Der Landesvater Die NS-Vergangenheit Franz-Josef Röders Von Erich Später

Im März 2013 veröffentlichte die saarlän- die Legalisierung des Alltagsterrors gegen dische Linkspartei die Studie des Historikers alle saarländischen NS-Gegner und der Be- Hans-Peter Klausch Braune Spuren im Saar- ginn systematischer Gewalt gegen die jüdische Landtag. Die NS-Vergangenheit saarländischer Minderheit. Als Mitglied der NSDAP und drei Abgeordneter. Klauschs Forschungen fanden ihrer Bereichsorganisationen hat sich Röder jedoch kaum öffentliche Resonanz. Der Lin- aktiv und ohne irgendwelchen Zwang für den ken-Fraktion schien die Sache eher peinlich. Es Nationalsozialismus und einge- wurde sogar darauf verzichtet, den Autor nach setzt. Saarbrücken einzuladen, was wohl ganz im Er trägt politisch auch Mitverantwortung Sinne des Linken-Übervaters Oskar Lafontai- für die Zerschlagung der saarländischen ne war. Der ging in seinem Vorwort nämlich Demokratie und der Organisationen der auf Distanz zu den Ergebnissen der Studie. saarländischen Arbeiterbewegung sowie des Ein besonderes Anliegen war ihm die Vertei- katholischen Widerstandes nach dem 13. digung des ehemaligen langjährigen Minister- Januar 1935. Für Lafontaines Beurteilung präsidenten Franz-Josef Röder. Röders spielt dieses Engagement jedoch keine Klausch hatte in diesem Fall noch einmal Rolle. Ohne Beleg spricht er den früheren Mi- meine Forschungen über Röders Nazi-Ver- nisterpräsidenten von jeder politischen Verant- gangenheit rekapituliert, die vor zehn Jahren wortung frei und bekennt, von der NSDAP- in den Saarbrücker Heften in dem Aufsatz Hein- Mitgliedschaft schon zu Röders Lebzeiten rich Schneider – ein deutscher Patriot publiziert gewußt zu haben. Warum er darüber nicht die worden waren.1 Zunächst nimmt Lafontaine saarländische Öffentlichkeit informierte und die »Gnade der späten Geburt« für sich und von Röder Aufklärung verlangte, bleibt sein andere in Anspruch. Dann entschuldigt er den Geheimnis. politischen Einsatz für die deutschen Radikal- Ich begegnete Franz-Josef Röder anfänglich mit faschisten: Misstrauen und zweifelte an seiner Versicherung, Aber keiner von uns Jungen konnte sich wirklich dass er sich in den Jahren der Naziherrschaft nichts sicher sein, ob er in einer anderen Zeit, unter ande- habe zu schulden kommen lassen. Als ich ihn dann ren gesellschaftlichen Umständen und mit einer an- näher kennen lernte, wurde mir klar, dass seine deren Erziehung nicht auch selber den Versuchungen NSDAP-Mitgliedschaft nicht auf innerer Über- des Naziregimes erlegen wäre. zeugung beruhen konnte. Schon seine Hinwendung Daraufhin kommt er zu seinem eigentlichen zu fremden Sprachen und zur romanischen Lite- Thema, der NSDAP-Mitgliedschaft Röders im ratur zeugt nicht gerade von einem arisch-germa- Jahr 1933. nischen Weltbild oder einem bornierten völkischen Röder war der NSDAP, dem NS-Lehrer- Nationalismus. bund und dem NS-Kraftfahrerkorps Neunkir- Also können deutsche Akademiker keine chen im Verlauf des Jahres 1933 beigetreten Nazis sein, so die Quintessenz von Lafon- und hatte sich am Kampf zur Errichtung der taines Nachdenken über Röder. Gerade in NS-Herrschaft an der Saar aktiv beteiligt, u. a. Röders Amtszeit werden hunderte ehemalige als Mitglied im Ordnerdienst der »Deutschen NSDAP-Kader, SS-Mitglieder aller Diensträn- Front«.2 In diesem sammelten sich ab 1934 ge und Schreibtischtäter aus Justiz und Ver- die Schlägertrupps der saarländischen SA waltung in die saarländische Politik, Verwal- und SS, die nach dem Verbot durch die Re- tung und Kultur integriert. Gleichzeitig wird gierungskommission des Völkerbundes im jede juristische und politische Aufklärung der Jahr 1932 in der Illegalität agieren mußten. NS-Herrschaft an der Saar systematisch ver- Die Zulassung des Ordnerdienstes bedeutete hindert. Diese Politik wird seit 1957 mit der

Zeitgeschichte 7 » politischen Ächtung der saarländischen Anti- in den Jahren 1941 bis 1945 das Leben Franz- faschisten verbunden, die durch die Mehrheit Josef Röders kaum berührt. der Bevölkerung als »Vaterlandsverräter« und Gegen Ende des Jahres 1979 erscheint dann »Separatisten« verunglimpft werden. als krönender Abschluß Röders Würdigung Keine der im Landtag vertretenen Parteien im Dillinger Queißer-Verlag, die vom stell- hat bis heute ein wirkliches Interesse daran vertretenden Chefredakteur der Saarbrücker gezeigt, die Reintegration der NS-Eliten Zeitung und Röder-Vertrauten Erich Voltmer im Saarland und die damit einhergehende verfaßte Biographie Franz-Josef Röder – ein Unterdrückung einer antifaschistischen Er- Leben für die Saar.4 Über die Konzeption seines innerungskultur nach 1955 im Sinne einer Buches schreibt Voltmer: historischen Selbstaufklärung zu erforschen [N]ach wenigen Minuten bereits war ich ent- und dafür die nötigen Mittel zur Verfügung schlossen, das Buch unter der Bedingung zu schrei- zu stellen. Statt dessen predigt man eine »saar- ben, daß mir die Familie Röder – vor allem Frau ländische Identität« und ruft dazu auf, die po- Magdalene Röder – und die Saarbrücker Staats- litische Eigenständigkeit des bankrotten Lan- kanzlei ihre Bereitschaft zusagten, notwendiges des zu verteidigen. Zu dieser Eigenständigkeit Material zur Verfügung zu stellen. Dies geschah gehört allerdings einmalig in der Bundesrepu- innerhalb kurzer Frist, so daß ich an erster Stelle blik Deutschland die öffentliche Würdigung Frau Röder, den Geschwistern des Verstorbenen von NS-Kriegsverbrechern wie in Völklingen und der Saarbrücker Staatskanzlei hier meinen und die ungebrochene Verehrung der Nazi- Dank sage für die sehr hilfreiche Unterstützung.5 Gründungsväter des deutschen Bundeslandes Die Unterstützung war gegenseitig. Das Saarland. Buch, das Ende November 1979 erschien, wurde ein saarländischer Bestseller und er- reichte innerhalb kürzester Zeit eine Auflage Ein Leben für die Saar von 5000 Exemplaren.6 Das Bild Röders als gütigem Landesvater mit untadliger politi- Am 26. Juni 1979 verstarb überraschend we- scher Vergangenheit wurde von Voltmer unter nige Tage vor seinem siebzigsten Geburtstag Mithilfe der saarländischen Regierungszen- der saarländische Ministerpräsident Franz-Jo- trale, der CDU Saar und der Familie Röder in sef Röder. Am Tag zuvor hatte er nach 20jäh- den schönsten Farben gemalt. Über die Jahre riger Amtszeit seinen Rücktritt erklärt. Der bis 1945 im von NS-Deutschland unterwor- von Teilen der saarländischen Bevölkerung als fenen Holland schreibt Voltmer im 4. Kapitel »Landesvater« verehrte CDU-Politiker wurde unter der Überschrift Die sieben niederländischen in den veröffentlichten Nachrufen und Trauer- Jahre: reden als »Pädagoge«, als »verdienter Politi- Für Franz-Josef Röder selbst und seine Frau ker«, als »Staatsmann« gefeiert. Magdalene gehörten die sieben Jahre der Lehrtätig- Die Saarbrücker Zeitung, die Röders Leben keit an der deutschen Schule in der niederländischen und Nachruhm über Wochen nach seinem Hauptstadt [sic] Den Haag zu ihren schönsten Tod viele Seiten widmete, schrieb über die Jahren überhaupt. Er wollte dieses sowohl für die Jahre 1932–45: Tätigkeit als Lehrer, als auch für die Beziehungen 1932: Nach dem Studium der Philologie an den zu deutschen und auch vielen holländischen Freun- Universitäten Freiburg, Innsbruck und Münster den und Bekannten verstanden wissen. Mitte 1937, Promotion zum Dr. Phil., anschließend Eintritt in damals noch nicht verheiratet, begann er an der den höheren Schuldienst, 1937 bis 1945: Röder ist deutschen Auslandsschule in Den Haag und blieb im Auslandsschuldienst tätig und ab 1940 zugleich auch während der Kriegsjahre bis zur Evakuierung Zweigstellenleiter des Deutschen Akademischen der Schule nach Niedersachsen im Jahre 1944 als Austauschdienstes in den Niederlanden.3 Lehrer tätig. Folgt man der Darstellung der Saarbrücker Magdalene Röder, von Voltmer befragt, be- Zeitung, so hat die Errichtung des NS-Systems stätigte, daß ihr sich zu keiner Stunde im Saarland, die deutsche Besatzungsherr- belastet fühlte wegen seiner Lehrtätigkeit schaft in den Niederlanden und die damit ver- an der genannten Schule.7 Auch ehemalige bundene Ermordung von über einhunderttau- Schüler treibt Voltmer auf, die Röders untad- send jüdischen Männern, Frauen und Kindern lige Gesinnung und seinen Widerstandsgeist gegen die NS-Ideologie bestätigen sollen:

8 Nach dem empörenden Überfall auf die neutralen Als Leiter des Deutschen Akademischen Austausch- Niederlande wuchsen die Gleichschaltungstenden- dienstes in Den Haag war er unter anderem für zen im Realgymnasium, das dann zur deutschen die ›weltanschauliche‹ Beurteilung holländischer Oberschule in Den Haag wurde. In der Aula stand Studenten zuständig, die als Nazi-Sympathi- bei ›Feierstunden‹ zu den sich häufenden nationalen santen einen Studienaufenthalt in Deutschland Anlässen eine Bronze-Büste Hitlers auf der Bühne, beantragten.10 über die Dr. Röders abfällige Bemerkungen nicht Röder begann als Lehrer am deutschen Re- zu überhören waren. Er setzte sich dann auch nicht algymnasium in Den Haag. Die deutschen vorn in die erste Reihe zum Lehrkörper, sondern Schulen in den Niederlanden wurden nach der hielt sich im Hintergrund. Dabei zeigte er einen Machtübernahme der NSDAP zunehmend belustigt-unverkennbar herablassenden Blick mit zu Multiplikatoren der nationalsozialistischen leicht zur Seite geneigtem Kopf und demonstrierte, Ideologie. In einem Erlaß über die Zuständig- was er von all dem verlogenen Pathos, der großen keit der Vermittlung von Lehrkräften ins Aus- Zeit, dem Wesen, an dem die Welt genesen sollte, land vom 24. Februar 1938 wird folgendes hielt. Haltung war es, was wir von ihm lernten.8 Verfahren festgelegt: Die saarländische Öffentlichkeit und Politik Nach dieser Vereinbarung fällt dem Reichserzie- glaubten diese Geschichten gerne. Der verstor- hungsministerium die ausschließliche Beurteilung bene Landesvater wurde und wird gewürdigt über die pädagogische Eignung der Bewerber zu, als deutscher Patriot, der die Saar heim nach während die Auslandsorganisation der NSDAP Deutschland gebracht hat. Röder repräsen- verantwortlich über die politische und weltanschau- tierte dabei ein Milieu, das nach der zweiten liche Eignung zu befinden hat. Die endgültige Beset- Volksabstimmung 1955 und dem Beitritt zur zung der einzelnen Stellen bleibt wie bisher der Zu- Bundesrepublik im Saarland die Schaltstellen ständigkeit des Auswärtigen Amtes vorbehalten.11 der Macht in Politik, Gesellschaft, Bürokratie Die Nazifizierung der deutschen Schulen und Massenmedien übernahm. hatte für die wenigen Schüler jüdischer Her- Daß Röder die saarländische Öffentlichkeit kunft den Ausschluß zur Folge. Noch 1933 be- und seine Wähler Jahrzehnte lang über seine trug die Zahl der jüdischen Schüler an Röders NS-Vergangenheit belogen und getäuscht hat, Den Haager Realgymnasium 35. Drei Jahre will bis heute kaum jemand verurteilen. Wie später zu Beginn des Schuljahres 1936/37 war anders kann man die Ignoranz gegenüber den die Schule »judenfrei«.12 Forschungsergebnissen zur NS-Vergangenheit Röder selbst wurde 1937 Mitglied der ille- einer großen Anzahl saarländischer Nach- galen Ortsgruppe der NSDAP in Den Haag. kriegspolitiker, die bereits 2003 in den Saar- Die holländische Regierung hatte bereits brücker Heften veröffentlicht wurden, inter- Mitte 1933 jede politische Betätigung von pretieren?9 Ich hatte Unterlagen im Berlin Ausländern untersagt. Dies hielt die Nazi- Document Center gefunden, die zweifelsfrei Aktivisten, auch Röder, nicht davon ab, sich belegten, daß Röder im Saarland sein Leben weiter im Sinne der NSDAP zu betätigen. und seine Karriere früh mit der NSDAP ver- Die Parteiorganisation wurde unter der Tarn- bunden hatte. In diesem Aufsatz heißt es über bezeichnung »Reichsdeutsche Gemeinschaft« Röder: organisatorisch weitergeführt und dem Leiter Nachdem der Ministerpräsident Hubert Ney – der NSDAP-Auslandsorganisation in Berlin er war führender Funktionär der Deutschen Front unterstellt.13 – am 25. März 1957 zurücktrat, wurde Egon Reinert zu seinem Nachfolger gewählt. Sein Mit- gliedsdokument verzeichnet den 1. Juni 1933 als Die deutsche Besatzungsherrschaft Beitrittsdatum zur NSDAP. Nachfolger Reinerts als Ministerpräsident wurde Franz-Josef Röder, Der deutsche Überfall auf die neutralen Nie- Mitglied der NSDAP seit 1. August 1933, wenig derlande am 10. Mai 1940 war der Beginn der später aus dem Philologenverein aus – und am 1. fünfjährigen deutschen Besatzungsherrschaft. Februar 1934 dem NS-Lehrerbund beigetreten. Ob das Land in das »Großgermanische Reich« Röder war Angehöriger des Nationalsozialistischen Adolf Hitlers eingegliedert werden oder als Kraftfahrerkorps NSKK Sturm 21/7 Saar. Er ein selbständiges NS-Holland an der Seite wechselte 1937 nach Den Haag, wo er Mitglied der Deutschlands weiter bestehen sollte, war im illegalen NSDAP-Organisation in Holland wurde. Verlauf des Krieges Gegenstand heftiger Dis-

Zeitgeschichte » 9 kussionen unter den verschiedenen Instanzen des Jahres 1945 wurden insgesamt 10 Pro- der deutschen Behörden. Die 8,8 Millionen zent des Landes, eine Fläche etwas größer als Einwohner waren einem brutalen Regime der das Saarland, von den deutschen Besatzungs- deutschen Polizei und SS unterworfen. Dabei behörden überflutet, um alliierte Landungen gerieten auch etwa 15 000 jüdische Männer, zu verhindern. Hunderttausende Menschen Frauen und Kinder, die zuvor aus Deutschland mußten evakuiert werden, die aufgrund der geflüchtet waren, erneut ins Fadenkreuz des unterbrochenen Transportverbindungen und NS-Staates. schwindender Lebensmittelvorräte nicht mehr Anfang 1944 befanden sich 120–130 000 ausreichend ernährt werden konnten. Die aus Angehörige von Wehrmacht, SS und Polizei diesem Grund ausbrechende Hungersnot mit in den Niederlanden. Das Land wurde syste- ihren ca. 18 000 Toten ist in Holland bis heute unvergessen.14 Historisch beispiellos war das systematische Mordprogramm an der jüdischen Zivilbevöl- kerung der Niederlan- de. Die Entrechtung, Ausplünderung und Konzentration der jü- dischen Bevölkerung in Ghettos begann unmit- telbar nach der Beset- zung des Landes.15 Der Widerstand der hollän- dischen Bevölkerung gegen die Entrechtung der Juden kulminierte in Amsterdam im Fe- bruar 1941 in einem Generalstreik, der von den Deutschen und ihren holländischen Kollaborateuren blu- tig niedergeschlagen wurde. Die Streikenden wurden im Lager We- sterbork konzentriert und von dort aus ab Juni 1942 in die Ver- nichtungslager depor- tiert. Aus Den Haag, wo die Familie Röder lebte, wurden allein in den Jahren 1942 und 1943 14 000 Menschen verschleppt. Röder hat matisch ausgeplündert und gegen Ende des darüber nie ein Wort verloren. Von den ins- Krieges großflächig ausgeraubt und zerstört. gesamt 60 026 Menschen, die nach Auschwitz Bis zum September 1944, als die Kanäle zu- gebracht wurden, überlebten 1052. Nach froren, waren per Schiff 165 000 und per Sobibor in Ostpolen wurden 34 313 depor- Schiene 230 000 Tonnen Produktionsmittel tiert. Von diesen überlebten 19 aufgrund des nach Deutschland gebracht worden. Allein im erfolgreichen Häftlingsaufstandes am 14. Ok- Spätherbst 1944 und in den ersten Monaten tober 1943. Insgesamt wurden über 107 000

10 Menschen nach Auschwitz und Sobibor, nach beteiligt. Wimmer hatte sich seine Meriten Theresienstadt und Mauthausen deportiert, in der österreichischen NSDAP verdient. von denen 5200 überlebten. In den deutschen Beim Anschluß des Landes an Deutschland Konzentrati­ons- und Vernichtungslagern im März 1938 spielte er eine führende Rolle wurden ins­gesamt ca. 105–110 000 niederlän­ bei der und Etablierung der dische Bürger ermordet. Nazi-Herrschaft. Wimmer verfocht während Franz-Josef Röder betätigte sich mit dem seiner Tätigkeit in Holland die politische Stra- Beginn der deutschen Okkupation als Mit- tegie einer »Selbstnazifizierung« der nieder- arbeiter des Deutschen-Akademischen Aus- ländischen Gesellschaft, die selbstverständlich tauschdienstes (DAAD). Als 26jähriger arbei- auch den Erziehungs- und Ausbildungsbereich tete er als Gutachter für die 1935 in Den Haag umfassen sollte.16 gegründete Zweigstelle der Organisation. Der DAAD war dem Au- ßenpolitischen Amt der NSDAP unterstellt. Dessen Leiter war der frühe Hitler-Gefolgs- mann Alfred Rosen- berg, der 1946 als Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg hinge- richtet wurde. Der DAAD wurde 1941 in das »Deutsche Studien- werk für Ausländer« integriert, das von den radikalen Nazis der NS-Studentenführung gesteuert wurde. Gelei- tetet wurde der Dach- verband, in dem alle deutschen Stipendien- programme integriert waren, von dem SS-Of- fizier Werner Braune, der 1941 als Kom- mandeur des Sonder- kommandos 11b der Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion für die Ermordung zehntausender Men- schen verantwortlich war und dafür von den Amerikanern in Nürn- berg zum Tode ver- urteilt und 1951 hingerichtet wurde. »Rapport van J. Röder, leider van de Deutscher Zuständig für die niederländischen Hoch- Akademischer Austauschdienst in Den Haag, schulen und Universitäten war der SS-Offizier betreffende de aan Duitse universiteiten studerende Nederlanders, 1943«, Instituut voor und Generalkommissar für Verwaltung und Oorlogs-, Holocaust- en Genocidestudies: 020/469 Justiz Friedrich Wimmer. In dieser Funktion war er auch federführend an der Entrechtung und Ausplünderung der holländischen Juden

Zeitgeschichte » 11 Die Niederlande stellen für die germanische Po- sich dem breiten Widerstand gegen die Be- litik einen Aktivposten dar, genau wie […] Belgien satzer nicht anschließen wollten und bereit (Flandern). […] Wir brauchen jeden niederlän- waren, an Hitlers Universitäten zu studieren, dischen Studenten, gleich ob er pro oder anti ist. mit Sympathie.19 Gemäß dem Programm Wenn er fertig ist und unser Brot ißt, wird er von der »Selbstnazifizierung« setzt er geschickt selbst ohne Nötigung zu uns herübergezogen.17 auf Freiwilligkeit und die Anziehungskraft Diese Strategie scheiterte angesichts des er- der »nunmehr führenden Macht des Kon- bitterten Widerstandes der niederländischen tinents«. Bemerkenswert ist die hohe Zahl der Hochschulen, ihrer Professoren und Studenten von Röder betreuten Kollaborateure und seine gegen die Zerschlagung ihrer inneren Auto- Bereitschaft, sie zu »beobachten«. Wie dieser nomie und akademischen Freiheit. Besonders Aufwand mit einer angeblich »ehrenamtlichen verhaßt waren die antijüdischen Verordnungen Tätigkeit« und der offiziellen Lehrertätigkeit der Besatzungsmacht, die die Universitäten an der Deutschen Oberschule (so der Name zwingen sollten, ihre jüdischen Studenten und des ehemaligen Realgymnasiums seit 1939) Mitarbeiter zu entlassen. Allein an der tradi- in Den Haag zu vereinbaren war, wissen wir tionsreichen Leidener Universität wurden im nicht. Kein Verständnis hat Röder hingegen Zeitraum von Oktober 1940 bis August 1944 für die sich den Nazis verweigernden hollän- 40 Hochschullehrer verhaftet und teilweise in dischen Studenten, die für ihn die »Unruhe- deutsche und niederländische Konzentrations- stifter an den Universitäten« sind. Mit ihnen und Internierungslager eingeliefert. wurde brutal verfahren: Bis Anfang Novem- Auch das Vorgehen gegen die 14 600 Stu- ber 1943 wurden nach deutschen Angaben denten an den sechs Universitäten und vier 2919 holländische Studenten nach Deutsch- Fachhochschulen des Landes verschärfte sich land deportiert. Die meisten von ihnen nach im Verlauf der deutschen Besatzungsherr- Berlin, wo sie in Rüstungsbetrieben Zwangs- schaft. Im April 1943 verlangten die Nazis von arbeit verrichteten mußten. Etliche Hundert den holländischen Studenten, eine Loyalitäts- kamen in den Wolfenbütteler »Hermann-Gö- erklärung für das Deutsche Reich zu unter- ring-Werken« sowie im nahe gelegenen Volks- schreiben. Im Falle der Verweigerung drohten wagenwerk zum »Arbeitseinsatz«. Mehr als die Deportation nach Deutschland und der 140 von ihnen starben aufgrund der brutalen Einsatz zur Zwangsarbeit. Trotz der immen- Lebensumstände oder nach ihrer Einlieferung sen Einschüchterung und Bedrohung unter- in ein Konzentrationslager.20 schrieben nur 14 Prozent der niederländischen Studenten diese Erklärung. Tausende tauchten ab in die Illegalität, und das Scheitern der Ak- Röder als Propagandist tion bedeutete das Ende der universitären Aus- bildung in den besetzten Niederlanden. 1942, da ist Röder schon 33 Jahre alt, erschien Wimmer umriß die immensen Probleme im deutschen Diesterweg-Verlag der Sammel- der deutschen Besatzung im Hochschul- band Das Niederlandbuch.21 Das Werk, für das bereich in einem Memorandum für den Chef auch Röder einen Aufsatz beisteuerte, diente der deutschen Besatzungsverwaltung Arthur der deutschen Propaganda und versammelte Seyß-Inquart. In Zukunft sollten hollän- als Autoren einen Querschnitt hoher Chargen dische Studenten nur noch an Universitäten der deutschen Besatzungsmacht, NS-Wirt- im Deutschen Reich studieren können. Dies schafts- und Kulturfunktionäre, die zusam- würde eine künftige deutschfreundliche Elite men mit holländischen Kollaborateuren ihre schaffen, die die intellektuelle Basis für eine Beiträge über die Vergangenheit und Zukunft Eingliederung Hollands in das »Großdeutsche Hollands, speziell über Wirtschaft, National- Reich« bilden würde. Mitbeteiligt an dem sozialismus und Juden publizierten. Das Vor- zentralen Memorandum für die Spitze der wort schrieb Arthur Seyß-Inquart, der 1946 in deutschen Zivilverwaltung war Franz-Josef Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher gehenkt Röder, der in Den Haag zuständig war für das wurde. Er betont in seinem Text, daß man den Studium holländischer Studenten im Deut- Niederländern von deutscher Seite stets mit schen Reich.18 In einem Brief an seinen Chef, Liebe und Verständnis entgegentreten sei. Das SS-Offizier Wimmer, schreibt Röder über die Buch erhielt damit eine zentrale Bedeutung kollaborierenden holländischen Studenten, die

12 für die ideologische Verbrämung der deut- Niederländer und tausender jüdischer Flücht- schen Besatzungs- und Vernichtungspolitik. linge aus Deutschland in die Massenvernich- Als eigentlicher Herausgeber fungierte tungslager Auschwitz und Sobibor. Auch dies Walter Söchting, der Leiter der deutschen findet seine propagandistische Unterstützung Oberschule in Den Haag, und damit Röders im Niederlandbuch. Der Münchner Philoso- unmittelbarer Vorgesetzter. Söchting schreibt phieprofessor Hans Alfred Grunsky schreibt kritisch über das Deutschlandbild der Nieder- darin über den jüdischen Philosophen Baruch länder vor dem Mai 1940: »Bis zum Mai 1940 Spinoza im Ton des antisemitischen Hetzblatts war das Deutschlandbild hier von Emigranten Der Stürmer. Grunsky verkündet, daß es sich bestimmt. Die öffentliche Meinung war völlig bei Baruch Spinoza um keinen Philosophen, irregeleitet und stand dem Nationalsozialis- sondern um einen Schwindler gehandelt habe, mus ohne Verständnis gegenüber.«22 Söchting der sich als »gerissener Bankjude« betätigt ist stolz darauf, daß die höchsten deutschen hätte. Spinoza zeichnete sich durch nichts an- SS- und NS-Funktionäre der Niederlande das deres als »durch die Gewandtheit aus, sich die Buch unterstützt haben. Gedanken großer germanischer Philosophen Für Rat und Förderung bin ich Herrn Reichs- anzueignen.«26 Mit den Juden beschäftigt sich minister Dr. A. Seyß-Inquart, Reichskommissar zudem der holländische Kollaborateur und für die besetzten niederländischen Gebiete, Haupt- Propagandist der »Endlösung« Dr. P. Molen- dienstleiter Fritz Schmidt-Münster, Leiter des Ar- broek. Sein Beitrag wurde vom Herausgeber beitsbereichs der NSDAP in den Niederlanden, Be- Söchting ins Deutsche übersetzt und ist nichts Sommer und für seinen Beitrag Herrn anderes als die Aufforderung zum Massen- Generalkommissar Dr. Fischböck zu besonderem mord: Dank verpflichtet.23 Aber der gesunde und völkisch fühlende Teil Josef Röder (der Franz kommt nach 1945 unseres Volkes hat stets den Juden seine Abkehr ge- hinzu) schreibt im Teil Die Niederlande und das zeigt. […] Seitdem sich die Nationalsozialisten frei Reich einen Aufsatz mit dem Titel Marnix von in den Niederlanden entfalten können, wächst auch St. Aldegonde vor dem Reichstag zu Worms 1578. der Antisemitismus im Lande. Es zeigt sich, wie Ein Hilferuf der Niederlande an das Reich.24 Der groß die Zahl der Judengegner in Holland gewesen Text war bereits vorher im zentralen Nazi- ist. […] In Amsterdam versuchten die Juden sogar, Blatt Deutsche Zeitung in den Niederlanden ver- einen Aufstand der niederländischen Bevölkerung öffentlicht worden. Die Publikation war für und einen Streik zu entfesseln, bei dessen schneller deutsche und holländische Nazimitglieder Niederwerfung auch niederländische Opfer zu und die Angehörigen der Besatzungsmacht beklagen waren. Als Antwort und Warnung hat bestimmt. Sie erreichte zeitweise eine Auflage der Reichskommissar am 12. März 1941 in Am- von 50 000 Exemplaren. Röder betreibt in sei- sterdam erklärt, daß sein Wort bestehen bleibt: nem Aufsatz die Historie als nationalistische ›Die Juden werden von uns nicht als Bestandteil Propaganda: Laut ihm gehörten die Nieder- des niederländischen Volkes angesehen. Die Juden lande schon 1578 zum »Reich«, und nur durch sind für den Nationalsozialismus und das natio- eine schlechte Politik wurden sie Deutschland nalsozialistische Reich der Feind. Die Juden sind entfremdet. Dies dürfe sich in der Gegenwart für uns keine Niederländer.‹27 nicht wiederholen. Er schließt mit dem Hin- Dieses Buch bildete die propagandistische weis auf die geschichtlich entscheidende Stun- Begleitmusik für die deutsche Ausbeutungs- de: und Vernichtungspolitik in den besetzten Nie- Heute ist das Reich so stark wie es noch niemals derlanden in den Jahren 1940–45. Röder war in seiner Geschichte gewesen ist. Als die führende dafür als deutscher Besatzungsfunktionär und Macht in Europa wird es diesem Erdteil eine neue langjähriger Aktivist der NSDAP politisch politische und wirtschaftliche Form geben. Heute mitverantwortlich. Nach dem Krieg hat er die liegt es an den Niederlanden, sich in diese Neuord- saarländische Bevölkerung über diese Tätig- nung mit einzubauen und, wie der Reichskommissar keit mit Hilfe seiner publizistischen Hilfstrup- es kürzlich ausdrückte, die dargereichte Freundes- pen jahrzehntelang belogen und sich aktiv an hand anzunehmen.25 der Ausgrenzung und Diffamierung der saar- Dies gilt selbstverständlich nicht für die hol- ländischen Widerstandskämpfer gegen Hitler ländischen Juden. Mitte 1942, als das Buch er- beteiligt. Er trägt als hoher CDU-Funktionär scheint, beginnt die Deportation der jüdischen und langjähriger Ministerpräsident eine große

Zeitgeschichte » 13 politische Mitverantwortung für die politische 23 Ebd., S. XV. und moralische Rehabilitierung von hoch- 24 Josef Röder, Marnix von St. Alegonde vor dem rangigen Mitgliedern der saarländischen Nazi- Reichstag zu Worms 1578. Ein Hilferuf der Nieder- Funktions- und Vernichtungselite. Franz-Josef lande an das Reich, in: Das Niederlandbuch, S. 145 f. Röder war kein Ehrenmann und verdient des- 25 Ebd., S. 149. wegen auch keine öffentliche Ehrung. 26 Hans Allfred Grutzky, Spinoza, in: Das Nieder- landbuch, S. 228. 27 P. Molenbroek, Die Juden in den Niederlanden, in: Das Niederlandbuch, S. 56.

Anmerkungen 1 Erich Später, Das Wort des Führers ist unser Befehl. Heinrich Schneider, ein deutscher Patriot, in: Saar- brücker Hefte Nr. 89, Frühjahr 2003, S. 95–103. 2 Gerhard Paul, Die NSDAP des Saargebietes, Saar- brücken: SDV 1987, S. 122. 3 Saarbrücker Zeitung vom 27. 6. 1979, S. 2. 4 Erich Voltmer, Franz-Josef Röder. Ein Leben für die Saar, Dillingen: Queisser 1979. 5 Ebd., Einleitung. 6 Ich habe damals als Buchhändlerlehrling bei Queißer in Dillingen gearbeitet und diese Aus- kunft von dem Verleger selbst erhalten. 7 Erich Voltmer, Franz-Josef Röder, S. 69. 8 Ebd., S. 78. 9 Erich Später, Das Wort des Führers ist unser Befehl. 10 Ebd., S. 102 f. 11 Katja Happe, Deutsche in den Niederlanden, Univ. Diss., Siegen 2004, S. 149, http://www.ub.uni- siegen.de/pub/diss/fb1/2004/happe/happe.pdf; Zahlenangabe Den Haag Schuljahr 1933/44, S. 167. 12 Ebd., S. 155. 13 Ebd., S. 90. 14 Dokumentenedition Europa unterm Hakenkreuz, Bd. 4: Die faschistische Okkupationspolitik in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden, Berlin: Deut- scher Verlag der Wissenschaften 1990, S. 77. 15 Enzyklopädie des Holocaust, Bd. 2, Stichwort Nie- derlande, München: Piper 1995. 16 Gerhard Hirschfeld, Die Universität Leiden unter dem Nationalsozialismus, in: Geschichte und Gesell- schaft. Zeitschrift für historische Sozialwissenschaft 23, 1997, S. 563. 17 Ebd., S. 563 ff. 18 Siehe Dokument Röder. 19 Ebd. 20 Gerhard Hirschfeld, Die Universität Leiden unter dem Nationalsozialismus, S. 579. 21 Walter Söchting, Das Niederlandbuch. Sammlung deutscher und niederländischer Arbeiten, hrsg. von Walter Söchting, Frankfurt am Main: Diesterweg 1942. 22 Walter Söchting, Einleitung, ebd., S. XIV.

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