Die Literarisierung Und Rezeption Des Nationalsozialismus Als Traumabewältigung Deutscher Autoren in Prosatexten Von Böll Bis Grass

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Die Literarisierung Und Rezeption Des Nationalsozialismus Als Traumabewältigung Deutscher Autoren in Prosatexten Von Böll Bis Grass View metadata, citation and similar papers at core.ac.uk brought to you by CORE provided by Eldorado - Ressourcen aus und für Lehre, Studium und Forschung „Nie hört das auf“: Die Literarisierung und Rezeption des Nationalsozialismus als Traumabewältigung deutscher Autoren in Prosatexten von Böll bis Grass Inauguraldissertation zur Erlangung eines Doktorgrades der Philosophie an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität Dortmund vorgelegt im Juli 2011 von Florian Schröder, geb. am 25.06.1980 in Bonn Erstgutachter: Herr Prof. Dr. Hartmut Riemenschneider Zweitgutachter: Herr Prof. Dr. Peter Conrady 2 Inhaltsverzeichnis Seite 1. Vorüberlegungen 1.1 Themenaufriss 3 1.2 Vision einer kultur-synoptischen Didaktik 9 1.3 Arbeitsaufbau und Werkauswahl 14 1.4 Zielsetzung 19 2. Nationalsozialismus als Staatsideologie: Ein Entwicklungsabriss 21 2.1 Soziopolitische Bedingungsanalyse vor der Machtübernahme 23 2.2 Von der Machtübernahme zum Zweiten Weltkrieg 32 2.3 Holocaust und Genozid 42 2.4 Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart 61 2.5 Trauma als Zwischenbilanz 84 3. Literatur und Aufarbeitung 91 3.1 Literaturhistorische Entwicklungen 98 3.2 Werkbeispiele 117 3.2.1 Heinrich Böll - Kreuz ohne Liebe 118 3.2.2 Gert Ledig - Vergeltung 143 3.2.3 Hans Peter Richter - Damals war es Friedrich 159 3.2.4 Gert Hofmann - Veilchenfeld 170 3.2.5 Bernhard Schlink - Der Vorleser 184 3.2.6 Günter Grass - Im Krebsgang 191 3.2.7 Exkurs: Literaturdidaktische Überlegungen zum Krebsgang 207 4. Ausblick 223 5. Literatur- & Quellenverzeichnis 228 3 1. Vorüberlegungen: 1.1 Themenaufriss In der deutschen Geschichte stellt das 20. Jahrhundert ohne Frage eines der ereignis- und folgenreichsten dar. Begonnen in der Endphase des Kaiserreiches hat sich die deutsche Gesellschaft ab der Jahrhundertwende über zwei Weltkriege, deren Konsequenzen faktisch noch bis zur deutschen Wiedervereinigung 1989 evident spürbar blieben, zum wieder geachteten Mitglied der Weltgesellschaft entwickelt. Im Zuge allumfassender Globalisierung wurden und werden dabei immer weiter geographische, politische, wirtschaftliche und vor allem geistige Grenzen abgebaut. Die sichtbaren Folgen für unseren Lebensalltag zu Beginn des 21. Jahrhunderts finden sich vor allem in einer zunehmenden Verschmelzung unterschiedlicher Kulturen. So gehören Inter- und Multikulturalität längst zu den wohl wichtigsten Merkmalen der heutigen Lebenswirklichkeit in Europa. Im Kontext dieses komplexen, vor gut einhundert Jahren begonnenen Entwicklungsprozesses in ein geeintes Europa hat sich die zwölfjährige Diktatur des NS-Regimes für die Deutschen als außerordentlich prägendes, ja traumatisches Ereignis erwiesen. Dabei haben die Erlebnisse im Dritten Reich, die schrecklichen Konsequenzen des Völkermordes im Holocaust und die einschneidenden Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg besonders die Entwicklung des Selbstverständnisses der deutschen Nation nachhaltig beeinflusst. Wie in kaum einer anderen Gesellschaft - von der israelisch-jüdischen einmal abgesehen - hat die öffentliche wie private Aufarbeitung aller mit dem Nationalsozialismus verbundenen Kausalzusammenhänge als nationales Erbe mittlerweile gut drei Generationen beschäftigt und wird wohl auch in Zukunft als fester Bestandteil des deutschen Geschichts- und Kulturgutes ihren einzigartigen Stellenwert behalten. Speziell für diesen Aufarbeitungsprozess beginnt sich derweil jedoch ein ganz neues Problem abzuzeichnen: Diejenigen Generationen, welche die Zeit der Hitler-Diktatur und die Kriegsjahre 4 selbst miterlebt haben, sei es auch nur als Kind, sterben aus. Das bedeutet für den Aufarbeitungsprozess, dass gut 70 Jahre später fast ausschließlich nur noch auf aufgezeichnete Erfahrungsberichte von Zeitzeugen zurückgegriffen werden kann. Die direkte mündliche Überlieferung von Primärerfahrungen ist mittlerweile nahezu unmöglich. Somit erschwert sich für alle kommenden Generationen die Aufgabe, die Erinnerung an die Verbrechen der Hitler-Diktatur jenseits von offiziellen Ausstellungen, Publikationen, Verfilmungen u.ä. auch im Alltag aktiv am Leben zu erhalten. Während die Generationen mit Geburtsdaten bis zu Beginn der 90er Jahre in der Regel noch auf die Erzählungen und Berichte ihrer Großeltern zurückgreifen konnten, existiert das Dritte Reich für heutige Kinder und Jugendliche fast ausschließlich nur noch als abstraktes historisches Phänomen. Die für das deutsche Volk einst so ungemein prägende Kollektiverfahrung von Diktatur und Krieg wird so zwangsläufig immer mehr zum zwar obligatorischen, aber eben zunehmend theorieverhafteten Lerngegenstand, der zwar die Seiten der Geschichtsbücher füllt, mit der eigentlichen Lebensrealität der Lernenden indes verhältnismäßig wenig oder überhaupt gar nichts mehr zu tun hat. Beachtet man, wie nahezu einzigartig die fragliche Zeitphase für die deutsche Geschichte ist, so scheint diese Entwicklung bedenklich. Zieht man zudem in Betracht, welchen immer neuen Herausforderungen jungen Menschen heutzutage immer schneller und in einer immer stärker multikulturell generierten Umgebung ausgesetzt sind, stellt sich umso alarmierender die Frage, inwiefern Heranwachsende überhaupt eine geistige Identität aufbauen sollen, wenn die Kenntnisse über wesentliche Bestandteile des eigenen kulturellen Erbes allenfalls lückenhaft vorhanden sind oder eines Tages gar ganz fehlen werden. Schließlich spielt in vielen europäischen Ländern die Ausbildung einer nationalen Identität als Basis für multikulturelle Offenheit und Toleranz, keineswegs nur zu Abgrenzung, eine große Rolle. So mag ein friedvolles Miteinander unterschiedlicher Nationalitäten und kultureller Identitäten sicherlich wünschens- und erstrebenswert sein. Welchen Preis zahlen wir jedoch dafür, wenn als 5 Konsequenz die nachfolgenden Generationen von über Jahrhunderte hin tradierten Normen und Werten keinerlei Kenntnis mehr haben und von den Erfahrungswerten ihrer Groß- und Urgroßeltern nicht mehr profitieren können? Ein gesellschaftlicher Sektor, in dem erste konkrete Auswirkungen einer solchen Entwicklung hinlänglich zu beobachten sind, ist der Bereich von Schule und Ausbildung. Gerade wegen kultureller Verschmelzung werden Pädagoginnen und Pädagogen hier tagtäglich in immer heterogeneren Lerngruppen vor die Aufgabe gestellt, die multikulturell bedingten Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Lernenden verschiedenster Herkunft zu diagnostizieren und möglichst gewinnbringend in das tägliche Unterrichtsgeschehen einzubinden. Oft genug heißt das dann, Lernenden solche kulturellen Spezifika überhaupt erst einmal als wirkliche Besonderheiten bewusst zu machen, um diese dann aktiv wahren und wertschätzen zu können. Ohne Frage ist dies eine Tätigkeit, im Rahmen derer auch so komplexe Phänomene wie Identitätsfindungsprozesse Jugendlicher aus der Lehrerperspektive für die Unterrichtsplanung maßgeblich berücksichtigt werden müssen. Hinsichtlich der Besonderheiten ihrer kulturellen Zugehörigkeit sind Lernende bislang eher überfordert, wenn es darum geht, die differenten Hintergründe der Mitlernenden nicht nur einfach wahr- und hinzunehmen, sondern diese überhaupt differenziert zu benennen, produktiv zu hinterfragen und erst dadurch wirklich verstehen und akzeptieren zu lernen. Jenseits der Orientierung an individuellen Wert- und Normvorstellungen im Kontext adoleszenter Persönlichkeitsentwicklung und Selbstfindung wird damit eine viel globalere Komponente deutlich, sofern man den Terminus der ‚Kulturzugehörigkeit’ denn wirklich wörtlich verstanden wissen will. Gemeint ist dann nämlich jenseits der Kenntnis kulturkreisspezifischer Verhaltensweisen wie Riten und Bräuche auch das Wissen um den komplexen Erfahrungsschatz und die Entwicklungsgeschichte einer Kultur. 6 Aufgrund dieser Entwicklungen erfreuen sich dahingehende pädagogische Ansätze nicht nur in der einschlägigen Fachliteratur einer wachsenden Beliebtheit. Zumindest den Fächern der Kulturwissenschaften gilt die Formulierung dahingehend ausgerichteter Unterrichtsziele und Kompetenzforderungen längst als curricularer Standard. Immerhin sollen Lernende gerade hier zu umfassend kompetenten Mitgliedern einer multikulturellen Informations- und Wissensgesellschaft erzogen werden. Ein Fokus liegt dabei auf der expliziten Auseinandersetzung mit dem ‚Neuen’ und ‚Fremden’ - dem also, was die jeweils anderen Kulturen aus- und besonders macht. Diejenigen Inhalte hingegen, die den Lernenden für den produktiven Abgleich des Neuen mit dem bereits Bekannten, also mit entsprechenden Inhalten der eigenen Kultur, zwangsläufig vertraut sein müssen, bleiben der Wissensvermittlung der anderen Fächer im Schulalltag vorbehalten und finden zumindest im Kontext der Studien fremder Kulturen keine gesonderte Erwähnung mehr. Damit entsteht zwangsläufig eine gewisse Diskrepanz hinsichtlich dessen, was von Lernenden erwartet wird: Einerseits sollen die Charakteristika fremder Kulturkreise möglichst effektiv und nachhaltig erschlossen werden. Andererseits ist die Absicherung von Kenntnissen über die jeweils eigene kulturelle Abstammung insofern allenfalls exemplarisch gewährleistet, als dass diese separat, weil fach- anstatt kontextgebunden, erfolgt. Hingegen wäre eben eine kontinuierliche Vernetzung solcher Lerninhalte über die Grenzen der einzelnen Unterrichtsfächer hinaus erstrebenswert. So ließe sich beispielsweise im Rahmen einer Auseinandersetzung mit politischen Strukturen der BRD in den Fächern Geschichte und Politik zumindest ab einer gewissen Altersstufe ein deutlich größerer Lernerfolg erzielen, wenn zeitgleich die Fremdsprachen (Englisch,
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