Plenarprotokoll 13/43

Deutscher

Stenographischer Bericht

43. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abge Tagesordnungspunkt 2: ordneten 3433 A Befragung der Bundesregierung (Ge- setz zur Regelung Tagesordnungspunkt 1: der Sicherheits- anforderungen an Produkte und zum Erste Beratung des von der Bundesre- Schutz der CE-Kennzeichnung; weitere gierung eingebrachten Entwurfs eines aktuelle Fragen) Gesetzes zur Änderung des Grundge- Dr. , Parl. setzes (Drucksache 13/1685) Staatssekretär BMWi 3455 A (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (zur GO) 3433 B Dr. Manuel Kiper BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN 3455 D Joachim Hörster CDU/CSU (zur GO) . 3434 A Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär Dr. Peter Struck SPD (zur GO) 3434 C BMWi 3455 D Jörg van Essen F.D.P. (zur GO) 3434 D Konrad Gilges SPD 3456 A Dr. Barbara Höll PDS (zur GO) 3435 B Friedrich Bohl, Bundesminister BK . . 3456 A Dr. Theodor Waigel, Bundesminister BMF 3435 D Dr. Barbara Hendricks SPD 3456 B Volker Kröning SPD 3438 D Friedrich Bohl, Bundesminister BK . . 3456 B Oswald Metzger BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 3440 C Carl-Ludwig Thiele F.D.P. 3441 A Tagesordnungspunkt 3: Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 3441 D Fragestunde Gisela Frick F.D.P. ...... 3442 C - Drucksache 13/1707 vom 16. Juni Dr. Uwe-Jens Heuer PDS 3444 C 1995 - CDU/CSU 3445 D Verhinderung der illegalen Beschäftigung Joachim Poß SPD ...... 3447 C von ausländischen Arbeitern ohne Arbeits-- Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) erlaubnis zu Dumpinglöhnen CDU/CSU 3448 A MdlAnfr 1 Hans-Peter Repnik CDU/CSU 3451 A Klaus Hagemann SPD Joachim Poß SPD ...... 3451 D, 3452 A Antw StSekr Karl Jung BMA 3456 D Detlev von Larcher SPD 3452 D ZusFr Klaus Hagemann SPD 3457 C Dieter Grasedieck SPD 3453 A ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 3458 A Jörg-Otto Spiller SPD 3454 B ZusFr Konrad Gilges SPD 3458 B Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Ausschreibung von Dienstposten durch Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 3465 B das Grenzschutzpräsidium Ost ZusFr Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/ MdlAnfr 6 DIE GRÜNEN 3465 C Thomas Krüger SPD Gesundheitsgefahren bei Mensch und Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 3459 A Tier durch bestrahlte Nahrungsmittel ZusFr Thomas Krüger SPD 3459 B MdlAnfr 27, 28 Dr. Angelica Schwall-Düren SPD Kosten des Bundesgrenzschutzeinsatzes beim Klimagipfel in Berlin Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann- Pohl BMG 3466 A, D MdlAnfr 7 Thomas Krüger SPD ZusFr Dr. Angelica Schwall-Düren SPD 3466 A, 3467 A Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . 3459 D ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . 3466 B ZusFr Thomas Krüger SPD 3459 D ZusFr Horst Kubatschka SPD 3460 B Übernahme der Fahrkosten von Nieren- kranken zur Dialysebehandlung durch die Abschluß eines Rückübernahmeabkom- Krankenkassen mens mit Algerien; Einhaltung der Men- MdlAnfr 29, 30 schenrechte bei Abschiebungen Petra Ernstberger SPD MdlAnfr 11, 12 Antw PStSekr'in Dr. Sabine Bergmann Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/DIE Pohl BMG 3467 B GRÜNEN ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 3467 C Antw PStSekr Eduard Lintner BMI . . . 3460 C ZusFr Petra Ernstberger SPD 3467 D ZusFr Amke Dietert-Scheuer BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 3460 C, 3461 A Zusatztagesordnungspunkt 1:

Steuerliche Absetzbarkeit von durch Drük- Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- kerkolonnen gesammelten Parteispenden desregierung zur Versenkung der Öl- plattform „Brent Spar" im Zusammen- MdlAnfr 15 hang mit glaubwürdigem europäischen Hans Büttner (Ingolstadt) SPD Umweltschutz Antw PStSekr Dr. BMF . 3461 C Michael Müller (Düsseldorf) SPD . . . . 3468 B ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 3461 D Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU 3469 C ZusFr Konrad Gilges SPD 3462 C Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN 3470 C Ursachen für die Fehlschüsse auf dem Rolf Köhne PDS 3471 C Truppenübungsplatz Munster-Süd; Ge- währleistung der Sicherheit der Bevölke- Dr. , Bundesministerin rung BMU 3472 A MdlAnfr 20, 21 Klaus Lennartz SPD 3473 D Kurt Palis SPD CDU/CSU 3474 D Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 3463 B, C Birgit Homburger F D P. 3475 D Ulrike Mehl SPD 3476 D Einsätze im Rahmen der gesetzlichen Lippold (Offenbach) CDU/ Wehrpflicht auch außerhalb des NATO- Dr. Klaus W. CSU 3477 D Gebiets Verena Wohlleben SPD 3479 A MdlAnfr 22 Hans Büttner (Ingolstadt) SPD Dr. CDU/CSU 3480 B Antw PStSekr'in Michaela Geiger BMVg 3464 A Dietmar Schütz (Oldenburg) SPD . . . . 3481 B ZusFr Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . 3464 B Nächste Sitzung 3482 C ZusFr Konrad Gilges SPD 3464 C - 3464 D ZusFr Horst Kubatschka SPD Anlage 1 3465 A ZusFr Dr. Angelica Schwall-Düren SPD Liste der entschuldigten Abgeordneten . 3483' A Schutz deutscher Soldaten vor radio- aktiver Verstrahlung bei internationalen Anlage 2 Kampfeinsätzen Erklärung des Abgeordneten Bernd Sie MdlAnfr 23 (CDU/CSU) zur namentlichen Ab--bert Ursula Schönberger BÜNDNIS 90/DIE stimmung über den Entschließungsantrag GRÜNEN der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

GRÜNEN zur Großen Anfrage „Interna- Anlage 8 tionaler Küstenschutz" auf Drucksache Einreiseverweigerung für die in Pa ris 13/790 in der 28. Sitzung am 17. März lebende Exil-Iranerin Maryam Radjavi zu 1995 3483* B einer Großkundgebung in Dortmund; Be- mühungen der iranischen Regierung um Verhinderung dieser Veranstaltung Anlage 3 MdlAnfr 9, 10 - Drs 13/1707 - Erklärung des Abgeordneten Wolfgang Monika Ganseforth SPD Steiger (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entschließungsantrag SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 3484* D der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage „Interna- Anlage 9 tionaler Küstenschutz" auf Drucksache Verzicht der Länder auf ein Bundeskon- 13/790 in der 28. Sitzung am 17. März versionsprogramm für vom Truppenabbau 1995 3483* C besonders betroffene Regionen MdlAnfr 13 - Drs 13/1707 Anlage 4 r. Elke Leonhard SPD -D Erklärung der Abgeordneten Ma ria Eich- SchrAntw PStSekr Dr. Kurt Faltlhauser horn (CDU/CSU) zur namentlichen Ab- BMF 3485* A stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Entwurf eines Anlage 10 Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auf Weitere Nutzung des bundeseigenen Drucksache 13/1562 in der 41. Sitzung am Funkhauses des ehemaligen Deutschland- 1. Juni 1995 3483* C funks in Köln durch das „Deutschland- radio" auch nach dem 1. Juli 1996 MdlAnfr 14 - Drs 13/1707 - Anlage 5 Otto Reschke SPD Erklärung des Abgeordneten Kersten Wet- SchrAntw PStSekr Dr. Kurt Faltlhauser zel (CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- BMF 3485* C mung in der dritten Beratung und Schluß- abstimmung über den Entwurf eines Jah- ressteuergesetzes auf Drucksachen 13/901 Anlage 11 und 13/1558 in der 42. Sitzung am 2. Juni Fehlen von Förderprogrammen für die 1995 3483* D Solartechnik MdlAnfr 16, 17 - Drs 13/1707 - Reinhard Schultz (Everswinkel) SPD Anlage 6 SchrAntw PStSekr Dr. Norbe rt Lammert Genehmigung von Abweichungen von BMWi 3485* D der vorgegebenen Kernarbeitszeit (§ 3 Ar- beitszeitordnung) für Bundesbeamte zur Betreuung von Kindern Anlage 12 MdlAnfr 5 - Drs 13/1707 - Unterrichtung der Testpersonen an der Py- (Aachen) SPD rethroid-Studie über ihre Untersuchungs- ergebnisse SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI 3483* D MdlAnfr 25, 26 - Drs 13/1707 - Antje-Marie Steen SPD Anlage 7 SchrAntw PStSekr'in Dr. Sabine Berg- mann-Pohl BMG 3486' C, 3487* A Aufklärung der GUS-Staaten über die dort mit deutschen Steuergeldern finanzierten Projekte nichtstaatlicher Organisationen, Anlage 13 z. B. des Arbeiter-Samariter-Bundes oder Beschaffung eines modernen Jagdflugzeu- des Vereins für das Deutschtum im Aus- ges land MdlAnfr 19 - Drs 13/1707 - MdlAnfr 8 - Drs 13/1707 - Dr. Wolfgang Weng (Gerungen) F.D.P. Dr. Egon Jüttner CDU/CSU SchrAntw PStSekr'in Michaela Geiger SchrAntw PStSekr Eduard Lintner BMI . 3484* A BMVg 3487* C

Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3433

43. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen Es hat dazu am 27. April eine erste Lesung stattge- und Kollegen! Ich eröffne die Sitzung. funden. Am 28. April war diese Drucksache Gegen- stand einer Anhörung im Rechtsausschuß. Die Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich nach- zweite und dritte Lesung dieser Vorlage hat am der am träglich dem Kollegen Gerhard Zwerenz, 12. Mai - bezeichnenderweise zwei Tage vor der 3. Juni seinen 70. Geburtstag feierte, herzlich gratu- Wahl in Nordrhein-Westfalen und in Bremen - in lieren. diesem Hause stattgefunden. Es hat nicht die erfor- (Beifall) derliche Zweidrittelmehrheit gegeben, und in der Sache selbst gibt es überhaupt keine neuen Argu- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: mente. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Änderung des Grundgesetzes bei der SPD und der PDS)

- Drucksache 13/1685 — Es hat sich in der Sache nichts, aber auch gar Überweisungsvorschlag: nichts geändert. Die Dinge sind klar, die Argumente Rechtsausschuß (federführend) sind ausgetauscht. Was heute stattfinden soll, ist ein Innenausschuß mehr oder weniger fragwürdiges Unternehmen. Viel- Finanzausschuß leicht ist es auch ein Stück Beschäftigungsprogramm Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat frist- für dieses Parlament. gerecht beantragt, nach der ersten Beratung ohne (Detlev von Larcher [SPD]: So ist es!) Ausschußüberweisung unmittelbar in die zweite Be- ratung einzutreten. Die Fraktion der CDU/CSU Kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument, wünscht, diesen Geschäftsordnungsantrag vor der daß der erste Teil des Jahressteuergesetzes ja bereits Aussprache zu beraten. Sind Sie damit einverstan- behandelt worden sei und für den zweiten Teil des den? - Das ist offenbar der Fall. Wir verfahren so. Jahressteuergesetzes, der sich mit der Reform der Damit kommen wir zum Geschäftsordnungsantrag Unternehmensteuern und mit den kommunalen Fi- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wird dazu nanzen beschäftigt, diese Grundgesetzänderung er- das Wort gewünscht? - Herr Abgeordneter Schulz, forderlich sei. bann frage ich Sie, meine Damen und bitte. Herren von der Koalition, wieso wir dieses ganze Pro- zedere schon einmal vollzogen haben.

Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich denke also, wir könnten das heute in einem NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stück erledigen. Es ist offensichtlich für die Beratung Ich beantrage im Namen der Fraktion BÜNDNIS 90/ des zweiten Teils des Jahressteuergesetzes am Frei- DIE GRÜNEN gemäß § 80 Abs. 2 der Geschäftsord- tag erforderlich, um das Kuddelmuddel zu beenden, nung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur das Sie, Herr Finanzminister, hier ange ri-chtet haben Änderung des Grundgesetzes, A rt. 106, nicht zu und diesem Hause zumuten. überweisen, sondern heute nach der ersten Lesung in die zweite und dritte Beratung einzutreten. Wir brauchen heute Klarheit in der Sache. Deswe- Sie wissen, wir haben einen Bleichlautenden Ge- gen bitte ich Sie, unserem Geschäftsordnungsantrag setzentwurf der Koalition auf Drucksache 13/900 vor zu folgen. Lassen Sie uns die Würde des Hauses wenigen Wochen in diesem Hause ausführlich be- wahren handelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS bei der SPD und der PDS - Lachen bei der SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) CDU/CSU und der F.D.P.) 3434 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Werner Schulz (Berlin) und uns heute die zweite und dritte Lesung dieser die Sache miteinander zu beraten. Nachdem sich zu Vorlage durchführen. einem bestimmten Teil des Jahressteuergesetzes er- kennbar Bewegung bei der Opposition zeigt, näm- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, lich wenn es um den Familienleistungsausgleich bei der SPD und der PDS) geht, (Lachen bei der SPD - Detlev von Larcher Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster [SPD]: Umgekehrt!) spricht der Kollege Joachim Hörster. will ich die Hoffnung nicht aufgeben, daß Sie sich Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! auch in diesem Bereich bewegen werden. Deswegen Meine Damen und Herren! Zur Würde dieses Hauses ist die sachgerechte Erörterung auch dieses Themas gehört es, daß wir Probleme, die die Bevölkerung in den Ausschüssen notwendig. und unser Land betreffen, offen und in aller Breite (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) diskutieren und erörtern. (Detlev von Larcher [SPD]: Alle fünf Wo Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege chen!) Struck. Dazu gehört insonderheit das Vorhaben, das Grund- gesetz zu ändern, um zum einen zu ermöglichen, daß Dr. Peter Struck (SPD): Frau Präsidentin! Meine eine Gewerbesteuerreform durchgeführt werden Damen und Herren! Herr Kollege Hörster, Sie haben kann, und zum anderen zu ermöglichen, daß die Ge- leider wieder alles mißverstanden. Der Antrag von meinden an der Umsatzsteuer beteiligt werden und Herrn Schulz, den wir unterstützen, wi ll Ihnen doch damit eine sicherere Finanzierungsgrundlage haben, gerade helfen. Wir wollen das Verfahren beschleuni- als dies derzeit der Fall ist. gen und nicht diesen Tagesordnungspunkt absetzen. Wir sind wirklich zu jeder Hilfe für diese Koalition (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) bereit. Ich finde es leicht empörend, Herr Kollege Schulz, Es sollte erstens Klarheit bestehen, daß es völlig daß ausgerechnet ein Kollege aus den neuen Bun- unsinnig ist, einen Punkt, den der Bundestag schon desländern offenbar verhindern will, daß die Einfüh- mehrstündig debattiert hat und bei dem das Ergeb- rung der Gewerbekapitalsteuer nis klar ist, heute noch einmal zu diskutieren. Es ist (Detlev von Larcher [SPD]: Das haben wir doch eine Farce, was Sie hier veranstalten wollen. doch alles schon vor fünf Wochen gehört!) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE vermieden werden kann. Diese Vermeidung ist aber GRÜNEN und der PDS) eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Investiti- Zweitens wissen Sie ganz genau, daß Sie nicht die onsklima, das wir in den neuen Bundesländern brau- erforderliche Mehrheit des Deutschen Bundestages chen. für eine Änderung des Grundgesetzes bekommen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Gründe dafür haben wir ausführlich in der letz- ten Debatte vorgetragen, und diese Gründe bestehen Man kann sich nicht auf der einen Seite hinstellen nach wie vor. und sagen, es werde zuwenig für die neuen Bundes- länder getan, und auf der anderen Seite dann die Zu- Deshalb lassen Sie uns heute die erste Lesung und stimmung zu einer Gewerbesteuerreform, zu einer im Anschluß daran sofort die zweite und dritte Le- Gemeindefinanzreform verweigern, alles in der Luft sung durchführen. Dann werden Sie Klarheit haben, hängen lassen und in Kauf nehmen, daß wir zum daß Sie im Deutschen Bundestag keine Mehrheit für 1. Januar 1996 die Gewerbekapitalsteuer in den eine Grundgesetzänderung haben. Wir verweisen neuen Bundesländern schädlich für die Entwicklung nach wie vor darauf: Es gibt keine Lösung des Pro- der dortigen Wirtschaft einführen müssen. blems der Gemeindefinanzen ohne eine grundsätzli- che Gemeindefinanzreform. Darum geht es und nicht Deswegen sind wir der Auffassung, daß die Ände- um Schnellschüsse. rung des Art. 106 des Grundgesetzes in diesem Hause erneut diskutiert werden muß. Wenn Sie das (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ablehnen, werden wir das Thema erneut in dieses GRÜNEN und der PDS) Haus bringen, weil wir Sie nicht aus der Verpflich- tung entlassen werden, zu diesen Fragen Stellung zu Herr Kollege van Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: - nehmen. Essen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Detlev von Larcher [SPD]: Sondersitzung im Jörg van Essen (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Sommer!) Damen und Herren! Ich kann es ganz kurz machen. Wir sind für die mittelstandsfreundliche Absenkung Im übrigen dienen die Beratungen in den Aus- der Gewerbeertragsteuer, schüssen dazu - deswegen widersprechen wir dem Vorschlag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -, die Sa- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - che zu erörtern, zu neueren Erkenntnissen zu kom- Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men, vielleicht andere Vorschläge zu machen und DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3435 Jörg van Essen wir sind für die Abschaffung der anachronistischen bei der Europäischen Union die Verlängerung der Gewerbekapitalsteuer, und wir sind insbesondere Sonderregelung für den Osten bezüglich der Gewer- dafür, daß diese in den neuen Bundesländern erst bekapitalsteuer zu erreichen. Das wäre zumindest gar nicht eingeführt wird. ein Schritt gewesen, der gezeigt hätte, daß Sie in die- ser Richtung einmal aktiv waren. Sie aber haben eine (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Idee und versuchen, sie hier entgegen aller Kritik Es ist völlig klar und durchsichtig, warum Sie die- durchzusetzen und beschäftigen uns dazu noch völ- sen Antrag stellen: Die Gemeinden merken inzwi- lig unnötigerweise. Aus diesem Grunde unterstützt schen, wie vernünftig unsere Vorschläge sind. die PDS eindeutig den Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und dem BÜND Ich muß auch sagen: Im Prinzip könnte man die NIS 90/DIE GRÜNEN) zweite Lesung auch ohne Debatte ansetzen; denn es wird heute sicherlich alles in der ersten Lesung ge- Von daher wollen Sie diesem Druck, dem Druck der sagt. Von Ihnen können gar keine neuen Argumente vernünftigen Argumente, ausweichen. Genau das ist kommen. Es ist wirklich eine große Zumutung. Was der Grund für Ihren Antrag. Sie hier abliefern, hat nichts mit der Würde des Parla- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der mentes zu tun. Ganz im Gegenteil: Dadurch schaden CDU/CSU - Widerspruch bei der SPD und Sie der Demokratie. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich danke Ihnen. Der Kollege Struck hat darauf hingewiesen - das (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne ist natürlich richtig -, daß wir für eine Grundgesetz- ten der SPD) änderung eine Zweidrittelmehrheit brauchen. Sie aber brauchen sie auch für Ihren heutigen Geschäfts- ordnungsantrag. Wir werden Ihnen zu dieser Mehr- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und heit nicht verhelfen. Herren, wir kommen zur Abstimmung über den Ge- schäftsordnungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ Vielen Dank. DIE GRÜNEN. Ich weise darauf hin, daß nach § 80 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur Annahme dieses (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Antrags eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder erforderlich ist. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Kollegin Höll. Wer stimmt für den Antrag der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Präsidentin! Meine haltungen? - Damit ist dieser Geschäftsordnungsan- Damen und Herren! Die Partei des Demokratischen trag bei Zustimmung der SPD, des BÜNDNISSES 90/ Sozialismus unterstützt den vorgebrachten Antrag DIE GRÜNEN und der PDS abgelehnt. eindeutig. Wir kommen jetzt zur Beratung des von der Bun- Das, was Sie wollen, meine Damen und Herren desregierung eingebrachten Entwurfs zur Änderung von der Regierungskoalition, ist nicht schön. Wenn des Grundgesetzes. Sie, Herr Hörster, davon ausgehen, daß wir insge- samt die Würde des Parlamentes wahren sollten, (Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt gehen die dann heißt das natürlich auch, daß man Diskussionen alle, weil sie nicht mehr zuhören wollen! im Parlament und im Ausschuß ernst nimmt. Wenn Denen geht es also gar nicht um die Ge ich aber den Sprechzettel des Vorsitzenden des Fi- meinden!) nanzausschusses sehe, in dem steht, daß zur Bera- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die tung - um 11 Uhr soll es losgehen - der Regierungs- Aussprache zum Gesetzentwurf anderthalb Stunden entwurf vorliegt, der alle Maßnahmen zur Unterneh- vorgesehen. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. mensteuerreform aus der Ausgangsvorlage enthält, Wir verfahren so. dann wird dadurch deutlich, daß Sie kein bißchen (Unruhe) auf die Diskussionen und die Kritiken, die im Plenum und in der Anhörung von allen Sachverständigen Darf ich bitten, daß diejenigen, die den Raum ver- vorgebracht wurden, eingehen. lassen wollen, dies jetzt tun und die anderen Platz nehmen, damit wir mit der Beratung beginnen kön- Ich muß sagen: Es ist eine sehr große Zumutung, nen. daß Sie uns Parlamentarier damit beschäftigen, et- was, was wir schon ausdiskutiert haben, sowohl im Ich eröffne die Aussprache. Als erster spricht- der Ausschuß als auch im Plenum langatmig noch einmal Bundesfinanzminister, Dr. Theodor Waigel. zu diskutieren. (Detlev von Larcher [SPD]: Wo sie recht hat, Dr. Theodor Waigel, Bundesminister der Finanzen: hat sie recht!) Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Struck hat vorhin gesagt: Ein An- Es wäre sehr gut gewesen, wenn wir gerade als trag, der keine Chance auf eine ausreichende Mehr- Abgeordnete aus den neuen Bundesländern heute heit hat, macht in diesem Hause keinen Sinn. Das, früh in der Presse hätten lesen können, daß Herr meine Damen und Herren, ist offensichtlich der Aus- Waigel inzwischen Initiativen unternommen hat, um gangspunkt dafür, daß die SPD für den Rest dieser 3436 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Legislaturperiode keine Anträge mehr stellen kann, wortung für die Arbeitsplätze in Deutschland und für denn sie hat in den vergangenen Wochen und Mona- die Zukunftschancen unserer Wirtschaft entzieht. Die ten nicht eine einzige Abstimmung gewonnen, son- Arbeitnehmer und die Wirtschaft haben dafür kein dern alle Abstimmungen verloren, und zwar immer Verständnis. Trotz der gut entwickelten Konjunktur mit größeren Mehrheiten, als die Koalition sie eigent- wissen wir auch um die Risiken. Die Konjunktur läuft lich hat. nicht von selbst, sondern sie läuft nur, wenn die ent- sprechende Finanz- und Steuerpolitik gemacht wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dazu gehört auch eine Unternehmensteuerreform, Insofern glaube ich, daß man dies wie auch manches die aufkommensneutral sein muß, die aber die Struk- andere nicht so ganz ernst nehmen sollte, sondern tur unseres Steuersystems wachstumsfördernd ver- noch einmal in Ruhe über die Sache sprechen sollte. bessert. Das ist notwendig. (Detlev von Larcher [SPD]: Den Finanz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - minister sollte man nicht so ganz ernst neh Jörg Tauss [SPD]: Darauf warten wir ja!) men!) Unser Vorschlag ist der richtige Weg für die Wi rt - Herr Kollege von Larcher, Sie wissen doch noch gar -schaft und für die Gemeinden. nicht, was in der Früh kommt. Sie sind entweder durch zuviel Kaffee oder zuwenig Tee in der Früh so (Detlev von Larcher [SPD]: Eben nicht!) nervös, daß für Sie etwas Valium notwendig wäre. Wir halten an der Reform der Gewerbesteuer und (Manfred Müller [Berlin] [PDS]: Keine an der Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden un- Macht den Drogen!) verändert fest. Meine Damen und Herren, das wird kommen. Es gibt doch niemanden mehr in Ihren Rei- Ich wollte nämlich Ihren Kollegen Jens gleich an er- hen, der es grundsätzlich bestreitet. Die entschei- ster Stelle ausdrücklich loben. dende Frage ist doch nur noch: Verschieben wir es um ein Jahr, oder geben wir uns die Mühe, es noch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in diesem Jahr zu verabschieden, um am 1. Januar Das ist eine echte Debattenkultur: Er hat offen ausge- 1996 eine Unternehmensteuerreform zu haben? sprochen, was andere Kolleginnen und Kollegen von (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der SPD ebenfa lls denken und auch zum Ausdruck bringen. Er hat die SPD dazu aufgefordert, endlich Meine Damen und Herren, niemand bestreitet zwi- den Widerstand gegen die dringend notwendige Ge- schenzeitlich noch, daß im internationalen Vergleich werbesteuerreform aufzugeben. die Gewerbekapitalsteuer eine Arbeitsplatzvernich- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - tungssteuer im internationalen Vergleich darstellt, Joachim Poß [SPD]: Das hat er nicht ge eine Sonderbelastung, die zu der ohnehin zu hohen sagt!) Belastung der Wirtschaft durch Steuern mit beiträgt. Dieses Beispiel politischer Courage verdient Re- Die Umsatzsteuerbeteiligung für die Gemeinden spekt und macht hoffentlich Schule. Die andere Hal- als Kompensation für die Unternehmensteuerreform tung versteht in der Tat einfach niemand mehr: we- ist der richtige Weg. Es gibt keine auch nur annä- der in der Wirtschaft noch bei vielen Kommunen und hernd gleichwertige Alternative, die als Ersatz für die auch nicht bei den kommunalen Spitzenverbänden. Einnahmenverluste der Gemeinden aus der Gewer- Sehen Sie sich einmal die Briefe der kommunalen besteuerreform geeignet wäre. Alle anderen denkba- Spitzenverbände sehr genau an, welche Diskussion ren Ausgleichsmöglichkeiten wären für die Gemein- dort stattgefunden hat und in welch großem Ausmaß den in quantitativer und in qualitativer Hinsicht sie auf uns eingehen, eine Reform wollen, natürlich schlechter. Nur durch die Beteiligung der Gemein- noch mit Garantien, natürlich mit entsprechenden den an der Umsatzsteuer wird ihre finanzielle Aus- Zusagen, wozu wir auch bereit sind. stattung um eine stetige, von der Konjunktur unab- hängige und damit qualitativ und quantitativ dauer- (Detlev von Larcher [SPD]: Die können Sie hafte günstige Einnahmequelle ergänzt. Die kommu- ja nicht einhalten!) nale Haushaltsplanung wird auf eine völlig andere, sichere Grundlage gestellt. Die wich tigen Aufgaben - Aber natürlich. Ich kann bloß nicht auf jeden von der Gemeinden im sozialen, aber auch im kulturellen Ihnen unartikuliert vorgetragenen Zwischenruf so- Bereich erhalten eine stabile, dynamisch wachsende, fort eingehen. Wir können sehr wohl auf die Argu- gut planbare finanzielle Basis. mente der Kommunen eingehen. Notwendig ist die Aufgabe der Blockade seitens der Opposi tion gegen- Es ist auch makroökonomisch falsch, wenn die Ge- über einer vernünftigen Gewerbesteuerreform, um meinden durch die bei einer Konjunkturabschwä-- die Chance für eine historische Gemeindefinanzre- chung unweigerlich auftretenden Einnahmenverlu- form zu nutzen. ste prozyklische Investitionsentscheidungen treffen. Sie sind auf eine Stärkung der konjunkturunabhän- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gigen Einnahmequelle angewiesen. Die Gemeinden Ich setze weiterhin auf die Vernunft und Ihre Ver- haben gerade deshalb immer wieder die Forderung antwortung für den Standort Deutschland. Ich gebe nach einer auch qualitativ besseren Finanzausstat- die Hoffnung nicht auf. Es kann doch nicht sein, daß tung erhoben. Wir kommen mit unserem Vorschlag sich die SPD als eine Partei, die sich auch teilweise Forderungen entgegen, die wir von den Kommunen den Arbeitnehmern verpflichtet fühlt, ihrer Verant- im Grunde seit Jahrzehnten kennen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3437 Bundesminister Dr. Theodor Waigel Die vorgesehenen Verfahren der Umsatzsteuerbe- wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssels ab dem teiligung der Gemeinden - Übergangsregelungen Jahr 2000. mit Besitzstandswahrung von 1996 bis 1999; ab dem Jahr 2000 Verteilung nach einem orts- und wirt- (Detlev von Larcher [SPD]: Ihr wißt ja gar schaftsbezogenen Verteilungsschlüssel - bringen nicht, wie ihr das machen wollt!) eine größtmögliche Planungssicherheit für die Ge- meinden. Damit sind den einzelnen Gemeinden vor der end- gültigen Einführung des Verteilungssschlüssels die Die Zeit drängt. Wir kommen nicht umhin, bei der konkreten Auswirkungen bekannt. Gewerbekapitalsteuer unverzüglich zu handeln. Wenn ich auch Bedenken, die von einzelnen kom- Wenn uns die Abschaffung der Gewerbekapital- munalen Vertretern immer noch vorgetragen wer- steuer jetzt nicht gelingt und sie dann, auf Grund der den, FU-rechtlichen Gegebenheiten, in den neuen Län- dern eingeführt werden müßte, dann widerspräche (Detlev von Larcher [SPD]: Aha!) dies nicht nur unserer steuerpolitischen Vernunft und nicht teilen kann, so bin ich doch bereit, die kommu- unseren steuerpolitischen Vorstellungen. Die Einfüh- nalen Belange soweit wie möglich zu berücksichti- rung der Gewerbekapitalsteuer in den neuen Län- gen. dern wäre ein krasser Widerspruch zu den Förder- maßnahmen der öffentlichen Hand in den neuen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ländern. DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Ich habe durchaus Verständnis für das Anliegen der ordneten der F.D.P.) Kommunen, bereits jetzt ihre zukünftige finanzielle Situation so frühzeitig wie möglich abschätzen zu Mit der einen Hand geben wir langfristige Kredite können. Das gilt eben auch für die Frage, wie sich zur Unterstützung der Unternehmen, mit der ande- die Einnahmen nach dem Ende der Übergangsphase ren Hand kassieren die Gemeinden Gewerbekapital- ab dem Jahr 2000 verteilen. Sie wollen auch eine steuer aus eben denselben Darlehen. Dieser ökono- klare Regelung, daß die rest liche Gewerbesteuer mische Unfug muß verhindert werden. nicht ohne ihre Zustimmung abgeschafft werden kann, ihr Selbstverwaltungsrecht unangetastet bleibt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge und das gemeindliche Hebesatzrecht Bestand hat. ordneten der F.D.P.) Diesen Forderungen der Kommunen kommen wir entgegen. Wir können es nicht zulassen, daß durch die Einfüh- rung der Gewerbekapitalsteuer die Investitionen in Ich habe den Präsidenten der kommunalen Spit- den neuen Ländern ins Stocken geraten und damit zenverbände ein Angebot unterbreitet. Dies sieht für negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und den Fall einer Abschaffung der Gewerbekapital- insgesamt auf den Aufbau Ost möglich sind. Wir kön- steuer weitere Verbesserungen vor. Es umfaßt im we- nen die Gewerbesteuerreform auch von daher nicht sentlichen drei Punkte: auf unbestimmte Zeit vertagen. Erstens. Garan tie einer Besitzstandswahrung jeder Gemeinde, auch über 1999 hinaus. Bereits bei einem Aufschub der Reformmaßnah- men bis zum 1. Januar 1997, wie der Deutsche (Detlev von Larcher [SPD]: Das können Sie Städtetag angeregt hat, wäre eine Übergangsrege- gar nicht einhalten! - Ludwig Eich [SPD]: lung notwendig. Die notwendigen Daten für einen Wie machen Sie das denn?) orts- und wirtschaftsbezogenen Verteilungsschlüssel können bis zu diesem Zeitpunkt in keinem Fall voll- - Das ist doch wirklich der Gipfel! „Das können Sie ständig erhoben und ausgewertet werden. Für die gar nicht einhalten" ruft mir dieses Mannsbild zu neuen Lander wäre dann vor der Übergangslösung und fordert es gleichzei tig von mir. Der weiß in der eine zusätzliche Zwischenlösung notwendig. Dies ist Früh überhaupt noch nicht, was er sagt. Das kann wirklich ein vermeidbarer Schlingerkurs mit Nachtei- nicht nur auf Koffeinmangel zurückzuführen sein. len für alle. (Beifall bei der CDU/CSU - Detlev von Lar Die Planungssicherheit der Kommunen liegt uns cher [SPD]: Dann erklären Sie uns doch am Herzen. Dies kommt in unserem Entwurf für eine mal, wie Sie das machen wollen!) Übergangslösung auch klar zum Ausdruck. Jede ein- Zweitens. Eine verbindliche Festlegung -der Betei- zelne Gemeinde bekommt ihre Gewerbesteueraus- ligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer im fälle voll ersetzt. Gleichzeitig haben die Gemeinden Grundgesetz, falls die Gewerbekapitalsteuer zum sofort am dynamischen Wachstum der Umsatzsteuer 1. Januar 1996 abgeschafft wird. teil. Die finanziellen Auswirkungen während der Übergangsphase sind für die einzelnen Gemeinden ( [SPD]: Ein Benehmen hat der voll planbar. Die Übergangsphase wird für gemein- Mann!) descharfe Modellrechnungen genutzt. Erst deren Auswertung führt, selbstverständlich in Abstimmung - Sie haben recht: Ein Benehmen hat der Mann! Es mit den Vertretern der kommunalen Spitzenver- ist unglaublich. Herr von Schily, das kann man wirk- bände, zur endgültigen Festlegung des orts- und lich nur von Ihnen lernen: Benehmen. 3438 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Bundesminister Dr. Theodor Waigel Drittens. Eine Prüfung innerhalb der Koalition, ob kann ich mir nicht denken. Wo bleibt die Eigenstän- die verbleibende Gewerbeertragsteuer im Grundge- digkeit, wenn nicht über planbare finanzielle Mittel setz stärker als bisher abgesichert werden könnte. verfügt werden kann oder wenn eine Gemeinde vom Wohl und Wehe eines einzigen großen Betriebs ab- Dieses Angebot ist inzwischen im Präsidium des hängig ist? Deutschen Städtetages erörtert und in einem Be- schluß anläßlich der Hauptversammlung des Deut- Wir wollen das Selbstverwaltungsrecht der Ge- schen Städtetages ausdrücklich positiv beantwortet meinden weiter stärken. Ich appelliere deshalb an worden. Sie: Unterstützen Sie die Grundgesetzänderung. Jetzt sind wir gefordert, durch eine Zustimmung zu Verwehren Sie den Gemeinden nicht eine dauerhafte diesem Kurs der Gemeindefinanzreform die Grundla- Reform ihrer Finanzen. Lassen Sie uns gemeinsam gen für die Realisierung dieser Verbesserungen zu handeln. Verzögern Sie die Reform nicht. schaffen. Mit diesen weiteren Zusagen für die Kom- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) munen entspricht unser Gesetzentwurf den wesentli- chen Forderungen. Es kann jetzt nicht mehr ange- Meine Damen und Herren, Albert Einstein hat ein- hen, irgendwelche Vorwände ins Gefecht zu führen mal gesagt: „Welch triste Epoche, in der es leichter und aus parteistrategischen Erwägungen heraus die ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil." Den- historische Chance zur Stärkung der Kommunalfi- noch, so glaube ich, werden wir langfristig Erfolg ha- nanzen, die in dieser Form so schnell nicht wieder- ben können. Ich hatte gestern ein Gespräch mit dem kommt, zu vertun. Verhandlungsführer der Mehrheit der Länder, Herrn (Detlev von Larcher [SPD]: Mein Go tt !) Ministerpräsident Lafontaine, im Beisein des nord- rhein-westfälischen Finanzministers Schleußer. Wir Wenn die Opposition in ihrer Presseerklärung vorn haben vereinbart, daß wir uns im Herbst zusammen- 19. Juni noch immer von einer Reise ins Ungewisse setzen, Bundestags- und Bundesratsmehrheit, um spricht, dann zeigt sie damit erneut: Die Fakten inter- miteinander über eine Unternehmensteuerreform zu essieren sie gar nicht. Sie taktiert weiter und schießt beraten, in die auch die Gewerbekapitalsteuer einbe- damit ein Eigentor. zogen wird, in die selbstverständlich eine Gemeinde- Wir wollen die Gemeinden nicht länger vertrösten. finanzreform einbezogen wird. In bezug auf die Un- Ich wiederhole: Wäre die Reform 1991 vollzogen wor- ternehmensteuerreform hat die SPD die Meinung den, hätte die Wachstumsdynamik der Umsatzsteuer vertreten, sie müsse aufkommensneutral sein, wie den Gemeinden allein bis 1995 über 2 Milliarden DM auch wir es verlangen und für möglich halten, und mehr in die Kassen gebracht. ein Inkrafttreten ab 1. Januar 1997 sei denkbar. Wir sind der Meinung, man könnte es schon zum 1. Ja- (Detlev von Larcher [SPD]: Erklären Sie uns nuar 1996 tun. doch mal die Dynamik!) Wir werden uns zusammensetzen. Dazu ist als Das Reformvorhaben würde den Gemeinden in den Grundlage auch ein solcher Gesetzentwurf, wie er Jahren 1996 bis 1999 weitere Mehreinnahmen von auf dem Tisch liegt, notwendig. Darum ist die erste 2 Milliarden DM bringen. Lesung hier sinnvoll und vernünftig. Die Gemeinden in den neuen Ländern erhalten zusätzlich einen Ausgleich für ihre fiktiven Gewerbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) steuern. Die Mehreinnahmen durch diesen Verlust- Wir werden dann die zweite und dritte Lesung vom ausgleich belaufen sich netto auf 650 Millionen DM. Fortgang dieser Gespräche im Herbst abhängig ma- Meine Damen und Herren, durch die Gemeindefi- chen. Wir haben für diese Gespräche eine gesetzli- nanzreform wird das verfassungsmäßige Recht auf che und eine grundgesetzliche Grundlage. kommunale Selbstverwaltung nicht beeinträchtigt. Der orts- und wirtschaftsbezogene Schlüssel sichert Vielen Dank. die Verbindung zwischen Gemeinde und Wirtschaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Auch in Zukunft spielen die kommunalen Standort- faktoren eine wichtige Rolle für das kommunale Steueraufkommen. Den Gemeinden verbleibt das Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster Hebesatzrecht auf die Gewerbeertragsteuer. spricht der Kollege Volker Kröning. In diesem Punkt muß man auch die Relationen se- hen. 80 % der Gewerbesteuereinnahmen erhalten die Gemeinden wie bisher. Die jetzt geplante Reform Volker Kröning (SPD): Frau Präsidentin!- Meine der Gewerbesteuer senkt das Aufkommen aus dieser sehr verehrten Damen und Herren! Heute morgen Steuer um rund 20 %. Wenn von der Opposi tion an- steht im Plenum eine Debatte über die Grundgesetz- gesichts dieser Fakten gesagt wird, wir wollten das änderung an; heute mittag steht in den Ausschüssen Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden aushöhlen, der sogenannte Restanten-Entwurf zum Jahressteu- kann ich nur sagen: Das Gegenteil ist der Fall. ergesetz 1996 zur Beratung an. Welch groteskes Ver- fahren und welch ein peinlicher Titel für den Rest ei- Zum verbleibenden Hebesatzrecht kommt die Si- ner groß angekündigten Reform! cherheit einer wachsenden, von der Konjunktur un- abhängigen Steuer hinzu. Eine bessere Grundlage (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne für die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden ten der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3439

Volker Kröning Die Beratung, zu der uns die Koalition heute und Der mittelfristigen Mehrbelastung der Wirtschaft übermorgen - wenn es dabei bleiben sollte, Herr steht nämlich der Versuch - ich sage bewußt nur: Dr. Waigel - zwingt, versucht, Gewerbesteuer- und Versuch - einer kurzfristigen Minderbelastung von Gemeindesteuerreform zu trennen, oder versucht zu- Arbeitnehmern und Familien durch die Steuerfrei- mindest, die Priorität, die nach der Koalitionsverein- stellung des Existenzminimums und die Erhöhung barung auf der Unternehmensteuerreform lag, um- des Kindergeldes gegenüber. Dieser Versuch ist al- zukehren und nun die Gemeindefinanzreform mit lerdings nach Auffassung der SPD-Fraktion rechtlich Priorität zu belegen. und sozial noch unzulänglich. Was immer dahinter- stehen mag: Der Koalitionsentwurf, wie er sich in all Beides mußte und muß seine Wirkung verfehlen. seinen Komponenten darstellt, erweckt den Ein- Die SPD-Bundestagsfraktion wundert sich, daß die druck, daß er in dem einen Teil nicht hält, was er ver- Koalition mutwillig in eine Niederlage steuert. Nach spricht, und in dem anderen Teil gesetzgeberisch der letzten Erklärung des Bundesfinanzministers nicht einlöst, was verfassungsrechtlich aufgegeben könnte man schon sagen, daß sie beinahe in die Nie- ist. derlage gesteuert wäre. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich weise dazu noch einmal auf die im Ersten Be- richt des Finanzausschusses enthaltene Beschluß- Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, empfehlung zur Anpassung des Existenzminimums hätten sich diese peinliche Situa tion ersparen kön- und des Kindergeldes in den nächsten Jahren hin. nen, wenn Sie unserem Angebot im Finanzausschuß Zu dieser Ergänzung des Gesetzentwurfs durch eine gefolgt wären, das Paket, um das es heute und Frei- Beschlußempfehlung haben sich die Koalitionsfrak- tag geht, sachlich und zeitlich konditioniert aus der tionen unter dem Druck der Argumente der Sachver- Jahressteuergesetzgebung 1996 herauszunehmen ständigenanhörung und der Opposi tion gezwungen und nach geordneter Vorbereitung zur Abstimmung gesehen. zu stellen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Es bleibt ein Widerspruch: Der sozialpolitische Teil Wir können heute mit Genugtuung feststellen, daß des Gesetzgebungsvorhabens wird so knapp ange- diese Situation da ist. legt, daß Nachbesserungen schon angekündigt wer- den, während auf der anderen Seite der wirtschafts- Das Verfahren, das wir nun noch auf uns nehmen politische Teil bis zur Stunde auf Biegen und Brechen müssen - mit einem zwar zulässigen, aber dem Parla- durchgesetzt werden soll. Das konnte, das kann mentarismus nicht zuträglichen, sondern abträgli- nicht gutgehen. chen Trick -, wird nicht zudecken, daß die Gewerbe- steuerreform, so wie Sie sie angelegt haben, in einer (Beifall bei der SPD) Sackgasse gelandet ist. Schon heute, also noch vor den Beratungen am Freitag und noch vor den Bera- Doch auch wenn man den Teil Gemeindesteuerre- tungen in den Ausschüssen, die ja überhaupt noch form - das, was die Koalition ehrgeizig als Gemein- nicht aufgenommen worden sind, läßt sich feststel- definanzreform, ja als „historische Chance" bezeich- achtet, muß man feststellen: Die- len: Die Entlastung mag, ja sie wird Teilen der Wi rt net hat - näher be tr -schaft willkommen sein; doch die Belastung, mit der ses Vorhaben läßt etliche Fragen unbeantwortet. Wie soll das Verfassungsversprechen des Art. 28 Abs. 2 sie - wie man so schön sagt -, gegenfinanziert wird, ist kontraproduktiv. Satz 3 GG, die finanzielle Eigenverantwortung der Gemeinden zu gewährleisten, eingelöst werden? Sie, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Herr Bundesfinanzminister, haben sogar gesagt, Sie ten der PDS) wollen sie stärken. - Ja, gern, aber dauerhaft und für alle Beteiligten berechenbar. Darüber ist leider bisher viel zuwenig geredet wor- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne den. Wir sind froh, daß Sie auch auf diesen Teil unse- ten der PDS) rer Argumente eingegangen sind und darüber noch eine Gesprächsmöglichkeit eröffnet worden ist. So attraktiv die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer ist, so schwer sind die Zusagen der Ko- Die Gegenfinanzierung führt, wie Sie, Herr Mini- alition bisher nachzuprüfen: kurzfristig bei der Über- ster Waigel, in der Debatte am 12. Mai selber einge- gangslösung mit Blick auf die einzelnen Gemeinden, räumt haben - heute haben Sie das Argument nicht mittelfristig beim Verteilungsschlüssel mit Blick auf mehr wiederholt -, mittelfristig zu einer Überkom- die Gemeinden insgesamt und nicht zuletzt- - das pensation. Das mag - dem können wir Sozialdemo- dürfen wir auch sagen, weil wir uns, Bundestagsfrak- kraten uns ebenfalls nicht verschließen - einnahme- tion und Ländermehrheit, nicht auseinanderdividie- politisch wünschenswert sein; das muß jedoch - auch ren lassen wollen - mit Blick auf die Länder, die un- darauf will ich den Finger legen - willkürlich wirken, mittelbar für die Finanzausstattung der Gemeinden solange die langfristigen Linien Ihrer Steuerpolitik und den kommunalen Finanzausgleich verantwort- nicht klar sind, geschweige denn in diesem Haus dis- lich sind. kutiert worden sind. Zu Recht spricht deshalb der Deutsche Städtetag (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der in seiner Antwort auf das Schreiben, das Sie, Herr PDS) Dr. Waigel, kürzlich an ihn gerichtet haben, davon, 3440 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Volker Kröning daß noch Gespräche nötig seien, und zwar nicht nur Opposition. Wir sollten uns das weitere Reden erspa- zwischen den Gemeinden und dem Bund, sondern ren. auch zwischen den Gemeinden und den Ländern. Das verstehen wir unter kooperativem Föderalismus, (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Herr Dr. Schäuble, den Sie in der Debatte vom Sie dürfen die Kirchen nicht vergessen!) 12. Mai eingefordert haben. Wir sollten uns an die Arbeit machen. Ich darf wiederholen, was ich damals gesagt habe: Danke. Der Gesetzentwurf berührt neben den Gemeinden auch und mehr noch die Länder. Der kommunale Fi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne nanzausgleich ist nicht erst be troffen, wenn die Ge- ten der PDS) werbeertragsteuer abgebaut oder abgeschafft wer- den würde, sondern auch schon dann, wenn die Ge- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der werbekapitalsteuer abgeschafft wird; denn der Aus- Kollege Oswald Metzger. gleich über die Umsatzsteuerbeteiligung wird von Bund und Ländern getragen. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Weichenstellung fällt in eine Phase ver- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute schärfter Verteilungskämpfe in den Finanzbeziehun- vor 40 Tagen - zwei Tage vor der nordrhein-westfäli- gen zwischen Bund und Ländern; das wissen wir schen Landtagswahl - haben wir hier im Haus eine doch alle. Dazu nenne ich das Stichwort: Debatte geführt. Ich habe damals gesagt: Die De- batte hat keine Substanz, sondern ist eine Wahl- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: kampfveranstaltung. - Ich möchte die Behauptung Das kann doch nicht Stillstand bedeuten!) wiederholen, wenngleich der Finanzminister heute durchaus differenzierende Töne angeschlagen hat, - Ich glaube, wir sind auf dem besten Wege, einem die es wert sind, daß man genauer darauf eingeht. Stillstand des Parlamentarismus - das meinen Sie doch wohl - vorzubeugen. - Also die Stichworte: ein- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: mal Beschränkung der Erhöhung der Umsatzsteuer- Aber die Wahlkämpfe sind doch vorbei!) beteiligung der Länder für den Systemwechsel beim Familienlastenausgleich auf das Jahr 1996. Das ist Ich möchte am letzten Punkt anknüpfen. Herr Fi- ein wunder Punkt an der beschlossenen Fassung des nanzminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Gesetzentwurfs darüber wird noch im Vermittlungs- haben Sie am Schluß gesagt, Sie möchten die zweite ausschuß zu reden sein. Zum anderen - und mehr und dritte Lesung dieses Gesetzentwurfs erst im noch - die Ankündigung der Koalition, die Umsatz- Herbst - nach möglichen Gesprächen mit den Län steueraufteilung zwischen Bund und Ländern, die dern. Daraus schließe ich, daß Sie nicht darauf be- beim Solidarpakt verabredet worden ist, aufzukün- stehen, am Freitag dieser Woche die Debatte hier im digen. Haus fortzuführen. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Rich Nicht nur für die Oppositi on, sondern auch für die tig!) Länder läßt sich deshalb die Ablehnung der Verfas- sungsänderung mit den Worten zusammenfassen: So Das halte ich für einen großen Fortschritt. Das nicht und jetzt nicht! möchte ich hier ausdrücklich ansprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Auch bei uns in der Fraktion ist es so, daß wir uns und der PDS) im Bereich der Kommunalfinanzen intern vor dreiein- Herr Dr. Waigel, es ist doch bezeichnend - und auch halb Wochen mit unseren eigenen Expertinnen und das gehört zur Transparenz dieses Verfahrens und Experten - u. a. mit dem Frankfurter Stadtkämmerer zur Aufklärung des Publikums -, daß die Änderun- Koenigs - getroffen und gewisse Eckpunkte für eine gen am Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes, Regelung angesprochen haben, die wir allerdings die Sie dem Deutschen Städtetag angeboten haben, gern erst zum 1. Januar 1997 hätten. Bis dahin ist der heute nicht in die Form von Anträgen gekleidet und entsprechende Expertinnen- und Expertensachver- von den Koalitionsfraktionen eingebracht worden stand zusammen, um mit den kommunalen Spitzen- sind. Mir ist auch nicht bekannt, Herr Hauser, daß verbänden eine Lösung zu machen, die den Namen wirklich verdient. Denn was, bitte schön, ändert sich Sie solche Änderungsanträge für heute mittag bei - der einzigen Beratung, die zu diesem Thema im Fi- am Wirtschaftsstandort Deutschland, wenn die Ge- nanzausschuß möglich ist, angekündigt haben. Sie werbekapitalsteuer nicht zum 1. Januar 1996, son- können das ja nachholen. dern erst zum 1. Januar 1997 abgeschafft wird? Das frage ich hier allen Ernstes. Man hat den Eindruck, meine Damen und Herren, ( [CDU/CSU]: Plötzlich sind die Koalition wolle ihren Vorschlag gar nicht mehr alle dafür!) konsensfähig machen. Jedenfalls hat sie die Hoff- nung in diesem Moment aufgegeben. Wir fordern - In dieser Debatte waren wir schon immer ein Stück dringend ein, daß er konsensfähig gemacht wird - weit beweglicher als unsere Kolleginnen und Kolle mit den Gemeinden, mit den Ländern und mit der gen von der größeren Oppositionsfraktion. A ller- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3441

Oswald Metzger dings: Wir sind auch so weit kommunale Praktiker, trifft, in den Vermittlungsausschuß gehen wird, wer- daß wir die Anliegen, und zwar von Parteivertretern den die Kommunen wegen der Einnahmeausfälle aller Fraktionen dieses Hauses, auf der kommunalen durch die steuerliche Freistellung des Existenzmini- Ebene ernst nehmen. mums und durch den Familienleistungsausgleich - im Gegensatz zum ursprünglichen Regierungsent- Ich war vor zweieinhalb Wochen in Magdeburg wurf, in dem 1,9 Milliarden DM Ausfall angesetzt beim Städtetag. Ich habe in der kommunalpoliti- worden waren, der aber tatsächlich 5,8 Milliarden schen Fragestunde mit Ihren Kollegen Blank von der DM beträgt - unter dem Strich ein überdurchschnitt- CDU, Schmidt-Jortzig von der F.D.P. und Schily von licher Zahlmeister dieser steuerlichen Entlastungen der SPD genau über diesen Punkt diskutiert und dort sein. Die Bundesländer dagegen lassen sich, weil sie das Mißtrauen herausgehört, das die kommunalen über den Bundesrat ein verfassungsrechtlich garan- Spitzenverbände gegenüber diesen Absicherungs- tiertes institutionelles Instrument haben, um sich in klauseln deshalb noch haben, weil sie nicht wissen, diesen Verteilungskampf einzumischen, für ihre ob dann, wenn das statistische Datenmaterial vor- 11 Milliarden DM Steuerausfälle über die 4,6%ige liegt - wir ändern ja jetzt erst die statistischen Daten- Erhöhung des Umsatzsteueranteils einen Einnahme- grundlagen im Statistikgesetz -, daraus wirklich ein ausfall von 11,3 Milliarden DM gewähren. wirtschaftsbezogener Schlüssel errechenbar ist, der in Zukunft als Abbildungsmaßstab für einen entspre- Ich zitiere in diesem Zusammenhang unseren chenden Umsatzsteueranteil dient, der wirk lich den Kämmerer und derzeit amtierenden Oberbürgermei- Ausfall bei der Gewerbekapitalsteuer kompensiert. ster von Frankfurt, Tom Koenigs: „Rettet die Städte vor dem Vermittlungsausschuß." Denn dort - das sage ich jetzt ganz deutlich - finden die Verteilungs- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Metzger, ge- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten kämpfe statt. Wir können es nicht zulassen, daß der Thiele. Bundesfinanzminister, weil er auf den Bundesrat an -gewiesen ist, den Ländern Ausgleiche einräumt, diese aber mit ihren Kommunen - und zwar gleich- Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gültig, wer regiert - oftmals Schlitten fahren. Damit Bitte. droht im Westen im nächsten Jahr das, was im Osten nach dem Föderalen Konsolidierungsprogramm nicht Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Metzger, habe ich weitergegeben wird. Sie gerade richtig verstanden, daß auch die GRÜ- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Wer NEN für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer regiert denn in Hessen?) sind, weil diese Steuer die Arbeitsplätze in Deutsch- land belastet und dadurch mit Ursache für die Ar- Manche Kommunen in den neuen Ländern werden beitslosigkeit ist? von diesen im Regen stehengelassen, und die Länder haben in diesem Jahr ihre Haushalte saniert. Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diese Argumentation teile ich nicht. Aber wir haben Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Metzger, ge- so viel wirtschaftspolitischen Sachverstand, daß wir statten Sie eine weitere Zwischenfrage des Kollegen sagen können: Eine Substanzbesteuerung wie die Weng? Gewerbekapitalsteuer, die Betriebe auch dann zah- len, wenn es ihnen schlechtgeht, paßt nicht in die po- Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): litische Landschaft. Bitte, Herr Weng. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir wollen die Gewerbeertragsteuer natürlich Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Kol- substantiell behalten. Dazu habe ich heute die Töne lege Metzger, Sie selbst haben sehr deutlich erklärt, des Finanzministers gehört, der hier sogar davon daß der Bund bei der Finanzverteilung den kürzeren spricht, daß man möglicherweise im Grundgesetz gezogen habe. In der Logik dieser Ihrer eigenen Er- den Kommunen eine entsprechende Bestandsgaran- klärung: Sind Sie mit mir der Meinung, daß eine Be- tie geben kann. sitzstandsverbesserung für die Gemeinden - wobei man diese nicht unendlich garantieren kann - ( [CDU/CSU]: Was heißt „Töne"? Das war eine hervorragende Rede! (Detlev von Larcher [SPD]: Aha!) - Dr. Wolfg ang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: eine stärkere Beanspruchung der Länder bedeuten Das war eine sehr sinnvolle Äußerung!) müßte? Ich denke, daß wir vor dem Hintergrund diese Be- (Detlev von Larcher [SPD]: Das klingt schon weglichkeit an den Tag legen. ganz anders als bei !) Das, was der Finanzminister heute gesagt hat, klingt so, als ob dieser Bundestag und diese Bundes- Oswald Metzger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich regierung die Finanznot der Kommunen plötzlich schätze die Situa tion so ein - ich sage das auch in ei- entdeckt hätten. Davon kann natürlich keine Rede ner offenen Parlamentsdebatte -: Die Bundesländer sein. Bezüglich des in diesem Haus beschlossenen haben in diesem Verteilungskampf auf Grund der Jahressteuergesetzes, das, wenn der Bundesrat in Verfassungskonstruktion dieser Republik eine stär- dieser Woche die entsprechenden Entscheidungen kere Rolle. Sie wissen, Herr Kollege Weng, daß Ihnen 3442 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Oswald Metzger nahestehende freie Wählervereinigungen in unserem sind wie die Kolleginnen und Kollegen, die der SPD Bundesland - auch Sie kommen ja aus Baden-Würt- oder auch unserer Fraktion angehören, die da sagen: temberg - nicht umsonst eine Kommunalkammer Wir glauben einfach nichts, bevor wir nicht Fakten fordern, die die kommunalen Interessen stärker ge- auf dem Tisch haben. wichtet, so daß die Kommunen, wie der Hauptge- schäftsführer des Städtetags, Diekmann, in Magde- Die von Ihnen angekündigte Zeitschiene, Herr Fi- burg vor zweieinhalb Wochen sagte, nicht ständig nanzminister, müssen Sie einfach um der Seriosität nur am Katzentisch sitzen, ihre Anregungen zum Ge- der Gespräche willen an den Tag legen. Ich sehe es setzgebungsverfahren zwar einbringen können, aber als einen Fortschritt an, daß wir in dieser Woche nicht schlußendlich zwischen die Mühlsteine von Bundes- noch einmal das gleiche Verfahren, das wir schon am interessen und Länderinteressen geraten und zerrie- 12. Mai vor den Landtagswahlen in Nordrhein-West- ben werden. Das ist Faktum in unserer Gesellschaft, falen und Bremen hier auf dem Tisch hatten, übers und die Kommunen baden das leider aus. Knie brechen. Deshalb hoffe ich, daß die politische Vernunft hier einzieht. Der Grundsatz „Wer bezahlt, bestellt" gilt im Ge- Wir als bündnisgrüne Fraktion sind auf jeden Fa ll schäftsleben; für die Finanzbeziehungen zwischen gesprächsbereit genug, uns differenzierten Lösun- Bund, Ländern und Gemeinden gilt er leider nicht. gen hier nicht zu verschließen. Bei dieser wich tigen Auch das ist ein Punkt, Herr Finanzminister Waigel, Geschichte, bei der es um die Finanzausstattung der bei dem die Glaubwürdigkeit eines Finanzministers Kommunen geht, sollte man wirklich, über alle politi- natürlich größer wäre, wenn er zu dem gleichen Zeit- schen Lager hinweg, zu Konzepten kommen. punkt, zu dem er - wie heute - versucht, den Äuße- rungen der Kommunen sehr differenziert entgegen- Vielen Dank. zukommen, nicht erklären würde, er halte nach wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vor an den bereits im Bundeshaushalt 1995 vorgese- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und henen Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, an Lei- der F.D.P.) stungen des Bundes fest, die auf die Sozialhilfeträ- ger, auf die Kommunen, abgewälzt werden. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht Hierzu gibt es - das wissen Sie wahrscheinlich - die Kollegin Gisela Frick. Rechtsgutachten, die die entsprechende Passage im Bundessozialhilfegesetz als verfassungswidrig ein- (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- stufen, weil in einer bundesgesetzlichen Regelung Gisela Frick men und Herren! Für die F.D.P.-Fraktion erkläre ich: steht, daß die Kommunen Leistungsträger sind, ob- Wir wollen die Grundgesetzänderung, wir wollen die wohl der Staatsaufbau, das Konnexitätsprinzip nach Änderung des Art. 106, weil wir die Unternehmen- Artikel 104 des Grundgesetzes, nur Bund und Länder steuerreform wollen. Daß wir nach relativ kurzer Frist als Verfassungsorgane in den Finanzbeziehungen hier wieder zusammenkommen, macht aus unserer kennt und eine direkte Lastenübertragung auf eine Sicht durchaus einen Sinn; denn wir wollen die Ge- dritte Seite eigentlich gar nicht zulässig ist. Die hessi- werbesteuerreform so schnell wie möglich. schen kommunalen Spitzenverbände haben ein ent- sprechendes Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. (Beifall bei der F.D.P.) Verschiedene Kommunen dieser Republik haben Klagen angekündigt. Hier tut sich ein Konflikt auf, Herr Kröning, Sie haben eben gesagt, der Name den wir politisch regeln müssen, wenn wir über die „Restantengesetz" sei eher ein Armutszeugnis für Neufassung des Konnexitätsprinzips in den nächsten die Gesamtplanung. Dazu muß ich sagen: Der Name Monaten und Jahren reden wollen. ist nur ein Arbeitstitel; darüber sind wir uns einig. Aber wenn wir als F.D.P. diesem Werk einen Namen Die Sozialhilfe belastet in dieser Republik, in der geben sollten, würden wir es als „Arbeitsplatzsiche- die Zahl der Langzeitarbeitslosen immer noch auf rungsgesetz" bezeichnen. Darin liegt auch das Ge- sehr hohem Niveau stagniert bzw. in manchen Regio- samtinteresse, das wir alle haben sollten. Das ist nen sogar steigt, die kommunalen Haushalte inzwi- auch der Sinn, weshalb wir jetzt weitermachen wol- schen in großem Ausmaß. Ich will das am Beispiel len. des Landkreises Esslingen in Baden-Württemberg Ich finde es sehr gut - auch das sage ich -, daß der beziffern: Dort wi ll der Kämmerer des Kreises im Herr Minister eben erklärt hat, daß die Zeitschiene - nächsten Jahr den Hebesatz der Kreisumlage, die als ursprünglich war die Behandlung dieses Themas auf Refinanzierungsmittel für die Sozialhilfekosten bei der Tagesordnung für Freitag angekündigt - nicht den Gemeinden gilt, auf fast 35 Prozentpunkte erhö- eingehalten wird, daß wir jetzt ein bißchen mehr Zeit hen, was für Baden-Württemberg ein absoluter Spit- haben. zenwert wäre. Das bringt die dortigen Gemeinden zu einem hellen Aufschrei der Empörung. Sie sagen: Die Einbringung dieser Grundgesetzänderung Wir können unsere Zuführungsraten aus dem Ver- heute macht durchaus Sinn, wenn wir weiter über waltungshaushalt nicht mehr selber erwirtschaften; die Gewerbesteuerreform und damit über die Siche- deshalb lassen wir diese „Kostenwegdrückerei des rung des Standortes Deutschland und insbesondere Bundes" auf die kommunale Ebene nicht mehr zu. der Arbeitsplätze in Deutschland reden wollen. Das Das ist die kommunale Praxis. Vor diesem Hinter- wollen wir offensichtlich alle gemeinsam hier. Dann grund ist auch erklärbar, warum die CDU-Bürger- muß auch die Änderung des Grundgesetzes weiter- meister und -Oberbürgermeister genauso skep tisch hin im Raum stehen; denn sonst machte das Ganze Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3443

Gisela Frick keinen Sinn: Ich kann nicht über die Gewerbesteuer- werbsverzerrung und der Sonderbelastung muß reform reden, ohne die entsprechenden verfassungs- diese Steuer wegfallen. rechtlichen Grundlagen zumindest in den Raum zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne stellen. ten der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P.) Ein weiterer Punkt: die Einführung der Gewerbeka- Daß wir im Moment die erforderliche Zustimmung pitalsteuer in den neuen Ländern. Wir haben eine von Ihnen nicht bekommen, haben Sie sehr deutlich Aussetzung bis Ende dieses Jahres und müßten zum artikuliert - immer wieder, auch heute noch einmal. 1. Januar 1996 - das ist schon x-fach gesagt worden - Wir hören allerdings von der Opposi tion auch andere die Gewerbekapitalsteuer in den neuen Ländern ein- Töne, sowohl aus der Richtung der GRÜNEN - ge- führen. Daß das schon an praktischen Voraussetzun- rade noch von Herrn Oswald Metzger - als auch aus gen hapert, beispielsweise der Einheitsbewertung in Ihren Reihen, Herr Kröning. Ich bedauere sehr, daß den neuen Ländern, die noch gar nicht durchgeführt Herr Jens heute nicht da ist; denn er könnte sich ist, haben wir in der Anhörung des Finanzausschus- dann dieses Lob von Regierungsseite persönlich an- ses sehr deutlich gehört. Daß es wi rtschaftlich keinen hören. Sinn macht, haben wir auch heute wieder mehrfach gehört. Es macht nun einmal keinen Sinn, staatsfi- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.): Das wird ihm nanziertes Fremdkapital in die Betriebe der neuen aber überbracht!) Länder hineinzupumpen und es auf der anderen Seite gleich wieder zur entsprechenden Besteuerung Vielleicht hat es auch gute Gründe, daß er nicht da heranzuziehen. Auch von daher wollen wir die Ein- ist. führung in den neuen Ländern nicht. Deshalb ist der Zeitdruck aus unserer Sicht schon sehr massiv, noch (Volker Kröning [SPD]: Auf der Tagesord in diesem Jahr zum Abschluß zu kommen. Herr nung steht nur die Grundgesetzänderung!) Metzger, wenn Sie eben die Frage gestellt haben: Was macht es für einen Schaden, wenn wir das zum - Die Grundgesetzänderung - Sie haben das selber 1. Januar 1997 machen?, dann sage ich Ihnen: Der im entsprechenden Zusammenhang behandelt - Schaden besteht genau in diesem einen Jahr und macht aber nur Sinn in Verbindung mit der entspre- den Problemen, die wir in den neuen Ländern be- chenden Unternehmensteuerreform bzw. der ent- kommen. Das muß doch nicht sein! sprechenden Gewerbesteuerreform. Wir wollen das weiterhin. Deswegen kann ich mich in der Argumen- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: tation kurz fassen. Das ist im Prinzip alles Wiederho- Erst denken, dann reden!) lung; da haben Sie recht. Das letzte aus unserer Sicht ist der Gesichtspunkt der Steuervereinfachung. Ich war in der letzten Le- Die Gewerbesteuer ist in sich eine antiquierte gislaturperiode noch nicht Mitglied des Parlaments. Steuer. Denn die Grundlagen, die ursprünglich zur Ich weiß aber, daß im Finanzausschuß eine sehr aus- Einführung der Gewerbesteuer geführt haben, gibt führliche Anhörung zur Steuervereinfachung durch- es heute nicht mehr. Die Gewerbebetriebe sind nicht geführt worden ist. Soweit ich die Protokolle richtig zwangsläufig mehr mit Belastungen für die Gemein- verstehe, hat fast jeder der Sachverständigen als al- den verbunden, was beispielsweise Immissionen und lerersten Schritt die Abschaffung der Gewerbekapi- Emissionen angeht. Den Äquivalenzgedanken, der talsteuer als Steuervereinfachung vorgeschlagen. ursprünglich bei der Gewerbesteuer dabei war, kön- Warum hören wir, wenn die Meinung dermaßen ein- nen wir heute vernachlässigen - nicht in allen Fällen, heitlich ist, nicht auf die Sachverständigen? Eine aber weitgehend. Steuervereinfachung, die wir nach wie vor im Auge haben - das wird eine Daueraufgabe bleiben; das ist Wir haben bei der Gewerbesteuer eine Besteue- klar -, erfordert - beinahe zwingend - die Abschaf- rungsverdoppelung, und zwar in beiden Bereichen. fung der Gewerbekapitalsteuer und entsprechende Was die Gewerbekapitalsteuer angeht, haben wir ein Schritte im Bereich der Gewerbeertragsteuer. Doppel zur Vermögensteuer, was den bet rieblichen Bereich angeht. Bei der Ertragsteuer haben wir ein (Beifall bei der F.D.P.) Doppel zur Einkommen- oder Körperschaftsteuer, je Das sind die Gründe, die aus unserer Sicht für eine nach Rechtsform. Das heißt, wir haben eine Doppel- Abschaffung sprechen. Das sind natürlich erst recht belastung, die letztlich schlicht und einfach zu einer die Gründe, die dafür sprechen, jetzt eine entspre- Mehrbelastung führt. Schon aus diesem Grunde muß chende Änderung des Grundgesetzes zu machen. die Gewerbesteuer fallen. Der Fall der Gewerbekapi- - talsteuer und die Minderung im Bereich der Gewer- Wichtig ist aus unserer Sicht auch noch, daß wir beertragsteuer sind ein erster Schritt in diese Rich- uns mit den Einwendungen gegen diese Pläne aus- tung. einandersetzen. Das sind insbesondere die Einwen- dungen, die aus der Sicht der Kommunen kommen. Daß wir damit auch im internationalen Wettbewerb Es ist selbstverständlich, daß wir das ernst nehmen. - der immer schwieriger wird; das wissen wir alle, Wir wollen nichts über die Köpfe der Kommunen hin- darüber besteht große Einigkeit hier im Parlament - weg machen. Wir erkennen die finanzielle Eigenver- eine Zusatzbelastung für unsere Wirtschaft und für antwortung der Kommunen an. Wir haben die Ände- die Arbeitsplätze in Deutschland haben, ist auch rung des Art. 28 GG, durch die das ausdrücklich in klar. Das heißt also, auch aus Gründen der Wettbe das Grundgesetz gekommen ist, mitgetragen. Wir 3444 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Gisela Frick wollen nicht, daß die Gemeinden durch eine Unter- Ruck! Heute bringen wir den Gesetzentwurf erst ein- nehmensteuerreform plötzlich ohne eigene Mittel mal ein, damit wir eine entsprechende Arbeitsgrund- und ohne eigene finanzielle Verantwortung daste- lage für die weiteren Beratungen haben. Dann wer- hen. den wir hier im Herbst sicher mit anderen Ergebnis- sen abstimmen. Was wir aber sehr wohl in Frage stellen, ist, ob diese finanzielle Eigenverantwortung der Gemein- Danke schön. den tatsächlich den Erhalt bestimmter Steuerarten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag voraussetzt. Wenn wir das bejahen - so verstehe ich zum Teil die Ein- wendungen der Opposi tion -, dann zeigen wir uns Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort nimmt total reformunfähig. Das ist ein Problem, das wir jetzt der Kollege Dr. Uwe-Jens Heuer. auch in vielen anderen Bereichen schon gesehen ha- ben. Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! Die finanzielle Eigenverantwortung der Gemein- Meine Damen und Herren! Frau F rick hat eben ge- den verlangt, daß sie selbständig über eigene finan- sagt: Wir wollen eine Verfassungsänderung, weil wir zielle Spielräume verfügen und daß sie damit auch eine Unternehmensteueränderung wollen. Sie hat gewisse eigene Quellen haben. Aber es heißt nicht, dann am Schluß sehr beiläufig die Lage der Gemein- daß sie ganz bestimmte Steuern, wie gesagt, bis zum den behandelt und hat ausgeführt, ihnen könne na- Sankt-Nimmerleins-Tag erhalten können. türlich nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag die- selbe Situation wie jetzt garantiert werden. Ich glaube, die Diskussion über die Kompensation für die Übergangszeit müssen wir ebenfa lls unter Unser Problem ist, daß hier zwar über die Unter- diesem Gesichtspunkt sehen. Auch die bisherige Ge- nehmensteueränderung nachgedacht wird, daß aber werbesteuer- in ihren beiden Teilen Gewerbekapital nicht das Problem der verfassungsrechtlichen Grund- und Gewerbeertragsteuer hat den Gemeinden ja lagen der Gemeindefinanzierung im Mittelpunkt nicht so viel Planungssicherheit gebracht, daß sie steht. Wir meinen, daß beide Fragen gestellt werden fünf Jahre im voraus ganz genau auf den letzten müssen; denn es geht ja heute um eine Grundgesetz- Pfennig hinter dem Komma wissen, was ihnen im änderung. Jahre X, in fünf Jahren beispielsweise, zur Verfü- gung steht. Es liegt im Wesen der Steuer, daß es eine Für die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatz- dynamische Steuer ist. Das gilt für alle Steuern; je- steuer spricht manches. Sie würde möglicherweise denfalls wünschen wir uns das. Von daher hat es die Einnahmestruktur der Gemeindefinanzen ver- schon immer eine gewisse Unsicherheit gegeben. Sie bessern. Auch für die Abschaffung der Gewerbe- betraf natürlich in erster Linie den Teil der Gewer- steuer spricht manches. Sie ist stark konjunkturab- beertragsteuer, aber auch den der Gewerbekapital- hängig; das ist heute gesagt worden. steuer. Dennoch meine ich, daß m an den vorliegenden Insofern ist, wenn wir jetzt den Gemeinden einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes aus entsprechenden Anteil an der Umsatzsteuer und da- prinzipiellen Gründen ablehnen muß. Der mit, wie wir es heute schon x-mal gehört haben, eine 12. Bundestag hat als Ergebnis einer gründlichen konjunkturunabhängige, ständig fließende und dazu und aufgeschlossenen Diskussion in der Gemeinsa- auch noch dynamisch steigende Steuerbeteiligung men Verfassungskommission von Bundestag und geben, gerade unter dem Gesichtspunkt der Pla- Bundesrat im vorigen Jahr den Satz in das Grundge- nungshoheit und der Planungssicherheit - auch das setz eingefügt: haben wir heute schon mehrfach gehört - eine deutli- Die Gewährleistung der Selbstverwaltung um- che Verbesserung für die Gemeindefinanzen da. Die faßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigen- kommunalen Spitzenverbände signalisieren jetzt ja verantwortung. auch nicht zu Unrecht durchaus Bereitschaft, hier mitzumachen. Die meisten zeigen nicht nur die Be- Diese kürzlich in Kraft getretene Grundgesetzän- reitschaft, sondern eine große Zufriedenheit damit, derung wird mit dem jetzt vorgelegten Entwurf miß- daß die Gemeindefinanzierung in diesen Bereichen achtet. Finanzielle Eigenverantwortung meint doch umgestellt werden soll. Von daher glaube ich, daß nicht nur das Recht, Geld auszugeben, sondern es ein Umdenken auch in den Reihen der Opposition meint auch, daß diese Mittel zur Bestreitung der schon in allernächster Zeit erfolgen wird. durch die Aufgabenerfüllung entstehenden Lasten wenigstens zu einem wesentlichen Teil aus eigenem Wir setzen mit der heutigen Einbringung unseres Recht und eigenverantwortlich beschafft werden Antrages das parlamentarische Verfahren in dieser können. Dazu gehört die Verpflichtung, einen Teil Hinsicht zunächst einmal in Gang. Dann werden wir der benötigten Einnahmen selbständig zu beschaffen in der folgenden Diskussion sehen, wie es weiter- und damit die finanziellen Konsequenzen des Ausga- läuft. Aber ich bin ganz zuversichtlich, daß die Zeit- beverhaltens auch vor den Wählern politisch zu ver- vorgabe, die wir eben vom Herrn Minister gehört ha- treten. ben, also im Herbst dieses Jahres, einzuhalten ist und daß wir dann auch zu einer zweiten und dritten So schlecht die Gewerbesteuer als finanzpoliti- Lesung kommen, und zwar keineswegs als eine Neu- sches Instrument der Gemeinden sein mag, so ist sie auflage des 12. Mai, sondern mit anderen Ergebnis- doch fast das einzige Stück finanzieller Eigenverant- sen. Deshalb noch einmal: Geben Sie sich einen wortung der Gemeinden auf der Einnahmenseite. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3445 Dr. Uwe-Jens Heuer Der Abgeordnete Friedrich-Adolf Jahn sagte in der mindest im Rahmen der Standortdebatte doch er- schon erwähnten Diskussion der Gemeinsamen Ver- staunlich ist es, daß damit für die Entlastung der 16 % fassungskommission: Großunternehmen, die zur Gewerbekapitalsteuer herangezogen werden - das ist nur ein geringer Teil -, Die institutionelle Garan tie ist 1949 ins Grundge- und der 30 % Unternehmen, die bisher Gewerbeer- setz gekommen. Der Grundgesetzartikel ist in tragsteuern zahlen, alle Unternehmen belastet wer- diesem Punkt bis heute nicht verändert worden. den sollen, also auch die Handwerker, kleine und Wir stellen praktisch fest, daß die kommunale mittelständische Unternehmen, die bekanntlich die Selbstverwaltung in manchen Bereichen nur auf meisten Arbeitsplätze schaffen. dem Papier steht, und zwar deshalb, weil vieles durch die Subventionsverwaltung gesteuert Meine Damen und Herren, wir sind für eine Re- wird. Nicht derjenige hat die Kompetenz, der die form der Gemeindefinanzen. Sie könnte auch die Ab- Zuständigkeit nach dem Gesetz hat, sondern der- schaffung der Gewerbesteuern einschließen. Aber jenige hat die Macht, der die Subventionsverwal- wir sind für eine solche Reform, die die Ini tiative der tung steuert. Bürger stärkt, die sie anregt, sich an Politik im Rah- men ihrer Kommunen zu beteiligen, die sie zwingt, So steht es im Protokoll vom 4. Juni 1992. über die Folgen ihres Handelns nachzudenken. Die kommunale Selbstverwaltung - das wird kaum bestritten - ist seit der Annahme des Grundgesetzes Wir sind gegen eine Reform, die die Unternehmen von Tendenzen der Auszehrung befallen. Es hat ge- aus der steuerlichen Mitverantwortung für die von gen diese Tendenzen Widerstand gegeben, und es ihnen genutzte Infrastruktur der Gemeinden entläßt. hat auch teilweise und zeitweise Gegentendenzen Wir sind gegen eine Reform, die die Eigenverantwor- tung der Kommunen abbaut und den bürokratischen gegeben. Insgesamt aber war eine Tendenz zum bü- Zentralismus aufbaut. rokratischen Zentralismus vorhanden. Das Subsidia- ritätsprinzip hat schon im nationalen Rahmen ver- Eine solche Reform der Kommunalfinanzen bedarf sagt, und die Bundesregierung arbeitet mit der beab- einer gründlichen wissenschaftlichen Fundierung. sichtigten Reform weiter an seiner Schwächung. Das ist jetzt vielleicht möglich, wenn ich den Herrn Ich erinnere mich an viele Menschen in Ost- Finanzminister heute richtig verstanden habe. Dann deutschland, die im Jahre 1990 in die Kommunalpoli- soll man aber dazu die Zeit wirk lich nutzen. tik gegangen sind, weil sie überzeugt waren, daß die Die PDS hat dazu die Einsetzung einer entspre- zentralistische Gängelung der Gemeinden, wie sie in chenden Enquete-Kommission vorgeschlagen. In der der DDR üblich war, nun ein Ende haben werde, weil Debatte zu diesem Vorschlag am 11. Mai 1995 hat sie die Vorstellung hatten, jetzt könnten sie wich tige Herr Kollege Willner darauf hingewiesen, daß die Probleme der Daseinsvorsorge und andere Fragen ei- Kommunen keine staatliche Ebene sind. Das wissen genverantwortlich gestalten. Sie sahen sich seit Som- wir. Aber wenn die hier vorgeschlagene Grundge- mer 1990 schwer enttäuscht und von einem Zaun aus setzänderung in Kraft treten und in der Folge die zentralen bürokratischen Bestimmungen umstellt. Steuerhoheit der Gemeinden weiter reduziert wer- Was wird das Ergebnis der Veränderungen sein? den sollte, dann bricht wieder ein Stück der Eigen- Die eigenverantwortliche Entscheidung der Gemein- ständigkeit in der Gesamtverantwortung für alle An- den über einen Teil ihrer Einnahmen wird durch ein gelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft weg. Gerangel mehr oder weniger gemeindeferner Kräfte Herr Metzger vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat um die Aufteilung des Umsatzsteueraufkommens er- heute gesagt, daß hier ein Kompromiß zu Lasten der setzt werden. Im Änderungsvorschlag heißt es nur, Kommunen geschlossen werden soll. Ich meine, wir daß sie etwas erhalten können; aber es ist kein An- müssen ernsthaft darüber diskutieren, wie wir die Ei- spruch vorgesehen. genverantwortung der Kommunen sichern, nein, ver- Es ist heute einiges dazu gesagt worden, was man stärken können. Das ist nach meiner Ansicht ein Ver- zusagen und möglicherweise machen will. Aber fassungsgebot des Grundgesetzes, das wir nicht wenn man das Grundgesetz ändert, hat man ein Tor ohne Not aushebeln sollten. geöffnet, und man kann nicht sagen, was im weite- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ren geschehen wird. Deswegen müssen die Entschei- dungen - das soll ja jetzt auch passieren - aufgescho- (Beifall bei der PDS) ben werden, damit man gründlich darüber reden kann, was eigentlich mit den Gemeinden geschehen soll. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Kollege Norbe rt Geis. Es ist schon erstaunlich, daß eine konservativ ge- führte Regierung, nur um in der Standortdebatte ei- nen Punkt zu machen, ein derartiges Abenteuer mit Norbert Geis (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine so unkalkulierbaren Folgen anfängt; allerdings hält sehr verehrten Damen und Herren! Der für die Ver- sie jetzt offenbar im Sprung inne. fassungsänderung federführende Rechtsausschuß hat zu dieser Frage eine Anhörung durchgeführt. Die Ich halte den Vorschlag, die Gegenfinanzierung dort vertretenen Verfassungsrechtler haben ohne über die Verschlechterung der Abschreibungsbedin- Ausnahme erklärt, daß es keinen vernünftigen gungen für investierende Unternehmen zu erreichen, Grund gibt, die Verfassungsänderung nicht zu ver- für grotesk. Für mich nicht überraschend, aber zu- wirklichen. 3446 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Norbert Geis Es geht im Prinzip letztlich um die Stärkung des schen Einstellung her überhaupt nichts. Im Gegen- Selbstverwaltungsrechtes der Gemeinden. Keiner teil, Sie leisten einen Beitrag dazu, daß die Finanzie- von uns bestreitet, daß dies ein Verfassungsgrund- rung der Gemeinden insgesamt verbreitert wird. Das satz ist, dem wir alle verpflichtet sind. Bei dieser Stär- ist doch eigentlich ein verfassungsrechtliches Gebot. kung geht es um eine Verbreiterung des Finanzie- (Detlev von Larcher [SPD]: Unglaublich! Ein rungsspielraumes der Gemeinden. Die Beteiligung an der Umsatzsteuer wäre eine solche Verbreiterung merkwürdiges Verfassungsverständnis!) des Finanzierungsspielraumes der Gemeinden. Des- Natürlich ist es sinnvoll - daran wi ll ich überhaupt halb gibt es - ich wiederhole, was uns die Verfas- keinen Zweifel lassen -, die Gewerbekapitalsteuer sungsrechtler gesagt haben - keinen vernünftigen abzuschaffen und die Gewerbeertragsteuer zu redu- Grund, auf die Verfassungsänderung mit dem Ziel, zieren. Wir haben hier vom Finanzminister die die Finanzierung der Gemeinden zu gewährleisten, Gründe dafür gehört. Ich brauche sie nicht zu wie- zu verzichten. derholen. Es geht um die Konkurrenzfähigkeit unse- Dennoch sperrt sich die SPD bislang gegen eine rer Unternehmen. Es besteht kein Zweifel - das wird solche Verfassungsänderung. Sie von der SPD sind auch von niemandem bestritten; reden Sie doch ein- aber, wenn ich Sie richtig verstanden habe, im mal mit Ihren Kommunalpolitikern und mit den Ar- Grunde genommen nicht gegen die Beteiligung der beitnehmern in den Gewerbebetrieben und in den Kommunen an der Umsatzsteuer, sondern Sie sper- Industriebetrieben -: Die Industrieunternehmen, die ren sich gegen die Verfassungsergänzung, weil Sie Gewerbebetriebe bei uns sind durch die Gewerbe- steuer im Verhältnis zu den ausländischen Unterneh- die Kompensierung der Gewerbesteuer durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer verhindern wollen. men in einer besonderen Weise belastet. Beides hat aber zunächst einmal nichts miteinan- Sie sind sowieso schon stark belastet. der zu tun. Es wird zwar politisch sinnvollerweise (Beifall bei der F.D.P.) verknüpft, aber verfassungsrechtlich ist dieses Junk- tim überhaupt nicht geboten. Die SPD könnte hier Wir haben eine hohe Belastung durch die Sozialko- beispielsweise ohne weiteres der Verfassungsergän- sten, wir haben eine hohe Belastung - auch das darf zung zustimmen und dann mit ihrer Mehrheit im nicht verschwiegen werden - durch die Umweltko- Bundesrat die Reform der Gewerbesteuer blockieren. sten, und wir haben jetzt natürlich auch noch eine hohe steuerliche Belastung. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Wenn es uns ernst ist, den Industriestandort Bun- Oder wir könnten ohne weiteres ins Gespräch kom- desrepublik Deutschland zu erhalten, und wenn wir men, wie wir gemeinsam die Gewerbesteuer refor- es für unsere Betriebe interess ant machen wollen, zu mieren. Das müßten wir sowieso spätestens im Ver- investieren und bei uns neue Arbeitsplätze zu schaf- mittlungsausschuß. fen, müssen wir die Kosten senken. Darüber sind sich Beides hat also zunächst einmal nichts miteinander doch im Grunde genommen alle einig. Deswegen zu tun. Aber die Verfassungsergänzung ist die Vor- müssen wir den ersten Schritt tun. aussetzung dafür, daß wir uns überhaupt darüber un- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) terhalten, wie wir gemeinsam die Gewerbesteuer ge- stalten wollen. Lassen Sie mich ein paar weitere Aspekte anfüh- ren, die immer gegen die Reform der Gewerbesteuer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eingewandt werden. Die Reform sei, so wird behaup- Deswegen ist es nicht verständlich, weshalb Sie sich tet - völlig zu Unrecht, wie ich meine -, unter Um- so hartnäckig gegen die Verfassungsergänzung ständen ein Verstoß gegen das Selbstverwaltungs- Das ist nicht der Fall. Es ist wehren. recht der Gemeinden. richtig: Die Gemeinden müssen nach dem Selbstver- (Detlev von Larcher [SPD]: Sie müssen nur waltungsrecht, das verfassungsmäßig garantiert ist, zuhören, dann werden Sie es verstehen!) über Finanzquellen verfügen, deren Ausschöpfung sie selbst bestimmen. Das ist bei der Gewerbesteuer - Nein, ich wiederhole es: Sie machen nach meiner durch den Hebesatz zweifellos der Fall. Es ist auch Auffassung den Denkfehler, daß Sie beides verknüp- richtig, daß dieses Erfordernis durch die Beteiligung fen. Natürlich wird es politisch verknüpft, und das ist an der Umsatzsteuer nicht gegeben ist. auch sinnvoll. Die Behauptung aber, die Gemeinden - das hat (Detlev von Larcher [SPD]: Na also!) Frau Frick schon dargelegt - müßten ausschließlich- im Sinne der jetzigen Ge- - Nein, von der Sache her ist es zunächst einmal not- über eigene Finanzquellen wendig, die Verfassungsänderung durchzuführen. werbesteuer verfügen, ist falsch. Es reicht nach Dann können wir uns darüber unterhalten, wie wir Art. 28 Abs. 2 Satz 3 des Grundgesetzes aus - Herr die Gewerbesteuer gestalten. Heuer, wir haben dies in der Gemeinsamen Verfas- sungskommission mit ganz überwiegender Mehrheit Wenn Sie eine Abschaffung der Gewerbekapital- gemeinsam so beschlossen -, wenn die Gemeinden steuer nicht wollen, dann können Sie dies doch - das finanzielle Grundlagen haben, mit denen sie im wissen Sie genausogut wie wir - im Bundesrat blok- Sinne des Selbstverwaltungsrechtes eigenverant- kieren. Also können Sie ohne weiteres den ersten wortlich tätig werden und die ihnen übertragenen Schritt tun. Sie vergeben sich dabei von Ihrer politi Aufgaben eigenverantwortlich erledigen können. Es Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3447

Norbert Geis ist also nicht erforderlich, daß die Gemeinden durch- Grundlage der Gemeinden zu sorgen. In dem Au- weg über eigene Finanzquellen verfügen müssen. Es genblick, in dem das Gewerbesteueraufkommen re- reicht zunächst einmal, wenn eine ausreichende fi- duziert wird und die Gemeinden dadurch nicht mehr nanzielle Grundlage gegeben ist. in der Lage sein würden, auf ausreichende finan- zielle Mittel zurückgreifen zu können, würde natür- Nun sagen uns die Verfassungsrechtler mit Recht, lich auf Grund der Regelung des Art. 28 Abs. 2 Satz 3 daß neben den vielen Quellen zur Finanzierung der GG aus der Kann-Bestimmung sofort eine An- Gemeindehaushalte eine solch eigenständige Fi- spruchsbestimmung werden; denn der Staat hätte nanzquelle, wie es die Gewerbesteuer darstellt, er- gar keine andere Möglichkeit als so zu verfahren, halten bleiben muß. Das gehört nach Meinung der wie es die Beteiligung an der Umsatzsteuer eröffnet. Verfassungsrechtler - wir zweifeln nicht, daß dies richtig ist - zum Selbstverwaltungsrecht der Gemein- Deshalb meinen wir, daß a ll diese Überlegungen, den. die vielleicht ein wenig juristisch spitzfindig klingen, (Beifall bei der CDU/CSU) in der Sache vielleicht aber doch den Ausschlag ge- Durch die Beteiligung an der Umsatzsteuer und die ben können, nicht zutreffen. Es gibt - ich wiederhole - Reform der Gewerbesteuer wird dies aber gar nicht keinen vernünftigen Grund, Herr Kröning, jetzt den geändert. Zwar wird die Gewerbekapitalsteuer abge- Schritt zur Verfassungsergänzung nicht zu tun. Dann schafft; das ist richtig. Die Gewerbeertragsteuer können wir immer noch darüber reden, wie wir die bleibt jedoch erhalten, wenn auch in reduzierter Gewerbesteuer gestalten. Form. Dies reicht, um dem Selbstverwaltungsrecht zu genügen. Danke schön. Nun sagen uns die Kommunalpolitiker: Die Gewer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) besteuer ist eine besondere Steuer. Sie reizt die Ge- meinden, Gewerbeflächen auszuweisen. Dadurch leisten sie einen großen Anteil an dem Erhalt des In- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat der dustriestandortes Bundesrepublik Deutschland. Das Kollege Joachim Poß. ist richtig. Jeder, der in der Gemeindepolitik tätig war oder noch tätig ist, weiß, welch entscheidende Rolle dies im Gemeinderat spielt. Das aber bleibt Joachim Poß (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- auch in Zukunft so. Der Verteilungsschlüssel, der bei men und Herren! Heute erleben wir die Kaschierung der Umsatzsteuerbeteiligung vorgesehen ist, richtet eines Bremsmanövers. Die Dramaturgie wurde geän- sich nach den örtlichen Gegebenheiten, insbeson- dert, aber die Nebelscheinwerfer sind eingeschaltet dere nach der örtlichen Wirtschaftskraft. Damit bleibt geblieben. Garniert wird das Ganze mit einigen de- es für die Gemeinden nach wie vor interessant, Ge- magogischen Verdrehungen über Arbeitsplatzver- werbeflächen auszuweisen und Betriebe anzusie- nichtungen im Osten - darüber sollten Sie sich ein- deln. Insofern stimmt auch dieses Argument nicht. mal in einem anderen Zusammenhang Gedanken Es gibt noch ein weiteres Argument. Es heißt, daß machen -; der Bund dadurch, daß er den Gemeinden eine Betei- (Beifall bei der SPD) ligung an der Umsatzsteuer eröffnet, einen direkten Durchgriff auf die Gemeinden hätte und gestalte- denn wir wissen, daß kaum Bet riebe im Osten betrof- risch in ihr Selbstbestimmungsrecht eingreifen fen wären. Im übrigen kann ich Sie, Herr Bundesfi- könnte; dies sei verfassungsrechtlich nicht erlaubt. nanzminister, nur herzlich bitten, Ihre Rolle als stärk- Es ist richtig: Dies wäre verfassungsrechtlich nicht er- ster Wirtschaftspartner in der Europäischen Union laubt. Das ist aber hier nicht der Fall; denn das Geld, wirklich so zu nutzen, daß die notwendige Ausset- das über die Beteiligung an der Umsatzsteuer an die zung für die neuen Länder auch wirklich angestrebt Gemeinden fließt, nimmt den Weg über die Länder- und erreicht wird. ebene. Die Länder verteilen diese Mittel. Ein Durch- griff des Bundes ist also schon von der Konstruktion (Beifall bei der SPD - Carl-Ludwig Thiele her nicht gegeben. Deshalb ist auch dieses Argu- [F.D.P.]: Das kann doch nicht alles sein!) ment, das uns bei der Frage „Ist so etwas verfas- sungskonform?" entgegengehalten worden ist, nicht Bereits bei Ihrem ersten Anlauf am 12. Mai 1995 stichhaltig. hat der Bundestag diese unausgegorenen Gewerbe- Ein Letztes: Die Gemeindeverbände haben in die- steuerpläne der Koalition abgelehnt; denn die Ände- ser Anhörung gesagt, man müsse aus dieser Kann- rung des Art. 106 GG ist eine notwendige Vorbedin- Bestimmung eine Anspruchsbestimmung machen. gung für diese Gewerbesteuerpläne. Mit der Ableh- Die Gemeinden hätten dann einen Anspruch auf nung der Grundgesetzänderung wird der Rest ge- eine Beteiligung an der Umsatzsteuer. Darüber kann genstandslos. So war es am 12. Mai. man natürlich reden. Wenn ich den Finanzminister richtig verstanden habe, ist dies auch ein Punkt in Es gab in der Koalition noch einige zaghafte Versu- den Gesprächen, die im Herbst stattfinden sollen. che, die Gewerbesteuerpläne zu retten. Da war die Rede davon, den Einkommensteueranteil der Ge- Aber zunächst einmal gilt folgende Überlegung. meinden zu erhöhen oder die Gewerbesteuerumlage Wir haben nach Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG allgemein abzusenken. Aber letztlich mußte die Koalition ein- die Verpflichtung, für eine ausreichende finanzielle gestehen, daß ihr erster Anlauf gescheitert war. 3448 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Joachim Poß Heute ist sie mit diesem Anlauf endgültig geschei- haben, die kommunale Ebene in Ihrem Sinne zu mo- tert. bilisieren, ist Ihnen das nicht gelungen. Die kommu- nalen Spitzenverbände sind bei ihrer Position geblie- (Beifall bei der SPD - Carl-Ludwig Thiele ben. Sie haben Ihnen bestätigt, daß Ihre Pläne un- [F.D.P.]: Die GRÜNEN sind da schon be ausgereift und für die Gemeinden mit großen Risiken behaftet sind. -weglicher!) - Es ist mir egal, ob die GRÜNEN beweglich sind. Ich (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] sage, Sie sind gescheitert. Das ist entscheidend am [CDU/CSU]: Das zeigt, daß Sie mit den Leu heutigen Tage. ten nicht gesprochen haben!) Wir von der SPD haben im Rahmen der Beratung des Jahressteuergesetzes darum gebeten, diesen Teil Deswegen wurde am 12. Mai 1995 hier im Interesse abzukoppeln, gesondert zu beraten und nur die Teile der Gemeinden abgestimmt. zu beraten, die zum 1. Januar 1996 unbedingt in das ( [CDU/CSU]: Das ist die per Gesetzesblatt müssen: die Steuerfreistellung des Exi- sonifizierte Ahnungslosigkeit!) stenzminimums und der Familienleistungsausgleich. Das haben Sie zunächst abgelehnt, Herr Vorsitzen- Die Vorschläge sind auch abgelehnt worden, weil der Thiele. Dann haben Sie anschließend selbst be- die vorgeschlagene Gegenfinanzierung über eine antragt, daß die Gewerbesteuer und die damit zu- Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen sammenhängenden Teile aus dem Artikelgesetz her- die investierende Wi rtschaft zusätzlich belastet hätte. ausgenommen werden. Auch hieran sieht man, wie schwer es Ihnen gefallen ist, Ihre Niederlage einzu- Nun haben Sie in dieser Woche einen zweiten An- gestehen. lauf gemacht, der am heutigen Tage abgebrochen wird. (Beifall bei der SPD) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Unterbrochen!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Poß, gestatten Warum diese Hartnäckigkeit? Wem gegenüber sind Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hauser? Sie zu einer solchen Alibiveranstaltung verpflichtet? (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist (Rednitzhembach) (CDU/CSU): Hansgeorg Hauser es, ja!) Herr Kollege Poß, darf ich Sie fragen, wie Ihr Antrag zur Abkopplung gelautet hat? War es nicht so, daß Welche Zusagen und Versprechungen müssen Sie Sie verlangt haben, mehrere Teile aus dem Gesetz jetzt eigentlich einlösen? abzukoppeln und nicht nur die Gewerbesteuer- bzw. Unternehmensteuerreform, wie wir das vorgeschla- (Detlev von Larcher [SPD]: Ja!) gen haben? Was hat sich denn in den sechs Wochen seit dem ersten Scheitern inhaltlich getan? Hat die Bundesre- Joachim Poß (SPD): Es ist so, Herr Kollege Hauser, gierung neue Vorschläge vorgelegt, hat sie ein neues daß wir gesagt haben, wir müssen jetzt das regeln, Konzept entwickelt? Gibt es inzwischen einen Kon- was zum 1. Januar 1996 im Gesetzblatt stehen muß. sens mit den Gemeinden oder den Ländern? In der Das war unser Antrag, den Sie mit einer Stimme Sache gibt es nichts wesentlich Neues. Der Bundes- Mehrheit, die Sie von seiten der Koalition haben, ab- rat lehnt die von der Bundesregierung vorgelegten gelehnt haben. Vorschläge zur Gewerbesteuer ab. Hat sich sonst noch etwas getan? Die Antwort lautet schlicht: Nein, (Zuruf von der CDU/CSU: Mehrheit ist nichts. Mehrheit!) - Man sieht auch an dieser Zwischenbemerkung: Es Das heißt, ich muß das ein ganz klein wenig ein- fällt Ihnen schwer, Ihre Niederlage einzugestehen, schränken: Es hat sich fast nichts getan. Immerhin Herr Hauser. hat der Bundesfinanzminister mit Datum vom 29. Mai 1995 einen Brief an die kommunalen Spitzenver- (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] bände geschrieben und darin seine Bereitschaft für [CDU/CSU]: Ich sehe keine Niederlage!) weitere Verbesserungen erklärt. Er hat heute dar- über berichtet. Mit diesen Argumenten möchte ich - Doch, die Gewerbesteuerpläne der Koalition sind mich jetzt auseinandersetzen. im ersten Anlauf gescheitert, und zwar nicht nur, weil Sie die dafür notwendige Mehrheit im Bundes- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Auch Herr - tag nicht gefunden haben, sondern auch deshalb, Jens hat sich geäußert!) weil die Hauptbetroffenen, nämlich die Gemeinden, diese Vorschläge eindeutig abgelehnt haben. Wenn man sich diese „Nachbesserungen" näher anschaut, muß man zugeben, daß sich Herr Waigel (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ bewegt hat. DIE GRÜNEN) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) Die kommunalen Spitzenverbände haben Sie so- gar ausdrücklich aufgefordert, Ihre Vorschläge aus Aber wie? Diese Bewegung gleicht einem Eiertanz. dem Jahressteuergesetz herauszunehmen. Obwohl Das wird insbesondere deutlich, wenn Herr Waigel Sie massive Beeinflussungsversuche unternommen die sogenannte Bestandsgarantie für die verblei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3449

Joachim Poll bende Gewerbesteuer anspricht. Darauf will ich aus- Gewerbeertragsteuer abgeben wi ll? Ich vermute ein- führlicher eingehen; denn dabei wird deutlich, daß mal, in der Koalition gelten alle drei Meinungen. Herr Waigel die wahren Absichten dieser Koalition verschleiert, wie alle Koalitionsredner heute morgen. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja, das stimmt!) (Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD] - Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ist Aber das ist unredlich. Sie müssen - Sie haben ja da- ja eine Gemeinheit!) von gesprochen, daß es im Herbst zu Gesprächen kommen wird - Ihre wahren Absichten offenlegen. Herr Waigel schlägt in seinem B rief zum einen vor, Der Weg, Ihre wahren Absichten zu verheimlichen zu prüfen, ob die Gewerbesteuer ausdrücklich in und die Gemeinden im unklaren zu lassen, führt zu Art. 106 des Grundgesetzes aufgeführt werden soll. nichts, jedenfalls zu nichts Gutem. Dieses Vorhaben Dies sei, so Herr Waigel, im Ergebnis eine Bestands- wird scheitern, wenn Sie diesen Weg nicht verlassen. garantie für die noch verbleibende Gewerbeertrag- steuer. Als zweites Angebot wiederholt Herr Waigel (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die vom Bundeskanzler gegebene Zusage, daß eine DIE GRÜNEN) Abschaffung der Gewerbeertragsteuer nur dann und insoweit in Frage kommen kann, als diese Steuer Nach dem Brief von Herrn Waigel vom 29. Mai ste- durch eine neue, gleichwertige Finanzierung der hen zwei Änderungen zu Ihren Vorschlägen im Kommunen ersetzt wird. Raum: Erstens soll die Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer in Art. 106 des Grundgesetzes - Das heißt also im Klartext: Die Abschaffung der davon hat Herr Geis gesprochen - nicht in Form ei- Gewerbeertragsteuer wird danach nicht ausge- ner Kann-Bestimmung festgelegt werden, sondern schlossen. Aber wollte Herr Waigel nicht eine Be- als zwingende Vorschrift. Das wäre ein Fortschritt im standsgarantie abgeben? Was gilt denn nun? Ich Sinne der Gemeinden. Nur: Die angebliche Sicher- frage Sie - ich kann Herrn Waigel persönlich nicht heit bringt das den Gemeinden auch nicht; denn mehr fragen, er ist entschwunden -: über die Höhe der Beteiligung wird in einem einfa- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Er hat sich chen Gesetz zu entscheiden sein. Erst dabei wird entschuldigt!) festgelegt, was auf die Gemeinden insgesamt zu ver- teilen ist. Darüber, was die einzelne Gemeinde nach Welche Aussage gilt? Welches Angebot an die Kom- der Übergangslösung erhalten soll, soll erst sehr viel munen gilt? Gilt das Angebot von Herrn Waigel, oder später entschieden werden. Also gibt es für die Ge- gilt die Zusage des Bundeskanzlers? meinden auch in diesem Punkt in der Zukunft keine Sicherheit. (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Sie müssen Ihre Rede um Zweitens hat Herr Waigel angeboten, die Gewer- besteuer im Grundgesetz ausdrücklich aufzuführen.-schreiben!) Aber auch hier bleibt es beim Fragezeichen. Denn Es gibt aber noch eine viel wich tigere, eine dritte wenn Ihre Koalitionsvereinbarung gilt, werden Sie Variante in diesem Spiel: die Koalitionsvereinbarung versuchen, das rückgängig zu machen. Oder Sie vom November 1994. In der Koalitionsvereinbarung werden versuchen, die verbleibende Gewerbesteuer steht klipp und klar - ich zitiere -: Es wird „eine Ge- so auszuhöhlen, daß davon faktisch nichts mehr meindefinanzreform angestrebt, in der die Gewerbe- übrigbleibt. Also: Auch dies ist für die Gemeinden steuer Schritt für Schritt mit dem Ziel der Abschaf- eine Reise ins Ungewisse. Deshalb kann es für diese fung gesenkt werden soll „ . Vorschläge keine Zustimmung geben. Sowohl der Städtetag als auch der Städte- und Gemeindebund (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: lehnen Ihre Vorschläge auf Grund des Schreibens Sie lesen vernünftige Sachen!) von Herrn Waigel vom 29. Mai ab. Das gilt für Ihre Parteifreunde Thallmair und Seiler; das können Sie Also frage ich Sie, die CDU/CSU und die F.D.P.: Gilt nachlesen. dies, oder gilt dies nicht? Wir werden heute im Finanzausschuß beantragen (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Genau!) - ich hoffe, Sie werden dem zustimmen -, die Bera- Treten Sie hier an das Rednerpult, und erklären Sie, tung über die Gesetzesvorlagen zu vertagen. ob die Koalitionsvereinbarung in diesem Punkte gilt oder nicht. Sagen Sie den Gemeinden endlich, was (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach]- Sie wirklich vorhaben. [CDU/CSU]: Sie halten eine vollkommen veraltete Rede!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Hansgeorg Hauser [Red - Ich halte überhaupt keine überholte Rede, sondern nitzhembach] [CDU/CSU]: Merken Sie ich decke auf, in welchen Widersprüchen Sie sich be- nicht, daß Ihre Rede veraltet ist?) finden. Es ist Ihnen unangenehm, daß ich das auf- decke. Also: Gilt die Koalitionsvereinbarung, oder gilt die Aussage des Bundeskanzlers, oder gilt die Aussage (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne von Herrn Waigel, der eine Bestandsgarantie für die ten der PDS) 3450 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Joachim Poß Es ist auch für die Öffentlichkeit und für die vielen Ich frage Sie: Welche Gemeinde verliert, welche Kommunalpolitiker in Ihren Reihen interessant, daß gewinnt - und in welcher Höhe? Das können Sie es in der Koalition keine Klarheit in der Frage der Zu- heute nicht beantworten. Aber dann erklären Sie kunft der Gemeinden gibt. doch bitte, wann Sie in der Lage sein werden, hier- über Auskunft zu geben, (Beifall bei der SPD) (Detlev von Larcher [SPD]: Jawohl!) Hören Sie doch auf, Herr Hauser, hier noch weite- und zwar Auskunft über die Auswirkungen auf die ren Nebel zu werfen. Wir stellen die substantiellen einzelne Kommune nach dem Übergangsschlüssel Fragen, denen Sie bisher ausgewichen sind. Diese und nach dem endgültigen Schlüssel. Das sind die Debatte dient insofern der Klarheit - vielleicht muß Fragen, die wir demnächst zu klären haben werden. ich Ihnen dafür sogar dankbar sein -, um die Wider- sprüche in dieser Koalition aufzudecken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] [CDU/CSU]: Die Widersprüche überlassen Eine Reform des Gemeindefinanzsystems kann nur wir euch!) gelingen, wenn schon im Vorfeld eine Einigung mit den Gemeinden und auch mit den Ländern erreicht Dabei geht es auch darum - auch das gehört zur wird. Es kann nicht angehen, daß sich die Koalition notwendigen Faktenerklärung, Herr Hauser -, bei im Koalitionsabkommen zu Lasten der Gemeinden den statistischen Berechnungsgrundlagen noch einigt, anschließend dem Parlament unausgegorene mehr Fakten zu sammeln, um die notwendige Klar- Vorschläge vorlegt, diese hier in aller Länge und heit zu schaffen, die gerade von den Gemeinden ge- Breite diskutieren läßt, obwohl abzusehen ist, daß fordert wird. Nur auf einer solchen Basis läßt sich diese Vorschläge scheitern. Das erleben wir in der über mögliche Neuregelungen reden. Vielleicht heutigen Debatte. braucht man dafür weniger als fünf Jahre. Vielleicht (Hansgeorg Hauser [Rednitzhembach] geht das in zwei Jahren. Ich weiß es nicht. Nur: Wir [CDU/CSU]: Das ist eine überholte Rede!) brauchen diese Grundlagen, um tragfähige substan- tielle Entscheidungen treffen zu können. - Das ist keine überholte Rede; diese Rede wird noch sehr große Bedeutung haben, im Herbst, wenn es zu Wir werden uns demnächst mit dem Urteil des Gesprächen kommen sollte. Bundesverfassungsgerichts zu den Einheitswerten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) befassen müssen. Auch daraus werden sich Konse- quenzen für die Gemeindefinanzen ergeben, näm- Denn ich habe die Fragen aufgeführt, die den Ge- lich bei der Grundsteuer. Vielleicht bietet sich dann, meinden beantwortet werden müssen, Herr Hauser. liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, eine Erklären Sie doch bitte hier und heute - bisher haben gute Gelegenheit, das Thema Gemeindefinanzre- Sie das doch nicht gemacht , ob das, was Sie wollen, form umfassend zu behandeln. nur der erste Schritt zur Umsetzung Ihrer Koalitions- vereinbarung ist und wann und wie Sie die nächsten Wir werden noch über andere Dinge reden müs- Schritte gemäß der Koalitionsvereinbarung zur Ab- sen, z. B. über die Beteiligung des Bundes an den schaffung der Gewerbesteuer gehen wollen. Oder Sozialhilfekosten der Gemeinden. Das heißt, wir wollen Sie mit Ihren Bemerkungen zum Ausdruck haben- einen erheblichen Gesprächs-, Diskussions bringen, daß die Koalitionsvereinbarung überhaupt und Klärungsbedarf. Dabei muß das Ziel sein, die nicht mehr gilt? Ich meine, Sie regieren ja so, als ob kommunale Eigenverantwortung zu erhalten und es überhaupt gar keine Vereinbarung gäbe. Das ist zu stärken; sie darf keinesfalls geschwächt wer- kennzeichnend für Ihren Stil. Ich bitte Sie, Herr Hau- den. ser, und die übrigen Kolleginnen und Kollegen der Koalition: Wenn schon das zuständige Haus diese Die Gemeinden brauchen eine klare und gesi- Klarheit nicht herstellen konnte und Herr Waigel mit cherte Perspektive. Ein kommunales Hebesatzrecht seinem Brief mehr Verwirrung als Klarheit hergestellt muß als ein Eckpfeiler der kommunalen Eigenver- hat, vielleicht ist ja von Ihnen noch jemand in der antwortung gesichert werden. Von daher brauchen Lage, die Dinge zu ordnen und zumindest etwas wir die notwendigen Berechnungsgrundlagen; über die Zukunft Ihrer Koalitionsvereinbarung zu sa- denn Sie können doch überhaupt nicht sagen, in gen. welchem Maße die einzelnen Gemeinden von ei- ner Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer betrof- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne fen sind. ten der PDS - Detlev von Larcher [SPD]:- Das glaube ich nicht!) (Detlev von Larcher [SPD]: So ist es!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als letzter Redner Sie können doch überhaupt nicht sagen, welche Aus- zu diesem Beratungspunkt spricht Hans-Peter Rep- gleichsbeträge die Gemeinden erhalten werden. Sie nik. müssen doch zur Kenntnis nehmen, daß die Gemein- den gerade an dieser Frage ein vitales Interesse ha- (Joachim Poß [SPD]: Herr Repnik beantwor ben und Klarheit wünschen. Auch Sie müssen die tet jetzt alle Fragen! - Detlev von Larcher Bedenken und Sorgen der Gemeinden ernst neh- [SPD]: Er sagt uns jetzt, wer gewinnt und men. wer verliert!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3451

Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Frau Präsiden- sige Einkommensquelle verschaffen, nämlich durch tin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu- die Umsatzsteuerbeteiligung. nächst darf ich darauf hinweisen, daß sich Herr Finanzminister Waigel nicht entfernt hat, weil ihm (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Ihre Ausführungen nicht gepaßt hätten, Herr Kol- und der F.D.P. - Detlev von Larcher [SPD]: lege Poß, Wieso wollen Sie die erhöhen? - Gegenruf des Abg. Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir (Joachim Poß [SPD]: Das habe ich auch nicht!) nicht erklärt!) Daß Sie am 12. Mai in diesem Verfahren nicht mitge- spielt haben, das würde ich jetzt noch mit wahltakti- sondern weil er in das Kabinett muß. Er hat sich ja schen Argumenten entschuldigen. Heute fehlen Ih- bei Frau Matthäus-Maier entschuldigt. Ich möchte nen diese Argumente. Daß der Vorschlag des Bun- dies hier ebenfalls tun, um keinen falschen Eindruck desfinanzministers doch so schlecht nicht sein kann, aufkommen zu lassen. zeigt, wie die Presse die Debatte vom 12. Mai kom- mentiert hat. Ich will nur drei Überschriften vorlesen: (Joachim Poß [SPD]: Kein Problem!) „Ein Votum gegen die Kommunen", hier in das Stammbuch der SPD von der „Süddeutschen Zei- Herr Poß, ich möchte gern den Zwischenruf vom tung" geschrieben, „Widersinniges Nein" von der Kollegen Hauser noch einmal aufgreifen, der ge- „FAZ" und „Obstruktion statt Opposi tion". meint hat, Sie hätten hier eine veraltete Rede vorge- tragen. Ich möchte mich diesem Zwischenruf mit (Detlev von Larcher [SPD]: Sollen wir jetzt Nachdruck anschließen, auch Zeitungsausschnitte holen?)

( [F.D.P.]: Uralte! - Joachim Poß In dieser Woche - ich empfehle allen, das zu lesen - (SPD): Die ist hochaktuell!) hat ein führender Repräsentant der Sozialdemokra- ten in einem Nachrichtenmagazin einen Aufsatz ge- weil eine ganze Reihe der Fragen, die Sie jetzt in den schrieben, in dem er die Sozialdemokraten auffor- Raum gestellt haben, gestern in dem Gespräch zwi- dert, Mut zur Wirklichkeit zu haben. Nehmen Sie schen dem Bundesfinanzminister und dem SPD-Ver- doch bitte die Wirklichkeit zur Kenntnis, haben Sie handlungsführer im Bundesrat, Lafontaine, und dem Mut zu dieser Wirklichkeit und springen Sie. Kollegen Schleußer aus Nordrhein-Westfalen beant- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wortet worden sind. Wirklichkeit ist nämlich, daß durch das bisherige (Joachim Poß [SPD]: Ich werde mich mal er Verhalten der SPD den Gemeinden Opfer zugemutet kundigen, ob die mir das beantworten kön wurden. nen!)

Wir sind also in dieser Frage ein ganz gewaltiges Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Repnik, ge- Stück weiter, als Sie das in Ihrer Rede präsentiert ha- statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten ben. Poß?

Herr Poß, wir haben es hier auch nicht mit einem Bremsmanöver zu tun, sondern was wir mit der Be- Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Gern. reitschaft, die zweite und dritte Lesung erst im Herbst vorzusehen, bezwecken wollten, ist, Ihnen (SPD): Herr Kollege Repnik, sind die Chance zu eröffnen, daß Sie sich in einem Zug Joachim Poß Sie bereit, die Frage zu beantworten, was jetzt für mitnehmen lassen, der bereits in voller Fahrt ist. Ich die Kommunen gilt: die Aussage des Bundeskanz- möchte dringend darum werben, daß Sie diese lers, der B rief von Herrn Waigel vom 29. Mai oder Chance nutzen. die Koalitionsvereinbarung, in der eindeutig vom Ziel der Abschaffung der Gewerbesteuer gespro- Sie haben vorhin die Meinung vertreten, wir wür- chen wird? den den Kommunen keine klare Perspektive im nächsten Jahr bieten. Ich frage Sie, Herr Poß, in al- (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ein lang lem Ernst: Sind Sie oder ist irgend jemand heute in fristiges, wich tiges Ziel!) der Lage, den einzelnen Kommunen im Hinblick auf - die jeweilige wirtschaftliche Entwicklung in ihrem Bereich eine Garantie für das Aufkommen aus der Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Herr Kollege Poß, Gewerbe- oder der Gewerbekapitalsteuer im näch- ich wäre auf diesen Einwand nachher noch einge- sten Jahr zu geben? Das kann doch niemand. Sie ver- gangen, ich kann aber jetzt schon auf Ihre Zwischen- langen doch hier etwas, was niemand zu leisten in frage eingehen. Wir haben in der Koalitionsvereinba- der Lage ist. rung eine klare Aussage ge troffen. Wir haben im jet- zigen Verfahren im Zusammenhang mit der Ände- Was wollen wir heute? Wir wollen - darum werben rung des Grundgesetzes und des Jahressteuergeset- wir auch bei der SPD - den Städten und Gemeinden zes 1996 einen Teil dieser Koalitionsvereinbarung zur eine neue, eine dynamisch wachsende und zuverläs Umsetzung eingeführt. 3452 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Hans-Peter Repnik Der Finanzminister hat eindeutig klargestellt, wor- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Repnik, es über wir jetzt und heute zu diskutieren haben. Sie gibt weitere Zwischenfragen. sollten hier keine Nebelpatronen werfen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Worüber disku Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Frau Präsidentin, tieren wir in zwei Jahren?) wenn Sie gestatten, möchte ich noch einen Gedan- ken ausführen. Ich möchte Sie an eine Steuerreform Er hat in dem Brief an die Kommunen eine eindeu- erinnern, mit der sich vor vielen Jahren die damalige tige Garantie im Hinblick auf die Gewerbeertrag- Große Koalition befaßt hat. Es ging um den Tausch steuer gegeben. Wir diskutieren heute über die Ab- der Gewerbesteuer gegen eine ertragreichere Steuer schaffung der Gewerbekapitalsteuer und darüber, und die Beteiligung der Kommunen an der Einkom- daß wir den Kommunen einen zuverlässigen und dy- mensteuer. namisch wachsenden Ausgleich verschaffen wollen und über nichts anderes. Als den Kommunen seinerzeit das Angebot ge- macht wurde, daß sie mit 14 % an der Einkommen- steuer beteiligt würden, war der Ausgleich über die Herr Kollege Poß Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Einkommensteuer im Vergleich zur Gewerbesteuer- hat noch eine Zusatzfrage. umlage, auf die sie verzichtet hatten, fast gleich groß. Die Zahlen lauteten: 6,4 Milliarden DM Ausfall, Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Bitte. 7,1 Milliarden DM Einkommensteuereinnahmen. 1995, 25 Jahre nach Inkrafttreten dieser Reform, Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Repnik, wie er- werden die Einkommensteuereinnahmen der Ge- klären Sie den Widerspruch, daß Herr Waigel - so meinden um rund 10 Milliarden DM über den Netto- steht es in seinem B rief - einerseits die Gewerbe- einnahmen der Gewerbesteuer liegen. Das ist ein steuer im Grundgesetz ausdrücklich verankern wi ll wesentlicher Pfeiler der kommunalen Finanzausstat- und andererseits in der Koalitionsvereinbarung aus- tung. Wir möchten ihnen - nachdem sie an der Ein- drücklich von der Abschaffung der Gewerbesteuer kommensteuer beteiligt sind - mit der Teilhabe an insgesamt gesprochen wird? der Mehrwertsteuer einen weiteren sicheren und dy- namisch wachsenden Pfeiler geben. Machen Sie also bitte in diesem Zusammenhang mit. Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich möchte noch einmal mit Nachdruck darauf hinweisen, daß wir es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) im Moment mit einem Verfahren zu tun haben, das eindeutig und klar ist. Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Bundeskanzler, dem Bundesfinanzmi- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Gestatten Sie eine nister und der Koalition. Wir reden über die Abschaf- Zwischenfrage des Abgeordneten von Larcher? fung der Gewerbekapitalsteuer und über eine mittel- standsfreundliche Absenkung der Gewerbeertrag- steuer und über nichts anderes. Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Bitte sehr. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr von Larcher, Meine sehr verehrten Damen und Herren, weshalb bitte. wir die Grundgesetzänderung brauchen, möchte ich durch wenige Zahlen belegen. Die Gemeinden brau- chen sie. Die Gewerbesteuereinnahmen sind seit Detlev von Larcher (SPD): Herr Kollege Repnik, 1970 um das 3,7fache gestiegen, die Umsatzsteuer- könnten Sie bestätigen, daß das, was Sie immer als einnahmen um das 5,7fache. „Dynamik" bezeichnen und mit Zahlen zu belegen versuchen, dadurch zustande kommt, daß Sie die Ge- Wir haben hier eine Dynamik und eine Sicherheit, werbesteuer mehrfach gesenkt und die Mehrwert- die den Kommunen ansonsten nicht gegeben ist. Ich steuer erhöht haben? Wenn Sie eine dynamische erinnere an die Aussagen des Bundesfinanzministers Steuerbeteiligung versprechen, heißt das konse- von heute vormittag. Wenn wir bereits 1991 - das quenterweise dann auch, daß Sie im Kopf haben, die hatten wir vor - die Gewerbekapitalsteuer abge- Mehrwertsteuer weiter zu erhöhen? schafft und die Kommunen an der Umsatzsteuer be- teiligt hätten, dann hätten die Kommunen jetzt schon (Widerspruch bei der CDU/CSU - Hartmut 2 Milliarden DM mehr zur Verfügung, als sie es Schauerte [CDU/CSU]: Sehr dümmlich!)- heute haben. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sehr richtig!) Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich kann nur sa- gen, daß erstens das Ergebnis zählt, und das Ergeb- Wenn wir jetzt zum 1. Januar 1996 - das streben nis heißt: Die Gemeinden fahren besser. wir nach wie vor an - die Kommunen an der Umsatz- steuer beteiligen, dann entsteht allein in dem Zeit- Ich möchte zweitens darauf hinweisen, daß die raum von 1996 bis 1999 ein Be trag von 2 Milliarden Kommunen durch ihr Hebesatzrecht über die Grö- DM zusätzlich, der in die Kassen der Kommunen ßenordnung der Gewerbesteuer selber entscheiden. fließt. Deshalb laden wir Sie ein, hier mitzumachen. Sie haben es also in der Hand. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3453 Hans-Peter Repnik Drittens kann überhaupt nicht bestritten werden, - Die kommunalen Spitzenverbände sind mittler daß die Mehrwertsteuer genauso wie die Einkom- weile bereit, unter ganz bestimmten Kautelen diese mensteuer eben eine eigene Dynamik hat, und an Reform zu unterstützen. Wir kennen doch ihre B riefe. dieser eigenen Dynamik möchten wir die Kommunen in der Zukunft teilhaben lassen. (Joachim Poß [SPD]: Lesen Sie das doch ein- mal vor! Die schreiben das, was ich gesagt (Detlev von Larcher [SPD]: Auch wenn Sie habe!) die Gewerbesteuer aushöhlen?) - Herr Poß, im Gegensatz zu Ihnen haben die Käm- merer längst die Chance dieser Reform erkannt, und Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Repnik, ge- ich kann sagen: offensichtlich auch Herr Lafontaine. statten Sie auch noch eine Zwischenfrage des Abge- Ich freue mich ausdrücklich, daß Herr Metzger für ordneten Grasedieck? die GRÜNEN heute früh ebenfalls die Bereitschaft erklärt hat, die Gewerbekapitalsteuer abzuschaffen. Über die Modalitäten werden wir uns noch unterhal- Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Bitte. ten.

Ich möchte auch Ihre Erkenntnis, Herr Poß, in die- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Grasedieck, sem Zusammenhang noch mit einigen wenigen Ar- bitte. gumenten möglicherweise befördern. Vielleicht kön- nen Sie dann im Herbst doch noch mitstimmen.

Dieter Grasedieck (SPD): Herr Repnik, Sie sagten Erstens. Es hieß immer wieder, daß die großen und vorhin: Wenn die Gewerbekapitalsteuer abgeschafft die reichen Unternehmen durch die Abschaffung der wird, haben wir einen Teil unserer Koalitionsverein- Gewerbekapitalsteuer profitieren würden. Ich barung erreicht. Bedeutet das, daß das der erste glaube, auch diesem Eindruck muß man entgegen- Schritt ist, so daß Sie im zweiten Schritt die Gewer- wirken. Rund 350 000 deutsche Unternehmen zahlen beertragsteuer abschaffen? Gewerbekapitalsteuer. Darunter sind rund 240 000 Einzelunternehmen und Personengesellschaften, (Michael Glos [CDU/CSU]: Da gibt es ge genwärtig keine Pläne!) (Widerspruch des Abg. Joachim Poß [SPD]) also typische mittelständische Bet riebe. Sie sind die Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich habe hierzu Stütze des Wirtschaftssystems und diejenigen, die vorhin eine eindeutige Aussage gemacht. In der Ko- die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung stellen. Sie alitionsvereinbarung ist eine Aussage enthalten. Wir sollen dadurch ebenfalls entlastet werden - und eben sind zum jetzigen Zeitpunkt bereit, einen Teil dieser nicht nur große und reiche Unternehmen. Koalitionsaussage zu realisieren. Darüber hinausge- Zweitens. Die hende Pläne liegen derzeit nicht vor. Belastung der Unternehmen durch eine Steuer unabhängig vom Gewinn ist doch ein Irr- (Widerspruch bei der SPD) sinn. Wir müssen diesen Irrsinn abschaffen. Wem soll man die widersinnige Besteuerung von Schulden er- - Das ist keine Neuigkeit. Dies hat der Finanzmini klären? ster in seinem Brief an die kommunalen Spitzenver bände festgeschrieben. Daran gibt es keinen Zweifel. Im Hinblick auf die neuen Bundesländer ist eigent- lich alles gesagt worden. Aber auch hier möchte ich (Detlev von Larcher [SPD]: Die Koalitions mich noch einmal werbend an die Kolleginnen und vereinbarung ist nichtig!) Kollegen der SPD wenden. Meine Damen und Her- ren, wir machen jetzt gerade im Jahressteuergesetz - Sie sollten jetzt nicht ablenken, sondern lassen Sie 1996 auch ein großes kapitalstützendes Programm sich bitte ein auf den Sachverhalt, der heute zur De- für die neuen Bundesländer. batte steht, und das ist die Beteiligung der Kommu- nen an der Umsatzsteuer. Man stelle sich folgendes einmal vor: Wenn die Ge- werbekapitalsteuer zum 1. Januar in den neuen Bun- (Zuruf von der SPD: Das ist Ihr Irrtum!) desländern eingeführt werden muß, dann hat dies zur Folge, daß vorhandenes Kapital geschwächt wird Ich möchte auch, Herr Poß, einen Eindruck korri- und darüber hinaus Darlehen, die im Rahmen- von gieren: Sie sprachen von einer massiven Beeinflus- Aufbauprogrammen den Unternehmen gewährt wer- sung der kommunalen Spitzenverbände. Wir haben den, ebenfalls bei der Berechnung der Gewerbekapi- niemanden beeinflußt. Wir haben Gespräche ge- talsteuer herangezogen werden. Dies können doch führt. Im Gegensatz zu Ihnen ist die Einsicht bei den auch Sie beim besten Willen nicht wollen. kommunalen Spitzenverbänden von Woche zu Wo- che gewachsen. Selbst Ihr SPD-Kollege Schucht, Wirtschaftsmini- ster von Sachsen-Anhalt, hat in der „Süddeutschen (Beifall bei der CDU/CSU - Joachim Poß Zeitung" am 19. Juni vor einer großen Pleitewelle auf [SPD]: Lesen Sie doch einmal die neuesten Grund einer Unterkapitalisierung der Unternehmen Stellungnahmen!) in den neuen Bundesländern gewarnt. Sie würden 3454 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Hans-Peter Repnik dieser Pleitewelle Vorschub leisten, wenn Ihre Ver- Wir haben in den verbleibenden sechs Monaten weigerungshaltung dazu führen würde, daß die Ge- die Chance, möglicherweise Unheil von den neuen werbekapitalsteuer zum 1. Januar 1996 in den neuen Ländern abzuwenden. Wir haben heute nämlich Ländern eingeführt werden müßte. keine Garantie dafür, daß Brüssel uns eine Verlänge- rung der Ausnahmeregelung gewährt. Diese Garan- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - tie gibt es nicht. Aber wir können, wenn wir wollen, Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie die Voraussetzungen schaffen, daß die Gewerbeka- kann das den Effekt hervorrufen, wenn das pitalsteuer in den neuen Bundesländern nicht einge- noch gar nicht gilt?) führt werden muß. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Mi- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das nisterpräsidentin Simonis hat erklärt, was eine Ge- war keine Rede, das war eine Ausrede! - meindefinanzreform braucht: Festhalten an der Joachim Poß [SPD]: Die Koalition übt sich Realsteuergarantie, Erhalten der Finanzautonomie schon den ganzen Vormittag im Eiertanz!) der Gemeinden, Sicherung der kommunalen Selbst- verwaltung und Hebesatzrecht als Anreiz für Unter- - Nein, nein, es gibt überhaupt keine Eierei. nehmensansiedlungen. Genau diese Garantie hat heute vormittag an diesem Pult der Finanzminister Wir haben heute eine klare Entscheidung aus gegeben. Auch deshalb lade ich Sie ein: Folgen Sie Brüssel, die heißt: Bis zum 31. Dezember 1995 ist die dem Rat der Ministerpräsiden tin Simonis - es ist ein Gewerbekapitalsteuer in den neuen Bundesländern guter Rat -, und machen Sie mit. ausgesetzt. Wir haben im Moment keinen Anhalts- punkt dafür, daß Brüssel von dieser Entscheidung trotz Bemühens der Bundesregierung abgeht. Da ich Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Repnik, ge- statten Sie eine letzte Zwischenfrage? dies weiß, kann ich, um ein Unheil von den neuen Ländern abzuwenden, die notwendigen Vorausset- zungen doch nicht erst am 31. Dezember 1995 schaf- Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich gestatte eine fen, letzte Zwischenfrage, wenn sie nicht auf meine Rede- (Joachim Poß [SPD]: Richtig!) zeit angerechnet wird, Frau Präsidentin. sondern ich muß heute handeln. Deshalb sagen wir: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nein, sie wird Wir müssen die Gewerbekapitalsteuer heute ab- nicht angerechnet. schaffen, damit sie in den neuen Ländern nicht ein- geführt wird. Das ist eine ganz klare und eindeutige Linie. Jörg-Otto Spiller (SPD): Herr Kollege Repnik, ist Ihnen bekannt, daß die Haltung der Brüsseler Korn- Ich kann nur sagen, Herr Kollege Poß: Folgen Sie mission doch wohl davon beeinflußt werden muß, ob Ihrem Kollegen, dem wirtschaftspolitischen Sprecher durch die Nichteinführung der Gewerbekapital- Jens, der die Notwendigkeit der Abschaffung der steuer in Ostdeutschland Wettbewerber aus anderen Gewerbekapitalsteuer erkannt hat und der bei Ihnen Regionen der Gemeinschaft benachteiligt würden? dafür wirbt. Wo sehen Sie denn die Benachteiligung beispiels- weise von italienischen Konkurrenten? Da Herr Jens nicht der einzige ist, sondern wir von vielen anderen in persönlichen Gesprächen hören, Ist Ihnen bekannt, welches Ergebnis die Bemühun- daß sie durchaus ähnlich denken, würde ich Sie bit- gen der Bundesregierung bisher gehabt haben, ihren ten, daß Sie den Gegensatz auflösen, den Ihr Partei- Einfluß in Brüssel geltend zu machen? freund Dohnanyi vor einigen Monaten so beschrie- ben hat: Es gibt in der SPD eine Vieraugenwahrheit, Letzte Frage: Ist Ihnen auch bekannt, daß eine und es gibt eine öffentliche Wahrheit. Aussetzung der Vermögensteuer, die ja ebenfalls eine Sonderregelung darstellt, von Ihnen vor kurzem Die Vieraugenwahrheit in der SPD ist längst die, beschlossen worden ist? daß man sagt: Es macht Sinn, die Gewerbekapital- steuer abzuschaffen. Machen Sie diese Vieraugen- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das sind drei Fra- wahrheit zur öffentlichen Wahrheit! Dann nützen Sie gen gewesen. dem Standort Deutschland, dann helfen Sie den Kommunen. Wir laden Sie ein, hier mitzumachen. (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Hängen Sie doch noch einen Nebensatz dran, Herr Kol (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lege! - Gegenruf des Abg. Joachim Poß - [SPD]: Das war sehr komprimiert!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Ich möchte mit Nachdruck bestätigen, daß sich die Bundesregierung Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Geset- bemüht, in Gesprächen mit der Kommission eine Klä- zentwurfes auf Drucksache 13/1685 an die in der Ta- rung herbeizuführen. Es ist aber eindeutig, daß die gesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es Kommission bisher nicht bereit war, von der Ausnah- dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der megenehmigung, die bis zum 31. Dezember 1995 Fall. Dann haben wir die Überweisung so beschlos- gilt, abzuweichen. sen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3455

Präsident Dr. Rita Süssmuth Ich unterbreche die Sitzung. Die Sitzung wird um tet wird. Dafür ergibt sich in Zukunft die Handhabe 13.00 Uhr mit der Befragung der Bundesregierung zu schnellem Eingreifen, ohne daß erst in Spezialge- fortgesetzt. setzen langwierige Änderungen vorgenommen wer- den müßten. (Unterbrechung von 10.56 Uhr bis 13.00 Uhr) Die eigentliche Relevanz dieses Gesetzes sehe ich Vizepräsident Hans Klein: Die unterbrochene Sit- darin, daß für weite Produktbereiche, z. B. für Le- zung ist wieder eröffnet. bensmittel und Autos, erstmalig eine bundeseinheit- liche Ermächtigung für den Rückruf und die War- Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: nung vor unsicheren Produkten eingeführt wird. Dies entspricht nicht nur den ausdrücklichen Vorga- Befragung der Bundesregierung ben der genannten EU-Richtlinie, sondern auch Wünschen der Verwaltung und insbesondere natür- Die Bundesregierung hat uns als Thema der heuti- lich von seiten der Verbraucherverbände. gen Kabinettsitzung mitgeteilt: Gesetz zur Regelung der Sicherheitsanforderungen an Produkte und zum Wir haben die vorgeschlagenen Bestimmungen Schutz der CE-Kennzeichnung. dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspre- Das Wort für den einleitenden Bericht hat der Par- chend so ausgestaltet, daß Maßnahmen des Herstel- lamentarische Staatssekretär beim Bundesminister lers bzw. Händlers behördlichem Handeln vorgehen. für Wirtschaft, Dr. Norbe rt Lammert. Herr Parlamen- Die Behörden sollen aber erforderlichenfalls auch öf- tarischer Staatssekretär, ich bitte um Ihren Bericht. fentliche Warnungen oder den Rückruf von Produk- ten anordnen und letztlich das Inverkehrbringen un- sicherer Produkte untersagen können. Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Liebe Schließlich haben wir mit Bezug auf die vom Präsi- Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat heute denten genannte CE-Kennzeichnung eine kurze Re- den vom Bundeswirtschaftsminister vorgelegten Ent- gelung in diesem Gesetzentwurf eingeführt, die die wurf eines Produktsicherheitsgesetzes verabschie- Möglichkeit eröffnet, gegen die unzulässige Verwen- det. Damit kann das Gesetzgebungsverfahren, das dung des europäischen CE-Kennzeichens - CE steht insbesondere für den Verbraucherschutz von Inter- für Communautée Européenne - vorzugehen, um esse ist, beginnen und nach Einschätzung der Bun- mögliche Mißbräuche bei der Inanspruchnahme die- desregierung in wenigen Monaten abgeschlossen ses Kennzeichens ausschließen zu können. sein. Mit diesem Gesetz werden die vorhandenen natio- Vielen Dank, Herr Par- nalen Regelungen zum Verbraucherschutz ergänzt, Vizepräsident Hans Klein: indem Hersteller und Händler dazu angehalten wer- lamentarischer Staatssekretär. den, nur sichere Produkte auf den Markt zu bringen. Darf ich das Haus fragen, ob zunächst zu diesem In gewissem Umfang ist dieses Gesetz so etwas wie Themenbereich Fragen an die Bundesregierung ge- ein öffentlich-rechtliches Gegenstück zu dem bereits stellt werden? - Bitte sehr, Herr Kollege. existierenden Produkthaftungsgesetz. Die Frage, warum es einer solchen Ergänzung überhaupt bedarf, hängt mit einer vor längerer Zeit Dr. Manuel Kiper (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): verabschiedeten Richtlinie der Europäischen Ge- Herr Staatssekretär, können wir davon ausgehen, meinschaft mit Blick auf Produktsicherheit zusam- daß mit diesem Gesetz auch Computer und Software men. Insofern stellt dieser Gesetzentwurf zugleich ei- in Zukunft mit abgedeckt sein werden, bei denen ja nen Bestandteil einer europaweiten Harmonisie- bislang im Hinblick auf Sicherheitsvorkehrungen rung der Sicherheitsstandards dar. Das Gesetz soll keine gesetzlichen Vorgaben bestanden? der Schaffung vergleichbarer Produktions- und Ver- triebsbedingungen im europäischen Binnenmarkt dienen und damit einen Beitrag zur Herstellung glei- Dr. Norbert Lammert, Parl. Staatssekretär beim cher Wettbewerbsbedingungen leisten. Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege, ich habe gerade erläutert, daß im Unterschied zu Spe- Wir haben diesen Gesetzentwurf bewußt knapp zialgesetzen, mit deren Hilfe wir bislang Sicherheits- gehalten, weil wir, wie ich gerade angedeutet habe, vorkehrungen für einzelne Produkte geregelt haben, in der Bundesrepublik bereits über ein umfangrei- hier so etwas wie eine Generalregelung für Produkte ches Sicherheitsinstrumentarium in Form von etli- geschaffen werden soll, die für den Fall des Ver- chen Spezialgesetzen verfügen, z. B. das Arzneimit- dachts der Gefährlichkeit von Produkten genau sol- tel- und das Lebensmittelgesetz. Für die vielen Pro- che Aktionen ermöglichen soll, die an anderer Stelle dukte, die bereits jetzt diesen speziellen Sicherheits- bereits in Spezialgesetzen nicht ermöglicht werden. anforderungen unterworfen sind, verbleibt es bei diesen Regelungen. Das allgemeine Produktsicher- Es gibt insofern auf der einen Seite weder einen heitsgesetz soll diese Fachgesetze ergänzen, gewis- ausdrücklichen Verweis beispielsweise auf Produkte sermaßen ein Netz unter die geltenden Gesetze zie- aus dem Bereich der Datenverarbeitung, noch bedarf hen und vorhandene Lücken schließen. Das könnte es auf der anderen Seite nach unserer Einschätzung für solche Produkte wich tig sein, deren Gefährlich- vor dem Hintergrund einer solchen Regelung zusätz- keit bisher nicht bekannt ist oder auch nicht vermu- licher spezifischer Regelungen. 3456 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Vizepräsident Hans Klein: Weitere Fragen dazu? - stunde für 13.35 Uhr angekündigt. Die Kolleginnen Dies ist nicht der Fall. Dann, Herr Parlamentarischer und Kollegen, die Fragen eingereicht haben, haben Staatssekretär, seien Sie bedankt für Bericht und Fra- sich auf diesen Zeitpunkt eingestellt. Deshalb unter- gebeantwortung. breche ich die Sitzung bis 13.35 Uhr. Darf ich das Haus fragen, ob zu anderen Themen (Unterbrechung von 13.09 bis 13.35 Uhr) Fragen an die Bundesregierung gerichtet werden? - Bitte. Vizepräsident Hans Klein: Wir setzen die unterbro- chene Sitzung fort. Konrad Gilges (SPD): Ich weiß jetzt nicht, ob das schon behandelt worden ist. Ich war bei einer Anhö- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: rung; ich bitte den Herrn Präsidenten um Entschuldi- gung. Fragestunde - Drucksache 13/1707 - Ich habe, nachdem ich heute morgen in der Zei- tung gelesen habe, daß eine Entscheidung bezüg- Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des lich des Schürmann-Baues zu treffen sei und ein Ge- Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. spräch zwischen dem Herrn Bundeskanzler, dem Da wir gelegentlich darauf hinweisen, wenn Kolle- Herrn Finanzminister und dem Herrn Wohnungs- ginnen oder Kollegen ihre erste Rede in diesem bauminister stattgefunden hat, die Frage, ob die Hause halten, z. B. daß manche Fraktionen das mit Bundesregierung uns die Entscheidung bzw. den In- einem Blumenstrauß quittieren, erlaube ich mir die halt und das Ergebnis dieses Gesprächs mitteilen Bemerkung, daß der Staatssekretär Karl Jung, der kann. die Fragen zu diesem Geschäftsbereich beantworten wird, heute zum erstenmal in dieser Funktion auftre- Vizepräsident Hans Klein: Darf ich fragen, wer die ten wird. Frage beantwortet? - Herr Bundesminister Bohl, bitte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS - Jörg Tauss [SPD]: Sie bitten um Schonung? - Zuruf von der Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- F.D.P.: Hat er nicht nötig!) gaben: Herr Kollege, ich darf Ihnen mitteilen, daß sich die Bundesregierung mit diesem Thema heute - Ich darf nicht so weit gehen, schonende Behand- nicht befaßt hat. lung für ihn zu erbitten. Ich rufe die Frage 1, die der Kollege Klaus Hage- Vizepräsident Hans Klein: Weitere Fragen? - Bitte mann gestellt hat, auf: sehr, Frau Kollegin. Welche Bemühungen hat die Bundesregierung auf europä- ischer und/oder nationaler Ebene bisher unternommen, um die immer mehr zunehmende illegale Beschäftigung von ausländi- Dr. Barbara Hendricks (SPD): Es hätte nicht unbe- schen Arbeitern ohne Arbeitserlaubnis zu Dumpinglöhnen zu dingt sein müssen, aber da wir Zeit haben, ist es ja verhindern, wodurch der Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche vielleicht auch ganz schön, eine Frage an den Bun- Arbeit am gleichen O rt " ausgehöhlt wird, und bis wann ist mit desminister für Verkehr zu richten. konkreten Ergebnissen zu rechnen? Kann der Bundesminister für Verkehr sagen, wie Herr Staatssekretär, ich bitte um Beantwortung. der aktuelle Planungsstand der Betuwe-Linie in den Niederlanden ist? Kann der Bundesminister für Ver- Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium kehr Auskunft darüber geben, ob das zwischen dem für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident, vielen niederländischen Verkehrsministerium und dem Dank für Ihre freundlichen Worte zu meinem heuti- Bundesminister für Verkehr im Jahre 1992 geschlos- gen Debüt. sene Abkommen bezüglich der sogenannten Bypass Strecken von den Niederlanden eingehalten werden Herr Abgeordneter Hagemann, Ihre Frage beant- wird? worte ich namens der Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung mißt der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und der Beseitigung unterschiedli- Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr, Herr Bundes- cher Beschäftigungsbedingungen in deutschen Ar- minister Bohl. beitsstätten große Bedeutung zu. Das ist in Antwor- ten auf Kleine Anfragen und auch in Antworten auf - Friedrich Bohl, Bundesminister für besondere Auf- mündliche Fragen wiederholt deutlich gemacht wor- gaben: Der Bundesminister für Verkehr ist nicht an- den. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit ge- wesend. Dieses Thema ist auch nicht im Kabinett rade im Bausektor gilt das unverändert. heute behandelt worden, aber das ist sicherlich eine Die Schwerpunkte illegaler Beschäftigung liegen sehr wichtige und auch detailliert vorgetragene insbesondere im Baubereich, im Gaststättengewerbe Frage, die wir gern umgehend schriftlich beantwor- und in der Landwirtschaft. Konkrete Zahlen über das ten werden. Ausmaß liegen nicht vor, well es im Wesen dieser Be- schäftigung liegt, daß sie heimlich geschieht. Sie ent- Vizepräsident Hans Klein: Jetzt hebt sich keine zieht sich daher statistischer Erfassung. Deswegen Hand und kein Finger mehr. Wir haben die Frage- kann ich auch die in Ihrer Frage eingeschlossene Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3457

Staatssekretär Karl Jung Vermutung, die illegale Beschäftigung nehme immer Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- mehr zu, weder bestätigen noch dementieren - auch lege Hagemann. wenn die Schlagzeile auf Seite 2 in der heutigen „Bild-Zeitung" für Ihre Vermutung spricht. Klaus Hagemann (SPD): Herr Staatssekretär, vie- Die Rechtsvorschriften mit Straftatbeständen und len Dank zunächst. Meine Frage: Bis wann ist mit Ordnungswidrigkeiten gegen die i llegale Beschäfti- einem Beschluß über die Entsenderichtlinie auf euro- gung im Arbeitsförderungsgesetz, im Gesetz zur Be- päischer Ebene zu rechnen? Für den Fall, daß sie kämpfung der Schwarzarbeit, im Arbeitnehmerüber- nicht zustande kommt: Wie gedenkt die Bundesre- lassungsgesetz und in der Gewerbeordnung reichen gierung hier nationales Recht zu schaffen? aus. Entscheidend sind die Kontrolle und die strikte Anwendung der Gesetze. Der größte Teil der Kon- Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium trollen liegt bei den Behörden der Arbeitsverwal- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Abgeordneter, tung, daneben bei der Polizei, den Ausländerbehör- ich bitte um Verständnis; Sie haben in Ihrer Frage den, den Hauptzollämtem und der Gewerbeauf- ausdrücklich nach der „i llegalen Beschäftigung" ge- sicht. fragt. Das Thema Entsenderichtlinie befaßt sich ja Die Bundesregierung hat seit ihrem Amtsantritt mit der legalen Beschäftigung bei uns. Deshalb gebe stets darauf hingewirkt, daß bei der Arbeitsverwal- ich zu den beiden Teilen Ihrer Frage folgende Ant- tung die Voraussetzungen dafür geschaffen und ver- wort. bessert worden sind, die i llegale Beschäftigung wir- Die Bundesregierung hat es während ihrer Präsi- kungsvoll bekämpfen zu können. In 30 ausgewähl- dentschaft leider nicht erreicht, daß die von der Kom- ten Stützpunktarbeitsämtern wurde seit 1981 der mission vorgelegte Entsenderichtlinie verabschiedet Personalansatz zur Bekämpfung illegaler Beschäfti- worden ist. Es gab Widerstände bei interessie rten gung von damals 50 auf 397 Stellen erhöht. Seit Sep- Mitgliedsländern, die nicht bereit waren, diese Richt- tember 1991 wurden in den neuen Ländern 14 Be- linie zu verabschieden. Die französische Präsident- llegaler Beschäf- arbeitungsstellen zur Bekämpfung i schaft hat schon einmal, am 27. März, einen Versuch tigung eingerichtet. Bundesweit sind 541 Bedienstete gemacht, sie hat aber ebenfalls keinen Erfolg gehabt. der Arbeitsverwaltung in diesem Bereich tätig. Das Thema steht jetzt am 29. dieses Monats erneut Neben diesen besonderen Einrichtungen stehen in auf der Tagesordnung. Allerdings sind die Aussich- den Arbeitsämtern zur Bekämpfung von Leistungs- ten nicht besonders gut. mißbrauch und unerlaubter Ausländerbeschäftigung Deshalb gehen das Bundesarbeitsministerium und insgesamt noch 930 Plankräfte zur Verfügung. In- die Bundesregierung davon aus, daß eine na tionale folge des Wegfalls von Aufgaben an unseren West- Lösung notwendig ist. Dazu sind die Vorbereitungen grenzen durch das Schengener Abkommen sind seit zur Gesetzgebung aufgenommen worden. Es liegt 1991 zusätzlich 800 Zollbeamte insbesondere im Rah- ein Referentenentwurf des Ministe riums vor, der der- egalen Ausländerbe- men der Bekämpfung der ill zeit mit den Ressorts politisch abgestimmt wird und, schäftigung tätig. wie ich hoffe, noch in diesem Monat zur Anhörung Auf Initiative des Bundesarbeitsministers wird das versandt werden kann. denburg mit 150 be- Landesarbeitsamt Berlin/Br an (Abg. Klaus Hagemann [SPD] meldet sich sonders geschulten Kräften in den Kampf gegen die zu einer weiteren Zusatzfrage) illegale Ausländerbeschäftigung in Berlin und in Brandenburg eingreifen. Dieses Spezialteam in Ber- lin ist in der vergangenen Woche der Öffentlichkeit Vizepräsident Hans Klein: Sofort, Herr Kollege. - vorgestellt worden. Es wird zum 1. August die Arbeit Ich muß jetzt schnell eine Bemerkung machen. Ihre aufnehmen. Dabei sollen modellhaft Erfahrungen ge- Frage, Herr Kollege, hat sich nicht auf die ursprüngli- sammelt werden, die dann auch in den anderen Lan- che Frage bezogen; sie war keine Zusatzfrage. Wir desarbeitsamtsbezirken nutzbar gemacht werden wollen die Dinge ein bißchen auseinanderhalten. können. (Thomas Krüger [SPD]: Der Staatssekretär Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Zahl der Buß- hat aber die Antwort schon auf seinem Zet geldverfahren wegen des Verdachts illegaler Auslän- tel stehen gehabt!) derbeschäftigung von 28 000 im Jahre 1990 auf mehr als 77 000 im Jahre 1994 gesteigert. Über 23 Mil- Der Herr Staatssekretär - deshalb habe ich auch lionen DM Bußgelder und Verwarnungsgelder wur- nicht vorher eingegriffen - hat sie aber beantwortet. - den verhängt. Nicht zuletzt wegen dieser verstärkten Das zweite - da Sie es bis jetzt so glänzend über Bekämpfungsmaßnahmen scheinen immer mehr Ar- die Bühne gebracht haben, Herr Staatssekretär, wird beitgeber auf Arbeitnehmer aus den Mitgliedsstaa- Sie es nicht irritieren, wenn ich das sage - ist, daß ich ten der Europäischen Union zurückzugreifen, die meine Bitte an die Bundesregierung wiederhole, keine Arbeitserlaubnis benötigen, die aber ebenso nicht halbe Telefonbücher als Antwort mitzubringen. wie die illegalen Ausländer bereit sind, hier unter dem Lohnniveau deutscher Arbeitnehmer zu arbei- (Beifall des Abg. Thomas Krüger [SPD]) ten. Das Frage- und Antwortspiel leidet darunter, wenn (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist ja der ganze einerseits die Fragen zu umfassend gestellt werden - Irrsinn!) das ist hier schon ein wenig der Fa ll gewesen - und 3458 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Vizepräsident Hans Klein wenn sie andererseits dera rt umfangreich beantwor- Drittel des Mißbrauchs, insbesondere beim AFG, tet werden. Das geht nicht an Ihre persönliche durch die Arbeitgeberseite - da vor allem beim Bau- Adresse, Herr Jung. Das ist ein allgemeines Grava- gewerbe - und ein Drittel durch die Arbeitnehmer- men, über das wir immer wieder einmal gemeinsam seite verursacht wurden. In diesem Bereich geht es sprechen sollten. um illegale Beschäftigung. Jetzt bitte Ihre zweite Zusatzfrage. Inwieweit haben Sie nach der Erkenntnis des letz- ten Jahres Gespräche mit den Tarifvertragsparteien, Klaus Hagemann (SPD): Herr Staatssekretär, in- unter anderem mit den Arbeitgebern der Bauindu- wieweit ist Ihnen bekannt, daß die Bundesregierung strie und des Bauhandwerks geführt, um die schwar- bei Arbeitsvergaben nur die Firmen berücksichtigt, zen Schafe auszusondern? Bei der illegalen Beschäf- die sich an diese Bestimmungen halten, so daß keine tigung sind nämlich immer wieder Baubetriebe mit Firmen Aufträge erhalten, die ihre Arbeit mit Hilfe beteiligt; das geht sogar bis in die seriösen Betriebs- illegal hier arbeitender Arbeitnehmer ausführen? einheiten - so will ich sie einmal nennen - hinein. Haben Sie Gespräche geführt und deutlich ge- Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium macht, daß es nicht im Interesse der Bundesrepublik für Arbeit und Sozialordnung: Ich kann über die An- Deutschland liegt, daß große Unternehmen in der wendung der Vergaberichtlinien in dieser Beziehung Bundesrepublik illegale Beschäftigung direkt oder nichts sagen. Aber es ist auch Thema des in Vorbe- indirekt vornehmen? reitung befindlichen Gesetzentwurfs, daß bei der Vergabe öffentlicher Aufträge stärker auf die Einhal- Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium tung dieser Abwehrvorschriften gegen illegale Be- für Arbeit und Sozialordnung: Herr Abgeordneter schäftigung, gegen Lohndumping geachtet werden Gilges, ich kann Ihnen von einem Gespräch berich- soll. ten, das in der letzten Woche mit Vertretern des Bau- handwerks und der Bauindustrie stattgefunden hat, Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Büttner. und zwar in Vorbereitung des zitierten Gesetzes, das die Entsenderrichtlinie bei uns na tional ersetzen soll. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Staatssekre- Bei diesem Gespräch herrschte seitens des Hand- tär, kann mir die Bundesregierung die Frage beant- werks und der Industrie große Aufgeschlossenheit worten, wie sie denn die i llegale Beschäftigung, vor für die Notwendigkeit, gegen die schwarzen Schafe allem in den Bereichen, die Sie angesprochen haben: in den eigenen Reihen vorzugehen. Ob zu diesem dem Baubereich, der Saisonarbeit, der Hauswirt- Thema mit den Gewerkschaften entsprechende Ge- schaft, der Landwirtschaft, überhaupt kontrollieren spräche geführt worden sind, kann ich aus dem will, wenn sie gleichzei tig, wie das heute im Aus- Handgelenk leider nicht sagen. schuß für Arbeit und Sozialordnung in letzter Bera- tung verabschiedet wurde, in einem eigenen Gesetz- entwurf schriftliche Arbeitsverträge, in denen die Be- Vizepräsident Hans Klein: Gibt es weitere Zusatz- stimmungen über Lohnhöhe, Arbeit usw. enthalten fragen? - Das ist nicht der Fall. Herr Staatssekretär, sein sollen, für all diejenigen ausschließt, die weni- es sei Ihnen herzlich für die Beantwortung der Fra- ger als 400 Stunden im Jahr beschäftigt sein sollen, gen gedankt. was ja genau die Saisonarbeitnehmer und die Ent- Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- sendearbeitnehmer betrifft? Wie will die Bundesre- riums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau gierung überhaupt eine Kontrolle möglich machen, auf. Es handelt sich um die Frage 2 des Abgeordne- wenn sie für diese Personen nicht einmal schriftliche ten Reschke: Verträge vorsieht? Kann nach Ansicht der Bundesregierung, die bisher wieder- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das fördert das ge holt erklärt hat, daß der Sender „Deutsche Welle" sein stark as- rade!) bestbelastetes Funkhaus in Köln bis spätestens 30. Juni 1997 ge- räumt haben muß und bis zu diesem Termin in ein Gebäude auf dem Gelände der bundeseigenen Liegenschaft an der Kurt- Karl Jung, Staatssekretär im Bundesministerium Schumacher-Straße (,,Schürmann-Bau") in Bonn verlegt werden für Arbeit und Sozialordnung: Herr Kollege Büttner, soll, dieser Terminplan eingehalten werden, nachdem bislang von der Bundesregierung weder eine Entscheidung für den Wei- ich bin der Auffassung, daß der Personenkreis, den terbau und die Vollendung des „Schürmann-Baus" gefällt noch Sie erwähnt haben, der von der Verpflichtung zum ein Antrag gemäß § 64 BHO für die Veräußerung der bundesei- Abschluß von schriftlichen Arbeitsverträgen ausge- genen Liegenschaft an der Kurt-Schumacher-Straße in die parla- nommen werden soll, insgesamt nur eine Minderheit mentarischen Gremien eingebracht worden ist? - des illegalen Potentials darstellt. Ich sehe keinen Vertreter des angesprochenen Mi- nisteriums. Bis vor kurzem war der Minister noch Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Gilges, hier. - Bitte, Herr Reschke. möchten Sie immer noch eine Zwischenfrage stellen? - Bitte. Otto Reschke (SPD): Ich darf das erklären. Mir ist signalisiert worden, daß der Minister - er war zu Ge- Konrad Gilges (SPD): Herr Staatssekretär, Sie ha- sprächen beim Kanzler - nicht rechtzeitig hier sein ben in diesem Bereich im vergangenen Jahr eine kann. Der Staatssekretär ist noch im Ausschuß. Ich Kontrolle vorgenommen und festgestellt, daß zwei bin mit einer schriftlichen Beantwortung der Frage Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3459

Otto Reschke zu diesem Punkt einverstanden, vorausgesetzt, die Thomas Krüger (SPD): Herr Staatssekretär, wür- Regierung taucht im Schürmann-Bau nicht ab. den Sie den Sachverhalt noch einmal prüfen, daß das Grenzschutzpräsidium Ost von seiner ursprüngli- chen Position im November 1994 hier Hebungen und Vizepräsident Hans Klein: Danke sehr, Herr Kol- Begrenzungen grundsätzlich zu ermöglichen, entge- lege. Dann wird die Antwort als Anlage abgedruckt. gen dem gegenwärtigen Briefverkehr nicht ab- Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesmi- weicht? Ich glaube, daß hier offenbar eine Nichtwei- nisteriums des Innern auf. Hier wird uns der Parla- tergabe von Informationen vorliegt, wenn Sie auf die mentarische Staatssekretär Eduard Lintner die Fra- entsprechenden Rückmeldungen und schriftlichen gen beantworten. Außerungen des Grenzschutzpräsidiums Ost noch nicht reagieren konnten. Die Frage 5 der Kollegin Ulla Schmidt (Aachen) soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird Parl. Staatssekretär beim Bundes- als Anlage abgedruckt. Eduard Lintner, minister des Innern: Herr Kollege Krüger, wir haben Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Thomas Krüger das selbstverständlich im Vorfeld der Beantwortung auf: Ihrer Fragen überprüft und sind zu der Erkenntnis gekommen, die ich Ihnen gerade vorgetragen habe. Liegen der Bundesregierung Informationen vor, aus welchem Ich sage Ihnen aber gerne zu, daß ich im Lichte Ihres Grund sich das Grenzschutzpräsidium Ost nach der erneuten Aufforderung durch das Bundesministerium des Innern vom Insistierens der Frage noch einmal nachgehen 24. März 1995 weige rt, den Erlaß des Bundesministeriums des werde. Innern vom 28. Juli 1994 betreffs der Ausschreibung von Dienst- posten umzusetzen? Vizepräsident Hans Klein: Werden aus dem Haus Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. weitere Zusatzfragen dazu gestellt? - Das ist nicht der Fall. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Wir kommen zur Frage Y des Abgeordneten Krü- minister des Innern: Herr Kollege Krüger, die Ant- ger: wort lautet: Die angesprochenen BMI-Erlasse vom 28. Juli 1994 und vom 24. März 1995 be treffen die Trifft es zu, daß auf Weisung des Bundesministers des Innern Übernahme von Polizeivollzugsbeamten des mittle- eine Einsatzabteilung des BGS zum Klimagipfel nach Berlin ab- kommandiert wurde, gleichwohl die Berliner Landespolizei kei- ren Polizeivollzugsdienstes in den gehobenen Poli- nen ausdrücklichen Bedarf angemeldet hatte, und wenn ja, wel- zeivollzugsdienst im BGS, die in der ehemaligen che dadurch bedingten zusätzlichen Kosten hat die am Standort DDR eine technische, einer Fachhochschulausbil- Rehan/Blumberg untergebrachte Einsatzabteilung verursacht? dung gleichwertige Ausbildung abgeschlossen ha- Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ich bitte urn ben. Beantwortung. Es liegen der Bundesregierung keine Informatio- nen vor, daß sich das Grenzschutzpräsidium Ost wei- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- gert, die genannten BMI-Erlasse umzusetzen. -minister des Innern: Wegen vorliegender Sicherheits und Störungserkenntnisse im Zusammenhang mit Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. dem Klimagipfel in Berlin ist das dort örtlich und sachlich zuständige Grenzschutzpräsidium Ost für Zwecke originärer Maßnahmen im bahnpolizeilichen Thomas Krüger (SPD): Herr Staatssekretär, es gibt Aufgabenbereich mit Schwerpunkt im S-Bahn-Ver- einen entsprechenden Briefwechsel und einen kehr durch eine Einsatzabteilung des BGS vorüber- schriftlichen Vermerk, in dem das Grenzschutzpräsi- gehend verstärkt worden. Es hat weder Anträge des dium Ost versucht, genau dieses zu begründen. Ich Landes Berlin gegeben, noch haben Unterstützun- frage mich, ob es Absprachen zwischen dem Grenz- gen des BGS zugunsten der Landespolizei Berlin schutzpräsidium Ost und dem BMI gibt, hier die He- stattgefunden. Kosten sind daher insoweit nicht ent- bungen einzugrenzen, und ob dieses mit einem Miß- standen. trauen gegenüber den technischen Angestellten in der ehemaligen DDR zu tun hat. Thomas Krüger (SPD): Herr Staatssekretär, welche Bedeutung messen Sie dem Einvernehmen mit den Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- entsprechenden Landespolizeien bei, solche Einsatz- minister des Innern: Herr Kollege Krüger, die Erlasse abteilungen einzusetzen? Meines Wissens hat aus- selber zeigen ja, daß es sich hier nicht um ein Miß- drücklich kein Bedarf im Land Berlin bestanden. trauen handelt, sondern wir wollten im Gegenteil der persönlichen Situation und den ausbildungsmäßigen Voraussetzungen dieser Leute gerecht werden. Des- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- halb haben wir sie in den Kreis derer einbezogen, die minister des Innern: Ich habe schon darauf hingewie- vom mittleren Dienst in den gehobenen Dienst über- sen, daß der BGS dort in seinem originären Zustän- nommen werden können. digkeitsbereich tätig geworden ist; Bahnpolizei heißt das Stichwort. Insofern bedarf es dieses Einverneh- mens nicht. Daß man sich generell bemüht, mit der Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. zuständigen Landespolizei zu einer vernünftigen Ko- 3460 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Parl. Staatssekretär Eduard Lintner ordination zu kommen, steht außer Frage. Aber ein Die Frage 8, die der Kollege Dr. Egon Jüttner ge- rechtliches Einvernehmen war nicht erforderlich. stellt hat, soll wie die Fragen 9 und 10 der Kollegin Monika Ganseforth schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 11 auf, die die Kollegin Amke Thomas Krüger (SPD): Herr Staatssekretär, nun Dietert-Scheuer gestellt hat: haben wir erfahren, daß ein Einvernehmen offenbar Trifft es zu, daß ein Rückübernahmeabkommen zwischen der nicht in Ihrem Interesse liegt. Vor diesem Hinter- Bundesrepublik Deutschland und Algerien kurz vor dem Ab- grund fragen wir uns, ob ein mehrwöchiger Auf ent- schluß steht, und wenn ja, welche Verpflichtungen wollen die beiden Vertragsparteien darin eingehen? halt einer Einsatzabteilung, die von weither an die- sen Standort Ahrensfelde abgezogen worden ist und Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. drei Wochen damit beschäftigt wird, S-Bahn zu fah- ren, sinnvoll ist, obwohl ein solcher Bedarf vor dem Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Hintergrund der allgemeinen Lage überhaupt nicht minister des Innern: Frau Kollegin, die Antwort lautet bestanden hat. ganz kurz: Die Verhandlungen über ein deutsch-al- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Und keine Kosten gerisches Rückübernahmeabkommen sind noch verursacht haben soll!) nicht abgeschlossen. Das verursacht meines Erachtens doch erhebliche zu- Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle sätzliche Kosten, die man sich hier hätte sparen kön- nen.

Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- NEN): Meine Frage zielte auch nicht darauf, ob sie minister des Innern: Herr Kollege Krüger, ich muß Ih- abgeschlossen seien. Ich fragte vielmehr in erster Li- nen energisch widersprechen. Selbstverständlich hat nie nach dem Verlauf dieser Verhandlungen und da- angesichts der Sicherheitslage vor, während und nach, welche Verpflichtungen die Vertragsparteien nach dem Klimagipfel ein entsprechender Bedarf be- in einem solchen Abkommen eingehen wollen. standen. Wenn nichts passiert ist, ist das womöglich auch darauf zurückzuführen, daß die Bundesregie- Parl. Staatssekretär beim Bun- rung rechtzeitig Vorsorge ge troffen hat. Sie können Eduard Lintner, desminister des Innern: Frau Kollegin, da die Ver- jetzt nicht nachträglich den Schluß ziehen: Da nichts passiert ist, war es überflüssig, die BGS-Beamten handlungen noch nicht abgeschlossen sind, kann ich dorthin zu schicken. Ich würde darauf bestehen, daß Ihnen auch keine Auskunft über Verpflichtungen, der Zusammenhang genau umgekehrt ist. die im fertigen Vertragstext möglicherweise enthal- ten sind, geben.

Bitte sehr, Herr Ku- Vizepräsident Hans Klein: Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- batschka. NEN): Können Sie mir denn Auskunft darüber ge- ben, in welche Richtung die Verhandlungen gehen? Horst Kubatschka (SPD): Herr Staatssekretär, heißt das nach Ihren Ausführungen, daß die Bahnpolizei Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- im Raum Berlin personell zu schwach ausgestattet minister des Innern: Wir bemühen uns, die algerische ist, und gibt es ähnliche Einsätze in anderen Berei- Seite dafür zu gewinnen, Staatsangehörige, die zu- chen der Bahnpolizei? rückgebracht werden sollen, reibungslos zu über- (Konrad Gilges [SPD]: Hoffentlich nicht!) nehmen.

Vizepräsident Hans Klein: Wird von anderer Seite Parl. Staatssekretär beim Bundes- Eduard Lintner, dazu eine Zusatzfrage gestellt? - Das ist nicht der minister des Innern: Herr Kollege, Sie legen jetzt ei- Fall. nen Sinn in meine Antwort, der, wenn Sie so wollen, in der Antwort nicht enthalten war; denn für den nor- Dann rufe ich die Frage 12, die ebenfalls die Kolle- malen dienstlichen Ablauf und für die normale Si- gin Amke Dietert-Scheuer gestellt hat, auf: cherheitslage ist die Bahnpolizei natürlich auch in In welchen Fällen übermittelt der Bundesgrenzschutz Flugda- Berlin ausreichend besetzt. ten algerischer Staatsangehöriger an die algerischen- Sicher- heitsbehörden, und wie kann vor diesem Hintergrund sicherge- Nur: Bei Situationen wie dem Klimagipfel oder stellt werden, daß nach Algerien abgeschobene Personen nicht ähnlichen Großereignissen, die zudem ein gewisses Opfer von Folter, „ Verschwindenlassen", extralegalen Tötungen Interesse in allen Bereichen des politischen Spek- und anderen Menschenrechtsverletzungen werden? trums auf sich ziehen, muß natürlich die Möglichkeit Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. bestehen, Zusatzkräfte dorthin zu verbringen. Diese Möglichkeit haben wir genutzt. Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Die Flugdaten werden im Rah- Vizepräsident Hans Klein: Keine weiteren Zusatz- men der Beschaffung der notwendigen Heimreisedo- fragen dazu. kumente für algerische Staatsangehörige dem alge- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3461

Parl. Staatssekretär Eduard Lintner rischen Generalkonsulat in Frankfu rt mitgeteilt, um Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- die Rücknahme im Zielstaat zu gewährleisten. Die riums der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht uns Beachtung von Abschiebungshindernissen bzw. Ab der Parlamentarische Staatssekretär Professor schiebungsverboten wird durch die der Abschie- Dr. Kurt Faltlhauser zur Verfügung. bung vorangehende Einzelfallprüfung gewährlei- Die Frage 13, die die Kollegin Elke Leonhard ge- stet. stellt hat, soll schriftlich beantwortet werden. Die Im übrigen besteht mit der algerischen Seite Ein- Antwort wird als Anlage abgedruckt. vernehmen, im Rückübernahmeabkommen durch Ich glaube, wir müssen auch dem Kollegen eine spezielle Vertragsbestimmung klarzustellen, Reschke die schriftliche Beantwortung seiner Frage 14 daß „die sich aus den jeweiligen völkerrechtlichen zugestehen, der jetzt mit dem Bundesbauminister Übereinkünften ergebenden internationalen Ver- unterwegs ist, der vorhin nicht da war, als die Fragen pflichtungen" unberührt bleiben. Dazu zählen der an ihn zu beantworten gewesen wären. Der Kollege UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom Reschke wird nicht so rechtzeitig zurück sein, daß 19. Dezember 1966 sowie das UN-Übereinkommen wir seine Frage anschließend aufrufen könnten. Des- vom 10. Dezember 1964 gegen Folter und andere halb wäre mein Vorschlag - den seine Fraktion sicher grausame, unmenschliche oder erniedrigende Be- mitträgt -, daß Sie, Herr Parlamentarischer Staatsse- handlung oder S trafe, die sogenannte UN-Folterkon- kretär, auch die Frage 14 schriftlich beantworten. Die vention. Antwort wird als Anlage abgedruckt. Dann rufe ich die Frage 15 auf, die der Kollege Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. Hans Büttner gestellt hat: Können Spenden an politische Parteien im Rahmen der be- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- stehenden Gesetze auch dann steuerlich geltend gemacht wer- Amke Dietert-Scheuer den, wenn die Spenden über Drückerkolonnen eingesammelt NEN): Die von Ihnen zitierte UN-Antifolterkonven- werden und ein Teil des Spendenbetrages, den der Spender ei- tion ist selbstverständlich auch mir bekannt. Das Pro- gentlich in der Kasse der Partei wähnt, für die die Spende ge- blem, auf das sich meine Frage gründet, liegt darin, dacht ist, in den Taschen der Drückerfirmen und deren Mitarbei- daß es in Algerien durchaus nicht gewährleistet ist, ter landen? daß diese eingehalten wird. Es hat in bezug auf Ab- Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. geschobene - sei es aus Deutschland, sei es aus an- deren Ländern - mehrfach Berichte gegeben, daß sie anschließend verschwunden sind oder mißhandelt Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim wurden. Darauf zielte meine Frage ab. Wie ist die Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Büttner, Einhaltung der Regelungen vor diesem Hintergrund die Einwerbung von Spendenmitteln ist im Parteien- sicherzustellen? gesetz als Voraussetzung für entsprechende staatli- che Zuschüsse ausdrücklich vorgesehen. Ich würde sogar verstärkend sagen: Durch das Urteil des Bun- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- desverfassungsgerichts ist die Tatsache, daß Parteien minister des Innern: Dadurch ändert sich an der Ein- um Spenden werben, auf eine neue, auf eine verfas- schätzung seitens der Bundesregierung nichts. Sie sungsgemäß gebotene Ebene gehoben worden. wissen, daß solche Aspekte im Rahmen der soeben Entstehen den bei der Einwerbung von herausgestellten Einzelfallprüfung berücksichtigt Parteien Spendenmitteln Kosten, z. B. durch Werbeaktionen, werden. Beratung durch PR-Firmen oder auch durch die Ein- schaltung gewerblich tätiger Spendenakquisiteure, Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. so ist der steuerliche Abzug als Sonderausgaben beim Spender nicht berührt. Dabei gehe ich davon aus, daß die Spende in voller Höhe der Partei zufließt Amke Dietert-Scheuer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und der Spendensammler seine Provision von der NEN): Wurden bisher Berichte überprüft, die auf of- Partei erhält. Das heißt, unter steuerrechtlichen Ge- fenkundige Verstöße gegen diese Abkommen hin- sichtspunkten ist eine entsprechende Vorgehens- deuten, d. h. Berichte über das Verschwinden und weise durchaus möglich. die Mißhandlung von Abgeschobenen? Lassen Sie mich wertend hinzufügen: Die Höhe dieser Provisionen ist sowohl gegenüber dem Spen- Eduard Lintner, Parl. Staatssekretär beim Bundes- der als auch gegenüber der Partei eine, lassen Sie minister des Innern: Frau Kollegin, es ist bei der Bun- mich sagen: Stilfrage. - desregierung eigentlich Übung, daß insbesondere das Auswärtige Amt solche Berichte ständig über- Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Büttner, prüft und gravierende Änderungen den übrigen Res- Zusatzfrage. sorts mitteilt.

Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Meine erste Zu- Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen satzfrage: Hat die Bundesregierung geprüft, oder lie- werden dazu nicht gestellt. Herr Parlamentarischer gen ihr Unterlagen vor, aus denen ersichtlich ist, wie Staatssekretär, ich darf mich für die Beantwortung hoch diese Provisionen sind, die für solche Spenden- der Fragen herzlich bedanken. eintreibungen gezahlt worden sind, ob diese Provi- 3462 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Hans Büttner (Ingolstadt) sionen direkt nach Eingang der Gesamtspende in die Diese Spenden sind nicht mehr abzugsfähig. Ich er- Kasse der Partei wieder ausgezahlt worden sind oder laube mir die persönliche Bemerkung, daß ich das für ob sie von den Spendensammlern schon vom Spen- einen verfassungspolitischen Skandal halte, im Ver- denbetrag abgezogen wurden und nur der verblei- gleich zur Spendenabzugsmöglichkeit von einer bende Betrag der Partei zur Verfügung gestellt Vielzahl von Vereinen, wie wir sie im Vereinsförder- wurde? gesetz niedergelegt haben. Den ersten Teil Ihrer Frage kann ich dem Grund Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- nach nicht ganz überblicken. Ich kann mir nicht vor- desminister der Finanzen: Ihre Frage beinhaltet zwei stellen, daß wir hier beurteilen können, was eine Fragen: die erste, ob wir Kenntnisse über die Höhe Firma an Provisionen bezahlen kann. Das steht je- dieser Provisionen haben. Der Bundesregierung ist weils im Ermessen eines Unternehmens. durch Presseveröffentlichungen die angegebene Pro- visionierung von Spendeneintreibern sowohl von Par- Herr Kollege Gilges, Zu- teien als auch von anderen Organisationen bekannt. Vizepräsident Hans Klein: satzfrage. Ich darf darauf hinweisen, daß freigemeinnützige sozial tätige Organisationen, die bundesweit tätig Konrad Gilges (SPD): Herr Parlamentarischer sind und die Sie alle kennen, selbstverständlich auch Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ihrerseits Spenden durch professionelle Akquisiteure kann die Provision, die der Werber erhält, steuerlich einsammeln lassen und nach meinem Urteil sehr, geltend gemacht werden. Aber das ist keine Spende sehr hohe Provisionen bezahlen. mehr, sondern ein Einkommen. Das heißt, Sie teilen Die Bundesregierung sah sich in keiner Weise und die Spende auf in einen Einkommensteil und einen an keiner Stelle veranlaßt, über Provisionshöhen ir- Spendenteil, der dem Spendenzweck zugeführt gendwelche Urteile abzugeben. Die Provisionen wer- wird. Trotzdem ist es nach Ihrer Aussage möglich, den rechtlich zu beurteilen sein. Dazu habe ich Ihnen daß die Gesamtsumme steuerlich geltend gemacht gesagt, daß das Vorgehen immer dann richtig ist, werden kann. Wie verträgt sich das mit dem Einkom- wenn die Spende an eine Partei fließt und die Partei mensteuergesetz? ihrerseits diese Gelder dann entsprechend verwen- det, in diesem Fall für Provisionen; es gibt durchaus Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- auch die Verwendung der Parteispenden beim Ak- desminister der Finanzen: Herr Kollege, ich muß ver- quirieren etwa in Form von postalischen Kosten. deutlichend wiederholen. Der Vorgang ist ein klar zu strukturierender. Auf der einen Seite wird eine Spende ausgereicht und bei der Partei verbucht. Die Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage, Herr Kollege Büttner. Partei hat ihrerseits die Freiheit, mit diesen Geldern das für sie Richtige zu tun: Ausgabenfreiheit. Hier wird niemand einer Partei, weder der SPD noch sonst Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Provisionszahlun- irgendeiner Partei, etwas vorschreiben können. gen von Firmen wirken ja nur dann für die Firma sel- ber steuermindernd, wenn diese Provisionszahlun- Zu den Ausgaben kann auch gehören, etwas für gen einen direkten, ganz konkreten Nutzen für die die Einwerbung dieser Spenden zu bezahlen. Auch Firma haben. Können Sie mir die Frage beantworten, das ist üblich und im übrigen gar kein Sonderfall der inwieweit die Abzugsfähigkeit einer Spende zum Parteien. Zweitens kann es durchaus sein, daß der Zwecke der Förderung einer politischen Partei mit Zufluß dieser Gelder bei der Verwendung zu Ein- dem Einkommensteuergesetz in Einklang steht, kommen bei Personen führt. Dies kann bei Werbern wenn diese Provisionszahlungen sozusagen vom ebenso sein wie bei Personal, das in der Zentrale Spendenaufkommen abgezogen werden und dem sitzt. Auch dann ist es Einkommen. Dies ist die Ver- Drücker, dem Eintreiber, direkt zufließen, aber nicht wendungsseite. Sie haben wir nicht zu beurteilen. über den Weg des Rückflusses, von dem Sie gesagt (Konrad Gilges [SPD]: Aber vorweg darf das haben, nur er allem sei zulässig? nicht abgezogen werden - das höre ich -, d. h., die Spende muß in voller Höhe beim Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- Spendennehmer eingehen!) desminister der Finanzen: Herr Kollege, erlauben Sie mir auch hier, daß ich auf die verschiedenen Aspekte Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, Sie hatten Ihrer umfänglichen Frage eingehe. Zivilrechtlich flie- eine Zusatzfrage. Bitte keinen Dialog! Ich sage das ßen Spendenteile der Partei auch dann zu, wenn der aber erst, nachdem Sie Ihre Äußerung gemacht ha- Spendenakquisiteur entsprechend einer Vereinba- ben. rung mit der Partei eine Provision einbehält. Das heißt, wenn die Vereinbarung so ist, daß er zur admi- nistrativen Verkürzung seinen vereinbarten Provisi- Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- onsanteil einbehält, dann ist dies steuerrechtlich desminister der Finanzen: Das war ein Zwischenruf, ebenfalls unbedenklich. Herr Präsident. Ich darf wortwörtlich das wiederho- len, was ich gerade Ihrem Kollegen gesagt habe: Zi- Ich weise zweitens darauf hin, daß seit dem vilrechtlich fließen Spendenteile der Partei auch 1. Januar 1994 Firmen bei Spenden an Parteien dann zu, wenn der Spendenakquisiteur entspre- keine Spendenquittungen mehr bekommen können. chend einer Vereinbarung mit der Partei eine Provi- Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3463

Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser sion einbehält, wenn dieser Vorgang also kurzge- mal wurde bedauerlicherweise eine überhöhte Treib- schaltet ist. ladung verwendet. Statt der befohlenen vierten La- dung ist jeweils die siebte Ladung zum Einsatz ge- Lassen Sie mich aber noch eine Bemerkung hinzu- kommen, fügen. Es ist zwar richtig, daß Sie diese Sache nach- fragen: Kann dies so sein? Es ist rechtlich geprüft. Ich würde Ihnen dringend empfehlen, sich die Höhe der Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Herr Kol- Provision und die Vorgehensweise aller nur denkba- lege? - Nein. ren gemeinnützigen Organisationen in diesem Land genauer anzusehen, Dann werden Sie Ihre kritischen Wird aus dem Haus eine Zusatzfrage gewünscht? - Stellungnahmen gegenüber Parteispendeneintrei- Nein. bung sicherlich etwas reduzieren. Ich glaube, es sollte unser Anliegen sein, gerade auf der Basis des Dann rufe ich die Frage 21 auf, die ebenfalls Kol- Verfassungsgerichtsurteils die entsprechenden kriti- lege Palis gestellt hat: schen Stellungen zum Spendeneintreiben als solches Welche technischen und personellen Konsequenzen zieht die im gemeinsamen Interesse etwas zurückzustellen. Bundesregierung aus den Fehlschüssen vom September 1994 auf dem Truppenübungsplatz Munster-Süd, um die Sicherheit der Bevölkerung in den Platzanliegergemeinden zu gewährlei- Vizepräsident Hans Klein: Keine weiteren Zusatz- sten? fragen dazu? - Damit, Herr Parlamentarischer Staats- sekretär, ist auch das Fragebedürfnis in Ihrem Ge- schäftsbereich erschöpft. Ich bedanke mich für die Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- umfassende Beantwortung. desminister der Verteidigung: Herr Kollege Palis, dieser bedauerliche Vorfall wurde zum Anlaß ge- (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser: Es nommen, bestehende Sicherheitsbestimmungen er- war mir ein Vergnügen, Herr Präsident!) neut sorgfältig zu prüfen und zu verbessern. - Auch Parlamentarische Staatssekretäre sollten ei- Grundsätzlich werden Verstöße gegen Sicherheits- gentlich die Äußerungen des Präsidenten nicht kom- bestimmungen beim Schießen geahndet. Die Bun- mentieren. deswehr hat sofort Konsequenzen aus den Fehl- Im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für schüssen vom 14. September 1994 gezogen und or- Wirtschaft sind die Fragen 16 und 17 des Kollegen ganisatorische wie auch personelle Maßnahmen ge- Reinhard Schultz, die Frage 18 der Kollegin Dr. Elke troffen. Leonhard und die Frage 24 des Kollegen Norbert Im einzelnen beinhalten diese Maßnahmen: Das Gansel gestellt, die allesamt, Herr Parlamentarischer Schießen mit der Feldhaubitze 105 mm ist bis zur Staatssekretär Dr. Lammert, schriftlich beantwortet endgültigen Klärung des Sachverhalts und der ab- werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen schließenden Prüfung, mit welchen Maßnahmen abgedruckt. ähnliche Vorfälle für die Zukunft ausgeschlossen Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- werden können, ausgesetzt. riums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns die Parlamentarische Staatssekretärin Michaela Beim Schießen mit Artillerie und Mörsern aus den Geiger zur Verfügung. Außenfeuerstellungen 18 bis 20 und 24 bis 26 sowie dem Nordteil der Außenfeuerstellung 21 werden die Die Frage 19, gestellt vom Kollegen Dr. Wolfgang Geschützrohre so verschwenkt, daß das Stadtgebiet Weng, möge bitte schriftlich beantwortet werden. von Munster außerhalb der Schußsektoren liegt. Das Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. gleiche gilt für das Schießen aus den Platzrandfeuer- stellungen P, Q, R, S, T und U und für Forsthausen. Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Ku rt Palis auf: Ein zusätzliches Kontrollorgan, der sogenannte Welche Ursachen liegen nach Erkenntnis der Bundesregie- „Sicherheitsgehilfe Ladung" wurde eingerichtet. rung den Fehlschüssen vom 12. September 1994 auf dem Trup- Ihm obliegt die Kontrolle der genehmigten Ladung penübungsplatz Munster-Süd zugrunde? vor der Einführung in den Ladungsraum des Ge- Ich bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, schützes. um Beantwortung. Die Überwachung der schießenden Einheiten wird im Rahmen der personellen Möglichkeiten der Trup- Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- penübungsplatzkommandantur in den südlichen desminister der Verteidigung: Herr Präsident! Herr Feuerstellungen verstärkt. Kollege, in die Untersuchungen zu den Ursachen der Fehlschüsse vom 12. September 1994 auf dem Trup- Darüber hinaus wird untersucht, wie mit techni- penübungsplatz Munster-Süd wurde die zuständige schen Mitteln vor der Schußabgabe die Ladung über- Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Die Untersuchun- prüft werden kann. Erste Vorschläge liegen dem gen dauern noch an. Bundesverteidigungsministerium. vor. Wir sind der- zeit dabei, diese Vorschläge zu bewerten. Bereits jetzt können wir jedoch feststellen, daß die Ursache menschliches Versagen ist. Die Schüsse wurden von einer Feldhaubitze 105 mm abgefeuert. Vizepräsident Hans Klein: Keine Zusatzfrage, auch Das Geschützrohr zeigte in Richtung Munster. Zwei- von anderen Kolleginnen und Kollegen nicht. 3464 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Vizepräsident Hans Klein Dann rufe ich die Frage 22 des Kollegen Hans Bütt- desregierung. Sie als Opposi tion haben ja mehrere ner auf: Klagen in diesem Sinne beim Bundesverfassungs- gericht angestrebt - nicht im Sinne der Wehrpflicht, Worauf stützt die Bundesregierung die Auffassung des Bun- desministeriums der Verteidigung, daß die gesetzliche Wehr- aber im Sinne der Auslandseinsätze. Wie ich soeben pflicht sich nicht nur auf das konsensuale Prinzip der Verteidi- schon bestätigt habe, gibt es keine unterschiedliche gung der Freiheit und des Rechts des deutschen Volkes bezieht, Einteilung der Pflichten der Soldaten; die Treue- sondern auch Einsätze außerhalb des NATO-Gebietes einbe- pflicht gilt auch für die Wehrpflichtigen. zieht? Ich bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin, Die zweite Zusatzfrage, um Beantwortung. Vizepräsident Hans Klein: bitte.

Parl. Staatssekretärin beim Bun- Michaela Geiger, (Ingolstadt) (SPD): Nachdem die desminister der Verteidigung: Herr Kollege Büttner, Hans Büttner Bundesregierung hier rein organisatorisch antwortet, § 7 des Soldatengesetzes bestimmt als Grundpflicht habe auch ich eine zweite, eine organisatorische des Soldaten die Pflicht zum treuen Dienen. Danach Frage. sind alle Soldaten verpflichtet, sich den Aufgaben der Streitkräfte zu stellen, die mit der Verfassung in Wäre es organisatorisch möglich, besondere Ein- Einklang stehen. heiten zu bilden, die sich nur aus Berufssoldaten zu- sammensetzen und für solche besonderen Einsätze Der Auftrag der Streitkräfte ist in den A rt. 87 a, 24 im Rahmen eines Auftrags der Vereinten Nationen Abs. 2 und 35 des Grundgesetzes geregelt. Wie das vorgesehen werden? Bundesverfassungsgericht klargestellt hat, gehören hierzu neben der Landes- und der Bündnisvertei- digung auch Auslandseinsätze im Rahmen gegensei- Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- tiger kollektiver Sicherheitssysteme. Damit folgt aus desminister der Verteidigung: Organisatorisch wäre § 7 des Soldatengesetzes die Pflicht des Soldaten, dies natürlich möglich. Es ist aber politisch nicht ge- an verfassungskonformen Auslandseinsätzen teilzu- wollt. nehmen. (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehr gut!) Die allgemeine Treuepflicht gilt für alle Soldaten gleichermaßen. Grundsätzlich macht es keinen Un- Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege Gil- terschied, ob es sich um einen Berufssoldaten, einen ges. Soldaten auf Zeit oder um einen Soldaten handelt, der auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leistet. Konrad Gilges (SPD): Frau Parlamentarische Eine Unterscheidung des Pflichtenumfangs nach Staatssekretärin, zum Freiwilligkeitsprinzip, das Sie Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Status- für die Wehrpflichtigen hervorgehoben haben, ge- gruppe läßt sich regelmäßig nicht begründen. Dies hört natürlich auch die Fürsorgepflicht der Bundesre- entspricht im übrigen den verfassungsrechtlichen gierung. Sehen Sie es so, daß die Fürsorgepflicht mit Vorgaben. Nach Art. 12a Abs. 1 des Grundgesetzes dem Freiwilligkeitsprinzip abgedeckt ist? Meinen Sie können Männer zum Dienst in den Streitkräften ver- nicht, es wäre notwendig, daß die Bundesregierung pflichtet werden. Der Inhalt der Dienstpflicht ergibt über das Freiwilligkeitsprinzip hinaus die Fragen der sich demnach aus dem Auftrag der Streitkräfte. sozialen Absicherung der Folgen im Falle eines Scha- dens usw. deutlich macht? Gehört nicht zur Fürsorge- Die Bundesregierung hat jedoch entschieden, daß pflicht auch, daß dem Wehrpflichtigen im Gegensatz Grundwehrdienstleistende unabhängig von dem ge- zu anderen Teilen der Bundeswehr deutlich gemacht setzlichen Rahmen nur auf Grund freiwilliger Mel- wird, welche Konsequenzen ein Auslandseinsatz ge- dung an Auslandseinsätzen außerhalb des NATO gebenenfalls hat? Gebiets teilnehmen. Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Vizepräsident Hans Klein: Eine Zusatzfrage, Herr desminister der Verteidigung: Die Fürsorgepflicht Kollege Büttner. nimmt das Bundesverteidigungsministerium mit Si- cherheit wahr; denn es gibt ja ein eigenes Auslands- verwendungsgesetz, das für alle Soldaten gilt. Wenn Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Als erste Zusatz- frage habe ich auf Grund der bisherigen Entschei- Sie sich in diese Gesetzgebung hineinlesen, werden dungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich mit Sie sehen, daß sie ausreichend ist und für alle Fälle der Frage der zulässigen Wehrpflicht im Hinblick auf Regelungen vorgesehen hat. - die Auslandseinsätze nicht befaßt haben: Wie erklärt sich die Bundesregierung den Eid, den Soldaten zu Vizepräsident Hans Klein: Eine weitere Zusatz- leisten haben, die Freiheit und das Recht des deut- frage, bitte. schen Volkes zu verteidigen? Werden Freiheit und Recht des deutschen Volkes auch bei Auslandsein- Horst Kubatschka (SPD): Frau Staatssekretärin, sätzen verteidigt? sehen Sie im Zusammenhang mit Ihren Ausführun- gen und damit, wie die Regierung handelt, keinen Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Zwang, den Soldateneid zu verändern? Somalia oder desminister der Verteidigung: Ja, so sieht es die Bun die Bundesrepublik tapfer zu verteidigen - da sehe Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3465

Horst Kubatschka ich bei dem Soldateneid, den ich geleistet habe, Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle keine Zusammenhänge. gin.

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desminister der Verteidigung: Herr Abgeordneter, NEN): Ist der Bundesregierung bekannt, daß die US diesen Zwang sehe ich nicht. Diese Frage ist mehr- amerikanischen Streitkräfte Muni tion mit abgerei- fach geprüft worden. Wir bleiben bei dem Eid, wie er chertem Uran verwenden und auch im Golfkrieg ver- bisher geleistet wird. wendet haben, und könnte es Ihrer Meinung nach deswegen nicht durchaus passieren - ich denke, es gibt auch anderslautende Tatsachen als die Meinung Weitere Zusatzfragen, Vizepräsident Hans Klein: der Bundesregierung, was die Frage der Verstrah- bitte. lung der Soldaten im Golfkrieg betrifft -, daß Solda- ten, z. B. Bundeswehrsoldaten, die an internationalen tion in Berüh- Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Frau Staatsse- Einsätzen teilnehmen, mit dieser Muni kretärin, weshalb hält es die Bundesregierung für rung kommen? verfassungsrechtlich zulässig, daß Wehrpflichtige zu sogenannten Polizeieinsätzen im Rahmen der UNO verpflichtet werden können, während innerstaatlich, Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- in der Bundesrepublik, nur Freiwillige eingesetzt desminister der Verteidigung: Das sind gleich meh- werden können? rere Fragen, die ich verneinen muß. Zum einen hat die Bundesregierung keinerlei Anlaß, an den An- gaben unseres Bündnispartners USA zu zweifeln. Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- Die USA haben bestätigt, daß es zu keinen solchen desminister der Verteidigung: Der Beg riff Polizeiein- Verletzungen gekommen ist. Außerdem ist ein Ein- sätze ist mir nicht bekannt. Mir ist auch nicht be- satz, wie Sie ihn beschrieben haben, fiktiv. Auf die kannt, daß die Bundeswehr an Polizeieinsätzen teil- Frage nach einem Einsatz, der nicht geplant ist, kann nimmt, und ich möchte dies zurückweisen. Ich darf ich hier keine Antwort geben. Ihnen aber noch einmal sagen: Wir werden Wehr- pflichtige nur auf Grund freiwilliger Meldung bei den Auslandseinsätzen einsetzen. Das werden dann Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage. nur wenige sein. Der Großteil der Soldaten, die an solchen Einsätzen teilnehmen, werden Zeit- und Be- rufssoldaten sein. Ursula Schönberger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Sie sagen in Ihrer Antwort, daß Ihr Bündnis- partner gesagt hätte, daß es beim Einsatz von Muni- Vizepräsident Hans Klein: Keine weiteren Zusatz- tion mit abgereichertem Uran im Golfkrieg zu keinen fragen. Verstrahlungen US-amerikanischer Soldaten gekom- men ist. Gestehen Sie denn wenigstens die Tatsache Dann rufe ich die Frage 23 auf, die die Kollegin on mit abgereichertem Uran im Golf- Ursula Schönberger gestellt hat und die sich direkt zu, daß Muniti krieg verwendet worden ist, oder ist auch das im auf die Beantwortung einer Frage durch Sie, Frau nachhinein nicht mehr der Fall? Parlamentarische Staatssekretärin, bezieht:

Wie will die Bundesregierung, die laut Informa tion der Parla- mentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Vertei- Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- digung, Michaela Geiger, in der Fragestunde am 31. Mai 1995 desminister der Verteidigung: Das wäre eigentlich keine Kenntnisse über Handhabung und Folgen von US-ameri- kanischer Muni tion mit abgereichertem Uran hat, verhindern, eine Frage, die Sie an die amerikanische Regierung daß deutsche Soldaten, die im Rahmen internationaler Kampf- richten müßten und nicht an die Regierung der Bun- einsätze Unterstützung leisten, ähnlich radioaktiv verstrahlt desrepublik Deutschland. Wir können uns nur auf werden, wie amerikanische Soldaten im Golfkrieg durch eigene Informationen aus zweiter Hand stützen. Wir haben on? Muniti keine eigenen Erkenntnisse in dieser Frage. Das Ich bitte um Beantwortung. habe ich Ihnen aber schon in der letzten Fragestunde so dargestellt.

Michaela Geiger, Parl. Staatssekretärin beim Bun- desminister der Verteidigung: Frau Kollegin, die Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen- Bundesregierung weist die Behauptung, amerikani- werden dazu nicht gestellt. sche Soldaten seien durch Munition mit abgerei- chertem Uran radioaktiv verstrahlt worden, zurück. Damit sind wir mit diesem Geschäftsbereich fertig. Nach Erkenntnissen der amerikanischen Regierung Vielen Dank, Frau Parlamentarische Staatssekre- entbehren Behauptungen, Erkrankungen amerikani- tärin. scher Soldaten könnten in irgendeiner Weise mit ab- gereichertem Uran in Verbindung gebracht werden, Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- der wissenschaftlichen Grundlage. Aus Sicht der riums für Gesundheit auf. Die Fragen wird uns die Bundesregierung besteht deshalb keine Notwendig- Parlamentarische Staatssekretärin Dr. Sabine Berg- keit, tätig zu werden. mann-Pohl beantworten. 3466 Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Vizepräsident Hans Klein Frau Parlamentarische Staatssekretärin, die beiden suche durchgeführt worden sind, wären wir in der ersten Fragen, die Fragen 25 und 26 der Kollegin An- Lage, gezielter zu suchen. tje-Marie Steen, sollen schriftlich beantwortet wer- den. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. (Zuruf von der SPD: Sie haben die doch! Sie wissen doch alles!) Ich rufe die Frage 27 auf, die von der Kollegin Dr. Angelica Schwall-Düren gestellt wurde: Vizepräsident Hans Klein: Gibt es weitere Zusatz- Wie beurteilt die Bundesregierung die Resultate in Tierversu- chen, daß durch die Verfütterung bestrahlter Nahrungsmittel fragen dazu? - Das ist nicht der Fall. Veränderungen des Erbgutes, schwere Beeinträchtigung des Stoffwechsels und sogar Wachstumshemmung auch nachfol- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist doch keine gender Generationen erfolgten? Oppositionsbefragung, sondern eine Regie rungsbefragung!) Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. - Ich bitte darum, hier keine Dialoge zu führen. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin aus Ihrer Anfrage ist nicht ersichtlich, auf welche beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Präsident, Tierversuche Bezug genommen wird. Zur toxikologi- darf ich noch etwas dazu sagen? schen Bewertung bestrahlter Lebensmittel gibt es weltweit mehr als 400 verfügbare Arbeiten. Vizepräsident Hans Klein: Bitte sehr. Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Frau Staatsse- beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, kretärin, hält es die Bundesregierung nicht für nötig, wenn ich nicht weiß, auf welche Arbeit Sie Bezug im Sinne eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes nehmen, wäre jede Antwort spekulativer Natur. Ich den in diesen zahlreichen Tierversuchen gewonne- kann Ihnen unsere Erkenntnisse gerne schriftlich nen Erkenntnissen mit Hilfe weiterer Forschungen mitteilen. Ich kann hier aber nicht konkret antwor- nachzugehen, um zu prüfen, ob dies entsprechende ten, da ich nicht weiß, ob Sie genau den Tierversuch Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat? angesprochen haben, den wir praktisch spekulativ für unsere Antwort unterstellen würden. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, Vizepräsident Hans Klein: Danke sehr. es gibt einen Bericht der Bundesregierung über die Behandlung von Lebensmitteln mit ionisierenden Ich rufe die Frage 28 auf, die ebenfalls von der Kol- Strahlen, verfügbar in der Bundestagsdrucksache 11/ legin Dr. Angelica Schwall-Düren gestellt wurde: 7574 vom 18. Juli 1990, in dem dazu umfangreich Welche konkreten Schritte will die Bundesregierung unter- Stellung genommen wurde. nehmen, um gesundheitliche Risiken, die von Lebensmittelche- mikern auch bei geringen Strahlendosen festgestellt wurden Wir sehen derzeit nur einen Forschungsbedarf für (Zerstörung wertvoller hochungesättigter Fette und Vitamine alternative Methoden, wie es auch in einem Beschluß und Bildung untypischer Eiweiße), nachhaltig einzudämmen? des Deutschen Bundestages formuliert worden ist. Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. Vizepräsident Hans Klein: Zweite Zusatzfrage? - Sie haben keine Frage mehr. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, Dann hat der Kollege Büttner das Wo rt zu einer Zu- satzfrage. in dem Dosisbereich von bis zu 10 Kilogray begegnet der Verzehr bestrahlter Lebensmittel nach Einschät- zung aller namhaften Expertengremien keinen ge- Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Dann möchte ich sundheitlichen Bedenken. Diese Feststellung wurde die Frage noch einmal etwas anders stellen: Liegen vor dem Hintergrund getroffen, daß die Bestrahlung der Bundesregierung Resultate von Tierversuchen von Lebensmitteln auf Grund der vorliegenden zahl- vor, die ergeben, daß durch die Verfütterung be- reichen Studien so eingehend wie wohl kein anderes strahlter Nahrungsmittel Veränderungen des Erbgu- Behandlungsverfahren hinsichtlich einer möglichen tes, schwere Beeinträchtigung des Stoffwechsels Gesundheitsgefährdung des Verbrauchers- geprüft oder sogar Wachstumshemmung auch nachfolgender wurde. Generationen erfolgt sind? Unabhängig davon ist in der Bundesrepublik Deutschland u. a. das Inverkehrbringen bestrahlter Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Lebensmittel nach § 13 Abs. 1 des Lebensmittel- und beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege Bedarfsgegenständegesetzes verboten. Büttner, der Regierung liegen solche Erkenntnisse vor. Ich habe aber schon gesagt, daß es zu diesem Die Bundesregierung setzt sich bei den Beratun- Thema mehr als 400 Arbeiten gibt. Wenn Sie präzi- gen über die Angleichung der einschlägigen Rechts- sieren könnten, in welchen Arbeiten diese Tierver- vorschriften innerhalb der Europäischen Union für Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3467

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl ein möglichst weitreichendes Bestrahlungsverbot Vizepräsident Hans Klein: Sie wollen keine Zusatz- ein. Sie orientiert sich dabei an dem am 7. September frage stellen? - Dann der Kollege Büttner. 1994 angenommenen Beschluß des Deutschen Bun- destages. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Frau Staatssekre- tärin, da der Bundesgesundheitsminister in seinen Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage, Frau Kolle öffentlichen Erklärungen wiederholt darauf hinge- wiesen hat, daß besonders chronisch Kranke der So- lidarität der gesetzlichen Krankenversicherung be- dürfen, möchte ich fragen: Ist damit zu rechnen, daß Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Frau Staatsse- der Bundesgesundheitsminister demnächst eine Än- kretärin, da wir davon ausgehen müssen, daß be- derung des Gesundheitsgesetzes in der Form auf den strahlte Lebensmittel auf den deutschen Markt kom- Weg bringt, daß gerade solche chronisch Kranken men und es tatsächlich ernstzunehmende Hinweise nicht - wie durch diese Verordnung erneut gesche- auf dadurch verursachte gesundheitliche Risiken hen - verstärkt mit Kosten belastet werden? gibt - ich kann Ihnen gerne die Quelle geben -, frage ich Sie erneut: Welche Maßnahmen will die Bundes- Parl. Staatssekretärin regierung ergreifen, um wenigstens dafür zu sorgen, Dr. Sabine Bergmann-Pohl, beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege daß die Verbraucher über die Bestrahlung von Le- Büttner, für eine Entlastung chronisch Kranker sor- bensmitteln informiert und über die gesundheit- Härtefallregelungen, d. h. die Sozial- lichen Risiken durch die Bestrahlung aufgeklärt wer- gen gerade die klausel und die Überforderungsklausel, die sich nach den? dem Einkommen des Versicherten bzw. der Familie richtet. Inwieweit diese Frage zum Diskussionsge- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin genstand der dritten Stufe der Gesundheitsreform beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, wird, kann ich derzeit nicht sagen. zunächst einmal möchte ich Ihnen sagen, daß das Be- strahlungsverbot nach dem Lebensmittel- und Be- Vizepräsident Hans Klein: Weitere Zusatzfragen darfsgegenständegesetz, das ich eben erwähnt habe, werden nicht gestellt. grundsätzlich auch für importierte Lebensmittel gilt. Ich habe aber darüber hinaus auf den Beschluß des Dann rufe ich die Frage 30, die ebenfalls von der Deutschen Bundestages verwiesen, in dem u. a. Kollegin Ernstberger gestellt worden ist, auf: steht, daß wir auf eine umfassende und deutliche Welche Überlegungen bestehen auf seiten der Bundesregie- Kennzeichnung sowohl von bestrahlten Lebensmit- rung/des Bundesministeriums für Gesundheit, Dialysepatien- teln als auch von Lebensmitteln, die irgendwelche be- ten, die nicht unter die Härtefallregelungen nach den §§ 61, 62 strahlten Bestandteile enthalten, hinwirken wollen. SGB V fallen, von den aufgrund der erlassenen formellen Auf- sichtsanordnung des Bundesministeriums für Gesundheit in vol- ler Höhe zu tragenden Fahrkosten in Zukunft wieder zu entla- sten? Vizepräsident Hans Klein: Eine zweite Zusatzfrage wird nicht gestellt? - Wird von anderen Kolleginnen Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. und Kollegen eine Zusatzfrage gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Dann rufe ich die Frage 29, die die Kollegin Pe tra beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, Ernstberger gestellt hat, auf: Überlegungen, die Regelungen zur Übernahme der Fahrkosten für Dialysepatienten zu andern, bestehen Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung/das Bundes- im Bundesministerium für Gesundheit derzeit nicht. ministerium für Gesundheit die formelle Aufsichtsanordnung er- lassen, durch welche die Fahrkosten von Nierenkranken zur Im übrigen sind Fahrkosten zu Dialysebehandlungen Dialysebehandlung von den Betriebskrankenkassen ab sofort nur von Betriebskrankenkassen, nicht aber von an- nicht mehr übernommen werden dürfen? deren Kassenarten übernommen worden. Bitte, Frau Parlamentarische Staatssekretärin. Vizepräsident Hans Klein: Zusatzfrage.

Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, Petra Ernstberger (SPD): Frau Staatssekretärin, die Krankenkassen dürfen Leistungen nur im Rah- sind Sie mit mir einer Meinung, daß die Bundesregie- men der gesetzlichen Vorgaben erbringen. Die recht- rung gerade bei chronisch Kranken, die zu einer Dia- lysebehandlung fahren müssen - ich komme aus lichen Voraussetzungen für die Übernahme vongin. - Fahrkosten von Nierenkranken zur Dialysebehand- einem ländlichen Bereich, wo die Fahrstrecken real- tiv lang sind und sehr hohe Fahrtkosten auf die Kran- lung sind nicht gegeben. Die Dialysebehandlung er- folgt in der Regel im Rahmen der ambulanten medi- ken zukommen, die oft für mehrere Behandlungen zinischen Versorgung, nicht im Rahmen einer teilsta- pro Wochen anfallen -, eigentlich verpflichtet wäre, tionären Krankenhausbehandlung. Die Fahrkosten- eine Entlastung vorzunehmen? regelungen bei ambulanter Krankenbehandlung se- hen eine generelle Kostenübernahme nicht vor. Die Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin Übernahme der Fahrkosten ist deshalb derzeit allein beim Bundesminister für Gesundheit: Frau Kollegin, im Rahmen von Härtefallregelungen nach den §§ 61 man kann natürlich darüber diskutieren, aber ich er- und 62 SGB V möglich. innere an die Diskussion zum Gesundheitsstruktur- 3468 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl gesetz, in dem es auch um Zuzahlungsregelungen dem Protest gegen das unmögliche Verhalten der für Arzneimittel bei chronisch Kranken ging. Gerade Firma Shell zum Ausdruck zu bringen. Ihre Fraktion hat darauf bestanden, die Regelungen der Härtefall- und Überforderungsklausel hier zur (Beifall bei der SPD) Anwendung zu bringen. Der Weltkonzern Shell hat sich in dieser Frage ver- halten wie eine Provinzbude. Vizepräsident Hans Klein: Keine zweite Zusatz- (Konrad Gilges [SPD]: Ja!) frage? - Dann hat der Kollege Büttner das Wo rt. Dies kann man nicht hinnehmen, schon gar nicht im Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Frau Staatssekre- politischen Bereich. Denn hier steht viel auf dem tärin, darf ich den Hinweis in Ihrer Antwort auf die Spiel, vor allem die Glaubwürdigkeit unserer Um- erste Frage, daß die Bezahlung nur von den Betriebs- weltpolitik. krankenkassen, nicht aber von den anderen Kassen Wir sind nicht bereit, zu akzeptieren, daß derar tige übernommen worden ist, so interpretieren, daß der Praktiken aus ökonomischen Gründen auf dem Rük- Bundesgesundheitsminister den Betriebskranken- ken der Natur, aber auch auf dem Rücken der vielen kassen diese Bezahlung nicht untersagt hätte, wenn Pächter von Shell-Tankstellen ausgetragen werden. auch alle anderen Krankenkassen diese Fahrtkosten Wir sind nicht bereit, ein Verhalten hinzunehmen, übernommen hätten? das jeder notwendigen Umweltpolitik, der deutschen und der globalen, widersp richt. Das ist nicht das Ver- Dr. Sabine Bergmann-Pohl, Parl. Staatssekretärin halten einer Weltfirma, das ist das Verhalten von un- beim Bundesminister für Gesundheit: Herr Kollege verantwortlichen Umweltsündern. Büttner, diesen Schluß dürfen Sie daraus natürlich (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Mi nicht ziehen. Das wäre nicht geltendes Recht. chaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]) Vizepräsident Hans Klein: Keine weiteren Zusatz- fragen. Wir wollten die Aktuelle Stunde auch nutzen, um unseren Protest gegenüber der britischen Regie- Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Frau rung zum Ausdruck zu bringen. Es kann nicht sein, Parlamentarische Staatssekretärin, ich bedanke mich daß eine Regierung auf der Ebene der Europäischen sehr für die Beantwortung der Fragen. Union immer wieder Gemeinsamkeiten verlangt, aber sich überall da, wo es Pflichten gibt, entzieht. Es (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard ist in der Tat ein ganz schlimmes Zeichen, daß die Hirsch) britische Regierung auch jetzt noch meint, Shell habe mit der Entschärfung des Konflikts falsch gehandelt. Vizepräsident Dr. : Ich rufe den (Konrad Gilges [SPD]: Das ist ignorant!) Zusatzpunkt 1 auf: Das können wir nicht akzeptieren. Aktuelle Stunde Was ist das für ein Umweltminister, der - wie im auf Verlangen der Fraktion der SPD Februar geschehen - öffentlich äußert, die Tiefsee- Haltung der Bundesregierung zur Versen- versenkung sei die beste Lösung, auch für das kung der Ölplattform „Brent Spar" im Zusam- Schatzamt von England! Das heißt nämlich: Entschei- menhang mit glaubwürdigem europäischen dend für die Genehmigung waren ökonomische Umweltschutz Gründe, das Sparen von Steuermitteln. So geht das nicht! Was die britische Regierung hier an den Tag Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Ab- gelegt hat, ist ein verantwortungsloses Verhalten. geordnete Kurt-Dieter Grill. (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Sehr (Zuruf von der CDU/CSU: Die SPD hat die gut!) Aktuelle Stunde beantragt!) Wir müssen klar sagen: Die Europäische Union - Moment! wird nur dann zusammenkommen, wenn die europä- (Klaus Lennartz [SPD]: Der Kollege ist auch ischen Völker auf dem Gebiet Soziales und Umwelt gar nicht da! Insofern wäre das hilfreich! - mehr Gemeinsamkeiten zeigen und vor allem ge- Gegenruf des Abg. Ulrich Heinrich [F.D.P.]: meinsam vorangehen. Sonst hat die europäische- Idee Wer will denn die Debatte?) letztlich keine Substanz. Deshalb müssen wir das Verhalten der englischen Regierung ganz klar verur- Dann erteile ich dem Abgeordneten Michael Mül- teilen. Wir sagen von hier aus auch: Wenn an Plänen ler das Wort. festgehalten wird, weitere Versenkungen durchzu- führen oder zu genehmigen, wird der Protest in der Zukunft genauso ausfallen. Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ursprüngliche Grund (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dafür, daß wir die Aktuelle Stunde beantragt haben, GRÜNEN und der F.D.P. sowie bei Abge war, um hier im Bundestag unsere Solidarität mit ordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3469

Michael Müller (Düsseldorf) Ich sage das übrigens vor einem konkreten Hinter- die Öffentlichkeit das zur Kenntnis nimmt und wir grund: Großbritannien be treibt ca. 200 Plattformen, ausreichend darauf reagieren. Es kann auch nicht 50 bis 60 davon sind möglicherweise für eine Seever- sein, daß wir Großbritannien gegenüber sagen, sein senkung vorgesehen, 7 davon möglicherweise in der Verhalten im Falle „Brent Spar" sei nicht hinzuneh- nächsten Zeit. Deshalb sagen wir hier klar: „Brent men, aber gegenüber der französischen Regierung Spar" war für uns kein Einzelfall, wir werden viel- bezüglich der Wiederaufnahme der Atomtestverfah- mehr aufpassen, daß sich die Pra xis grundlegend än- ren weitgehend schweigen. Das ist ein unehrliches dert. Verhalten; das geht nicht. Auch aus einem weiteren Grund wollten wir die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aktuelle Stunde durchführen. Wir sind schon der DIE GRÜNEN) Auffassung, daß auch die Bundesregierung im Vor- feld der Versenkung nicht konsequent gegen die bri- tische Regierung eingeschritten ist. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Müller, Sie müssen zum Abschluß kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach der Michael Müller (Düsseldorf) (SPD): Letzte Bemer Nordseeschutzkonferenz sagte sie ja, sie -kung. - Wir erwarten, daß man nach dem Vorgang will!) um „Brent Spar" jetzt nicht nur sagt: Das ist ein Er- folg. Wir müssen vielmehr Verpflichtungen daraus - Danach, ja; es wäre uns lieber gewesen, wenn es erkennen; Verpflichtungen für einen anderen Um- vorher etwas deutlichere Töne gegeben hätte. gang mit der Nordsee und der Natur. Meine Damen und Herren, der ursprüngliche An- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ laß ist weggefallen. Das Problem aber ist geblieben; DIE GRÜNEN) es ist auch mit der Entschärfung gestern abend noch nicht beseitigt. Die Entschärfung ist aber ein guter Grund, insbesondere Greenpeace für die konsequen- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem ten Aktionen zu danken. Abgeordneten Simon Wittmann das Wort. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS) Simon Wittmann (Tännesberg) (CDU/CSU): Herr Das Parlament weiß: Ohne die Aktivität von Green- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr peace, ohne den Mut seiner Mitarbeiter wäre diese Müller, es ist sicher richtig, daß Sie Greenpeace und Aktion nicht zustande gekommen. die Aktionen, die von der Bevölkerung mitgetragen wurden, loben. Aber ich glaube, wir sollten gerech- (Zuruf von der F.D.P.: Das sind die wahren terweise auch darauf hinweisen, daß sich gerade Helden!) Bundeskanzler und Umweltministerin Merkel in aller Deutlichkeit Greenpeace hat mehr erreicht als Frau Merkel auf der Nordseeschutzkonferenz. Das müssen wir fest- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ stellen; das ist kein Ruhmesblatt für die Politik. DIE GRÜNEN]: Edmund Stoiber, Theodor (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Waigel und all die anderen nicht zu verges DIE GRÜNEN) sen! Die ganze heilige Litanei!) Wir müssen zweitens den Bürgerinnen und Bür- - Edmund Stoiber, Theo Waigel, es ist sehr gut, Herr gern danken, die über Erwarten konsequent gegen- Fischer, daß Sie das alles registriert haben - im Rah- über Shell gehandelt haben. Ich wi ll nicht sagen, daß men ihrer Möglichkeiten, also auch in der entspre- sie immer konsequent gehandelt haben, gegenüber chenden Wortwahl, gegen das Vorhaben der Firma Shell aber haben sie es getan. Es ist gut, zu zeigen, Shell ausgesprochen haben. daß wir auch Verbrauchermacht haben und daß wir (Beifall bei der CDU/CSU) uns nicht alles gefallen lassen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Aber das Problem ist doch folgendes: wenn das im DIE GRÜNEN) Rahmen des Völkerrechts, des internationalen Rechts möglich ist, Wir danken drittens den gesellschaftlichen Grup- (Konrad Gilges [SPD]: Helmut Kohl hat pen vom Kirchentag bis hin zu den vielen Organisa- - tionen, die gesagt haben: So nicht, jetzt ist Schluß! - doch keine Resonanz bei der britischen Re Das war ein gutes Zeichen für das Umweltbewußt- gierung gefunden!) sein in der Bundesrepublik. hat wie die Bundesregierung - außer dem verbalen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Protest und der Einleitung entsprechender Verfah- ren - natürlich nicht die Möglichkeit wie Green- Trotzdem bleibt eine Vielzahl von Fragen. Wir er- peace, sich an dem Bohrturm Festketten zu lassen. warten eine solch konsequente Kritik beispielsweise auch an der Leerfischung der Meere. Es kann nicht (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ sein, daß - wie derzeit - in wenigen Jahrzehnten DIE GRÜNEN]: Das wäre interessant: Kohl viele Fischbestände weggefischt werden, ohne daß auf der Bohrinsel und in Ketten!) 3470 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Simon Wittmann (Tännesberg) Trotzdem - wir haben es ja gestern im Umweltaus- daher die Bundesregierung bei ihrem Bemühen um schuß noch gemeinsam miterlebt - ging ein Aufat- effizientere internationale Vorschriften. Die erste Ge- men durch Deutschland, als bekannt wurde, daß die legenheit dazu ist die derzeit anstehende Überarbei- Shell AG auf die Versenkung dieser Bohrinsel ver- tung der weltweit geltenden Londoner Konvention zichtet hat. Es zeigt sich aber, daß dadurch natürlich von 1972 zur Verhütung der Meeresverschmutzung neue Probleme entstehen werden bzw. entstanden durch das Einbringen von Abfällen. sind, da eine kurzfristige Entsorgung an Land erheb- liche Schwierigkeiten mit sich bringen wird. Die Union erwartet, daß die Ölkonzerne bereits jetzt begreifen, daß sie schleunigst darangehen müs- Ich möchte deshalb aus unserer Sicht noch ein sen, für die Entsorgung ihrer Anlagen andere Wege paar grundsätzliche Bemerkungen machen. zu finden, als das in den letzten Tagen der Fall war. Erstens. Die geplante Aktion der Shell AG war Danke schön. nicht akzeptabel. Sie steht im Widerspruch zu einer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vorsorgenden Umweltpolitik. Es ist für uns unerträg- lich, daß einem so großen internationalen Konzern, der das Umweltbewußtsein sogar zu seiner Werbe- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat linie gemacht hat, jede Sensibilität für die konkrete nun die Abgeordnete Michaele Hustedt. Umsetzung von Umweltschutz fehlt. Dies ist um so schlimmer, als es für die beteiligten Konzerne über- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): haupt kein finanzielles Problem bedeutet hätte, die Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ver- Plattform an Land zu entsorgen und dafür auch die hinderung der Versenkung der „Brent Spar" war langfristigen Vorbereitungen zu treffen. Wir haben eine große Stunde der Demokratie. Die Aktionen von daher auf allen Ebenen als erste gegen dieses verant- Greenpeace und die vielfältigen Boykottaufrufe ha- wortungslose Handeln protestiert. Es war der bayeri- ben zu diesem Erfolg geführt. Bürger und Bürgerin- sche JU-Landesvorsitzende Markus Sackmann, der nen setzten sich mit der Macht der Verbraucher ge- als erster den Boykottaufruf herausgegeben hat. gen mächtige interna tionale Wirtschaftskonzerne Letztlich haben der sich anschließende Bürgerpro- durch. Grün ist im Kommen. test und auch der Protest des Bundeskanzlers und der Ministerin den Erfolg bewirkt. Ich habe mich ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN freut, Herr Müller, daß Sie auch die Tankstellenpäch- und bei der SPD sowie des Abg. Rolf Köhne ter angesprochen haben, die sicher nicht das geeig- [PDS]) nete Zielobjekt sind; sie waren Opfer in diesem Kampf. Das unberechenbare Poten tial in der Gesellschaft macht den Umweltsündern angst, und das ist auch (Beifall bei der F.D.P.) gut so. Zweitens. Man hätte aber zumindest auch die Mit- Auch für die Energiekonsensgespräche heute eigentümerin der Bohrinsel, nämlich die Esso, einbe- abend ist daraus eine Lehre zu ziehen: Wer als Unter- ziehen müssen, wenn man es wirk lich einigermaßen nehmen in Deutschland ohne Rücksicht auf die Um- gerecht hätte machen wollen. welt und mit Ignoranz gegenüber der öffentlichen Drittens. Unser Grundverständnis von Umweltpoli- Meinung agiert, kann nicht erfolgreich sein, ja darf tik zielt darauf ab, daß die leistungsfähige Wirtschaft auch nicht erfolgreich sein. in der umweltgerechten Entsorgung von Abfällen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorangehen muß. Es wäre sonst dem Bürger nicht zu und bei der SPD) vermitteln, daß sie selbst zum sorgfältigsten Trennen, Entsorgen und Recyclen von Abfall verpflichtet sind Das gilt für Ölplattformen genauso wie für Atom- und daß bei Verstößen - teilweise sogar deftige - kraftwerke. Bußgelder verhängt werden, wenn die Industrie ihre Abfallentsorgung durch eine Versenkung in die Die einmütige Verurteilung der versuchten Ver- Weltmeere betreibt. senkung darf aber nicht davon ablenken, daß die Bundesregierung einen Teil der Verantwortung für Viertens. Unsere Industrie hat vielfältig bewiesen, den Konflikt mitträgt. Laut „Frontal" unterrichtete daß sie in der Lage ist, in relativ kurzer Zeit neue Me- die britische Regierung bereits am 16. Februar dieses thoden auch im Recyclingbereich zu entwickeln. Wir Jahres das deutsche Umweltministerium. Erst Ende brauchen nur an den Kunststoff zu denken, bei dem April erfuhr die Umweltministerin dank der Green- keiner erwartet hätte, daß so schnell neue Methoden peace-Besetzung aus den Medien von der geplanten auf den Markt kommen. Ein Konzern, der das nicht Versenkung. Am 9. Mai sandte das BMU einen B rief begreift, ist nicht zukunftsfähig und versteht nicht, an das britische Landwirtschaftsministerium, wel- daß das dabei entwickelte Know-how letztlich sogar ches gar nicht zuständig war, in dem Bedenken ge- Gewinn einbringt. gen die Versenkung ausgesprochen wurden. Dieser Brief war noch nicht einmal von der Ministerin unter- Was in den letzten Tagen abgelaufen ist, ist sicher schrieben, sondern von einer Sachbearbeiterin. zum Teil eine symbolische Politik gewesen und birgt wegen der Emotionalität - sehen wir uns nur den An- Sagen Sie einmal, Frau Merkel, was ist eigentlich schlag auf den Tankstellenpächter an - auch gewisse in Ihrem Ministerium los? Da werden Sie von einer Gefahren in sich. Die Diskussion muß daher jetzt in brisanten Aktion wie der Plattformversenkung nicht ein politisches Handeln münden. Wir unterstützen informiert, es wird ein B rief geschrieben, den Sie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3471

Michaele Hustedt nicht abgezeichnet haben, und dann geht dieser gehört allen, und keiner hat das Recht, diesen Le- Brief auch noch zu spät an die falsche Adresse. So bensraum zu zerstören. miserabel darf man ein Ministerium nicht führen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das muß Konsequenzen haben! sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir brauchen end lich eine bestandschonende Fi- sowie bei Abgeordneten der SPD) schereipolitik und eine flächendeckende ökologische Landwirtschaft genauso wie die Reduktion des S tick- Wir sollten uns jetzt nicht befriedigt im Sessel zu- stoffeintrags durch eine Verkehrswende. Schließlich rücklehnen, sondern weiterdenken. Der Boykott ge- benötigen wir unverzüglich ein rechtsverbindliches gen Shell, der den Erfolg ermöglichte, ging von Gebot der Entsorgung der weiteren 400 Ölplatt- Deutschland aus. Wir haben die Klappe aufgerissen, formen und -bohrinseln an Land. jetzt müssen wir dafür auch geradestehen. Es wäre eine versöhnliche Geste gegenüber der britischen In wenigen Tagen findet die nächste Jahressitzung Regierung, ihr jetzt ein Angebot zu machen. Ich for- der Oslo-und-Paris-Kommissionen in Brüssel statt. dere die Bundesregierung auf, nicht nur die Ent- Sorgen Sie, Frau Merkel, dafür, daß die Emissionen scheidung von Shell zu begrüßen, sondern sich jetzt von Schadstoffen künftig drastisch reduziert werden! für die Entsorgung der „Brent Spar" anzubieten. Nicht nur England wird bei dieser Konferenz die Au- gen auf die Bundesregierung richten. Jetzt gilt es zu Sehr geehrte Damen und Herren, machen wir uns beweisen, daß man nicht nur konseqent ist, wenn die keine Illusionen: Die Mehrheiten gegen die Versen- anderen die Betroffenen sind. kung waren auch deshalb so breit, weil der Böse- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wicht leicht auszumachen und nicht Deutschland sowie bei Abgeordneten der SPD) war. Wie sähe die Diskussion aus, wenn hier ein An- trag zur Abstimmung stünde, die Einleitung von Quecksilber in die Meere zu reduzieren? Hier ist Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem nämlich Deutschland Spitzenreiter der Umweltsün- Abgeordneten Rolf Köhne das Wort. der. Bei Arsen und Blei liegt Deutschland auf Platz zwei. Auch für den Bürger ist es leicht, mit laufen- Rolf Köhne (PDS): Herr Präsident! Liebe Kollegin- dem Motor vor der Shell-Tankstelle zu stehen und zu nen und Kollegen! Der Verzicht des Ölmultis Shell, sagen, da ist der Umweltsünder, und dann - brumm, die ausgediente Plattform „Brent Spar" im Atlantik brumm, brumm - zur nächsten Aral-Tankstelle zu zu versenken, ist ein umweltpolitischer Erfolg. Er- brausen. reicht wurde dieser Erfolg durch die mutigen Aktio- nen von Greenpeace, die Auslöser waren für den mil- Der Boykott von Shell war auch ein Ventil für das lionenfachen Protest und den breiten Boykott gegen schlechte Gewissen dieser Gesellschaft, das nach Shell. Hier hat sich wieder einmal gezeigt, daß Mil- der Klimakonferenz noch einmal gewachsen ist. lionen von Menschen, wenn sie ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck bringen, doch stärker sind als (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) milliardenschwere Konzerne.

Moralischer Rigorismus ist einfach, wenn die Fronten Der gemeinsame, erfolgreiche Protest gegen She ll klar sind. Glaubwürdig ist man aber nur, wenn m an und für den Umweltschutz hat aber auch noch etwas sich auch an die eigene Nase faßt. anderes offenbart: Zum zweitenmal gab es auch in diesem Hause eine gemeinsame Front für den Um- „Brent Spar" wäre nur ein Tropfen im Chemie- weltschutz und gegen Konzerninteressen. Ich erin- cocktail des Atlantiks und der Nordsee gewesen. Das nere an die Debatte um den Versuch einiger S trom- Tausendfache an 01 darf jedes Jahr legal in die Nord- konzerne, das Stromeinspeisungsgesetz zu unterlau- see eingeleitet werden. Dazu kommen die Ver- fen. Auch damals - das ist noch gar nicht so l ange schmutzungen durch Tankerunglücke. Über die Luft her - waren wir uns hier sehr einig. werden PCB, Dioxine und Stickstoff eingetragen. Es zeigt sich: Wer wirksam für den Erhalt unserer Dazu kommen Chlor aus der Papierbleiche, Dünger- Umwelt eintreten will, der wird sich in vielen Fällen überschuß und Pestizide aus der industriellen L and- mit entgegengerichteten Interessen der großen Kon- wirtschaft, als Dessert 26 t Trichlorethan. Fast alle zerne auseinandersetzen müssen. Doch nicht nur Einleitungen sind genehmigt. Im Seehundspeck wird Shell ist der Buhmann. Auch die anderen Ölkon- Industriegeschichte geschrieben. zerne be treiben Bohrinseln in der Nordsee. Bereits. während ihres Bet riebs sind sie in Umweltfragen Das, meine Damen und Herren, ist die Situa tion. nicht besonders zimperlich. Die Nordsee ist eine Sondermüllkippe. Wenn dieser Protest nur die Befreiung von der eigenen Verant- (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ wortung für die Verschmutzung der Meere bedeutet, DIE GRÜNEN]: Im Kaspischen Meer aber dann war das Ganze lediglich ein großes Medien- auch!) spektakel. - Ja. Jetzt brauchen wir ein ambitioniertes Programm Aber nicht nur die Ölkonzerne, auch andere Kon- für die Entgiftung der Nordsee. Unsere Kinder sollen zerne nutzen ihre Marktmacht, um Umweltschutz zu auch morgen noch im Meer baden können. Das Meer unterlaufen, oder - durch Drohung mit dem Arbeits- 3472 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Rolf Köhne platzargument - Maßnahmen des Staats von vorn- weltbundesamt. Beide Ämter haben uns in ihren herein zu verhindern, obwohl gerade hier genügend Stellungnahmen, die wir im April erhalten haben, in Geld vorhanden ist, um einen Beitrag zum Umwelt- unserer Auffassung unterstützt, daß die Versenkung schutz zu leisten. nicht dem Geist und dem Wort des OSPAR-Abkom- mens entspricht. Wir halten es deshalb für erforderlich, auch dar- über nachzudenken, wie die ökonomische Macht Wir haben uns daraufhin die Dinge noch einmal großer Konzerne eingeschränkt werden kann. Dies zusammengestellt. - Hier sind - ich sage das ganz ist meiner Meinung nach im Sinne des Umweltschut- ehrlich - vielleicht zwei Wochen zuviel verstrichen. - zes erforderlich. Dann haben wir uns an die britische Regierung ge- Ich danke Ihnen. wandt und waren die ersten in ganz Europa, die überhaupt reagie rt haben. Außer uns hat bis jetzt (Beifall bei der PDS) noch ein Staat reagie rt, und das war Island, aber spä- ter. (Beifall bei der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Wort der Bundesministerin Dr. Angela Merkel. Das ist der Sachverhalt, so haben wir gearbeitet. Ich muß noch einmal sagen: Ich finde es schon Bundesministerin für Umwelt, Dr. Angela Merkel, abenteuerlich, wie z. B. Frau Fuchs oder Frau Naturschutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Griefahn in dieser Sache immer wieder Falschinfor- Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr dar- mationen streuen. Für eine Regierung, die dem über, daß Shell die Entscheidung ge tr offen hat, die OSPAR-Abkommen beigetreten ist, gibt es folgende Bohrinsel „Brent Spar" nicht zu versenken. Es war Schritte: Erste Notifizierung ist die Informa tion der zwar eine späte Entscheidung, aber eine richtige Ent- Regierung. Die Informa tion hat im Februar stattge- scheidung. Und es ist unzweifelhaft, daß die gemein- funden, und die Informa tion erfordert keine Stellung- same Aktion von vielen diesen Erfolg gebracht hat, nahme. insbesondere auch der breite Protest in der Bevölke- rung. Bei aller Freude über diese Aktion dürfen wir Dann gibt es einen zweiten Schritt, die sogenannte aber nicht vergessen, daß es fast zu spät war und die zweite Notifizierung. Diese zweite Notifizierung ist Geschichte natürlich weitergeht. von der britischen Regierung nie in Gang gesetzt worden. Deshalb haben wir Zweifel, ob die erteilte Wie wir der Presse entnehmen können - ich werde Genehmigung überhaupt dem Sinn und dem Wo morgen auf dem Umwelt-Ministerrat meinen briti- rt -laut des OSPAR-Abkommens entspricht. Diese schen Kollegen fragen -, weigert sich die britische zweite Notifizierungsphase läßt uns eine Stellung- Regierung bis jetzt, Shell eine Genehmigung für die nahmefrist von 60 Tagen. Da die Notifizierung aber landseitige Entsorgung der Plattform zu erteilen. nicht eingeleitet wurde, konnten wir die Möglichkeit Wir, die Nordseeanrainerstaaten - und auch ich sel- ber -, werden versuchen müssen, die britische Regie- zur Stellungnahme nicht wahrnehmen. Deshalb bitte ich Sie - auch im Hinblick auf spätere Fälle -, der rung von der Richtigkeit der Shell-Entscheidung zu Wahrheit zuliebe die Regierung wenigstens nicht zu überzeugen, damit das Ganze auch einen Effekt hat. kritisieren, wenn sie nichts falsch gemacht hat, und Deutschland ist selbstverständlich bereit, seinen Bei- die Fakten zu berücksichtigen. Das wäre mir wirk trag zur Entsorgung zu leisten. Ich habe bereits die lich sehr recht. Prüfung der technischen Durchführbarkeit in deut- schen Einrichtungen veranlaßt. Da das OSPAR-Abkommen - um die Angelegen- Meine Damen und Herren, Frau Hustedt, ich heit zum Schluß zu bringen und damit wir das für das nächste Mal wissen - noch gar nicht in Kraft ist, son- möchte noch einmal etwas dazu sagen, was die deut- sche Regierung gemacht hat und wann sie es ge- dern sich die Nordseeanrainerstaaten verpflichtet ha- macht hat. ben, es politisch durchzusetzen, können wir auch kein Schlichtungsverfahren in Gang setzen. (Zuruf von der SPD: Nichts!) Die deutsche Regierung hat am 23. Februar zum er- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ stenmal einen B rief bekommen, und zwar vom briti- DIE GRÜNEN]: Oh!) schen Landwirtschafts- und Fischereiministerium - Herr Fischer, Sie können stöhnen, Sie können mau- über das Sekretariat der Kommission von Oslo und len, aber es ist so. Paris. Genau deshalb haben wir diesem Ministerium später geantwortet und selbstverständlich eine Kopie (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ - an das britische Umweltministerium geschickt. Wir DIE GRÜNEN]: Ich maule nicht! Herr Präsi haben genau auf der Ebene geantwortet, auf der sich dent, ich maule doch nie! Ich habe höch die britische Regierung an uns gewandt hat. Das ist stens geächzt! - Gegenruf von der CDU/ so üblich. CSU: Er mault immer!) (Klaus Lennartz [SPD]: Was hat sie denn ge Da nicht ich die Vorwürfe in die Welt gesetzt habe, sagt?) gestatten Sie mir wenigstens, die Fakten darzulegen, damit wir bei hoffentlich nicht vorkommenden näch- Daraufhin haben wir die Prüfung der britischen sten Fällen redlich miteinander argumentieren. Stellungnahme veranlaßt, und zwar beim Bundesamt für Seeschiffahrt und Hydrographie und beim Um- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr wahr!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3473

Bundesministerin Dr. Angela Merkel Ich fasse zusammen: Die Bundesregierung war die Was die Haltung von Greenpeace und die der Bun- erste von zwei europäischen Regierungen, die sich desregierung anbelangt - nun hören Sie mir wenig- überhaupt bei der britischen Regierung gemeldet ha- stens zu, wenn ich dazu etwas sage -, so wurde dem ben. Alle anderen Staaten haben dies nicht getan. Parlamentarischen Staatssekretär Klinkert auf der Nordseekonferenz in Esbjerg von Greenpeace für die Nun geht die Sache aber weiter. Wir haben auf der konsequente Haltung der Bundesregierung in dieser Nordseeschutzkonferenz festgestellt: Alle Nordsee- Frage gedankt. Das war unser Verhältnis zu Green- anrainerstaaten außer Großbritannien und Norwe- peace in dieser Angelegenheit. gen sind der Meinung, daß das OSPAR-Abkommen offensichtlich so viel Interpretationsspielraum läßt, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - daß nach diesem Abkommen Ausnahmeregelungen Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ für die Bohrinselentsorgung in der Nordsee möglich DIE GRÜNEN]: Klinkert for President! D an- sind. Deshalb sind wir der Meinung, daß dieses ken Sie Greenpeace!) OSPAR-Abkommen wieder geändert werden muß. Ich habe lange vorher, nämlich schon im Mai, (Beifall der Abg. Birgit Homburger [F.D.P.]) (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Da nächste Woche die Kommission des OSPAR-Über- DIE GRÜNEN]: Und wir danken dann dem einkommens auf einer Tagung der Teilnehmerstaa- Bundeskanzler dafür, daß es ihn gibt!) ten zusammenkommt, werden wir das Thema mit ei- nem Dringlichkeitsantrag auf die Tagesordnung Herr Fischer, bei einem Zusammentreffen mit Green- bringen und versuchen, eine solche Änderung her- peace vor einer Veranstaltung in Hamburg gesagt, beizuführen. daß dies zu den seltenen Ereignissen gehört, wo Bun- Wir werden auch inte rnational auf eine Änderung desregierung und Greenpeace einer Meinung wa- des Londoner Abkommens drängen, damit nicht nur ren. Wir haben, Herr Fischer, die Kraft, dies zuzuge- das, was die Nordseeanrainerstaaten anbelangt, son- ben. Sie haben nicht die Kraft, die Bundesregierung dern auch die weltweite Entsorgung von solchen wenigstens auch nur einmal zu loben oder leben zu Bohrinseln seeseitig nicht mehr möglich ist. lassen. Da wir heute über den Schutz der Nordsee und an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - derer Meere sprechen, möchte ich an dieser Stelle Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ noch einmal sagen: Natürlich ist die Bohrinsel „Brent DIE GRÜNEN]: Doch! Doch! Wir loben den Spar" ein Symbol gewesen, das viele Menschen - Bundeskanzler!) richtigerweise - beunruhigt hat. Aber der Meeres- schutz ist eine viel breitere Aufgabe. Deshalb möchte Vielmehr müssen Sie Kritik anbringen, die sachlich ich noch einmal sagen, daß es uns nach zwölfjähri- nicht gerechtfertigt ist. Das ist Ihr Stil. Ich kann sa- gen Verhandlungen - es hat lange gedauert, aber es gen: In dieser Frage war ich mit Greenpeace einer war trotzdem ein Fortschritt und eine Entwicklung Meinung und Greenpeace mit uns. der letzten Nordseeanrainerstaaten-Konferenz - end- Danke schön. lich gelungen ist, daß die Nordsee zum Sonderge- biet erklärt wurde und Öleinleitungen dort nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - mehr erfolgen dürfen. Dem haben alle Mitgliedstaa- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ten zugestimmt. DIE GRÜNEN]: Frau Merkel, nehmen Sie zur Kenntnis: Wir loben den Bundeskanzler! (Konrad Gilges [SPD]: Begrüßen Sie den Er Die erste Protestbewegung, die von Helmut folg von Greenpeace? Ja oder nein? Das in Kohl angeführt wurde, und dann gleich vol teressiert uns!) ler Erfolg! Helmut Kohl als Antimonopoli - Ich habe gesagt, daß es einen Beschluß der Nord- stenprotestbewegungsführer! - Heiterkeit seeanrainerstaaten-Konferenz von Esbjerg gibt, nach beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei dem alle Nordseeanrainerstaaten einen Antrag stel- der SPD) len werden, daß die Nordsee, wie die Ostsee es schon heute ist, zum Sondergebiet erklärt wird und die Einleitung von Öl ins Meer aus Schiffen nicht Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das mehr zulässig ist. Dies muß natürlich überprüft wer- Wort dem Abgeordneten Klaus Lennartz. den. Auch darüber haben wir gesprochen. Es müssen vor allen Dingen in den Häfen die notwendigen Ent- Klaus Lennartz (SPD): Herr Präsident! Meine sehr sorgungseinrichtungen geschaffen werden. verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Merkel,- er- (Konrad Gilges [SPD]: Begrüßen Sie den Er lauben Sie mir zwei Anmerkungen zu Ihrer Rede. folg von Greenpeace? Ja oder nein, Frau Wenn Sie hier für sich positiv feststellen, daß dies Ministerin?) eine der wenigen Übereinstimmungen mit Green- peace ist, dann frage ich mich: Für wen ist das be- An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf schämend, für Sie oder für Greenpeace? Ich würde hinweisen, daß die norddeutschen Länder bis jetzt sagen, für Ihre Regierung ist es beschämend, daß Sie leider nicht in der Lage waren, eine gemeinsame mit Greenpeace so wenig übereinstimmen. Vorgehensweise bei der finanziellen Abwicklung der Schiffsentsorgung in den deutschen Seehäfen zu er- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ reichen. DIE GRÜNEN) 3474 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Klaus Lennartz Lassen Sie mich eine zweite Bemerkung machen: mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit zu wirtschaften: Was Sie hier vorgetragen haben, war eine rein for- nicht mehr Holz zu schlagen, als nachgepflanzt wird, malistische Rede; darin waren keine politischen In- dem Meer nur so viel zuzumuten, wie es auf Dauer halte. Wo ist Ihre Aussage dazu gewesen, ob Sie be- verträgt? reit sind, in Brüssel, wo in der Zeit vom 26. Juni bis 30. Juni 1995 die Kommission tagt, das Schiedsver- Die Bundesregierung muß sich klipp und klar da- fahren zu beantragen, um dort die Bestimmungen, für einsetzen, daß eine Ökobilanz für die Meeresnut- um die es im Rahmen der Vereinbarungen geht, ein- zung international vereinbart wird und auch mit zubringen? Das ist die Frage, die Sie politisch stellen Sanktionen verbunden wird, damit das auch wirkt. müssen. Alles andere ist rein formal. Das ist das Gesetz der Stunde, um das es geht. Sie stellen sich in der Öffentlichkeit dar; das ist al- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE les. Sie sind aber nicht bereit, die politischen Mög- GRÜNEN und der PDS) lichkeiten, die Sie in der Zeit vom 26. bis 30. Juni hät- Die Menschen in unserem Land wollen das, und die ten, zu nutzen. Das machen Sie nicht. Übereinkommen von Oslo und Paris zur Verhütung Meine Damen und Herren, heute morgen machte der Meeresverschmutzung zeigen dafür auch die mein Nachbar ein sehr zufriedenes Gesicht. In den Möglichkeiten auf. letzten Wochen war das anders; denn er hatte vor ein paar Monaten seinen Wagen mit einem teuren, biolo- Eine internationale Vereinbarung muß her, die gisch abbaubaren Shampoo gewaschen und war dar- festlegt, wie alle 420 Plattformen umweltgerecht ent- auf hingewiesen worden, daß das verboten sei. Seit- sorgt werden können. Die Ölgewinnung in der Nord- dem fuhr er zur Shell-Tankstelle, um sein Auto um- see, Frau Ministerin, muß so geregelt werden, daß weltgerecht in einer Waschstraße reinigen zu lassen. nicht jedes Jahr - Herr Kollege Fischer, Sie erwähn- Dafür zahlte er gerne 10 DM und mehr; denn er war ten es eben - 30 000 t Öl ins Wasser fließen. Das ist sich schließlich sicher, daß so aus seinem Auto kein die Wahrheit, wie zur Zeit mit den Ölplattformen um- Öl ins Abwasser, in die Flüsse, ins Meer fließen gegangen wird. Das ist wirtschaftlich tragbar und würde. Mein Nachbar wäre im vergangenen Jahr technologisch möglich. auch nie auf die Idee gekommen, den schrottreifen Wenn über 300 Milliarden DM aus Gewinnen und Altwagen seiner Tochter in den nächsten Baggersee aus Renditen in die britische Schatztruhe geflossen zu schieben. sind, dann muß es doch möglich sein, Mittel abzu- Und so war mein Nachbar in den letzten Wochen zweigen, um eine industrielle Innovation in die Wege ganz schön sauer, zu leiten, damit dieser Raubbau an der Natur nicht durchgeführt wird. (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Was ist das für eine schöne Geschichte!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn er abends den Fernseher einschaltete und mit den Bildern aus der Nordsee gezeigt bekam, daß für Meine Damen und Herren, wir haben die Proteste die Großen offenbar ganz andere Regeln gelten als wohl gehört: vom Kanzler, von Herrn Waigel und von für die Kleinen. Frau Merkel. Sie paßten sehr schön in die Land- schaft. Ob daraus echte inte rnationale Initiativen So wurde der verrottete schwimmende Öltank für werden? Das steht auf einem anderen Blatt. meinen Nachbarn und für viele Millionen Menschen zu einem Symbol: zu einem Symbol dafür, wie mil- Eine ernsthaft betriebene, nachhaltige Meeres- liardenschwere Konzerne Raubbau mit unserer Na- schutzpolitik müßte jedenfalls erst noch gestartet tur betreiben - politisch abgesichert, versteht sich -, werden, wenn mein Nachbar nicht nur auf seine zu einem Symbol für eine Verseuchung der Meere, Macht als Verbraucher, sondern auch auf die Macht die auch bei industriellem Wirtschaften nicht in der Politik vertrauen könnte. zwangsläufig sein muß, und zu einem Symbol dafür, welche Macht Verbraucherinnen und Verbraucher Ich bedanke mich bei Ihnen. ausüben können, wenn sie an der Zapfsäule und am (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ladentisch abstimmen. GRÜNEN und der PDS) Meine Damen und Herren, es gibt viele Siegerin- nen und Sieger, insbesondere Greenpeace, gegen Das Wort hat die geplante Versenkung der „Brent Spar". Die Poli- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: nun der Abgeordnete Wilhelm Dietzel. tik, die Regierungen gehören leider nicht zu diesen - Siegerinnen und Siegern. (CDU/CSU): Herr Präsident! (Beifall des Abg. Konrad Gilges [SPD]) Wilhelm Dietzel Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Sieg der Zehn Jahre Nordseeschutzkonferenz, zehn Jahre Vernunft" überschrieb eine große deutsche Zeitung kleinliches Nationalgezänk um Minimalstandards im die jetzige Lösung, als es darum ging, den wohl be- Meeresschutz haben - die Zukunft wird das zeigen - kanntesten und bestbewachten Öltank der Welt zu wahrscheinlich nicht soviel bewegt wie der millio- entsorgen. Auch andere Gazetten sprachen darüber: nenfache Protest der letzten Wochen. Wann endlich „Seeschlacht" oder „Mörderischer Kampf" . Ich werden Regierungen und Konzerne begreifen, daß denke, es ist wich tig, darauf hinzuweisen - das hat die Menschen bereit sind, in Industriegesellschaften diese Auseinandersetzung gezeigt -, daß ein großer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3475

Wilhelm Dietzel Konzern für einen kleinen Vorteil einen großen Scha- neue Konvention zum Schutz der Weltmeere vor den erlitten hat. Müll, Schadstoffen und Abwässern. Auf Deutschland und auf Europa kommt die große Aufgabe zu, in die- Man muß auch darauf hinweisen - Frau Merkel, sem Bereich Vorreiter in der Welt zu sein. Sie haben das zu Recht getan -, daß die Bundesregie- rung schon frühzeitig im Vorfeld der Auseinanderset- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zungen agiert hat. Sie hat die Genehmigung kriti- Wir müssen internationale Abkommen erzwingen siert, weil sie mit dem Vorsorgeprinzip nicht verein- und dürfen nicht die Praxis der letzten Jahre fortfüh- bar war. Denn in dem Osloer Abkommen ist eindeu- ren, die so aussieht, daß wir einem schlechten Gesetz tig festgelegt, daß die Vorsorge ein wichtiges Grund- nur deswegen zustimmen, um ein noch schlechteres prinzip ist. Die britische Regierung hat dieses offen- zu verhindern. Hier muß entsprechend gehandelt sichtlich nicht oder zumindest nicht in ausreichen- werden. dem Maße berücksichtigt. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundeskanzler Kohl hat auf dem Weltwirtschafts- gipfel die Möglichkeit genutzt, hier Einfluß zu neh- Ich denke, in die gesamte Diskussion muß auch men. Das Umweltministerium hat sich mit Schreiben eingebracht werden, daß frühzeitig eine Kaution zur vom 9. Mai 1995 dagegen ausgesprochen. Auf der Entsorgung dieser Inseln hinterlegt wird. Ich glaube, Nordseeschutzkonferenz am 8. und 9. Juni dieses daß das in vielen Bereichen diese Probleme mit lösen Jahres war die deutsche Delega tion für eine Entsor- hilft. gung an Land. Herr Müller, das ist sicherlich ein kon- sequenter Beitrag der Bundesregierung zur neuen Zum Abschluß, meine Damen und Herren, noch Lösung. eins zum Thema Boykott. Ich habe am vergangenen Wochenende mit meinem Auto an einer Shell-Tank- Und doch, meine Damen und Herren, bleibt bei stelle getankt, weil ich weiß, daß dort ein junger Un- der ganzen Sache ein schaler Beigeschmack. Denn ternehmer Pächter ist, der dringend auf den Umsatz die Firma Shell - so kritisch man das auch sehen angewiesen ist, der das Risiko eingegangen ist, sich mag - wollte keine Nacht-und-Nebel-Aktion. Sie hat selbständig zu machen. Ich weiß von ihm, daß er tod- sich vielmehr eine ordnungsgemäße Genehmigung unglücklich über das Verhalten dieses großen Kon- besorgt. Die Proteste der letzten Wochen waren Pro- zerns war. teste mit bedenklichen Begleiterscheinungen. Hier ist Gewalt gegen Recht eingesetzt worden. Bren- Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für nende Tankstellen sind meiner Meinung nach kein Ihre Aufmerksamkeit. politisches Argument. Ich denke, daß wir hier an die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Grenze der politischen und rechtlichen Nötigung ge- kommen sind. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Wer Dietzel, wir gratulieren Ihnen zu Ihrer ersten Rede in provoziert das denn? Gewaltanwendung ge diesem Haus. gen das Meer: Was sagen Sie dazu?) (Beifall) Es reicht nicht aus, das mit Moral zu entschuldigen. Das Wort hat nun die Abgeordnete Birgit Hombur- ger. Trotzdem brauchen wir über dieses Thema eine neue Diskussion mit der Fragestellung: Wie gehen wir mit der Ressource Umwelt um, insbesondere mit Birgit Homburger (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe der Ressource Weltmeere? Wenn das Bundesamt für Kolleginnen und Kollegen! Der Verzicht des Shell- Seeschiffahrt und Hydrographie zwar Kritik geäußert Konzerns - das möchte ich zu Anfang ganz klar sa- hat, aber keine Gefahr für Mensch und Umwelt gese- gen - auf die Versenkung der Ölplattform „Brent hen hat, so kann ich das kaum verstehen. Denn bei Spar" ist aus meiner Sicht ein Erfolg für Greenpeace. der „Brent-Spar"-Anlage war es ein erster Versuch, Es ist auch ein Erfolg für die umweltbewußte Öffent- die Entsorgung im Meer vorzunehmen. Es war eine lichkeit. Vor allem aber - das sage ich ganz deutlich - relativ kleine Anlage. Wenn wir darüber diskutieren, ist es ein Erfolg für die Nordsee. daß noch etwa 400 Anlagen auf eine Entsorgung (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU, der warten, muß man logischerweise die Frage stellen: SPD und der PDS) Was passiert mit den anderen 399 oder auch mit den Schiffen, die noch versenkt werden sollen? Ich Einige haben gesagt, „Brent Spar" sei ein Symbol; denke, daß wir hier handeln müssen. dem kann man sich sicher anschließen. Es war aber auch ein Signal. Diese Entscheidung war das- Signal, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - daß die Nordsee nicht als Schrottplatz oder Sonder- Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD): Sie mülldeponie mißbraucht werden darf. brauchen sich nicht mehr zu entschuldigen! Die Entsorgung im Meer findet doch nicht (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Keine statt!) See!) Die Richtlinie über die Beseitigung muß dringend Erfreulich sind die breite Übereinstimmung und überarbeitet werden. Wir brauchen neue Techniken die überparteiliche Zusammenarbeit in diesen Be- zur Entsorgung und zur Wiederverwendung dieser reich. Die Bundesregierung hat sich mit allen mögli- Anlagen. Auch das ist wich tig. Wir brauchen eine chen Ressorts daran beteiligt, Großbritannien darauf 3476 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Birgit Homburger aufmerksam zu machen, daß wir die Einstellung Bedauerlich finde ich, daß die Forderung Deutsch- Großbritanniens, nämlich eine Entsorgung durch lands auf der Nordseeschutzkonferenz nicht durch- Versenkung zu genehmigen, nicht teilen. Daß das so gesetzt werden konnte, die Nordsee als Schutzge- breit deutlich gemacht wurde - vom BMU, vom BML, biet nach Anhang II einzustufen. Danach wäre auch vom Auswärtigen Amt, vom BMWi im Gespräch mit die Einleitung von Chemikalien nicht mehr gestattet. dem Industrieminister Nelson und nicht zuletzt von Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung, Bundeskanzler Kohl -, spricht für diese Bundesregie- wenn sie das weiter be treibt, und wir sollten sie ge- rung. meinsam dazu auffordern. Sie muß sich weiter dafür (Beifall bei der F.D.P.) stark machen, daß die Nordsee als Schutzgebiet nach Anhang II eingestuft wird. Die F.D.P. hatte ja als erste die Befassung mit die- sem Thema im Umweltausschuß beantragt. Ich freue (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mich, daß wir im Umweltausschuß parteiübergrei- fend einen gemeinsamen Antrag beschlossen und Ebenso wichtig ist es, daß das OSPAR-Überein- damit zum Ausdruck gebracht haben, daß auch das kommen möglichst bald in Kraft treten kann. Es ist deutsche Parlament diese Entscheidung von Shell in 1992 von allen Anrainerstaaten gezeichnet worden, keiner Weise billigt und dagegen vorgehen wi ll. aber bisher erst von fünf ratifiziert worden. Beson- ders mißlich finde ich, daß die EU-Kommission es Aber ich sage auch ganz deutlich: Es gibt keine noch nicht ratifiziert hat. Deswegen die dringende Entwarnung. Die britische Regierung hat ja noch Bitte an die Bundesregierung: Machen Sie weiter keine Genehmigung für die Entsorgung an Land er- Druck, daß die EU-Kornmission dieses OSPAR-Über- teilt. Sie hat offensichtlich Sorgen um höhere Steuer- einkommen, das die Bundesrepublik mit vier ande- ausfälle durch die Abschreibung von höheren Entsor- ren Staaten bereits ratifiziert hat, auch ratifiziert und gungskosten. Aber ich finde, das darf eigentlich andere Länder nachziehen, damit es end lich in Kraft nicht ausschlaggebend sein, zumal Angebote für treten kann! Erst dann, Herr Kollege Lennartz, ist es eine Entsorgung an Land vorliegen, die nicht teurer überhaupt möglich, ein Schlichtungsverfahren einzu- als die Versenkung im Atlantik ist. leiten; denn das geht erst, wenn das OSPAR-Über- einkommen gilt. Es stehen ja noch über 400 Ölplattformen in der Nordsee zur Entsorgung an, allein 50 davon auf dem OSPAR bedeutet ja nur - das möchte ich zum britischen Festlandsockel. Deswegen ist diese De- Schluß noch sagen -, daß Maßnahmen notifizie- batte auch die Aufforderung an die britische Regie- rungsbedürftig sind, daß also das Mitspracherecht rung, ihre Haltung zu überdenken, und eine Auffor- der Nordseeanrainerstaaten gestärkt wird. Ziel muß derung an die Bundesregierung, bei der britischen es meines Erachtens sein, die Entsorgung der Öl- Regierung weiterhin Druck zu machen. plattformen an Land rechtsverbindlich festzuschrei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ben und nicht nur ein Notifizierungsverfahren zu ma- chen, also einen Schritt weiter zu gehen. Ich finde, wir sollten gemeinsam sagen: Was am Golf von Mexiko Standard ist, nämlich das Abwrak- Ich möchte für meine Fraktion sagen: Wir werden ken der Ölplattformen an Land - auch für Shell im uns an allen Maßnahmen beteiligen und alles unter- übrigen -, das muß auch für die Nordsee gelten. stützen, was dauerhaft zum Schutz der Meere führt. Herr Kollege Müller, Sie haben vorhin gesagt, Vielen Dank. Greenpeace habe mehr erreicht als Frau Merkel. Während der Diskussion um die geplante Versen- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) kung der Ölplattform hatten wir ja die Nordsee- schutzkonferenz im dänischen Esbjerg. Diese Konfe- renz ist nicht so nega tiv verlaufen, wie überall darge- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun stellt wird. das Wort der Abgeordneten Ul rike Mehl. (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Na!) Ulrike Mehl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kollegin- Immerhin wurde auf Betreiben der Bundesrepublik nen und Kollegen! Das Beispiel der Beinaheversen- Deutschland die Nordsee endlich als Schutzgebiet im kung der „Brent Spar" ist ein Beleg dafür, daß die Sinn von Anhang I des MARPOL-Übereinkommens Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Umwelt- eingestuft. Das heißt, daß in Zukunft - deswegen ist schutz durchaus im Kopf haben, auch wenn das im- das so wichtig, was vorher gerade mehrfach ange- mer wieder bestritten wird. Sie sind auch bereit, ihr sprochen worden ist - keine Einleitungen von Öl aus Verhalten sehr schnell zu ändern. Schiffen mehr in die Nordsee gestattet sind. (Beifall bei der SPD) Das ist ein weit größerer Anteil als einmal „Brent Spar" zu versenken. Das ist ein Erfolg der Nordsee- Noch nie hat ein umweltschädigendes Ereignis so schutzkonferenz; in diesem Sinne muß weiterge- schnell zu Reaktionen geführt. Ich bin sicher, daß mit macht werden. Die Bundesrepublik Deutschland hat zunehmenden Umweltproblemen die Bereitschaft sich ja hierfür schon seit 1984 eingesetzt. Das zeigt steigen wird, für Umweltschutz auch dann das Ver- deutlich, wie lange solche Prozesse auf internationa- halten schnell zu verändern, wenn persönliche Nach- ler Ebene dauern und wie wich tig es ist, daß man teile in Kauf genommen werden müssen. Auch dies rt bleibt und dranbleibt. ha wird ja immer wieder bestritten. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3477 Ulrike Mehl Ich glaube, die Menschen haben durchaus verstan- Während es laut Staatssekretär Wilz überhaupt den, daß die „Brent-Spar" -Versenkung nicht das nichts ausmacht, wenn in dem hochsensiblen Ökosy- Ende des Nordatlantik gewesen wäre, sondern die stem Wattenmeer in der Zug- und Brutzeit ständig Wirkung durchaus symbolisch war. Die Verbrauche- Hubschrauber auf Sandbänken starten und landen, rinnen und Verbraucher haben einmal sehr deutlich Mörsergranaten ins Watt geschossen werden und gemacht, daß sie nicht mehr bereit sind, umwelt- Kettenfahrzeuge Salzwiesen durchfurchen, hat die feindliches Verhalten einfach in Kauf zu nehmen, Bundesregierung im Nordatlantik ihr Umweltherz auch wenn es sich um einen internationalen Konzern entdeckt. handelt, der viel Macht hat. Ein weiteres Beispiel wäre das Thema Meere als (Beifall bei der SPD) Wasserautobahnen. Wenn Sie weiterhin Meere als Wasserautobahnen und nicht als Ökosysteme be- Frau Merkel, ich höre mit Freude, daß Sie etwas an trachten, muß man sich nicht wundern, daß wich tige dem sogenannten OSPAR-Abkommen ändern wol- Vorschriften der EU nicht umgesetzt werden. Ich len. Aber vielleicht müßten Sie einmal mit Ihrem eng- rede hier von der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, lischen Kollegen reden. Gestern noch hat der engli- die einen Ökosystemschutz darstellen soll. Das be- sche Botschafter geschrieben, daß auf der Nordsee- trifft natürlich auch die Meere. Sie haben diese Richt- schutzkonferenz mit Nachdruck insbesondere von linie nicht umgesetzt. Die Dreijahresfrist zur Umset- Norwegen und Frankreich gefordert worden sei, die- zung ist am 4. Juni 1995 abgelaufen. Jetzt wird die ses Abkommen zu lassen, wie es ist, weil sie die Op- spannende Frage aufgeworfen, ob die EG-Mittel für ti on selber offenlassen wollen. Insofern wird es span- den Ökosystemschutz, die erhöht werden, an nend sein, ob Einmütigkeit über die Änderung tat- Deutschland vorbeifließen werden, weil die Bundes- sächlich besteht. regierung drei Jahre geschlafen hat. Der Dank von Greenpeace wird Ihnen für Ihr Ver- halten im eigenen Lande sicherlich nicht ausgespro- Bei aller Freude darüber, daß die Bundesregierung chen. Ich will die Gelegenheit nutzen, ein paar Bei- bei der „Brent Spar" Umweltinteressen vor Wirt- spiele zu nennen, die belegen, was Sie selbst zur schaftsinteressen gesetzt hat - das ist ja auch ein biß- Meeresbelastung beitragen. chen weiter weg von uns -, ist sie doch gut beraten, wenn sie sich selbst einmal einem Öko-Audit unter- Auf der Nordseeschutzkonferenz mußte eindeutig zieht, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigt. festgestellt werden, daß die besondere Bedrohung der Nordsee durch Stickstoffeintrag nicht gestoppt (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ist und daß die angepeilten 50 % Reduzierung über- GRÜNEN und der PDS) haupt nicht in Sicht sind, daß die Einträge sogar an- steigen werden. Hauptursache sind die Landwirt- schaft, die Kommunen und der Straßenverkehr. Man Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat kann doch einmal nachfragen, mit welchen Maßnah- nun der Abgeordnete Dr. Klaus Lippold. men die Bundesregierung in welchem Zeitraum welche Stickstoffreduzierung erreichen zu können (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Jetzt glaubt. kriegen wir es aber wieder um die Ohren! Der Dampfsprecher der Union!) (Beifall bei der SPD) Der Bundesverkehrswegeplan wird es doch wohl si- cher nicht sein. Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Das Thema Landwirtschaft ist ja auch ein Trauer- Herren! Ich möchte an die letzte Bemerkung von Kol- spiel, was Trinkwasserschutz, Bodenschutz und Er legin Mehl anschließen. Sie hat gesagt, die Bundes- haltung der Lebensräume für heimische Tiere und regierung soll sich öko-auditieren lassen. Ich finde Pflanzen betrifft. Ich will nur das Beispiel der Dünge- das gut. Wir fangen mit dem Statusbericht der Vor- verordnung nennen. Jede Woche wird eine neue Va- gängerregierung an. Auf der Basis des Statusberichts riante vorgelegt, die immer stärker abgeschwächt ist. der Vorgängerregierung können wir dann dokumen- Wahrscheinlich wird sie am Ende so lasch sein, daß tieren, welche eklatanten Fortschritte wir gegenüber die Landwirtschaft gar nichts mehr ändern muß. SPD und anderen seinerzeit erzielt haben. Dann stehen wir in ein paar Jahren wieder vor der Frage, was wir eigentlich tun, damit die Stickstoffein- (Beifall bei der CDU/CSU - Dietmar Schütz träge in der Landwirtschaft reduziert werden. Es ist [Oldenburg] [SPD]: Na! Na!) jedenfalls nicht zu hoffen, daß Sie etwas ändern. - Ich greife den Gedanken gerne auf. Es ist schon gut, Ein weiteres, sehr prägnantes ' Beispiel ist die wenn man so eine Vorlage bekommt, Frau Kollegin Waffenerprobung im Wattenmeer. Trotz massiver Mehl. Proteste vor Ort, die Sie nicht hören, führt der Bun- desverteidigungsminister entgegen eigenen Zusa- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gen während der Brutzeit der Watvögel im Watten- DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch mal, was meer waffentechnische Übungen durch. Sie in Ihrem Verband in Hessen an umwelt politischen Forderungen gestellt haben, (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Hört! Herr Geschäftsführer! So etwas Reaktionä Hört!) res habe ich noch nie erlebt!) 3478 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Ich habe mir gedacht, daß diese Debatte für viele stematisch betrieben zu werden. Ich verspreche: Ich in diesem Hause nicht dazu dient, sich mit dem Er- werde das bei all denen einfordern, die jetzt bei eignis und mit Umweltschutz auseinanderzusetzen. „Brent Spar" mal eben als Trittbrettfahrer mit aufge- Statt dessen versuchen Sie über alle Lücken wieder sprungen sind, um Popularität zu erzielen, statt syste- zur Schuld der Bundesregierung zu kommen. Das ist matischen Umweltschutz zu be treiben. Darauf wer- das alte Spiel der Opposition. Bleiben wir doch bei den wir noch zu sprechen kommen. der Sache, um die es geht. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Der Kollege Dietzel hat einen Punkt angesprochen DIE GRÜNEN]: Hoffentlich haben Sie sich - ich finde das ganz hervorragend -, den ich bei Ih- auch das in Ihrem Notizblock notiert!) nen überhaupt nicht gehört habe. Warum haben Sie nicht davon gesprochen, daß wir, ähnlich wie wir eine Klimakonvention brauchen, eine Konvention Im übrigen - das sage ich ganz offen - soll man bei zum Schutz der Meere brauchen, den Mitteln durchaus darüber nachdenken, wen man trifft und wie man ihn trifft. Hier ist darüber ge- (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Wie sprochen worden, daß der Tankstellenpächter getrof- lange ist denn die Regierung im Amt?) fen wurde. Ich wi ll das noch einmal ansprechen. Es trifft die Kleinen in diesem Zusammenhang und ist zu der sich alle bekennen, Herr Kollege Schütz? Da- nicht verursacherbezogen. Deshalb ist eine systema- mit könnten wir systema tisch wirklich etwas tun. tische Politik besser als eine unsystematische Politik, (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Gerne!) die nicht den trifft, der das Problem im Grunde verur- sacht. Der einzig richtige Weg ist der, den die Bun- Eines habe ich aus dieser Debatte gelernt - das wi ll desregierung eingeschlagen hat, ich einmal ganz deutlich sagen -: Wie viele Freunde der Umweltschutz auf einmal hatte! (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Syste (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ matische Politik zu machen; das ist richtig!) DIE GRÜNEN]: Helmut Kohl!) nämlich den Umweltschutz in Europa systema tisch - Der ist einer der wenigen, die permanent etwas ge- global voranzutreiben. Ich bin einmal gespannt, Herr tan haben. Darauf komme ich gleich, Herr Fischer. Kollege Fischer, ob Sie diese Dinge dann perm anent (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und konsequent aufgreifen. DIE GRÜNEN) Wenn jetzt ein Greenpeace-Sprecher sagt, diese Aber wie viele hier draufgesprungen sind! Mein No- Ölplattformen könnten doch in Zukunft bei uns ent- tizblock ist mittlerweile voll von Namen derer, die ich sorgt werden, weil dies sicher ist und Aufträge für ansprechen werde, wenn es in diesem Hause wieder unsere Wirtschaft bedeutet, dann, Herr Fischer, kön- darum geht, systematisch Umweltschutz zu machen. nen wir doch auch das Waffenplutonium in H anau Dann will ich einmal sehen, ob die, die Sprüche klop- entsorgen. fen, (Widerspruch bei der SPD) (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ auch bereit sind, hier anzutreten und Butter bei die DIE GRÜNEN]: Holen Sie doch einmal Fische zu tun, um wirklich etwas für die Umwelt zu Luft!) leisten. Jetzt mit der Notiz „Ich bin auch dagegen" nach draußen zu gehen, das ist natürlich eine preis- Das vernichtet die Arbeitsplätze do rt nicht, werte Lösung. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Ich könnte Ihnen jetzt aus einem Kommentar mei- DIE GRÜNEN]: Genau!) ner Heimatzeitung zitieren, (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ und wir tun etwas für den Umweltschutz und auch DIE GRÜNEN]: „Offenbach-Post"!) für die Beschäftigung. in dem es schlicht und ergreifend heißt: Wer jetzt al- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ les aufspringt, wer jetzt alles euphorisch dabei ist! DIE GRÜNEN]: Ganz genau!) Wenn es um Inhalte geht, Herr Kollege Mü ller, dann sind Sie doch die letzten, die dazu etwas beitragen. Hier sieht man doch: Ihnen geht es eklektizistisch (Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Was? - darum, aufzuspringen, wenn es Ihnen gerade nützt. - Dr. Uwe Küster [SPD]: Unsäglicher Beitrag! Wenn es aber um sachliche Arbeit geht, dann sind Kommen Sie doch endlich zur Sache!) Sie längst wieder bei einer anderen Problematik. Sprüche klopfen, aber keinen systema tischen Um- - Aus Ihnen spricht doch Ihr schlechtes Gewissen. weltschutz betreiben - das ist doch die Crux mit der Das ist doch der Punkt. Opposition in diesem Hause; das müssen Sie sich Deshalb ist es gut, daß wir öffentliche Aktion ha- vorhalten lassen. ben, daß wir öffentliches Bewußtsein haben, daß wir etwas tun und daß wir es systematisch tun. Umwelt- Deshalb ist es schade, daß Sie diesen heutigen schutz ist keine konjunkturelle Geschichte - einmal Punkt nicht um der Sache willen behandeln, sondern hoch, einmal runter -, sondern Umweltschutz hat sy- nur aus dem Grund, einmal wieder einiges gegen die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3479

Dr. Klaus W. Lippold (Offenbach) Regierung loslassen zu können. Schade, daß Sie die- Ich darf genauso kritisieren wie Sie. Wir sind dazu sen guten Anlaß so mißbrauchen wollen. da, die Bundesregierung zu kontrollieren und gege- benenfalls, wenn es angebracht ist, auch zu kritisie- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ren. Das erlauben Sie mir jetzt bitte in a ller Ruhe. Dietmar Schütz [Oldenburg] [SPD]: Was ha ben Sie eigentlich gesagt? - Gegenruf des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Abg. Dr. Klaus W. Lippold [Offenbach ] DIE GRÜNEN) [(CDU/CSU]: Wenn Sie zugehört hätten, dann hätten Sie es verstanden! - Joseph Fi Daß viele der auf den vergangenen Nordsee- scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ schutzkonferenzen beschlossenen Maßnahmen bis NEN]: Lippold wirkt wie Säureregen auf heute nicht umgesetzt sind, ist ein Skandal: Zum ei- jede umweltpolitische Debatte!) nen, weil die Nordsee als natürlicher Lebensraum vieler Tiere und Pflanzen schützenswert ist, zum an -deren, weil sie als Nahrungsquelle und Arbeitsort Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun erteile ich vieler Menschen einer schonenden Nutzung bedarf. der Abgeordneten Verena Wohlleben das Wo rt. Es geht einmal mehr um den Grundsatz, daß kurzfri- stige ökonomische Erfolge nicht mit langfristigen ökologischen Schäden erzielt werden dürfen. Verena Wohlleben (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst Die Umsetzung von Schutzmaßnahmen für die einmal herzlichen Dank für das Engagement von Nordsee korrespondiert aber auch mit Maßnahmen Greenpeace. Danken möchte ich aber auch den zur Abwasserbehandlung und damit der Verminde- Bürgerinnen und Bürgern, die sich engagiert und rung des Eintrags von Schadstoffen. Dies wird in un- ihre Macht als Verbraucher und Verbraucherinnen seren Gemeinden in Umsetzung der entsprechenden genutzt haben. Es hat sich gelohnt. EG-Richtlinie seit einigen Jahren mit Volldampf durchgeführt: Kanäle werden saniert und erneuert, Die Einsichtsfähigkeit des Shell-Managements Kläranlagen nachgerüstet und modernisiert. muß dort und bei allen anderen Unternehmen, die die Nordsee bisher legal und illegal als Müllkippe In meiner Heimatgemeinde Lauf bedeutet dies benutzt haben, umgesetzt werden. Dafür ist in der z. B. Kosten in Höhe von 54 Millionen DM, die den Bundesrepublik und europaweit mehr politischer städtischen Haushalt ganz enorm belasten. Diese Ko- Druck erforderlich. sten werden auf die Bürgerinnen und Bürger umge- legt; die Umlage erfolgt über den Wasser- und Ab- Ich wünsche mir sehr, daß die Bundesregierung wasserpreis und über Anliegerbeiträge. Das ist auch und insbesondere die Bundesumweltministerin in in Ordnung. Aber im Umkehrschluß muß das dann Zukunft mit dem im Zusammenhang mit der „Brent auch heißen: So wie jeder Bürger und jede Bürgerin Spar" gezeigten umweltpolitischen Rückhalt durch vom Gesetzgeber verpflichtet wird, sein Abwasser an die Bürgerinnen und Bürger ihre Einspruchsmöglich- die Kanalisation anzuschließen und sich an die Auf- keiten in solchen Fä llen stärker nutzen und rechtzei- lagen des Umweltschutzes zu halten, genauso muß tig entsprechende Vorhaben bremsen. auch dafür Sorge ge tragen werden, daß Ölförderfir- (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ men und -verkäufer gesetzlich verpflichtet werden, CSU: Sie hat doch erläutert, wie es war! Sie die dafür benötigten Mate rialien und Anlagen so zu hören nicht zu!) entsorgen, daß dies für die Umwelt zumutbar und verträglich ist. Eine glaubwürdige Politik zum Schutz der Nord- see darf sich nicht auf Deklarationen beschränken. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Sie darf sich auch nicht darauf beschränken, Briefe GRÜNEN und der PDS) zu schreiben. Sie muß vielmehr Gesetze schaffen und Dazu muß die Entsorgung durch entsprechende für ihre Umsetzung Sorge tragen. Pflichtrücklagen finanziell abgesichert werden. Dies (Beifall bei der SPD - Birgit Homburger kann und darf nicht von Fall zu Fall entschieden wer- [F.D.P.]: National hätte das nichts gebracht! den. - Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Noch ha Noch weniger hilfreich ist es, wenn aus populisti- ben wir die Regierung in Großbritannien schen Gründen und viel zu spät freundliche B riefe nicht übernommen!) geschrieben werden, weil sich eine hochsensibi- - Man kann auch vor Ort beginnen. lisierte Öffentlichkeit auflehnt. Das ist einfach zuwe- nig. - (Birgit Homburger [F.D.P.]: Bei „Brent Spar" hätte es überhaupt nichts gebracht, natio (Beifall beider SPD und dem BÜNDNIS 90/ nale Gesetze zu machen!) DIE GRÜNEN) - Frau Kollegin, ich habe Ihnen zugehört. Ich bitte Das von Shell vorgebrachte Argument der wirt- Sie, auch mir zuzuhören. Wir sind eben unterschied- schaftlicheren Entsorgung durch Versenkung in der licher Meinung. Nordsee kann von den Bürgerinnen und Bürgern nur als Hohn empfunden werden. Wenn wir uns den Um- (Birgit Homburger [F.D.P.]: Ich höre ja zu! weltschutz etwas kosten lassen, dann gilt dies für alle Deshalb habe ich ja dazwischengerufen!) Beteiligten und für alle Verursacher. Für Shell kön- 3480 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 Verena Wohlleben nen im europäischen Verbund keine anderen ökolo- Offensichtlich haben manche Konzernherren die gischen und wirtschaftlichen Kriterien gelten als für Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt. Ein Vor- die Bürgerinnen und Bürger in meiner Heimatge- redner hat darauf hingewiesen, daß wir erst vor drei meinde Lauf und anderswo. Wochen in einem anderen Fall, nämlich beim Boy- kott des Stromeinspeisungsgesetzes, eine gewisse Ich fordere deshalb die Bundesregierung noch ein- Parallele zu dem diskutiert haben, was wir heute mal mit allem Nachdruck auf, das mit den Aktionen wieder diskutieren. zu ,,Brent Spar" von den Bürgerinnen und Bürgern dokumentierte Umweltbewußtsein end lich auch in (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE praktische Politik umzusetzen. GRÜNEN und der PDS sowie bei Abgeord neten der F.D.P.) Wer den Kommunen immer mehr Aufgaben anla- Da wird von Shell argumentiert, die stet, wer den Bürgerinnen und Bürgern ständig mehr Demontage koste 65 bis 80 Millionen Dol- Geld aus der Tasche zieht, wer angeblich aus hehren der Bohrinsel an Land lar, die Versenkung jedoch nur 16 Millionen Dollar. und Hilfe gebenden Gründen die Gewerbekapital- Spätestens jetzt dürfte man erkannt haben, daß der steuer abschaffen will und damit den Gemeinden immaterielle plus der materielle Schaden für den eine tragende Säule ihrer Existenz nimmt, muß auch Shell-Konzern ein Vielfaches von dem ist, was an dafür sorgen, daß Unternehmen, die mit der Ölförde- vermeintlichen Einsparungen bei einer Versenkung rung in der Nordsee viel Geld verdienen, die Folge- erzielbar gewesen wäre. lasten tragen, daß sie von Anfang an die spätere Ent- sorgung an Land für ihre Ölplattformen mit einkalku- Die höheren Kosten für die jetzt vorgesehene De- lieren. Dies muß gesetzlich geregelt werden. Es ste- montage an Land haben aber im Hinblick auf die hen noch etliche davon in der Nordsee - und nicht Kostenechtheit im Energiebereich schlechthin eine nur von der Firma Shell. ganz besonders positive Bedeutung. Sie sind nämlich ein konkretes Beispiel dafür, daß alle externen Ko- Die Bundesregierung hat noch viel zu tun. Ich for- sten jeglicher Energieerzeugung von Anfang bis dere Sie dazu auf. Wir sind gerne behilflich. Ende ihren Niederschlag in kaufmännischen Rech- nungen und damit in Energiepreisen finden müßten, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall im ganzen Hause - Zuruf des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem Abgeordneten Dr. Peter Ramsauer das Wort. - Herr Fischer, meine Meinung ist auch dann noch richtig, wenn sie Ihre Meinung geworden ist -, (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.] - Jo Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Herr Präsident! seph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Nun ist also GRÜNEN]: Ich bitte Sie! Sie geraten da nur in allerletzter Minute bei Shell doch noch die Ver- in Verdacht!) nunft eingekehrt, aber ich frage mich wirk lich: Muß im Jahr 1995 wirklich erst internationaler Protest anstatt der Allgemeinheit diese externen Kosten auf größten Ausmaßes losbrechen, damit etwas wie im dem Wege ökologiefeindlicher Verfahrensweisen zu Falle von „Brent Spar" verhindert wird? Muß wirk- überantworten. Davon könnten sich im übrigen bei- lich erst ein Geist aus der Flasche entfesselt werden, spielsweise auch Teile der europäischen Nuklear- der sich bis hin zu verbrecherischen Anschlägen ent- und Kohlewirtschaft eine dicke Scheibe abschnei- wickelt? Müssen wirklich erst Tausende mittelständi- den. scher Tankstellenbesitzer massive wirtschaftliche (Beifall bei der PDS sowie des Abg. Joseph Einbußen erleiden? Muß wirklich erst das Gerücht Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ weiter genährt werden, daß Ökologie und Ökonomie NEN]) im Energiebereich nicht miteinander vereinbar sind? Und muß ein Konzern wie Shell wirklich erst seinen Welche Schlußfolgerungen ziehen wir nun daraus? eigenen Ruf ruinieren? Wichtiges ist schon gesagt worden. Es gibt natürlich einige Defizite, die wir zumindest mit zu verantwor- Gerade beim Shell-Konzern stellt sich diese Frage, ten haben. Diese hat natürlich nicht die deutsche nachdem Shell über Jahre versucht hat, ein posi tives Bundesregierung allein zu verantworten; denn es gesellschaftliches und ökologisches Image aufzu- reicht noch lange nicht aus, daß die deutsche Bun- bauen. Man denke beispielsweise an die Shell-Stu- desregierung hervorragende Vorarbeit leistet,- wenn dien der 70er und 80er Jahre über die Situa tion der die internationale Gemeinschaft nicht bereit ist nach- Jugend in Deutschland, die ein hervorragendes posi- zuziehen. tives Echo gefunden haben. Die S trategen beim Shell-Konzern müssen wohl verrückt geworden sein, Ich unterstütze deshalb die Ini tiative der Bayeri- mit einer Aktion wie der bei „Brent Spar" dieses schen Staatsregierung im Bundesrat, noch st riktere wertvolle Kapital mit einem Mal verspielt zu haben. internationale Abkommen gegen die Versenkung von Bohrinseln abzuschließen. Die Regierungen ein- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so zelner Länder dürfen nicht länger zu Lasten aller An- wie Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ liegernationen bestimmen, wieweit der Schutz der DIE GRÜNEN und der PDS) Weltmeere geht. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3481

Dr. Peter Ramsauer Meine Damen und Herren, als Wirtschaftspolitiker loben müssen wir Greenpeace für diese beispiellose fordere ich den Shell-Konzern auch dazu auf, seine Aktion, mit der sie es geschafft hat, den drittgrößten Pächter für die Verluste zu entschädigen, die ihnen Konzern der Welt in die Knie zu zwingen. Das, durch die starrköpfige Haltung der Konzernleitung glaube ich, ist entscheidend. zugefügt worden sind. (Beifall bei der SPD und der PDS) (Beifall im ganzen Hause) Wir müssen auch die Verbraucher loben. Herr Ram- Allerdings verurteile ich genauso ausdrücklich die sauer, ich will Ihnen zustimmen: Es ist eine neue Drohungen und Anschläge, die gegen den She ll Qualität in der politischen Auseinandersetzung, daß es die Verbraucher schaffen, durch Kaufboykotte-Konzern und Tankstellenpächter gerichtet waren. die Politik mitzubestimmen. Beim Stromeinspeisungsge- (Beifall im ganzen Hause) setz haben wir das gesehen; jetzt sehen wir es wie- Ich glaube, in dieser Aktuellen Stunde muß auch ein- der. Ich glaube, es ist wich tig, diese Macht zu erken- mal deutlich gesagt werden: Briefbomben sind keine nen und auch einzusetzen. Argumente in einer solchen Auseinandersetzung. Sie Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten schaffen nur falsche Märtyrer. mit der Metapher „Brent Spar" nicht den Blick dafür (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der verlieren, was in der Nordsee bisher geschehen ist. Herr Lippold hat vorhin gesagt, seit Sie an der Regie- SPD und der PDS - Joseph Fischer [Frank furt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr rung sind, sei sehr viel geschehen. Wenn Sie sich ein- mal angucken, was für Erfolge wir wirklich haben, gut! Aber Greenpeace wollen wir jetzt lo ben!) dann stellen Sie fest, daß es nicht besonders viele sind. Ich möchte schließlich betonen, daß Greenpeace Seit 1987 bin ich, liebe Frau Merkel, Berichterstat- zwar eine aktive opera tive Rolle vor Ort gespielt hat, ter für den Bereich Nordseeschutz. Ich weiß, was für aber daß der Shell-Konzern und die britische Regie- Berichte uns vorlagen. Wir haben immer wieder rung ihre Haltung nicht geändert hätten, wenn nicht nachgefragt, ob etwas erreicht wurde oder nicht. Auf Theo Waigel und Bundeskanzler Helmut Kohl der jetzigen Nordseeschutzkonferenz - Sie haben (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ darauf hingewiesen - ist der einzige materielle Fo rt DIE GRÜNEN]: Edmund Stoiber nicht ver -schritt vielleicht darin zu sehen, daß wir das Sonder- gessen!) gebiet MARPOL für Öl ausgewiesen haben. - und nicht zuletzt auch der bayerische Ministerprä- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das ist aber sident Edmund Stoiber - sich auf internationaler wichtig!) Bühne nachhaltigst dafür eingesetzt und diese wirk- Wir haben noch immer nicht MARPOL-Chemie. Sie lich beispielhafte internationale Vorreiterrolle über- haben darauf hingewiesen. Das ist kein Fortschritt. nommen hätten. Der weitere Fortschritt in der Nordseeschutzver- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ einbarung betrifft die Phosphateinleitung in die DIE GRÜNEN]: Aber Angela Merkel müs Nordsee. Aber wir haben noch immer massive Defi- sen Sie jetzt auch erwähnen! Sonst ist sie zite hinsichtlich der Nitrateinleitung in die Nordsee. beleidigt!) In dieser Situation stellt sich Ihr Kollege Heereman Ihnen gilt in dieser Debatte abschließend ein herz- hin und sagt: Unsere Landwirte tragen dazu gar licher Dank. nichts bei. - Was er da erzählt, ist alles Unsinn. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist noch eine massive Anstrengung zu unterneh- men, den Landwirten zu verdeutlichen, Herr Witt- mann, daß wir versuchen müssen, die Nitrateinspei- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das letzte Wort sung in die Nordsee über die Luft- und Wasserwege hat diesmal der Abgeordnete Dietmar Schütz. und ihre Nitratbelastung zu vermindern. Das ist in der Tat eine Sache, die wir noch nicht in den Griff ge- kriegt haben. Dietmar Schütz (Oldenburg) (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fragen, die Sie, Frau Ich brauche nur meine Kollegin Ulrike Mehl - Su- Merkel und Herr Ramsauer, gestellt haben - „Hast sanne Kastner ist jetzt nicht hier - in der Frage Pesti- du heute schon deine Regierung gelobt?" -, will ich zidrichtlinien und der Belastung der Nordsee mit Pe- gerne beantworten: Ja, wir haben sie gelobt. Wir lo- stiziden anzusehen: Da haben wir noch immer keine ben sie dafür, daß sie erkannt hat es sei richtig, noch Erfolge. - rechtzeitig auf einen fahrenden Zug aufzuspringen und sich gegen die Versenkung der „Brent Spar" zu Der Komplex „Nährstoffzufuhr und Nordsee" ist, wenden. Herr Lippold, mit sehr, sehr vielen Fragezeichen und Negativzeichen zu versehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Das war jetzt kein Lob!) Das zweite Problem ist die Ölverschmutzung. Wir haben gerade gesagt, daß wir die Ausweisung als Im Ernst: Sie haben sicherlich immer gegen eine Sondergebiet erreicht haben. Aber all die Kontroll- Entsorgung auf dem Meer Position bezogen. Aber mechanismen, die Umsetzungsmöglichkeiten, die Sie hätten das ja auch rechtzeitig tun können. Richtig wir schon lange hätten schaffen können, haben wir 3482 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Dietmar Schütz (Oldenburg) nicht. Es besteht noch immer das Interesse von Nord- fischerei nicht in den Griff gekriegt. Es ist doch ein see-Anrainerstaaten - Norwegen und Großbritan- Wahnsinn, daß wir riesige Mengen Fisch fangen, um nien, vielleicht auch Frankreich -, sich, weil sie die sie dann zu Öl für unsere Öfen zu verarbeiten. Was größten Ölproduzenten in der Nordsee sind, dage- ist das für ein Nordseeschutz? gen zu wehren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben noch viel zu tun. Ich will meine Rede damit schließen, daß Eine weitere Anstrengung, die die Bundesregie- ich den Bogen spanne: Hinter der Metapher „Brent rung im Rahmen der Schutzkonferenz unternommen Spar" muß - Greenpeace sieht das genauso - der hat, ist die, daß Sie, Frau Merkel, eine Schutzzone Kampf um die Nordsee weitergehen. Vielleicht fin- für Fische ausweisen wollten. Auch das ist uns nicht den wir wieder ein Symbol. Wir hatten schon das gelungen. Wenn ich „uns" sage, beziehe ich mich in Symbol der Robben; jetzt haben wir das Symbol diese Anstrengungen mit ein. „Brent Spar", das uns vielleicht wieder die Unterstüt- zung unserer Bürger für den Nordseeschutz sichert. Wenn wir beim Nordseeschutz die Metapher „Brent Spar" diskutieren, sollten wir uns aber vor Wir Abgeordneten müssen aber auch selber dafür Augen halten: Von den 2,5 Millionen Tonnen Fisch, kämpfen, daß wir eines Tages nachhaltige Erfolge in die aus der Nordsee gefischt werden, werden allein all den kleinen Segmenten des Nordseeschutzes er- von Dänemark 600 000 Tonnen als Beifang gefangen, reichen können. Vielleicht kann ich eines Tages sa- der zu Fischmehl und Fischöl verarbeitet wird. gen, daß wir weitergekommen sind und daß wir Er- folge hatten. Das sollte uns dann verbinden. Unser Schutzbedarf im Nordseebereich ist massiv. Ich danke Ihnen. Die Adressaten habe ich hier jedesmal genannt. Wir haben den Adressaten Deutschland vor allen Dingen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE in der Landwirtschaft und beim Verkehr, wir haben GRÜNEN und der PDS) die Adressaten Norwegen und Großbritannien hin- sichtlich der Ölausbeutung, und wir haben die Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Wir sind damit Adressaten Norwegen und Dänemark bei der Fisch- am Schluß unserer Aktuellen Stunde und der heuti- ausbeutung der Nordsee. Auch da ist es uns nicht ge- gen Tagesordnung. lungen, Managementsysteme für Fischfang aufzu- bauen, Mindestgrößen für Netzmaschen etc. durch- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- zusetzen. destages auf morgen, Donnerstag, den 22. Juni 1995, 9 Uhr ein. Die Esbjerg-Ergebnisse sind alles nur Absichtser- Die Sitzung ist geschlossen. klärungen. Wir haben noch immer keine verbind- lichen Vorschriften. Leider haben wir die Indust rie- (Schluß der Sitzung: 15.49 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3483*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 3

Liste der entschuldigten Abgeordneten Erklärung des Abgeordneten Wolfgang Steiger (CDU/CSU) entschuldigt bis zur namentlichen Abstimmung Abgeordnete(r) einschließlich über den Entschließungsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Antretter, Robert SPD 21. 6. 95 * zur Großen Anfrage „Internationaler Küstenschutz" auf Drucksache 13/790 Behrendt, Wolfgang SPD 21. 6. 95 * in der 28. Sitzung am 17. März 1995 Blunck, Lilo SPD 21. 6. 95 * (Seiten 1982 D bis 1985 A) Böttcher, Maritta PDS 21. 6. 95 Ich erkläre, daß ich an der namentlichen Abstim- Borchert, Jochen CDU/CSU 21. 6. 95 mung teilgenommen und mit Nein gestimmt habe. Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 21. 6. 95 * Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 21. 6. 95 Anlage 4 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 21. 6. 95 Haack (Extertal), SPD 21. 6. 95 * Erklärung der Abgeordneten Karl-Hermann Maria Eichhorn (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung Hornung, Siegfried CDU/CSU 21. 6. 95 * über den Änderungsantrag Jelpke, Ulla PDS 21. 6. 95 der Fraktion der SPD Jung (Düsseldorf), Volker SPD 21. 6. 95 zum Entwurf eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Junghanns, Ulrich CDU/CSU 21. 6. 95 * Bundesausbildungsförderungsgesetzes Lensing, Werner CDU/CSU 21. 6. 95 auf Drucksache 13/1562 in der 41. Sitzung am 1. Juni 1995 Lummer, Heinrich CDU/CSU 21. 6. 95 * (Seiten 3222 C bis 3224 D) Marten, Günter CDU/CSU 21. 6. 95 * Ich erkläre, daß ich an der namentlichen Abstim- Pfannenstein, Georg SPD 21. 6. 95 mung teilgenommen und mit Nein gestimmt habe. Dr. Probst, Albert CDU/CSU 21. 6. 95 * Schloten, Dieter SPD 21. 6. 95 * Schumann, Ilse SPD 21. 6. 95 Anlage 5 Siebert, Bernd CDU/CSU 21. 6. 95 * Erklärung des Abgeordneten Wallow, Hans SPD 21. 6. 95 Kersten Wetzel (CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung in der Zierer, Benno CDU/CSU 21. 6. 95 * dritten Beratung und Schlußabstimmung über den Entwurf eines Jahressteuergesetzes Drucksachen 13/901 und 13/1558 * für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union in der 42. Sitzung am 2. Juni 1995 (Seiten 3412 A bis 3414 C)

Ich erkläre, daß ich an der namentlichen Abstim- mung teilgenommen und mit Ja gestimmt habe. Anlage 2

Erklärung des Abgeordneten Bernd Siebert (CDU/CSU) Anlage 6 zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag Antwort der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zur Großen Anfrage „Internationaler des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Küstenschutz" auf Drucksache 13/790 Frage der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen) in der 28. Sitzung am 17. März 1995 (SPD) (Drucksache 13/1707 Frage 5): (Seiten 1982 D bis 1985 A) Ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen der „Verordnung über die Arbeitszeit des Bundesbeamten (Arbeitszeitverord- Ich erkläre, daß ich an der namentlichen Ab- nung - AZV)" in § 3 den jeweiligen Bundesbehörden Abwei- chungen von der vorgegebenen Kernarbeitszeit zu gestatten, stimmung teilgenommen und mit Nein gestimmt insbesondere dann, wenn dies aus Gründen einer notwendigen habe. Kinderbetreuung erforderlich wäre? 3484* Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Ein Abweichen von dem in § 3 Abs. 2 der Arbeits- Diese Bestimmung in den Zuwendungsbescheiden zeitverordnung festgelegten Umfang der täglichen resultiert aus dem Interesse der Bundesregierung, Kernarbeitszeit (ohne Pausen montags und freitags den deutschen Minderheiten im Osten Europas das mindestens fünfeinhalb Stunden, dienstags bis don- Gefühl zu vermitteln, daß sich der Deutsche Bundes- nerstags mindestens sechs Stunden) ist ohne eine tag und die Bundesregierung ihrer Verantwortung Rechtsänderung nicht möglich. für sie bewußt sind und es nicht nur bei Erklärungen bewenden lassen. Abweichungen von der in den „Rahmengrund- sätzen für die gleitende Arbeitszeit in der Bundes- Im Rahmen ihrer umfassenden Informationsarbeit verwaltung" grundsätzlich vorgegebenen zeitlichen werden von der Bundesregierung seit langem die Lage der Kernarbeitszeit (montags 9.30 bis 15.30 Uhr, deutsche Öffentlichkeit, die Öffentlichkeit in den dienstags, mittwochs und donnerstags 9.00 bis Empfängerländern und insbesondere die interes- 15.30 Uhr, freitags 9.00 bis 15.00 Uhr) können jedoch sierte Öffentlichkeit der Minderheiten über die von bei Bedarf im Einzelfall Beschäftigten mit Familien- der Bundesregierung initiierten und mit deutschen pflichten nach § 9 des Frauenförderungsgesetzes Haushaltsmitteln finanzierten Projekte unterrichtet. (FFG) eingeräumt werden. Auf dieser Grundlage Darüber hinaus ist durch die Einbindung der ge- kann eine angemessene Einzelfallentscheidung ge- wählten Vertreter der Deutschen in den Aufenthalts- troffen werden. Dabei ist aber zu berücksichtigen, staaten in die bilateralen Regierungskommissionen daß eine derartige Einzelfallregelung dann nicht für die Angelegenheiten der jeweiligen deutschen möglich ist, wenn besondere dienstliche Gegeben- Minderheit oder bei der Abstimmung der Jahrespla- heiten dies nicht zulassen. Insofern muß hier eine nung der Hilfen für Deutsche in den Ländern, mit de- Abwägung getroffen werden. nen es keine Regierungskommissionen gibt, sicher- gestellt, daß alle interessierten Deutschen vor Ort auf dem laufenden gehalten werden können.

Insbesondere für die investiven Hilfen in die russi- Anlage 7 sche Föderation gibt es mittlerweile sogar ein „Logo", das durch die ineinandergehenden Farben Antwort der Flaggen beider Staaten besonders ins Auge fällt. Im übrigen werden die Mittlerorganisationen von des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die der Bundesregierung auch in den regelmäßigen ge- Frage des Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/ meinsamen Besprechungen auf die Bedeutung der CSU) (Drucksache 13/1707 Frage 8): Umsetzung ihrer Verpflichtung zur Erklärung der Was unternimmt die Bundesregierung dagegen, daß sich in Herkunft der Mittel hingewiesen. den GUS-Staaten sowohl bei Nutznießern als auch in der dorti- gen Öffentlichkeit der falsche Eindruck festsetzt, daß die von der Bundesregierung mit deutschen Steuergeldern finanzierten Projekte von nichtstaatlichen Organisationen, wie beispielswei- se dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) oder dem Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA), bezahlt werden, und welche Anlage 8 Aktivitäten beabsichtigt die Bundesregierung zur Klarstellung in diesen Ländern, daß die Mittlerorganisationen diese Projekte lediglich organisieren und be treuen und es sich bei den Finanz- Antwort mitteln um öffentliche, vom Deutschen Bundestag bewilligte Gelder handelt? des Parl. Staatssekretärs Eduard Lintner auf die Fra- gen der Abgeordneten Monika Ganseforth (SPD) (Drucksache 13/1707 Fragen 9 und 10): Bis zur politischen Wende im Osten Europas konn- ten die Hilfen der Bundesregierung aus Steuermit- Treffen Meldungen zu, daß der in Pa ris lebenden Exil-Iranerin teln für die Deutschen dort bekanntlich nur verdeckt Maryam Radjavi die Einreise zur Großkundgebung in Dortmund über caritative Organisationen mit Hilfe von soge- verweigert wird, und welches sind die Gründe? nannte Paten an die Bedürftigen übermittelt werden. Treffen Informationen zu, daß Anuir-Hossein Taghavi, einer der ranghöchsten Mitglieder des Teheraner Informationsmini- Nach der Wende wurde es möglich, Zeichen für steriums, zu dem der Geheimdienst gehört, etwa eine Woche vor der geplanten Veranstaltung in Deutschland eingetroffen ist die Deutschen durch die Gewährung von investiven und bei Gesprächen mit deutschen Stellen versucht hat, die Hilfen in Absprache mit den jeweiligen Staaten zu Durchführung der Kundgebung der iranischen Oppositionellen setzen. Deshalb hat die Bundesregierung ihre Mitt- zu verhindern? lerorganisationen durch Festlegungen in den jewei- ligen Zuwendungsbescheiden veranlaßt, bei den Zu Frage 9: Empfängern der Hilfen bzw. bei Durchführung der Projekte in geeigneter Weise zum Ausdruck zu brin- Es trifft zu, daß Frau Radjavi auf Hinweis des Aus- gen, daß es sich um Hilfen der Bundesrepublik wärtigen Amtes die Einreise und der Aufenthalt im Deutschland handelt. Dies ist in einem sehr frühen Bundesgebiet verweigert wurde. Der wesentliche Stadium bereits im Dezember 1990 erstmals gesche- Grund dafür ist, daß ihr Aufenthalt völkerrechtliche hen. Seither ist eine entsprechende Formulierung in Verpflichtungen und außenpolitische Belange der alle einschlägigen Zuwendungsbescheide aufge- Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt. Das nommen worden. Verwaltungsgericht Köln hat am 16. Juni 1995 einen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3485*

Antrag von Frau Radjavi auf Erlaß einer einstweili- Bundes aus dem Vermittlungsverfahren zum gen Anordnung, ihr die Einreise in das Bundesgebiet Steueränderungsgesetz 1991 zu Barleistungen zu gestatten, abgelehnt. im Rahmen eines Konversion-Gemeinschaftspro- grammes von Bund und Ländern erledigt sein Zu Frage 10: soll." Der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß sich Taghavi vor der geplanten Veranstaltung in Deutsch- land aufgehalten und die in der Frage genannten Anlage 10 Gespräche geführt hat. Antwort Anlage 9 des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die Frage des Abgeordneten Otto Reschke (SPD) Antwort (Drucksache 13/1707 Frage 14): des Parl. Staatssekretärs Dr. Kurt Faltlhauser auf die Wie beabsichtigt die Bundesregierung das bundeseigene Frage der Abgeordneten Dr. Elke Leonhard (SPD) Funkhaus des ehemaligen Deutschlandfunks in Köln, das nach Artikel 5 Abs. 3 des Staatsvertrags zwischen der Bundesrepublik (Drucksache 13/1707 Frage 13): Deutschland und den Ländern über die Überleitung von Rech- Auf welche Protokolle stützt die Bundesregierung ihre mit ten und Pflichten des Deutschlandfunks und des RIAS Berlin auf Blick auf die mehrfache Forde rung nach einem Bundeskonversi- die Körperschaft des öffentlichen Rechts „Deutschlandradio" onsprogramm für Regionen, die durch die wi rtschaftlichen Fol- (Hörfunk-Überleitungsstaatsvertrag) vom 17. Juni 1993 noch bis gen von Abrüstung und Truppenreduzierung besonders betrof- zum 30. Juni 1996 dem Deutschlandradio mietzinsfrei überlas- fen sind, ständig wiederholte Einlassung, die Länder hätten - sen und zum 1. Juli 1996 dem Bund zur Verfügung gestellt wird, nach Ablehnung eines vom Bund angebotenen Sonderpro- ab dem 1. Juli 1996 zu nutzen, und gibt es Erwägungen des Bun- gramms im Rahmen des strukturpolitischen Instrumentariums desministers der Finanzen, das bundeseigene Funkhaus dem und mit Änderung des Finanzausgleichgesetzes als Folge der Deutschlandradio auch über den 1. Juli 1996 hinaus zur Nut- Verhandlungen des Jahres 1991 - auf ein Bundeskonversions- zung zu überlassen? programm/Einrichtung eines Konversionsfonds verzichtet, und welcher Ministerpräsident hat explizit den Verzicht auf ein Bun- Die im Zuge der Rundfunkneuordnung geschaf- deskonversionsprogramm erklärt? fene Landesrundfunkanstalt Deutschlandradio nutzt aufgrund des Hörfunküberleitungsstaatsvertrages Die Frage der Beteiligung des Bundes an der Be- vom 17. Juni 1993 das im allgemeinen Grundvermö- wältigung der Abrüstungsfolgen wurde am 5. Fe- gen des Bundes stehende Funkhaus des ehemaligen bruar 1992 im Vermittlungsausschuß anläßlich der Deutschlandfunks bis zum 30. Juni 1996 unentgelt- Beratung zum Steueränderungsgesetz 1992 erörtert. lich. Gemäß den Geschäftsordnungen von Bundestag, Bundesrat und Vermittlungsausschuß sind sowohl In- Die künftige Nutzung dieses Gebäudes steht in en- halt als auch über die Beschlußempfehlungen des gem Zusammenhang mit den Entscheidungen über Vermittlungsausschusses hinausgehende weitere Er- die Unterbringung der Rundfunkanstalt „Deutsche gebnisse der Verhandlungen des Vermittlungsaus- Welle" und der weiteren Verwendung der „Schür- schusses vertraulich. mann-Bauten" in Bonn. Die abschließenden Ent- Die Berichterstatter im Bundesrat und im Bundes- scheidungen dazu sollen in Kürze getroffen werden. tag führten zu den Ergebnissen des Vermittlungsaus- Die Notwendigkeit einer späteren Nutzung des schusses folgendes aus: ehemaligen DLF-Gebäudes durch die „Deutsche Ministerpräsident des Saarlandes, Oskar Lafon- Welle" ist nicht völlig auszuschließen. Daher wird taine (vgl. Plenar-Protokoll 639 vom 14. Februar dem Deutschlandradio die Möglichkeit eingeräumt, 1992, S. 3 d): sich mit der Bundesregierung über eine Verlängerung des Mietvertrages über den 30. Juni 1996 hinaus zu „Ich komme zum vierten Punkt: der Refinanzie- verständigen. Damit stünde eine ausreichende Vor- rung der auslaufenden Strukturhilfe, der Konver- laufzeit für eine gegebenenfalls anderweitige Unter- sion und der damit zusammenhängenden Fra- bringung des Deutschlandradios zur Verfügung. gen. Bei diesem Punkt hat sich die Bundesregie- rung bewegt. Dem ursprünglichen Vorschlag des Bundesrates, den Mehrwertsteueranteil der Län- der von 35 Prozent auf 37 Prozent zu erhöhen, Anlage 11 wurde entsprochen. Dies ist zum einen ein Aus- gleich für die auslaufende Strukturhilfe, zum an- Antwort deren ein Entgegenkommen gegenüber den Bundesländern, denen man für den Herbst des des Parl. Staatssekretärs Dr. Norbert Lammert auf die vergangenen Jahres bereits verbindlich ein Pro- Fragen des Abgeordneten Reinhard Schultz (SPD) gramm zur Konversion zugesagt hatte. " (Drucksache 13/1707 Fragen 16 und 17): MdB Gattermann (vgl. Plenar-Protokoll 1276 Führt die Bundesregierung die beabsichtigte Aufgabe der Produktion von Solarzellen und deren Verlagerung in die USA vom 13. Februar 1992, S. 6275c): durch vier deutsche Firmen, zuletzt angekündigt durch die Deutsche Gesellschaft für Angewandte Solarenergie, Hamburg, „Achtens. Ich habe noch nachzutragen, daß mit ein Tochteruntemehmen von RWE und DASA, auf die schlech- der Neuregelung der Umsatzsteuerverteilung ten energiepolitischen Rahmenbedingungen und fehlenden zwischen Bund und Ländern die Zusage des Förderprogramme für Solartechnik zurück?

3486* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995

Beabsichtigt die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Das Bundesministerium für Wirtschaft wird die er- hohen technischen Potentials für den Einsatz der Photovoltaik in Deutschland kurzfristig Förderprogramme aufzulegen, die die neuerbaren Energien in den Jahren 1995 bis 1998 mit Investitionen in Solartechnik erleichtern und die Stromerzeu- 100 Millionen DM durch Investitionskostenzuschüsse gung vorübergehend durch angemessene Einspeisevergütun- fördern. Dieses Programm ist breit angelegt und wird gen unterstützen? auch Photovoltaik umfassen. Außerdem kommt das Stromeinspeisungsgesetz mit seinem über den ver- Zu Frage 16: miedenen Kosten festgesetzten Einspeisevergütun- gen auch der Photovoltaik zugute. Das Stromeinspei- In Deutschland gibt es derzeit drei Solarzellenher- sungsgesetz legt dabei nur Mindestvergütungen fest, stellerfirmen: Siemens Solar GmbH, Angewandte So- so daß grundsätzlich auch höhere Vergütungen ge- larenergietechnik ASE GmbH und Photovoltaics So- zahlt werden können. Allerdings ergeben sich aus lartechnik GmbH (PST), eine 100%ige Tochter von der Bundestarifordnung Elektrizität und dem Kartell- ASE. Siemens Solar als gegenwärtig größtes Solar- recht Grenzen für die Belastung der Stromabnehmer zellenunternehmen der Welt hat bereits den weitaus mit freiwillig weiter erhöhten Vergütungen. Diese größten Teil seiner Produktionstätigkeit (rd. 20 MW) Zahlungen müssen einer elektrizitätswirtschaftlich in den USA. ASE wird die Modulproduktion am rationellen Betriebsführung entsprechen. Standort Wedel schließen und die bereits angelau- fene Produktion ihrer Tochterfirma in den USA auf Die Bundesregierung prüft derzeit die Erfahrun- etwa 8 MW pro Jahr ausbauen. Die übrigen ASE-Tä- gen mit dem Stromeinspeisungsgesetz und wird tigkeiten in Alzenau, Heilbronn und München (PST) dazu nach der Sommerpause dem Bundestag einen werden davon nicht berührt. Bericht vorlegen. Der Bericht wird auch die Frage er- höhter Einspeisevergütungen behandeln. Die Gründe für diese firmeninternen Entscheidun- gen sind der Bundesregierung nicht im einzelnen be- kannt. Es dürfte dabei aber eine Rolle spielen, daß der Markt einen gewissenhaften Reifeprozeß durchge- Anlage 12 macht hat und sich bestimmte Arbeitsteilungen ab- zeichnen, insbesondere zwischen denjenigen, die Antwort Zellen und Module herstellen, und denjenigen, die - näher am Kunden - die Systeme zusammenstellen, der Parl. Staatssekretärin Dr. Sabine Bergmann-Pohl die im Markt im einzelnen nachgefragt werden. Für auf die Fragen der Abgeordneten Antje-Marie Steen den Standort USA dürfte sich auswirken, daß die (SPD) (Drucksache 13/1707 Fragen 25 und 26): USA derzeit einen Photovoltaikmarkt mit erhebli- chen Zuwächsen darstellen mit günstigen Chancen Auf welcher Rechtsgrundlage werden die Probanden, die an der Pyrethroid-Studie teilgenommen haben, nicht über die Er- für den Marktzugang nach Lateinamerika. Die Perso- gebnisse und wichtige Untersuchungsbefunde für den nachbe- nalkosten dürften zudem in den USA im Vergleich zu handelnden Arzt unterrichtet? Deutschland geringer sein. Außerdem rechnet der Weltmarkt Photovoltaik weitgehend auf US-Dollar Wie schätzt die Bundesregierung den Erfolg dieser Studie ein, wenn die Probanden ihre Zustimmung zur Veröffentlichung so- basis ab. Damit kann eine Wertschöpfung im Dollar- lange verweigern, bis sie selbst über ihre eigenen Ergebnisse raum Währungsrisiken verringern. Kenntnis erhalten haben?

Zu Frage 17: Zu Frage 25:

Die Bundesregierung setzt sich seit vielen Jahren Den Probanden gegenüber besteht grundsätzlich dafür ein, daß gerade Photovoltaik stärker genutzt keine Unterrichtungspflicht über Ergebnisse und Be- wird. Photovoltaik ist einerseits eine heute noch sehr funde einer Studie, es sei denn, aus dem zugrunde teure Form der erneuerbaren Energiegewinnung (rd. liegenden Vertragsverhältnis ist eine entsprechende 2,00 DM/kWh), andererseits besitzt sie große Anwen- Nebenpflicht im Einzelfall abzuleiten. Dem Proban- dungspotentiale besonders im Sonnengürtel der den kann jedoch ein Recht zur Einsichtnahme in ihn Erde und in Ländern, in denen großer dezentraler betreffende Studienunterlagen aus einer vertrag- Energiebedarf besteht. Deshalb fördert die Bundes- lichen Nebenpflicht, aus § 810 des Bürgerlichen Ge- regierung Forschung, Entwicklung und Marktein- setzbuches oder aus datenschutzrechtlichen Vor- führung, um die vorhandenen erheblichen Kostende- schriften zustehen, wenn er im Einzelfall für die Ein- gressionspotentiale zu nutzen und in Deutschland sichtnahme entsprechende sachliche Interessen gel- auch aus industrie- und entwicklungspolitischen tend machen kann. - Gründen in diesem wichtigen High-tech-Bereich präsent zu halten. Das Bundesministerium für Bil- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dung, Wissenschaft und Forschung hat die Photovol- (BGH) erstreckt sich das Einsichtsrecht auf die objek- taik seit 1974 mit über 1 Milliarde DM gefördert. Das tiven Feststellungen des behandelnden Arztes über Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und das körperliche Befinden des Patienten sowie die Forschung wird auch weiterhin Forschung und Ent- Umstände und den Verlauf der Behandlung. Dazu wicklung sowie einzelne Demonstrationsvorhaben in gehören alle diesbezüglichen „naturwissenschaftlich diesem Bereich fördern, dafür sind jährlich rund kokretisierbaren Befunde und Aufzeichnungen", wie 80 Millionen DM vorgesehen. Hieran partizipieren z. B. Laborbefunde, EKG-Aufzeichnungen, Röntgen- auch die Firmen. aufnahmen, Angaben über das verabreichte bzw. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 43. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 21. Juni 1995 3487* verordnete Arzneimittel, Aufzeichnungen über die dazu beitragen, Einschränkungen bei der Verwen- Aufklärung des Patienten und seine Einwilligung dung pyrethroidhaltiger Schädlingsbekämpfungs- usw. mittel zu begründen.

Nach Kenntnis des Bundesministeriums für Ge- sundheit hat der Leiter der Studie sowohl die Proban- den als auch die nachbehandelnden Ärzte von den Untersuchungsbefunden des jeweils betreffenden Anlage 13 Studienteilnehmers informiert. Antwort Zu Frage 26: der Parl. Staatssekretärin Michaela Geiger auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wolfgang Weng (Ger- Die Ergebnisse der im Rahmen der Pyrethroid-Stu- lingen) (F.D.P.) (Drucksache 13/1707 Frage 19): die durchgeführten Untersuchungen können veröf- Zu welchem Zeitpunkt wird die Bundesregierung dem Parla- fentlicht werden, sofern die aus Gründen des Daten- ment die Vorlage über die Beschaffung eines modernen Jagd- schutzes erforderliche Anonymität der Teilnehmer an flugzeuges vorlegen, und welche Alternativen plant sie vorzu- der Studie gewahrt bleibt. Jedoch dürfen keine Er- stellen? gebnisse in eine Veröffentlichung aufgenommen werden, die nach Bekanntwerden der von einigen Die Bundesregierung beabsichtigt, dem Parlament Studienteilnehmern geäußerten Verweigerung ge- Ende 1995/Anfang 1996 die Vorlage über die Be- wonnen worden sind und soweit sie diese Teilneh- schaffung des Jagdflugzeuges Eurofighter 2000 vor- mer betreffen. zulegen. Der endgültige Termin hängt vom Fortgang der Verhandlungen mit der Industrie und den ande- Es ist beabsichtigt, die Studie vor Veröffentlichung ren Teilnehmerstaaten des Eurofighter 2000-Pro- einer eingehenden Prüfung auf Einhaltung der da- gramms ab. Alternative Lösungen sind untersucht tenschutzrechtlichen Erfordernisse zu unterziehen. worden. Auch hierüber wird im Zusammenhang mit Es läßt sich absehen, daß die Ergebnisse der Studie der Beschaffungsvorlage berichtet werden.