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MINISTERIUM UND GESCHICHTE

„ ... wir mssen alles in der Hand haben.“

Justizpolitik in der SBZ und der DDR 1945–1954 „ ... wir müssen alles in der Hand haben.“ *

Justizpolitik in der SBZ und der DDR 1945–1954

* Ulbricht, Walter (1945) zitiert nach Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entläßt ihre Kinder, Köln 1955, S. 440. 5

Vorwort Zentralverwaltung der Justiz (DJV) in den Einsatz von Volksrichtern ebenso der SBZ und das Ministerium der wie die Verflechtungen zwischen Justiz Justiz (MdJ) der DDR allerdings ihr und SED. Weiterhin verdeutlicht die Justiz- und Justizverwaltungspersonal Broschüre, wie sehr die unterschied- gewannen, war nicht Gegenstand des lichen Vorstellungen der Alliierten den „Rosenburg-Projekts“. Diese Lücke Aufbau und die Ausrichtung der Justiz schließt die vorliegende Broschüre. und der Justizverwaltung in den beiden Teilen Deutschlands geprägt haben. Das Wissen um die unterschiedlichen Justizsysteme in beiden deutschen Die Veröffentlichung ist ein wichtiger Staaten und um den unterschiedlichen Beitrag zur historischen und politischen Umgang dieser Systeme mit der ge- Bildung. Ihrem Autor, Herrn Professor meinsamen NS-Vergangenheit ist vor Hubert Rottleuthner, spreche ich allem für Juristinnen und Juristen meinen Dank aus. Ich freue mich, wertvoll. Die politische Einflussnahme dass die Broschüre die von meinem auf das Justizsystem müssen gerade sie Ministerium herausgegebene mit klarem, historisch informiertem Broschürenreihe zur Geschichte des Blick zu beurteilen wissen. Unser Justizressorts um einen wertvollen Rechtsstaat braucht zudem die Unter- Beitrag zur Justizgeschichte ergänzt. Sie halten eine Veröffentlichung über die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stützung aufgeklärter und aufmerk- die Justizpolitik in der DDR und der in den Justizministerien geben kann. samer Bürgerinnen und Bürger. Das SBZ in den Jahren 1945 - 1954 in den Wissen um die Fehler und Versäumnisse Händen. Warum beschäftigen wir uns Für das Bundesministerium der Justiz der Vergangenheit kann ein wichtiger rund 30 Jahre nach der Wiederver- und für Verbraucherschutz haben Antrieb sein, für den Rechtsstaat und , MdB einigung mit Strukturen der DDR, die wir schon ab dem Jahr 2012 mit einer seine tragenden Prinzipien, etwa die Bundesministerin ihrerseits mindestens 66 Jahre alt sind? unabhängigen wissenschaftlichen Unabhängigkeit der Richterinnen und der Justiz und für Verbraucherschutz Kommission das Nachwirken des Richter, engagiert Partei zu ergreifen. Interessant ist hier vor allem die Frage, Natio nalsozialismus im Regierungs- wie die Justizministerien in den jeweils handeln des Bundesjustizministeriums Die vorliegende Veröffentlichung leistet jungen deutschen Staaten in Ost und in den 1950er und 1960er Jahren deshalb bedeutsame historische Auf- West organisiert waren und wie sie sich erforscht und personelle sowie politisch- klärungsarbeit. In ihrer Darstellung der personell ausgestattet haben. In diese fachliche Kontinuitäten offengelegt. Justizpolitik in der SBZ und der DDR Betrachtung hinein fällt auch und vor Mit dem Werk „Die Akte Rosenburg“ veranschaulicht sie die Vorstellungen allem die Frage nach personellen ist der Abschlussbericht im Jahr 2016 der Verantwortlichen von einer Justiz Kontinuitäten, die uns Aufschluss über ver öffentlicht worden. Wie die Deutsche im sozialistischen Staat. Sie erläutert 6

Der Autor

Hubert Rottleuthner hatte von 1975 bis zu seiner Emeritierung 2012 den Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie am Fachbereich Rechtswissenschaft an der Freien Universität inne und war Leiter Univ.Prof. (emer.) des dortigen Instituts für Rechts- Dr. phil. Hubert Rottleuthner soziologie und Rechtstatsachen- forschung. Er ist Honorarprofessor der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Einer seiner For- schungs schwerpunkte war und ist die juristische Zeitgeschichte, insbesondere zur Zeit des National sozialismus sowie zum Recht in der DDR. 9

Vorwort ...... 4 Inhalt Der Autor ...... 7

I. Einleitung ...... 10 II. Grundlagen der Justizpolitik in der SBZ/DDR ...... 16 1. Entnazifizierung...... 16 2. „Demokratisierung“ der Justiz ...... 25 a) Volksrichter ...... 28 b) K ein Berufsbeamtentum; kein Richteramt „auf Lebenszeit“...... 30 c) Verstärkung des Laienelements ...... 33 d) S tatt Gewaltenteilung: Gewalteneinheit ...... 33 e) Keine Verfassungsgerichtsbarkeit ...... 34 f) Keine Verwaltungsgerichtsbarkeit ...... 34 g) Lei chterer Zugang zu den Gerichten ...... 35 3. Dominanz der SED ...... 35 a) P ersonelle Dominanz der SED ...... 36 b) Strukturelle Dominanz der SED...... 48 III. Organisatorische Struktur der Justizverwaltungen und der Justiz in der SBZ/DDR ...... 57 1. DJV 1945–1949 ...... 57 2. MdJ, Länderverwaltungen und Gerichtsverfassung ...... 60 3. Strukturelle Einflussnahme der SED...... 62 IV. Schlussbetrachtung ...... 62

Anhang ...... 68 Organigramm 1: DJV 1945–1948 ...... 68 Organigramm 2: DJV 1949 ...... 70 Organigramm 3: Ministerium der Justiz 1949 –1953...... 72 Chronik ...... 74 Abkürzungsverzeichnis ...... 80 Literatur...... 82 Bildnachweise ...... 84 Impressum ...... 86 11

Hubert Rottleuthner

Aber wie sah es in der DDR aus? Dort Und wie sah es in der Justizverwaltung „ ... wir müssen alles wurde stets die erfolgreiche Entnazi­ der SBZ/DDR aus? Über den Aufbau fizierung gleich nach 1945 in der der Justizverwaltungen in den Ländern in der Hand haben.“ Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) der SBZ und dann in Gestalt des Minis- betont. Der Antifaschismus galt als teriums der Justiz (MdJ) in der DDR eine Grundlegitimation des Systems. liegen einige detaillierte Arbeiten vor, Daher sollte jeder Eindruck einer die einen Vergleich mit der Situation Justizpolitik personellen Kontinuität zur NS-Zeit im westdeutschen BMJ grundsätzlich in der SBZ und der DDR vermieden werden. erlauben würden. Indes gibt es einen strukturellen Unterschied, der einen 1945–1954 Die DDR nahm in Anspruch, dass die Vergleich erschwert: Entnazifizierung im Sinne einer perso­ nellen Säuberung umfassend gelungen Anders als das BMJ hatte nämlich das sei. Die angeblich erfolgreiche Ent- MdJ in den Jahren 1945 bis 1949 einen nazifizierung von Ministerialbeamten, direkten Vorgänger in Gestalt der Richtern und Staatsanwälten in der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz, SBZ/DDR wurde im Westen aber stets meist Deutsche Justizverwaltung (DJV) mit einer gewissen Skepsis betrachtet, genannt. Dagegen hatte das BMJ keinen I. Einleitung Kommission beim Bundesministerium gab es doch einige – und ausgerechnet zentralen Vorgänger. Der Westteil der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Ver- prominente – Fälle unter ihnen, die in Deutschlands war in drei Besatzungs- Über Karrieren und Kontinuitäten von gangenheit“ erforschte den Umgang des das NS-Regime verstrickt waren. In der zonen geteilt. Jede der drei Besatzungs- Richtern und Staatsanwälten in Ministeriums mit der NS-Vergangenheit Rechtspflege sind hier beispielsweise mächte hatte bis 1949 ihre eigene Deutschland vor und nach 1945 ist viel in den Anfangsjahren der Bundes- – vor 1945 Kammer- Rechtsabteilung: Die USA verfügten geforscht worden. Weniger im Mittel- republik Deutschland und beleuchtete gerichtsrat, nach 1949 Generalstaats- über eine Legal Division; in der Franzö- punkt des Forschungsinteresses stand dabei u.a. folgende Fragestellungen: anwalt der DDR – und Kurt Schumann – sischen Zone gab es eine Direction lange Zeit die Nachkriegsgeschichte der Wie ging man im BMJ mit der NS-Ver- NSDAP-Mitglied und nach 1949 Générale de la Justice (ab 1948 Division Justizverwaltungen, d.h. vor allem der gangenheit um? Welche personellen Präsident des Obersten Gerichts der de la Justice); in der britischen Zone Justizministerien in Ost- und West- und institutionellen Kontinuitäten gab DDR – zu nennen. Statistiken über die wurden Kompetenzen der Justizverwal- Deutschland. In die Geschichte des es? Wurden die Inhalte der Justizpolitik Vergangenheit von Richtern und tung im Oktober 1946 auf das (deutsche) Bundesministeriums der Justiz (BMJ) – vom Gedankengut des National- Staatsanwälten in der SBZ/DDR zeigen „Zentral-Justizamt für die Britische seit 2013 Bundesministerium der Justiz sozialisus beeinflusst? Zahlreiche allerdings das in der Grundtendenz Zone“ übertragen. Mit der Vereinigung und für Verbraucherschutz (BMJV) –, Mitarbeiter des BMJ waren zuvor im verläss liche Bild einer umfangreichen der amerikanischen und der britischen in den Jahren von 1949/50 bis 1973 hat Reichsjustizministerium, bei Sonder- Entfernung von Personen mit NS- Besatzungszone zum Vereinigten das „Rosenburg-Projekt“ Licht gebracht: gerichten und als Wehrmachtsrichter Mitgliedschaften aus der Rechtspflege. Wirt schaftsgebiet („Bizone“) wurde Die „Unabhängige Wissenschaftliche tätig und damit NS-belastet. das „Rechtsamt der Verwaltung des 12 13

Vereinigten Wirtschaftsgebietes“ ge- die Fäden spann. Dehler war von Juni als er Minister wurde, als persönlichen Differenzen im Verständnis von Entnazi­ schaffen, dessen Leiter der spätere erste 1947 bis 1949 Präsident des OLG Referenten und Leiter des Personal- fizierung und Demokratisierung sowie Staatssekretär im BMJ, Walter Strauß, Bamberg gewesen. Dort waren noch referats mit nach Bonn. Aus Bamberg ein gänzlich anderes Staatsverständnis wurde. Daneben bestanden die ein- 1953 alle amtierenden Richter bereits stammten weitere Mitarbeiter im BMJ: in Ost und West, die einen Vergleich zelnen deutschen Landesjustizver- in der NS-Zeit im höheren Justizdienst Hans Winners (später Leiter des erschweren. „Entnazifizierung“ wurde in waltungen (Justizministerien der Länder tätig gewesen – im Unterschied etwa Personal referats des BMJ) und Georg der SBZ entsprechend den Leitlinien der waren schon 1945 geschaffen worden) zum OLG-Bezirk Frankfurt a.M., wo es Elsenheimer (später Referatsleiter in der SMAD sehr weit gefasst: Es ging dabei und die bald eingesetzten Präsidenten nur etwa 60 % waren. Zum anderen Abteilung Z – Verwaltung), die auch nicht nur um die Entlassung und Sank- der Oberlandesgerichte (bzw. des stammte das Personal des BMJ aus dem Staatsanwälte oder Richter am Sonder- tionierung belasteter Personen, sondern Obersten Gerichtshofs für die Britische Bestand des „Rechtsamtes der Ver- gericht Bamberg waren. Beide waren vor allem um ökonomische Veränderun- Zone, der von März 1948 bis September waltung des Vereinigten Wirtschafts- in der NS-Zeit Mitglieder der NSDAP, gen. Dazu zählte die Enteignung von 1950 bestand). Anders in der SBZ/DDR: gebietes“, das Walter Strauß, dann SA und des NSRB gewesen. Die NS- ökonomischen Nutznießern des Faschis- Dort gab es zwar Länder und bis Februar Staatssekretär im BMJ, geleitet hatte; Belastung der engen Mitarbeiter wog bei mus, die Verstaatlichung von Großbe- 1947 auch noch „Provinzen“. Sie wurden und zum dritten aus dem Zentral- Dehler offenbar gering angesichts der trieben und eine Bodenreform. Bei den aber einheitlich von der Sowjetischen Justizamt in . In der SBZ persönlichen Nähe, die anscheinend personalpolitischen Maßnahmen ver- Militäradministration (SMAD) verwaltet. konnte hingegen die eine Zentralver- einen vertrauensvollen und verläss- fuhr man in der SBZ erheblich strenger. In der SMAD gab es ebenfalls eine waltung der Justiz am 12. Oktober 1949 lichen Umgang ermöglichte. Der erste Die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP Rechtsabteilung, der die DJV unterstand. direkt in das MdJ übergeleitet werden. Staatssekretär im BMJ, Walter Strauß, oder einer ihrer Gliederungen (SA, SS, Die drei Zonen im Westen und die setzte darauf, Personen mit langjähriger NS-Frauenschaft, NSD-Studentenbund, eine Zone im Osten wurden zusammen- Zwei Muster der Einstellungspraxis der Verwaltungserfahrung trotz ihrer NS-Kraftfahrkorps, Hitlerjugend und gehalten durch den Alliierten Kon- ersten Mitarbeiter im BMJ lassen sich NS- Belastung zu gewinnen. Ihre der NSD- Dozentenbund) schloss eine trollrat. In ihm arbeiteten die vier den beiden leitenden Personen zurech­ technisch-bürokratische Effizienz Mitarbeit in der Justiz grundsätzlich Besatzungs mächte zusammen, bis im nen: und Walter Strauß. machte sie anscheinend in jedem aus. Sie disqualifizierte prinzipiell für März 1948 die sowjetischen Vertreter Thomas Dehler, der erste Bundesminis- System einsetzbar. Dass diese Personal- eine leitende Position in Staat und die Kooperation aufkündigten. ter der Justiz, hatte die NS-Zeit in einer politik auch Konsequenzen beim Partei (SED); Ausnahmen waren recht- „privilegierten Mischehe“ (seine Frau politischen Umgang mit der NS- fertigungsbedürftig. In den Westzonen Aufgrund der föderalen Struktur der war Jüdin) überstanden. Nach 1945 Vergangenheit hatte, liegt nahe. Das hingegen unterschied man zwischen drei Westzonen mit jeweils mehreren wurde er zunächst Generalstaatsanwalt haben die Wissenschaftlerinnen und nominellen Parteimitgliedern und Ländern gab es keinen kontinuierlichen am OLG Bamberg, dann war er bis 1949 Wissenschaftler des „Rosenburg- solchen, die aktiv für den National- Übergang zum BMJ. Das Personal des dessen Präsident. Als seinen Personal- Projekts“ unter anderem im Hinblick sozialismus eingetreten waren. BMJ stammte in der Anfangszeit im referenten am OLG stellte er Willi auf die Fragen der offenen und „kalten“ Die Mitgliedschaft in einer der Gliede- Wesentlichen aus drei Quellen: Zum Geiger ein, Mitglied der SA und der Amnestie herausgearbeitet. rungen der NSDAP hatte ein geringeres einen aus dem „Netzwerk Bamberg“, für NSDAP. Ab 1937 war Geiger als Staats- Gewicht, man setzte überwiegend das Thomas Dehler, der erste Justizmi- anwalt in Bamberg, auch am dortigen Neben diesem strukturellen Unterschied auf die Inte gration von NS-belasteten nister der Bundesrepublik Deutschland, Sondergericht, tätig. Dehler nahm ihn, sind es insbesondere grundlegende Juristen. 14 15

Die Mitgliedschaft in der NSDAP (for­ Tolerierung der „bürgerlichen“ Parteien male Belastung) ist für sich genommen endete 1948. Ab Januar 1950 wurden die nicht unbedingt aussagekräftig, was den anderen Parteien und gesellschaftlichen Mitgliedschaft in der NSDAP als Kriterium? „aktiven“ Einsatz für die NS­Politik Gruppen in der “Nationalen Front“ angeht. Die im Schaukasten aufgeführ- zwangshomogenisiert. Die SED verfügte Bekannt ist der Fall von , der als Verwaltungsjurist im ten Beispiele von Globke, Schafheutle nach eigener Lesart über die durch preußischen und im Reichsinnenministerium und als Mitverfasser und und Massfeller zeigen, dass die An- den wissenschaftlichen Sozialismus Kommentator der Nürnberger Rassegesetze tätig gewesen war. Nach dem knüpfung an die Mitgliedschaft in der fun dierte Kenntnis der historischen zweiten Weltkrieg war er von 1953 bis 1963 als Chef des Kanzleramtes NSDAP nur ein bedingt taugliches Gesetzmäßigkeiten beim Aufbau einer engster Vertrauter Adenauers und u.a. für die Personal politik zuständig. Merkmal ist, um eine Belastung und sozialistischen Gesellschaft. Staat und Sein Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP war 1943 wegen seiner deren Schweregrad zu ermitteln. Recht wurden als bloße Instrumente für früheren Zugehörigkeit zur Zentrumspartei abgelehnt worden. die Durchsetzung der Politik der Partei Neben den aufgezeigten grundlegenden angesehen und genutzt. Im Westen Auch aus dem Reichsministerium der Justiz (RMJ) sind Fälle von Beamten Differenzen im Verständnis von Ent­ hingegen ging man von einer pluralis- bekannt, die nicht der Partei ange hörten und dennoch aktiv an der nazifizierung gab es auch in der Frage tischen Gesellschaft aus, die sich über NS-Gesetzgebung mitwirkten: Hierzu zählt Josef Schafheutle, der ab 1933 der Demokratisierung ganz unterschied­ ein Mehrparteiensystem in freien im RMJ tätig war und dort u.a. an der Ausarbeitung des politischen Sonder- liche Auffassungen in Ost und West. Die Wahlen eine politische Artikulation vor strafrechts sowie des Straf prozessrechts mitwirkte. Schafheutle war nicht Theoretiker der SED betonten die allem in den Parlamenten verschaffte. Mitglied der NSDAP, obwohl er sich nachdrücklich um eine Aufnahme Volkssouveränität, die sich – nicht in Es waren gerade die Erfahrungen des bemüht hatte. verschiedene Gewalten oder durch eine Dritten Reiches, die Anlass gaben, die föderale Struktur geteilt – in einer Staatsmacht in ein Gefüge von „checks Zu den Beamten ohne Mitgliedschaft in der NSDAP zählte auch Franz Mass- einheitlichen Staatsmacht manifestieren and balances“ einzuhegen: Durch eine feller. Er war ab 1934 im RMJ im Bereich Familien- und Rasserecht tätig und sollte: Die Legislative sei das oberste Teilung staatlicher Gewalten, durch nahm als Vertreter des Reichsjustizministeriums an den Folgekonferenzen Organ, das nicht durch die Justiz eine föderale Struktur, durch staatlich zur Wannsee konferenz am 6. März 1942 und am 27. Oktober 1942 teil. Zudem kontrolliert werden dürfe. Auch die garantierte Grundrechte der und des wirkte er am Kommentar zum Blutschutz- und Ehegesundheitsgesetz mit. Justiz solle die einheitliche, homogene Einzelnen. Dazu gehörte auch die Mitglied der NSDAP wurde er jedoch nicht. Ob man ihn angesichts seines Arbeiter- und Bauernmacht des Volkes Überzeugung vom Wert rechtlicher katholischen Hintergrundes überhaupt aufgenommen hätte, ist fraglich. repräsentieren, in dem es keine unver- Regelungen, die nicht beliebig, politisch Beide – sowohl Schafheutle als auch Massfeller – waren später im BMJ tätig. träglichen Klassenwidersprüche mehr opportun, sondern durch die Verfassung gäbe. Die Pervertierung dieses Modells begrenzt zur Verfügung stehen. erfolgte in der politischen Praxis dadurch, dass eine Partei für sich in Wer den eigentlich naheliegenden Anspruch nahm, die Avantgarde der Vergleich zwischen MdJ der DDR und historisch führenden Arbeiterklasse BMJ der Bundesrepublik Deutschland zu sein. Die „Blockpolitik“ unter ziehen möchte, muss sich also die 16 17

unterschiedlichen Voraussetzungen für Entfernung von Personen, die dem deren Aufbau vor Augen halten: Neben NS-Regime dienstbar gewesen waren. dem bereits aufgezeigten strukturellen Eine weitere Kernforderung von SMAD Dr. Dr. Unterschied sind es insbesondere und deutschen Verwaltungsstellen zielte (1860 –1954) grundlegende Differenzen im Verständ- auf Demokratisierung. Eugen Schiffer nis von Entnazifizierung und Demokra- konnte in das Programm der „Einheits- • Jüdisches Elternhaus tisierung sowie ein gänzlich anderes front antifaschistisch-demokratischer • 1877–1880 Studium der Rechtswissenschaft Staatsverständnis in Ost und West, die Parteien“ die Forderung einbringen: • 1888 Amtsrichter in /Oberschlesien einen Vergleich erschweren. „Volle Rechtssicherheit auf der Grundla- • 1896 evangelische Taufe ge eines demokratischen Rechtsstaates“. • 1904–1918 Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses Im Bereich der Rechtspflege sollten II. Grundlagen der Justizpolitik in demokratische Strukturen in der Justiz- • 1910 Oberverwaltungsgerichtsrat der SBZ/DDR verwaltung und in den Gerichten ge- • 1912–1919 Mitglied des Reichstags (Nationalliberale Partei) schaffen werden. Beide Forderungen – • 1918 Fraktionschef und Mitbegründer der Deutschen Demokratischen Die SMAD übte die Besatzungsmacht Entnazifizierung und Demokratisierung Partei (DDP) in der SBZ aus. Im Juni und Juli 1945 – hingen miteinander zusammen: Bei • 1919 stellvertretender Regierungschef und Reichsminister der Finanzen wurden von der SMAD politische Partei­ der Entnazifizierung ging es zunächst • 1919–1920 sowie 1921 Reichsjustizminister en zugelassen, und zwar in zeitlicher um die Beseitigung der durch die Tätig- • bis Oktober 1924 Mitglied des Reichstags – später Austritt aus der DDP Reihenfolge: KPD, SPD, CDU und LDPD. keit im Nationalsozialismus belasteten • 1928 Autor von „Die deutsche Justiz“, einer Reformschrift; Am 14. Juli 1945 kam es unter ihnen zur Personen; die Demokratisierung betraf – Dr. iur. h.c. Univ. Halle Bildung eines „Blocks“, der „Einheits- personalpolitisch gesehen – auch die • Leiter der Berliner Verwaltungsakademie front antifaschistisch-demokratischer Frage, wer an die Stelle der Entlassenen Parteien“. Mit dem SMAD-Befehl Nr. 17 treten sollte. • Während der NS-Zeit sowohl politisch als auch als „Halbjude“ rassisch verfolgt vom 27. Juli 1945 wurden in der SBZ elf Zentralverwaltungen gegründet, • Juli 1945 Aufruf zur Gründung der LDPD darunter die Deutsche Zentralverwal- 1. Entnazifizierung • August 1945 Erster Präsident der DJV in der SBZ tung für Justiz. Ihr erster Präsident • August 1948 Rücktritt/Entlassung durch die SMAD wurde Eugen Schiffer. Er wurde zum Der Schwerpunkt der Entnazifizierung • 1949 bis 1950 Vorsitzender des Verfassungsausschusses 1. August 1945 berufen. in der SBZ lag zunächst – wie in den der provisorischen der DDR Westzonen – auf der Beseitigung • 1949 Erscheinen der zweiten überarbeiteten Auflage Die „Block­Parteien“ stimmten überein nationalsozialistischer Gesetze. Die von „Die deutsche Justiz“ im westdeutschen Verlag Biederstein in dem Ziel einer Entnazifizierung von SMAD erließ schon im September • 1950 Dr. iur. h.c. Humboldt Univ. Berlin; Übersiedelung in den Westen; Staat und Gesellschaft. Besondere 1945 zwei Befehle (Nr. 66 und 79), mit anschließend Mitglied der FDP Aufmerksamkeit lag dabei auf Polizei denen NS-Gesetze aufgehoben wurden. und Justiz. Hier ging es um eine radikale Im Januar 1946 hob die SMAD das 18 19

Gesetz zur Verhütung erbkranken Aufbaus Deutschlands“. Die Justiz Die SMAD nahm im Justizbereich aktiv für die NSDAP eingesetzt habe, Nachwuchses auf (in der Bundesre- wurde als ein „unentbehr liches Instru- der SBZ noch viel umfassendere vom Justizdienst ausgeschlossen publik wurde es erst 1974 „außer Kraft ment im Kampfe für den demokra- Ent lassungen vor als im Potsdamer werden müsse: gesetzt“). Der Alliierte Kontrollrat folgte tischen Aufbau Deutschlands“ gesehen Abkommen vereinbart waren. zwischen September 1945 und Juni (so in den „Grundsätzen zur Erneuerung Mit Befehl Nr. 49 vom 4. September 1947 mit dem Erlass von vier Gesetzen der Justiz“ der SED vom März 1947). 1945 wurde festgelegt, dass ehemalige „ Zwecks Durchführung der Umgestaltung (Nr. 1, 11, 34, 55), in denen die nun für Mitglieder der NSDAP oder ihrer des deutschen Gerichtswesens müssen ungültig erklärten Gesetze der NS-Zeit Die personellen „Bereinigungen“ Gliederungen im Justizdienst nicht alle früheren Mitglieder der Nazi partei, aufgelistet waren. Auch Gerichtsurteile bildeten gemäß dem zwischen den mehr verwendet werden dürfen. die sich aktiv für deren Tätigkeit einge­ aus der NS-Zeit wurden in Ost und West vier Alliierten geschlossenen Potsdamer Dessen Ziffer 3 lautete: setzt haben, und alle anderen Personen, auf gehoben (automatisch oder auf Abkommen vom 2. August 1945 einen die an den Strafmethoden des Hitler­ Antrag). Im August 1945 wurde in weiteren Schwerpunkt der Entnazi- regimes direkten Anteil hatten, ihres Thüringen die Vollstreckung von politi- fizierung: „ Bei der Durchführung der Reorganisa­ Amtes als Richter und Staats anwälte schen Straf urteilen aus der NS-Zeit tion des Gerichts systems sind sämtliche enthoben werden und dürfen nicht zu verboten. Dort wurde im Oktober 1945 früheren Mitglieder der NSDAP aus solchen Ämtern zuge lassen werden.“ die Wieder aufnahme gegen Urteile „ Alle Mitglieder der nazistischen Partei, dem Apparat der Gerichte und Staats­ von Stand gerichten zugelassen. Im Mai welche mehr als nominell an ihrer anwaltschaften zu entfernen, ebenso die und Juni 1946 hoben Gesetze in Bayern Tätigkeit teilgenommen haben, (...) sind Per sonen, welche an der Strafpolitik Fraglich war die genauere Bestimmung und Württemberg-Baden die Urteile aus den öffent lichen oder halböffent­ unter dem Hitlerregime unmittelbar derjenigen NSDAP­Mitglieder, die sich des Volksgerichtshofs gegen Mitglieder lichen Ämtern und von den verantwort ­ teilgenommen haben.“ „aktiv“ für die Partei eingesetzt hatten. der „Weißen Rose“ auf. Im Juli 1946 lichen Posten in wichtigen Privat unter­ Die nominelle Parteimitgliedschaft war erklärte die SMAD politische Strafurteile neh mungen zu entfernen. Diese Personen jedenfalls für den Kontrollrat nicht aus der NS-Zeit für nichtig. müssen durch Personen ersetzt werden, Die Landesregierung von Mecklenburg­ hinreichend für eine automatische welche nach ihren politischen und Vorpommern fasste am 25. September Entlassung. Im Westen bedienten sich die In der SBZ zielte die Entnazifizierung – moralischen Eigenschaften fähig 1945 den Beschluss, dass überhaupt kein Alliierten in der folgenden Zeit Listen, gemäß der kommunistischen Inter­ er scheinen, an der Entwicklung wahr­ Richter oder Staatsanwalt, der während die die leitenden Positionen in Staat und pretation des Faschismus als Endstufe haft demokratischer Einrichtungen in der NS­Zeit tätig gewesen war, in den Gesellschaft auswiesen (Direktive Nr. 24 des Kapitalismus – auch auf die Aus­ Deutschland mitzuwirken.“ Justizdienst aufgenommen werden des Kontrollrates vom 12. Januar 1946 schaltung des „Monopolkapitals“ und sollte. Dieser strikten Linie folgte der und Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von der Großgrundbesitzer durch Ent­ Alliierte Kontrollrat nicht. Er ließ auch Nationalsozialismus und Militarismus eignungen, Verstaatlichung der nicht die bloße Parteimitgliedschaft als vom 5. März 1946). Die Inhaber der ent- wichtigsten Indus triezweige und eine Ausschlusskriterium gelten. Vielmehr sprechenden Leitungspositionen waren Bodenreform. Dies waren nach dem bestimmte er im Gesetz Nr. 4 vom zu entlassen. Darüber hinaus sollte die Verständnis der SED die zentralen 30. Oktober 1945 (in Kraft getreten deutsche erwachsene Bevölkerung in Elemente eines „demokratischen zum 30. November), dass nur, wer sich fünf Gruppen von Hauptschul digen bis 20 21

zu Entlasteten klassifiziert werden. Als zugelassenen 961 Rechtsanwälten Spitzenposition nicht Mitglied der Der Präsident der DJV ordnete per Erlass Hauptschuldige wurden z.B. alle Beam- 358 ehemalige Mitglieder der NSDAP NSDAP gewesen war, für die DJV zu vom 20. September 1945 an, dass sich ten in Reichsbehörden bis zum Ministe- oder deren Gliederungen (= 37,3 %). gewinnen. Ein ehemaliger OLG-Präsi- alle Justizangehörigen einer Überprü- rialdirektor oder die Oberlandesgerichts- dent (Hugo Holthöfer, OLG-Präsident fung zu unterziehen hätten. Dies führte präsidenten und Generalstaatsanwälte 80 % der Richter, die in der Zeit des von Königsberg 1928–1931) wurde von dazu, dass unter den ca. 100 Mitarbeite- klassifiziert. Fragebogen waren auszufül- Nationalsozialismus amtierten, waren der SMAD nicht als Mitarbeiter der DJV rinnen und Mitarbeitern in der DJV zum len, es wurden Spruchkammerverfahren Mitglied der NSDAP. Alle nur aufgrund akzeptiert, weil er einen (erfolglosen) Ende des Jahres 1945 kein (ehemaliges) durchgeführt, die mit deutschem Perso- ihrer nominellen Parteimitgliedschaft Antrag auf Aufnahme in die NSDAP Mitglied der NSDAP mehr vorhanden nal besetzt waren. In diesen Verfahren zu entlassen, erschien im Westen ange- gestellt hatte. Diese strikte Position war. Auch in den Justizverwaltungen der erfolgte regelmäßig eine Herabstufung in sichts eines drohenden Stillstands der wurde bekräftigt im SMAD-Befehl Länder war dies bald der Fall. Probleme eine niedrigere Gruppe, z.B. der OLG- Rechtspflege nicht praktikabel. Deshalb Nr. 204 vom 23. August 1947 über die gab es allerdings in einigen Ländern der Präsidenten auf den Status von Mitläu- wurde die NSDAP-Mitgliedschaft nicht Nichtzulassung ehemaliger Mitglieder SBZ mit Personen, die nur Mitglieder fern oder am Ende gar von Entlasteten. als automatisches Ausschlusskriterium der NSDAP oder ihrer Gliederungen zur in Gliederungen der NSDAP gewesen behandelt. – Es gab aber durchaus auch Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt; waren, ohne der Partei selbst anzuge- In der SBZ ging man anders vor. Hier Nicht-NSDAP-Mitglieder, die an verant- dies galt auch für Assessoren, wenn sie hören. Insbesondere bei ehemaligen genügte für den Ausschluss, jedenfalls wortlichen Stellen in der Rechtspflege z.B. der Hitlerjugend angehört hatten. Mitgliedern der Hitlerjugend stellte sich im Justizbereich, die bloße Mitglied- die Politik des Nationalsozialismus Dieser Befehl ging damit noch über den das Problem, ob sie zum ersten juristi- schaft in der NSDAP. Schon die Mit- unterstützt hatten. Z.B. waren sechs der bereits oben erwähnten SMAD-Befehl schen Staatsexamen oder zum Referen- gliedschaft in einer Gliederung der 65 OLG-Präsidenten, die in der Zeit Nr. 49 vom 4. September 1945 hinaus. dariat zuzulassen seien. Widerstand NSDAP (von der SS bis zur Hitlerjugend) zwischen 1933 und 1945 amtierten, gegen die Entlassung nomineller Partei- sollte ausreichen, Personen von der nicht Mitglied der NSDAP gewesen. Ähnlich radikal verfuhr man im Bereich mitglieder gab es in der Provinz Sachsen Tätigkeit in der Justiz und der Justiz- der Polizei und innerhalb der SED: (dann Sachsen-Anhalt), wo noch 1947 verwaltung auszuschließen. Um einen Stillstand der Rechtspflege Mitglieder der NSDAP oder ihrer belastete Richter als Hilfskräfte in der zu vermeiden, behalf man sich in der Gliederungen wurden nicht zugelassen. Justiz tätig waren. Die Entnazifizierung zieltevor allem auf Britischen Zone bald mit der sog. In anderen Bereichen wurden Personen Richter und Staatsanwälte, weniger „ Huckepack-Regelung“, wonach für toleriert, die Mitglieder des National- Die Entnazifizierung der gesamten radikal auf die Rechtsanwälte. Die jeden nicht belasteten Richter oder sozialistischen Rechtswahrerbundes Bevölkerung der SBZ sollte mit der vorläufige Zulassungsordnung für Staatsanwalt ein „belasteter“ eingestellt (NSRB) oder der Nationalsozialistischen Durchführung des SMAD­Befehls Nr. 201 Rechtsanwälte der DJV vom 18. Juni werden konnte. Volkswohlfahrt (NSV) waren – dies galt vom 16. August 1947 zu einem Abschluss 1946 sah vor, dass ehemalige „aktive“ aber nicht für die Justiz. gebracht werden. In diesen Befehl Mitglieder der NSDAP von der Tätigkeit In der SBZ war die Praxis viel restriktiver. wurde die Unterscheidung von bloß als Rechtsanwalt ausgeschlossen seien. Deshalb scheiterte z.B. Eugen Schiffer Die für die Personalpolitik verantwort­ „nominellen“ NSDAP-Mitgliedern Zugelassen werden konnten sie, wenn mit seinem Vorschlag, Heinrich Hölscher, liche Justizverwaltung, insbesondere die und NS-Aktivisten aufgenommen. sie nur „nominelle“ Mitglieder waren. den Präsidenten des Kammergerichts DJV, musste bei der „personellen Säube­ Nur gegen letztere, gegen die „wirklich Am 1. August 1950 gab es unter den von 1933 bis 1942, der trotz seiner rung“ mit gutem Beispiel vorangehen. Schuldigen“, waren noch Strafverfahren 22 23

durchzu führen; der Rest sollte integriert fast 80 % der Richter und Staatsanwälte werden. Die SMAD machte es der DJV im Deutschen Reich Mitglieder der in Kooperation mit den Innenministern NSDAP, so war im April 1950 lediglich Kurt Schumann zur Aufgabe, für die Verfahren zuständi- ein Richter (das war vermutlich Kurt (1908–1989) ge Strafkammern bei den Landgerichten Schumann) und kein einziger Staats- zu bilden, deren Besetzung zu regeln anwalt mit NSDAP-Mitgliedschaft tätig • 1927–1931 Studium der Rechtswissenschaft und die zuständigen Staatsanwaltschaf- (fünfzehn Richter und vier Staats- • Ab 1927 Mitglied der Burschenschaft Germania Jena ten zu bestimmen. All das musste anwälte waren Mitglieder der Gliede- • 1931–1935 Mitarbeiter im thüringischen Justizdienst von der SMAD bestätigt werden. Die SED rungen der NSDAP gewesen). • Ab 1935 tätig im Heeresjustizdienst konnte auf die personelle Besetzung • 1937 Mitglied der NSDAP dieser Kammern Einfluss nehmen. Als weitere Person, die trotz NS­Belas­ tung im DDR­Justizapparat Karriere • 1942 Einberufung in die Wehrmacht; dort als Kriegsgerichtsrat tätig Im Mai 1948 wurde in der SBZ die machte, wird meist Ernst Melsheimer • 1943 Sowjetische Kriegsgefangenschaft; Mitglied im „Nationalkomitee National­Demokratische Partei genannt, der erste Generalstaatsanwalt Freies Deutschland“, das den Nationalsozialismus bekämpfte Deutschland (NDPD) gegründet, die der DDR. Er hatte es während der NS- • 1948 Rückkehr in die SBZ; zunächst als Richter tätig; als Auffangbecken für ehemalige Zeit 1937 bis zum Kammergerichtsrat Mitbegründer der NDPD Nationalsozialisten dienen sollte. gebracht; allerdings war er am Kammer- • 1949 Vorsitzender der Großen Strafkammer am Landgericht Erfurt Kurt Schumann, der es später, trotz gericht mit den ziemlich unverfäng- • 1950 Präsident des Obersten Gerichts der DDR seiner Mitgliedschaft in der NSDAP, lichen Gebieten des Kostenrechts und • 1955 Vorsitzender beim „RIAS“-Schauprozess bis zum Präsidenten des Obersten der freiwilligen Gerichtsbarkeit befasst. • 1960 Rücktritt als Präsident des Obersten Gerichts Gerichts der DDR brachte, war einer Der NSDAP trat er nicht bei. (er erschien angesichts der DDR-Kampagne gegen die „NS-Blutrichter ihrer Mit begründer. Offiziell sollte im Dienst des Adenauer-Regimes“ nicht mehr als tragbar) ehemaligen NSDAP-Mitgliedern aber Die radikale Entfernung von NSDAP­ • 1960 bis 1963 Professor für Recht in Potsdam und weiterhin der Zugang zu Polizei und Mitgliedern aus dem höheren Justiz­ von 1963 bis 1973 an der Humboldt–Universität zu Berlin Justiz verwehrt sein. Eine Rückkehr in dienst führte zu einem Verlust juris­ • 1978 Ehrung mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold andere Teile des Verwaltungsapparates tischer Expertise der am Aufbau der konnten sich ehemalige Mitglieder Justiz in der SBZ Beteiligten. Die mit der NSDAP durch „ehrliche und loyale sowjetischer Hilfe an die Macht gekom- Arbeit“ verdienen. menen Mitglieder der KPD (die sich im April 1946 mit der SPD zur Sozialis- Gerichten. Kommunisten hatten sich Justiz „in der Vergangenheit eine der Die Entlassung von Mitgliedern der tischen Einheitspartei Deutschlands – seit dem Kaiserreich als Opfer der Justiz, reaktionärsten Institutionen des bürger- NSDAP und ihren Gliederungen aus SED – maßgeblich durch sowjetischen einer „Klassenjustiz“, gesehen. Der lichen wie faschistischen Staatsappa- dem Justizapparat hatte in der SBZ Druck vereinte) hatten kaum Erfahrun- Zugang zu höheren Stellen in der Justiz rates“ gewesen – wie das Politbüro der bis in die Anfangsjahre der DDR drasti­ gen mit den Funktionsbedingungen und der Justizverwaltung blieb ihnen SED in einem Beschluss zu Justizfragen sche Konsequenzen. Waren 1939 noch einer Justizverwaltung und von verschlossen. Für Kommunisten war die im Dezember 1951 festhielt. 24 25

SMAD Leiter der DJV wurde: Eugen 2. „Demokratisierung“ der Justiz Schiffer (LDPD). Dr. Ernst Melsheimer In den Jahren nach Ende des Zweiten (1897–1960) Aber trotzdem hatten auch „bürgerliche“ Weltkrieges ging es nicht nur um die Parteien Schwierigkeiten, juristisch Entlassung von belastetem Personal aus • Volljurist mit umfangreicher Erfahrung im preußischen Justizdienst qualifiziertes Personal in Spitzen­ staatlichen und gesellschaftlichen • Mitglied des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes und positionen der Justizverwaltung zu Positionen und die Sanktionierung von anderer Gliederungen der NSDAP (nicht aber der NSDAP selbst) bringen. So war in Sachsen von April Schuldigen, sondern es ging auch – und • Aufstieg bis zum Kammergerichtsrat (1937–1945) bis November 1948 wohl zum ersten vor allem – um den Aufbau einer neuen mit Zuständigkeiten für Kostenrecht und freiwillige Gerichtsbarkeit Mal in der deutschen Geschichte ein Justiz. Für das Justizsystem der DDR • 1940 Kreisrechtsberater der NS-Volkswohlfahrt Nicht-Jurist Justizminister: Johannes waren sieben Merkmale prägend: Dieckmann (LDPD) (1893–1969). Von • „Treuemedaille des Führers Zweiter Klasse“ 1949 bis 1969 war er der erste Präsident ° Volksrichter, die in mehrmonatigen • 1945 Eintritt in die KPD der Volkskammer. Kursen ausgebildet wurden, sollten • Staatsanwalt in Berlin die belasteten Juristen aus der Zeit • Ab September 1945 Leiter der Abteilung V (Gesetzgebung) der DJV Das Niveau der juristischen Qualifika­ des Nationalsozialismus ersetzen. • Ab März 1946 bis zum Ende der DJV 1949 deren Vizepräsident tion der SED­Mitglieder in der Justiz­ • 1949–1960 Oberster Staatsanwalt (Generalstaatsanwalt) der DDR; verwaltung hob sich in den ersten Jahren ° Ein Berufsbeamtentum und ein Vertreter einer linientreuen, scharfen Strafverfolgungspolitik des Ministeriums, also nach 1949, deut­ Richteramt „auf Lebenszeit“ gab es lich. Unter den Hauptabteilungs- und in der DDR nicht. Abteilungsleitern, die der SED angehör- ten – und das waren fast alle –, befanden ° Das Laienelement in der Recht- Während unter den Mitgliedern der KPD Die KPD (später dann die SED) versuchte sich sieben promovierte Juristen, wei- sprechung wurde durch Beteiligung nur wenige Volljuristinnen und Voll­ zunächst, eine „Blockpolitik“ durchzu­ tere vier Volljuristen und drei Personen, von Laienrichtern nicht nur in juristen waren, stellte sich die Lage in setzen, d.h. eine Verbindung einzugehen die einen Volksrichterlehrgang (→ dazu Straf- und Arbeits-, sondern auch den anderen Parteien, die in der DJV mit „bürgerlichen“ Kräften, vor allem in unter II. 2a Seite 28) absolviert hatten. in Zivilsachen verstärkt. vertreten waren, anders dar. Sie ver- der LDPD und in der CDU, in denen es Die Spitze des Ministeriums – mit dem fügten zumindest über eine gewisse wenigstens einige juristisch qualifizierte ersten Justizminister der DDR Max ° Vor dem Hintergrund der Gründung Anzahl von juristisch qualifizierten Personen, die nicht politisch belastet Fechner und seinem Referenten und eines „Volksstaates“ wandte sich die Mitgliedern, die in der NS-Zeit zum Teil waren, gab. Vor diesem Hintergrund ist Leiter der allgemeinen Verwaltungs- DDR vom Modell der Gewalten- in der Justiz, zum Teil in Ministerien nicht verwunderlich, dass im August abteilung, Günter Scheele, – war aber teilung ab und setzte stattdessen auf tätig gewesen waren und die nicht 1945 zunächst ein Nicht-KPD-Mitglied ohne juristische Qualifikation. ein System der Gewalteneinheit. der NSDAP beigetreten waren; zum mit großer Erfahrung auf dem Feld der Teil waren sie aus politischen oder Justizverwaltung mit Zustimmung der ° Die DDR verfügte über keine „rassischen“ Gründen verfolgt worden. Verfassungsgerichtsbarkeit. 26 27

° Nach der Verwaltungsreform von Das hing sicherlich mit dem anfängli- 1952 gab es auch keine Verwaltungs- chen Mangel an juristischen Fachleuten gerichtsbarkeit mehr. zusammen. war zwar Karl Polak innerhalb der KPD-Führung von An- (1905–1963) ° Der Zugang zu den Gerichten sollte beginn an für die Justizpolitik zuständig, erleichtert werden. er blieb aber diesbezüglich ideen- und • Jüdisches, wohlhabendes Elternhaus erfolglos. Auch die Einrichtung eines • 1925 Studium der Rechtswissenschaft Im Mittelpunkt der organisatorischen Ausschusses für juristische Fragen beim • 1933 Promotion zu einem rechtsphilosophischen Thema Änderungen beim Aufbau des Justiz­ Zentralsekretariat der KPD im Oktober • Als Jude keine Zulassung zum Rechtsreferendariat systems in der DDR stand die Forderung 1945 half in diesem Zusammenhang • 1933 Emigration in die Sowjetunion; Veröffentlichung rechtstheoretischer nach einer „Demokratisierung der Justiz“ nicht. Wohl erst mit der Rückkehr des Schriften in russischer Sprache oder nach dem Aufbau einer „antifa­ Rechtstheoretikers Karl Polak aus der • Anfang März 1946 Rückkehr in die SBZ schistisch­demokratischen Justiz“. Nach Emigration in der Sowjetunion im März dem Staatsverständnis der DDR galt die 1946 und dem Aufbau einer Abteilung • Eintritt in die SED Mitwirkung „gesellschaftlicher Kräfte“ für Justizfragen beim Zentralsekretariat • Leiter der Abteilung Justizfragen beim Zentralsekretariat der SED – 1948 an der Rechtsprechung als Machtaus- der SED kam Bewegung in die Justiz- • 1948 Veröffentlichung seiner Vorträge „Justizerneuerung. übung der „Werktätigen“ und damit als politik. Karl Polak wurde für Walter Wege zu einer demokratischen Justiz“ Ausdruck der „sozialistischen Demo- Ulbricht zum Ideen geber auf rechts- • Als Mitglied des „Deutschen Volksrates“ und des „Verfassungsausschusses“ kratie“. Nur folgerichtig erschien es, politischem Gebiet. Ende 1946 begann maßgeblich an der Ausarbeitung der DDR-Verfassung beteiligt diesem Verständnis durch die Aus- der Aufbau von Justizreferaten auch bei • 1949 Professor für Staatslehre, Staats- und Völkerrecht bildung von Volksrichtern und die den SED-Landesleitungen. an der Universität Erweiterung des Laienelementes in der • 1958 Entwurf der Rede Ulbrichts auf der Babelsberger Konferenz Rechtsprechung Rechnung zu tragen. Die SED nahm sich der Justizpolitik • 1961 Mitglied des Staatsrats Dies fand die Zustimmung von Eugen auf ihrer ersten Juristenkonferenz am Schiffer, der schon in der Weimarer Zeit 1./2. März 1947 an. Das Hauptreferat in zahlreichen Schriften (insbesondere hielt Karl Polak. Er sprach hier erstmals in seinem Buch „Die deutsche Justiz“ zum Thema „Probleme der Demokrati- von 1928) eine Reform der Justiz gefor- sierung der Justiz“. 1958 entwarf Karl Rechtswissen schaftler der DDR auf die Anknüpfung an die vor dem 30. Januar dert hatte. Er beklagte die »Volksfremd- Polak für Walter Ulbricht dessen Rede Linie der SED. 1933 geltenden gerichtsverfassungs- heit des Rechts, Rechtsfremdheit des auf der Babelsberger Konferenz, einer rechtlichen Vorgaben aus, was dem Volkes und Weltfremdheit der Richter«. rechtswissenschaftlichen Konferenz, Die „Demokratisierung“ der Justiz Gesetz Nr. 4 des Kontrollrats und dem auf der die wesent lichen Grundlagen bestand in grundlegenden strukturellen, SMAD-Befehl Nr. 49 widersprach. Ihnen Die KPD und später die SED hatten zu­ für die herrschende Rechtstheorie und gesetzlichen Änderungen ihrer Organi­ ging es um die Überwindung der Tradi- nächst kein klares Konzept für den Auf­ Rechtspraxis der DDR gelegt wurden. sation. Die Vorstellungen der Justiz- tion der deutschen Justiz und des bau der Justiz und der Justizver waltung. Hier verpflichtete Walter Ulbricht die politiker in der KPD/SED schlossen eine Rechtsdenkens („Formaljurisprudenz“), 28 29

einer Tradition, die auch verantwortlich der Sowjetunion; erst im Mai /Juni 1952 Justiz personals zu ändern. Die Tätigkeit Die Volksrichter­Lehrgänge begannen im gemacht wurde für den Sieg der Natio- reiste eine Studien delegation von in der Rechtspflege sollte nun nicht Februar 1946. Sie dauerten zunächst nalsozialisten. Die NS-Justiz sei das SED-Juristen dorthin. Nach und nach mehr den Söhnen gehobener Schichten nur sechs Monate und wurden im Laufe „Resultat der Entwicklung der traditio- kristallisierten sich prägende Elemente vorbehalten sein. Angestrebt wurde der Jahre auf zwölf Monate verlängert. nellen deutschen Justiz“; sie sei ein der „neuen“, „demokratisierten“ Justiz in deshalb eine Erhöhung der Quoten von Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern „Wegbereiter des Faschismus“ (Karl personal politischer und institutioneller Frauen sowie von Arbeiterinnen und sollte juristisches Grundwissen ver- Polak) gewesen. Recht und Justiz seien Hinsicht heraus. Arbeitern unter den Richtern und mittelt werden, das sie in der anschlie- nie politisch neutral. In einem demokra- Staatsanwälten. 1928/29 hatte der Anteil ßenden Praxis unter Anleitung erfah- tisch-sozialistischen Staat könnten sie a) Volksrichter der Arbeiterkinder an den in Deutsch- rener Praktiker vertiefen sollten. Die es auch nicht sein; sie seien Instrumente Volksrichter sollten eine Säule der land tätigen Richtern und Staatsan- Einführung der Volksrichter trug zu „im Kampf für den demokratischen Demokratisierung der Justiz bilden. wälten lediglich 0,03 Prozent betragen einer starken Absenkung der juris- Aufbau Deutschlands“ (Dr. Reinhold Richter und Staatsanwälte sollten aus (bei einem Arbeiteranteil unter den tischen Qualifikation in der Justiz bei. Schäfermeyer, stellvertretender Vor- allen Bevölkerungskreisen stammen, Erwerbs tätigen von 65 %). 1932 gab es Nur wenige gelangten in die Spitzen sitzende des rechtspolitischen Aus- ohne zuvor eine traditionelle Aus- erst 21 Frauen im Richterberuf (bei der Justizverwaltung (in der DJV waren schusses der SED). Aber wie sollte eine bildung absolviert zu haben. Mit der ca. 10.000 Richtern). Zunächst behalf das: Gerda Grube, Fritz Böhme und neue Justiz organisiert werden? Für die Entlassung früherer NSDAP-Mitglieder sich die sowjetische Besatzungsmacht Franz Genrich). Ab dem 5. Juni 1950 Kommunisten gab es keine Vorbilder aus der Richterschaft ergab sich nicht mit „Richtern im Soforteinsatz“, d.h. mit wurden erstmals auch zweijährige in der deutschen Tradition (mit Ausnah- nur das Problem, einen Stillstand der Personen ohne juristische Qualifikation, Lehrgänge (u.a. an der Zentralen Rich- me der alten demokratischen und Rechtspflege zu vermeiden. Durch die die eine anti faschistische Einstellung terschule der DDR in Halle und Bad sozialis tischen Forderung nach der Notwendigkeit, rasch Ersatz zu schaffen, vorweisen mussten. Geordneter ging Schandau) durchgeführt. Die Lehrgänge Wählbarkeit von Richtern). Zurückhal- eröffnete sich auch die Möglichkeit, es dann mit den schnell auszubildenden wurden zentral von der DJV organisiert. tend war man noch mit Anleihen bei die soziale Zusammensetzung des Volksrichtern und Volksstaatsanwälten Damit ver stärkte sich auch die Politi- weiter. Sie sollten nicht nur als rascher sierung der Unterrichtsinhalte. Ende Ersatz für die entlassenen NS-Richter 1951 hatten etwa 60 % der Richterinnen Richter Staatsanwälte dienen, sondern sollten möglichst auch und Richter eine Volksrichterausbildung die Bevölkerung repräsentieren. An absolviert. Im Januar 1953 wurde die insgesamt 1.047 272 der folgenden Übersicht lässt sich Hochschule für Justiz mit der Deutschen ablesen, dass der Frauen- und Arbeiter- Verwaltungsakademie in Potsdam- davon Absolventen der Volksrichterlehrgänge 58,1% 73,9% anteil bis Ende 1950 erheblich gesteigert Babelsberg zur Deutschen Akademie Frauenanteil 18,8% 12,0% wurde. Der Personalaustausch wurde für Staats- und Rechtswissenschaft aber vor allem auch dazu genutzt, den „Walter Ulbricht“ (DASR) vereinigt. Arbeiteranteil 36,2% 41,5% Anteil an SED-Mitgliedern zu steigern Die Ausbildung wurde am 1. September SED-Mitgliedschaft 54,0% 87,0% (in den folgenden Jahrzehnten der DDR 1954 auf drei Jahre verlängert und stieg er unter den Richtern und Staats- fortan mit dem Staats examen abge- Tab. 1: Personalbestand Richter/Staatsanwälte in der DDR Ende 1950 anwälten weiter). schlossen. Die juristische Ausbildung an 30 31

den Hochschulen und an der DASR löste als Verstoß gegen das Prinzip der damit die Volksrichterausbildung ab. Unabhängigkeit der Rechtsprechung angesehen. Richter waren nach DDR- b) Kein Berufsbeamtentum; Verständnis unabhängig, aber nicht (1892–1973) kein Richteramt „auf Lebenszeit“ unabsetzbar. Unabhängigkeit hieß Eine weitere personalpolitische demnach, dass keine Eingriffe in ein- • Werkzeugmacher Forderung lautete: Kein lebenslanges zelne Entscheidungen erfolgen durften. • 1910 Eintritt in die SPD Berufsbeamtentum. Das bezog sich Tatsächlich wird man aber davon aus- • 1917–1922 Mitglied der USPD, danach wieder der SPD auch auf Richterinnen und Richter, die gehen müssen, dass nicht einmal auf der • Bezirks- und Stadtverordneter in Berlin damals noch als Beamte galten. Der Ebene politischer Verlautbarungen die • 1928–1933 Abgeordneter im Preußischen Landtag SED-Entwurf einer Landesver fassung, richterliche Unabhängigkeit als Aus- der in allen Ländern außer Thüringen schluss von Eingriffen anderer Gewalten • Im Nationalsozialismus war er in der Widerstandsgruppe um Franz Künstler (SPD) aktiv durchgesetzt wurde, sah die Wahl der oder der Partei verstanden wurde: OLG-Präsidenten und Generalstaats- Schon auf der 3. Tagung des Ausschusses • 1933–1934 inhaftiert im Konzentrationslager Oranienburg anwälte durch die Par la mente vor. für Rechtsfragen beim Zentralsekre- • Nach dem 20. Juli 1944 bis zum 15. September 1944 Richter sollten nur für begrenzte Zeit tariat der SED (3./4. Januar.1948) hatte im Konzentrationslager Sachsenhausen inhaftiert gewählt oder ernannt werden. In der Max Fechner – damals noch Stadt- • 1946–1948 Stadtverordneter von Groß-Berlin für die SED DDR wurden zunächst nur die Richter verordneter in Berlin und kurz darauf • Im Zentralsekretariat der SED zuständig für Kommunalpolitik und Justiz am Obersten Gericht und der Oberste Leiter der DJV – sein Verständnis von • Oktober 1948 Leiter der DJV Staatsanwalt (Generalstaatsanwalt) einer „unabhängigen“ Justiz deutlich • Bis 1949 Mitglied des Deutschen Volksrates durch die Volkskammer gewählt gemacht: • 1950 Mitglied der Volkskammer ( Artikel 131 der DDR-Verfassung 1949). Die Wahlen durch die Landtage und die • Oktober 1949 bis Juli 1953 erster Justizminister der DDR Abberufung von Richtern regelte Artikel „ Nichts steht dem tatsächlich im Wege, • Nach dem 17. Juni 1953 Amtsenthebung und Ausschluss aus der SED 132. Allgemeine Richterwahlen zu den daß die Genossen Staats anwälte sich im (Fechner hatte sich nach den Arbeiterprotesten vom 17. Juni Bezirks- und Kreisgerichten fanden ab einzelnen über ihre Anklagepolitik mit für ein Streikrecht der Arbeiter eingesetzt und eine restriktive Bestrafung der am Aufstand Beteiligten gefordert) 1960 statt. Richter wurden seitdem den leitenden Parteiinstanzen beraten. für vier bis fünf Jahre gewählt. Man Nichts steht dem im Wege, daß die • 16. Juli 1953 Verhaftung und Verurteilung zu acht Jahren Zuchthaus; berief sich bei der Einführung von amt lichen Richter die zur Entscheidung jedoch bereits am 24. Juni 1956 Begnadigung Richterwahlen auch auf Vorbilder in stehenden politischen und juristischen • 1958 Wiederaufnahme in die SED der Schweiz und in den USA. Fragen mit den Genossen aus den • 1965 Verleihung des Vaterländischen Verdienstordens in Silber und mittleren und unteren Partei instanzen 1967 in Gold Dass Richter nicht „auf Lebenszeit“ beraten. Ja, sie müssen es sogar; denn die • 1972 Verleihung des Karl-Marx-Ordens amtierten oder nur bis zu einer Justiz ist, richtig verstanden, auch nur bestimmten Altersgrenze, wurde nicht ein Verwaltungszweig. Er kann nur 32 33

richtig gehandhabt werden, wenn in ihn Landesvorstände sich mit der Recht­ Bekannt wurden Fälle vor allem aus den von der Partei kontrollierten Massen- die selben politischen Impulse eingehen sprechung in ihren Ländern ausge­ 50er Jahren, in denen keine staatliche organisationen. Der Einsatz der Laien- wie in alle übrigen Verwaltungen.“ sprochen vertraut machen. Sie müssen Instanz, sondern das Politbüro der SED richter in bestimmten Ver fahren konnte einen engen Kontakt herstellen zu den in politisch bedeutsamen Verfahren den durch die Direktoren der Gerichte Volksrichtern und Volksstaats anwäl ­ Gerichten Vorgaben für Verfahren und gesteuert werden. Auf derselben Tagung machte Hilde ten (...) und müssen sie darauf hinweisen, Entscheidungen machte. Neumann (1949/50 Präsidentin des den Kontakt mit der Partei aufzuneh­ d) Statt Gewaltenteilung: Landgerichts Berlin im sowjetischen men. Sie müssen mit ihnen solche c) Verstärkung des Laienelements Gewalteneinheit Sektor) Ausführungen zur Leitung der Verbindung halten, daß sie durch sie Eine dritte personalpolitische Konse- Mit der „Demokratisierung“ der Justiz Justiz durch die Partei, die die späteren über alle neuen Fragen der Recht­ quenz zielte auf die Verstärkung des zielten die Rechtspolitiker der SED auch Mechanismen in ihren Grundzügen sprechung, über etwa auftretende Laienelements. Eugen Schiffer strebte auf strukturelle Elemente. Im Vorder- vorwegnahmen – eingewoben in die Gefahren, über schlechte Linien, die sich damals, wie schon in der Weimarer grund stand die Abkehr von dem Modell ideologische Grundrechtfertigung, dass anbahnen, sofort unterrichtet werden. Republik, die Überwindung der Kluft der Gewaltenteilung. Erste Vorstellun- es eine hinreichend homogene, demo- Dann kann sich die Partei in geeigneter zwischen Volk und Justiz an. Als ein gen dazu entwickelten die SED-Politiker kratische Bevölkerung gebe, die durch Weise einschalten durch Besprechungen, Mittel, um Volk und Recht näher zu in einem Entwurf für eine Verfassung die Partei, d.h. die SED, als Avantgarde Funktionärs ver­sammlungen, durch bringen, wurde die größere Teilhabe von der Deutschen Demokratischen Repub- der Werktätigen repräsentiert werde. Auf Sitzungen, die anberaumt werden, um Laien an der Rechtsprechung ange- lik vom 14. November 1946. In den dieser Basis war es leicht, die „ führende“ eine solche Frage zu diskutieren, oder sehen. Rechtsprechung sollte nicht bloß Artikeln 88–95 wurden Grundprinzipien Rolle der SED zu betonen und zwar evtl. durch eine gewisse Pressekampag­ eine Sache der akademisch oder in für die Organisation der Rechtspflege gegen alle möglichen Skrupel, die noch ne, wo das tunlich ist.“ Volksrichterkursen ausgebildeten vorgestellt. Grundlegend war die Kritik mit der Formel von der „Unabhängig- Juristen sein. Dies fand auch Ausdruck am „bürgerlichen“ Modell der Gewalten- keit“ der Justiz verbunden sein mochten. in der DDR-Verfassung von 1949. Deren teilung: Legislative, Exekutive und Da die Justiz ja nicht unabhängig vom Gemeinsam mit staatlichen Organen – Artikel 130 sah vor: „An der Recht- Judikative seien keine „Gewalten“, die Volke sein dürfe, könne sie auch nicht vor allem dem MdJ und dem OG – sprechung sind Laienrichter in wei- sich wechselseitig kontrollierten und die unabhängig von der SED sein. führten in den 50er und 60er Jahren testem Umfange zu beteiligen.“ Diese staatliche Macht in rechtlichen Bahnen Parteistellen „Brigadeeinsätze“ Beteiligung wurde nicht nur in der begrenzten. Es handele sich in einem durch, die der Überprüfung der Recht­ ersten Instanz eingeführt, sondern auch demokratisch-sozialistischen Staat nur „Es ist selbstverständlich, daß ebenso wie sprechung an einzelnen Gerichten an den Bezirksgerichten (allerdings um unterschiedliche Funktionen. die Wirtschaft auch die Justiz und dienen sollten. Das Resultat konnten nicht am Obersten Gericht) und auch Entsprechend dem sowjetischen Prinzip Rechtsprechung durchaus einer Volks­ Amtsenthebungen oder Versetzungen, nicht nur in Straf- und Arbeitssachen, des „demokratischen Zentralismus“ kontrolle bedarf, einer Kontrolle von manchmal sogar Verhaftungen sein. sondern auch in Zivilsachen. Die wurde von der SED die Einheitlichkeit unten, einer Kontrolle durch die breite Zur „Leitung“ der Rechtsprechung Berufung der Laienrichter, die im der Staatsmacht betont. Die Gesellschaft demokratische Bevölkerung unserer verfügte das MdJ bis 1963 über Justiz- Gegensatz zu den Volksrichtern sei nicht mehr in Klassen gespalten, Länder. (…) Notwendig ist also, daß die verwaltungsstellen mit eigenen „Inst- keinerlei juristische Kenntnisse hatten, die die verschiedenen Gewalten gegen- Parteileitungen, insbesondere die rukteuren“ in den Bezirken. war fest in den Händen des MdJ und der einander ausspielen könnten. Vereint 34 35

hätten Arbeiter und Bauern ihren Staat, f) Keine Verwaltungsgerichtsbarkeit auch abberufen werden. Die Kontrolle familienrechtliche Streitigkeiten einen „Volksstaat“, geschaffen. Vor ihm, Die Idee einer staatlichen Gewalten- der Verwaltung sollte vor allem durch zuständig waren. Man konnte sich als ihrem Produkt, müssten sie sich einheit war auch nicht mit einer Über- die Volksvertretungen erfolgen; ein also ohne Anwälte, einfach und nicht schützen durch eine Zersplitte- prüfung von Verwaltungsentschei- gerichtlicher Rechtsschutz gegen Maß- kosten günstig scheiden lassen. rung der Gewalten. Der neue Staat sei dungen durch Verwaltungsgerichte nahmen der öffentlichen Gewalt passte so zu organisieren, dass sich in ihm die zu verein baren. Das Gesetz Nr. 36 des zu diesem Konzept nicht. Zwar sah Volkssouveränität ungebrochen aus- Alliierten Kontrollrats vom 10. Oktober Artikel 138 der DDR-Verfassung von 3. Dominanz der SED drücken könne – nicht gebrochen durch 1946 verlangte die Einführung einer 1949 vor, die Verwaltungsgerichte eine gerichtliche Kontrolle von Parla- Verwaltungsgerichtsbarkeit in allen beizubehalten. Sie wurden aber 1952 – Die Personalsituation in der DJV und ment oder Verwaltung, auch nicht Teilen Deutschlands. In der SBZ entgegen der Verfassung – mit der den Justizverwaltungen der Länder gebrochen durch eine föderale Struktur existierte auch bereits seit Juni 1946 das großen Struktur reform abgeschafft. und Provinzen war zunächst durch als Form einer vertikalen Gewalten- Thüringer Oberverwaltungsgericht in Dem Bürger blieben danach lediglich eine Pluralität der Parteien gekenn­ teilung. Für den Staatsaufbau der DDR Jena, das schon vor und während der verwaltungsinterne Rechtsbehelfe zeichnet. Mitglieder aller zugelassenen und damit auch für die einzelnen NS-Zeit bis 1941 bestanden hatte. In der gegen Entscheidungen der Verwaltung Parteien – der KPD, der SPD, der CDU Ebenen der staatlichen Organisation Folge sahen die Länderverfassungen in Form von Widerspruch, Beschwerde, und der LDPD – waren fast gleichge- galt vielmehr der „Grundsatz der in allen vier Besatzungszonen die Eingabe, Petition oder Untersuchungs- wichtig vertreten. Es gab auch parteilose Gewalteneinheit“. Er wurde auch als Errichtung von Verwaltungsgerichten ausschüssen. Die Möglichkeit einer Mit arbeiter. In der DJV war die KPD/ „Einheit von Volksvertretung und vor. Dies lag aber keineswegs auf der (unabhängigen) gerichtlichen Kontrolle SED anfangs in den Leitungspositionen Staatsapparat“ bezeichnet. Linie der SED, die einen Rückschritt auf von Verwaltungsentscheidungen be- nur schwach vertreten (mit Ernst Weimarer, „bürgerliche“ Verfassungs - stand nicht mehr. Melsheimer und der späteren Justiz- e) Keine Verfassungsgerichtsbarkeit zustände befürchtete. Durch Befehl ministerin ), stärker in Mit dem Argument der Gewalteneinheit Nr. 173 der SMAD vom 8. Juli 1947 g) Leichterer Zugang zu den Gerichten den Ländern/Provinzen. Der Mangel wurde begründet, dass eine Verfassungs- wurden aber die Verwaltungsgerichte Die „Volksnähe“ der Justiz sollte u.a. an juristisch qualifiziertem Personal gerichtsbarkeit abzulehnen sei: Nach in der gesamten SBZ zum 1. Oktober dadurch erreicht werden, dass der in der KPD/SED konnte nur langsam der von Karl Polak etablierten herr- 1947 eingeführt. Die SMAD legte Zugang zu den Gerichten erleichtert behoben werden. Das Fehlen von schenden Lehre durfte die parlamen- damals noch Wert auf einstimmige wurde. Das Geschehen vor Gericht Volljuristinnen und Volljuristen mit tarische Souveränität nicht durch ein Beschlüsse im Alliierten Kontrollrat. sollte verständlich sein. Der Bürger Gerichtserfahrung war auf den Aus- richter liches Prüfungsrecht einge- Die SED gab nach, erreichte aber einige sollte ohne (große) Kosten gerichtliche schluss von KPD-Mitgliedern aus dem schränkt werden. Es konnte demnach Einschränkungen: Verwaltungsgerichte Hilfe in Anspruch nehmen können. Justizdienst vor 1945 zurückzuführen, also keine Verfassungsgerichtsbarkeit sollten nur für bestimmte, im Einzelnen So wurde z.B. bereits durch Verordnung hing allerdings auch mit dem anfäng - geben. Über die Verfassungsmäßigkeit aufgeführte Gegenstände zuständig sein, der DJV vom 21. Dezember 1948 in der lich geringen Interesse der SED-Füh- der Gesetze sollte die Volkskammer sie unterstanden den Innenministerien, SBZ der Anwaltszwang in Scheidungs- rung an Justizfragen zu sammen. selbst durch ihren Verfassungsausschuss nicht den Justiz ministerien. Die Richter sachen dadurch abgeschafft, dass die Das änderte sich erst 1947/48. Auf der (Artikel 66 der DDR-Verfassung von wurden von den Volksvertretungen der Amtsgerichte und nicht mehr die 3. Tagung des SED-Ausschusses für 1949) wachen. Länder gewählt und konnten von ihnen Landgerichte (mit Anwaltszwang) für Rechtsfragen vom 3./4. Januar 1948 gab 36 37

Ernst Melsheimer (SED), stellvertreten- a) Personelle Dominanz der SED Justizverwaltung sei noch zu schwach. „bürgerlichen“ Eugen Schiffer gelang der Leiter der DJV, die Parole aus: Das justizpolitische Engagement lief in Vier Justizminister in den Ländern seien Ernst Melsheimer aber nicht durch der SED langsam an. Beim Zentral- nicht in der SED. den „Zwang der Massen“ sondern in sekretariat der SED wurden 1946 vier Ab stimmung mit der SMAD, und zwar „ Man soll beherzigen, daß es ein alter Abteilungen eingerichtet, von denen Eine besondere Rolle spielte Ernst durch einen persönlichen Affront, revolutionärer und demokratischer sich die Abteilung Justiz(fragen) unter Melsheimer (SED). Er war als Vize- indem er am 14. August 1948 per Grundsatz ist, daß man einen Staat der Leitung von Karl Polak in vier präsident der DJV der Motor, der mit Entlassungsschreiben zwei unliebsame dann umwandelt, wenn man zwei Referaten u.a. mit Fragen der Gesetz- Unterstützung der SMAD die Vorherr- Juristen, den Leiter der Abteilung V Dinge in der Hand hat: die Polizei und gebung und Justiz sowie mit Gerichts- schaft der SED in der DJV etablierte. (Gesetzgebung) Karl Guski (SPD), und die Justiz. Die Polizei hat man in der aufbau und Schulung befasste. Mit ihrer Schon auf der Tagung im Januar 1948 den Direktor Baptist Lentz (CDU) Hand, die Justiz noch nicht. Daß wir Ersten Juristenkonferenz am 1./2. März hatte Melsheimer scharfe Kritik am (Leiter der Abt. VII, Allgemeine Aufga- sie in die Hand bekommen, sollte unser 1947 wandte sich die SED rechts- und damals fast 88-jährigen Präsidenten ben, Etat), aus der DJV entfernte. Zu Ziel sein.“ justizpolitischen Fragen zu. Beim der DJV, Eugen Schiffer, geübt: dieser Zeit war Präsident Eugen Schiffer Zen tralsekretariat wurde ein recht- im Urlaub. Dieses Umgehungsmanöver politischer Ausschuss (oder Beirat) konnte der Präsident nicht hinnehmen. Dieses Programm packte man nun gegründet. Den Vorsitz hatte Karl Polak „ Nun, die Situation ist doch so, dass ein Er trat zurück. Mit SMAD-Befehl Nr. 146 gezielt an: Justizverwaltung und inne, Stellvertreter waren Reinhold Präsident bei der Zentralverwaltung vom 23. August 1948 wurde Eugen Rechtspflege mussten in die Hand der Schäfermeyer und Götz Berger. Das und der Vizepräsident sich Fäuste Schiffer dann auch förmlich entlassen. SED gebracht werden. Die bereits Zentralsekretariat sollte regelmäßig klopfend gegenüberstehen und sich Nach seiner Entfernung wurden noch geschilderte strukturelle Zentralisie- Juristenkonferenzen organisieren und gegenseitig auffordern, ihre Demission weitere acht leitende Mitarbeiter der rung des Staatsapparates wurde beglei- Arbeitsgemeinschaften von SED- einzureichen. Solche Situationen bewei­ DJV ent lassen, davon sieben Mitglieder tet von einer zunehmenden Dominanz Juristen gründen. In den Landes- und sen Kampf genug. Max Fechner hat von der SPD. Bereits am 16. Juni 1948 war der SED in der Justizverwaltung, die Provinzialleitungen der SED waren dem 88­ jährigen Greis gesprochen. Es der in der DJV führende SPD-Mann sich in personeller und struktureller Justizabteilungen oder rechtspolitische gibt eine senile Starrköpfigkeit und eine Erich Rosenthal-Pelldram (Leiter der Hinsicht zeigte: Der Anteil von SED- Ausschüsse einzurichten. eingefleischte reaktionäre Haltung, der Abteilung I, Organisation) auf Anwei- Mit gliedern in leitenden Positionen man nicht mit guten Worten, sondern sung der Rechtsabteilung der SMAD nahm zu, bis er 1953 über 90 % erreich- Auf der 3. Tagung des Ausschusses für allenfalls mit dem Zwang der Massen, ent lassen worden. Im Herbst 1948 te. Es erfolgte eine immer engere Rechtsfragen beim Zentralsekretariat mit dem politischen Zwang beikom ­ war die Vorherrschaft der SED in der Verzahnung von Staats- und Parteiappa- der SED (3./4. Januar 1948) schlug Walter men kann.“ DJV ge sichert. Auf die anderen Block- rat, im Fall der Justiz zwischen den Ulbricht (als stellvertretender Vor- parteien wurde keine Rücksicht mehr Institutionen der Justizverwaltung sitzender des Zentralsekretariats der genommen. und speziellen Abteilungen der SED. SED) eine Stärkung der Arbeit der Das Zentralsekretariat der SED beschloss Dabei war die SED mit ihrer „führen - Parteigruppen in der Justizverwaltung am 21. Juni 1948 tiefgreifende Verän­ Nachfolger Eugen Schiffers wurde aller ­ den Rolle“ den staat lichen Institutionen und in den Justizministerien vor; derungen an der Spitze der DJV. Die dings nicht Ernst Melsheimer, wie übergeordnet. der Einfluss der SED im Bereich Entfernung des anfangs nützlichen, dieser wohl erhofft hatte, sondern – mit 38 39

SMAD­Befehl Nr. 158 vom 2. Oktober Nach der Gründung der DDR am 1948 – Max Fechner, ein Nicht­Jurist, 7. Oktober 1949 gingen Aufgaben der Dr. Günter Scheele der nur über Verwaltungserfahrungen DJV auf das MdJ über. Mit Gesetz vom (1905–1982) verfügte. Fechner war neben Walter 8. Dezember 1949 wurden der Oberste Ulbricht gleichberechtigter Leiter Gerichtshof (OG, dann Oberstes Gericht) • Ab 1923 Teilnahme am Lehrer-Seminar in Berlin-Köpenick des Zentral sekretariats der SED und und die Oberste Staatsanwaltschaft der • 1925 und 1927 Staatsexamina für Volksschullehrer als solcher verantwortlich für die DDR als weitere zentrale Justizorgane • Studium der Geschichte, Staatswissenschaft, Germanistik, Philosophie Justizpolitik. errichtet. Präsident des OG wurde Kurt und Pädagogik in Berlin Schumann (1908–1989), Mitglied der NDPD. Bei ihm handelte es sich um das • Qualifikation an der Preußischen Hochschule für Leibesübungen Als Leiter der Abteilung Allgemeine zum Akademischen Turn- und Sportlehrer Verwaltung der DJV engagierte er einzige ehemalige NSDAP-Mitglied, das seinen langjährigen Vertrauten 1950 im Justizdienst tätig war – auch • 1928 Eintritt in die SPD, ab diesem Zeitpunkt schon enge politische Zusammenarbeit mit Max Fechner Günter Scheele (SED), der – wie Fechner – wenn Anton Plenikowski (Leiter der kein Jurist war, sondern aus dem ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung, • 1933 Entlassung aus dem Schuldienst Schuldienst kam. Er hatte sich als → siehe dazu Seite 50) 1952 behaup- • Ab 1937 Mitglied der NSDAP – angeblich „im Auftrag“ der (zu diesem Sportpädagoge profiliert. Damit hatten tete, dass alle ehemaligen NSDAP- Zeitpunkt verbotenen) SPD, um Interna der NSDAP herauszufinden also zwei juristisch nicht qualifizierte Mitglieder aus dem Justizdienst entfernt • 1945 Wiedereintritt in die SPD Personen Führungsposi tionen in der worden seien. Vizepräsidentin des • Ab Januar 1946 Referent von Max Fechner; in dessen Zeit Justizverwaltung erlangt. Scheele war OG wurde Hilde Benjamin. Ernst als Justizminister Leiter der allgemeinen Verwaltungsabteilung von 1937 an in der NSDAP, was ihn Melsheimer wurde Oberster Staats- • 1951 Ernennung zum Professor an der Humboldt Universität Berlin; eigentlich vom Justizdienst und der anwalt (diese Amtsbezeichnung wurde Vorlesungen zum Marxismus-Leninismus an deren Juristischer Fakultät Mitgliedschaft in der SED ausgeschlos- durch das „Gesetz über die Staatsanwalt- • Im Zusammenhang mit der Verhaftung Max Fechners sen hätte. Er konnte aber glaubhaft schaft der Deutschen Demokratischen im Juli 1953 wurde auch Scheele kurzzeitig inhaftiert machen, dass er „im illegalen Auftrag“ Republik“ vom 23. Mai 1952 geändert; • 1956–1965 Rektor an der Pädagogischen Hochschule Potsdam einer Widerstandsgruppe in die NSDAP die Rede war danach von „General- • Von 1965 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1971 Direktor der Sektion eingetreten sei. staatsanwaltschaft“ und „Generalstaats- für Marxismus-Leninismus an der PH Potsdam anwalt“). Im April 1949 wurde Helmut Brandt (CDU) neben Ernst Melsheimer 2. Vize - Ende 1948 stellte die SED bereits die präsident der DJV. Günter Scheele Hälfte des Leitungspersonals der DJV. war nun nicht mehr lediglich persön- Nach der Überleitung in das MdJ im licher Referent von Fechner, sondern Oktober 1949 blieb das Gespann rückte zum Leiter der allgemeinen Fechner- Scheele – wie schon in der Verwaltungsabteilung auf. DJV – an der Spitze des Ministeriums: Fechner als Minister und Scheele als 40 41

Leiter des Sekretariats des Ministers (ZPKK) vom 21. Oktober 1949 wurde er und Leiter der Verwaltungsabteilung. mit Beschluss des Politbüros vom Dr. Dr. Helmut Brandt Fast alle Leitungspositionen im MdJ 25. Oktober 1949 aus der SED ausge- (1911–1998) waren mit SED-Mitgliedern besetzt – schlossen, weil er die Mitgliedschaft in mit Ausnahme der Position des Staats- NS-Organisationen verschwiegen hatte • 1929 Eintritt in die DVP sekretärs, die Helmut Brandt (CDU) (in der NSDAP war er nicht). 1945 war er • Studium der Rechtswissenschaft, Politik und Volkswirtschaft, innehatte. Insgesamt arbeiteten im MdJ in die SPD eingetreten und wurde 1946 Dr. rer. pol. 1933, Dr. iur. 1936 1949 ca. 100 Personen, davon waren Mitglied der SED. Ab Mai 1946 fungierte • Tätigkeit als Rechtsanwalt und im Rüstungsministerium 61 % in der SED, 7 % in der CDU und er als Mitarbeiter im Referat Justiz des 1 % in der LDPD; 31 % waren parteilos. Zentralsekretariats der SED, 1947 wurde • Während des Krieges in amerikanischer Kriegsgefangenschaft er zunächst stellvertretender Leiter im • 1945 in Berlin Mitbegründer der CDU; nach deren Spaltung Mitgliedschaft Am 6. September 1950 wurde Staats- rechtspolitischen Ausschuss (Beirat) der in dem pro-sowjetischen Landesverband im Ostteil der Stadt sekretär Brandt verhaftet, weil er im Mai SED, Ende 1947 gleichberechtigt neben • 1949 Staatssekretär im neu gegründeten MdJ 1950 von Justizminister Max Fechner Karl Polak. Im Mai 1949 wurde er dessen • Im Mai 1950 forderte er eine Neuaufnahme der Waldheimer Prozesse und vom Vorsitzenden der DDR-CDU Nachfolger. Nach seinem Parteiaus- (→ s. dazu unten Seite 53) wegen zahlreicher Verstöße gegen rechts- Otto Nuschke eine neuerliche, schluss im Oktober 1949 floh er in den staatliche Grundsätze. rechtsstaatliche Durchführung der Westen, wo er sein Assessorexamen • September 1950 Festnahme „Waldheimer Prozesse“ (→ s. dazu nachholte, Arbeitsrichter wurde und in • Juni 1954 nach einem Geheimprozess Verurteilung wegen angeblicher Seite 53) verlangte. der SPD aktiv war. „staatsfeindlicher Arbeit“ zu zehn Jahren Zuchthaus. • 1958 Entlassung – 36 Stunden später erneute Festnahme beim Versuch, Nachfolger als Staatssekretär wurde kein Auf der 3. Tagung des ZK der SED vom nach West-Berlin zu gelangen SED-Mitglied, sondern am 18. November 27. Oktober 1950 wurde die generelle • März 1959 Verurteilung durch das Bezirksgericht Frankfurt/Oder 1950 wieder ein Mann der „Blockpartei“ Überprüfung der Parteimitglieder und (Vorsitzender Walter Ziegler) zu zehn Jahren Zuchthaus wegen angeblicher CDU: Heinrich Toeplitz. Kandidaten der SED beschlossen. Diese Spionage, Verleitung zur „Republikflucht“ sowie staatsgefährdender Maßnahme der ZPKK der SED im Früh- Propaganda und Hetze Innerhalb der SED gab es noch einige jahr 1951 hatte auch personelle Aus- • August 1964 Freikauf durch die Bundesrepublik „personelle Säuberungen“. Argwöhnisch wirkungen im MdJ. Auch NS- belastete wurden ehemalige SPD-Mitglieder Personen wurden aus dem Ministerium beobachtet, das Personal wurde aber entfernt und zum großen Teil auf auch noch einmal auf NS-Mitglied- weniger einflussreiche Stellen versetzt: schaften durchleuchtet. Ein Beispiel dafür ist Reinhold Schäfermeyer ° Wolfgang Weiß, Leiter der Abteilung (1913–1967), der nur kurz im Oktober Strafrecht und Chefredakteur der 1949 im MdJ tätig war. Auf Vorschlag der Neuen Justiz, die seit Januar 1947 von Zentralen Parteikontrollkommission der DJV, dann vom MdJ und seit 42 43

Januar 1951 gemeinsam vom MdJ, ° Hans Nathan wurde aus dem MdJ dem Obersten Gericht und dem wegen Westkontakten entfernt. Ab Dr. Heinrich Toeplitz Generalstaatsanwalt herausgegeben April 1952 fungierte er als hauptamt- (1914–1998) wurde; er schied im August 1951 licher Chefredakteur der Neuen wegen „trotzkistischer“ Westkontakte Justiz. Ab 1952 war er Professor an • 1932 –1936 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften aus. Er wurde beurlaubt und war der Humboldt Universität. • Als „Halbjude“ keine Zulassung zum Referendardienst dann als wissenschaftlicher Mit- • Jedoch 1937 Promotion arbeiter am Deutschen Institut für ° Fritz Niethammer, Leiter der Abtei- Rechtswissenschaft tätig. lung Bürgerliches Recht, wurde aus • Während des Nationalsozialismus Tätigkeit in der Wirtschaft; Zwangsverpflichtung zur Organisation Todt (Sonderorganisation dem MdJ entlassen, weil er früher des NS-Staates für kriegswichtige Bauprojekte) ° Fritz Böhme (1909 –1982), Mitglied einer Freimaurerloge angehört und der KPD/SED und Absolvent des Verwandtschaft im Westen hatte. • 1944 und 1945 Aufenthalt in Zwangsarbeitslagern in Frankreich und den Niederlanden ersten Volksrichterlehrgangs, wurde Er ging im September 1952 als Ober- von der ZPKK aus ideologischen und richter an das Bezirksgericht Potsdam. • 1947 Zweites juristisches Staatsexamen persönlichen Gründen für ungeeig- • 1949 Eintritt in die CDU net gehalten, Leiter der Hauptabtei- ° Werner Artzt gab bei seiner Ein- • 1950 Stellvertretender Generalsekretär der CDU lung Rechtsprechung im MdJ zu sein. stellung im MdJ (1952) zu, dass er • 1950 –1960 Staatssekretär im MdJ Er verblieb aber – vermutlich als 1933 für kurze Zeit SA-Anwärter war. • 1951–1989 Abgeordneter der Volkskammer der DDR Informant der sowjetischen Geheim- Er war ab 1. April 1952 Leiter der • 1953 Mitbegründer und bis 1990 Präsidiumsmitglied der Zentralleitung polizei – im MdJ. Anfang Mai 1958 Hauptabteilung I (Gesetzgebung). des Komitees der Antifaschistischen Widerstandskämpfer der DDR wurde er als Richter an das Kreis- Nach dem Amtsantritt von Hilde • 1960 –1986 Präsident des Obersten Gerichts gericht Hoyerswerda versetzt. 1958 Benjamin als Justizministerin (1953) floh er in die Bundesrepublik. wechselte er für einen kurzen Zeit- • 1962 Leitung des Schauprozesses am Obersten Gericht gegen den Fluchthelfer Harry Seidel raum zur Regierungskanzlei des Joachim Schoeps kam seiner von der Ministerpräsidenten und machte • 1962 –1985 Präsident des Verbands der Juristen der DDR ° ZPKK empfohlenen Entlassung im danach Karriere als Professor an der • 1966 –1989 Stellvertretender Vorsitzender der CDU September 1951 durch Flucht in den Deutschen Akademie für Staats- und • Ende 1989 bis 1990 Vorsitzender des zeitweiligen Ausschusses Westen zuvor. Er war vormals SPD- Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“. der Volkskammer der DDR zur „Überprüfung von Fällen des Mitglied (Beitritt im September 1945) Amtsmissbrauchs, der Korruption, der persönlichen Bereicherung und gehörte zum engeren Kreis um ° 1953 wurde aufgedeckt, dass Rudolf und anderer Handlungen“ Max Fechner, der damals schon von Pätzold, seit 1. Februar 1950 Haupt- den „richtigen“ SED-Genossen referent im MdJ (1932 KPD-Mitglied, kritisch beäugt wurde. im Mai 1946 SED, seit 1949 im Justiz- ministerium Sachsen-Anhalt), 1943 in die NSDAP eingetreten war. Dies 44 45

hatte er nach 1945 verschwiegen. frei gekauft und in die Bundesrepub- Entdeckt wurde seine NSDAP-Mit- lik entlassen; im Dezember 1972 gliedschaft nebenbei im Rahmen beging er Suizid. Dr. Hilde Benjamin von Ermittlungen wegen der Verbin- geb. Lange (1902–18. April 1989) dungen, die er zum West-Berliner Zu einer letzten personellen „Säuberung“ Untersuchungsausschuss freiheit- des MdJ kam es schließlich im Jahr 1953. • Tochter eines kaufmännischen Angestellten (evangelisch) licher Juristen aufgenommen hatte. „Opfer“ waren Justizminister Max bei den Solvay-Werken Am 23. April 1953 wurde er zu Fechner und sein persönlicher Referent • 1921–1924 Studium der Rechtswissenschaft lebens langer Haft verurteilt, die er und Leiter der allgemeinen Verwaltungs- • 1926 Heirat des Arztes Georg Benjamin (KPD) bis zum 1. September 1964 verbüßte. abteilung Günter Scheele. Der Justiz- • 1927 Eintritt in die KPD minister hatte sich nach dem Aufstand • Ab 1928 Rechtsanwältin ° Die Mitgliedschaft von Rudolf vom 17. Juni 1953 in einem Interview R einartz (Referent in der Haupt- vom 30. Juni 1953 für ein Streikrecht der • 1933 Berufsverbot abteilung II, dann Abteilungsleiter Arbeiter eingesetzt und eine restriktive • Inhaftierung ihres Ehemanns bis Ende 1933 Strafrecht des MdJ) in der NSDAP Bestrafung der am Aufstand Beteiligten im Konzentrationslager Sonnenburg von 1937 bis 1945 wurde erst 1955 gefordert. Der Ministerrat enthob am • Danach Tätigkeit als juristische Beraterin bekannt. Er war allerdings bereits am 15. Juli 1953 Max Fechner seiner Funk- der sowjetischen Handelsgesellschaft in Berlin 24./25. Oktober 1953 in den Westen tion als Justizminister. Er wurde aus der • 1936 Verurteilung ihres Mannes zu sechs Jahren Zuchthaus wegen geflüchtet, als er verdächtigt wurde, SED ausgeschlossen und am 16. Juli 1953 Vorbereitung zum Hochverrat. Er starb 1942 im Konzentrations lager für die CIA zu spionieren. Dort verhaftet. Nach fast zweijähriger Unter- Mauthausen. trat er in einer Veranstaltung des suchungshaft wurde er am 24. Mai 1955 • 1939 –1945 Dienstverpflichtung in der Konfektionsindustrie Untersuchungsausschusses- freiheit auf Betreiben des Politbüros vor dem • 1946 Eintritt in die SED licher Juristen auf. Am 4. Februar 1. Strafsenat des Obersten Gerichts unter • Tätigkeit in der DJV , zuletzt als Leiterin der Abteilung Personal und 1955 kehrte er angeblich aus freien dem Vorsitz des für seine harten Urteile Schulung Stücken in die DDR zurück, weil er bekannten Richters Walter Ziegler • 1949 –1953 Vizepräsident(in) des Obersten Gerichts im Westen nicht als politischer angeklagt und in einem Geheimprozess (in dieser Zeit fällte Benjamin zwei Todesurteile) Flüchtling anerkannt worden war zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. • 1949 –1967 Abgeordnete der Volkskammer und hoffte, sich den östlichen Über seine Ver urteilung hatte eine • 1952 Dr. iur. h.c. Humboldt Univ. Berlin Geheimdienststellen andienen zu „Justizkommission“ des ZK der SED • 1953 –1967 Justizminister(in) können. Er wurde aber inhaftiert und entschieden, noch bevor die Anklage am 22. August 1955 vom Bezirks- entworfen war. Diese Kommission • 1954 –1989 Mitglied des Zentralkomitees der SED gericht Rostock zu lebenslanger Haft bestand aus Anton Plenikowski, Hilde • 1967 Professur für Rechtsgeschichte an der Deutschen Akademie für verurteilt. Er wurde 1965 gegen den Benjamin, Ernst Melsheimer und Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in Potsdam Willen Hilde Benjamins von der Herbert Kern (Mitarbeiter im Sektor Bun desregierung aus der Haft Justiz der ZK-Abteilung „Staatliche 46 47

Verwaltung“, ab 1974 übrigens Staats- Die zunehmende personelle Dominanz KPD/SED SPD LDPD CDU Parteilos sekretär im MdJ). Max Fechner wurde der SED in den Justizverwaltungen der verurteilt wegen Ver brechens gegen SBZ und der DDR in deren ersten Jahren Ende 1945: Artikel 6 der Verfassung der DDR wird in der folgenden Abbildung DJV und Justizverwaltungen der Länder u. Provinzen ( Boykotthetze, hier die Unterstützung anschaulich gemacht. Erfasst sind alle der sogenannten „Provoka teure“ der Präsidenten und Vizepräsidenten der Arbeiterproteste vom 17. Juni 1953) in DJV sowie die persönlichen Sekretäre Verbindung mit der Kontrollratsdirek- oder Büroleiter des Präsidenten, alle tive Nummer 38 (faschistische Propa- Hauptabteilungsleiter und Abteilungs- Ende 1946: ganda) und wegen Vergehens gemäß leiter in der DJV sowie im MdJ. Nicht DJV und Justizverwaltungen der Länder §§ 175, 175a Ziffer 2 StGB ( Unzucht erfasst werden die Referenten und unter Ausnutzung eines Abhängigkeits- Instrukteure sowie die Räte in der DJV verhältnisses) sowie wegen versuchten und dem MdJ. Enthalten sind die Spitzen Verbrechens gemäß § 175a Ziffer 3 StGB der Justizverwaltung in den Ländern (Unzucht mit männlicher Person unter (oder Provinzen): Die Justiz minister oder Ende 1948: 21 Jahren). Bei einsetzendem politischem Leiter der Justizabteilungen, die Präsi- (nach der Entlassung Eugen Schiffers) DJV und Justizverwaltungen der Länder Tauwetter wurde Max Fechner am denten der Oberlandes gerichte sowie die 24. Juni 1956 aus der Haft entlassen und Generalstaatsanwälte. Diese entfallen zwei Tage später im Zuge der Entstalini- nach 1952 infolge der Aufl ösung der sierung vom Präsidenten der Republik Länder samt ihrer Oberlandesgerichte. begnadigt. Im Juni 1958 Die komplizierte Situation in Ost-Berlin Ende 1949 –1950: wurde er wieder in die SED aufgenom- in Folge der gemeinsamen Verwaltung MdJ und Justizverwaltungen der Länder men. Auch Günter Scheele wurde ver- der Stadt durch die Alliierten ist nicht haftet und seines Amtes enthoben. Nach eingearbeitet. – In den einzelnen Balken einigen Wochen in Untersuchungshaft sind die prozentualen Anteile an den wurde er im August 1953 aus der Haft Spitzenpositionen in den Justizver- entlassen. waltungen (DJV und Länder, MdJ) nach 1953: Parteizugehörigkeit markiert. Die MdJ (nach der Verhaftung Max Fechners Juli 1953 und der Auflösung der Länder 1952) Nachfolgerin von Max Fechner wurde Auswahl bezieht sich auf fünf Phasen: am 17. Juli 1953 Hilde Benjamin, die das Amt des Justizministers bis zum 14. Juli ° Ende 1945: Der Stand im Herbst 1967 bekleidete (Hilde Benjamin, die 1945 zu Beginn des Aufbaus der sich sehr für die Gleichberechtigung der Justiz verwaltungen in den Ländern/ Abb. 1: Wachsende SED-Dominanz: Prozentualer Anteil an den Spitzenpositionen Frauen engagierte, nannte sich stets Provinzen und in der DJV. in den Justizverwaltungen (DJV und Länder, MdJ) nach Parteizugehörigkeit 1945–1953 „Justizminister“, nie „Justizministerin“.) 48 49

° Ende 1946: Situation nach dem ° Ende 1949/1950: Mit der Errichtung Der 3. Parteitag der SED beschloss am Beim Zentralsekretariat der SED gab es zwangsweisen Zusammenschluss des MdJ im Oktober 1949 unter 24. Juli 1950: seit 1946 eine Abteilung Justiz(fragen) von KPD und SPD zur SED im April Leitung von Max Fechner nahm der (neben den Abteilungen für Wirtschaft, 1946. Für Ende 1946 sind noch Anteil der SED-Mitglieder in Lei- Landes­/Provinzialpolitik und Kommu­ SPD- Mitglieder ausgewiesen, die sich tungspositionen drastisch zu. „ Die Partei lenkt die Arbeit des Staats­ nalpolitik). Leiter dieser Abteilung nicht „zusammenschließen“ ließen. apparates mit Hilfe der in diesem war bis Ende Mai 1948 Karl Polak. Im Sie hatten sich im Rechtspolitischen ° 1953: Nach der Verhaftung Max Apparat tätigen Mitglieder der Partei.“ Oktober 1949 wurden die vier Abtei- Ausschuss der SPD organisiert. Im Fechners im Juli 1953 und der Über- lungen in eine Abteilung „Staatliche Ostsektor bestand die SPD nahme des Ministeramtes durch Verwaltung“ zusammengelegt. Darin noch bis zum Mauerbau 1961 fort. Hilde Benjamin waren fast nur noch Eine Auflistung der Parteimitgliedschaft gab es mehrere „Sektoren“, darunter In der Personalstatistik der DJV zum SED-Mitglieder an der Spitze des der staatlichen Akteure genügt nicht. einen „Sektor Justiz“. Leiter der neuen 21. September 1946 tauchen sie als Ministeriums. Eine Ausnahme bildete Partei und Staat mussten strukturell ZS­Abteilung „Staatliche Verwaltung“ „Gegner“ auf, d.h. als Gegner der das “systemtreue“ CDU-Mitglied gekoppelt werden. Wesentlich für wurde Anton Plenikowski, ein weiterer Einheit von KPD und SPD. Von den Heinrich Toeplitz als Staatssekretär. das Funktionieren der DDR-Justiz als Nicht­Jurist. Mit der Gründung des zu diesem Zeitpunkt insgesamt Zu diesem Zeitpunkt waren die einer „sozialistischen Justiz“ war die Zentralkomitees (ZK) im Juli 1950 92 Beschäftigten in der DJV waren Länder bereits aufgelöst worden. Die institutionelle Verzahnung der staat- wurde diese Abteilung zur ZK-Abteilung 16 in der SED, 18 zählten als „Gegner“, Justizverwaltung lief nun zentral lichen Justizorganisationen mit dem „Staatliche Verwaltung“. Leiter blieb fünf waren CDU-, drei LDPD- gesteuert über die Justizverwaltungs- Parteiapparat. bis 1954 Anton Plenikowski. Mitglieder, 50 waren parteilos. stellen des MdJ und die Bezirksge- richte nach „unten“. Deren Personal Der Aufbau institutioneller Strukturen Stellvertretender Leiter der ZK­Abteilung ° Ende 1948: Im August 1948 wurde ist hier nicht mehr berücksichtigt. konnte an die Parteimitgliedschaft Staatliche Verwaltung wurde 1950 Willi der Präsident der DJV Eugen Schiffer anknüpfen. Mitglieder der SED waren Barth (1899 –1988), ein weiterer juristisch von der SMAD entlassen, im Sommer b) Strukturelle Dominanz der SED eingebunden in Grundorganisationen nicht ausgebildeter „Parteiarbeiter“. 1948 ereilte die SPD-Mitglieder Erich Das Spezifische der DDR-Justiz – der der Partei (GO), die in jeder staatlichen Walter Ulbricht war der für diese Abtei- Rosenthal-Peldram und Karl Guski Rechtsprechung wie der Justizver- Einrichtung und auch in Betrieben lung zuständige Sekretär des Zentral- das gleiche Schicksal. Karl Kleikamp waltung – wird erst dann deutlich, existierten. Dazu gehörten auch die komitees der SED. Als Generalsekretär (SPD) war schon Ende 1946 nach wenn die organisatorische Rolle der Parteigruppen in der Justizverwaltung. des ZK und Mitglied des Politbüros West-Berlin gegangen. Neuer Leiter SED näher beleuchtet wird. Die Rolle Hier gab es Aussprachen, Schulungen konnte er in diesem Gremium unter der DJV wurde Max Fechner. CDU- staatlicher Einrichtungen in der DDR etc. In einem Beschluss des Politbüros anderem Vorgaben für die Durch- und LDPD-Mitglieder waren in lässt sich nur verstehen, wenn man den der SED vom 11. Dezember 1951 wurde führung politisch relevanter Prozesse Lei tungs positionen der DJV kaum zugeordneten, stets übergeordneten die Rolle der Parteiorganisationen beschließen lassen, von denen das noch vertreten, teilweise aber noch in Parteiapparat berücksichtigt. in der Justiz als „wirkliche Kraft im MdJ als für die Kontrolle der Gerichte den Ländern. Justizapparat“, als „Motor der Arbeit zuständiges Organ lediglich in Kennt- der Justiz“ hervorgehoben. nis gesetzt wurde. Leiter des Sektors Justiz in der ZK-Abteilung war bis zum 50 51

einen Volksrichterlehrgang und war Verfahren statt, mit dem sich das Polit- von 1962–1986 Generalstaatsanwalt büro befasste. Dem MdJ kam dabei Anton Plenikowski der DDR. allenfalls die Rolle als Informations- (1899 –1971) lieferant zu. Gemeinsam mit staatlichen Organen, • Sohn einer Arbeiterfamilie d.h. vor allem dem MdJ und dem OG, Im Verbund von staatlichen Stellen • Ab 1920 Volksschullehrer führten Mitarbeiter der ZK­Abteilung (MdJ, OG und GStA) und SED-Organi- • 1926 Eintritt in die SPD Staatliche Verwaltung sog. Brigade­ sationen, vor allem der ZK-Abteilung einsätze an einzelnen Gerichten durch, Staatliche Verwaltung wurden größere • 1927 Mitglied der KPD die deren Praxis anleiten und kon­ und bedeutsame Verfahrenskomplexe • 1928 –1937 Abgeordneter des Danziger Volkstages trollieren sollten. Einer Brigade gehörten gesteuert – dies alles unter der Oberauf- • 1937 Emigration nach Schweden. auch Mitarbeiter des MdJ, der über- sicht der SMAD, dann der Sowjetischen • 1946 Rückkehr nach Deutschland, Mitglied der SED geordneten Gerichte, der Justiz ver- Kontrollkommission (SKK, von Oktober • April–Oktober 1946 Leiter der Abteilung Landespolitik und Inneres waltungs stellen und manchmal auch 1949 bis Mai 1953). des ZS der SED Rechtswissenschaftler an. • 1950 –1954 Leiter der Abteilung Staatliche Verwaltung des ZK der SED Bei Verfahren, mit denen auch die • 1950 –1967 Abgeordneter der Volkskammer Einzelne politisch bedeutsame Verfahren strafrechtliche Entnazifizierung zu einem Ende gebracht werden sollte • 1954 –1967 Kandidat des ZK der SED wurden durch Parteistellen, selbst vom obersten Parteiorgan, dem Politbüro, (→ s. Seite 21), kam es zu einem • Ab 1954 Stellvertretender Leiter, von Mai 1956 bis November 1963 Leiter gesteuert mit Festlegungen für die gezielten Einsatz von SED-Richtern des Büros des Präsidiums des Ministerrates und Staatssekretär im Ministerrat der DDR Prozessführung und das Strafmaß. und Laienrichter. Gesteuert wurden Das Politbüro stützte sich dabei auf mitunter sogar vom Politbüro herab • 1963 –1967 Vorsitzender des Verfassungs- und Rechtsausschusses Vorschläge der oben bereits erwähnten über die ZK-Abteilung Staatliche Ver- der Volkskammer „Justizkommission“ (→ s. Seite 44). waltung die großen Strafprozesse zur • 1967 Auf eigenen Wunsch Niederlegung aller Ämter In vielen politischen Prozessen kamen „wirtschaftspolitischen Säuberung“ • 1969 Verleihung des Karl-Marx-Ordens die Vorschläge von der ZK-Abteilung und wegen „Kriegs- und Boykotthetze“. Staatliche Verwaltung, ab 1957 Abtei- lung Staats- und Rechtsfragen, und Die Waldheimer Prozesse vom Sommer deren Leiter. Walter Ulbricht gerierte 1950 können als Erprobungsfeld für August 1950 Götz Berger, dann Willy Zeitpunkt bekannt. Ab September 1953 sich dabei als oberster Gerichtsherr. eine Zusammenarbeit bei der Steuerung Kulaszewski, der allerdings im Juli 1951 war dann Josef Streit (1911–1987) Auch Gnadengesuche wurden von den von Massenprozessen durch die ZK­ entlassen wurde, weil er zwischen 1933 bis 1962 Leiter des Sektors Justiz der obersten Parteistellen behandelt (und Abteilung Staatliche Verwaltung (dafür und 1945 Staatsanwalt und auch Mit- ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung. meist abgelehnt). Diese Praxis endete verantwortlich: Paul Hentschel, Stell­ glied in der NSDAP war. Erstaunlicher- Er war gelernter Buch drucker, absol- im Grundsatz Anfang der 60er Jahre; vertreter von Plenikowski und gelernter weise wurde dies erst zu diesem späten vierte als Mitglied der SED 1946/47 lediglich im Jahr 1971 fand noch ein Steinsetzer) in Verbindung mit dem MdJ 52 53

(vertreten durch die Abteilungsleiterin feindlichen „Provokateuren“ unter- Hildegard Heinze) und Vertretern der scheiden zu können. Die neue Justiz- Volkspolizei interpretiert werden. Hilde ministerin Hilde Benjamin stand Die Waldheimer Prozesse Benjamin, damals Vizepräsidentin des dabei in direktem Kontakt mit Anton OG, war beratend tätig. Alle Richter in Plenikowski. Die „Waldheimer Prozesse“ fanden vom 21. April bis zum 29. Juni 1950 im den Waldheimer Prozessen waren Zuchthaus des sächsischen Städtchens Waldheim sowie zum Teil auch in dem Volksrichter und SED-Mitglieder. Eine Im November 1954 wurde Klaus ehemaligen Konzentrationslager Hohenstein statt. Mehrere Strafkammern solche Richterschaft ließ sich im Sinne Sorgenicht als Nachfolger von Anton des Landgerichts Chemnitz verhandelten dort gegen mehr als 3.400 Häft- der Partei instruieren. Plenikowski Leiter der ZK­Abteilung linge, die aus sowjetischen Internierungslagern „zur Untersuchung ihrer Staatliche Verwaltung (ab 1955 verbrecherischen Tätigkeit und Aburteilung durch das Gericht“ überstellt Die DDR-Medien berichteten nur über Abteilung „Staatliche Organe“, ab 1957 worden waren. Ihnen wurde vorgeworfen, Kriegs verbrechen und andere sechs der zehn Schauprozesse. Über die „Staats­ und Rechtsfragen“) und blieb schwere Verbrechen während des Nationalsozialismus begangen zu haben. anderen ca. 3.400 Prozesse, die unter dies bis zum Ende der DDR. Wiederum Ausschluss der Öffentlichkeit statt- ist die geringe juristische Qualifikation Zehn Verfahren wurden im Rathaussaal von Waldheim vor „erweiterter fanden, schwiegen die DDR-Medien – bei einem Spitzenfunktionär auffällig, Öffentlichkeit“ verhandelt. In diesen Verfahren hatten die Angeklagten abgesehen von einem Aufsatz im der für Staats- und Rechtsfragen zu- anwaltlichen Beistand. Auch wurden Dokumentenbeweise erhoben und Fachblatt „Neue Justiz“ (1950, S. 250) ständig war. Zeugen zu den Verbrechen gehört, auf die sich die Anklage stützte. Die von Hildegard Heinze, die als Haupt- übrigen ca. 3.400 Prozesse fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. abteilungsleiterin im MdJ (Bereich Die von Sorgenicht geleitete ZK-Abtei- Die Angeklagten hatten keine Möglichkeit einer substanziellen Verteidigung. Rechtsprechung) das Justizministerium lung Staatliche Verwaltung war nicht Eine eigenständige Beweiserhebung durch das Gericht fand nicht statt. bei den Waldheimer Prozessen als nur dafür zuständig, Beschlüsse des Die Verhandlungen dauerten regelmäßig lediglich 20 bis 30 Minuten. Die Instrukteurin vertreten hatte. Darin Polit büros vorzubereiten; sie war auch Regelstrafe lag zwischen 15 und 25 Jahren Zuchthaus. Es wurden 33 Todes- beschrieb sie die Hintergründe der zuständig für Fragen des Staates, des urteile verhängt, von denen am 4. November 1950 24 vollstreckt wurden. Prozesse, thematisierte allerdings weder Rechts sowie Aufbau und Arbeitsweise die Organisation der Verfahren, noch der staatlichen und der Justizorgane. Nachdem die Verfahren und die ergangenen Urteile zu weltweiten Protesten die Anleitung und Kontrolle im Hinter- Der ZK-Abteilung oblag auch die geführt hatten, wurden 1952 und in den Folgejahren zahl reiche Verurteilte grund, von dem aus sie selbst wirkte. Kontrolle, ob die Politbürobeschlüsse freigelassen oder das Strafmaß wurde reduziert. in den Gerichten und Verwaltungen Auch nach dem Aufstand vom 17. Juni umgesetzt wurden. Zudem leitete sie 1953 wurde die Justiz „von oben“, d.h. unter anderem das MdJ, die Oberste auf Veranlassung des Politbüros, durch Staatsanwaltschaft und das Oberste einen „Operativstab“ des MdJ und des Gericht an. Über dem Abteilungsleiter Generalstaatsanwalts gesteuert. Dies rangierten nur noch der für die Abtei- geschah mit dem Ziel, zwischen irre- lung zuständige ZK-Sekretär (das war geleiteten „ehrlichen Arbeitern“ und Anfang der 50er Jahre Walter Ulbricht) 54 55

und das Polit büro. Man kann die Ministerien (ähnlich verhielt es sich jewei ligen Leiter der ZK­Abteilung auch mit der Hierarchie in Richterschaft Staatliche Verwaltung daher auch als und Staatsanwaltschaft). die eigent lichen Führungs figuren der DDR­Justiz, der Rechtspflege wie der Wie schon oben ausgeführt waren alle Justizverwaltung, ansehen. Alle wich- Parteien in der SBZ mit dem Programm tigen Entscheidungen eines Ministers der Entnazifizierung und Demokrati- oder einer Ministerin waren vorher mit sierung der Justiz angetreten. Die dem zuständigen ZK-Sekretär, faktisch Entfernung von Personen mit Mit- mit dem Leiter der zuständigen ZK- gliedschaft in der NSDAP und ihren Abteilung abzustimmen. Eine isolierte Gliederungen gelang in der Justiz- Betrachtung nur des MdJs, also der verwal tung und bei den Gerichten staatlichen Seite, würde ver kennen, rasch und umfassend. Nach Wolfgang welch gewichtige und dominante Rolle Leonhard soll Walter Ulbricht, als er im der parallel organi sierte Parteiapparat Mai 1945 mit seiner KPD- „Gruppe“ aus in der SED spielte – auf dem Feld der Moskau in die SBZ kam, um dort den Justiz also die für die Justiz zuständige Aufbau voranzubringen, gesagt haben: ZK-Abteilung.

Die Verzahnung von Staats­ und Partei­ „ Es muß demokratisch aussehen, aber apparat mit Dominanz der Partei wird wir müssen alles in der Hand haben.“ auch deutlich am sogenannten Nomen­ klatursystem, das Anfang 1951 ein­ gerichtet wurde: Über höhere Positionen „Demokratisch“ sollte ja vieles nach („Nomenklaturkader“) in Staat und 1945 aussehen: der „demokratische Gesellschaft entschieden bestimmte Par­ Neuaufbau, eine demokratische Boden- teistellen entsprechend der Hierarchie. reform, der demokratische Zentralis- So befand das Politbüro (und damit das mus, eine demokratische Gesetzlichkeit, tatsächlich oberste Organ der Partei) eine antifaschistisch-demokratische über die Ernennung von Ministern und Justiz“ etc. Allerdings verfügte die KPD Staatssekretären. Das Sekretariat des anfangs überhaupt nicht über qualifi- Politbüros war zuständig für Haupt- zierte „eigene“ Leute, um die Justiz abteilungsleiter und Leiter der Personal- „in der Hand zu haben“. Im Justiz- abteilungen, später auch für Abteilungs- bereich war die KPD zunächst auf die leiter und persönliche Referenten in den Unter stützung derjenigen Parteien 56 57

ange wiesen, die die Demokratie in Regierung und Partei in Moskau. Infor- ihrem Namen trugen. Diese Parteien miert wurde sie auch vom sowjetischen Klaus Sorgenicht waren um demokratische und rechts- Geheimdienst des Innenministeriums (1923–1999) staatliche Strukturen in einem west- (NKWD). Leiter der Rechtsabteilung der lichen Staatsverständnis bemüht. Sobald SMAD war bis Anfang 1949 Oberst • Kaufmännische Lehre die SED aber die Justiz in der Hand hatte Karassew. Sein Nachfolger wurde Fjodor • 1944 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, und eine SED­Dominanz unter den D. Titow. Im November 1949, nach Mitglied des Nationalkomitees Freies Deutschland Mit arbeitern in der Justizverwaltung Gründung der DDR, wurde die SMAD • 1945 Eintritt in die KPD und in den Gerichten erreicht war, durch die Sowjetische Kontrollkom- endete die „Demokratisierung“ der mission (SKK) abgelöst. In den einzelnen • 1945–1946 Bürgermeister/Oberbürgermeister in Güstrow Justiz strukturen. Es entstand stattdessen Ländern und Provinzen der SBZ be- • 1946 –1949 Landrat im Kreis Güstrow eine zentralistische, von der SED domi­ standen eigene Rechtsabteilungen der • 1949 5-Monats-Lehrgang an der Deutschen Verwaltungsakademie nierte und instrumentalisierte Justiz. Sowjetischen Militäradministration. • 1950/1951 Hauptabteilungsleiter im Ministerium des Innern des Landes Mecklenburg Die DJV hatte zunächst kein Weisungs­ • 1951–1952 Hauptabteilungsleiter im Ministerium des Innern in Ost-Berlin III. Organisatorische Struktur der recht gegenüber den Landes­ und • 1952/1953 Hauptabteilungsleiter in der Koordinierungs- und Kontroll- Justizverwaltungen und der Provinzialverwaltungen, die ab August stelle für die Arbeit der örtlichen Organe der Staatsgewalt Berlin Justiz in der SBZ/DDR 1945 gebildet wurden, also gegenüber • 1953/54 Studium an der Parteihochschule des ZK der KPdSU in Moskau den Justizverwaltungen in den ab • 1954 –1989 Leiter der ZK-Abteilung Staatliche Organe/ Im Anhang sind Übersichten enthalten, September 1947 bestehenden fünf Staats- und Rechtsfragen die die zuvor beschriebenen Strukturen Ländern Mecklenburg­Vorpommern, • 1958 –1990 Abgeordneter der Volkskammer der DJV und des MdJ, ihren Wandel und , Sachsen­Anhalt, die personelle Besetzung der Leistungs­ Thüringen und Sachsen. Bis Februar • 1959 Abschluss eines Fernstudiums als Dipl.-Staatswissenschaftler positionen mit Angabe der Partei zuge­ 1949 bestand in Berlin eine Justizeinheit • 1963 –1990 Mitglied des Staatsrats der DDR hörigkeit und der Amtsdauer zeigen. unter der Befehlsgewalt der Alliierten • 1968 Promotion zum Dr. rer. pol. Dabei werden die Aufgaben felder Kommandantur. Für Berlin war die • 1969 Herausgeber (mit Wolfgang Weichelt) eines Kommentars deutlich und auch die wachsende DJV deshalb nicht zuständig. (In Berlin zur Verfassung der DDR Dominanz der SED in den leitenden wurden bis zur Beendigung der Justiz- Positionen. einheit auch keine Volksrichter ein- gesetzt.) In den Ländern der SBZ existierten eigene Justizministerien (mit 1. DJV 1945–1949 Ausnahme von Mecklenburg-Vor - Die DJV stand unter der Kontrolle der pommern; dort war eine Justiz abteilung Rechtsabteilung der SMAD. Die SMAD dem Ministerpräsidenten unterstellt) selbst empfing ihre Weisungen von der sowie eigene Oberlandes gerichte und 58 59

Generalstaatsanwaltschaften. Im April Der Bezeichnung der verschiedenen 1947 ordnete die SMAD an, dass die DJV Abteilungen lässt sich das Spektrum der Dr. Hildegard Damarius das leitende Organ gegenüber den Aufgaben einer zentralen Justizver­ verw. Heinze, geb. Fehlig (1910–2006) Justizministerien der Länder sei, insbe- waltung entnehmen. Im Statut der DJV sondere in Fragen der Gesetzgebung waren folgende Aufgaben angeführt: • Tochter eines Kaufmanns (Direktor der Thyssen AG Leipzig) und der Personal politik. Hier gab es aber • 1930 –1934 Studium der Rechtswissenschaft, Promotion 1938 stets Kompetenzkonflikte. Deshalb ° Kontrolle der Justizbehörden und • 1944 Verurteilung vom Volksgerichtshof zusammen mit ihrem Mann wurden seit März 1946 regelmäßig ihrer Rechtsprechung Wolfgang Heinze wegen Hoch- und Landesverrats (Todesstrafe für ihren sogenannte Länderkonferenzen der DJV Ehemann, im Januar 1945 hingerichtet; Haftstrafe für sie selbst) mit den Leitern der Abteilungen Justiz ° Beratung und Kontrolle der • Ab 1945 Mitglied der KPD der Landes- bzw. Provinzialverwaltun- Gesetzgebung der Länder gen, den Generalstaatsanwälten und den • Tätigkeit in der Arbeitsverwaltung Sachsen Oberlandesgerichtspräsidenten durch- ° Entnazifizierung und personeller • Ab 1948 Mitglied im 1. Deutschen Volksrat; geführt (bis November 1948 insgesamt Neuaufbau der Justiz Mitglied des Ausschusses für Verfassungsfragen zwölf). In ihren Wirkungsmöglichkeiten • Ab August 1948 Leitung der Abteilung Kontrolle der Gerichte und war die DJV nicht nur durch die SMAD ° Ernennung und Entlassung Staatsanwaltschaften der DJV und die Landes justizverwaltungen des Justizpersonals • Im MdJ zunächst Hauptabteilungsleiterin (Bereich Rechtsprechung) eingeschränkt, sondern auch durch die • 1950 Instrukteurin des MdJ bei den Waldheimer Prozessen Parlamente der Länder der SBZ, die im ° Neuregelung und Kontrolle • 1950 –1954 als Abgeordnete der Vereinigung der Verfolgten Herbst 1946 nach den ersten Wahlen der Ausbildung von Juristen und des Naziregimes (VVN) Mitglied der Volkskammer und dort gebildet wurden. Sie beanspruchten Justizpersonal Vorsitzende des Petitionsausschusses. Kompe tenzen insbesondere auf dem • 1950 Abordnung zur Obersten Staatsanwaltschaft; ab 1951 dort planmäßig Gebiet der Gesetzgebung. ° Zulassung der Rechtsanwälte beschäftigt und Notare • Ab September 1951 stellvertretende Generalstaatsanwältin Die DJV gliederte sich in Anlehnung an • Mai 1952 Rückkehr in die Arbeitsverwaltung die Struktur des preußischen Justiz- ° Statistik • 1959 Heirat mit Helmut Damarius; als KPD-Emigrant 1938 in der SU ministeriums in eine Zentralverwaltung inhaftiert, 1955 rehabilitiert und erst 1956 Ausreise in die DDR und sieben Abteilungen (→ „Organi­ ° Herausgabe einer juristischen gramm 1: DJV 1945–1948“, Seite 68). Zeischrift (das war ab Januar 1947 die „Neue Justiz“)

Neben der allgemeinen Verwaltung, insbes. des Haushalts, gehörte auch noch die Organisation des Strafvollzugs zu den Aufgaben der DJV. 60 61

Eine Vereinfachung der Organisations- und Kreise aufgeteilt (Gesetz über die Staat Partei struktur der DJV erfolgte zum 1. Januar Regierung der DDR vom 23. Mai 1952). 1949 (→ „Organigramm 2: DJV 1949“, Politbüro Seite 70). Die Oberlandesgerichte wurden auf­ gelöst. Etabliert wurde stattdessen eine Staatsrat ZK-Sekretariat zentralistische, hierarchische Justiz- 2. MdJ, Länderverwaltungen und struktur mit dem Obersten Gericht Ministerrat Volkskammer Gerichtsverfassung (zunächst „Oberster Gerichtshof“) an der Spitze, darunter den Bezirksgerichten MfS MdI GStA Oberstes MdJ ZK-Abteilung (HA IX) Gericht Staatl.Staatl. Das MdJ konnte bei seiner Gründung und schließlich den Kreisgerichten. Verwaltung; 1949 personell und strukturell auf die Für die Justizsteuerung waren die drei Staats- und DJV aufbauen. Mit dem Gesetz zur Über- obersten Rechtspflegeorgane, die 1949 RRechtsfragenechtsfragen leitung der Verwaltung vom 12. Oktober gegründet worden waren, verantwort- (Sektor Justiz) 1949 wurde die DJV übergeleitet in das lich: das MdJ, das Oberste Gericht MdJ . Mit Max Fechner (SED) wurde und die Oberste Staatsanwaltschaft GO GO GO GO GO der Leiter der DJV (seit August 1948) im (seit 1952 Generalstaatsanwaltschaft). Oktober 1949 Minister der Justiz. Es gab keine Verwaltungsgerichte mehr. Bezirksver -- Rat des BStA Bezirks Justizver - SED- Die neu gegründeten Bezirks- und waltung Bezirkes, gericht waltungs- Bezirksleitung Bezirkstag stellen Die Struktur des MdJ mit drei Haupt- Kreis gerichte konnten mit politisch (Stadtgericht) ( Abt. Staats- u. (bis 1963) Rechtsfragen) abteilungen, fünf Abteilungen und drei genehmem Personal besetzt werden. Hauptreferaten sah folgendermaßen Das neue Gerichtsverfassungsgesetz aus: → „Organigramm 3: Ministerium vom 2. Oktober 1952 erlaubte einen der Justiz 1949 –1953“, Seite 72. umfangreichen Personalaustausch. GO GO GO GO GO In den Bezirken bestanden bis 1963 In der DDR wurden ab November 1950 Justiz verwaltungsstellen, die dem MdJ Kreis- Rat des KStA Kreis - SED- die Justizministerien der Länder auf­ unterstellt waren. Aufgelöst wurde also dienst- Kreises, gericht Kreisleitung gelöst und in Hauptabteilungen für die föderale Struktur, die ein Element stelle Kreistag (Stadtbezirks - gericht) Justiz umgewandelt, die den Büros der der vertikalen Gewaltenteilung darstellt. Ministerpräsidenten zugeordnet waren. Das wurde als „demokratischer Zen- Nur in Thüringen bestand das Justiz- tralismus“ bezeichnet. Die Steuerung ministerium unter Ralph Liebler (LDPD) der Justiz konnte nun zentral von oben bis 1952, d.h. bis zur Auflösung der erfolgen. GO GO GO GO Länder, fort. Die DDR wurde 1952 in vierzehn Bezirke (ab 1961 auch Berlin) Abb. 2: Verflechtung von Staat/Justiz und SED 62 63

3. Strukturelle Einflussnahme Deutschlands. Die zu bewältigenden Volksrichtern eine völlig neue Art von Für den Staatsaufbau der DDR war der SED Schwierigkeiten waren enorm: Justizpersonal entstand, war die Anzahl demgegenüber die „Gewalteneinheit“ Die Rechtspflege war gegen Ende des der Justizangehörigen, die bereits maßgebend, die als „Einheit von Die SED war in allen Betrieben und Krieges zum Erliegen gekommen; während der NS-Zeit in der Justiz tätig Volksvertretung und Staatsapparat“ staatlichen Einrichtungen einschließlich viele Gerichtsgebäude waren zerstört; gewesen waren, in den westlichen verstanden wurde. Die Volkssouverä- der Gerichte mit einer sogenannten es herrschte ein akuter Mangel an Zonen hoch. nität sollte sich nicht in einer geteilten, Grundorganisation (GO) vertreten. Dies Juris tinnen und Juristen und Ver- sondern in einer einheitlichen Staats- ist in → „Abbildung 2“, Seite 61 für den waltungspersonal. Obwohl die Lage Zudem gab es einen erheblichen macht manifestieren. Folgerichtig Bereich der drei Rechtspflegeorgane der Justiz in allen Besatzungszonen Unterschied in struktureller Hinsicht: konnten die übrigen Staatsorgane, die gezeigt. Die Justizorgane waren zudem ähnlich war, unterschieden sich die Während in den westlichen Besatzungs- in vollziehend-verfügende Organe der vernetzt mit anderen staatlichen Ausgangs voraussetzungen für den zonen eine Föderalisierung der Justiz Staatsverwaltung, Gerichte und Staats- Organen. Die Direktoren der Gerichte späteren Aufbau der Justizministerien gefördert wurde, hat die DDR ab 1952 anwaltschaften eingeteilt waren, nur und die leitenden Staatsanwälte führten und der Justiz in Ost und West doch eine starke Zentralisierung forciert. delegierte Staatsaufgaben wahrnehmen. zum Beispiel regelmäßig Leiterbespre- in erheblicher Weise. Mit dem Argument der Gewalteneinheit chungen unter Teilnahme von Mitar- All dies konnte nicht ohne Folgen wurde begründet, dass es keine Ver- beitern der staatli chen Verwaltungen Dies galt bereits in institutioneller für den Aufbau der Justizverwaltungen fassungsgerichtsbarkeit zum Schutz des auf Bezirks- und Kreisebene durch, auch Hinsicht: Während mit der Gründung und der Justiz in beiden Teilen Einzelnen gegen die Staatsmacht geben unter Beteiligung des Ministeriums für der DDR am 7. Oktober 1949 die Deutschlands bleiben. Hinzu kamen könne. Auch eine Verwaltungsgerichts - Staatssicherheit und dessen Bezirks- und bereits bestehende DJV lediglich in große ideo logische Unterschiede. barkeit zur Überprüfung des Handelns Kreisstellen. Die obersten Rechtspflege- das MdJ umgewandelt werden musste, der ausführenden staatlichen Organe organe – MdJ, OG und GStA – waren verfügte das BMJ über keine ver- Tragendes Organisationsprinzip der wurde als unvereinbar mit dem Grund- von den Weisungen der ZK-Abteilung gleichbare Vorläuferbehörde, als es Bundesrepublik Deutschland war (und satz der Gewalteneinheit angesehen. abhängig. am 20. September 1949 seine Tätigkeit ist) der Grundsatz der Gewaltenteilung. Gerichte blieben zwar erforderlich, um aufnahm. Die Machtkonzentration bei nur einem Konflikte, die unter den Betroffenen Staatsorgan und die Gefahr eines daraus nicht zufriedenstellend gelöst werden IV. Schlussbetrachtung Auch in personeller Hinsicht waren die folgenden Missbrauchs sollte – aus- konnten, verbindlich zu bearbeiten. Sie Ausgangsvoraussetzungen für den gehend von den Erfahrungen der arbeiteten aber mit der entsprechenden Eine gut organisierte und funktio­ Aufbau neuer Justizverwaltungen in den NS-Zeit – verhindert werden. Gesetz- Personalauswahl und durch entspre- nierende Justiz ist für ein geregeltes und Besatzungszonen sehr unterschiedlich. mäßigkeit der Verwaltung, Unab- chende von der SED ausgehende Anlei- friedliches Zusammenleben einer Gesell­ Während in der SBZ das alte, „bürger- hängigkeit der Justiz, eine föderale tung und Kontrolle auf der Partei linie. schaft unverzichtbar. Schon kurz nach liche“ Justizpersonal als Folge einer Struktur und staatlich garantierte Ende des Zweiten Weltkrieges begann strikt durchgeführten „Entnazifizie- Grundrechte als grundlegende Prinzi- Auch der Stellenwert des Rechts unter­ daher der Wiederaufbau einer staat- rung“ beinahe vollständig ausgetauscht pien eines Rechtsstaats sollten die schied sich in den politischen Systemen lichen Justiz und Justizverwaltung worden war und gleichzeitig mit der junge Demo kratie stärken und stützen. der DDR und der Bundesrepublik in den einzelnen Besatzungszonen Ausbildung von Volksrichterinnen und Deutschland grundlegend. In der DDR 64 65

war das Prinzip der sozialistischen „Waldheimer Prozesse“ wurden teilwei- bewegte sich das MdJ stets auf der BMJ trotz erheblicher personeller Gesetzlichkeit maßgebend. Das Recht se sogar von oberster Stelle, dem Polit- Parteilinie. Demgegenüber nahm das Kontinuitäten aus der NS-Zeit gelang, wurde als ein politisches Gestaltungs- büro, gesteuert. Hiervon blieb auch die BMJ für sich eine herausgehobene maßgeblich zum Aufbau eines demo- und Leitungsinstrument in den Händen Rechtsprechung in der DDR nicht Rolle im staat lichen Gefüge als „Rechts- kratischen Rechtsstaats beizutragen. von Partei und Staat begriffen, mit unberührt. Die in der DDR-Verfassung ministerium“ und „Hüter der Verfas- Ein möglicher Erklärungsansatz hierfür dessen Hilfe die Ziele des sozialistischen vorgesehene richterliche Unabhängig- sung“ in Anspruch. Zwar war (und ist) ist, dass sich die Bundesrepublik Aufbaus durchgesetzt werden sollten. keit existierte in der Praxis kaum. Ein das Justiz ressort personell eines der Deutschland letztlich erfolgreich von Rechtsetzung vollzog sich unter Anlei- Richteramt auf Lebenszeit gab es – an- kleineren Ressorts der Bundesregierung. den Strukturen der NS-Zeit lösen tung der SED. Demgegenüber verstand ders als in der Bundesrepublik Deutsch- Die Bedeutung des Hauses war und konnte und das NS-Erbe als Ver- sich die Bundesrepublik Deutschland land – nicht. Mitarbeiter des Sektors ist jedoch groß. Dies ergibt sich nicht pflichtung zur Aufarbeitung und zum von vornherein als Rechtsstaat, in Justiz in der ZK-Abteilung übten mit nur aus seiner Zuständigkeit für viele Aufbau eines demokratischen Rechts- dem die Ausübung staatlicher Macht ihren Brigadeeinsätzen an Gerichten verschiedene Rechtsgebiete wie das staats annahm. Dies war freilich ein um fassend rechtlich gebunden und einen erheb lichen Einfluss auf die Bürgerliche Recht, das Strafrecht, das schwie riger Prozess, der mit Verzöge- überprüfbar ist. Nach Artikel 1 Absatz 3 Rechtsprechung aus; die Grundorgani- Handels- und Gesellschaftsrecht und rungen und teilweise erheblichen Grundgesetz sind Gesetzgebung, voll- sationen der Partei waren auch in allen das entsprechende Verfahrensrecht. gesellschaft lichen und politischen ziehende Gewalt und Recht sprechung staatlichen Einrichtungen einschließlich Zudem ist es an allen Gesetz- und Kontroversen ver bunden war. Mutige an die Grundrechte gebunden. der Gerichte vertreten. Zugleich sorgte Verordnungsentwürfen der Bundes- Kämpfer für Rechtsstaat und Demo- die SED für eine erhebliche Zunahme regierung beteiligt und prüft, ob die kratie wie der hessische Generalstaats- In Ost und West bildete sich zudem ein des Anteils von SED-Mitgliedern in Entwürfe der anderen Bundesminis- anwalt Fritz Bauer bekamen dies oft zu gänzlich anderes Verhältnis von Parteien Justiz und Justizverwaltung, bis schließ- terien mit dem Verfassungs-, Europa- spüren. Ähnliche Personen gab es im und Staat heraus. In der DDR durch- lich über 90 % der Mitarbeiter der und Bundesrecht zu vereinbaren sind. BMJ nicht. Obwohl die DDR bei der drang mit der SED die eine, „führende“ „führenden Partei“ angehörten. Als oberste Bundesbehörde nimmt das Gründung des MdJ viel größeren Wert Partei mit ihrer parallelen Organisation Justizressort auch Verwaltungsaufgaben auf eine personelle Erneuerung und den gesamten Staatsapparat. Durch die Das MdJ spielte im System staatlicher wahr und schafft organisatorische, die Entnazifizierung legte, blieb sie Etablierung eines Nomenklatursystems Verwaltungen eine nachgeordnete Rolle. finanzielle und personelle Voraus- am Ende dennoch in zentralistischen, (→ s. Seite 55) bestimmte die SED die Im Bereich der juristischen Ausbildung, setzungen für Bundesgerichte und ganz auf die eine Partei ausgerichteten Besetzung staatlicher Stellen. Staat der Personalpolitik an den Gerichten Bundesbehörden. Struk turen verhaftet. Ein demokra- und Partei wurden nicht gerichtlich und bei deren Kontrolle und Anleitung tischer Neubeginn konnte so nicht kontrolliert; vielmehr konnten Partei- hatte es zentrale Kompetenzen, die es Die aufgezeigten Unterschiede zwischen gelingen. Hinzu kam, dass das MdJ stellen Einfluss auf die Rechtsprechung sich aber mit anderen oberen Rechts- MdJ und BMJ verdeutlichen, dass ein auf nur wenige juristisch qualifizierte nehmen. Wegweisende Entscheidungen pflegeorganen (OG und GStA) teilen Vergleich beider Ministerien in Bezug Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden in der für Staats- und Rechts- oder ganz an sie abgeben musste. Im auf die personellen und institutionellen zurückgreifen konnte und auch keinen fragen zuständigen ZK-Abteilung Bereich der Vorbereitung der Gesetz- Kontinuitäten nur sehr bedingt möglich eigenständigen Einfluss auf die poli- getroffen. Einzelne politisch bedeut- gebung, besonders bei der „Entfaltung ist. Auf den ersten Blick überraschend tische Entwicklung der DDR hatte, same Gerichtsverfahren wie die der sozialistischen Rechtspflege“, erscheint dabei der Befund, dass es dem sondern von der SED gelenkt wurde. 66 67

Was können wir aus der Geschichte Entscheidend ist zudem, dass Rahmen­ beider Justizministerien lernen? Das bedingungen geschaffen werden, die die jeweils in einem politischen System Wieder holung von staatlichem Unrecht vorherrschende weltanschauliche zumindest erschweren, wenn nicht Vorverständnis beeinflusst immer auch unmöglich machen. Juristinnen und das Rechtssystem. Juristinnen und Juristen, die sich für Rechtsstaat und Juristen können sich dem berufsbedingt Demokratie einsetzen, sind ebenso nur schwer entziehen, sind sie doch wichtig wie die rechtsstaatlichen die Expertinnen und Experten für Strukturen selbst, auf die sich unsere Recht setzung, Rechtsanwendung und demokratische Gesellschaft gründet. Rechtsprechung. Von Berufs wegen erfüllen sie damit eine wichtige Funk- tion innerhalb des jeweiligen Systems. Sie tragen dazu bei, dass der Staat funktioniert und stützen das politische System. Hieraus ergibt sich eine große Verantwortung. Von großer Bedeu- tung ist vor diesem Hintergrund die Bereitschaft jeder Juristin und jedes Juristen, sich mit der Geschichte der Systemwechsel im Deutschland des 20. Jahrhunderts und ihrer Rolle in den jeweiligen politischen Systemen auseinanderzusetzen. Angesichts der zahlreichen Wechsel der politischen Systeme in Deutschland im letzten Jahrhundert und dem damit verbun- denen Wertewandel müssen sich Juristinnen und Juristen mit guten Gründen von zwei Extrempositionen distanzieren: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ und „Recht ist, was die jeweils Herrschenden für Recht halten.“ 68 69

Anhang

Organigramm 1: DJV 1945–1948

Präsident Dr. Eugen Schiffer 1. Stellverteter (LDPD) 2. Stellvertreter Paul Bertz Karl Kleikamp (KPD) (SPD) –3/46 –12/46 Dr. Ernst Melsheimer (KPD/SED) ab 3/46

Persl. Referenten Leiter Zentralbüro Dr. Erich Glüse Wilhelm Eickhoff (KPD) (LDPD) Otto Türksch –12/46 (KPD)

Abt. I Abt. II Abt. III Abt. IV Abt. V Abt. VI Abt. VII Organisation Personalwesen Gerichte Staatsanwaltschaft, Gesetzgebung, Ausbildung, Allgemeines, Rechtsanwaltschaft, Presse Prüfungswesen Haushalts-, Erich Rosenthal- Dr. Paul Winkelmann Dr. Fritz Corsing Notariate u.a. Bauwesen Pelldram (parteilos) (SPD) Dr. Ernst Melsheimer Dr. Erich Wende (SPD) (KPD/SED) –8/46 –7/46 Emil Kuenzer (parteilos) Baptist Lentz –6/48 –3/46 Hilde Benjamin Dr. Otto Hartwig (LDPD) –12/46 (CDU) Dr. Paul Winkelmann (SED) (CDU) –9/46 Dr. Paul Winkelmann Otto Hartwig –8/48 (parteilos) (parteilos) ab 8/46 8/46–2/47 Dr. Werner Gentz (CDU) 8/48–1/49 8/46–5/47 Fritz Löwenthal (SED) ab 2/47 (SED) 2/47–12/48 Dr. Karl Guski 2–5/47 (SPD) 6/47–8/48 Dr. Paul Winkelmann (parteilos) Hans Nathan 6/47–3/48 (SED) Abt. IV A ab 8/48 Dr. Hildegard Heinze Strafvollzug (SED) ab 8/48 ab 10/45 70 71

Organigramm 2: DJV 1949

Präsident Max Fechner 1. Vizepräsident (SED) 2. Vizepräsident Dr. Ernst Melsheimer Dr. Dr. Helmut Brandt (SED) (SED)

Abt. Allgemeine Verwaltung Günter Scheele (SED)

Hauptabt. I Hauptabt. II Hauptabt. III Personal, Schulung Statistik, Kontrolle, Strafvollzug Gesetzgebung, Presse u.a. Hilde Benjamin Dr. Hildegard Heinze Dr. Hans Nathan (SED) (SED) (SED)

Abt. 1 Abt. 3 Abt. 5 Personal Statistik, Kontrolle Zivilrecht, öffentliches Recht Hilde Benjamin Dr. Hildegard Heinze Dr. Hans Nathan (SED) (SED) (SED)

Abt. 2 Abt. 4 Abt. 6 Schulung Strafvollzug Strafrecht, Zeitschrift etc. Otto Hartwig Dr. Werner Gentz Wolfgang Weiß (CDU) (SED) (SED) 72 73

Organigramm 3: Ministerium der Justiz 1949 –1953

Minister Max Fechner (SED) Staatsekretär –15.7.1953 (persl. Referent, Dr. Dr. Helmut Brandt Lt. der Verwaltungabt. Günter Scheele –7/53) (CDU) –6.9.1950 Dr. Heinrich Toeplitz (CDU) –4/60

Hauptabt. I Hauptabt. II Hauptabt. III Recht/Gesetzgebung Rechtsprechung, Revision, Statistik Strafvollzug, Anstaltsverwaltung

Dr. Hans Nathan Dr. Hildegard Heinze Dr. Werner Gentz (SED) (SED) (SED) –3/52 –1/51 aufgelöst 6/52 Werner Artzt Fritz Böhme (SED) (SED) –9/53 –1958

Abt. 1 Abt. 2 Abt. 3 Abt. Bürgerl. Recht, Zivilprozess- Personal Schulung, Prüfungsamt Allgemeine Verwaltung recht, öffentliches Recht Hilde Benjamin Dr. Otto Hartwig Kurt Pauli Dr. Fritz Niethammer (SED) (CDU) (CDU) (SED) –9/50 –12/49 –7/52 –52 Franz Genrich Hans Joachim Schoeps (SED) (SED) –2/52 –9/51 Helmuth Klühsendorf Max Weigel Abt. Strafrecht, Strafverfahren, (SED) (SED) Zeitschrift –12/53 –8/52 Gerda Grube Wolfgang Weiß (SED) (SED) –8/51 74 75

Chronik

9. Juni 1945 Gründung der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland 29. September 1945 SMAD-Befehl Nr. 79: Aufhebung von NS-Gesetzen (SMAD) unter Leitung von Marschall Schukow. Zuständig für Justiz Oktober 1945 Einführung der Huckepack-Regelung in der Britischen Zone ist die Abteilung für innere Angelegenheiten und Rechtsabteilung (bis 26. Juni 1946): für jeden belasteten NS-Juristen muss ein (ab Juli); deren Leiter: J.A. Karassjow (Karassew, KapaceB) (bis 6/49). unbelasteter eingestellt werden. 11. Juni 1945 Gründungsaufruf der KPD. Es folgen am 15. Juni: SPD, 20. Oktober 1945 Proklamation Nr. 3 des Alliierten Kontrollrats: Grundsätze 26. Juni: CDU, 5. Juli: LDPD. für die Umgestaltung der Rechtspflege: „eine Rechtspflege, 14. Juli 1945 Bildung des „antifaschistisch-demokratischen Blocks“ die sich auf die Errungenschaften der Demokratie, Zivilisation aus den vier gegründeten Parteien und Gerechtigkeit stützt.“ (u.a. Aufhebung von NS-Gerichten, strafprozessuale Garantien, Unabhängigkeit der Rechtspflege) 27. Juli 1945 Befehl Nr. 17 der SMAD: Bildung von elf deutschen Zentralverwal- tungen, darunter der Deutschen Zentralverwaltung für Justiz (DJV) 22. Oktober 1945 SMAD-Befehl Nr. 110: Ländern und Provinzen in der SBZ wird Im Juli 45 entstehen Justizabteilungen innerhalb der Landes- und die Kompetenz zum Erlass und Gesetzen und Verordnungen Provinzialverwaltungen. eingeräumt. Es kommt zu Konflikten mit der DJV, die auch diese Kompetenzen beansprucht. 1. August 1945 Eugen Schiffer von der SMAD zum Präsidenten der DJV berufen. 30. Oktober 1945 Gesetz Nr. 4 des Alliierten Kontrollrats: Entnazifizierung der Justiz 2. August 1945 Potsdamer Abkommen der alliierten Siegermächte Großbritannien, (in Kraft zum 30. November 1945) Sowjetunion und USA über die Organisation der drei Siegermächte, Entmilitarisierung Deutschlands, Vernichtung von NS-Organisa- Oktober 1945 Einrichtung eines Ausschusses für juristische Fragen tionen, Reparationen, politische und geografische Umgestaltung beim Zentralsekretariat der KPD Deutschlands, Umgang mit Kriegsverbrechern, Reorganisation des 17. Dezember 1945 Anweisung der SMAD zur Durchführung von sechsmonatigen Gerichtswesens, Organisation der Wirtschaft, Friedensverträge und Lehrgängen für Volksrichter ab 1. Februar 1946 Organisation der Vereinten Nationen, „Überführung“ deutscher Bevölkerungsteile etc. 12. Januar 1946 Direktive Nr. 24 des Kontrollrates: Entfernung von National - sozialisten etc. (mit Listen von zu entlassenden Positionsträgern); 4. September 1945 SMAD-Befehl Nr. 49: Reorganisation der Justiz (Zustand wie Einrichtung von Spruchkammern vor 1. Januar 1933); Entfernung von NSDAP-Mitgliedern und Teilnehmern an der Strafpolitik des NS aus dem Justizdienst 1. Februar 1946 Beginn des ersten Volksrichterlehrgangs (Dauer: 6 Monate); (Dieser Befehl nimmt das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 30. Oktober der zweite Lehrgang wird dann auf 8 Monate verlängert. 1945 vorweg, das aber eine Entfernung nur vorsieht, wenn sie sich 5. März 1946 Gesetz Nr. 104 des Länderrats des amerikanischen Besatzungs - „aktiv“ für die Tätigkeit der NSDAP einsetzten.) gebietes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus 17. September 1945 SMAD-Befehl Nr. 66: Aufhebung von NS-Gesetzen (mit Positionslisten); wird im Laufe des Jahrs 1946 auf das gesamte Besatzungsgebiet übertragen. 20. September 1945 Erlass des Präsidenten der DJV: Alle Justizangehörigen haben sich einer Überprüfung zu unterziehen gemäß SMAD-Befehl Nr. 49; 11. März 1946 Konferenz der DJV mit OLG-Präsidenten und Leitern der Landes - auch Mitglieder der NSDAP-Gliederungen sind zu entlassen justizverwaltungen (Es folgen insgesamt zwölf Konferenzen dieser (Thüringen legt den Befehl dahingehend aus, dass er sich nur auf Art bis 1948.) SA und SS beziehe). März 1946 Karl Polak Leiter der Abteilung Justiz(fragen) der KPD; 25. September 1945 Beschluss der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern: Stellvertreter Reinhold Schäfermeyer Richter und Staatsanwälte, die im Nationalsozialismus tätig waren, Ernst Melsheimer Erster Vizepräsident der DJV werden nicht in den Justizdienst aufgenommen. 76 77

21./22. April 1946 Auf Druck der SMAD: 20.–24. September 1947 2. Parteitag der SED; dabei auch Ausführungen Ulbrichts Vereinigung von KPD und SPD zur SED in der SBZ zur Justizpolitik (z.B. keine Unabsetzbarkeit der Richter) 3./4. August 1946 Juristenkonferenz der SED 3./4. Januar 1948 3. Tagung des SED-Ausschusses für Rechtsfragen (mit Beiträgen u.a. von Fechner, Schäfermeyer, , Ulbricht, Melsheimer): 10. Oktober 1946 Gesetz Nr. 36 des Kontrollrats: Vorbereitung der Behandlung von Justizfragen auf der Partei- Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorstandssitzung am 14./15. Januar 1948 (weitere Themen: 12. Oktober 1946 Direktive Nr. 38 des Kontrollrates: Verhaftung und Bestrafung „ Demokratisierung der Justiz“, zu SMAD-Befehl Nr. 201 von Kriegsverbrechern, Nationalsozialisten, Militaristen vom 16.8.47, Wirtschaftsstrafrecht) Oktober 1946 Wahlen in den Ländern, Provinzen; die gewählten Parlamente 14./15. Januar 1948 Parteivorstandssitzung der SED zu Justizfragen; geben sich eigene Verfassungen (20. Dezember 1946 Thüringen – Fechner zur „Demokratisierung der Justiz“ 28. Februar 1947 Sachsen). 26. Februar 1948 SMAD-Befehl Nr. 35: 14. November 1946 Entwurf der SED für eine Verfassung Auflösung der Entnazifizierungskommissionen in der SBZ der Deutschen Demokratischen Republik 12. April 1948 Karl Polak wird von seinen Verpflichtungen als Leiter der SED- 27. November 1946 SMAD-Befehl Nr. 332: Stärkung der Kompetenzen Abteilung Justiz(fragen) entbunden (Nachfolger: Schäfermeyer). der Landtage und der von ihnen gebildeten Regierungen 25. Mai 1948 Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NDPD) gegenüber den Zentralverwaltungen 21. Juni 1948 Zentralsekretariat der SED beschließt tiefgreifende Veränderungen 1./2. März 1947 1. Juristenkonferenz der SED: an der Spitze der DJV. „Grundsätze zur Erneuerung der Justiz“ 23. August 1948 SMAD-Befehl Nr. 146: 13. März 1947 Rechtspolitischer Ausschuss beim ZS der SED gegründet; Entlassung von Eugen Schiffer als Leiter der DJV Leiter Karl Polak 13. September 1948 Beschluss des ZS der SED: Fechner soll Leiter der DJV werden, April 1947 Anordnung der SMAD: Die DJV ist das leitende Organ Scheele sein persönlicher Mitarbeiter. gegenüber den Justizministerien der Länder, insbes. in Fragen der Gesetzgebung und der Personalpolitik. 21. September 1948 Anordnung der Rechtsabteilung der SMAD, Verfügung von Melsheimer am 22. September: 7. Juni 1947 SED-Justizkonferenz in Schwerin; Vortrag Fechner: Justiz wird Entlassung der noch verbliebenen acht SPD-Mitglieder stärker in den Mittelpunkt der Arbeit des ZS der SED gestellt. aus der DJV (SPD-Mitglieder sind nur noch im gehobenen, 21./22. Juni 1947 SED-Ausschuss für Rechtsfragen: zur Verwaltungsgerichtsbarkeit mittleren und einfachen Justizdienst beschäftigt.) (Enumeration oder Generalklausel, d.h. Aufzählung einzelner 2. Oktober 1948 SMAD-Befehl Nr. 158: Zuständigkeiten oder allgemeine Zuständigkeit) und anderen Max Fechner Leiter der DJV zum 3. Oktober Gesetzgebungsvorhaben; Vorrang des ZS der SED vor der DJV 22. November 1948 Rundverfügung der DJV zum Berichtswesen in Strafsachen 24. Juni 1947 Zentralsekretariat der SED spricht sich für Enumerationsprinzip in der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus. 21. Dezember 1948 Verordnung der DJV über die Übertragung familienrechtlicher Streitigkeiten in die Zuständigkeit der Amtsgerichte 8. Juli 1947 Befehl Nr. 173 der SMAD: (d.h. ohne Anwaltszwang) Einführung von Verwaltungsgerichten in der gesamten SBZ; Entwürfe sollen den Landtagen vorgelegt werden. 19. März 1949 Der Deutsche Volksrat stimmt dem Verfassungsentwurf zu, der am 30. Mai 1949 durch den Deutschen Volkskongreß 23. August 1947 SMAD-Befehl Nr. 204: Nichtzulassung ehemaliger Mitglieder verabschiedet wird. der Nazipartei oder ihrer Gliederungen zur Tätigkeit als Richter oder Staatsanwalt; gilt auch für Assessoren, wenn sie z.B. der Hitler- jugend angehörten. 78 79

11. April 1949 Helmut Brandt (CDU) wird 2. Vizepräsident der DJV. 11. Dezember 1951 Beschluss des Politbüros der SED: (SED wollte eigentlich Hilde Benjamin auf diesem Posten.) „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Justiz“, auch zur Rolle der Parteiorganisationen in der Justiz: Juli 1949 Neuer Leiter der SMAD-Rechtsabteilung: F.D. Titow 1. Verbesserung der Parteiarbeit, 2. Maßnahmen zur Hebung 7. Oktober 1949 Gründung der DDR: konstituierende Sitzung der Volkskammer, des ideologischen Niveaus der Mitarbeiter der Justiz, 3. Maßnahmen Verabschiedung des Gesetzes über die Verfassung der Deutschen zur Verbesserung der kaderpolitischen Zusammensetzung Demokratischen Republik (in Kraft am 8. Oktober) des Justizapparates, 4. Verbesserung der operativen Arbeit, 5. Gesetzgebung 10. Oktober 1949 Auflösung der SMAD 23. Mai 1952 Gesetz über die Staatsanwaltschaft der DDR; Gesetz über die 12. Oktober 1949 Gesetz zur Überleitung der Verwaltung: auch Überleitung Regierung der DDR: Auflösung der Länder, der Oberlandesgerichte; der DJV in das Ministerium der Justiz; Minister: Max Fechner Abschaffung der Verwaltungsgerichte 14. Oktober 1949 Helmut Brandt (CDU) wird zum Staatssekretär im MdJ ernannt. 9.–12. Juli 1952 2. Parteikonferenz der SED beschließt die planmäßige Errichtung 5. November 1949 An die Stelle der SMAD tritt die Sowjetische Kontrollkommission der Grundlagen des Sozialismus. (SKK) bis Juni 1953 (danach Hoher Kommissar der UdSSR); 23. Juli 1952 Gesetz zur Bildung von Bezirken und Kreisen und darin: Abteilung für Verwaltungsfragen mit Unterabteilung Justiz Gerichten darin – dazu auch Verordnung über die Neugliederung (Leiter Titow). der Gerichte vom 28. August 1952 8. Dezember 1949 Gesetz über die Errichtung des Obersten Gerichtshofes und 2. Oktober 1952 Neues Gerichtsverfassungsgesetz und neue Strafprozessordnung der Obersten Staatsanwaltschaft 30. Juni 1953 Nach dem 17. Juni: Interview Fechners im Neuen Deutschland 8. Februar 1950 Wahl der Richter des Obersten Gerichts zu Streikrecht von Arbeitern 21. April –29. Juni 1950 Waldheimer Prozesse, 14. Juli 1953 Verhaftung von Max Fechner wegen seiner Äußerungen 3308 Angeklagte wurden von Volksrichtern in rechtsstaatswidriger zum 17. Juni, U-Haft bis 24. Mai 1955; Weise verurteilt. Nach dem Abschluss-Bericht der ZK-Abteilung Prozess vor dem OG: acht Jahre Zuchthaus; Staatliche Verwaltung erhielten eine Freiheitsstrafe bis 5 Jahre: 24. Juni 1956 entlassen, begnadigt 14 Personen; 5–10 Jahre: 371; 10–15 Jahre: 916; 15–25 Jahre: 1829; (Am 16. Juli wird auch Scheele verhaftet, 7. August 1953 entlassen.) lebenslänglich: 146. 32 Personen wurden zum Tode verurteilt, von denen 24 hingerichtet wurden. 17. Juli 1953 Hilde Benjamin Minister(in) der Justiz 20.–24. Juli 1950 3. Parteikonferenz der SED: Bildung des ZK, Wahl des Politbüros, 29. August 1953 Beratung der zentralen Justizorgane mit der ZK-Abteilung der Mitglieder des Sekretariats des ZK, Ulbricht zum „Staatliche Verwaltung“ Generalsekretär des ZK; Bildung von ZK-Abteilungen November 1954 Klaus Sorgenicht Leiter der ZK-Abteilung Staatliche Verwaltung 6. September 1950 Verhaftung von Staatssekretär Helmut Brandt (mit anschließender (ab 1955 Abteilung Staatliche Organe, ab 1957 Abteilung Staats- Verurteilung durch das Oberste Gericht im Juni 1954 wegen und Rechtsfragen) angeblicher „staatsfeindlicher Arbeit“ zu zehn Jahren Zuchthaus) Nachfolger: Heinrich Toeplitz (18. November 1950) 15. Oktober 1950 Wahlen zur Volkskammer der DDR und zu den Landtagen, Kreistagen und Gemeindevertretungen November 1950 Beginn der Auflösung der Justizministerien der Länder in der DDR; Umwandlung in Hauptabteilungen der Justiz, die den Büros des Ministerpräsidenten zugeordnet sind. 80 81

Abkürzungsverzeichnis

BDM Bund Deutscher Mädel OLG Oberlandesgericht BMJ Bundesministerium der Justiz RMJ Reichsministerium der Justiz BStA Bezirksstaatsanwalt SA Sturmabteilung CDU Christlich Demokratische Union (Deutschlands) SBZ Sowjetische Besatzungszone DDP Deutsche Demokratische Partei SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands DDR Deutsche Demokratische Republik SKK Sowjetische Kontrollkommission DJV Deutsche Justizverwaltung, kurz für: Deutsche Zentralverwaltung für Justiz SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland (mit SMA in einzelnen Ländern und Provinzen der SBZ) FDP Freie Demokratische Partei (Deutschlands) SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands GO Grundorganisation (der SED) SS Schutzstaffel GStA, der Generalstaatsanwalt SU Sowjetunion GStA, die Generalstaatsanwaltschaft USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands HA Hauptabteilung VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes HJ Hitlerjugend ZK Zentralkomitee KgU Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit ZPKK Zentrale Parteikontrollkommission KPD Kommunistische Partei Deutschlands ZS Zentralsekretariat KStA Kreisstaatsanwalt LDPD Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Lt. Leiter MdI Ministerium des Innern MdJ Ministerium der Justiz MfS Ministerium für Staatssicherheit MWD Ministerstwo wnutrennich del, Ministerium für innere Angelegenheiten (Мвд = Министерство внутренних дел) NDPD National-Demokratische Partei Deutschlands NKWD N arodnyj kommissariat wnutrennich del, Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, Innen ministerium der Sowjetunion – 1946, dann MWD (НКВД = Народный комиссариат внутренних дел) NS- Nationalsozialismus, nationalsozialistisch NSD- Nationalsozialistische(r) Deutsche(r) … NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSRB Nationalso zialistischer Rechtswahrerbund OG Oberstes Gericht 82 83

Literatur

Amos, Heike: Justizverwaltung in der SBZ/DDR. Personalpolitik 1945 bis Anfang der 50er Jahre, Köln 1996 Beckert, Rudi: Die erste und letzte Instanz. Schau- und Geheimprozesse vor dem Obersten Gericht der DDR, Goldbach 1995 Beckert, Rudi: Lieber Genosse Max, Berlin 2003 [zu Max Fechner] Benjamin, Hilde (Leiterin eines Autorenkollektivs): Zur Geschichte der Rechtspflege der DDR 1945–1949, Berlin 1976; 1949–1961, Berlin 1980 Fechner, Max (Hg.): Beiträge zur Demokratisierung der Justiz, Berlin 1948 Feth, Andrea: Hilde Benjamin – eine Biographie, Berlin 1997 Görtemaker, Manfred/Christoph Safferling: Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, München 2016 Heymann, Britta: Ernst Melsheimer (1897–1960). Eine juristische Karriere in verschiedenen staatlichen Systemen, Frankfurt a. M. 2007 Howe, Marcus: Karl Polak. Parteijurist unter Ulbricht, Frankfurt a. M. 2002 Polak, Karl: Justizerneuerung. Wege zu einer demokratischen Justiz, Berlin 1948 [Referate aus dem Jahr 1947] Rößler, Ruth-Kristin: Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945–1948, Goldbach 1994 Rottleuthner, Hubert (Hg.): Steuerung der Justiz in der DDR, Köln 1994 Weber, Petra: Justiz und Diktatur. Justizverwaltung und politische Strafjustiz, München 2000 Wentker, Hermann: Justiz in der SBZ/DDR 1945–1953. Transformation und Rolle ihrer zentralen Institutionen, München 2001 Wentker, Hermann: Ein deutsch-deutsches Schicksal. Der CDU-Politiker Helmut Brandt zwischen Anpassung und Widerstand, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 49 (2001), S.465–506 Werkentin, Falco: Politische Justiz in der Ära Ulbricht, 2. Aufl. Berlin 1997 84 85

Bildnachweise

Titel: Landesdenkmalamt Berlin, Wolfgang Bittner Seite 4: Christine Lambrecht, 2019 (Thomas Köhler/photothek.net) Seite 7: Univ.Prof. (emer.) Dr. phil. Hubert Rottleuthner, 2020 (privat) Seite 17: Eugen Schiffer, 1950 (SLUB/Fritz Eschen/Deutsche Fotothek – df_e_0054468) Seite 23: Kurt Schumann, 7.12.1949 (Walter Heilig/Bundesarchiv – Bild 183-S90730) Seite 24: Ernst Melsheimer 15.12.1950 – als Ankläger im Solvay-Prozess vor dem Obersten Gericht (Walter Heilig/Bundesarchiv – Bild 183-08949-0005) Seite 27: Karl Polak, um 1950 (Universitätsarchiv Leipzig N00408) Seite 31: Max Fechner, 28.7.1952 – an seinem 60. Geburtstag (Hans-GünterQuaschinsky/Bundesarchiv – Bild 183-15630-0026) Seite 38: Dr. Günter Scheele, 1950 (HUB-UA) Seite 40: Dr. Dr. Helmut Brandt, o.J. (Gedenkstätte Hohenschönhausen) Seite 42: Dr. Heinrich Toeplitz, 4.10.1960 (Horst Sturm/Bundesarchiv – Bild 183-76791-0013) Seite 45: Hilde Benjamin, 13.7.1946 (SLUB/Abraham Pisarek/Deutsche Fotothek – df_pk_0000213_012) Seite 50: Anton Plenikowski, o.J. (Bundesarchiv, BildY 10 - 978/80) Seite 54: Neue Justiz 1950, S. 250 Seite 56: Klaus Sorgenicht, 1.1.1977 (ullstein bild Dtl./gettyimages.de) Seite 58: Hildegard Damarius, verw. Heinze, 1950 (Schaaf/Bundesarchiv – Bild 183-V06172) 86

Impressum

Diese Druckschrift wird vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit herausge- geben. Sie ist kostenlos erhältlich und nicht zum Verkauf bestimmt.

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Gestaltung: neues handeln AG

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Druck: Druck- und Verlagshaus Zarbock GmbH & Co. KG Sontraer Straße 6 60386 Frankfurt a. M.

Stand: Mai 2021

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