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EGOLI TOSSELL FILM Verhoeven-Film „Black Book“*: „Es geht mir um die moralischen Grauzonen“

SPIEGEL-GESPRÄCH „Sex wird total überschätzt“ Der niederländische Skandalregisseur , 68, über den Blick zwischen Sharon Stones Beine in „“, seine Rückkehr von Hollywood nach Europa und sein neues Weltkriegsdrama „Black Book“

SPIEGEL: Herr Verhoeven, nach über 20 holländischen Widerstands widersprachen. rungen an diese Zeit für „Black Book“ Jahren Arbeit in Hollywood haben Sie nun Seitdem hatten mein langjähriger Autor nutzen? erstmals wieder in den Niederlanden ge- und ich den Wunsch, Verhoeven: An die Atmosphäre damals in dreht – Ihren neuen Film über den Zweiten einen Film über diese moralischen Grau- Den Haag kann ich mich jedenfalls noch Weltkrieg, „Black Book“. Warum sind Sie zonen zu drehen. Es gab in Holland eine sehr genau erinnern. Bei uns um die Ecke in Ihre Heimat zurückgekehrt? Menge Kollaborateure. brannten Häuser, ein alliiertes Flugzeug ist Verhoeven: Weil mich der Stoff schon seit SPIEGEL: Sie waren bei Kriegsende sie- ganz in der Nähe meines Elternhauses ab- den frühen achtziger Jahren beschäftigt ben Jahre alt. Konnten Sie Ihre Erinne- geschossen worden, und Menschen star- und mir seither keine Ruhe gelassen hat. ben auf der Straße. Solche Bilder habe ich Und da die Geschichte in Holland spielt, in allen Details immer wieder in meinen wollte ich auch dort drehen. Filmen gezeigt. SPIEGEL: Sie erzählen in „Black Book“ von SPIEGEL: Als eine Art Selbsttherapie? einer jüdischen Sängerin, die sich dem Verhoeven: Nennen Sie es, wie Sie wollen. holländischen Widerstand anschließt und Ich war nicht wirklich ein Opfer, denn ich unter falschem Namen mit der Führungs- habe überlebt und meine Familie auch. clique der deutschen Besatzungsmacht ver- Aber der Zweite Weltkrieg fasziniert mich kehrt. Ein deutscher Offizier, den Sebas- bis heute. Ich besitze mehr als 600 Bücher tian Koch spielt, verliebt sich in sie. Doch über diese Zeit. in der Widerstandsgruppe gibt es offenbar SPIEGEL: Sind darunter auch Romane von einen Verräter. Eine Fiktion? Günter Grass? Verhoeven: Als ich für meinen Film „Der Verhoeven: Ich hänge mit deutscher Lite- Soldat von Oranien“ 1977 über die Zeit ratur ein bisschen hinterher. Vor kurzem der Okkupation meiner Heimat durch die habe ich erst mit dem „Zauberberg“ von Nazis recherchierte, stieß ich auf viele Ge- Thomas Mann angefangen. Die „Blech- schichten, die dem heldenhaften Bild des trommel“ habe ich allerdings vor vielen Jahren gelesen. SPIEGEL: Können Sie verstehen, warum * Mit Sebastian Koch, Carice van Houten. Das Gespräch führten die Redakteure Lars-Olav Beier Darstellerin Stone in „Basic Instinct“ (1992) Grass erst jetzt offenbart hat, dass er in und Martin Wolf. „Provokation ist kein Selbstzweck“ der Waffen-SS war?

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Verhoeven: Wenn ich die Diskussion richtig letztlich will ich Grenzen überschreiten, gen, welche enorme Kraft die Vagina einer verfolgt habe, weiß Grass das selbst nicht weiter gehen als die Regisseure vor mir. Frau geben kann. Es geht nicht darum, Ge- genau. Vielleicht kann man seine Situation Provokation ist für mich kein Selbstzweck. schlechtsorgane zu zeigen. vergleichen mit der eines Mannes, der sei- SPIEGEL: Wirklich? In „“ von 1980 SPIEGEL: Nein? In Ihrem neuen Film „Black ne Frau betrügt: Eigentlich will er seine setzen Sie in allen Details die Vergewalti- Book“ zeigen Sie, wie Ihre Heldin sich die Missetat gleich gestehen, aber dann ist er gung eines Mannes ins Bild und zeigen so- Schamhaare rasiert. Sind Sie nicht doch zu feige und geht weiter fremd. Und ir- gar einen erigierten Penis … ein Erotomane? gendwann ist es einfach zu spät für Ge- Verhoeven: … aber der Penis ist doch die Verhoeven: Im Gegenteil, ich finde, Sex ständnisse. Waffe des Vergewaltigers, das Mittel seiner wird total überschätzt! Für mich ist er so SPIEGEL: Das Verhältnis zwischen Deut- Aggression! Auf jedem zweiten Filmplakat normal wie eine Tasse Kaffee. In den sieb- schen und Niederländern ist auch mehr als sehen wir einen Mann mit einer Waffe po- ziger Jahren waren wir weit weniger ver- 60 Jahre nach Kriegsende nicht frei von sieren, und kein Mensch nimmt daran An- klemmt als heute. Spannungen. Fürchten Sie, dass „Black stoß. Dann darf ich doch wohl einen Penis SPIEGEL: Das klingt jetzt sehr wehmütig. Book“ in Ihrer Heimat antideutsche Res- filmen. Für mich ist das reinster Realismus. Vermissen Sie die lockeren Zeiten? sentiments schüren könnte? Schauen Sie sich die holländische Malerei Verhoeven: Ich bin älter geworden. Aber Verhoeven: Nein, es gibt in meinem Film des 17. Jahrhunderts an: überall Nackte – ich denke, dass die Menschen damals frei- gute Deutsche und böse – so wie es darin selbst auf Rembrandts Bildern! Es wird er waren. Ich habe zwei Töchter, die jetzt auch gute und böse Holländer gibt. „Black gepinkelt und geschissen. Doch als mein Anfang dreißig sind, da habe ich den Ver- Book“ fällt kein Urteil. Es ging mir, wie ge- Film „RoboCop“ im amerikanischen Fern- gleich. sagt, um die Grauzonen. Womit wir wieder sehen laufen sollte, musste ich sogar eine SPIEGEL: Was sagen Ihre Töchter zu „Basic bei Günter Grass wären. Szene herausschneiden, in der nur ange- Instinct“? Papas Schmuddelfilm? SPIEGEL: Mit Filmen wie „Türkische Früch- deutet wird, wie ein Mann seine Blase ent- Verhoeven: Nein, sie sind stolz auf mich. te“ und „Der Soldat von Oranien“ waren leert. Im US-Fernsehen ist Pinkeln verboten. Vielleicht auch, weil man einen Film wie Sie der kommerziell erfolgreichste nieder- SPIEGEL: Kaum ein anderer Regisseur hat „Basic Instinct“ heute gar nicht mehr ma- ländische Regisseur der siebziger und acht- sich so häufig mit der Zensur angelegt chen könnte. Das war auch einer der Grün-

Paul Verhoeven ist einer der umstrittensten und gleichzeitig wo er gleich drei Kassenschlager hintereinan- erfolgreichsten Regisseure überhaupt. „Kein der inszenierte: die Action-Spektakel „Robo- anderer Filmemacher, der mit enormen Cop“ (1987) und „Total Recall“ (1990, mit Ar- Budgets um sich werfen kann“, urteilte ein nold Schwarzenegger) sowie den Erotikthriller Kritiker, sei „so vorsätzlich boshaft, so „Basic Instinct“ (1992, mit unterhaltend schmutzig und so krankhaft ge- und ). Es folgten Flops wie schmacklos“ wie Verhoeven. Der gebürtige „“ (1995), für den er mit der Golde- Amsterdamer, Jahrgang 1938, studierte Ma- nen Himbeere als schlechtester Regisseur thematik und Physik und promovierte mit ausgezeichnet wurde. Verhoeven nahm’s mit einer Arbeit über Einsteins Relativitätstheorie. Humor: Er holte den Preis ab. Sein neuer Seinen Wehrdienst leistete er beim Filmdienst Film, die deutsch-niederländisch-britisch-bel- der Marine-Infanterie ab. Bereits Verhoevens gische Produktion „Black Book“, wurde jetzt zweiter Spielfilm, das Liebesdrama „Türkische bei den Filmfestspielen in Venedig urauf- Früchte“ (1973), wurde für einen Oscar nomi- geführt und konkurriert für die Niederlande niert. 1985 ging Verhoeven nach Hollywood, um den nächsten Auslands-Oscar. SUNSHINE / ACTION PRESS SUNSHINE / ACTION

ziger Jahre. Warum sind Sie 1985 über- wie Sie. Lieben Sie diese Auseinanderset- de, warum ich von der Fortsetzung, die mir haupt nach Hollywood gegangen? zungen? angeboten wurde und die dann Michael Ca- Verhoeven: Weil mir nichts anderes übrig- Verhoeven: Wenn ich sie gewinne. Ich bin ton-Jones gedreht hat, die Finger gelassen blieb! Ich bin nach Hollywood geflohen. stolz darauf, dass wir es geschafft haben, habe. Sex ist in den USA tabu geworden. Damals war es in Holland schick, Filme den Zuschauer in „Basic Instinct“ einen Doch ich finde, unser Leben wird von Sex für drei oder vier Zuschauer zu drehen, Blick unter Sharon Stones Rock werfen zu und Gewalt bestimmt. Und das zeige ich. doch ich hatte schon immer das Massen- lassen. Ich musste bestimmt zehnmal in SPIEGEL: Aber müssen gleich Körperteile publikum im Blick. Mir fiel es zunehmend den Schneideraum, um eine Fassung zu er- durch die Gegend fliegen wie in Ihren schwerer, meine Filme finanziert zu be- stellen, die in den USA eine Altersfreigabe Science-Fiction-Filmen „RoboCop“ oder kommen, denn trotz aller Erfolge war ich ab 17 bekam. Doch diese Einstellung, in „Starship Troopers“? nach wie vor auf staatliche Förderung an- der Sharon Stone ihre Beine übereinander- Verhoeven: Wer Gewalt nicht zeigt, ver- gewiesen, und deren Gutachter mochten schlägt und der Zuschauer einen kurzen schließt vor ihr die Augen, und das ist feige. mich nicht. Wenn man in Europa seinen Blick auf ihre Vagina erhascht, ist den Zen- Die reale Gewalt, die in unserer Welt verübt Kopf zu weit aus der Masse hebt, muss soren entgangen. wird, kann ohnehin kein Filmregisseur man damit rechnen, dass er einem abge- SPIEGEL: Jetzt wirken Sie wie ein Junge, überbieten. Wir können nur versuchen, der schlagen wird. der sich diebisch über einen geglückten Wirklichkeit möglichst nahezukommen. SPIEGEL: Na ja, galten Sie nicht damals Lausbubenstreich freut. Darum bemühe ich mich. Was soll ich ma- schon wegen der drastischen Darstellun- Verhoeven: Nein, es war kein Streich. In chen? Ich kann nun mal einfach nicht dis- gen von Sex und Gewalt in Ihren Filmen dieser Szene in „Basic Instinct“ sitzt eine kret sein. Andeutungen sind mir zuwider. als eher dubioser Radaubruder? Mordverdächtige mehreren Polizisten ge- SPIEGEL: Sind die Hollywood-Studios des- Verhoeven: Ich galt als asozial und hatte genüber, die sie verhören. Und durch eine halb auf Distanz zu Ihnen gegangen? Nach wenig Freunde. Ich gebe zu, es macht mir einzige Bewegung bringt sie alle Männer „“ im Jahr 2000 haben Sie fünf Spaß zu provozieren, es beflügelt mich, im Raum völlig aus der Fassung und kehrt Jahre vergebens nach einem weiteren US- wenn ich Protestbriefe bekomme. Doch die Machtverhältnisse um. Ich wollte zei- Projekt gesucht.

der spiegel 36/2006 173 Verhoeven: Es mag sein, dass Hollywood inzwischen ein wenig Angst vor mir hat. Für „Starship Troopers“ gab mir das Stu- dio 1997 ein Budget von 100 Millionen Dollar. Und was mache ich mit all dem Geld? Ich inszeniere Blutbäder, zitiere Ein- stellungen aus Leni Riefenstahls Reichs- parteitagsfilmen und beschreibe die US- Gesellschaft als faschistoid. SPIEGEL: Warum hat Ihnen das Sony-Studio diesen Film, der wohl Hollywoods zy- nischste Satire der US-Gesellschaft ist, überhaupt durchgehen lassen? Verhoeven: Heute wäre so ein Film un- möglich. Auch damals klappte es nur, weil die Leitung des Studios in der Zeit, als wir den Film machten, mehrmals wechselte. Es ging drunter und drüber, und wir haben dieses Machtvakuum einfach für uns ge- nutzt. Als der Film fertig war und die neu- en Studiobosse ihn sich anschauten, wa- ren sie völlig entgeistert. Nette College-

Studenten in Nazi-Uniformen? Die USA UFFIZI DEGLI GALLERIA als kriegsbesessene Militärdiktatur? Das durfte nicht wahr sein! Doch nun war es zu spät, man konnte nichts mehr ändern. AUSSTELLUNGEN SPIEGEL: Der Film war in den USA ein großer Flop. Fühlen Sie sich mit dem düs- teren Bild, das Sie zeichnen, durch den Gewalttätiges Genie Wandel der USA nach dem 11. September 2001 im Nachhinein bestätigt? Düsseldorf feiert den revolutionären Barockmaler Verhoeven: Leider. „Starship Troopers“ zeigt, wie eine äußere Bedrohung von der Caravaggio mit der ersten Schau, die Regierung genutzt wird, um Bürgerrechte diesem Künstler in Deutschland je gewidmet wurde. außer Kraft zu setzen. Nur dass die USA in unserem Film nicht von muslimischen Fun- uch Choleriker können Großes leis- Hauptwerken, die nun wieder in ihren Hei- damentalisten, sondern von Rieseninsekten ten. Michelangelo Merisi, der nach matmuseen hängen. angegriffen werden. Aber „Starship Troo- Aseinem Heimatort in Oberitalien So verbrämen die Düsseldorfer ihre Be- pers“ kommt als leichte Unterhaltung daher, nur noch Caravaggio genannt wird, war schaffungs- und Planungsnot kurzerhand das Publikum wird nicht belehrt. Der Zu- notorisch jähzornig, ein Raufbold und als Konzept-Tugend. Die Schau, heißt es schauer kann sich zurücklehnen und sagen: Mörder – und einer der revolutionärsten optimistisch, biete „spannende Einblicke Toll, wie die Monster fertiggemacht wer- Maler der Kunstgeschichte. Caravaggio in das Abenteuer heutiger kunsthistori- den. Oder er kann sich fragen, warum alle (1571 bis 1610) gab der Barockmalerei dra- scher Forschung“. Die Ausstellung will Zu- diese schönen jungen Menschen so scharf matische Kraft, sein einzigartiges Werk schreibungen diskutieren, lange als Kopien darauf sind, in den Krieg zu ziehen und für prägte und provozierte nachfolgende gehandelte Werke aufwerten oder zweifel- ihr Land zu sterben. Künstler bis heute. hafte Bilder als Gemeinschaftsarbeiten von SPIEGEL: War diese Kritik die späte Wie- Das Düsseldorfer „museum kunst pa- Caravaggio mit anderen Malern identifi- dergutmachung dafür, dass Sie 1965 einen last“ feiert den Maler jetzt mit der ersten zieren. Propagandafilm über ein niederländisches Caravaggio-Ausstellung in Deutschland Zehn von der Wissenschaft allgemein Marineinfanterie-Korps gedreht haben? (9. September bis 7. Januar 2007). Doch anerkannte Originale sind in Düsseldorf Verhoeven: Ich habe damals das Militär ge- der Titel dieser Premiere „Caravaggio – zu sehen, neun andere hier ausgestellte zeigt, wie es war. So eine Erfahrung hilft, Auf den Spuren eines Genies“ muss nicht Werke sind als Eigenschöpfungen des wenn man fiktive Kriegsszenen inszeniert. nur Gutgläubige irreführen. Zu sehen ist Meistermalers umstritten, die übrigen Aber Filme zu drehen ist immer wie Krieg nämlich keineswegs eine allumfassende zwanzig Bilder sind Arbeiten von Künst- führen! Einzelausstellung, bestückt mit exklusiv lern, die sich als Kopisten oder Nach- SPIEGEL: Gelten Sie in Ihrer Heimat ei- Eigenhändigem, die Schau bietet stattdes- schöpfer betätigten oder auch nur das gentlich noch als holländischer Filmema- sen eine – immerhin erhellende – Mi- revolutionäre Formen- und Figurenarsenal cher oder als Hollywood-Regisseur? schung aus einigen Originalen, strittigen des großen Vorbilds ausbeuteten. Verhoeven: Im Moment werde ich in meiner Zuschreibungen und Varianten oder Ko- Denn der Maler reduzierte seine Kom- Heimat wie ein Nationalheld gefeiert – der pien. Die Dürftigkeit hat einen triftigen positionen radikal auf wenige Figuren und verlorene Sohn, der nach Hause zurück- Grund. Viele Arbeiten des Italieners hän- befreite die Kunst seiner Zeit vom Manie- kehrt. Meinen Landsleuten bleibt auch gar gen unabkömmlich in den Kirchen, für die rismus, jener Periode zwischen Renais- nichts anderes übrig, denn in Holland gilt sie gemalt wurden, und Museen sind mit sance und Barock, die mit überladenen, Hollywood immer noch als Gütesiegel. Leihgaben knauserig. Zudem war im ver- kapriziösen Bildern in Üppigkeit und Doch wenn „Black Book“ herauskommt, gangenen Jahr in London Caravaggios Übermaß schwelgte. Caravaggio dagegen werden sie mich wahrscheinlich wieder da- Spätwerk üppig zu sehen, und erst vor stellte, vor allem im Spätwerk, sein Perso- vonjagen wie einen Vaterlandsverräter. kurzem endete in Amsterdam eine Dop- nal wie auf einer leeren Bühne zur Schau. SPIEGEL: Herr Verhoeven, wir danken Ih- pelschau, die den Italiener mit Rembrandt Geschickt mit Licht und Schatten spielend, nen für dieses Gespräch. verglich. Beide Ausstellungen prunkten mit fror er die Figuren im dramatischsten Au-

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