A. Die Anfanglichen Grundsatzerklärungen Des Reichskommissars Und Die Niederländischen Generalsekretäre
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III. POLITIK, ORGANISATION UND TATSÄCHLICHE MACHTSTRUKTUR DER DEUTSCHEN ZIVILVERWALTUNG A. Die anfanglichen Grundsatzerklärungen des Reichskommissars und die niederländischen Generalsekretäre „Das deutsche Volk ficht unter seinem Führer den Entscheidungskampf um Sein oder Nichtsein aus, den ihm der Flaß und Neid seiner Feinde aufgezwungen hat. Dieser Kampf gebietet dem deutschen Volk, alle seine Kräfte einzusetzen und gibt ihm das Recht, alle ihm erreichbaren Kräfte heranzuholen. Dieses Gebot und Recht der Not wird auch auf die Lebensführung des niederländischen Volkes und seiner Wirtschaft einwirken. Ich werde aber darum besorgt sein, daß das dem deutschen Volk blutsnahe niederländische Volk nicht in ungünstigere Lebensbedingungen ver- fällt, als es die gegebene Schicksalsgemeinschaft und der Vernichtungswille unserer Feinde in dieser Zeit nötig machen", so hatte Seyss-Inquart am 25. Mai 1940 in seinem „Aufruf an die niederländische Bevölkerung" erklärt1. In ähnlicher Weise äußerte er sich am 29. Mai 1940 in Den Haag, nachdem ihm der Militärbefehlshaber General von Falkenhausen die Regierungsgewalt in den besetzten niederländischen Gebieten übertragen hatte: „Wir kommen nicht hierher, um ein Volkstum zu be- drängen und zu zerstören und um einem Land die Freiheit zu nehmen . Wir wol- len dieses Land und seine Leute weder imperialistisch bedrängen, noch ihnen unsere politische Überzeugung aufdrängen"3. Die niederländischen Soldaten, so führte Seyss-Inquart bei dieser Gelegenheit weiter aus, hätten sich in dem Kampf, der den Deutschen von den Westmächten aufgezwungen worden sei, tapfer und ehrenvoll geschlagen. Die Deutschen wären lieber mit grüßender Hand als mit den „Waffen in den Fäusten" in dieses Land gekommen. Dank der „Großmut" des Führers und der Kraft der deutschen Wehrmacht sei die Ordnung und die Ruhe wiederherge- stellt worden und die Deutschen würden sich in die inneren Verhältnisse des Landes einschalten, soweit es „besondere Umstände des Augenblicks" erfordern. Da sich auch die Revölkerung gegenüber der kämpfenden Truppe „ordentlich" verhalten habe, gäbe es nichts, „was uns daran hindern könnte, uns gegenseitig mit Achtung zu begegnen". Gleichwohl war aus Seyss-Inquarts Worten das rassisch-ideologische Sendungsbewußtsein deutlich herauszuhören. „WirDeutsche aber", so rief er seinen Zuhörern zu, „die wir heute mit einem durch die Erkenntnis für die blutgebundenen und vom Blut bestimmten Werte eines Volkes geschärften Blick durch dieses Land gehen, freuen uns über die niederländischen Menschen . Wir fühlen uns heute immer und unter allen Umständen verantwortlich für das gute Blut; denn Blut ver- pflichtet auch über äußere Tatsachen und mangelnde Erkenntnis hinaus". Fast schien es, als ob das „Versprechen", das Seyss-Inquart in seiner Antrittsrede 1 VOBL. Niederlande 1940, S. 6. 2 A. Seyss-Inquart, Vier Jahre in den Niederlanden. Gesammelte Reden. Amsterdam 1944, S. 9 und 10. 70 III. Struktur der deutschen, Zivilverwaltung den: „blutsnahen" Niederländern gegeben hatte, eingehalten werden würde, denn in den ersten Junitagen trat seine Zivilverwaltung kaum in Erscheinung. Diese Zurückhaltung entsprang nicht allein dem anfänglichen politischen Konzept des Reichskommissars, sie ergab sich zwangsläufig auch aus dem Umstand, daß nach der Auflösung der Militärverwaltung die Zivilverwaltung erst emmal aufgebaut werden mußte. Nach dem Willen Hitlers hielt sich Seyss-Inquart beim Aufbau seiner Zivilver- waltung an das Prinzip der Führungs- und Aufsichtsverwaltung. „Der Führungs- staat beschränkt sich darauf", so charakterisierte der SD-Verwaltungsfachmann Werner Best den Charakter dieser Verwaltungsform3, „bei den übrigen Großraum- Staaten eine Aufsichtsverwaltung einzusetzen, die zahlenmäßig möglichst klein zu halten ist. Sie hat die Aufgabe, die gesamte Staatsverwaltung dieses Staates in ge- eigneter Weise zu überwachen und die Durchführung der Verwaltungsmaßnahmen zu kontrollieren. Dabei werden gewisse oberste Verwaltungsmaßnahmen, insbeson- dere auch die Rechtsetzung auf bestimmten Gebieten allein der Aufsichtsverwaltung vorbehalten sein. Im übrigen wird die Staatsverwaltung unverändert durch den Verwaltungsapparat des geführten Staates durchgeführt." Da Seyss-Inquart die niederländischen Verwaltungsorgane nur „überwachen" und „lenken" sollte, bediente er sich für die Ausübung der routinemäßigen Ver- waltung der niederländischen Behörden. Bereits im Jahre 1937 hatte der niederländische Alinisterrat im Hinblick auf die Möglichkeit einer Besetzung des Landes vertrauliche „Anweisungen" ausgearbeitet und als Verschlußsache den Behörden übersandt. In diesen Instruktionen, die un- mittelbar nach der deutschen Besetzung eröffnet wurden, hieß es, die Behörden sollten „im Interesse der Bevölkerung danach streben, daß die Verwaltung auch unter veränderten Umständen ihre Aufgabe so gut wie möglich erfüllen kann"4. 3 W. Best, Die deutschen Aufsichtsverwaltungen. [Nur für den Dienstgebrauch.] 1941. RvO, Amsterdam. Neben der „Aufsichtsverwaltung" unterscheidet Best: a) die Bündnisverwaltung: „Die am meisten aufgelockerte Verwaltungsform. Der ,Füh- rungsstaat' entsendet einen Gesandten in besonderer Mission zu der autonomen Regierung des verbündeten Großraumstaates. Dieser Gesandte hat sich irgendwelchen Aufsichts- oder unmittelbaren Verwaltungsmaßnahmen zu enthalten" (Dänemark, Slowakei, Ungarn ab 1944). b) die Regierungsverwaltung: „Die gesamte Führung und Lenkung erfolgt durch den Füh- rungsstaat, der demgemäß eine eigene Regierung in diesem Land einsetzen muß. Dem Lande selbst bleiben zur Durchführung, unter ständiger Kontrolle und Aufsicht lediglich bestimmte Selbstverwaltungsaufgaben in der unteren Verwaltungsstufe (Generalgouver- nement)." c) die Kolonialverwaltung: „Hier handelt es sich um eine Stufe, die vom Führungsstaat die Abstellung der meisten Kräfte verlangt, weil die gesamte Verwaltung, einschließlich der untersten Stufe, allein durch Angehörige des Führungsvolkes zu erledigen ist. Solche Kolonialverwaltungen werden nicht nur in tropischen Bezirken entstehen, sondern bei- spielsweise auch in den besetzten Ostgebieten der Sowjetunion." 4 Zitiert nach L. de Jong, De Bezetting I, a.a.O., S. 69. A. Deutsche Grundsatzerklärungen und niederländische Generalsekretäre 71 Dementsprechend hatte die niederländische Regierung, bevor sie das Land verließ, die Generalsekretäre beauftragt, im „Interesse des Staates" auf ihren Posten zu bleiben8 und mit den deutschen Besatzungsbehörden zusammenzuarbeiten. Das Kollegium der Generalsekretäre hatte seine Weisungen von General Winkelman er- halten, in dessen Händen auf Grund des Staatsnotrechtes8 vom 13. bis 29. Mai 1940 die höchste Gewalt in dem besetzten niederländischen Gebiet lag. Wie bereits erwähnt, hatten sich die Generalsekretäre aber nach dem Einmarsch der deutschen Truppen auch bereit erklärt, mit den Militärbehörden „loyal" zu- sammenzuarbeiten, sofern die ihnen von den Deutschen erteilten Weisungen „nicht ausgesprochen gegen niederländische Interessen" verstoßen würden7. Für den Fall, daß Winkelman seine Funktion niederlegen oder durch die Besatzungsmacht seines Postens enthoben würde, waren die Generalsekretäre gleichwohl entschlossen, auf ihren Posten zu bleiben und unter diesen Umständen geneigt, eine Art „Beamten- kabinett" im Benehmen mit den deutschen Behörden zu bilden. Die Kooperation der Generalsekretäre, auf die der Beichskommissar angewiesen war, um seinen von Flitler erteilten Auftrag zu erfüllen, war jedoch ausdrücklich von der Be- dingung abhängig gemacht worden, daß die deutschen Besatzungsbehörden keine nationalsozialistische Regierung einsetzen würden8. Auf dieser Basis mußte Seyss- Inquart, dem kein großer deutscher Verwaltungsstab zur Verfügung stand, zu- nächst die Zusammenarbeit mit den niederländischen Behörden zu erreichen suchen, obwohl seine Ernennung tatsächlich eine politische Verwaltungsführung bedeutete und insofern keine Kontinuität der bisherigen Militärverwaltung bestand. Am 28. Mai 1940 erhielten die Generalsekretäre die Einladung9, an der feierlichen Übergabe der obersten Regierungsgewalt in Den Haag teilzunehmen. Nach einer Rücksprache mit General Winkelman, der sich seiner „aussichtslosen Lage" bewußt war10, erklärten sich die Generalsekretäre bereit, am 29. Mai im Rittersaal zu er- scheinen. Allerdings, so ließen sie den Reichskommissar wissen, würden sie den Saal „ostentativ" verlassen, falls er das Verhalten der Königin kritisieren oder den Vor- wurf erheben würde, die Niederländer hätten mit England und Frankreich zu- sammengearbeitet11. „Mit Rücksicht auf den Ernst der Lage in ihrem Vaterlande"12 wünschten sie jedoch dem vorgesehenen „gemeinsamen Essen" fernzubleiben. Seyss-Inquart ließ erwidern, „daß er keinen Anlaß sehe, auf die Frage des Neutrali- 5 Aussage Hirschfeld, IMT XVI, S. 232. 6 Vgl. Enquetecommissie II A, S. 142 und S. 111-120. 7 ADAP D IX, Nr. 294, S. 329. Aufzeichnung Benzlers v. 21. 5. 1940. 8 Ebd., ,,. Der Generalsekretär machte jedoch einen Vorbehalt, nämlich den, daß das Kollegium sich. nicht den Weisungen einer etwa von deutscher Seite oder unter deutschem Schutz gebildeten NS-Regierung (Mussert-Partei) fügen werde." 9 Aussage Hirschfeld, Enquetecommissie IIG, S. 370. General Winkelman war nicht ein- geladen worden. 10 Aussage Winkelman, Enquetecommissie HC, S. 106. 11 Vgl. S. 27 f. dieser Arbeit. 13 Zitiert nach dem Bericht Generals v. Falkenhausen über die Besprechungen mit Seyss- Inquart vom 28. 5. 1940. RvO, Amsterdam. 72 III. Struktur der deutschen Zivilverwaltung tätsbruches noch einmal einzugehen und daß