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KULTUR

Autoren Von Brecht vollbracht? SPIEGEL-Redakteur Hellmuth Karasek über das denkmalschänderische B.-B.-Buch von John Fuegi

ausdrücklich bekennt, daß seine „“-Entdeckung die Triebkraft zu sei- nem Enthüllungsbuch über Brecht dar- stellte*. Wer Brecht auch nur einigermaßen richtig buchstabieren kann, reibt sich über Fuegis Buch verwundert die Au- gen, greift in sein Bücherregal, zieht Band neun der kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe „Stücke“ her- aus und liest auf Seite 199 die Titelan- kündigung: „Don Juan von Molie`re (in der Bearbeitung des Berliner Ensem- bles)“. Zur Erläuterung: Brecht war da- mals, 1954, Hausregisseur und heimli- cher Hausherr des berühmten Theaters am Schiffbauerdamm, Helene Weigel, seine Frau, war die offizielle Prinzipalin, Elisabeth Hauptmann war als dramatur- gische Mitarbeiterin angestellt und be- schäftigt (obwohl oder weil sie 25 Jahre zuvor mit Brecht zusammen geschlafen und geschrieben hatte). Und Benno Besson war Schüler, Mitarbeiter und

LUCHTERHAND Regisseur des Berliner Ensembles (BE). Brecht, Gefährtin Berlau (1938): Gemeinsam schreiben und schlafen In der zweibändigen, halb offiziö- sen (zumindest von den Brecht-Erben) er damals junge angehende Brech- schied zu Brecht, sehr gut Französisch tolerierten Biographie Brechts, „Das tologe, der Brite John Fuegi, be- konnte, also Zugang zu Molie`re in der Leben des “ des DDR- Dsuchte 1965 erstmals Ost-Berlin, Originalsprache hatte. Besson suchte Wissenschaftlers Werner Mittenzwei vier Jahre nach Errichtung der Mauer der literarische Detektiv als nächsten von 1986, kann man sehr schön nachle- und neun Jahre nach Brechts Tod. Dort heim, und der war da offener. Klar, er sen, wie damals die Arbeit unter Schü- machte er nach und nach eine grausige hatte einen Schweizer Paß. Und so er- lern verteilt wurde: Peter Palitzsch küm- und, wie er fand, höchst brisante, ja für zählte er frank und frei, ja, er und Elisa- merte sich um Programme und Plakate, ihn im damaligen totalitären Ost-Berlin beth Hauptmann hätten die „Don Ju- Egon Monk um den „Urfaust“ und eben lebensgefährliche Entdeckung: an“-Bearbeitung geschrieben. Besson um den „Don Juan“. Alles ge- Er fand heraus, daß Brechts Bearbei- Parbleu! Ein ungeheuerlicher Fall ei- wiß eigenständig, alles gewiß kollegial tung des Molie`reschen „Don Juan“ von nes literarischen Diebstahls, eine Leiche und kollektiv diskutierend, alles unter Benno Besson, einem „Schweizer Re- im Keller des Berliner Ensembles! Fue- der beratenden Oberaufsicht des BE- gisseur“, und Elisabeth Hauptmann, ei- gi sah einen Zacken aus der Krone des Gurus Brecht. ner „früheren Geliebten“, stamme. Die- größten (zumindest er- Auch die Anmer- se Erkenntnis, die dem Forscher allmäh- folgreichsten) Drama- kungen der offiziö- lich dämmerte, während er Manuskripte tikers unseres Jahr- sen Suhrkamp-Ausga- im Brecht-Archiv durchforstete, schien hunderts brechen. Die be machen aus dem ihm im Stasi-Staat DDR, der doch von Brecht bekannte „Don Juan“ kein Ge- Brecht zur „sozialistischen Ikone“ erho- „Laxheit in Fragen gei- heimnis: „Als dem Re- ben hatte, gefährlich kühn. stigen Eigentums“ hin gisseur und Schauspie- Heimlich lief der junge Scholar am 21. oder her – dies schien ler Benno Besson 1951 Oktober 1966 zur Wohnung der 69jähri- Fuegi ein ungeheuer- angeboten wird, eine gen Elisabeth Hauptmann, die ihm aus- licher Vorfall. Und Gastinszenierung am weichende Antworten gab. Weil sie, wie so schrieb der inzwi- Volkstheater Rostock Fuegi suggeriert, trotz hohen Alters im-

schen zum amerikani- PRESS zu übernehmen, be- mer noch aktive Kommunistin war und schen Literaturprofes- schließt er, ,Don Juan‘ der Partei auch in dieser Frage die Stan- sor avancierte Brite, er (1665) von Molie`re für ge hielt? Sie gab zu, daß sie, im Unter- lehrt in Maryland, ein die Bühne neu zu bear- Buch, das er soeben in beiten. Wann genau

den USA veröffent- M.STEINFELDT / GROVE mit den Arbeiten am * John Fuegi: „Brecht & Company. Sex, Politics, and the Making of the Modern Drama“. Grove lichte, „Brecht & Brecht-Biograph Fuegi Text begonnen wird, Press, New York; 704 Seiten; 35 Dollar. Company“, in dem er Offene Geheimnisse enthüllt konnte nicht ermittelt

210 DER SPIEGEL 38/1994 . AKG Brecht-Freundin Hauptmann 80 Prozent der „Dreigroschenoper“?

werden. Elisabeth Hauptmann ist von Beginn an dem Projekt beteiligt. Brecht greift erst unmittelbar vor der Uraufführung (25. Mai 1952) in den Bearbeitungsprozeß ein.“ Punkt. Brecht konnte die Arbeit seinem Schü- ler auch weitgehend überlassen, weil man unter B.B.s Anleitung eine fast schematische Bearbeitungsmethode (Klassenstandpunkt, V-Effekt, Diener- Perspektive etc.) entwickelt hatte. Das einzige gräßliche Geheimnis, das Fuegi also mit dem „Don Juan“ aufdeckte, ist das seiner erschrecken- den Unkenntnis von Theaterpraxis, wo Stücke in Gemeinschaftsarbeit von Dramaturgen, Regisseuren, Assisten- ten, Schauspielern bearbeitet, über- setzt, bei Proben verändert und ange- paßt werden. Das einzig andere bei Brecht, einem im übrigen gesunden Egoisten, selbst- bewußten Theaterpascha, der Arbeit und Beischlaf offenbar auf das für ihn angenehmste zu verbinden wußte, in- dem er alle Mitarbeiterinnen zu Ge- liebten und alle Geliebten dann wieder zu Mitarbeiterinnen machte: Er war als Übervater des Ensembles nach außen für alles die schützende Autorität, er deckte die Arbeit seines Ensembles auch in jenen kritischen Jahren mit sei- nem überlebensgroßen Ruf und Na- men. Anders wurde das nach Brechts Tod, als der Ruhm des Stückeschrei- bers wuchs und wuchs und an die Er- ben, zuerst an seine Witwe Helene Weigel, dann an Brechts Kinder und Kindeskinder, die Tantiemen aus Auf- führungen und Buchveröffentlichungen in Millionenhöhe flossen. Die Mitar-

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beiter hatten zumeist gegen Gehalt gear- Vollends idiotisch wird es, wenn Fue- beitet, den Erben floß der Gewinn zu. gi dem Geheimnis auf die Spur kommt, Vielleicht erklärt sich dadurch ein we- Brecht und Hitler seien gleichzeitig in nig die Aufregung, die Fuegi mit seinem München gewesen, man denke, sogar in Buch hervorgerufen hat. Mit dem Eifer denselben Biergärten. Daß Brechts einer spießigen Political Correctness und Sohn im Rußland-Krieg als Soldat der der Lust des Schlüssellochvoyeurs an deutschen Wehrmacht starb, taugt als schmutziger Wäsche (die längst zu Ar- Vorwurf gegen Brecht nicht. Es belegt chivstaub zerfallen ist) entrüstet er sich bestenfalls die traurigen Wirrnisse des über den erotischen Vielfraß Brecht, 20. Jahrhunderts. dessen zahllose Frauen mit ihm Bühne, Bett und Schreibmaschine teilten, nach Beziehungen mit ihm Selbstmordversu- che unternahmen, für ihn abtrieben, sich BESTSELLER für ihn aufopferten, von ihm verschlissen wurden. BELLETRISTIK Brecht und die Frauen, ach ja! Ach, was haben sie vorher alles mit- und Gaarder: Sofies Welt (2) durchgemacht: Carola Neher, Marielui- 1 Hanser; 39,80 Mark se Fleißer, Elisabeth „Bess“ Haupt- mann, Ruth Berlau, Käthe Reichel, Kä- Grisham: Der Klient the Rülicke, Margarete Steffin usw. usf. (1) 2 Hoffmann und Campe; Wer nennt den (Klaus) Völker, zählt die 44 Mark Namen! Brecht hat sie benutzt und sich nicht gewaschen, er hat sie betrogen und dabei 3 Pilcher: Das blaue Zimmer (4) nur kalt die Achsel gezuckt, er hat ihnen Wunderlich; 42 Mark die Gardinen mit Zigarrenrauch verstän- kert und ihre Vorwürfe mit weisen Ge- 4 Høeg: Fräulein Smillas (3) dichten oder schroffen Briefen beant- Gespür für Schnee wortet. Sie wurden über ihr Verhältnis zu Hanser; 45 Mark ihm zu Alkoholikerinnen, krank, schleu- derten seine Gipsmasken durchs Zim- 5 Crichton: Enthüllung (5) mer, bettelten und fluchten. Trotz aller Droemer; 44 Mark Trennungsversuche blieben sie in seiner Abhängigkeit, auch weil sie der unerbitt- George: Denn keiner (7) liche Egomaniak daraus nicht entließ. 6 ist ohne Schuld Das alles und noch mehr breitet Fuegi Blanvalet; 44 Mark aus, und sein Ton ist dabei falsch entrü- stet. So gut wie nichts daran ist neu, au- Mayle: Hotel Pastis (6) ßer ein paar besonders schmuddelige 7 Droemer; 39,80 Mark Wäschestückchen aus Sudelküchen der FBI- und der KGB-Archive. Grimes: Fremde Federn (8) Fuegis Brecht-Biographie wäre wie je- 8 Goldmann; 39,80 Mark de materialreiche Biographie über den Jahrhundert-Lyriker, epochemachen- Gordon: Der Schamane (9) den Theatermann und überschätzten 9 Droemer; 44 Mark Stückeschreiber (an dessen Lehrhaftig- keit, Parabelleere und kommunistischer Begley: Lügen in (15) Besserwisserei wir uns inzwischen ermü- 10 Zeiten des Krieges det haben) sehr lesenswert, weil auch Suhrkamp; 36 Mark hier das pralle, widersprüchliche, scham- lose Leben des armen B.B. durch alle Noll: Die Apothekerin (10) sprachlichen Ritzen und Vorurteile des 11 Diogenes; 36 Mark Biographen schimmert – wäre das Buch nur nicht von jener Gartenzwerg-Menta- Follett: Die Pfeiler lität getragen, die es offenbar auch in an- 12 der Macht gelsächsischer Variante gibt. Lübbe; 46 Mark Was also soll es, wenn Fuegi, um Brecht zu schmähen, herausfindet, zu Mollin: Laras Tochter (12) Brechts „Galilei“-Premiere in Beverly 13 C. Bertelsmann; 49,80 Mark Hills seien Luxus-Limousinen vorgefah- ren – hätte Brecht ihnen die Reifen zer- Brown: Ruhe in Fetzen stechen sollen? Oder: Charles Laughton, 14 Rowohlt; 34 Mark der dicke und bekanntlich schwule große Schauspieler, habe a) einem Geliebten Garcı´a Ma´rquez: Von der Liebe eine kleine Rolle zugeschanzt und b) 15 und anderen Dämonen während der Proben mit Brecht ab und Kiepenheuer & Witsch; 38 Mark zu üppig diniert. Big deal, Herr Profes- sor!

214 DER SPIEGEL 38/1994 Und warum sollte Brecht seinen Sechstel der Einnahmen selbst einge- Freunden Ihering und Bronnen nicht spielt, der „Rest war von Ulbricht“. vergeben, daß sie, um zu überleben, mit Von Theatersubventionen hat der Pro- den Nazis kollaborierten? Niemand als fessor aus Maryland noch nichts gehört. der strikte Antifaschist Brecht hatte ein Daß die DDR das BE als ihr Renom- größeres Recht dazu. miertheater zu fünf Sechsteln aushielt, Aber wie gesagt, Fuegi hat nicht nur ist sicher nicht ihre dümmste und ver- eine miefige Mentalität, er weiß auch werflichste Tat: Immerhin war das nichts vom Theater. So vermerkt er an- Theater am Schiffbauerdamm in den klägerisch, Brecht habe am BE nur ein fünfziger Jahren das Mekka des Welt- theaters, das Zentrum der stilistischen und schauspielerischen Erneuerungen. Dort arbeitete auch Elisabeth Haupt- mann und fuhr beispielsweise mit Brecht nach Mailand, um sich Strehlers SACHBÜCHER „Dreigroschenoper“ anzusehen – einen Triumph des Nachkriegstheaters und N. E. Thing Enterprises: (2) der Brecht-Adaption. Und sie hat im 1 Das magische Auge II Zuschauerraum nicht etwa über das ihr Ars Edition; 29,80 Mark zugefügte Unrecht aufgeschrien, son- dern sich mit Brecht über diesen inter- 2 N. E. Thing Enterprises: (1) nationalen Durchbruch gefreut. Das magische Auge Die „Dreigroschenoper“ sei zu 80 Ars Edition; 29,80 Mark Prozent ihr Werk, posaunt Fuegi in die N. E. Thing Enterprises: Welt und kommt sich vor wie ein großer 3 Das magische Auge III Chefankläger der Kultur, der Rächer Ars Edition; 29,80 Mark der Enterbten und Entrechteten. Auch im Falle der „Dreigroschen- 4 Ogger: Das Kartell (3) oper“ wissen das von Fuegi Verkündete der Kassierer schon alle Biographen von Klaus Völker Droemer; 38 Mark bis Werner Mittenzwei. Carnegie: Sorge dich (4) Wiederum verzeichnet die „Große 5 nicht, lebe! kommentierte Berliner und Frankfurter Scherz; 44 Mark Ausgabe“ die Fakten auf das trefflich- ste. Als Mitarbeiter werden Elisabeth 6 Ogger: Nieten in (5) Hauptmann und (der Komponist) Kurt Nadelstreifen Weill genannt. Elisabeth Hauptmann, Droemer; 38 Mark die im Unterschied zu Brecht Englisch 21st Century Publishing: (6) konnte, so erfahren wir von dem Bio- 7 3D – Die Dritte Dimension graphen, habe das Werk, die „Beggar’s Ars Edition; 19,80 Mark Opera“, die damals wiederentdeckt worden war, empfohlen und übersetzt. 8 Fest: Staatsstreich (8) Dann hat es Brecht, als der Schiffbauer- Siedler; 44 Mark damm-Direktor Ernst Josef Aufricht Hartwig: Scientology – (7) das Junggenie nach einem Werk für sei- 9 Ich klage an ne Eröffnungspremiere fragte, empfoh- Pattloch; 34 Mark len. Mit Weill hat er nächte- und tage- lang in Südfrankreich die Songs, das 10 Phantastische Bilder (12) Herz des Werks, geschrieben und not- Südwest; 14,90 Mark falls geklaut – von Ammers Villon- Wickert: Der Ehrliche (9) Übersetzung. 11 ist der Dumme Brecht war während des Schreibens, Hoffmann und Campe; 38 Mark des Probens, des Ausdenkens der Motor und Magnet, ohne dessen rücksichtslose 12 Wickert: Und Gott (10) Energie es nicht zur Aufführung gekom- schuf Paris men wäre. Zwischendurch fand er noch Hoffmann und Campe; 42 Mark Zeit, mit einigen Schauspielerinnen Kelder: Die Fünf „Tibeter“ (11) (Carola Neher und Helene Weigel, die 13 Integral; 19 Mark ursprünglich die Puffmutter spielen sollte, aber krank wurde) und einigen 14 Schmidt: Das Jahr (14) Autorinnen (der Hauptmann und der Entscheidung Marieluise Fleißer) zu arbeiten und zu Rowohlt Berlin; 34 Mark schlafen. Paungger/Poppe: Vom (13) Und dann kommt uns ein Professor 15 richtigen Zeitpunkt und rechnet uns anklägerisch dies und Hugendubel; 29,80 Mark das vor. Selbst wer zur Zeit, was Brechts Texte anlangt, ein wenig Brecht-müde Im Auftrag des SPIEGEL wöchentlich ermittelt vom ist, muß angesichts des Fuegi-Bandes sa- Fachmagazin Buchreport gen: Brecht hat zwar viel verdient, aber das hat er nicht verdient. Y

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