privilegierung spreche zwar die InsO, die im Gegensatz
Der Insolvenzverwalter kann gem. § 129 InsO Rechtshandlungen nach 5 OLG Dresden, Urt. v. 16.1.2003 – 7 U 1167/02, ZIP 2003, 360 = GmbHR 2003, Maßgabe der §§ 130-146 InsO anfechten, die vor der Eröffnung des 422 = NJ 2003, 487 (Leits.), in diesem Heft. 6 BGH, Urt. v. 25.10.2001, NJW 2002, 512 = NJ 2002, 311 (Leits.). Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenz- 7 BGH, Urt. v. 14.11.2000, NJW 2001, 967 = NJ 2001, 146 (Leits.). gläubiger benachteiligen. Die Vorschriften über die Insolvenz- 8 BGH, Urt. v. 8.1.2001, NJW 2001, 1280. anfechtung haben das Ziel, Handlungen rückgängig zu machen, die 9 So der Geschäftsverteilungsplan 2002 für die Zuständigkeit des II. Zivilsenats (dort unter 2.f). Bis 2001 war noch der VI. Zivilsenat zuständig. Der Geschäfts- insbesondere in zeitlicher Nähe zu dem Antrag auf Eröffnung des verteilungsplan des BGH ist im Internet unter www.bundesgerichtshof.de Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden. Auf diese Weise soll eingestellt. Das Verfahren hat das Aktenzeichen II ZR 61/03. 10 Nerlich/Römermann/Nerlich, InsO, § 129 Rn 5. schon im Vorfeld der Verfahrenseröffnung dem Grundsatz der Gleich- 11 Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 11.4.2002, NJW 2002, 2568 mwN = NJ 2002, 537 (bearb. behandlung aller Gläubiger Geltung verschafft werden.10 Diesem v. Biehl). 12 So Brückl/Kersten, NZI 2001, 288, 281 Fn 44; OLG Köln, NJW-RR 1997, 734; Prinzip entspricht es eben nicht, wenn angesichts offensichtlicher LG Frankfurt/M., Urt. v. 14.5.2000 – 2/4 O 9/00 (wohl n.v.); vgl. hierzu die tref- Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens einzelne Gläubiger auf- fende Kritik von Kreft, in: Dokumentation zum 3. Leipziger Insolvenzrechtstag grund ihrer Schnelligkeit titulierte Forderungen eintreiben können, 2002, S. 16 f. 13 BGH, NJW 2002, 512; OLG Hamburg, ZIP 2001, 708; OLG Hamburg, ZIP 2002, während die übrigen Gläubiger leer ausgehen. Darüber hinaus dient 1360; LG Kiel, ZIP 2001, 1766; LG Stuttgart, ZIP 2001, 2014; Braun-de Bra, die Insolvenzanfechtung dazu, das den Gläubigern haftende Schuld- Komm. zur InsO, 1. Aufl. 2002, § 129 Rn 31; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 11 2002, 89; 90; Kulzer/Müller, ZinsO 2002, 313, 314. nervermögen zu mehren. Oft kann ein Insolvenzverwalter nur über 14 So BGH, NJW 2002, 512 mwN; zust. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt (Fn 13), eine Anfechtungsklage finanzielle Mittel für die Masse bekommen. S. 89, 90.
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zur vorher geltenden KonkursO bzw. GesamtvollstreckungsO gezielt beachtlich, denn in einem solchen Fall hat die Rechtsgutverletzung auf Vorrechte für bestimmte Gläubiger verzichte und damit den ihre Ursache nicht in dem verbotenen Verhalten.21 Ergreift aber der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger betont habe. Diese Schutzzweck der verletzten Haftungsnorm den gesamten – also auch den Grundregel werde aber durch die spezielle Regelung des § 266a StGB, rechtmäßig herbeigeführten – Schaden, so ist der Hinweis des Ersatz- dessen Strafrahmen nach In-Kraft-Treten der InsO erhöht wurde, pflichtigen, dass er den Schaden hätte rechtmäßig anrichten können durchbrochen. Für einen Vorrang des Anspruchs der Krankenkassen (aber nicht müssen), nicht zu beachten. In diesem Fall soll sich derje- auf Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge spreche auch der Zweck des nige, der anstelle eines rechtmäßigen einen rechtswidrigen Weg gewählt § 266a StGB, der darauf gerichtet sei, das Aufkommen der Sozialversi- hat, an dieser Wahl festhalten lassen und die Folgen auf sich nehmen.22 cherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit in besonderer Weise strafrechtlich zu schützen, und schließlich auch die Rechtsprechung 2. Meinungsstand des VI. Zivil- und des 5. Strafsenats des BGH, die den Arbeitgeber ver- pflichte, bereits im Vorfeld einer möglichen Zahlungskrise Rücklagen Wie bereits eingangs erwähnt, kann sich nach Auffassung des VI. Zivil- für später fällige Sozialversicherungsbeiträge zu bilden.15 Schon bevor senats des BGH ein Geschäftsführer bei einer Inanspruchnahme aus das StGB dahingehend geändert wurde haben diese BGH-Senate § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB mit Erfolg darauf berufen, dass der Scha- entschieden, dass eine Haftung bzw. Strafbarkeit wegen der Nicht- den der Krankenkassen zu verneinen sei, wenn die Beitragszahlung im abführung von Sozialversicherungsbeiträgen auch dann bestehe, Insolvenzverfahren erfolgreich angefochten wäre.23 Dieses Ergebnis wenn kein Lohn an die Arbeitnehmer ausbezahlt wurde.16 wird in der Entscheidung mit keinem Satz begründet; gleichwohl fand es die überwiegende Zustimmung in der Literatur und von BGH- 3. Stellungnahme Richtern anderer Zivilsenate.24 Demgegenüber soll nach Ansicht des OLG Dresden dem Geschäfts- Das OLG Dresden stellt zutreffend dar, wie die Rechtsprechung – ins- führer der bei den Krankenkassen entstandene Schaden als Folge besondere die des VI. Zivilsenats – den Vorrang der Beitragsschuld seines Verstoßes gegen den Tatbestand des § 266a StGB zugerechnet gegenüber anderen Verpflichtungen der Gesellschaft betont. Hieraus werden, wenn diese Zahlungen nach §§ 129 ff. InsO anfechtbar wären. lässt sich allerdings nicht ableiten, dass für diesbezügliche Zahlungen Die Dresdner Richter belegen zunächst mit zahlreichen Literatur- und eine Insolvenzanfechtung ausgeschlossen ist, denn selbst jener Rechtsprechungsfundstellen, dass für die Frage der Beachtlichkeit des VI. Senat gewährt dem vom Insolvenzgericht eingesetzten Verwalter Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens der Schutzzweck der das Recht, Beitragszahlungen anzufechten.17 Ferner kann § 266a StGB jeweiligen Haftungsnorm entscheidend ist. Dieser gehe bei § 266a nicht als Spezialvorschrift angesehen werden, welche die in der InsO StGB dahin, das Aufkommen der Sozialversicherungsträger und der enthaltene Grundregel, nach der alle Gläubiger gleichmäßig zu Bundesanstalt für Arbeit in besonderer Weise strafrechtlich zu schüt- befriedigen sind, durchbrechen kann. zen. Hieraus zieht das OLG Dresden die Schlussfolgerung, dass die Die gegenteilige Auffassung lässt sich weder mit dem Wortlaut noch Einzugsstellen davor geschützt werden sollen, dass die entsprechen- mit der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift belegen, und auch das den Beiträge nicht bei ihr eingehen. Es führt sodann wörtlich aus: vom OLG Dresden bemühte Ges. zur Erleichterung der Bekämpfung »Der Beklagte (der Geschäftsführer – F.K.) würde sich demzufolge nur von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit v. 23.7.2002 kann darauf berufen, dass er einen schutzzweckwidrigen Nachteil der Ein- zugsstelle auch durch einen rechtmäßigen Weg hätte bewirken können. dessen Argumentation nicht stützen. Die Strafandrohung des § 266a Dieser Einwand hindert aber nicht die schadensersatzrechtliche Zuord- StGB wurde im vergangen Jahr nämlich erhöht, weil das Vorenthalten nung des tatsächlich im Sinne einer Kausalität durch die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen teilweise einen Umfang annimmt, verursachten Beitragsausfalls auf Seiten der Einzugsstelle«. wie dies auch bei Steuerhinterziehungen der Fall sein kann. Wegen dieser Parallele wurden in Anlehnung an § 370 Abs. 3 AO Strafver- schärfungen durch die Benennung besonders schwerer Fälle einge- 15 Vgl. BGH, Urt. v. 21.1.1997, NJW 1997, 1237; krit. hierzu Tag, BB 1997, 1115, 18 sowie Ranft; DStR 2001, 132,136; vgl. ferner BGH, NJW 2002, 2480, 2481. führt. Den Gesetzesmaterialien ist kein noch so vager Hinweis darauf 16 OLG Dresden (Fn 5), ZIP 2003, 364. zu entnehmen, dass mit der Erhöhung des Strafmaßes die Anfechtung 17 In der Entscheidung des BGH, NJW 2001, 967, konnte der Gesamtvoll- der Beitragszahlungen durch den Insolvenzverwalter ausgeschlossen streckungsverwalter sogar Beitragszahlungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechten, obwohl die Krankenkassen seinerzeit noch gem. § 13 Abs. 1 Ziff. 3b werden sollte19 – das war auch schlichtweg nicht gewollt. Ein Insol- GesO bevorrechtigt waren. Zu Anfechtungen von Beitragszahlungen durch den venzverwalter hat somit die Möglichkeit, die Zahlungen der Arbeit- Konkursverwalter vgl. BGH, Urt. v. 11.12.2001, NJW 2002, 1123 – beide Begrün- dungen gelten erst recht im Rahmen der InsO, da ehemals bestehende Vorrechte nehmeranteile gem. §§ 129 ff. InsO anzufechten. der Sozialversicherungsträger abgeschafft wurden. 18 Vgl. BT-Drucks. 14/8221, S. 18. 19 Vgl. BT-Drucks. 14/8221 (Ges.Entw. der BReg.); BT-Drucks. 14/8625 (Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit). III. Berücksichtigung des rechtmäßigen Alternativverhaltens 20 Hiernach differenzieren u. a. BGH, Urt. v. 24.10.1985, NJW 1986, 576; Jauernig- bei einer Inanspruchnahme aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB Teichmann, BGB, 10. Aufl. 2003, vor § 249 Rn 47; Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, S. 197, 204; Staudinger-Schiemann, BGB, 13. Aufl. 1998, § 249 Rn 102; MünchKomm-Oetker, BGB, Bd. 2a, 4. Aufl. 2003, § 249 Rn 215 mwN. 1. Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens 21 Anschaulich wird dies durch folgendes Beispiel, das an eine Entscheidung des BGH (BGHSt 11, 1) angelehnt ist: Ein Lkw überholt einen betrunkenen Rad- fahrer in zu dichtem Abstand, der Radfahrer wird verletzt; derselbe Unfall wäre Bei dem Problem des rechtmäßigen Alternativverhaltens geht es um vermutlich eingetreten, wenn der Lkw-Fahrer den vorschriftsmäßigen Abstand die Frage, ob der Schädiger sich mit dem Einwand verteidigen darf, der eingehalten hätte. Die Einhaltung der Abstandsvorschriften dient nicht dem Schutz betrunkener Verkehrsteilnehmer. Der Lkw-Fahrer kann sich daher auf den Schaden wäre auch durch ein rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens berufen und haftet nicht. So im worden oder hätte wenigstens durch ein solches herbeigeführt werden Ergebnis auch Jauernig-Teichmann (Fn 20), vor § 249 Rn 47. können. Auch wenn die dogmatische Einordnung des rechtmäßigen 22 Zur Verdeutlichung auch hier ein Beispiel: Ein unter Verletzung der vereinbarten Friedensfrist ausgelöster Streik führt auch dann zur Schadensersatzpflicht, wenn Alternativverhaltens umstritten ist, überwiegt in Rechtsprechung und es beim Einhalten der Regeln ebenfalls zum Streik gekommen wäre; vgl. hierzu Literatur die Auffassung, dass der Ausgangspunkt für eine rechtliche BAG 6, 321, 374 ff.; Lange (Fn 20), S. 197, 204; Staudinger-Schiemann (Fn 20), § 249 Rn 104. 20 Beurteilung der Schutzzweck der jeweiligen Haftungsnorm ist. 23 BGH, NJW 2001, 967. Nur wenn der Schutzzweck den Schaden, der auch durch ein recht- 24 Vgl. A. Schmidt, BGH, EWiR, § 266a StGB 1/01, der ebenfalls klarstellende Anm. zur Entscheidungsfindung vermisst; siehe auch Goette (Mitglied des II. Zivil- mäßiges Verhalten angerichtet werden könnte, von vornherein nicht senats), DStR 2002, 224, 225; Fischer (Mitglied des IX. Zivilsenats), NZI 2001, ergreift, ist die Berufung auf das rechtmäßige Alternativverhalten 281, 287.
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3. Stellungnahme bei Zahlungsfähigkeit trotz Überschuldung – nicht mit der zu fordern- den Sorgfalt gehandelt wurde. Der Geschäftsführer könne zwar die Die Ausführungen des OLG Dresden sind nicht überzeugend. Auch wenn Vermutung durch den Nachweis widerlegen, dass die von ihm in der mit dem Schutzzweck der Haftungsnorm zunächst ein nahe liegender Insolvenzsituation bewirkte Leistung mit der Sorgfalt eines ordent- Ausgangspunkt gewählt wurde, hat es das OLG versäumt, konsequent lichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen sei. Der hierfür anzu- zu prüfen, ob denn der Schutzzweck des § 266a StGB (Sicherung des legende Maßstab müsse sich an dem besonderen Zweck des § 64 Abs. 2 Beitragsaufkommens) auch den Schaden verhindern soll, der durch GmbHG ausrichten. Daher sei das Verschulden nur zu verneinen, ein rechtmäßiges Verhalten (anfechtbare Zahlungen) entstehen kann. wenn die Zahlungen nicht zu einer Masseverkürzung führten oder In der Tat ist die Bestimmung des Schutzzwecks des § 266a StGB für größere Nachteile für die Masse verhinderten. Das Bestreben eines die zivilrechtliche Haftung nicht unproblematisch, denn bei § 266a Geschäftsführers, sich durch die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge an StGB handelt es sich in erster Linie um eine Vorschrift des Strafrechts, die Einzugsstelle einer persönlichen deliktischen Haftung aus § 823 die erst als Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB mit einer zusätzlichen Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB zu entziehen, sei dagegen kein im Rah- 30 Rechtsfolge – der Schadensersatzpflicht – ausgestattet wird. Das Scha- men des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG beachtlicher Umstand. Beitrags- densersatzrecht wiederum hat aber keine Straffunktion.25 Allerdings zahlungen an die Krankenkassen können somit ohne weiteres einen konnte vorstehend bereits festgestellt werden, dass die Regelung Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG begründen. Dies hat nach Ansicht des § 266a StGB nicht den in der InsO geltenden Grundsatz der des II. Zivilsenats auch für die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Gleichbehandlung aller Gläubiger durchbrechen kann. Eben dieses § 266a StGB Konsequenzen. Wenn sich nämlich der Geschäftsführer Ziel eines Insolvenzverfahrens, das ja auch über die Möglichkeiten – gemessen an dem Maßstab des § 64 Abs. 2 GmbHG – normgerecht 31 einer Insolvenzanfechtung erreicht werden soll, begrenzt somit den verhalte, müsse das deliktische Verschulden verneint werden. Schutzzweck des § 266a StGB. Da eine Anfechtung der Zahlung von Dies läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass eine Strafbarkeit nach Arbeitnehmeranteilen durch den Insolvenzverwalter auch angesichts § 266a StGB entfällt, wenn die Sozialversicherungsbeiträge in einem des § 266a StGB möglich ist, kann der Schutzzweck dieser Vorschrift Zeitraum fällig werden, in dem die GmbH bereits zahlungsunfähig nicht den Schaden umfassen, der durch rechtmäßige, aber anfechtbare oder überschuldet ist. Zahlungen entstehen kann. Die Berufung auf ein rechtmäßiges Nicht wenige Stimmen in der Literatur sind ähnlicher Ansicht und Alternativverhalten ist bei der hier in Rede stehenden Konstellation manche stützen den BGH, der ohne nähere Begründung § 64 Abs. 2 also beachtlich, so dass der Geschäftsführer nicht aus § 823 Abs. 2 iVm GmbHG als Spezialvorschrift ansieht, mit der Überlegung, dass ein § 266a StGB haftet. Vorrang dieser gesellschaftsrechtlichen Regelung deshalb bestehe, weil der Geschäftsführer dort als Normadressat ausdrücklich genannt werde, während sich seine strafrechtliche Verantwortlichkeit nur über IV. Bedeutung des § 64 Abs. 2 GmbHG für die Haftung den Umweg des § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB konstruieren lasse.32 aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB Nach einer zunächst in der Literatur vertretenen Auffassung, der sich nun auch das OLG Dresden angeschlossen hat, steht die Regelung 1. Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG in § 64 Abs. 2 GmbHG schon deshalb einer Haftung des Geschäfts- führers aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB nicht entgegen, weil Ein Geschäftsführer ist nach § 64 Abs. 2 GmbHG zum Ersatz der Beitragszahlungen auch in der Krise der GmbH mit der Sorgfalt eines Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sein sollen.33 Bei der Frage, ob Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet eine Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auf- werden und nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns grund des Handlungsgebots in § 266a StGB zu erfolgen habe oder vereinbar sind. Diese Vorschrift hat zum Ziel, die verteilungsfähige aufgrund des Unterlassungsgebots in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamt- unterbleiben solle, handele es sich nämlich um eine vom Geschäfts- heit ihrer Gläubiger zu erhalten und einen Nachteil zu verhindern, führer zu treffende unternehmerische Entscheidung. Das Vorliegen der dieser Gesamtheit dadurch entsteht, dass einzelne Gläubiger einer unternehmerischen Entscheidung resultiere aus dem Umstand, bevorzugt befriedigt werden.26 Kommt ein Geschäftsführer der Masse- dass die Zahlungspflicht aus § 266a StGB eigentlich gegen die GmbH sicherungspflicht nicht nach, ist es der Insolvenzverwalter, der unter als Arbeitgeberin gerichtet sei und den Geschäftsführer nur deshalb Berufung auf § 64 Abs. 2 GmbHG verlangen kann, dass das Gesell- treffe, weil er aufgrund der Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB schaftsvermögen wieder aufgefüllt wird.27 Die Haftung aus § 64 Abs. 2 akzessorisch für die GmbH hafte. Die Entscheidung, auch in der GmbHG ergänzt einerseits die Vorschriften über die Insolvenzan- Zahlungskrise der GmbH eine Forderung zu erfüllen, deren Zahlung fechtung, da es auch bei ihr darum geht, eine Benachteiligung der Gläubigergemeinschaft zu verhindern; andererseits wird mit dieser Regelung sanktioniert, dass der Geschäftsführer nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hat.28 25 Eine Sanktion durch das Schadensersatzrecht könnte lediglich dann angebracht sein, wenn sonst die Pflichten, die verletzt wurden, nicht mehr ernst genommen Wenn die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversiche- würden, siehe Staudinger-Schiemann (Fn 20), § 249 Rn 105. rung eine »Zahlung« iSd § 64 Abs. 2 GmbHG wäre, würde der 26 BGH, Urt. v. 29.11.1999, NJW 2000, 668 = NJ 2000, 420 (bearb. v. Winkler). 27 Hierzu Roth-Altmeppen, GmbHG, 4. Aufl. 2003, § 64 Rn 38 f., sowie zuletzt BGH, Geschäftsführer vor einem ausweglosen Dilemma stehen:29 Führt Urt. v. 31.3.2003, NJ 2003, 481 (Leits.), in diesem Heft. er die Arbeitnehmerbeträge nicht ab, haftet er auf Schadensersatz aus 28 So Goette, Die GmbH 2002, § 8 Rn 216. 29 So auch Hellmann, JZ 1997, 1005, 1006 f. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB; überweist er aber genau diese 30 Vgl. BGH, NJW 2001, 1280, 1282; ähnlich auch OLG Celle, NJW-RR 1996, 481, Beiträge an die Krankenkassen, droht ihm eine Haftung in gleicher 482; LG Hagen, ZIP 1997, 324, 325; siehe ferner Goette, ZinsO 2001, 529, 536. Höhe aus § 64 Abs. 2 GmbHG. Ob und wie diese Pflichtenkollision 31 Mit dieser Entscheidung wollte der II. Senat die seiner Ansicht nach zu weit reichende Rspr. des VI. Zivilsenats zur deliktischen Haftung des Geschäftsführers gelöst werden soll, ist unklar. aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB in die Schranken weisen, vgl. hierzu Goette (Fn 28), § 8 Rn 222; ähnlich auch Groß (Fn 3), S. 945, 950. 32 So auch Roth-Altmeppen (Fn 27), § 43 Rn 53. Vgl. auch Rönnau, wistra 1997, 13, 2. Meinungsstand 16, und Wegner, wistra 1998, 283, 290, die allerdings aufgrund § 64 Abs. 2 GmbHG die rechtliche Unmöglichkeit der Beitragsabführung annehmen und somit die tatbestandsmäßige Erfüllung des § 266a StGB verneinen. Zu Lasten eines Geschäftsführers vermutet der II. Zivilsenat des BGH, 33 So Cahn, ZGR 1998, 367, 381; Hellmann (Fn 29), S. 1005, 1006 f.; sowie tenden- dass bei allen Zahlungen einer GmbH nach Insolvenzreife – d.h. auch ziell auch Groß (Fn 4), S. 551, 560.
452 Neue Justiz 9/2003 Karsten, Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung …
der Gesellschaft durch einen Straftatbestand geboten werde, ent- Da das Risiko einer Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG – die Eröffnung spräche aber dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäfts- eines Insolvenzverfahrens vorausgesetzt42 – überschaubar ist, wird sich manns.34 Darüber hinaus könne § 64 Abs. 2 GmbHG den Anwen- ein Geschäftsführer leichten Herzens dafür entscheiden können, die dungsbereich des § 266a StGB nicht einschränken, da die damit Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Hierbei wird es ihm weniger verbundene Aussetzung der Pflicht zur Abführung von Arbeitneh- darum gehen, seine persönliche Haftung auszuschließen. Zumindest merbeiträgen nicht für Einzelkaufleute gelte.35 Schließlich wäre der bei Zahlungen in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG bei Abführung der Sozialversiche- Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann er darauf vertrauen, dass der rungsbeiträge nicht mit dem vom VI. Zivilsenat des BGH postulierten Insolvenzverwalter sein Anfechtungsrecht nach §§ 130 u. 131 InsO Vorrang dieser Abführungspflicht vereinbar.36 ausüben wird. Zahlt er in diesem Zeitraum also nicht, könnte er sich bei einer späteren Inanspruchnahme durch die Krankenkassen auf den 3. Stellungnahme Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens berufen. Eine Haftung droht dem Geschäftsführer also nicht und die Konfliktlage, in die er Die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung kann geraten ist, besteht darin, dass er sich auch bei Insolvenzreife der nach dem Regelungsziel des § 64 Abs. 2 GmbHG nur ausnahmsweise GmbH nach § 266a StGB strafbar machen kann. Dies kann ihm aber mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sein. durchaus zugemutet werden, denn er hat es aufgrund seines eigenen Dies ist nur dann der Fall, wenn die Zahlungen erforderlich sind, um pflichtwidrigen und strafbaren Verhaltens versäumt, rechtzeitig einen den Geschäftsbetrieb für die Durchführung eines berechtigten Sanie- Insolvenzantrag zu stellen, und könnte mit dem Gang zum Insolvenz- rungsversuchs oder des Insolvenzverfahrens aufrecht zu erhalten.37 gericht dieser für ihn sicherlich schwierigen Situation ein Ende bereiten.43 Regelmäßig aber begründen Beitragszahlungen einer insolvenzreifen Entgegen der Ansicht des II. Zivilsenats sollte also die nach § 64 GmbH die Ersatzpflicht des Geschäftsführers aus § 64 Abs. 2 GmbHG. Abs. 2 GmbHG bestehende Haftung für abgeführte Beiträge nicht den Dieses Ergebnis beruht letztlich auf den unter II. 3. ausgeführten nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB bestehenden Schadens- Erwägungen. Wenn eine Strafvorschrift wie § 266a StGB es nicht ersatzanspruch wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmerbei- vermag, die Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO einzuschränken, trägen einschränken. so kann die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge auch nicht im Einklang mit dem in § 64 Abs. 2 GmbHG enthaltenen Zahlungsverbot V. Schlussbetrachtung stehen, denn hier wie dort sind die Vorschriften darauf gerichtet, eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger zu ermöglichen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der II. Zivilsenat des BGH die Ent- Auch wenn man insoweit noch dem II. Zivilsenat zustimmen kann, scheidung des OLG Dresden aufheben wird. Er hat hierbei die Mög- ist damit aber noch nicht gesagt, dass die in § 64 Abs. 2 GmbHG lichkeit, auch den bereits vom VI. Zivilsenat eingeschlagenen Weg zu umschriebene Haftung für abgeführte Beiträge zur Sozialversicherung verfolgen, der über die Berufung auf den Einwand des rechtmäßigen eine Auswirkung auf die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers aus Alternativverhaltens zu einem Ausschluss der Haftung aus § 823 Abs. 2 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB haben muss. Tatsächlich spielte BGB iVm § 266a StGB führt, oder aber seine auf § 64 Abs. 2 GmbH nämlich der Anspruch gegen Geschäftsführer aus § 64 Abs. 2 GmbHG gestützte Argumentation weiter aufrechtzuerhalten. – soweit es um Beitragszahlungen geht – bisher keine große Rolle, Eine Gemeinsamkeit haben aber beide Anspruchsgrundlagen: Sie da sich ein Insolvenzverwalter gewöhnlich die Sozialversicherungs- bewähren sich gleichermaßen, wenn man die Haftung des Geschäfts- beiträge über eine Anfechtungsklage von den Krankenkassen zurück- führers bei einem eröffneten Insolvenzverfahren mit derjenigen holt, darf er hier doch damit rechnen, dass er die Voraussetzungen vergleicht, die bei einer Abweisung mangels Masse besteht. Nur wenn einer Insolvenzanfechtung relativ einfach nachweisen kann und ihm es zu einer Verfahrenseröffnung und der damit verbundenen Bestel- ein Schuldner zur Verfügung steht, der im Gegensatz zum Geschäfts- lung eines Insolvenzverwalters kommt, kann sich ein Geschäftsführer führer auch weiterhin zahlungsfähig ist. gegen eine Haftung aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB darauf berufen, Es ist daher nicht erstaunlich, dass – soweit ersichtlich – bisher dass durch eine mögliche Anfechtung des Insolvenzverwalters ein gerade einmal eine Entscheidung veröffentlicht wurde, in der ein Insolvenzverwalter von einem Geschäftsführer die geleisteten Sozial- 38 versicherungsbeiträge verlangte. Ob diesem Urteil, das noch vor 34 Vgl. Cahn (Fn 33), S. 367, 381 f.; OLG Dresden, ZIP 2003, 365. In-Kraft-Treten der InsO erlassen wurde, weitere folgen werden, darf 35 Hellmann (Fn 29), S. 1005, 1007. man bezweifeln, denn gegenüber dem alten Recht (§ 30 Ziff. 1 u. 2 KO) 36 So insbes. Groß (Fn 3), S. 945, 950. 37 Michalski-Nerrlich, GmbHG, 1. Aufl. 2002, § 64 Rn 46; ähnlich auch Goette enthalten die §§ 130 u. 131 InsO, in denen die Anfechtbarkeit von (Fn 28), § 8 Rn 222. Das Risiko des Geschäftsführers besteht hier vor allem darin, Rechtshandlungen der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Eröff- dass nicht er bestimmt, ob und wie der Geschäftsbetrieb fortgeführt wird, sondern dies letztlich von der Entscheidung des Insolvenzverwalters abhängt, nung des Insolvenzverfahrens geregelt wird, zahlreiche Verschärfun- siehe hierzu Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 679. gen, die für notwendig erachtet wurden, da das frühere Anfechtungs- 38 Vgl. LG Hagen, ZIP 1997, 324: Die Geschäftsführerin G. der S-GmbH zahlte bei 39 einer Krankenkasse die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge in bar ein und recht für den Konkursverwalter ein risikobehaftetes Abenteuer war. ging gleich darauf zum Insolvenzgericht, um dort die Verfahrenseröffnung zu Nun wird es also eher vorkommen, dass eine Anfechtung ebenso beantragen. Das LG gab der Klage des Insolvenzverwalters auf Zahlung des Arbeitnehmeranteils aus § 64 Abs. 2 GmbHG statt. ungefährlich wie erfolgversprechend erscheint wie ein Vorgehen 39 Vgl. Gerhardt, in: FS für Brandner, 1996, S. 605 ff., 605. gegen den Geschäftsführer.40 In einem ähnlichen Umfang verringert 40 Henze/Bauer, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, S. 1311, 1325. 41 Krankenkassen können selber über die Versicherungspflicht und die Beitrags- sich hier auch die praktische Bedeutung des § 64 Abs. 2 GmbHG, denn höhe entscheiden, indem sie einen diesbezüglichen Bescheid auf der Grundlage wenn dem Insolvenzverwalter mit einer Krankenkasse auch noch ein von § 28h Abs. 2 SGB IV erlassen und sich auf diese Weise einen Vollstreckungs- liquider Schuldner zur Auswahl steht, wird er wohl kaum gegen den titel ausstellen. Auch aus diesem Grunde werden Beitragsrückstände von mehr als drei Monaten von den Krankenkassen regelmäßig nicht toleriert. Vgl. nur den Geschäftsführer wegen der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Tatbestand zu BGH, NJW 2002, 2568. Sozialversicherung vorgehen.41 Wenn die Haftung aus § 64 Abs. 2 42 Zur Rechtslage bei Abweisung des Antrags mangels Masse sogleich unter V. 43 So im Grundsatz auch Michalski-Haas (Fn 37), § 43 Rn 392. Nach seiner Ansicht GmbHG für diese Zahlungen aber so ausgesprochen selten ist, soll allerdings für Sozialversicherungsbeiträge, die auf Zeitabschnitte vor Insol- erscheint die Lage des Geschäftsführers längst nicht so ausweglos zu venzreife entfallen, deren Fälligkeitstermin jedoch nach deren Eintritt liegt, die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB durch die Pflichten in § 64 Abs. 2 sein, als dass man im Hinblick auf die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB GmbHG verdrängt werden. Diese Differenzierung ist aber nicht sachgerecht und iVm § 266a StGB ein deliktisches Verschulden verneinen müsste. wegen der schwierigen Bestimmung der Überschuldung nicht durchführbar.
Neue Justiz 9/2003 453 Aufsätze Karsten, Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung …
Schaden ausgeblieben sei. Wird das Verfahren aber mangels Masse zahlungen einen solchen Erstattungsanspruch begründen können. abgewiesen, könnte er lediglich damit argumentieren, dass die Kran- So wird es dann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ein Gläubiger kenkassen deshalb nicht geschädigt seien, weil Gläubiger der GmbH der GmbH nach einem masselosen Insolvenzverfahren den Erstat- über eine Gläubigeranfechtung nach dem AnfechtungsG (AnfG),44 tungsanspruch der Gesellschaft aus § 64 Abs. 2 GmbHG pfändet und das außerhalb eines Insolvenzverfahrens zur Anwendung gelangt, dann von einem Geschäftsführer die geleisteten Sozialversicherungs- die Zahlungen von den Krankenkassen zurückverlangen könnten. beiträge verlangt. Dies wäre dem Geschäftsführer bei Eröffnung des Die Anforderungen an eine Gläubigeranfechtung sind im Vergleich Insolvenzverfahrens erspart geblieben. mit denen einer Insolvenzanfechtung aber wesentlich höher, da die Von Kilger stammt die viel zitierte Regel: Ein Könner macht nicht in §§ 130 u. 131 InsO normierten Anfechtungstatbestände, auf die einfach nur Konkurs, er macht masselos Konkurs.48 So wie sich die Insolvenzverwalter in den meisten Fällen ihre Klage stützen, nicht in Rechtsprechung in den vergangen Jahren entwickelt hat, darf man einer vergleichbaren Form im AnfG zu finden sind.45 Bei einem masse- nun feststellen, dass diese Faustformel nicht mehr bei der Haftung des losen Verfahren könnte sich ein Geschäftsführer mit diesem Einwand Geschäftsführers für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung also regelmäßig nicht aus der Affäre ziehen, so dass er in dieser Situa- gilt. tion haften müsste.46 Aber auch bei einer Inanspruchnahme aus § 64 Abs. 2 GmbHG tritt für den Geschäftsführer eine Haftungsverschärfung ein, wenn das Verfahren mangels Masse abgelehnt wird. Nur bei einer Verfah- 44 Ges. über die Anfechtungen von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb renseröffnung wird ein Insolvenzverwalter bestellt, der sich wegen der des Insolvenzverfahrens v. 5.10.1994, BGBl. I S. 2911. 45 Die Anfechtungstatbestände decken sich im Wesentlichen nur bei der Vorsatz- abgeführten Sozialversicherungsbeiträge an die Krankenkassen und anfechtung (§ 3 AnfG; § 133 InsO), der Anfechtung unentgeltlicher Leistungen eben nicht an den Geschäftsführer wenden wird. Bei einer masselosen (§ 4 AnfG; § 134 InsO) und bei der Anfechtung kapitalersetzender Darlehen (§ 5 AnfG; § 136 InsO), siehe hierzu Huber, AnfG, 9. Aufl. 2000, Einf. Rn 22. Insolvenz ist aber der Erstattungsanspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG 46 Ob die Haftung des Geschäftsführers aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB nach nach einer jüngeren Entscheidung des BGH 47 der Pfändung durch Abweisung des Insolvenzverfahrens mangels Masse auch noch besteht, wenn das einen Gesellschaftsgläubiger zugänglich, der dann gegen den Geschäfts- dafür erforderliche deliktische Verschulden im Anwendungsbereich des § 64 Abs. 2 GmbHG ausgeschlossen ist, ist noch nicht geklärt. Eine Klarstellung durch führer vorgehen kann. den II. Zivilsenat wäre wünschenswert. 47 BGH, Urt. v. 11.9.2000, NJW 2001, 304. Aller Wahrscheinlichkeit wird der II. Zivilsenat in dem nun anste- 48 Kilger, AnwBl. 1987, 425; hierzu und zur Rechtsstellung der Gläubiger bei einer henden Revisionsurteil noch einmal klarstellen, dass auch Beitrags- masselosen Insolvenz siehe Konzen, in: FS Ulmer, 2003, S. 323.
Max Fechner (1892-1973) Rudi Beckert, Berlin*
Während der Weimarer Republik ein netenversammlung wurde. Viele USPD-Mitglieder wechselten nach bekannter Funktionär der Berliner 1919 zur neuen politischen Kraft, zur KPD. Fechner kehrte 1922 zur Sozialdemokratie war Max Fechner SPD zurück; die Traditionen waren stärker, berichtete er später. Die nach 1945 maßgeblich an der Partei beschäftigte ihn in ihrem Vorstand, er wurde Leiter der Kom- Vereinigung der SPD mit der KPD munalpolitischen Zentralstelle und Redakteur, hatte von 1924 bis beteiligt. Sein politischer Werdegang 1929 ein Mandat als Berliner Stadtverordneter. Von 1928 bis zum bis zum ersten Justizminister der Parteiverbot durch die Nationalsozialisten 1933 gehörte er dem DDR ist gekennzeichnet durch partei- Preußischen Landtag an. Auch hier war er vor allem auf kommunal- interne Intrigen und persönliche politischem Gebiet tätig. Konflikte. Er endete vor 50 Jahren Im »Dritten Reich« musste Fechner politische Haft, zwei KZ-Aufent- mit Fechners Verurteilung im Zusam- halte, Hausdurchsuchungen und zahlreiche Repressalien überstehen. menhang mit dem Volksaufstand Dennoch bestanden die Kontakte zu seinen Genossen weiter. Er nahm am 17. Juni 1953. Der Todestag von sie sofort wieder auf, als die Hitler-Diktatur zusammenbrach. Seitdem Max Fechner jährt sich in diesem trat er für die Fusion mit den Kommunisten ein. Er hat sie – wie zahl- Monat zum 30. Mal. reiche andere Antifaschisten – damit begründet, dass die National- sozialisten an die Macht kommen konnten, weil die Arbeiterklasse zersplittert und die Parteiführungen von KPD und SPD uneinig waren. Der Berliner Sozialdemokrat Im Juni 1945 ließ die sowjetische Besatzungsmacht – Monate vor den westlichen Alliierten – die Gründung antifaschistisch-demokrati- Max Fechner entstammt einer kinderreichen Berliner Arbeiterfamilie. Er wurde am 27.7.1892 geboren, lernte Werkzeugmacher und organi- sierte sich frühzeitig in der Arbeiterbewegung. Er wurde 1911 Mitglied * Der Autor ist Verfasser des soeben im Berliner Wissenschafts-Verlag erschiene- der SPD und trat mit Tausenden anderen Sozialdemokraten der 1917 nen Buches »Lieber Genosse Max. Aufstieg und Fall des ersten Justizministers der gegründeten USPD bei, deren Abgeordneter er in der Bezirksverord- DDR Max Fechner«.
454 Neue Justiz 9/2003 Beckert, Max Fechner (1892-1973)
scher Parteien und Gewerkschaften zu. Unmittelbar nach der KPD entschied allein. Er beherrschte den hauptamtlichen Parteiapparat konstituierte sich in Ostberlin die Führung der SPD, zunächst als und nutzte diese Vorrangstellung in der Parteispitze aus. Im Unter- Zentralausschuss, dann als Parteivorstand. Max Fechner wurde gemein- schied zu dem diszipliniert lebenden Ulbricht war Fechner jovial und sam mit Otto Grotewohl und Erich W. Gniffke 1 geschäftsführender kontaktfreudig, sprach allerdings gelegentlich dem Alkohol zu. Für Vorsitzender. theoretische Fragen interessierte er sich weniger, seine Reden und Fechner wird noch heute in einigen einschlägigen Biographien als Aufsätze ließ er sich meist ausarbeiten. Ihm fehlten das rhetorische Mitglied eines illegalen Zentralausschusses der SPD bezeichnet. Ein Talent und die Anpassungsfähigkeit seines Genossen Grotewohl, der solches Gremium habe der Parteivorstand der SPD vor seiner Emigra- zu keiner Zeit zu ihm gehalten hat. Hinzu kam sein angegriffener tion 1933 eingesetzt, um die Parteiarbeit in Deutschland fortzusetzen. Gesundheitszustand, der ihn oft in ärztliche Behandlung zwang. Tatsächlich gibt es für Fechners Darstellung, wonach er selbst eine Max Fechner war bemüht, die Linie der Partei zu befolgen. Im führende Rolle gespielt haben will, keine Beweise. Die SPD hat sich Jan. 1948 erklärte er vor Juristen, was unter Demokratisierung der nach ihrer Wiederzulassung in der SBZ auf Fechner berufen, denn sie Justiz zu verstehen sei: Hitler habe mit denselben Gesetzen seine Politik wollte für ganz Deutschland sprechen. Allerdings war sie bei den durchführen können, weil sie »dem Richter viele und entscheidende Genossen im Westen nicht erfolgreich. Kurt Schumacher, der spätere Freiheiten ließen«. Dann fuhr er fort: SPD-Vorsitzende in den Westzonen, lehnte es ab, eine legitime »Das richterliche Ermessen ist aus unseren Gesetzen keineswegs ausge- Nachfolge durch den angeblichen illegalen Zentralausschuss anzu- schaltet, und wenn heute ein Richter mit einer klaren und antifaschis- erkennen. Er sagte den ostdeutschen Genossen voraus, dass sie ihre tisch-demokratischen Rechtsanschauung die herrschenden Gesetze handhabt, so wird er sie auch in unserem Sinne interpretieren können. politische Selbständigkeit verlieren würden. Andersgesinnte Richter haben es sehr wohl vermocht, sie im anderen Sinne, im Sinne gegen das Volksempfinden zu interpretieren.«
Vorkämpfer für die Einheitspartei Mit Demokratisierung hatte das nichts zu tun, noch weniger seine Bemerkung, die Justiz sei auch »nur ein Verwaltungszweig«.4 Das war Als Beweis, dass Max Fechner zu den ersten Sozialdemokraten gehörte, auch die Parteimeinung – im Gegensatz zu dem, was er kurz danach auf einem anderen Gebiet von sich gab, das eigentlich seine Stärke die für eine einheitliche Arbeiterpartei eingetreten sind, diente ein war: der Kommunalpolitik. Brief an Walter Ulbricht. Darin schlug er vor, »endlich die so ersehnte Einheitsorganisation der deutschen Arbeiterklasse zu schaffen«. Es Nach seiner Ansicht sollte die demokratische Selbstverwaltung der müsse »über alle Vergangenheit hinweg der neu zu beschreitende Weg Gemeinden gestärkt werden. Das widersprach der leninistischen Theo- ein gemeinsamer … zwischen KPD und SPD« sein.2 Was verwundern rie vom demokratischen Zentralismus, worauf sein Pendant Ulbricht muss: Das Schreiben trägt das Datum 28.4.1945, in der deutschen aufmerksam gemacht hat, als er ihm bedeutete, man solle diese Hauptstadt bestimmte Kriegslärm das Geschehen. Fechner dagegen Diskussion »begraben«. Es gebe nur »eine demokratische Staatsver- will gewusst haben, dass Ulbricht schon mit dem Neuaufbau der waltung, und die kommunale Selbstverwaltung ist ein Teil unserer Verwaltung beschäftigt war. Der Genannte war aber noch gar nicht in demokratischen Verwaltungsorganisation«.5 Fechner, davon nicht Deutschland. Hat sich der Briefschreiber vielleicht im Datum geirrt beeindruckt, hat seine Meinung wiederholt. Danach folgten heftige oder gibt es eine andere Erklärung, die den offenkundigen Fehler Kritiken und vergebliche Versuche des Angegriffenen, sich zu recht- begründet? Weder Fechner noch seine Genossen im Parteivorstand fertigen. Hatte er vergessen, dass er im Jan. 1948 für eine einheitliche der SPD haben sich dazu geäußert. Ulbricht entgegnete, er habe das staatliche Zentralgewalt eingetreten war? Ulbricht hat von ihm auf dem Schreiben nicht erhalten. Die Widersprüche blieben ungeklärt. Gebiet der Kommunalpolitik nichts Anderes verlangt. Fechner hat es nicht bemerkt. Anlässlich des 20. Jahrestags der SED-Gründung erinnerte sich Fechner überraschenderweise daran, Ulbricht habe ihm im Juni 1945 gesagt, Ein weiterer Umstand trug dazu bei, dass Fechner zunehmend »dass vor einem organisatorischen Zusammenschluss erst eine ideo- Schwierigkeiten bekam: Es war das ständige Misstrauen wegen seiner logische Klärung unter den Mitgliedern beider Parteien erfolgen Herkunft als Sozialdemokrat. Die Kontrollinstanzen der SED waren vor müsse«.3 Er habe erkannt, dass die Argumente Ulbrichts richtig waren. allem gegenüber ehem. SPD-Mitgliedern misstrauisch. Sie forschten in Max Fechner hatte sich inzwischen der parteiamtlichen Lesart von der deren Vergangenheit und sorgten für die »Reinheit« der Partei. Nach bestimmenden Rolle der Kommunisten beim Neuaufbau untergeord- sowjetischem Vorbild wurde nach »Schumacher-Agenten«, »Revisionis- net. Kein Verfechter der Parteifusion hat plausibel machen können, ten«, nach Anhängern des »Sozialdemokratismus« und ähnlichen wie es möglich war, dass zwischen dem erwähnten Gespräch und dem Gefahren gesucht. Fechner geriet in einen solchen Verdacht, besonders Beschluss beider Parteien vom Dez. 1945, die Einheitspartei zu grün- nachdem Erich W. Gniffke im Herbst 1948 die SED verließ und in den den, eine »ideologische Klärung« erfolgt ist. Er hätte zugeben müssen, Westen floh. Zuvor war er mit weiteren ehem. SPD-Mitgliedern bei dass es einen solchen tiefgreifenden Klärungsprozess nicht gegeben Fechner eingeladen, wo die Anwesenden feststellten, dass man sie hat und nicht geben konnte. Die SED entstand, weil es die KPD und zunehmend misstrauisch betrachtete. Den Parteikontrolleuren blie- die sowjetische Besatzungsmacht wollten und weil es in der SPD Kräfte ben solche und ähnliche Ereignisse nicht verborgen. Fechners Karriere in der Führung der SED war mit diesen Affären praktisch beendet. gab, die sich beugten. Zu letzteren gehörte Max Fechner. Am wenigsten verständlich und angesichts der noch darzustellenden Umstände beschämend ist sein Kniefall vor Ulbricht. 1 E. W. Gniffke (1895-1964), Kaufmann, 1913 SPD, nach 1933 mehrfach inhaftiert; 1945 SPD/SED, nach Flucht 1948 wieder SPD. 2 Vgl. Bundesarchiv (SAPMO), NY 4101/15; ferner Archiv des Autors sowie N. Pode- Vom Parteifunktionär zum Justizpolitiker win, Walter Ulbricht. Eine neue Biographie, Berlin 1995, S. 175 ff. 3 M. Fechner, Zentralausschuss der SPD und Zentralkomitee der KPD gingen zusammen, in: Vereint sind wir alles. Erinnerungen an die Gründung der SED, Auf dem Vereinigungsparteitag vom 20./21.4.1946 wurde Max Fechner Berlin 1966, S. 42 ff. in den Parteivorstand und in das Zentralsekretariat der SED gewählt. 4 Stenogr. Niederschrift über die 3. Tagung des Ausschusses für Rechtsfragen beim Parteivorstand der SED am 3./4.1.1948 (Archiv d. Autors). Nach den beiden Vorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl 5 SAPMO, DY 30/IV 2/13-217, ebenda IV 2 /4-379 und NY 4182-1089, Bl. 86 ff.; sollten Ulbricht und Fechner paritätische Stellvertreter sein. Das war aus F. Moraw, Die Parole der »Einheit« und die Sozialdemokratie. Zur parteiorgani- satorischen und gesellschaftspolitischen Orientierung der SPD in der Periode der mehreren Gründen nicht möglich. Beide waren für Wirtschaft, staat- Illegalität und in der ersten Phase der Nachkriegszeit 1933-1948, Bonn 1973, liche Verwaltung, Justiz und Kommunalpolitik zuständig, aber Ulbricht S. 221 f.
Neue Justiz 9/2003 455 Aufsätze Beckert, Max Fechner (1892-1973)
Noch reichte sein Ansehen als verdienter Funktionär der Arbeiter- Der Minister gefiel sich in der Rolle eines Justizreformers. Unter bewegung, dass er nicht von der politischen Bühne abtreten musste. seinem Namen erschien ein Buch über die Demokratisierung der 10 Er wurde im Herbst 1948 für die Justiz verantwortlich gemacht, Rechtspflege. Tatsächlich war von Demokratisierung darin nichts zu ohne dafür fachliche Voraussetzungen zu besitzen. Pieck und andere spüren. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass nahezu alle Reden und Genossen zerstreuten seine Bedenken mit dem Argument, es gebe Aufsätze nicht von Max Fechner, sondern von seinem persönlichen 11 dort genügend fähige Juristen, aber es würde ein politisch erfahrener Mitarbeiter Günter Scheele verfasst wurden. Leiter fehlen. Es ist müßig zu spekulieren, ob er zugesagt hat, weil ihn Es ist keine Besonderheit, wenn sich führende Politiker auf fundierte diese Worte überzeugt oder geschmeichelt haben, oder ob die Aus- Zuarbeiten verlassen. Fechner hingegen hatte sich seinem Adlatus sicht auf einen lukrativen, repräsentativen Posten bestimmend war; ausgeliefert. Die verhängnisvolle Abhängigkeit hatte eine Ursache: vielleicht trafen alle Motive zu. Auf jeden Fall war Fechner bewusst, Er kannte Scheele schon aus gemeinsamer Parteiarbeit vor 1933 und dass man ihn ausgebootet hatte. Ihn erwarteten nicht nur neue, half ihm, der während des »Dritten Reichs« Mitglied der NSDAP ungewohnte Aufgaben, sondern vor allem interne Machtkämpfe und geworden war, wieder in die SPD aufgenommen zu werden. Dieser Intrigen. wiederum dankte es seinem Genossen Max. Ein nach Kriegsende sehr bekannt gewordenes Buch trug den Titel »1933-1945. Wie konnte es geschehen? Auszüge aus den Tagebüchern Der Justizpolitiker und Bekenntnissen eines Kriegsverbrechers«. Es nennt Max Fechner als Herausgeber, ein Autor kommt nicht vor. Geschrieben hat es Günther Max Fechner wurde mit Befehl der Sowjetischen Militäradministratur Scheele, der den Partei- und Staatsfunktionär vom Parteivorstand der (SMAD) v. 2.10.1948 Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für SPD bis ins Justizministerium begleitete. Dann traf ihn das gleiche 6 Justiz (DJV). Sein Amtsantritt erfolgte am 8.10.1948. Sein Vorgänger Schicksal, er wurde fast zeitgleich mit Fechner inhaftiert. Der Unter- 7 war Eugen Schiffer, ein namhafter liberaler Jurist der Weimarer Repu- schied zu seinem Chef bestand indes darin, dass er – ohne Erlass eines blik. Von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Herkunft Haftbefehls – wochenlang umfangreichen Verhören ausgesetzt war, verjagt, nutzten die Sowjets dessen Ansehen und Kompetenz beim um den Anderen zu belasten. Als dies nicht gelang, kam er wieder frei. Aufbau einer entnazifizierten Justiz. Die Kommunisten betrachteten Das Entlassungsdokument trägt die Unterschrift von Erich Mielke. ihn als reaktionären Vertreter der alten Justiz und waren zufrieden, dass er – im 88. Lebensjahr – zurücktrat. Mit dem neuen Präsidenten waren sie aus anderen Gründen nicht Wie der Minister zum Staatsfeind wurde zufrieden. Das betraf vor allem Ernst Melsheimer,8 bis 1949 sein Vize- präsident, und die für Personalpolitik verantwortliche Hilde Benjamin.9 In der 40-jährigen Geschichte der DDR gab es mannigfache Formen Fechner war für sie nicht nur inkompetent, sondern politisch unzu- und Methoden strafrechtlicher Verfolgung aus politischen Gründen. verlässig. Auch andere leitende Mitarbeiter erfüllten pflichtgemäß Im Hinblick auf Max Fechner kommt ein Phänomen hinzu, das nur seine Aufträge, gleichzeitig sammelten sie Material gegen ihn, das in schwer verständlich ist. Er hat sich wie manche andere Verfolgten der Zentralen Parteikontrollkommission der SED und im Ministerium – meist die eigenen Genossen – nicht als Opfer des politischen Systems und der SED-gesteuerten Justiz betrachtet. Für ihn waren die Ungesetz- für Staatssicherheit landete. Bei sachlicher Betrachtung dieser – mit- lichkeiten das Werk Einzelner, das Ergebnis von Irrtümern und Ver- unter nichtigen – Kontroversen ist zu konstatieren, dass Fechner auch wicklungen. Mit Weltanschauung hatten sie angeblich nichts zu tun. selbst die Anlässe bot. Er trat häufig unwirsch auf, reagierte kritik- empfindlich und fiel nach gelegentlichem Alkoholgenuss »aus der Als Partei und Regierung angesichts der zugespitzten Situation Rolle«. Die ihm nicht wohlgesonnen waren, sich selbst auf der Karriere- Anfang Juni 1953 den sog. Neuen Kurs in der DDR verkündeten, leiter sahen, nutzten diese Schwächen aus. mit dem verschiedene Zwangsmaßnahmen insbesondere auf sozial- ökonomischem Gebiet zurückgenommen werden sollten, stimmte Die Aufgaben der DJV wurden im Okt. 1949 vom Ministerium der Fechner dieser veränderten politischen Richtung zu. Er versuchte Justiz (MdJ) fortgesetzt. An der Gesamtsituation änderte sich zunächst sofort, den Gerichten eine Anleitung zu vermitteln, in ihrer Straf- wenig, auch wenn Fechners stärkste Widersacher höhere Funktionen politik besser zu differenzieren, was heißen sollte, weniger harte erhielten: Benjamin wurde Vizepräsidentin des Obersten Gerichts, Urteile wegen relativ geringfügiger Wirtschafts- und Eigentumsdelikte Melsheimer Generalstaatsanwalt der DDR. Nach außen schienen die zu fällen. Der Kurswechsel konnte den Streik und die Massendemon- drei zentralen Justizorgane sehr einig zu sein; sie stimmten überein, strationen am 16./17.6.1953, auf denen der Sturz der Partei- und dass die Parteibeschlüsse für die justizielle Tätigkeit unumstößlich Staatsführung gefordert wurde, nicht verhindern.12 Auf den gewaltsam sind. Intern waren sie keinesfalls gute Partner. niedergeschlagenen Aufstand reagierte die Justiz so, wie es das SED- Vor allem Hilde Benjamin nutzte ihre bestehenden Kontakte zum Zentralorgan »Neues Deutschland« (ND) am 18.6. vorgab: Man werde MdJ gegen ihren Intimfeind Fechner aus. Dessen Position war schon »entscheidende Maßnahmen ergreifen, um die an den Ausschrei- deshalb schwach, weil er als Nichtjurist hilflos der Tatsache gegenüber- stand, immer mehr Aufgaben übernehmen zu müssen, die mit der zentralen Rolle des Ministeriums gegenüber den Länderregierungen, 6 Vgl. u.a. H. Wentker, Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953. Transformation und Rolle den Gerichten und den anderen Justizorganen zusammenhingen. ihrer zentralen Institutionen, München 2001. Es galt, die Politik der SED beim sozialistischen Aufbau rechtlich zu 7 E. Schiffer (1860-1954), Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und des Reichstags, Justizminister, 1945-1948 Präsident der DJV, Mitbegründer der LDPD. sichern und zahlreiche neue Gesetze – namentlich nach der II. Partei- 8 E. Melsheimer (1897-1960), seit 1918 ununterbrochen im Justizdienst, 1928 konferenz im Juni 1952 – zu verabschieden. Nicht zufällig wurden die SPD; nach 1945 KPD/SED, 1945 DJV; 1949 erster Generalstaatsanwalt der DDR. meisten Gesetzgebungskommissionen von Hilde Benjamin geleitet. 9 Vgl. insbes. A. Feth, Hilde Benjamin – Eine Biographie, Berlin 1997; siehe auch diess., NJ 2002, 64 ff. Fechner wusste um seine Nachteile, er reagierte mit unbedachten 10 M. Fechner, Beiträge zur Demokratisierung der Justiz, Berlin 1948. Äußerungen, bspw. über die Strafpolitik des Obersten Gerichts, die er 11 G. Scheele (1905-1982), Lehrer, 1928 SPD, 1946-1953 persönl. Mitarbeiter Fech- ners, danach bis 1971 Hochschullehrer. als »scharfmacherisch« bezeichnete. Gemeint hat er Prozesse unter 12 Über den Aufstand vom 17. Juni 1953 vgl. u.a. R. Herrnstadt, (Hrsg. N. Stulz- Vorsitz von Hilde Benjamin, die natürlich davon erfuhr. Auch wenn er Herrnstadt), Das Herrnstadt-Dokument. Das Politbüro der SED und die Geschichte des 17. Juni 1953, Reinbek 1991; H. Müller-Enbergs, Der Fall Rudolf Herrnstadt. im Ergebnis Recht hatte – offiziell vertrat er trotzdem dieselbe harte Tauwetterpolitik vor dem 17. Juni, Berlin 1991; I. Splittmann/K. W. Fricke (Hrsg.), Linie, denn sie entsprach dem Willen der Parteiführung. 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR, Köln 1988.
456 Neue Justiz 9/2003 Beckert, Max Fechner (1892-1973)
tungen Schuldigen strenger Bestrafung zuzuführen. Die Provokateure 15. Tagung im Juli 1953, er habe angewiesen, faschistische Provoka- können nicht auf Milde rechnen«. Das historische Ereignis wurde von teure zu schützen, aktive Organisatoren feindlicher Aktionen freizu- der SED als faschistischer, konterrevolutionärer Putschversuch gegen lassen sowie amerikanische Agenten und Rädelsführer »ausnahmslos« den Arbeiter-und-Bauern-Staat betrachtet. Die Suche nach feindlichen freizusprechen. Er wurde für ungerechtfertigt hohe Strafen und andere Elementen setzte ein, die Justiz reagierte mit Verhaftungen und Ungesetzlichkeiten verantwortlich gemacht. Strafverfahren. Ein Jahr zuvor hatte man Fechner noch für zu milde Strafen kritisiert. Fechner nahm zur Tätigkeit der Justiz öffentlich Stellung. Er wusste, Justizministerin Benjamin, die mit besonderem Eifer nach Beweisen dass die Bevölkerung beunruhigt und verunsichert war und wollte für seine Feindtätigkeit suchte, beschimpfte ihren Vorgänger am besänftigen. So entstand eine folgenschwere Verlautbarung, die am 29.8.1953 als staatsfeindliches Element, dessen berüchtigtes Interview 30.6.1953 im ND erschien. Sie trug die Überschrift: »Alle Inhaftierten »aus dem Sumpf des Sozialdemokratismus« gewachsen sei. Es habe kommen vor ein ordentliches Gericht. Interview mit dem Minister der »den Provokateuren einen Freibrief« gegeben und zeige deutlich, »wie Justiz, Max Fechner, über die mit dem 17. Juni in Zusammenhang gefährlich der Sozialdemokratismus in der Justiz werden kann«.15 stehenden Verhaftungen«. Tatsächlich war es nicht Fechners alleinige Entscheidung, sich öffent- Anklage und Urteil lich zu äußern. Immerhin handelte es sich um die Tageszeitung seiner Partei, in der zu parteipolitisch bedeutsamen Fragen faktisch nichts Mehr als ein Jahr verging, die Ermittlungen kamen nicht voran. Die erscheinen konnte, was nicht zuvor »von oben« abgesegnet war. Partei, auch Melsheimer und Benjamin, drängten, Fechner so zu belasten, Was war Fechner also vorzuwerfen? Der Wortlaut des Interviews wie es vorher angekündigt war. Das ist dem sonst pflichteifrigen allein enthüllt es nicht. Darin stand, es handle sich überwiegend »um Untersuchungsorgan nicht gelungen. Es kam zu Differenzen zwischen von den Faschisten irregeführte Werktätige, zum Teil aber auch um der zuständigen Abteilung im ZK der SED (sie war damals sowohl für bewusste Provokateure«. Zwischen beiden würden die Gerichte unter- die Justiz als auch für die Sicherheitsorgane zuständig) und der Staats- scheiden, denn: »Es dürfen nur solche Personen bestraft werden, die sicherheit. Die Akten wanderten zum ZK und zurück, bis am 15.3.1955 sich eines schweren Verbrechens schuldig machten. Andere Personen die Anklage fertig gestellt und vom ZK genehmigt war. Gegen die werden nicht bestraft. Dies trifft auch für Angehörige der Streikleitung ursprüngliche Absicht wurde Fechner auch wegen Verbrechen und zu.« Der folgende Satz, in dem auf das verfassungsmäßige Streikrecht Vergehen gem. §§ 175, 175a Ziff. 2 u. 3 des damals geltenden StGB hingewiesen wurde, war zuerst nicht und zwei Tage danach als angeklagt. Die vermeintlichen homosexuellen Beziehungen sollten »Berichtigung« veröffentlich worden (die Umstände sind ungeklärt). ursprünglich nur zur Charakterisierung des Beschuldigten angeführt Im Interview verkündete Fechner, dass selbst Rädelsführer nicht auf werden, sie wurden auf Weisung der Partei zum zusätzlichen Anklage- bloßen Verdacht hin bestraft werden dürften. Gemeint war, dass punkt. Es wird angesichts der überaus fragwürdigen Beweislage ver- nachgewiesen werden sollte, ob die Betreffenden »Brände anlegten … zichtet, darauf näher einzugehen. Selbst das Urteil hatte – bei einem raubten, mordeten oder andere gefährliche Verbrechen begangen Umfang von 18 Seiten – dafür nur dürftige sieben Zeilen übrig. haben. Es wird also nicht etwa gegenüber denen, die gestreikt oder Entscheidender Vorwurf war ein Verbrechen gem. Art. 6 der DDR- demonstriert haben, eine Rachepolitik betrieben.« Max Fechner gab die Verfassung in Tateinheit mit der Kontrollratsdirektive 38.16 Wort- offizielle Parteiauffassung wieder. Seine Haltung bekräftigte er in einem gewaltig, wie es Brauch in derartigen Fällen war, wurde der Beschul- Schreiben an die Gerichte v. 9.7.1953. Darin dankte er ihnen für ihre digte als »gefährlicher Staatsverbrecher« bezeichnet. Er habe sich das Einsatzbereitschaft nach dem 17. Juni mit den Worten, der »schänd- Ziel gesetzt, der DDR schweren Schaden zuzufügen und den »orga- liche Versuch der Feinde unseres Volkes, mit dem langvorbereiteten nisierten faschistischen Putschversuch vom 17. Juni 1953 aktiv Tag X die DDR aufzurollen, eine faschistische Macht zu errichten«, sei unterstützt«. Mit seinem Interview, »auf seine Anweisung« im ND »schmählich zusammengebrochen«. Ähnliches wurde unter seinem erschienen, habe er angeordnet, Angehörige der Streikleitungen und 13 Namen in einem Artikel der NJ veröffentlicht. Rädelsführer trotz schweren Verdachts nicht zu bestrafen. Ferner habe Warum ihm trotzdem vorgeworfen wurde, ein Staatsfeind zu sein, er ehem. Faschisten in verantwortungsvolle Positionen des Staates lässt sich nur mit den machtpolitischen Kämpfen im Hintergrund gebracht sowie »einen hinterhältigen Kampf« gegen ehem. KPD- erklären, bei denen Fechner keineswegs die Hauptperson war. Der Funktionäre geführt, um sie zu verdrängen und durch ihm ergebene Volksaufstand vom Juni 1953 hatte vor allem Ulbrichts Position Mitarbeiter zu ersetzen. geschwächt. Nach bewährtem stalinistischen Muster mussten Schul- Am 24.5.1955 stand der Angeklagte vor dem 1. Strafsenat des dige gefunden werden. Es waren der Minister für Staatssicherheit, Wil- Obersten Gerichts. Seine Richter bemühten sich, ihn so negativ wie helm Zaisser, weil er am 17. Juni versagt habe, und der Chefredakteur gewünscht zu charakterisieren. Sie hatten vor der Hauptverhandlung des ND, Rudolf Herrnstadt, der des »Sozialdemokratismus« beschuldigt ein Urteil entworfen, das weitgehend mit den Beschuldigungen in der wurde. Beide sollten aus der Parteiführung entfernt werden; sie waren Anklageschrift übereinstimmte. Die endgültige Fassung musste zwar so diszipliniert, dass sie dem auf der Sitzung des SED-Politbüros am besonders negative, übertriebene Beurteilungen streichen; was blieb, 14.7.1953 selbst zugestimmt haben. Dort stand das Interview Fechners war infam genug. Die sog. Beweisführung widersprach gesetzlichen 14 ebenfalls auf der Tagesordnung. Das Politbüro beschloss, ihn »wegen Mindestanforderungen. So wurde bspw. das Interview dahingehend partei- und staatsfeindlichen Verhaltens« aus der Partei auszuschlie- ßen, als Minister abzulösen und zu inhaftieren. Als Justizministerin wurde Hilde Benjamin bestimmt. Fechner kam in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit. 13 Das nicht zu den Sachakten gelangte Schreiben befindet sich in den Ermittlungs- unterlagen gegen Fechner beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Es folgten langwierige Ermittlungen, in denen er stundenlangen, Staatssicherheit der ehemaligen DDR, Bd. 7, S. 285. M. Fechner, »Der neue Kurs häufig nächtlichen Verhören ausgesetzt war. Zum Verdruss von Partei- der Regierung und die Aufgaben der Justiz«, NJ 1953, 381 ff. führung, Untersuchungsorgan und nicht zuletzt von Melsheimer und 14 SAPMO, DY 30-J IV 2 /2/305 und J IV 2 /2A /289. 15 Tagung des ZK der SED v. 24.-26.7.1953, Dokumente der SED, Bd. IV, 1953; Zitate Benjamin verliefen sie wenig zufriedenstellend. Fechner gab Fehler zu, aus: Deutschlandfunk, »Auf Weisung des Politbüros«, Funkdokumentation v. bezichtigte sich des Opportunismus, aber staats- und parteifeindliche 9.1.1992 von R. Beckert und K. W. Fricke. 16 Siehe dazu u.a. R. Beckert, Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheim- Absichten bestritt er entschieden. Das war so nicht geplant, denn seine prozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, Goldbach 1995, S. 22 ff. Dort wird Gegner hatten ihn bereits vorverurteilt. Das ZK verbreitete auf der auf S. 153 ff. auch der Prozessverlauf gegen M. Fechner geschildert.
Neue Justiz 9/2003 457 Aufsätze Beckert, Max Fechner (1892-1973)
interpretiert, dass er die Gerichte falsch orientiert habe. Zahllose Die Ehefrau hat den Brief nicht erhalten, er wurde, wie Erich Mielke Inhaftierte und Schuldige seien freigesprochen oder aus der Haft sorgfältig darauf vermerkt hat, nach Rücksprache beim ZK nicht aus- entlassen worden. Absurd ist folgende Anschuldigung: Um zu gehändigt. gewährleisten, dass die Justizorgane jeden einzelnen Fall differenziert Auch mit Begnadigung konnte Fechner nicht rechnen. Vom zustän- betrachten, wäre es erforderlich gewesen, »dass jeder Staatsanwalt und digen Staatsanwalt bis zum politischen Mitarbeiter im Parteiapparat jeder Richter eine feste Richtschnur für die Behandlung der mit dem beharrten die Verantwortlichen darauf, er sei uneinsichtig. Wäre es 17. Juni 1953 im Zusammenhang stehenden Strafsachen erhielt«. nach ihnen gegangen, hätte er nicht entlassen werden dürfen. Ihre Ministerium der Justiz, Generalstaatsanwalt und Oberstes Gericht Stellungnahme wurde über die Justizministerin auch Ministerpräsident wären beauftragt gewesen, »eine einheitliche Rechtsprechung zu Grotewohl vorgelegt, sein einstiger Kampfgefährte nahm sie zur Kenntnis. gewährleisten«, weshalb ein gemeinsamer Operativstab unter der Leitung von Vizepräsidentin Benjamin gebildet wurde. Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: Rehabilitierung
»Jedem verantwortungsbewußten Mitarbeiter der Justizorgane war es Die auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 erfolgte Abrech- damit klar, daß die einheitliche Anleitung der mit dem 17. Juni 1953 in Zusammenhang stehenden Gerichtsverfahren von diesem Operativstab nung mit dem Stalinismus zwang auch die SED-Führung, bestimmte ausgehen und jede in die Öffentlichkeit gelangende Verlautbarung über Entscheidungen zu überprüfen.18 Unter Ulbrichts Vorsitz wurde eine diese Verfahren mit dem Operativstab vorher besprochen werden Kommission eingesetzt, die sich, wie es unverbindlich hieß, mit mußte, um zu vermeiden, daß durch unterschiedliche Meinungs- »Angelegenheiten von Parteimitgliedern« beschäftigen sollte. Sie äußerungen oberster Justizorgane die Rechtsprechung der Gerichte in Verwirrung geriet. Aus diesen Gründen enthielten sich alle Justizfunk- bestimmte, wer zu rehabilitieren war. Aus welchen Gründen den tionäre, bis auf den damaligen Minister der Justiz, jeder selbständigen Betreffenden Unrecht geschehen ist, hat die Partei nicht festgestellt; Verlautbarung über die Durchführung dieser Verfahren.« es wäre ein Urteil über ihre eigenen Ungesetzlichkeiten gewesen. Man muss diese Lesart von Leitung der Rechtsprechung und richter- Am 19.4.1956 wurde beschlossen, Max Fechner aus der Haft zu ent- licher Unabhängigkeit nicht kommentieren. lassen, das MfS sollte dafür sorgen, »dass ihm bis zur Freilassung alle Erleichterungen (!) gewährt werden«. Was Fechner in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, war nicht fest- zustellen. Das entsprechende Protokoll fehlt in den Akten. Das Urteil Kraft eines Politbürobeschlusses war Fechner inhaftiert worden, auf spricht von verlesenen Dokumenten sowie von Aussagen des Ange- der gleichen Grundlage durfte er das Zuchthaus am 24.4.1956 ver- klagten und von Zeugen. Diese Beweismittel werden mit keinem Wort lassen. Wie ein schlechter Scherz mutet es an, dass er faktisch auch gewürdigt. Lediglich zwei sachverständige Zeugen hielt das Oberste wegen homosexueller Handlungen »rehabilitiert« wurde. Die Order Gericht für erwähnenswert, denn die Verurteilung Fechners konnte der Partei hatte mehr Gewicht als die Korrektur einer ungesetzlichen nicht – wie oft vereinfacht dargestellt – darin bestehen, das Streik- und Entscheidung auf juristischem Weg! Sowohl die Frage der Rente (den Demonstrationsrecht verteidigt zu haben. Das war in der damals Eheleuten war nach Max Fechners Inhaftierung der Status als Verfolgte geltenden DDR-Verfassung gewährleistet. Vielmehr wurde er dafür des Naziregimes und damit die Rente aberkannt worden) als auch verantwortlich gemacht, dass sein Interview die Rechtsprechung die Streichung der Strafe im Strafregister wurden auf Parteiebene (und nicht nur sie) verunsichert und falsch orientiert habe. Wie er das »erledigt«. erreicht haben sollte, haben die sachverständigen Zeugen damit Die Erfüllung seines größten Wunsches, wieder in die SED aufge- begründet, sie hätten die Rechtsprechung »untersucht«. Teilweise nommen zu werden, ließ auf sich warten. Im Juni 1958 informierte beruhten ihre »Feststellungen« auf telefonischen Auskünften. Die Ulbricht die Mitglieder und Kandidaten des ZK, das Politbüro habe Experten gehörten zu jenen Mitarbeitern Fechners, die ihn hoch lobten beschlossen, die Parteimitgliedschaft »des Genossen Max Fechner« und willig seine Aufträge erfüllten, als er ihr Chef war. Nun waren sie wiederherzustellen. Eventuelle Einwendungen sollten schriftlich erfol- von Hilde Benjamin beauftragt. gen, was erwartungsgemäß nicht geschah. In einer kurzen Pressenotiz erfuhr die Öffentlichkeit vom Ergebnis. Der Angeklagte wurde am 24.5.1955 zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt, die sich aus Einzelstrafen von sieben Der zurückgekehrte Genosse dankte es seiner Partei, er nahm wie- Jahren wegen des Staatsverbrechens sowie einem Jahr und weiteren der am politischen Leben teil, ließ seine Erinnerungen durch Partei- zwei Jahren wegen der Sittlichkeitsdelikte zusammensetzte. Das Urteil historiker protokollieren – und schwieg über die Jahre, in denen er selbst konnte Max Fechner am 8.6.1955 durchlesen; es zu behalten, war verfemt war. Die SED ehrte ihn für solche Treue; sie nannte ihn wieder ihm nicht gestattet. Antifaschist, der bei der Vereinigung von KPD und SPD vorange- gangen, stellvertretender Parteivorsitzender, dann Justizminister war Max Fechner verbrachte weitere Monate in der Berliner Haftanstalt und später »als Arbeiterveteran unermüdlich für den Aufbau des der Staatssicherheit, bevor er am 22.10.1955 in das Zuchthaus Sozialismus in der DDR« wirkte. Die Zeit seines beruflichen Absturzes Brandenburg verlegt wurde. Noch immer wusste seine Familie nichts und der Haft kommen in dieser Biographie nicht vor. Mit Ulbricht von ihm. stellte er sich im April 1966 anlässlich des 20. Jahrestags der Am 19.7.1955 hatte Frau Fechner an den DDR-Innenminister Gründung der Partei auf die Bühne des Friedrichstadtpalastes. Beide geschrieben und um Aufklärung über das Schicksal ihres Mannes führten eine verlogene Inszenierung gemeinsamer, ruhmvoller gebeten. Sie erhielt keine Antwort. Das Ersuchen landete bei der Vergangenheit vor. Staatssicherheit. Wenigstens konnte Frau Fechner den Verurteilten Am 13.9.2003 jährt sich zum 30. Mal der Todestag von Max Fechner nun besuchen. Über sein Verfahren wurde nicht gesprochen, er blieb – er starb sechs Wochen nach Ulbricht. Auf dem Zentralfriedhof Berlin- von der Außenwelt isoliert, wie einem Brief vom Nov. 1955 an die Friedrichsfelde befinden sich ihre Urnen wenige Schritte voneinander Ehefrau zu entnehmen ist.17 Er nehme an, schrieb er, sie habe sein entfernt; als Politiker waren sie sich nie nahe. Urteil gelesen und hoffe, »vielleicht durch einen Gnadenakt (die) Freilassung zu erwirken«. Seine Naivität und Hilflosigkeit gipfelte in dem Satz: 17 Zitate im Archiv des Autors. »Ich wünschte, daß Walter Ulbricht sich die Anklageschrift einmal genau 18 Vgl. Zur Entlassung werden vorgeschlagen ... Wirken und Arbeitsergebnisse der ansehen würde, um einen unerhörten Fehler aller Instanzen zu erken- Kommission des Zentralkomitees zur Überprüfung von Angelegenheiten von nen, durch den die Regierung und das ZK aufs schwerste betroffen ist.« Parteimitgliedern, Berlin 1991.
458 Neue Justiz 9/2003 Kurzbeiträge
Unterbrechung der Hauptverhand- zweimal mögliche 30-tägige Unterbrechung der Hauptverhandlung und deren Höchstdauer nicht mehr ausreichend waren. Vor allem lung – eine Reform ist überfällig! die Zunahme umfangreicherer Verfahren und die damit verbun- denen Probleme, wie dringend erforderliche Erholungsurlaube, Mühlhausen und VorsRiLG Peter Scharf, , länger andauernde Erkrankungen oder die Beschaffung weiterer RiAG Christian Kropp, Sondershausen Beweismittel, erforderten nach den Gesetzesmaterialien eine Ände- rung der bestehenden Regelung. Im Mittelpunkt der gesetzespoli- In der strafgerichtlichen Praxis gewinnt die Unterbrechung der Haupt- tischen Betrachtungen stand dabei das Konzentrationsprinzip, 2 verhandlung zunehmend an Bedeutung. Aufgrund ihrer richterlichen das Verfahrensverschleppungen verhindern sollte. Es kam zur Erfahrung legen die Autoren dar, dass insbesondere wegen der stetig Einführung eines dritten Satzes in § 229 Abs. 2 und eines neuen zunehmenden Zahl sog. Großverfahren das geltende Recht unzureichend ist Absatzes 3. und § 229 Abs. 3 StPO dringend einer Änderung bedarf. Mit § 229 Abs. 2 Satz 3 StPO wurde dem Gericht nunmehr gestattet, nach einer Verhandlungsdauer von einem Jahr zusätzlich zu den 1. Problemlage Unterbrechungsmöglichkeiten des § 229 Abs. 1 u. 2 StPO jeweils inner- halb eines Zeitraums von einem Jahr die Verhandlung einmal bis zu Ein Blick auf die Verhandlungsdauer insbesondere von Wirtschafts- 30 Tagen zu unterbrechen. Durch diese engen zeitlichen Schienen kammern in den letzten Jahren zeigt eine dramatische Zunahme sollte eine Gefährdung der Prinzipien der Mündlichkeit und Unmit- sog. Großverfahren.1 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die oftmals telbarkeit der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden. über Jahre andauern und bei denen sich deshalb immer das Erforder- In dem neuen Abs. 3 des § 229 StPO wurde schließlich bei Erkran- nis der Hinzuziehung von Ergänzungsrichtern und Ergänzungsschöf- kung des Angeklagten eine Hemmung der Unterbrechungsfrist des fen nach § 192 Abs. 2 u. 3 GVG ergibt. Hauptgrund dafür ist, dass auch § 229 Abs. 1 u. 2 StPO für die Dauer von höchstens sechs Wochen im Fall der Erkrankung von Mitgliedern des Spruchkörpers die in § 229 vorgesehen, wenn die Hauptverhandlung bereits zehn Tage statt- StPO geregelte Unterbrechungsfrist nicht überschritten werden darf. gefunden hatte. Die Fristhemmung dauert bei Erkrankung des Eine Vorschrift entsprechend § 229 Abs. 3 StPO, wonach bei Erkran- Angeklagten unbeschadet der sechswöchigen Höchstfrist so lange, kung des Angeklagten eine Hauptverhandlung unter bestimmten bis der Angeklagte wieder erscheinen kann. Der Vorsitzende kann Voraussetzungen längere Zeit unterbrochen werden darf, fehlt für dann von § 229 Abs. 1 oder 2 StPO Gebrauch machen, so dass die andere Verfahrensbeteiligte. Gäbe es eine solche Vorschrift, wäre das dortigen Fristen so lange nicht zu laufen beginnen, bis die Ver- Risiko, bspw. wegen Erkrankungen eine Hauptverhandlung gänzlich hinderung beendet ist. Mit dem Ende der Verhinderung und damit aussetzen zu müssen, deutlich reduziert. In diesen Fällen könnte man der Fristhemmung beginnt in solchen Fällen die Unterbrechungsfrist sogar auf die Hinzuziehung von Ergänzungsrichtern und -schöffen zu laufen. verzichten, was die Ressource Justiz schonen, Personal einsparen und Der Gesetzgeber ließ sich davon leiten, dass generell die Gefahr dadurch Kosten reduzieren würde. bestehe, dass Berufsrichter und Schöffen, die ihre Überzeugung aus Verlässliches Zahlenmaterial über die jährlich ausgesetzten und neu dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewinnen sollen, den Verhand- verhandelten Strafverfahren ist den Verfassern nicht bekannt. Dazu lungsstoff bei häufigen und längeren Unterbrechungen nicht mehr wäre praktisch auch eine bundesweit angelegte Gerichtsbefragung gegenwärtig haben, weil ihrem Erinnerungsvermögen Grenzen gesetzt erforderlich, zumal nicht in allen Bundesländern bspw. Schwer- sind. Davon sollten die vorgenommenen Änderungen jedoch nicht punktgerichte und -staatsanwaltschaften eingerichtet worden sind. berührt sein, zumal es – so die Begründung – die Möglichkeit von Angesichts der im Freistaat Thüringen gemachten Erfahrungen beim schriftlichen Aufzeichnungen und Zwischenberatungen nach Ver- LG Mühlhausen als einem Schwerpunktgericht in Wirtschaftssachen handlungspausen zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens gebe. zeigt sich aber, dass die Anzahl außerordentlich langwieriger Verfah- Offensichtlich, dies lässt sich ebenfalls den Gesetzesmaterialien ren – auch mit Auslandsbezug – stetig zunimmt und die Hinzuziehung entnehmen, hat es aber damals bereits Stimmen gegeben, welche im von Ergänzungsrichtern und -schöffen angesichts der Personalknapp- Interesse einer Entlastung der Strafjustiz weitergehende Maßnahmen heit zunehmend schwierig wird. forderten. Es ist daher die Frage aufzuwerfen, inwieweit § 229 Abs. 3 StPO insofern eine Abänderung erfahren sollte, als diese Regelung künftig 3. Kritik zu § 229 StPO nicht nur für den Angeklagten gilt, sondern auch bei Erkrankung von Mit den Neuregelungen des § 229 StPO ist der Gesetzgeber von 1987 Richtern und Schöffen Anwendung findet. Diese Fragestellung erfor- nur einen Schritt in die richtige Richtung gegangen, aber auf halbem dert einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 229 StPO Wege stehen geblieben. Setzt man die Grundsätze der Verfahrenskon- und die Motive des Gesetzgebers, die zur Einführung des § 229 Abs. 3 zentration, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung StPO in seiner heutigen Gestalt geführt haben. in Beziehung zu einer zunehmend globaleren und komplizierter werdenden Rechtswirklichkeit ist zu konstatieren, dass es eine stete 2. Genese des § 229 StPO Zunahme sog. Großverfahren mit steigender Zahl von Verhandlungs- tagen und Auslandsbezug und damit zunehmenden Schwierigkeiten Die 1975 erfolgte Einführung der Absätze 2 u. 3 zu § 229 StPO sah in der zeitnahen Beschaffung von Beweismitteln gegeben hat. Schon erstmals die Unterbrechung der Hauptverhandlung beliebig oft bis zu durch die Fülle von Verhandlungstagen und durch die Komplexität zehn Tagen vor. Hatte diese bereits mindestens zehn Tage stattgefun- der Rechtsmaterien besteht die damals festgestellte Gefahr für das den, konnte sie ein weiteres Mal bis zu 30 Tagen und nach mindestens Erinnerungsvermögen des Spruchkörpers weiterhin und sogar in zehn weiteren Verhandlungstagen nochmals um bis zu 30 Tagen einem höheren Maße. unterbrochen werden (§ 229 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 u. 2 StPO). Mit dem StrafverfahrensänderungsG (StVÄG) 1987 sollte dann praktischen Unzuträglichkeiten entgegengewirkt werden, die dadurch eintraten, dass bei besonders umfangreichen Verfahren oder beson- 1 An anderer Stelle hierzu bereits Scharf/Kropp, NStZ 2000, 297. deren Verfahrenssituationen die zwölf Jahre zuvor eingeführte nur 2 BT-Drucks. 10/1313, S. 24 f.
Neue Justiz 9/2003 459 Kurzbeiträge Scharf/Kropp, Unterbrechung der Hauptverhandlung …
Aus den Materialien von 1987 ist nicht ersichtlich, was den Gesetz- Die Stellung ausländischer Rechts- geber dazu bewogen hat, für den Angeklagten eine geradezu groß- zügige Unterbrechungsregelung zu schaffen, während die Erweite- anwälte in der Tschechischen Republik rungen für andere Verfahrensbeteiligte dagegen nicht so gravierend sind. Versteckte sich dahinter ein Misstrauen gegenüber der Justiz, Mgr. Simona Sonnewendová, LL.M., die ansonsten nicht unter einem gewissen Zeitdruck stände oder gar Tschechische Rechtsanwaltskammer Verfahren verschleppe? Solche Mutmaßungen könnten sich aufdrän- gen, wenn sie auch nicht belegbar sind. Jedenfalls sind Gründe für eine In Vorbereitung auf den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen unterschiedliche Behandlung bei Erkrankung eines Richters oder eines Union hat der tschechische Gesetzgeber eine Novellierung des Gesetzes über Angeklagten weder ersichtlich noch gerechtfertigt. die Rechtsanwaltschaft vorgenommen, die in erster Linie der Umsetzung entsprechender europäischer Richtlinien dient. Die Autorin erläutert nach- 4. Lösungsvorschlag folgend die wesentlichsten Bestimmungen.
Durch die Zunahme von Großverfahren mit komplexen Rechtsmate- 1. Novelle des Gesetzes über die Rechtsanwaltschaft rien ist die Justiz personell in einer Zeit knapper Ressourcen über- vor dem Beitritt zur EU mäßig belastet. Die Grundsätze der Verfahrenskonzentration, der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung Die tschechische Rechtsanwaltschaft bereitet sich, ebenso wie die werden durch die Komplexität und Dauer der Verfahren zunehmend ganze Tschechische Republik, auf den Eintritt in die EU vor. Deshalb strapaziert. Eine Ausdehnung der Regelung des § 229 Abs. 3 StPO auch stand das Jahr 2002 im Zeichen einer umfangreichen Novellierung auf die Mitglieder des Spruchkörpers würde hier in gewissen Berei- des Ges. über die Rechtsanwaltschaft, mit dem eine Umsetzung chen Abhilfe schaffen und eine nicht unerhebliche Entlastung der der drei europäischen Richtlinien 77/249/EWG (DienstleistungsRL), Justiz bewirken (was 1987 offenbar noch nicht vorstellbar war). 89/48/EWG (Hochschuldiplom-AnerkennungsRL) und 98/5/EG (Nie- Einschränkungen an Rechtssicherheit auch für den Angeklagten derlassungsRL) in nationales Recht erfolgt. Allerdings werden die wären damit nicht verbunden. Das Risiko einer Verfahrensverlänge- neuen Bestimmungen erst mit dem Tage wirksam, an dem der Vertrag rung würde im Grunde genommen – gemessen an dem Risiko einer über den Beitritt der Tschechischen Republik zur EU in Kraft tritt. gänzlichen Aussetzung und Neuverhandlung des Verfahrens bei Mit Rücksicht auf die Pflichten der Tschechischen Republik als eines Erkrankung eines Richters oder Schöffens – für den Angeklagten eher künftigen EU-Mitgliedstaates bringt die Novelle eine grundsätzliche hinzunehmen sein. Änderung im System der Gewährung der Rechtsdienstleistungen In der Vergangenheit sind Versuche, eine Änderung der Norm des auf dem Territorium der Tschechischen Republik mit sich. So kann § 229 StPO und damit eine grundlegende Reformierung der Unter- künftig die Berechtigung, Rechtshilfe zu gewähren, neben den in brechungsfristen zu erreichen, fehl geschlagen: § 2 Abs. 2 RechtsanwaltschaftsG (im Folgenden: Gesetz) genannten So scheiterte in der 13. Legislaturperiode ein vom Bundesrat vorge- Rechtsanwälten und Personen auch weiteren Personen erteilt werden, legter Entwurf eines StrafprozessanpassungsG, der in § 229 Abs. 1 die die Novelle als »europäische Rechtsanwälte« bezeichnet. Sie StPO eine Verlängerung der Unterbrechungsfrist von zehn Tagen müssen die Berechtigung zur Gewährung der Rechtshilfe in einem der auf drei Wochen vorsah.3 EU-Mitgliedstaaten und den anderen Vertragsstaaten des Abkommens Auch in der 14. Legislaturperiode stand die jetzige Bundesregierung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)1 erworben haben, einer Änderung des § 229 StPO noch ablehnend gegenüber.4 über eine entsprechende Berufsbezeichnung verfügen2 und Staatsan- gehörige des Staates sein, in dem sie diese Berechtigung erwarben. Mit dem jetzt von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines JustizmodernisierungsG5 ist diese Haltung anscheinend aufgegeben Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen dem »europäischen Gast- worden. Denn der Gesetzentwurf sieht u.a. neben einer Verlängerung rechtsanwalt« und dem »niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt«. der Unterbrechungsfrist auf bis zu drei Wochen in § 229 Abs. 3 StPO auch die Ausdehnung der Hemmungsregelung auf die Mitglieder des 2. Der europäische Gastrechtsanwalt Spruchkörpers vor. Das Rechtsinstitut eines europäischen Rechtsanwalts, der Rechtsdienste In dieselbe Richtung zielt auch ein im Mai 2003 von der CDU/CSU- auf dem Territorium der Tschechischen Republik »vorübergehend oder Fraktion beim Bundestag eingebrachter Entwurf eines 1. Justizbe- gelegentlich« gewährt, regelt die Novelle in den §§ 35f-35k. schleunigungsG.6 Der europäische Gastrechtsanwalt wird verpflichtet, seine Berech- Eine Reform insbesondere des § 229 Abs. 3 StPO ist überfällig. Die tigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts auf Verlangen Regelung ist nicht mehr zeitgemäß und muss den praktischen Bedürf- der Rechtsanwaltskammer, eines Gerichts oder anderen inländischen nissen und der veränderten Rechtswirklichkeit angepasst werden. Organs nachzuweisen. Dazu hat er den durch das zuständige Heimat- Insoweit ist den Ausführungen von Gehb/Drange 7 aus Sicht der Praxis organ ausgestellten »Nachweis über die Berechtigung zur Gewährung der nur ausdrücklich zuzustimmen. Rechtsdienstleistungen« zusammen mit einer »amtlich beglaubigten Übersetzung« in die tschechische Sprache vorzulegen.3 Er ist verpflich- tet, seine Berufsbezeichnung unter Angabe der im Heimatstaat dafür zuständigen Stelle zu verwenden; er ist nicht befugt, die tschechische Bezeichnung »advokát« iSv § 12 des Gesetzes zu benutzen.
1 Hierbei handelt es sich um Norwegen, das Fürstentum Liechtenstein und Island. 3 BT-Drucks. 13/8939. 2 Diese Berufsbezeichnung lautet z.B. in Frankreich »Avocat«, in Großbritannien 4 BT-Drucks. 14/6851, S. 9, zit. bei Gehb/Drange, ZRP 2003, 231 in Fn 16. »Solicitor«, »Barrister« oder »Advocate« , in Italien »Avvocato« und in Österreich 5 Siehe dazu DRiZ 2003, 223 (225); der Regierungsentwurf ist abrufbar unter »Rechtsanwalt«. www.bmj.bund.de. 3 Nach dem Gesetz Nr. 36/1967 Slg. über Sachverständige und Dolmetscher muss 6 BT-Drucks. 15/999. es sich dabei um eine von einem bestellten Gerichtsdolmetscher verfasste Über- 7 Gehb/Drange, ZRP 2003, 231. setzung handeln.
460 Neue Justiz 9/2003 Sonnewendová, Die Stellung ausländischer Rechtsanwälte …
Sollte der Gastrechtsanwalt seine Tätigkeit länger als einen Monat jedoch nicht zu. Aus dieser Integration folgt auch die Pflicht, Beiträge ausüben, ist er verpflichtet, der Kammer eine Anschrift in der Tsche- zu Aktivitäten der Kammer zu entrichten und weitere durch Standes- chischen Republik zum Zwecke der Zustellung von Kammerschrift- vorschriften geregelte Zahlungen zu leisten (zzt. Abgaben in den stücken mitzuteilen. Diese Pflicht folgt aus der Tatsache, dass auch der Sozialfonds der Kammer). Gastrechtsanwalt z.B. der Disziplinarkompetenz der Kammer unter- Ebenso wie der inländische Rechtsanwalt hat er eine gesetzliche worfen ist. Wird dem nicht nachgekommen, werden die betreffenden Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen und den Nachweis spä- Schrifstücke durch die Kammer hinterlegt; die Zustellung gilt vom testens bis zum 30.11. eines jeden Jahres der Rechtsanwaltskammer dritten Tag der Hinterlegung an als erfolgt. vorzulegen (zusammen mit dem jeweils neuen Nachweis über die Weiter besteht die Verpflichtung, alle durch die inländischen Heimatberechtigung zur Gewährung der Rechtsdienstleistungen). Rechts- oder Standesvorschriften für Rechtsanwälte festgelegten Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt ist berechtigt, Pflichten auf dem Territorium der Tschechischen Republik einzuhal- Dienstleistungen in allen Sachen (§ 1 Abs. 2 u. § 3 Abs. 2 des Gesetzes) ten. Nur wenn die inländischen Vorschriften ein Problem nicht regeln, zu gewähren. Er kann damit als Verteidiger in Strafverfahren (einschl. darf der Gastrechtsanwalt nach den Vorschriften seines Heimatstaates einer Pflichtverteidigung) und als Prozessvertreter im Zivilprozess oder verfahren. in der Verwaltungsgerichtbarkeit tätig werden. Bei der Gewährung von anderen Rechtsdienstleistungen (Beratungs- Wer eine mindestens dreijährige Tätigkeit als niedergelassener und Konsultationstätigkeit, Abfassung von Vertragsurkunden u.Ä.) europäischer Rechtsanwalt in der Tschechischen Republik aufweist ist hat der europäische Gastrechtsanwalt nach den Vorschriften seines nach dem in § 5b des Gesetzes geregelten vereinfachten Verfahren Heimatstaates (bspw. nach dem ethischen Heimatkodex) zu handeln. über die Eintragung in das Rechtsanwaltsverzeichnis berechtigt, sich Eine wichtige Pflicht setzt § 35j Abs. 2 des Gesetzes fest: Wird der als inländischer Rechtsanwalt zuzulassen.4 Gastrechtsanwalt vor Gerichten oder Behörden tätig, hat er einen Zustellungsbevollmächtigten aus den Reihen der inländischen 4. Gemeinsame Regelungen für europäische Rechtsanwälte Rechtsanwälte zu bestellen. Kommt er dem nicht nach, werden die Schriftstücke nicht ins Ausland zugestellt, sondern hinterlegt. Rechts- Bestimmungen, die sowohl für den europäischen Gastrechtsanwalt als wirkungen treten am dritten Tag von der Hinterlegung an ein. auch den niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt gelten, sind in Aus der nur vorübergehenden Gültigkeit der Berechtigung zur den §§ 35o-35r des Gesetzes geregelt. Gewährung der Dienstleistungen in der Tschechischen Republik folgt, Da der europäische Rechtsanwalt der Disziplinarkompetenz der dass das Gesetz die Mitgliedschaft des Gastrechtsanwalts in einer Rechtsanwaltskammer untersteht, kann er nach § 32 Abs. 2 wegen Anwaltssozietät nicht zulässt (§ 14). Ebenso darf der Gastrechtsanwalt eines Disziplinarvergehens zur Verantwortung gezogen werden. In gem. § 15 des Gesetzes nicht zum Gesellschafter einer zum Zwecke der einem Disziplinarverfahren kommen die allgemeinen Vorschriften Ausübung der Rechtsanwaltschaft errichteten offenen Handelsgesell- des Ges. über die Rechtsanwaltschaft und der DisziplinarO zur Anwen- schaft berufen werden. Auch eine Integration in den inländischen dung. Als Disziplinarmaßnahme kann gem. § 32 Abs. 3 lit. a bis c Rechtsanwaltsstand ist nicht vorgesehen; der Gastrechtsanwalt kann jedoch nur die »vorübergehende Untersagung der Gewährung von deshalb bspw. nicht an Versammlungen der Rechtsanwaltskammer Rechtsdienstleistungen für die Dauer von bis zu fünf Jahren« (§ 35q teilnehmen oder in deren Organe gewählt werden. Abs. 2) ausgesprochen werden. Die Auferlegung dieser Disziplinar- maßnahme hat den Verlust der Berechtigung zur Gewährung der 3. Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt Dienstleistungen auf dem Territorium der Tschechischen Republik und damit die Streichung aus dem Verzeichnis der europäischen Die §§ 35l-35n des Gesetzes regeln den Status des sog. niedergelasse- Rechtsanwälte zur Folge. Eine erneute Eintragung in das Verzeichnis nen europäischen Rechtsanwalts. Dieser ist berechtigt, Rechtsdienst- kann frühestens nach Ablauf eines Jahres ab Vollzug der Disziplinar- leistungen auf dem Terriorium der Tschechischen Republik ständig maßnahme erfolgen. zu gewähren. Wie bei inländischen Rechtsanwälten entsteht diese Eine wesentliche Pflicht des europäischen Rechtsanwalts ist in § 35p Berechtigung durch Eintragung in das bei der Kammer geführte Ver- des Gesetzes geregelt. So hat er aus den Reihen der inländischen zeichnis der europäischen Rechtsanwälte. Die Berechtigung zur Rechtsanwälte einen Berater für die Verfahren zu bestellen, in denen Berufsausübung weist der niedergelassene europäische Rechtsanwalt eine anwaltliche Vertretung ausdrücklich vorgesehen ist (z.B. Pflicht- also nicht mittels eines Heimatberechtigungsnachweises, sondern verteidigung in Strafverfahren, Verfahren über Kassationsbeschwer- einer Bescheinigung über die Eintragung in das Rechtsanwaltsver- den vor dem Obersten Verwaltungsgericht). Aufgabe des Beraters ist zeichnis nach. Das Gesetz legt im Einzelnen die Bedingungen für die es, den europäischen Rechtsanwalt bei der Klärung prozessrecht- Eintragung fest und benennt die Gründe, aus denen eine Streichung licher Fragen zu unterstützen. Als Berater des europäischen Gast- aus dem Verzeichnis erfolgen kann oder muss. rechtsanwalts kann dabei auch sein Zustellungbevollmächtiger tätig Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt ist verpflichtet, die werden. Berufsbezeichnung seines Heimatstaates zusammen mit dem Hinweis Die Verletzung der Pflicht zur Bestellung eines Beraters zieht den auf seine Eintragung in das Verzeichnis der europäischen Rechtsan- Verlust der Berechtigung des europäischen Rechtsanwalts zur Ver- wälte zu benutzen. Wie der europäische Gastrechtsanwalt ist er nicht tretung in derartigen Verfahren nach sich. Allerdings befreit die zur Führung der Bezeichnung »advokát« berechtigt. Bestellung eines Beraters ihn nicht von seiner Verantwortlichkeit Bis auf die durch das Gesetz festgelegten Ausnahmen hat der nieder- für Disziplinarvergehen und für Schäden, die seinem Klienten im gelassene europäische Rechtsanwalt nach § 35n alle Rechte und Pflich- Zusammenhang mit der Gewährung der Rechtsdienstleistungen ten eines inländischen Rechtsanwalts. Im Gegensatz zum europä- entstehen. ischen Gastrechtsanwalt ist allerdings keine gesetzliche Freistellung zugunsten von Heimatvorschriften vorgesehen, da der niedergelas- sene europäische Rechtsanwalt in den inländischen Rechtsanwalt- 4 Ein weiteres vereinfachtes Verfahren sieht § 5c des Gesetzes vor. Danach kann stand voll integriert ist. Er kann an Versammlungen der Kammer teil- ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EU oder des EWR, der in diesem Land eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, die zum Beruf eines europäischen nehmen, ist zur Ausübung des Wahlrechts berechtigt und kann in die Rechtsanwalts berechtigt, nach Ablegen einer Eignungsprüfung (§ 54 Abs. 2 des Organe der Kammer gewählt werden; ein passives Wahlrecht steht ihm Ges.) in das Rechtsanwaltsverzeichnis aufgenommen werden.
Neue Justiz 9/2003 461 Kurzbeiträge
Restitution nach dem VermG, wenn der Abgesehen davon, dass ganz generell strittig ist, ob die betreffen- den Personen ihr Eigentum verloren haben, da doch alle einschlägi- Eigentümer noch im Grundbuch steht? gen NS-Gesetze 1945 von den Alliierten aufgehoben wurden, kommt beim Sachverhalt des besprochenen BGH-Urteils hinzu, dass das Rechtsanwalt Prof. Dr. Fritz Enderlein, Potsdam Grundstück nur der kommissarischen Verwaltung unterlag und es keine Einziehung des beschlagnahmten Vermögens zugunsten des Der BGH hat mit einem Urteil v. 9.1.2003 1 zu einem Rechtsstreit Deutschen Reiches gegeben hat, die nach § 9 der Polen-VO möglich Stellung genommen, in dem es um einen Kostenerstattungsan- gewesen wäre. spruch des Verwalters nach dem VermG ging. Sowohl LG Berlin als Wie Kolb richtig bemerkt, bestand eine Besonderheit des zu ent- auch Kammergericht haben den Anspruch wegen Verjährung abge- scheidenden Sachverhalts darin, »dass eine förmliche Überführung in wiesen. Der BGH meint, unverjährte Kostenerstattungsansprüche Eigentum des Volkes zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist«. Aber vorher der Kläger seien nicht auszuschließen, und hat die Sache zur eben auch keine Überführung in Reichseigentum! erneuten Verhandlung und Entscheidung an das BerufungsG Mit dem BGH konstatiert Kolb, dass es »sich demnach auch nicht um zurückverwiesen. einen Fall staatlicher Verwaltung iSd §§ 1 Abs. 4, 11 ff. VermG« han- Der Unterschied zwischen den Rechtsauffassungen der Berliner delt, und sieht dies als »in Übereinstimmung mit der tatsächlichen Gerichte und des BGH besteht darin, dass sowohl LG als auch KG von Praxis, die dadurch gekennzeichnet war, dass die im Grundbuch einem Verwalterverhältnis zwischen den Parteien ausgegangen sind, eingetragenen Eigentümer keinerlei Möglichkeiten hatten, auf ihr während der BGH den Kläger als Verfügungsberechtigten ansieht, Eigentum zuzugreifen«. Das verstehe wer will. Weil die Eigentümer dem Ansprüche nach § 3 Abs. 3 Satz 4 VermG zustehen. nicht auf ihr Eigentum zugreifen konnten, liegt kein Fall staatlicher Es geht also im Kern darum, ob es sich bei dem strittigen Sachverhalt Verwaltung vor? Ja was konnten denn die Eigentümer bei einer staat- um einen Fall der Aufhebung einer staatlichen Verwaltung handelte lichen Verwaltung? War diese nicht gerade dadurch gekennzeichnet, oder um einen Fall der notwendigen (aber unterlassenen) Rücküber- dass den Eigentümern praktisch nur eine Buchposition zustand? Aber tragung, wie der BGH meint.2 mit der per Gesetz zum 31.12.1992 beendeten staatlichen Verwaltung entfielen eben auch alle Beschränkungen des Eigentums und das muss Der Rechtsauffassung des BGH zur Eigentumsposition am Grund- auch den noch im Grundbuch stehenden Verfolgten des NS-Regimes stück kann m.E. nicht zugestimmt werden. zugute kommen. Das betreffende Grundstück war auf Grundlage des § 5 der sog. Dass mit der – in der Konsequenz – nachträglichen Enteignung Polen-VO v. 17.9.1940 (RGBl. I S. 1270) der kommissarischen Verwal- »einer Gleichbehandlung der von Vermögensverlusten Betroffenen tung durch das Deutsche Reich unterstellt worden. Nach dem Krieg … Rechnung getragen« wird, wie Kolb meint, ist nicht nachzu- wurde das Grundstück auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vollziehen. Vielmehr handelt es sich hier doch gerade um eine weiter verwaltet. Eine Umschreibung des Grundstücks auf das Eigen- Ungleichbehandlung jüdischer Eigentümer, denen die Wiederein- tum des Deutschen Reiches oder auf Eigentum des Volkes erfolgte zu setzung in ihre Rechte durch Aufhebung der staatlichen Verwaltung keiner Zeit. Als Eigentümer wurden nach Vorlage der Erbscheine die verwehrt werden soll. Erben des Alteigentümers eingetragen. Es ist auch nicht einzusehen, warum die jüdischen Erben auf eine Der BGH hält das für falsch. Er vertritt die Auffassung, dass die Rückübertragung nach § 1 Abs. 6 VermG verwiesen werden sollen, Anordnung der kommissarischen Verwaltung nach der VO v. wenn das gleiche Ergebnis bereits durch die Aufhebung der staatlichen 17.9.1940 als Beschlagnahme galt und diese sowohl nach den Vor- Verwaltung nach § 1 Abs. 4 VermG erreicht werden kann. Hier kann schriften des alliierten Rückerstattungsrechts als auch nach § 1 Abs. 6 man sagen, »warum einfach, wenn es auch umständlich geht«. VermG als Entziehung des Eigentums anzusehen ist; das VermG Unverständlich ist schließlich Kolbs Hinweis auf einen »sozialver- stelle auf die faktischen Verhältnisse ab, ohne Bedeutung sei, ob die träglichen Interessenausgleich«, wenn es um die Auseinandersetzung NS-Unrechtsmaßnahme zu einem zivilrechtlichen Vermögensverlust zwischen den Erben von Holocaust-Opfern auf der einen Seite und geführt habe. dem Rechtsnachfolger der kommunalen Wohnungsverwaltung auf In der Konsequenz bedeutet das die nachträgliche Enteignung der anderen Seite geht. jüdischen Vermögens. Insgesamt ist festzustellen, dass die Entscheidung des BGH leider Angela Kolb nimmt das Urteil zustimmend zur Kenntnis3 und nicht zur Rechtsklarheit beiträgt, und es ist zu hoffen, dass das schreibt: »... musste der BGH sich hier zunächst einmal mit der Kammergericht an der Differenzierung zwischen § 1 Abs. 4 und § 1 grundsätzlichen Frage auseinandersetzen, ob die einschlägigen Vor- Abs. 6 VermG festhält. schriften des VermG Anwendung finden oder das Zivilrecht greift.« Ebenso wie der BGH wirft Kolb nicht die Frage auf, was denn die einschlägigen Vorschriften des VermG sind, wenn der von den Natio- nalsozialisten verfolgte Eigentümer noch im Grundbuch steht.4 Mit dem BGH geht sie davon aus, dass »Personen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen in der Zeit 1 BGH, NJ 2003, 314 (bearb. v. Kolb) = ZOV 2003, 99. vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 verfolgt wurden und deshalb ihr 2 Vgl. F. Enderlein, »Rückübertragung oder Aufhebung der staatlichen Verwal- Vermögen verloren haben, selbst dann nur noch eine Buchposition tung?«, ZOV 2003, 154 f. 3 A. Kolb, NJ 2003, 315. zu(stand), wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch als Eigentümer im 4 Vgl. F. Enderlein, »Keine Rückübertragung erforderlich, wenn der Alteigentümer Grundbuch eingetragen waren«. noch im Grundbuch steht«, ZOV 2002, 263 ff.
462 Neue Justiz 9/2003 Informationen
BUNDESGESETZGEBUNG Altschulden der LPG-Nachfolgeunternehmen Das Bundeskabinett hat den Entwurf eines Landwirtschafts-Altschul- Auswertung der BGBl. 2003 I Nr. 35 bis 39 denG beschlossen, der die beschleunigte Ablösung der Altschulden Das Ges. über die Berufe in der Krankenpflege und zur Änderung anderer durch die LPG-Nachfolgeunternehmen entsprechend ihrer wirtschaft- Gesetze v. 16.7.2003 enthält in Art. 1 das KrankenpflegeG (KrPflG), das lichen Leistungsfähigkeit vorsieht. Die bisherigen Regelungen zur am 1.1.2004 in Kraft tritt; gleichzeitig tritt das KrPflG v. 4.6.1985 Bedienung der Altschulden sollen angepasst und ein einheitliches (BGBl. I S. 893) außer Kraft. Weiterhin ändert das ArtikelG das Kran- Ablöseverfahren festgelegt werden. Die Anpassung der Rückzahlungs- kenhausfinanzierungsG, das KrankenhausentgeltG sowie 12 weitere bedingungen soll in einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für Rechtsvorschriften. (BGBl. I Nr. 36 S. 1442) die zu leistenden Zahlungen auf Altschulden und in einer Erhöhung des Abführungssatzes auf 65% der Bemessungsgrundlage erfolgen. LPG- Mit Ges. v. 16.7.2003 ist das Erneuerbare-Energien-G v. 29.3.2000 (BGBl. I Nachfolgeunternehmen sind noch mit Altschulden aus DDR-Zeiten S. 305) durch Einfügung eines neuen § 11a (Besondere Ausgleichs- von rd. 2,5 Mrd. € belastet. Rückzahlungen sind bisher kaum erfolgt. regelung) ergänzt worden. Die Änderung ist am 22.7.2003 in Kraft (aus: Pressemitteilung des BMF v. 3.7.2003) getreten und tritt am 1.7.2004 wieder außer Kraft. (BGBl. I Nr. 36 S. 1459) Kündigung von Mietverträgen Nach einem vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf zur Aufhe- Das FallpauschalenänderungsG (FPÄndG) v. 17.7.2003 sieht für Kranken- bung des Art. 232 § 2 Abs. 2 EGBGB (BR-Drucks. 398/03 [Beschluss]) häuser die Einführung des pauschalierenden Entgeltsystems auf der soll der Ausschluss der sog. Verwertungskündigung für Mietverträge, Basis von sog. Diagnosis Related Groups vor. Ferner soll die Finanzie- die in den neuen Ländern vor dem 3.10.1990 geschlossen wurden, rung der Ausbildung künftig aus einem Ausbildungsfonds auf Lan- aufgehoben werden. Die Verhältnisse am Wohnungsmarkt hätten sich desebene und nicht mehr im Rahmen der Krankenhausbudgets grundlegend geändert; es sei Wohnungsleerstand zu verzeichnen und und tagesbezogenen Pflegesätze erfolgen. Geändert wurden u.a. das ausreichender preiswerter Wohnraum vorhanden. Der Kündigungs- KrankenhausfinanzierungsG, das KrankenhausentgeltG und das Fall- ausschluss sei daher für Vermieter unzumutbar; er verhindere sogar die pauschalenG. Das ArtikelG ist im Wesentlichen am 22.7.2003 in Kraft wirtschaftliche Verwertung weitestgehend leer stehender Gebäude. getreten. (BGBl. I Nr. 36 S. 1461) Nach Auffassung des Mieterbundes ist eine solche »Abrisskündigung Ost« das politisch falsche Signal und rechtlich überflüssig. Mit ÄndG v. 24.7.2003 sind § 346 Abs. 2 SGB III, §§ 7d, 20 u. 23b (aus: Pressemitteilungen des Bundesrats Nr. 128/03 v. 11.7.2003 SGB IV, § 249 SGB V, §§ 2, 154 u. 168 SGB VI sowie zahlreiche Para- u. des Deutschen Mieterbundes v. 11.7.2003) graphen des SGB VII geändert worden. Das ÄndG ist im Wesentlichen Zur »Abrisskündigung« siehe AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 28.5.2002, NJ 2002, 548. am 1.8.2003 in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 38 S. 1526) Zugriff auf elektronische Dateien Das KleinunternehmerförderungsG v. 31.7.2003 ist rückwirkend zum Ein vom Bundesrat verabschiedeter Gesetzentwurf zur effektiveren 1.1.2003 in Kraft getreten. Das ArtikelG dient dem Abbau bürokrati- Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften (BR-Drucks. scher Belastungen für Existenzgründer und Kleinunternehmer u.a. 390/03 [Beschluss]) sieht die Schaffung der rechtlichen Vorausset- durch Vereinfachung der Ausgabenpauschalierung bei der Gewinn- zungen für den beiderseitigen Zugriff von Staatsanwaltschaften und ermittlung. (BGBl. I Nr. 39 S. 1550) Polizei auf die jeweils bei der anderen Behörde geführten elektroni- schen Daten vor. Staatsanwaltschaften sollen Online-Zugriff u.a. auf die Personenfahndungsdateien, die Haftdateien des BKA und bestimmte GESETZESINITIATIVEN DNA-Analysedateien erhalten; Polizei und Strafgerichte sollen auf das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister zugreifen können. Justizmodernisierung (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 127/03 v. 11.7.2003) Der Bundesrat hat zum von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines JustizmodernisierungsG (siehe Inform. in NJ 2003, 409) zahlreiche Grunderwerbsteuerbefreiung für Wohnungsunternehmen Änderungsvorschläge beschlossen (BR-Drucks. 378/03 [Beschluss]). Sie Der Bundesrat hat den Entwurf eines Gesetzes zur Grunderwerb- betreffen u.a. die Entlastung der Berufungsgerichte durch Lockerung steuerbefreiung bei Fusionen von Wohnungsunternehmen und Woh- des Protokollierungszwangs, eine Vereinfachung der Postzustellung nungsgenossenschaften in den neuen Ländern (BR-Drucks. 180/03 durch Einrichtung einer zentralen Niederlegungsstelle innerhalb eines [Beschluss]) beschlossen. Er zielt darauf ab, »Fusionen« von Woh- Amtsgerichtsbezirks, das Absehen vom zivilprozessualen Strengbe- nungsunternehmen und -genossenschaften, die am 23.5.2003 Sitz weisverfahren bei Einverständnis der Parteien und eine differenzierte und Geschäftsleitung in den neuen Ländern einschl. Berlin hatten, Beschränkung der Bindung des Zivilrichters an einschlägige, strafge- von der Grunderwerbsteuer freizustellen, wenn die Verschmelzung richtliche Tatsachenfeststellungen. oder Spaltung nach dem 31.12.2003 und vor dem 1.7.2006 erfolgt. Gleichzeitig hat der Bundesrat einen eigenen Entwurf für ein Justiz- (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 76/03 v. 23.5.2003) beschleunigungsG (BR-Drucks. 397/03 [Beschluss]) eingebracht, der u.a. folgende Maßnahmen vorsieht: Einführung einer begrenzten Hochschulzulassung Bindungswirkung strafgerichtlicher Feststellungen für den Zivilprozess, Der Bundesrat hat beim Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung der Streitwertgrenzen, Klarstellung für den Einsatz von Änderung des HochschulrahmenG (BR-Drucks. 463/03 [Beschluss]) Proberichtern als originäre Einzelrichter, Eröffnung der Zweierbeset- mit dem Ziel einer Neuordnung der Hochschulzulassung eingebracht. zung bei den LG und OLG sowie Vereinfachungen in Grundbuch- und Die Verteilung von Studienplätzen, die in das zentrale Vergabever- Registersachen. Beim Strafverfahren sind u.a. Änderungen im Recht fahren einbezogen sind, soll künftig alternativ nach zwei, von den Län- der Richterablehnung, Vereinfachungen im Ermittlungs- und im dern auszuwählenden Modellen vorgenommen werden. Die Modelle Hauptverfahren, punktuelle Änderungen im Rechtsmittelrecht und unterscheiden sich jeweils durch unterschiedliche Prozentzahlen Änderungen bei besonderen Verfahrensarten, im Ordnungswidrigkei- hinsichtlich der durch die Hochschule bzw. die Zentralstelle für die tenrecht sowie bei den Tilgungsfristen in Zentralregistern vorgesehen. Vergabe von Studienplätzen zu vergebenden Studienplätze. (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 139/03 v. 11.7.2003) (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 129/03 v. 11.7.2003)
Neue Justiz 9/2003 463 Informationen
Volksentscheid über europäische Verfassung NEUE BUNDESLÄNDER Die künftige europäische Verfassung soll nach den Vorstellungen der FDP in Deutschland mit einem Volksentscheid verabschiedet werden. BERLIN/BRANDENBURG Zu diesem Zweck sieht ein Gesetzentwurf der Fraktion (BT-Drucks. 15/1112) eine Änderung von Art. 23 GG vor. An dem Referendum soll Berlins Innensenator Dr. Erhart Körting und Brandenburgs Innen- sich mindestens ein Viertel der Bevölkerung beteiligen. Laut FDP wäre minister Jörg Schönbohm haben das »Gemeinsame Kriminalitätslagebild ein Verfassungstext ohne ausdrückliche Zustimmung der Bürger Berlin–Brandenburg für das Jahr 2002« vorgestellt. Daraus geht hervor, nicht ausreichend legitimiert, so dass die Vorstellung einer »Union der dass sich die bereits in den vergangenen Jahren festgestellte, territo- Bürger« nicht verwirklicht würde. rial stark differierende Kriminalitätsbelastung auch 2002 mit weit- gehend gleichen Brennpunkten im städtischen Ballungsraum, dem (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib Nr. 126 v. 11.6.2003) unmittelbaren Berliner Umland sowie dem Grenzgebiet zu Polen bestätigt. Insgesamt wurden 2002 in Berlin und Brandenburg 828.348 EUROPA Straftaten registriert. Für beide Länder wurden 96 Komplexe zur Organisierten Kriminalität (davon Berlin 79) erfasst. Schwerpunkte Europäische Verfassung waren wie im Vorjahr Vermögens- und Eigentumsdelikte sowie Der EU-Verfassungskonvent hat im Juli 2003 seine Arbeiten für eine Rauschgift- und Schleusungskriminalität. europäische Verfassung abgeschlossen und formell die Ergebnisse an Die beiden Länder arbeiten bei der Kriminalitätsbekämpfung und in die italienische Präsidentschaft übergeben. Der Entwurf sieht neben der Kriminalitätsprävention enger als bisher zusammen. So wurde bspw. einer Vereinfachung der Vertragsregeln eine klarere Aufgabenver- eine gemeinsame polizeiliche Arbeitsgruppe zur Reduzierung von ille- teilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten vor. Die EU-Spitze galem Grafitti konstituiert. Vorgesehen ist die gemeinsame Erstellung soll von dem Präsidenten des Europäischen Rats der Staats- und langfristiger Prognosen der Kriminalitätsentwicklung, um zu abge- Regierungschefs sowie dem Vizepräsidenten der Kommission gebildet stimmten Konzepten in der Kriminalitätsbekämpfung zu gelangen. werden, der gleichzeitig als europäischer Außenminister fungiert. (aus: Gemeinsame Pressemitteilung der Innenressorts Die bisher noch nicht kodifizierte Grundrechtscharta ist in Teil II der von Berlin u. Brandenburg v. 7.8.2003) Verfassung verankert und erhält verbindlichen Charakter. Außerdem sollen Bürgerinitiativen, die von mind. 1 Mio. Bürgern unterstützt BERLIN werden, die Kommission zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative Die Senatorinnen Schubert und Dr. Knake-Werner haben sich auf ein verpflichten. Es wurde eine neue Klausel eingefügt, die Mitgliedstaa- bundesweit erstes Pilotprojekt zur ambulanten Nachsorge von gefährlichen ten den Austritt aus der EU erlaubt bzw. ihn erzwingt. Die im Okt. 2003 Gewaltstraftätern nach deren Entlassung verständigt. Der Einstieg in beginnende Regierungskonferenz hat die letzte Entscheidungsgewalt diese zusätzlichen Betreuungsmaßnahmen soll ab dem 1.1.2004 mög- über die Verfassung. lich sein; bis dahin soll der Standort der neuen Ambulanz bestimmt (aus: BRAK, Büro Brüssel, Nr. 12 u. 14/03 v. 18.6. u. 16.7.2003) sein. Durch eine koordinierte Nachsorge für bestimmte Täter aus dem Maßregel- und dem Strafvollzug sollen der Übergang bei der Entlassung Rechtshilfe- und Auslieferungs-Abkommen mit den USA erleichtert und die Rückfallquote dieser Tätergruppe gesenkt werden. Die EU-Justizminister haben sich im Juni 2003 in Luxemburg auf ein Der Senat hatte im Mai 2003 beschlossen, den Schutz der Allgemeinheit gemeinsames Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen mit den USA vor einer Rückfälligkeit von Sexualstraftätern weiter auszubauen. geeinigt. In dem Auslieferungs-Abkommen ist festgelegt, dass kein EU- (aus: Gemeinsame Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Justiz u. Mitgliedstaat einen Verfolgten an die USA ausliefern wird, wenn die- für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz v. 25.7.2003) sem dort die Todesstrafe droht. Voraussetzung jeder Auslieferung ist, dass die betreffende Tat in beiden Staaten mit Freiheitsstrafe im Mit 3. VO v. 22.7.2003 ist die ArbeitszeitVO erneut geändert worden. Höchstmaß von mind. einem Jahr bedroht ist. Das Rechtshilfe-Abkom- Nachdem durch VO v. 6.1.2003 (GVBl. S. 2) in § 1 Abs. 1 die regel- men legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Länder sich gegen- mäßige Arbeitszeit der Landesbeamten von im Durchschnitt 40 Stun- seitig Rechtshilfe leisten. Geregelt sind u.a. die Bildung gemeinsamer den pro Woche auf 42 Stunden erhöht worden war, ist diese Regelung Ermittlungsteams, die Möglichkeit von Videovernehmungen von jetzt mit Wirkung zum 1.8.2003 wieder rückgängig gemacht worden. Zeugen und Sachverständigen sowie die Ermittlung von Inhabern Es wurde zudem ein neuer § 2a eingefügt, der die Gewährung von bestimmter Bankkonten. freien Unterrichtstagen für Lehrer regelt. Danach werden Lehrer an (aus: Pressemitteilung des BMJ Nr. 47/03 v. 6.6.2003) zwei Unterrichtstagen pro Schuljahr unter Fortzahlung der Besoldung vom Dienst freigestellt. Bei Vollzeitbeschäftigten werden pro Schuljahr Rechtshilfe- und Auslieferungs-Abkommen mit Polen weitere fünf Unterrichtstage auf einem sog. Arbeitszeitkonto gutge- Mit dem Ziel, die Rechtshilfe in Strafsachen und die Auslieferungs- schrieben; bei Teilzeitbeschäftigten erfolgt die Gutschrift anteilig. praxis zwischen Deutschland und Polen zu intensivieren, haben der Das Arbeitszeitkonto soll vor Eintritt in den Ruhestand durch Freistel- polnische Justizminister Grzegorz Kurczuk und die Bundesjustizminis- lung ausgeglichen werden; ist dies nicht möglich, kann ein entspre- terin Brigitte Zypries zwei ergänzende Abkommen unterzeichnet. chender finanzieller Ausgleich gewährt werden. (GVBl. Nr. 28 S. 290) Das neue Rechtshilfe-Abkommen verpflichtet konkret zur gegensei- tigen Unterstützung auch bei modernen Ermittlungsmethoden, wie Die Neufassung des Berliner StiftungsG (StiftG Bln) ist am 22.7.2003 in der grenzüberschreitenden Telefonüberwachung. Nach dem Ergän- der v. 12.7.2003 an geltenden Fassung bekannt gemacht worden. zungsvertrag zum Auslieferungs-Abkommen müssen Auslieferungs- (GVBl. Nr. 29 S. 293) ersuchen künftig nicht mehr dem BMJ zugeleitet werden, sondern können vom polnischen Justizministerium unmittelbar bei den BRANDENBURG zuständigen Ländern gestellt werden. Außerdem werden die Bedin- Polizei und Justiz in Brandenburg wollen den Opferschutz weiter aus- gungen für eine Auslieferung vereinfacht. Sie ist dann möglich, wenn bauen. Auf der 2. Landeskonferenz des Landespräventionsrates Ende die tatsächlich zu vollstreckende Strafe oder die Summe mehrerer zu Juli 2003 in Potsdam kündigte Innenminister Schönbohm ein unter vollstreckender Strafen noch mind. drei Monate beträgt. Federführung der Polizeifachhochschule entwickeltes Opferschutz- (aus: Pressemitteilung des BMJ Nr. 59/03 v. 17.6.2003) konzept sowie die Einsetzung von Opferschutzbeauftragten in den
464 Neue Justiz 9/2003 Polizeibehörden an. Justizministerin Richstein verwies auf den Aufbau SACHSEN eines flächendeckenden Systems von Opferhelfern. Von den im Jahr Mit Wirkung v. 1.8.2003 wurde Geert Mackenroth zum neuen Staats- 2002 registrierten insges. 244.328 Straftaten waren 23.416 Taten sog. sekretär im Justizministerium ernannt. Die Neubesetzung war not- Opferdelikte; 25.664 Menschen wurden Opfer solcher Straftaten, wendig, weil der bisherige Staatssekretär Stefan Franke zum selben Zeit- darunter 5.908 Gewaltopfer und 2.805 Opfer von Straßenkriminalität. punkt Präsident des OLG Nürnberg geworden ist. G. Mackenroth ist seit (aus: Gemeinsame Pressemitteilung des Innen- u. 1975 in der Justiz tätig, zuletzt als LG-Präsident in Schleswig-Holstein; Justizministeriums v. 31.7.2003) er war seit März 2001 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. (aus: Pressemitteilung der Landesregierung v. 20.5.2003) Informationen zum Grundstücksmarkt in Brandenburg sind jetzt im Internet unter www.gutachterausschuss-bb.de und www.gutachter- Mit Wirkung v. 15.7.2003 hat Richard Eichmayr, der bisherige Präsident ausschuesse-bb.de abrufbar. Die Gutachterausschüsse für Grundstücks- des SG Chemnitz, das Amt des Präsidenten des VG Chemnitz über- werte präsentieren Auszüge aus ihren jährlichen Grundstücksmarkt- nommen. Der gebürtige Augsburger, der seit Okt. 1990 in Sachsen tätig berichten u.a. zu Umsatzentwicklung und Markttendenzen im Land ist, tritt damit die Nachfolge von Manfred Kremer an, der bereits im Jahr sowie in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten. 2002 nach Hessen versetzt worden war. (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums Nr. 99/03 v. 29.6.2003) (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 4.7.2003)
Die Bbg. Bauordnung (BbgBO) v. 16.7.2003 ist am 1.9.2003 in Kraft Die Justizminister von Sachsen und Bayern haben eine Verwaltungs- getreten; gleichzeitig trat die BbgBO idF der Bkm. v. 25.3.1998 (GVBl. I vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Pflege von S. 82) außer Kraft. Die neue BbgBO dient der Senkung von Normen Computerprogrammen für Straf- und Zivilgerichte mit der Bezeichnung und Standards durch Verfahrensvereinfachungen, der Neustrukturie- »forumSTAR« unterzeichnet. Um die bis zu 100.000 Dokumente pro rung der Verfahrensarten, Entschlackung des Baugenehmigungs- Tag mit den Daten der Fachverfahren arbeitssparend erstellen zu verfahrens, Entkoppelung der rechtlichen Prüfung von der bautech- können, wird parallel ein auf die Justizanforderungen abgestelltes nischen Prüfung, Beschleunigung der Verfahrensabläufe und des Textsystem entwickelt. Vollzugs örtlicher Bauvorschriften durch die Kommunen. Weiter sind (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums Nr. 43/03 v. 13.6.2003) zahlreiche Klarstellungen vorgenommen und der Freistellungskatalog des § 67 BbgBO 1998 erweitert worden. (GVBl. I Nr. 12 S. 210) Das Ges. zur Errichtung der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank (Förder- bankG) v. 19.6.2003 ist am 12.7.2003 in Kraft getreten. Die Justiz-ZuständigkeitsübertragungsVO (JuZÜV) v. 2.6.2003, in Kraft (SächsGVBl. Nr. 8 S. 161) seit 4.7.2003, regelt im Einzelnen die Übertragung von Zuständigkei- ten zum Erlass von Rechtsverordnungen auf das für Justiz zuständige SACHSEN-ANHALT Mitglied der Landesregierung. (GVBl. II Nr. 16 S. 341) Am 1.8.2003 ist die Präsidentin des OLG Naumburg Gertrud Neuwirth MECKLENBURG-VORPOMMERN in den Ruhestand getreten. Sie wurde von Justizminister Curt Becker Einen Überblick zur Verwaltungsreform bietet das Land im Internet feierlich verabschiedet. Die Amtsgeschäfte werden vorerst vom Vize- unter www.mv-regierung.de/im/verwaltungsreform/ an. Es richtet präsidenten Werner Zink wahrgenommen. Die Nachbesetzung des Amts sich an interessierte Bürger, bietet Material für Mitarbeiter der Verwal- erfolgt im Rahmen einer Ausschreibung. tung und beantwortet die häufigsten Fragen zur Verwaltungsreform. (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums Nr. 20/03 v. 31.7.2003) (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums Nr. 68/03 v. 29.7.2003) Das 2. InvestitionserleichterungsG v. 16.7.2003 ändert zahlreiche Rechts- Mit Ges. v. 5.6.2003 wurde das SchulG v. 15.5.1996 (GVOBl. M-V vorschriften des Landes und ist im Wesentlichen am 1.9.2003 in Kraft S. 394), zuletzt geänd. durch Ges. v. 17.6.2002, in § 56 Abs. 3 (Dauer des getreten. Kernpunkte des Gesetzes mit dem Ziel einer notwendigen Schulbesuchs) und in § 143 Abs. 4 mit Wirkung v. 21.6.2003 geändert. Belebung von Privatinvestitionen sind u.a.: Begrenzung des Bildungs- (GVOBl. M-V Nr. 9 S. 330) freistellungsG auf eine berufsspezifische Weiterbildung, Modifikationen Eine weitere Änderung des SchulG erfolgte mit Ges. v. 7.7.2003 u.a. des Denkmalschutzes, Begrenzung der Dokumentationspflicht auf die durch Einfügung eines neuen § 107a (Zügigkeit von Schulen an Mehr- Zumutbarkeit und damit Beschleunigung des Genehmigungsver- fachstandorten) und von § 132a (Sportgymnasien). Diese Änderungen fahrens, Möglichkeit der Übertragung der Trinkwasserversorgung und sind am 12.7.2003 in Kraft getreten. (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 356) der Abwasserbeseitigung auf Private. (GVBl. LSA Nr. 26 S. 158)
Durch Ges. v. 5.6.2003, in Kraft seit 21.6.2003, ist das Landeshoch- Das JuristenausbildungsG (JAG LSA) v. 16.7.2003 ist am 22.7.2003 in schulG (LHG M-V) v. 5.6.2002 (GVOBl. M-V S. 398) durch Klarstellung Kraft getreten; gleichzeitig trat das JAG LSA v. 27.4.1994 (GVBl. LSA einer missverständlichen Passage in § 5 Abs. 5 geändert worden. S. 546) außer Kraft, soweit nicht in den Übergangsvorschriften des § 10 (GVOBl. M-V Nr. 9 S. 331) das Fortgelten bestimmt wurde. Das neue JAG regelt u.a., dass die bisherige erste juristische Staatsprüfung künftig als »erste juristische Mit Ges. v. 2.7.2003 wurde das LandesbeamtenG (LBG M-V) idF der Bkm. Prüfung« zweigeteilt und sowohl vom Landesjustizprüfungsamt v. 12.7.1998 (GVOBl. M-V S. 256) durch Neufassung des § 91 (Beihil- (staatliche Pflichtfachprüfung) als auch von der Martin-Luther-Uni- fen) zum 1.9.2003 geändert. (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 335) versität Halle-Wittenberg (universitäre Schwerpunktbereichsprüfung) abgenommen wird. (GVBl. LSA Nr. 26 S. 167) Das AusführungsG zum GrundsicherungsG (GSiG-AG) v. 6.7.2003, in Kraft seit 1.1.2003, bestimmt, dass die bundesrechtlich den Land- Mit VO v. 30.7.2003 ist die VO über die Auflösung der amtsgerichtlichen kreisen und kreisfreien Städten zugewiesenen Aufgaben durch diese als Zweigstelle Klötze v. 4.6.2003 durch Einfügung eines neuen § 2 geändert Selbstverwaltungsangelegenheit wahrgenommen werden. Die Land- worden. Danach gehen mit Ablauf des 30.6.2003 noch nicht erledigte kreise können bestimmen, dass kreisangehörige Ämter und amtsfreie Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit des AG Gardelegen, Zweig- Gemeinden die den Landkreisen obliegenden Aufgaben durchführen. stelle Klötze, mit Wirkung v. 1.7.2003 auf das nunmehr örtlich zustän- (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 360) dige AG über. (GVBl. LSA Nr. 28 S. 199)
Neue Justiz 9/2003 465 Informationen
THÜRINGEN Zum Studiengang Bachelor of Laws an der Universität Greifswald siehe den Das Innenministerium hat die Frist für die Einreichung von Stellung- Beitrag von W. Joecks/S. Guse, NJ 2002, 568 ff. nahmen zum Entwurf eines Landesentwicklungsplanes 2003 aufgrund der großen Resonanz und mit dem Ziel einer weiterhin breiten öffent- Technische Universität Dresden lichen Diskussion bis zum 31.10.2003 verlängert. Der Planentwurf ist Das Konzil der TU Dresden hat Prof. Dr. Hermann Kokenge für die im Internet unter www.rolp.thueringen.de abrufbar. Amtszeit 2003 bis 2006 zum Rektor gewählt. Er tritt am 1.10.2003 die (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums Nr. 97/03 v. 7.8.2003) Nachfolge von Prof. Achim Mehlhorn an, der die Universität neun Jahre lang leitete. Der neue Rektor hat bis 1980 an den Universitäten Die Thür. RechtspflegeraufgabenübertragungsVO (ThürRPflAÜV) v. 3.6.2003 München und Hannover Landespflege/Landesarchitektur studiert und bestimmt im Einzelnen, welche nach den bundesrechtlichen Rege- ist seit 1993 an der TU Dresden tätig. lungen des RechtspflegerG vom Rechtspfleger wahrzunehmenden (aus: Pressemitteilung des TU Dresden v. 9.7.2003) Geschäfte auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen werden. Die am 20.6.2003 in Kraft getretene VO tritt am 31.3.2008 Universität Halle-Wittenberg wieder außer Kraft. (GVBl. Nr. 9 S. 319) Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Witten- berg blickt auf eine mehr als zehnjährige erfolgreiche Neuentwicklung Das Thür. HochschulG (ThürHG) in der v. 25.4.2003 an geltenden Fassung zurück. Von einer Fakultät in Gründung im Jahre 1991 mit einem ist am 24.6.2003 neu bekannt gemacht worden. (GVBl. Nr. 10 S. 325) ehrenamtlichen Gründungsdekan, Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, von der Universität Göttingen, und einigen ehrenamtlich tätigen Hoch- Das Thür. AusführungsG zum BSHG (ThürAGBSHG) ist in der v. 1.7.2003 schullehrern, zum größten Teil ebenfalls aus Göttingen, hat sich eine an geltenden Fassung am 24.6.2003 neu bekannt gemacht worden. junge, stabile Fakultät mit national und international erworbener (GVBl. Nr. 10 S. 369) Anerkennung entwickelt. Mit gegenwärtig 18 Professuren, 35 wiss. Mitarbeitern sowie ca. 1.500 Studierenden gehört die Fakultät zu den Mit Ges. zur Umsetzung von bundes- und europarechtlichen Vorschriften in mittelgroßen der 42 Jura-Fakultäten in Deutschland. An der Fakultät Thüringer Naturschutzrecht v. 15.6.2003, in Kraft seit 30.7.2003, wurden wurden in den letzten Jahren vier Institute gegründet: Das Institut für neben dem ThürNatG zu den Naturschutzgebietsfestsetzungen insges. Wirtschaftsrecht, das Institut für Kammerrecht, das interdisziplinäre 64 Rechtsverordnungen geändert. (GVBl. Nr. 11 S. 393) Zentrum Medizin-Ethik-Recht und das Institut für Stiftungsrecht (zzt. in Gründung). Zunehmend kommen Studierende aus den alten Bundesländern zum Studium der Rechtswissenschaft nach Halle. Für UNIVERSITÄTEN diese Entwicklung sprechen auch die hohen Absolventenzahlen an der Fakultät, die z.T. deutlich über denen anderer Studiengänge liegen. Berliner Universitäten (aus: Pressemitteilung des Juristischen Fakultät v. 2.7.2003) Die Präsidenten der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Univer- sität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin haben den Ergänzungs- und Änderungsvertrag zu den Hochschulverträgen 2003 BERUFSORGANISATIONEN bis 2005 paraphiert. In einem Begleitschreiben an den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur brachten sie zum Ausdruck, Deutscher Richterbund dass an der festgelegten Kürzungssumme von 75 Mio. € grundsätzlich Die zuständige Kommission des DRB hat einen Entwurf für eine Reform alle Vertragshochschulen zu beteiligen sind. Gleichzeitig verwiesen sie des Amtsrechts der Staatsanwälte vorgelegt, mit dem eine verbands- darauf, dass der Konsolidierungsbeitrag nur unter der Bedingung zu interne und öffentliche Diskussion über die Strukturen einer moder- erbringen sein wird, dass durch eine Novellierung des Berliner Hoch- nen Staatsanwaltschaft angestoßen werden soll. Der Gesetzentwurf schulG die mit der Erprobungsklausel gegebenen Gestaltungsmög- greift langjährige Forderungen des DRB, u.a. nach Abschaffung des lichkeiten der Universitäten nicht eingeschränkt werden. externen Weisungsrechts im Einzelfall und des Status des leitenden (aus: Pressemitteilung der HU zu Berlin v. 29.7.2003) Staatsanwalts als politischer Beamter, auf. (aus: Pressemitteilung des DRB v. 9.8.2003) Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Zu dieser Problematik siehe auch E. C. Rautenberg, »Staatsanwaltschaft und Zum Wintersemester 2003/04 gibt es auf die rd. 900 Studienplätze in Gewaltenteilung«, NJ 2003, 169 ff. den drei Fakultäten Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften über 2.700 Bewerbungen. Mit 15,5 Bewerbern je Studienplatz ist »Renner« der Studiengang »International Business Administration«, der STATISTIK in den ersten beiden Jahren in englischer Sprache absolviert wird. Für Jura besteht noch bis zum 19.9.2003 die Möglichkeit, sich für das Aufhebung und Schaffung von Rechtsvorschriften Wintersemester direkt an der Viadrina einzuschreiben. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP zum Sachstand (aus: Pressemitteilung der Europa-Universität Viadrina v. 4.8.2003) des sog. Masterplans »Bürokratieabbau« teilte die Bundesregierung (BT-Drucks. 15/1391, 15/1437) mit, dass seit dem 1.1.1999 bis Anf. Universität Rostock Juli 2003 insges. 89 Stammgesetze und 446 Rechtsverordnungen Im Fernstudienzentrum an der Universität Rostock werden zum Winter- aufgehoben worden sind; darin sei die Aufhebung weiterer zahlreicher semester 2003/04 neben den eigenen Studiengängen auch die neuen Einzelvorschriften im Rahmen von Änderungsvorhaben nicht ent- international anerkannten Bachelor- und Masterstudiengänge der halten. Die Zahl der im selben Zeitraum erlassenen »ändernden Ver- FernUniversität Hagen angeboten und betreut. Völlig neue Wege der ordnungen« wird mit 1.208 und die neuer Stammverordnungen mit juristischen Ausbildung werden mit dem Studiengang Bachelor of Laws 624 angegeben. Die Bundesregierung habe seitdem 307 Änderungs- beschritten. Neben dem akademischen, juristischen Handwerkszeug gesetze verabschiedet, mit denen bestehende Gesetze angepasst, werden betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt und damit eine modernisiert oder reformiert worden sind. Darüber hinaus habe das Alternative zum klassischen juristischen Staatsexamen eröffnet. Parlament 211 neue Stammgesetze geschaffen. (aus: Pressemitteilung der Universität Rostock v. 30.6.2003) (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib Nr. 168 v. 28.7.2003)
466 Neue Justiz 9/2003 Dokumentation
Petitionsbericht 2002 Der Deutsche Bundestag hatte bereits in der letzten Legislaturperiode mit dem VermBerG eine Regelung beschlossen, die vorsah, dass Schuldner des Anspruchs auf Auszahlung der »stecken gebliebenen« Entschädigungen im Der Petitionsausschuss des Bundestags hat im Mai 2003 den Bericht über seine Regelfall der Träger öffentlicher Verwaltung sein solle, dem der enteignete Tätigkeit im Jahre 2002 (BT-Drucks. 15/920) vorgelegt. Im Folgenden werden Vermögenswert zugeordnet worden ist, also der heutige Begünstigte der daraus insbesondere die Passagen abgedruckt, die Anliegen zu Rechtsproblemen Enteignung, ausnahmsweise der Entschädigungsfonds. Der Bundesrat rief in den neuen Bundesländern betreffen. jedoch gegen das VermBerG den Vermittlungsausschuss an, der die Regelung letztlich strich, um nicht das gesamte VermBerG zu gefährden. 1. Allgemeine Bemerkungen über die Ausschussarbeit Die Länder forderten, dass der Erblastentilgungsfonds, mithin der Bundes- 1.1 Anzahl und Schwerpunkte der Eingaben haushalt, die Kosten für die nachträgliche Entschädigung tragen solle. Die Gesamtzahl der abschließend behandelten Petitionen betrug im Jahre Der BGH hat mit Urteil v. 14.9.2000 (III ZR 183/99 = NJ 2001, 141) in einem 2002 22.668 gegenüber 17.550 im Jahr 2001. Dies bedeutet, dass der Peti- vergleichbaren Fall entschieden, dass das betreffende Grundstück, für tionsausschuss trotz eines weiterhin rückläufigen Eingabeaufkommens dessen Enteignung in der ehem. DDR keine Entschädigung ausgekehrt die Anzahl der Petitionen, die bearbeitet und einer Erledigung zugeführt worden war, zum Verwaltungsvermögen des beklagten Bundeslandes wurden, gegenüber dem Vorjahr um 5.118 Eingaben steigern konnte. … gehörte und dass zu diesem auch Verbindlichkeiten zu zählen seien, die in engem, unmittelbaren Zusammenhang mit dem übernommenen Aktiv- 13.832 Eingaben gingen im Jahr 2002 beim Petitionsausschuss ein. Dies vermögen stünden. Der BGH verurteilte daher das Land, die nach den ein- entspricht durchschnittl. 55 Eingaben pro Arbeitstag. Gegenüber 15.765 schlägigen Entschädigungsregelungen der DDR festzusetzende Entschädi- Eingaben im Vorjahr ist eine Abnahme der Neueingänge um 1.933 – in gung an die enteigneten Alteigentümer zu zahlen. Prozentzahlen ausgedrückt um 12 v.H. – zu verzeichnen. Der Petitionsausschuss schloss sich ebenfalls der Rechtsauffassung an, dass Betrachtet man die Verteilung der Petitionen auf die einzelnen Bundes- der nachträgliche Ausgleich, der »stecken gebliebenen« Entschädigungen ministerien, so ist nach wie vor das frühere Bundesministerium für Arbeit durch den faktisch durch die Enteignung begünstigten Träger öffentlicher und Sozialordnung (seit Beginn der 15. WP Bundesministerium für Wirt- Verwaltung zu leisten sei, und sprach sich für die Schaffung einer gesetz- schaft und Arbeit bzw. Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) lichen Regelung aus, die auch die Verjährung der Ansprüche regelt. Er mit 3.577 Petitionen das Ressort, zu dem die bei weitem meisten Eingaben empfahl daher, die Petition der Bundesregierung – dem BMJ – zur Berück- eingingen. Gemessen am Gesamtvolumen der eingegangenen Petitionen sichtigung zu überweisen und gab sie den Fraktionen des Deutschen entfallen über 25 v.H. der Eingaben auf das BMA, nunmehr BMWA bzw. Bundestages zur Kenntnis. BMGS. Mit einem jeweils etwa gleich hohen prozentualen Anteil am Gesamtaufkommen der Eingänge folgen das BMI mit 1.749 und das BMJ Die Bundesregierung teilte in ihrer Antwort auf den Berücksichtigungsbe- mit 1.393 Petitionen. … schluss des Deutschen Bundestages mit, dass die beteiligten Ressorts wegen Es dominierten die Themenbereiche Überführung von Rentenansprüchen, des anhaltenden Widerstands der Bundesländer ein Gesetzgebungs- Asylangelegenheiten und Maßnahmen gegen den internationalen Terror verfahren in der 14. Legislaturperiode für aussichtslos hielten. In weiteren vor dem Hintergrund der Terroranschläge gegen die USA am 11.9.2001. Bund-Länder-Besprechungen solle der Versuch unternommen werden, sich auf einen Entwurf zu einigen, der in der kommenden Legislatur- Die Anzahl der Bitten zur Gesetzgebung hat sich von 6.466 Legislativpeti- periode eingebracht werden könne. … tionen im Jahr 2001 auf 5.030 Legislativpetitionen im Jahr 2002 verringert. Die Anzahl der Beschwerden belief sich auf 8.802 Petitionen im Jahr 2002 gegenüber 9.299 im Jahr 2001. … 2.4.8 Vermögensrechtliche Entschädigung von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 Das Land mit den wenigsten Eingaben, nämlich mit 89 pro eine Mio. Ein- wohner, ist das Saarland. Schleswig-Holstein weist im Berichtszeitraum in Mehrere Petitionen befassten sich mit der folgenden Problematik aus dem den alten Bundesländern mit 145 Eingaben pro eine Mio. der Bevölkerung Bereich des Vermögensrechts: Betroffen sind mehrere Familien von die höchste Eingabenzahl auf. In den neuen Bundesländern liegt Sachsen Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944, die bis zum Kriegsende nicht ent- mit 319 Petitionen, gerechnet auf eine Mio. Bürgerinnen und Bürger, hin- deckt worden waren. Zwar entgingen diese dadurch der Strafverfolgung sichtlich der Eingabenzahl an der Spitze. … und drohenden Hinrichtung, auch wurden ihre Vermögen nicht von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Allerdings wurden so ihre auf dem 2. Einzelne Anliegen Gebiet der SBZ gelegenen Ländereien erst im Zuge der Bodenreform enteignet. Diese Enteignungen werden nach dem VermG entsprechend der 2.4 Bundesministerium der Justiz Vereinbarung im EinigungsV nicht rückgängig gemacht. Die Petenten, Die Zahl der Neueingaben zum Geschäftsbereich des BMJ verringerte sich einer von ihnen selbst ein Beteiligter des 20. Juli 1944, baten um die Rück- im Berichtszeitraum auf 1.744 gegenüber 2.443 im Vojahr. gabe des enteigneten Grundvermögens an die betroffenen Familien bzw. Deutlich rückläufig waren u.a. Eingaben zu der am 1.1.2001 in Kraft regten an, doch zumindest über die Zuweisung zusätzlicher Haushalts- getretenen Anpassung der unterhaltsrechtlichen Regelbeträge für Kinder mittel an die Stiftung »20. Juli 1944«, die Familien der Widerstandskämp- ebenso wie Eingaben zum Versorgungsausgleich für die vor 1992 in den fer unterstützt, eine entsprechende Wiedergutmachung zu leisten. neuen Bundesländern geschiedenen Ehen. Der Petitionsausschuss hat die Eingaben geprüft und holte dabei auch eine Demgegenüber lag ein Schwerpunkt bei den Neueingaben nach wie vor bei Stellungnahme des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages ein, Petitionen zu offenen Vermögensfragen. Zahlreiche Eingaben betrafen dem ein Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Beratung vorlag, das auch das Sorgerecht von nicht miteinander verheirateten Elternteilen. VermG um den Rückgabetatbestand »aktive Widerständler« zu ergänzen. Im Bereich der Rechtspflegekosten gingen mehrere Eingaben zu Gerichts- Dieser Gesetzentwurf fand keine Mehrheit und wurde von den übrigen kosten und zur Entschädigung von Sachverständigen ein. … Fraktionen überwiegend als zu allgemein abgelehnt. Auch können die Enteignungen der nicht entdeckten Widerstandskämp- 2.4.1 »Stecken gebliebene« Entschädigungen für Enteignungen in der DDR fer im Zuge der Bodenreform vermögensrechtlich nicht als national- In mehreren Eingaben wurde der Petitionsausschuss um Unterstützung für sozialistisches Unrecht iSv § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG behandelt werden. das Anliegen gebeten, die sog. stecken gebliebenen Entschädigungen an Das Vermögensrecht regelt die Wiedergutmachung individuell erlittenen die Berechtigten auszukehren. In den entsprechenden Fällen waren Ent- Unrechts, und zu einem individuellen nationalsozialistischen Unrecht ist eignungen vorgenommen worden, für die den Betroffenen nach den ein- es in diesen Fällen vor Kriegsende gerade nicht mehr gekommen. schlägigen Gesetzen der ehem. DDR eine Entschädigung zustand, deren Der Petitionsausschuss bezeugte jedoch seinen Respekt vor dem Mut der Auszahlung oder die Begründung einer entsprechenden Schuldbuchfor- Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und unterstützte daher die von derung jedoch unterblieb. Teilweise wurde sogar die Feststellung der Ent- einem der Petenten angeregte Fondslösung über die Stiftung »20. Juli schädigungssumme unterlassen. In diesen Fällen lehnten die zuständigen 1944«. Da es sich bei der Einstellung von Mitteln in den Bundeshaushalt ÄRoV Anträge auf Rückübertragung oder Entschädigung unter Hinweis um eine parlamentarische Entscheidung handelt, sah der Ausschuss von auf die Vorschriften des VermG ab. Eine nachträgliche Auszahlung der einer Überweisung der Eingaben an die Bundesregierung ab und gab sie Entschädigungssumme fand nicht statt. den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis. …
Neue Justiz 9/2003 467 Dokumentation Petitionsbericht 2002
2.5 Bundesministerium der Finanzen bzw. die Kreditanstalt für Wiederaufbau als Rechtsnachfolgerin der Staats- 2.5.2 Senkung des Kaufpreises eines Hausgrundstücks bank der DDR noch das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) konnten Aussagen zum Schicksal der Anzahlung treffen, d.h. es blieb Eine Petentin aus Brandenburg wandte sich an den Ausschuss und beschwerte unklar, welchem Haushalt der Betrag zugeflossen ist und wer damit für eine sich über den von der TLG geforderten Kaufpreis für ein von ihr noch zu Rückzahlung des Betrags zuständig war. DDR-Zeiten bebautes Grundstück. Der Petitionsausschuss vertrat einvernehmlich die Auffassung, dass diese Das Grundstück sei bereits im Jahre 1955 von der Familie angemietet, von zwischen BMF, BMVg und dem Land Berlin offene Streitfrage keineswegs ihr nutzbar gemacht und mit einem Bungalow bebaut worden. Bereits zulasten des Petenten gehen könne. 1991 habe sie einen Antrag auf Kauf des Grundstücks gestellt. Seitdem habe keine Einigkeit über den Kaufpreis erzielt werden können. Der Ausschuss empfahl deshalb, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, verbunden mit der Erwartung, dass Für den Petitionsausschuss stellte sich die Sach- und Rechtslage so dar, dass das BMF und das BMVg ggf. gemeinsam mit dem Land Berlin für Abhilfe das grundsätzliche Problem des Falles in der planungsrechtlichen Beurtei- sorgen. Zugleich empfahl der Petitionsausschuss, die Petition dem lung des Grundstücks lag. Ursprünglich hatte das Grundstück lediglich zu Abgeordnetenhaus von Berlin zuzuleiten, damit geprüft werden könne, Erholungszwecken gedient und war mit stillschwiegender Duldung der inwieweit der Petent aus dem Veräußerungsvertrag des Landes seinen Stadt zum Dauerwohnsitz umgewandelt worden. Zur unterschiedlichen Anzahlungsbetrag erstattet bekommen kann. Beurteilung des Bodenwerts trugen auch die unpräzisen Feststellungen des Stadtplanungsamtes bei. Die erstellten Verkehrswertgutachten waren Das BMF teilte dem Petitionsausschuss daraufhin mit, dass der Petent nach ebenfalls nicht sachgerecht. dem Ergebnis der erneuten Prüfung Anspruch auf die Rückzahlung des Anzahlungsbetrags durch den Bund habe und eine entsprechende Über- Der Petitionsausschuss war der Ansicht, dass Staatseigentum zwar nicht weisung an den Petenten erfolgen werde. … unter Wert verkauft werden dürfe, dass jedoch zu berücksichtigen sei, dass das ursprüngliche Erholungsgrundstück von der Petentin unter Duldung der Stadt zu einem Wohngrundstück umgewandelt worden war und dabei 2.8 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erhebliche Investitionen getätigt worden waren. Zudem erschien ihm die (jetzt: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) lange Bearbeitungszeit von nunmehr über zehn Jahren … nicht hin- Der überwiegende Teil der Eingaben zur Sozialversicherung betraf auch im nehmbar. … Berichtsjahr wieder den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Petitionsausschuss empfahl, die Petition der Bundesregierung – dem Hierzu lagen dem Petitionsausschuss rd. 3.350 Eingaben vor. BMF – zur Erwägung mit dem Ersuchen zuzuleiten, nach Möglichkeiten der Einen besonderen Bearbeitungsschwerpunkt bildeten Zuschriften, in Abhilfe zu suchen. In der Folgezeit unterbreitete die TLG der Petentin ein denen ehem. Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn, der Deutschen Post neues Angebot innerhalb der vom Petitionsausschuss angeregten Preis- sowie des Gesundheitswesens der DDR die Überführung ihrer Renten- spanne, das erheblich unterhalb des bisher verlangten Kaufpreises lag. ansprüche in die gesetzliche Rentenversicherung beanstandeten. Sie erwar- Damit konnte dem Anliegen entsprochen werden. … teten, dass für sie die Berücksichtigung des besonderen Steigerungsfaktors von 1,5 v.H. nach DDR-Recht erfolgt. 2.5.5 Bereinigung von NS-Unrechtsurteilen in der Zivilgerichtsbarkeit Der Petitionsausschuss wies darauf hin, dass mit dem 2. AAÜG-ÄndG die Ein Petent wandte sich dagegen, dass mit dem Ges. zur Aufhebung natio- Beschäftigten der ehem. Deutschen Reichsbahn so gestellt worden seien, nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege v. 15.8.1998 als hätten sie für den Zeitraum vom März 1971 bis Dez. 1973 Beiträge zur (NS-AufhG) nur ein Teilbereich bereinigt wurde und Unrechtsurteile der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung entrichtet. Damit sei für diesen Zivilgerichtsbarkeit bestehen bleiben. Personenkreis eine Verbesserung erzielt worden. Mit dem NS-AufhG hat der Gesetzgeber verurteilende strafgerichtliche Darüber hinaus konnte der Petitionsausschuss dem Anliegen nicht ent- Entscheidungen bzw. strafrechtliche Maßnahmen aufgehoben, die nach sprechen, sondern nur darauf hinweisen, dass die Ergebnisse von Muster- dem 30.1.1933 während der NS-Zeit zur Durchsetzung oder Aufrechterhal- prozessen sowie Verfassungsbeschwerden abzuwarten seien. tung des nationalsozialistischen Regimes aus politischen, religiösen, rassi- In zahlreichen weiteren Petitionen wurden verschiedene rentenrechtliche schen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind. Begrenzungsregelungen des AÄÜG für Angehörige der Zusatz- und Sonder- Ziel des Gesetzgebers war dabei, die Betroffenen und ihre Angehörigen zu versorgungssysteme der DDR kritisiert. Mit Hinweis auf das 2. AAÜG- rehabilitieren und eine bestehende Regelungslücke zu schließen. Für Opfer, ÄndG, in dem die Entscheidungen des BVerfG v. 28.4.1999 (NJ 1999, 356 ff.) denen zivilrechtlich durch NS-Maßnahmen Unrecht zugefügt worden ist, umgesetzt wurden, empfahl der Ausschuss die Petitionsverfahren abzu- hatte der Gesetzgeber frühzeitig mit dem BundesentschädigungsG, dem schließen. BundesrückerstattungsG, dem Allgemeinen KriegsfolgenG und schließ- Der Petitionsausschuss hatte sich aber auch mit Eingaben zu befassen, in lich mit dem Ges. zur Errichtung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung denen die rentenrechtlichen Verbesserungen für ehem. Mitarbeiter des und Zukunft« entsprechende gesetzliche Grundlagen zur Beseitigung und MfS/AfNS als Verunglimpfung der Opfer der DDR-Diktatur kritisiert wur- Linderung der Rechtsfolgen geschaffen. Allerdings ist für die genannten den. Der Petitionsausschuss wies darauf hin, dass der Gesetzgeber bewusst Rechtsgrundlagen die Antragsfrist mit dem 31.12.2001 abgelaufen. nicht über die Mindestvorgaben des BVerfG hinausgegangen sei und dass Der Petitionsausschuss war der Auffassung, dass ein Ges. zur Aufhebung das 2. AAÜG-ÄndG andererseits auch Änderungen des BerRehaG gebracht nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Zivilgerichtsbarkeit – anders habe, die dazu führten, dass politisch Verfolgte mindestens eine Rente als in der Strafrechtspflege – keinen persönlichen Makel, d.h. immateriel- bekommen, die bei Weiterführung der beruflichen Tätigkeit ohne die len Schaden, löschen würde, sondern lediglich unrealistische Erwartungen Verfolgung erreicht worden wäre. an weitere materielle Entschädigungsmöglichkeiten auslösen könnte. Daneben erreichten den Petitionsausschuss auch mehrere Eingaben von Der Petitionsausschuss empfahl deshalb, das Petitionsverfahren abzuschlie- Bergleuten aus den neuen Bundesländern, mit denen diese eine Weitergel- ßen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte. … tung von DDR-Recht (Rentenbeginn ab 60) begehrten. Aufgrund des seit 1992 grundsätzlich einheitlichen Rentenrechts in ganz Deutschland und 2.5.7 Rückzahlung einer Anzahlung auf einen nicht erfolgten der gebotenen Gleichbehandlung sah der Petitionsausschuss keine Mög- Grundstückskauf lichkeit, sich für eine Rechtsänderung im Sinne der Petenten einzusetzen. Die Frage, wer für die Rückzahlung einer Anzahlung zuständig ist, wenn Zahlreiche Eingaben erreichten den Petitionsausschuss zu der für die Jahre ein beabsichtigter Kauf eines Grundstücks nicht zustande gekommen ist, 2000 und 2001 geplanten Aussetzung der nettolohnbezogenen Renten- lag der Eingabe eines Petenten zugrunde, der im Juni 1990 in der DDR eine anpassung. Während der Gesetzgeber zunächst daran festhielt, die Rent- Liegenschaft erwerben wollte. ner einen Beitrag zur Zukunftssicherung der Rentenversicherung in der Nachdem der Petent an das Ministerium der Verteidigung der DDR nach- Form leisten zu lassen, sodass ihre Renten zum 1.7.2000 nur in Höhe weislich eine Anzahlung geleistet hatte, konnten die geschlossenen Kauf- der gesamtdeutschen Preisniveausteigerungsrate des Vojahres angepasst verträge jedoch nicht mehr vollzogen werden. Die ehem. Liegenschaft der wurden, ist er vom Jahre 2001 an wieder zur lohnorientierten Renten- Nationalen Volksarmee wurde vielmehr dem Land Berlin zugeordnet, anpassung zurückgekehrt. Der Petitionsausschuss hat dementsprechend welches das Grundstück an einen Dritten weiterveräußerte. Weder das BMF empfohlen, die Petitionsverfahren abzuschließen.
468 Neue Justiz 9/2003 Petitionsbericht 2002
Frauen, die in der DDR vor dem 1.1.1992 geschieden wurden, forderten Aufgliederung der Petitionen nach Herkunftsländern eine Verbesserung ihrer Alterssicherung. Der Ausschuss empfahl, die Petitionen – soweit die Geschiedenenwitwenversorgung angesprochen auf auf wurde – der Bundesregierung als Material zu überweisen und den Frak- Herkunftsländer Jahr 1 Mio. in v.H. Jahr 1 Mio. in v.H. tionen des Deutschen Bundestags zur Kenntnis zu geben. Die Bundes- 2002 d. Bevöl- 2001 d. Bevöl- kerung kerung regierung hat eine interministerielle Arbeitsgruppe gebildet, welche die d. Landes d. Landes Möglichkeiten einer verbesserten Altersversogung der betroffenen Frauen Bayern 1.442 117 10,43 1.235 101 7,83 prüft. … Berlin 1.576 465 11,39 1.801 532 11,42 Wie in den Vorjahren erreichten den Petitionsausschuss zahlreiche Einga- Brandenburg 742 287 5,36 1.097 422 6,96 ben aus den neuen Ländern, in denen eine schnellere Angleichung des Bremen 69 104 0,50 83 126 0,53 aktuellen Rentenwerts (Ost) auf das Niveau des aktuellen Rentenwerts Baden-Württemb. 1.010 95 7,30 1.148 109 7,28 Hamburg 199 115 1,44 242 141 1,54 (West) gefordert wurde. Die Petenten kritisierten insbes., dass trotz Hessen 776 128 5,61 812 134 5,15 differenzierter Rentenanpassung zwischen den alten und neuen Ländern Meckl.-Vorp. 426 243 3,08 744 419 4,72 zum 1.7.2001 und 1.7.2002 der Abstand zwischen den aktuellen Renten- Niedersachsen 1.122 141 8,11 1.113 140 7,06 werten größer werde. Der Petitionsausschuss entgegnete, dass sich zwar die Nordrhein-Westf. 2.301 127 16,64 2.366 131 15,01 absoluten Abstände zwischen den aktuellen Rentenwerten seit dem Jahre Rheinland-Pfalz 447 110 3,23 545 135 3,46 2001 vergrößert hätten, sich aber der relative Abstand – auf den es bei der Sachsen-Anhalt 615 240 4,45 931 356 5,91 Umsetzung des sozialpolitischen Ziels, den aktuellen Rentenwert (Ost) auf Sachsen 1.391 319 10,06 1.755 397 11,13 Saarland 95 89 0,69 117 109 0,74 100 v.H. des aktuellen Rentenwerts (West) anzuheben, allein ankomme – Schleswig-Holstein 408 145 2,95 387 139 2,45 verringert habe. Thüringen 576 240 4,16 685 282 4,35 Neben Eingaben mit gesetzgeberischen Anliegen wurde in rd. 600 Petitio- Ausland 637 4,61 704 4,47 nen Beschwerde über die Arbeitsweise der Rentenversicherungsträger und insgesamt 13.832 100,00 15.765 100,00 die Rentenberechnung im Einzelfall geführt. Hier konnte im Rahmen der Petitionsverfahren in zahlreichen Fällen Abhilfe geschaffen werden. … Anm. d. Redaktion: Zu Ergebnissen des Petitionsberichts 2001 siehe NJ 2002, 469 ff.
Zum Nutzerwechsel bei Erholungs- und neben dem alten und neuen Nutzer auch der Grundstückseigentümer beteiligt sein muss. Der Käufer kann auf diese Weise mit Zustimmung des Garagengrundstücken in den neuen Ländern Grundstückseigentümers in den bestehenden Vertrag eintreten, an Merkblatt des Bundesministeriums der Justiz dessen Inhalt und rechtlichem Charakter sich im Übrigen nichts ändert. 5. In dem dreiseitigen Vertrag können bei Bedarf auch inhaltliche Ände- rungen des Nutzungsvertrags vereinbart werden. Es könnten bspw. A. Was gilt vor dem Verkauf der Baulichkeit Absprachen zum Nutzungsentgelt, zur Vertragsbeendigung, zu Neben- Mancher Bürger möchte oder muss das Erholungs- oder Garagengrund- pflichten u.Ä. aufgenommen oder vorhandene Vereinbarungen hierzu stück, das er auf der Grundlage eines bereits zu DDR-Zeiten abgeschlosse- abgeändert werden. Der neue Nutzer und der Grundstückseigentümer nen Vertrags nutzt, aufgeben. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Viele können den Vertrag aber auch später jederzeit einvernehmlich ändern. betroffene Bürger wollen dazu das Erholungs- oder Garagengrundstück an 6. In entsprechender Weise kann auch bei einem weiteren neuerlichen einen anderen Nutzer weitergeben und diesem das Wochenendhaus, die Nutzerwechsel vorgegangen werden. Denn Anpflanzungen und Baulich- Laube, den Bootsschuppen, die Garage usw. (im Folgenden Baulichkeit keit bleiben Eigentum des Nutzers so lange, wie der zu DDR-Zeiten genannt) und die Anpflanzungen auf dem Grundstück verkaufen, wie es abgeschlossene Nutzungsvertrag in seinem Bestand erhalten bleibt. schon zu DDR-Zeiten üblich war. Auch die Rechtsnachfolger ehem. volks- Wird zu einem späteren Zeitpunkt ein neuer Nutzungsvertrag über das- eigener Betriebe, auf die das Eigentum an den vom Rechtsvorgänger selbe Grundstück abgeschlossen, treten die in Ziff. 3 aufgeführten Rechts- errichteten Baulichkeiten übergegangen ist, wollen häufig diese Baulich- folgen ein. Der neue Vertrag unterliegt dann nicht mehr den Bestimmun- keiten verkaufen. Um einen solchen Nutzerwechsel juristisch beanstan- gen des SchuldRAnpG, sondern er richtet sich allein nach dem BGB. dungsfrei herbeizuführen, müssen aber seit In-Kraft-Treten des SchuldR- AnpG am 1.1.1995 folgende rechtlichen Aspekte beachtet werden: B. Was gilt nach dem Verkauf der Baulichkeit 1. Die von dem Nutzer auf dem Erholungsgrundstück vorgenommenen Nun ist es denkbar, dass mancher Nutzer – möglicherweise in Unkenntnis Anpflanzungen und die von ihm darauf errichtete Baulichkeit sind vom der Rechtslage – seine Baulichkeit einem Dritten verkauft hat, ohne dass Eigentumsrecht am Grundstück unabhängiges Eigentum des Nutzers zugleich schon eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Käufer und (vgl. Art. 231 § 5 Abs. 1 EGBGB). Der Nutzer ist deshalb rechtlich in der dem Grundstückseigentümer über die Nutzung des Grundstücks abge- Lage, Anpflanzungen und Baulichkeit an einen Dritten zu verkaufen schlossen worden ist. Vielfach wird nämlich angenommen, dass man mit und ihm das Eigentum daran zu übertragen. Ein entsprechender Vertrag dem Verkauf der Baulichkeit zugleich aus dem bestehenden Nutzungs- braucht nicht notariell beurkundet zu werden. rechtsverhältnis ausgeschieden sei. Diese Annahme ist aber ebenso unzu- 2. Der Kauf der Anpflanzungen und der Baulichkeit allein berechtigt aber treffend wie die Auffassung, allein mit dem Verkauf der Baulichkeit dem den Käufer nicht dazu, das Grundstück, auf dem sie sich befinden, zu Käufer das Recht zur Nutzung des Grundstücks eingeräumt zu haben. In nutzen oder zu betreten. Diese Rechte genießt der Käufer – wie übrigens den genannten Fällen ist Folgendes zu beachten: auch nach den Vorschriften des ZGB der DDR – nur, wenn er auch Mie- 1. Anders als sich die Rechtslage nach dem Recht der ehem. DDR darstellte ter oder Pächter des Grundstücks wird. ist der Kaufvertrag über die Baulichkeit bei fehlender Übertragung des 3. Anders als nach den Vorschriften des ZGB der DDR braucht der Käufer Nutzungsrechts nicht nichtig, sondern mit Rechtsmängeln behaftet, allerdings nicht in jedem Fall einen neuen Miet- oder Pachtvertrag mit dem die zum Rücktrittsrecht und – wenn sie der Verkäufer zu vertreten hat – Grundstückseigentümer abzuschließen. Oft wird man schon deshalb zu Schadensersatzansprüchen des Käufers gegen den Verkäufer führen keinen neuen Vertrag abschließen wollen, weil dies zwingend die Auf- (§§ 433 Abs. 1, 435, 437, 323 u. 280 ff. BGB). Gegenüber dem Grund- lösung des alten Vertrags verlangen würde bzw. zur Folge hätte. Die stückseigentümer wird dem Käufer dagegen nur das Wegnahmerecht Beendigung des alten Vertrags wiederum führt nach § 11 des SchuldR- bzgl. der Baulichkeit verbleiben. AnpG dazu, dass das Eigentum an der Baulichkeit kraft Gesetzes auf den 2. Der Käufer der Baulichkeit sollte sich in diesen Fällen bemühen, eine Grundstückseigentümer übergeht. Vereinbarung mit dem Verkäufer und dem Grundstückseigentümer über 4. Diese Folge wird vermieden, wenn der Käufer der Anpflanzungen und der die Übernahme des alten »DDR-Nutzungsvertrags« herbeizuführen. Baulichkeit den alten Vertrag des Nutzers übernimmt. Eine solche »Über- 3. Wenn diese Bemühungen scheitern, wird nur der Abschluss eines neuen nahme« erfolgt durch einen dreiseitigen Vertrag, an dessen Abschluss (BGB-)Vertrags in Frage kommen. Dies setzt aber die Aufhebung des
Neue Justiz 9/2003 469 Rezensionen Zum Nutzerwechsel bei Erholungs- und Garagengrundstücken …
alten Nutzungsvertrags (zwischen Verkäufer und Grundstückseigen- lichkeit bereits verkauft hat oder nicht. War der Kaufvertrag allerdings tümer) voraus. Die Beendigung dieses Vertragsverhältnisses wiederum bereits geschlossen und der Kaufpreis gezahlt, so wird der »Käufer« den führt dazu, dass das Eigentum an dem Wochenendhaus oder an der Kaufpreis vom Verkäufer zurückfordern, weil er ja das zunächst erwor- Garage nach § 11 Abs. 1 SchuldRAnpG auf den Grundstückseigentümer bene Eigentum infolge der Aufhebung des ursprünglichen Nutzungs- übergeht. Dabei ist es unerheblich, ob der ursprüngliche Nutzer die Bau- vertrags an den Grundstückseigentümer verloren hat.
Jens Meyer-Ladewig Thomas Raiser/Karl-Michael Schmidt/Peter-Friedrich Bultmann EMRK Anwaltsklausuren Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Klausurenlehre für Anfänger und Fortgeschrittene Handkommentar Verlag C. H. Beck, München 2003 Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003 324 Seiten, kart., 17,50 € 517 Seiten, geb., 69 € Zum richtigen Zeitpunkt haben Raiser/Schmidt/Bultmann ein für die neue Die Rechtsprechung zur EMRK entwickelt sich rasant. Da die Urteile des Juristenausbildung wichtiges Buch vorgelegt. Das Gesetz zur Reform der EGMR in Straßburg nur auf englisch und französisch abgefasst werden, Juristenausbildung v. 11.7.2002 ist am 1.7.2003 in Kraft getreten. In den sind sie für deutsche Juristen schwer zugänglich. Übersetzungen erschei- meisten Bundesländern wird die jeweilige landesrechtliche Umsetzung nen gelegentlich in dieser Zeitschrift, der NJW und der EuGRZ. Gleichwohl ebenfalls noch in diesem Jahr wirksam. In Brandenburg und Berlin – beide bleibt der Großteil der Straßburger Jurisprudenz weitgehend unentdeckt. Länder haben inhaltsgleiche Gesetze – ist dies seit dem 1.7.2003 der Fall. Wie Meyer-Ladewig in seinem Vorwort zutreffen bemerkt, ist die sich daraus In vielen juristischen Fakultäten liegen bereits neue Studien- und Prüfungs- ergebende Wissenslücke bedenklich. Denn die EMRK in ihrer Auslegung ordnungen vor. Bereits mit dem Wintersemester 2003/04 kann deshalb an wird auch für Deutschland immer wichtiger, und es wird langfristig kein den meisten Universitäten Rechtswissenschaft nach neuem Recht studiert Weg daran vorbeiführen, das einfache Gesetzesrecht sowie die Grund- werden. rechte konventionskonform auszulegen, um Verurteilungen aus Straßburg Die Vermittlung der Pflichtfächer wird künftig die praktische Bedeutung zu vermeiden. und Anwendung des Rechts einschließlich der Rechtsberatung berück- Der Autor hat sich das Ziel gesetzt, durch eine praxisnahe Kommen- sichtigen müssen. Die anwaltsorientierte Ausbildung beginnt an der Univer- tierung die wesentlichen Aspekte der EMRK-Rechtsprechung einzufangen. sität. Aufgaben und Arbeitsmethoden der gerichtlichen und außergericht- In der Tat werden die wegweisenden Urteile aus den 1980er und 90er Jah- lichen Vertretung von Parteien, der Rechtsberatung und Rechtsgestaltung ren nachgewiesen, als auch viele Urteile des nunmehr ständig tagenden im privaten und im öffentlichen Recht sowie der Strafverteidigung, der »neuen« Gerichtshofs. Uneingeschränkt kann das Buch daher als Fund- Konfliktvermeidung und der Streitschlichtung sollen in Lehrveranstal- stelle und Nachschlagwerk für das Aufspüren einschlägiger Rechtspre- tungen vermittelt werden. chung empfohlen werden. Gerade die Auswertung der neueren Judikatur Für die nun mit dem Studium der Rechtswissenschaft beginnenden ist von besonderem Wert, ist doch der Kommentar von Frowein/Peukert in Studenten bietet das von den Autoren – erfahrenen Wissenschaftlern seiner 2. Auflage aus dem Jahr 1996 zunehmend weniger in der Lage, ein und Praktikern – verfasste Werk eine hervorragende Grundlage, sich mit abschließendes Bild über den Stand der Rechtsprechung zu geben. den Methoden der Rechtsberatung und Rechtsgestaltung vertraut zu Umgekehrt stößt der Handkommentar schnell an seine Grenzen, wenn machen. es darum geht, komplexere Zusammenhänge des materiellen Rechts zu Das Buch gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen erläutern oder gar zu bewerten. So dürfte etwa der in vier Randziffern Teil. In einer Art allgemeiner Einführung werden die Unterschiede zwi- verpackte Abschnitt über das Verhältnis der EMRK zum Menschenrechts- schen der Richter- und der Anwaltsausbildung deutlich gemacht. Für sehr schutz in der EU (S. 35) einem Leser ohne fundierte Vorkenntnisse wenig gelungen halte ich, dass die Verfasser die Beratungs- und Gestaltungs- weiterhelfen. Die erklärungsbedürftige Unterscheidung des Gerichtshofs, aufgaben typologisieren. Auch wenn die von ihnen herausgearbeiteten die territoriale Anwendbarkeit der Konvention für Akte türkischer Soldaten fünf Typen: auf Nordzypern zu bejahen, sie für NATO-Bombardements in Jugoslawien – Rechtliche Planung von Vorhaben, Ausloten rechtlicher Handlungs- aber zu verneinen, wird schlicht übergangen (S. 38). Wenn sich Meyer- spielräume und Vermeidung rechtlicher und sozialer Konflikte Ladewig ausnahmsweise zu einer eigenen Stellungnahme durchringt, – Rechtliche Kontrolle vorhandener Regelwerke so fällt diese dagegen überzeugend aus, so etwa seine Einschätzung, die – Rechtsgestaltung: Normsetzung und Vertragsgestaltung Abweichungen des BVerwG zu den Straßburger Judikaten zum Abschie- – Außergerichtliche Interessenvertretung gegenüber einer Gegenpartei bungsschutz bei nichtstaatlicher Verfolgung gem. Art. 3 EMRK seien und Konfliktregelung »bedenklich« (S. 65). Gute Orientierungshilfen bietet sein Überblick über das in der Praxis zentrale Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), wäh- – Parteivertretung im Prozess rend der Rezensent die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat sich naturgemäß nicht immer scharf trennen lassen, so bietet dieser Ansatz und Kirche oder den Besonderheiten der Pressefreiheit bei der Kommen- sehr gute didaktische Möglichkeiten. tierung der Religions- und Meinungsfreiheit (Art. 9 u. 10 EMRK) vermisst. Die Autoren erläutern anschaulich und gut verständlich die Methoden Im institutionellen Teil (S. 215-323) gelingt es dem Autor, kurz und präg- der Bearbeitung von Aufgaben zur Rechtsberatung und Rechtsgestaltung. nant das Straßburger Verfahren idF des 11. Zusatzprotokolls aufzubereiten. Der von ihnen dargestellte Aufbau der Lösung von Anwaltsaufgaben ist Etwas irritierend erscheint allenfalls die Auflistung von Beweislastregeln sehr gut nachvollziehbar und dürfte den Studierenden eine wertvolle Hilfe (S. 274). Das Erfordernis einer stichhaltigen und ausreichenden Begrün- sein. dung staatlicher Stellen für einen Eingriff gehört sicher nicht zum Thema Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, dass es unerlässlich ist, neben des Beweises strittiger Tatsachen, sondern ist eine Anforderung des mate- der anwaltsorientierten Ausbildung die gerichtsorientierte nicht zu ver- riellen Verhältnismäßigkeitsprinzips. gessen. Ihre These, dass das Recht im Dreiecksverhältnis zwischen adver- Am Ende des Handbuchs sind nützlicherweise noch diejenigen Texte satorisch handelnden Interessenvertretern und unparteilich über ihnen abgedruckt, die für die Erhebung einer Beschwerde aus praktischer Sicht stehenden Richtern entsteht und wirkt und deshalb beides gelehrt werden Bedeutung erlangen, nämlich die Verfahrensordnung und das Merkblatt muss und gut ausgebildete Juristen beides beherrschen müssen, kann nur für Beschwerden. unterstützt werden. Gemessen an den eigenen Ansprüchen, ergibt sich insgesamt ein posi- Das Buch belässt es nicht bei theoretischen Ausführungen, sondern tives Fazit. Der Handkommentar zur EMRK durchdringt konzentriert die enthält einen umfangreichen praktischen Teil. Dieser greift die oben dar- wichtigsten Aspekte der Straßburger Rechtsprechung und erleichtert durch gestellten fünf Typen der Beratungs- und Gestaltungsaufgaben wieder auf. seine Aktualität das Auffinden einschlägiger Judikate, welche auch für Jedem Themenkomplex werden mehrere Klausuren mit Lösungshinweisen die Auslegung und Anwendung deutschen Rechts von Bedeutung sein zugeordnet. Sehr gut finde ich, dass nach den Lösungshinweisen jeweils können. Insofern konnte Meyer-Ladewig eine immer größer klaffende Lücke noch didaktische Anmerkungen folgen. schließen. Für eine vertiefte wissenschaftliche Auseindersetzung mit dem Insgesamt kann das Buch als ein gelungenes, an den veränderten Aus- Stoff bleibt dagegen ein Rückgriff auf den Kommentar von Frowein/Peukert bildungsbelangen orientiertes Werk für Studierende, Universitäten und schon angesichts der (bewusst) spärlich gehaltenen Literaturhinweise und Prüfungsämter empfohlen werden. Bewertungen im Handkommentar unentbehrlich. Hans-Ulrich Borchert, Präsident des Justizprüfungsamts Dr. Frank Hoffmeister, Brüssel des Landes Brandenburg
470 Neue Justiz 9/2003 01 VERFASSUNGSRECHT Der Antrag hatte Erfolg.