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MUSIKSTUNDE mit Trüb Die., 24. 4. 2012

„Der diplomatische Komponist: “ (2)

MUSIK: INDIKATIV, NACH CA. ... SEC AUSBLENDEN

Komponisten komponieren selten über andere Komponisten. Zwar gibt es Arrangements, Fantasien über, Variationen auf und generelle Huldigungen, aber als Helden von Opern sind sie eher selten. Da gibt es den namenlosen Komponisten der „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss, dem so übel wie amüsant mitgespielt wird. Auch gibt es eine Oper „Palestrina“ von Hans Pfitzner, in deren Verlauf der Hörer sich allerdings manchmal fragt, ob es nicht besser gewesen wäre, Palestrina hätte eine Oper namens „Pfitzner“ geschrieben. Ja, und dann gibt es noch „Alessandro Stradella“ von Friedrich von Flotow, eine rechte Räuberpistole von einer Oper, denn Stradellas Leben war spannender als mancher Krimi – der Mann entging jeweils nur um Haaresbreite immer wieder mafiosen Mordanschlägen, weil er sich nicht damit begnügte, irgendwelche Frauen flachzulegen; nein, es mussten solche sein, die bereits mit sehr mächtigen Männern verbandelt waren. Am 25. Februar 1682 ereilte es ihn dann doch noch: murder most foul sagen die Engländer, ein ganz abscheulicher Mord, worin sogar des Komponisten Geschlechtsteil eine unrühmliche Rolle spielte. „Alessandro Stradella“ ist der einzige andere dauerhafte Opernhit des Friedrich von Flotow, neben der „Martha“, und er ist sogar noch besser. Zwar könnte der Komponist Stradella hier genau so gut Kaufmann oder Friseur sein, abgesehen davon, dass die weniger glamourös wären, aber Stradella ist bei Flotow auch nicht wirklich Komponist – sondern nur ein Sänger. Und des Mannes offenbar zahlreiche riskante Amouren reduzierte der Textdichter Friedrich Wilhelm Riese auf eine einzige, um nicht in falstaffische Sümpfe zu geraten: Leonore ist's, die gutbehütete Musterfrau, zu deren Reinerhaltung sogar finstere Mordbuben angeheuert werden. Sie heißen Malvolino und Barbarino, sind aber so sentimental, dass sie bereits bei den Klängen eines Ave Maria einknicken. Dieses Ave Maria ist im übrigen, ganz ähnlich wie die „Letzte Rose“ in „Martha“, so etwas wie das Leitmotiv der Oper „Alessandro Stradella“. Schon in der Introduktion erklingt es fromm.

MUSIK: FLOTOW, ALESSANDRO STRADELLA, CD 1, TRACK 1 (7:23)

Die Introduktion zur Oper „Alessandro Stradella“, das sind zuerst einmal Variationen über das Ave Maria, das durchs ganze Werk geistert wie ein Wagner'sches Leitmotiv. Hier hört man aber auch besonders gut, dass Friedrich von Flotows Stil getränkt war von der französischen Grand' Opéra, schaumig geschlagen mit einer Prise Opéra-comique, also in etwa mit Rossini und Offenbach. Heinz Wallberg dirigierte das Orchester des Bayerischen Rundfunks.

„Alessandro Stradella“, die Oper, wurde geboren am 4. Februar 1837 als Comédie mêlée de chant im Palais Royal – also eine Art Vaudeville mit Gesangseinlagen. Die stammten, noch mit französischen Texten, von dem 25-jährigen Friedrich von Flotow. Jahre später erkannte er, dass darin auch eine Oper steckte, deren Handlung sich allerdings nur sehr frei an die Geschichte des Komponisten Stradella aus dem 17. Jahrhundert anlehnte. Flotow engagierte den damals erfolgreichen Bühnenschriftsteller W. Friedrich, seltsames Pseudonym für den imposanter klingenden Friedrich Wilhelm Riese, dass der ein schreibe – und Flotow überarbeitete beziehungsweise ergänzte die Musik. So entstand seine erste deutschsprachige Oper und sein erster Publikumshit, uraufgeführt 1844 in Hamburg. Das Werk ist durchkomponiert und behauptet zwischen Opéra-comique und deutschem Singspiel in der Lortzing-Tradition eine durchaus eigene Nische. Dass Flotow ein Meister der Ensembles war, hört man zu Beginn des 3. Aktes. Nach einer knappen Introduktion, die wiederum das Ave Maria zitiert, singen Alessandro und Leonore ihre private Nationalhymne, „Italia, mein Vaterland“, in die lustigerweise auch die beiden gedungenen Möchtegern-Mörder Malvolino und Barbarino einstimmen, obwohl sie Stradella eigentlich töten sollten. Folgt ein Pilgerchor „Rosig strahlt die Morgensonne“, wiederum mit Leonore und Alessandro, die beiden Mordbuben werden melodramatisch mit Wortbeiträgen eingewoben – ganz im Rhythmus der Musik. Das ist alles vielleicht keine „Missa solemnis“, aber es ist Musik von großer Könnerschaft, von ausgepichtem Handwerk.

MUSIK: FLOTOW, ALESSANDRO STRADELLA, CD 2, TRACKS 1, 2 + 3 (8:56)

„Alessandro Stradella“ von Friedrich von Flotow, der Beginn des 3. Aktes, mit Werner Hollweg in der Titelrolle, Helen Donath als Leonore sowie Alexander Malta und Ferry Gruber als Auftragskiller mit Ladehemmung. Heinz Wallberg dirigierte Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks.

Flotow zitiert zwar auch hier – und wiederum diplomatisch-diskret – die Musik von Alessandro Stradella. Wie aber klingt der echte Renaissance-Mann, der schon ins Barock hinüberragte? Der Aristokrat Stradella war eigentlich immer auf der Flucht. Wenn er's nicht durch seine Amouren verscherzte mit mächtigen Herren, dann unterschlug er eben mal einen Batzen Geldes – was ihn zum Beispiel die lukrative Patronage der Königin Christina von Schweden kostete, damals im römischen Exil. Für die Ex-Königin arbeitete er als Geiger und Sänger, aber auch als Komponist geistlicher Musik. Irgendwie schaffte Stradella es immer wieder, geschasst zu werden; nicht wegen seines Talentes, das wurde überall hoch anerkannt; aber die Fettnäpfchen konnten nicht zu verborgen stehen: Stradella fand sie und tappte hinein. So arbeitete er sich quasi vom Süden Italiens bis zum Norden hinunter. Nach Rom versuchte er sein Glück in Venedig, dann in Florenz, zuletzt in Genua, wo die Liebschaft mit einer Schülerin ihm tatsächlich das Genick brach. Bei all seiner erotischen und kriminellen Aktivität war der Mann aber auch höchst produktiv; es gibt über 200 Kantaten von ihm, sechs Oratorien, acht Opern, dazu reichlich Instrumentalmusik. Man fragt sich, wo er die Zeit hernahm, im Moment seines gewaltsamen Todes war er nämlich erst 37 Jahre alt. Es steckte auch ein großer Neuerer in ihm: Als vermutlich erster komponierte er mit Concertino und Concerto grosso das Urbild des heutigen Violinkonzerts, also das Musizieren von Solovioline und Violinenchor; das ist nicht mehr im Bewusstsein, weil erst das folgende Jahrhundert mit Corelli und Vivaldi den Claim für das Konzert abzustecken schien. Im Grunde war Stradella ein weit wagemutigerer Komponist als Friedrich von Flotow. Vielleicht reduzierte der ihn deshalb zum Nur- Sänger.

MUSIK: STRADELLA, SINFONIA, TRACK 20 (4:01)

Eine Sinfonia von Alessandro Stradella – dem echten. Das Ensemble Capriccio Basel spielte.

Friedrich von Flotow war dreimal verheiratet, seine dritte Witwe, Rosa Svoboda, veröffentlichte später eine Biographie, die auch genauso hieß: „Friedrich von Flotow's Leben. Von seiner Witwe“. Einerseits ist das eine der unzuverlässigsten Quellen, weil vieles schon bei der ersten Lektüre nach dem Zuckerguss und Sahnehäubchen der Idealisierung schmeckt; andererseits zitiert Svoboda zahlreiche Flotow-Briefe, und die dürfte sie wohl authentisch abgeschrieben haben. Zum Beispiel diesen vom Jahresende 1828: „Nun will ich Dir auch, mein lieber Vater, Reicha's Plan vorlegen, wie er mein Studium durchzuführen beabsichtigt ... Noch zwei Monate, so glaubt Reicha, brauche ich zur Fuge, dann will er mir alle Kenntnisse eigen machen, um für's Orchester schreiben zu können. Ich komponiere sodann eine Ouvertüre für dasselbe, was abermals beiläufig zwei Monate in Anspruch nimmt. Hierauf arbeite ich ein Oratorium und zum Schluss noch eine Oper. Wenn diese beiden Werke gelingen, so bin ich fertig und brauche kein Studium mehr, und dann geht es einige Jahre nach Teutendorf, (um in Ruhe zu schaffen).“ Dieser Brief spiegelt auch ganz gut Flotows künstlerische Ästhetik: Die Musik ist zuallererst ein Handwerk. Man muss die Sprache lernen, diese seltsamen Hieroglyphen, die Noten heißen, dann die Regeln, die Formen – und wenn man dann noch einen zündenden Gedanken hat, kann eigentlich nichts schiefgehen. Im Grunde ist das: Musik als Dienstleistung, nicht anders als später die Meister der Operette und des Musicals sie verstanden. Ein Brief, den Flotows Vater schickte, bestätigt das: „Man hat bei (ihm) das Gefühl, dass er die eigentliche deutsche Musik kaum kennt. Mozarts Opern wird er natürlich gehört haben, Beethovens Sinfonien und Kammermusik vielleicht auch, aber von dem, was der Musiker 'kennen' nennt, kann bei ihm nicht die Rede sein. Er betrachtet sein Leben lang die Musik als eine Art Sport ... Er nimmt die Dinge nicht sehr ernsthaft.“

Was nicht heißt, dass Friedrich von Flotow faul gewesen wäre. Als am 27. Juli 1830 in Paris die sogenannte Julirevolution ausbricht, verlässt er ziemlich konsterniert „nach angestrengter Arbeit“, wie er schreibt, seine Wohnung und beobachtet „dichte Volksmassen, aus den Vorstädten kommend, wie sie sich durch die Straßen wälzen und Vive la charte! brüllen“. Er, der Adlige, betrachtet den Aufstand, der zum endgültigen Sturz des Bourbonengeschlechts in Frankreich führt und ein Stück weiter die Ziele der Revolution von 1789 verwirklicht, mit Furcht und Faszination. In einem weiteren Brief, diesmal wieder an den Schulfreund, schreibt er: „Kurz und gut, der Streich war gelungen, und Paris hatte schon in den nächsten Tagen eine so ruhige Physiognomie, als hätte es niemals eine Revolution gegeben, das Bürgerkönigtum hatte von der Macht Besitz genommen. Einige Tage nach dem Schlusstableau der Julirevolution erhielt ich ein Schreiben von meinem Vater, er bat mich dringend, auf einige Zeit nach Hause zu kommen. Dies lag auch ganz in meinem Wunsche.“ Und so reiste der 18-jährige Fritz Flotow wieder heimwärts – mit zwei Werken im Gepäck: der noch nicht ganz vollendeten ersten Oper „Pierre et Cathérine“ und einem seiner wenigen Nicht-Bühnenwerke, dem „Konzert für Pianoforte und Orchester Nr. 1 c-moll“, das seinem Klavierlehrer Johann Peter Pixis zugedacht war.

MUSIK: FLOTOW, KLAVIERKONZERT NR. 1, TRACK 1 (6:08)

Friedrich von Flotow, der Kopfsatz seines ersten Klavierkonzerts c-moll von 1830, ein Allegro risoluto/Animato, im Tonfall zwischen beethovenischem Ernst und Pariser Olalá-Unbekümmertheit changierend. Das Philharmonieorchester von Pilsen spielte, der Solist war Carl Petersson, den Stab schwang Hans Peter Wiesheu. Und ja, schon in diesem frühen Flotow-Werk hört man, dass der Komponist den Geschmack der Zeit verstanden hatte: Gedankenschwere nur so weit, wie deren Unterhaltungswert reicht. Gerade in seiner Unentschlossenheit, in seiner Liebedienerei ans Publikum, in seinem musikalischen Handwerker-Ethos ist Friedrich von Flotow eine faszinierende Figur „zwischen den Stühlen“, die ihre Zeit mitdefinieren hilft. Ihn einfach in Vergessenheit sinken zu lassen, wäre ein echter Verlust.

Als die Unruhen sich wieder gelegt hatten, ging Flotow zurück nach Paris: und diesmal für länger. Zuhause in Teutendorf und beim Onkel Gabillon in Güstrow hatte er Tonnen von Kammermusik verfasst, die aber weder gedruckt wurde noch erhalten ist; und das hat mit Paris zu tun. In diesem damaligen „Mekka der Musik“ wurden zum Beispiel Beethovens Symphonien nicht mehr aufgeführt; auch Kammermusik gab's nicht einmal in den Salons der Betuchten, sondern, wenn überhaupt, tatsächlich nur in der privaten Kammer, als Hausmusik. Populär waren damals in Paris eigentlich nur noch zwei Arten von Musik: die Oper, die Große oder die Kleine (also die komische), und Klavierhexereien, mit denen ein Chopin, ein Liszt, ein Thalberg und andere diese „Salons der Betuchten“ füllten. In diesem Kontext hatte Flotow einmal unverschämtes Glück. Am 31. März 1837 hielt die Prinzessin Christine de Belgioioso einen Wohltätigkeitsbasar ab für italienische Flüchtlinge. Und die gerissene Gastgeberin hatte es sich in den Kopf gesetzt, Franz Liszt mit seinem einzigen ernsthaften Pariser Rivalen zu versöhnen, dem etwas jüngeren Sigismund Thalberg: Sie bestellte zur Eröffnung eine gemeinsame Komposition mit Variationen aller gerade in Paris ansässiger Tastenlöwen. Dabei herauskam das Konzertstück „Hexameron“, auf dessen Titelblatt zu lesen steht: Grandes variations de bravoure pour piano sur la marche des Puritains de Bellini composée (...) par M. M. Liszt, Thalberg, Pixis, Henri Herz, Czerny et Chopin. Sechs Tasten- und Salonlöwen, daher „Hexameron“. Natürlich war Friedrich von Flotow zu diesem gesellschaftlichen Großereignis nicht geladen, obwohl sein Klavierlehrer Johann Peter Pixis eine Variation beigesteuert hatte; aber Anton Reicha war, und da Krankheit ihn verhinderte, gab er sein billet an Flotow weiter, der dem Abend dann – nach eigenem Bekunden - „tagelang entgegenfieberte“. Hören wir nun das Opernthema von Bellini, arrangiert von Liszt, dann die knappe Variation von Thalberg, eine längere wieder von Liszt, schließlich die eine von Pixis. Raymond Lewenthal spielt.

MUSIK: BELLINI/LISZT U. A., HEXAMERON, TRACKS 9 BIS 12 (6:04)

Das war ein Ausschnitt der musikalischen Rarität „Hexameron“, worin sechs der größten Klaviervirtuosen, die in den 1830er Jahren alle in Paris residierten, einen Marsch aus Vincenzo Bellinis Oper „I puritani“ variierten; Sie hörten Variationen von Liszt, Thalberg und zuletzt Pixis, dem Klavierlehrer von Friedrich von Flotow, der bei der Uraufführung anwesend war.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch eine völlig unbekannte Oper von dem Opernspezialisten Flotow vorstellen: „Rübezahl“. Ich tue das auch aus persönlichen Gründen. Mein Name Rübenacker war in der Schule mehr oder weniger derben Verballhornungen ausgesetzt; „Rübenschwein“ beziehungsweise „Rübensau“ gefiel mir (wie man sich denken kann) am wenigsten. Aber mit „Rübezahl“ konnte ich gut leben; immerhin: der „Beherrscher der Geister“!

MUSIK: FLOTOW, OUVERTÜRE „RÜBEZAHL“, FUNKBAND (5:25; ACHTUNG! BITTE AUF ZEIT FAHREN UND UNTER TEXT „KOMMEN“ LASSEN!)

MUSIKLAUFPLAN

1) FLOTOW, Alessandro Stradella; Hollweg, Donath, Chor u. Orchester d. Bayerischen Rundfunks, Wallberg; Gala 100.733 (KEIN LC!) 2) STRADELLA, Sinfonia; Capriccio Basel; Capriccio 71 091 (LC 08748) 3) FLOTOW, Klavierkonzert Nr. 1 c-moll; Petersson, Pilsener Philharmoniker, Wiesheu; Sterling CDS-1077-2 (LC 2103) 4) LISZT U. A., Hexameron; Raymond Lewenthal; RCA/BMG 09026 63310 2 (LC 00316) 5) FLOTOW, Ouvertüre „Rübezahl“; Großes Unterhaltungsorchester d. SWF, Emmerich Smola; Funkband GO-2753