E 10934 Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

Aus dem Inhalt: 9 03 F. Karsten: Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei Insolvenzreife der GmbH 57. Jahrgang R. Beckert: Max Fechner (1892-1973) P. Scharf/Ch. Kropp: Unterbrechung der Hauptver- handlung – eine Reform ist überfällig! S. Sonnewendová: Die Stellung ausländischer Rechtsanwälte in der Tschechischen Republik Petitionsbericht des Deutschen Bundestags 2002

Aus dem Rechtsprechungsteil: LVerfG Meckl.-Vorp.: Verfassungswidriger Ausschluss eines Landtagsabgeordneten aus seiner Fraktion BGH: Zuteilungsfähigkeit für Bodenreformgrundstück BayObLG: Nachlassspaltung bei Bodenreformgrund- stücken und Auslegung eines Erbvertrags nach ZGB OLG Dresden: Ansprüche des Verbrauchers aus Gewinnzusage BVerwG: Wertfeststellung im Bodenordnungsverfahren OVG Frankfurt (Oder): Verhältnis von Brandschutz- recht und Ordnungsbehördenrecht LAG Halle/Saale: Berechnung der Beschäftigungs- zeiten nach § 19 BAT-O bei Arbeitgeberwechsel in DDR NJ Seiten 449-504 NOMOS In diesem Heft …

Herausgeber: AUFSÄTZE S. 449 Prof. Dr. Marianne Andrae Universität Potsdam Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard bei Insolvenzreife der GmbH Institut für Anwaltsrecht Frederik Karsten ...... 449 der Universität Leipzig Max Fechner (1892-1973) Dr. Michael Burmann Rudi Beckert ...... 454 Präsident der Rechtsanwaltskammer Thüringen Dr. Bernhard Dombek Rechtsanwalt und Notar, Berlin KURZBEITRÄGE S. 459 Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Unterbrechung der Hauptverhandlung – eine Reform ist überfällig! Lothar Haferkorn Peter Scharf und Christian Kropp ...... 459 Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen-Anhalt Die Stellung ausländischer Rechtsanwälte Georg Herbert in der Tschechischen Republik Richter am Bundesverwaltungsgericht Simona Sonnewendová ...... 460 Dr. Gerhard Hückstädt Restitution nach dem VermG, wenn der Eigentümer Präsident des Landesverfassungsgerichts noch im Grundbuch steht? Mecklenburg-Vorpommern und Fritz Enderlein ...... 462 Präsident des LG Rostock Dr. Günter Kröber Präsident der Rechtsanwaltskammer Sachsen INFORMATIONEN S. 463 Kay-Thomas Pohl Präsident der Rechtsanwaltskammer Berlin Prof. Dr. Martin Posch DOKUMENTATION S. 467 Rechtsanwalt, Jena Petitionsbericht des Deutschen Bundestags 2002 ...... 467 Dr. Erardo Cristoforo Rautenberg Generalstaatsanwalt des Landes Zum Nutzerwechsel bei Erholungs- und Garagengrundstücken in den neuen Ländern (Merkblatt des BMJ) ...... 469 Dr. Axel Schöwe Präsident der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern Karin Schubert REZENSIONEN S. 470 Bürgermeisterin und Senatorin für Justiz des Landes Berlin Jens Meyer-Ladewig: Ulf Schulze Kommentar zur EMRK Präsident der Rechtsanwaltskammer Von Frank Hoffmeister Brandenburg Th. Raiser/K.-M. Schmidt/P.-F. Bultmann: Prof. Dr. Horst Sendler Anwaltsklausuren Präsident des Bundesverwaltungs- Von Hans-Ulrich Borchert gerichts a.D., Berlin Manfred Walther Rechtsanwalt, Berlin Dr. Friedrich Wolff RECHTSPRECHUNG S. 471 Rechtsanwalt, Berlin 01 Verfassungsrecht BGH: Kennzeichnung als Bodenreformgrundstück LVerfG Mecklenburg-Vorpommern: im Grundbuch ...... 477 Verfassungswidriger Ausschluss eines Landtags- abgeordneten aus seiner Fraktion (Jutzi) ...... 471 BGH: VerfG Brandenburg: Erfüllung durch Hinterlegung (Winkler) ...... 478 Keine Aussetzung des In-Kraft-Tretens einer BGH: eine Gemeinde auflösenden Bestimmung Zur Relevanz von Investitionszulagen für der im Wege der einstweiligen Anordnung (Ls.)...... 473 Unterhaltsbemessung zugrunde zu legendes VerfGH Sachsen: Einkommen eines Selbständigen (Ls.) ...... 479 Sächs. PolizeiG teils verfassungswidrig (Ls.) . . . . . 473 BGH: Thüringer VerfGH: Keine Ansprüche nach SachenRBerG bei § 6 Abs. 3 Thür. AbgeordnetenG mit unentgeltlicher Überlassung einer Reichs- Neue Justiz Landesverfassung unvereinbar (Ls.) ...... 473 heimstätte (Zank) ...... 479 Zeitschrift für Rechtsentwicklung BGH: und Rechtsprechung in den 02 Bürgerliches Recht Neuen Ländern Umfang des Auflassungsanspruchs bei der BGH: Bodenreformabwicklung ...... 481 Unangemessene Benachteiligung durch AGB 57. Jahrgang, S. 449-504 bei langfristiger Bindung an Gestattungs- BGH: verträge (Kholstinina)...... 474 Pflichtverletzung eines Geschäftsführers bei Insolvenzreife der GmbH (Ls.) ...... 481 BGH: Vorrang des Zuordnungsrechts für Treuhand- BGH: unternehmen vor Bestimmungen des SachenR- Zuteilungsfähigkeit für Bodenreform- NJ 9/03 BerG über Bestellung von Dienstbarkeiten . . . . . 476 grundstück (m. Anm. Schramm) ...... 482 I In diesem Heft …

BGH: OVG Bautzen: Redaktion: Haftung für ärztlichen Behandlungsfehler Zur Satzung des Regionalplans »Oberes Elbtal/ Rechtsanwältin Adelhaid Brandt (Ls.) ...... 483 Osterzgebirge« (Ls.) ...... 497 (Chefredakteurin) BGH: OVG Greifswald: Barbara Andrä Pflichten des Rechtsanwalts bei Rechtsmittel- Sofortige Vollziehung einer bauaufsichts- Redaktionsanschrift: schriftanfertigung (Ls.)...... 483 behördlichen Beseitigungsverfügung gegen Französische Str. 13, 10117 Berlin illegal errichteten Wintergarten (Otto) ...... 497 BayObLG: Tel.: (030) 22 32 84-0 Nachlassspaltung bei Bodenreformgrund- OVG Magdeburg: Fax: (030) 22 32 84 33 stücken und Auslegung eines Erbvertrags Beitragsfestsetzung aufgrund einer E-Mail: [email protected] nach ZGB (Heidrich) ...... 484 Schmutzwasserbeitragssatzung (Ls.) ...... 498 Internetadresse: OLG Dresden: OVG Berlin: http://www.nomos.de Haftung des GmbH-Geschäftsführers Auslegung des Begriffs »Ersatzfahrzeug« Erscheinungsfolge: einmal monatlich für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialver- iSv § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO (Ls.)...... 498 sicherung (Ls.) ...... 487 Bezugspreise: OVG Frankfurt (Oder): Jahresabonnement 118,– € OLG Dresden: Verhältnis von Brandschutzrecht und jeweils inkl. MwSt., zzgl. Porto und Ansprüche des Verbrauchers aus Gewinn- Ordnungsbehördenrecht (Behmenburg) ...... 498 Versandkosten zusage (Schreiber) ...... 487 05 Arbeitsrecht OLG Dresden: Vorzugspreis: (gegen Nachweis) für Studenten jährl. 32,– € Gebührenabschlag Ost für Rechtsanwälte BAG: bei überörtlicher Sozietät ...... 489 inkl. MwSt., zzgl. Porto und Versand- Hinweispflicht des Ausbilders auf für das kosten OLG Jena: Ausbildungsverhältnis anzuwendenden Kostenerstattung für zweitinstanzlichen Prozess- Tarifvertrag (Ls.) ...... 500 Einzelheft: 13,– € inkl. MwSt., bevollmächtigten bei Berufungsrücknahme (Ls.). . . 489 BAG: zzgl. Porto und Versandkosten OLG Naumburg: Vertragliche Bezugnahme auf Tarifverträge Bestellungen beim örtlichen Buch- Kein Gebührenabschlag für Rechtsanwälte und Auslegung (Ls.) ...... 500 handel oder direkt bei der NOMOS Verlagsgesellschaft Baden-Baden. nach EinigungsV bei Kostenerstattung gem. BAG: Abbestellungen bis jeweils § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO (Ls.) ...... 490 Vereinbarungen im Arbeitsvertrag über 30. September zum Jahresende. OLG Naumburg: satzungsmäßig einzuhaltende allgemeine Eintragung einer Genossenschaft der Arbeitsbedingungen (Ls.) ...... 500 Verlag, Druckerei, Anzeigenver- Separationsinteressenten im Grundbuch (Ls.) . . . 490 LAG Halle/Saale: waltung und Anzeigenannahme: Berechnung der Beschäftigungszeiten nach Nomos Verlagsgesellschaft OLG Jena: Waldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden, Zuständigkeit und Verweisung in Wohnungs- § 19 BAT-O bei Arbeitgeberwechsel in DDR/ hier: für Jubiläumszuwendung ...... 500 Tel.: (0 72 21) 21 04-0 eigentumssachen (Ls.) ...... 490 Fax: (0 72 21) 21 04-27 LAG Berlin: 04 Verwaltungsrecht Streitwert bei mehreren Abmahnungen (Ls.) . . . . 502 Urheber- und Verlagsrechte: Die in dieser Zeitschrift veröffentlich- BVerwG: 06 Sozialrecht ten Beiträge sind urheberrechtlich Wertfeststellung in Bodenordnungsverfahren . . . . 491 geschützt. Das gilt auch für die veröf- BVerwG: BSG: fentlichten Gerichtsentscheidungen Kein Restitutionsausschluss von Bodenreform- Voraussetzungen für eine Ermessensleistung und ihre Leitsätze; diese sind geschützt, grundstücken bei redlichem Erwerb der rück- nach § 6 UnterstützungsabschlussG bei soweit sie vom Einsender oder von gabebegehrenden Körperschaft (Kolb) ...... 494 Gesundheitsschädigung in DDR ...... 503 der Redaktion erarbeitet und redigiert BSG: worden sind. Kein Teil dieser Zeit- BVerwG: schrift darf ohne vorherige schriftliche Verfolgungsbedingter Vermögensverlust und Voraussetzungen für Bezug von Knappschafts- Zustimmung des Verlags verwendet Anforderungen an Art. 3 Abs. 2 u. 3 REAO (Ls.) . . . 495 ausgleichsleistungen (Ls.) ...... 503 werden. Das gilt insbesondere für BVerwG: LSG Chemnitz: Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Berechnung des Grundstückswerts bei Sperrzeit bei Gewährung von Arbeitslosengeld Übersetzungen, Mikroverfilmungen (Ls.) ...... 504 Eigentumsverzicht in DDR (Ls.) ...... 495 und die Einspeicherung und Verarbei- tung in elektronischen Systemen. BVerwG: Verfahrensfortgang ...... 504 Rechtzeitige Anmeldung eines Restitutions- ISSN 0028-3231 anspruchs durch Testamentsvollstrecker/ Eigentumserwerb durch ausländischen Staat NJ aktuell ...... III Redaktionsschluss: (Gruber)...... 495 18. August 2003 Buchumschau ...... VI BVerwG: Rechtsnachfolgeeigenschaft iSd VermG/ Termine ...... VII hier: Erben von Bodenreformgrundstück (Ls.) . . . . 497 Zeitschriftenübersicht ...... IX

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57. Jahrgang, S. 449-504

NJ-Abonnentenservice: Die Volltexte der kommentierten und im Leitsatz abgedruckten Entscheidungen können Sie in der Redaktion unter Angabe der Registrier-Nummer kostenlos bestellen. Fax (0 30) 22 32 84 33 NJ 9/03 II NJ aktuell Heft 9/2003

lagen und Gegenstände bestätigt wurde, den Beschwerdef. zu 1 in Bundesgerichte seinem Recht aus Art. 47 Satz 2 iVm Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des GG verletzt. Die Verfassungsbeschwerde der weiteren Beschwerdef. und BVerfG: § 3 Abs. 2 BORA mit Grundgesetz unvereinbar und nichtig der Antrag im Organstreitverfahren wurden zurückgewiesen. Das BVerfG hat in diesem Verfahren die umstrittene Frage geklärt, ob Mit Beschl. v. 3.7.2003 (1 BvR 238/01) hat das BVerfG entschieden, im Fall einer Ermittlung gegen einen beschuldigten Mitarbeiter des dass § 3 Abs. 2 BORA v. 29.11.1996 mit der grundrechtlich geschützten Abgeordneten auch auf Schriftstücke zugegriffen werden kann, die der Berufsausübungsfreiheit unvereinbar und nichtig ist. Dies gilt auch Abgeordnete diesem im Rahmen seines Direktionsrechts überlassen für inhaltsgleiche Fassungen dieser Vorschrift in späteren Bekannt- hat. In den Räumen des Bundestags hat der Abgeordnete unmittelbar machungen. Mit ihren Verfassungsbeschwerden hatten sich drei Herrschaftsmacht über Schriftstücke iSd Art. 47 Satz 2 GG, die seinem Rechtsanwälte, die gemeinsam eine Anwaltskanzlei betreiben, gegen Direktionsrecht unterliegen. Solche Schriftstücke dürfen in den Räum- die von der RAK ausgesprochene Verpflichtung zur Niederlegung von lichkeiten des Bundestags auch bei dem Mitarbeiter eines Abgeordneten Mandaten gewehrt, nachdem sie einen Rechtsanwalt angestellt hat- nicht beschlagnahmt werden. Soweit sich Schriftstücke außerhalb der ten, der zuvor bei einer auf der Gegenseite tätigen Sozietät beschäftigt Räume des Bundestags bei einem Mitarbeiter befinden, ist die recht- war. Das BVerfG hob den Beschluss des BGH, der die Entscheidung der liche und tatsächliche Beherrschungsmöglichkeit des Abgeordneten RAK bestätigt hatte, auf, weil die Beschwerdef. in ihren Grundrechten so weit gelockert, dass der Schutzbereich des Art. 47 GG verlassen wird. aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt werden. Dazu führte das BVerfG aus: (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 60/03 v. 30.7.2003) Zu den in § 43a Abs. 4 BRAO geregelten Grundpflichten eines Rechts- anwalts gehört es, keine widerstreitenden Interessen zu vertreten. BVerfG: Kritik an Regelungen zum Kindergeld Dieses Verbot wird in § 3 BORA auf Sozietäten erstreckt. § 3 Abs. 2 Mit Beschl. v. 9.4.2003 (1 BvL 1/01 u. 1 BvR 1749/01) hat das BVerfG BORA lässt indessen keinen Raum für eine Abwägung im Einzelfall. entschieden, dass § 1612b Abs. 5 BGB nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG Die Möglichkeit des Sozietätswechsels ist für die Anwaltschaft zuneh- verstößt, soweit er zur Sicherung des Existenzminimums des unter- mend von Bedeutung. Eine Vielzahl von Anwälten geht in Sozietäten haltsberechtigten Kindes die Anrechnung des Kindergeldes auf den ihrem Beruf nach. Ein Kanzleiwechsel ist keine Seltenheit mehr und Kindesunterhalt von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichti- kommt selbst für hochspezialisierte Rechtsanwälte in Betracht. gen Elternteils abhängig macht und diesen vor dem betreuenden § 3 Abs. 2 BORA erschwert den Berufswechsel, weil der aufnehmenden Elternteil verpflichtet, seinen Kindergeldanteil zur Deckung eines Kanzlei grundsätzlich die Mandatsniederlegung und damit der Ver- Defizits beim Kindesunterhalt einzusetzen. zicht auf Einnahmen zugemutet wird. Damit sind Beeinträchtigungen Zugleich verwies das BVerfG aber darauf, dass die das Kindergeld der Berufsausübungsfreiheit verbunden, die nicht weiter gehen dürfen, betreffenden Regelungen in ihrer sozial-, steuer- und familienrecht- als sie vom Eingriffszweck unumgänglich sind. Dies ist bei § 3 Abs. 2 lichen Verflechtung dem Verfassungsgrundsatz der Normenklarheit BORA nicht der Fall. Diese Bestimmung beschränkt die Nachteile für immer weniger genügen. So bringt § 1612b BGB nicht genügend klar die aufnehmende Sozietät nicht auf das zum Schutz von Gemeinwohl- zum Ausdruck, welche in Bezug genommene Größe das Existenzmi- interessen erforderliche Minimum. Sie lässt eine Prüfung im Einzelfall nimum eines Kindes ausmacht. Außerdem ermöglicht es die Vorschrift nicht zu, ob Sicherungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beach- dem Verordnungsgeber, über die einkommensorientierte Veränderung tung der Verschwiegenheitspflicht bestehen. Dies hängt von der Orga- der Regelbeträge maßgeblich zu beeinflussen, was der Gesetzgeber in nisation und der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den § 1612b Abs. 5 BGB als prozentuale Größe zum Maßstab für die Anwälten im jeweiligen Einzelfall ab. Wird hingegen an die formalen Bestimmung des Existenzminimums eines Kindes genommen hat. Außenbeziehungen von Rechtsanwälten durch eine Pflicht zur Man- Unter Bezugnahme auf einen Entschließungsantrag des Bundestags, datsniederlegung ein Mobilitätshindernis geknüpft, führt dies zu einer mit dem dieser die Bundesregierung gebeten hat, das Unterhaltsrecht unverhältnismäßigen Erschwerung des Kanzleiwechsels. in Abstimmung mit sozial- und steuerrechtlichen Parallelregelungen (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 56/03 v. 23.7.2003) zu überprüfen und Vorschläge für eine Neuregelung zu erarbeiten, sind die gesetzgebenden Organe auch von Verfassungs wegen aufgefordert, BVerfG: Beschlagnahmeprivileg bei Abgeordneten hier Abhilfe zu schaffen. Schriftstücke, für die der Abgeordnete glaubhaft macht, dass sie ihm (aus: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 64/03 v. 5.8.2003) im Zusammenhang mit seiner parlamentarischen Arbeit anvertraut sind, dürfen in den Räumen des Bundestags auch bei einem Mitarbei- BGH: Zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ter eines Abgeordneten nicht beschlagnahmt werden. Dies entschied Der BGH hatte in zwei Entscheidungen darüber zu befinden, inwieweit mit Urt. v. 30.7.2003 (2 BvR 508/01 u. 2 BvE 1/01) das BVerfG im ein Vermieter, der dem Mieter wegen Eigenbedarfs kündigt, verpflich- Rahmen eines Verfassungsbeschwerde-Verfahrens und eines gegen tet ist, dem Mieter eine ihm zur Verfügung stehende Wohnung, die den Präsidenten des Deutschen Bundestags gerichteten Organstreit- vermietet werden soll, zur Anmietung anzubieten. Mit Urteilen v. verfahrens. Beschwerdef. und Ast. sind 13 Abgeordnete des Bundestags 9.7.2003 (VIII ZR 311/02 u. 276/02) entschied der BGH, dass und Mitglieder bzw. stellvertretende Mitglieder der Arbeitsgruppe der grundsätzlich eine Anbietpflicht zu bejahen und eine unter Verstoß SPD-Bundestagsfraktion im Parteispenden-Untersuchungsausschuss gegen diese Verpflichtung ausgesprochene Kündigung wegen Rechts- des 14. Deutschen Bundestags, der Beschwerdef. zu 1 und Ast. zu 1 war missbrauchs unwirksam ist. Diese Pflicht besteht jedoch nur, wenn die deren Obmann. Das BVerfG hat weiter festgestellt, dass der Beschluss des andere Wohnung bis spätestens zum Ablauf der Kündigungsfrist zur LG München I, mit dem u.a. die Beschlagnahme der in der Wohnung Verfügung steht und sie sich im selben Haus oder in derselben Wohn- und im Büro des beschuldigten Mitarbeiters sichergestellten Unter- anlage befindet.

Neue Justiz 9/2003 III In dem dem Verfahren VIII ZR 311/02 zugrunde liegenden Fall hatte Folge hatte, dass das von der Kl. erworbene Modell 523i nicht mehr der kl. Vermieter seiner Mieterin wegen Eigenbedarfs gekündigt. hergestellt wurde. Nach Ablauf der Kündigungsfrist, aber noch vor Beendigung des Nach der Rspr. des Senats ist ein als Neuwagen verkaufter Pkw nicht Räumungsprozesses war in demselben Haus eine gleich große Woh- mehr »fabrikneu«, wenn das betreffende Modell nicht mehr unverän- nung frei geworden, die der Vermieter jedoch anderweitig vermietete. dert hergestellt wird. Im jetzt entschiedenen Fall hatte das OLG Köln Die Mieterin hatte den Eigenbedarf des Kl. bestritten und geltend hiergegen Bedenken. Es meinte, der Zeitpunkt der fabrikinternen Pro- gemacht, der Vermieter hätte ihr diese Wohnung als Alternative duktionsumstellung sei der Rspr. des BGH nicht eindeutig als maß- anbieten müssen. geblich zu entnehmen; er sei überdies »nicht nahe liegend« und nicht Der BGH hat zunächst festgestellt, dass den Vermieter grundsätzlich praktikabel, weil er dem Händler und erst recht dem Kunden häufig die Pflicht trifft, eine ihm zur Vermietung zur Verfügung stehende verschlossen bleibe. Das OLG hat deshalb – abweichend von der Rspr. andere Wohnung dem Mieter anzubieten. Zwar ist bei der Kündigung des VIII. Zivilsenats – auf den Beginn der Auslieferung des neuen einer Mietwohnung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich die Entschei- Modells an den Handel abgestellt. Es ist weiter davon ausgegangen, im dung des Vermieters, wie er eine ihm gehörende Wohnung nutzen vorliegenden Fall sei der Kaufvertrag noch vor jenem Zeitpunkt abge- wolle, zu respektieren. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, schlossen worden; deshalb sei das verkaufte Fahrzeug noch fabrikneu dass die Kündigung wegen Eigenbedarfs gegen einen Mieter einen gewesen. Im Übrigen habe die Verkäuferin auch nicht ungefragt auf erheblichen Eingriff in dessen Lebensumstände darstellt und deshalb den bevorstehenden Modellwechsel hinweisen müssen. Die auf Rück- so schonend wie möglich ausgeübt werden muss. Der Vermieter ist daher gängigmachung des Kaufvertrags oder Schadensersatz gerichtete Klage gehalten, diesen Eingriff abzumildern, soweit ihm dies möglich ist. hat es daher abgewiesen. Der Senat hat damit die von den Instanzgerichten bereits seit länge- Der BGH hält auch nach Prüfung der vom OLG angestellten Erwä- rem praktizierte Rspr. zur Anbietpflicht des Vermieters bestätigt. gungen mit seinem Urt. v. 16.7.2003 (VIII ZR 243/02) an seinem Weiter wird ausgeführt, dass die Verpflichtung des Vermieters nur bisherigen Standpunkt fest. Er teilt insbes. nicht die Befürchtung, der besteht, wenn die Alternativwohnung spätestens bis zum Ablauf der Zeitpunkt der Produktionseinstellung eines bestimmten Automodells Kündigungsfrist zur Vermietung zur Verfügung steht. Anderenfalls sei dem Vertragshändler einer Fahrzeugmarke häufig nicht bekannt. würde nämlich derjenige Mieter privilegiert, der sich nach Ablauf der Dieser Zeitpunkt ist entgegen der Auffassung des BerufungsG auch Kündigungsfrist unberechtigt weiterhin in der Wohnung aufhält. hinreichend genau feststellbar; der Umstand, dass die gesamte Pro- Durch eine nach Vertragsende fortgeltende Anbietpflicht wird der duktionsumstellung von einem auf ein neues oder anderes Pkw- Vermieter in seinem durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsrecht Modell wegen der erforderlichen Umrüstung der Produktionsanlagen, unverhältnismäßig eingeschränkt. Soweit sich im Räumungsverfahren etwa damit verbundener Werksferien und der Anlaufzeit für die Her- herausstellt, dass ein Eigenbedarf tatsächlich nicht vorliegt, bedarf es stellung des neuen Typs möglicherweise mehrere Wochen in Anspruch zum Schutze des Mieters einer Anbietpflicht nicht, weil die vom Ver- nimmt, spricht deshalb nicht gegen die Produktionseinstellung als mieter ausgesprochene Kündigung dann ohnehin unwirksam ist. maßgebliche Zäsur für die Frage, ab wann ein Fahrzeug nicht mehr In dem Verfahren VIII ZR 276/02 hatte der Kl. eine Kündigung wegen unverändert hergestellt wird und das betreffende Modell demzufolge Eigenbedarfs ausgesprochen, um seinem Bruder und dessen sechsköp- nicht mehr als fabrikneu iSd Rspr. des BGH angesehen werden kann. figer Familie zu ermöglichen, in die Wohnung der bekl. Mieter einzu- (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 94/03 v. 16.7.2003) ziehen. Das BerufungsG hat die Kündigung für rechtsmissbräuchlich gehalten, weil der Kl. seinen Bruder nicht veranlasst hatte, eine die- BGH: Zum kreditfinanzierten Beitritt zu geschlossenem Immobilienfonds sem gehörende, mehrere Kilometer entfernt gelegene Wohnung den Der Bekl. und Revisionskl. hatte bei der Kl., einer Kreissparkasse, ein Mietern anzubieten. Diese Wohnung war im Zeitpunkt der Kündigung Darlehen aufgenommen, das der Finanzierung des Anteilserwerbs an vermietet, wurde aber später frei. Der Bruder des Kl. vermietete sie einem geschlossenen Immobilienfonds dienen sollte. Nachdem die weiter, ohne sie den Bekl. angeboten zu haben. Fondsgesellschaft ihre Ausschüttungen an den Bekl. eingestellt hatte, Der Senat entschied, dass der Vermieter grundsätzlich auch für seine kündigte der Bekl. seine Gesellschaftsbeteiligung wegen arglistiger Geschwister Eigenbedarf geltend machen könne. Bei Geschwistern Täuschung fristlos und stellte die Zins- und Tilgungsleistungen an die bestehe noch ein so enges Verwandtschaftsverhältnis, dass es eines Kl. ein. Das BerufungsG gab der Klage der Kl. auf Rückzahlung des zusätzlichen, einschränkenden Tatbestandsmerkmals, wie etwa einer Darlehens statt und wies die Widerklage des Bekl. auf Erstattung der engen sozialen Bindung zum Vermieter, nicht bedürfe. Die Anbiet- bis zur Zahlungseinstellung geleisteten Zahlungen ab. pflicht des Vermieters hat der Senat im konkreten Fall jedoch deshalb Mit Urt. v. 21.7.2003 (II ZR 387/02) hat der BGH auf die Revision des verneint, weil sich die Wohnungen nicht in der erforderlichen räum- Bekl. das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur erneuten Ver- lichen Nähe zueinander befanden. Es ist nicht Sache des Vermieters, handlung und Entscheidung an das BerufungsG zurückverwiesen. dem Mieter jede andere, ihm zur Verfügung stehende Wohnung zur Nach Auffassung des Senats stellt der kreditfinanzierte Beitritt zu Nutzung anzubieten. Seine Verpflichtung beschränkt sich vielmehr einem geschlossenen Immobilienfonds ein Verbundgeschäft nach § 9 auf eine im selben Haus oder in derselben Wohnanlage befindliche Abs. 3 u. 4 VerbrKrG dar, wenn, wie hier, der Vermittler der Fonds- Wohnung, um dem Mieter zu ermöglichen, eine Wohnung in seiner beteiligung zugleich unter Verwendung von Formularen der Bank die vertrauten Umgebung zu beziehen. Finanzierung des Anteilserwerbs anbietet. Folge des Verbundgeschäfts (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 90/03 v. 9.7.2003) ist es, dass die Kündigung der Gesellschaftsbeteiligung wegen arglisti- ger Täuschung sowohl dazu berechtigt, die Zahlungen auf das Dar- BGH: Festhalten an Neuwagen-Rechtsprechung lehen einzustellen, als auch in entsprechender Anwendung des § 9 Der BGH hatte sich erneut mit der Frage zu befassen, ab wann ein als Abs. 2 Satz 4 VerbrKrG dazu, die Rückzahlung der an die Bank bis zur Neufahrzeug verkauftes Kraftfahrzeug nicht mehr als »fabrikneu« Kündigung geleisteten Zahlungen zu verlangen. Allerdings gilt dies anzusehen ist, wenn in dem Zeitraum, in dem der Kaufvertrag abge- nur insoweit, als die Fondsbeteiligung des Anlegers nicht schon durch schlossen worden ist, ein Modellwechsel stattgefunden hat. In dem Verluste, die von ihm anteilig mitzutragen sind, gemindert ist. Die der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um den Kauf eines Bank ist daher gehalten, nach Kündigung der Gesellschaftsbeteiligung Pkw mit der Typenbezeichnung 523i der 5er-Reihe der Marke BMW und damit zugleich des Darlehensvertrags das Geschäft abzurechnen. bei der bekl. BMW-Vertragshändlerin. An dieser Reihe hatte BMW im Im Ergebnis kann sie ihr Darlehen von dem Anleger damit nur inso- Spätsommer 2000 eine sog. Modellpflege vorgenommen, die u.a. zur weit zurückfordern, wie die Darlehenssumme das ihr überlassene

IV Neue Justiz 9/2003 Abfindungsguthaben des Anlegers übersteigt. Hat der Anleger auf das 2002 allen betroffenen Eigentümern für weitere 15 Jahre gewährt. Darlehen bereits mehr zurückgezahlt als den der Bank danach zuste- Im Febr. 2003 beschloss der Berliner Senat zur Entlastung des Berliner henden Betrag, so kann der Anleger diesen Mehrbetrag sogar von der Haushalts den Ausstieg aus der Anschlussförderung rückwirkend zum Bank zurückfordern. 1.1.2003; die IBB lehnte daraufhin den Antrag der S. auf Anschlussför- (aus: Pressemitteilung des BGH Nr. 97/03 v. 22.7.2003) derung ab. Bis zur Entscheidung über ihre dagegen erhobene Klage hat Zur aktuellen Rechtsentwicklung beim fremdfinanzierten Erwerb von Immo- die S. die vorläufige Zahlung der Anschlussförderung begehrt. Das VG bilien und Fondsanteilen siehe I. Fritsche/St. Fritsche, NJ 2003, 231 ff., 288 ff. hat dieses Verlangen abgelehnt. Die Beschwerde der S. hatte Erfolg. Nach Auffassung des OVG spricht alles dafür, dass die Ast. unter Ver- BAG: Unwirksamer Spruch der Einigungsstelle über Höchstarbeitszeit trauensschutzgesichtspunkten die Anschlussförderung beanspruchen und Bereitschaftsdienst kann. Denn das Förderverhältnis war bei verständiger Auslegung des Der Arbeitgeber ist ein Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes. (Grund-)Förderungsbescheids nicht auf 15, sondern auf 30 Jahre ange- Er betreibt im staatlichen Auftrag den Rettungsdienst in einem Land- legt. Nach den Bestimmungen des WohnungsbauförderungsG hatte kreis. Auf Antrag des Betriebsrats hat eine betriebliche Einigungsstelle das Land Berlin die Pflicht, bei der Vergabe der (Grund-)Förderung einen Rahmendienstplan beschlossen. Ihm zufolge wird die »wöchent- darauf zu achten, dass die Sozialwohnungen auf Dauer mit für Sozial- liche durchschnittl. Höchstarbeitszeit in Form von persönlicher Anwe- mieter geeigneten Mieten bewirtschaftet werden konnten. Da die für senheit am Arbeitsplatz dienstplanmäßig auf 48 Stunden beschränkt«; die Finanzierung aufgenommenen Darlehen üblicherweise eine plan- in der Arbeitszeit »können Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst mäßige Tilgungsdauer von 30 Jahren haben und die »Lücke« zwischen enthalten sein«. Die übrigen Regelungen haben die Dauer und Lage Kostenmiete (23,21 DM/qm) und »Mietermiete« (4,89 DM/qm) von Schichten und Bereitschaftsdienst, die Dauer der Ruhezeit nach aufgrund der besonderen politischen und wirtschaftlichen Situation Schichtende und Pausenzeiten zum Gegenstand. Der Arbeitgeber hat außergewöhnlich groß gewesen ist, war allen Beteiligten den Spruch angefochten. Die Vorinstanzen wiesen seinen Antrag ab. bewusst, dass die »Lücke« nach Ablauf der (Grund-)Förderung weiter- Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers war teilweise erfolgreich. hin in nahezu unveränderter Höhe bestehen bleiben würde, die Mit Beschl. v. 22.7.2003 (1 ABR 28/02) hat das BAG entschieden, dass Objekte bei Ausbleiben der Anschlussförderung also zwangsläufig eine betriebliche Einigungsstelle keine Regelung über den Umfang der notleidend werden würden. Dementsprechend wurde in der Vergan- wöchentlichen Höchstarbeitszeit und die Einordnung von Bereit- genheit auch nahtlos Anschlussförderung gewährt. schaftsdienst als Arbeitszeit treffen kann. Der Spruch ist unwirksam, Die nunmehr vom Land angeführte Entspannung am Wohnungsmarkt soweit er die wöchentl. Höchstarbeitszeit – unter Einbeziehung des und die angespannte Haushaltslage berechtigten das Land zu einer Bereitschaftsdienstes – festlegt. Die Einigungsstelle ist hierfür nicht Verringerung der Förderung, nicht aber zum völligen Ausstieg aus der zuständig. Der Betriebsrat hat zwar nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG Anschlussförderung. Denn die finanziellen und wohnungswirtschaft- über die Lage der Arbeitszeit mitzubestimmen, nicht aber über deren lichen Risiken sind bei Gewährung der (Grund-)Förderung vom Land wöchentlichen Umfang. Die Unwirksamkeit der genannten Regelun- erkannt, aber aus politischen Gründen bewusst eingegangen worden. gen hat auf die Wirksamkeit der übrigen Teile des Spruchs keinen Ein- Der Erlass der einstweiligen Anordnung zugunsten der S. ist notwen- fluss. Diese sind unabhängig von der maßgeblichen Höchstarbeitszeit dig, weil sie ohne eine vorläufige Zahlung der Anschlussförderung in auch für sich allein sinnvoll und praktikabel. ihrer Existenz bedroht ist. Zwar könnte sie bei Wegfall der Anschluss- (aus: Pressemitteilung des BAG Nr. 51/03 v. 23.7.2003) förderung die Kostenmiete erheben; diese ist jedoch unter keinen Umständen zu erzielen, weil sie mit derzeit 11,09 € noch weit ober- halb der ortsüblichen Miete von 6,55 € für vergleichbare freifinan- zierte Wohnungen liegt. (aus: Pressemitteilung des OVG Berlin Nr. 21/03 v. 25.7.2003)

Landesgerichte OVG Frankfurt (Oder): Anschluss- und Benutzungszwang für sog. abwasserfreies Grundstück bestätigt Das OVG hat durch Urt. v. 31.7.2003 (2 A 316/02) die Berufung von OVG Berlin: Zur Anschlussförderung im sozialen Wohnungsbau Grundstückseigentümern gegen ein Urteil des VG Potsdam zurückge- Mit Beschl. v. 24.7.2003 (5 A 8/03) verpflichtete das OVG Berlin auf wiesen, mit dem die Klage auf Befreiung vom Anschluss- und Benut- die Beschwerde eines privaten Wohnungsbauunternehmens (S.) das zungszwang zu den zentralen öffentlichen Einrichtungen und Anla- Land Berlin im Wege einstweiliger Anordnung, dem Unternehmen gen der Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung abgewiesen vom 1.2.2003 an für die Zeit der Rechtshängigkeit der Klage eine worden war. finanzielle Hilfe zu den laufenden Aufwendungen für die im sozialen Die Kl. hatten die Befreiung vom Anschlusszwang an die öffentlichen € Wohnungsbau errichtete Mietwohnanlage i.H.v. monatl. rd. 17.600 Einrichtungen unter Hinweis darauf beantragt, dass ihre Wasserver- zu zahlen. Die Entscheidung hat Bedeutung für eine Reihe gleich sorgung aus einem auf ihrem Grundstück befindlichen Brunnen gelagerter Fälle. gewährleistet sei; Abwasser falle auf ihrem Grundstück nicht an, weil Das Land Berlin förderte den sozialen (Miet-)Wohnungsbau in den sie eine Trockentoilette installiert hätten und das in ihrem Haushalt Jahren 1972 bis 1999 in der Weise, dass sich die bauwilligen Eigen- anfallende Schmutzwasser nach der Reinigung in einer sog. Brauch- tümer die benötigten finanziellen Mittel für den Bau der Sozialwoh- wassergewinnungsanlage bzw. Grauwasserbehandlungsanlage für das nungen am Kapitalmarkt beschafften und das Land Berlin anschlie- Tränken des von ihnen gehaltenen Viehs und im Übrigen zur Bewäs- ßend degressiv gestaffelte Aufwendungshilfen vergab, die die Lücke serung ihres Gartens verwendet werde. Das behandelte Grauwasser zwischen der sich aus den Kapital- und Bewirtschaftungskosten errech- weise Badewasserqualität iSd einschlägigen EU-Richtlinie auf. nenden Kostenmiete und der vom Sozialmieter zu tragenden »Mieter- Der bekl. Wasser- und Abwasserzweckverband hatte die Befreiung auf miete« decken sollten. In den Förderungsbescheiden der Wohnungs- der Grundlage einer nach seinem Satzungsrecht erforderlichen Abwä- bau-Kreditanstalt Berlin (jetzt Investitionsbank Berlin – IBB) war die gung des privaten Interesses an der Befreiung mit den öffentlichen Dauer der (Grund-)Förderung auf 15 Jahre begrenzt; die Eigentümer Interessen an der Dauerhaftigkeit der Entsorgungssicherheit, an den waren aber verpflichtet, ggf. nach Ablauf der 15 Jahre weitere Förder- gesundheitlichen Anforderungen und an der Inanspruchnahme der mittel anzunehmen. Diese sog. Anschlussförderung, wurde bis Ende öffentlichen Einrichtungen abgelehnt; Vorrang gebühre dem öffent-

Neue Justiz 9/2003 V lichen Interesse an der Entsorgungssicherheit und der Notwendigkeit, dass der Betrieb der von ihm errichteten öffentlichen Anlagen wirt- Buchumschau schaftlich und technisch nur gewährleistet sei, wenn die Grundstücke im Einzugsbereich der Anlagen möglichst umfassend die Anlagen in Rudi Beckert Anspruch nähmen. Lieber Genosse Max Das OVG hat die vom bekl. Zweckverband vorgenommene Abwägung Aufstieg und Fall des ersten Justizministers der DDR Max Fechner bestätigt und von den Kl. geäußerte Zweifel an der Verfassungsmäßig- Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2003 347 S., brosch., 42,– €. ISBN 3-8305-0149-8 keit des Anschluss- und Benutzungszwangs verworfen. Eine Befreiung Der politische Werdegang Fechners im Osten Deutschlands vom stell- kommt insoweit nur in Betracht, wenn das private Interesse unter vertretenden Vorsitzenden der SED, Präsidenten der Deutschen Zen- jedem der in der Satzung angeführten Gesichtspunkte das öffentliche tralverwaltung für Justiz bis zum ersten Justizminister der DDR endete Interesse überwiegt. Insbes. die Abwasserbeseitigung ist eine den bereits 1953. Im Zusammenhang mit den Ereignissen des 17. Juni wurde er inhaftiert und durch die eigene Justiz als Staatsfeind verurteilt. Gemeinden bzw. den von ihnen gebildeten Zweckverbänden gesetz- Der Autor beschreibt den widerspruchsvollen Lebensweg von Max lich übertragene hoheitliche Pflichtaufgabe. Die Träger dieser Aufgabe Fechner. (Siehe dazu den Beitrag von R. Beckert, S. 454 ff., in diesem Heft) haben zu entscheiden, ob sie die Abwasserbeseitigung durch zentrale oder dezentrale öffentliche Anlagen erledigen oder sie im Rahmen des Ulf Bischof Abwasserbeseitigungskonzepts auch den Grundstückseigentümern Die Kunst und Antiquitäten GmbH im Bereich Kommerzielle zur eigenen Erledigung mit Hilfe von Kleinkläranlagen überlassen, Koordinierung die nach der ab 1.9.2003 geltenden Neufassung der BauO Bbg. im De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, Berlin 2003 534 S., geb., 138,– €. ISBN 3-89949-048-7 Gegensatz zur noch geltenden Rechtslage nicht mehr genehmigungs- Die Arbeit umreißt den rechtlichen Rahmen für den Außenhandel in pflichtig und baurechtlich grundsätzlich zulässig sind. Die Wirtschaft- der DDR und seine Unternehmen und behandelt ausführlich den lichkeit und technische Funktionsfähigkeit zentraler Einrichtungen Bereich Kommerzielle Koordinierung als Sonderbereich des DDR- liegt im Interesse der Allgemeinheit. Die Zahl der Nutzer ist letztlich Außenhandels, seine Struktur und die wirtschaftlichen Aktivitäten. Dargestellt wird die Geschäftstätigkeit der Kunst und Antiquitäten ausschlaggebend für die Höhe der für die Inanspruchnahme zu ent- GmbH von ihrer Gründung im Jahre 1973 und der Übernahme des richtenden Gebühren. Antikhandel Pirna bis zu ihrer Abwicklung im Jahre 1990. (aus: Pressemitteilung des OVG Frankfurt [Oder] v. 1.8.2003) Horst Göppinger/Peter Wax OLG Dresden: Stadt Dresden muss nicht für Altverbindlichkeiten einstehen Unterhaltsrecht Gieseking Verlag, 8., neu bearb. Aufl., Bielefeld 2003 Die Kl., eine 1742 gegründete Schul- und Armenstiftung, die u.a. 1.318 S., geb., 128,– €. ISBN 3-7694-0921-3 Darlehen für Eigenheime an einkommensschwache Familien verge- Die zwölf Autoren haben für die 8. Auflage Gesetzgebung, Rechtspre- ben hat, verlangte von der bekl. Stadt Dresden Auskunft über den Wert chung und Literatur durchgängig bis April, teilweise bis Sommer 2002 der von ihr verwalteten Darlehensforderungen einschließl. sämtlicher eingearbeitet. Das bewährte Konzept mit seiner Aufteilung in mate- Zinsansprüche. Die Stiftung war 1960 zwangsaufgehoben und ihr rielles Recht, Verfahrensrecht, Internationales Privat- und Verfah- rensrecht und Steuerrecht wurde beibehalten. Für die hohe Qualität Vermögen in Volkseigentum überführt worden. 1997 wurde rechts- des Handbuchs stehen erfahrene und publizistisch ausgewiesene Prak- kräftig die Rechtswidrigkeit der Zwangsaufhebung festgestellt. tiker-Autoren. Das OLG hat mit Urt. v. 30.7.2003 (6 U 1/03) das abweisende LG-Urteil bestätigt. Die bekl. heutige Stadt Dresden sei mit der früheren Stadt als Herbert Grziwotz juristische Person weder identisch noch deren Rechtsnachfolgerin. Die Beratungshandbuch Lebenspartnerschaft Bekl. sei als »juristische Person des öffentlichen Rechts« durch die Verlag C. H. Beck, München 2003 252 S., geb., 25,– €. ISBN 3-406-49359-9 KommVerf. v. 17.5.1990 neu gegründet worden und nicht in Fortset- Das Recht berücksichtigt die Tendenz zu neuen Familienformen bisher zung der früheren Stadt Dresden lediglich wieder aufgelebt. nur vereinzelt. Partner sind deshalb darauf angewiesen, faire Lösungen (aus: Pressemitteilung des OLG Dresden Nr. 30/03 v. 30.7.2003) für ihre konkrete Lebensgemeinschaft selbst zu finden. Dieser Trend zur »Verhandlungsbeziehung« stellt neuartige Anforderungen an die juris- tische Beratung. Das neue Handbuch mit zahlreichen Beispielen und Tipps aus der Praxis bietet insoweit eine Arbeitshilfe für Anwälte und Notare; Checklisten dienen der Fehlervermeidung.

Dirk Schulz/Ulrich Bert/Holger Lessing Personalnachrichten Handbuch Insolvenz Insolvenzverfahren • Haftung • Gläubigerschutz •Sanierung und Auswege Haufe Verlag, Freiburg/Berlin/München 2003 Deutscher Richterbund 302 S., geb., mit CD-ROM, 39,80 €. ISBN 3-448-05620-0 Die Bundesvertreterversammlung des DRB hat Wolfgang Arenhövel Der Band behandelt alle Aspekte der Insolvenz. Schwerpunkte sind zum neuen Vorsitzenden gewählt. Der 1946 geborene Präsident des u.a.: Voraussetzungen des Insolvenzantrags, Haftung der Organe und LG Osnabrück löst Geert Mackenroth ab, der ab 1.8.2003 zum Staats- Gesellschafter einer juristischen Person, Sanierung eines insolventen Unternehmens, Stellung der Arbeitnehmer, Steuern in der Insolvenz sekretär im Justizministerium des Freistaates Sachsen ernannt wurde. sowie strafrechtliche Fragen. Die CD-ROM beinhaltet Gesetzestexte, (aus: Pressemitteilung des DRB v. 26.7.2003) Checklisten, Musterbriefe und -anträge.

Bundesverwaltungsgericht Günter Jochum/Kay-Thomas Pohl Nachlasspflegschaft Am 17.7.2003 hat MinR Stefan Liebler seine Tätigkeit als Richter am Ein Handbuch für die Praxis mit zahlreichen Formularmustern BVerwG angetreten. Der 1958 geborene Jurist war zunächst Richter Bundesanzeiger Verlag, 2., überarb. u. erw. Aufl., Köln 2003 am VG Stuttgart, ab 1996 Richter am OVG Bautzen und zuletzt im 498 S., geb., 82,– €. ISBN 3-89817-231-7 Sächs. Justizministerium tätig. Er wurde dem u.a. für das Vermögens- Die Autoren, routinierte Nachlasspfleger, beantworten detailliert zuordnungsrecht und das Recht zur Bereinigung von SED-Unrecht sämtliche Fragen der Nachlasspflegschaft und stellen die einschlägigen Verfahren in ihrer praktischen Abwicklung dar. Behandelt werden u.a. zuständigen 3. Revisionssenat des BVerwG zugewiesen. Ermittlung und Sicherung des Nachlasses, Erbenermittlung, Erb- (aus: Pressemitteilung des BVerwG Nr. 32/03 v. 21.7.2003) scheinsverfahren, Erbauseinandersetzung und Nachlassverwaltung.

VI Neue Justiz 9/2003 Wolfgang Däubler (Hrsg.) Kommentar zum Tarifvertragsgesetz Termine mit Kommentierung der Staatlichen Vergütungskontrolle im Arbeits- recht und des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Der Bundesverband der Jugendrechtshäuser e.V. veranstaltet in Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003 Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung vom 1.800 S., geb., 158,– €; Subskr.preis bis 3 Mon. nach Ersch. (Aug.) 138,– €. 9. bis 12. September 2003 in Potsdam die Fachkonferenz gegen rechts ISBN 3-7890-8341-0 »Ein Bündnis zwischen Bildung und Justiz gegen Rechtsextremismus, Die Autoren des neuen Großkommentars zum TVG behandeln u.a. fol- Rassismus und Fremdenfeindlichkeit«. gende Themen: Gleichstellung von Leiharbeitnehmern und Stamm- personal; Firmentarife zur Standortsicherung und »Bündnisse für Die Veranstaltung soll dem Verständigungsprozess zwischen Juristen, Arbeit«; Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung und zur sog. Präventionsfachleuten und Mitarbeitern des Strafvollzugs mit Verant- Riester-Rente; europäische Kollektivvereinbarungen; Staatliche Vergü- wortlichen der politischen Bildung und der Sozialpädagogik bei der tungskontrolle im Arbeitsrecht. Die wesentlichsten Normen außerhalb Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Anti- des TVG und das Arbeitnehmer-EntsendeG sind ebenfalls kommentiert. semitismus und Gewalt dienen. Tagungsort: Tagungshaus Blauart, Hermannswerder 23, 14473 Potsdam € € Karl-Peter Pühler Tagungsgebühr: 75 einschl. 3 Übernachtungen u. Verpflegung; 35 BAT-Ost Bund/Länder 2003/2004 ohne Übernachtung Anmeldungen und weitere Informationen: Bundesverband der Jugend- Verlagsgruppe Jehle Rehm, 11., aktual. Aufl., München 2003 rechtshäuser e.V., Königsberger Str. 28 A, 12207 Berlin. Tel.: (030) 76884- 460 S., kart., 18,90 €. ISBN 3-8073-1992-1 187 oder -188, Fax: (030) 76884 190, E-mail: Bundesverband@jugend- Die Textausgabe informiert über die in den neuen Ländern geltenden rechtshaus.de aktuellen tarifvertraglichen Vorschriften für Angestellte im öffentlichen Dienst bei Bund und Ländern. Den inhaltlichen Schwerpunkt bildet der * BAT-O einschließlich der wichtigsten Sonderregelungen. Die Vergü- Die Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer tungsordnungen sowie der aktuelle Vergütungstarifvertrag einschließ- veranstaltet am 25. September 2003 das Wirtschaftsforum lich ergänzender Regelungen zu Zuwendung, Urlaubsgeld etc. sowie der »Kommunale Unternehmenswirtschaft im Wandel«. Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit sind enthalten. Als Themen sind u.a. geplant: • Kommunale Daseinsvorsorge im Zeichen unternehmenswirtschaft- Kathrin Winkler lichen Wandels in den Kommunen Die Kündigung wegen Tätigkeit für das MfS in der Praxis • Kommunale Wasserversorgung als wirtschaftlicher Ausnahmebereich? Eine rechtstatsächliche Untersuchung der vom Thüringer Kultusminis- • Public Private Partnership – Strategien zur Positionierung kommu- terium wegen MfS-Verstrickung und/oder Verschweigens dieser Ver- naler Unternehmen im Wettbewerb strickung ausgesprochenen Kündigungen und ihrer Überprüfung • Kommunale Unternehmen als vergaberechtliche Auftraggeber: Mög- durch die Thüringer Arbeitsgerichtsbarkeit lichkeiten und Grenzen einer aufgabenbezogenen Organisation Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. u.a. 2003 Anmeldung und weitere Informationen: Deutsche Hochschule für Ver- 278 S., brosch., 45,50 €. ISBN 3-631-50518-3 waltungswissenschaften Speyer, Freiherr-vom-Stein-Str. 2, 67346 Die Autorin dokumentiert auf der Grundlage einer umfangreichen Speyer, Univ.-Prof. Dr. Jan Ziekow, Tel.: (06232) 654-360 Fax: (06232) Datenerhebung die Handhabung des einigungsvertraglichen Sonder- 654-421, E-mail: [email protected] kündigungsrechts wegen MfS-Verstrickung in der Praxis. Hintergrund ist dabei die Frage, inwieweit sich das Sonderrecht bewährt hat und * die damit angestrebten Ziele der Einigungsvertragsparteien erreicht Die Deutsche Richterakademie führt im IV. Quartal 2003 u.a. folgende worden sind. Für die empirische Untersuchung wurden alle Kündi- Tagungen durch: gungen und die entsprechenden Kündigungsschutzverfahren beim Tagungsstätte Trier: Thüringer Kultusministerium untersucht. • 12.10.-18.10. Familienrecht für Fortgeschrittene Der Sexualstraftäter: Ermittlungsverfahren – Hauptver- Christoph Degenhart/Siegfried Reich (Hrsg.) handlung – Vollzug Staats- und Verwaltungsrecht Freistaat Sachsen • 20.10.-25.10. Probleme des Haftungsrechts Mit Stichwortverzeichnis und alphabetischem Schnellregister Strafrechtspflege in Europa • 3.11.-8.11. Die Zukunft der Europäischen Union C. F. Müller Verlag, 5., neu bearb. Aufl., Heidelberg 2003 € • 10.11.-15.11. Das Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen 569 S., kart., 13,50 . ISBN 3-8114-1904-8 nach der Reform des Zivilprozesses Das Textbuch mit Stand 1.4.2003 gibt Studenten der Juristischen • 17.11.-22.11. Verhandlungsführung und forensische Rhetorik Fakultäten an den Universitäten des Freistaates Sachsen, der Fach- Insolvenzrecht und Zivilrecht hochschulen und Verwaltungsakademien sowie Rechtsreferendaren • 23.11.-29.11. Gemeinschaftsrecht im Zivilrecht die Landesgesetze in die Hand, die für die Ausbildung unumgänglich, Europarecht in der verwaltungsgerichtlichen Praxis aber nach den Prüfungsbestimmungen auch ausreichend sind. • 1.12.-6.12. Einführung in das private Baurecht Rund um den Anlegerschutz • 8.12.-13.12. English Law (Sprachkurs) Weitere Neuerscheinungen: • 14.12.-20.12. Europa und Zivilrecht Organisierte Kriminalität Landesrecht Brandenburg Tagungsstätte Wustrau: Hrsg. von Alexander v. Brünneck. 9. Aufl. (Stand: 1.1.2003), Nomos • 15.10.-25.10. Verfassung und Recht im bürgerlichen Zeitalter Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003. 1.700 S., brosch., 18,– €. Justiz und Judentum ISBN 3-8329-0051-9. • 2.11.-8.11. Justiz, Medien, Medienrecht Psychologie der Zeugenaussage Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union • 10.11.-14.11. Europäisches Sozialrecht Hrsg. von H.-W. Rengeling/A. Middeke/M. Gellermann. Verlag C. H. Beck, Erfahrungsaustausch zum SchuldRModG 2., völlig neu bearb. Aufl., München 2003. 930 S., in Leinen, 85,– €. • 16.11.-22.11 Akt. Fragen aus dem Handels- und Gesellschaftsrecht ISBN 3-406-47838-7. Mediative Elemente in der (familien-)gerichtlichen Praxis – Konfliktbehandlung ohne gerichtliche Ent- - scheidung (Aufbaukurs) Das verkehrsrechtliche Mandat • 24.11.-29.11. Rhetorik, Gesprächs- und Verhandlungsführung, Band 1: Verteidigung in Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenver- Plädoyer und Sprachtechnik (Aufbauseminar) fahren. Von Hans-Jürgen Gebhardt. Deutscher Anwaltverlag, 4. Aufl., • 1.12.-6.12. Kindschaftsrecht Bonn 2003. 716 S., geb., 69,– €. ISBN 3-8240-0532-8. • 8.12.-13.12. Aktuelle Fragen des Asyl- und Ausländerrechts »Über die Unabhängigkeit der Justiz« • 15.12.-20.12. Zuwanderung zwischen Integration u. Abschottung (ausführliche Rezensionen bleiben vorbehalten) Weitere Informationen: www.deutsche-richterakademie.de

Neue Justiz 9/2003 VII VORSORGE MUSS NICHT TEUER SEIN Justiz~Versicherungskasse Nomos Lebensversicherungsverein auf Gegenseitigkeit Als SELBSTHILFEEINRICHTUNG der Angehörigen des JUSTIZ- und STRAFVOLLZUGSDIENSTES Handbuch bieten wir Ihnen, Ihren Angehörigen und den mit Ihnen in häus- licher Gemeinschaft lebenden Personen zu anerkannt günstigen der Resozialisierung Tarifen und Bedingungen Versicherungen bis zur Höchstsumme von 8.000,Ð EURO Ð auf den Todes- und Erlebensfall Ð zur Bildung eines Kapitals Cornel / Kawamura-Reindl Maelicke / Sonnen (Hrsg.) Was aus politischen Sonntags- reden in die Rechtspraxis Eingang Anerkannte Leistungsmerkmale, die für uns sprechen: findet, vermittelt das Handbuch Sofortiger Versicherungsschutz Handbuch der der Resozialisierung. Ð nach Zahlung des 1. Beitrages Ð Resozialisierung Die Neuauflage Schon nach einem Jahr bei Fälligkeit hoher Gewinnzuschlag aktualisiert die bisherigen Bei- Hohe Beteiligung an den Überschüssen 2. Auflage träge und greift aktuelle The- Au§erdem: men – Strafvollstreckung, Gnadenerweise, gemeinnüt- Grundsätzlich kein ärztliches Zeugnis zige Arbeit zur Vermeidung der Das Vertrauen unserer Mitglieder Vollstreckung von Ersatzfrei- Ð stellen auch Sie uns auf die Probe Ð NOMOS heitsstrafen, Medien sowie Wir würden uns freuen, Sie als Mitglied unserer berufsständischen Sozialtherapie und Maßregel- Gemeinschaft begrüßen zu dürfen. vollzug – erstmals auf Weitere Auskünfte erteilt Ihnen unsere Geschäftsstelle in Köln Handbuch der arbeitet in die Darstellung Anschrift:Drosselweg 44, 50735 Köln praktische Fallbeispiele, Ge- Tel.: 02 21 / 71 44 77 oder 71 47 23 Resozialisierung setzes- und Entscheidungs- Fax: 02 21 / 712 61 63 Herausgegeben von materialien, Tabellen, Schau- E-Mail: [email protected] Prof. Dr. Heinz Cornel, bilder und Übersichten ein Internet: www.Justiz-Versicherungskasse.de Fachhochschule für verknüpft alle rechtlichen, Sozialarbeit und pädagogischen, psychologi- Sozialpädagogik, schen, sozialarbeiterischen/ Berlin, Prof. Gabriele sozialpädagogischen und Ulf Marzik/Thomas Wilrich Kawamura-Reindl, kriminologischen Aspekte zu GSO-Fachhochschule einem in sich stimmigen Ge- Nürnberg, Dr. Bernd samtwerk, das offene Fragen Bundesnaturschutzgesetz Maelicke, Kiel und und Konfliktlinien klärt und so Prof. Dr. Bernd Rüdeger zur konzeptionellen und prak- Sonnen, Universität tischen Fachentwicklung bei- Hamburg trägt. Das neue BNatSchG vom 3. April 2002 ist als Rahmengesetz bis 2. Auflage 2003, 568 S., April 2005 von den 16 Ländern umzusetzen. Der Kommentar von brosch., 49,– €, Die Autoren stehen für dieses Marzik/Wilrich erläutert die neuen Vorschriften und den Stand von ISBN 3-8329-0159-0 Konzept: Rechtsprechung und Literatur der nicht geänderten naturschutz- Prof. Dr. Heinz Cornel, Fachhoch- rechtlichen Vorschriften, insbesondere in den Bereichen ¥ Verhältnis schule für Sozialarbeit und So- des Naturschutzes zur Land- und Forstwirtschaft ¥ Biotopverbund ¥ zialpädagogik, Berlin, Dr. Bernd Vertragsnaturschutz ¥ Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ¥ Maelicke, Kiel, Prof. Gabriele Schutzgebietsausweisungen und europäisches Netz »Natura 2000« • Kawamura-Reindl,GSO-Fachhoch- Verträglichkeitsprüfung nach FFH- und Vogelschutzrichtlinie ¥ Ver- schule Nürnberg, Prof. Dr. Bernd einsbeteiligung und -klage. Rüdeger Sonnen, Universität Der Kommentar berücksichtigt auch – insbesondere beim »Herz- Hamburg stück« des BNatSchG, der Eingriffsregelung Ð die von Bundes- und Länderministerien und Landesämtern für Naturschutz und Umwelt- Fax07221/2104-43 · www.nomos.de · [email protected] schutz sowie Verbänden herausgegebenen Arbeitshilfen, Leitfäden und Praxishinweise. Er wendet sich an Behörden, Verbände und In-

vestoren, Landschaftsplaner und -architekten, Rechtsanwälte und an Cornel/Kawamura- Name alle am Naturschutz Interessierten. Reindl/Maelicke/ Ulf Marzik ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Sonnen (Hrsg.) Straße Rechtswissenschaft und im Studiengang Umweltmanagement der Handbuch der Freien Universität Berlin. Resozialisierung PLZ,Wohnort Dr. Thomas Wilrich ist Rechtsanwalt im Bereich Bau-, Planungs- und 2. Auflage 2003, Umweltrecht. 568 S., brosch., 49,– €, Telefon ISBN 3-8329-0159-0 1. Auflage 2003, 800 S., geb., 59,Ð €, ISBN 3-7890-8316-X Datum, Unterschrift

Sie haben das Recht, die Ware innerhalb von 2 Wochen nach Lieferung ohne Begründung an Ihre Buchhandlung oder an den Nomos Verlag, Waldseestr. 3-5, 76530 Baden-Baden, Nomos zurückzusenden, wobei die rechtzeitige Absendung genügt. [email protected] Kosten und Gefahr der Rücksendung trägt der Empfänger.

VIII Neue Justiz 9/2003 Neue Justiz Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung in den Neuen Ländern

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Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung bei Insolvenzreife der GmbH Dr. Frederik Karsten, Leipzig*

Die Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen gehört im Normalfall abzuführen. Bekanntermaßen macht sich nämlich ein Arbeitgeber zu den letzten Schritten einer GmbH auf ihrem Weg in die Insolvenz. Für nach § 266a Abs. 1 StGB strafbar, wenn er der Einzugsstelle Beiträge deren Geschäftsführer ist dies oft mit einer persönlichen Haftung verbunden. des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeits- Anlässlich einer ausführlich begründeten Entscheidung des OLG Dresden förderung vorenthält. Dies gilt wegen § 14 Abs. 1 Satz 1 StGB auch für v. 16.1.2003 (NJ 2003, 487 [Leits.], in diesem Heft) werden in diesem den Geschäftsführer, und da § 266a StGB als Schutzgesetz iSd § 823 Beitrag die aktuellen Tendenzen der Rechtsprechung bei der Haftung aus Abs. 2 BGB anerkannt ist, droht ihm neben einer Strafverfolgung auch § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB untersucht. eine persönliche Haftung.2 Die Haftung des Geschäftsführers wegen eines Verstoßes gegen § 266a StGB hat große Bedeutung und beschäftigt auch die höchst- I. Problemstellung richterliche Rechtsprechung in zunehmendem Maße.3 Manche Frage wurde geklärt – hierzu zählt auch der in der Rechtsprechung und Gerät eine GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, muss sich deren Literatur über lange Jahre intensiv ausgefochtene Streit darüber, ob Geschäftsführer mit einer Vielzahl von Gläubigern auseinandersetzen, Sozialversicherungsbeiträge iSv § 266a StGB vorenthalten werden die ihn mehr oder minder freundlich dazu drängen, die noch offenen können, wenn kein Lohn mehr ausgezahlt wurde.4 Nach wie vor ist Verbindlichkeiten schleunigst zu begleichen. Banken drohen mit der aber umstritten, ob Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung Kündigung von Kreditverträgen, sofern nicht in den nächsten Tagen abzuführen sind, wenn die GmbH nach der Maßgabe des § 64 Abs. 1 ein Zahlungseingang zu verzeichnen ist, Händler liefern dringend GmbHG überschuldet oder zahlungsunfähig – also insolvenzreif – ist. benötigte Materialien nur noch gegen Vorkasse oder holen bereits Im Kern geht es hierbei um die Frage, welche Bedeutung der Grund- gelieferte Ware wieder ab und auch die Arbeitnehmer, die sich – ins- besondere in Zeiten steigender Arbeitslosenquoten – noch für eine kurze Zeit vertrösten lassen, kündigen an, die Arbeit niederzulegen, * Der Verf. ist Syndikus der Handwerkskammer Chemnitz. 1 Im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers haben die Arbeitnehmer nach §§ 183 ff. wenn deren Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht mehr über das Insol- SGB III einen Anspruch auf Insolvenzgeld, das die rückständigen Ansprüche auf venzgeld abgesichert sind.1 Arbeitsentgelt in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis (Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder Abweisung des Insolvenzantrags mangels Masse) Um den Geschäftsbetrieb des Unternehmens solange wie möglich absichert, vgl. hierzu Nerlich/Römerman-Hamacher, InsO, vor § 113 Rn 61 ff. aufrechtzuerhalten, verteilt der Geschäftsführer häufig die knappen 2 Vgl. hierzu Altmeppen, ZIP 1997, 1173, 1184; Medicus, GmbHR 2000, 7. 3 So Groß, ZIP 2001, 945, 946; ein Beleg für die praktische Relevanz bietet auch Mittel unter diesen Gläubigern. Hierbei geht er ein großes Risiko ein, die Vielzahl der von Meyke, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 3. Aufl. wenn nicht mehr genug Geld übrig bleibt, um auch noch die Sozial- 2002, Rn 359 ff., zitierten Entscheidungen. 4 So BGH, Urt. v. 16.5.2000, NJW 2000, 2993; BGH, Beschl. v. 28.5.2002, NJW versicherungsbeiträge für die bei der GmbH angestellten Arbeit- 2002, 2480 = NJ 2002, 437 (Leits.). Zum Meinungsstand vor dieser höchstrich- nehmer an die Krankenkassen als die dafür zuständige Einzugsstelle terlichen Klärung vgl. Groß, ZGR 1998, 551, 558.

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satz der gleichrangigen Befriedigung aller Gläubiger, der schon vor Hierbei geraten ihm aus nahe liegenden Gründen die Krankenkassen Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Regelungen der Insolvenz- ins Visier, denn ein gegen sie gerichteter Titel kann auch mit Erfolg anfechtung und den gegen den Geschäftsführer gerichteten Zah- vollstreckt werden kann. lungsanspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG verwirklicht wird, für die Haftung aber auch die Strafbarkeit des Geschäftsführers wegen der 2. Meinungsstand Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen hat. Besonders deutlich wird dies in einem Urteil des OLG Dresden v. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 129 InsO setzt eine Insolvenz- 16.1.2003.5 Eine Krankenkasse machte gegen den Geschäftsführer anfechtung das Vorliegen einer Gläubigerbenachteiligung voraus. einer mittlerweile insolventen GmbH Schadensersatz wegen vorent- Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Arbeitnehmer- haltener Arbeitnehmeranteile geltend. Der Geschäftsführer wurde anteile an den Sozialversicherungsbeiträgen bei wirtschaftlicher auch in der Berufungsinstanz verurteilt, die nicht abgeführten Betrachtungsweise den jeweiligen Arbeitnehmern gehören, schließ- Arbeitnehmerbeiträge, die in den letzten drei Monaten vor Stellung lich wurden sie von deren Löhnen abgezogen. Wenn der Arbeitgeber des Insolvenzantrags fällig wurden, zu zahlen. Der Beklagte berief nun dieses Geld an die Krankenkassen weiterleite, handele er gewisser- sich u.a. darauf, dass die ausgebliebene Abführung dieser Beiträge von maßen als Treuhänder fremden Vermögens, so dass seine Gläubiger einem Insolvenzverwalter hätte angefochten werden können und der durch solche Zahlungen nicht benachteiligt werden können. Klägerin deshalb kein Schaden entstanden sei. Diesen Einwand ließ Diese nur gelegentlich anzutreffenden Argumentation12 hat die weit das OLG Dresden schon deshalb nicht gelten, weil seiner Auffassung überwiegende Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur13 mit nach die Zahlungen der Arbeitnehmeranteile nicht gem. §§ 129 ff. InsO folgenden Erwägungen zurückgewiesen: Auch wenn die versiche- anfechtbar sind – anderer Ansicht ist der IX. Zivilsenat des BGH 6 rungspflichtigen Beschäftigten und deren Arbeitgeber die nach dem (hierzu nachfolgend unter II.). Ohnehin soll sich nach Meinung der Arbeitsentgelt zu bemessenden Beiträge zur gesetzlichen Kranken- Dresdner Richter ein Geschäftsführer nicht darauf berufen können, versicherung jeweils zur Hälfte tragen würden, sei der Arbeitgeber dass den Krankenkassen durch die unterbliebenen Zahlungen ja kein nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV alleiniger Schuldner der Gesamt- Schaden entstanden sei, denn dies wäre mit dem Schutzzweck des sozialversicherungsbeiträge und damit auch des Arbeitnehmeranteils. § 266a StGB nicht vereinbar. Hiermit weicht das Berufungsurteil Da er diesen Betrag selbst dann zu zahlen habe, wenn ein Lohn an die von der Rechtsprechung des VI. Zivilsenats beim BGH 7 ab (hierzu Arbeitnehmer nicht ausgezahlt wurde, sei nicht einzusehen, weshalb unter III.). Schließlich stehe, so das OLG Dresden, auch die Regelung man die Verpflichtung zur Zahlung der Arbeitnehmeranteile wirt- in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, die bei Insolvenzreife der GmbH eine schaftlich nicht dem Arbeitgeber zurechnen solle. An den Arbeit- Ersatzpflicht des Geschäftsführers für bestimmte Zahlungen begrün- nehmeranteilen bestehe auch regelmäßig keine treuhänderische den könne, einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a Abs. 1 StGB Mitberechtigung des Arbeitnehmers, die einer Insolvenzanfechtung nicht entgegen (nachfolgend unter IV.). Diese Ansicht steht wiederum entgegenstehen könnte. Wenn der Arbeitgeber aber mit der Abfüh- im Widerspruch zu einer Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH,8 der rung der Arbeitnehmeranteile auch eine eigene Pflicht erfülle, so in einer solchen Konstellation ein deliktisches Verschulden und damit können diese Zahlungen die übrigen Gläubiger benachteiligen, so auch eine Strafbarkeit nach § 266a StGB verneint. Dessen Ausführun- dass eine Insolvenzanfechtung zulässig sei. Schließlich sei mit § 266a gen erfassen aber – wie das OLG Dresden ausdrücklich hervorhebt – StGB auch kein vorrangiger Zugriff der Einzugsstellen auf Vermö- »nicht die gesamte Tragweite der zu beurteilenden Problematik«. genswerte der Insolvenzschuldner verbunden. Seit In-Kraft-Treten der InsO seien die früheren Vorrechte der Krankenkassen entfallen, so dass Gegen die OLG-Entscheidung wurde Revision eingelegt. Beim auch für sie der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger gelte. Aktenstudium werden die BGH-Richter nur wenig Gefallen an der Dieser dürfe aber nicht auf dem Umweg über § 266a StGB mittelbar eben zitierte Formulierung finden, zumal der II. Zivilsenat seit dem durchbrochen werden.14 1.1.2002 u.a. auch für Rechtsstreitigkeiten über die persönliche Inan- spruchnahme von Gesellschaftsorganen wegen Nichtabführung von Demgegenüber soll nach Auffassung des OLG Dresden eine Insol- Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung zuständig ist.9 venzanfechtung hier nicht möglich sein. Die Dresdner Richter argumentieren im Wesentlichen wie folgt: Eine Benachteiligung anderer Insolvenzgläubiger scheide von vornherein aus, weil die II. Anfechtbarkeit von Zahlungen der Arbeitnehmeranteile sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche der Krankenkassen auf zur Sozialversicherung Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge gegenüber den Ansprüchen anderer Gläubiger der Gemeinschuldnerin privilegiert seien. Gegen 1. Insolvenzanfechtung eine derartige Privilegierung spreche zwar die InsO, die im Gegensatz

Der Insolvenzverwalter kann gem. § 129 InsO Rechtshandlungen nach 5 OLG Dresden, Urt. v. 16.1.2003 – 7 U 1167/02, ZIP 2003, 360 = GmbHR 2003, Maßgabe der §§ 130-146 InsO anfechten, die vor der Eröffnung des 422 = NJ 2003, 487 (Leits.), in diesem Heft. 6 BGH, Urt. v. 25.10.2001, NJW 2002, 512 = NJ 2002, 311 (Leits.). Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind und die Insolvenz- 7 BGH, Urt. v. 14.11.2000, NJW 2001, 967 = NJ 2001, 146 (Leits.). gläubiger benachteiligen. Die Vorschriften über die Insolvenz- 8 BGH, Urt. v. 8.1.2001, NJW 2001, 1280. anfechtung haben das Ziel, Handlungen rückgängig zu machen, die 9 So der Geschäftsverteilungsplan 2002 für die Zuständigkeit des II. Zivilsenats (dort unter 2.f). Bis 2001 war noch der VI. Zivilsenat zuständig. Der Geschäfts- insbesondere in zeitlicher Nähe zu dem Antrag auf Eröffnung des verteilungsplan des BGH ist im Internet unter www.bundesgerichtshof.de Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden. Auf diese Weise soll eingestellt. Das Verfahren hat das Aktenzeichen II ZR 61/03. 10 Nerlich/Römermann/Nerlich, InsO, § 129 Rn 5. schon im Vorfeld der Verfahrenseröffnung dem Grundsatz der Gleich- 11 Vgl. hierzu BGH, Urt. v. 11.4.2002, NJW 2002, 2568 mwN = NJ 2002, 537 (bearb. behandlung aller Gläubiger Geltung verschafft werden.10 Diesem v. Biehl). 12 So Brückl/Kersten, NZI 2001, 288, 281 Fn 44; OLG Köln, NJW-RR 1997, 734; Prinzip entspricht es eben nicht, wenn angesichts offensichtlicher LG Frankfurt/M., Urt. v. 14.5.2000 – 2/4 O 9/00 (wohl n.v.); vgl. hierzu die tref- Unzulänglichkeit des Schuldnervermögens einzelne Gläubiger auf- fende Kritik von Kreft, in: Dokumentation zum 3. Leipziger Insolvenzrechtstag grund ihrer Schnelligkeit titulierte Forderungen eintreiben können, 2002, S. 16 f. 13 BGH, NJW 2002, 512; OLG Hamburg, ZIP 2001, 708; OLG Hamburg, ZIP 2002, während die übrigen Gläubiger leer ausgehen. Darüber hinaus dient 1360; LG Kiel, ZIP 2001, 1766; LG Stuttgart, ZIP 2001, 2014; Braun-de Bra, die Insolvenzanfechtung dazu, das den Gläubigern haftende Schuld- Komm. zur InsO, 1. Aufl. 2002, § 129 Rn 31; Gundlach/Frenzel/Schmidt, DZWIR 11 2002, 89; 90; Kulzer/Müller, ZinsO 2002, 313, 314. nervermögen zu mehren. Oft kann ein Insolvenzverwalter nur über 14 So BGH, NJW 2002, 512 mwN; zust. auch Gundlach/Frenzel/Schmidt (Fn 13), eine Anfechtungsklage finanzielle Mittel für die Masse bekommen. S. 89, 90.

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zur vorher geltenden KonkursO bzw. GesamtvollstreckungsO gezielt beachtlich, denn in einem solchen Fall hat die Rechtsgutverletzung auf Vorrechte für bestimmte Gläubiger verzichte und damit den ihre Ursache nicht in dem verbotenen Verhalten.21 Ergreift aber der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger betont habe. Diese Schutzzweck der verletzten Haftungsnorm den gesamten – also auch den Grundregel werde aber durch die spezielle Regelung des § 266a StGB, rechtmäßig herbeigeführten – Schaden, so ist der Hinweis des Ersatz- dessen Strafrahmen nach In-Kraft-Treten der InsO erhöht wurde, pflichtigen, dass er den Schaden hätte rechtmäßig anrichten können durchbrochen. Für einen Vorrang des Anspruchs der Krankenkassen (aber nicht müssen), nicht zu beachten. In diesem Fall soll sich derje- auf Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge spreche auch der Zweck des nige, der anstelle eines rechtmäßigen einen rechtswidrigen Weg gewählt § 266a StGB, der darauf gerichtet sei, das Aufkommen der Sozialversi- hat, an dieser Wahl festhalten lassen und die Folgen auf sich nehmen.22 cherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit in besonderer Weise strafrechtlich zu schützen, und schließlich auch die Rechtsprechung 2. Meinungsstand des VI. Zivil- und des 5. Strafsenats des BGH, die den Arbeitgeber ver- pflichte, bereits im Vorfeld einer möglichen Zahlungskrise Rücklagen Wie bereits eingangs erwähnt, kann sich nach Auffassung des VI. Zivil- für später fällige Sozialversicherungsbeiträge zu bilden.15 Schon bevor senats des BGH ein Geschäftsführer bei einer Inanspruchnahme aus das StGB dahingehend geändert wurde haben diese BGH-Senate § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB mit Erfolg darauf berufen, dass der Scha- entschieden, dass eine Haftung bzw. Strafbarkeit wegen der Nicht- den der Krankenkassen zu verneinen sei, wenn die Beitragszahlung im abführung von Sozialversicherungsbeiträgen auch dann bestehe, Insolvenzverfahren erfolgreich angefochten wäre.23 Dieses Ergebnis wenn kein Lohn an die Arbeitnehmer ausbezahlt wurde.16 wird in der Entscheidung mit keinem Satz begründet; gleichwohl fand es die überwiegende Zustimmung in der Literatur und von BGH- 3. Stellungnahme Richtern anderer Zivilsenate.24 Demgegenüber soll nach Ansicht des OLG Dresden dem Geschäfts- Das OLG Dresden stellt zutreffend dar, wie die Rechtsprechung – ins- führer der bei den Krankenkassen entstandene Schaden als Folge besondere die des VI. Zivilsenats – den Vorrang der Beitragsschuld seines Verstoßes gegen den Tatbestand des § 266a StGB zugerechnet gegenüber anderen Verpflichtungen der Gesellschaft betont. Hieraus werden, wenn diese Zahlungen nach §§ 129 ff. InsO anfechtbar wären. lässt sich allerdings nicht ableiten, dass für diesbezügliche Zahlungen Die Dresdner Richter belegen zunächst mit zahlreichen Literatur- und eine Insolvenzanfechtung ausgeschlossen ist, denn selbst jener Rechtsprechungsfundstellen, dass für die Frage der Beachtlichkeit des VI. Senat gewährt dem vom Insolvenzgericht eingesetzten Verwalter Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens der Schutzzweck der das Recht, Beitragszahlungen anzufechten.17 Ferner kann § 266a StGB jeweiligen Haftungsnorm entscheidend ist. Dieser gehe bei § 266a nicht als Spezialvorschrift angesehen werden, welche die in der InsO StGB dahin, das Aufkommen der Sozialversicherungsträger und der enthaltene Grundregel, nach der alle Gläubiger gleichmäßig zu Bundesanstalt für Arbeit in besonderer Weise strafrechtlich zu schüt- befriedigen sind, durchbrechen kann. zen. Hieraus zieht das OLG Dresden die Schlussfolgerung, dass die Die gegenteilige Auffassung lässt sich weder mit dem Wortlaut noch Einzugsstellen davor geschützt werden sollen, dass die entsprechen- mit der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift belegen, und auch das den Beiträge nicht bei ihr eingehen. Es führt sodann wörtlich aus: vom OLG Dresden bemühte Ges. zur Erleichterung der Bekämpfung »Der Beklagte (der Geschäftsführer – F.K.) würde sich demzufolge nur von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit v. 23.7.2002 kann darauf berufen, dass er einen schutzzweckwidrigen Nachteil der Ein- zugsstelle auch durch einen rechtmäßigen Weg hätte bewirken können. dessen Argumentation nicht stützen. Die Strafandrohung des § 266a Dieser Einwand hindert aber nicht die schadensersatzrechtliche Zuord- StGB wurde im vergangen Jahr nämlich erhöht, weil das Vorenthalten nung des tatsächlich im Sinne einer Kausalität durch die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen teilweise einen Umfang annimmt, verursachten Beitragsausfalls auf Seiten der Einzugsstelle«. wie dies auch bei Steuerhinterziehungen der Fall sein kann. Wegen dieser Parallele wurden in Anlehnung an § 370 Abs. 3 AO Strafver- schärfungen durch die Benennung besonders schwerer Fälle einge- 15 Vgl. BGH, Urt. v. 21.1.1997, NJW 1997, 1237; krit. hierzu Tag, BB 1997, 1115, 18 sowie Ranft; DStR 2001, 132,136; vgl. ferner BGH, NJW 2002, 2480, 2481. führt. Den Gesetzesmaterialien ist kein noch so vager Hinweis darauf 16 OLG Dresden (Fn 5), ZIP 2003, 364. zu entnehmen, dass mit der Erhöhung des Strafmaßes die Anfechtung 17 In der Entscheidung des BGH, NJW 2001, 967, konnte der Gesamtvoll- der Beitragszahlungen durch den Insolvenzverwalter ausgeschlossen streckungsverwalter sogar Beitragszahlungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 GesO anfechten, obwohl die Krankenkassen seinerzeit noch gem. § 13 Abs. 1 Ziff. 3b werden sollte19 – das war auch schlichtweg nicht gewollt. Ein Insol- GesO bevorrechtigt waren. Zu Anfechtungen von Beitragszahlungen durch den venzverwalter hat somit die Möglichkeit, die Zahlungen der Arbeit- Konkursverwalter vgl. BGH, Urt. v. 11.12.2001, NJW 2002, 1123 – beide Begrün- dungen gelten erst recht im Rahmen der InsO, da ehemals bestehende Vorrechte nehmeranteile gem. §§ 129 ff. InsO anzufechten. der Sozialversicherungsträger abgeschafft wurden. 18 Vgl. BT-Drucks. 14/8221, S. 18. 19 Vgl. BT-Drucks. 14/8221 (Ges.Entw. der BReg.); BT-Drucks. 14/8625 (Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Arbeit). III. Berücksichtigung des rechtmäßigen Alternativverhaltens 20 Hiernach differenzieren u. a. BGH, Urt. v. 24.10.1985, NJW 1986, 576; Jauernig- bei einer Inanspruchnahme aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB Teichmann, BGB, 10. Aufl. 2003, vor § 249 Rn 47; Lange, Schadensersatz, 2. Aufl. 1990, S. 197, 204; Staudinger-Schiemann, BGB, 13. Aufl. 1998, § 249 Rn 102; MünchKomm-Oetker, BGB, Bd. 2a, 4. Aufl. 2003, § 249 Rn 215 mwN. 1. Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens 21 Anschaulich wird dies durch folgendes Beispiel, das an eine Entscheidung des BGH (BGHSt 11, 1) angelehnt ist: Ein Lkw überholt einen betrunkenen Rad- fahrer in zu dichtem Abstand, der Radfahrer wird verletzt; derselbe Unfall wäre Bei dem Problem des rechtmäßigen Alternativverhaltens geht es um vermutlich eingetreten, wenn der Lkw-Fahrer den vorschriftsmäßigen Abstand die Frage, ob der Schädiger sich mit dem Einwand verteidigen darf, der eingehalten hätte. Die Einhaltung der Abstandsvorschriften dient nicht dem Schutz betrunkener Verkehrsteilnehmer. Der Lkw-Fahrer kann sich daher auf den Schaden wäre auch durch ein rechtmäßiges Verhalten herbeigeführt Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens berufen und haftet nicht. So im worden oder hätte wenigstens durch ein solches herbeigeführt werden Ergebnis auch Jauernig-Teichmann (Fn 20), vor § 249 Rn 47. können. Auch wenn die dogmatische Einordnung des rechtmäßigen 22 Zur Verdeutlichung auch hier ein Beispiel: Ein unter Verletzung der vereinbarten Friedensfrist ausgelöster Streik führt auch dann zur Schadensersatzpflicht, wenn Alternativverhaltens umstritten ist, überwiegt in Rechtsprechung und es beim Einhalten der Regeln ebenfalls zum Streik gekommen wäre; vgl. hierzu Literatur die Auffassung, dass der Ausgangspunkt für eine rechtliche BAG 6, 321, 374 ff.; Lange (Fn 20), S. 197, 204; Staudinger-Schiemann (Fn 20), § 249 Rn 104. 20 Beurteilung der Schutzzweck der jeweiligen Haftungsnorm ist. 23 BGH, NJW 2001, 967. Nur wenn der Schutzzweck den Schaden, der auch durch ein recht- 24 Vgl. A. Schmidt, BGH, EWiR, § 266a StGB 1/01, der ebenfalls klarstellende Anm. zur Entscheidungsfindung vermisst; siehe auch Goette (Mitglied des II. Zivil- mäßiges Verhalten angerichtet werden könnte, von vornherein nicht senats), DStR 2002, 224, 225; Fischer (Mitglied des IX. Zivilsenats), NZI 2001, ergreift, ist die Berufung auf das rechtmäßige Alternativverhalten 281, 287.

Neue Justiz 9/2003 451 Aufsätze Karsten, Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung …

3. Stellungnahme bei Zahlungsfähigkeit trotz Überschuldung – nicht mit der zu fordern- den Sorgfalt gehandelt wurde. Der Geschäftsführer könne zwar die Die Ausführungen des OLG Dresden sind nicht überzeugend. Auch wenn Vermutung durch den Nachweis widerlegen, dass die von ihm in der mit dem Schutzzweck der Haftungsnorm zunächst ein nahe liegender Insolvenzsituation bewirkte Leistung mit der Sorgfalt eines ordent- Ausgangspunkt gewählt wurde, hat es das OLG versäumt, konsequent lichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen sei. Der hierfür anzu- zu prüfen, ob denn der Schutzzweck des § 266a StGB (Sicherung des legende Maßstab müsse sich an dem besonderen Zweck des § 64 Abs. 2 Beitragsaufkommens) auch den Schaden verhindern soll, der durch GmbHG ausrichten. Daher sei das Verschulden nur zu verneinen, ein rechtmäßiges Verhalten (anfechtbare Zahlungen) entstehen kann. wenn die Zahlungen nicht zu einer Masseverkürzung führten oder In der Tat ist die Bestimmung des Schutzzwecks des § 266a StGB für größere Nachteile für die Masse verhinderten. Das Bestreben eines die zivilrechtliche Haftung nicht unproblematisch, denn bei § 266a Geschäftsführers, sich durch die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge an StGB handelt es sich in erster Linie um eine Vorschrift des Strafrechts, die Einzugsstelle einer persönlichen deliktischen Haftung aus § 823 die erst als Schutzgesetz iSd § 823 Abs. 2 BGB mit einer zusätzlichen Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB zu entziehen, sei dagegen kein im Rah- 30 Rechtsfolge – der Schadensersatzpflicht – ausgestattet wird. Das Scha- men des § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG beachtlicher Umstand. Beitrags- densersatzrecht wiederum hat aber keine Straffunktion.25 Allerdings zahlungen an die Krankenkassen können somit ohne weiteres einen konnte vorstehend bereits festgestellt werden, dass die Regelung Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG begründen. Dies hat nach Ansicht des § 266a StGB nicht den in der InsO geltenden Grundsatz der des II. Zivilsenats auch für die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm Gleichbehandlung aller Gläubiger durchbrechen kann. Eben dieses § 266a StGB Konsequenzen. Wenn sich nämlich der Geschäftsführer Ziel eines Insolvenzverfahrens, das ja auch über die Möglichkeiten – gemessen an dem Maßstab des § 64 Abs. 2 GmbHG – normgerecht 31 einer Insolvenzanfechtung erreicht werden soll, begrenzt somit den verhalte, müsse das deliktische Verschulden verneint werden. Schutzzweck des § 266a StGB. Da eine Anfechtung der Zahlung von Dies läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass eine Strafbarkeit nach Arbeitnehmeranteilen durch den Insolvenzverwalter auch angesichts § 266a StGB entfällt, wenn die Sozialversicherungsbeiträge in einem des § 266a StGB möglich ist, kann der Schutzzweck dieser Vorschrift Zeitraum fällig werden, in dem die GmbH bereits zahlungsunfähig nicht den Schaden umfassen, der durch rechtmäßige, aber anfechtbare oder überschuldet ist. Zahlungen entstehen kann. Die Berufung auf ein rechtmäßiges Nicht wenige Stimmen in der Literatur sind ähnlicher Ansicht und Alternativverhalten ist bei der hier in Rede stehenden Konstellation manche stützen den BGH, der ohne nähere Begründung § 64 Abs. 2 also beachtlich, so dass der Geschäftsführer nicht aus § 823 Abs. 2 iVm GmbHG als Spezialvorschrift ansieht, mit der Überlegung, dass ein § 266a StGB haftet. Vorrang dieser gesellschaftsrechtlichen Regelung deshalb bestehe, weil der Geschäftsführer dort als Normadressat ausdrücklich genannt werde, während sich seine strafrechtliche Verantwortlichkeit nur über IV. Bedeutung des § 64 Abs. 2 GmbHG für die Haftung den Umweg des § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB konstruieren lasse.32 aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB Nach einer zunächst in der Literatur vertretenen Auffassung, der sich nun auch das OLG Dresden angeschlossen hat, steht die Regelung 1. Ersatzanspruch nach § 64 Abs. 2 GmbHG in § 64 Abs. 2 GmbHG schon deshalb einer Haftung des Geschäfts- führers aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB nicht entgegen, weil Ein Geschäftsführer ist nach § 64 Abs. 2 GmbHG zum Ersatz der Beitragszahlungen auch in der Krise der GmbH mit der Sorgfalt eines Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sein sollen.33 Bei der Frage, ob Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet eine Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auf- werden und nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns grund des Handlungsgebots in § 266a StGB zu erfolgen habe oder vereinbar sind. Diese Vorschrift hat zum Ziel, die verteilungsfähige aufgrund des Unterlassungsgebots in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamt- unterbleiben solle, handele es sich nämlich um eine vom Geschäfts- heit ihrer Gläubiger zu erhalten und einen Nachteil zu verhindern, führer zu treffende unternehmerische Entscheidung. Das Vorliegen der dieser Gesamtheit dadurch entsteht, dass einzelne Gläubiger einer unternehmerischen Entscheidung resultiere aus dem Umstand, bevorzugt befriedigt werden.26 Kommt ein Geschäftsführer der Masse- dass die Zahlungspflicht aus § 266a StGB eigentlich gegen die GmbH sicherungspflicht nicht nach, ist es der Insolvenzverwalter, der unter als Arbeitgeberin gerichtet sei und den Geschäftsführer nur deshalb Berufung auf § 64 Abs. 2 GmbHG verlangen kann, dass das Gesell- treffe, weil er aufgrund der Regelung in § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB schaftsvermögen wieder aufgefüllt wird.27 Die Haftung aus § 64 Abs. 2 akzessorisch für die GmbH hafte. Die Entscheidung, auch in der GmbHG ergänzt einerseits die Vorschriften über die Insolvenzan- Zahlungskrise der GmbH eine Forderung zu erfüllen, deren Zahlung fechtung, da es auch bei ihr darum geht, eine Benachteiligung der Gläubigergemeinschaft zu verhindern; andererseits wird mit dieser Regelung sanktioniert, dass der Geschäftsführer nicht rechtzeitig einen Insolvenzantrag gestellt hat.28 25 Eine Sanktion durch das Schadensersatzrecht könnte lediglich dann angebracht sein, wenn sonst die Pflichten, die verletzt wurden, nicht mehr ernst genommen Wenn die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversiche- würden, siehe Staudinger-Schiemann (Fn 20), § 249 Rn 105. rung eine »Zahlung« iSd § 64 Abs. 2 GmbHG wäre, würde der 26 BGH, Urt. v. 29.11.1999, NJW 2000, 668 = NJ 2000, 420 (bearb. v. Winkler). 27 Hierzu Roth-Altmeppen, GmbHG, 4. Aufl. 2003, § 64 Rn 38 f., sowie zuletzt BGH, Geschäftsführer vor einem ausweglosen Dilemma stehen:29 Führt Urt. v. 31.3.2003, NJ 2003, 481 (Leits.), in diesem Heft. er die Arbeitnehmerbeträge nicht ab, haftet er auf Schadensersatz aus 28 So Goette, Die GmbH 2002, § 8 Rn 216. 29 So auch Hellmann, JZ 1997, 1005, 1006 f. § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB; überweist er aber genau diese 30 Vgl. BGH, NJW 2001, 1280, 1282; ähnlich auch OLG Celle, NJW-RR 1996, 481, Beiträge an die Krankenkassen, droht ihm eine Haftung in gleicher 482; LG Hagen, ZIP 1997, 324, 325; siehe ferner Goette, ZinsO 2001, 529, 536. Höhe aus § 64 Abs. 2 GmbHG. Ob und wie diese Pflichtenkollision 31 Mit dieser Entscheidung wollte der II. Senat die seiner Ansicht nach zu weit reichende Rspr. des VI. Zivilsenats zur deliktischen Haftung des Geschäftsführers gelöst werden soll, ist unklar. aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB in die Schranken weisen, vgl. hierzu Goette (Fn 28), § 8 Rn 222; ähnlich auch Groß (Fn 3), S. 945, 950. 32 So auch Roth-Altmeppen (Fn 27), § 43 Rn 53. Vgl. auch Rönnau, wistra 1997, 13, 2. Meinungsstand 16, und Wegner, wistra 1998, 283, 290, die allerdings aufgrund § 64 Abs. 2 GmbHG die rechtliche Unmöglichkeit der Beitragsabführung annehmen und somit die tatbestandsmäßige Erfüllung des § 266a StGB verneinen. Zu Lasten eines Geschäftsführers vermutet der II. Zivilsenat des BGH, 33 So Cahn, ZGR 1998, 367, 381; Hellmann (Fn 29), S. 1005, 1006 f.; sowie tenden- dass bei allen Zahlungen einer GmbH nach Insolvenzreife – d.h. auch ziell auch Groß (Fn 4), S. 551, 560.

452 Neue Justiz 9/2003 Karsten, Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung …

der Gesellschaft durch einen Straftatbestand geboten werde, ent- Da das Risiko einer Haftung aus § 64 Abs. 2 GmbHG – die Eröffnung spräche aber dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäfts- eines Insolvenzverfahrens vorausgesetzt42 – überschaubar ist, wird sich manns.34 Darüber hinaus könne § 64 Abs. 2 GmbHG den Anwen- ein Geschäftsführer leichten Herzens dafür entscheiden können, die dungsbereich des § 266a StGB nicht einschränken, da die damit Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Hierbei wird es ihm weniger verbundene Aussetzung der Pflicht zur Abführung von Arbeitneh- darum gehen, seine persönliche Haftung auszuschließen. Zumindest merbeiträgen nicht für Einzelkaufleute gelte.35 Schließlich wäre der bei Zahlungen in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG bei Abführung der Sozialversiche- Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann er darauf vertrauen, dass der rungsbeiträge nicht mit dem vom VI. Zivilsenat des BGH postulierten Insolvenzverwalter sein Anfechtungsrecht nach §§ 130 u. 131 InsO Vorrang dieser Abführungspflicht vereinbar.36 ausüben wird. Zahlt er in diesem Zeitraum also nicht, könnte er sich bei einer späteren Inanspruchnahme durch die Krankenkassen auf den 3. Stellungnahme Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens berufen. Eine Haftung droht dem Geschäftsführer also nicht und die Konfliktlage, in die er Die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung kann geraten ist, besteht darin, dass er sich auch bei Insolvenzreife der nach dem Regelungsziel des § 64 Abs. 2 GmbHG nur ausnahmsweise GmbH nach § 266a StGB strafbar machen kann. Dies kann ihm aber mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sein. durchaus zugemutet werden, denn er hat es aufgrund seines eigenen Dies ist nur dann der Fall, wenn die Zahlungen erforderlich sind, um pflichtwidrigen und strafbaren Verhaltens versäumt, rechtzeitig einen den Geschäftsbetrieb für die Durchführung eines berechtigten Sanie- Insolvenzantrag zu stellen, und könnte mit dem Gang zum Insolvenz- rungsversuchs oder des Insolvenzverfahrens aufrecht zu erhalten.37 gericht dieser für ihn sicherlich schwierigen Situation ein Ende bereiten.43 Regelmäßig aber begründen Beitragszahlungen einer insolvenzreifen Entgegen der Ansicht des II. Zivilsenats sollte also die nach § 64 GmbH die Ersatzpflicht des Geschäftsführers aus § 64 Abs. 2 GmbHG. Abs. 2 GmbHG bestehende Haftung für abgeführte Beiträge nicht den Dieses Ergebnis beruht letztlich auf den unter II. 3. ausgeführten nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB bestehenden Schadens- Erwägungen. Wenn eine Strafvorschrift wie § 266a StGB es nicht ersatzanspruch wegen der Nichtabführung von Arbeitnehmerbei- vermag, die Anfechtungsregeln der §§ 129 ff. InsO einzuschränken, trägen einschränken. so kann die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge auch nicht im Einklang mit dem in § 64 Abs. 2 GmbHG enthaltenen Zahlungsverbot V. Schlussbetrachtung stehen, denn hier wie dort sind die Vorschriften darauf gerichtet, eine gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger zu ermöglichen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der II. Zivilsenat des BGH die Ent- Auch wenn man insoweit noch dem II. Zivilsenat zustimmen kann, scheidung des OLG Dresden aufheben wird. Er hat hierbei die Mög- ist damit aber noch nicht gesagt, dass die in § 64 Abs. 2 GmbHG lichkeit, auch den bereits vom VI. Zivilsenat eingeschlagenen Weg zu umschriebene Haftung für abgeführte Beiträge zur Sozialversicherung verfolgen, der über die Berufung auf den Einwand des rechtmäßigen eine Auswirkung auf die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers aus Alternativverhaltens zu einem Ausschluss der Haftung aus § 823 Abs. 2 § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB haben muss. Tatsächlich spielte BGB iVm § 266a StGB führt, oder aber seine auf § 64 Abs. 2 GmbH nämlich der Anspruch gegen Geschäftsführer aus § 64 Abs. 2 GmbHG gestützte Argumentation weiter aufrechtzuerhalten. – soweit es um Beitragszahlungen geht – bisher keine große Rolle, Eine Gemeinsamkeit haben aber beide Anspruchsgrundlagen: Sie da sich ein Insolvenzverwalter gewöhnlich die Sozialversicherungs- bewähren sich gleichermaßen, wenn man die Haftung des Geschäfts- beiträge über eine Anfechtungsklage von den Krankenkassen zurück- führers bei einem eröffneten Insolvenzverfahren mit derjenigen holt, darf er hier doch damit rechnen, dass er die Voraussetzungen vergleicht, die bei einer Abweisung mangels Masse besteht. Nur wenn einer Insolvenzanfechtung relativ einfach nachweisen kann und ihm es zu einer Verfahrenseröffnung und der damit verbundenen Bestel- ein Schuldner zur Verfügung steht, der im Gegensatz zum Geschäfts- lung eines Insolvenzverwalters kommt, kann sich ein Geschäftsführer führer auch weiterhin zahlungsfähig ist. gegen eine Haftung aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB darauf berufen, Es ist daher nicht erstaunlich, dass – soweit ersichtlich – bisher dass durch eine mögliche Anfechtung des Insolvenzverwalters ein gerade einmal eine Entscheidung veröffentlicht wurde, in der ein Insolvenzverwalter von einem Geschäftsführer die geleisteten Sozial- 38 versicherungsbeiträge verlangte. Ob diesem Urteil, das noch vor 34 Vgl. Cahn (Fn 33), S. 367, 381 f.; OLG Dresden, ZIP 2003, 365. In-Kraft-Treten der InsO erlassen wurde, weitere folgen werden, darf 35 Hellmann (Fn 29), S. 1005, 1007. man bezweifeln, denn gegenüber dem alten Recht (§ 30 Ziff. 1 u. 2 KO) 36 So insbes. Groß (Fn 3), S. 945, 950. 37 Michalski-Nerrlich, GmbHG, 1. Aufl. 2002, § 64 Rn 46; ähnlich auch Goette enthalten die §§ 130 u. 131 InsO, in denen die Anfechtbarkeit von (Fn 28), § 8 Rn 222. Das Risiko des Geschäftsführers besteht hier vor allem darin, Rechtshandlungen der letzten drei Monate vor dem Antrag auf Eröff- dass nicht er bestimmt, ob und wie der Geschäftsbetrieb fortgeführt wird, sondern dies letztlich von der Entscheidung des Insolvenzverwalters abhängt, nung des Insolvenzverfahrens geregelt wird, zahlreiche Verschärfun- siehe hierzu Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 679. gen, die für notwendig erachtet wurden, da das frühere Anfechtungs- 38 Vgl. LG Hagen, ZIP 1997, 324: Die Geschäftsführerin G. der S-GmbH zahlte bei 39 einer Krankenkasse die rückständigen Sozialversicherungsbeiträge in bar ein und recht für den Konkursverwalter ein risikobehaftetes Abenteuer war. ging gleich darauf zum Insolvenzgericht, um dort die Verfahrenseröffnung zu Nun wird es also eher vorkommen, dass eine Anfechtung ebenso beantragen. Das LG gab der Klage des Insolvenzverwalters auf Zahlung des Arbeitnehmeranteils aus § 64 Abs. 2 GmbHG statt. ungefährlich wie erfolgversprechend erscheint wie ein Vorgehen 39 Vgl. Gerhardt, in: FS für Brandner, 1996, S. 605 ff., 605. gegen den Geschäftsführer.40 In einem ähnlichen Umfang verringert 40 Henze/Bauer, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2000, S. 1311, 1325. 41 Krankenkassen können selber über die Versicherungspflicht und die Beitrags- sich hier auch die praktische Bedeutung des § 64 Abs. 2 GmbHG, denn höhe entscheiden, indem sie einen diesbezüglichen Bescheid auf der Grundlage wenn dem Insolvenzverwalter mit einer Krankenkasse auch noch ein von § 28h Abs. 2 SGB IV erlassen und sich auf diese Weise einen Vollstreckungs- liquider Schuldner zur Auswahl steht, wird er wohl kaum gegen den titel ausstellen. Auch aus diesem Grunde werden Beitragsrückstände von mehr als drei Monaten von den Krankenkassen regelmäßig nicht toleriert. Vgl. nur den Geschäftsführer wegen der Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Tatbestand zu BGH, NJW 2002, 2568. Sozialversicherung vorgehen.41 Wenn die Haftung aus § 64 Abs. 2 42 Zur Rechtslage bei Abweisung des Antrags mangels Masse sogleich unter V. 43 So im Grundsatz auch Michalski-Haas (Fn 37), § 43 Rn 392. Nach seiner Ansicht GmbHG für diese Zahlungen aber so ausgesprochen selten ist, soll allerdings für Sozialversicherungsbeiträge, die auf Zeitabschnitte vor Insol- erscheint die Lage des Geschäftsführers längst nicht so ausweglos zu venzreife entfallen, deren Fälligkeitstermin jedoch nach deren Eintritt liegt, die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a StGB durch die Pflichten in § 64 Abs. 2 sein, als dass man im Hinblick auf die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB GmbHG verdrängt werden. Diese Differenzierung ist aber nicht sachgerecht und iVm § 266a StGB ein deliktisches Verschulden verneinen müsste. wegen der schwierigen Bestimmung der Überschuldung nicht durchführbar.

Neue Justiz 9/2003 453 Aufsätze Karsten, Die Haftung für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung …

Schaden ausgeblieben sei. Wird das Verfahren aber mangels Masse zahlungen einen solchen Erstattungsanspruch begründen können. abgewiesen, könnte er lediglich damit argumentieren, dass die Kran- So wird es dann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ein Gläubiger kenkassen deshalb nicht geschädigt seien, weil Gläubiger der GmbH der GmbH nach einem masselosen Insolvenzverfahren den Erstat- über eine Gläubigeranfechtung nach dem AnfechtungsG (AnfG),44 tungsanspruch der Gesellschaft aus § 64 Abs. 2 GmbHG pfändet und das außerhalb eines Insolvenzverfahrens zur Anwendung gelangt, dann von einem Geschäftsführer die geleisteten Sozialversicherungs- die Zahlungen von den Krankenkassen zurückverlangen könnten. beiträge verlangt. Dies wäre dem Geschäftsführer bei Eröffnung des Die Anforderungen an eine Gläubigeranfechtung sind im Vergleich Insolvenzverfahrens erspart geblieben. mit denen einer Insolvenzanfechtung aber wesentlich höher, da die Von Kilger stammt die viel zitierte Regel: Ein Könner macht nicht in §§ 130 u. 131 InsO normierten Anfechtungstatbestände, auf die einfach nur Konkurs, er macht masselos Konkurs.48 So wie sich die Insolvenzverwalter in den meisten Fällen ihre Klage stützen, nicht in Rechtsprechung in den vergangen Jahren entwickelt hat, darf man einer vergleichbaren Form im AnfG zu finden sind.45 Bei einem masse- nun feststellen, dass diese Faustformel nicht mehr bei der Haftung des losen Verfahren könnte sich ein Geschäftsführer mit diesem Einwand Geschäftsführers für Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung also regelmäßig nicht aus der Affäre ziehen, so dass er in dieser Situa- gilt. tion haften müsste.46 Aber auch bei einer Inanspruchnahme aus § 64 Abs. 2 GmbHG tritt für den Geschäftsführer eine Haftungsverschärfung ein, wenn das Verfahren mangels Masse abgelehnt wird. Nur bei einer Verfah- 44 Ges. über die Anfechtungen von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb renseröffnung wird ein Insolvenzverwalter bestellt, der sich wegen der des Insolvenzverfahrens v. 5.10.1994, BGBl. I S. 2911. 45 Die Anfechtungstatbestände decken sich im Wesentlichen nur bei der Vorsatz- abgeführten Sozialversicherungsbeiträge an die Krankenkassen und anfechtung (§ 3 AnfG; § 133 InsO), der Anfechtung unentgeltlicher Leistungen eben nicht an den Geschäftsführer wenden wird. Bei einer masselosen (§ 4 AnfG; § 134 InsO) und bei der Anfechtung kapitalersetzender Darlehen (§ 5 AnfG; § 136 InsO), siehe hierzu Huber, AnfG, 9. Aufl. 2000, Einf. Rn 22. Insolvenz ist aber der Erstattungsanspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG 46 Ob die Haftung des Geschäftsführers aus § 823 Abs. 2 iVm § 266a StGB nach nach einer jüngeren Entscheidung des BGH 47 der Pfändung durch Abweisung des Insolvenzverfahrens mangels Masse auch noch besteht, wenn das einen Gesellschaftsgläubiger zugänglich, der dann gegen den Geschäfts- dafür erforderliche deliktische Verschulden im Anwendungsbereich des § 64 Abs. 2 GmbHG ausgeschlossen ist, ist noch nicht geklärt. Eine Klarstellung durch führer vorgehen kann. den II. Zivilsenat wäre wünschenswert. 47 BGH, Urt. v. 11.9.2000, NJW 2001, 304. Aller Wahrscheinlichkeit wird der II. Zivilsenat in dem nun anste- 48 Kilger, AnwBl. 1987, 425; hierzu und zur Rechtsstellung der Gläubiger bei einer henden Revisionsurteil noch einmal klarstellen, dass auch Beitrags- masselosen Insolvenz siehe Konzen, in: FS Ulmer, 2003, S. 323.

Max Fechner (1892-1973) Rudi Beckert, Berlin*

Während der Weimarer Republik ein netenversammlung wurde. Viele USPD-Mitglieder wechselten nach bekannter Funktionär der Berliner 1919 zur neuen politischen Kraft, zur KPD. Fechner kehrte 1922 zur Sozialdemokratie war Max Fechner SPD zurück; die Traditionen waren stärker, berichtete er später. Die nach 1945 maßgeblich an der Partei beschäftigte ihn in ihrem Vorstand, er wurde Leiter der Kom- Vereinigung der SPD mit der KPD munalpolitischen Zentralstelle und Redakteur, hatte von 1924 bis beteiligt. Sein politischer Werdegang 1929 ein Mandat als Berliner Stadtverordneter. Von 1928 bis zum bis zum ersten Justizminister der Parteiverbot durch die Nationalsozialisten 1933 gehörte er dem DDR ist gekennzeichnet durch partei- Preußischen Landtag an. Auch hier war er vor allem auf kommunal- interne Intrigen und persönliche politischem Gebiet tätig. Konflikte. Er endete vor 50 Jahren Im »Dritten Reich« musste Fechner politische Haft, zwei KZ-Aufent- mit Fechners Verurteilung im Zusam- halte, Hausdurchsuchungen und zahlreiche Repressalien überstehen. menhang mit dem Volksaufstand Dennoch bestanden die Kontakte zu seinen Genossen weiter. Er nahm am 17. Juni 1953. Der Todestag von sie sofort wieder auf, als die Hitler-Diktatur zusammenbrach. Seitdem Max Fechner jährt sich in diesem trat er für die Fusion mit den Kommunisten ein. Er hat sie – wie zahl- Monat zum 30. Mal. reiche andere Antifaschisten – damit begründet, dass die National- sozialisten an die Macht kommen konnten, weil die Arbeiterklasse zersplittert und die Parteiführungen von KPD und SPD uneinig waren. Der Berliner Sozialdemokrat Im Juni 1945 ließ die sowjetische Besatzungsmacht – Monate vor den westlichen Alliierten – die Gründung antifaschistisch-demokrati- Max Fechner entstammt einer kinderreichen Berliner Arbeiterfamilie. Er wurde am 27.7.1892 geboren, lernte Werkzeugmacher und organi- sierte sich frühzeitig in der Arbeiterbewegung. Er wurde 1911 Mitglied * Der Autor ist Verfasser des soeben im Berliner Wissenschafts-Verlag erschiene- der SPD und trat mit Tausenden anderen Sozialdemokraten der 1917 nen Buches »Lieber Genosse Max. Aufstieg und Fall des ersten Justizministers der gegründeten USPD bei, deren Abgeordneter er in der Bezirksverord- DDR Max Fechner«.

454 Neue Justiz 9/2003 Beckert, Max Fechner (1892-1973)

scher Parteien und Gewerkschaften zu. Unmittelbar nach der KPD entschied allein. Er beherrschte den hauptamtlichen Parteiapparat konstituierte sich in Ostberlin die Führung der SPD, zunächst als und nutzte diese Vorrangstellung in der Parteispitze aus. Im Unter- Zentralausschuss, dann als Parteivorstand. Max Fechner wurde gemein- schied zu dem diszipliniert lebenden Ulbricht war Fechner jovial und sam mit Otto Grotewohl und Erich W. Gniffke 1 geschäftsführender kontaktfreudig, sprach allerdings gelegentlich dem Alkohol zu. Für Vorsitzender. theoretische Fragen interessierte er sich weniger, seine Reden und Fechner wird noch heute in einigen einschlägigen Biographien als Aufsätze ließ er sich meist ausarbeiten. Ihm fehlten das rhetorische Mitglied eines illegalen Zentralausschusses der SPD bezeichnet. Ein Talent und die Anpassungsfähigkeit seines Genossen Grotewohl, der solches Gremium habe der Parteivorstand der SPD vor seiner Emigra- zu keiner Zeit zu ihm gehalten hat. Hinzu kam sein angegriffener tion 1933 eingesetzt, um die Parteiarbeit in Deutschland fortzusetzen. Gesundheitszustand, der ihn oft in ärztliche Behandlung zwang. Tatsächlich gibt es für Fechners Darstellung, wonach er selbst eine Max Fechner war bemüht, die Linie der Partei zu befolgen. Im führende Rolle gespielt haben will, keine Beweise. Die SPD hat sich Jan. 1948 erklärte er vor Juristen, was unter Demokratisierung der nach ihrer Wiederzulassung in der SBZ auf Fechner berufen, denn sie Justiz zu verstehen sei: Hitler habe mit denselben Gesetzen seine Politik wollte für ganz Deutschland sprechen. Allerdings war sie bei den durchführen können, weil sie »dem Richter viele und entscheidende Genossen im Westen nicht erfolgreich. Kurt Schumacher, der spätere Freiheiten ließen«. Dann fuhr er fort: SPD-Vorsitzende in den Westzonen, lehnte es ab, eine legitime »Das richterliche Ermessen ist aus unseren Gesetzen keineswegs ausge- Nachfolge durch den angeblichen illegalen Zentralausschuss anzu- schaltet, und wenn heute ein Richter mit einer klaren und antifaschis- erkennen. Er sagte den ostdeutschen Genossen voraus, dass sie ihre tisch-demokratischen Rechtsanschauung die herrschenden Gesetze handhabt, so wird er sie auch in unserem Sinne interpretieren können. politische Selbständigkeit verlieren würden. Andersgesinnte Richter haben es sehr wohl vermocht, sie im anderen Sinne, im Sinne gegen das Volksempfinden zu interpretieren.«

Vorkämpfer für die Einheitspartei Mit Demokratisierung hatte das nichts zu tun, noch weniger seine Bemerkung, die Justiz sei auch »nur ein Verwaltungszweig«.4 Das war Als Beweis, dass Max Fechner zu den ersten Sozialdemokraten gehörte, auch die Parteimeinung – im Gegensatz zu dem, was er kurz danach auf einem anderen Gebiet von sich gab, das eigentlich seine Stärke die für eine einheitliche Arbeiterpartei eingetreten sind, diente ein war: der Kommunalpolitik. Brief an Walter Ulbricht. Darin schlug er vor, »endlich die so ersehnte Einheitsorganisation der deutschen Arbeiterklasse zu schaffen«. Es Nach seiner Ansicht sollte die demokratische Selbstverwaltung der müsse »über alle Vergangenheit hinweg der neu zu beschreitende Weg Gemeinden gestärkt werden. Das widersprach der leninistischen Theo- ein gemeinsamer … zwischen KPD und SPD« sein.2 Was verwundern rie vom demokratischen Zentralismus, worauf sein Pendant Ulbricht muss: Das Schreiben trägt das Datum 28.4.1945, in der deutschen aufmerksam gemacht hat, als er ihm bedeutete, man solle diese Hauptstadt bestimmte Kriegslärm das Geschehen. Fechner dagegen Diskussion »begraben«. Es gebe nur »eine demokratische Staatsver- will gewusst haben, dass Ulbricht schon mit dem Neuaufbau der waltung, und die kommunale Selbstverwaltung ist ein Teil unserer Verwaltung beschäftigt war. Der Genannte war aber noch gar nicht in demokratischen Verwaltungsorganisation«.5 Fechner, davon nicht Deutschland. Hat sich der Briefschreiber vielleicht im Datum geirrt beeindruckt, hat seine Meinung wiederholt. Danach folgten heftige oder gibt es eine andere Erklärung, die den offenkundigen Fehler Kritiken und vergebliche Versuche des Angegriffenen, sich zu recht- begründet? Weder Fechner noch seine Genossen im Parteivorstand fertigen. Hatte er vergessen, dass er im Jan. 1948 für eine einheitliche der SPD haben sich dazu geäußert. Ulbricht entgegnete, er habe das staatliche Zentralgewalt eingetreten war? Ulbricht hat von ihm auf dem Schreiben nicht erhalten. Die Widersprüche blieben ungeklärt. Gebiet der Kommunalpolitik nichts Anderes verlangt. Fechner hat es nicht bemerkt. Anlässlich des 20. Jahrestags der SED-Gründung erinnerte sich Fechner überraschenderweise daran, Ulbricht habe ihm im Juni 1945 gesagt, Ein weiterer Umstand trug dazu bei, dass Fechner zunehmend »dass vor einem organisatorischen Zusammenschluss erst eine ideo- Schwierigkeiten bekam: Es war das ständige Misstrauen wegen seiner logische Klärung unter den Mitgliedern beider Parteien erfolgen Herkunft als Sozialdemokrat. Die Kontrollinstanzen der SED waren vor müsse«.3 Er habe erkannt, dass die Argumente Ulbrichts richtig waren. allem gegenüber ehem. SPD-Mitgliedern misstrauisch. Sie forschten in Max Fechner hatte sich inzwischen der parteiamtlichen Lesart von der deren Vergangenheit und sorgten für die »Reinheit« der Partei. Nach bestimmenden Rolle der Kommunisten beim Neuaufbau untergeord- sowjetischem Vorbild wurde nach »Schumacher-Agenten«, »Revisionis- net. Kein Verfechter der Parteifusion hat plausibel machen können, ten«, nach Anhängern des »Sozialdemokratismus« und ähnlichen wie es möglich war, dass zwischen dem erwähnten Gespräch und dem Gefahren gesucht. Fechner geriet in einen solchen Verdacht, besonders Beschluss beider Parteien vom Dez. 1945, die Einheitspartei zu grün- nachdem Erich W. Gniffke im Herbst 1948 die SED verließ und in den den, eine »ideologische Klärung« erfolgt ist. Er hätte zugeben müssen, Westen floh. Zuvor war er mit weiteren ehem. SPD-Mitgliedern bei dass es einen solchen tiefgreifenden Klärungsprozess nicht gegeben Fechner eingeladen, wo die Anwesenden feststellten, dass man sie hat und nicht geben konnte. Die SED entstand, weil es die KPD und zunehmend misstrauisch betrachtete. Den Parteikontrolleuren blie- die sowjetische Besatzungsmacht wollten und weil es in der SPD Kräfte ben solche und ähnliche Ereignisse nicht verborgen. Fechners Karriere in der Führung der SED war mit diesen Affären praktisch beendet. gab, die sich beugten. Zu letzteren gehörte Max Fechner. Am wenigsten verständlich und angesichts der noch darzustellenden Umstände beschämend ist sein Kniefall vor Ulbricht. 1 E. W. Gniffke (1895-1964), Kaufmann, 1913 SPD, nach 1933 mehrfach inhaftiert; 1945 SPD/SED, nach Flucht 1948 wieder SPD. 2 Vgl. Bundesarchiv (SAPMO), NY 4101/15; ferner Archiv des Autors sowie N. Pode- Vom Parteifunktionär zum Justizpolitiker win, Walter Ulbricht. Eine neue Biographie, Berlin 1995, S. 175 ff. 3 M. Fechner, Zentralausschuss der SPD und Zentralkomitee der KPD gingen zusammen, in: Vereint sind wir alles. Erinnerungen an die Gründung der SED, Auf dem Vereinigungsparteitag vom 20./21.4.1946 wurde Max Fechner Berlin 1966, S. 42 ff. in den Parteivorstand und in das Zentralsekretariat der SED gewählt. 4 Stenogr. Niederschrift über die 3. Tagung des Ausschusses für Rechtsfragen beim Parteivorstand der SED am 3./4.1.1948 (Archiv d. Autors). Nach den beiden Vorsitzenden Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl 5 SAPMO, DY 30/IV 2/13-217, ebenda IV 2 /4-379 und NY 4182-1089, Bl. 86 ff.; sollten Ulbricht und Fechner paritätische Stellvertreter sein. Das war aus F. Moraw, Die Parole der »Einheit« und die Sozialdemokratie. Zur parteiorgani- satorischen und gesellschaftspolitischen Orientierung der SPD in der Periode der mehreren Gründen nicht möglich. Beide waren für Wirtschaft, staat- Illegalität und in der ersten Phase der Nachkriegszeit 1933-1948, Bonn 1973, liche Verwaltung, Justiz und Kommunalpolitik zuständig, aber Ulbricht S. 221 f.

Neue Justiz 9/2003 455 Aufsätze Beckert, Max Fechner (1892-1973)

Noch reichte sein Ansehen als verdienter Funktionär der Arbeiter- Der Minister gefiel sich in der Rolle eines Justizreformers. Unter bewegung, dass er nicht von der politischen Bühne abtreten musste. seinem Namen erschien ein Buch über die Demokratisierung der 10 Er wurde im Herbst 1948 für die Justiz verantwortlich gemacht, Rechtspflege. Tatsächlich war von Demokratisierung darin nichts zu ohne dafür fachliche Voraussetzungen zu besitzen. Pieck und andere spüren. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass nahezu alle Reden und Genossen zerstreuten seine Bedenken mit dem Argument, es gebe Aufsätze nicht von Max Fechner, sondern von seinem persönlichen 11 dort genügend fähige Juristen, aber es würde ein politisch erfahrener Mitarbeiter Günter Scheele verfasst wurden. Leiter fehlen. Es ist müßig zu spekulieren, ob er zugesagt hat, weil ihn Es ist keine Besonderheit, wenn sich führende Politiker auf fundierte diese Worte überzeugt oder geschmeichelt haben, oder ob die Aus- Zuarbeiten verlassen. Fechner hingegen hatte sich seinem Adlatus sicht auf einen lukrativen, repräsentativen Posten bestimmend war; ausgeliefert. Die verhängnisvolle Abhängigkeit hatte eine Ursache: vielleicht trafen alle Motive zu. Auf jeden Fall war Fechner bewusst, Er kannte Scheele schon aus gemeinsamer Parteiarbeit vor 1933 und dass man ihn ausgebootet hatte. Ihn erwarteten nicht nur neue, half ihm, der während des »Dritten Reichs« Mitglied der NSDAP ungewohnte Aufgaben, sondern vor allem interne Machtkämpfe und geworden war, wieder in die SPD aufgenommen zu werden. Dieser Intrigen. wiederum dankte es seinem Genossen Max. Ein nach Kriegsende sehr bekannt gewordenes Buch trug den Titel »1933-1945. Wie konnte es geschehen? Auszüge aus den Tagebüchern Der Justizpolitiker und Bekenntnissen eines Kriegsverbrechers«. Es nennt Max Fechner als Herausgeber, ein Autor kommt nicht vor. Geschrieben hat es Günther Max Fechner wurde mit Befehl der Sowjetischen Militäradministratur Scheele, der den Partei- und Staatsfunktionär vom Parteivorstand der (SMAD) v. 2.10.1948 Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für SPD bis ins Justizministerium begleitete. Dann traf ihn das gleiche 6 Justiz (DJV). Sein Amtsantritt erfolgte am 8.10.1948. Sein Vorgänger Schicksal, er wurde fast zeitgleich mit Fechner inhaftiert. Der Unter- 7 war , ein namhafter liberaler Jurist der Weimarer Repu- schied zu seinem Chef bestand indes darin, dass er – ohne Erlass eines blik. Von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Herkunft Haftbefehls – wochenlang umfangreichen Verhören ausgesetzt war, verjagt, nutzten die Sowjets dessen Ansehen und Kompetenz beim um den Anderen zu belasten. Als dies nicht gelang, kam er wieder frei. Aufbau einer entnazifizierten Justiz. Die Kommunisten betrachteten Das Entlassungsdokument trägt die Unterschrift von . ihn als reaktionären Vertreter der alten Justiz und waren zufrieden, dass er – im 88. Lebensjahr – zurücktrat. Mit dem neuen Präsidenten waren sie aus anderen Gründen nicht Wie der Minister zum Staatsfeind wurde zufrieden. Das betraf vor allem ,8 bis 1949 sein Vize- präsident, und die für Personalpolitik verantwortliche .9 In der 40-jährigen Geschichte der DDR gab es mannigfache Formen Fechner war für sie nicht nur inkompetent, sondern politisch unzu- und Methoden strafrechtlicher Verfolgung aus politischen Gründen. verlässig. Auch andere leitende Mitarbeiter erfüllten pflichtgemäß Im Hinblick auf Max Fechner kommt ein Phänomen hinzu, das nur seine Aufträge, gleichzeitig sammelten sie Material gegen ihn, das in schwer verständlich ist. Er hat sich wie manche andere Verfolgten der Zentralen Parteikontrollkommission der SED und im Ministerium – meist die eigenen Genossen – nicht als Opfer des politischen Systems und der SED-gesteuerten Justiz betrachtet. Für ihn waren die Ungesetz- für Staatssicherheit landete. Bei sachlicher Betrachtung dieser – mit- lichkeiten das Werk Einzelner, das Ergebnis von Irrtümern und Ver- unter nichtigen – Kontroversen ist zu konstatieren, dass Fechner auch wicklungen. Mit Weltanschauung hatten sie angeblich nichts zu tun. selbst die Anlässe bot. Er trat häufig unwirsch auf, reagierte kritik- empfindlich und fiel nach gelegentlichem Alkoholgenuss »aus der Als Partei und Regierung angesichts der zugespitzten Situation Rolle«. Die ihm nicht wohlgesonnen waren, sich selbst auf der Karriere- Anfang Juni 1953 den sog. Neuen Kurs in der DDR verkündeten, leiter sahen, nutzten diese Schwächen aus. mit dem verschiedene Zwangsmaßnahmen insbesondere auf sozial- ökonomischem Gebiet zurückgenommen werden sollten, stimmte Die Aufgaben der DJV wurden im Okt. 1949 vom Ministerium der Fechner dieser veränderten politischen Richtung zu. Er versuchte Justiz (MdJ) fortgesetzt. An der Gesamtsituation änderte sich zunächst sofort, den Gerichten eine Anleitung zu vermitteln, in ihrer Straf- wenig, auch wenn Fechners stärkste Widersacher höhere Funktionen politik besser zu differenzieren, was heißen sollte, weniger harte erhielten: Benjamin wurde Vizepräsidentin des Obersten Gerichts, Urteile wegen relativ geringfügiger Wirtschafts- und Eigentumsdelikte Melsheimer Generalstaatsanwalt der DDR. Nach außen schienen die zu fällen. Der Kurswechsel konnte den Streik und die Massendemon- drei zentralen Justizorgane sehr einig zu sein; sie stimmten überein, strationen am 16./17.6.1953, auf denen der Sturz der Partei- und dass die Parteibeschlüsse für die justizielle Tätigkeit unumstößlich Staatsführung gefordert wurde, nicht verhindern.12 Auf den gewaltsam sind. Intern waren sie keinesfalls gute Partner. niedergeschlagenen Aufstand reagierte die Justiz so, wie es das SED- Vor allem Hilde Benjamin nutzte ihre bestehenden Kontakte zum Zentralorgan »« (ND) am 18.6. vorgab: Man werde MdJ gegen ihren Intimfeind Fechner aus. Dessen Position war schon »entscheidende Maßnahmen ergreifen, um die an den Ausschrei- deshalb schwach, weil er als Nichtjurist hilflos der Tatsache gegenüber- stand, immer mehr Aufgaben übernehmen zu müssen, die mit der zentralen Rolle des Ministeriums gegenüber den Länderregierungen, 6 Vgl. u.a. H. Wentker, Justiz in der SBZ/DDR 1945-1953. Transformation und Rolle den Gerichten und den anderen Justizorganen zusammenhingen. ihrer zentralen Institutionen, München 2001. Es galt, die Politik der SED beim sozialistischen Aufbau rechtlich zu 7 E. Schiffer (1860-1954), Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und des Reichstags, Justizminister, 1945-1948 Präsident der DJV, Mitbegründer der LDPD. sichern und zahlreiche neue Gesetze – namentlich nach der II. Partei- 8 E. Melsheimer (1897-1960), seit 1918 ununterbrochen im Justizdienst, 1928 konferenz im Juni 1952 – zu verabschieden. Nicht zufällig wurden die SPD; nach 1945 KPD/SED, 1945 DJV; 1949 erster Generalstaatsanwalt der DDR. meisten Gesetzgebungskommissionen von Hilde Benjamin geleitet. 9 Vgl. insbes. A. Feth, Hilde Benjamin – Eine Biographie, Berlin 1997; siehe auch diess., NJ 2002, 64 ff. Fechner wusste um seine Nachteile, er reagierte mit unbedachten 10 M. Fechner, Beiträge zur Demokratisierung der Justiz, Berlin 1948. Äußerungen, bspw. über die Strafpolitik des Obersten Gerichts, die er 11 G. Scheele (1905-1982), Lehrer, 1928 SPD, 1946-1953 persönl. Mitarbeiter Fech- ners, danach bis 1971 Hochschullehrer. als »scharfmacherisch« bezeichnete. Gemeint hat er Prozesse unter 12 Über den Aufstand vom 17. Juni 1953 vgl. u.a. R. Herrnstadt, (Hrsg. N. Stulz- Vorsitz von Hilde Benjamin, die natürlich davon erfuhr. Auch wenn er Herrnstadt), Das Herrnstadt-Dokument. Das Politbüro der SED und die Geschichte des 17. Juni 1953, Reinbek 1991; H. Müller-Enbergs, Der Fall Rudolf Herrnstadt. im Ergebnis Recht hatte – offiziell vertrat er trotzdem dieselbe harte Tauwetterpolitik vor dem 17. Juni, Berlin 1991; I. Splittmann/K. W. Fricke (Hrsg.), Linie, denn sie entsprach dem Willen der Parteiführung. 17. Juni 1953. Arbeiteraufstand in der DDR, Köln 1988.

456 Neue Justiz 9/2003 Beckert, Max Fechner (1892-1973)

tungen Schuldigen strenger Bestrafung zuzuführen. Die Provokateure 15. Tagung im Juli 1953, er habe angewiesen, faschistische Provoka- können nicht auf Milde rechnen«. Das historische Ereignis wurde von teure zu schützen, aktive Organisatoren feindlicher Aktionen freizu- der SED als faschistischer, konterrevolutionärer Putschversuch gegen lassen sowie amerikanische Agenten und Rädelsführer »ausnahmslos« den Arbeiter-und-Bauern-Staat betrachtet. Die Suche nach feindlichen freizusprechen. Er wurde für ungerechtfertigt hohe Strafen und andere Elementen setzte ein, die Justiz reagierte mit Verhaftungen und Ungesetzlichkeiten verantwortlich gemacht. Strafverfahren. Ein Jahr zuvor hatte man Fechner noch für zu milde Strafen kritisiert. Fechner nahm zur Tätigkeit der Justiz öffentlich Stellung. Er wusste, Justizministerin Benjamin, die mit besonderem Eifer nach Beweisen dass die Bevölkerung beunruhigt und verunsichert war und wollte für seine Feindtätigkeit suchte, beschimpfte ihren Vorgänger am besänftigen. So entstand eine folgenschwere Verlautbarung, die am 29.8.1953 als staatsfeindliches Element, dessen berüchtigtes Interview 30.6.1953 im ND erschien. Sie trug die Überschrift: »Alle Inhaftierten »aus dem Sumpf des Sozialdemokratismus« gewachsen sei. Es habe kommen vor ein ordentliches Gericht. Interview mit dem Minister der »den Provokateuren einen Freibrief« gegeben und zeige deutlich, »wie Justiz, Max Fechner, über die mit dem 17. Juni in Zusammenhang gefährlich der Sozialdemokratismus in der Justiz werden kann«.15 stehenden Verhaftungen«. Tatsächlich war es nicht Fechners alleinige Entscheidung, sich öffent- Anklage und Urteil lich zu äußern. Immerhin handelte es sich um die Tageszeitung seiner Partei, in der zu parteipolitisch bedeutsamen Fragen faktisch nichts Mehr als ein Jahr verging, die Ermittlungen kamen nicht voran. Die erscheinen konnte, was nicht zuvor »von oben« abgesegnet war. Partei, auch Melsheimer und Benjamin, drängten, Fechner so zu belasten, Was war Fechner also vorzuwerfen? Der Wortlaut des Interviews wie es vorher angekündigt war. Das ist dem sonst pflichteifrigen allein enthüllt es nicht. Darin stand, es handle sich überwiegend »um Untersuchungsorgan nicht gelungen. Es kam zu Differenzen zwischen von den Faschisten irregeführte Werktätige, zum Teil aber auch um der zuständigen Abteilung im ZK der SED (sie war damals sowohl für bewusste Provokateure«. Zwischen beiden würden die Gerichte unter- die Justiz als auch für die Sicherheitsorgane zuständig) und der Staats- scheiden, denn: »Es dürfen nur solche Personen bestraft werden, die sicherheit. Die Akten wanderten zum ZK und zurück, bis am 15.3.1955 sich eines schweren Verbrechens schuldig machten. Andere Personen die Anklage fertig gestellt und vom ZK genehmigt war. Gegen die werden nicht bestraft. Dies trifft auch für Angehörige der Streikleitung ursprüngliche Absicht wurde Fechner auch wegen Verbrechen und zu.« Der folgende Satz, in dem auf das verfassungsmäßige Streikrecht Vergehen gem. §§ 175, 175a Ziff. 2 u. 3 des damals geltenden StGB hingewiesen wurde, war zuerst nicht und zwei Tage danach als angeklagt. Die vermeintlichen homosexuellen Beziehungen sollten »Berichtigung« veröffentlich worden (die Umstände sind ungeklärt). ursprünglich nur zur Charakterisierung des Beschuldigten angeführt Im Interview verkündete Fechner, dass selbst Rädelsführer nicht auf werden, sie wurden auf Weisung der Partei zum zusätzlichen Anklage- bloßen Verdacht hin bestraft werden dürften. Gemeint war, dass punkt. Es wird angesichts der überaus fragwürdigen Beweislage ver- nachgewiesen werden sollte, ob die Betreffenden »Brände anlegten … zichtet, darauf näher einzugehen. Selbst das Urteil hatte – bei einem raubten, mordeten oder andere gefährliche Verbrechen begangen Umfang von 18 Seiten – dafür nur dürftige sieben Zeilen übrig. haben. Es wird also nicht etwa gegenüber denen, die gestreikt oder Entscheidender Vorwurf war ein Verbrechen gem. Art. 6 der DDR- demonstriert haben, eine Rachepolitik betrieben.« Max Fechner gab die Verfassung in Tateinheit mit der Kontrollratsdirektive 38.16 Wort- offizielle Parteiauffassung wieder. Seine Haltung bekräftigte er in einem gewaltig, wie es Brauch in derartigen Fällen war, wurde der Beschul- Schreiben an die Gerichte v. 9.7.1953. Darin dankte er ihnen für ihre digte als »gefährlicher Staatsverbrecher« bezeichnet. Er habe sich das Einsatzbereitschaft nach dem 17. Juni mit den Worten, der »schänd- Ziel gesetzt, der DDR schweren Schaden zuzufügen und den »orga- liche Versuch der Feinde unseres Volkes, mit dem langvorbereiteten nisierten faschistischen Putschversuch vom 17. Juni 1953 aktiv Tag X die DDR aufzurollen, eine faschistische Macht zu errichten«, sei unterstützt«. Mit seinem Interview, »auf seine Anweisung« im ND »schmählich zusammengebrochen«. Ähnliches wurde unter seinem erschienen, habe er angeordnet, Angehörige der Streikleitungen und 13 Namen in einem Artikel der NJ veröffentlicht. Rädelsführer trotz schweren Verdachts nicht zu bestrafen. Ferner habe Warum ihm trotzdem vorgeworfen wurde, ein Staatsfeind zu sein, er ehem. Faschisten in verantwortungsvolle Positionen des Staates lässt sich nur mit den machtpolitischen Kämpfen im Hintergrund gebracht sowie »einen hinterhältigen Kampf« gegen ehem. KPD- erklären, bei denen Fechner keineswegs die Hauptperson war. Der Funktionäre geführt, um sie zu verdrängen und durch ihm ergebene Volksaufstand vom Juni 1953 hatte vor allem Ulbrichts Position Mitarbeiter zu ersetzen. geschwächt. Nach bewährtem stalinistischen Muster mussten Schul- Am 24.5.1955 stand der Angeklagte vor dem 1. Strafsenat des dige gefunden werden. Es waren der Minister für Staatssicherheit, Wil- Obersten Gerichts. Seine Richter bemühten sich, ihn so negativ wie helm Zaisser, weil er am 17. Juni versagt habe, und der Chefredakteur gewünscht zu charakterisieren. Sie hatten vor der Hauptverhandlung des ND, Rudolf Herrnstadt, der des »Sozialdemokratismus« beschuldigt ein Urteil entworfen, das weitgehend mit den Beschuldigungen in der wurde. Beide sollten aus der Parteiführung entfernt werden; sie waren Anklageschrift übereinstimmte. Die endgültige Fassung musste zwar so diszipliniert, dass sie dem auf der Sitzung des SED-Politbüros am besonders negative, übertriebene Beurteilungen streichen; was blieb, 14.7.1953 selbst zugestimmt haben. Dort stand das Interview Fechners war infam genug. Die sog. Beweisführung widersprach gesetzlichen 14 ebenfalls auf der Tagesordnung. Das Politbüro beschloss, ihn »wegen Mindestanforderungen. So wurde bspw. das Interview dahingehend partei- und staatsfeindlichen Verhaltens« aus der Partei auszuschlie- ßen, als Minister abzulösen und zu inhaftieren. Als Justizministerin wurde Hilde Benjamin bestimmt. Fechner kam in die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit. 13 Das nicht zu den Sachakten gelangte Schreiben befindet sich in den Ermittlungs- unterlagen gegen Fechner beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Es folgten langwierige Ermittlungen, in denen er stundenlangen, Staatssicherheit der ehemaligen DDR, Bd. 7, S. 285. M. Fechner, »Der neue Kurs häufig nächtlichen Verhören ausgesetzt war. Zum Verdruss von Partei- der Regierung und die Aufgaben der Justiz«, NJ 1953, 381 ff. führung, Untersuchungsorgan und nicht zuletzt von Melsheimer und 14 SAPMO, DY 30-J IV 2 /2/305 und J IV 2 /2A /289. 15 Tagung des ZK der SED v. 24.-26.7.1953, Dokumente der SED, Bd. IV, 1953; Zitate Benjamin verliefen sie wenig zufriedenstellend. Fechner gab Fehler zu, aus: Deutschlandfunk, »Auf Weisung des Politbüros«, Funkdokumentation v. bezichtigte sich des Opportunismus, aber staats- und parteifeindliche 9.1.1992 von R. Beckert und K. W. Fricke. 16 Siehe dazu u.a. R. Beckert, Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheim- Absichten bestritt er entschieden. Das war so nicht geplant, denn seine prozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, Goldbach 1995, S. 22 ff. Dort wird Gegner hatten ihn bereits vorverurteilt. Das ZK verbreitete auf der auf S. 153 ff. auch der Prozessverlauf gegen M. Fechner geschildert.

Neue Justiz 9/2003 457 Aufsätze Beckert, Max Fechner (1892-1973)

interpretiert, dass er die Gerichte falsch orientiert habe. Zahllose Die Ehefrau hat den Brief nicht erhalten, er wurde, wie Erich Mielke Inhaftierte und Schuldige seien freigesprochen oder aus der Haft sorgfältig darauf vermerkt hat, nach Rücksprache beim ZK nicht aus- entlassen worden. Absurd ist folgende Anschuldigung: Um zu gehändigt. gewährleisten, dass die Justizorgane jeden einzelnen Fall differenziert Auch mit Begnadigung konnte Fechner nicht rechnen. Vom zustän- betrachten, wäre es erforderlich gewesen, »dass jeder Staatsanwalt und digen Staatsanwalt bis zum politischen Mitarbeiter im Parteiapparat jeder Richter eine feste Richtschnur für die Behandlung der mit dem beharrten die Verantwortlichen darauf, er sei uneinsichtig. Wäre es 17. Juni 1953 im Zusammenhang stehenden Strafsachen erhielt«. nach ihnen gegangen, hätte er nicht entlassen werden dürfen. Ihre Ministerium der Justiz, Generalstaatsanwalt und Oberstes Gericht Stellungnahme wurde über die Justizministerin auch Ministerpräsident wären beauftragt gewesen, »eine einheitliche Rechtsprechung zu Grotewohl vorgelegt, sein einstiger Kampfgefährte nahm sie zur Kenntnis. gewährleisten«, weshalb ein gemeinsamer Operativstab unter der Leitung von Vizepräsidentin Benjamin gebildet wurde. Weiter heißt es in der Urteilsbegründung: Rehabilitierung

»Jedem verantwortungsbewußten Mitarbeiter der Justizorgane war es Die auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 erfolgte Abrech- damit klar, daß die einheitliche Anleitung der mit dem 17. Juni 1953 in Zusammenhang stehenden Gerichtsverfahren von diesem Operativstab nung mit dem Stalinismus zwang auch die SED-Führung, bestimmte ausgehen und jede in die Öffentlichkeit gelangende Verlautbarung über Entscheidungen zu überprüfen.18 Unter Ulbrichts Vorsitz wurde eine diese Verfahren mit dem Operativstab vorher besprochen werden Kommission eingesetzt, die sich, wie es unverbindlich hieß, mit mußte, um zu vermeiden, daß durch unterschiedliche Meinungs- »Angelegenheiten von Parteimitgliedern« beschäftigen sollte. Sie äußerungen oberster Justizorgane die Rechtsprechung der Gerichte in Verwirrung geriet. Aus diesen Gründen enthielten sich alle Justizfunk- bestimmte, wer zu rehabilitieren war. Aus welchen Gründen den tionäre, bis auf den damaligen Minister der Justiz, jeder selbständigen Betreffenden Unrecht geschehen ist, hat die Partei nicht festgestellt; Verlautbarung über die Durchführung dieser Verfahren.« es wäre ein Urteil über ihre eigenen Ungesetzlichkeiten gewesen. Man muss diese Lesart von Leitung der Rechtsprechung und richter- Am 19.4.1956 wurde beschlossen, Max Fechner aus der Haft zu ent- licher Unabhängigkeit nicht kommentieren. lassen, das MfS sollte dafür sorgen, »dass ihm bis zur Freilassung alle Erleichterungen (!) gewährt werden«. Was Fechner in der Hauptverhandlung ausgesagt hat, war nicht fest- zustellen. Das entsprechende Protokoll fehlt in den Akten. Das Urteil Kraft eines Politbürobeschlusses war Fechner inhaftiert worden, auf spricht von verlesenen Dokumenten sowie von Aussagen des Ange- der gleichen Grundlage durfte er das Zuchthaus am 24.4.1956 ver- klagten und von Zeugen. Diese Beweismittel werden mit keinem Wort lassen. Wie ein schlechter Scherz mutet es an, dass er faktisch auch gewürdigt. Lediglich zwei sachverständige Zeugen hielt das Oberste wegen homosexueller Handlungen »rehabilitiert« wurde. Die Order Gericht für erwähnenswert, denn die Verurteilung Fechners konnte der Partei hatte mehr Gewicht als die Korrektur einer ungesetzlichen nicht – wie oft vereinfacht dargestellt – darin bestehen, das Streik- und Entscheidung auf juristischem Weg! Sowohl die Frage der Rente (den Demonstrationsrecht verteidigt zu haben. Das war in der damals Eheleuten war nach Max Fechners Inhaftierung der Status als Verfolgte geltenden DDR-Verfassung gewährleistet. Vielmehr wurde er dafür des Naziregimes und damit die Rente aberkannt worden) als auch verantwortlich gemacht, dass sein Interview die Rechtsprechung die Streichung der Strafe im Strafregister wurden auf Parteiebene (und nicht nur sie) verunsichert und falsch orientiert habe. Wie er das »erledigt«. erreicht haben sollte, haben die sachverständigen Zeugen damit Die Erfüllung seines größten Wunsches, wieder in die SED aufge- begründet, sie hätten die Rechtsprechung »untersucht«. Teilweise nommen zu werden, ließ auf sich warten. Im Juni 1958 informierte beruhten ihre »Feststellungen« auf telefonischen Auskünften. Die Ulbricht die Mitglieder und Kandidaten des ZK, das Politbüro habe Experten gehörten zu jenen Mitarbeitern Fechners, die ihn hoch lobten beschlossen, die Parteimitgliedschaft »des Genossen Max Fechner« und willig seine Aufträge erfüllten, als er ihr Chef war. Nun waren sie wiederherzustellen. Eventuelle Einwendungen sollten schriftlich erfol- von Hilde Benjamin beauftragt. gen, was erwartungsgemäß nicht geschah. In einer kurzen Pressenotiz erfuhr die Öffentlichkeit vom Ergebnis. Der Angeklagte wurde am 24.5.1955 zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt, die sich aus Einzelstrafen von sieben Der zurückgekehrte Genosse dankte es seiner Partei, er nahm wie- Jahren wegen des Staatsverbrechens sowie einem Jahr und weiteren der am politischen Leben teil, ließ seine Erinnerungen durch Partei- zwei Jahren wegen der Sittlichkeitsdelikte zusammensetzte. Das Urteil historiker protokollieren – und schwieg über die Jahre, in denen er selbst konnte Max Fechner am 8.6.1955 durchlesen; es zu behalten, war verfemt war. Die SED ehrte ihn für solche Treue; sie nannte ihn wieder ihm nicht gestattet. Antifaschist, der bei der Vereinigung von KPD und SPD vorange- gangen, stellvertretender Parteivorsitzender, dann Justizminister war Max Fechner verbrachte weitere Monate in der Berliner Haftanstalt und später »als Arbeiterveteran unermüdlich für den Aufbau des der Staatssicherheit, bevor er am 22.10.1955 in das Zuchthaus Sozialismus in der DDR« wirkte. Die Zeit seines beruflichen Absturzes Brandenburg verlegt wurde. Noch immer wusste seine Familie nichts und der Haft kommen in dieser Biographie nicht vor. Mit Ulbricht von ihm. stellte er sich im April 1966 anlässlich des 20. Jahrestags der Am 19.7.1955 hatte Frau Fechner an den DDR-Innenminister Gründung der Partei auf die Bühne des Friedrichstadtpalastes. Beide geschrieben und um Aufklärung über das Schicksal ihres Mannes führten eine verlogene Inszenierung gemeinsamer, ruhmvoller gebeten. Sie erhielt keine Antwort. Das Ersuchen landete bei der Vergangenheit vor. Staatssicherheit. Wenigstens konnte Frau Fechner den Verurteilten Am 13.9.2003 jährt sich zum 30. Mal der Todestag von Max Fechner nun besuchen. Über sein Verfahren wurde nicht gesprochen, er blieb – er starb sechs Wochen nach Ulbricht. Auf dem Zentralfriedhof Berlin- von der Außenwelt isoliert, wie einem Brief vom Nov. 1955 an die Friedrichsfelde befinden sich ihre Urnen wenige Schritte voneinander Ehefrau zu entnehmen ist.17 Er nehme an, schrieb er, sie habe sein entfernt; als Politiker waren sie sich nie nahe. Urteil gelesen und hoffe, »vielleicht durch einen Gnadenakt (die) Freilassung zu erwirken«. Seine Naivität und Hilflosigkeit gipfelte in dem Satz: 17 Zitate im Archiv des Autors. »Ich wünschte, daß Walter Ulbricht sich die Anklageschrift einmal genau 18 Vgl. Zur Entlassung werden vorgeschlagen ... Wirken und Arbeitsergebnisse der ansehen würde, um einen unerhörten Fehler aller Instanzen zu erken- Kommission des Zentralkomitees zur Überprüfung von Angelegenheiten von nen, durch den die Regierung und das ZK aufs schwerste betroffen ist.« Parteimitgliedern, Berlin 1991.

458 Neue Justiz 9/2003 Kurzbeiträge

Unterbrechung der Hauptverhand- zweimal mögliche 30-tägige Unterbrechung der Hauptverhandlung und deren Höchstdauer nicht mehr ausreichend waren. Vor allem lung – eine Reform ist überfällig! die Zunahme umfangreicherer Verfahren und die damit verbun- denen Probleme, wie dringend erforderliche Erholungsurlaube, Mühlhausen und VorsRiLG Peter Scharf, , länger andauernde Erkrankungen oder die Beschaffung weiterer RiAG Christian Kropp, Sondershausen Beweismittel, erforderten nach den Gesetzesmaterialien eine Ände- rung der bestehenden Regelung. Im Mittelpunkt der gesetzespoli- In der strafgerichtlichen Praxis gewinnt die Unterbrechung der Haupt- tischen Betrachtungen stand dabei das Konzentrationsprinzip, 2 verhandlung zunehmend an Bedeutung. Aufgrund ihrer richterlichen das Verfahrensverschleppungen verhindern sollte. Es kam zur Erfahrung legen die Autoren dar, dass insbesondere wegen der stetig Einführung eines dritten Satzes in § 229 Abs. 2 und eines neuen zunehmenden Zahl sog. Großverfahren das geltende Recht unzureichend ist Absatzes 3. und § 229 Abs. 3 StPO dringend einer Änderung bedarf. Mit § 229 Abs. 2 Satz 3 StPO wurde dem Gericht nunmehr gestattet, nach einer Verhandlungsdauer von einem Jahr zusätzlich zu den 1. Problemlage Unterbrechungsmöglichkeiten des § 229 Abs. 1 u. 2 StPO jeweils inner- halb eines Zeitraums von einem Jahr die Verhandlung einmal bis zu Ein Blick auf die Verhandlungsdauer insbesondere von Wirtschafts- 30 Tagen zu unterbrechen. Durch diese engen zeitlichen Schienen kammern in den letzten Jahren zeigt eine dramatische Zunahme sollte eine Gefährdung der Prinzipien der Mündlichkeit und Unmit- sog. Großverfahren.1 Hierbei handelt es sich um Verfahren, die oftmals telbarkeit der Hauptverhandlung ausgeschlossen werden. über Jahre andauern und bei denen sich deshalb immer das Erforder- In dem neuen Abs. 3 des § 229 StPO wurde schließlich bei Erkran- nis der Hinzuziehung von Ergänzungsrichtern und Ergänzungsschöf- kung des Angeklagten eine Hemmung der Unterbrechungsfrist des fen nach § 192 Abs. 2 u. 3 GVG ergibt. Hauptgrund dafür ist, dass auch § 229 Abs. 1 u. 2 StPO für die Dauer von höchstens sechs Wochen im Fall der Erkrankung von Mitgliedern des Spruchkörpers die in § 229 vorgesehen, wenn die Hauptverhandlung bereits zehn Tage statt- StPO geregelte Unterbrechungsfrist nicht überschritten werden darf. gefunden hatte. Die Fristhemmung dauert bei Erkrankung des Eine Vorschrift entsprechend § 229 Abs. 3 StPO, wonach bei Erkran- Angeklagten unbeschadet der sechswöchigen Höchstfrist so lange, kung des Angeklagten eine Hauptverhandlung unter bestimmten bis der Angeklagte wieder erscheinen kann. Der Vorsitzende kann Voraussetzungen längere Zeit unterbrochen werden darf, fehlt für dann von § 229 Abs. 1 oder 2 StPO Gebrauch machen, so dass die andere Verfahrensbeteiligte. Gäbe es eine solche Vorschrift, wäre das dortigen Fristen so lange nicht zu laufen beginnen, bis die Ver- Risiko, bspw. wegen Erkrankungen eine Hauptverhandlung gänzlich hinderung beendet ist. Mit dem Ende der Verhinderung und damit aussetzen zu müssen, deutlich reduziert. In diesen Fällen könnte man der Fristhemmung beginnt in solchen Fällen die Unterbrechungsfrist sogar auf die Hinzuziehung von Ergänzungsrichtern und -schöffen zu laufen. verzichten, was die Ressource Justiz schonen, Personal einsparen und Der Gesetzgeber ließ sich davon leiten, dass generell die Gefahr dadurch Kosten reduzieren würde. bestehe, dass Berufsrichter und Schöffen, die ihre Überzeugung aus Verlässliches Zahlenmaterial über die jährlich ausgesetzten und neu dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewinnen sollen, den Verhand- verhandelten Strafverfahren ist den Verfassern nicht bekannt. Dazu lungsstoff bei häufigen und längeren Unterbrechungen nicht mehr wäre praktisch auch eine bundesweit angelegte Gerichtsbefragung gegenwärtig haben, weil ihrem Erinnerungsvermögen Grenzen gesetzt erforderlich, zumal nicht in allen Bundesländern bspw. Schwer- sind. Davon sollten die vorgenommenen Änderungen jedoch nicht punktgerichte und -staatsanwaltschaften eingerichtet worden sind. berührt sein, zumal es – so die Begründung – die Möglichkeit von Angesichts der im Freistaat Thüringen gemachten Erfahrungen beim schriftlichen Aufzeichnungen und Zwischenberatungen nach Ver- LG Mühlhausen als einem Schwerpunktgericht in Wirtschaftssachen handlungspausen zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens gebe. zeigt sich aber, dass die Anzahl außerordentlich langwieriger Verfah- Offensichtlich, dies lässt sich ebenfalls den Gesetzesmaterialien ren – auch mit Auslandsbezug – stetig zunimmt und die Hinzuziehung entnehmen, hat es aber damals bereits Stimmen gegeben, welche im von Ergänzungsrichtern und -schöffen angesichts der Personalknapp- Interesse einer Entlastung der Strafjustiz weitergehende Maßnahmen heit zunehmend schwierig wird. forderten. Es ist daher die Frage aufzuwerfen, inwieweit § 229 Abs. 3 StPO insofern eine Abänderung erfahren sollte, als diese Regelung künftig 3. Kritik zu § 229 StPO nicht nur für den Angeklagten gilt, sondern auch bei Erkrankung von Mit den Neuregelungen des § 229 StPO ist der Gesetzgeber von 1987 Richtern und Schöffen Anwendung findet. Diese Fragestellung erfor- nur einen Schritt in die richtige Richtung gegangen, aber auf halbem dert einen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte des § 229 StPO Wege stehen geblieben. Setzt man die Grundsätze der Verfahrenskon- und die Motive des Gesetzgebers, die zur Einführung des § 229 Abs. 3 zentration, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung StPO in seiner heutigen Gestalt geführt haben. in Beziehung zu einer zunehmend globaleren und komplizierter werdenden Rechtswirklichkeit ist zu konstatieren, dass es eine stete 2. Genese des § 229 StPO Zunahme sog. Großverfahren mit steigender Zahl von Verhandlungs- tagen und Auslandsbezug und damit zunehmenden Schwierigkeiten Die 1975 erfolgte Einführung der Absätze 2 u. 3 zu § 229 StPO sah in der zeitnahen Beschaffung von Beweismitteln gegeben hat. Schon erstmals die Unterbrechung der Hauptverhandlung beliebig oft bis zu durch die Fülle von Verhandlungstagen und durch die Komplexität zehn Tagen vor. Hatte diese bereits mindestens zehn Tage stattgefun- der Rechtsmaterien besteht die damals festgestellte Gefahr für das den, konnte sie ein weiteres Mal bis zu 30 Tagen und nach mindestens Erinnerungsvermögen des Spruchkörpers weiterhin und sogar in zehn weiteren Verhandlungstagen nochmals um bis zu 30 Tagen einem höheren Maße. unterbrochen werden (§ 229 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 u. 2 StPO). Mit dem StrafverfahrensänderungsG (StVÄG) 1987 sollte dann praktischen Unzuträglichkeiten entgegengewirkt werden, die dadurch eintraten, dass bei besonders umfangreichen Verfahren oder beson- 1 An anderer Stelle hierzu bereits Scharf/Kropp, NStZ 2000, 297. deren Verfahrenssituationen die zwölf Jahre zuvor eingeführte nur 2 BT-Drucks. 10/1313, S. 24 f.

Neue Justiz 9/2003 459 Kurzbeiträge Scharf/Kropp, Unterbrechung der Hauptverhandlung …

Aus den Materialien von 1987 ist nicht ersichtlich, was den Gesetz- Die Stellung ausländischer Rechts- geber dazu bewogen hat, für den Angeklagten eine geradezu groß- zügige Unterbrechungsregelung zu schaffen, während die Erweite- anwälte in der Tschechischen Republik rungen für andere Verfahrensbeteiligte dagegen nicht so gravierend sind. Versteckte sich dahinter ein Misstrauen gegenüber der Justiz, Mgr. Simona Sonnewendová, LL.M., die ansonsten nicht unter einem gewissen Zeitdruck stände oder gar Tschechische Rechtsanwaltskammer Verfahren verschleppe? Solche Mutmaßungen könnten sich aufdrän- gen, wenn sie auch nicht belegbar sind. Jedenfalls sind Gründe für eine In Vorbereitung auf den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen unterschiedliche Behandlung bei Erkrankung eines Richters oder eines Union hat der tschechische Gesetzgeber eine Novellierung des Gesetzes über Angeklagten weder ersichtlich noch gerechtfertigt. die Rechtsanwaltschaft vorgenommen, die in erster Linie der Umsetzung entsprechender europäischer Richtlinien dient. Die Autorin erläutert nach- 4. Lösungsvorschlag folgend die wesentlichsten Bestimmungen.

Durch die Zunahme von Großverfahren mit komplexen Rechtsmate- 1. Novelle des Gesetzes über die Rechtsanwaltschaft rien ist die Justiz personell in einer Zeit knapper Ressourcen über- vor dem Beitritt zur EU mäßig belastet. Die Grundsätze der Verfahrenskonzentration, der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung Die tschechische Rechtsanwaltschaft bereitet sich, ebenso wie die werden durch die Komplexität und Dauer der Verfahren zunehmend ganze Tschechische Republik, auf den Eintritt in die EU vor. Deshalb strapaziert. Eine Ausdehnung der Regelung des § 229 Abs. 3 StPO auch stand das Jahr 2002 im Zeichen einer umfangreichen Novellierung auf die Mitglieder des Spruchkörpers würde hier in gewissen Berei- des Ges. über die Rechtsanwaltschaft, mit dem eine Umsetzung chen Abhilfe schaffen und eine nicht unerhebliche Entlastung der der drei europäischen Richtlinien 77/249/EWG (DienstleistungsRL), Justiz bewirken (was 1987 offenbar noch nicht vorstellbar war). 89/48/EWG (Hochschuldiplom-AnerkennungsRL) und 98/5/EG (Nie- Einschränkungen an Rechtssicherheit auch für den Angeklagten derlassungsRL) in nationales Recht erfolgt. Allerdings werden die wären damit nicht verbunden. Das Risiko einer Verfahrensverlänge- neuen Bestimmungen erst mit dem Tage wirksam, an dem der Vertrag rung würde im Grunde genommen – gemessen an dem Risiko einer über den Beitritt der Tschechischen Republik zur EU in Kraft tritt. gänzlichen Aussetzung und Neuverhandlung des Verfahrens bei Mit Rücksicht auf die Pflichten der Tschechischen Republik als eines Erkrankung eines Richters oder Schöffens – für den Angeklagten eher künftigen EU-Mitgliedstaates bringt die Novelle eine grundsätzliche hinzunehmen sein. Änderung im System der Gewährung der Rechtsdienstleistungen In der Vergangenheit sind Versuche, eine Änderung der Norm des auf dem Territorium der Tschechischen Republik mit sich. So kann § 229 StPO und damit eine grundlegende Reformierung der Unter- künftig die Berechtigung, Rechtshilfe zu gewähren, neben den in brechungsfristen zu erreichen, fehl geschlagen: § 2 Abs. 2 RechtsanwaltschaftsG (im Folgenden: Gesetz) genannten So scheiterte in der 13. Legislaturperiode ein vom Bundesrat vorge- Rechtsanwälten und Personen auch weiteren Personen erteilt werden, legter Entwurf eines StrafprozessanpassungsG, der in § 229 Abs. 1 die die Novelle als »europäische Rechtsanwälte« bezeichnet. Sie StPO eine Verlängerung der Unterbrechungsfrist von zehn Tagen müssen die Berechtigung zur Gewährung der Rechtshilfe in einem der auf drei Wochen vorsah.3 EU-Mitgliedstaaten und den anderen Vertragsstaaten des Abkommens Auch in der 14. Legislaturperiode stand die jetzige Bundesregierung über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR)1 erworben haben, einer Änderung des § 229 StPO noch ablehnend gegenüber.4 über eine entsprechende Berufsbezeichnung verfügen2 und Staatsan- gehörige des Staates sein, in dem sie diese Berechtigung erwarben. Mit dem jetzt von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines JustizmodernisierungsG5 ist diese Haltung anscheinend aufgegeben Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen dem »europäischen Gast- worden. Denn der Gesetzentwurf sieht u.a. neben einer Verlängerung rechtsanwalt« und dem »niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt«. der Unterbrechungsfrist auf bis zu drei Wochen in § 229 Abs. 3 StPO auch die Ausdehnung der Hemmungsregelung auf die Mitglieder des 2. Der europäische Gastrechtsanwalt Spruchkörpers vor. Das Rechtsinstitut eines europäischen Rechtsanwalts, der Rechtsdienste In dieselbe Richtung zielt auch ein im Mai 2003 von der CDU/CSU- auf dem Territorium der Tschechischen Republik »vorübergehend oder Fraktion beim Bundestag eingebrachter Entwurf eines 1. Justizbe- gelegentlich« gewährt, regelt die Novelle in den §§ 35f-35k. schleunigungsG.6 Der europäische Gastrechtsanwalt wird verpflichtet, seine Berech- Eine Reform insbesondere des § 229 Abs. 3 StPO ist überfällig. Die tigung zur Ausübung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts auf Verlangen Regelung ist nicht mehr zeitgemäß und muss den praktischen Bedürf- der Rechtsanwaltskammer, eines Gerichts oder anderen inländischen nissen und der veränderten Rechtswirklichkeit angepasst werden. Organs nachzuweisen. Dazu hat er den durch das zuständige Heimat- Insoweit ist den Ausführungen von Gehb/Drange 7 aus Sicht der Praxis organ ausgestellten »Nachweis über die Berechtigung zur Gewährung der nur ausdrücklich zuzustimmen. Rechtsdienstleistungen« zusammen mit einer »amtlich beglaubigten Übersetzung« in die tschechische Sprache vorzulegen.3 Er ist verpflich- tet, seine Berufsbezeichnung unter Angabe der im Heimatstaat dafür zuständigen Stelle zu verwenden; er ist nicht befugt, die tschechische Bezeichnung »advokát« iSv § 12 des Gesetzes zu benutzen.

1 Hierbei handelt es sich um Norwegen, das Fürstentum Liechtenstein und Island. 3 BT-Drucks. 13/8939. 2 Diese Berufsbezeichnung lautet z.B. in Frankreich »Avocat«, in Großbritannien 4 BT-Drucks. 14/6851, S. 9, zit. bei Gehb/Drange, ZRP 2003, 231 in Fn 16. »Solicitor«, »Barrister« oder »Advocate« , in Italien »Avvocato« und in Österreich 5 Siehe dazu DRiZ 2003, 223 (225); der Regierungsentwurf ist abrufbar unter »Rechtsanwalt«. www.bmj.bund.de. 3 Nach dem Gesetz Nr. 36/1967 Slg. über Sachverständige und Dolmetscher muss 6 BT-Drucks. 15/999. es sich dabei um eine von einem bestellten Gerichtsdolmetscher verfasste Über- 7 Gehb/Drange, ZRP 2003, 231. setzung handeln.

460 Neue Justiz 9/2003 Sonnewendová, Die Stellung ausländischer Rechtsanwälte …

Sollte der Gastrechtsanwalt seine Tätigkeit länger als einen Monat jedoch nicht zu. Aus dieser Integration folgt auch die Pflicht, Beiträge ausüben, ist er verpflichtet, der Kammer eine Anschrift in der Tsche- zu Aktivitäten der Kammer zu entrichten und weitere durch Standes- chischen Republik zum Zwecke der Zustellung von Kammerschrift- vorschriften geregelte Zahlungen zu leisten (zzt. Abgaben in den stücken mitzuteilen. Diese Pflicht folgt aus der Tatsache, dass auch der Sozialfonds der Kammer). Gastrechtsanwalt z.B. der Disziplinarkompetenz der Kammer unter- Ebenso wie der inländische Rechtsanwalt hat er eine gesetzliche worfen ist. Wird dem nicht nachgekommen, werden die betreffenden Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen und den Nachweis spä- Schrifstücke durch die Kammer hinterlegt; die Zustellung gilt vom testens bis zum 30.11. eines jeden Jahres der Rechtsanwaltskammer dritten Tag der Hinterlegung an als erfolgt. vorzulegen (zusammen mit dem jeweils neuen Nachweis über die Weiter besteht die Verpflichtung, alle durch die inländischen Heimatberechtigung zur Gewährung der Rechtsdienstleistungen). Rechts- oder Standesvorschriften für Rechtsanwälte festgelegten Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt ist berechtigt, Pflichten auf dem Territorium der Tschechischen Republik einzuhal- Dienstleistungen in allen Sachen (§ 1 Abs. 2 u. § 3 Abs. 2 des Gesetzes) ten. Nur wenn die inländischen Vorschriften ein Problem nicht regeln, zu gewähren. Er kann damit als Verteidiger in Strafverfahren (einschl. darf der Gastrechtsanwalt nach den Vorschriften seines Heimatstaates einer Pflichtverteidigung) und als Prozessvertreter im Zivilprozess oder verfahren. in der Verwaltungsgerichtbarkeit tätig werden. Bei der Gewährung von anderen Rechtsdienstleistungen (Beratungs- Wer eine mindestens dreijährige Tätigkeit als niedergelassener und Konsultationstätigkeit, Abfassung von Vertragsurkunden u.Ä.) europäischer Rechtsanwalt in der Tschechischen Republik aufweist ist hat der europäische Gastrechtsanwalt nach den Vorschriften seines nach dem in § 5b des Gesetzes geregelten vereinfachten Verfahren Heimatstaates (bspw. nach dem ethischen Heimatkodex) zu handeln. über die Eintragung in das Rechtsanwaltsverzeichnis berechtigt, sich Eine wichtige Pflicht setzt § 35j Abs. 2 des Gesetzes fest: Wird der als inländischer Rechtsanwalt zuzulassen.4 Gastrechtsanwalt vor Gerichten oder Behörden tätig, hat er einen Zustellungsbevollmächtigten aus den Reihen der inländischen 4. Gemeinsame Regelungen für europäische Rechtsanwälte Rechtsanwälte zu bestellen. Kommt er dem nicht nach, werden die Schriftstücke nicht ins Ausland zugestellt, sondern hinterlegt. Rechts- Bestimmungen, die sowohl für den europäischen Gastrechtsanwalt als wirkungen treten am dritten Tag von der Hinterlegung an ein. auch den niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt gelten, sind in Aus der nur vorübergehenden Gültigkeit der Berechtigung zur den §§ 35o-35r des Gesetzes geregelt. Gewährung der Dienstleistungen in der Tschechischen Republik folgt, Da der europäische Rechtsanwalt der Disziplinarkompetenz der dass das Gesetz die Mitgliedschaft des Gastrechtsanwalts in einer Rechtsanwaltskammer untersteht, kann er nach § 32 Abs. 2 wegen Anwaltssozietät nicht zulässt (§ 14). Ebenso darf der Gastrechtsanwalt eines Disziplinarvergehens zur Verantwortung gezogen werden. In gem. § 15 des Gesetzes nicht zum Gesellschafter einer zum Zwecke der einem Disziplinarverfahren kommen die allgemeinen Vorschriften Ausübung der Rechtsanwaltschaft errichteten offenen Handelsgesell- des Ges. über die Rechtsanwaltschaft und der DisziplinarO zur Anwen- schaft berufen werden. Auch eine Integration in den inländischen dung. Als Disziplinarmaßnahme kann gem. § 32 Abs. 3 lit. a bis c Rechtsanwaltsstand ist nicht vorgesehen; der Gastrechtsanwalt kann jedoch nur die »vorübergehende Untersagung der Gewährung von deshalb bspw. nicht an Versammlungen der Rechtsanwaltskammer Rechtsdienstleistungen für die Dauer von bis zu fünf Jahren« (§ 35q teilnehmen oder in deren Organe gewählt werden. Abs. 2) ausgesprochen werden. Die Auferlegung dieser Disziplinar- maßnahme hat den Verlust der Berechtigung zur Gewährung der 3. Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt Dienstleistungen auf dem Territorium der Tschechischen Republik und damit die Streichung aus dem Verzeichnis der europäischen Die §§ 35l-35n des Gesetzes regeln den Status des sog. niedergelasse- Rechtsanwälte zur Folge. Eine erneute Eintragung in das Verzeichnis nen europäischen Rechtsanwalts. Dieser ist berechtigt, Rechtsdienst- kann frühestens nach Ablauf eines Jahres ab Vollzug der Disziplinar- leistungen auf dem Terriorium der Tschechischen Republik ständig maßnahme erfolgen. zu gewähren. Wie bei inländischen Rechtsanwälten entsteht diese Eine wesentliche Pflicht des europäischen Rechtsanwalts ist in § 35p Berechtigung durch Eintragung in das bei der Kammer geführte Ver- des Gesetzes geregelt. So hat er aus den Reihen der inländischen zeichnis der europäischen Rechtsanwälte. Die Berechtigung zur Rechtsanwälte einen Berater für die Verfahren zu bestellen, in denen Berufsausübung weist der niedergelassene europäische Rechtsanwalt eine anwaltliche Vertretung ausdrücklich vorgesehen ist (z.B. Pflicht- also nicht mittels eines Heimatberechtigungsnachweises, sondern verteidigung in Strafverfahren, Verfahren über Kassationsbeschwer- einer Bescheinigung über die Eintragung in das Rechtsanwaltsver- den vor dem Obersten Verwaltungsgericht). Aufgabe des Beraters ist zeichnis nach. Das Gesetz legt im Einzelnen die Bedingungen für die es, den europäischen Rechtsanwalt bei der Klärung prozessrecht- Eintragung fest und benennt die Gründe, aus denen eine Streichung licher Fragen zu unterstützen. Als Berater des europäischen Gast- aus dem Verzeichnis erfolgen kann oder muss. rechtsanwalts kann dabei auch sein Zustellungbevollmächtiger tätig Der niedergelassene europäische Rechtsanwalt ist verpflichtet, die werden. Berufsbezeichnung seines Heimatstaates zusammen mit dem Hinweis Die Verletzung der Pflicht zur Bestellung eines Beraters zieht den auf seine Eintragung in das Verzeichnis der europäischen Rechtsan- Verlust der Berechtigung des europäischen Rechtsanwalts zur Ver- wälte zu benutzen. Wie der europäische Gastrechtsanwalt ist er nicht tretung in derartigen Verfahren nach sich. Allerdings befreit die zur Führung der Bezeichnung »advokát« berechtigt. Bestellung eines Beraters ihn nicht von seiner Verantwortlichkeit Bis auf die durch das Gesetz festgelegten Ausnahmen hat der nieder- für Disziplinarvergehen und für Schäden, die seinem Klienten im gelassene europäische Rechtsanwalt nach § 35n alle Rechte und Pflich- Zusammenhang mit der Gewährung der Rechtsdienstleistungen ten eines inländischen Rechtsanwalts. Im Gegensatz zum europä- entstehen. ischen Gastrechtsanwalt ist allerdings keine gesetzliche Freistellung zugunsten von Heimatvorschriften vorgesehen, da der niedergelas- sene europäische Rechtsanwalt in den inländischen Rechtsanwalt- 4 Ein weiteres vereinfachtes Verfahren sieht § 5c des Gesetzes vor. Danach kann stand voll integriert ist. Er kann an Versammlungen der Kammer teil- ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EU oder des EWR, der in diesem Land eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, die zum Beruf eines europäischen nehmen, ist zur Ausübung des Wahlrechts berechtigt und kann in die Rechtsanwalts berechtigt, nach Ablegen einer Eignungsprüfung (§ 54 Abs. 2 des Organe der Kammer gewählt werden; ein passives Wahlrecht steht ihm Ges.) in das Rechtsanwaltsverzeichnis aufgenommen werden.

Neue Justiz 9/2003 461 Kurzbeiträge

Restitution nach dem VermG, wenn der Abgesehen davon, dass ganz generell strittig ist, ob die betreffen- den Personen ihr Eigentum verloren haben, da doch alle einschlägi- Eigentümer noch im Grundbuch steht? gen NS-Gesetze 1945 von den Alliierten aufgehoben wurden, kommt beim Sachverhalt des besprochenen BGH-Urteils hinzu, dass das Rechtsanwalt Prof. Dr. Fritz Enderlein, Potsdam Grundstück nur der kommissarischen Verwaltung unterlag und es keine Einziehung des beschlagnahmten Vermögens zugunsten des Der BGH hat mit einem Urteil v. 9.1.2003 1 zu einem Rechtsstreit Deutschen Reiches gegeben hat, die nach § 9 der Polen-VO möglich Stellung genommen, in dem es um einen Kostenerstattungsan- gewesen wäre. spruch des Verwalters nach dem VermG ging. Sowohl LG Berlin als Wie Kolb richtig bemerkt, bestand eine Besonderheit des zu ent- auch Kammergericht haben den Anspruch wegen Verjährung abge- scheidenden Sachverhalts darin, »dass eine förmliche Überführung in wiesen. Der BGH meint, unverjährte Kostenerstattungsansprüche Eigentum des Volkes zu keinem Zeitpunkt erfolgt ist«. Aber vorher der Kläger seien nicht auszuschließen, und hat die Sache zur eben auch keine Überführung in Reichseigentum! erneuten Verhandlung und Entscheidung an das BerufungsG Mit dem BGH konstatiert Kolb, dass es »sich demnach auch nicht um zurückverwiesen. einen Fall staatlicher Verwaltung iSd §§ 1 Abs. 4, 11 ff. VermG« han- Der Unterschied zwischen den Rechtsauffassungen der Berliner delt, und sieht dies als »in Übereinstimmung mit der tatsächlichen Gerichte und des BGH besteht darin, dass sowohl LG als auch KG von Praxis, die dadurch gekennzeichnet war, dass die im Grundbuch einem Verwalterverhältnis zwischen den Parteien ausgegangen sind, eingetragenen Eigentümer keinerlei Möglichkeiten hatten, auf ihr während der BGH den Kläger als Verfügungsberechtigten ansieht, Eigentum zuzugreifen«. Das verstehe wer will. Weil die Eigentümer dem Ansprüche nach § 3 Abs. 3 Satz 4 VermG zustehen. nicht auf ihr Eigentum zugreifen konnten, liegt kein Fall staatlicher Es geht also im Kern darum, ob es sich bei dem strittigen Sachverhalt Verwaltung vor? Ja was konnten denn die Eigentümer bei einer staat- um einen Fall der Aufhebung einer staatlichen Verwaltung handelte lichen Verwaltung? War diese nicht gerade dadurch gekennzeichnet, oder um einen Fall der notwendigen (aber unterlassenen) Rücküber- dass den Eigentümern praktisch nur eine Buchposition zustand? Aber tragung, wie der BGH meint.2 mit der per Gesetz zum 31.12.1992 beendeten staatlichen Verwaltung entfielen eben auch alle Beschränkungen des Eigentums und das muss Der Rechtsauffassung des BGH zur Eigentumsposition am Grund- auch den noch im Grundbuch stehenden Verfolgten des NS-Regimes stück kann m.E. nicht zugestimmt werden. zugute kommen. Das betreffende Grundstück war auf Grundlage des § 5 der sog. Dass mit der – in der Konsequenz – nachträglichen Enteignung Polen-VO v. 17.9.1940 (RGBl. I S. 1270) der kommissarischen Verwal- »einer Gleichbehandlung der von Vermögensverlusten Betroffenen tung durch das Deutsche Reich unterstellt worden. Nach dem Krieg … Rechnung getragen« wird, wie Kolb meint, ist nicht nachzu- wurde das Grundstück auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 vollziehen. Vielmehr handelt es sich hier doch gerade um eine weiter verwaltet. Eine Umschreibung des Grundstücks auf das Eigen- Ungleichbehandlung jüdischer Eigentümer, denen die Wiederein- tum des Deutschen Reiches oder auf Eigentum des Volkes erfolgte zu setzung in ihre Rechte durch Aufhebung der staatlichen Verwaltung keiner Zeit. Als Eigentümer wurden nach Vorlage der Erbscheine die verwehrt werden soll. Erben des Alteigentümers eingetragen. Es ist auch nicht einzusehen, warum die jüdischen Erben auf eine Der BGH hält das für falsch. Er vertritt die Auffassung, dass die Rückübertragung nach § 1 Abs. 6 VermG verwiesen werden sollen, Anordnung der kommissarischen Verwaltung nach der VO v. wenn das gleiche Ergebnis bereits durch die Aufhebung der staatlichen 17.9.1940 als Beschlagnahme galt und diese sowohl nach den Vor- Verwaltung nach § 1 Abs. 4 VermG erreicht werden kann. Hier kann schriften des alliierten Rückerstattungsrechts als auch nach § 1 Abs. 6 man sagen, »warum einfach, wenn es auch umständlich geht«. VermG als Entziehung des Eigentums anzusehen ist; das VermG Unverständlich ist schließlich Kolbs Hinweis auf einen »sozialver- stelle auf die faktischen Verhältnisse ab, ohne Bedeutung sei, ob die träglichen Interessenausgleich«, wenn es um die Auseinandersetzung NS-Unrechtsmaßnahme zu einem zivilrechtlichen Vermögensverlust zwischen den Erben von Holocaust-Opfern auf der einen Seite und geführt habe. dem Rechtsnachfolger der kommunalen Wohnungsverwaltung auf In der Konsequenz bedeutet das die nachträgliche Enteignung der anderen Seite geht. jüdischen Vermögens. Insgesamt ist festzustellen, dass die Entscheidung des BGH leider Angela Kolb nimmt das Urteil zustimmend zur Kenntnis3 und nicht zur Rechtsklarheit beiträgt, und es ist zu hoffen, dass das schreibt: »... musste der BGH sich hier zunächst einmal mit der Kammergericht an der Differenzierung zwischen § 1 Abs. 4 und § 1 grundsätzlichen Frage auseinandersetzen, ob die einschlägigen Vor- Abs. 6 VermG festhält. schriften des VermG Anwendung finden oder das Zivilrecht greift.« Ebenso wie der BGH wirft Kolb nicht die Frage auf, was denn die einschlägigen Vorschriften des VermG sind, wenn der von den Natio- nalsozialisten verfolgte Eigentümer noch im Grundbuch steht.4 Mit dem BGH geht sie davon aus, dass »Personen, die aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen in der Zeit 1 BGH, NJ 2003, 314 (bearb. v. Kolb) = ZOV 2003, 99. vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 verfolgt wurden und deshalb ihr 2 Vgl. F. Enderlein, »Rückübertragung oder Aufhebung der staatlichen Verwal- Vermögen verloren haben, selbst dann nur noch eine Buchposition tung?«, ZOV 2003, 154 f. 3 A. Kolb, NJ 2003, 315. zu(stand), wenn sie nach diesem Zeitpunkt noch als Eigentümer im 4 Vgl. F. Enderlein, »Keine Rückübertragung erforderlich, wenn der Alteigentümer Grundbuch eingetragen waren«. noch im Grundbuch steht«, ZOV 2002, 263 ff.

462 Neue Justiz 9/2003 Informationen

BUNDESGESETZGEBUNG Altschulden der LPG-Nachfolgeunternehmen Das Bundeskabinett hat den Entwurf eines Landwirtschafts-Altschul- Auswertung der BGBl. 2003 I Nr. 35 bis 39 denG beschlossen, der die beschleunigte Ablösung der Altschulden Das Ges. über die Berufe in der Krankenpflege und zur Änderung anderer durch die LPG-Nachfolgeunternehmen entsprechend ihrer wirtschaft- Gesetze v. 16.7.2003 enthält in Art. 1 das KrankenpflegeG (KrPflG), das lichen Leistungsfähigkeit vorsieht. Die bisherigen Regelungen zur am 1.1.2004 in Kraft tritt; gleichzeitig tritt das KrPflG v. 4.6.1985 Bedienung der Altschulden sollen angepasst und ein einheitliches (BGBl. I S. 893) außer Kraft. Weiterhin ändert das ArtikelG das Kran- Ablöseverfahren festgelegt werden. Die Anpassung der Rückzahlungs- kenhausfinanzierungsG, das KrankenhausentgeltG sowie 12 weitere bedingungen soll in einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage für Rechtsvorschriften. (BGBl. I Nr. 36 S. 1442) die zu leistenden Zahlungen auf Altschulden und in einer Erhöhung des Abführungssatzes auf 65% der Bemessungsgrundlage erfolgen. LPG- Mit Ges. v. 16.7.2003 ist das Erneuerbare-Energien-G v. 29.3.2000 (BGBl. I Nachfolgeunternehmen sind noch mit Altschulden aus DDR-Zeiten S. 305) durch Einfügung eines neuen § 11a (Besondere Ausgleichs- von rd. 2,5 Mrd. € belastet. Rückzahlungen sind bisher kaum erfolgt. regelung) ergänzt worden. Die Änderung ist am 22.7.2003 in Kraft (aus: Pressemitteilung des BMF v. 3.7.2003) getreten und tritt am 1.7.2004 wieder außer Kraft. (BGBl. I Nr. 36 S. 1459) Kündigung von Mietverträgen Nach einem vom Bundesrat vorgelegten Gesetzentwurf zur Aufhe- Das FallpauschalenänderungsG (FPÄndG) v. 17.7.2003 sieht für Kranken- bung des Art. 232 § 2 Abs. 2 EGBGB (BR-Drucks. 398/03 [Beschluss]) häuser die Einführung des pauschalierenden Entgeltsystems auf der soll der Ausschluss der sog. Verwertungskündigung für Mietverträge, Basis von sog. Diagnosis Related Groups vor. Ferner soll die Finanzie- die in den neuen Ländern vor dem 3.10.1990 geschlossen wurden, rung der Ausbildung künftig aus einem Ausbildungsfonds auf Lan- aufgehoben werden. Die Verhältnisse am Wohnungsmarkt hätten sich desebene und nicht mehr im Rahmen der Krankenhausbudgets grundlegend geändert; es sei Wohnungsleerstand zu verzeichnen und und tagesbezogenen Pflegesätze erfolgen. Geändert wurden u.a. das ausreichender preiswerter Wohnraum vorhanden. Der Kündigungs- KrankenhausfinanzierungsG, das KrankenhausentgeltG und das Fall- ausschluss sei daher für Vermieter unzumutbar; er verhindere sogar die pauschalenG. Das ArtikelG ist im Wesentlichen am 22.7.2003 in Kraft wirtschaftliche Verwertung weitestgehend leer stehender Gebäude. getreten. (BGBl. I Nr. 36 S. 1461) Nach Auffassung des Mieterbundes ist eine solche »Abrisskündigung Ost« das politisch falsche Signal und rechtlich überflüssig. Mit ÄndG v. 24.7.2003 sind § 346 Abs. 2 SGB III, §§ 7d, 20 u. 23b (aus: Pressemitteilungen des Bundesrats Nr. 128/03 v. 11.7.2003 SGB IV, § 249 SGB V, §§ 2, 154 u. 168 SGB VI sowie zahlreiche Para- u. des Deutschen Mieterbundes v. 11.7.2003) graphen des SGB VII geändert worden. Das ÄndG ist im Wesentlichen Zur »Abrisskündigung« siehe AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 28.5.2002, NJ 2002, 548. am 1.8.2003 in Kraft getreten (BGBl. I Nr. 38 S. 1526) Zugriff auf elektronische Dateien Das KleinunternehmerförderungsG v. 31.7.2003 ist rückwirkend zum Ein vom Bundesrat verabschiedeter Gesetzentwurf zur effektiveren 1.1.2003 in Kraft getreten. Das ArtikelG dient dem Abbau bürokrati- Nutzung von Dateien im Bereich der Staatsanwaltschaften (BR-Drucks. scher Belastungen für Existenzgründer und Kleinunternehmer u.a. 390/03 [Beschluss]) sieht die Schaffung der rechtlichen Vorausset- durch Vereinfachung der Ausgabenpauschalierung bei der Gewinn- zungen für den beiderseitigen Zugriff von Staatsanwaltschaften und ermittlung. (BGBl. I Nr. 39 S. 1550) Polizei auf die jeweils bei der anderen Behörde geführten elektroni- schen Daten vor. Staatsanwaltschaften sollen Online-Zugriff u.a. auf die Personenfahndungsdateien, die Haftdateien des BKA und bestimmte GESETZESINITIATIVEN DNA-Analysedateien erhalten; Polizei und Strafgerichte sollen auf das zentrale staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister zugreifen können. Justizmodernisierung (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 127/03 v. 11.7.2003) Der Bundesrat hat zum von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines JustizmodernisierungsG (siehe Inform. in NJ 2003, 409) zahlreiche Grunderwerbsteuerbefreiung für Wohnungsunternehmen Änderungsvorschläge beschlossen (BR-Drucks. 378/03 [Beschluss]). Sie Der Bundesrat hat den Entwurf eines Gesetzes zur Grunderwerb- betreffen u.a. die Entlastung der Berufungsgerichte durch Lockerung steuerbefreiung bei Fusionen von Wohnungsunternehmen und Woh- des Protokollierungszwangs, eine Vereinfachung der Postzustellung nungsgenossenschaften in den neuen Ländern (BR-Drucks. 180/03 durch Einrichtung einer zentralen Niederlegungsstelle innerhalb eines [Beschluss]) beschlossen. Er zielt darauf ab, »Fusionen« von Woh- Amtsgerichtsbezirks, das Absehen vom zivilprozessualen Strengbe- nungsunternehmen und -genossenschaften, die am 23.5.2003 Sitz weisverfahren bei Einverständnis der Parteien und eine differenzierte und Geschäftsleitung in den neuen Ländern einschl. Berlin hatten, Beschränkung der Bindung des Zivilrichters an einschlägige, strafge- von der Grunderwerbsteuer freizustellen, wenn die Verschmelzung richtliche Tatsachenfeststellungen. oder Spaltung nach dem 31.12.2003 und vor dem 1.7.2006 erfolgt. Gleichzeitig hat der Bundesrat einen eigenen Entwurf für ein Justiz- (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 76/03 v. 23.5.2003) beschleunigungsG (BR-Drucks. 397/03 [Beschluss]) eingebracht, der u.a. folgende Maßnahmen vorsieht: Einführung einer begrenzten Hochschulzulassung Bindungswirkung strafgerichtlicher Feststellungen für den Zivilprozess, Der Bundesrat hat beim Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung der Streitwertgrenzen, Klarstellung für den Einsatz von Änderung des HochschulrahmenG (BR-Drucks. 463/03 [Beschluss]) Proberichtern als originäre Einzelrichter, Eröffnung der Zweierbeset- mit dem Ziel einer Neuordnung der Hochschulzulassung eingebracht. zung bei den LG und OLG sowie Vereinfachungen in Grundbuch- und Die Verteilung von Studienplätzen, die in das zentrale Vergabever- Registersachen. Beim Strafverfahren sind u.a. Änderungen im Recht fahren einbezogen sind, soll künftig alternativ nach zwei, von den Län- der Richterablehnung, Vereinfachungen im Ermittlungs- und im dern auszuwählenden Modellen vorgenommen werden. Die Modelle Hauptverfahren, punktuelle Änderungen im Rechtsmittelrecht und unterscheiden sich jeweils durch unterschiedliche Prozentzahlen Änderungen bei besonderen Verfahrensarten, im Ordnungswidrigkei- hinsichtlich der durch die Hochschule bzw. die Zentralstelle für die tenrecht sowie bei den Tilgungsfristen in Zentralregistern vorgesehen. Vergabe von Studienplätzen zu vergebenden Studienplätze. (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 139/03 v. 11.7.2003) (aus: Pressemitteilung des Bundesrats Nr. 129/03 v. 11.7.2003)

Neue Justiz 9/2003 463 Informationen

Volksentscheid über europäische Verfassung NEUE BUNDESLÄNDER Die künftige europäische Verfassung soll nach den Vorstellungen der FDP in Deutschland mit einem Volksentscheid verabschiedet werden. BERLIN/BRANDENBURG Zu diesem Zweck sieht ein Gesetzentwurf der Fraktion (BT-Drucks. 15/1112) eine Änderung von Art. 23 GG vor. An dem Referendum soll Berlins Innensenator Dr. Erhart Körting und Innen- sich mindestens ein Viertel der Bevölkerung beteiligen. Laut FDP wäre minister Jörg Schönbohm haben das »Gemeinsame Kriminalitätslagebild ein Verfassungstext ohne ausdrückliche Zustimmung der Bürger Berlin–Brandenburg für das Jahr 2002« vorgestellt. Daraus geht hervor, nicht ausreichend legitimiert, so dass die Vorstellung einer »Union der dass sich die bereits in den vergangenen Jahren festgestellte, territo- Bürger« nicht verwirklicht würde. rial stark differierende Kriminalitätsbelastung auch 2002 mit weit- gehend gleichen Brennpunkten im städtischen Ballungsraum, dem (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib Nr. 126 v. 11.6.2003) unmittelbaren Berliner Umland sowie dem Grenzgebiet zu Polen bestätigt. Insgesamt wurden 2002 in Berlin und Brandenburg 828.348 EUROPA Straftaten registriert. Für beide Länder wurden 96 Komplexe zur Organisierten Kriminalität (davon Berlin 79) erfasst. Schwerpunkte Europäische Verfassung waren wie im Vorjahr Vermögens- und Eigentumsdelikte sowie Der EU-Verfassungskonvent hat im Juli 2003 seine Arbeiten für eine Rauschgift- und Schleusungskriminalität. europäische Verfassung abgeschlossen und formell die Ergebnisse an Die beiden Länder arbeiten bei der Kriminalitätsbekämpfung und in die italienische Präsidentschaft übergeben. Der Entwurf sieht neben der Kriminalitätsprävention enger als bisher zusammen. So wurde bspw. einer Vereinfachung der Vertragsregeln eine klarere Aufgabenver- eine gemeinsame polizeiliche Arbeitsgruppe zur Reduzierung von ille- teilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten vor. Die EU-Spitze galem Grafitti konstituiert. Vorgesehen ist die gemeinsame Erstellung soll von dem Präsidenten des Europäischen Rats der Staats- und langfristiger Prognosen der Kriminalitätsentwicklung, um zu abge- Regierungschefs sowie dem Vizepräsidenten der Kommission gebildet stimmten Konzepten in der Kriminalitätsbekämpfung zu gelangen. werden, der gleichzeitig als europäischer Außenminister fungiert. (aus: Gemeinsame Pressemitteilung der Innenressorts Die bisher noch nicht kodifizierte Grundrechtscharta ist in Teil II der von Berlin u. Brandenburg v. 7.8.2003) Verfassung verankert und erhält verbindlichen Charakter. Außerdem sollen Bürgerinitiativen, die von mind. 1 Mio. Bürgern unterstützt BERLIN werden, die Kommission zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative Die Senatorinnen Schubert und Dr. Knake-Werner haben sich auf ein verpflichten. Es wurde eine neue Klausel eingefügt, die Mitgliedstaa- bundesweit erstes Pilotprojekt zur ambulanten Nachsorge von gefährlichen ten den Austritt aus der EU erlaubt bzw. ihn erzwingt. Die im Okt. 2003 Gewaltstraftätern nach deren Entlassung verständigt. Der Einstieg in beginnende Regierungskonferenz hat die letzte Entscheidungsgewalt diese zusätzlichen Betreuungsmaßnahmen soll ab dem 1.1.2004 mög- über die Verfassung. lich sein; bis dahin soll der Standort der neuen Ambulanz bestimmt (aus: BRAK, Büro Brüssel, Nr. 12 u. 14/03 v. 18.6. u. 16.7.2003) sein. Durch eine koordinierte Nachsorge für bestimmte Täter aus dem Maßregel- und dem Strafvollzug sollen der Übergang bei der Entlassung Rechtshilfe- und Auslieferungs-Abkommen mit den USA erleichtert und die Rückfallquote dieser Tätergruppe gesenkt werden. Die EU-Justizminister haben sich im Juni 2003 in Luxemburg auf ein Der Senat hatte im Mai 2003 beschlossen, den Schutz der Allgemeinheit gemeinsames Auslieferungs- und Rechtshilfeabkommen mit den USA vor einer Rückfälligkeit von Sexualstraftätern weiter auszubauen. geeinigt. In dem Auslieferungs-Abkommen ist festgelegt, dass kein EU- (aus: Gemeinsame Pressemitteilung der Senatsverwaltung für Justiz u. Mitgliedstaat einen Verfolgten an die USA ausliefern wird, wenn die- für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz v. 25.7.2003) sem dort die Todesstrafe droht. Voraussetzung jeder Auslieferung ist, dass die betreffende Tat in beiden Staaten mit Freiheitsstrafe im Mit 3. VO v. 22.7.2003 ist die ArbeitszeitVO erneut geändert worden. Höchstmaß von mind. einem Jahr bedroht ist. Das Rechtshilfe-Abkom- Nachdem durch VO v. 6.1.2003 (GVBl. S. 2) in § 1 Abs. 1 die regel- men legt fest, unter welchen Voraussetzungen die Länder sich gegen- mäßige Arbeitszeit der Landesbeamten von im Durchschnitt 40 Stun- seitig Rechtshilfe leisten. Geregelt sind u.a. die Bildung gemeinsamer den pro Woche auf 42 Stunden erhöht worden war, ist diese Regelung Ermittlungsteams, die Möglichkeit von Videovernehmungen von jetzt mit Wirkung zum 1.8.2003 wieder rückgängig gemacht worden. Zeugen und Sachverständigen sowie die Ermittlung von Inhabern Es wurde zudem ein neuer § 2a eingefügt, der die Gewährung von bestimmter Bankkonten. freien Unterrichtstagen für Lehrer regelt. Danach werden Lehrer an (aus: Pressemitteilung des BMJ Nr. 47/03 v. 6.6.2003) zwei Unterrichtstagen pro Schuljahr unter Fortzahlung der Besoldung vom Dienst freigestellt. Bei Vollzeitbeschäftigten werden pro Schuljahr Rechtshilfe- und Auslieferungs-Abkommen mit Polen weitere fünf Unterrichtstage auf einem sog. Arbeitszeitkonto gutge- Mit dem Ziel, die Rechtshilfe in Strafsachen und die Auslieferungs- schrieben; bei Teilzeitbeschäftigten erfolgt die Gutschrift anteilig. praxis zwischen Deutschland und Polen zu intensivieren, haben der Das Arbeitszeitkonto soll vor Eintritt in den Ruhestand durch Freistel- polnische Justizminister Grzegorz Kurczuk und die Bundesjustizminis- lung ausgeglichen werden; ist dies nicht möglich, kann ein entspre- terin zwei ergänzende Abkommen unterzeichnet. chender finanzieller Ausgleich gewährt werden. (GVBl. Nr. 28 S. 290) Das neue Rechtshilfe-Abkommen verpflichtet konkret zur gegensei- tigen Unterstützung auch bei modernen Ermittlungsmethoden, wie Die Neufassung des Berliner StiftungsG (StiftG Bln) ist am 22.7.2003 in der grenzüberschreitenden Telefonüberwachung. Nach dem Ergän- der v. 12.7.2003 an geltenden Fassung bekannt gemacht worden. zungsvertrag zum Auslieferungs-Abkommen müssen Auslieferungs- (GVBl. Nr. 29 S. 293) ersuchen künftig nicht mehr dem BMJ zugeleitet werden, sondern können vom polnischen Justizministerium unmittelbar bei den BRANDENBURG zuständigen Ländern gestellt werden. Außerdem werden die Bedin- Polizei und Justiz in Brandenburg wollen den Opferschutz weiter aus- gungen für eine Auslieferung vereinfacht. Sie ist dann möglich, wenn bauen. Auf der 2. Landeskonferenz des Landespräventionsrates Ende die tatsächlich zu vollstreckende Strafe oder die Summe mehrerer zu Juli 2003 in Potsdam kündigte Innenminister Schönbohm ein unter vollstreckender Strafen noch mind. drei Monate beträgt. Federführung der Polizeifachhochschule entwickeltes Opferschutz- (aus: Pressemitteilung des BMJ Nr. 59/03 v. 17.6.2003) konzept sowie die Einsetzung von Opferschutzbeauftragten in den

464 Neue Justiz 9/2003 Polizeibehörden an. Justizministerin Richstein verwies auf den Aufbau SACHSEN eines flächendeckenden Systems von Opferhelfern. Von den im Jahr Mit Wirkung v. 1.8.2003 wurde Geert Mackenroth zum neuen Staats- 2002 registrierten insges. 244.328 Straftaten waren 23.416 Taten sog. sekretär im Justizministerium ernannt. Die Neubesetzung war not- Opferdelikte; 25.664 Menschen wurden Opfer solcher Straftaten, wendig, weil der bisherige Staatssekretär Stefan Franke zum selben Zeit- darunter 5.908 Gewaltopfer und 2.805 Opfer von Straßenkriminalität. punkt Präsident des OLG Nürnberg geworden ist. G. Mackenroth ist seit (aus: Gemeinsame Pressemitteilung des Innen- u. 1975 in der Justiz tätig, zuletzt als LG-Präsident in Schleswig-Holstein; Justizministeriums v. 31.7.2003) er war seit März 2001 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes. (aus: Pressemitteilung der Landesregierung v. 20.5.2003) Informationen zum Grundstücksmarkt in Brandenburg sind jetzt im Internet unter www.gutachterausschuss-bb.de und www.gutachter- Mit Wirkung v. 15.7.2003 hat Richard Eichmayr, der bisherige Präsident ausschuesse-bb.de abrufbar. Die Gutachterausschüsse für Grundstücks- des SG Chemnitz, das Amt des Präsidenten des VG Chemnitz über- werte präsentieren Auszüge aus ihren jährlichen Grundstücksmarkt- nommen. Der gebürtige Augsburger, der seit Okt. 1990 in Sachsen tätig berichten u.a. zu Umsatzentwicklung und Markttendenzen im Land ist, tritt damit die Nachfolge von Manfred Kremer an, der bereits im Jahr sowie in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten. 2002 nach Hessen versetzt worden war. (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums Nr. 99/03 v. 29.6.2003) (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums v. 4.7.2003)

Die Bbg. Bauordnung (BbgBO) v. 16.7.2003 ist am 1.9.2003 in Kraft Die Justizminister von Sachsen und Bayern haben eine Verwaltungs- getreten; gleichzeitig trat die BbgBO idF der Bkm. v. 25.3.1998 (GVBl. I vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung und Pflege von S. 82) außer Kraft. Die neue BbgBO dient der Senkung von Normen Computerprogrammen für Straf- und Zivilgerichte mit der Bezeichnung und Standards durch Verfahrensvereinfachungen, der Neustrukturie- »forumSTAR« unterzeichnet. Um die bis zu 100.000 Dokumente pro rung der Verfahrensarten, Entschlackung des Baugenehmigungs- Tag mit den Daten der Fachverfahren arbeitssparend erstellen zu verfahrens, Entkoppelung der rechtlichen Prüfung von der bautech- können, wird parallel ein auf die Justizanforderungen abgestelltes nischen Prüfung, Beschleunigung der Verfahrensabläufe und des Textsystem entwickelt. Vollzugs örtlicher Bauvorschriften durch die Kommunen. Weiter sind (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums Nr. 43/03 v. 13.6.2003) zahlreiche Klarstellungen vorgenommen und der Freistellungskatalog des § 67 BbgBO 1998 erweitert worden. (GVBl. I Nr. 12 S. 210) Das Ges. zur Errichtung der Sächsischen Aufbaubank – Förderbank (Förder- bankG) v. 19.6.2003 ist am 12.7.2003 in Kraft getreten. Die Justiz-ZuständigkeitsübertragungsVO (JuZÜV) v. 2.6.2003, in Kraft (SächsGVBl. Nr. 8 S. 161) seit 4.7.2003, regelt im Einzelnen die Übertragung von Zuständigkei- ten zum Erlass von Rechtsverordnungen auf das für Justiz zuständige SACHSEN-ANHALT Mitglied der Landesregierung. (GVBl. II Nr. 16 S. 341) Am 1.8.2003 ist die Präsidentin des OLG Naumburg Gertrud Neuwirth MECKLENBURG-VORPOMMERN in den Ruhestand getreten. Sie wurde von Justizminister Curt Becker Einen Überblick zur Verwaltungsreform bietet das Land im Internet feierlich verabschiedet. Die Amtsgeschäfte werden vorerst vom Vize- unter www.mv-regierung.de/im/verwaltungsreform/ an. Es richtet präsidenten Werner Zink wahrgenommen. Die Nachbesetzung des Amts sich an interessierte Bürger, bietet Material für Mitarbeiter der Verwal- erfolgt im Rahmen einer Ausschreibung. tung und beantwortet die häufigsten Fragen zur Verwaltungsreform. (aus: Pressemitteilung des Justizministeriums Nr. 20/03 v. 31.7.2003) (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums Nr. 68/03 v. 29.7.2003) Das 2. InvestitionserleichterungsG v. 16.7.2003 ändert zahlreiche Rechts- Mit Ges. v. 5.6.2003 wurde das SchulG v. 15.5.1996 (GVOBl. M-V vorschriften des Landes und ist im Wesentlichen am 1.9.2003 in Kraft S. 394), zuletzt geänd. durch Ges. v. 17.6.2002, in § 56 Abs. 3 (Dauer des getreten. Kernpunkte des Gesetzes mit dem Ziel einer notwendigen Schulbesuchs) und in § 143 Abs. 4 mit Wirkung v. 21.6.2003 geändert. Belebung von Privatinvestitionen sind u.a.: Begrenzung des Bildungs- (GVOBl. M-V Nr. 9 S. 330) freistellungsG auf eine berufsspezifische Weiterbildung, Modifikationen Eine weitere Änderung des SchulG erfolgte mit Ges. v. 7.7.2003 u.a. des Denkmalschutzes, Begrenzung der Dokumentationspflicht auf die durch Einfügung eines neuen § 107a (Zügigkeit von Schulen an Mehr- Zumutbarkeit und damit Beschleunigung des Genehmigungsver- fachstandorten) und von § 132a (Sportgymnasien). Diese Änderungen fahrens, Möglichkeit der Übertragung der Trinkwasserversorgung und sind am 12.7.2003 in Kraft getreten. (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 356) der Abwasserbeseitigung auf Private. (GVBl. LSA Nr. 26 S. 158)

Durch Ges. v. 5.6.2003, in Kraft seit 21.6.2003, ist das Landeshoch- Das JuristenausbildungsG (JAG LSA) v. 16.7.2003 ist am 22.7.2003 in schulG (LHG M-V) v. 5.6.2002 (GVOBl. M-V S. 398) durch Klarstellung Kraft getreten; gleichzeitig trat das JAG LSA v. 27.4.1994 (GVBl. LSA einer missverständlichen Passage in § 5 Abs. 5 geändert worden. S. 546) außer Kraft, soweit nicht in den Übergangsvorschriften des § 10 (GVOBl. M-V Nr. 9 S. 331) das Fortgelten bestimmt wurde. Das neue JAG regelt u.a., dass die bisherige erste juristische Staatsprüfung künftig als »erste juristische Mit Ges. v. 2.7.2003 wurde das LandesbeamtenG (LBG M-V) idF der Bkm. Prüfung« zweigeteilt und sowohl vom Landesjustizprüfungsamt v. 12.7.1998 (GVOBl. M-V S. 256) durch Neufassung des § 91 (Beihil- (staatliche Pflichtfachprüfung) als auch von der Martin-Luther-Uni- fen) zum 1.9.2003 geändert. (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 335) versität Halle-Wittenberg (universitäre Schwerpunktbereichsprüfung) abgenommen wird. (GVBl. LSA Nr. 26 S. 167) Das AusführungsG zum GrundsicherungsG (GSiG-AG) v. 6.7.2003, in Kraft seit 1.1.2003, bestimmt, dass die bundesrechtlich den Land- Mit VO v. 30.7.2003 ist die VO über die Auflösung der amtsgerichtlichen kreisen und kreisfreien Städten zugewiesenen Aufgaben durch diese als Zweigstelle Klötze v. 4.6.2003 durch Einfügung eines neuen § 2 geändert Selbstverwaltungsangelegenheit wahrgenommen werden. Die Land- worden. Danach gehen mit Ablauf des 30.6.2003 noch nicht erledigte kreise können bestimmen, dass kreisangehörige Ämter und amtsfreie Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbarkeit des AG Gardelegen, Zweig- Gemeinden die den Landkreisen obliegenden Aufgaben durchführen. stelle Klötze, mit Wirkung v. 1.7.2003 auf das nunmehr örtlich zustän- (GVOBl. M-V Nr. 10 S. 360) dige AG über. (GVBl. LSA Nr. 28 S. 199)

Neue Justiz 9/2003 465 Informationen

THÜRINGEN Zum Studiengang Bachelor of Laws an der Universität Greifswald siehe den Das Innenministerium hat die Frist für die Einreichung von Stellung- Beitrag von W. Joecks/S. Guse, NJ 2002, 568 ff. nahmen zum Entwurf eines Landesentwicklungsplanes 2003 aufgrund der großen Resonanz und mit dem Ziel einer weiterhin breiten öffent- Technische Universität Dresden lichen Diskussion bis zum 31.10.2003 verlängert. Der Planentwurf ist Das Konzil der TU Dresden hat Prof. Dr. Hermann Kokenge für die im Internet unter www.rolp.thueringen.de abrufbar. Amtszeit 2003 bis 2006 zum Rektor gewählt. Er tritt am 1.10.2003 die (aus: Pressemitteilung des Innenministeriums Nr. 97/03 v. 7.8.2003) Nachfolge von Prof. Achim Mehlhorn an, der die Universität neun Jahre lang leitete. Der neue Rektor hat bis 1980 an den Universitäten Die Thür. RechtspflegeraufgabenübertragungsVO (ThürRPflAÜV) v. 3.6.2003 München und Hannover Landespflege/Landesarchitektur studiert und bestimmt im Einzelnen, welche nach den bundesrechtlichen Rege- ist seit 1993 an der TU Dresden tätig. lungen des RechtspflegerG vom Rechtspfleger wahrzunehmenden (aus: Pressemitteilung des TU Dresden v. 9.7.2003) Geschäfte auf den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle übertragen werden. Die am 20.6.2003 in Kraft getretene VO tritt am 31.3.2008 Universität Halle-Wittenberg wieder außer Kraft. (GVBl. Nr. 9 S. 319) Die Juristische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Witten- berg blickt auf eine mehr als zehnjährige erfolgreiche Neuentwicklung Das Thür. HochschulG (ThürHG) in der v. 25.4.2003 an geltenden Fassung zurück. Von einer Fakultät in Gründung im Jahre 1991 mit einem ist am 24.6.2003 neu bekannt gemacht worden. (GVBl. Nr. 10 S. 325) ehrenamtlichen Gründungsdekan, Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, von der Universität Göttingen, und einigen ehrenamtlich tätigen Hoch- Das Thür. AusführungsG zum BSHG (ThürAGBSHG) ist in der v. 1.7.2003 schullehrern, zum größten Teil ebenfalls aus Göttingen, hat sich eine an geltenden Fassung am 24.6.2003 neu bekannt gemacht worden. junge, stabile Fakultät mit national und international erworbener (GVBl. Nr. 10 S. 369) Anerkennung entwickelt. Mit gegenwärtig 18 Professuren, 35 wiss. Mitarbeitern sowie ca. 1.500 Studierenden gehört die Fakultät zu den Mit Ges. zur Umsetzung von bundes- und europarechtlichen Vorschriften in mittelgroßen der 42 Jura-Fakultäten in Deutschland. An der Fakultät Thüringer Naturschutzrecht v. 15.6.2003, in Kraft seit 30.7.2003, wurden wurden in den letzten Jahren vier Institute gegründet: Das Institut für neben dem ThürNatG zu den Naturschutzgebietsfestsetzungen insges. Wirtschaftsrecht, das Institut für Kammerrecht, das interdisziplinäre 64 Rechtsverordnungen geändert. (GVBl. Nr. 11 S. 393) Zentrum Medizin-Ethik-Recht und das Institut für Stiftungsrecht (zzt. in Gründung). Zunehmend kommen Studierende aus den alten Bundesländern zum Studium der Rechtswissenschaft nach Halle. Für UNIVERSITÄTEN diese Entwicklung sprechen auch die hohen Absolventenzahlen an der Fakultät, die z.T. deutlich über denen anderer Studiengänge liegen. Berliner Universitäten (aus: Pressemitteilung des Juristischen Fakultät v. 2.7.2003) Die Präsidenten der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Univer- sität zu Berlin und der Technischen Universität Berlin haben den Ergänzungs- und Änderungsvertrag zu den Hochschulverträgen 2003 BERUFSORGANISATIONEN bis 2005 paraphiert. In einem Begleitschreiben an den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur brachten sie zum Ausdruck, Deutscher Richterbund dass an der festgelegten Kürzungssumme von 75 Mio. € grundsätzlich Die zuständige Kommission des DRB hat einen Entwurf für eine Reform alle Vertragshochschulen zu beteiligen sind. Gleichzeitig verwiesen sie des Amtsrechts der Staatsanwälte vorgelegt, mit dem eine verbands- darauf, dass der Konsolidierungsbeitrag nur unter der Bedingung zu interne und öffentliche Diskussion über die Strukturen einer moder- erbringen sein wird, dass durch eine Novellierung des Berliner Hoch- nen Staatsanwaltschaft angestoßen werden soll. Der Gesetzentwurf schulG die mit der Erprobungsklausel gegebenen Gestaltungsmög- greift langjährige Forderungen des DRB, u.a. nach Abschaffung des lichkeiten der Universitäten nicht eingeschränkt werden. externen Weisungsrechts im Einzelfall und des Status des leitenden (aus: Pressemitteilung der HU zu Berlin v. 29.7.2003) Staatsanwalts als politischer Beamter, auf. (aus: Pressemitteilung des DRB v. 9.8.2003) Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Zu dieser Problematik siehe auch E. C. Rautenberg, »Staatsanwaltschaft und Zum Wintersemester 2003/04 gibt es auf die rd. 900 Studienplätze in Gewaltenteilung«, NJ 2003, 169 ff. den drei Fakultäten Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften über 2.700 Bewerbungen. Mit 15,5 Bewerbern je Studienplatz ist »Renner« der Studiengang »International Business Administration«, der STATISTIK in den ersten beiden Jahren in englischer Sprache absolviert wird. Für Jura besteht noch bis zum 19.9.2003 die Möglichkeit, sich für das Aufhebung und Schaffung von Rechtsvorschriften Wintersemester direkt an der Viadrina einzuschreiben. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP zum Sachstand (aus: Pressemitteilung der Europa-Universität Viadrina v. 4.8.2003) des sog. Masterplans »Bürokratieabbau« teilte die Bundesregierung (BT-Drucks. 15/1391, 15/1437) mit, dass seit dem 1.1.1999 bis Anf. Universität Rostock Juli 2003 insges. 89 Stammgesetze und 446 Rechtsverordnungen Im Fernstudienzentrum an der Universität Rostock werden zum Winter- aufgehoben worden sind; darin sei die Aufhebung weiterer zahlreicher semester 2003/04 neben den eigenen Studiengängen auch die neuen Einzelvorschriften im Rahmen von Änderungsvorhaben nicht ent- international anerkannten Bachelor- und Masterstudiengänge der halten. Die Zahl der im selben Zeitraum erlassenen »ändernden Ver- FernUniversität Hagen angeboten und betreut. Völlig neue Wege der ordnungen« wird mit 1.208 und die neuer Stammverordnungen mit juristischen Ausbildung werden mit dem Studiengang Bachelor of Laws 624 angegeben. Die Bundesregierung habe seitdem 307 Änderungs- beschritten. Neben dem akademischen, juristischen Handwerkszeug gesetze verabschiedet, mit denen bestehende Gesetze angepasst, werden betriebswirtschaftliche Kenntnisse vermittelt und damit eine modernisiert oder reformiert worden sind. Darüber hinaus habe das Alternative zum klassischen juristischen Staatsexamen eröffnet. Parlament 211 neue Stammgesetze geschaffen. (aus: Pressemitteilung der Universität Rostock v. 30.6.2003) (aus: www.Bundestag.de/aktuell/hib Nr. 168 v. 28.7.2003)

466 Neue Justiz 9/2003 Dokumentation

Petitionsbericht 2002 Der Deutsche Bundestag hatte bereits in der letzten Legislaturperiode mit dem VermBerG eine Regelung beschlossen, die vorsah, dass Schuldner des Anspruchs auf Auszahlung der »stecken gebliebenen« Entschädigungen im Der Petitionsausschuss des Bundestags hat im Mai 2003 den Bericht über seine Regelfall der Träger öffentlicher Verwaltung sein solle, dem der enteignete Tätigkeit im Jahre 2002 (BT-Drucks. 15/920) vorgelegt. Im Folgenden werden Vermögenswert zugeordnet worden ist, also der heutige Begünstigte der daraus insbesondere die Passagen abgedruckt, die Anliegen zu Rechtsproblemen Enteignung, ausnahmsweise der Entschädigungsfonds. Der Bundesrat rief in den neuen Bundesländern betreffen. jedoch gegen das VermBerG den Vermittlungsausschuss an, der die Regelung letztlich strich, um nicht das gesamte VermBerG zu gefährden. 1. Allgemeine Bemerkungen über die Ausschussarbeit Die Länder forderten, dass der Erblastentilgungsfonds, mithin der Bundes- 1.1 Anzahl und Schwerpunkte der Eingaben haushalt, die Kosten für die nachträgliche Entschädigung tragen solle. Die Gesamtzahl der abschließend behandelten Petitionen betrug im Jahre Der BGH hat mit Urteil v. 14.9.2000 (III ZR 183/99 = NJ 2001, 141) in einem 2002 22.668 gegenüber 17.550 im Jahr 2001. Dies bedeutet, dass der Peti- vergleichbaren Fall entschieden, dass das betreffende Grundstück, für tionsausschuss trotz eines weiterhin rückläufigen Eingabeaufkommens dessen Enteignung in der ehem. DDR keine Entschädigung ausgekehrt die Anzahl der Petitionen, die bearbeitet und einer Erledigung zugeführt worden war, zum Verwaltungsvermögen des beklagten Bundeslandes wurden, gegenüber dem Vorjahr um 5.118 Eingaben steigern konnte. … gehörte und dass zu diesem auch Verbindlichkeiten zu zählen seien, die in engem, unmittelbaren Zusammenhang mit dem übernommenen Aktiv- 13.832 Eingaben gingen im Jahr 2002 beim Petitionsausschuss ein. Dies vermögen stünden. Der BGH verurteilte daher das Land, die nach den ein- entspricht durchschnittl. 55 Eingaben pro Arbeitstag. Gegenüber 15.765 schlägigen Entschädigungsregelungen der DDR festzusetzende Entschädi- Eingaben im Vorjahr ist eine Abnahme der Neueingänge um 1.933 – in gung an die enteigneten Alteigentümer zu zahlen. Prozentzahlen ausgedrückt um 12 v.H. – zu verzeichnen. Der Petitionsausschuss schloss sich ebenfalls der Rechtsauffassung an, dass Betrachtet man die Verteilung der Petitionen auf die einzelnen Bundes- der nachträgliche Ausgleich, der »stecken gebliebenen« Entschädigungen ministerien, so ist nach wie vor das frühere Bundesministerium für Arbeit durch den faktisch durch die Enteignung begünstigten Träger öffentlicher und Sozialordnung (seit Beginn der 15. WP Bundesministerium für Wirt- Verwaltung zu leisten sei, und sprach sich für die Schaffung einer gesetz- schaft und Arbeit bzw. Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) lichen Regelung aus, die auch die Verjährung der Ansprüche regelt. Er mit 3.577 Petitionen das Ressort, zu dem die bei weitem meisten Eingaben empfahl daher, die Petition der Bundesregierung – dem BMJ – zur Berück- eingingen. Gemessen am Gesamtvolumen der eingegangenen Petitionen sichtigung zu überweisen und gab sie den Fraktionen des Deutschen entfallen über 25 v.H. der Eingaben auf das BMA, nunmehr BMWA bzw. Bundestages zur Kenntnis. BMGS. Mit einem jeweils etwa gleich hohen prozentualen Anteil am Gesamtaufkommen der Eingänge folgen das BMI mit 1.749 und das BMJ Die Bundesregierung teilte in ihrer Antwort auf den Berücksichtigungsbe- mit 1.393 Petitionen. … schluss des Deutschen Bundestages mit, dass die beteiligten Ressorts wegen Es dominierten die Themenbereiche Überführung von Rentenansprüchen, des anhaltenden Widerstands der Bundesländer ein Gesetzgebungs- Asylangelegenheiten und Maßnahmen gegen den internationalen Terror verfahren in der 14. Legislaturperiode für aussichtslos hielten. In weiteren vor dem Hintergrund der Terroranschläge gegen die USA am 11.9.2001. Bund-Länder-Besprechungen solle der Versuch unternommen werden, sich auf einen Entwurf zu einigen, der in der kommenden Legislatur- Die Anzahl der Bitten zur Gesetzgebung hat sich von 6.466 Legislativpeti- periode eingebracht werden könne. … tionen im Jahr 2001 auf 5.030 Legislativpetitionen im Jahr 2002 verringert. Die Anzahl der Beschwerden belief sich auf 8.802 Petitionen im Jahr 2002 gegenüber 9.299 im Jahr 2001. … 2.4.8 Vermögensrechtliche Entschädigung von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 Das Land mit den wenigsten Eingaben, nämlich mit 89 pro eine Mio. Ein- wohner, ist das Saarland. Schleswig-Holstein weist im Berichtszeitraum in Mehrere Petitionen befassten sich mit der folgenden Problematik aus dem den alten Bundesländern mit 145 Eingaben pro eine Mio. der Bevölkerung Bereich des Vermögensrechts: Betroffen sind mehrere Familien von die höchste Eingabenzahl auf. In den neuen Bundesländern liegt Sachsen Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944, die bis zum Kriegsende nicht ent- mit 319 Petitionen, gerechnet auf eine Mio. Bürgerinnen und Bürger, hin- deckt worden waren. Zwar entgingen diese dadurch der Strafverfolgung sichtlich der Eingabenzahl an der Spitze. … und drohenden Hinrichtung, auch wurden ihre Vermögen nicht von den Nationalsozialisten beschlagnahmt. Allerdings wurden so ihre auf dem 2. Einzelne Anliegen Gebiet der SBZ gelegenen Ländereien erst im Zuge der Bodenreform enteignet. Diese Enteignungen werden nach dem VermG entsprechend der 2.4 Bundesministerium der Justiz Vereinbarung im EinigungsV nicht rückgängig gemacht. Die Petenten, Die Zahl der Neueingaben zum Geschäftsbereich des BMJ verringerte sich einer von ihnen selbst ein Beteiligter des 20. Juli 1944, baten um die Rück- im Berichtszeitraum auf 1.744 gegenüber 2.443 im Vojahr. gabe des enteigneten Grundvermögens an die betroffenen Familien bzw. Deutlich rückläufig waren u.a. Eingaben zu der am 1.1.2001 in Kraft regten an, doch zumindest über die Zuweisung zusätzlicher Haushalts- getretenen Anpassung der unterhaltsrechtlichen Regelbeträge für Kinder mittel an die Stiftung »20. Juli 1944«, die Familien der Widerstandskämp- ebenso wie Eingaben zum Versorgungsausgleich für die vor 1992 in den fer unterstützt, eine entsprechende Wiedergutmachung zu leisten. neuen Bundesländern geschiedenen Ehen. Der Petitionsausschuss hat die Eingaben geprüft und holte dabei auch eine Demgegenüber lag ein Schwerpunkt bei den Neueingaben nach wie vor bei Stellungnahme des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages ein, Petitionen zu offenen Vermögensfragen. Zahlreiche Eingaben betrafen dem ein Gesetzentwurf der Fraktion der FDP zur Beratung vorlag, das auch das Sorgerecht von nicht miteinander verheirateten Elternteilen. VermG um den Rückgabetatbestand »aktive Widerständler« zu ergänzen. Im Bereich der Rechtspflegekosten gingen mehrere Eingaben zu Gerichts- Dieser Gesetzentwurf fand keine Mehrheit und wurde von den übrigen kosten und zur Entschädigung von Sachverständigen ein. … Fraktionen überwiegend als zu allgemein abgelehnt. Auch können die Enteignungen der nicht entdeckten Widerstandskämp- 2.4.1 »Stecken gebliebene« Entschädigungen für Enteignungen in der DDR fer im Zuge der Bodenreform vermögensrechtlich nicht als national- In mehreren Eingaben wurde der Petitionsausschuss um Unterstützung für sozialistisches Unrecht iSv § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG behandelt werden. das Anliegen gebeten, die sog. stecken gebliebenen Entschädigungen an Das Vermögensrecht regelt die Wiedergutmachung individuell erlittenen die Berechtigten auszukehren. In den entsprechenden Fällen waren Ent- Unrechts, und zu einem individuellen nationalsozialistischen Unrecht ist eignungen vorgenommen worden, für die den Betroffenen nach den ein- es in diesen Fällen vor Kriegsende gerade nicht mehr gekommen. schlägigen Gesetzen der ehem. DDR eine Entschädigung zustand, deren Der Petitionsausschuss bezeugte jedoch seinen Respekt vor dem Mut der Auszahlung oder die Begründung einer entsprechenden Schuldbuchfor- Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime und unterstützte daher die von derung jedoch unterblieb. Teilweise wurde sogar die Feststellung der Ent- einem der Petenten angeregte Fondslösung über die Stiftung »20. Juli schädigungssumme unterlassen. In diesen Fällen lehnten die zuständigen 1944«. Da es sich bei der Einstellung von Mitteln in den Bundeshaushalt ÄRoV Anträge auf Rückübertragung oder Entschädigung unter Hinweis um eine parlamentarische Entscheidung handelt, sah der Ausschuss von auf die Vorschriften des VermG ab. Eine nachträgliche Auszahlung der einer Überweisung der Eingaben an die Bundesregierung ab und gab sie Entschädigungssumme fand nicht statt. den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis. …

Neue Justiz 9/2003 467 Dokumentation Petitionsbericht 2002

2.5 Bundesministerium der Finanzen bzw. die Kreditanstalt für Wiederaufbau als Rechtsnachfolgerin der Staats- 2.5.2 Senkung des Kaufpreises eines Hausgrundstücks bank der DDR noch das Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) konnten Aussagen zum Schicksal der Anzahlung treffen, d.h. es blieb Eine Petentin aus Brandenburg wandte sich an den Ausschuss und beschwerte unklar, welchem Haushalt der Betrag zugeflossen ist und wer damit für eine sich über den von der TLG geforderten Kaufpreis für ein von ihr noch zu Rückzahlung des Betrags zuständig war. DDR-Zeiten bebautes Grundstück. Der Petitionsausschuss vertrat einvernehmlich die Auffassung, dass diese Das Grundstück sei bereits im Jahre 1955 von der Familie angemietet, von zwischen BMF, BMVg und dem Land Berlin offene Streitfrage keineswegs ihr nutzbar gemacht und mit einem Bungalow bebaut worden. Bereits zulasten des Petenten gehen könne. 1991 habe sie einen Antrag auf Kauf des Grundstücks gestellt. Seitdem habe keine Einigkeit über den Kaufpreis erzielt werden können. Der Ausschuss empfahl deshalb, die Petition der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen, verbunden mit der Erwartung, dass Für den Petitionsausschuss stellte sich die Sach- und Rechtslage so dar, dass das BMF und das BMVg ggf. gemeinsam mit dem Land Berlin für Abhilfe das grundsätzliche Problem des Falles in der planungsrechtlichen Beurtei- sorgen. Zugleich empfahl der Petitionsausschuss, die Petition dem lung des Grundstücks lag. Ursprünglich hatte das Grundstück lediglich zu Abgeordnetenhaus von Berlin zuzuleiten, damit geprüft werden könne, Erholungszwecken gedient und war mit stillschwiegender Duldung der inwieweit der Petent aus dem Veräußerungsvertrag des Landes seinen Stadt zum Dauerwohnsitz umgewandelt worden. Zur unterschiedlichen Anzahlungsbetrag erstattet bekommen kann. Beurteilung des Bodenwerts trugen auch die unpräzisen Feststellungen des Stadtplanungsamtes bei. Die erstellten Verkehrswertgutachten waren Das BMF teilte dem Petitionsausschuss daraufhin mit, dass der Petent nach ebenfalls nicht sachgerecht. dem Ergebnis der erneuten Prüfung Anspruch auf die Rückzahlung des Anzahlungsbetrags durch den Bund habe und eine entsprechende Über- Der Petitionsausschuss war der Ansicht, dass Staatseigentum zwar nicht weisung an den Petenten erfolgen werde. … unter Wert verkauft werden dürfe, dass jedoch zu berücksichtigen sei, dass das ursprüngliche Erholungsgrundstück von der Petentin unter Duldung der Stadt zu einem Wohngrundstück umgewandelt worden war und dabei 2.8 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erhebliche Investitionen getätigt worden waren. Zudem erschien ihm die (jetzt: Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung) lange Bearbeitungszeit von nunmehr über zehn Jahren … nicht hin- Der überwiegende Teil der Eingaben zur Sozialversicherung betraf auch im nehmbar. … Berichtsjahr wieder den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Petitionsausschuss empfahl, die Petition der Bundesregierung – dem Hierzu lagen dem Petitionsausschuss rd. 3.350 Eingaben vor. BMF – zur Erwägung mit dem Ersuchen zuzuleiten, nach Möglichkeiten der Einen besonderen Bearbeitungsschwerpunkt bildeten Zuschriften, in Abhilfe zu suchen. In der Folgezeit unterbreitete die TLG der Petentin ein denen ehem. Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn, der Deutschen Post neues Angebot innerhalb der vom Petitionsausschuss angeregten Preis- sowie des Gesundheitswesens der DDR die Überführung ihrer Renten- spanne, das erheblich unterhalb des bisher verlangten Kaufpreises lag. ansprüche in die gesetzliche Rentenversicherung beanstandeten. Sie erwar- Damit konnte dem Anliegen entsprochen werden. … teten, dass für sie die Berücksichtigung des besonderen Steigerungsfaktors von 1,5 v.H. nach DDR-Recht erfolgt. 2.5.5 Bereinigung von NS-Unrechtsurteilen in der Zivilgerichtsbarkeit Der Petitionsausschuss wies darauf hin, dass mit dem 2. AAÜG-ÄndG die Ein Petent wandte sich dagegen, dass mit dem Ges. zur Aufhebung natio- Beschäftigten der ehem. Deutschen Reichsbahn so gestellt worden seien, nalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege v. 15.8.1998 als hätten sie für den Zeitraum vom März 1971 bis Dez. 1973 Beiträge zur (NS-AufhG) nur ein Teilbereich bereinigt wurde und Unrechtsurteile der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung entrichtet. Damit sei für diesen Zivilgerichtsbarkeit bestehen bleiben. Personenkreis eine Verbesserung erzielt worden. Mit dem NS-AufhG hat der Gesetzgeber verurteilende strafgerichtliche Darüber hinaus konnte der Petitionsausschuss dem Anliegen nicht ent- Entscheidungen bzw. strafrechtliche Maßnahmen aufgehoben, die nach sprechen, sondern nur darauf hinweisen, dass die Ergebnisse von Muster- dem 30.1.1933 während der NS-Zeit zur Durchsetzung oder Aufrechterhal- prozessen sowie Verfassungsbeschwerden abzuwarten seien. tung des nationalsozialistischen Regimes aus politischen, religiösen, rassi- In zahlreichen weiteren Petitionen wurden verschiedene rentenrechtliche schen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind. Begrenzungsregelungen des AÄÜG für Angehörige der Zusatz- und Sonder- Ziel des Gesetzgebers war dabei, die Betroffenen und ihre Angehörigen zu versorgungssysteme der DDR kritisiert. Mit Hinweis auf das 2. AAÜG- rehabilitieren und eine bestehende Regelungslücke zu schließen. Für Opfer, ÄndG, in dem die Entscheidungen des BVerfG v. 28.4.1999 (NJ 1999, 356 ff.) denen zivilrechtlich durch NS-Maßnahmen Unrecht zugefügt worden ist, umgesetzt wurden, empfahl der Ausschuss die Petitionsverfahren abzu- hatte der Gesetzgeber frühzeitig mit dem BundesentschädigungsG, dem schließen. BundesrückerstattungsG, dem Allgemeinen KriegsfolgenG und schließ- Der Petitionsausschuss hatte sich aber auch mit Eingaben zu befassen, in lich mit dem Ges. zur Errichtung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung denen die rentenrechtlichen Verbesserungen für ehem. Mitarbeiter des und Zukunft« entsprechende gesetzliche Grundlagen zur Beseitigung und MfS/AfNS als Verunglimpfung der Opfer der DDR-Diktatur kritisiert wur- Linderung der Rechtsfolgen geschaffen. Allerdings ist für die genannten den. Der Petitionsausschuss wies darauf hin, dass der Gesetzgeber bewusst Rechtsgrundlagen die Antragsfrist mit dem 31.12.2001 abgelaufen. nicht über die Mindestvorgaben des BVerfG hinausgegangen sei und dass Der Petitionsausschuss war der Auffassung, dass ein Ges. zur Aufhebung das 2. AAÜG-ÄndG andererseits auch Änderungen des BerRehaG gebracht nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Zivilgerichtsbarkeit – anders habe, die dazu führten, dass politisch Verfolgte mindestens eine Rente als in der Strafrechtspflege – keinen persönlichen Makel, d.h. immateriel- bekommen, die bei Weiterführung der beruflichen Tätigkeit ohne die len Schaden, löschen würde, sondern lediglich unrealistische Erwartungen Verfolgung erreicht worden wäre. an weitere materielle Entschädigungsmöglichkeiten auslösen könnte. Daneben erreichten den Petitionsausschuss auch mehrere Eingaben von Der Petitionsausschuss empfahl deshalb, das Petitionsverfahren abzuschlie- Bergleuten aus den neuen Bundesländern, mit denen diese eine Weitergel- ßen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte. … tung von DDR-Recht (Rentenbeginn ab 60) begehrten. Aufgrund des seit 1992 grundsätzlich einheitlichen Rentenrechts in ganz Deutschland und 2.5.7 Rückzahlung einer Anzahlung auf einen nicht erfolgten der gebotenen Gleichbehandlung sah der Petitionsausschuss keine Mög- Grundstückskauf lichkeit, sich für eine Rechtsänderung im Sinne der Petenten einzusetzen. Die Frage, wer für die Rückzahlung einer Anzahlung zuständig ist, wenn Zahlreiche Eingaben erreichten den Petitionsausschuss zu der für die Jahre ein beabsichtigter Kauf eines Grundstücks nicht zustande gekommen ist, 2000 und 2001 geplanten Aussetzung der nettolohnbezogenen Renten- lag der Eingabe eines Petenten zugrunde, der im Juni 1990 in der DDR eine anpassung. Während der Gesetzgeber zunächst daran festhielt, die Rent- Liegenschaft erwerben wollte. ner einen Beitrag zur Zukunftssicherung der Rentenversicherung in der Nachdem der Petent an das Ministerium der Verteidigung der DDR nach- Form leisten zu lassen, sodass ihre Renten zum 1.7.2000 nur in Höhe weislich eine Anzahlung geleistet hatte, konnten die geschlossenen Kauf- der gesamtdeutschen Preisniveausteigerungsrate des Vojahres angepasst verträge jedoch nicht mehr vollzogen werden. Die ehem. Liegenschaft der wurden, ist er vom Jahre 2001 an wieder zur lohnorientierten Renten- Nationalen Volksarmee wurde vielmehr dem Land Berlin zugeordnet, anpassung zurückgekehrt. Der Petitionsausschuss hat dementsprechend welches das Grundstück an einen Dritten weiterveräußerte. Weder das BMF empfohlen, die Petitionsverfahren abzuschließen.

468 Neue Justiz 9/2003 Petitionsbericht 2002

Frauen, die in der DDR vor dem 1.1.1992 geschieden wurden, forderten Aufgliederung der Petitionen nach Herkunftsländern eine Verbesserung ihrer Alterssicherung. Der Ausschuss empfahl, die Petitionen – soweit die Geschiedenenwitwenversorgung angesprochen auf auf wurde – der Bundesregierung als Material zu überweisen und den Frak- Herkunftsländer Jahr 1 Mio. in v.H. Jahr 1 Mio. in v.H. tionen des Deutschen Bundestags zur Kenntnis zu geben. Die Bundes- 2002 d. Bevöl- 2001 d. Bevöl- kerung kerung regierung hat eine interministerielle Arbeitsgruppe gebildet, welche die d. Landes d. Landes Möglichkeiten einer verbesserten Altersversogung der betroffenen Frauen Bayern 1.442 117 10,43 1.235 101 7,83 prüft. … Berlin 1.576 465 11,39 1.801 532 11,42 Wie in den Vorjahren erreichten den Petitionsausschuss zahlreiche Einga- Brandenburg 742 287 5,36 1.097 422 6,96 ben aus den neuen Ländern, in denen eine schnellere Angleichung des Bremen 69 104 0,50 83 126 0,53 aktuellen Rentenwerts (Ost) auf das Niveau des aktuellen Rentenwerts Baden-Württemb. 1.010 95 7,30 1.148 109 7,28 Hamburg 199 115 1,44 242 141 1,54 (West) gefordert wurde. Die Petenten kritisierten insbes., dass trotz Hessen 776 128 5,61 812 134 5,15 differenzierter Rentenanpassung zwischen den alten und neuen Ländern Meckl.-Vorp. 426 243 3,08 744 419 4,72 zum 1.7.2001 und 1.7.2002 der Abstand zwischen den aktuellen Renten- Niedersachsen 1.122 141 8,11 1.113 140 7,06 werten größer werde. Der Petitionsausschuss entgegnete, dass sich zwar die Nordrhein-Westf. 2.301 127 16,64 2.366 131 15,01 absoluten Abstände zwischen den aktuellen Rentenwerten seit dem Jahre Rheinland-Pfalz 447 110 3,23 545 135 3,46 2001 vergrößert hätten, sich aber der relative Abstand – auf den es bei der Sachsen-Anhalt 615 240 4,45 931 356 5,91 Umsetzung des sozialpolitischen Ziels, den aktuellen Rentenwert (Ost) auf Sachsen 1.391 319 10,06 1.755 397 11,13 Saarland 95 89 0,69 117 109 0,74 100 v.H. des aktuellen Rentenwerts (West) anzuheben, allein ankomme – Schleswig-Holstein 408 145 2,95 387 139 2,45 verringert habe. Thüringen 576 240 4,16 685 282 4,35 Neben Eingaben mit gesetzgeberischen Anliegen wurde in rd. 600 Petitio- Ausland 637 4,61 704 4,47 nen Beschwerde über die Arbeitsweise der Rentenversicherungsträger und insgesamt 13.832 100,00 15.765 100,00 die Rentenberechnung im Einzelfall geführt. Hier konnte im Rahmen der Petitionsverfahren in zahlreichen Fällen Abhilfe geschaffen werden. … Anm. d. Redaktion: Zu Ergebnissen des Petitionsberichts 2001 siehe NJ 2002, 469 ff.

Zum Nutzerwechsel bei Erholungs- und neben dem alten und neuen Nutzer auch der Grundstückseigentümer beteiligt sein muss. Der Käufer kann auf diese Weise mit Zustimmung des Garagengrundstücken in den neuen Ländern Grundstückseigentümers in den bestehenden Vertrag eintreten, an Merkblatt des Bundesministeriums der Justiz dessen Inhalt und rechtlichem Charakter sich im Übrigen nichts ändert. 5. In dem dreiseitigen Vertrag können bei Bedarf auch inhaltliche Ände- rungen des Nutzungsvertrags vereinbart werden. Es könnten bspw. A. Was gilt vor dem Verkauf der Baulichkeit Absprachen zum Nutzungsentgelt, zur Vertragsbeendigung, zu Neben- Mancher Bürger möchte oder muss das Erholungs- oder Garagengrund- pflichten u.Ä. aufgenommen oder vorhandene Vereinbarungen hierzu stück, das er auf der Grundlage eines bereits zu DDR-Zeiten abgeschlosse- abgeändert werden. Der neue Nutzer und der Grundstückseigentümer nen Vertrags nutzt, aufgeben. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Viele können den Vertrag aber auch später jederzeit einvernehmlich ändern. betroffene Bürger wollen dazu das Erholungs- oder Garagengrundstück an 6. In entsprechender Weise kann auch bei einem weiteren neuerlichen einen anderen Nutzer weitergeben und diesem das Wochenendhaus, die Nutzerwechsel vorgegangen werden. Denn Anpflanzungen und Baulich- Laube, den Bootsschuppen, die Garage usw. (im Folgenden Baulichkeit keit bleiben Eigentum des Nutzers so lange, wie der zu DDR-Zeiten genannt) und die Anpflanzungen auf dem Grundstück verkaufen, wie es abgeschlossene Nutzungsvertrag in seinem Bestand erhalten bleibt. schon zu DDR-Zeiten üblich war. Auch die Rechtsnachfolger ehem. volks- Wird zu einem späteren Zeitpunkt ein neuer Nutzungsvertrag über das- eigener Betriebe, auf die das Eigentum an den vom Rechtsvorgänger selbe Grundstück abgeschlossen, treten die in Ziff. 3 aufgeführten Rechts- errichteten Baulichkeiten übergegangen ist, wollen häufig diese Baulich- folgen ein. Der neue Vertrag unterliegt dann nicht mehr den Bestimmun- keiten verkaufen. Um einen solchen Nutzerwechsel juristisch beanstan- gen des SchuldRAnpG, sondern er richtet sich allein nach dem BGB. dungsfrei herbeizuführen, müssen aber seit In-Kraft-Treten des SchuldR- AnpG am 1.1.1995 folgende rechtlichen Aspekte beachtet werden: B. Was gilt nach dem Verkauf der Baulichkeit 1. Die von dem Nutzer auf dem Erholungsgrundstück vorgenommenen Nun ist es denkbar, dass mancher Nutzer – möglicherweise in Unkenntnis Anpflanzungen und die von ihm darauf errichtete Baulichkeit sind vom der Rechtslage – seine Baulichkeit einem Dritten verkauft hat, ohne dass Eigentumsrecht am Grundstück unabhängiges Eigentum des Nutzers zugleich schon eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Käufer und (vgl. Art. 231 § 5 Abs. 1 EGBGB). Der Nutzer ist deshalb rechtlich in der dem Grundstückseigentümer über die Nutzung des Grundstücks abge- Lage, Anpflanzungen und Baulichkeit an einen Dritten zu verkaufen schlossen worden ist. Vielfach wird nämlich angenommen, dass man mit und ihm das Eigentum daran zu übertragen. Ein entsprechender Vertrag dem Verkauf der Baulichkeit zugleich aus dem bestehenden Nutzungs- braucht nicht notariell beurkundet zu werden. rechtsverhältnis ausgeschieden sei. Diese Annahme ist aber ebenso unzu- 2. Der Kauf der Anpflanzungen und der Baulichkeit allein berechtigt aber treffend wie die Auffassung, allein mit dem Verkauf der Baulichkeit dem den Käufer nicht dazu, das Grundstück, auf dem sie sich befinden, zu Käufer das Recht zur Nutzung des Grundstücks eingeräumt zu haben. In nutzen oder zu betreten. Diese Rechte genießt der Käufer – wie übrigens den genannten Fällen ist Folgendes zu beachten: auch nach den Vorschriften des ZGB der DDR – nur, wenn er auch Mie- 1. Anders als sich die Rechtslage nach dem Recht der ehem. DDR darstellte ter oder Pächter des Grundstücks wird. ist der Kaufvertrag über die Baulichkeit bei fehlender Übertragung des 3. Anders als nach den Vorschriften des ZGB der DDR braucht der Käufer Nutzungsrechts nicht nichtig, sondern mit Rechtsmängeln behaftet, allerdings nicht in jedem Fall einen neuen Miet- oder Pachtvertrag mit dem die zum Rücktrittsrecht und – wenn sie der Verkäufer zu vertreten hat – Grundstückseigentümer abzuschließen. Oft wird man schon deshalb zu Schadensersatzansprüchen des Käufers gegen den Verkäufer führen keinen neuen Vertrag abschließen wollen, weil dies zwingend die Auf- (§§ 433 Abs. 1, 435, 437, 323 u. 280 ff. BGB). Gegenüber dem Grund- lösung des alten Vertrags verlangen würde bzw. zur Folge hätte. Die stückseigentümer wird dem Käufer dagegen nur das Wegnahmerecht Beendigung des alten Vertrags wiederum führt nach § 11 des SchuldR- bzgl. der Baulichkeit verbleiben. AnpG dazu, dass das Eigentum an der Baulichkeit kraft Gesetzes auf den 2. Der Käufer der Baulichkeit sollte sich in diesen Fällen bemühen, eine Grundstückseigentümer übergeht. Vereinbarung mit dem Verkäufer und dem Grundstückseigentümer über 4. Diese Folge wird vermieden, wenn der Käufer der Anpflanzungen und der die Übernahme des alten »DDR-Nutzungsvertrags« herbeizuführen. Baulichkeit den alten Vertrag des Nutzers übernimmt. Eine solche »Über- 3. Wenn diese Bemühungen scheitern, wird nur der Abschluss eines neuen nahme« erfolgt durch einen dreiseitigen Vertrag, an dessen Abschluss (BGB-)Vertrags in Frage kommen. Dies setzt aber die Aufhebung des

Neue Justiz 9/2003 469 Rezensionen Zum Nutzerwechsel bei Erholungs- und Garagengrundstücken …

alten Nutzungsvertrags (zwischen Verkäufer und Grundstückseigen- lichkeit bereits verkauft hat oder nicht. War der Kaufvertrag allerdings tümer) voraus. Die Beendigung dieses Vertragsverhältnisses wiederum bereits geschlossen und der Kaufpreis gezahlt, so wird der »Käufer« den führt dazu, dass das Eigentum an dem Wochenendhaus oder an der Kaufpreis vom Verkäufer zurückfordern, weil er ja das zunächst erwor- Garage nach § 11 Abs. 1 SchuldRAnpG auf den Grundstückseigentümer bene Eigentum infolge der Aufhebung des ursprünglichen Nutzungs- übergeht. Dabei ist es unerheblich, ob der ursprüngliche Nutzer die Bau- vertrags an den Grundstückseigentümer verloren hat.

Jens Meyer-Ladewig Thomas Raiser/Karl-Michael Schmidt/Peter-Friedrich Bultmann EMRK Anwaltsklausuren Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Klausurenlehre für Anfänger und Fortgeschrittene Handkommentar Verlag C. H. Beck, München 2003 Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003 324 Seiten, kart., 17,50 € 517 Seiten, geb., 69 € Zum richtigen Zeitpunkt haben Raiser/Schmidt/Bultmann ein für die neue Die Rechtsprechung zur EMRK entwickelt sich rasant. Da die Urteile des Juristenausbildung wichtiges Buch vorgelegt. Das Gesetz zur Reform der EGMR in Straßburg nur auf englisch und französisch abgefasst werden, Juristenausbildung v. 11.7.2002 ist am 1.7.2003 in Kraft getreten. In den sind sie für deutsche Juristen schwer zugänglich. Übersetzungen erschei- meisten Bundesländern wird die jeweilige landesrechtliche Umsetzung nen gelegentlich in dieser Zeitschrift, der NJW und der EuGRZ. Gleichwohl ebenfalls noch in diesem Jahr wirksam. In Brandenburg und Berlin – beide bleibt der Großteil der Straßburger Jurisprudenz weitgehend unentdeckt. Länder haben inhaltsgleiche Gesetze – ist dies seit dem 1.7.2003 der Fall. Wie Meyer-Ladewig in seinem Vorwort zutreffen bemerkt, ist die sich daraus In vielen juristischen Fakultäten liegen bereits neue Studien- und Prüfungs- ergebende Wissenslücke bedenklich. Denn die EMRK in ihrer Auslegung ordnungen vor. Bereits mit dem Wintersemester 2003/04 kann deshalb an wird auch für Deutschland immer wichtiger, und es wird langfristig kein den meisten Universitäten Rechtswissenschaft nach neuem Recht studiert Weg daran vorbeiführen, das einfache Gesetzesrecht sowie die Grund- werden. rechte konventionskonform auszulegen, um Verurteilungen aus Straßburg Die Vermittlung der Pflichtfächer wird künftig die praktische Bedeutung zu vermeiden. und Anwendung des Rechts einschließlich der Rechtsberatung berück- Der Autor hat sich das Ziel gesetzt, durch eine praxisnahe Kommen- sichtigen müssen. Die anwaltsorientierte Ausbildung beginnt an der Univer- tierung die wesentlichen Aspekte der EMRK-Rechtsprechung einzufangen. sität. Aufgaben und Arbeitsmethoden der gerichtlichen und außergericht- In der Tat werden die wegweisenden Urteile aus den 1980er und 90er Jah- lichen Vertretung von Parteien, der Rechtsberatung und Rechtsgestaltung ren nachgewiesen, als auch viele Urteile des nunmehr ständig tagenden im privaten und im öffentlichen Recht sowie der Strafverteidigung, der »neuen« Gerichtshofs. Uneingeschränkt kann das Buch daher als Fund- Konfliktvermeidung und der Streitschlichtung sollen in Lehrveranstal- stelle und Nachschlagwerk für das Aufspüren einschlägiger Rechtspre- tungen vermittelt werden. chung empfohlen werden. Gerade die Auswertung der neueren Judikatur Für die nun mit dem Studium der Rechtswissenschaft beginnenden ist von besonderem Wert, ist doch der Kommentar von Frowein/Peukert in Studenten bietet das von den Autoren – erfahrenen Wissenschaftlern seiner 2. Auflage aus dem Jahr 1996 zunehmend weniger in der Lage, ein und Praktikern – verfasste Werk eine hervorragende Grundlage, sich mit abschließendes Bild über den Stand der Rechtsprechung zu geben. den Methoden der Rechtsberatung und Rechtsgestaltung vertraut zu Umgekehrt stößt der Handkommentar schnell an seine Grenzen, wenn machen. es darum geht, komplexere Zusammenhänge des materiellen Rechts zu Das Buch gliedert sich in einen theoretischen und einen praktischen erläutern oder gar zu bewerten. So dürfte etwa der in vier Randziffern Teil. In einer Art allgemeiner Einführung werden die Unterschiede zwi- verpackte Abschnitt über das Verhältnis der EMRK zum Menschenrechts- schen der Richter- und der Anwaltsausbildung deutlich gemacht. Für sehr schutz in der EU (S. 35) einem Leser ohne fundierte Vorkenntnisse wenig gelungen halte ich, dass die Verfasser die Beratungs- und Gestaltungs- weiterhelfen. Die erklärungsbedürftige Unterscheidung des Gerichtshofs, aufgaben typologisieren. Auch wenn die von ihnen herausgearbeiteten die territoriale Anwendbarkeit der Konvention für Akte türkischer Soldaten fünf Typen: auf Nordzypern zu bejahen, sie für NATO-Bombardements in Jugoslawien – Rechtliche Planung von Vorhaben, Ausloten rechtlicher Handlungs- aber zu verneinen, wird schlicht übergangen (S. 38). Wenn sich Meyer- spielräume und Vermeidung rechtlicher und sozialer Konflikte Ladewig ausnahmsweise zu einer eigenen Stellungnahme durchringt, – Rechtliche Kontrolle vorhandener Regelwerke so fällt diese dagegen überzeugend aus, so etwa seine Einschätzung, die – Rechtsgestaltung: Normsetzung und Vertragsgestaltung Abweichungen des BVerwG zu den Straßburger Judikaten zum Abschie- – Außergerichtliche Interessenvertretung gegenüber einer Gegenpartei bungsschutz bei nichtstaatlicher Verfolgung gem. Art. 3 EMRK seien und Konfliktregelung »bedenklich« (S. 65). Gute Orientierungshilfen bietet sein Überblick über das in der Praxis zentrale Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK), wäh- – Parteivertretung im Prozess rend der Rezensent die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Staat sich naturgemäß nicht immer scharf trennen lassen, so bietet dieser Ansatz und Kirche oder den Besonderheiten der Pressefreiheit bei der Kommen- sehr gute didaktische Möglichkeiten. tierung der Religions- und Meinungsfreiheit (Art. 9 u. 10 EMRK) vermisst. Die Autoren erläutern anschaulich und gut verständlich die Methoden Im institutionellen Teil (S. 215-323) gelingt es dem Autor, kurz und präg- der Bearbeitung von Aufgaben zur Rechtsberatung und Rechtsgestaltung. nant das Straßburger Verfahren idF des 11. Zusatzprotokolls aufzubereiten. Der von ihnen dargestellte Aufbau der Lösung von Anwaltsaufgaben ist Etwas irritierend erscheint allenfalls die Auflistung von Beweislastregeln sehr gut nachvollziehbar und dürfte den Studierenden eine wertvolle Hilfe (S. 274). Das Erfordernis einer stichhaltigen und ausreichenden Begrün- sein. dung staatlicher Stellen für einen Eingriff gehört sicher nicht zum Thema Zu Recht weisen die Autoren darauf hin, dass es unerlässlich ist, neben des Beweises strittiger Tatsachen, sondern ist eine Anforderung des mate- der anwaltsorientierten Ausbildung die gerichtsorientierte nicht zu ver- riellen Verhältnismäßigkeitsprinzips. gessen. Ihre These, dass das Recht im Dreiecksverhältnis zwischen adver- Am Ende des Handbuchs sind nützlicherweise noch diejenigen Texte satorisch handelnden Interessenvertretern und unparteilich über ihnen abgedruckt, die für die Erhebung einer Beschwerde aus praktischer Sicht stehenden Richtern entsteht und wirkt und deshalb beides gelehrt werden Bedeutung erlangen, nämlich die Verfahrensordnung und das Merkblatt muss und gut ausgebildete Juristen beides beherrschen müssen, kann nur für Beschwerden. unterstützt werden. Gemessen an den eigenen Ansprüchen, ergibt sich insgesamt ein posi- Das Buch belässt es nicht bei theoretischen Ausführungen, sondern tives Fazit. Der Handkommentar zur EMRK durchdringt konzentriert die enthält einen umfangreichen praktischen Teil. Dieser greift die oben dar- wichtigsten Aspekte der Straßburger Rechtsprechung und erleichtert durch gestellten fünf Typen der Beratungs- und Gestaltungsaufgaben wieder auf. seine Aktualität das Auffinden einschlägiger Judikate, welche auch für Jedem Themenkomplex werden mehrere Klausuren mit Lösungshinweisen die Auslegung und Anwendung deutschen Rechts von Bedeutung sein zugeordnet. Sehr gut finde ich, dass nach den Lösungshinweisen jeweils können. Insofern konnte Meyer-Ladewig eine immer größer klaffende Lücke noch didaktische Anmerkungen folgen. schließen. Für eine vertiefte wissenschaftliche Auseindersetzung mit dem Insgesamt kann das Buch als ein gelungenes, an den veränderten Aus- Stoff bleibt dagegen ein Rückgriff auf den Kommentar von Frowein/Peukert bildungsbelangen orientiertes Werk für Studierende, Universitäten und schon angesichts der (bewusst) spärlich gehaltenen Literaturhinweise und Prüfungsämter empfohlen werden. Bewertungen im Handkommentar unentbehrlich. Hans-Ulrich Borchert, Präsident des Justizprüfungsamts Dr. Frank Hoffmeister, Brüssel des Landes Brandenburg

470 Neue Justiz 9/2003 01 VERFASSUNGSRECHT Der Antrag hatte Erfolg.

01.1 – 9/03 Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Abgeordnetenstellung/Ausschluss aus Landtagsfraktion/verfahrens- Rund die Hälfte der Rechtsausführungen des LVerfG befasst sich mit und materiell-rechtliche Anforderungen/Organstreitverfahren vor Zulässigkeitsfragen. Für die Beteiligtenfähigkeit des Ast. als Abgeord- LVerfG neten im Organstreit nach Art. 53 Nr. 1 LV M-V kommt es maßgeblich LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 27. Mai 2003 – 10/02 auf seinen Status in dem Zeitpunkt an, zu dem er den Verfassungsstreit LV M-V Art. 22 Abs. 1 u. 2, 25 Abs. 1 u. 2, 53 Nr. 1 anhängig gemacht hat (ebenso BVerfGE 4, 144, 152; 102, 224, 231; Thür. VerfGH, LKV 2000, 449). Auch die Beteiligtenfähigkeit der Ag. 1. Für die Beteiligtenfähigkeit eines Abgeordneten im Streit um eine wird vom LVerfG bejaht, obwohl die Ag. mit dem Zusammentritt des aus dem Abgeordnetenstatus folgende Rechtsposition ist sein Status 4. Landtags und der dadurch eingetretenen personellen Diskontinuität zu dem Zeitpunkt maßgeblich, zu dem er den Verfassungsstreit ihre durch die ursprüngliche mitgliedschaftliche Zusammensetzung anhängig gemacht hat. geprägte Körperschaftlichkeit verloren hat. Zwar gibt es einen Kern 2. Welchen Einfluss das Ende einer Legislaturperiode und die Neuwahl unbestrittener materieller Folgen personeller Diskontinuität, der aus des Landtags auf Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht haben, dem Prinzip der sich periodisch erneuernden Repräsentation und der ist eine primär verfassungsprozessuale Frage. Auch wenn sich auf darauf fußenden zeitlich begrenzten Legitimation der Abgeordneten Grund der mit dem Zusammentritt eines Landtags eingetretenen folgt (H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 39 Rn 61; Jekewitz, personellen Diskontinuität die ursprüngliche mitgliedschaftliche JöR 27 [1978], 154). Dieser besteht insbes. in der Freiheit des neu Zusammensetzung der Fraktion ändert, entfällt ihre Beteiligtenfähig- gewählten Parlaments zur Verfolgung eigener politischer Programme keit im Organstreitverfahren nicht schon deshalb, weil nach Anhän- ohne Bindungen an vorangegangene Anträge aus dem alten Parla- gigkeit des Organstreits ein neuer Landtag gewählt wurde. ment. Der Grundsatz der Diskontinuität fordert nach Auffassung des 3. Von einem öffentlichen Interesse an der Entscheidung eines LVerfG jedoch nicht die Beendigung aller zum Ausgang der Wahl- Organstreitverfahrens ist auszugehen, wenn das ordnungsgemäß periode noch nicht abgeschlossener Organstreitverfahren, an denen anhängig gemachte Verfahren nicht nur durch zeitbedingte Umstände Verfassungsorgane oder andere Berechtigte, die der personellen Dis- im Zusammenhang mit der abgelaufenen Wahlperiode geprägt ist kontinuität unterliegen, beteiligt sind (im Ergebnis ebenso: Sächs. und verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, deren verbindliche Ent- VerfGH, SächsVBl. 1995, 16, 17; BVerfGE 4, 144, 152; 73, 1, 15, 30; scheidung im Hinblick auf die damit verbundene Klärung, Entwick- VerfGH NRW, DVBl. 1997, 824; vgl. auch Morlok, in: Dreier (Hrsg.), lung und Bewahrung des Verfassungsrechts für das künftige Verfas- GG-Komm., 1998, Art. 39 Rn 23; a.A. Jekewitz, DÖV 1976, 657 ff.; sungsleben bedeutsam sind. Löwer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR II, 1987, § 56 Rn 12). Maß- 4. Die Entscheidung über den Verlust der Fraktionszugehörigkeit gebliche Erwägungen sind für das Gericht eine bedingte organschaft- einzelner Abgeordneter steht nicht im Belieben der Fraktion. Sie liche Kontinuität der Fraktion, die Funktion des Organstreitver- setzt zumindest die Berücksichtigung rechtsstaatlicher wie demokra- fahrens, auch der Klärung und Weiterentwicklung des objektiven tischer Verfahrensregeln sowie einen auf vollständiger Erkenntnis- Verfassungsrechts zu dienen (weswegen bzgl. der Beteiligtenfähigkeit grundlage beruhenden, willkürfreien Entschluss der Fraktionsver- des Ast. auch auf den Zeitpunkt der Antragstellung abgestellt wird). sammlung voraus. Wäre man anderer Auffassung, könnte insbes. gegen Ende einer 5. In dem Verlust der Parteizugehörigkeit wie auch in dem dazu Wahlperiode eine gravierende Rechtsschutzlücke entstehen. führenden Verhalten können ausreichende Gründe für den Ausschluss Während sich die Antragsbefugnis des Ast. wegen einer möglichen aus einer Fraktion liegen. Jedenfalls bei einer parteirechtlichen Verletzung seines Rechts auf freies Mandat aus Art. 22 Abs. 1 u. 2 LV Unklarheit ist das Verhalten des Mitglieds eigenständig durch die M-V als unproblematisch erwies, war das Rechtsschutzinteresse des Fraktionsversammlung zu würdigen, wenn die Fraktion dieses zur nicht dem Landtag angehörenden Ast. fraglich. Im Ergebnis verneint Grundlage eines Fraktionsausschlusses machen will. das Gericht das Rechtsschutzinteresse, bejaht jedoch ein öffentliches Interesse an der Weiterführung des Verfahrens, weil es verfassungs- Problemstellung: rechtliche Fragen aufwirft, deren verbindliche Entscheidung im Hin- Gegenstand des Organstreitverfahrens ist die Frage, ob die Ag., die blick auf die damit verbundene Klärung, Entwicklung und Bewahrung SPD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern, den Ast., ein des Verfassungsrechts für das künftige Verfassungsleben bedeutsam ehem. Mitglied des Landtags Mecklenburg-Vorpommern, durch Aus- sind (ebenso BVerfGE 24, 299, 300; Sächs. VerfGH, SächsVBl. 1995, schluss aus der Fraktion in seinem Recht auf Ausübung seines freien 227). Es entspricht zwar ganz überwiegender Auffassung, dass ein Mandats aus Art. 22 Abs. 1 LV M-V verletzt hat. Fraktionsausschluss jedenfalls aus wichtigem Grund zulässig sein kann Der Ast. gehörte seit Beginn der 3. Wahlperiode (1998 bis 2002) der (VerfG Bbg., LVerfGE 4, 190, 198) und der etwaige Verlust der Partei- Ag. an. Für die Landtagswahl am 22.9.2002 kandidierte er als Einzel- zugehörigkeit dazu zählt (H. H. Klein, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), bewerber. Unter Hinweis auf das Parteistatut forderte ihn der Kreis- aaO, § 41 Rn 16; Morlok, aaO, Art. 38 Rn 173). Verfassungsrechtlich verband seiner Partei auf, die Kandidatur aufzugeben, da ihre Auf- noch nicht behandelt worden sind nach Auffassung des LVerfG jedoch rechterhaltung als Austritt aus der Partei gelte. Der Ast. kam dem nicht die formellen und materiellen Voraussetzungen, denen der Fraktions- nach. Daraufhin setzte ihn der Kreisverband darüber in Kenntnis, dass ausschluss eines Landtagsabgeordneten genügen muss. er aus der Partei ausgetreten sei, und die Ag. teilte ihm mit, nach ihrer In der Begründetheit umschreibt das LVerfG zunächst den verfas- Geschäftsordnung sei er nicht mehr Mitglied der Fraktion, da er nicht sungsrechtlich gewährleisteten Status des Abgeordneten. Das freie mehr der SPD angehöre. Mandat umfasst auch das Recht auf Bildung einer Fraktion nach Der Ast. machte – neben anderen Verfahren – noch kurz vor der Art. 25 Abs. 1 u. 2 Satz 2 LV M-V sowie die fraktionelle Mitwirkung Landtagswahl das vorliegende Organstreitverfahren anhängig mit dem bei der parlamentarischen Willensbildung nach Art. 25 Abs. 2 LV (vgl. Antrag festzustellen, dass er Mitglied der Ag. ist. Nachdem er dem zu Art. 38 Abs. 1 GG: BVerfGE 43, 142, 149; 80, 188, 117 f.). Da der 4. Landtag von Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr angehört, Zusammenschluss zu einer Fraktion auf der jedem einzelnen Abge- beantragte er festzustellen, dass die Ag. ihn durch den Ausschluss aus der ordneten gewährleisteten freien Mandatsausübung beruht (BVerfGE Fraktion in seinen verfassungsrechtlich verbürgten Rechten verletzt hat. 80, 188, 220), sind die fraktionsangehörigen Abgeordneten auch

Neue Justiz 9/2003 471 Rechtsprechung Verfassungsrecht

grundsätzlich befugt, das Zusammenwirken mit einzelnen Abgeord- Kommentar: neten abzulehnen oder sie aus ihren Reihen auszuschließen (Arndt, in: Das LVerfG hat sich lang und breit mit Zulässigkeitsfragen befasst, Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 21 deren abstrakte Richtig- bzw. Vertretbarkeit hier nicht kritisiert werden Rn 24 mwN). Die Entscheidung über den Verlust der Fraktions- soll. Das Verfahren konnte im Ergebnis die Zulässigkeitshürde nur zugehörigkeit steht allerdings nicht im Belieben der Fraktion. Sie setzt nehmen, weil das Gericht ein öffentliches Interesse an der Klärung zumindest die Berücksichtigung rechtsstaatlicher wie demokratischer verfassungsrechtlicher Fragen bejaht hat, die für das künftige Verfas- Verfahrensregeln sowie einen auf vollständiger Erkenntnisgrundlage sungsleben bedeutsam sind. An diesem Anspruch wird die Entschei- beruhenden, willkürfreien Entschluss der Fraktionsversammlung dung zu messen sein. Was also ist ihr Ertrag? voraus (vgl. VerfG Bbg., aaO; Morlok, aaO, Art. 38 Rn 172 f.). Nichts Neues ist sicherlich, dass die Möglichkeit der Fraktionsbil- Das LVerfG verlangt daher eine autonome Entscheidung der Frak- dung Teil der freien Mandatsausübung des Abgeordneten ist. Auch tionsmitglieder über den Ausschluss eines Abgeordneten, organisato- rechtsstaatliche und demokratische Mindestanforderungen an das rische Maßnahmen wie die rechtzeitige Ladung zur Fraktionssitzung Verfahren beim Fraktionsausschluss werden nicht ernsthaft in Zweifel und die Information über den Beratungsgegenstand, Gelegenheit zu zu ziehen sein. Das Gericht hat Stimmen der Lit. und Judikate zusam- rechtlichem Gehör sowie die Beachtung des demokratischen Mehr- mengetragen, wonach materiell-rechtlich der Fraktionsausschluss heitsprinzips. Die autonome Entscheidung der Fraktionsmitglieder einen qualifizierten Grund voraussetzt, im Übrigen willkürfrei zu kann nicht durch fraktionsinterne oder Parteigremien ersetzt oder auf erfolgen hat, und gelangt zu der nicht überraschenden Erkenntnis, andere Stellen delegiert werden. Ganz überwiegend wird der Frak- dass der Verlust der Parteizugehörigkeit zumindest als Indikator des tionsausschluss materiell-rechtlich an das Vorliegen eines qualifizier- Wegfalls der politischen Grundübereinstimmung an sich ein ausrei- ten (»wichtigen«) Grunds gebunden (vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. I, chender Grund sein kann. Dies alles sprach also nicht zwingend für 1984, S. 1029 f.; Kasten, Zeitschr. f. Parlamentsfragen, 1985, 475, 482). die Bejahung des öffentlichen Interesses an der Fortsetzung des Organ- Das LVerfG entscheidet nicht abschließend, welchen inhaltlichen streitverfahrens. Anforderungen der Fraktionsausschluss im Einzelnen unterliegt und Wenn auch die Parteizugehörigkeit – weder verfassungsrechtlich nach welchen Kriterien das Vorliegen eines solchen Grunds beurteilbar noch stets in der Praxis – eine notwendige Bedingung für die und umfassend oder zumindest eingeschränkt verfassungsgerichtlich Fraktionszugehörigkeit ist, so ist es jedoch nahe liegend, dass eine kontrollierbar sein könnte (dazu Morlok, aaO, Art. 38 Rn 173 mwN). Fraktion sich in aller Regel eines Mitglieds entledigen will, das aus der Es stellt lediglich fest, dass in dem angenommenen Verlust einer oder einer der Parteien, der oder denen die Fraktion zugerechnet Parteizugehörigkeit ein ausreichender Grund für den Ausschluss aus wird, austritt oder ausgeschlossen wird. Im Gegensatz etwa zu einem der Fraktion liegen kann. Ein Parteiaustritt oder -ausschluss weist Abgeordneten, der aus einer anderen Partei und Fraktion ausgeschie- regelmäßig auf einen Wegfall der Übereinstimmung in den politi- den ist und in einer neuen Fraktion als parteiloses Mitglied Auf- schen Grundüberzeugungen hin. Liegt ein wichtiger Grund vor, ist die nahme findet, unterscheiden sich davon Austritt und Ausschluss aus Entscheidung im Übrigen frei von sachfremden und willkürlichen einer Partei qualitativ erheblich, denn im einen Fall wird die Annähe- Erwägungen zu treffen. rung, im anderen die Distanz zur Fraktion gesucht. Das Bestreben Da der Ast. zuvor nicht angehört worden ist und weil die Fraktions- einer Fraktion, einen automatischen Ausschluss aus der Fraktion für versammlung nicht selbst über den Verlust der Fraktionsangehörig- den Fall des Parteiaustritts oder -ausschlusses vorzusehen, ist daher keit unter Beachtung demokratischer Verfahrensregeln beraten und verständlich. Die Frage, ob eine solche Geschäftsordnungsregelung entschieden hat, gelangt das LVerfG zu dem Ergebnis, die Ag. sei verfassungsmäßig wäre und welche verfahrensrechtlichen Anforde- den dargelegten verfahrensrechtlichen Grundsätzen nicht gerecht rungen auch in diesem Zusammenhang zu stellen sind, wäre ver- geworden. fassungsgerichtlicher Klärung wert gewesen, ist aber weitgehend Das Gericht musste sich dann noch der GeschäftsO der Ag. unterblieben. zuwenden, wonach die SPD-Fraktion aus Mitgliedern des Landtags Das LVerfG meinte diese Frage offen lassen zu können, weil ein besteht, die der SPD angehören. Das LVerfG hegt Zweifel, ob mit geschäftsordnungsmäßiger Ausschluss aus der Fraktion erst eintreten dieser Bestimmung eine notwendige Verknüpfung zwischen Frak- könne, wenn »der parteirechtliche Status des Abgeordneten keinen tions- und Parteizugehörigkeit hergestellt wird. Es lässt offen, wie eine Unsicherheiten mehr unterläge, sondern endgültig geklärt wäre«. einfachgesetzliche oder geschäftsordnungsmäßige Regelung unter Dem mag man im konkreten Fall im Ergebnis zustimmen können, da verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu bewerten wäre, die die der Ast. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen seinen Bildung einer Fraktion an das Erfordernis parteipolitischer Homo- Rausschmiss aus der Partei Erfolg hatte. Leider ist die – ansonsten eher genität knüpft (hiergegen StGH Bremen, DVBl. 1971, 655, 657; vgl. eingehende – Begründung des Urteils an diesem Punkt der Entschei- demgegenüber Borchert, AöR 102 [1977], 210, 230; M. Schröder, dung, dem man als einzigem das Prädikat »verfassungsrechtlicher Grundlagen und Anwendungsbereich des Parlamentsrechts, 1979, Klärung« anheften könnte, eher kryptisch. Die Formulierung »end- S. 313 f., 424 f.) oder den Verlust der Parteimitgliedschaft als automa- gültig geklärt« dürfte bedeuten, dass es nicht auf den Ausgang eines tischen Beendigungsgrund für die Fraktionsmitgliedschaft bestimmt einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ankommt, sondern ein geschäfts- (kritisch dazu insbes. Demmler, Der Abgeordnete im Parlament der ordnungsmäßiger automatischer Ausschluss aus der Fraktion erst nach Fraktionen, 1994, S. 252; Kasten, aaO; Hölscheid, Das Recht der rechtskräftiger Entscheidung über den Parteiausschluss greift. Für das Parlamentsfraktionen, 2001, S. 479). Selbst wenn die GeschäftsO der politische Geschäft ist eine solche Regelung völlig unbrauchbar, da Ag. auf eine automatische Beendigung der Fraktionszugehörigkeit eine Fraktion i.d.R. eine schnelle Klärung der Situation anstreben bei Verlust der Parteizugehörigkeit gerichtet und eine solche ver- muss. Beim Parteiausschluss wird man in Zukunft daher i.d.R. eine fassungsrechtlich zulässig wäre, könnte diese Wirkung erst dann Befassung und Entscheidung der Fraktionsversammlung ins Auge eintreten, wenn der parteirechtliche Status des Abgeordneten keinen fassen müssen. Erfolgt ein solcher Ausschluss wegen von der Fraktion Unsicherheiten mehr unterliegt. Daran fehlte es nach Auffassung des angenommenen, vom Betroffenen aber bestrittenen Parteiausschlus- LVerfG im vorliegenden Fall, da die SPD nach einem Urteil des AG ses, dürfte das im Organstreit entscheidende VerfG nicht mehr um die Schwerin wegen Zweifeln an der Beachtung der einschlägigen Partei- Entscheidung der Frage herumkommen, ob es entweder inzidenter statuten verpflichtet worden war, dem Ast. einstweilen alle Rechte über die Wirksamkeit des Parteiausschlusses mit befindet oder aber den eines SPD-Parteimitglieds zu gewähren. Ausgang des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bzgl. des Partei-

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ausschlusses als Entscheidungskriterium für die Vertretbarkeit des 4. Die Regelung des § 21 Abs. 2 SächsPolG über das Aufenthalts- Fraktionsausschlusses akzeptiert. verbot berührt weder die Freiheit der Person (Art. 16 Abs. 1 Satz 2 Auf der Basis der Rspr. des LVerfG erscheint ein automatischer SächsVerf.) noch den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG. Der Ein- Ausschluss kraft GeschäftsO allenfalls noch beim Parteiaustritt sinn- griff in das durch Art. 15 SächsVerf. geschützte Selbstbestimmungs- voll. Da das Gericht aber auch diese Fallgestaltung nicht abschließend recht wiegt angesichts der räumlichen Weite des möglichen Verbots- entschieden hat, bleibt das Fazit ernüchternd: Für das künftige Ver- bereichs und der u.U. erheblichen Folgen für den Betroffenen schwer, fassungsleben bedeutsame Fragen sind kaum geklärt worden. ist aber nicht generell unangemessen. Allerdings kann insbesondere MDgt Dr. Siegfried Jutzi, Justizministerium Rheinland-Pfalz die tatsächliche Ausübbarkeit grundrechtlicher Freiheiten ein Aufent- haltsverbot im Einzelfall schon tatbestandlich ausschließen. 5. Die Rechtsschutzgarantie (Art. 38 Satz 1 SächsVerf.) und das Recht

01.2 – 9/03 auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 33 Satz 1 SächsVerf.) Gemeindestrukturreform/Auflösung von Gemeinden/Eingliederung gebieten die nachträgliche Information des Betroffenen über den in Großgemeinde/einstweilige Anordnung Einsatz eines Verdeckten Ermittlers. Eine Ausnahme von diesem VerfG Brandenburg, Beschluss vom 19. Juni 2003 – 7/03 EA Grundsatz darf das Gesetz nicht schon für den Fall vorsehen, dass im Falle der Unterrichtung die weitere Verwendung des Verdeckten LV Bbg. Art. 97, 98; VerfGGBbg § 30 Abs. 1; 6. Gemeindegebiets- Ermittlers gefährdet ist. § 39 Abs. 9 Satz 2 Variante 2 SächsPolG ist reformG Bbg. Art. 1 § 8 deshalb unvereinbar mit der Sächs. Verfassung. Nach Lage des Falles keine Aussetzung des In-Kraft-Tretens einer eine 6. Die Ermächtigung zur Ingewahrsamnahme Selbstmordwilliger in Gemeinde auflösenden Gesetzesbestimmung im Wege der einst- § 22 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b SächsPolG ist mit der Sächs. Verfassung weiligen Anordnung. Unbeschadet dessen Vorkehrungen gegen die vereinbar. Sie regelt nicht diejenigen Fälle, bei denen durch hinrei- zwischenzeitliche Schaffung unumkehrbarer Verhältnisse. (nichtamt- chende Vorkehrungen und für die Polizei erkennbar sichergestellt ist, licher Leitsatz) dass die Selbsttötung durchweg vom freien Willen des Betroffenen beherrscht wird. Anm. d. Redaktion: Siehe dazu die Information in NJ 8/03, V. 7. a) Bei präventiv-polizeilicher Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen ist der Schutzbereich des informationellen Selbstbestim- mungsrechts (Art. 33 SächsVerf.) nicht erst dann berührt, wenn 01.3 – 9/03 die Polizei Bild- und Tonaufzeichnungen anfertigt. Schon die bloße Polizeibefugnisse/Rechtsweggarantie/Persönlichkeitsrecht/Recht auf Aufnahme, also die offene Beobachtung durch Kameras einschließlich informationelle Selbstbestimmung Bild- und ggf. Tonübertragung in den Monitorraum greift in das VerfGH Sachsen, Urteil vom 10. Juli 2003 – 43-II/00 Grundrecht ein. b) § 38 Abs. 2 SächsPolG wahrt, soweit er zur Anfertigung von Bild- SächsVerf. Art. 15, 16 Abs. 1 Satz 2, 33, 38; GG Art. 11 Abs. 1, 74 Abs. und Tonaufnahmen oder -aufzeichnungen an den in § 19 Abs. 1 Nr. 2 1 Nr. 1; SächsPolG § 19 Abs. 1 Nr. 5, Nr. 6 Buchst. a und b, §§ 21 SächsPolG genannten Orte ermächtigt, angesichts der strikten Abs. 2, 22 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b, 38 Abs. 2, 39 Abs. 9 Satz 2 räumlichen Beschränkung auf »gefährliche Orte« bzw. Kriminalitäts- 1. Prüfungsmaßstab sind bei der abstrakten Normenkontrolle gem. brennpunkte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ist deshalb Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf., § 7 Nr. 2 SächsVerfGHG auf der mit der Sächs. Verfassung vereinbar. Grundlage des Art. 3 Abs. 2 und des Art. 39 Abs. 2 iVm Art. 1 Satz 1 SächsVerf. mittelbar auch die Bestimmungen des Grundgesetzes über Anm. d. Redaktion: Siehe dazu die Information in NJ 8/03, V. die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern. 2. a) Ereignis- und verdachtsunabhängige polizeiliche Identitätskon- 01.4 – 9/03 trollen außerhalb des Grenzgebietes zum Zwecke der vorbeugenden Abgeordnetenentschädigung/Transparenzgebot/Gleichbehandlung Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität sind mit der Thüringer VerfGH, Urteil vom 14. Juli 2003 – 2/01 Sächs. Verfassung grundsätzlich vereinbar. ThürVerf. Art. 2 Abs. 1, 53 Abs. 1 Satz 2; ThürAbgG § 6 Abs. 3 b) § 19 Abs. 1 Nr. 5 SächsPolG ist als entsprechende Befugnisnorm mit der Sächs. Verfassung mit der Maßgabe vereinbar, dass den Identi- 1. Das besondere, für diätenrelevante Gesetzgebungsverfahren zu tätskontrollen außerhalb des Grenzgebiets ein vorab zu dokumen- beachtende Transparenzgebot erfodert nicht, dass der Landtag der tierendes polizeibehördliches Konzept zu Grunde liegen muss und Öffentlichkeit sein Gesetzgebungsverfahren in besonderer Weise Kontrollen auf »anderen Straßen von erheblicher Bedeutung für die begründet. grenzüberschreitende Kriminalität« nur stattfinden dürfen, wenn vor- 2. Das aus Art. 53 Abs. 1 Satz 2 ThürVerf. abzuleitende Prinzip der ab zu dokumentierende Lageerkenntnisse die erhebliche Bedeutung Gleichheit aller Mandatsträger kommt nur im Kernbereich des der jeweils konkret zu bezeichnenden Straße für die grenzüber- Mandats zum Tragen. Dieser Kernbereich umfasst die Wahrnehmung schreitende Kriminalität belegen. des Wählerauftrags im Parlament mittels nur dem Gewissen des 3. a) Die Ermächtigung zur Einrichtung von und zu Identitätskontrol- Mandatsträgers verpflichteter Gestaltungshandlungen und Entschei- len in Kontrollbereichen gem. § 19 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a SächsPolG, dungen. Nur insoweit bedarf es für Ausnahmen vom Gleichbehand- um Straftaten iSd § 100a StPO oder § 27 VersG zu verhindern, ist mit lungsgebot eindeutiger, an besonders wichtigen parlamentarischen der Sächs. Verfassung vereinbar. Funktionen ausgerichteter Merkmale. Anders ist es dagegen bei b) Dagegen greift § 19 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b SächsPolG mit der Zuwendungen, die ein Abgeordneter zum Ausgleich von Aufwen- Ermächtigung zur Einrichtung von Kontrollbereichen, um nach Per- dungen erhält, welche ihm daraus entstanden sind, dass er sich nicht sonen zu fahnden, bei denen bestimmte Tatsachen den Verdacht – wie jedes Mitglied des Landtags – seinem Mandat widmet, sondern begründen, dass sie eine Straftat iSd § 100a StPO oder § 27 VersG besondere parlamentarische Funktionen ausübt. begangen haben, in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für 3. Der im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 2 ThürVerf. enthaltene das gerichtliche Verfahren gem. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ein und ist Grundsatz, nur Gleiches gleich, Ungleiches dagegen nicht gleich zu deshalb mit der Sächs. Verfassung unvereinbar. behandeln, erfordert, den zwar mandatsbedingten, nicht aber durch

Neue Justiz 9/2003 473 Rechtsprechung Verfassungsrecht

die Mandatsausübung als solche verursachten Einsatz eines Abge- 02 BÜRGERLICHES RECHT ordneten aus dem die Mandatswahrnehmung selbst betreffenden Zuwendungssystem herauszuhalten. Diesem Trennungserfordernis 02.1 – 9/03 entspricht die Befugnis des Gesetzgebers, einen mandatsbedingten, Allgemeine Vertragsbedingungen/Laufzeit von Breitbandkabel- nicht aber durch die Mandatsausübung selbst verursachten Ver- gestattungsverträgen mögensaufwand zum Gegenstand einer Ausgleichsregelung zu BGH, Urteil vom 6. Dezember 2002 – V ZR 220/02 (OLG Brandenburg) machen. BGB §§ 305 Abs. 1 Satz 3, 307 Abs. 1 Satz 1; AGBG §§ 1 Abs. 2, 4. Weil die Grundentschädigung Alimentationsfunktion hat und die 9 Abs. 1; ZPO § 138 zeitliche Inanspruchnahme eines Abgeordneten unabhängig von ihrem Anlass so vollständig abgilt, ist in Bezug auf den durch eine a) Bietet der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen der besondere parlamentarische Funktion verursachten Zeitaufwand kein anderen Vertragspartei Alternativen an, steht es einem Aushandeln Raum für eigenständige Ausgleichsregelungen. Erstattungsfähig ist nicht entgegen, dass die Angebotsalternativen mit einem erhöhten insoweit nur ein aus dem Abgeordnetenvermögen erbrachter finan- Entgelt verbunden sind. zieller Einsatz, sofern er nicht der allgemeinen Lebensführung dient b) Ob die langfristige Bindung der anderen Vertragspartei in Allge- oder sich aus der Wahrnehmung des allgemeinen Mandats des Abge- meinen Geschäftsbedingungen diese unangemessen benachteiligt, ordneten ergibt. Es kommt darauf an, dass die auf den jeweiligen ist anhand der typischen Erfordernisse des Geschäfts und seiner Einzelaufwand bezogene Frage bejaht werden kann, ob eine konkrete rechtlichen Grundlagen zu beurteilen; hierbei ist auf die Wirtschaft- Aufwendung – die besondere Parlamentsfunktion des den Aufwand lichkeit des Geschäfts insgesamt, nicht auf einzelne Daten (hier: tätigenden Abgeordneten wegedacht – nicht entstanden wäre. Dauer der Abschreibung der Anschaffungs-/Herstellungskosten) 5. Funktionsbezogener finanzieller Aufwand darf mit einem Pauschal- abzustellen. betrag ausgeglichen werden. Der Gesetzgeber ist jedoch gehalten, c) Beruft sich die andere Vertragspartei im Individualprozess auf die die Pauschalierung so zu bemessen, dass der Pauschalbetrag den unangemessene Benachteiligung durch Allgemeine Geschäftsbedin- tatsächlichen Aufwand annähernd erreicht. gungen, hat der Verwender die sein Angebot bestimmenden Daten 6. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber, offen zu legen und ihre Marktkonformität darzustellen; Sache der willkürlich zu differenzieren, indem er gleich gelagerte Sachverhalte anderen Vertragspartei ist es, darzulegen und im Streitfalle zu ohne rechtfertigenden Grund mit unterschiedlichen inhaltlichen beweisen, dass das Angebot des Verwenders untypisch ist und ihn Konsequenzen verknüpft. Dies geschieht, wenn die Höhe des Pauschal- (deshalb) unangemessen benachteiligt. betrags ungeachtet der Bemessungsgrundlagen bestimmt ist, welche bei konkreter »spitzer« Berechnung gelten. Problemstellung: Die Kl. schloss mit der Rechtsvorgängerin der bekl. Kabel-Service- Anm. d. Redaktion: Mit Urt. v. 21.7.2000 hatte das BVerfG in einem subsi- gesellschaft S. 1991 einen Gestattungsvertrag, in dem sie der S. diären Landesorganstreitverfahren (NJ 2000, 590 [bearb. v. Jutzi]) festgestellt, erlaubte, in ihren Mietshäusern auf eigene Kosten Hausverteilanlagen dass die Vorschriften des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 u. 3 ThürAbgG v. 7.2.1991 und Breitbandkabel-Kommunikationsverteilanlagen zu errichten und gegen das GG verstoßen. Die Normen sahen vor, dass neben dem Präsiden- zu betreiben sowie vorhandene Anlagen zu einem Preis von 20 DM je ten des Landtags und dem Fraktionsvorsitzenden auch parlamentarische Wohneinheit zu übernehmen. Die S. hatte die vorhandenen und zu Geschäftsführer, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Ausschussvorsit- errichtenden Anlagen in »empfangstechnisch einwandfreiem Zustand zende steuerpflichtige Funktionszulagen erhalten. und auf wirtschaftlich und technisch vertretbarem Stand zu halten« Als Folge dieser Entscheidung wurde durch Art. 1 Nr. 2 des 6. ÄndG (Anpassungsklausel). Die Gestattung hatte eine Mindestlaufzeit von v. 20.12.2000 (GVBl. S. 419) § 5 Abs. 2 Satz 1 geändert und in § 6 ein neuer 25 Jahren und sollte sich, wenn eine Kündigung mit dreimonatiger Abs. 3 eingefügt. Danach erhalten der Präsident des Landtags, die Fraktions- Frist ausblieb, jeweils um ein Jahr verlängern. vorsitzenden und die Vizepräsidenten eine zusätzliche steuerpflichtige und Ende 1999 stellte sich die Kl. auf den Standpunkt, die Vertrags- nicht versorgungsfähige Entschädigung (§ 5 Abs. 2) und der parlamenta- laufzeit sei gesetzwidrig und kündigte das Vertragsverhältnis zum rische Geschäftsführer jeder Fraktion sowie die Ausschussvorsitzenden eine 31.3.2000. zusätzliche steuerfreie Aufwandsentschädigung (§ 6 Abs. 3). Die Kl. beantragte, festzustellen, dass der Gestattungsvertrag seit Im Wege der abstrakten Normenkontrolle wandten sich die SPD- und die dem 1.4.2000 bzw. seit Rechtshängigkeit beendet ist, hilfsweise hat sie PDS-Fraktion im Thür. Landtag gegen den neu eingefügten § 6 Abs. 3 Thür- die Feststellung begehrt, dass die Mindestlaufzeit des Gestattungs- AbgG. vertrags 12 Jahre beträgt. Das LG hat unter Abweisung des übrigen Der VerfGH hat mit seinem Urt. v. 14.7.2003 entschieden, dass § 6 Abs. 3 Begehrens dem Hilfsantrag stattgegeben. Das OLG hat die Berufung ThürAbgG idF v. 20.12.2000 mit Art. 53 Abs. 1 ThürVerf. unvereinbar ist. der Bekl. und die Anschlussberufung der Kl., mit der diese den Die verfassungswidrige Regelung darf ab dem auf die Verkündung dieser erstrangigen Feststellungsantrag weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Entscheidung folgenden Monat nicht mehr angewendet werden. Dagegen hat der VerfGH davon Abstand genommen, die verfassungswidrige Norm ex tunc Auf die Revision der Bekl. wurde dieses Urteil aufgehoben und die für nichtig zu erklären und zur Begründung ausgeführt: Sache zur neuen Verhandlung an das BerufungsG zurückverwiesen. »… es wurde festgestellt, dass den Ausschussvorsitzenden und parlamenta- rischen Geschäftsführern der Fraktionen ein besonderer funktionsbedingter Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: finanzieller Aufwand entsteht. Eine Nichtigerklärung des § 6 Abs. 3 ThürAbgG 1. Die Rüge der Revision, das BerufungsG habe die Anforderungen an würde daher ebenfalls zu einem verfassungswidrigen Zustand führen, da sie das Aushandeln der Vertragsbedingung, das deren Eigenschaft als zur Folge hätte, dass die Funktionsträger gezwungen wären, diesen funktions- AGB entfallen lässt (§ 1 Abs. 2 AGBG; jetzt § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB), bedingten Aufwand aus ihrer der Lebenshaltung dienenden Grundentschädi- überspannt, bleibt ohne Erfolg. Eine vorformulierte Vertragsbedin- gung zu tragen. Dieses Ergebnis würde ebenfalls den Gleichheitssatz verletzen, gung kann ausgehandelt sein, wenn der Verwender sie als eine von und zwar insbes auch deshalb, weil eine rückwirkende konkrete Abrechnung mehreren Alternativen anbietet, zwischen denen der Vertragspartner solcher Aufwendungen in Anbetracht des Zeitraums, über den § 6 Abs. 3 die Wahl hat. Erforderlich hierfür ist nach der Rspr., dass die Ergän- ThürAbgG bereits angewendet worden ist, für die einzelnen Funktionsträger zungen nicht lediglich unselbständiger Art bleiben (z.B. Anfügen von schwierig und teilweise sogar unmöglich wäre.« Namen und Vertragsobjekt), sondern den Gehalt der Regelung mit

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beeinflussen (BGHZ 115, 391, 394) und die Wahlfreiheit nicht durch möglich ist, nur in losem Zusammenhang stehen. Vor allem aber kann Einflussnahme des Verwenders, sei es durch die Gestaltung des der Begriff der Amortisation bei der nach § 9 Abs. 1 AGBG vorzuneh- Formulars, sei es in anderer Weise, überlagert wird (BGH, NJW 1996, menden Abwägung nicht in dem Sinne verstanden werden, dass sich 1676 = NJ 1996, 392 [Leits.]; NJW 1998, 1066). Hätte die Bekl. die die im Vertragsformular vorgesehene Laufzeit daran zu orientieren Alternativen der Kl. zur Kenntnis gebracht, hätte ein Aushandeln iSd hätte, wann das für ein einzelnes Wirtschaftsgut aufgewendete Kapi- § 1 Abs. 2 AGBG in Frage kommen können (BGH, NJW 1998, 1066; tal in den Betrieb zurückgeflossen ist. Dies ließe die Kostenstruktur des BGHZ 143, 103). Betriebs und den Unternehmergewinn außer Ansatz. Der Senat hat Dass die Bekl. kürzere Laufzeiten mit einem erhöhten Nutzungs- dem in einer früheren Entscheidung (NJW 1997, 3022) in der Weise entgelt der an das Kabel angeschlossenen Mieter verbunden hätte, Rechnung getragen, dass er darauf abgehoben hat, welche Bindungs- stand einem Aushandeln nicht entgegen. Hauptpreisabreden unter- zeit (generell) erforderlich ist, um die Vermarktung von Telekommu- liegen nach § 8 AGBG (jetzt § 307 Abs. 3 BGB) nicht der in §§ 9-11 nikationsanlagen wirtschaftlich sinnvoll zu betreiben. AGBG (jetzt §§ 307-309 BGB) vorgesehenen Inhaltskontrolle (BGHZ Im Individualrechtsstreit trägt der Vertragspartner des Verwenders, 146, 331 = NJ 2001, 427 [bearb. v. Schreiber]; BGH, VIZ 2002, 437 = NJ der sich auf die Unwirksamkeit der AGB nach § 9 Abs. 1 AGBG beruft, 2002, 589 [Leits.]). die Darlegungs- und Beweislast (BGH, NJW 1983, 1854; NJW 1991, 2. Die Tatsachengrundlage des Berufungsurteils trägt die Fest- 2763; NJW 1996, 388). Da dem Vertragspartner regelmäßig der stellung der Unwirksamkeit der Mindestvertragsdauer nicht. Eine Einblick in die Kalkulationsgrundlagen des Verwenders fehlt und ihm Inhaltskontrolle kommt ausschließlich anhand der Generalklausel des deshalb der Vergleich mit den maßgeblichen typischen Verhältnissen § 9 AGBG (jetzt § 307 BGB) in Frage, wobei die Regelbeispiele der am Markt erschwert ist, ist es Angelegenheit des Verwenders, die sein unangemessenen Benachteiligung in § 9 Abs. 2 AGBG (§ 307 Abs. 2 Angebot bestimmenden Daten offen zu legen und ihre Marktkon- BGB) nicht greifen. Der Gestattungsvertrag, der die Duldung der formität darzustellen. Dies folgt aus dem Rechtsgedanken, der etwa in Inanspruchnahme der Grundstücke der Kl. durch die Bekl. zum den Fällen der ungerechtfertigten Bereicherung dazu führt, von dem Gegenstand hat, ist zwar kein Mietvertrag (BGHZ 19, 85, 93), aber Schuldner die Benennung des Rechtsgrunds zu verlangen (Senat, NJW doch von seiner Natur her auf eine längere Laufzeit eingerichtet; die 2003, 1039). Der danach gebotenen Offenlegung hat die Bekl. genügt. vorgesehene Vertragsdauer ist mithin nicht geeignet, wesentliche Es ist nunmehr Sache der Kl., darzulegen und im Streitfalle zu bewei- Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, sen, dass diese Bindung sie unangemessen benachteiligt. einzuschränken (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Gesetzliche Bestimmungen, c) Mit den weiteren Bedingungen des Gestattungsvertrags, die für die die Länge des Dauerschuldverhältnisses beschränken, sind nicht das Maß des Eingriffs in die Dispositionsfreiheit der Kl. und das hier- vorhanden; der Vertrag steht mithin nicht im Widerspruch zu wesent- für gewährte Äquivalent bestimmend sind, hat sich das BerufungsG lichen Grundgedanken des Gesetzes (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG). Die Rspr. nicht umfassend auseinandergesetzt. Es beschränkt sich auf die hat deshalb Verträge des Kabelanschlussbetreibers mit dem Grund- Anpassungsklausel und meint, sie überlasse (zunächst) der Bekl. die stückseigentümer stets unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 1 AGBG Bestimmung, was dem »wirtschaftlich und technisch vertretbaren (jetzt § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) geprüft (BGH, NJW 1997, 3022). Stand der Anlage« genüge. Zudem stelle die »wirtschaftliche Vertret- barkeit« auf die wirtschaftliche Lage der Bekl. ab. Sei diese schlecht, a) Ob der Gestattungsvertrag den Partner des Verwenders entgegen stünden der Kl. aus der Anpassungsklausel keine Ansprüche zu. Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, ist nur anhand einer Dies verstößt gegen die Grundsätze der objektiven Auslegung von Gesamtwürdigung von Leistungen, Rechten und Pflichten möglich. AGB, die auf das Verständnis und die Interessen der auf beiden Seiten Hierbei ist nicht auf das Verhältnis der Streitteile als solches, sondern beteiligten Wirtschaftskreise abstellt (BGHZ 102, 384, 389). Ein auf eine Interessenabwägung abzustellen, bei der die typischen Bestimmungsrecht darüber, wie der jeweils einzuhaltende Standard Belange der beteiligten Kreise im Vordergrund stehen (BGH, NJW der Anlage beschaffen sein muss (§ 315 BGB), räumt die Anpassungs- 1997, 3022). Leitlinien sind hierbei das berechtigte Interesse des klausel der Bekl. nicht ein. Sie umreißt lediglich die Maßstäbe, die den Verwenders an der Amortisation seiner Investition und des Grund- jeweiligen Standard ausmachen, ist somit Mittel zur Bestimmbarkeit stückseigentümers an der Disposition über sein Eigentum (BGHZ 143, der geschuldeten Leistung. Auf ihre Einhaltung hinzuwirken steht 103, 116 zum Mineralölliefervertrag). Dem sind die Regelungen über beiden Seiten gleichermaßen zu. die Laufzeit selbst, über Konkurrenzverbote, über vom Grundstücks- eigentümer zu leistende oder nicht zu leistende Entgelte, über die Unzutreffend ist auch die inhaltliche Deutung des Anpassungs- Höhe des von den Mietern zu entrichtenden Nutzungsentgelts und maßstabes. Die Anlage ist auf einem Stand zu halten, der bei objektiver den Einfluss des Grundstückseigentümers auf dieses, die Festlegungen Betrachtung wirtschaftlich und technisch vertretbar ist. Das Risiko, über das den Mietern vorzuhaltende Programmangebot, die Verpflich- dass die Bekl. wegen eigener wirtschaftlicher Schwierigkeiten diesen tung des Verwenders zur Gewährleistung bestimmter technischer Standard nicht einhalten kann, ist der Kl. nicht aufgebürdet; in diesem Standards u.a. zugeordnet. Fall kann sie den Vertrag aus wichtigem Grund kündigen. b) Das BerufungsG setzt die Amortisation der Investition der Bekl. Ein gleichwohl verbleibendes Risiko der Kl., mit der Ausstattung der mit der Abschreibung des Herstellungsaufwands gleich. Dies ist ver- Mietwohnungen hinter dem technisch möglichen Standard zurück- kürzt. Ein Wirtschaftsgut kann abgeschrieben sein, ohne dass dem zubleiben, wird das BerufungG mit dem Risiko der Bekl., wegen des Wertverzehr ein gleichwertiger Ertrag oder überhaupt ein Ertrag Leerstehens von Wohnungen den Gestattungsvertrag nicht nutzen zu gegenübersteht. Bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise können, abwägen müssen. ist allerdings nicht auf den Betrieb des Verwenders, sondern auf die Verhältnisse des Wirtschaftszweiges abzustellen, dem er zugehört. Eine Kommentar: leistungsabhängige Abschreibung, bei der der Abschreibungsverlauf 1. Liegen vorformulierte Vertragsregelungen vor, so stellt sich die mit dem durch den Einsatz des Anlagegegenstands erzielten Ertrag Frage, inwieweit diese AGB darstellen. Eine der Voraussetzungen ist, synchron geht, stellt allerdings auch bei typisierender Betrachtung dass die Parteien die Vertragsklauseln nicht ausgehandelt haben, den Ausnahmefall dar. I.d.R. erfolgen Abschreibungen, ohne die Gren- § 1 Abs. 2 AGBG bzw. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB. Ein Aushandeln liegt zen ordnungsgemäßer Buchführung zu verlassen, nach vereinfachten dann vor, wenn der Verwender den in seinen AGB enthaltenen Verfahren (linear, degressiv, kombiniert u.a.), die mit dem Ertrag des gesetzesfremden Kerngehalt inhaltlich zur Disposition stellt und dem einzelnen Wirtschaftsgutes, dessen Zuordnung vielfach ohnehin nicht Verhandlungspartner die Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener

Neue Justiz 9/2003 475 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

Interessen einräumt (BGHZ 130, 371 = NJ 1999, 196). Wichtig ist 02.2 – 9/03 dabei, dass der anderen Partei die reale Möglichkeit gegeben wird, die Sachenrechtsbereinigung/Vorrang des Zuordnungsrechts/Treuhand- inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen beeinflussen zu unternehmen/Bestellung einer Grunddienstbarkeit können (Basedow, MünchKomm, Bd. 1, 4. Aufl., § 1 AGBGB Rz 35). BGH, Urteil vom 10. Januar 2003 – V ZR 206/02 (OLG Dresden) Der BGH konkretisiert diese Voraussetzung. Danach kann bei dem SachenRBerG §§ 1 Abs. 1 u. 2, 116 Gewähren der Wahlfreiheit eine Individualabrede nur dann gegeben Bestand zwischen Treuhandunternehmen eine Zuordnungslage, so sein, wenn die Alternativen oder Ergänzungen den Gehalt der Rege- kann später das eine Treuhandunternehmen nicht von dem anderen lung beeinflussen und die Wahlfreiheit des Vertragspartners nicht nach dem SachenRBerG die Bestellung einer Dienstbarkeit zur Siche- durch die Einflussnahme des Verwenders überlagert wird. Dabei geht rung einer Zufahrtsstraße verlangen. der BGH richtig davon aus, dass dem Vertragspartner ausdrücklich die Wahlfreiheit eingeräumt und die ergänzenden bzw. alternativen Klau- Der Kl. beanspruchte als Gesamtvollstreckungsverwalter über das seln zu seiner Kenntnis gebracht werden müssen, denn anderenfalls Vermögen der Fa. S. GmbH (Schuldnerin) von der Bekl. die Bestellung kann der Partner nicht – seine eigenen Interessen berücksichtigend – einer Grunddienstbarkeit. Damit sollte der Zugang zum Betriebs- von dieser Wahlfreiheit tatsächlich Gebrauch machen. grundstück der Schuldnerin über eine Werkstraße von etwa 160 m 2. Der Schwerpunkt der Entscheidung liegt bei der Frage der Ange- Länge gesichert werden, die auf dem Grundstück der Bekl. verläuft. messenheit der Laufzeit von Gestattungsverträgen. Der BGH bringt Einen anderen Zugang hat das Grundstück der Schuldnerin nicht. hier die notwendige Klarheit in die Rechtslage nach seinen zwei Der Kl. hat vorgetragen, das Grundstück der Schuldnerin sei nur Entscheidungen (BGH, NJW 1993, 1133; NJW 1997, 3022), die den über die Werkstraße zu erreichen. Der Nutzung zur Erschließung des Wohnungsgesellschaften wohl den Eindruck vermittelt haben, die Grundstücks habe der Rechtsvorgänger der Bekl. zugestimmt. Deshalb maximale Laufzeit von Gestattungsverträgen sei 12 Jahre. Dieser stehe der Bekl. ein Entgelt für die Bestellung der Dienstbarkeit nicht zu. Eindruck wurde zudem durch die Instanzgerichte verstärkt, indem sie Hilfsweise beanspruchte der Kl. die Bestellung der Dienstbarkeit gegen in keinem der ihnen vorgelegten Fällen eine Laufzeit von über 12 Jah- ein angemessenes Entgelt. ren für angemessen erachteten (z.B. KG, Grundeigentum 2002, 1332; OLG Köln, NJW-RR 1997, 751). Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. In der vorliegenden Entscheidung wird in aller Deutlichkeit gesagt, Die Revision des Kl. hatte keinen Erfolg. dass eine generelle Aussage über die Angemessenheit der Laufzeit- klausel richtigerweise nicht möglich ist. Ein Verstoß gegen Treu und Aus den Entscheidungsgründen: Glauben, so wie er nach § 9 Abs. 1 AGBG bzw. § 307 Abs. 1 BGB I. Nach Auffassung des BerufungsG hängt der Anspruch der Schuldnerin nicht davon ab, dass die Werkstraße als bauliche Anlage von jemand verlangt wird, kann nur im Rahmen der Interessenabwägung festge- anderem als dem Rechtsvorgänger der Bekl. errichtet worden ist. Es komme stellt werden, weshalb auch keine Verallgemeinerung auf alle Fälle der allein darauf an, ob die Straße zur Erschließung des Grundstücks der Gestattungsverträge möglich ist. Schuldnerin erforderlich sei. Der Anspruch scheitere aber daran, dass die Schuldnerin nicht dargelegt habe, dass die Werkstraße mit Billigung Besonders gut gelungen ist dem BGH die Verdeutlichung der staatlicher Stellen angelegt worden sei. Die Billigung staatlicher Stellen Anhaltspunkte für die Beurteilung der Interessen der Vertragsparteien. stelle ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal dar, das … in verfassungs- Sowohl die Instanzgerichte als auch die Praxis haben nunmehr klare konformer Auslegung des § 116 SachenRBerG zu fordern sei. Anhaltspunkte für die Beurteilung der Interessen der Parteien und II. Dies hält einer revisionsrechtlichen Prüfung im Ergebnis stand. damit auch der Angemessenheit der Laufzeit von Gestattungsverträ- Der Anspruch auf Bestellung einer Dienstbarkeit gegen die Bekl. schei- gen. Zu berücksichtigende Interessen sollen danach die Amortisation tert allerdings schon daran, dass § 116 SachenRBerG im Verhältnis von der Investitionen des Verwenders und die Disposition des Grund- Treuhandunternehmen zueinander nicht anwendbar ist. stückseigentümers über sein Eigentum sein. 1. Die Kl. ist im Wege der Aufspaltung aus dem früheren VEB V. In diesem Zusammenhang macht der BGH auf einen sehr wichtigen hervorgegangen und auf Grund dessen Eigentümerin des begüns- Punkt aufmerksam, nämlich die Beurteilung der Amortisation. Es tigten Grundstücks geworden. Die Bekl. hat das Grundstück, an wel- ist zwischen Amortisation und Abschreibung zu unterscheiden. chem der Kl. die Bestellung einer Dienstbarkeit verlangt, von einem Die Abschreibung, die grundsätzlich nach vereinfachtem Verfahren aus einem früheren VEB hervorgegangen Treuhandunternehmen oder erfolgt, steht allenfalls in einem losen Zusammenhang mit dem Ertrag von der Treuhandanstalt selbst erworben. … des einzelnen Wirtschaftsgutes. Anders hingegen die Amortisation, bei 2. Die Regelung von Bereinigungsbedürfnissen im Verhältnis von welcher es nicht ausreicht, lediglich eine Feststellung zu treffen, wann Treuhandunternehmen untereinander ist nicht Gegenstand des das aufgewendete Kapital in den Betrieb zurückfließen wird. Vielmehr SachenRBerG. ist auch die Kostenstruktur des Betriebs und der Unternehmergewinn a) Das SachenRBerG hat nicht das Ziel, die dinglichen Rechts- zu berücksichtigen. Folglich sind pauschale Beurteilungen nicht mög- verhältnisse an Grund und Boden im Beitrittsgebiet in jedem Fall der lich, vielmehr müssen alle Unterlagen des Verwenders zur Ermittlung Bebauung fremder Grundstücke unter den in § 1 Abs. 1 bestimmten der Amortisation herangezogen werden. Voraussetzungen zu bereinigen. Es sieht eine Bereinigung vielmehr zum 3. Interessant ist auch die Ansicht des BGH zur Darlegungs- und einen vor, wenn entweder in Privateigentum stehende Grundstücke Beweislast. Er legt dem Verwender die Pflicht auf, die sein Angebot durch natürliche Personen oder juristische Personen des Privatrechts, bestimmenden Daten offen zu legen. Diese Entscheidung ist für die durch ehemals volkseigene Betriebe und Kombinate oder auch, sofern Netzbetreiber von großer Bedeutung, denn sie ist für sie mit einer nicht das VerkehrsflächenbereinigungsG v. 26.10.2001 (BGBl. I S. 2716) großen Gefahr verbunden. Einerseits ist eine solche Pflichtenlage vorgeht, durch staatliche Stellen mit Bauwerken oder Erschließungs- angebracht, da dem Vertragspartner anderenfalls der Einblick in die anlagen bebaut worden sind. Eine Bereinigung sieht das Gesetz zum Kalkulationsgrundlagen praktisch unmöglich wäre. Auf der anderen anderen auch vor, wenn an ehemals volkseigenen Grundstücken ding- Seite kann eine Offenlegung die Möglichkeit gewähren, Betriebs- und liche Nutzungsrechte verliehen oder auf solchen Grundstücken durch Geschäftsgeheimnisse zu erfahren, was nicht im Interesse der Netz- natürliche Personen oder durch juristische Personen des Privatrechts betreiber ist. Bauwerke oder Erschließungsanlagen auf vertraglicher Grundlage oder Janina Kholstinina, wiss. Mitarbeiterin, Universität Potsdam auf Grund tatsächlicher Nutzung errichtet worden sind.

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Demgegenüber ist eine Bereinigung nicht vorgesehen, wenn ehe- grund als das Zuteilungsverfahren nach den Bodenreformvorschriften mals volkseigene Grundstücke durch staatliche Stellen, Wohnungs- hin, fehlt es an der Kennzeichnung als Bodenreformgrundstück; die genossenschaften und vor allem durch ehemals volkseigene Betriebe Eintragung des Vermerks in Abteilung II zum Verbot der Verpachtung, und Kombinate genutzt und bebaut worden sind. Hierbei kann offen Teilung und Veräußerung des Grundstücks ist in einem solchen Fall bleiben, ob in solchen Fällen die in § 1 Abs. 1 SachenRBerG bestimm- unerheblich. ten Bereinigungsfälle bereits tatbestandlich ausscheiden, weil die Bebauung ehemals volkseigener Grundstücke durch volkseigene Als Eigentümer der streitbefangenen Flurstücke ist seit Juni/Juli 1947 Betriebe und Kombinate keine »Fremd«-Bebauung ist, oder ob sich K. K. eingetragen. In Abteilung I des Grundbuchs ist zum Eigentums- die Unanwendbarkeit des SachenRBerG aus dem ausdrücklichen erwerb Folgendes vermerkt: Vorbehalt für das Zuordnungsrecht in § 1 Abs. 2 SachenRBerG ergibt. »In Ausführung der Anliegersiedlungssache H. H. im Zuge der Bei dem einen wie dem anderen Begründungsansatz richtet sich die Bodenreformaufteilung, als im Aufteilungsobjekt B. liegend, vermessen Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach Art. 21 u. 22, 25-27 EV und und zugeteilt.« den ergänzenden Bestimmungen des Zuordnungsrechts, in Ansehung Weiter war in Abteilung II des Grundbuchs der Bodenreformvermerk der Treuhandunternehmen insbes. nach § 11 TreuhG und §§ 2 u. 3 eingetragen, wonach die Flurstücke weder ganz noch teilweise ver- 5. DVO z. TreuhG und §§ 2 u. 4 VZOG. äußert, verpachtet oder verpfändet werden durften; er wurde am b) Die Schuldnerin hat hier allerdings im Zuordnungsweg weder 3.11.1995 gelöscht. Eigentum an der Straßenfläche noch ein beschränktes dingliches Laut Urkunde v. 1.4.1946 erhielt K. K. im Rahmen der Bodenreform Recht erhalten. Das ist aber unerheblich. Denn der Vorrang des ein Grundstück, welches nicht mit den beiden streitbefangenen Zuordnungsrechts gilt im Verhältnis von Zuordnungsbeteiligten, Flurstücken identisch ist, zugewiesen. Dazu wurde in Abteilung I des insbes. von Treuhandunternehmen, unabhängig davon, ob der Grundbuchs eingetragen: Zuordnungsbeteiligte, der das Bauwerk errichtet oder genutzt hat, bei »Aufgrund des am 27.9.1946 durch die Kreiskommission zur Aus- der Anwendung des Zuordnungsrechts im konkreten Fall Eigentum führung der Bodenreform in T. bestätigten Aufteilungsprotokolls der oder ein beschränktes dingliches Recht an einem ehemals volks- Gemeindekommission H. eingetragen am 15.10.1946.« eigenen Grundstück zugeordnet erhält oder nach diesen Vorschriften Aus einem Schreiben des Kulturamts P. v. 6.5.1942 zur Ansiedlungs- beanspruchen kann. Auch wenn die Zuordnungsvorschriften im sache H., Az. H., geht hervor, dass K. K. zusammen mit dem Landwirt Einzelfall ein Treuhandunternehmen nicht mit Eigentum oder einem K. D. Anliegersiedlungsland erhalten sollte, welches dem Bauern M. B. beschränkten Recht an einem ehemals volkseigenen Grundstück aus- enteignet worden war. statten, so ist das Grundstück gleichwohl iSv § 1 Abs. 2 SachenRBerG Im Dez. 1957 beantragte K. K. die Löschung des Bodenreformver- Gegenstand der Zuordnung, nämlich der Zuordnung an ein anderes merks hinsichtlich der streitbefangenen Flurstücke. Der Rat des Krei- Treuhandunternehmen (eine Wohnungsgenossenschaft oder auch ses T. stellte im Jan. 1958 einen auf dasselbe Ziel gerichteten Antrag. eine staatliche Stelle). Dies entspricht dem Sinn und Zweck dieser Regelungen. Darin ist ausgeführt, dass der Sperrvermerk in Abteilung II nicht mehr gerechtfertigt und daher zu löschen sei, weil K. K. im Jahr 1944 von dem Das Zuordnungsrecht gestaltet die dinglichen Rechtsverhältnisse an damaligen Großgrundbesitzer M. B. Land im Wege eines wegen der ehemals volkseigenen Grundstücken nach anderen Kriterien um als Kriegsereignisse nicht zu Ende geführten Siedlungsverfahrens erwor- das SachenRBerG. Dies geht auf die besondere Zielsetzung des Zuord- ben und den Kaufpreis bezahlt habe; die Umschreibung im Grund- nungsrechts zurück. Das Zuordnungsrecht hat die Aufgabe, die staat- buch habe nicht durchgeführt werden können, so dass die gesiedelten lichen Zwecken dienenden Grundstücke von den unternehmerischen Grundstücke zusammen mit dem übrigen Besitz in den Bodenfonds Zwecken dienenden Grundstücken zu trennen. Die unternehmeri- überführt worden seien. schen Zwecken dienenden Grundstücke wurden den Kapitalgesell- schaften, die aus den ehemals volkseigenen Betrieben und Kombina- Die Löschung des Vermerks unterblieb aus ungeklärten Gründen. ten im Wege einer Umwandlung kraft Gesetzes hervorgegangen sind, K. K. verstarb im Nov. 1979. Der Bekl. zählt zu seinen Erben. zugeordnet, um diese mit Betriebsvermögen auszustatten. Dazu wurde Der Kl. (Land) meint, bei den streitbefangenen Flurstücken handele auf den Bestand der ehemals volkseigenen Unternehmen an sog. es sich um Bodenreformland. Der Bekl. sei zur unentgeltlichen Grundmitteln, also auf die Rechtsträgerschaft und die Fondsinhaber- Auflassung seines Miteigentumsanteils und zur Bewilligung der Ein- schaft, abgestellt (§ 11 Abs. 2 TreuhG). Hiervon macht § 2 der 5. DVO tragung des Kl. als Eigentümer in das Grundbuch verpflichtet. z. TreuhG eine Ausnahme. Betriebe, die, wie die Schuldnerin, nicht Das LG hat der Klage gegen den Bekl. stattgegeben; das OLG hat sie Rechtsträger oder Fondsinhaber waren, sollten Eigentum an Flächen abgewiesen. erhalten, die sie ganz oder zum Teil überwiegend nutzten. Voraus- setzung war aber, dass die Nutzung eines betriebsnotwendigen Grund- Die Revision des Kl. hatte keinen Erfolg. stücks auf Grund Nutzungsvertrags erfolgt war und dass der hieraus folgende Eigentumserwerb bis zum Ablauf des 31.12.1990 dem betrof- Aus den Entscheidungsgründen: fenen Treuhandunternehmen angezeigt wurde. Diese besonderen I. Nach Auffassung des BerufungsG hat der Kl. keinen Auflassungs- Voraussetzungen könnten unterlaufen werden, wenn neben dem anspruch, weil es sich bei den Flurstücken nicht um Grundstücke aus der Bodenreform handele; die Vorschriften über die Abwicklung der Zuordnungsrecht das SachenRBerG Anwendung fände. Bodenreform in Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB seien deswegen nicht anwendbar. Für die Beurteilung der Frage der Anwendbarkeit dieser Vor- schriften komme es regelmäßig auf die formale Kennzeichnung im 02.3 – 9/03 Grundbuch an, weil sie nach dem Willen des Gesetzgebers die nötige und klare Anknüpfung biete; eine Überprüfung, ob eine Enteignung im Bodenreformabwicklung/Kennzeichnung als Bodenreformgrund- Rahmen der Bodenreform oder eine Zuteilung von Bodenreformland stück/Grundbuchvermerk nach damaligen Vorstellungen zu Recht erfolgt sei, könne und solle nicht BGH, Urteil vom 31. Januar 2003 – V ZR 229/02 (OLG Brandenburg) erfolgen. Wenn aber die Grundbucheintragung widersprüchlich sei, weil als Grund der Eigentumsumschreibung ein anderer Erwerbsgrund als die EGBGB Art. 233 § 11 Abs. 1 u. 2 Zuweisung im Rahmen der Bodenreform genannt, der Bodenreformver- merk aber gleichwohl eingetragen sei, würden sich die widerstreitenden Weist der Vermerk in Abteilung I des Grundbuchs betreffend die Grundbucheintragungen gegenseitig aufheben. So liege der Fall hier. Grundlage der Eigentümereintragung auf einen anderen Erwerbs- Als Erwerbsgrund sei die Ausführung der Anliegersiedlungssache H. H.

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vermerkt. Hierdurch sei hinreichend dokumentiert, dass keine Zuwei- tervermessungen abzuwarten (siehe für Sachsen Art. III der VO über sungsentscheidung durch die Bodenreformkommission erfolgt sei, die Grundbucheintragung der Ländereien, die die Bauern aufgrund sondern lediglich anlässlich der Bodenreformaufteilung die Anlieger- siedlungssache im Grundbuch habe vollzogen werden sollen. Dieses der Bodenreform erhalten haben, v. 20.3.1946 [wiedergegeben bei Ergebnis werde durch den Antrag des Rats des Kreises T. auf Löschung des Döring, aaO, S. 40]). Bodenreformvermerks bestätigt. bb) Die Aufteilung des im Bodenfonds zusammengefassten Bodens Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. im Rahmen der Bodenreform war auf Versammlungen der landlosen II. 1. Zutreffend … geht das BerufungsG davon aus, dass die Kenn- und landarmen Bauern und Siedler des betreffenden Orts auf Vor- zeichnung des Grundstücks im Grundbuch darüber entscheidet, ob schlag der Gemeindekommissionen zur Durchführung der Boden- die Vorschriften über die Abwicklung der Bodenreform (Art. 233 reform zu beschließen; der Beschluss über die Aufteilung erhielt EGBGB 2. Abschn.) Anwendung finden. Für den Auflassungsanspruch Gesetzeskraft, nachdem er durch die Kreiskommissionen zur Durch- nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB, den der Kl. hier geltend führung der Bodenreform bestätigt worden war (Art. IV Nr. 8 der macht, ist allein entscheidend, ob es sich um Flurstücke handelt, die VO über die Bodenreform in der Provinz Mark Brandenburg). Die im Grundbuch als solche aus der Bodenreform gekennzeichnet sind Bestätigung war mit der Übergabe einer Urkunde über die Begrün- (Senat, Urt. v. 20.9.1996, WM 1996, 2207 = NJ 1997, 29). dung des Bodenreformeigentums an dem zugeteilten Boden ver- 2. Im Ergebnis zu Recht nimmt es auch an, dass es an dieser Kenn- bunden; der Eigentumsübergang wurde in das Grundbuch eingetra- zeichnung fehlt. gen (Bodenrecht, Lehrb., Staatsverlag der DDR, 1976, S. 366). Die Eintragung hatte allerdings lediglich deklaratorische Bedeutung a) Art. 233 § 11 Abs. 1, 2 EGBGB knüpft formal an die Kennzeich- (Rechtsgutachten zur Frage der Bodenreform in der SBZ, erstattet nung als Bodenreformgrundstück an. Das soll die für die Eigen- durch das Institut für Besatzungsfragen in Tübingen, 1956, S. 156). tumszuweisung notwendige Grundbuchklarheit gewährleisten. Danach wurde K. K. nur ein Grundstück zur Größe von 2,75 ha aus Allerdings ist im Zweifel nicht die Eintragung des Bodenreformver- der Bodenreform zugeteilt, nicht aber der hier streitige Grundbesitz. merks in Abteilung II des Grundbuchs entscheidend, der das Verbot Das wird durch die Urkunde v. 1.4.1946 bestätigt; darin heißt es, dass der Verpachtung, Teilung und Veräußerung des Grundstücks aufgrund der VO der Provinzialverwaltung Brandenburg über die verlautbart. Er besagt nämlich nichts darüber, ob es sich um ein Bodenreform v. 6.9.1945 dem Bauern K. K. ein Grundstück in der Bodenreformgrundstück handelt, also um ein Grundstück, das genannten Größe, das in der Gemeinde H. liegt und laut dem von nach den Vorschriften über die Bodenreform zugeteilt worden ist, der Bodenkommission aufgestellten Verteilungsplan die Nr. 45 hat, sondern setzt das Vorhandensein eines Bodenreformgrundstücks rechtskräftig zum persönlichen vererbbaren Eigentum übergeben voraus. Anknüpfungspunkt ist vielmehr der Vermerk in Abteilung I wird. Eine entsprechende Urkunde für die streitbefangenen Flur- des Grundbuchs betreffend die Grundlage der Eigentümereintra- stücke fehlt dagegen. Das erklärt die unterschiedlichen Vermerke zu gung. Weist er auf einen anderen Erwerbsgrund als das Zuteilungs- den Grundlagen der Eigentümereintragungen in Abteilung I des verfahren nach den Bodenreformvorschriften hin, fehlt es an der Grundbuchs. Kennzeichnung als Bodenreformgrundstück; die Eintragung des Bodenreformvermerks in Abteilung II ist in einem solchen Fall uner- cc) Die auch hinsichtlich der streitbefangenen Flurstücke in Abtei- heblich. lung II des Grundbuchs eingetragen gewesenen Vermerke zum Verbot b) Die streitbefangenen Flurstücke sind nach den Vermerken in der Verpachtung, Teilung und Veräußerung waren somit erkennbar zu Abteilung I des Grundbuchs keine Bodenreformgrundstücke. Unrecht eingetragen worden. Dafür spricht auch, dass sowohl K. K. als auch der Rat des Kreises T. im Dez. 1957 bzw. im Jan. 1958 die aa) Hinsichtlich des in der Urkunde v. 1.4.1946 bezeichneten Löschung der Vermerke beantragt haben. Ihnen kommt deswegen Grundstücks verweist die Eintragung in Abteilung I des Grundbuchs keine Bedeutung bei der Beantwortung der Frage zu, ob die Flurstücke auf das durch die Kreiskommission bestätigte Aufteilungsprotokoll Bodenreformgrundstücke sind. der Gemeindekommission; sie gibt damit das Zuteilungsverfahren nach Art. IV Nr. 8 der VO über die Bodenreform in der Provinz Mark d) Da es sich nach alledem nicht um Bodenreformgrundstücke han- Brandenburg v. 6.11.1945 (wiedergegeben bei Döring, Von der Boden- delt, ist der geltend gemachte Anspruch (Art. 233 § 3 Satz 1 EGBGB) reform zu den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, unbegründet. S. 104 ff.) wieder. Die Eintragungen betreffend die beiden streitbefan- genen Flurstücke geben als Erwerbsgrund stattdessen die Ausführung der Anliegersiedlungssache H. H. an; der Bezug zur Bodenreform wird 02.4 – 9/03 lediglich dadurch hergestellt, dass im Zusammenhang mit ihr die Erfüllung durch Hinterlegung/Mietzinsforderung/Ungewissheit über Vermessung des Grundbesitzes erfolgte, weil die Flurstücke in dem- Person des Gläubigers selben Aufteilungsobjekt wie die aus der Bodenreform zugeteilten BGH, Urteil vom 12. Februar 2003 – XII ZR 23/00 (OLG Naumburg) Grundstücke des ursprünglichen Eigentümers M. B. lagen. Auch aus BGB §§ 372, 378 dem jeweiligen Datum der Eigentumseintragungen wird deutlich, dass K. K. die streitbefangenen Flurstücke nicht im Rahmen der Zu den Voraussetzungen einer als Erfüllung wirkenden Hinter- Bodenreform erhalten hat. Die Eintragung hinsichtlich des entspre- legung. chend dem Aufteilungsprotokoll der Gemeindekommission zugeteil- ten Grundstücks erfolgte bereits wenige Tage nach der Bestätigung des Problemstellung: Protokolls durch die Kreiskommission; die Eintragungen betreffend Der Kl. erwarb ein Grundstück und schloss mit zwei einander ver- die beiden streitbefangenen Flurstücke wurden dagegen erst neun bundenen Gesellschaften einen Mietgarantie- und einen Grund- bzw. zehn Monate nach dieser Bestätigung, nämlich nach erfolgter stücksverwaltungsvertrag. Dann vermietete er das Grundstück an die Vermessung, vorgenommen. Diese Handhabung entsprach der damals Bekl. Im Mietvertrag wurde festgelegt, dass die Miete auf ein Konto der – teilweise ausdrücklich – staatlich verordneten Vorgehensweise. Verwalterfirma gezahlt werden solle. Im Okt. 1997 teilte der Kl. der Danach waren die Gerichte verpflichtet, Eintragungen des im Rah- Bekl. mit, der Verwaltungsvertrag sei gekündigt, und sie solle die Miete men der Bodenreform erlangten Eigentums in das Grundbuch ab sofort direkt an den Kl. zahlen. Die Verwaltungsfirma äußerte sich aufgrund der von den Kreiskommissionen bestätigten Beschlüsse der hierzu nicht. Stattdessen wandte sich der Mietgarant an die Bekl. und Gemeindekommissionen vorzunehmen, ohne die Angaben der Katas- verlangte weiter Zahlung der Mieten an die Verwaltungsfirma, da der

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Mietgarantievertrag unwirksam sei. Der Kl. widersprach dieser Auf- 02.5 – 9/03 fassung und verlangte weiter Zahlung an sich. Die Bekl. hinterlegte Unterhalt/Auslegung einer Vereinbarung von Ehegatten/ darauf die Mieten beim AG. Bemessung bei selbständigen Unterhaltspflichtigen/Investitions- Auf die vom Kl. erhobene Zahlungsklage, die rückständigen Miet- zulagen/steuerliche Abschreibungen zins zzgl. Zinsen betrifft, wandte die Bekl. ein, sie habe die Mietzins- BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 – XII ZR 19/01 (OLG Dresden) forderung durch Hinterlegung erfüllt. BGB §§ 779, 1361, 1601 ff. Die Klage blieb vor dem LG und dem OLG erfolglos. a) Zur Auslegung einer Unterhaltsvereinbarung getrennt lebender Die Revision des Kl. hatte Erfolg. Ehegatten über Trennungs- und Kindesunterhalt. b) Zur Relevanz von Investitionszulagen und steuerlichen (Sonder-) Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Abschreibungen für das der Unterhaltsbemessung zugrunde zu Die schuldbefreiende Hinterlegung ist gem. § 372 BGB möglich, wenn legende Einkommen eines Selbständigen (hier: Gartenbaubetrieb). Ungewissheit über die Person des Gläubigers besteht. Allerdings reicht hierfür keine allgemeine Ungewissheit, sondern nach Auffassung des Anm. d. Redaktion: Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die BGH ist allein entscheidend, ob die Bekl. ohne Fahrlässigkeit Zweifel Sache an das OLG zurückverwiesen. Für die erneute Verhandlung und Ent- haben konnte, wem die Mietzinsforderung zustand. scheidung hat der BGH umfangreiche Hinweise gegeben und bzgl. der Inves- Welche Anforderungen an die Bemühungen des Schuldners gestellt titionszulagen Folgendes ausgeführt: Entgegen den Ausführungen des OLG werden müssen, die unklare Situation aufzuklären, ob der Schuldner sind die vom Bekl. bezogenen Investitionszulagen unterhaltsrechtlich nicht insbes. externen Rechtsrat einholen muss, lässt der BGH ausdrücklich völlig irrelevant. Nach § 9 InvestitionszulagenG gehören diese Zulagen nicht offen. Denn in der vorliegenden, einfach zu überblickenden Situation zu den steuerpflichtigen Einkünften und mindern auch nicht die steuerlichen hätte die Bekl. lediglich ihre eigene Rechtsabteilung einschalten Anschaffungs- und Herstellungskosten. Dies bedeutet, dass sie vom Steuer- müssen, um festzustellen, dass die Mietzinsforderung unter keinem pflichtigen erfolgsneutral zu verbuchen sind und die Absetzung für Abnut- Gesichtspunkt der Verwalterfirma zustehen konnte. Die Bestimmung zungen (AfA) auf das mit der Zulage angeschaffte Wirtschaftsgut den Gewinn im Mietvertrag, der Mietzins sei an die Hausverwaltung zu zahlen, vermindert. Die Zulage würde damit mittelbar auch die unterhaltsrechtliche stellt üblicherweise keine Abtretung dar, sondern lediglich die Rege- Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen herabsetzen, wenn sie völlig unbe- lung einer Zahlungsmodalität. Sie ist jederzeit widerrufbar. Die Bekl. rücksichtigt bliebe. Dies widerspräche Sinn und Zweck der Zulage. Ihre hatte dies auch so verstanden und nach dem Widerruf zunächst direkt einkommensmindernde Wirkung ist deshalb durch die Nichtberücksichtigung an den Kl. gezahlt. der entsprechenden AfA auszugleichen. Damit wird die Gewährung der Inves- Die Bekl. war bei Anwendung angemessener Sorgfalt zudem zur titionszulage zu Zwecken des Unterhaltsrechts auf die Dauer der Abschreibung Einschaltung ihrer Rechtsabteilung verpflichtet. Spätestens diese Maß- des mit ihr angeschafften Wirtschaftsguts verteilt. nahme hätte zu der Erkenntnis geführt, dass der Mietgarantievertrag, den der Kl. mit einem Dritten geschlossen hatte, bzgl. der Frage, wem die Mieten zustehen, keinerlei Bedeutung hatte. Auch die behauptete 02.6 – 9/03 Unwirksamkeit dieses Garantievertrags konnte nicht zur Folge haben, Reichsheimstätte/Überlassungsvertrag/Sachenrechtsbereinigung dass ein am Mietvertrag nicht beteiligter Dritter Inhaber des Mietzins- BGH, Urteil vom 21. März 2003 – V ZR 290/02 (LG Halle) anspruchs wird. SachenRBerG §§ 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c, 12 Abs. 1 u. 2

Kommentar: Die unentgeltliche Überlassung einer Reichsheimstätte ist auch dann nicht als Überlassungsvertrag iSv § 12 Abs. 2 SachenRBerG anzu- Die Entscheidung des BGH bewegt sich im Rahmen der bisherigen sehen, wenn der Nutzer die Lasten zu tragen und der Ausgeber die Urteile zur Hinterlegung. Zum einen wird die st.Rspr. bestätigt, (nicht verwirklichte) Absicht hatte, die Reichsheimstätte nach Durch- dass der Schuldner Bemühungen entfalten muss, um eine unklare setzung eines Heimfallanspruchs an den Nutzer neu auszugeben. Situation zu klären. Zum anderen bleibt nach wie vor offen, wie weit diese Bemühungen gehen müssen und ob der Schuldner hierbei Problemstellung: externen – kostenpflichtigen – Rechtsrat einholen muss. Der BGH bestätigt mit seinem Urteil, dass für die Anforderungen an die vom Die Kl. nehmen den Bekl. auf Räumung und Herausgabe des von Schuldner zu entfaltenden Bemühungen ein subjektiver Maßstab diesem seit ca. 50 Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzten gilt. Jedenfalls wenn der Schuldner selbst fachkundig ist, muss er Einfamilienhausgrundstücks in H. in Anspruch. Die Eltern der Kl. bei der Frage, ob eine Unsicherheit vorliegt, erhöhte Sorgfalt auf- hatten das Hausgrundstück durch einen Kauf- und Reichsheim- wenden. stättenvertrag v. 2.12.1942 als Reichsheimstätte von der damaligen Mitteldeutschen Heimstätten GmbH erworben. Nach Kriegsende Bemerkenswert ist an dem Urteil vor allem, dass die Klage in den gaben die Eltern der Kl. die Nutzung des Hauses auf und zogen nach ersten beiden Instanzen abgewiesen wurde, obwohl hinreichende und ernst zu nehmende Anhaltspunkte dafür, dass der umstrittene Westdeutschland. Mit ihrer Zustimmung nahm der Bekl. das Haus in Anspruch einer anderen Person zustehen könnte, nicht einmal vor- Besitz. Zu einem im Urteil nicht genannten Zeitpunkt soll der »VEB getragen worden waren und die Voraussetzungen für eine Hinter- Volkseigene Wohnungsunternehmen H.« (Rechtsnachfolger der legung recht eindeutig nicht vorlagen. Reichsheimstätten GmbH) auf Betreiben des Bekl. versucht haben, einen Heimfallanspruch gegen die Eltern der Kl. vor den Gerichten im Mietrechtlich ist besonders zu notieren, dass die in gewerblichen Westen Deutschlands durchzusetzen. Dazu habe eine förmliche Verträgen häufig anzutreffende Bestimmung, auf ein Konto der Genehmigung des Amtes für Rechtsschutz der DDR vorgelegen. Aus Verwaltung zu zahlen, eine grundsätzlich einseitig widerrufbare in der Entscheidung nicht genannten Gründen sind diese Bestrebun- Regelung der Zahlungsmodalität darstellt. Allerdings kommt es inso- gen auf gerichtliche Durchsetzung des Heimfallanspruchs seinerzeit weit auf die Regelung im Mietvertrag an, die auch als vertraglich nicht beendet worden. nur einvernehmlich änderbare Bestimmung ausgestaltet werden kann. Die Klage ist vor dem AG und dem LG erfolglos geblieben. Rechtsanwalt Matthias Winkler, Berlin Die Revision der Kl. hatte Erfolg.

Neue Justiz 9/2003 479 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: von ihm angenommene Nutzungsverhältnis analog einem Über- Das BerufungsG war in Anlehnung an ein früheres Urteil des OLG lassungsvertrag seit 1.1.1995 als Mietverhältnis fortzusetzen war, Naumburg v. 30.1.1996 in dieser Sache davon ausgegangen, dass der jedoch hatte sich der Bekl. geweigert, Miete zu zahlen, woraufhin die vorliegende Fall einem Überlassungsvertrag gleichzustellen sei, der Kl. dieses vom OLG angenommene Mietverhältnis fristlos gekündigt Bekl. nach Art. 233 § 2a EGBGB zum Besitz des Grundstücks berech- haben. tigt sei und ihm Ansprüche nach dem SachenRBerG zustünden. Kommentar: Diese Rechtsansicht hat der BGH nicht bestätigt. Zum einen kommt der vom Gesetzgeber mit § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 SachenRBerG Mit dieser Entscheidung hat der 5. Senat des BGH seine schon in der geschaffene Auffangtatbestand hier nicht in Betracht, da diese Norm Vergangenheit praktizierte restriktive Rspr. zu Überlassungsverträgen nach der Intention des Gesetzgebers sowie der im Urteil zitierten BGH- nochmals bekräftigt. Wie schon in der Entscheidung v. 16.10.1998 Rspr. (Urt. v. 16.10.1998, NJ 1999, 91; Urt. v. 25.11.1998, NJ 1999, 259; (aaO – hier bezogen auf den Umbau eines Wochenendhauses zu einem Urt. v. 12.3.1999, NJ 1999, 542 [bearb. v. Zank]) auf bislang unent- Wohnhaus auf einem auf der Grundlage eines Pachtvertrags genutz- deckte Fälle nur Anwendung finden kann, soweit diese bei wertender ten Grundstück) sowie in der Entscheidung v. 27.9.2002 (aaO – hier Betrachtung einen der in § 5 Abs. 1 Satz 2 SachenRBerG genannten in Hinblick auf bauliche Maßnahmen an einem Eigenheim, die in der Regelbeispiele gleichzustellen sind oder aus sonstigen Gründen nach Erwartung der Enteignung des Grundstücks und der Verleihung eines der gesetzlichen Zielsetzung dem Schutzbereich des SachenRBerG Nutzungsrechts am Gebäude vorgenommen wurden) hat der Senat unterfallen. Dies würde allerdings voraussetzen, dass der Nutzer auf nunmehr auch bezogen auf den hier vorliegenden Fall der unent- dem Grundstück ein Eigenheim errichtet oder an einem bestehenden geltlichen Nutzung einer ursprünglichen Reichsheimstätte eine Eigenheim bauliche Maßnahmen vorgenommen hat, die einer Neu- analoge Anwendung der von einem Überlassungsvertrag abgeleiteten errichtung gleichkommen. Der Bekl. hat zwar die Wohnfläche des Anspruchsregelungen des § 12 Abs. 2 SachenRBerG verneint. Hauses vergrößert, aber das vorhandene Einfamilienhaus weder voll- Reichsheimstätten wurden auf der Grundlage des Reichsheim- ständig errichtet noch rekonstruiert oder die Nutzungsart verändert. stättenG v. 25.11.1937 geschaffen. Es handelte sich entweder um eine Auch die vom BerufungsG in Übereinstimmung mit in einem Wohnheimstätte (Einfamilienhaus mit Nutzgarten) oder ein kleineres Vorprozess ergangenen Urteil des OLG Naumburg favorisierte analoge landwirtschaftliches oder gärtnerisches Anwesen (Wirtschaftsheim- Anwendung des § 12 Abs. 2 SachenRBerG auf den hier vorliegenden stätte) und war für das »Wohn- und Wirtschaftsbedürfnis kleiner Fall kommt nicht in Betracht. Ein Überlassungsvertrag liegt nach Leute« konzipiert. Dem Ausgeber der Heimstätte stand bei Schlecht- Art. 232 § 1a EGBGB nur bei einem Vertrag über die Nutzung eines im oder Fremdbewirtschaftung ein Heimfallanspruch zu. Eine umfang- technischen Sinne staatlich verwalteten Grundstücks vor (vgl. BGH- reiche Verbreitung hat die Heimstätte in Deutschland nicht gefunden Urt. v. 27.9.2002, NJ 2003, 305 [m. Anm. Schramm]). Das Grundstück (vgl. z.B. Wormit-Ehrenforth, Heimstättenrecht, 3. Aufl. 1960). der Kl. war bis zum 31.12.1975 eine Reichsheimstätte, stand aber nicht In der DDR ist der Sonderstatus der Heimstätte mit In-Kraft-Treten unter staatlicher Verwaltung, so dass der Bekl. nicht aufgrund eines des ZGB am 31.12.1975 erloschen. Gem. § 5 Abs. 3 EGZGB v. 19.6.1975 Überlassungsvertrags zum Besitz des Grundstücks berechtigt war. (GBI. I Nr. 27 S. 517) galten für die bei seinem In-Kraft-Treten beste- Zwar hatte der Bekl., ähnlich einem Überlassungsnehmer, die henden Heimstätten die Bestimmungen des ZGB über das persönliche öffentlichen Lasten des Grundstücks getragen, die Grundpfandrechte Eigentum. abgelöst und einen Betrag entrichtet, der dem Kaufpreis entspricht. In Anbetracht dieses per Gesetz geregelten Schicksals einer Heim- Dies allein rechtfertigt eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 2 stätte in der DDR muss allerdings nach meiner Ansicht bezweifelt wer- SachenRBerG aber nicht, da hier eine planwidrige Gesetzeslücke nicht den, ob der 5. Senat in diesem Fall wirklich richtig entschieden hat. existiert, die eine analoge Anwendung der Norm rechtfertigen würde. Im Tatbestand des Urteils wird ausgeführt, dass »zuletzt« der »VEB Mit dem SachenRBerG und dem SchuldRAnpG sollten nach dem Volkseigene Wohnungsunternehmen H.« Rechtsnachfolger der Mit- Willen des Gesetzgebers nur die nach der Wiedervereinigung vorge- teldeutschen Heimstätten GmbH als Ausgeber der Reichsheimstätte v. fundenen Rechtsverhältnisse sozialverträglich in BGB-konforme 2.12.1942 war. Ganz abgesehen davon, dass unter der Bezeichnung Rechtsgestaltungen überführt werden, die durch die Rahmenbedin- »VEB Volkseigenes Wohnungsunternehmen H.« zu DDR-Zeiten ein gungen der sozialistischen Planwirtschaft in der DDR geprägt und dem kommunales Wohnungsunternehmen kaum existiert haben dürfte, Recht des BGB fremd waren. Der hier vorliegende Fall hätte auch in kann auch in Anbetracht der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 3 den westlichen Bundesländern vorkommen können, denn bis zur EGZGB die Ableitung des Gerichts nicht überzeugen, von diesem VEB Aufhebung des ReichsheimstättenG durch das Ges. v. 17.6.1993 seien lediglich die seinerzeit in der DDR vorhandenen gesetzlichen (BGBl. I S. 912) hätte auch dort der Ausgeber einer Reichsheimstätte und vertraglichen Instrumente nicht genutzt worden, zumal den einen Heimfallanspruch entgegen seinen ursprünglichen Absichten Urteilsgründen zu entnehmen ist, dass der hier wohl gesetzlich möglicherweise nicht durchgesetzt, obwohl er einen Neuerwerber gegebene Heimfallanspruch gegen die Eltern der Kl. vor den Gerich- vorgesehen hatte. Solche Fälle sind nicht Ausdruck der DDR-spezifi- ten im Westen Deutschlands durchzusetzen gewesen wäre. Wie schon schen Nutzungsverhältnisse an Grund und Boden; hier sind vielmehr oben erwähnt, enthält das Urteil leider keine Zeitangaben über die lediglich die seinerzeit auch in der DDR vorhandenen gesetzlichen Bemühungen des VEB zur Durchsetzung des Heimfallanspruchs. und vertraglichen Instrumente nicht genutzt worden. Sollten diese sich auf den Zeitraum vor 1975 beziehen, müsste Das Urteil verweist nochmals auf die bereits o.g. Entscheidungen des allerdings davon ausgegangen werden, dass § 5 Abs. 2 EGZGB eine Senats v. 16.10.1998 und v. 27.9.2002 – in beiden wurde der Aus- Fortsetzung dieser Bemühungen nach In-Kraft-Treten des ZGB aus- nahmecharakter der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 lit. c geschlossen hat. Das Hausgrundstück war fortan als persönliches SachenRBerG betont – und stellt fest, dass auch der vorliegende Fall Eigentum der Kl. iSv § 295 Abs. 1 ZGB anzusehen und stand seitdem keinen Anlass zu einer analogen Anwendung der von einem Überlas- in Anbetracht des Wohnsitzes der Kl. in Westdeutschland zumindest sungsvertrag hergeleiteten Anspruchsberechtigung des Bekl. nach dem faktisch unter staatlicher Verwaltung iSv § 6 der Vermögens- SachenRBerG gibt. sicherungsVO v. 17.7.1952, die vom örtlich zuständigen volkseigenen Auch aus einem anderen Rechtsgrund kann der Bekl. ein Recht zum Wohnungsunternehmen wahrzunehmen war. Besitz des Grundstücks nicht geltend machen. Das OLG Naumburg Sollten diese Überlegungen zutreffen, würde sich ein entscheiden- hatte in dem vorangegangenen Verfahren zwar festgestellt, dass das des Argument des Urteils, mit dem eine analoge Anwendung des § 12

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Abs. 2 SachenRBerG verneint wurde – das Fehlen der staatlichen hat. Hinsichtlich des anderen Anteils ist der Anspruch davon abhän- Verwaltung des Grundstücks im technischen Sinne – erledigt haben; gig, dass E. J. nicht zuteilungsfähig war. die Entscheidung wäre in diesem Falle nicht mehr begründbar. 1. Nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB kann die Auflassung des Rechtsanwalt Prof. Dr. Horst Zank, Potsdam Grundstücks nur insoweit verlangt werden, als das Eigentum dem Ver- pflichteten durch Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB übertragen werden sollte. Die Vorschrift gewährt dagegen keinen Anspruch auf Übertra- 02.7 – 9/03 gung von Eigentum oder Miteigentum an einem Grundstück, das die Bodenreformabwicklung/Auflassungsanspruch/Eigentumsübertra- Bekl. nach dem In-Kraft-Treten des 2. VermRÄndG rechtsgeschäftlich gung/Miteigentumsanteil erworben hat (Senatsurt. v. 15.3.2002, VIZ 2002, 484, 485 = NJ 2002, BGH, Urteil vom 28. März 2003 – V ZR 156/02 (OLG Brandenburg) 589 [m. Anm. Krüger]). Deswegen ist die Klage schon nicht schlüssig, soweit der Kl. von der Bekl. die Übertragung auch desjenigen Mit- EGBGB 1986 Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 eigentumsanteils der Bekl. an den Grundstücken verlangt, den die Der Auflassungsanspruch aus Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB Bekl. von ihrer Schwester E. mit ihrer am 21.9.1994 erfolgten erfasst das Grundstück nur insoweit, als das Eigentum dem Verpflich- Grundbucheintragung erhalten hat; denn seit dem In-Kraft-Treten des teten durch Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB übertragen werden sollte, 2. VermRÄndG waren die Bekl. und ihre Schwester Miteigentümerin- nicht auch einen Miteigentumsanteil, den der Verpflichtete später nen zu jeweils hälftigem Anteil (vgl. Senatsurt. v. 17.12.1998, WM hinzuerworben hat. 1999, 453, 455 = NJ 1999, 207, u. v. 20.10.2000, aaO) mit der Folge, dass die Schwester über ihren Anteil verfügen durfte. Die Parteien streiten um landwirtschaftlich genutzte Gründstücke aus Hieran hat sich durch die am 25.12.1993 in Kraft getretene, durch der Bodenreform. das RegVBG vorgenommene Ergänzung von Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 2 Bei Ablauf des 15.3.1990 war E. J. auf der Grundlage der Zuweisung EGBGB nichts geändert. Nach dieser Vorschrift sind die Bruchteile der der Grundstücke aus dem Bodenfonds als Eigentümer im Grundbuch Beteiligung an dem Grundstückseigentum abweichend von den Erb- eingetragen. E. J. verstarb 1979. Er wurde von seinen Töchtern, der anteilen zu bestimmen, wenn »die Teilhaber übereinstimmend eine Bekl. und ihrer Schwester, E. J., zu gleichen Teilen beerbt. andere Aufteilung der Bruchteile bewilligen«. Darum handelt es sich Mit notariell beurkundetem Vertrag v. 20.9.1990 setzten die Bekl. bei dem Vertrag v. 20.9.1990 nicht. Der Vertrag diente nicht dazu, die und E. J. den Nachlass nach ihrem Vater dahin auseinander, dass die Anteile der Bekl. und ihrer Schwester an den Grundstücken abwei- Grundstücke gegen Bezahlung des hälftigen Verkehrswerts an E. J. der chend von den Anteilen am Nachlass zu bestimmen und eine Grund- Bekl. übertragen werden sollten. In Vollzug dessen wurde die Bekl. am lage für die Nachfolge in die Bodenreformwirtschaft des Verstorbenen 21.9.1994 als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Sie ist iSv § 4 Abs. 3 BesitzwechselVO zu schaffen, sondern dazu, den der E. J. nicht zuteilungsfähig. zustehenden Miteigentumsanteil an den Grundstücken entgeltlich an die Bekl. zu veräußern. Das klagende Land (Kl.) hat die Auflassung der Grundstücke ver- langt. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. ist 2. Ob der Kl. von der Bekl. die Übertragung des Miteigentums an den ohne Erfolg geblieben. Grundstücken verlangen kann, soweit die Bekl. das Miteigentum kraft Gesetzes erworben hat, hängt davon ab, dass auch E. J. bei Ablauf des Die Revision der Bekl. hatte Erfolg. 15.3.1990 nicht zuteilungsfähig war und die Grundstücke deshalb in den Bodenfonds hätten zurückgeführt werden müssen. Aus den Entscheidungsgründen: Denn das Vorhandensein auch nur eines zuteilungsfähigen Erben I. Das BerufungsG erachtet die Klage für nach Art. 233 § 11 Abs. 3, § 12 schließt den Anspruch des Kl. aus (vgl. Senatsurt. v. 21.6.1996, WM Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB begründet. Es meint, die am 20.9.1990 zwischen der Bekl. und ihrer Schwester getroffene Vereinbarung bedeute 1996, 1865, 1866 = NJ 1996, 589, u. v. 18.6.1999, WM 1999, 1724, keinen Vertrag mit einem Dritten iSv Art. 233 § 16 Abs. 2 Satz 2 EGBGB, 1725 = NJ 1999, 600). Dass nicht nur die Bekl., sondern auch E. J. nicht sondern eine andere Aufteilung des Eigentums an den Grundstücken iSv zuteilungsfähig war, hat der Kl. darzulegen (vgl. Senatsurt. v. 4.5.2001, Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 2 EGBGB, aufgrund deren die Bekl. mit In-Kraft- WM 2001, 1902, 1903 = NJ 2001, 649 [bearb. v. Krüger]). Daran fehlt es. Treten des 2. VermRÄndG alleinige Eigentümerin der Grundstücke gewor- den sei. Da sie nicht zuteilungsfähig sei, habe sie die Grundstücke an den Dies ist von den Parteien nicht gesehen worden. Durch die Auf- Kl. aufzulassen. hebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung des Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Rechtsstreits an das BerufungsG erhalten sie Gelegenheit zur Ergänzung II. Die Ausführungen der Revision zur Verfassungswidrigkeit der ihres Vorbringens. in Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB bestimmten Auflassungsansprüche geben dem Senat allerdings keinen Anlass zur Änderung seiner Rspr. Der Senat hat die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zur Abwick- 02.8 – 9/03 Pflichten des GmbH-Geschäftsführers/Befriedigung künftiger lung der Bodenreform auch angesichts des Irrtums des Gesetzgebers Insolvenzgläubiger über die Vererblichkeit der Grundstücke aus der Bodenreform im Urt. BGH, Urteil vom 31. März 2003 – II ZR 150/02 (OLG Brandenburg) v. 17.12.1998 (BGHZ 140, 223, 231 ff. = NJ 1999, 203) bejaht, seine Auffassung gegenüber im Schrifttum geäußerten Bedenken bestätigt GmbHG § 64 Abs. 2 (Senatsurt. v. 20.10.2000, WM 2001, 212 = NJ 2001, 253) und hieran Der Geschäftsführer einer GmbH verletzt seine Pflicht, das Gesellschafts- auch im Hinblick auf weitere Erkenntnisse der historischen Situation vermögen zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller festgehalten (Senatsurt. v. 22.3.2002, VIZ 2002, 483). künftigen Insolvenzgläubiger zusammenzuhalten, auch dann, wenn er Ebenso wenig wie Art. 233 §§ 11 ff. EGBGB gegen das GG verstoßen, bei Insolvenzreife der Gesellschaft Mittel von einem Dritten zu dem verstoßen sie auch nicht gegen die EMRK. Zweck erhält, eine bestimmte Schuld zu tilgen, und kurze Zeit später III. Das angefochtene Urteil hat dennoch keinen Bestand. Ein dementsprechend die Zahlung an den Gesellschaftsgläubiger bewirkt. Anspruch des Kl. auf den Erwerb des Eigentums an den Grundstücken besteht nicht, soweit die Bekl. den Miteigentumsanteil ihrer Schwester Anm. d. Redaktion: Zu den Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers bei an den Grundstücken aufgrund des Vertrags v. 20.9.1990 erworben Insolvenz siehe den Beitrag von F. Karsten, NJ 2003, 449 ff., in diesem Heft.

Neue Justiz 9/2003 481 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

02.9 – 9/03 stücken aus der Bodenreform verbundenen Rechte und Pflichten. Bodenreformgrundstück/Besitzwechsel/Zuteilungsfähigkeit/ Zu den Pflichten der Eigentümer gehörte es insbes., die landwirtschaft- LPG-Mitgliedschaft/Delegierung lich nutzbaren Grundstücke eigenhändig zu bewirtschaften. Durch die BGH, Urteil vom 11. April 2003 – V ZR 366/02 (OLG Brandenburg) Kollektivierung der Landwirtschaft erfuhr die Verpflichtung zur eigen- händigen Bewirtschaftung der Grundstücke aus der Bodenreform EGBGB Art. 233 § 12 Abs. 3 insofern eine Einschränkung, als die Kollektivierung die Arbeitsteilung Zuteilungsfähig ist, wer bei Ablauf des 15. März 1990 Mitglied einer innerhalb der Landwirtschaft ermöglichte und dies auch für die LPG war. Ob er aufgrund einer Delegation an einen Betrieb außerhalb Grundstücke aus der Bodenreform zu gelten hatte. Eine eigenhändige der Landwirtschaft arbeitstätig war oder ob seine Mitgliedschaft im Bewirtschaftung iSd Bodenreformverordnungen bzw. der Besitz- Hinblick auf die Wahl in ein hauptberuflich auszuübendes Amt ruhte, wechselVO war auch dann gegeben, wenn der Begünstigte die ihm ist insoweit ohne Bedeutung. übertragenen Grundstücke in eine LPG einbrachte, deren Mitglied er war. Ob er innerhalb der LPG an der Feldarbeit mitwirkte oder andere Die Parteien streiten um landwirtschaftlich genutzte Grundstücke aus Tätigkeiten für die Genossenschaft ausübte, war ohne Bedeutung. Die der Bodenreform. Bei Ablauf des 15.3.1990 war G. W. als Eigentümer Bewirtschaftung der in die LPG eingebrachten Grundstücke gewähr- der im Grundbuch als aus der Bodenreform stammend gekennzeich- leistete ihre zweckentsprechende Nutzung und bedeutete aufgrund neten Grundstücke eingetragen. Er verstarb 1987 und wurde von sei- der Arbeitstätigkeit der Mitglieder für die LPG die eigenhändige nen Kindern, den Bekl., beerbt. Bewirtschaftung der Grundstücke iSd Bodenreformvorschriften (vgl. Der Kl. (Land) hat die Auflassung der Grundstücke verlangt. Die Krüger, AgrarR 1999, 332, 334). Bekl. haben die bessere Berechtigung der Bekl. zu 2 (Bekl.) eingewen- Das gilt auch dann, wenn der Eigentümer von der LPG, deren det, die seit 1947 auf dem Hof ihrer Eltern landwirtschaftlich tätig war. Mitglied er war, an einen anderen Betrieb delegiert wurde, weil die 1968 wurde sie Mitglied der LPG »G.« in D., als deren Hauptbuch- Arbeitstätigkeit eines delegierten Mitglieds in diesem Betrieb die halterin sie arbeitete. 1974 wurde sie von der LPG in den Rat des Erfüllung der Arbeitspflicht aus der Mitgliedschaft in der delegieren- Kreises Brandenburg delegiert und anschließend zur Bürgermeisterin den Genossenschaft bedeutete (BGHZ 129, 267, 271 = NJ 1995, 559 der Gemeinde R. gewählt, in deren Gebiet sich ein Teil der von der LPG [Leits.]; Autorenkollektiv, LPG-Recht, Lehrb., S. 271). Allein für die bewirtschafteten Flächen befindet. Ihr Amt übte die Bekl. auch am Rechte und Pflichten des Delegierten zu dem Delegationsbetrieb 15.3.1990 noch aus. galten die Regelungen, die für die Mitarbeiter des Delegationsbetriebs Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Bekl. ist allgemein galten (Richter, Gestaltung der Arbeits- und Lebensver- erfolglos geblieben. hältnisse der LPG-Mitglieder, S. 50 f.). Die Revision der Bekl. hatte Erfolg. Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass die Delegierung in einen Bereich außerhalb der Landwirtschaft erfolgte. Derartige Aus den Entscheidungsgründen: Delegierungen waren möglich. Sie brauchten nicht befristet zu sein I. Das BerufungsG hält die Klage nach Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c (Komm. zum Musterstatut LPG [P], S. 85; Arlt, Agrarrecht für Staats- EGBGB für begründet. Es meint, eine bessere Berechtigung der Bekl. nach und Wirtschaftsfunktionäre, 2. Aufl., S. 172 f.; Richter, aaO, S. 48) und Art. 233 § 12 Abs. 2 Buchst. b EGBGB bestehe nicht. Die Bekl. sei nicht konnten auch in den Staatsapparat erfolgen (Arlt, Rechte und Pflich- zuteilungsfähig. Zuteilungsfähig iSv Art. 233 § 12 Abs. 3 EGBGB sei nur, ten der Genossenschaftsbauern, S. 35). Für die von dem Mitglied des wer am 15.3.1990 in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft tätig gewesen sei. Daran fehle es bei einer Tätigkeit auf der Grundlage eines Erben eingebrachten Bodenreformgrundstücke bedeutete dies, dass sie Arbeitsverhältnisses zu einem Dritten außerhalb der Land-, Forst- oder von ihrem Eigentümer zweckentsprechend bewirtschaftet wurden. Nahrungsgüterwirtschaft. Die bloße Mitgliedschaft in einer LPG könne die Eine Rückführung in den Bodenfonds kam daher nicht Betracht (§ 9 Tätigkeit in der Land-, Forst- oder Nahrungsgüterwirtschaft als Merkmal BesitzwechselVO). der Zuteilungsfähigkeit nicht ersetzen. Hieran änderte sich auch dann nichts, wenn das Mitglied in ein II. Die Revison hat Erfolg. Ein Auflassungsanspruch des Kl. besteht staatliches Amt gewählt wurde. Die Genossenschaften waren gehalten, nicht. Der geltend gemachte Anspruch scheitert an der besseren ihren Mitgliedern die Ausübung von Tätigkeiten in der staatlichen Berechtigung der Bekl. aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b EGBGB. Verwaltung zu ermöglichen (vgl. Komm. zum Musterstatut LPG [P], Die Mitgliedschaft der Bekl. in der LPG »G.« lässt sie iSv Art. 233 § 12 S. 36). Eine hauptberufliche Tätigkeit in einem Wahlamt konnte Abs. 3 EGBGB zuteilungsfähig sein. allerdings nicht auf der Grundlage einer Delegierungsvereinbarung 1. Art. 233 §§ 11 Abs. 3, 12 Abs. 2, 3 EGBGB zeichnen die Zutei- ausgeübt werden. Die Mitgliedschaft in der Genossenschaft musste lungsgrundsätze der BesitzwechselVO in pauschalierter Form nach. vielmehr für die Dauer der Ausübung des Amts, in das der Betroffene Ziel der Regelungen ist es, die Grundstücke aus der Bodenreform gewählt worden war, zum Ruhen gebracht werden (Autorenkollektiv, demjenigen zu übertragen bzw. zu belassen, der bei Beachtung der LPG-Recht, Lehrb., S. 125; Arlt, Rechte und Pflichten der Genossen- Übertragungsgrundsätze der BesitzwechselVO durch die Behörden der schaftsbauern, S. 35). Die Vereinbarung des Ruhens der Mitgliedschaft DDR im Zeitpunkt der Aufhebung der Beschränkungen, die für die suspendierte die Arbeitsverpflichtung gegenüber der Genossenschaft Grundstücke aus der Bodenreform galten, ihr Eigentümer gewesen auf Zeit. Der Bestand der Mitgliedschaft wurde hiervon nicht berührt. wäre (st.Rspr., vgl. Senat, BGHZ 132, 71, 72 = NJ 1996, 527; Urt. v. Das Nutzungsrecht der LPG an den von dem Betroffenen eingebrach- 21.6.1996, VIZ 1996, 523, 524 = NJ 1996, 589; Urt. v. 13.12.1996, WM ten Grundstücke blieb erhalten, die LPG bewirtschaftete die Grund- 1997, 783, 784 = NJ 1997, 197; Urt. v. 4.5.2001, WM 2001, 618, 619 = stücke weiter. Umgekehrt ließ das Ruhen der Mitgliedschaft das Recht NJ 2001, 649 [bearb. v. Krüger]). Mit diesem Ziel steht es nicht in des Betroffenen auf die Auszahlung von Bodenanteilen unberührt Einklang, die Zuteilungsfähigkeit eines Erben iSv Art. 233 § 12 Abs. 3 (Arlt, aaO, S. 35). Die zweckentsprechende Bewirtschaftung der ein- EGBGB zu verneinen, obwohl die Übertragung eines landwirtschaft- gebrachten Grundstücke war gewährleistet, so dass eine Rückführung lich nutzbaren Grundstücks auf ihn nach der BesitzwechselVO in den Bodenfonds ausschied. Dasselbe galt in dem – hier vorliegen- möglich war. den – Fall, dass das LPG-Mitglied Bodenreformland erbte. Da es dieses Die BesitzwechselVO regelte die Übertragung der Grundstücke aus auch bei einem Ruhen der Mitgliedschaft einzubringen hatte, war der Bodenreform unter Lebenden und die Folgen ihres Erwerbs im die zweckentsprechende Bewirtschaftung der Grundstücke ebenfalls Wege der Erbfolge im Hinblick auf die mit dem Eigentum an Grund- gewährleistet (§ 4 Abs. 1 BesitzwechselVO).

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2. Dass die Bekl. nach ihrer Wahl zur Bürgermeisterin oder später aus schaftung durch die LPG im Rahmen der Mitgliedschaft ausdrücklich der LPG ausgetreten wäre, hat der Kl. nicht vorgetragen. Seine in Übereinstimmung mit den Grundsätzen »sozialistischer Boden- Berechtigung als Fiskus aus Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB politik« lag, konnte zwangsläufig die Übertragung eines Grundstücks ist nachrangig. Damit obliegt es dem Kl., zur Begründung des geltend aus der Bodenreform auf einen anderen Eigentümer oder eine gemachten Auflassungsanspruchs darzulegen und im Falle des Rückführung in den Bodenfonds nicht veranlasst werden. Folglich Bestreitens zu beweisen, dass ihm kein Besserberechtigter vorgeht ist für einen Übertragungsanspruch aus Art. 233 §§ 11, 12 EGBGB (Senatsurt. v. 4.5.2001, aaO). Daran fehlt es. kein Raum. Dieser Grundsatz hätte allenfalls in Übereinstimmung mit § 12 dann »durchbrochen« werden können, wenn der Erbe Anmerkung: »bei Ablauf des 15.3.1990 weder Mitglied einer LPG war noch einen Rechtsanwalt Dr. Lothar Schramm, Glindow Antrag auf Aufnahme in einer LPG gestellt hatte« (vgl. auch Die Auslegung des Begriffs der Zuteilungsfähigkeit iSd Abwicklungs- BGH, Urt. v. 15.3.2002, VIZ 2002, 484 = NJ 2002, 589 [m. Anm. vorschriften der §§ 11 ff. des Art. 233 EGBGB stand wiederholt im Krüger]). Mittelpunkt der Rspr. des BGH. Bisher hatte der BGH die Zuteilung Zugleich hat der BGH jetzt klargestellt, dass derartige Delegierungen land- oder forstwirtschaftlicher Schläge an den Nachweis der Mit- auch außerhalb der Landwirtschaft möglich waren, nicht befristet gliedschaft des Erben zu einer LPG zum 15.3.1990 geknüpft und die sein mussten und auch in den »Staatsapparat« erfolgen konnten. alleinige Tätigkeit in der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft als nicht Allerdings hat der BGH deutlich gemacht, dass nach seiner Auffassung ausreichend betrachtet. eine hauptberufliche Tätigkeit im Wahlamt nicht auf der Grundlage Im vorliegenden Fall hatten sowohl das kl. Land als auch das LG einer Delegierung, sondern einer Vereinbarung des Ruhen des und das OLG die Auffassung vertreten, dass die Zuteilungsfähigkeit Mitgliedschaftsverhältnisses ausgeübt werden konnte. Aber auch dann der Erben eines Bodenreformeigentümers vom Nachweis der Inne- sei hiervon der Bestand der Mitgliedschaft trotz Suspendierung der habung der LPG-Mitgliedschaft und zusätzlich von einer Tätigkeit in Arbeitsverpflichtung nicht berührt worden, zumal auch in diesem Fall der Landwirtschaft abhängig sei. Hierbei wurde übersehen, dass das Nutzungsrecht an den eingebrachten Flächen bei der LPG ver- allein mit der Mitgliedschaft zur LPG und der hierauf beruhenden blieben ist. Vorliegend hat jedenfalls die bekl. Miterbin nach ihrer Einbringungspflicht die in der BesitzwechselVO geforderte zweck- Wahl zur Bürgermeisterin ihre Mitgliedschaft zur LPG nicht beendet, entsprechende Nutzung land- und forstwirtschaftlicher Grundstücke so dass ein Auflassungsanspruch des Landesfiskus gegenüber der Bekl. aus der Bodenreform gewährleistet wurde. Vorliegend hatte die nicht besteht. Erbin im Jahre 1968 die Mitgliedschaft zur LPG begründet, dort als Hauptbuchhalterin gearbeitet und seit 1974 das Amt der Bürger- meisterin ausgeübt, nachdem sie von der LPG zum Rat des Kreises 02.10 – 9/03 delegiert worden ist. Dieses Amt hatte sie auch noch am 15.3.1990 Arzthaftung/Behandlungsfehler/Einstandspflicht für Folgeschädi- ausgeübt. gung durch nachbehandelnden Arzt/Kausalzusammenhang BGH, Urteil vom 6. Mai 2003 – VI ZR 259/02 (OLG Jena) Die nunmehrige Entscheidung des BGH in Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des Landes und des BerufungsG ist konse- BGB § 823; ZPO § 286 quent und von der eindeutigen Rechtslage in der DDR gedeckt. a) Das Absehen von einer medizinisch gebotenen Vorgehensweise Insbes. wird auf das Ziel der Abwicklungsvorschriften hingewiesen, begründet einen ärztlichen Behandlungsfehler. Auf die subjektiven wonach die Grundstücke demjenigen zu übertragen oder zu über- Fähigkeiten des behandelnden Arztes kommt es insoweit nicht an. lassen waren, der bei Beachtung der Übertragungsgrundsätze und der b) Wird aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein weiterer BesitzwechselVO durch die DDR-Behörden bei Aufhebung der für Eingriff erforderlich, der dem Patienten bei korrektem medizinischen diese Grundstücke geltenden Beschränkungen Eigentümer gewesen Vorgehen erspart geblieben wäre, hat der erstbehandelnde Arzt wäre. haftungsrechtlich für den weiteren Eingriff einzustehen. Dabei Zu Recht wird zunächst hervorgehoben, dass aufgrund der Tätigkeit umfasst seine Einstandspflicht regelmäßig auch die Folgen eines des Mitglieds die eigenhändige Bewirtschaftung der Grundstücke im Fehlers des nachbehandelnden Arztes. Sinne der Bodenreform umfassend gewährleistet worden ist. Dies gilt auch im Falle der Delegierung, weil hiermit die aus der Mitgliedschaft resultierenden Arbeitspflichten erfüllt worden sind (vgl. nur Ziff. 25 02.11 – 9/03 Abs. 4 MSt-LPG [P]). Bei einer Delegierung bestand unabhängig von Rechtsanwalt/Pflichtverletzung/Anfertigung der Rechtsmittelschrift der jeweiligen Tätigkeit des delegierten Mitglieds das genossenschaft- BGH, Beschluss vom 14. Mai 2003 – XII ZB 154/01 (OLG Dresden) liche Bodennutzungsrecht fort, so dass auch die Zuteilungsfähigkeit selbst fortbestehen musste (vgl. nur Krüger, Komm. zu BGH, Urt. v. ZPO § 518 Abs. 2 Nr. 1 aF (§ 519 Abs. 2 Nr. 1 nF) 4.5.2001, NJ 2001, 650). Auch ein auf unbefristete Zeit delegiertes Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört wegen der Bedeu- Mitglied war unabhängig von seiner Tätigkeit in dem »Einsatzbetrieb« tung dieser Tätigkeit und wegen der inhaltlichen Anforderungen an verpflichtet, sämtliche in seinem Eigentum stehende Flächen – damit einen solchen Schriftsatz zu den Geschäften, die der Rechtsanwalt auch Bodenreformflächen – in der genossenschaftlichen Bewirtschaf- nicht seinem Büropersonal überlassen darf, ohne das Arbeitsergebnis tung zu belassen. »Erlangen Mitglieder während der Mitgliedschaft auf seine Richtigkeit und Vollständigkeit selbst zu überprüfen weitere landwirtschaftliche Flächen (z.B. durch Erbfall oder Schen- (st.Rspr.). kung), so sind sie verpflichtet, auch diese Flächen der genossen- 2. Von dieser Verpflichtung entbindet den Rechtsanwalt nicht die schaftlichen Bewirtschaftung zur Verfügung zu stellen« (Krauss u.a., Anweisung an seine Mitarbeiter, ein speziell für die Rechtsmittel- Komm. MSt der LPG [P], Berlin 1980, S. 48, 49). einlegung erarbeitetes Computerprogramm zu benutzen. Die fehler- Bei Fortbestehen der Mitgliedschaft zur LPG war unter keinem hafte Benutzung des Programms oder – wie im vorliegenden Fall, in denkbaren Ansatz der DDR-Rechtsordnung ein Entzug der Boden- dem weder die Parteien korrekt bezeichnet noch die Person des reformflächen möglich. Entzug oder Rückführung von Boden- Rechtsmittelführers genannt war – ein eigenmächtiges Abweichen reformflächen in den Bodenfonds waren ausschließlich in den in vom Programm kann den Rechtsanwalt nicht entlasten. (Leitsätze der §§ 8 u. 9 BesitzwechselVO genannten Fällen möglich. Da die Bewirt- Redaktion).

Neue Justiz 9/2003 483 Rechtsprechung Bürgerliches Recht

02.12 – 9/03 einem im Übrigen abweichenden Erbstatut (hier: bundesdeutsches Nachlassspaltung/Auslegung eines Erbvertrags nach ZGB Recht) stets nach dem Recht der DDR bestimmten. Ein solches Son- BayObLG, Beschluss vom 15. Januar 2003 – 1Z BR 55/01 (LG Aschaffenburg) derstatut wurde durch bundesdeutsches Kollisionsrecht anerkannt (Art. 3 Abs. 3 EGBGB analog). EGBGB Art. 3 Abs. 3, 25 Abs. 1; RechtsanwendungsG/DDR §§ 25 Abs. 2, 26; ZGB §§ 364, 365 Abs. 1, 372, 375 Abs. 3; BGB § 2084 Problematisch ist vorliegend allerdings, dass nicht sicher von einer Eigentümerstellung des Erblassers ausgegangen werden kann. Fest 1. Hat ein Erblasser mit letztem Wohnsitz in der Bundesrepublik steht nämlich nur, dass er im Grundbuch als Eigentümer eingetragen hinsichtlich ihm zugeteilter, später von ihm verlassener Bodenreform- gewesen ist. Hieraus lässt sich aber nicht schließen, dass ihm auch grundstücke eine Grundbuchposition inne (Eintragung als Eigen- nach DDR-Recht das Eigentum an den 1954 verlassenen Boden- tümer), führt dies gem. § 25 Abs. 2 RAG/DDR iVm Art. 3 Abs. 3 EGBGB reformgrundstücken verblieben war, da sich der »Besitzwechsel« an analog zu einer Nachlassspaltung, so dass sich die Erbfolge hinsicht- solchen Grundstücken außerhalb der Formen des rechtsgeschäftlichen lich der Bodenreformgrundstücke nach dem ZGB beurteilt. Privatrechtsverkehrs und damit auch außerhalb des Grundbuchs voll- 2. Ob mit einem 1982 geschlossenen Erbvertrag auch über die zog. Für die Übertragung der Grundstücke galten besondere Vorschriften Bodenreformgrundstücke verfügt wurde, ist durch Auslegung zu (sog. BesitzwechselVO), wobei allein die zuständigen staatlichen ermitteln. Die Auslegung richtet sich nach dem Erbstatut und somit Organe das Recht hatten, über einen »Besitzwechsel« zu entscheiden. infolge der Nachlassspaltung nach den Vorschriften des ZGB. Eine solche Entscheidung war konstitutiv. Der Erwerber sollte zwar im 3. Rechnete der Erblasser nicht damit, noch Grundvermögen in der Grundbuch eingetragen werden; die Eintragung wirkte jedoch nur DDR zu besitzen, muss für die Annahme, er habe bei seiner Erbein- noch deklaratorisch als Grundbuchberichtigung. Verließ ein Neubauer setzung auch über den abgespaltenen Nachlassteil verfügen wollen, das ihm zugeteilte Bodenreformgrundstück, konnte es ihm durch ein besonderer Anhaltspunkt vorliegen. (Leitsätze des Bearbeiters) Hoheitsakt entzogen, in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt und anschließend neu übertragen werden. Ob der jeweilige Besitzer Problemstellung: also tatsächlich nach den Regeln der BesitzwechselVO Eigentümer Dem Erblasser waren 1945 in der SBZ Bodenreformgrundstücke von geworden war, ging aus dem Grundbuch nicht zuverlässig hervor, da insges. ca. 11 ha zugeteilt worden. 1954 verließ er die DDR, siedelte in sich Eigentumserwerb und -übertragung außerhalb des Grundbuchs die Bundesrepublik über und erwarb hier ein Hausgrundstück. 1982 vollzogen und im Grundbuch vielfach nicht deklariert wurden. Zudem schlossen der Erblasser, seine Ehefrau und eines der gemeinsamen vier wurden aber auch die Besitzwechselvorschriften für die Bodenreform- Kinder einen Erbvertrag mit dem Ziel, dass das Hausgrundstück bei grundstücke vielfach nicht beachtet und Rückführungen in den staat- diesem Kind verbleiben sollte, das Kind aber die drei anderen lichen Bodenfonds unterlassen. Die bloße Eintragung des Erblassers im Geschwister sowie einen weiteren Sohn der Ehefrau gleichmäßig Grundbuch sagte deshalb nichts über die Fortdauer seiner Eigentümer- »auszuzahlen« hatte. Zu diesem Zweck setzten die Eheleute sich stellung aus. Erst durch die mit Wirkung v. 22.7.1992 eingefügten gegenseitig als Erben und das Kind als Schlusserben ein. Das Kind über- Vorschriften des Art. 233 §§ 11-16 EGBGB zur sachenrechtlichen nahm im Gegenzug verschiedene Pflichten und Lasten und zahlte Bereinigung der Bodenreform ist aus der fortbestehenden Eintragung zwei seiner Geschwister sofort aus; den beiden anderen Kindern des Erblassers als Eigentümer im Grundbuch an diesem Tag – dem wurden Barvermächtnisse zugewandt. 22.7.1992 – das (zumindest vorläufige) Eigentum seines oder seiner Nach dem Tod der Ehefrau 1988 und des Erblassers Mitte 1990 Erben an den Grundstücken kraft gesetzlicher Zuweisung entstanden. stellte sich heraus, dass dieser weiterhin im Grundbuch als Eigentümer § 25 Abs. 2 RAG kann demnach auf den Erbfall im Jahr 1990 nur der Bodenreformgrundstücke eingetragen war. Die Geschwister des als Anwendung finden, wenn die Stellung des Bucheigentümers als Schlusserben eingesetzten Kindes beantragten daraufhin die Erteilung »Eigentum« im Sinne dieser Vorschrift oder zumindest als »anderes eines Teilerbscheins, wonach sie gem. ZGB zu jeweils einem Viertel Recht« an einem Grundstück gewertet werden kann. Bei der Ausle- Miterben dieses Grundstücks geworden sind. gung der Norm ist auf ihr Verständnis und die Rechtspraxis in der DDR NachlassG und LG haben die Anträge bzw. die gegen die Zurück- abzustellen. § 25 Abs. 2 RAG hatte das Ziel, für die Eigentums- und weisung erhobenen Beschwerden zurückgewiesen. Nutzungsverhältnisse an Grundstücken in der ehem. DDR einen Das BayObLG hat den hiergegen gerichteten weiteren Beschwerden »untrennbaren Zusammenhang mit der ökonomischen und sozialen stattgegeben, die früheren Entscheidungen aufgehoben und die Ertei- Entwicklung zu gewährleisten«; deshalb sollte die Erbfolge an solchen lung des Erbscheins wie beantragt angewiesen. Grundstücken dem DDR-Recht unterstehen. Bereits die Rechtsstellung eines Bucheigentümers muss der Kollisionsregel des § 25 Abs. 2 RAG Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: unabhängig von der Frage unterfallen, ob die Eintragung der tat- Die Argumentation des BayObLG beruht im Wesentlichen auf zwei sächlichen Rechtslage entsprach, denn es gehört im Erbfall zu den Gedankenschritten: Erstens ist von einer Nachlassspaltung auszu- bedeutsamen sachenrechtlichen Fragen, wie sich der Umstand des gehen, d.h. die Erbfolge in das im Gebiet der ehem. DDR belegene Bucheigentums hinsichtlich der tatsächlichen Eigentümerstellung Grundvermögen richtet sich nach den Vorschriften des ZGB, während auswirkt. Gem. § 25 Abs. 2 RAG iVm Art. 3 Abs. 3 EGBGB analog ist hinsichtlich des übrigen Nachlasses BGB-Vorschriften Anwendung damit eine Nachlassspaltung (Bodenreformgrundstücke: DDR-Erb- finden. Zweitens ist der Erbvertrag von 1982 dahingehend auszulegen, recht; übriger Nachlass: BGB-Vorschriften) eingetreten. dass der Erblasser bei der Erbeinsetzung nicht über den abgespaltenen 2. Zur Auslegung des Erbvertrags: Ob sich die Einsetzung des Kindes Nachlassteil (DDR-Grundstücke) verfügen wollte und diesbezüglich als Schlusserbe auch auf die DDR-Grundstücke bezog, ist durch Aus- somit die gesetzliche Erbfolge nach dem ZGB eingetreten ist. legung des Erbvertrags zu ermitteln. Der Wirksamkeit einer etwaigen 1. Zur Nachlassspaltung: Da der Erblasser seinen gewöhnlichen Erbeinsetzung steht jedenfalls nicht schon entgegen, dass das Institut Aufenthalt in der Bundesrepublik hatte, richtet sich die Erbfolge des Erbvertrags in der DDR nicht mehr zur Verfügung stand. § 26 RAG grundsätzlich nach den Vorschriften des BGB (Art. 25 Abs. 1 EGBGB bestimmt insoweit, dass sich die zulässigen Arten testamentarischer analog). Allerdings galt zum Todeszeitpunkt (vor dem Beitritt am Verfügungen nach dem Recht des Wohnsitzstaates des Verfügenden 3.10.1990) noch die Kollisionsnorm des § 25 Abs. 2 RAG/DDR, nach (hier: Bundesrepublik) bestimmen. der sich die erbrechtlichen Verhältnisse in Bezug auf das Eigentum und Die Auslegungsregeln werden durch das maßgebliche Erbstatut andere Rechte an Grundstücken und Gebäuden in der DDR auch bei aufgestellt, hier also infolge der Nachlassspaltung durch das DDR-

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Erbrecht. Die Auslegungsmethode bei Anwendung des ZGB unter- berufen wird (Andrae, IPRax 2000, 300 ff. [301]; NJ 2001, 287 [288]). scheidet sich nicht grundsätzlich von derjenigen nach dem BGB. Die Konzeption, einerseits das RAG zu ignorieren, es aber andererseits Nach § 372 ZGB hat die Auslegung dem wirklichen oder mutmaß- über Art. 3 Abs. 3 EGBGB anzuwenden, ist zwar offensichtlich lichen Willen des Erblassers Geltung zu verschaffen. Es können auch widersprüchlich (hierzu Staudinger-Dörner, EGBGB, 13. Aufl. 1995, Umstände außerhalb des Testaments herangezogen werden; eine Art. 25 EGBGB Rn 897) und trägt auch nicht dem ausdrücklichen ergänzende Auslegung ist zulässig. Anliegen des EinigungsV Rechnung (Andrae, NJ 1998, 113 ff. [115]), Vorliegend konnte der Erblasser nicht annehmen, dass die Boden- entspricht aber gefestigter höchstrichterlicher Rspr. reformgrundstücke noch in seinem Eigentum standen. Vielmehr Für das Erbrecht gilt nach bundesdeutschem interlokalen Privat- musste er davon ausgehen, dass ihm wegen seiner Flucht die Grund- recht, dass sich die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach einem stücke entsprechend den BesitzwechselVO entzogen worden waren. deutschen Erblasser nach den Bestimmungen derjenigen deutschen Im Grundsatz ist zwar davon auszugehen, dass bei einheitlicher Teilrechtsordnung richtet, in deren Geltungsbereich der Erblasser sei- Erbeinsetzung auch im Falle einer Nachlassspaltung das gesamte Ver- nen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt des Todes hatte (BGHZ mögen erfasst ist. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Erblasser 124, 270 [272] = NJ 1994, 221; 127, 368 [370]; 128, 41 [43] = NJ 1995, den abgespaltenen Nachlassteil wenigstens zu seinem Vermögen 446 [Leits.]; 131, 22 [26] = NJ 1996, 364). Dieser lag im vorliegenden rechnet, auch wenn er ihm keine Bedeutung und keinen Wert bei- Fall in der Bundesrepublik, so dass der Erblasser grundsätzlich nach misst. Hier konnte der Erblasser aber überhaupt nicht damit rechnen, dem BGB beerbt wurde. Hinsichtlich der in der DDR belegenen dass die Grundstücke in der DDR noch zu seinem Vermögen zählten. Grundstücke ist jedoch zu prüfen, ob gem. § 25 Abs. 2 RAG iVm Art. 3 Unter diesen Umständen ist ein besonderer Anhaltspunkt dafür zu Abs. 3 EGBGB analog eine Nachlassspaltung eingetreten ist und fordern, dass die Verfügung auch den abgespaltenen Nachlassteil insoweit (auch) das ZGB einschlägig ist. umfasste. Diesbezüglich ist im vorliegenden Fall jedoch nichts ersicht- Drei Voraussetzungen müssen für eine Nachlassspaltung bei einem lich. Vielmehr wollten die Eltern alle Kinder gleichmäßig bedenken. während der Rechtsspaltung aufgetretenen Erbfall gegeben sein Wäre nur eines der Kinder Alleinerbe der DDR-Grundstücke geworden, (BGHZ 131, 22 [26-31]; Andrae, NJ 2001, 287 [288]): geriete das erkennbar gewollte Werteverhältnis aus den Fugen. Der Erstens müssen sich in dem Nachlass Gegenstände befinden, die Erbvertrag bezog sich somit nicht auf diese Grundstücke. auf dem Gebiet der neuen Bundesländer belegen sind – dies war im 3. Ergebnis: Nach allem trat hinsichtlich des abgespaltenen Nach- vorliegenden Fall unproblematisch zu bejahen. lasses gem. § 375 Abs. 3 ZGB die gesetzliche Erbfolge ein. Da die Ehe- Zweitens müssen diese Gegenstände von § 25 Abs. 2 RAG erfasst frau bereits vorverstorben war, sind die vier Kinder des Erblassers gem. sein. Das BayObLG hat diese Voraussetzung, methodisch und im §§ 364, 365 Abs. 1 ZGB gesetzliche Erben erster Ordnung; sie erben zu Ergebnis zutreffend, als gegeben erachtet. Maßgeblich sind Sinn und gleichen Teilen. Der beantragte Erbschein ist somit zu erteilen. Zweck von § 25 Abs. 2 RAG, wonach für Eigentums- und Nutzungs- verhältnisse an Grundstücken und Gebäuden in der DDR deren Kommentar: »untrennbarer Zusammenhang mit der ökonomischen und sozialen Der Beschluss des BayObLG überzeugt hinsichtlich des Lösungswegs Entwicklung« (RAG-Komm., Berlin 1989, Vorb. zu §§ 25, 26, Anm. 2) und des Ergebnisses nicht. Eine Nachlassspaltung wird ohne nähere zu gewährleisten ist. Darüber hinaus ergibt sich aus einer systemati- Auseinandersetzung mit der Frage, ob diese aus Vertrauensschutz- schen Betrachtung der §§ 9, 12 Abs. 2, 25 Abs. 2 RAG, dass das RAG gründen erforderlich war, angenommen. Der Erbvertrag wird unter davon ausging, dass alle Rechtsverhältnisse, die das Eigentum und Annahme einer Nachlassspaltung nach DDR-Erbrecht ausgelegt, ohne andere Rechte an Grundstücken und Gebäuden betrafen, soweit sie in zu überprüfen, ob die Nachlassspaltung hinsichtlich der Auslegung der DDR belegen waren, unabhängig davon, ob sie als sachenrechtlich, einer Verfügung von Todes wegen Wirkungen entfaltet. Schließlich schuldvertragsrechtlich oder erbrechtlich zu qualifizieren waren, dem erfolgt die konkrete Auslegung ohne Berücksichtigung einschlägiger Recht der DDR unterstanden. Für die DDR ging es darum, mittels des DDR-Auslegungsregeln unter bloßem Rückgriff auf BGB-Maßstäbe. Kollisionsrechts bei auslandsberührenden Sachverhalten in Bezug auf Auch das Auslegungsergebnis ist nicht schlüssig. das Eigentumsrecht und andere Rechte an Grundstücken das eigene 1. Nachlassspaltung bedeutet, dass die tatsächliche Vermögensein- Recht zur Anwendung zu bringen, um die in den materiell-rechtlichen heit in verschiedene, rechtlich eigenständige Teilnachlässe zerfällt. Die Regelungen enthaltenen Regelungsziele zu verwirklichen. Neben Rechtsnachfolge ist für jeden der Nachlässe nach dem hierfür maß- typischen erbrechtlichen Regelungszielen gab es eine Reihe von geblichen Recht so zu beurteilen, als ob es der gesamte Nachlass wäre. Vorschriften, die den erbrechtlichen Erwerb von der Verwirklichung Courtoisie gegenüber dem Belegenheitsstaat und die Achtung fremder staatlicher Grundstückspolitik abhängig machten, z.B. Regelungen, staatlicher Interessensphären sind Anlass für die Durchbrechung des die die Erbrechtsfolge in Bodenreformgrundstücke gesondert regelten. an sich kollisionsrechtlich vorgesehenen einheitlichen Erbstatuts Zudem kann im Rahmen des § 25 Abs. 2 RAG nicht allein auf das (Andrae, NJ 1998, 113 ff. [118]; 2001, 287 ff. [288, 290]). Kriterium der »unmittelbaren dinglichen Berechtigung« abgestellt Nach gefestigter Rspr. richtet sich die Rechtsnachfolge von Todes werden, da in der DDR rechtsdogmatisch die Unterscheidung zwi- wegen für Erbfälle, die während der Geltungsdauer von ZGB und RAG schen dinglichen und schuldrechtlichen Rechten aufgegeben bzw. (1.1.1976 bis 2.10.1990) eingetreten sind, nach dem Recht der Teil- verwischt war. Eigentum im rechtlichen Sinne wurde vielmehr als rechtsordnung, das gemäß den Regeln des bundesdeutschen inter- Rechtsverhältnis der Menschen untereinander in Bezug auf die lokalen Privatrechts maßgeblich ist. Da die DDR aus bundesdeutscher Objekte des Eigentumsrechts und speziell als Verhältnis des Eigen- Sicht kein anderer Staat im staats- und völkerrechtlichen Sinne war, tümers zu den Nichteigentümern verstanden (Andrae, NJ 2001, 287 ff. kommt allenfalls die analoge und ggf. modifizierte Anwendung der [291 f.], unter Verweis auf Grundriß Zivilrecht, H. 2 – Eigentumsrecht, bundesdeutschen IPR-Vorschriften in Betracht. Für die Anwendung Nutzung von Grundstücken und Gebäuden, Berlin 1978, S. 23). Nach des RAG, des Kollisionsrechts der DDR, besteht nach der Rspr. des BGH allem ist deshalb von einer weiten Auslegung des § 25 Abs. 2 RAG auch für Altfälle kein Raum. Das bundesdeutsche Kollisionsrecht setzt auszugehen. Schon die Buchposition des Erblassers ist ein Rechts- jedoch das RAG voraus, indem es im Rahmen der Gesamtverweisung verhältnis in Bezug auf die Bodenreformgrundstücke im Verhältnis zu und des Art. 3 Abs. 3 EGBGB hierauf reagiert. Die Anwendung des RAG deren tatsächlichen Nutzern. Sie unterfällt folglich § 25 Abs. 2 RAG. erfolgt somit im Ergebnis nicht allgemein, sondern allenfalls nur Dritte Voraussetzung für die Annahme einer Nachlassspaltung ist mittelbar, wenn es durch bundesdeutsches interlokales Privatrecht die Erforderlichkeit, eine solche aus Gründen der Rechtssicherheit

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und des Vertrauensschutzes auch nach der Vereinigung aufrechtzuer- des Testaments seinen Wohnsitz hatte. Der Wohnsitz ist nach § 466 halten. Das Vorliegen dieser Voraussetzung wird vom BayObLG nicht ZGB grundsätzlich der gewöhnliche Aufenthaltsort (Andrae, NJ 1998, erörtert, sondern – unzutreffend – stillschweigend unterstellt. Mit dem 113 ff. [118]). Untergang der DDR hat eine Nachlassspaltung, die sich aus Art. 3 Die Auslegung von Verfügungen von Todes wegen unterstellt die Abs. 3 EGBGB analog iVm § 25 Abs. 2 RAG ergibt, ihren Sinn verloren. Rspr. auch hinsichtlich des abgespaltenen Nachlassteils einheitlich Durchsetzungsschwierigkeiten für eine Rechtsnachfolge von Todes dem Erbstatut, da sich die Nachlassspaltung hierauf erstrecke. Das ist wegen, die analog Art. 25 Abs. 1 EGBGB einheitlich dem Recht der sehr zweifelhaft. Zwar erwähnt § 26 RAG die Auslegung nicht, jedoch Bundesrepublik unterliegt, bestehen nicht. Der Normzweck des § 25 überwindet die Norm für wichtige Fragen des Testamentsrechts die Abs. 2 RAG ist entfallen. Einzig die Gewährleistung von Rechtssicher- Nachlassspaltung und führt zu einer einheitlichen Anknüpfung für heit und Vertrauensschutz kann noch einen Grund darstellen, den gesamten Nachlass. Es wird dadurch die Rechtsordnung berufen, weiterhin von einer Nachlassspaltung auszugehen. Abgeschlossene mit der der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes besonders eng ver- Verträge sollen nicht nachträglich aufgrund kollisionsrechtlicher bunden war, weil sich dort sein Lebensmittelpunkt befand. Hierdurch Verweisung einer anderen rechtlichen Regelung unterstellt werden. soll dem testamentarisch niedergelegten Willen des Erblassers soweit Der Vertrauensschutz wird unabhängig davon gewahrt, ob die als möglich Geltung verschafft werden (RAG-Komm., Berlin 1989, Beteiligten vor der Vereinigung auf das bundesdeutsche interlokale § 26 Anm. 0). Gerade die Auslegung, die dazu dient, den Erblasserwil- Privatrecht oder das Kollisionsrecht der DDR vertraut haben. Wenn len zu ermitteln, muss also unter § 26 RAG fallen. Dies gilt um so mehr, allerdings der Vertrauensgrundsatz nicht verletzt wird, hat der Grund- als im materiellen Recht der DDR ein enger Zusammenhang zwischen satz der Nachlasseinheit Vorrang, weil er den kollisionsrechtlichen Testamentsauslegung und Testamentsanfechtung anerkannt war und Interessen der Beteiligten im Allgemeinen besser entspricht. Der diesem Zusammenhang im Kollisionsrecht Rechnung getragen wer- Bereich der Nachlassspaltung ist nach dieser Konzeption möglichst den sollte. Zudem wird verhindert, dass in der DDR unbekannte, weil einzuschränken (BGHZ 131, 22 [29 f.]; Andrae, NJ 1998, 113 ff. [118]; abgeschaffte Arten von Verfügungen von Todes wegen – der Erbver- IPRax 2000, 300 [301]; NJ 2001, 287 ff. [292]). trag war im ZGB nicht vorgesehen – nach DDR-Recht ausgelegt wer- Im vorliegenden Fall ist ein Vertrauen auf die Fortgeltung des Rechts den müssten. Insgesamt ist also § 26 RAG auf die Testamentsauslegung der DDR bei keinem der Beteiligten erkennbar. Einerseits ist geradezu zu erstrecken (Andrae, NJ 1998, 175). Art. 3 Abs. 3 EGBGB ist nicht offensichtlich, dass weder der Erblasser noch die Beteiligten am jetzi- (analog) heranzuziehen, da das Kollisionsrecht der DDR die Auslegung gen Nachlassverfahren vor der Vereinigung die Bodenreformgrund- von Verfügungen von Todes wegen auch hinsichtlich in der DDR stücke in der DDR überhaupt in ihre Betrachtung einbezogen haben. belegenen Nachlasses nicht besonderen Vorschriften unterstellt. Hierauf stellt auch das BayObLG im Zusammenhang mit der Aus- Die Auslegung des Erbvertrags hätte sich folglich einheitlich nach legung des Erbvertrags ausdrücklich ab. Konsequenterweise hätte es dem Personalstatut des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes und sich dann aber schon bei der Prüfung der Nachlassspaltung fragen somit nach bundesdeutschem Recht richten müssen. müssen, ob der Vertrauensschutz eine solche fordert. Andererseits ist zu bedenken, dass die bloße Grundbucheintragung für den Erblasser 3. Wenn aber das BayObLG die Auslegung des Erbvertrags entgegen – hätte er davon gewusst – eine keinerlei verwertbare Vermögensposi- vorstehender Überlegungen nach ZGB-Vorschriften vornimmt, ist es tion darstellte. Die Bodenreformgrundstücke waren ohne behörd- doch sehr fragwürdig, eine solche Auslegung unter Rückgriff auf Rspr. lichen Übertragungs- oder Genehmigungsakt weder veräußerbar noch und Lit. zum BGB vorzunehmen. Die bloße Behauptung, zwischen vererblich (vgl. z.B. §§ 2, 4 BesitzwechselVO 1975). Selbst die Wieder- § 2084 BGB und § 372 ZGB gebe es insoweit keine grundsätzlichen aufnahme der Grundstücksnutzung war infolge des unzulässigen Unterschiede, ist nicht ausreichend, da sich gerade zu § 372 ZGB Verlassens der Bodenreformwirtschaft durch den Erblasser bis 1989 konkrete Auslegungshinweise finden. So hat das Oberste Gericht der faktisch ausgeschlossen. Die Grundbuchposition konnte somit DDR in mehreren Entscheidungen (NJ 1983, 383; 1989, 81) den frühestens durch das In-Kraft-Treten des Ges. über die Rechte der Grundsatz aufgestellt, dass ein Fall des § 372 ZGB nicht gegeben sei, Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform (BodenreformG) soweit ein Testament in seinem Wortlaut eindeutig sei. Es sei unzu- am 16.3.1990 und vorliegend wohl erst durch die Einführung des lässig, den aus dem Testament ersichtlichen eindeutigen Wortlaut in Art. 233 §§ 11-16 EGBGB mit Wirkung v. 22.7.1992 zu einer ver- ergänzender Weise und ohne ausreichende Grundlage zu interpre- wertbaren Vermögensposition erstarken. Dadurch drängt sich ein Ver- tieren. Zwar könnten zur Ermittlung des letzten Willens des Erblassers gleich zu den Ansprüchen nach dem VermG auf, bei denen der BGH weitere Erkundungen herangezogen und Beweise erhoben werden. eine Nachlassspaltung mit der Begründung verneint, Rechtssicherheit Der Wortlaut des Testaments sei jedoch sowohl Ausgangspunkt als und Vertrauensschutz erforderten eine solche nicht, da Ansprüche auch Grenze jeder Auslegung. Für eine ergänzende Auslegung bestehe nach dem VermG erst durch die Überwindung der deutschen Teilung deshalb nur Raum, wenn sich aus dem Inhalt des Testaments selbst möglich geworden sind (BGHZ 131, 22 [30 f.]). Nach allem wäre eine ausreichende Grundlage ergibt, dass der Erblasser bei Verän- vorliegend dem Grundsatz der Nachlasseinheit Vorrang zu gewähren derungen der politischen Situation anders testiert hätte. Mit diesem gewesen. Erbstatut wäre einheitlich BGB-Erbrecht gewesen; die Aus- wortlautorientierten Verständnis hätte sich das BayObLG ausein- legung des Erbvertrags hätte sich nach § 2084 BGB gerichtet. andersetzen müssen, wenn es schon nach dem ZGB auslegt. Das 2. Selbst wenn aber mit dem BayObLG von einer Nachlassspaltung Erbrecht des ZGB kann in seinen charakteristischen Zügen nicht ausgegangen wird, richtet sich die Auslegung des Erbvertrags auch lediglich auf eine Kurzfassung des BGB reduziert werden (Andrae, bzgl. der Bodenreformgrundstücke nicht nach ZGB-Vorschriften. NJ 1998, 175 ff. [176, 179]). Die Nachlassspaltung reicht nämlich jedenfalls nur soweit, wie das 4. Auch das vom BayObLG gefundene Auslegungsergebnis ist in Kollisionsrecht der DDR aufgrund der Belegenheit des Nachlasses auf sich nicht schlüssig. Unberücksichtigt bleibt, dass der Erblasser und DDR-Recht verweist. Nach § 26 RAG unterliegt eine Reihe von Fragen, seine Ehefrau ganz offensichtlich auch das fünfte Kind zu einem die Verfügungen von Todes wegen betreffen, einheitlich dem Errich- gleichen Anteil wie die anderen Kinder bedenken wollten. Da dieses tungsstatut. Dies betrifft insbes. die Fähigkeit zur Errichtung oder Kind jedoch nur Sohn der Ehefrau ist, bleibt es hinsichtlich der DDR- Aufhebung sowie die zulässigen Arten testamentarischer Verfügungen, Grundstücke des Erblassers von der gesetzlichen Erbfolge nach ZGB deren Anfechtung, die Rechtsfolgen von Erklärungsmängeln bei ihrer ausgeschlossen. Richtigerweise konnte der Erbvertrag deshalb bei Errichtung und die Aufhebung eines Testaments. Verwiesen wird auf unterstellter Nachlassspaltung nur so ausgelegt werden, dass sich die das Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung Erbeinsetzung des einen Kindes auch auf die DDR-Grundstücke bezog,

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dieses Kind aber die anderen vier Kinder gleichmäßig in Höhe jeweils 2. Geschwollene Formulierungen und erfundene Titel angeblich eines Fünftels des Werts dieser Grundstücke auszuzahlen hätte. Insofern Beteiligter in Gewinnzusagen sind nicht geeignet, den Eindruck des würde das Auslegungsergebnis mit der Lösung übereinstimmen, die bei Empfängers, er habe schon gewonnen, in Frage zu stellen. richtigerweise anzunehmender Nachlasseinheit gefunden worden wäre. Wünschenswert wäre zudem eine klarere Abgrenzung zur eigenen Problemstellung: Rspr. des Senats (BayObLGZ 1995, 79 [89]; BayObLG, FamRZ 1996, Der Kl. macht gegen die in den Niederlanden ansässige Bekl. einen 765) gewesen, wonach bei einem Erblasser mit letztem gewöhnlichen Anspruch aus einer Gewinnzusage nach § 661a BGB geltend. Die Bekl. Aufenthalt in der Bundesrepublik, der zwar von seinem Grundver- hat dem Kl. ein Katalogheft mit Artikeln eines Versandhandels für mögen in der DDR wusste, dieses aber für unzugänglich und wertlos Gesundheitsprodukte »Dr. A« übersandt. In einem beigefügten hielt und es deshalb in seiner Verfügung von Todes wegen nicht Schreiben hat sie ihm mitgeteilt, er habe in der Quartalsziehung erwähnte, ohne besondere Umstände regelmäßig davon auszugehen Bargeld gewonnen. Sein persönlicher Gewinn betrage 19.300 DM. Er sei, dass sich die Verfügung auch hierauf erstrecke. Der Unterschied solle die Warentestanforderung und den Sofortauszahlungsauftrag zwischen einem Erblasser, der in seiner Verfügung von Todes wegen ausfüllen und zurücksenden, damit die Auszahlung schnellstens bewusst auf die Erwähnung verzichtet, weil er das Grundvermögen für stattfinden könne. Der Kl. bestellte mehrere der angebotenen Artikel wertlos hält, und einem Erblasser, der dies unbewusst tut, weil er von und sandte den Sofortauszahlungsauftrag zurück. Die hierauf geliefer- dem Grundvermögen nichts weiß, ist nicht so deutlich, als dass eine ten Waren wurden vom Kl. bezahlt. Die Gewinnsumme hat er nicht unterschiedliche Behandlung ohne nähere Begründung gerechtfertigt erhalten, weshalb er diese einklagte. ist. Lebensnah wäre vorliegend wohl zu unterstellen, dass der Erblas- Das LG hat entgegen der Rüge der Bekl. die internationale Zustän- ser 1982 sein Grundvermögen in der DDR – hätte er es gekannt – digkeit bejaht und der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete jedenfalls als unzugänglich und für ihn wertlos eingestuft hätte. Die Berufung der Bekl. blieb ohne Erfolg. Lösung des Widerspruchs ist in einer sorgfältigen Auslegung in jedem Einzelfall anstelle des Aufstellens von Regelvermutungen zu suchen. Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: Thomas Heidrich, wiss. Mitarbeiter, Universität Potsdam Zu Recht hat das LG seine internationale Zuständigkeit bejaht und dem Kl. einen Anspruch auf Auszahlung des zugesagten Gewinns zugesprochen. 02.13 – 9/03 Insolvenzanfechtung/Haftung des GmbH-Geschäftsführers/Arbeit- 1. Gegen die Annahme der internationalen Zuständigkeit – unab- nehmerbeiträge zur Sozialversicherung hängig von der Frage, ob noch das EuGVÜ oder schon die EuGVVO OLG Dresden, Urteil vom 16. Januar 2003 – 7 U 1167/02 (LG Chemnitz) Anwendung findet – bestehen keinerlei ernst zu nehmende Zweifel. (Revision eingelegt) Bereits mit Urt. v. 19.12.2001 (rechtskräftig durch Rücknahme der Revision) hat der Senat selbst für den Fall, dass es nicht zu einer Bestel- InsO §§ 17, 22, 97, 129, 130, 133, 143; GmbHG § 64; BGB § 823; lung gekommen ist, entschieden, dass der Gerichtsstand für Verbrau- StGB §§ 14, 266a chersachen gem. Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ (jetzt Art. 15 EuGVVO) 1. Zahlt der Geschäftsführer einer GmbH in der Krise der Gesellschaft gegeben ist (NJ 2002, 542 [bearb. v. Schreiber]; vgl. auch Besprechung den Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherung an die Einzugsstelle, von Feuchtmeyer, NJW 2002, 3598). Jedenfalls für den hier vorlie- so ist diese Zahlung nicht gem. § 129 ff. InsO anfechtbar, weil mit genden Fall einer Warenbestellung durch den Verbraucher wurde ihr keine Benachteiligung der anderen Insolvenzgläubiger iSv § 129 diese Auffassung bestätigt durch das Urteil des EuGH v. 11.7.2002 Abs. 1 InsO verbunden ist (Abweichung von BGH, IX. Zivilsenat, Urt. (NJW 2002, 2697). v. 25.10.2001, NJW 2002, 512 = NJ 2002, 311 [Leits.]). Schließlich hat zwischenzeitlich auch der BGH (NJW 2003, 426) in 2. Zahlt der Geschäftsführer den Arbeitnehmeranteil nicht, kann er gleicher Weise entschieden und festgestellt, dass für die auf eine sich gegen eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 266a Abs. 1 StGB Gewinnzusage gestützte Klage die internationale Zuständigkeit am nicht mit dem Einwand verteidigen, eine Zahlung wäre ohnehin nach Wohnsitz des klagenden Verbrauchers unabhängig vom Vorliegen Insolvenzeröffnung vom Insolvenzverwalter angefochten worden einer Bestellung besteht. In den Entscheidungsgründen führt der (sog. Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens). BGH aus, dass es einer Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung Unabhängig von der Frage der Anfechtbarkeit einer Zahlung nach nicht bedürfe. Zwar habe der EuGH nur über den Fall entschieden, §§ 129 ff. InsO (dazu Leits. 1) verwehrt der Schutzzweck des § 266a dass der Verbraucher, dem eine Gewinnzusage erteilt wurde, auch StGB dem Geschäftsführer in diesem Falle die Berufung auf den Ein- eine Bestellung vorgenommen habe, doch bedürfe es der Vorlage wand des rechtmäßigen Alternativverhaltens (Abweichung von BGH, nicht, da die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts so offen- VI. Zivilsenat, Urt. v. 14.11.2000, NJW 2001, 967 = NJ 2001, 146 [Leits.]). kundig sei, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibe.

Anm. d. Redaktion: Siehe dazu den Beitrag von F. Karsten, NJ 2003, 449 ff., Im vorliegenden Fall stellt sich nicht einmal die Frage einer in diesem Heft. Vorlage an den EuGH, da für die hier gegebene Konstellation, in wel- cher der Verbraucher eine Bestellung vorgenommen hat, der EuGH mit Urt. v. 11.7.2002 (aaO) die Frage bereits entschieden hat. Der

02.14 – 9/03 Senat hält daher an seiner Auffassung im Urt. v. 19.12.2001 (aaO) Gewinnzusage/internationale Zuständigkeit/Verbrauchersachen fest. Das Thema ist für die deutsche und im Grunde auch die euro- OLG Dresden, Beschluss vom 10. Februar 2003 – 8 U 1974/02 (LG Görlitz) päische Justiz abschließend geklärt. Die Versuche der Bekl., ihre auf der Grundlage des § 661a BGB materiell gerechtfertigte Inan- BGB § 661a; EuGVÜ Art. 13 Abs. 1 Nr. 3, 14 Abs. 1; EuGVVO Art. 15 spruchnahme durch Verneinung der internationalen Zuständigkeit 1. An der internationalen Zuständigkeit des Gerichts am Wohnort des der deutschen Gerichte zu unterlaufen, sind damit endgültig Verbrauchers (Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 EuGVÜ bzw. Art. 15 EuGVVO) für gescheitert. Klagen aus Gewinnzusagen gibt es nach den Entscheidungen des 2. Soweit die Bekl. geltend macht, ein Gewinnversprechen iSd EuGH v. 11.7.2002 (C-96/00) und des BGH v. 28.11.2002 (III ZR 102/02) § 661a BGB sei den vorgelegten Unterlagen nicht zu entnehmen, keine ernst zu nehmenden Zweifel mehr. bleibt diese Verteidigung ohne Erfolg. Es bestehen keine Zweifel daran,

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dass es sich um ein Gewinnversprechen gem. § 661a BGB handelt. eines Verbrauchergeschäfts iSd Art. 13 EuGVÜ erfüllt. Dabei erkennt Wörtlich heißt es in dem Anschreiben: der EuGH, dass es sich bei dem Anspruch aus der Gewinnzusage um »Halten Sie sich fest, denn in der Quartalsziehung I haben Sie tatsäch- einen eigenständigen Anspruch handelt, meint aber, dass aufgrund lich Bargeld gewonnen. Der beiliegende Brief der Treuhandkonto- des engen Zusammenhangs zwischen Warenbestellung und Gewinn- verwaltung, mehrfach durch Unterschriften beglaubigt, lässt keinen zusage im Interesse des Verbrauchers und, um die Häufung von Zweifel mehr offen: Ihr persönlicher Gewinn in der Sonder-Kategorie!! Gerichtsständen zu vermeiden, in diesen Fällen die Anwendung von 19.300,00 DM Art. 13 EuGVÜ gerechtfertigt ist. Herzlichen Glückwunsch! Bitte fordern Sie gleich Ihren Gewinn an.« Diese Billigkeitserwägungen versagen dann, wenn – was nicht sel- Auf einem Sofortauszahlungsauftrag befinden sich vier Namen, darun- ten ist – die Gewinnmitteilung isoliert übersandt oder überhaupt nicht ter der des Kl., jeweils mit der Angabe einer Gewinnnummer. Die von einer Warenbestellung abhängig gemacht wird und/oder keine drei anderen Namen sind mit einem scheinbar handschriftlichen, ver- Warenbestellung erfolgt ist. Eine solchen Konstellation hatte der BGH mutlich aber durch die EDV gedruckten Haken versehen. Lediglich der zu entscheiden (NJW 2003, 426 = RIW 2003, 147). Dieser argumen- Name des Kl. hat keinen Haken, sondern den scheinbar handschrift- tierte, dass die Gewinnbenachrichtigung jedenfalls auf eine Vertrags- lichen Zusatz »Unterlagen liegen noch nicht vor«. Auf einem weite- anbahnung zielte. Die Verbraucherin sollte hierdurch veranlasst ren Blatt mit der Überschrift »Treuhandkonto-Verwaltung« heißt es: werden, Waren zu bestellen, weshalb zumindest dem Rechtsgedanken »Folgende Gewinnkategorie wurde unter Aufsicht eines neutralen Jurors nach die Voraussetzungen des Art. 13 EuGVÜ erfüllt seien. Da sich der ermittelt: Quartalsziehung: (2. Preis) 19.300,00 DM, Name und Anschrift BGH wohl selbst nicht ganz wohl fühlte bei dieser Argumentation des Gewinners: ... (hier sind Name und Anschrift des Kl. angegeben) ...« fügte er noch hinzu: »Wäre hingegen für die Zuständigkeit für Ver- Bei einer derartigen Gestaltung sind vernünftige Zweifel daran, brauchersachen (Art. 13 ff. EuGVÜ) entscheidend auf den – hier nicht dass bei dem Empfänger der Eindruck erweckt wird, er habe bereits erfolgten – Abschluss eines Vertrags abzustellen, wären die deutschen gewonnen, ausgeschlossen. Soweit die Bekl. geltend macht, der Kl. Gerichte jedenfalls aufgrund des Gerichtsstands der unerlaubten habe den »Mangel der Ernstlichkeit« ihrer Erklärungen nicht verken- Handlung (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) zuständig.« D.h. letztendlich hat auch nen können, ist diese Argumentation abwegig. Soweit sich die Bekl. der BGH die Qualifikation offen gelassen und nur vorgegeben, dass dabei auf die Tatsache stützt, sie habe ihre Gewinnzusagen als Infopost auch in diesen Konstellationen die internationale Zuständigkeit unter versandt, was nur bei Aussendungen mit sehr hoher Auflage geschieht, keinem Blickwinkel verneint werden kann. ist dies unerheblich. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass 3. Führen hinsichtlich der Zuständigkeit alle Wege zum Wohnsitz des der durchschnittliche Empfänger die Besonderheiten der Versandart Verbrauchers entbindet dies die Gerichte jedoch nicht, die Anwend- »Infopost« kennt. Selbst wenn dies der Fall wäre, kann sich hieraus ein barkeit des deutschen Rechts und damit von § 661a BGB zu prüfen. Das Mangel der Ernstlichkeit für den Empfänger nicht ergeben. Soweit die OLG geht auf die Frage des anwendbaren Rechts nicht ein, sondern Bekl. weiter geltend macht, die mangelnde Ernstlichkeit ergebe sich erörtert gleich die Voraussetzungen des § 661a BGB. Dass die Bestimmung »darüber hinaus aus den geschwollenen Titeln der angeblich Betei- des anzuwendenden Rechts gerade bei der vertraglichen Qualifikation ligten: Finanzdirektor, neutraler Juror, der die Gewinnnummern des Anspruchs aus § 661a BGB nicht ganz unproblematisch ist, doch kontrolliert hat, auch die Treuhandkontoverwaltung«, so entlarvt sie mit dieser Argumentation allenfalls die Technik, mit der sie versucht, sich hierfür letztendlich immer eine Begründung finden lässt, wurde den Verbraucher zu täuschen. Wenn die Bekl. schreibt, »dass es sich schon in der früheren Besprechung (NJ 2002, 542) ausführlich erörtert. bei diesen Namen und Bezeichnungen nur um Schall und Rauch 4. Interessant sind die Ausführungen des OLG zur Frage der mate- handelt«, so unterstreicht sie selbst, dass sie mit möglichst wohlklin- riellen Voraussetzungen des § 661a BGB. Das OLG schneidet den genden und seriös anmutenden Formulierungen und Titeln versucht Versendern von Gewinnmitteilungen alle Einwendungen ab, die sich hat, ihr unseriöses Geschäftsgebaren zu verdecken. auf die äußere Gestaltung der Mitteilung beziehen. Wie verzweifelt muss der Beklagtenvertreter gewesen sein, wenn er als (wohl letztes) Kommentar: Argument für die »mangelnde Ernstlichkeit« der Gewinnmitteilung 1. Wie schon in der Kommentierung zur Vorentscheidung des OLG auf die geschwollenen Formulierungen und erfundenen Titel der Dresden v. 19.12.2001 (NJ 2002, 542) herausgestellt, wird deutlich, Beteiligten an der Gewinnzusage abstellt. Es ist schon grotesk: erst dass die Rspr. bemüht ist, durch großzügige Zulassung von Gerichts- will man durch diese erfundenen Titel den Eindruck der Seriosität ständen, der rechtspolitischen Zielsetzung des § 661a BGB zum Durch- erwecken und im Nachhinein stellt man sich auf den Standpunkt, dass bruch zu verhelfen. Die z.T. sehr pragmatische Herangehensweise der genau dies ein Indiz für das Gegenteil sei. Rspr. wird auch in dieser Entscheidung bestätigt, in der es das OLG In die gleiche Richtung, der weitgehenden Zulassung von Ansprüchen selbst dahingestellt lässt, ob das EuGVÜ oder schon die EuGVVO aus § 661a BGB, gehen auch Entscheidungen des OLG Stuttgart (MDR anzuwenden ist. Letztere wäre anzuwenden, wenn die Klage nach 2003, 350 = OLGR 2003, 124) sowie des OLG Hamm (MDR 2003, 17): dem 28.2.2002 eingereicht worden wäre (Art. 66 EuGVVO). Da zu den Nach Auffassung des OLG Stuttgart berühren versteckte Hinweise auf die möglichen Qualifikationen des Anspruchs aus der Gewinnzusage Unverbindlichkeit der Zusage nicht den Anschein des Gewinns und ausführlich schon in der Besprechung der früheren Entscheidung des damit die Leistungspflicht des Unternehmers. Das OLG Hamnn vertritt OLG Dresden Stellung genommen wurde, soll hier nur auf die neuen die Ansicht, dass ein Unternehmer, der in einem »Glückwunsch- Aspekte ergänzend eingegangen werden. schreiben« dem Empfänger unzweideutig zum Gewinn gratuliert und 2. Mit Blick auf die Bejahung der Zuständigkeit in Verbraucher- die Auszahlung der Gewinnsumme auf entsprechende Anforderung sachen nach Art. 13 EuGVÜ liegt die Entscheidung voll auf der Linie »garantiert«, zur Zahlung des Gewinns auch dann verpflichtet ist, wenn des EuGH. Im Urteil v. 11.6.2002 (EuGHE I 2002, 6367 = NJW 2002, in den umfangreichen und unübersichtlichen AGB darauf hingewiesen 2697, Inform. in NJ 1/2003, III) bejaht der EuGH die Eröffnung der wird, dass ein derartiger Gewinn tatsächlich nicht geschuldet ist. Zuständigkeiten in Verbrauchersachen nach Art. 13 EuGVÜ, weil die Um Manipulationen durch Einschaltung von Dritten zu vermeiden, Gewinnmitteilung und die erfolgte Warenbestellung in einem engen hat die Rspr. darüber hinaus auch recht weitgehende Zurechnungs- Zusammenhang stehen. Der EuGH geht in seiner Entscheidung über- kriterien entwickelt. So meint das LG Wuppertal (NJW-RR 2001, 1275 haupt nicht auf den Rechtscharakter des Anspruchs auf Gewinnzusage = VUR 2001, 387), dass eine im Ausland abgesandte Postkarte, in der nach § 5j öst. KSchG (der dem § 661a BGB entspricht) ein. Er prüft dem Empfänger mitgeteilt wird, er sei »der glückliche Gewinner« eines ausschließlich ob die erfolgte Warenbestellung die Voraussetzungen »nagelneuen« Kraftfahrzeugs, und die die Faksimileunterschrift der

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Geschäftsführerin eines Versandhandelsunternehmens trägt, dann als Art. 3 Abs. 1 GG neu zu bedenken. Offen geblieben ist hierbei, ob auch von dem Versandhandel stammend und von diesem abgesandt die Regelung in Satz 2 eine Ungleichbehandlung iSd Art. 3 Abs. 1 GG anzusehen ist, wenn der Empfänger der Postkarte wenig später eine zu Lasten der im Beitrittsgebiet tätigen Rechtsanwälte enthält. Postsendung des Versandhandels mit einem Katalog erhält, in der Das BVerfG hat in der o.a. Entscheidung die Unvereinbarkeit von wiederum der Gewinn eines Kraftfahrzeugs in Aussicht gestellt wird. Nr. 26a Satz 1 des EinigungsV damit begründet, durch den Wegfall Dem entspricht auch die Entscheidung des AG Rudolstadt (NJW-RR des bundesweiten Lokalisationsprinzips bei den Landgerichten ab dem 2002, 1631), wonach sich jemand, der als Strohmann (z.B. durch die 1.1.2000 erfasse diese Regelung nunmehr auch das Auftreten von Anmietung eines Postfachs unter eigenem Namen) kollusiv mit einem Rechtsanwälten mit Kanzleisitz im Beitrittsgebiet in den alten Län- Gewinnzusagenden zusammenwirkt und in dessen Namen im Rechts- dern, wofür sie ursprünglich nicht gedacht gewesen sei. Hierdurch verkehr auftritt, so behandeln lassen muss, als hätte er selbst die entfalle deren anfängliche Rechtfertigung, durch ermäßigte Gebühren Auszahlung des Gewinns zugesagt. für Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in den neuen Ländern den wirt- Zeigt sich hierbei, dass die Rspr. bemüht ist, die rechtspolitische schaftlichen und sozialen Bedingungen im Beitrittsgebiet durch eine Zielsetzung des § 661a BGB zu verwirklichen, darf dies jedoch nicht abgesenkte Vergütung Rechnung zu tragen. darüber hinwegtäuschen, dass die tatsächlichen Vollstreckungsmög- Diese auch für Nr. 26a Satz 2 des EinigungsV maßgeblichen sozia- lichkeiten vor allem im Ausland oft nur gering sind. Insoweit sei das len Erwägungen des Gesetzgebers werden aber durch die Erstreckung Zitat von Lorenz (IPRax 2002, 192, 196) auch an dieser Stelle nochmals der Postulationsfähigkeit von Rechtsanwälten auf Gerichte im gesam- aufgegriffen: Unternehmen, die Gewinnmitteilungen versenden, sind ten Bundesgebiet im Unterschied zu Satz 1 nicht berührt. Denn diese regelmäßig solche mit beschränkter Haftung, die »wie Pilze aus dem Gebührenermäßigung betrifft unterschiedslos Rechtsanwälte mit Boden schießen und ebenso schnell wieder verschwinden«. Mithin ist Kanzleisitz in den alten und in den neuen Ländern. Entscheidend ist das Risiko, bei solchen Prozessen letztendlich nicht nur nie seinen allein der Wohnsitz des Auftraggebers. »Gewinn« zu erhalten, sondern trotz Obsiegens auch noch auf den Eine unterschiedliche rechtliche Behandlung der Rechtsanwälte in Prozesskosten sitzen zu bleiben, nicht unerheblich. den alten und neuen Ländern liegt hierin nicht; allerdings werden Dr. Steffen Schreiber, Universität Potsdam durch Nr. 26a Satz 2 des EinigungsV Rechtsanwälte mit Kanzleisitz im Beitrittsgebiet, die den überwiegenden Teil der dort ansässigen Mandanten vertreten, im Verhältnis zu anderen Rechtsanwälten, die 02.15 – 9/03 gegenüber ihrer zumeist im Altbundesgebiet ansässigen Mandant- Rechtsanwaltsgebühren/Ermäßigung nach EinigungsV/überörtliche schaft höhere Beträge abrechnen können, wirtschaftlich benachteiligt. Sozietät/Gleichheitssatz Die für diese Benachteiligung maßgeblichen sozialen Erwägungen des OLG Dresden, Beschluss vom 4. März 2003 – 10 WF 125/03 (AG Dresden) Gesetzgebers, der auf die niedrigeren Einkommensverhältnisse in den EinigungsV Anl. I, Kap. III, Sachg. A, Abschn. III, Nr. 26 Buchst. a Satz 2; neuen Ländern Rücksicht nehmen wollte (vgl. BT-Drucks. 11/7817, Ermäßigungssatz-AnpassungsVO (KostGErmAV) § 1 S. 29 Nr. 19-27) haben aber unverändert Bestand. Ob sie sich unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine derartige Auch der zehnprozentige Gebührenabschlag für Rechtsanwälte bei Gebührenermäßigung im System der BRAGO einen Fremdkörper Vertretung von Mandanten mit Wohnsitz im Beitrittsgebiet vor darstellt, mit der Pauschalierungsbefugnis des Gesetzgebers auch Gericht oder Behörden in den neuen Ländern ist zumindest bis zum heute noch rechtfertigen lassen kann, bedarf hier aber keiner Ent- 31.12.2003 noch anzuwenden. Ob diese Regelung gegen Art. 3 scheidung, da der Gesetzgeber ohnehin durch den Auftrag des BVerfG Abs. 1 GG verstößt, kann offen bleiben. gehalten ist, auch Satz 2 zu überprüfen und ggf. abzuändern.

Aus den Entscheidungsgründen: Für den Fall einer Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG bleibt es Der Ast. macht geltend, die Kostenfestsetzung sei im Hinblick auf die nach der Entscheidung des BVerfG auch für Nr. 26a Satz 2 des Eini- Tatsache, dass er einer Sozietät angehöre, die ihren Kanzleisitz sowohl gungsV bis zum 31.12.2003 bei der bisherigen Rechtslage. in den alten Bundesländern als auch im Beitrittsgebiet habe, ohne den sich aus der Anl. I, Kap. III, Sachg. A, Abschn. III, Nr. 26 Buchst. a Satz 1 Anm. d. Redaktion: Zum Gebührenabschlag siehe U. Schulze, NJ 2003, 2 ff. des EinigungsV v. 31.8.1990 (…) iVm § 1 KostGErmAV v. 15.4.1996 (…) ergebenden Gebührenabschlag von 10% vorzunehmen. 02.16 – 9/03 Auf die von ihm aufgeworfene Frage, ob eine derartige Gebühren- Berufungsrücknahme/Kosten des zweitinstanzlichen Prozessbevoll- ermäßigung auch bei Rechtsanwälten in Betracht komme, deren Kanz- mächtigten leisitz zumindest teilweise im alten Bundesgebiet liegt, kommt es jedoch OLG Jena, Beschluss vom 26. März 2003 – 10 WF 64/02 (AG Sonneberg) … nicht an. Nach Satz 2 der eingangs zitieren Vorschrift des EinigungsV ermäßigen sich die Gebühren nämlich in gleicher Weise, wenn ein ZPO § 91 Abs. 2; BRAGO §§ 31 Abs. 1, 32 Abs. 1 Rechtsanwalt vor Gerichten oder Behörden, die ihren Sitz in dem in 1. Bei Rücknahme einer nur zur Fristwahrung eingelegten Berufung Art. 1 Abs. 1 EV genannten Gebiet haben, im Auftrag eines Beteiligten gehören die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts tätig wird, der seinen Wohnsitz im Beitrittsgebiet hat. Diese Einschrän- der obsiegenden Partei zu den erstattungsfähigen Kosten gem. § 91 kung gilt gleichermaßen für Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in den alten Abs. 2 Satz 1 ZPO. wie in den neuen Ländern. Auf ihrer Grundlage ist im vorliegenden 2. Dem Anwalt, den der Berufungsbeklagte mit der Wahrnehmung Fall bei einem Wohnsitz des Kl. in …/Sachsen und einer Tätigkeit des seiner Interessen in der Rechtsmittelinstanz mandatiert, steht ein Rechtsanwalts vor dem AG Dresden eine Gebührenermäßigung allein Anspruch auf Erstattung einer 13/20-Prozessgebühr gem. § 32 Abs. 1 auf der Grundlage von Nr. 26a Satz 2 des EinigungsV gerechtfertigt. BRAGO aus dem Hauptsachewert und eine 13/10-Prozessgebühr aus Zwar hat das BVerfG zwischenzeitlich mit Urt. v. 28.1.2003 (NJ 2003, dem Kostenwert zu. 136) Anl. I, Kap. III, Sachg. A, Abschn. III, Nr. 26a Satz 1 des EinigungsV (mitgeteilt von RinOLG Sigrid Martin, Jena) für mit dem GG unvereinbar erklärt. Es hat jedoch zugleich dem Gesetzgeber aufgegeben, längstens bis zum 31.12.2003 die gesamte Anm. d. Redaktion: Das OLG hat sich damit der Rechtsauffassung des BGH Vorschrift einschl. Satz 2 zu überprüfen und ihre Vereinbarkeit mit in seinem Beschl. v. 17.12.2002, NJ 2003, 263 (Leits.), angeschlossen.

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02.17 – 9/03 gewählten Verfahrensart der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. Bay- Rechtsanwaltsgebühren/Ermäßigung nach EinigungsV/Vertretung ObLG, NJW-RR 1990, 1431; NJW-RR 1996, 334), so dass § 45 Abs. 1 einer Partei aus den alten Ländern durch Anwalt aus den alten Ländern WEG anzuwenden ist. vor Gericht in neuen Ländern 2. § 17a GVG ist auf das Verhältnis von Prozessgericht und Woh- OLG Naumburg, Beschluss vom 10. April 2003 – 10 W 35/03 nungseigentumsgericht entsprechend anzuwenden. Rechtfertigen (LG Magdeburg) die Unterschiede zwischen den Verfahren der freiwilligen und der ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1; EinigungsV Anl. I, Kap. III, Sachg. A, Abschn. III, streitigen Gerichtsbarkeit, einen Zuständigkeitsstreit wie einen Nr. 26 Buchst. a Rechtswegstreit zu behandeln, müssen auch die der Vereinfachung und Beschleunigung dienenden Vorschriften der §§ 17a Abs. 3-5, 17b 1. Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der GVG ergänzend herangezogen werden (BGH, NJW 1995, 2851). obsiegenden Partei sind nach § 91 Abs. 2 Satz 1 1. Halbsatz ZPO in 3. Ist die Verweisung in einem FGG-Verfahren ausgesprochen worden, jedem Falle zu erstatten, ohne dass es auf die Frage der Notwendigkeit ergibt sich der Rechtsmittelzug aus §§ 19 ff. FGG. Dem steht auch die iSv § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ankommt. besondere Regel zur weiteren Beschwerde in § 17a Abs. 4 Satz 4-6 2. Einer Partei aus den alten Bundesländern, die sich durch einen GVG nicht entgegen. Diese Bestimmung betrifft ersichtlich nicht die Rechtsanwalt aus den alten Bundesländern vor einem Gericht in den Frage, ob gegen die Entscheidung des Landgerichts als Beschwerde- neuen Ländern vertreten ließ, kann der Kostenerstattungsanspruch gericht im FGG-Verfahren die weitere Beschwerde statthaft ist. daher nicht deshalb gekürzt werden, weil im Falle einer Vertretung 4. § 17a Abs. 5 GVG steht der Zuständigkeitsprüfung im Beschwerde- durch einen Rechtsanwalt aus den neuen Ländern geringere gesetz- verfahren nur dann entgegen, wenn das Amtsgericht seine Zustän- liche Gebühren entstanden wären (Anschluss an BGH, Beschl. v. digkeit bejaht hätte, ohne dass dies von den Beteiligten zuvor gerügt 4.2.2003, XI ZB 21/02, NJ 2003, 263, unter Aufgabe der bish. eigenen worden wäre. st.Rspr.). 5. Genügend ist die erstinstanzlich erhobene Zuständigkeitsrüge. Unerheblich ist, dass der Antragsgegner nicht ausdrücklich auf einer Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch BGH, Beschl. v. 27.3.2003 – V ZB 50/02, Vorabentscheidung bestanden hat. NJ 2003, 370 {Leits.), mit dem sich der V. Zivilsenat des BGH der Rechtsauf- 6. Die Beschränkung der Prüfungskompetenz der Rechtsmittel- fassung des XI. Zivilsenats angeschlossen hat. gerichte gem. § 17a Abs. 5 GVG rechtfertigt sich daraus, dass die Rechtswegfrage vorab im Beschwerdeverfahren zu prüfen ist. Diese Rechtfertigung fehlt, wenn wie hier das Amtsgericht das durch § 17a 02.18 – 9/03 Abs. 3 Satz 2 GVG vorgegebene Verfahren nicht eingehalten hat. Grundbuchberichtigungsverfahren/Eintragung der Grundstücks- 7. Die Zuständigkeitszuweisung des § 43 WEG ist nach dem vom eigentümer/Genossenschaft der Separationsinteressenten Gesetzgeber verfolgten Zweck weit auszulegen. Über die sich aus der OLG Naumburg, Beschluss vom 15. April 2003 – 11 Wx 15/02 (LG Stendal) Wohnungseigentümergemeinschaft ergebenden Rechte und Pflich- GBO §§ 13 Abs. 1, 19, 22, 47, 53 Abs. 1, 71; BGB § 894; ten der Beteiligten soll möglichst im Wege der freiwilligen Gerichts- Gemeinheitsteilungs-Ordnung v. 1821 §§ 27, 164 f. barkeit entschieden werden, weil dieses Verfahren einfacher, freier, elastischer, schneller und damit für Streitigkeiten mit einer häufig 1. Wird im Grundbuchverfahren die Berichtigung einer von Anfang großen Zahl von Beteiligten besser geprägt ist als der Zivilprozess an unrichtigen Eintragung des Eigentümers abgelehnt, so kann diese (vgl. BGH, WM 1991, 418 mwN). Ausschlaggebend für den zulässigen Entscheidung nur mit dem Ziel angefochten werden, einen Amts- Rechtsweg ist der Umstand, ob das vom Antragsteller in Anspruch widerspruch einzutragen oder die unzulässige Eintragung zu löschen. genommene Recht in einem inneren Zusammenhang mit einer 2. Ist in Abt. I des Grundbuchs die Genossenschaft der Separations- Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Woh- interessenten vermerkt, handelt es sich um eine zulässige Eintragung nungseigentümer erwachsen ist. Dabei ist in erster Linie darauf der Grundstückseigentümer, ohne dass es der Bezeichnung einzelner abzustellen, welches Begehren der Antragsteller zur Entscheidung Beteiligter bedarf. Ein solcher Grundbuchinhalt geht weder auf die stellt und aus welchem Rechtsverhältnis er seine Forderung ableitet Verletzung gesetzlicher Vorschriften zurück noch ist das Grundbuch (vgl. BayObLG, WM 1999, 232, 233). hierdurch unrichtig geworden. 8. Beschließt das Beschwerdegericht die Abgabe des Verfahrens an 3. Ob Gesamthands- oder Miteigentum an den Zweckgrundstücken das Prozessgericht, ist hinsichtlich der bisher entstandenen Verfah- besteht, ist dem Gemeinheitsteilungsrezess zu entnehmen. renskosten § 50 WEG entsprechend anzuwenden. Danach bleibt die Entscheidung über die Tragung der bisher entstandenen erst- Anm. d. Redaktion: Zu altrechtlichen Personenzusammenschlüssen und ihrem instanzlichen Kosten dem Prozessgericht überlassen, wogegen über Grundbuch-Schicksal in den neuen Bundesländern siehe auch W. Böhringer, die durch die unzulässige Anrufung des Gerichts für Wohnungs- NJ 2000, 120 ff. eigentumssachen entstandenen Kosten der Erstbeschwerde und der weiteren Beschwerde bereits durch das Rechtsbeschwerdegericht entschieden wird. Unter Berücksichtigung des in § 281 Abs. 3 02.19 – 9/03 Satz 2 ZPO enthaltenen Rechtsgedankens sind dem Antragsteller die Wohnungseigentumsrecht/Zuständigkeit/Rechtswegverweisung im Gerichtskosten des Erst- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens FGG-Verfahren/Verfahrenskosten aufzuerlegen, § 47 Satz 1 WEG. Die Anordnung einer Kostenerstat- OLG Jena, Beschluss vom 2. Juni 2003 – 6 W 149/03 (LG Gera) tung (§ 47 Satz 2 WEG) für beide Beschwerdeinstanzen ist nicht veranlasst. GVG § 17a; WEG §§ 43, 45, 47, 50 9. Die die Zuständigkeit des WEG-Gerichts in Frage stellenden 1. Die in entsprechender Anwendung von § 46 Abs. 1 WEG durch Anträge in den Beschwerdeverfahren betreffen lediglich eine das Landgericht beschlossene Verweisung an das Prozessgericht hat Vorfrage des eigentlichen Zahlungsantrags, deren Wert mit 1/5 des den Charakter einer abschließenden Entscheidung der Sache in der Hauptsachewerts zu bemessen ist.

490 Neue Justiz 9/2003 04 VERWALTUNGSRECHT fälle unbebauter Grundstücke seien – jedenfalls hinsichtlich der hier vor- gestellten Vergleichsfälle – nicht in gleicher Weise für den Wertvergleich geeignet. Unbebaute Grundstücke eröffneten dem Käufer größere Gestal- 04.1 – 9/03 tungsmöglichkeiten der Bebauung, was wertmäßig durchaus durchschla- Bodenordnungsverfahren/Wertermittlung/Vergleichswertverfahren gen könne. Jedenfalls aber hätten sich die im Augenschein als vergleich- BVerwG, Urteil vom 26. März 2003 – 9 C 5/02 (OVG Bautzen) bar bezeichneten und im unbebauten Zustand verkauften Grundstücke aus unterschiedlichen Gründen nicht als vergleichbar erwiesen. Danach seien LwAnpG § 63 Abs. 2; SachenRBerG §§ 19 Abs. 2, 3, 5, 43 Abs. 1, nur vier vergleichbare Verkaufsfälle verblieben, die der Wertermittlung 68 Abs. 1; BauGB §§ 194, 196 Abs. 1 Satz 1; WertV § 3 Abs. 3 Satz 1, zugrunde zu legen seien. Von dem auf dieser Grundlage ermittelten durchschnittlichen Bodenpreis seien in Anwendung von § 14 WertV §§ 4 f., 7 Abs. 2, 13 f.; GG Art. 14 Abs. 1 Abzüge wegen abweichender Wertverhältnisse zu machen, die für das 1. Im Rahmen des Vergleichswertverfahrens sind im Bodenord- Flurstück … mit 25% und für das Flurstück … mit 20% einzuschätzen seien. Das den Grundstückswert negativ beeinflussende Merkmal der Trennung nungsverfahren vorrangig unbebaute, aber baureife Grundstücke als von der öffentlichen Straße durch Sperrgrundstücke rechtfertige einen Vergleichsgrundstücke auszuwählen. Es ist unzulässig, die Ermittlung Abzug von jeweils 20%. Für das Flurstück … sei im Hinblick auf das dort von vornherein auf »Bereinigungsfälle« zu beschränken. gemessene Gefälle von 18% zwischen Garagenboden und Gehwegrand zusätzlich ein Abschlag von 5% geboten. Weitere Abzüge seien für die 2. Wenn mangels geeigneter Vergleichsgrundstücke ausnahmsweise Flurstücke … im Hinblick darauf vorzunehmen, dass die Wertermittlung »Bereinigungsfälle« herangezogen werden dürfen, sind die erzielten im Rahmen eines Bodenordnungsverfahrens erfolge, für das die Grundsätze Kaufpreise im Hinblick auf den sich in ihnen niederschlagenden Halb- des SachenRBerG entsprechende Anwendung finden müssten. Es dürfe teilungsgrundsatz zu korrigieren. nicht außer Betracht bleiben, dass ein bebautes Grundstück durch das auf ihm ruhende selbständige Gebäudeeigentum einer wesentlichen Beschrän- 3. Der Halbteilungsgrundsatz, der im SachenRBerG Ausdruck gefun- kung unterliege. Andererseits habe ein ursprünglich rein landwirtschaft- den hat, ist auch bei der Wertermittlung im Rahmen des Bodenord- lich genutztes Grundstück gerade durch die Erteilung eines die Bebauung nungsverfahrens anzuwenden. Dies betrifft auch die Abzüge für die ermöglichenden dinglichen Nutzungsrechts an den Gebäudeeigentümer Baureifmachung. einen Wertzuwachs erfahren. Diese Situation berücksichtigten weder das LwAnpG noch das FlurbG. Dem trage aber das gleichfalls den Ausgleich zwischen Gebäude- und Grundeigentümer regelnde SachenRBerG ange- Die Kl. wendet sich gegen die Wertfeststellung für mehrere Flurstücke, messen Rechnung, indem es in § 68 Abs. 1 eine hälftige Aufteilung des die sie als Eigentümerin in das Bodenordnungsverfahren »N. (Eigen- Bodenwerts zwischen beiden Eigentümern vorsehe. Auch soweit der heime)« eingebracht hat. Auf den Flurstücken haben die Beigel. zu 3 Bodenwert baureifer Grundstücke nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SachenRBerG um die Abzugsbeträge nach Abs. 3 zu vermindern sei, müsse eine ent- bzw. die Beigel. zu 1 u. 2 aufgrund Nutzungsurkunden der ehem. LPG sprechende Anwendung dieser Regelung im Bodenordnungsverfahren Pflanzenproduktion H. v. 14.10.1987 über die Bestellung dinglicher stattfinden. Im vorliegenden Fall sei dieser Abzug geboten, weil die Kl. Nutzungsrechte jeweils ein Wohngebäude errichtet, als deren Eigen- keine Kosten für die Vermessung aufgebracht habe. tümer sie im Gebäudegrundbuch eingetragen wurden. Die Flurstücke … Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision der Kl., mit der sie eine liegen zwischen den Flurstücken … und der westlich angrenzenden Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und die Feststellung Kreisstraße bzw. der Schwarzen Elster. höherer Abfindungswerte für die Grundstücke anstrebt: Das Staatliche Amt für Ländliche Neuordnung (ALN) K. setzte mit Die extrem schmale Entscheidungsgrundlage der Wertfeststellung, die Beschl. v. 10.6.1997 die Wertermittlung fest. Auf die nach erfolglosem dadurch bewirkt werde, dass unter Verstoß gegen Wertermittlungsgrund- sätze nur mit Nutzungsrechten belastete Grundstücke als Vergleichs- Widerspruch hiergegen von der Kl. erhobene Klage verwies das grundstücke herangezogen würden, benachteilige sie – die Kl. – als FlurbereinigungsG mit Urt. v. 13.3.2000 das Verfahren zur erneuten Grundeigentümerin einseitig. Vorteile von einem so ausgestalteten Boden- Verhandlung und Bescheidung an den Widerspruchsausschuss zurück. ordnungsverfahren hätten allein die Gebäudeeigentümer, die ohnehin Das Urteil ist darauf gestützt, dass der Wertermittlung zu Unrecht dadurch begünstigt seien, dass Kostenfreiheit bestehe, die staatlichen Zwangsmittel angewandt und weitere Grundstücke zur Abrundung in das Bodenrichtwerte zugrunde gelegt worden seien; es sei eine konkrete Verfahren einbezogen würden. Die Anwendung des Halbteilungsgrundsat- Ermittlung der Verkehrswerte geboten. zes nach § 68 Abs. 1 SachenRBerG und der Abschläge nach § 19 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 SachenRBerG verstärke diesen Effekt noch und führe zu einer Nach Einholung einer Äußerung des Gutachterausschusses beim doppelten Benachteiligung der Grundeigentümer. Letztlich sei das Boden- Landratsamt K. setzte der Widerspruchsausschuss mit Abhilfebescheid ordnungsverfahren deswegen mit einer übermäßigen Belastung der Grund- v. 28.5.2001 die Abfindungswerte neu fest. Hiergegen hat die Kl. im eigentümer verbunden, die zu einer Entziehung des Eigentums führe, ohne vorliegenden Verfahren Klage erhoben. Zur Begründung hat sie gel- dass dem eine wertgleiche Abfindung gegenüberstehe. Im Interesse einer vermeintlichen Lückenfüllung würden Grundsätze aus einer andersartigen tend gemacht, die neue Wertermittlung sei in verschiedener Hinsicht Rechtsmaterie übertragen und damit in Wirklichkeit eine wohlaus- zu beanstanden. Fehlerhaft seien insbes. die nach § 14 WertV vorge- gewogene gesetzgeberische Normierung »ausgehebelt«. Weitere Verstöße nommenen Abzüge und die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes, gegen Wertermittlungsgrundsätze seien bei den Abzügen nach § 14 WertV der mangels ausdrücklicher Regelung für das Bodenordnungsverfah- von 25% für das Flurstück … und von 20% für das Flurstück … zu sehen. ren nicht gelten könne. Die Revision der Kl. hatte keinen Erfolg. Das FlurbereinigungsG hat durch Urt. v. 4.4.2002 (RdL 2003, 70) den Feststellungsbeschluss v. 10.6.1997 idF des Abhilfebescheids teilweise Aus den Entscheidungsgründen: aufgehoben und den Abfindungswert des Flurstücks ... auf 5,15 €/qm, II. … Das Urteil des FlurbereinigungsG beruht nicht auf einer Ver- den Abfindungswert des Flurstücks ... auf 4,83 €/qm und die Abfin- letzung von Bundesrecht (vgl. § 138 Abs. 1 Satz 2 FlurbG iVm § 137 dungswerte der Flurstücke ... auf je 16,11 €/qm festgestellt; im Übrigen Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Kl. hat keinen Anspruch darauf, dass die hat es die Klage abgewiesen: Abfindungswerte abweichend von dem angefochtenen Urteil zu ihren Die vom Widerspruchsausschuss berücksichtigten Flurstücke seien nicht Gunsten neu festgesetzt werden. als vergleichbar anzuerkennen. Aufgrund des Augenscheins sei das Flur- 1. Die zwischen den Beteiligten streitigen Fragen der Wertermittlung bereinigungsG zu der Überzeugung gelangt, dass mit den vom Klageantrag erfassten Flurstücken nur solche verglichen werden könnten, die ebenfalls sind teilweise bereits durch das vorangegangene Bescheidungsurteil durch die Verleihung eines dinglichen Nutzungsrechts zu Bauland gewor- des FlurbereinigungsG v. 13.3.2000 rechtskräftig entschieden. Bei der den und in vergleichbarer Weise bebaut worden seien. Die übrigen bebau- revisionsgerichtlichen Überprüfung des angefochtenen Urteils ist ten Grundstücke – mit einheitlichem Gebäude- und Grundeigentum – insoweit die Bindungswirkung des § 121 VwGO zu beachten. Insbes. seien nicht in gleicher Weise für den Wertvergleich geeignet. Bei ihnen gilt dies für die Aussage, dass die Wertermittlung »auf der Grundlage erfolge im Allgemeinen keine getrennte Bezifferung des Gebäudeanteils einerseits und des Bodenanteils andererseits im Kaufpreis. Wirtschaftlich der Wertermittlungsverordnung ohne Heranziehung von Bodenricht- maßgeblich sei insoweit dann der Gesamtkaufpreis. Aber auch Verkaufs- werten vorzunehmen« ist (…). Dies muss sich die Kl. auch dann ent-

Neue Justiz 9/2003 491 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

gegenhalten lassen, wenn sich die Ergebnisse »einer konkreten Wert- Aufgrund dieser Vorgaben ist es im Grundsatz unzulässig, den ermittlung« nach dem Vergleichswertverfahren (vgl. §§ 13 f. WertV) Verkehrswert der im Verfahrensgebiet (vgl. § 63 Abs. 2 LwAnpG iVm als für sie nunmehr – entgegen ihrer ursprünglichen Erwartung – § 7 Abs. 1 Satz 2 FlurbG) gelegenen Grundstücke ausschließlich durch ungünstiger erweisen als die Ergebnisse, die zuvor nach Maßgabe der einen Vergleich mit Grundstücken zu ermitteln, die selbst mit Bodenrichtwerte erzielt worden waren. Der erkennende Senat hat Gebäudeeigentum belastet sind. Wenn das FlurbereinigungsG diesen keine rechtliche Handhabe, das Urt. v. 13.3.2000 im vorliegenden fehlsamen rechtlichen Ansatz gewählt hat, kann dies der Revision nur Revisionsverfahren zu korrigieren. Wegen der weitreichenden Bedeu- deswegen nicht zum Erfolg verhelfen, weil seine Ermittlungen in tung, die diese Frage für die Verwaltungspraxis hat, sieht sich der Senat Wirklichkeit nicht auf derartige »Bereinigungsfälle« beschränkt waren. aber zu dem Hinweis veranlasst, dass er sich der Argumentation, Die sonstigen Verkaufsfälle, die in dem fraglichen Gebiet zu ermitteln mit der sich das FlurbereinigungsG in dem genannten Urteil gegen die waren, hat das FlurbereinigungsG nicht aus Rechtsgründen unberück- Heranziehung der Bodenrichtwerte entschieden hat, nicht anzu- sichtigt gelassen. Es ist vielmehr aufgrund des von ihm durchgeführ- schließen vermag. Der Hinweis auf die »ortsübliche Alterschließung« ten Augenscheins zu der Überzeugung gelangt, dass in diesen Ver- ist allein nicht geeignet, dem Vorliegen des »Regelfalls« des § 19 Abs. 5 kaufsfällen die Grundstücke jeweils nicht die Merkmale (Größe, Lage Satz 1 SachenRBerG zu verneinen. und Qualität) aufwiesen, die sie als Vergleichsgrundstücke geeignet 2. Die vom FlurbereinigungsG in dem angefochtenen Urteil ver- erscheinen lassen würden. Das angefochtene Urteil beruht insoweit lautbarte Auffassung, im Rahmen des Vergleichswertverfahrens seien zusätzlich tragend (…) auf einer Tatsachenwürdigung, gegen die von nur solche Grundstücke vergleichbar, an denen ebenfalls getrenntes der Revision eine durchgreifende Aufklärungsrüge nicht erhoben Gebäude- und Grundeigentum bestehe (…), vermag der erkennende worden ist, so dass diesbezüglich getroffene Tatsachenfeststellungen Senat ebenso wenig zu teilen. Der hierin liegende Verstoß gegen für den Senat bindend sind (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO). Bundesrecht bleibt aber folgenlos, weil sich nicht feststellen lässt, dass Soweit die Kl. in diesem Zusammenhang die Verletzung der Wert- er für das Urteil entscheidungserheblich geworden ist. ermittlungsmaßstäbe rügt, muss sie sich entgegenhalten lassen, dass Die Ermittlung des Bodenwerts im Vergleichswertverfahren stößt die »Bereinigungsfälle« zumindest dann ersatzweise herangezogen bei den mit Gebäudeeigentum belasteten Grundstücken auf praktische werden dürfen, wenn der Versuch einer an § 19 Abs. 2 Sätze 1 u. 2 Schwierigkeiten. Es verbietet sich zunächst die Lösung, den Gebäude- SachenRBerG orientierten Wertermittlung – wie hier – gescheitert ist. wert dem Grundeigentum zuzuschlagen; denn dieser ist allein dem § 13 Abs. 1 Satz 2 WertV schreibt in diesem Fall nicht zwingend vor, Gebäudeeigentümer zuzurechnen. Der Bodenwert ist deswegen getrennt das Ermittlungsgebiet zu erweitern. Es heißt dort lediglich, dass auch vom Gebäudewert zu ermitteln. Dies ist wiederum deswegen nicht Vergleichsgrundstücke aus vergleichbaren Gebieten herangezogen ohne weiteres möglich, weil – vor der Zusammenführung von Grund- werden »können«. Im Interesse einer angemessenen Begrenzung des und Gebäudeeigentum – für diese Grundstücke »im gewöhnlichen Ermittlungsaufwands ist es ebenso vertretbar, stattdessen die in dem Geschäftsverkehr« (vgl. § 194 BauGB, § 3 Abs. 3 Satz 1 und § 7 Abs. 2 Gebiet verzeichneten »Bereinigungsfälle« heranzuziehen. Dabei ist WertV) keine Kaufpreise zu erzielen sind. Gerade wegen des vom Grund- allerdings zu beachten, dass die dort erzielten Kaufpreise nur dann eigentum abweichenden Gebäudeeigentums sind diese Grundstücke dem nach § 19 Abs. 2 SachenRBerG maßgeblichen Verkehrswert nicht marktgängig; wenn nicht der jeweilige Gebäudeeigentümer als entsprechen, wenn die sich in ihnen niederschlagende Anwendung Käufer auftritt, sind sie regelmäßig bis auf weiteres unverkäuflich. des noch zu erörternden Halbteilungsgrundsatzes korrigiert wird. Es kann dahinstehen, ob diesem Umstand nicht bereits durch die Dies hat das FlurbereinigungsG der Sache nach getan, indem es eine hier gem. § 63 Abs. 2 LwAnpG, § 29 FlurbG, § 194 BauGB in erster Linie »Verdoppelung der reduzierten Kaufpreise« (…) vorgenommen und zur Anwendung kommenden Grundsätze der Wertermittlung im damit die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes ausgeglichen hat. Vergleichswertverfahren nach den §§ 13 f. WertV dadurch Rechnung Der Revision ist zwar darin zuzustimmen, dass die damit verbleibende getragen wird, dass als Vergleichsgrundstücke nicht mit Gebäude- Vergleichsgrundlage äußerst schmal erscheint. § 13 Abs. 1 Satz 2 WertV eigentum belastete Grundstücke zur Wertermittlung heranzuziehen ist aber nur der Gedanke zu entnehmen, dass jede Wertermittlung auf sind, von denen dann nach § 14 Satz 1 WertV ein entsprechender einer »genügenden« Anzahl von Verkaufsfällen beruhen muss (vgl. Abschlag zu erfolgen hat. Denn für den Bereich des SachenRBerG hält Kleiber/Simon/Weyers, Recht und Praxis der Verkehrswertermittlung der dortige § 19 Abs. 2 in seinen Sätzen 1 u. 2 eine Regelung zur von Grundstücken, 1991, Rn 741). Mit insges. vier Verkaufsfällen, die Bodenwertbestimmung bereit, die gerade auch die Interessenlage mit vom FlurbereinigungsG zum Vergleich herangezogen worden sind, ist Gebäudeeigentum belasteter Grundstücke zum Gegenstand hat. dieses Kriterium hier gerade noch erfüllt. Danach bestimmt sich der Bodenwert »nach dem um die Abzüge nach 3. Im Ergebnis nicht zu beanstanden, durch die Wertermittlung Satz 3 verminderten Wert eines baureifen Grundstücks« (Satz 1). nach § 19 Abs. 2 SachenRBerG vielmehr teilweise bedingt ist es, wenn Dies ist wiederum »der Verkehrswert iSd § 194 des BundesbauG, der das FlurbereinigungsG in Anlehnung an § 43 Abs. 1 bzw. § 68 Abs. 1 sich ergeben würde, wenn das Grundstück unbebaut wäre« (Satz 2). SachenRBerG den für unbebaute, aber baureife Grundstücke ermittel- Ausweislich der Begründung des Ges.Entw. der Bundesregierung zu ten Bodenwert für die Ermittlung des Abfindungswerts halbiert hat § 19 Abs. 2 SachenRBerG sollen damit lediglich die allgemeinen (…). Die hiergegen von der Revision erhobenen Einwände greifen Grundsätze zur Ermittlung des Bodenwerts der §§ 13, 14, 15 Abs. 2 nicht durch. WertV wiedergegeben werden (BT-Drucks. 12/5992, S. 118). Dies ergibt sich allerdings nicht ohne weiteres schon unmittelbar Der Senat sieht keinen Grund, der einer entsprechenden Anwen- aus dem Verfassungsrecht. Zumindest sind die hieraus von den dung der auf Fälle der vorliegenden Art zugeschnittenen Regelung des Beteiligten hergeleiteten Schlussfolgerungen zu weitgehend. So folgt § 19 Abs. 2 SachenRBerG im Bereich der Bodenordnungsverfahren der erkennende Senat nicht der Argumentation des Vertreters des nach dem LwAnpG entgegenstünde. Die Übernahme dieser Bewer- Bundesinteresses beim BVerwG, dass der Bodenwert schon aus tungsregel auf das Bodenordnungsverfahren bedingt freilich, dass die verfassungsrechtlichen Gründen zwingend je zur Hälfte dem Grund- so kraft der Entscheidung des Gesetzgebers in § 19 Abs. 2 Satz 2 eigentümer und dem Gebäudeeigentümer zugute kommen müsse. SachenRBerG durch die fiktive Nichtberücksichtigung des Gebäude- Der auch vom FlurbereinigungsG hierfür angeführte Beschl. des eigentums erfolgte Erhöhung des Grundstückwerts dann hier auch BVerfG v. 22.2.2001 (WM 2001, 781 = NJ 2001, 419 [bearb. v. Schramm]) durch die entsprechende Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes besagt nur, dass Halbteilung nach § 43 Abs. 1 bzw. § 68 Abs. 1 SachenR- nach § 68 Abs. 1 SachenRBerG berücksichtigt wird (dazu unten 3.). BerG verfassungskonform ist, lässt aber offen, ob auch andere

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Teilungsmodelle zu Ergebnissen hätten führen können, die mit der auf Kosten der Kl. erschlossen worden seien. Dabei wird übersehen, Verfassung vereinbar wären. dass der Abzug nicht entfallen würde, wenn diese Behauptung als Fehl geht in jedem Fall der von der Revision gegen die Anwendung richtig unterstellt wird, sondern nur dann, wenn auch der Vermes- des Halbteilungsgrundsatzes erhobene Einwand, durch die Halbteilung sungsaufwand von der Kl. getragen worden wäre. Das Flurberei- werde der Eigentumsschutz ausgehöhlt. Es ist davon auszugehen, nigungsG hat festgestellt, dass die »Eigenheimstandorte« mit öffent- dass aus den Grundrechten – insbes. auch aus Art. 14 GG – sich nicht lichen Mitteln vermessen wurden (…). Gegen diese Feststellung hat herleiten lässt, dass die Bundesrepublik Vermögensschäden wieder die Revision Verfahrensrügen nicht erhoben (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO). gutmachen muss, für deren Zustandekommen eine nicht an das GG Der Abzug ist aber selbst dann vorzunehmen, wenn nur eines der in gebundene Staatsgewalt wie die DDR die Verantwortung trägt (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SachenRBerG genannten Kriterien vorliegt BVerfGE 104, 74 [84] = NJ 2002, 140 [m. Anm. Kolb]). Deswegen sind (so zutreff. OLG Naumburg, Urt. v. 22.2.2000, AgrarR 2001, 349 [350]). verfassungsrechtlich auch keine Vorgaben für die Wertermittlung im Der Abzug bezweckt folgendes: Der Bodenwert bestimmt sich – fik- Rahmen der Bodenneuordnung geboten, die dem Gedanken einer tiv – nach dem Wert baureifer Grundstücke (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 1 Wiedergutmachung umfassend Rechnung tragen würden. Dem Grund- SachenRBerG). Diese Qualitätsstufe haben die Grundstücke regel- stückseigentümer wird durch die »Halbteilung« sein Eigentum nicht mäßig erst durch Eigenleistungen der Nutzer erreicht. In der DDR entzogen. Es wird nur die Restitution seines Eigentums beschränkt, wurden von den Nutzern zwar keine Erschließungsbeiträge erhoben. wobei für diese Beschränkung ein sachlicher Gesichtspunkt streitet: Zu bezahlen war aber z.B. der Anschluss des Gebäudes an das öffent- Die Qualitätsstufe des baureifen Lands (vgl. § 4 Abs. 4 WertV) hatte liche Versorgungsnetz, soweit er von den Nutzern nicht – wie üblich – sein Eigentum nicht; diese fällt ihm erst durch die bauliche Nutzung in Eigenarbeit angelegt wurde. § 18 Abs. 2 Satz 2 des Entwurfs zum zu, die der Gebäudeeigentümer finanziert hat. Deswegen konnte der SachenRBerG sah mit dieser Begründung vor, dass der »anteilige Ver- Gesetzgeber es als unbillig ansehen, wenn die Qualitätssteigerung, die messungs- und Erschließungsaufwand« vom Bodenwert abzuziehen das Grundstück erfahren hat, wirtschaftlich allein dem Grundeigen- ist, wenn die hieraus resultierende Werterhöhung nicht ausnahms- tümer zufallen würde. Entgegen der Auffassung der Revision steht die weise auf Leistungen des Grundstückseigentümers zurückzuführen ist »Halbteilung« deswegen auch nicht etwa im Widerspruch zum Grund- (vgl. BT-Drucks. 12/5992, S. 71). Aus der Erwiderung der Bundesregie- satz der wertgleichen Abfindung (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 FlurbG). rung zur Stellungnahme des Bundesrats geht ferner hervor, dass man Dahinstehen kann, ob sich nach In-Kraft-Treten des SachenRBerG ver- von der »Berücksichtigung aller in der Vergangenheit liegenden fassungsrechtliche Argumente dafür anführen lassen, den Halbteilungs- Umstände (Werterhöhungen oder -minderungen durch den Nutzer)« grundsatz auch im Anwendungsbereich des LwAnpG gelten zu lassen Abstand nehmen wollte, um die Wertermittlung nicht unverhältnis- (so z.B. Schmidt-Räntsch/Knauber, OV spezial 1995, 342 [343]; Schmidt- mäßig zu erschweren; der gegenwärtige Bodenwert werde im Wesent- Räntsch, ZIP 1996, 767 [768]). Eines ausdrücklichen Gesetzesbefehls bedurfte es hierfür jedenfalls nicht. Zutreffend hat der Vertreter des lichen von der sich aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben- Bundesinteresses beim BVerwG darauf aufmerksam gemacht, dass das den baulichen Nutzbarkeit bestimmt (vgl. BT-Drucks. 12/5992, S. 210). Teilungsmodell keine »Erfindung« des SachenRBerG ist, sondern dort nur Die später Gesetz gewordene Regelung beruht auf der Empfehlung des positiven Ausdruck gefunden hat, nachdem es zuvor gerade im Boden- Rechtsausschusses und sollte den Schwierigkeiten Rechnung tragen, die ordnungsverfahren praktiziert worden war. Letzteres wird durch Nr. 6.6.4 der zum LwAnpG herausgegebenen ministeriellen »Empfehlungen« bei der Bestimmung des Anteils der Werterhöhung durch Maßnahmen v. 30.10.1992 (GMBl. S. 1095) belegt. Wie das FlurbereinigungsG hervor- zur Baureifmachung zu erwarten gewesen wären. Einen sicheren Maß- hebt (…), ist die Anwendung des Halbteilungsgrundsatzes in der Boden- stab für eine Bewertung im Einzelfall gebe es nicht. Zur Erleichterung neuordnung dann auch von der Rspr. der zuständigen FlurbereinigungsG des Verfahrens und zur Vermeidung von Streitigkeiten seien pauschale einhellig »im Lichte des SachenRBerG« gebilligt worden (so erstmals OVG Greifswald, Urt. v. 4.7.1996, AgrarR 1997, 59 [62]; später z.B. Urt. v. Abzugsbeträge anzusetzen (vgl. BT-Drucks. 12/7425, S. 66). 16.4.1998, AgrarR 1999, 257 [259 f.], und v. 30.3.1999, AgrarR 2000, 102 Der Abzug nach § 19 Abs. 2 u. 3 SachenRBerG liegt in der »Logik« [103 f.]; OVG Magdeburg, Urt. v. 4.2.1999, RdL 1999, 214 [215]; OVG des Vergleichswertverfahrens, weil dieses verschiedene Entwicklungs- Frankfurt (Oder), Urt. v. 25.1.2001, RdL 2001, 265 [267]; OVG Weimar, Urt. v. 3.4.2001 – 7 F 310/99 – [n.v.]). Angesichts dieser Entwicklung stufen der baulichen Nutzung kennt (vgl. § 4 Abs. 2-4 WertV). Bau- konnte der Gesetzgeber die Frage, wie der Abfindungswert im Bodenord- reifes Land ist die höchste Entwicklungsstufe (vgl. § 4 Abs. 4 WertV) nungsverfahren zu ermitteln ist, als geklärt ansehen. Die verschiedenen und setzt zumindest eine gesicherte bzw. ausreichende Erschließung Novellierungen, die das LwAnpG in der Zwischenzeit erfahren hat, voraus, weil die Erteilung einer Baugenehmigung hiervon abhängt befassen sich deshalb mit anderen Fragen (vgl. dazu Schweizer, in: Theisen/Winkler [Hrsg.], Zehn Jahre Landwirtschaftsanpassungsgesetz, (vgl. § 30 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Satz 1, § 35 Abs. 1 Satz 1 2001, S. 21 [35 ff.]). Das Schweigen des Gesetzgebers zur »Halbteilung« ist BauGB). Diese Stufe hat der Gesetzgeber als Maßstab gewählt, um unter diesen Umständen beredt. damit sicherzustellen, dass Vergleichsgrundstücke in ausreichender 4. Ohne Erfolg wendet die Revision sich auch gegen die Abzüge für Zahl ermittelt werden können. Er war sich aber bewusst, dass er die Baureifmachung, die das FlurbereinigungsG unter Hinweis auf § 19 damit einseitig den Grundstückseigentümer begünstigen würde, Abs. 2 Satz 1 u. Abs. 3 SachenRBerG vorgenommen hat. Dem Flurbe- wenn dieser nicht maßgeblich zur Baureifmachung beigetragen hat. reinigungsG ist kein Verstoß gegen Bundesrecht unterlaufen, wenn es Damit drängte sich eine Korrektur durch den Abzug nach § 19 Abs. 2 diese Abzüge auch im Anwendungsbereich des LwAnpG für geboten u. 3 SachenRBerG auf, um einen angemessenen Interessenausgleich erachtet. Nach § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SachenRBerG ist ein Abzug für zwischen Grundstückseigentümer und Nutzer zu erzielen. die Erhöhung des Werts des baureifen Grundstücks durch Aufwen- 5. Auch die Abzüge wegen abweichender Wertverhältnisse, die das dungen zur Erschließung, zur Vermessung und sonstigen Baureif- FlurbereinigungsG im Hinblick darauf vorgenommen hat, dass die Flur- machung des Grundstücks vorzunehmen, es sei denn, dass der Grund- stücke … von der Dorfstraße nur über die »Sperrgrundstücke« … erreich- stückseigentümer diese Kosten getragen hat oder das Grundstück bar sind (…), halten einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand. bereits während der Dauer seines Besitzes erschlossen und vermessen Es begegnet keinen Bedenken, es als wertbeeinflussendes Merkmal war. Die Höhe des Abzugs bestimmt sich nach der Staffel in § 19 Abs. 3 eines Grundstücks iSv § 14 WertV anzusehen, wenn es keine gesicherte SachenRBerG. Zufahrt bzw. keinen Zugang zu einer Erschließungsanlage (vgl. § 127 Die von der Revision in diesem Zusammenhang erhobene Auf- Abs. 2 BauGB) hat, weil dazwischen ein »Sperrgrundstück« liegt. Das klärungsrüge kann schon deswegen nicht durchgreifen, weil damit Grundstück verfügt dann nämlich über keine Erschließung, die die nur geltend gemacht wird, eine Beweisaufnahme hätte erbringen Erteilung einer Baugenehmigung zulässt. Dies gilt zumindest solange, müssen, dass die Grundstücke vor Einräumung der Nutzungsrechte wie die Querung des Grundstücks nicht durch die Eintragung einer

Neue Justiz 9/2003 493 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

Baulast unabhängig vom Willen des jeweiligen Eigentümers dauerhaft Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: gesichert ist. Entgegen der Auffassung der Revision kann in diesem Das Rückgabebegehren der Kl. ist an Art. 21 Abs. 3 iVm Art. 22 Abs. 1 Zusammenhang nicht auf die spätere Zusammenführung von Grund- Satz 7 EV zu messen. Ihr stand zum maßgeblichen Zeitpunkt, d.h. am und Gebäudeeigentum in der Hand der Beigel. abgestellt werden, die 3.10.1990, ein Rechtsanspruch auf Rückgabe des Grundstücks jeden- Ziel des Bodenordnungsverfahrens ist. Dies wäre nicht systemgerecht, falls dann zu, wenn ihre Rechtsvorgängerin in Gefolge des Tausch- weil der für die Wertermittlung maßgebliche Zeitpunkt (…) vernach- vertrags von 1948 dessen Eigentümerin geworden war. Da diese lässigt würde, dessen Festlegung durch das FlurbereinigungsG wegen Voraussetzung durch das VG bisher nicht geprüft worden ist, muss der der Bindungswirkung des Urt. v. 13.3.2000 nicht mehr überprüfbar ist. Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden. 6. Die Revision beanstandet schließlich den Abzug von 5%, den das Die entscheidungstragende Annahme des VG, die dem Tauschver- FlurbereinigungsG gem. § 14 WertV für das Flurstück … festgesetzt hat, trag vorausgegangene entschädigungslose Enteignung der Alteigen- weil es zwischen Gehwegrand und Garagenboden ein Gefälle von tümer schließe einen etwaigen Restitutionsanspruch der Kl. aus, 18% aufweise, die seine Nutzung erschwere (…). Dies sei ohne weitere verstößt gegen Bundesrecht. Die Herkunft des beanspruchten Grund- Sachaufklärung durch Sachverständige nicht zulässig gewesen, nach- stücks aus der Bodenreform stellt keinen ungeschriebenen Restitu- dem das FlurbereinigungsG für die Vergleichsgrundstücke ein Gefälle tionsausschlussgrund dar. Das vom VG diesbezüglich herangezogene von bis zu 17% festgestellt habe (…), das in die Bodenwerte eingeflos- Urteil des 7. Senats des BVerwG in der Rechtssache »Hoppegarten« sen sein dürfte. Auch mit dieser Aufklärungsrüge kann die Revision v. 30.11.1995 (BVerwGE 100, 62 = NJ 1996, 270), wonach Vermögen, nicht durchdringen. das ein Land oder sein Rechtsvorgänger »durch entschädigungslose Es ist nichts gegen die Aussage zu erinnern, dass im Rahmen der Enteignung Privater im Rahmen der Bodenreform erlangt hatte«, Wertermittlung ein starkes Gefälle zur Straße sich wertmindernd auf nicht der öffentlichen Restitution unterliegt, trifft auf den vorliegen- den Bodenwert auswirkt. Bei 18% Steigung ein starkes Gefälle anzu- den Sachverhalt nicht zu. nehmen und dafür eine Wertminderung von 5% anzusetzen, liegt Auch wenn die beiden Fallgestaltungen ähnlich zu sein scheinen, auch in der Sachkunde des FlurbereinigungsG, das mit Fachbeisitzern da ihnen die Rechtswidrigkeit der im Zuge der Bodenreform erfolgten besetzt ist (vgl. § 139 Abs. 3 FlurbG). Insofern brauchte sich ihm hier Enteignungen gemeinsam ist, unterscheiden sie sich doch wesentlich nicht die Hinzuziehung eines Sachverständigen aufzudrängen. Das im Hinblick auf ihre rechtliche Beurteilung. Der in Rede stehende FlurbereinigungsG wollte zum Ausdruck bringen, dass der Bodenwert Restitutionsausschluss setzt voraus, dass der zurückverlangte Vermö- der in Rede stehenden drei Vergleichsgrundstücke bei der Bildung genswert seinem Eigentümer entschädigungslos und damit in rechts- eines Durchschnitts zwar auch durch einen Abzug für Gefälle gemin- staatswidriger Weise entzogen worden war, bevor er in das Eigentum dert sein wird, dieser Abzug aber nicht ausreicht, um auch ein Gefälle der restitutionsbegehrenden Körperschaft gelangte. Dies trifft auf von 18% abzudecken, wenn das bei den Vergleichsgrundstücken Bodenreformgrundstücke in der Regel, wenn auch nicht in allen Fällen ermittelte Gefälle im Durchschnitt deutlich unter 17% anzusetzen ist. zu (vgl. Senatsbeschl. v. 3.3.1999 – 3 B 10/99 – Buchholz 111 Art. 21 Diese Überlegung ist nachvollziehbar und daher revisionsgerichtlich EV Nr. 33). nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Streitfall führt die Rechtswidrigkeit der Boden- reformenteignung jedoch noch nicht ohne weiteres zur Restitutions- festigkeit des betreffenden Vermögensgegenstands. Dies wäre nur 04.2 – 9/03 dann der Fall, wenn die die Rückgabe begehrende Körperschaft selbst Vermögensrecht/Verwaltungsvermögen/Bodenreformgrundstück/ in das Unrechtsgeschehen derart involviert war, dass sie sich den Restitution enteigneten Gegenstand in vorwerfbarer Weise verschafft, sich an ihm BVerwG, Urteil vom 24. April 2003 – 3 C 15/02 (VG Chemnitz) ohne Rechtsgrund oder Gegenleistung bereichert oder aus ihm in EinigungsV Art. 21 Abs. 3, 22 Abs. 1 Satz 7 sonstiger unredlicher Weise Nutzen gezogen hat. Die im Zuge der richterlichen Rechtsfortbildung zu erwägende Rechtsstaatswidrig erlangte Vermögensgegenstände unterfallen Versagung eines gesetzlichen Anspruchs ist restriktiv zu handhaben nicht der öffentlichen Restitution (Bestätigung der bish.Rspr.). Dieser (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG) und muss sich auf anerkannte Rechts- Ausschlussgrund trifft nicht auf ehem. Bodenreformgrundstücke zu, grundsätze oder Auslegungsregeln stützen lassen. Mangels einer in welche die restitutionsbegehrende Körperschaft rechtsgeschäftlich diesem Sinne auslegbaren Rechtsnorm stellt sich die Nichtrestituier- gegen angemessene Gegenleistung erworben hat. barkeit von Bodenreformgrundstücken als Ausfluss des Instituts der unzulässigen Rechtsausübung dar und findet in ihm seine Grenzen. Problemstellung: Aus diesem Grunde kann nur derjenige, der durch sein Verhalten mit Die klagende Stadt (Kl.) begehrt die Rückübertragung eines in der den guten Sitten und den Grundsätzen von Treu und Glauben in Kon- Gemeinde N. belegenen Grundstücks. Ihre Rechtsvorgängerin hatte flikt geraten ist, mit einer für den Rechtsverstoß (hier: die entschädi- die beiden Flurstücke, die im Rahmen der Bodenreform einem Neu- gungslose Enteignung) evtl. zu verhängenden Sanktion belegt werden. bauern bzw. der Gemeinde N. zugeteilt worden waren, mit Vertrag Dies wird auch durch die bisher ergangene Rspr. gestützt. Danach v. 20.5.1948 gegen ihr gehörende Parzellen getauscht. Im Sept. 1948 schließt der der Restitution zugrunde liegende Wiedergutmachungs- wurde die Kl. für eines der Flurstücke als Eigentümerin im Grundbuch gedanke die Rückgabe solcher Vermögensgegenstände aus, die »sie« eingetragen. Ein Eigentumsnachweis für das andere Flurstück fehlt (d.h. die öffentlich-rechtliche Körperschaft) »selbst auf rechtsstaats- bisher. Die Grundstücke wurden später in Eigentum des Volkes, widrige Weise erlangt hatte« (BVerwGE 100, 62, 69). Entscheidend sind Rechtsträger: Rat der Gemeinde G., überführt. Die Kl. veräußerte das deshalb die konkreten Umstände bei der Erlangung des Vermögens- Grundstück im Jahr 1993. gegenstands durch den Restitutionsprätendenten. Die Wiedergutma- Der Antrag der Kl. auf Zuordnung wurde von der Bekl. abgelehnt, da chungswürdigkeit des Vermögensverlusts und damit der Rückgabean- bei einem Bodenreformgrundstück die Restitution ausgeschlossen sei. spruch entfällt nur dann, wenn diese Umstände aus rechtsstaatlicher Die hiergegen gerichtete Klage hat das VG abgewiesen. Sicht zu missbilligen sind. In diesem Sinne ist auch der weitere Begrün- Die Revision der Kl. hatte Erfolg. Das BVerwG hat das VG-Urteil dungssatz zu verstehen: »die öffentliche Restitution dient nicht der aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Ent- Wiederherstellung eines rechtsstaatswidrigen Zustands« bzw. »der scheidung zurückverwiesen. Wiedereinräumung einer rechtsstaatswidrig erlangten Eigentumsposi-

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tion«. Würde durch eine Rückgabe ein rechtsstaatswidriger Zustand liche Körperschaft gemacht werden soll. Eine Konkurrenz kann wegen »wiederhergestellt«, so muss sich die Rechtsstaatswidrigkeit hier auf der Vorrangigkeit des VermG gegenüber der Vermögenszuordnung in die Art und Weise der Vermögenserlangung durch den Ast. beziehen einem solchen Fall auch nicht eintreten. Das BVerwG kommt daher und nicht auf die von einer Rückgabe unberührt bleibende voraus- insoweit konsequent zu dem Ergebnis, dass die Kl. einen Restitutions- gegangene Enteignung. anspruch geltend machen kann, wenn sie ihre Eigentümerstellung Die These des VG, der Makel der rechtsstaatswidrigen Enteignung nach dem Tauschvertrag nachweist. schließe eine Restitution generell aus, ist zudem mit durchgreifenden Prof. Dr. Angela Kolb, Hochschule Harz, Halberstadt Argumenten nicht zu begründen: Betrachtet man den Makel als dem Vermögensgegenstand als solchem anhaftendes (Rück-)Erwerbshin- dernis, wird zum einen verkannt, dass es hier an einer dem § 935 BGB 04.3 – 9/03 entsprechenden Regelung mangelt. Zum anderen würde sich eine Vermögensrecht/Rückübertragung/verfolgungsbedingter Vermö- solche generelle Einschränkung auch nicht mit den ansonsten gelten- gensverlust/Berechtigtenfeststellung den Regelungen für die Rückgabe oder das Behaltendürfen von Boden- BVerwG, Urteil vom 30. April 2003 – 8 C 9/02 (VG Gera) reformgrundstücken vereinbaren lassen. So kann bspw. der Erwerber VermG §§ 1 Abs. 6, 2 Abs. 1; REAO Art. 3 Abs. 2 u. 3 eines solchen Grundstücks den aufgrund strafrechtlicher Rehabilita- tion entstandenen Rückgabeanspruch des enteigneten Alteigentümers Die gesetzliche Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG für einen abwehren, wenn der Neubauer bei der Zuteilung des Grundstücks verfolgungsbedingten Vermögensverlust kann nur durch die in Art. 3 redlich iSv § 4 Abs. 3 VermG war (vgl. BVerwGE 111, 182 = Buchholz Abs. 2 u. 3 REAO vorgesehenen Beweise widerlegt werden. Der 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 4 = NJ 2000, 499 [Leits.]). Auch hier ist der »direkte Gegenbeweis« als Mittel, um die Verfolgungsvermutung auf Rechtsverlust (des derzeitigen Eigentümers) abhängig von einem zu andere Weise zu entkräften, ist nicht statthaft. missbilligenden Verhalten beim Erwerb des Bodenreformgrundstücks. Nicht einmal in derartigen Fällen ist die Redlichkeit des Erwerbs mit Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch BVerwGE 108, 157 = NJ 1999, 329 der entschädigungslosen Enteignung verknüpft, in denen letztere (bearb. v. Keßler). durch Restitution des Grundstücks an den Alteigentümer rückgängig gemacht werden konnte. Im Falle der Kl. liegen die Voraussetzungen, die eine öffentliche 04.4 – 9/03 Restitution der Bodenreformgrundstücke ausschließen würden, nicht Vermögensrecht/Rückübertragung eines Mietwohngrundstücks/ vor. Sie hat die beiden Teilgrundstücke auf redliche Art und Weise Eigentumsverzicht/Überschuldungsbegriff/Berechnung der finanzier- erlangt, indem sie sich nach den Regeln des allgemeinen Geschäfts- baren Instandsetzungskosten verkehrs mit Immobilien verhalten und eine angemessene Gegen- BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2003 – 7 C 24/02 (VG Schwerin) leistung erbracht hat, so dass von einer ungerechtfertigten Bereiche- VermG § 1 Abs. 2 rung insoweit keine Rede sein kann. Die bloße Kenntnis der Kl. von der Herkunft der Parzellen reicht nicht aus, den Tausch als unlauter Zur Berechnung der aus dem Grundstück finanzierbaren Instandset- zu qualifizieren. Seine Vornahme hat niemandem geschadet, seine zungskosten, wenn Rohsachwert, Ertragswert und Grundstücksbelas- Unterlassung hätte niemandem – auch nicht den Enteignungsopfern – tung bei Eigentumsverzicht bekannt sind. genützt. Aus diesem Grunde ist der Kl. das Grundstück zurück- zuübertragen, sofern das VG ihre frühere Eigentümerstellung fest- Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch BVerwGE 98, 87 = NJ 1995, 546. stellt.

Kommentar: 04.5 – 9/03 Nach Art. 21 Abs. 3 EV werden Vermögenswerte, die dem Zentralstaat Vermögensrecht/Anmeldung eines Rückübertragungsanspruchs durch oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) von einer Testamentsvollstrecker/Eigentumserwerb durch ausländischen Staat anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Ver- BVerwG, Urteil vom 8. Mai 2003 – 7 C 63/02 (VG Berlin) fügung gestellt worden sind, an diese Körperschaften oder ihre Rechts- VermG §§ 1 Abs. 1 Buchst. a, 4 Abs. 2, 5 Abs. 1 Buchst. a, 30a Abs. 1 nachfolger unentgeltlich zurückübertragen. Dies gilt nach Art. 22 Satz 1; BGB §§ 2041, 2197, 2205 Abs. 1 Satz 7 VermG auch für das Finanzvermögen von Gemeinden und Gemeindeverbänden. In einer Reihe von Fällen sind davon auch 1. Die rechtzeitige Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche Grundstücke betroffen, die zu einem früheren Zeitpunkt bereits von durch den Testamentsvollstrecker wirkt zu Gunsten der Erben auch einem schädigenden Ereignis, z.B. einer Enteignung im Rahmen der dann, wenn der Erbfall bereits vor dem In-Kraft-Treten des VermG Bodenreform, betroffen waren. eingetreten war und der vermögensrechtliche Anspruch deshalb unmittelbar in der Person des Rechtsnachfolgers des verstorbenen Das BVerwG knüpft mit der vorliegenden Entscheidung an seine bish.Rspr. an, indem es nochmals herausstellt, dass rechtsstaatswidrig Geschädigten entstanden ist. erlangte Vermögensgegenstände nicht der öffentlichen Restitution 2. Die Möglichkeit redlichen Erwerbs nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG unterfallen. Gleichzeitig wird diese Spruchpraxis aber auch in einem gilt nicht für den Erwerb durch einen ausländischen Staat. entscheidenden Punkt weiterentwickelt. Ein solcher Ausschlussgrund liegt dann nicht vor, wenn diejenige öffentliche Körperschaft, die die Problemstellung: Restitution des Grundstücks begehrt, dieses gegen eine angemessene Die Kl. begehrten die Rückübertragung eines bebauten Grundstücks in Gegenleistung erworben hat. Insofern wird hier ein Tatbestand des red- Berlin-Mitte, das ihrem Rechtsvorgänger J. W. gehörte. Der Magistrat lichen Erwerbs im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen. von Groß-Berlin stellte 1950 durch Bescheid fest, dass das Grundstück Zur Begründung dieser Entscheidung greift der Senat auf eine Rechts- in Volkseigentum übergegangen ist. Es kam zu einer entsprechenden sache zurück, die einen privaten redlichen Erwerb betrifft. Diese Grundbuchumschreibung; dann wurde das Grundstück an die Volks- Argumentation verdeutlicht, dass in dieser Hinsicht kein Unterschied republik B. veräußert, welche das Gebäude bis zur Wiedervereinigung zwischen einem privaten Erwerb und einem Erwerb durch eine öffent- als Handelsmission nutzte und danach an eine Bank vermietete.

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1990 meldete Rechtsanwalt W.-B. als Testamentsvollstrecker des hingewiesen hat, ohne die Erben zu nennen. Zwar muss grundsätzlich 1954 verstorbenen Eigentümers J. W. Ansprüche auf Rückübertragung bei der Anmeldung eines vermögensrechtlichen Anspruchs die Person des Grundstücks an. Das LARoV lehnte den Antrag ab. des Berechtigten oder – bei einer Erbengemeinschaft – wenigstens Mit daraufhin erhobener Klage beantragten die Kl. die Rücküber- eines der gesamthänderisch gebundenen Beteiligten bezeichnet wer- tragung des Grundstücks an die Erbengemeinschaft nach dem frühe- den, damit sich nicht nach Fristablauf weitere Personen als Berechtigte ren Eigentümer J. W. melden können. Dies betrifft aber nur Anmeldungen durch einen vollmachtslosen Vertreter. Meldet dagegen ein Testamentsvollstrecker Das VG hat die Klage abgewiesen, da die Kl. den Anspruch auf Ansprüche an, bleibt die Person des Berechtigten nicht in derselben Rückübertragung nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 30a Abs. 1 Weise offen und besteht die Möglichkeit weiterer Anmeldungen nicht. Satz 1 VermG angemeldet hätten. Die Rückübertragung des Grundstücks ist nicht durch den redlichen Die Revision der Kl. hatte Erfolg. Erwerb der Volksrepublik B. nach § 4 Abs. 2 VermG ausgeschlossen, denn diese Vorschrift betrifft nur den redlichen Erwerb durch eine Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: natürliche Person, eine Religionsgemeinschaft oder eine gemein- Die fristgerechte Anmeldung des Restitutionsanspruchs durch den nützige Stiftung. Nach dem Zweck der Vorschrift ist sie nicht auf Testamentsvollstrecker wirkt zu Gunsten der Kl. Der nach § 2197 BGB ausländische Staaten auszudehnen, denn sie geht auf Nr. 3 Buchst. b ernannte Testamentsvollstrecker ist zwar nicht Vertreter der Erben, der Gemeinsamen Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik sondern treuhänderischer Verwalter des Nachlasses. Der Rückübertra- Deutschland und der DDR zur Regelung offener Vermögensfragen gungsanspruch gehört zum Nachlass; er ist jedenfalls wie eine Nach- v. 15.6.1990 zurück. Der Beschränkung des hiernach vorgesehenen lassforderung zu behandeln und unterliegt daher der Verwaltung Ausgleichs auf »Bürger« der DDR liegen zwei Erwägungen zugrunde, durch den Testamentsvollstrecker. die in inhaltlichem Zusammenhang stehen. Zum einen zielt der Ist der Geschädigte erst nach dem In-Kraft-Treten des VermG Schutz des redlichen Erwerbs vorrangig auf das »persönliche« Eigen- (29.9.1990) verstorben, war der Restitutionsanspruch schon in seiner tum, das im Gegensatz zum sozialistischen Eigentum dem Privat- Person entstanden und stand ihm im Zeitpunkt des Erbfalls bereits zu. eigentum nach dem Rechtsverständnis der Bundesrepublik Deutsch- In diesem Fall fällt der Anspruch auf Rückübertragung des Grund- land entsprach. Zum anderen soll er den Erwerber davor bewahren, stücks ohne weiteres in seinen Nachlass. War der Geschädigte – wie durch die Rückgabe rechtsstaatswidrig entzogener Grundstücke oder hier – vor dem In-Kraft-Treten des VermG verstorben, entsteht der Gebäude eine wesentliche Lebensgrundlage zu verlieren, und einer Anspruch erstmals in der Person des Rechtsnachfolgers des Geschä- unter menschlichen und sozialen Gesichtspunkten schwierigen digten und gehört deshalb nicht zum Nachlass. Dennoch ist auch in Konfliktsituation Rechnung tragen. Jedenfalls dieser letztgenannte diesem Fall der Restitutionsanspruch mit seinem Entstehen wie eine Grund trifft auf ausländische Staaten nicht zu und rechtfertigt deren Nachlassforderung zu behandeln, soweit dem nicht Besonderheiten Ausschluss von der Möglichkeit des redlichen Erwerbs. des Vermögensrechts entgegenstehen. Damit wird die zeitliche Lücke geschlossen, die zwischen dem Tod des Geschädigten und der Ent- Kommentar: stehung des Anspruchs nach dem VermG klafft. Aus diesem Grund Mit dem ersten Leitsatz hat das BVerwG ein vernünftiges Ergebnis wird auch in der Rspr. der Zivilgerichte auf den Restitutionsanspruch gefunden, auch wenn seine Begründung dogmatisch auf schwachen die erbrechtliche Vorschrift des § 2041 Satz 1 BGB entsprechend Beinen steht. Hinsichtlich des zweiten Leitsatzes fielen seine Aus- angewandt und der Restitutionsanspruch als Ersatz für das entzogene führungen zu knapp aus. Grundstück, das sonst in den Nachlass gefallen wäre, wie eine Nach- Das Gericht legt ein weiteres Mal § 4 Abs. 2 VermG restriktiv aus. lassforderung behandelt. Bereits früher hat das BVerwG festgestellt, dass Genossenschaften Diese Gleichsetzung entspricht dem Gedanken der Wiedergutma- (NJ 1995, 215 = Brandt/Kittke [Hrsg.], RGV, B IX 85; RGV, B IX 39) und chung, der auch Grundlage dafür ist, dass das VermG die Erben des juristische Personen (RGV, B X 40) nicht in den Anwendungsbereich Geschädigten als Berechtigte anerkennt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG). dieser Vorschrift fielen, und ist in seiner Auffassung vom BVerfG (RGV, Damit trägt das Gesetz dem Umstand Rechnung, dass der Vermö- B X 41) bestätigt worden. Dieses sah keinen Verstoß gegen Art. 14 GG. genswert mit dem Erbfall ebenso wie die übrigen zum Nachlass gehöri- Die Beschränkung des restitutionsausschließenden redlichen Erwerbs gen Gegenstände auf den gesetzlich oder testamentarisch bestimmten auf die in § 4 Abs. 2 VermG genannten Rechtssubjekte bewirke keine Erben übergegangen wäre, wenn er nicht dem Geschädigten durch Enteignung der nicht geschützten übrigen Erwerber, sondern stelle Unrechtsmaßnahmen iSd § 1 VermG entzogen worden wäre. Das eine zulässige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums VermG stellt die Erben des Geschädigten damit so, als hätten sie den dar. Auch der Gleichheitsgrundsatz werde nicht verletzt. Der aus- Restitutionsanspruch geerbt. Dadurch wird wirtschaftlich gesehen der nahmsweise Vorrang des redlichen Erwerbs gegenüber der Rückgabe Nachlass um etwas ergänzt, das strikt erbrechtlich betrachtet nicht des rechtsstaatswidrig entzogenen Vermögenswerts rechtfertige sich dazugehört. im Wesentlichen durch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes. Ver- Hatte sich die ursprüngliche Erbengemeinschaft vor In-Kraft-Treten fassungsrechtlich sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber eine des VermG bereits auseinander gesetzt, wird diese Erbauseinander- solche Schutzwürdigkeit nicht gegeben sehe, wenn der rechtsstaats- setzung nach § 2a Abs. 2 VermG als gegenständlich beschränkte Teil- widrig entzogene Vermögenswert in das sozialistische Eigentum über- aus-einandersetzung fingiert. Mit dieser Fiktion fordert die Vorschrift ging, da dieses angesichts der engen Verknüpfung der Träger sozialis- eine nachfolgende Erbauseinandersetzung über den nunmehr in der tischen Eigentums mit der staatlichen Ordnung und der daraus Person der Erben neu entstandenen Rückübertragungsanspruch bzw. folgenden bevorzugten Erwerbsmöglichkeiten auch in der Hand eines über den zurückzuübertragenden Vermögenswert. Damit ist auch die Rechtsnachfolgers grundsätzlich keinen Bestand mehr habe. Zuständigkeit des Testamentvollstreckers für diese Forderung gegeben, Das BVerwG hätte m.E. problematisieren müssen, ob dieser denn seine Aufgabe ist die Auseinandersetzung des Nachlasses und Gedanke auch beim Eigentumserwerb durch ausländische Staaten gilt. dessen Verwaltung bis zum Abschluss der Auseinandersetzung. Bedenklicher als dieser Mangel ist jedoch, dass das BVerwG auf das Hat der Testamentsvollstrecker den vermögensrechtlichen Anspruch gem. Art. 25 GG zu beachtende Völkerrecht nicht eingeht. Nach dem angemeldet, wirkt seine Anmeldung auch dann zu Gunsten der Erben, Völkerrecht ist die Enteignung ausländischen Vermögens nur gegen wenn er darin nur auf seine Eigenschaft als Testamentsvollstrecker prompte und volle Entschädigung zulässig (vgl. Bleckmann, Völker-

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recht, 2001, Rn 878). Zumindest der letzte Punkt ist hier zweifelhaft, einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit da die dem Verfügungsberechtigten nach § 7a VermG zu zahlende einzelner Belange außer Verhältnis steht. Maßgeblicher Zeitpunkt für Entschädigung i.d.R. deutlich unter dem heutigen Verkehrswert liegt. die Abwägung ist der Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Plan. Es ist somit möglich, dass das BVerwG bei zukünftigen Prozessen diese 7. Es ist nicht abwägungsfehlerhaft, wenn ein Regionalplan nicht auf bislang vernachlässigten Fragen aufgreifen und von seinem bisherigen allen für eine wirtschaftliche Nutzung der Windenergie geeigneten Standpunkt abrücken wird. Flächen die Errichtung von Windkraftanlagen zulässt. Schließt er die Prof. Dr. Joachim Gruber, D.E.A. (Paris I), Errichtung solcher Vorhaben in bestimmten Gebieten aus, muss dies Westsächsische Hochschule, Zwickau auf einem in die Abwägung eingestellten Belang beruhen, der über das reine Anliegen der Erhaltung des gegenwärtigen Erscheinungs- bildes des Gebiets hinausgeht. 04.6 – 9/03 (mitgeteilt von VorsRiOVG Michael Raden, Bautzen) Vermögensrecht/Berechtigter/Rechtsnachfolge des Geschädigten/ Enteignung von Bodenreformgrundstück/Erben BVerwG, Beschluss vom 20. Mai 2003 – 8 B 36/03 (VG Potsdam) 04.8 – 9/03 Bauaufsicht/Beseitigungsverfügung/sofortiger Vollzug/Willkürverbot VermG § 2 Abs. 1 Satz 1 OVG Greifswald, Beschluss vom 12. Februar 2003 – 3 M 124/02 1. Die Erbenstellung allein vermittelt noch keine Rechtsnachfolge- (VG Schwerin) eigenschaft iSv § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Hinzukommen muss der LBauO M-V § 80; GG Art. 3 Eintritt im vollen Umfange in die Rechtsposition des geschädigten Verstorbenen im Hinblick auf den enteigneten Vermögensgegenstand 1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer bauaufsichts- (vgl. Beschl. v. 7.9.1998 – 8 B 118/98 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 40). behördlichen Beseitigungsverfügung nach § 80 LBauO M-V gegen 2. Die Erben des vor In-Kraft-Treten des Ges. über die Rechte der einen formell und materiell illegal errichteten Wintergarten kann Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform v. 6.3.1990 ver- rechtmäßig sein, wenn von dem Bauvorhaben negative Vorbildwir- storbenen Neubauern, dem zu seinen Lebzeiten das Bodenreform- kungen ausgehen und eine Veränderung des Gebietscharakters droht grundstück enteignet worden war, sind keine Berechtigten iSv § 2 (hier bejaht; im Anschluss an den Beschl. des Senats v. 2.11.1993 – Abs. 1 Satz 1 VermG (Bestätigung der bish.Rspr.; vgl. u.a. Beschl. v. 1 M 89/93). 1.11.2001 – 7 B 85/01 – juris). 2. Ein gewisser Substanzverlust der baulichen Anlage ist hinzunehmen. 3. Zum Willkürverbot des Art. 3 GG bei bauaufsichtsbehördlichem Einschreiten. 04.7 – 9/03 Landesplanung/Raumordnung/Regionalplan »Oberes Elbtal/Osterz- Problemstellung: gebirge«/Windkraftanlagen Der Ag. stellte im Nov. 1997 fest, dass die Ast. auf ihrem in einer Bun- OVG Bautzen, Urteil vom 26. November 2002 – 1 D 36/01 (rechtskräftig) galowsiedlung gelegenen Grundstück einen ca. 16 qm großen Anbau an ihren ca. 50 qm großen Bungalow errichtet hatten. Ein entspre- BauGB § 35 Abs. 3; VwGO § 47 Abs. 2 Satz 1; ROG; SächsLPlG § 12 chender Baugenehmigungsantrag wurde zuvor bereits durch Beschluss 1. Ziele der Raumordnung und Landesplanung, die in einem nach dem des OVG Greifswald rechtskräftig versagt. SächsLPIG aF aufgestellten Regionalplan festgelegt sind, entfalten Mit Bescheid v. 25.9.2001 verfügte der Ag. unter Anordnung des keine unmittelbare Bindungswirkung für Private. Dies gilt auch dann, sofortigen Vollzugs die Beseitigung des Anbaus mit der Begründung, wenn das Vorhaben zur Aufstellung oder Änderung des Plans nach dass das zulässige Maß der baulichen Nutzung überschritten sei, von In-Kraft-Treten des ROG nF begonnen worden ist. dem Anbau die Gefahr einer nicht unerheblichen Breitenwirkung 2. Einem Bauantragsteller, dessen Vorhaben nach § 35 Abs. 3 Satz 2 ausgehe und er zur Nachahmung anrege. BauGB ein Ziel der Raumordnung entgegengehalten werden kann, ist Gegen diese Verfügung legten die Ast. Widerspruch ein und bean- für einen Normenkontrollantrag gegen diesen Raumordnungsplan tragten beim VG, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs antragsbefugt, auch wenn das Ziel Private nicht unmittelbar bindet. wiederherzustellen. Ihr Anbau sei genehmigungsfähig. In der Umge- 3 Das Fehlen des Einvernehmens der berührten Staatsministerien bung seien mehrere Gartenhäuser vorhanden, die in den äußeren nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SächsLPIG aF ist keine Verstoß gegen eine »Vor- Abmessungen dem Wintergarten der Ast. entsprächen. Die Verfügung schrift über die Verbindlicherklärung« iSv § 12 Satz 2 SächsLPIG aF. des Ag. sei ermessensfehlerhaft. Willkürlich sei nur das Vorhaben der 4. Zur Frage, ob sich aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 38 Satz 1 SächsVerf. Ast. herausgegriffen worden. Folgen für die Berechnung einer Rügefrist (hier nach § 12 Satz 1 Dieser Antrag und die Beschwerde gegen die ablehnende Entschei- SächsLPIG aF) ergeben können, wenn die Möglichkeit der Aktenein- dung blieben erfolglos. sicht unzumutbar verkürzt wird. (Hier offen gelassen, weil die zur Verfügung stehende Zeit der Akteneinsicht zumutbar war.) Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: 5. Zielfestlegungen in einem Regionalplan, nach denen die Errichtung von Windkraftanlagen in bestimmten Bereichen und Gebieten unzu- Das OVG ist bei der Überprüfung des Beschlusses des VG gem. § 146 lässig ist, sind nicht schon dann zu beanstanden, wenn sich aufgrund Abs. 4 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt. Es erkannte im einer Prüfung im Einzelfall doch ergeben könnte, dass das mit der pla- Beschwerdevorbringen keine Gründe, die Entscheidung des VG zu nerischen Festlegung verfolgte Ziel durch das vom Plan verhinderte ändern oder aufzuheben. Windkraftvorhaben aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nicht Der Sachvortrag der Ast. belegt nach Ansicht des OVG nicht, dass oder nicht im angenommenen Maße beeinrächtigt ist. sich das Vorhaben nunmehr in die Eigenart der näheren Umgebung 6. Ein – auch auf der Grundlage alten Landesplanungsrechts aufge- einfügt. Soweit die Ast. auf zwischenzeitlich errichtete Bauwerke in der stellter – Regionalplan ist fehlerhaft, wenn seine Zielfestsetzungen näheren Umgebung verweisen, handelt es sich bei diesen um nicht nicht auf einer Abwägung beruhen, in die Abwägung nicht an Belan- vergleichbare Gerätehäuser. Auch vermittelt der auf dem Nachbar- gen eingestellt wurde, was nach Lage der Dinge hätte eingestellt grundstück errichtete angebliche Wintergarten keinen Rechtsanspruch werden müssen, oder wenn der Ausgleich zwischen den Belangen in auf Genehmigung. Unabhängig davon, dass dieser gleichfalls nicht

Neue Justiz 9/2003 497 Rechtsprechung Verwaltungsrecht

genehmigt ist, bestehen erhebliche Zweifel, ob es sich überhaupt um LSA-KAG § 6b Abs. 1 Satz 1, Abs. 8 Satz 1; InsO §§ 87, 174 Abs. 1 einen vergleichbaren Wintergarten handelt. 1. Ein Abweichen vom bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff ist Zudem ist das Vorgehen des Ag. nicht willkürlich. Er verfolgt mit einzig dann zulässig, wenn ein Buchgrundstück bei der Verteilung des der angegriffenen Anordnung das Konzept, den Charakter des umlagefähigen Aufwands unberücksichtigt bleiben muss, obwohl es Gebietes als Bungalowsiedlung zu erhalten und ein Umschlagen in ein zwar nicht allein, jedoch gemeinsam mit einem anderen Buchgrund- faktisches Wohngebiet zu verhindern. Diese Gefahr besteht, wenn die stück desselben Eigentümers baulich genutzt werden kann (vgl. für die Hauptnutzung zur Verfügung stehende Fläche von 50 qm auf BVerwG, NVwZ 1998, 1072 [1074]). ca. 66 qm erhöht wird. Das hat der Senat bereits im Vorverfahren mit 2. Ist über das Vermögen des Beitragspflichtigen das Insolvenzver- seinem Beschl. v. 27.11.2000 (3 L 225/00) zum Ausdruck gebracht. fahren eröffnet, steht § 87 InsO der Festsetzung des Beitrags nicht im Es kann daher nicht als ein gegen das Willkürverbot des Art. 3 GG Wege, weil diese Bestimmung den Gläubiger nur hindert, bestehende verstoßendes Konzept angesehen werden, wenn der Ag. ausschließlich Forderungen außerhalb des Insolvenzverfahrens zu verfolgen. Die gegen solche Vorhaben einschreitet, die sich als eine qualitativ und persönliche Beitragspflicht kann jedoch vor der Bekanntgabe des quantitativ erhebliche Ausweitung der Hauptnutzung darstellen. Beitragsbescheids nicht entstehen. Damit ist zugleich gesagt, dass es nicht als willkürlich angesehen 3. Ein Leistungsangebot darf mit der Beitragsfestsetzung nach der werden kann, wenn der Ag. gegen evtl. illegal errichtete andere Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr verbunden werden. Nebenanlagen (Gerätehäuser) nicht einschreitet. Dies gilt im Ergebnis (mitgeteilt von VorsRiOVG Dr. Gerd-Heinrich Kemper, Magdeburg) auch für die von den Ast. als Wintergarten bezeichnete Terrassen- überdachung.

Schließlich ist auch die Anordnung des sofortigen Vollzugs nicht 04.10 – 9/03 zu beanstanden. Ein öffentliches Interesse an einer sofortigen Voll- Straßenverkehrsrecht/Fahrtenbuchauflage/Ersatzfahrzeug/Anord- ziehung besteht jedenfalls dann, wenn offensichtlich ist, dass die nung der sofortigen Vollziehung Abbruchverfügung wegen der formellen und materiellen Illegalität des OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 2003 – 8 S 330/02 (VG Berlin) Vorhabens offensichtlich rechtmäßig ist. Zudem besteht in solchen StVZO § 31a Abs. 1; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Fällen eine besondere Dringlichkeit des Eingreifens, um eine negative Vorbildwirkung und die Veränderung des Gebietscharakters zu ver- 1. Der Begriff »Ersatzfahrzeug« iSv § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO ist weit hindern. Unter diesen Umständen ist ein gewisser Substanzverlust bei auszulegen. Ersatzfahrzeug ist nicht nur das (vor oder während der der Beseitigung des Schwarzbaus hinzunehmen. Fahrtenbuchauflage anstelle des veräußerten) neu angeschaffte Fahr- zeug. Zu den Ersatzfahrzeugen zählen auch alle anderen Fahrzeuge Kommentar: des Halters, die im Zeitpunkt der Veräußerung des »Tatfahrzeugs« von Diese an sich unspektakuläre Entscheidung des OVG verdeutlicht ihm betrieben werden und demselben Nutzungszweck zu dienen einmal mehr, dass Behörden gegen baurechtswidrige Zustände ein- bestimmt sind. schreiten dürfen und müssen. Sie sind dabei zu einem schnellen 2. Zur Anordnung der sofortigen Vollziehung der Bestimmung eines Eingreifen angehalten und müssen, wollen sie dem Vorwurf der Ersatzfahrzeugs. Willkür entgehen, gegen jede illegale bauliche Anlage vorgehen. Dulden sie ein Vorhaben aber wissentlich über längere Zeit, verlie- ren sie (nur) die Möglichkeit über eine Nutzungsuntersagung hinaus 04.11 – 9/03 auch den Abriss mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch- Ordnungsrecht/Brandschutz/Spezialität des BrandschutzG gegen- zusetzen. Denn die Behörde verliert dann die zwingend erforderliche über dem OrdnungsbehördenG/Zustandsstörer/Störerauswahl Begründung für den sofortigen Vollzug, dass nämlich von dem Vor- OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 3. April 2003 – 4 B 291/02 haben eine erhebliche Breiten- und Nachahmungswirkung ausgeht. (VG Potsdam) Allerdings ist auch bei einem längeren Zeitablauf die Befugnis, den BSchG Bbg. § 31 Abs. 2 u. 3; OBG Bbg. §§ 13, 17 Abs. 1; Abriss zu verlangen, nicht verwirkt. Der Tatbestand der Verwirkung KrW/AbfG §§ 5 Abs. 2, 11 Abs. 1, 13 Abs. 1, 27 Abs. 2, 61 Abs. 1 Nr. 1; setzt nach der Rspr. des BVerwG (Beschl. v. 5.8.1991 – 4 B 130/91 – VwVGBbg § 15 Abs. 2 Buchholz 406.17 Nr. 35) die Kenntnis der Behörde von einem rechts- 1. Zum Zwecke des Brandschutzes ist die ordnungsbehördliche widrigen Zustand und ein Verhalten der Behörde voraus, das bei dem Generalklausel neben den speziellen Rechtsgrundlagen des Brand- Verpflichteten das berechtigte Vertrauen entstehen lässt, die Behörde schutzG Bbg. ergänzend anwendbar. werde aus überlegten Gründen von ihren Befugnissen, gegen den 2. Zustandsverantwortlich gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 OBG Bbg. ist der rechtswidrigen Zustand einzuschreiten, keinen Gebrauch machen. Eigentümer einer Sache, von der eine Erschwernis der Gefahrenab- Da aber die Befugnis der auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr tätigen wehr ausgeht und die dadurch Teil der Gefahrenquelle ist. (Leitsätze Behörde grundsätzlich nicht verwirkt werden kann – dies kann grund- des Bearbeiters) sätzlich nur bei verzichtbaren/verfügbaren subjektiven Rechten der Fall sein –, ist i.d.R. davon auszugehen, dass materiell illegale Gebäude Problemstellung: über kurz oder lang beseitigt werden müssen (vgl. OVG Lüneburg, NdsVBl. 2002, 22; zur Verjährung hinsichtl. einer Abrissanordnung bei Die Ast. ist Eigentümerin eines Grundstücks, das vormals als Flug- in der DDR errichteten Schwarzbauten vgl. OVG Weimar, NJ 2003, 327). platz genutzt wurde und seither mit Kerosin belastet ist. Die zwischen- Rechtsanwalt Dr. Christian-W. Otto, Berlin zeitlich in Insolvenz gefallene W. T. B. GmbH nutzte auf vertraglicher Grundlage einen Teil des Grundstücks zum Recycling von Abfällen. Am 25.3.2002 gerieten die dort gelagerten Abfälle in Brand. Dabei 04.9 – 9/03 drohten ein Übergreifen des Feuers auf den angrenzenden Wald, die Beitragspflicht/Buchgrundstück/Schmutzwasserbeitragssatzung/ Entstehung von Dioxin sowie Explosionen wegen der Kerosin- Insolvenzverfahren dämpfe. Zwar gelang es, das offene Feuer zu löschen, doch schwelte OVG Magdeburg, Beschluss vom 11. März 2003 – 1 M 268/02 der Brand weiter und brach bis Aug. 2002 wiederholt offen aus. (VG Halle/Saale) Darauf entschied die Ag. als Trägerin des Brandschutzes am 21.8.2002,

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die Abfälle auf dem Gelände der Recycling-Anlage abzuräumen, um Die Ast. wäre auch die richtige Adressatin einer solchen Maßnahme. so Platz für Löschmaßnahmen zu schaffen. Am 26.8.2002 begann Ob sich dies bereits aus § 31 Abs. 2, 3 BSchG Bbg. ergibt, bedarf hier eine von ihr beauftragte Firma mit diesen Arbeiten und verbrachte nicht der Entscheidung, weil eine Inanspruchnahme der Ast. jeden- ca. 10.000 bis 20.000 t Abfälle auf einen entfernten Teil des Grund- falls durch § 17 Abs. 1 OBG Bbg. (Zustandshaftung) gedeckt wäre. stücks der Ast. Die Gefahr ginge hier auch nicht allein von der Abfallhalde aus, die Die Ast. begehrte im Wege vorläufigen Rechtsschutzes, der Ag. die im Eigentum der W. T. B. GmbH steht, sondern zugleich von der Ablagerung der Abfälle auf in ihrem Eigentum stehenden Flächen zu Kerosinbelastung des Grundstücks der Ast. Diese Altlast erschwert untersagen. Das VG wies den Antrag zurück. jedenfalls die Brandbekämpfung und ist so Teil der Gefahrenquelle. Es wäre ermessensfehlerfrei, die Ast. und nicht die W. T. B. GmbH, die Die dagegen gerichtete Beschwerde blieb ohne Erfolg. ebenfalls ordnungsrechtlich verantwortlich ist, in Anspruch zu neh- men. Denn es ist weder ersichtlich, dass letztere über ein Grundstück Zusammenfassung der Entscheidungsgründe: verfügt, das für eine kurzfristige Umlagerung der Abfälle geeignet ist, Der Antrag ist dahin auszulegen, dass die Ast. die Unterlassung einer noch, dass sie trotz ihrer Zahlungsunfähigkeit ein solches beschaffen vorläufigen Verbringung weiterer Abfälle auf ihrem Grundstück könnte. erstrebt. Zwar begehrt sie wörtlich eine Untersagung der Ablagerung Eine Inanspruchnahme der Ast. wäre auch verhältnismäßig. Die der Abfälle. Doch bedeutet »ablagern« im abfallrechtlichen Sinne Gefahren, die der Allgemeinheit, den Eigentümern der umliegenden endlagern mit dem Ziel, sich des Abfalls auf Dauer zu entledigen. Grundstücke und den zur Brand- und Schadensbekämpfung einge- Da die Ag. die Abfälle auf dem Grundstück der Ast. nur vorläufig setzten Menschen durch den Brand drohen, überwiegen bei weitem umlagern wollte und auch für etwaige künftige Maßnahmen nichts die Schäden, die die Ast. durch eine kurzfristige weitere Verlagerung anderes zu erwarten ist, ist der Antrag im Hinblick auf das Rechts- von Abfällen auf ihrem Grundstück erleiden würden. Dabei ist es schutzbedürfnis allein in der genannten Fassung zulässig. unerheblich, ob die Abfallverlagerungen, die die Ag. ab dem 26.8.2002 Der Antrag ist aber unbegründet. Dabei kann offen bleiben, ob die vornehmen ließ, rechtmäßig waren. Dies begegnet Zweifeln, weil die Ast. gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Abfallverlagerungen bereits am 21.8.2002 angeordnet worden waren. Wirkung eines Widerspruchs oder gem. § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO den In den folgenden fünf Tagen hätte möglicherweise eine Verbringung Erlass einer Sicherungsanordnung beantragt hat. Denn in beiden entsprechend der abfallrechtlichen Vorgaben auf geeignete Deponien Fällen überwiegt das öffentliche Interesse an einer künftig möglicher- eingeleitet werden können. Auch hätte dieser Zeitraum wohl ausge- weise erforderlichen Verbringung weiterer Abfälle zur Löschung des reicht, um eine Duldungsverfügung mit Anordnung der sofortigen Brandes das Interesse der Ast. an einem vorläufigen Unterbleiben einer Vollziehung zu erlassen, sodass ein sofortiger Vollzug der Maßnahme solchen Maßnahme. Bei summarischer Prüfung sind Umstände nicht gem. § 15 Abs. 2 VwVGBbg ohne vorausgehenden Verwaltungsakt sicher auszuschließen, die die Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 Satz 3 nicht notwendig war. Vorliegend kommt es jedoch ausschließlich auf BSchG Bbg. oder jedenfalls des § 13 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 OBG Bbg. die Rechtmäßigkeit zukünftiger Maßnahmen an, die, wie gezeigt, den erfüllen. Insbes. ist der Rückgriff auf die Generalklausel des § 13 OBG dargelegten Anforderungen genügen können. Bbg. möglich, wenn § 31 Abs. 2 BSchG Bbg. eine Duldungspflicht der Ast. nicht erfasst. Der Brandschutz gehört nämlich zu dem umfassen- Kommentar: deren Bereich der Gefahrenabwehr. Gem. § 88 VwGO ist das Gericht an die Fassung der Anträge nicht Bei dem Brand handelt es sich um eine Gefahr für die öffentliche gebunden. Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Sicherheit. Die Umlagerung der Abfälle, die sich auf dem Gelände der Abs. 4 Satz 1 GG hat es sie vielmehr im Sinne des tatsächlichen Rechts- W. T. B. GmbH befinden, ist eine geeignete Maßnahme zu seiner schutzbegehrens auszulegen. Daher überrascht es, dass das Gericht Bekämpfung. Diese Maßnahme darf allerdings nicht ihrerseits einen, hier den Antrag lediglich auf etwaige zukünftige Umlagerungen von etwa im Hinblick auf das Abfallrecht, rechtswidrigen Zustand her- Abfällen auf dem Grundstück der Ast. bezieht. Jedenfalls nach den im beiführen (BVerwGE 89, 138, 142 f.). Insbes. dürfen Abfälle, die der Beschluss mitgeteilten Umständen hätte es näher gelegen anzuneh- Besitzer nicht verwertet, gem. § 61 Abs. 1 Nr. 1 KrW-/AbfG nicht men, dass diese daneben eine Beseitigung der bereits verbrachten außerhalb einer dafür zugelassenen Anlage gelagert werden. Vielmehr Abfälle begehrt. Welche Erfolgsaussichten ein so verstandener, weiter wäre die Ast. verpflichtet, die Abfälle ordnungsgemäß zu verwerten reichender Antrag gehabt hätte, etwa im Hinblick auf das grundsätz- (§ 5 Abs. 2 KrW-/AbfG), zu beseitigen (§ 11 Abs. 1 KrW-/AbfG) oder den liche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren einst- öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern zu überlassen (§ 13 Abs. 1 weiligen Rechtsschutzes, ist erst eine Folgefrage. KrW-/AbfG). Zulässig wäre hier aber auch eine vorläufige Lagerung der Abfälle unter der Voraussetzung einer Ausnahmegenehmigung gem. Angreifbar erscheint die Begründung, mit der das Gericht eine § 27 Abs. 2 KrW-/AbfG, ebenso ein Umlagern, soweit dies als bloßes Anwendbarkeit des allgemeinen OrdnungsbehördenG neben dem Bereitstellen der Abfälle zum zeitnahen, gesicherten Abtransport speziellen BrandschutzG annimmt. Es trifft zwar zu, dass der Brand- anzusehen ist. Eine Verbringung der Abfälle auf dem Grundstück schutz zum umfassenden Bereich der Gefahrenabwehr rechnet. Doch der Ast. wäre ferner zulässig, wenn der durch ein Unterlassen der ist gem. § 13 Abs. 2 Satz 2 OBG Bbg. ein Rückgriff auf das allgemeine Maßnahme drohende Schaden den Nachteil, der durch die Nicht- Ordnungsrecht nur zulässig, wenn das einschlägige Spezialgesetz beachtung einer entgegenstehenden Rechtsnorm eintreten würde, nicht abschließend ist (Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ord- weit überwiegt. Dies wäre in einer besonders dringenden Gefahren- nungsrecht, 2002, § 5, Rn 20, 24). Das wäre durch Auslegung des situation, etwa bei einem erneuten offenen Ausbruch des Feuers, der BrandschutzG zu ermitteln gewesen, wobei eine Vermutung für eine Fall. In einer solchen Situation kann, anders als bei der planbaren abschließende Regelung gilt (Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahren- Bekämpfung des schon Monate andauernden Schwelbrandes, sofor- abwehr, 9. Aufl. 1986, S. 154 f.). tiges Handeln erforderlich sein. Die abfallrechtlich grundsätzlich Im vorliegenden Fall ist indes nichts ersichtlich, was dagegen problematische Inanspruchnahme des Grundstücks der Ast. wäre spricht, dass eine etwa erforderliche zukünftige Umlagerung weiterer dann für den Zeitraum gerechtfertigt, der zur Vorbereitung und Abfälle durch § 31 Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 BSchG Bbg. gedeckt ist. Der Organisation der ordnungsgemäßen Entsorgung der verbrachten Beschluss hätte daher bereits auf diese Grundlage gestützt werden Abfälle erforderlich ist. Allein eine ungeklärte Kostenfrage rechtfertigt können. die Inanspruchnahme dagegen nicht. Assessor Dr. Ben Behmenburg, Maître en droit, Berlin

Neue Justiz 9/2003 499 Rechtsprechung

05 ARBEITSRECHT 05.3 – 9/03 Vergütung/Arbeitsvertrag/Vereinbarung von Arbeitsbedingungen/ 05.1 – 9/03 Gleichstellungsabrede Ausbildungsvergütung/Tarifvertrag/Hinweispflicht des Ausbilders/ BAG, Urteil vom 27. November 2002 – 4 AZR 663/01 (LAG Rostock) Schadensersatzanspruch des Auszubildenden TVG § 4 Abs. 1; DRK-Arbeitsbedingungen Ost BAG, Urteil vom 24. Oktober 2002 – 6 AZR 743/00 (LAG Erfurt) Wird im Arbeitsvertrag die Anwendbarkeit der vom Arbeitgeber BBiG § 4 Abs. 1 Nr. 9, Abs. 4; BGB §§ 242, 249, 284, 286 aF; satzungsmäßig einzuhaltenden allgemeinen Arbeitsbedingungen TVG §§ 3, 4 Abs. 1 u. 5, § 5; Vereinbarung über Ausbildungsver- vereinbart, ist dies auch dann keine Gleichstellungsabrede iSd Recht- gütungen für Auszubildende (Lehrlinge) des Bäckerhandwerks der sprechung des Senats (z.B. Urt. v. 30.8.2000 – 4 AZR 581/99 – BAGE Bundesrepublik Deutschland v. 20.7.1995 §§ 5, 6 95, 296), wenn die Arbeitsbedingungen inhaltlich mit den Tarif- Erfüllt der Ausbilder nicht seine Hinweispflicht aus § 4 Abs. 1 Nr. 9 regelungen übereinstimmen, an die sich der Arbeitgeber tarifrecht- BBiG, haftet er dem Auszubildenden gem. §§ 286, 285, 249 BGB aF lich binden könnte. auf Schadensersatz. Das gilt auch, wenn es der Ausbilder unterlässt, den Auszubildenden auf einen Tarifvertrag hinzuweisen, der erst nach Anm. d. Redaktion: Siehe dazu auch BAG, Urt. v. 26.9.2001 – BAGE 99, 120 Beginn der Berufsausbildung infolge Allgemeinverbindlicherklärung = NJ 2002, 446 (Leits.). auf das Ausbildungsverhältnis Anwendung findet.

Anm. d. Redaktion: Der Kl. verlangte mit seiner Klage u.a. die Zahlung von 05.4 – 9/03 Nachtarbeitszuschlägen nach dem VergütungsTV v. 20.7.1995. Das ArbG Jubiläumszuwendung im öffentlichen Dienst/Berechnung der Beschäf- gab der Klage statt; das LAG hat sie im Wesentlichen abgewiesen. Die tigungszeit/Arbeitgeberwechsel in DDR Revision des Kl. hatte Erfolg. Das BAG stellte fest, dass der VergütungsTV kraft LAG Halle/Saale, Urteil vom 7. November 2002 – 8 Sa 166/02 (ArbG Dessau) Allgemeinverbindlicherklärung Anwendung fand; seine Allgemeinverbind- (Revision eingelegt; Az.: 10 AZR 103/03) lichkeit endete am 31.7.1996. Danach galt er kraft Nachwirkung (§ 4 Abs. 5 BAT-O §§ 19, 39; Übergangsvorschrift Nr. 3 zu § 19 BAT-O TVG). Die Ansprüche waren demgemäß nach der anzuwendenden tariflichen Ausschlussfrist erloschen. Der Bekl. war jedoch seiner Verpflichtung aus § 4 1. Im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften Nr. 2 u. 3 zu § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9, Abs. 4 BBiG zur Aushändigung einer Niederschrift mit BAT-O kommt es nicht auf die »bei demselben Arbeitgeber« iSv § 19 den wesentlichen Vertragsbedingungen an den Kl. nicht nachgekommen. Abs. 1 Unterabs. 1 BAT-O zurückgelegten Zeiten an, sondern auf die Dazu war er aber gem. § 4 Abs. 4 BBiG wegen der mit der Allgemeinver- Tätigkeitszeiten bei einer sog. Funktionsvorgängereinrichtung in der bindlicherklärung verbundenen normativen Änderung des Vertragsinhalts ehem. DDR. verpflichtet. Dem Kl. könnte deshalb nach §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 2, 249 2. Ein »Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis« iSv § 19 Abs. 1 Unter- BGB aF ein Schadensersatzanspruch zustehen, der den Bekl. verpflichtet, den abs. 2 BAT-O erfordert daher im Regelungsbereich der Übergangsvor- Kl. im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, wie er bei rechtzeitigem schriften ein Ausscheiden aus dem entsprechenden Funktionsbereich. Nachweis gestanden hätte. Ob dieser Anspruch gegeben ist, ist vom LAG Ein bloßer Arbeitgeberwechsel ist für sich genommen unschädlich noch aufzuklären, weshalb der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und (entgegen BAG v. 24.5.2000 – 10 AZR 402/99, ZTR 2001, 30 = NJ 2001, Entscheidung an das LAG zurückzuverweisen war. Dazu führt das BAG aus: 278 [Leits.]). »Der Schadensersatzanspruch ist begründet, wenn die geltend gemachten Vergütungsansprüche bestanden und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens Strittig ist die Dauer der sog. Jubiläumsdienstzeit der Kl., die beim bekl. des Ausbilders nicht erloschen wären … Bei einem Verstoß des Ausbilders Land Sachsen-Anhalt als Grundschullehrerin beschäftigt ist. Auf das gegen seine gesetzlichen Nachweispflichten ist zugunsten des Auszubildenden Arbeitsverhältnis findet der BAT-O Anwendung. Vor dem Beitritt der zu vermuten, dass dieser die tarifliche Ausschlussfrist beachtet hätte, wenn er DDR war die Kl. seit dem 1.8.1961 beim Rat des Kreises B. als Lehrkraft auf die Geltung des TarifV hingewiesen worden wäre … Der Ausbilder kann tätig. Mit Wirkung v. 15.1.1973 schloss sie mit dem Rat des Kreises B. diese Vermutung widerlegen (vgl. BAG, NZA 2002, 1096). Ein Schadens- einen Aufhebungsvertrag. Darin heißt es u.a.: ersatzanspruch wegen der nicht rechtzeitig erfolgten Aushändigung einer »Kollegin M. verzieht nach W. und nimmt dort eine Tätigkeit im Schul- ordnungsgemäßen Niederschrift über die wesentlichen Vertragsbedingungen dienst auf.« besteht nicht, wenn den Arbeitnehmer bzw. den Auszubildenden an der Die Kl. war ab 15.1.1973 beim Rat des Kreises W. fortdauernd bis zur Verursachung des Schadens ein wesentliches Mitverschulden trifft. Dabei ist Übernahme in den Dienst des bekl. Landes als Unterstufen- bzw. ihm das Mitverschulden eines Prozessbevollmächtigten gem. §§ 254 Abs. 2 Grundschullehrerin tätig. Satz 2, 278 BGB aF zuzurechnen … Ein Mitverschulden des Kl. (ist) zu berück- 1992 bescheinigte die Bezirksregierung D. der Kl. den Beginn ihrer sichtigen, wenn ihm oder seinem Prozessbevollmächtigten die Ausschlussfrist Beschäftigungs- und Jubiläumsdienstzeit mit dem 1.8.1961 und die bereits bekannt war.« Vollendung einer 40-jährigen Dienstzeit mit dem 1.8.2001. Nach Beantragung einer Jubiläumszuwendung setzte das bekl. Land den Beginn der Beschäftigungs- und Jubiläumsdienstzeit mit Schreiben v. 05.2 – 9/03 19.6.2001 abweichend auf den 15.1.1973 fest. Vergütung/Tarifvertrag/Auslegung BAG, Urteil vom 13. November 2002 – 4 AZR 393/01 (LAG Halle/Saale) Mit ihrer Klage machte die Kl. geltend, dass sie ununterbrochen seit dem 1.8.1961 in der Volksbildung im Bereich des nach dem Beitritt BGB § 157; TVG § 4 Abs. 1 Satz 1; GehaltsTV für Redakteure an Tages- gegründeten bekl. Bundeslandes tätig gewesen sei. Sie beantragte, dass zeitungen v. 17.8.1999 bekl. Land zu verpflichten, die Zeit vom 1.8.1961 bis zum 14.1.1973 Für die (ergänzende) Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezug- als Beschäftigungszeit iSd § 19 BAT-O iVm den Übergangsvorschriften nahme auf die »für das Unternehmen einschlägigen Tarifverträge« Nr. 1-4 zu § 19 BAT-O anzuerkennen. ist vorrangig darauf abzustellen, welcher Tarifvertrag nach § 4 Abs. 1 Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den Satz 1 TVG bei kongruenter Tarifgebundenheit für das Arbeitsver- auf eigenen Wunsch der Kl. erfolgten Arbeitgeberwechsel abgestellt. hältnis zwingend und unmittelbar gelten würde. Eine unbillige Härte iSv § 19 Abs. 1 BAT-O habe die Kl. nicht dargelegt.

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Aus der ursprünglichen Mitteilung des Beginns ihrer Beschäftigungs- gungszeit« zu berücksichtigen. Damit nehmen die Vorschriften auf zeit (1.8.1961) könne die Kl. schon deshalb keine Rechte herleiten, den § 19 Abs. 1 BAT-O mit allen darin enthaltenen Regelungen Bezug weil Beschäftigungszeiten, die über die tariflich anzurechnenden (BAG v. 24.5.2000, ZTR 2001, 30 = NJ 2001, 278 [Leits.]). Nach § 19 Zeiten hinausgingen, gem. § 19 Abs. 4 Satz 1 BAT-O nur durch Ent- Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O gelten frühere Beschäftigungszeiten beim scheidung der obersten Dienstbehörde im Einvernehmen mit der für selben Arbeitgeber ausnahmsweise u.a. dann nicht als Beschäftigungs- das Personalwesen zuständigen obersten Dienstbehörde angerechnet zeit, wenn der Angestellte »auf eigenen Wunsch aus dem Arbeits- werden könnten. verhältnis ausgeschieden« ist, es sei denn, dass die Nichtanrechnung Die dagegen gerichtete Berufung der Kl. hatte Erfolg. der Beschäftigungszeit eine unbillige Härte iSv § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O darstellt. Die Kl. ist jedoch nicht im Sinne dieser Vorschrift auf Aus den Entscheidungsgründen: eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Im Rege- lungsbereich der Übergangsvorschriften hat das »Ausscheiden aus II. 2. … Die Kl. kann vom bekl. Land die Zahlung der Jubiläums- dem Arbeitsverhältnis« eine andere Bedeutung als den bloßen förm- zuwendung i.H.v. 409,03 € gem. § 39 Abs. 1 BAT-O verlangen. Sie hat lichen Wechsel des Arbeitgebers, zumal dies unter den Verhältnissen mit Ablauf des 31.7.2001 eine 40-jährige Beschäftigungszeit iSv § 19 der ehem. DDR ohnehin oft kaum feststellbar ist. Die Tarifauslegung BAT-O iVm Nr. 3 der Übergangsvorschriften zu § 19 BAT-O (im Fol- ergibt vielmehr, dass jedenfalls dann, wenn ein Arbeitnehmer der genden: ÜV) zurückgelegt. ehem. DDR ohne Unterbrechung im Bereich der Funktionsnachfolge Gem. § 39 Abs. 1 des kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das seines heutigen Arbeitgebers tätig gewesen ist, ein schädlicher Arbeitsverhältnis Anwendung findenden BAT-O erhält der Angestellte Arbeitgeberwechsel iSv § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O iVm Nr. 2 ÜV »bei Vollendung einer Beschäftigungszeit (§ 19)« von 40 Jahren als unabhängig von den rechtlichen Verhältnissen in der ehem. DDR Jubiläumszuwendung 409,03 €. Die hiernach einschlägige Vorschrift nicht vorliegen kann. des § 19 BAT-O nebst Übergangsvorschrift lautet: Das gleiche gilt gem. Nr. 3 ÜV für die Anwendung des § 39 BAT-O Beschäftigungszeit bei einem nahtlosen Wechsel des Aufgabenbereichs in der ehem. DDR, Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung soweit für beide Aufgabenbereiche ein Arbeitgeber die Funktions- des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch nachfolge angetreten hat, der unter den BAT-O fällt. Damit kommt es wenn sie unterbrochen ist. Ist der Angestellte aus seinem Verschulden oder auf eigenen Wunsch aus weder darauf an, ob die Kl. 1973 auf eigenen Wunsch zum Rat des Krei- dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, so gilt die vor dem Ausscheiden ses W. gewechselt ist noch ob die Nichtanrechnung ihrer Beschäfti- liegende Zeit nicht als Beschäftigungszeit, es sei denn, dass er das Arbeits- gungszeiten beim Rat des Kreises B. eine unbillige Härte darstellt. Der verhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaues oder gegenteiligen Auffassung des BAG in seiner Entscheidung v. 24.5.2000 wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körper- beschädigung oder in Ausübung oder in Folge seiner Arbeit erlittenen (aaO) folgt die Berufungskammer nicht. Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder die Nichtanrechnung der bb) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der Beschäftigungszeit aus sonstigen Gründen eine unbillige Härte darstel- st.Rspr. des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. len würde. ... Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maß- Andere als die vorgenannten Zeiten dürfen bei Bund und Ländern nur gebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). durch die Entscheidung der obersten Dienstbehörde im Einvernehmen Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen mit der für das Personalwesen (Tarifrecht) zuständigen obersten Dienst- beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, behörde als Beschäftigungszeiten angerechnet werden. soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verblei- Übergangsvorschriften für Zeiten vor dem 1.1.1991: ben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische 1. Als Übernahme iSd Abs. 2 gilt auch die Überführung von Einrichtun- Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne gen nach Art. 13 des Einigungsvertrages. Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im 2. Ist infolge des Beitritts der DDR der frühere Arbeitgeber weggefallen, Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sach- ohne dass eine Überführung nach Art. 13 des Einigungsvertrages erfolgt gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt ist, gelten als Beschäftigungszeit nach Maßgabe des Abs. 1 ... (BAG v. 20.4.1994, AP-Nr. 11 zu §§ 22, 23 BAT Zulagen mwN). b) für Angestellte der Länder: cc) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Maßgabe-Verweisung Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder örtlichen Staatsorganen und der Nrn. 2 u. 3 ÜV in dem oben dargestellten Sinn auszulegen. Schon ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, soweit das Land deren Aufgaben bzw. Aufgabenbereiche der Wortlaut spricht hierfür. Eine wörtliche Anwendung des § 19 derselben ganz oder überwiegend übernommen hat ... Abs. 1 BAT-O im Regelungsbereich der Übergangsvorschriften schei- 3. Für die Anwendung des § 39 werden auch die nicht unter die vorste- det bereits deshalb aus, weil § 19 Abs. 1 BAT-O ausnahmslos Zeiten bei henden Nrn. 1 und 2 fallenden Zeiten der Tätigkeit bei zentralen oder »demselben Arbeitgeber« betrifft; auf dieses Arbeitsverhältnis (bei örtlichen Staatsorganen und ihren nachgeordneten Einrichtungen oder sonstigen Einrichtungen oder Betrieben, deren Aufgaben bzw. Aufgaben- demselben Arbeitgeber) stellt auch der Unterabs. 2 ab. Dagegen regelt bereiche derselben ein Arbeitgeber ganz oder überwiegend übernommen die Übergangsvorschrift in Nr. 2 u. 3 gerade Zeiten bei einer bloßen hat, der unter den BAT-O fällt, und Zeiten der Tätigkeit bei der Deut- Funktionsvorgängerinstitution des jetzigen Arbeitgebers (Nr. 2) bzw. schen Reichsbahn und bei der Deutschen Post nach Maßgabe des Abs. 1 eines heutigen Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt (Nr. 3). Den- der als Beschäftigungszeit berücksichtigt, es sei denn, dass diese Zeiten selben Arbeitgeber iSv § 19 Abs. 1 Satz 1 BAT-O gibt es im Regelungs- nach Nr. 4 oder einer entsprechenden Regelung nicht anzurechnen wären. bereich dieser Vorschriften nicht. Daher kann es auf das Arbeitsverhält- Danach ist zunächst die Beschäftigungszeit der Kl. v. 15.1.1973 an für nis »bei demselben Arbeitgeber« hier ebenso wenig ankommen wie auf die Jubiläumsdienstzeit zu berücksichtigen. … das Arbeitsverhältnis bei irgendeinem bestimmten Arbeitgeber in der Darüber hinaus ist auch die davor liegende Zeit ab dem 1.8.1961, ehem. DDR. Die »Maßgabe« in Nrn. 2 u. 3 ÜV führt vielmehr notge- welche die Kl. als Lehrerin beim Rat des Kreises B. verbracht hat, für drungen zu einer nur sinngemäßen Anwendung des § 19 Abs. 1 BAT-O. die Anwendung des § 39 BAT-O zu berücksichtigen. Hierbei handelt es Da es »denselben Arbeitgeber« iSv § 19 Abs. 1 BAT-O im Regelungs- sich … um Zeiten der Tätigkeit bei einer Institution iSv Nr. 2b ÜV, deren bereich der Übergangsvorschrift nicht gibt, können die Regelungen Aufgaben das bekl. Land als Schulträger ebenfalls übernommen hat. des Abs. 1 denknotwendig nur eine sinngemäße Maßgabe für die aa) Entgegen der Auffassung des bekl. Landes steht der Anrechnung Übergangsvorschrift darstellen. Da sie im Gegensatz zu § 19 Abs. 1 dieser Zeiten nicht die Ausnahmevorschrift des § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O nicht auf die Zeiten bei demselben Arbeitgeber, sondern auf die BAT-O entgegen. Gem. Nr. 2 u. Nr. 3 ÜV sind zwar die dort genannten Zeiten bei einem Funktionsvorgänger des Arbeitgebers (Nr. 2) bzw. Beschäftigungszeiten nur »nach Maßgabe des Abs. 1 als Beschäfti- eines Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt (Nr. 3), abstellen,

Neue Justiz 9/2003 501 Rechtsprechung Arbeitsrecht

erschließt sich der Sinn der Maßgabe in Bezug auf § 19 Abs. 1 Unter- Damit deckt sich der Anwendungsbereich der Vorschriften grund- abs. 1 BAT-O ohne weiteres zwanglos dahin, dass die bei einem Funk- sätzlich mit den entsprechenden Regelungen des BAT-West. Im Bereich tionsvorgänger nach Vollendung des 18. Lebensjahres zurückgelegte der Nr. 3 ÜV findet etwa entsprechend der Regelung in § 20 BAT jede Zeit als Beschäftigungszeit gilt, auch wenn sie unterbrochen ist. Auf Tätigkeit Berücksichtigung, die funktional dem (heutigen) öffentlichen einen bestimmten Arbeitgeber kommt es insoweit nach allgemeiner Dienst zugeordnet ist, unabhängig vom jeweiligen Arbeitgeber. Meinung nicht an. Schädlich ist ein Wechsel aus diesem Funktionsbereich heraus, sei es Das gleiche gilt ohne weiteres auch für das »Ausscheiden aus dem zu einem der in der ehem. DDR seltenen privaten Arbeitgeber, sei es in Arbeitsverhältnis« iSv Unterabs. 2. Gemeint ist »dasselbe Arbeits- einen anderen der weiten Funktionsbereiche des öffentlichen Dienstes verhältnis« iSv Unterabs. 1. Dieses existiert im Regelungsbereich der der ehem. DDR, der heute nicht mehr in den Bereich des öffentlichen Übergangsvorschriften nicht, wie dargelegt. Es kann daher auch für Dienstes fällt, sei es aus einer Arbeitnehmertätigkeit überhaupt. Damit Unterabs. 2 nicht auf ein bestimmtes Arbeitsverhältnis zu einem deckt sich der Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O bestimmten Arbeitgeber ankommen, sondern nur auf »Zeiten der Tätig- im Bereich der Übergangsvorschriften exakt mit den entsprechenden keit« im Funktionsbereich des jetzigen Arbeitgebers bzw. eines heuti- Vorschriften der §§ 19, 20 BAT (West); er ist nicht »äußerst beschränkt«. gen Arbeitgebers, der unter den BAT-O fällt. Wurde dieser Funktions- Nr. 3 ÜV erweitert für die Anwendung des § 39 BAT-O den Kreis der bereich vom Angestellten aus eigenem Verschulden oder auf eigenen berücksichtigungsfähigen Tätigkeitszeiten auch auf solche, deren Wunsch verlassen, so gelten gem. Unterabs. 2 die vorherliegenden Funktionsnachfolge nicht der derzeitige Arbeitgeber angetreten hat, Zeiten nicht als Beschäftigungszeit. Wurde er dagegen nicht verlassen, sondern überhaupt ein Arbeitgeber, der unter den BAT-O fällt; darüber sind sie anzurechnen, ohne dass es auf einen bestimmten Arbeitgeber hinaus bezieht er ausdrücklich auch Zeiten einer Tätigkeit bei der oder einen Arbeitgeberwechsel ankommt. Der BAT-O will nicht die Deutschen Reichsbahn und der Deutschen Post ein. Damit wird im Betriebstreue zu einem unbekannten Arbeitgeber der ehem. DDR hono- Regelungsbereich der Nr. 3 ÜV gerade ein Arbeitgeberwechsel in der rieren, sondern die Tätigkeit im Funktionsbereich des heutigen Arbeit- ehem. DDR als Regelfall vorausgesetzt und für unschädlich erklärt, gebers (Nr. 2) bzw. eines heutigen Arbeitsgebers, der den BAT-O anwen- sofern nur die frühere Tätigkeit auch heute noch von einem Arbeit- det (Nr. 3). Nr. 2 ÜV stellt nicht auf einen Arbeitgeber ab, sondern auf geber, der unter den BAT-O fällt, ausgeübt wird. Würde ein solcher eine Tätigkeit im Bereich des Funktionsvorgängers. Bei welchem Arbeitgeberwechsel nur dann nach Nr. 3 ÜV zu berücksichtigen sein, Arbeitgeber der ehem. DDR sie zurückgelegt wurde, ist unerheblich. … wenn er, so das BAG, nicht auf eigenen Wunsch erfolgt ist, würde die Es ist systemwidrig, im Geltungsbereich der Übergangsvorschriften Regelvorschrift der Nr. 3 wegen der Ausnahmevorschrift des § 19 Abs. 1 im Bezug auf den Unterabs. 1 des § 19 Abs. 1 BAT-O auf den Funk- Unterabs. 2 BAT-O tatsächlich nur einen Ausnahmecharakter erlangen tionsbereich des heutigen Arbeitgebers, hiervon abweichend beim und damit die Tarifregelung auf den Kopf gestellt. Unterabs. 2 aber auf einen bestimmten Arbeitgeber und die ihm Neben Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck der Übergangs- erwiesene Treue abzustellen. Ein bestimmter Arbeitgeber kann im vorschriften spricht noch ein weiteres Argument für das hier Geltungsbereich der Übergangsvorschriften keine Rolle spielen, er ist vertretene Verständnis der in ihnen enthaltenen »Maßgabe«: Die prinzipiell unbekannt. Eine Vielzahl von früheren Arbeitgebern in der Auslegung des BAG hätte zur Konsequenz, dass die hier streitigen ehem. DDR sind bspw. Funktionsvorgänger des bekl. Landes. Alle Dienstzeiten der Kl. als Lehrerin in Sachsen-Anhalt zwar nicht in dort zurückgelegten Zeiten sind daher grundsätzlich gem. Nr. 2 als ihrem eigenen Bundesland oder in einem der anderen neuen Bundes- Beschäftigungszeiten berücksichtigungsfähig, sowohl solche beim Rat länder, also im Geltungsbereich des BAT-O, als Jubiläumsdienstzeit des Kreises B. als auch solche beim Rat des Kreises W. anerkannt würden, wohl aber gem. § 72 A II Nr. 1 iVm § 20 Abs. 3 Für seine diese Systematik durchbrechende Auslegung führt das BAG als Satz 2 BAT (West) in sämtlichen alten Bundesländern. § 72 BAT erhielt einziges Argument an, dass für § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 im Bereich der Nr. 3 ÜV sonst nur ein äußerst eingeschränkter Anwendungsbereich verbliebe. die hier maßgebliche Fassung durch den 67. ÄndTV zum BAT v. Da sich in der ehem. DDR ein für die Berechnung von Beschäftigungszeiten 4.11.1992 mit Wirkung zum 1.1.1992 (…). Er knüpfte an die einen Monat nach § 19 BAT-O relevanter Arbeitgeberwechsel sehr häufig als ein Wech- zuvor am 1.12.1991 in Kraft getretene Regelung der § 19 u. 21 BAT-O sel zwischen den in der ÜV Nr. 3 genannten Einrichtungen oder Betrieben nebst den hierzu ergangenen Übergangsvorschriften an. Es erscheint darstelle, wäre es nur dann zu einem »Ausscheiden aus dem Arbeits- verhältnis« iSd § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O gekommen, wenn der vor diesem Hintergrund ausgeschlossen, dass die z.T. identischen Angestellte zu einem in der ehem. DDR kaum existierenden privaten Tarifvertragsparteien eine Regelung schaffen wollten, die bestimmte Arbeitgeber oder zu nicht der Übergangsvorschrift Nr. 3 unterfallenden Dienstzeiten in der ehem. DDR zwar in den alten Bundesländern, Einrichtungen oder Betrieben gewechselt wäre. Für eine auf derartige nicht aber in den neuen Bundesländern selbst anerkennt. Ausnahmefälle beschränkte Anwendbarkeit seien im BAT-O Anhaltspunkte nicht erkennbar. d) Nach alledem kommt es nicht mehr auf die Frage der unbilligen Das überzeugt nicht. Wie dargelegt sprechen sowohl Wortlaut, Härte sowie des Rechtscharakters und der Rechtsverbindlichkeit (§ 19 systematischer Zusammenhang und Sinn der Tarifregelung für den Abs. 4 BAT-O) der ursprünglichen Dienstzeitberechnung an. Die Kl. Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift im hier vertretenen hat Anspruch auf Anerkennung einer lückenlos seit dem 1.8.1961 im Sinn. Weitere tarifliche »Anhaltspunkte« sind somit entbehrlich. Aber Bereich der Funktionsnachfolge des bekl. Landes bzw. eines Arbeit- auch der Hinweis auf den sonst drohenden »äußerst eingeschränkten gebers, der unter den BAT-O fällt, zurückgelegten Jubiläumsdienstzeit. Anwendungsbereich« der Vorschrift geht fehl. Zum einen handelt es (mitgeteilt von VorsRiLAG Martin Quecke, Halle/Saale) sich bei § 19 Abs. 1 Unterabs. 2 BAT-O um eine Ausnahmevorschrift, wie auch das BAG anerkennt. Ein beschränkter Anwendungsbereich entspräche dem Charakter einer Ausnahmevorschrift. Zum anderen ist 05.5 – 9/03 der Anwendungsbereich der Vorschrift tatsächlich aber durchaus Streitwert/mehrere Abmahnungen nicht »äußerst eingeschränkt«. Der Umstand, dass in der ehem. DDR LAG Berlin, Beschluss vom 28. April 2003 – 17 Ta 6024/03 (ArbG Berlin) kaum private Arbeitgeber existierten, hat in diesem Zusammenhang BRAGO § 8 keine größere Bedeutung. Denn nach Nr. 2b u. 3 ÜV gelten nicht alle Tätigkeiten für die dort genannten Institutionen als tarifliche Wendet sich der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit gegen mehrere Beschäftigungszeit, sondern gerade nur solche Tätigkeiten bei solchen Abmahnungen, so ist jede Abmahnung für sich zu bewerten und anschlie- Institutionen, deren Funktionsnachfolge der Arbeitgeber bzw. ein ßend ein Gesamtstreitwert zu bilden. Es ist dabei i.d.R. ohne Belang, in Arbeitgeber, der unter den BAT-O fällt, angetreten hat. welchem zeitlichen Abstand die Abmahnungen ausgesprochen werden.

502 Neue Justiz 9/2003 06 SOZIALRECHT den des LSG auseinandersetzen müssen (BSG, SozR 1500 § 164 Nr. 12; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. 2002, § 164 Rn 9a). Diesen Anforde- 06.1 – 9/03 rungen wird das Revisionsvorbringen der Kl. nicht gerecht. Sie behan- Gesundheitsschäden bei DDR-Bürgern infolge medizinischer Maß- delt ausschließlich den – hilfsweise – begehrten Härteausgleich, nicht nahmen/Unterstützungsleistungen/Härteregelung jedoch die mit dem Hauptantrag beanspruchte Unterstützung. Mithin BSG, Urteil vom 12. Februar 2003 – B 9 VM 1/01 R (LSG Erfurt) ist die Revision bzgl. des letztgenannten Streitgegenstands als unzu- lässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG). UnterstützungsabschlussG (UntAbschlG) §§ 6, 7 Mit ihrem hilfsweise gestellten, auf Härteausgleich gerichteten Voraussetzungen für eine Ermessensleistung nach der Härteregelung Revisionsantrag kann die Kl. in der Sache keinen Erfolg haben. … des § 6 UntAbschlG (hier: verneint). (Leitsatz der Redaktion) Die Voraussetzungen für eine Ermessensleistung nach der Härte- regelung des § 6 UntAbschlG (vgl. zur gerichtlichen Überprüfbarkeit Die Kl. erhielt als DDR-Bürgerin 1976 Blut übertragen. Sie machte BSG, SozR 3-3100 § 89 Nr. 5) haben die Vorinstanzen zu Recht ver- geltend, bei dieser medizinischen Behandlung mit Hepatitis-C- neint. Diese Bestimmung sieht vor: Soweit sich aus den Vorschriften Erregern infiziert worden zu sein. Die Infektion sei Ursache der bei ihr dieses Gesetzes eine besondere Härte ergibt, kann mit Zustimmung der jetzt bestehenden chronisch-aktiven Hepatitis-C. Am 10.5.1995 obersten Landesbehörde ein Ausgleich gewährt werden. Eine Härte beantragte sie Leistungen nach dem Ges. über den Abschluss von kann insbes. vorliegen, wenn eine bisherige Dauerleistung durch die Unterstützungen der Bürger der ehem. DDR bei Gesundheitsschäden Anwendung dieses Gesetzes wegfällt. infolge medizinischer Maßnahmen (UnterstützungsabschlussG – UntAbschlG) v. 6.5.1994 (BGBl. I S. 990). Das UntAbschlG trat mit Ein solcher ausdrücklich geregelter Härtefall ist hier nicht gegeben. Wirkung v. 1.1.1991 in Kraft; gleichzeitig trat die DDR-AO über eine Allgemein soll die Verwaltung einen Härtefallausgleich gewähren kön- erweiterte materielle Unterstützung für Bürger bei Gesundheits- nen, sofern der Gesetzgeber besondere Einzelfälle oder auch Fallgrup- schäden infolge medizinischer Maßnahmen (EmU-AO) v. 28.1.1987 pen mit ihren Besonderheiten übersehen, nicht vorausgesehen oder (GBl. I S. 34) im Wesentlichen außer Kraft. § 12 dieser AO sah vor, dass nicht genügend differenziert geregelt hat (vgl. BSGE 27, 75, 76 f.; BSG, Anträge auf Gewährung einer erweiterten materiellen Unterstützung SozR 3100 § 89 Nr. 7; BSG, SozR 3-3100 § 89 Nr. 3). Diese Vorausset- (EmU) innerhalb von vier Jahren nach Durchführung der medizi- zungen liegen hier nicht vor. Der Senat hat bereits an anderer Stelle nischen Maßnahmen gestellt werden können, spätestens jedoch bis aufgezeigt, dass im Gesetzgebungsverfahren zum UntAbschlG gerade zum Ablauf von zehn Jahren, wenn die erhebliche Gesundheitsschä- auch die Frage der Fristenregelung nach EmU-Recht und deren Über- digung erst nach Ablauf von vier Jahren bekannt wird. nahme in das UntAbschlG behandelt worden ist (vgl. BSGE 82, 271, 274 f. = SozR 3-8765 § 7 Nr. 1), und in diesem Zusammenhang einen Der Bekl. lehnte den Antrag der Kl. ab, da sie die nach dem Recht Anspruchsverlust wegen Versäumung von Anmeldungsfristen – bei der DDR für eine EmU geltende Antragsfrist versäumt habe. dem es für die Kl. gem. § 7 Abs. 4 UntAbschlG verbleibt – als rechts- Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Das LSG hat im Wesent- staatlich unbedenklich bezeichnet. Gerade der von der Kl. für die lichen ausgeführt: Die Kl. sei nach dem mit Wirkung v. 1.6.1987 geän- späte Antragstellung geltend gemachte Grund eines nachträglichen derten Recht der DDR zu diesem Zeitpunkt von der Geltendmachung Bekanntwerdens der erheblichen Gesundheitsschädigung wurde vom von Ansprüchen auf EmU aus Fristgründen ausgeschlossen gewesen. früheren DDR-Recht erfasst (vgl. § 12 EmU-AO). Der damit nach DDR-Recht abschließend geregelte Anspruch könne Soweit in der zitierten Entscheidung ausdrücklich offen gelassen nach § 7 Abs. 4 UntAbschlG nicht wieder aufgenommen werden. worden ist, ob das UntAbschlG die aus dem EmU-Recht der DDR über- Auch ein Härteausgleich sei nicht zu gewähren, da es an einer unbeab- nommene Fristenregelung aus verfassungsrechtlichen Gründen um sichtigten Verschlechterung der Rechtslage durch das UntAbschlG im eine Ausnahmevorschrift für solche Fälle hätte ergänzen müssen, in Vergleich zum EmU-Recht der DDR fehle. denen der Geschädigte unverschuldet gehindert war, seinen Anspruch Mit ihrer Revision machte die Kl. geltend: Sie habe Anspruch auf rechtzeitig geltend zu machen (BSG, aaO, S. 276), hatte der Senat Härteausgleich nach § 6 UntAbschlG, weil sie unverschuldet gehindert damit Opfer medizinischer Behandlung im Blick, die es vor der Wende gewesen sei, rechtzeitig EmU zu beantragen. Die Hepatitis-C sei erst möglicherweise aus Furcht vor politischer Repression nicht gewagt 1995 diagnostiziert worden, als die Fristen des DDR-Rechts längst haben, ihre Ansprüche nach DDR-Recht geltend zu machen. Es gibt verstrichen gewesen seien. Ihr seien ab 1.1.1991 Leistungen nach dem keine Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher Fall hier vorliegt. UntAbschlG zu gewähren, hilfsweise sei der Bekl. zu verurteilen, ihren Antrag auf Härteausgleich unter Beachtung der Rechtsauffassung des Anm. d. Redaktion: Zu zivilrechtlichen Schadensersatz- und Haftungs- Gerichts erneut zu bescheiden. ansprüchen wegen Hepatitis-C-Infektionen in der DDR siehe OLG Bran- Die Revision hatte keinen Erfolg. denburg, NJ 2000, 377 (bearb. v. Lühmann).

Aus den Entscheidungsgründen: Die Revision ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. 06.2 – 9/03 Knappschaftsausgleichsleistung/Gleichstellung des Bezugs von Anpas- Die Kl. macht zwei selbstständige Streitgegenstände geltend: Den sungsgeld mit Bezug der Bergmannsvollrente/Anrechnung der Warte- Anspruch auf Unterstützung zum Ausgleich der durch die – behaup- zeit tete – Schädigung bedingten wirtschaftlichen Folgen nach § 1 Abs. 1 BSG, Urteil vom 26. Februar 2003 – B 8 KN 24/01 R (LSG Halle/Saale) UntAbschlG (Rechtsanspruchsleistung) und – hilfsweise – einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung SGB VI § 239 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2, Abs. 2 Nr. 2 von Härteausgleich nach § 6 UntAbschlG (…). Mit der Gleichstellung des Bezugs von Anpassungsgeld mit dem Um ihrer Revisionsbegründungspflicht (§ 164 Abs. 2 SGG) zu genü- Bezug der Bergmannsvollrente für längstens fünf Jahre nach § 239 gen, hätte die Kl. für jeden dieser Streitgegenstände einen bestimmten Abs. 1 Satz 2 iVm § 239 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI wird zugunsten von Antrag stellen, die verletzte Rechtsnorm bezeichnen und die Gründe Bergleuten, welche die Wartezeit für die Knappschaftsausgleichs- darlegen müssen, die das angegriffene Urteil unrichtig erscheinen leistung deshalb nicht erreichen konnten, weil sie nach Vollendung lassen. Dazu hätte sie sich – auch kurz – mit den Entscheidungsgrün- des 50. Lebensjahres aus einem knappschaftlichen Betrieb betriebs-

Neue Justiz 9/2003 503 Rechtsprechung Sozialrecht

bedingt ausgeschieden sind und unverschuldet keine Tätigkeit unter VERFAHRENSFORTGANG Tage mehr verrichten konnten, die fehlende Zeit einer Beschäftigung Gesetzliche Pflegeversicherung/Verminderung der gesetzlichen Feier- unter Tage für die fünfjährige Höchstdauer des Bezugs von Anpas- tage/Gleichheitsgebot sungsgeld fingiert. (Leitsatz der Redaktion) BSG, Urteil vom 30. September 1999 – B 8 KN 2/98 PR (LSG Chemnitz) in: NJ 2000, 389 unter 06.2 – 7/00 Anm. d. Redaktion: Der Kl. war bis zur betriebsbedingten Kündigung zum 31.12.1991 im Kupferbergbau der DDR beschäftigt und hatte bereits seit Die gegen das BSG-Urteil und die vorinstanzlichen Entscheidungen gerich- 1.1.1988 Bergmannsvollrente nach dem Rentenrecht der DDR bezogen; tete Verfassungsbeschwerde hat die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG diese wurde ab 1.1.1992 in eine Rente für Bergleute mit Auffüllbetrag mit Beschl. v. 11.6.2003 (1 BvR 190/00) nicht zur Entscheidung ange- umgewertet. Der Kl. machte geltend, anstelle dieser Rente Anspruch auf nommen. KAL nach Maßgabe des § 239 SGB VI zu haben. Die Bekl. lehnte dies ab, Das BVerfG entschied, dass Arbeitnehmer im Freistaat Sachsen durch die weil der Kl. zwar alle sonstigen Voraussetzungen erfülle, mit lediglich höheren von ihnen zu tragenden Beitragsanteile zur sozialen Pflegeversiche- 267 Monaten Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung unter Tage aber rung im Vergleich zu Arbeitnehmern im übrigen Bundesgebiet nicht in nicht die erforderliche Wartezeit von 25 Jahren nach § 239 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise ungleich behandelt werden. Buchst. a SGB VI. Das SG hat die Klage abgewiesen. Das LSG hingegen ver- Weder § 58 Abs. 3 SGB XI noch die angegriffenen sozialgerichtlichen Ent- urteilte die Bekl. dem Grunde nach, dem Kl. ab 1.10.1994 KAL zu gewähren, scheidungen verletzen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar werden die in da der Kl. Ende Sept. 1994 die Wartezeit erfüllt habe. Sachsen beschäftigten Arbeitnehmer im Vergleich zu in anderen Ländern Dagegen richtete sich die Revision der Bekl., mit der sie insbes. beanstan- Beschäftigten ungleich behandelt. Sie haben höhere Beiträge zur sozialen Pfle- dete, dass die Gleichstellungsregelung des § 239 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sich geversicherung gegenüber den Beschäftigten in anderen Ländern zu tragen. nach Wortlaut und Systematik nicht auf die Anrechenbarkeit des Bezugs Dieser Nachteil wird auch nicht vollständig durch die Erhaltung eines weiteren von Anpassungsgeld auf die Wartezeit nach § 239 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI Feiertags mit Lohnfortzahlungsanspruch kompensiert. Die vom Beschwerdef. erstrecke. gerügte Ungleichbehandlung ist jedoch durch hinreichende sachliche Gründe Das BSG hat die Revison zurückgewiesen und dazu ausgeführt: gerechtfertigt und wird durch die Beibehaltung der bisherigen Feiertags- Der Kl. hat die Voraussetzungen für den Bezug der KAL erfüllt. Die fehlen- regelung ohne Arbeitsleistung jedenfalls teilweise kompensiert. den 33 Monate für die Wartezeit von 25 Jahren (300 Monate) mit Beitrags- zeiten aufgrund einer Beschäftigung unter Tage werden durch die Anrech- nung der Zeit des Bezugs von Bergmannsvollrente bzw. der Rente für Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung/Enteignung auf besatzungs- Bergleute mit Auffüllbetrag in der Zeit von Jan. 1992 bis einschl. Sept. 1994 hoheitlicher Grundlage/russische Rehabilitierung erreicht. Gem. § 239 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI werden »Anrechnungszeiten wegen BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2002 – 3 C 16/01 (VG Potsdam) Bezugs von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus« auf in: NJ 2002, 380 unter 04.2 – 7/02 die Wartezeit nach § 239 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI dann angerechnet, Mit einer Verfassungsbeschwerde hatte sich der Beschwerdef. u.a. unmittel- wenn zuletzt eine Beschäftigung unter Tage ausgeübt worden ist. Dies gilt bar gegen das Urteil des BVerwG und mittelbar gegen § 1 Abs. 1 Satz 3 auch für die Bezieher einer Bergmannsvollrente, die ebenfalls bereits nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer Untertagetätigkeit von 15 Jahren VwRehaG gewandt. Er hält die Auslegung dieser Vorschrift durch die Verwal- gewährt werden konnte (vgl. Art. 2 § 6 RÜG). Auch dieser Personenkreis war tungsgerichte für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 in der Zeit nach der Wende von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffen und u. Art. 20 Abs. 1 u. 3 GG. Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat hatte zum Großteil die Wartezeit für die KAL von 25 Jahren einer Beschäftigung mit Beschl. v. 4.7.2003 (1 BvR 834/02) die Verfassungsbeschwerde wegen unter Tage noch nicht erfüllt. fehlender Aussicht auf Erfolg und unter Bezugnahme auf die Rspr. des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.

06.3 – 9/03 Bergrecht/Tagebauweiterführung in Jänschwalde/Planfeststellungs- Arbeitslosengeld/Sperrzeit/Rückumzug an Wohnort der Familie verfahren/Umweltverträglichkeitsprüfung LSG Chemnitz, Beschluss vom 8. August 2002 – L 3 B 120/01 AL-PKH BVerwG, Urteil vom 12. Juni 2002 – 7 C 2/02 (OVG Frankfurt [Oder]) (SG Dresden) in: NJ 2003, 46 unter 04.3 – 1/03 AFG §§ 119, 119a; GG Art. 6 Abs. 2 Die gegen dieses Urteil gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde von der Kündigt ein von der Familie getrennt lebender Vater ein auswärtiges 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG mit Beschl. 11.6.2003 (1 BvR Beschäftigungsverhältnis, stellt ein Rückumzug an den Wohnsitz der 1796/02) wegen fehlender Aussicht auf Erfolg nicht zur Entscheidung ange- Familie nur dann einen wichtigen Grund iSd Sperrzeitregelung für nommen. Arbeitslosengeld dar, wenn der Kontakt zu den Kindern und nicht die Der Beschwerdef. hatte gerügt, dass es das BVerwG unterlassen habe, eine Trennung von der neuen Lebenspartnerin den Beweggrund bildet. Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Die angegriffene Entscheidung – so Dabei kann auch das weitere Verhalten des Arbeitslosen, etwa ein das BVerfG – ist ausführlich und unter Auseinandersetzung mit der einschlä- nur wenige Monate später erfolgter erneuter Wegzug vom Ort der gigen Rspr. des EuGH und dem Regelungsgehalt der UVP-Richtlinien begrün- Familie, berücksichtigt werden. (Leitsatz des Einsenders) det. Für eine willkürliche Handhabung der Vorlagepflicht durch das BVerwG (mitgeteilt von Rechtsanwalt Jochen Drescher, Dresden) ist nichts erkennbar.

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504 Neue Justiz 9/2003 P. Ulmer, Die Haftungsverfassung der BGB-Gesellschaft. Stand und Zeitschriftenübersicht Perspektiven im Lichte neuer BGH-Urteile, ZIP 2003, 1113-1122 F. Graf v. Westphalen, AGB-Recht im Jahr 2002. Besonderer Teil: Ein- zelne Vertragstypen (im Anschl. an NJW 2003, 1635 ff.), NJW 2003, Auswahl aus den Monaten Juni/Juli 2003 1981-1989 F. Wilhelms, Verfahrensfragen bei der Anlegung des Grundbuchs für Völkerrecht/Europarecht Gebäudeeigentum ohne dingliches Nutzungsrecht, VIZ 2003, 313-320 K. Hailbronner, Private Töchter öffentlicher Auftraggeber und die Anwendbarkeit des EG-Vergaberechts, DÖV 2003, 534-542 Straf- und Strafprozessrecht S. Magiera, Die Arbeit des europäischen Verfassungskonvents und der M. Bock/H. Schneider, Die Bedeutung des Leugnens einer Straftat im Parlamentarismus, DÖV 2003, 578-583 Verfahren nach § 57 StGB, NStZ 2003, 337-341 U. Wölker, Rechtsschutz Privater gegenüber dem europäischen Gesetz- Ch. Deckenbrock/W. Dötsch, Nachträgliche Gesamtstrafenbildung unter geber, DÖV 2003, 570-577 Einbeziehung einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, NStZ 2003, 346-347 M. Heghmanns, Die prozessuale Rolle der Staatsanwaltschaft, GA Verfassungsrecht/Staatsrecht 2003, 433-450 U. Battis/J. Kersten, Regelungsdefizite des neuen Parteispendenrechts, B. Heinrich, Grundzüge und aktuelle Probleme des deutschen Aus- JZ 2003, 655-661 länderstrafrechts, ZAR 2003, 166-176 Ch. Görisch, Wissenschaftsfreiheit und Hochschulmanagement, DÖV K. Geppert, Neuere Rechtsprechung des BGH zur Entziehung der 2003, 583-588 Fahrerlaubnis bei Nicht-Katalogtaten, NStZ 2003, 288-290 J. Jekewitz, Deutscher Föderalismus: Fehlentwicklung oder Vorbild in K. Himmelreich/K. Lessing, Überblick über neue Entscheidungen in Europa?, RuP 2003, 89-101 Verkehrsstraf- und -bußgeldsachen. Überblick 1.4.2002- 31.3.2003 (im Anschl. an NStZ 2002, 301 ff.), NStZ 2003, 301-306 O. Jung, Direkte Demokratie – vom Kopf auf die Füße gestellt. Ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen eröffnet O. Klemke, Unterlassene Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungs- die Debatte neu (zugleich Bespr. von VerfGH Sachsen, LKV 2003, 327 = verfahren und ihre Konsequenzen, NStZ 2003, 413-415 NJ 2002, 201 [bearb. v. Jutzi]), LKV 2003, 308-314 A. Knauth, Die Rückwirkung verfahrensrechtlicher Normen zum F. Rittner, Demokratie als Problem: Abschied vom Parlamentarismus?, Zwecke der Verfolgbarkeit im Strafrecht – dargestellt an Hand der Ent- JZ 2003, 641-647 scheidung BGHSt 46, 310 (StV 2003, 389 [Leits.]), StV 2003, 418-421 K. Wasserburg, Rechtsprechungsübersicht zum Arztstrafrecht – Januar Bürgerliches Recht/Zivilprozessrecht 1997 bis Mai 2002, NStZ 2003, 353-363 H. Borth, Rechtsprechungsübersicht zum Versorgungsausgleich ab 1.7.2000 (im Anschl. an FamRZ 2001, 877 ff.), FamRZ 2003, 889-899 Verwaltungsrecht Ch. Brüning, Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle qualifizierter A. 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Neue Justiz 9/2003 IX