Plenarprotokoll 14/12

Deutscher

Stenographischer Bericht

12. Sitzung

Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

I n h a l t :

Zur Geschäftsordnung Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN...... 703 B Hans-Peter Repnik CDU/CSU...... 679 B Jürgen Koppelin F.D.P...... 704 B Wilhelm Schmidt (Salzgitter) SPD...... 680 A Peter Jacoby CDU/CSU...... 705 B Kristin Heyne BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.. 681 A Carl-Ludwig Thiele F.D.P...... 681 D Dr. Barbara Hendricks SPD ...... 706 B Dr. Barbara Höll PDS...... 683 A CDU/CSU ...... 707 B Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN...... 708 A Tagesordnungspunkt 8: Nicolette Kressl SPD ...... 708 D Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/ Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU .... 711 A DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Reinhard Schulz (Everswinkel) SPD...... 713 B eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/ 2000/2002 (Drucksachen 14/23, 14/125, 1. Namentliche Abstimmung über den von 14/136) ...... 683 D den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE Joachim Poß SPD ...... 684 B GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002..... 715 D CDU/CSU ...... 687 A Ergebnis...... 716 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN...... 689 D 2. Namentliche Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Fraktion der F.D.P. auf Gisela Frick F.D.P...... 692 A Drucksache 14/140 ...... 715 D Ingrid Matthäus-Maier SPD...... 693 C Ergebnis...... 721 A Dr. Barbara Höll PDS...... 695 C 3. Namentliche Abstimmung über den Ent- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin schließungsantrag der Fraktion der PDS auf BMF...... 697 B, 701 C Drucksache 14/137 ...... 716 A Jochen-Konrad Fromme CDU/CSU...... 698 D Ergebnis...... 721 A Bartholomäus Kalb CDU/CSU ...... 699 B Carl-Ludwig Thiele F.D.P...... 701 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Dr. , Staatsminister (Bayern).. 701 D Aktuelle Stunde betr. die Zukunft der Bundeswehr vor dem Hintergrund von Joachim Poß SPD...... 702 B Äußerungen des Staatsministers im II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Auswärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, Anlage 4 zur Entbehrlichkeit eines stehenden Heeres...... 718 B Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (CDU/CSU) zur Abstim- Werner Siemann CDU/CSU ...... 718 D mung über den von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- Peter Zumkley SPD ...... 720 B brachten Entwurf eines Steuerentlastungs- gesetzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungs- Dr. Ludger Volmer, Staatsminister AA ...... 723 B punkt 8) ...... 740 B Günther Friedrich Nolting F.D.P...... 725 A Heidi Lippmann-Kasten PDS ...... 726 B Anlage 5 Verena Wohlleben SPD ...... 727 C Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (CDU/CSU) zur Abstimmung CDU/CSU ...... 728 C über den von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes NEN...... 730 A 1999/2000/2002 ...... 740 C Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... 730 D Kurt Palis SPD...... 731 D Anlage 6 Dr. Wolfgang Bötsch CDU/CSU...... 732 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten (CDU/CSU) zur Abstimmung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 733 D über den von den Fraktionen eingebrach- ten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes , Bundesminister BMVg ...... 734 D 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) ...... 740 C Ursula Lietz CDU/CSU ...... 736 C Anlage 7 Nächste Sitzung ...... 737 D Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (CDU/CSU) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und Anlage 1 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes Liste der entschuldigten Abgeordneten...... 739 A 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) ...... 740 D

Anlage 2 Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Klaus Holet- Wilhelm-Josef Sebastian (CDU/CSU) zur schek, Günter Baumann, Albert Deß, Georg Abstimmung über den von den Fraktionen der Girisch, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid), Franz gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungs- Obermeier (alle CDU/CSU) zur Abstimmung gesetzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungs- über den von den Fraktionen der SPD und punkt 8) ...... 741 A BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) ...... 739 D Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU) zur Anlage 3 Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungs- , Aribert Wolf, Ilse gesetzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungs- Aigner, Dr. Gerd Müller, Marie-Luise Dött, punkt 8) ...... 741 B Thomas Dörflinger, Klaus Hofbauer, Josef Hollerith (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und Anlage 10 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) ...... 740 A Kurt J. Rossmanith und Heinz Schemken (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 III von den Fraktionen der SPD und BÜND- Anlage 12 NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten wurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/ Sabine Jünger und Christina Schenk (beide 2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) ...... 741 C PDS) zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der PDS auf Drucksache 14/137 Anlage 11 zu dem von den Fraktionen SPD und Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- , Gerald Weiß (Groß-Gerau) ten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes und Dr.-Ing. Rainer Jork (alle CDU/CSU) zur 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) ...... 742 A Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungs- Anlage 13 gesetzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungs- punkt 8) ...... 741 D Amtliche Mitteilung ...... 743 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 679

(A) (C)

12. Sitzung

Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Liebe Kolleginnen Steuerpolitik in Tat und Wahrheit die Menschen bela- und Kollegen, ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. stet. Die Sitzung ist eröffnet. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bevor ich den ersten Punkt unserer heutigen Tages- Sie hätten die Karten auf den Tisch legen und sagen ordnung aufrufe, teile ich mit, daß von den Fraktionen können: Mit diesen Gesetzen belasten wir euch, um das der CDU/CSU und der F.D.P. Anträge zur Absetzung Kindergeld bezahlen zu können. von Tagesordnungspunkt 8, Steuerentlastungsgesetz, so- wie zur Herbeirufung des Bundesministers der Finanzen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zu diesem Tagesordnungspunkt vorliegen bzw. ange- Doch Sie tun nichts davon. Sie tun so, als hätten Sie kündigt sind. den Bundeshaushalt im Griff und als sei alles ausgegli- Das Wort zurGeschäftsordnung hat für diechen und schön. Wer genau hinsieht, stellt fest, daß Sie CDU/CSU-Fraktion der Kollege Hans-Peter Repnik. Defizite mit Defiziten decken und Löcher mit Löchern (B) stopfen wollen. (D) Hans-Peter Repnik (CDU/CSU): Herr Präsident! (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beantra- Den Beweis dafür, daß es sich hier nicht um eine gen die Absetzung des Tagesordnungspunktes Steuer- oppositionelle Willkür handelt, hat die Beratung des reform für heute, weil wir das Chaos mit dem Steuer-Haushaltsausschusses vorgestern erbracht, als auf An- belastungsprogramm dieser Regierung leid sind. trag der Koalitionsfraktionen die Absetzung der Bera- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – tung beschlossen wurde. Lachen bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir beantragen Absetzung, weil die Regierung in ihrer Gestern hat der Haushaltsausschuß in einer Sondersit- Mischung aus Machttrunkenheit und Dilettantismus die zung noch schnell eine Deckung nachgeschoben. parlamentarischen Verfahren nicht mehr respektiert. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – für meine Fraktion in einem Brief an den Bundestags- Lachen bei der SPD – Ingrid Matthäus-Maier präsidenten gestern darauf hingewiesen, daß § 96 Abs. 8 [SPD]: Es heißt „Machtbesoffenheit“!) Satz 2 zur Deckung nicht erfüllt ist und daß diese Dek- kung auch nicht in der Beschlußempfehlung des Haus- Wir beantragen Absetzung, weil der Bundesfinanzmi- haltsausschusses, die dem Hohen Haus vorliegt, aus- nister sich persönlich vor diesem Haus für das Chaos reicht. Man kann nicht mit einem defizitären Gesetz verantworten soll, das er angerichtet hat. einen Deckungsvorschlag machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall des Abg. Dr. Meine Damen und Herren der Koalition, Sie wollten [CDU/CSU]) eine hektisch schnelle Beratung Ihrer unausgegorenen Für den Fall, daß wir mit diesem Antrag nicht durch- Entwürfe heute. Sie hätten sie auch bekommen, wennkommen, möchten wir hilfsweise die Anwesenheit des Sie, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, einenBundesfinanzministers am heutigen Tag zitieren. Ich Deckungsvorschlag für die Ausfälle unterbreitet hätten. habe im Auftrag meiner Fraktion in dieser Woche den Sie hätten auf einen Deckungsvorschlag verzichten kön- Herrn Bundesfinanzminister gebeten, heute bei der Be- nen, wenn Sie die Familien wirklich, wie Sie behaupten, ratung dieses Gesetzentwurfs anwesend zu sein. hätten entlasten wollen. Sie hätten einen Deckungsvor- schlag machen und ehrlich sagen können, daß Ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 680 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Hans-Peter Repnik (A) Wir haben deutlich gemacht und darauf hingewiesen, hier mit Ihrem Bundesfinanzminister Waigel an der(C) daß wir einer abschließenden Beratung dieses Gesetz- Spitze ein Finanzchaos ohnegleichen angerichtet haben. entwurfes in diesem Jahr nicht im Wege stehen. Wir ha- ben darauf hingewiesen, daß der Bundesratstermin am (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- 18. Dezember dieses Jahres zur dortigen Beratung die- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – ses Gesetzentwurfes eingehalten werden kann und daß Widerspruch bei der CDU/CSU) das Gesetz wie geplant zum 1. Januar 1999 in Kraft tre- Ich erinnere mich sehr wohl, daß Sie in den Debatten ten kann. Ich habe bis heute vom Bundesfinanzminister über Ihre Steuerreformvorschläge und manch anderen keine Antwort auf meinen Brief erhalten. Gesetzentwurf große Schwierigkeiten hatten, Dek- kungsvorschläge nachzuweisen. Wir im Gegensatz dazu (Zurufe von der SPD: Oh!) haben nicht nur gestern morgen, sondern auch vorher für Deswegen stellen wir fest: Den Fahrplan Ihres Ge-den Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes, über den setzentwurfes stört es nicht, wenn Sie ihn uns nächstehier beraten werden soll, eine nicht nur ausreichende, Woche vorlegen. Denken Sie noch einmal nach! Ma-sondern auch klare und sehr nachvollziehbare Deckung chen Sie Ihre Hausaufgaben! Lassen Sie uns nächstevorgelegt. Sie sollten den Gesetzentwurf einfach einmal Woche beraten! lesen. Sie sind offensichtlich nicht einmal in der Lage, ihn richtig durchzustudieren. § 96 der Geschäftsordnung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hier zu strapazieren ist also völlig unsinnig. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der Kollege Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktion. Ich stelle deswegen – vielleicht gehen ja andere Red- ner meiner Partei noch auf weitere Details ein – ebenso wie der Haushaltsausschuß gestern morgen für die SPD- Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD): Herr Präsi- Fraktion und für die Fraktion der Grünen hier im Hause dent! Meine Damen und Herren! Da ist es nun wieder, fest, daß wir die Finanzdeckung für die von der Koaliti- das Oppositionsgefühl, das uns die CDU/CSU hier ver- on im Steuerentlastungsgesetz vorgesehenen Maßnah- mitteln will men nachgewiesen haben. Ich will Sie auf den Beschluß (Beifall bei der SPD) des Haushaltsausschusses hinweisen, Herr Repnik. Ich weiß gar nicht, warum Sie noch detailliertere Hinweise und das sich in diesem Hohen Hause seit Beginn dieser benötigen. Auf drei eng beschriebenen Seiten – übrigens Wahlperiode nahezu ausschließlich in Geschäftsord-mit den Unterschriften auch Ihres Berichterstatters ver- (B) nungsdebatten ausdrückt. sehen – (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Widerspruch bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN) wird nachgewiesen, daß eine Deckung in vollem Um- Wo bleiben eigentlich Ihre Sachanträge, fange Herr vorhanden ist. Mehr braucht man dazu nicht zu Schäuble? Einmal haben Sie uns über Ihren Antrag be- sagen. züglich der Rinderseuche BSE und der Aufhebung des Exportverbots von britischem Rindfleisch debattieren (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lassen und heute noch zu einer Aktuellen Stunde, sonst Nun komme ich noch kurz auf die Präsenzpflicht zu aber bisher nur zu Geschäftsordnungsfragen. Ich kann sprechen, die Sie dem Bundesfinanzminister aufdrücken Ihnen sagen: Auf diese Geschäftsordnungsanträge kön- möchten. Sie wissen ganz genau, daß der Bundes- nen Sie jeweils die passenden Antworten bekommen. finanzminister seine Reise nach Washington und nach (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Kanada schon wegen der ersten Debatte zu diesem Ge- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der setzentwurf verschoben hat, weil wir ihn damals gebeten PDS) hatten, anwesend zu sein. Wir finden es übrigens besonders mißlich, daß Ihre (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Er drückt Geschäftsordnungsmätzchen auch die Ausschüsse be- sich vor seinem Gesetz! – Weitere Zurufe von treffen. Daß Kollege Roth gestern als Haushaltsaus- der CDU/CSU) schußvorsitzender seine Funktion mißbraucht hat, hatVon daher sollten Sie Ihren Antrag nicht in dieser Art sich hinreichend herumgesprochen. und Weise auf die Spitze treiben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Entscheidende aber, was wir Ihnen vorwerfen – DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/ wir haben uns darüber in den Vorbesprechungen ausge- CSU: Das ist ja unglaublich!) tauscht –, akzeptieren Sie offensichtlich nicht, und zwar Sie tun sich selbst und dem ganzen Hause damit über- wieder unter Benutzung von Geschäftsordnungstricks, haupt keinen Gefallen. nämlich die Tatsache, daß Sie diese Debatte gestern mit uns hätten führen können – das aber wollten Sie nicht –, Sie haben hier – um auf Ihren heutigen Antrag einzu- indem Sie auf Ihre Fristeinrede verzichtet hätten; es ging gehen – allerdings ein Verfahren gewählt, das bisherum einen Tag. Dann nämlich hätten wir diese Debatte sehr selten vorgekommen ist, zumal in der Zeit, als Sie nicht erst nächste Woche geführt, wie Sie es wünschen, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 681

Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (A) sondern schon gestern. Das hätten wir gemeinsam ma- Kenntnis nehmen, daß Ihr Steuerentwurf, daß die Pe-(C) chen können. tersberger Beschlüsse nicht Realität werden. Vielmehr wird die große Steuerreform der rotgrünen Koalition in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ die Wirklichkeit umgesetzt. DIE GRÜNEN) Also auch hier Mätzchen, diesmal unter Verwendung (Dr. [F.D.P.]: Das Wort „groß“ würde ich weglassen!) des § 42 der Geschäftsordnung! Wir können ja dafür sorgen, daß der Finanzminister das nächste SchiffWir werden damit am 1. Januar 1999 beginnen. Das ha- nimmt, um an dieser Debatte teilzunehmen. Ich will dies ben die Wählerinnen und Wähler so entschieden. aber nicht ins Lächerliche ziehen. Ich finde es schon schlimm, wie Sie hier mit den Dingen umgehen, die wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in den Vorbesprechungen der Geschäftsführer ausrei- und bei der SPD) chend beraten haben. Von daher kann ich nur sagen: Wir haben hier in der vergangenen Sitzungswoche Wir lehnen beide Anträge ab, punktum. Und dabeieine ausführliche Debatte über die vorgelegte große bleibt es. Steuerreform geführt und werden diese in Anhörungen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und Ausschußdiskussionen fortsetzen. Worüber wir DIE GRÜNEN) heute entscheiden, ist lediglich der Vorläufer, lediglich der kleine Teil der Reform, der zum 1. Januar 1999 in Kraft tritt. Wir sollten diese Beratung aus Rücksicht ge- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun genüber den Gremien des Bundesrates heute abschlie- die Kollegin Kristin Heyne, Bündnis 90/Die Grünen. ßen, damit der Finanzausschuß des Bundesrates in der (Zuruf von der F.D.P.: Ein Beispiel für neue nächsten Woche darüber entscheiden kann. Demokratie! – Zurufe von der CDU/CSU: Wir wollen Metzger hören!) Ich denke, es ist gleichzeitig im Interesse aller Mit- glieder dieses Hauses, daß die guten Kontakte und die enge Zusammenarbeit mit den nordatlantischen Partnern Kristin Heyne (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr und Freunden von der neuen Regierung fortgesetzt wer- Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollegeden. Repnik, ich denke, als Finanzpolitiker sollten Sie ange- sichts dieser Unsinnsdebatte, die wir hier führen, ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gentlich doch ein bißchen rot werden. und bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Von we- (B) gen! Sie haben es nicht begriffen!) Es ist ein gutes Zeichen, wenn auch im Bereich (D) der Finanzpolitik die gemeinsame Arbeit noch im Wahljahr Sie sprechen gegen jeden finanzpolitischen Sachver-beginnt. Deswegen sollten wir die Reise des Finanzmi- stand. nisters gemeinsam begrüßen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vielen Dank. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege, Sie wissen genau, daß mit dem vorlie- und bei der SPD) genden Finanztableau selbstverständlich die Deckung für diesen Gesetzentwurf gegeben ist. Gerade F.D.P. und Union sind in ihrem Steuermodell von einem we- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun sentlich höheren Selbstfinanzierungsanteil ausgegangen. der Kollege Carl-Ludwig Thiele, F.D.P. Wir haben ganz bewußt die Selbstfinanzierungselemente deutlich geringer gehalten, damit es keine weiteren Rie- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- senlöcher in den ohnehin schon sehr überlasteten Haus- NEN]: Er wird ja zum Alleinunterhalter bei halten gibt. der F.D.P.!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herr Die Frage, in welchem Maße diese Reform einePräsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle- Selbstfinanzierung beinhaltet, ist nun wahrlich keinegen! Wir treten dem Antrag der Union bei. Frage der Geschäftsordnung, sondern eine Frage der wirtschaftspolitischen Orientierung. Die vorgelegte (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steuerreform hat eine ausgewogene Mischung von NEN]: Die Koalition in der Opposition!) Nachfrage- und Angebotselementen. Deswegen ist sie Zusätzlich beantragen wir, vor Eintritt in die Debatte mit Sicherheit seriös finanziert. zum Tagesordnungspunkt 8 durch den Deutschen Bun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN destag beschließen zu lassen, daß der Bundesminister und bei der SPD) der Finanzen bei der Aussprache zu diesem Tagesord- nungspunkt hier im Deutschen Bundestag anwesend ist. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der F.D.P., ich denke, es ist an der Zeit, daß Sie zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 682 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Carl-Ludwig Thiele (A) Die ganze Welt unterhält sich über Ihr unmöglichesEs heißt dort weiter, daß viele seiner Ideen ausprobiert (C) Steuerkonzept. Herr Lafontaine sieht die Notwendigkeit, und von der gesamten Welt als unbrauchbar ausrangiert das Konzept in Amerika zu erklären. Wir wollen, daßworden seien. So geht auch aus Reden von Minister Ru- die Debatte hier im Deutschen Bundestag, vor der deut- bin klar hervor, schen Öffentlichkeit, stattfindet. (Detlev von Larcher [SPD]: Zur Geschäfts- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ordnung!) Von den Koalitionsfraktionen selbst, aber auch vom daß die Amerikaner weder etwas von Zielzonen – – Bundesfinanzminister ist dieses heute zur Verabschie- dung anstehende Gesetz als bedeutsam bezeichnet wor- den. Derselbe Bundesfinanzminister, der mit der Regie- Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Thiele, rung, der er angehört, bestimmt, daß die Debatte heute wir sind in der Geschäftsordnungsdebatte. stattfindet, hat überhaupt keine Probleme, sich an dem- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ selben Tag einen Termin in Amerika selbst so zurecht- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zulegen, daß er sicherstellt, in dieser Debatte hier nicht PDS) anwesend zu sein. Das ist Fahnenflucht vor dem eigenen Gesetz. Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Präsident, ich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – begründe den Antrag der F.D.P.-Fraktion, warum der Lachen bei der SPD und dem BÜND-Finanzminister hier erscheinen soll. Und diese Begrün- NIS 90/DIE GRÜNEN) dung werde ich diesem Hause weiter abgeben. Die F.D.P. hält diesen Vorgang für eine Mißachtung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – des Parlamentes. Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Alles Mätz- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) chen, dumme Mätzchen!) Wenn Finanzminister Lafontaine Ihre Fraktion gele- Minister Rubin hat klar erklärt, daß er weder etwas gentlich nur über die Presse oder unzureichend infor-von Zielzonen, von Wechselkursen noch von Kontrollen miert, dann ist das Ihre Sache. Wenn er aber im Deut- der Finanzmärkte hält. Nicht nur in Deutschland, son- schen Bundestag bei einer solchen Debatte nicht anwe- dern auch in den Vereinigten Staaten haben die Pläne send ist, dann ist das eine Angelegenheit, die im Deut- allgemeine Enttäuschung hervorgerufen. Deshalb muß schen Bundestag diskutiert werden muß und die sich der er der Debatte – Deutsche Bundestag nicht bieten lassen darf. (B) (D) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Thiele – – Ich will ja gar nicht behaupten, daß die Reise von Fi- nanzminister Lafontaine nach Amerika eine Lustreise Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): – hier im Deutschen ist. Bundestag folgen und darf nicht nach Amerika gehen. (Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) [SPD]: Das ist unerhört!) Sie können aber nicht behaupten, daß dieser Termin Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Thiele, heute eine zwingende Verpflichtung war. Wenn es ein ich darf mir noch einmal erlauben, Sie daran zu erin- internationaler Termin gewesen wäre, hätten wir dafür nern, daß wir nicht in der Sachdebatte sind, sondern Sie Verständnis gehabt. verpflichtet sind, nur zu Geschäftsordnungsanträgen zu sprechen, nicht aber zu inhaltlichen Fragen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sein amerikani- scher Kollege Rubin, mit dem er heute zusammentreffen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird, eine ähnliche Mißachtung des amerikanischen DIE GRÜNEN – Massive Unmutsäußerungen Kongresses auch nur in Erwägung gezogen, geschweige bei der F.D.P. und der CDU/CSU) denn wahrgenommen hätte. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Präsident, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Ihre Redezeit nicht von der Die F.D.P. bestreitet auch nicht, daß gerade für diesen meinen abgeht. Finanzminister ein Bildungsbesuch in den Vereinigten Staaten von hohem Nutzen sein kann – vor allem wenn (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der er zuhören würde. CDU/CSU – Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/ CSU]: Gleiche Maßstäbe für alle! – Lachen Der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von gestern und Zurufe bei der SPD) folgend können hohe Regierungsbeamte der Vereinigten Staaten eine gewisse Frustration angesichts Lafontaines Ich bin schon der Auffassung, daß die deutsche Öf- Finanz- und Wirtschaftspolitik nicht verbergen. Ich muß fentlichkeit erfahren soll, warum Finanzminister Lafon- Ihnen gestehen: Das geht auch uns so. taine hier im Deutschen Bundestag erscheinen soll (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Waltraud Wolff [Zielitz] [SPD]: Unerhört!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 683

Carl-Ludwig Thiele (A) und warum es ein unzumutbarer Vorgang ist, daß er in Ich möchte darauf hinweisen, daß wir im Haus im(C) den Vereinigten Staaten seinen privaten Termin wahr- Einvernehmen angefangen haben, diese Debatte schnell nimmt, anstatt hier im Deutschen Bundestag Rede und zu einem Ende zu bringen. Wir haben auch hingenom- Antwort zu stehen. men, daß uns von der Koalition nicht alles sachgerecht vorgelegt wurde. Worüber reden wir eigentlich beim (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sogenannten Vorläufer? Es hatte schon eine gewisse Wir alle wissen, daß missionari-Pikanterie, als ich am Mittwoch nachmittag die einzige schen Eifer hat. Jetzt bricht er, nachdem er in Deutsch- Abgeordnete im Haushaltsausschuß war, die tatsächlich land die Neue Mitte sucht, in die Neue Welt auf, um die darüber informiert war, daß es inzwischen einen Vorläu- dortigen Einwohner von seinen Lehren zu überzeugen. fer 1 und 2 gibt. Das hat zu dem Fehler von Herrn Das halten wir nicht für richtig. Die Debatte muß hierMetzger geführt und war vielleicht auch der auslösende geführt werden. Sie muß in Anwesenheit des Finanzmi- Faktor, daß Sie jetzt bessere Koalitionsabstimmungen nisters geführt werden. Wenn Sie als ehemalige Oppo- vornehmen. So hat die PDS bereits Wirkung gezeigt, sitionsparteien noch ein Minimum an parlamentari-aber sei es drum. schem Gefühl haben, dann bitte ich Sie, diesem Antrag (Detlev von Larcher [SPD]: Donnerwetter!) zuzustimmen. (Lebhafter Beifall bei der F.D.P. und der Inhaltlich ist es notwendig, heute den Vorläufer 1 ab- CDU/CSU – Zurufe von der SPD) zuschließen. Wir werden über die Gegenfinanzierung insgesamt sprechen. Das, was zur Gegenfinanzierung des Vorläufers 1 an Vorschlägen vorliegt, ist ausrei- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun chend und genügt für die heutige Debatte. Deshalb mei- die Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion. nen wir: Verbessern Sie als Koalition Ihre Arbeitsweise, arbeiten Sie handwerklich sauber, geben Sie allen im (Detlev von Larcher [SPD]: Eine Beleidigung Haus die Sicherheit, daß Sie fair vorgehen, und erinnern nach der anderen! Der soll sich schämen, der Sie sich von CDU/CSU und F.D.P. noch einmal daran, Thiele!) wie Sie in den letzten vier Jahren gearbeitet haben, be- vor Sie hier auf den Pudding klopfen. (PDS): Ich habe jetzt das Wort, Dr. Barbara Höll (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten wenn es gestattet ist. der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir als GRÜNEN) PDS-Fraktion werden die Anträge von CDU/CSU und (B) F.D.P. ablehnen, (D) Präsident Wolfgang Thierse: Wir kommen zur (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Abstimmung, und zwar zunächst über den Antrag auf weil wir in der Sache diskutieren. Ich glaube, das unter- Absetzung von Tagesordnungspunkt 8 – Steuerentla- scheidet uns wesentlich von dem, was ich bisher imstungsgesetz – von der Tagesordnung. Wer stimmt für Haus gehört habe. den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Das ist der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE doch nicht zu fassen!) GRÜNEN) Enthaltungen? – Es gibt keine Enthaltungen, damit ist Es geht in der heutigen Debatte darum, sicherzustel- der Antrag mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der len, daß das Kindergeld tatsächlich zum 1. Januar 1999 Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der PDS-Fraktion auf 250 DM für alle ersten und zweiten Kinder erhöht gegen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der wird. F.D.P.-Fraktion abgelehnt. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Ich gehe davon aus, daß sich der Antrag auf Herbei- GRÜNEN) rufung des Bundesministers der Finanzen auch auf Ta- Es geht darum, sicherzustellen, daß der Grundfreibetrag gesordnungspunkt 8 bezieht und schon jetzt zur Ab- erhöht und der Eingangssteuersatz gesenkt wird. stimmung gestellt werden soll. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Aber: Ich muß natürlich in die Richtung der Koalition Damit ist der Antrag mit den gleichen Mehrheitsverhält- sagen, daß im Beratungsverlauf einiges sehr zu wün-nissen wie zuvor abgelehnt. schen übrig ließ. Ich glaube aber, die rechte Seite, die hier sehr auf den Pudding klopft, sollte ruhig sein; denn (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich gerade bei den Steuergesetzen haben wir in den letzten Heinrich [F.D.P.]: Ihr seid eine schöne Oppo- vier Jahren eine Kontinuität von Unsinn und schlechtem sition da drüben!) handwerklichen Arbeiten erlebt. Ich rufe damit den Tagesordnungspunkt 8 auf: (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- GRÜNEN) nen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- 684 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Präsident Wolfgang Thierse (A) gebrachten Entwurfs eines Steuerentlastungsge- Sie wollen verhindern, daß die Familien mit Kindern(C) setzes 1999/2000/2002 zum 1. Januar des nächsten Jahres endlich ein höheres Kindergeld erhalten. – Drucksache 14/23 – (Beifall bei der SPD) (Erste Beratung 6. Sitzung) Sie wollen mit Ihrem Obstruktionsverhalten verhindern, a) Erste Beschlußempfehlung und erster Bericht daß die Arbeitnehmer entlastet werden, die Sie über Jah- des Finanzausschusses (7. Ausschuß) re belastet haben. – Drucksache 14/125 – (Beifall bei der SPD) Berichterstattung: Gott sei Dank haben Sie für all das seit dem Abgeordnete Gisela Frick 27. September keine Mehrheit mehr. Welch ein schönes Gerda Hasselfeldt Gefühl, meine Damen und Herren! Dr. Barbara Höll Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Reinhard Schultz der PDS) b) Erster Bericht des Haushaltsausschusses (8. Wir haben Wort gehalten. Wir haben versprochen, Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung eine grundlegende Steuerreform durchzuführen, die so- zial gerecht und solide finanziert ist. – Drucksache 14/136 – (Lachen des Abg. Dr. Theodor Waigel Berichterstattung: [CDU/CSU]) Abgeordnete Peter Jacoby Wir wollten eine durchschnittlich verdienende Familie Hans Georg Wagner mit zwei Kindern um rund 2 500 DM im Jahr entlasten. Oswald Metzger Dr. Günter Rexrodt (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Uwe-Jens Rössel Daraus sind sogar 2 700 DM für das Jahr 2002 gewor- Dazu liegen Entschließungsanträge der Fraktionenden. der F.D.P. und der PDS vor. Die Fraktion der PDS hat (Beifall bei Abgeordneten der SPD) außerdem einen Änderungsantrag eingebracht. Schon der Einstieg im Jahr 1999 macht 1 200 DM aus. Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die (B) Aussprache die Schlußabstimmung über den Gesetzent- Wir wollten die Investitionskraft der Unternehmen(D) wurf sowie die Abstimmungen über die beiden Ent-stärken und die Unternehmenssteuersätze senken. schließungsanträge namentlich durchführen werden. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Tatsäch- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für lich?) die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre Damit wird schon zum 1. Januar 1999 begonnen. keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Wir wollten die steuerliche Bemessungsgrundlage Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege durch den Abbau von steuerlichen Vergünstigungen und Joachim Poß für die SPD-Fraktion. Sonderregelungen verbreitern und dabei auch die Ge- staltungsmöglichkeiten der Unternehmen bei der Ge- Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen winnermittlung an internationale Standards angleichen. und Herren! Was ein verlorener Ausschußvorsitz für die Mit dem von uns vorgelegten Entwurf werden unsere Persönlichkeitsentwicklung bedeuten kann, konnten wir Wahlkampfversprechen umgesetzt. heute morgen am Kollegen Thiele beobachten. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im Unterschied zu der völlig unvollständigen Steuer- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. reformkonzeption der alten Koalition wollen wir in drei [F.D.P.]: Zur Sache!) Reformstufen – 1999, 2000, 2002 – eine Steuerreform Aber daß sich auch der Musterschüler von Herrnmit einem Entlastungsvolumen von rund 57 Milliarden Schäuble, Herr Repnik, auf dieses Obstruktionsniveau DM verwirklichen. Davon werden 42 Milliarden DM begibt, damit konnte man nicht unbedingt rechnen, mei- durch den Abbau von Steuervergünstigungen gegen- ne Damen und Herren. finanziert. Das haben Sie noch nie geschafft, meine Damen und Herren. (Beifall bei der SPD – Lachen bei der F.D.P. – Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist primitive (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rezzo Polemik!) Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wir machen heute das, was Sie nie geschafft haben: Damit nähern wir uns wieder dem Verfassungsgebot, Wir halten Wort. Und das wollen Sie verhindern. das Sie in Ihrer Regierungszeit mißachtet haben: dem Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaft- (Beifall bei der SPD) lichen Leistungsfähigkeit. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 685

Joachim Poß (A) Die alte Bundesregierung hat das Steuerrecht wahr- Das Steuerentlastungsgesetz ist auch mittelstands-(C) lich verwüstet. Jetzt ist es an der Zeit, die wahren Lei- freundlich ausgerichtet. stungsträger dieser Gesellschaft zu entlasten: Arbeit- (Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?) nehmer und Familien, aber auch den Mittelstand. Die mittelständische Wirtschaft wird einerseits durch (Lachen des Abg. Dr. Wolfgang Gerhardt Tarifsenkungen und die Senkung des Arbeitgeberbei- [F.D.P.]) trags zur Sozialversicherung entlastet. Der Einschrän- Es darf nicht so weitergehen, daß nur diese die Haupt- kung steuerlicher Sonderregelungen fallen nicht die last der Finanzierung unseres Gemeinwesens zu tragen Regelungen zum Opfer, die Direkt-Investitionen begün- haben. Wir dürfen nicht akzeptieren, daß Kranken-stigen. Hervorzuheben ist, daß die unternehmerischen schwestern, Handwerker, Industriefacharbeiter und In- Verluste weiterhin voll verrechenbar bleiben, daß der genieure weiter die Lastesel der Nation sind. Verlustvortrag für aktive Einkünfte aus Unternehmertä- tigkeit voll erhalten bleibt, daß der Verlustrücktrag bis (Beifall bei der SPD) Ende 2000 für Verluste bis 2 Millionen DM beibehalten Wir machen nun endlich Ernst mit dem, was den Ar- wird. Das müssen auch die Wirtschaftsverbände einmal beitnehmern und Familien über mehr als eineinhalbzur Kenntnis nehmen, die in den letzten Wochen Oppo- Jahrzehnte versprochen, aber von der alten Bundesregie- sitionspropaganda gemacht haben. rung nie eingelöst wurde: Wir sorgen dafür, daß die (Beifall bei der SPD und beim BÜND- normal verdienenden Arbeitnehmer und ihre Familien NIS 90/DIE GRÜNEN) nachhaltig steuerlich entlastet werden. Damit fangen wir jetzt an. Deshalb sollten die Spezialisten für Steuer- und Es ist weiter hervorzuheben, daß die steuerfreie Wie- Abgabenerhöhungen aus CDU, CSU und F.D.P. nicht so deranlage von Gewinnen aus dem Verkauf von betrieb- großmäulig auftreten, wie sie es hier gestern oder heute lichen Grundstücken und Gebäuden bei Betriebsverlage- morgen getan haben. rung erhalten bleibt, daß Sonderabschreibungen und An- sparabschreibungen für kleine und mittlere Betriebe bis (Beifall bei der SPD) Ende 2000 unverändert erhalten bleiben – für Existenz- Daß die Regierungskoalition nicht einmal siebengründer auch darüber hinaus – und schließlich, daß die Wochen nach der Bundestagswahl und bereits einen Tag degressive Absetzung für Abnutzung im Interesse der nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers eines investierenden mittelständischen Wirtschaft unverändert unserer wichtigsten Projekte dieser Legislaturperiodebeibehalten wird. eingebracht hat, ist eine große Leistung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) Sie belegt, wie entschlossen und zielstrebig die neue Ihr Vorwurf, der Mittelstand würde nicht ausreichend Regierungskoalition die politischen Aufgaben bewältigt. begünstigt, ist also heuchlerisch; denn die Kluft in der Anders als bei Ihren Steuerreformgesetzen wurden die Steuerlast zwischen der mittelständischen Wirtschaft ei- Belange des Mittelstandes und der Bezieher kleiner und nerseits und der exportierenden Großwirtschaft anderer- mittlerer Einkommen bei den Entscheidungen über die seits besteht doch nicht erst seit heute. Diese Kluft in der Verbreiterung der Bemessungsgrundlagebesonders Besteuerung ist im Laufe des letzten Jahrzehnts immer berücksichtigt. Durch die Struktur der Gegenfinanzie- größer geworden; sie ist die Erblast von Kohl und Wai- rung wird das in den letzten Jahren vernachlässigtegel und all der F.D.P.-Wirtschaftsminister. Prinzip der individuellen Leistungsfähigkeit und damit der Gerechtigkeit bei der Steuerlastverteilung wieder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gestärkt. Wer diese Kluft heute anklagt, beklagt sein eigenes Ver- (Beifall bei der SPD) sagen, meine Damen und Herren von der Opposition. Der Gesetzentwurf verzichtet daher auf die steuerli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten che Belastung von Rentnern und Arbeitslosen, die Sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wollten. Der Vorwurf ist auch deshalb falsch, weil die von den (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Verbänden geltend gemachten Belastungen größtenteils Abkassieren!) nur auf Einmaleffekten oder auf vorgezogenen Steuer- Die durch die Kohl-Regierung geplante Besteuerung der belastungen beruhen, die später auslaufen. Die Ta- Lohnersatzleistungen und Renten gibt es in unseremrifentlastungen haben dagegen eine sich Jahr für Jahr Entwurf nicht. Im Unterschied zu den Petersberger Be- wiederholende Dauerwirkung. Eine ökonomisch zutref- schlüssen der alten Regierung wird auch die volle Be- fende Finanzierungsrechnung über einen mehrjährigen steuerung der Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Fei- Zeitraum ergibt auch in den Fällen eine Besserstellung, ertagsarbeit nicht herbeigeführt. Dagegen werden bei- bei denen anfänglich Mehrbelastungen zu verzeichnen spielsweise durch die Mindestbesteuerung von negati- waren. ven Einkommen etwa im Rahmen von Sonderabschrei- Im übrigen muß ich hervorheben, daß die von uns bungen auf Mietobjekte bisherige Steuerschlupflöcher vorgesehene weitere erhebliche Absenkung der Unter- gestopft. nehmensteuersätze auf 35 Prozent zu den Entlastungen (Beifall bei der SPD) für die Unternehmen noch hinzuzurechnen ist. 686 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Joachim Poß (A) Vergleicht man den Katalog der jetzt heftig kritisier- und wirtschaftspolitisch vernünftig. (C) ten Einzelmaßnahmen zur Verbreiterung der Bemes- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Nein!) sungsgrundlage im Unternehmensbereich mit den ge- planten Regelungen der früheren Regierung, so zeigtEine Mehrwertsteuererhöhung zur Finanzierung der sich eine breite Übereinstimmung. Vieles von dem, was Steuerreform wird es mit der SPD nicht geben. jetzt Wirtschaftsverbände und Opposition in Schaufen- sterreden kritisieren, war fester Bestandteil der Gesetz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten entwürfe von CDU/CSU und F.D.P. Da gibt es keinen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Unterschied zu uns. Der Unterschied besteht darin, daß Theodor Waigel [CDU/CSU]: Wie heißt der dies heute öffentlich anders begleitet wird, als es zu Ih- Wirtschaftsminister? – Ingrid Matthäus-Maier rer Regierungszeit der Fall war. [SPD]: Und keine Fußnote!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ludwig Es ist historisch unwahr, Herr Waigel – auch wenn Stiegler [SPD]: Die zwei Gesichter!) Sie jetzt mit dummen Sprüchen davon ablenken –, Schließlich: Auch bei Ihnen hätte es zu einem (Lachen bei der CDU/CSU) Vorziehen von Steuerbelastungen geführt, wenn Sie Ihre daß Sie je ein umsetzungsfähiges Reformkonzept vor- Pläne umgesetzt hätten. Noch am 9. September hat der gelegt hätten. Sie haben das selbst zugegeben. Sie haben Parlamentarische Staatssekretär von Herrn Waigel aus- selbst ausgeführt, daß Ihr Entwurf noch in der mittelfri- geführt, daß bei einer Aufteilung der von der alten Ko- stigen Finanzplanung nicht berücksichtigt ist, Herr alition vorgesehenen Nettoentlastung von 33,7 Milliar- Waigel. Das ist die historische Wahrheit, von der Sie den DM im Entstehungsjahr etwa 30,9 Milliarden DM hier ablenken wollen. auf die privaten Haushalte und auf den Unternehmens- bereich 2,8 Milliarden DM entfallen. Denn in mittelfri- (Beifall bei der SPD) stiger Betrachtung werden die Unternehmen in Folge Sie wußten im September noch nicht einmal, in wie der unterschiedlichen zeitlichen Wirksamkeit von Tarif- vielen Stufen und in wie vielen Jahren Sie Ihr Konzept senkungen und Gegenfinanzierungsmaßnahmen teilwei- umsetzen wollen. Von wegen Steuerreform aus einem se erheblich stärker entlastet, als es in den Rechnungen Guß! Das war reines Propagandageschwätz. nach Entstehungsjahr zum Ausdruck kommt. (Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt Das heißt, wer niedrigere Steuersätze will, der muß [F.D.P.]: Ganz anders bei Ihnen!) steuerliche Sonderregelungen abbauen. Die Absenkung der Steuersätze erhöht die Attraktivität unseres Stand- Sie hätten im Falle Ihrer Wiederwahl erst noch we- ortes. sentliche Entscheidungen über die Finanzierung der (B) Steuerreform treffen müssen und hätten dabei (D) die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Mehrwertsteuer erhöhen sowie erhebliche Streichungen Daß wir die Steuersätze jetzt nicht noch weiter ab-bei den Ausgaben vornehmen müssen. bauen können, Herr Altbundeskanzler Kohl, das hat da- (Detlev von Larcher [SPD]: Die Fußnote war mit zu tun, daß der neben Ihnen sitzende Herr Waigel ja schon da!) etwas nicht geschafft hat, was jede gute Regierung schaffen müßte: Sie haben keine Vorsorge getroffen, Herr Waigel, Sie sind doch der Trickser en gros. Herr Waigel, für weitergehende Steuersenkungen. (Lachen bei der CDU/CSU – Dr. Theodor (Beifall bei der SPD – Lachen bei der Waigel [CDU/CSU]: Sie sind ja ein Clown! – CDU/CSU – Dr. Theodor Waigel [CDU/ Heiterkeit bei der CDU/CSU) CSU]: Nehmen Sie das sofort zurück!) – Nein, Herr Waigel. – Wie stark Sie getrickst haben, Für Ihre eigene Steuerreform haben Sie, Herr Waigel, hat sich doch herausgestellt. Vor einigen Wochen war es keine Vorsorge getroffen. Das haben Sie hier am 2. Sep- im „Spiegel“ nachzulesen: Sie haben die Wachstums- tember auch zugegeben. prognosen geschönt. Es war nicht Herr Rexrodt, den Sie dafür verantwortlich gemacht haben. Sie, Herr Waigel, (Beifall bei der SPD – Dr. Theodor Waigel haben sich doch reichgerechnet. Sie sollten hier in [CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich! Herr Prä- Schutt und Asche gehen und nicht so auftreten, wie Sie sident, muß ich mir das gefallen lassen?) das hier tun. Sie hatten eine ungedeckte Finanzierungslücke von (Beifall bei der SPD – Lachen bei der bis zu 50 Milliarden DM. Sie hätten damit die öffentli- CDU/CSU) chen Haushalte ruiniert und die Staatsverschuldung weiter anwachsen lassen. Deshalb konnten wir diesenIn Schutt und Asche kann man nicht gehen, aber einen Plänen nie zustimmen, und deshalb haben die LänderSack sollten Sie sich schon überstreifen. auch nicht zugestimmt. Die abgewählte Regierung Kohl hat die Steuer- und (Beifall bei der SPD) Abgabenpolitik für eine massive Umverteilung zu La- sten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer genutzt. Unser Entwurf führt zu mehrSteuergerechtigkeit. Die von Ihnen geprägte wirtschaftliche, soziale und fi- Er ist solide finanziert nanzielle Realität können wir nicht von heute auf mor- (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Nein!) gen verändern. Aber wir haben uns daran begeben, sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 687

Joachim Poß (A) zu verändern, Schritt für Schritt, im Interesse unseresÄnderung der Auszahlung des Kindergeldes und bein-(C) Landes, um Ihre Erblasten, unter denen viele Millionen haltet eine minimale Senkung des Eingangsteuersatzes. Menschen leiden, gerecht, solide finanziert und wirt-Alles zusammen hat ein Volumen von 7,8 Milliarden schaftlich vernünftig abzutragen. DM. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist also des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gar nichts?) Nun ist die Erhöhung des Kindergeldes eine grund- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun sätzlich positive und wünschenswerte Angelegenheit. Kollegin Gerda Hasselfeldt, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! Aber sie ist nur dann zu verantworten, wenn sie auch Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tatsache, solide finanziert ist. Die Erhöhung ist eben nicht solide daß der Bundesfinanzminister heute an dieser Debatte finanziert. nicht teilnimmt, ist schon ein Stück Unverfrorenheit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) ordneten der F.D.P.) Ich will es Ihnen auch begründen. Wir entscheiden Diese Tatsache reiht sich auch in das Verhalten anderer heute über die Erhöhung. Die Entscheidung über die Fi- Regierungsmitglieder gegenüber diesem Parlament ein. nanzierung dieser Erhöhung wird nicht heute getroffen; Gestern bei der Debatte zum Zuwanderungsgesetz war vielmehr soll die Entscheidung über die Finanzierung der Bundesinnenminister in diesem Hause nicht anwe- erst im Februar oder März des nächsten Jahres getroffen send. Zu der heutigen Debatte über die sogenanntewerden, Steuerentlastung ist der Bundesfinanzminister nicht an- wesend. Das ist eine Mißachtung des Parlaments; das ist (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Nach der ein Affront gegen das Parlament und macht deutlich, Hessenwahl! ) welchen Stellenwert Ihre eigenen Gesetze in Ihren eige- das heißt nach der Hessenwahl, und rückwirkend zum 1. nen Reihen haben. Januar 1999 gelten. All die Beteuerungen von Ihnen und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- von Frau Scheel zu jeder Gelegenheit, bei der Sie öf- ordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher fentlich auftreten, verdeutlichen Ihre Absichten. [SPD]: Das ist unwahr!) (B) (Detlev von Larcher [SPD]: Es liegt doch alles (D) Herr Kollege Poß, Ihre gesamten vollmundigen Äu- vor! Es liegt alles auf dem Tisch!) ßerungen zum Steuerkonzept der Bundesregierung und der Koalitionsfraktionen werden durch auch noch soWenn Sie bei den Steuerberatern auftreten, dann wird lautes Geschrei gesagt: Es ist noch nicht alles sicher. Wir werden das schon noch verbessern und ändern. Wissen Sie, das ist (Joachim Poß [SPD]: Wenn Sie geschrien ha- genauso, als wenn Sie Kindern ein Weihnachtsgeschenk ben, muß ich mich ja durchsetzen!) machen, aber die Geschenke nicht bezahlen, sondern darauf warten, daß ein paar Monate später die Oma oder und auch durch noch so laut vorgetragene Behauptungen der Opa Ihnen das Geld dafür gibt. Vielleicht verlangen nicht richtiger. Sie sogar einiges von dem Geld für die Geschenke von (Beifall bei der CDU/CSU) den Kindern zurück. Das tun Sie nämlich gleichzeitig über die Ökosteuer. Diese Rechnung kann nicht aufge- Es ist nicht so – ich werde Ihnen das beweisen –, daß hen. So wie Sie das vorhaben, ist es nicht zu verant- mit diesen Vorschlägen, die Sie auf den Tisch gelegtworten. haben, eine Entlastung der Familien verbunden ist. Es ist nicht so, daß mit diesen Vorschlägen eine Entlastung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- des Mittelstandes verbunden ist. ordneten der F.D.P.) (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sagen Ganz abgesehen davon sorgen Sie mit dieser verspä- die Unwahrheit!) teten Entscheidung derFinanzierung, die dann auch noch rückwirkend gelten soll, für erhebliche Rechtsun- Es ist schon gar nicht so, daß damit die Investitionskraft sicherheit bei allen Steuerpflichtigen, bei den Arbeit- der Unternehmen, also derjenigen, die Arbeitsplätze zur nehmern genauso wie bei den Unternehmern. Es besteht Verfügung stellen, gestärkt wird. Ich werde Ihnen das keine Kalkulationssicherheit mehr, keine Planungssi- auch im Detail beweisen. cherheit mehr. Denn Sie stellen das in den Raum, sagen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- dann aber schon wieder: Einiges werden wir noch än- ordneten der F.D.P.) dern. Das alles soll dann aber rückwirkend zum 1. Ja- nuar 1999 in Kraft treten. Auch dies ist unverantwortlich Zunächst aber will ich mich – im Gegensatz zu Herrn gegenüber den Steuerpflichtigen. Poß – auf die Tagesordnung konzentrieren. Wir haben heute über einen Teil eines Gesetzes zu beraten. Dieser Darüber hinaus geht das Ganze auch noch zu Lasten Teil beinhaltet eine Kindergelderhöhung, beinhaltet die der Länder. Gerade bei der Kindergeldfinanzierung 688 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Gerda Hasselfeldt (A) haben die Länder einen verfassungsrechtlichen An- Nun sprachen Sie vorhin Punkte der Gegenfinanzie- (C) spruch auf Mitentscheidung. Sie haben dieses Problem rung an. Ich will nur einige wenige herausgreifen; denn nicht geklärt. Sie ignorieren es einfach. Ich bin gespannt, die Maßnahmen, mit denen die Kindergelderhöhung wie Ihre eigenen Länder darauf im Bundesrat reagieren. finanziert werden soll, sind ein einziger Horrorkatalog zur Geldbeschaffung. Ein Weiteres: Die Finanzierung dieser Vorhaben er- folgt mit den falschen Mitteln. Sie geht nämlich einseitig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – zu Lasten der Unternehmen, einseitig zu Lasten derje- Detlev von Larcher [SPD]: Frau Hasselfeldt, nigen, die für Arbeitsplätze verantwortlich sind. Deshalb es ist nicht zu glauben!) wird das ganze Konzept nicht dazu führen, daß wir mehr Beschäftigung haben, sondern dazu, daß wir weniger Am gravierendsten ist meines Erachtens die Strei- Beschäftigung haben. chung der sogenanntenTeilwertabschreibung. Nun kann mit dem Wort Teilwertabschreibung nicht jeder (Zustimmung des Abg. Carl-Ludwig Thiele etwas anfangen. Deshalb will ich versuchen, das ein we- [F.D.P.]) nig zu erläutern. Wenn Sie das tun, was sie hier vorha- Es wird nicht dazu führen, daß wir weniger Arbeitslose ben, dann greifen Sie in die Besteuerung des Mittelstan- haben, sondern dazu, daß wir mehr Arbeitslose haben. des, insbesondere des Einzelhandels, des Buchhandels, Deshalb ist das Gesamtkonzept, das Sie vorlegen, von der Banken, des gesamten Mittelstandes enorm ein. uns nicht mitzutragen. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Rein- (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Was soll hard Schultz [Everswinkel] [SPD]: Mittelstän- das? Sie wollten etwas beweisen, Sie behaup- dische Banken! – Nicolette Kressl [SPD]: Ein ten aber nur!) typisches Beispiel für Mittelstand! – Detlev von Larcher [SPD]: Die Deutsche Bank zum Nun noch zu den Gesamtvorschlägen. Sie sprachen Beispiel! Die arme Deutsche Bank!) davon, Herr Poß, daß Sie die Familien entlasten wollen. – Ich habe nicht gesagt, daß das alles zum Mittelstand (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Tun wir gehört. Vielmehr habe ich bewußt aufgezählt. doch!) Nun, im ersten, plakativen Schritt sieht dies so aus. Den Sie ändern die Besteuerung dergestalt, daß Sie nicht Familien bleibt aber, wenn Sie alle Ihre steuerlichentatsächlich erzielte oder erzielbare Gewinne besteuern. Vorschläge auf den Tisch legen und abwägen, wenn Sie Sie besteuern Scheingewinne. Sie zwingen diese Unter- die Ökosteuer, die Erhöhung der Mineralölsteuer – der nehmen zu einer falschen Bewertung, nur damit Sie Ihre Benzinsteuer, der Heizölsteuer, der Gassteuer –, die Ein- Steuereinnahmen erhöhen. (B) führung der Stromsteuer einkalkulieren, von dieser Kin- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (D) dergelderhöhung überhaupt nichts mehr. Im Gegenteil: Sie müssen mehr bezahlen. Dies, meine Damen und Herren, würde das Aus vieler mittelständischer Betriebe bedeuten. Wir setzen dem un- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – seren entschiedenen Widerstand entgegen. Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht wahr! – Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sagen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – die Unwahrheit!) Detlev von Larcher [SPD]: Bravo!) Mit Ihrem Gesetz, mit Ihren ganzen Vorschlägen er- Da hilft es Ihnen auch nicht, wenn Sie noch so häufig höhen Sie jetzt das Kindergeld, verschlechtern aber mit sagen: Wir entlasten mit unserer Steuerreform den Mit- der geplanten Gegenfinanzierung die Investitionskraft telstand. Denn Sie behaupten das nur und tun das Ge- der Unternehmen und verschlimmern damit die Proble- genteil. Aber Sie werden nicht an Ihren Worten gemes- matik auf dem Arbeitsmarkt. Sie erhöhen die Zahl der sen, sondern an dem, was in dem Gesetzentwurf steht, Arbeitslosen, und Sie kassieren zusätzlich bei Strom, bei an Ihren Taten. Und diese, meine Damen und Herren, Gas, bei Heizöl, bei Benzin, um Ihre erhöhten staatli-sind eindeutig so, daß Sie den Mittelstand nicht entla- chen Ausgaben zu finanzieren. Sie geben etwas in diesten, sondern belasten. linke Tasche hinein, und nehmen das gleiche, ja sogar noch mehr aus der rechten Tasche heraus. Dadurch, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie das getrennt machen, daß Sie es zeitlich verschoben Gleiche verheerende Auswirkungen werden wir bei machen, wird dies nicht so deutlich. Aber wir machen es der Begrenzung der Verlustverrechnung bei den so- den Leuten deutlich, und Sie können sicher sein, daß die genannten aktiven und passiven Einkommen haben. Menschen dies auch so verstehen. Dies bringt ein sehr viel komplizierteres Steuerrecht mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sich. Beispielsweise ist auch noch nicht geklärt, was ge- schieht, wenn jemand nur passive Einkommen hat. Die Menschen im Lande sehen nicht nur das, was heute verabschiedet wird, sondern dasGesamtkonzept, und (Gisela Frick [F.D.P.]: Sogenannte passive das Gesamtkonzept ist keine gerechte, keine sachge- Einkommen!) rechte und keine ausgewogene Steuerreform, sondern – Genau: sogenannte passive Einkommen. Diese Re- nichts anderes als eine große Mogelpackung. gelung betrifft nämlich diejenigen, die besonders viel (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kapital haben. Bei ihnen wollen Sie nicht begrenzen. der F.D.P.) Sie wollen beispielsweise da begrenzen, wo sich Men- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 689

Gerda Hasselfeldt (A) schen im Mietwohnungsbau engagieren. Im Mietwoh- noch über dem, was Sie im Wahlkampf versprochen ha- (C) nungsbau wird eben zunächst einmal mit Verlusten kal- ben. Mit Ihrer dritten Stufe sind Sie also nicht so weit kuliert, meine Damen und Herren. Das geht nicht an-gegangen wie in Ihren Wahlkampfversprechungen. Aber ders. Wenn Sie diese Verrechnung begrenzen, wird dies noch entscheidender ist bei diesem Vorschlag, ob damit katastrophale Auswirkungen auf den gesamten Miet-überhaupt eine Entlastung verbunden ist. Profitieren die wohnungsbau des Landes haben, mit Konsequenzen für weniger gut Verdienenden wirklich von dieser minima- alle Mieter. len Senkung des Einkommensteuersatzes? Sie profitie- ren nicht, meine Damen und Herren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]:War das bei Ihnen (Beifall bei Abgeodneten der CDU/CSU) nicht auch enthalten? – Hans Büttner [Ingol- Wir haben das im Ausschuß besprochen: DieDurch- stadt] [SPD]: Auf den Luxuswohnungsbau!) schnittssteuerbelastung wird nur minimal weniger sein – Dazu komme ich jetzt, Herr von Larcher. Dieser Punkt als jetzt. Sie ist auf der Grafik praktisch nur mit der war nicht enthalten, und zwar wohlweislich und aus gut Lupe zu sehen. überlegten Gründen. Lesen Sie das einmal nach. Wahr- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) scheinlich ist Ihr Gedächtnis nicht so gut, daß Sie das noch im Kopf haben. Wenn Sie nachlesen, werden Sie Die Grenzsteuerbelastung, das heißt der Steuersatz, bestätigt finden: Dieser Punkt war nicht enthalten. der für jede dazuverdiente Mark gezahlt werden muß, ist bei den Jahreseinkommen zwischen 20 000 DM und (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Es lohnt 66 000 DM, also bei den Einkommen der Berufsanfän- sich zuzuhören, Herr von Larcher! Übertün- ger, bei den weniger gut Verdienenden, bei den Lei- chen durch Schreien!) stungsträgern, die sich noch im beruflichen Aufstieg be- finden, sogar noch höher als im jetzigen Steuerrecht. Unsere Vorschläge enthielten durchaus einige Maß- Dies können wir nicht verantworten. Gerade die Berufs- nahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, anfänger und die Leistungsträger werden von Ihnen be- die auch in Ihrem Entwurf enthalten sind, trogen. (Detlev von Larcher [SPD]: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) so beispielsweise Regelungen bei Abfindungen, bei Be- Ich komme zur Gesamtbewertung, meine Damen und triebsaufgaben und einiges andere mehr, allerdings unter Herren. Die heute zu entscheidende Kindergelderhöhung einem ganz anderen Vorbehalt, ist zweifellos wünschenswert. Die Probleme bei der Fi- nanzierung habe ich dargestellt. Aber auch das Gesamt- (B) (Joachim Poß [SPD]: Ein unfinanzierbares konzept ist wirtschaftspolitisch verfehlt: Die Senkung(D) Konzept!) der Steuersätze fällt viel zu gering aus, es fehlt die Net- toentlastung, die Unternehmen und andere Leistungsträ- – das ist ja gar nicht wahr –, mit einer ganz anderenger werden einseitig belastet, die Investitionskraft nimmt Grundidee, nämlich dem Kern unserer Steuerreform: der ab, und die Arbeitsmarktbedingungen werden ver- drastischen Senkung aller Steuersätze. schlechtert. Die geplanten Ökosteuervorhaben führen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – noch zu zusätzlichen Belastungen. Joachim Poß [SPD]: Die nicht finanzierbar Deshalb fordere ich Sie auf, in den weiteren Beratun- gewesen wäre! Für die Herr Waigel keine gen der Steuergesetze den Rat nicht nur von uns, son- Vorsorge getroffen hat!) dern auch von den Sachverständigen, den Leuten, die sich beruflich und wissenschaftlich mit diesen Dingen Nur dann, wenn Sie alle Steuersätze radikal nach un- beschäftigen, immer wieder einzuholen. Das erfordert ten ziehen – die Einkommensteuersätze unten und oben, aber eine Kursänderung auf Ihrer Seite. Mit dem, was die Körperschaftsteuersätze sowohl für die ausgeschüt- Sie bisher vorgelegt haben, meine Damen und Herren teten als auch für die einbehaltenen Gewinne –, können von den Koalitionsfraktionen, haben Sie meines Erach- Sie es auch verantworten, die Bemessungsgrenze zu tens die Riesenchance, die Sie am Anfang Ihrer Regie- verbreitern, nur dann können Sie es verantworten, die rungszeit gehabt hatten, sogleich verspielt. steuerlichen Sondertatbestände, die bei uns zur Zeit ge- rade wegen der hohen Steuersätze vorhanden sind, ab- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zubauen. Dieser Gesamtzusammenhang fehlt bei Ihnen. Sie betreiben die Steuersatzsenkung nur halbherzig, Sie betreiben eigentlich nur Kosmetik und senken die Steu- Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat Chri- ern nicht wirklich. stine Scheel, Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU) Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutlich wird dies übrigens auch bei derSenkung Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, des Eingangssteuersatzes von 25,9 Prozent auf 23,9 Pro- daß die Verzögerungstaktik, Frau Hasselfeldt und Herr zent, die ja in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist, derThiele, die wir diese Woche erleben durften und erleben heute verabschiedet werden soll. Selbst in der drittenmußten, insgesamt vollkommen lächerlich ist. Vor allen Stufe bleibt diese Senkung des EingangssteuersatzesDingen draußen bei der normalen Bevölkerung kann 690 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Christine Scheel (A) kein Mensch mehr nachvollziehen, was die Opposition schritten bzw. zur Umsetzung Ihrer unsoliden Vorschlä- (C) in diesem Hause überhaupt noch will. ge ganz aufheben müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider- und bei der SPD) spruch bei der CDU/CSU und F.D.P. – Dr. Barbara Höll [PDS]: Nein, nicht „die“ Oppo- Meine Damen und Herren, es geht heute ausschließ- sition!) lich um die Anhebung des Kindergeldes, die Übertra- gung der Auszahlung auf die Familienkassen und die Es zeigt sich, daß sich die jetzige Opposition, die, wie Senkung des Eingangsteuersatzes um 2 Prozentpunkte. wir wissen, ihre Rolle noch nicht gefunden hat, Die Senkung des Eingangssteuersatzes ist notwendig, (Dr. Barbara Höll [PDS]: Wir ja!) weil ein Eingangssteuersatz von heute 25,9 Prozent ge- auf ganz formale Stricke und Fußangeln stürzt, um Be- gen das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungs- ratungen hinauszuschieben, wohl wissend, daß das heu- fähigkeit verstößt. Sicherlich kann man sagen, daß der tige Vorläufergesetz lediglich aus technischen Erwägun- Schritt nicht groß genug sei. Aber es ist ein Schritt zur gen aus dem Gesamtpaket herausgelöst worden ist. Sie Ausrichtung der Steuerlastverteilung am Prinzip der wissen ganz genau, daß dieses nur geschehen ist, um den Leistungsfähigkeit. Das ist der Punkt, weswegen wir den verschiedenen Stellen, den Finanzämtern und Lohn-Eingangssteuersatz für 1999 senken. buchhaltungen, die Möglichkeit zu geben, rechtzeitig die Zudem ist es ein Schritt mit einer Gewährleistung se- neuen Steuertabellen entsprechend einarbeiten zu kön- riöser Finanzierbarkeit von Steuerentlastung vor allem nen, so daß kein doppelter Verwaltungsaufwand produ- im unteren Einkommensbereich. Sicherlich stimmt es – ziert wird. das sage ich sehr nachdenklich –, daß die Wirkung relati- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) viert wird, da in den Tarif praktisch unten noch eine Stu- fe eingearbeitet wurde und er nicht linear-progressiv ist. Die Behauptung, es stünde keineGegenfinanzie- Aber ich sage Ihnen: besser ein kleiner Schritt als über- rung, die immer wieder aufgestellt wird, haupt keiner. Die letzte Regierung hat nicht einmal ei- nen minihalben Schritt zustande gebracht. ( [F.D.P.]: Habt Ihr euren Metzger notgeschlachtet?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist an dieser Stelle gerade von Ihrer Seite her absolut und bei der SPD) nicht mehr nachzuvollziehen, da Sie doch andererseits Auch die Erhöhung des Kindergeldes von 220 auf immer wieder damit argumentieren, daß wir im Jahr250 DM stellt eine sehr spürbare Entlastung für Famili- (B) 1999 für eine sogenannte Aufkommensneutralität sorgen en mit Kindern dar und ist familienpolitisch absolut(D) würden und keine Nettoentlastung vorgesehen haben,richtig. Wir stellen Familien mit Kindern im nächsten die Steuerreform also über den Haushalt 1999 gedeckt Jahr insgesamt 5,8 Milliarden DM mehr zur Verfügung. ist. Es ist doch vollkommen verrückt, wenn Sie gleich- Ich verstehe nicht, was man dagegen haben kann, war- zeitig behaupten, es bestünde keine Gegenfinanzierung. um man diesen Vorschlag nicht unterstützt. Das zeigt doch nur, daß Sie die Argumente gerade so hinbiegen, wie Sie sie brauchen, wohl wissend, daß wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die erste Stufe 1999 ganz sauber und solide finanziert und bei der SPD) haben. Ich sage an dieser Stelle jedoch auch ein bißchen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nachdenklich: Ich möchte eigentlich nicht das Ziel aus und bei der SPD) dem Auge verlieren, daß eine Steuerpolitik, die dem Prinzip eines sozial gerechten Familienleistungsaus- Frau Hasselfeldt, Ihre Forderung, alle Steuersätzegleichs folgt, auch verlangt, daß die Leistung Kindergeld drastisch zu senken, ist wunderbar; das hört jeder gerne. mittelfristig von der Höhe des Einkommens abhängig (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Haben Sie doch zu machen ist. Das müssen wir uns gut überlegen; daran auch gesagt!) müssen wir weiterarbeiten. Es wurde immer wieder ge- sagt, es sei nicht einzusehen, warum Familien mit sehr Das hören die Arbeitnehmer gern, das hören die Arbeit- hohen Einkommen das gleiche Kindergeld erhalten wie geber gern, das hören die Unternehmen insgesamt ganz Familien mit sehr niedrigen Einkommen. gerne. Diese Leute hören aber nicht gerne – das haben wir ihnen aber im letzten Wahlkampf gesagt –, daß die Wir wissen, daß es vom Bundesverfassungsgericht F.D.P. Steuersenkungen in Höhe von 150 Milliardenaufgrund der Übertragung des Existenzminimums so DM versprochen hat, ohne eine Gegenfinanzierung vor- vorgegeben ist. Aber ich denke, daß wir uns hierzu eine zulegen. Sie hätte dafür einen vollkommen unsolidenLösung überlegen sollten. Haushalt aufstellen müssen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) und bei der SPD) Ich komme zur Übertragung der Kindergeldzahlun- Dementsprechend wäre die Nettoneuverschuldung, lie- gen. Kindergeldzahlungen sind nicht Aufgabe eines Ar- ber Herr Thiele, in den Himmel gewachsen. Sie hätten beitgebers oder einer Arbeitgeberin, sondern sie sind die verfassungsmäßige Grenze um 100 Prozent über-Aufgabe des Staates. Daher ist die Übertragung der Kin- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 691

Christine Scheel (A) dergeldzahlungen auf die Familienkassen sinnvoll. Das Um die Rentenversicherungsbeiträge konstant zu halten (C) wird auch von den Sachverständigen – es liegt mittler- – nicht, um sie zu senken, sondern um sie konstant zu weile alles vor – so beurteilt. halten –, haben Sie in diesem Jahr die Mehrwertsteuer erhöht. Jetzt sagen Sie: Die neue Regierung und die Sie entlastet die Arbeitgeber bereits im Jahre 1999neuen Koalitionsfraktionen wollen die Steuern erhöhen. von einem Teil der Lohnkosten. Sie macht es überflüs- – Das ist eine absolute Lüge! Es ist Unsinn, so etwas zu sig, darauf zu achten, daß der Schwellenwert von 50 Ar- behaupten. Frau Hasselfeldt, genauso unsinnig ist es, zu beitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht überschritten sagen, wir würden die Kindergelderhöhung durch die wird. Bis zu diesem Wert kann der Arbeitgeber oder die Anhebung der Energiekosten kompensieren. Arbeitgeberin heute freigestellt werden. Wenn man sich überlegt, wie kompliziert das war, daß teilweise doppelt (Maria Eichhorn [CDU/CSU]: Genauso ist beurteilt werden mußte, dann sieht man, welchen Unsinn es!) die alte Regierung gemacht hat. Die Anhebung der Energiekosten wird zurückgegeben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durch die Senkung der Lohnnebenkosten. Das ist die und bei der SPD – Hansgeorg Hauser [Red- Wahrheit. nitzhembach] [CDU/CSU]: Der Unsinn war doch von euch!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Wir haben nun eine klare Regelung. Sie entspricht auch der ökonomischen Logik. Auch durch ständige Wiederholung wird Ihre Behaup- tung nicht wahrer. Zudem hat der Bundesrechnungshof in seinem Gut- achten für das Bundesministerium der Finanzen festge- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wie finanzieren Sie stellt, daß die öffentliche Hand dadurch beim Gesetzes- das Kindergeld?) vollzug entlastet wird. Das Auszahlungsverfahren wird Wir werden – das haben wir beschlossen – auch die insgesamt überschaubarer. Reform der Unternehmenssteuer in Angriff nehmen. Hinzu kommt, daß die verfassungsrechtlichen Beden- Wir werden eine Arbeitsgruppe Anfang des Jahres mit ken gegen die Verlagerung staatlicher Verwaltungsauf- dem Ziel einsetzen, einen Steuersatz von 35 Prozent un- gaben auf die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, die in abhängig von der Rechtsform des Unternehmens zu er- dieser Frage die ganze Zeit im Raum schwebten, somit reichen. In diesem Zusammenhang wollen wir auch über auch endlich hinfällig geworden sind. Die Neuregelung die Gewerbesteuer nachdenken. hat also auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht durch- (B) Alle Projekte, die in den letzten Jahren bei Ihnen in(D) aus einen positiven Effekt. der Schublade geblieben sind, werden nun aus der Sicherlich wäre eine Übertragung auf die Finanzkas- Schublade herausgeholt. Sie werden mit dem Ziel der sen anstelle einer Übertragung auf die Familienkassen soliden Finanzierung nachvollziehbar diskutiert, damit eine noch geschicktere Lösung gewesen. Aber diesdie arbeitnehmende Bevölkerung, die Organisationen, wollten die Länder nicht. Da geht es nicht nur um von die Verbände und die Betriebe umfassend informiert der SPD oder den Grünen regierte Länder, sondern dasind, und dann werden sie beschlossen. geht es auch um Bayern und Baden-Württemberg. Im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Prinzip wollten alle Länder diese Lösung im Bundesrat sowie bei Abgeordneten der SPD) in den letzten Jahren nicht mit umsetzen. Ich möchte Sie bitten, die Bevölkerung nicht weiter Das heißt für uns als Regierungspartei: Wir sind ei- zu verunsichern, indem Sie die Reform schlechtmachen, nen Weg gegangen, der auch politisch machbar ist, der anstatt sich inhaltlich und vor allen Dingen konstruktiv eine starke Verbesserung der heutigen Situation bedeu- mit dem auseinanderzusetzen, was wir heute zu ent- tet. Wir tun nicht das, was Sie in den letzten Jahren ge- scheiden haben. tan haben, daß wir Vorschläge in den Bundesrat einbrin- gen, wohl wissend, daß der Bundesrat sie ablehnen wird, Unabhängig von den heute diskutierten Maßnahmen damit wir uns selber zurücklehnen und sagen können:besteht längst Konsens bei allen Fraktionen: Der Steuer- Der Bundesrat ist schuld, deswegen können wir nichts tarif muß gesenkt werden; das Kindergeld und der auf den Weg bringen! Wir haben eine Einigung mit den Grundfreibetrag müssen erhöht werden. Ich möchte Sie Ländern erzielt und beschlossen, die Auszahlung desdaher im Interesse der Bevölkerung dieses Landes aufru- Kindergeldes auf die Familienkassen zu übertragen. fen, dem heute vorgelegten Gesetzentwurf kompromiß- los zuzustimmen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Vielen Dank. Nun zu Ihrem ständigen Vorwurf derSteuererhö- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hung. Ich kann ihn mittlerweile wirklich nicht mehr hö- und bei der SPD) ren.

(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir auch Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat nun die nicht!) Kollegin Gisela Frick, F.D.P. 692 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

(A) Gisela Frick (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen stungen, um die Wohltaten zu bezahlen, die Sie (C) im und Herren! Frau Scheel, Sie werden sicher verstehen, Schweinsgalopp noch in diesem Verfahren verteilen daß wir uns als F.D.P. nicht in der Lage sehen, Ihrenwollen. Vorschlägen kompromißlos zuzustimmen; wir sehen uns (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es!) noch nicht einmal in der Lage, diesen Vorschlägen überhaupt zuzustimmen. Die Belastungen treffen in allererster Linie die Wirt- schaft, auch den Mittelstand. Gott sei Dank stehen wir (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit dieser Auffassung nicht allein, und wir haben nicht NEN]: Dafür haben wir Verständnis! – Hans- nur den gesammelten Sachverstand auf unserer Seite, Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sondern auch Leute aus Ihren Reihen. Das ist auch der NEN]: Das verstehen wir voll!) Grund dafür, warum wir den sogenanntenClement- Herr Poß, weil Sie Ihren Beitrag vorhin unter dieBrief nun als Entschließungsantrag der F.D.P. vorgelegt Überschrift „Wir halten Wort“ gestellt haben, muß ich haben. Nicht alles, aber vieles in diesem Brief entspricht aus unserer Sicht sagen: Das ist ja gerade das Problem, unserer Auffassung. Er beinhaltet eine ganz massive daß Sie Wort halten! Ich wundere mich, daß die Öffent- Kritik an Ihrer Steuerpolitik. Am Ende des Briefes lichkeit so überrascht auf Ihre Steuerpläne reagiert hat, schreibt Clement: Wenn keine Korrekturen an diesem denn sie waren vorher alle bekannt. Diese VorschlägeSteuerentlastungsgesetz vorgenommen würden, würde standen sowohl in Ihrem als auch in dem Programm der es ausgesprochen kontraproduktiv wirken und Arbeits- Grünen. plätze vernichten. (Zuruf von der SPD: Gut, daß Sie das sagen!) (Detlev von Larcher [SPD]: Nein!) – Ich sage es ja. – Die Öffentlichkeit reagierte aber nicht – Doch, das hat er da geschrieben. Nach dem Essen ist freudig, sondern äußerst unangenehm überrascht. Dases dann irgendwie nicht mehr wahr gewesen. Offen- kann ich eben nicht verstehen. sichtlich hat er sich beim Essen bekehren lassen, denn jetzt sagt er, er werde wenigstens dem ersten Teil dieses (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Steuerentlastungsgesetzes im Bundesrat zustimmen. ten der CDU/CSU) Das, was in dem Brief steht, kann ich Ihnen nur noch Das Problem liegt genau darin, daß Sie versuchen, Wort einmal wärmstens zur Lektüre empfehlen. zu halten und Ihre Wahlversprechungen zu erfüllen. (Beifall bei der F.D.P.) (Zuruf des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD] – Ich gebe zu: Auch das ist ein Problem.) Der Brief geht aus unserer Sicht noch nicht weit ge- nug, weil er beispielsweise zum Soli und zum weiteren (B) Wir haben über einen Gesetzentwurf zu entscheiden, der Verlauf der Gewerbesteuer überhaupt nichts sagt und die (D) nur der sogenannte Vorläufer 1 ist. Über den Vorläufer 2 Teilwertabschreibungen, die in Ihrem Koalitionspro- werden wir in der nächsten Woche entscheiden. Imgramm enthalten sind, weiterhin abschaffen will, was Rahmen der Beratung über das sogenannte – das Wort wir auf keinen Fall wollen. Dazu kann ich nur das unter- „sogenannt“ muß unbedingt hinzugesetzt werden stützen, – was die Kollegin Hasselfeldt eben bereits gesagt Steuerentlastungsgesetz werden wir erst im Februar,hat: Das ist Gift für die Arbeitsplätze und die Investi- nach der hessischen Landtagswahl – auch das hat Frau tionen in Deutschland. Hasselfeldt schon erwähnt –, darüber entscheiden, wel- che Grausamkeiten noch kommen werden. (Joachim Poß [SPD]: Den Soli haben Sie auch abschaffen wollen! Das hat die F.D.P. auch (Rainer Brüderle [F.D.P.]: Völlig wahr!) versprochen: vollständige Abschaffung des Dies ist eine Atomisierung des Gesetzgebungsvor- Soli! Wie oft sind Sie wortbrüchig geworden! Sie sind der personifizierte Wortbruch!) habens. Es ist kein Wunder, daß beispielsweise am Mittwoch im Haushaltsausschuß selbst der Vertreter der Deshalb bleibt dieser Brief weit hinter den Vorstel- Grünen, Herr Metzger, der heute leider nicht anwesend lungen der F.D.P. zurück. Aber wir haben ihn heute ist, überhaupt nicht mehr wußte, was eigentlich Sache ist trotzdem als Entschließungsantrag dem Parlament zur und woran er ist. Es ist auch kein Wunder, daß ich ge- Entscheidung vorgelegt, weil wir der Meinung sind, daß stern von Journalisten angerufen wurde, die sich schlau sehr vieles, was in ihm steht, richtig ist. Diesem Antrag machen wollten, wie der aktuelle Verfahrensstand aus- müßten Sie eigentlich auch zustimmen können, weil der sieht. Daher sage ich: Das ganze Gesetzgebungsvorha- Brief ja aus Ihren Reihen kommt. Das sollte man jeden- ben ist eine einzige Zumutung. falls annehmen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich habe zum Verfahren noch einiges zu sagen. Ich Das fängt schon beim Titel des Gesetzes an: „Steuer- sagte eben, der Titel des Gesetzes sei bereits eine Zu- entlastungsgesetz“. Wenigstens haben Sie gleich diemutung. Aber auch das Verfahren ist eine Zumutung. zeitliche Perspektive ehrlich angegeben. Die Entlastung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- tritt nach Ihren eigenen Bekundungen nämlich erst im ten der CDU/CSU – Hans Büttner [Ingolstadt] Jahre 2002 ein und macht etwa 15 Milliarden DM aus. [SPD]: Ihre Rede ist auch eine Zumutung!) Das war allerdings auch schon der Erfolg einer Nach- besserung. Insofern ist die Entlastung auf die lange Bank Wir haben heute morgen in der Geschäftsordnungs- geschoben. Das heißt, wir haben zunächst einmal Bela- debatte schon einiges dazu gehört, wie sehr dieses Ver- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 693

Gisela Frick (A) fahren die Rechte des Parlaments mißachtet. Das giltAber die ist im Moment noch nicht zu erreichen. – Aber (C) insbesondere für die Tatsache, daß der Finanzminister Sie machen jetzt sofort eine komplette Wendung um 180 bei der heutigen Debatte nicht anwesend ist. Ich brauche Grad bzw. einen Rückschritt. all das nicht zu wiederholen.

(Detlev von Larcher [SPD]: Dadurch würde es Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, ge- auch nicht besser!) statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ingrid Aber es ist auch eine Zumutung für die Betroffenen, Matthäus-Maier? also für die Steuerpflichtigen – sowohl für die einzelnen Bürger als auch für die Unternehmen und hier insbeson- dere wieder den Mittelstand –, deren Berater heute über- Gisela Frick (F.D.P.): Ja. haupt noch nicht wissen, in welche Richtung sie beraten sollen. Ich kenne einige Steuerberater, die im Moment Wochenend- und Nachtdienst machen; in diesem Be- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Kollegin, ist reich hat die Regierung also eine echte Arbeitsbeschaf- Ihnen nicht bekannt, daß wir dies alles mit großen fungsmaßnahme geschaffen. Die Steuerberater bekom- Bauchschmerzen tun? men für diese Arbeit aber keine Zuschläge, die steuerfrei (Gisela Frick [F.D.P.]: Aber Sie tun es!) bleiben, sondern es handelt sich um ganz normalen Ge- winn, der in Zukunft sogar noch höher besteuert werden soll, weil sehr viele Gestaltungsmöglichkeiten abge- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Das, was wir ge- schafft werden. meinsam mit der F.D.P. und der CDU/CSU beschlossen Es ist auch eine Zumutung für die Steuerverwaltung, haben, nämlich die sogenannte Finanzamtslösung, hat die sich irgendwie darauf einstellen muß, was auf siedoch daran gekrankt, daß der allergrößte Teil der Ar- zukommt, es aber heute überhaupt noch nicht kann. beitgeber dieser Lösung nicht gefolgt ist. Die Arbeitge- ber haben zum allergrößten Teil einen Ausweg genutzt (Zuruf des Abg. Detlev von Larcher [SPD]) und beim Abzug der Lohnsteuer das Kindergeld eben nicht gleich gegengerechnet. Das war ja unsere gemein- – Heute geht es um den Vorläufer 1, Herr von Larcher, same Idee. Ich verstehe gar nicht, warum Sie darüber la- ein Mini-Programm, das bloß die Erhöhung des Kinder- chen. geldes und eine minimale Entlastung des Eingangs- steuersatzes um 2 Prozentpunkte in einem ganz kleinen Bereich des Tarifs vorsieht sowie die Modalitäten bei Präsident Wolfgang Thierse: Bitte eine Frage! (B) der Auszahlung des Kindergeldes ändert, wobei mich (D) die Änderung bei den Auszahlungsmodalitäten sehr wundert. Gerade die Kollegin Matthäus-Maier ist in der Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Ja, sie kommt, Herr letzten Legislaturperiode und auch davor nicht müdeKollege. geworden, immer wieder die Finanzamtslösung zu re- klamieren. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ach so!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich darf eine Frage ja wohl mit einer Tatsachenbeschrei- bung versehen für diejenigen, die darüber nicht jeden Sie hat immer wieder – Frau Matthäus-Maier, das weiß Tag sprechen. ich natürlich bestens, weil das so häufig in Ihren Reden vorkam – von den beiden Fließbandarbeitern – der eine Wir haben diese Lösung gemeinsam gewollt. Die Ar- hat Kinder, der andere nicht – gesprochen und ausge-beitgeber haben sie unterlaufen. führt, würde das Kindergeld im Rahmen einer Finanz- (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) amtslösung bei der Lohnsteuer verrechnet, bekäme der Arbeiter mit Kindern netto gleich sehr viel mehr LohnDeswegen sind wir der Ansicht, daß eine Zweiteilung, ausbezahlt als der Arbeiter ohne Kinder. Nichts davon so wie wir sie jetzt haben, nicht möglich ist. Sind Sie ist übriggeblieben. nicht auch der Meinung, daß es dann besser ist, die jet- zige Lösung rückgängig zu machen? Wir haben in der letzten Legislaturperiode im Fi- nanzausschuß eine Entschließung verabschiedet (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Einstimmig!) Gisela Frick (F.D.P.): Ich gebe Ihnen recht, daß die Arbeitgeber mit dieser Lösung nicht ganz glücklich wa- – einstimmig; Herr Thiele weist darauf zu Recht hin –, ren. (Detlev von Larcher [SPD]: Eben!) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha!) in der gesagt wurde: Die jetzigen Auszahlungsmodali- Deshalb haben wir ja auch von vornherein gesagt: Dies täten sind ein erster Schritt; das ist noch nicht die opti- ist nur ein erster Schritt in Richtung einer klaren klassi- male Lösung. Eine optimale Lösung wäre die Finanz-schen Finanzamtslösung. Diesen wollten wir zu Ende amtslösung. führen. Sie aber machen jetzt sofort wieder einen Rück- zieher und verfolgen dieses Ziel nicht mehr weiter, in- (Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) dem Sie sagen: Wir wollen eine Finanzamtslösung in 694 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Gisela Frick (A) Zukunft überhaupt nicht mehr und übertragen die Aus- Wir haben im Jahressteuergesetz 1996 den Familienlei- (C) zahlung des Kindergeldes wieder auf die Familienkas- stungsausgleich erheblich verbessert und den Grundfrei- sen. betrag mehr als verdoppelt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Eine Zusatz- (Zuruf von der SPD: Ach was!) frage, bitte!) Diese Maßnahmen sollten genau die gleiche Wirkung – Das alles verlängert meine Redezeit. haben, wie Sie sie jetzt anstreben, nur daß wir damals ein Volumen von über 20 Milliarden DM zur Verfügung hatten und jetzt nur eines von 5,8 Milliarden DM beim Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Frau Kollegin, wären Kindergeld und eine Entlastung der Arbeitnehmer um Sie denn bereit, zusammen mit uns diese Ausweichma- 1,3 Milliarden DM – dies ist jedoch noch nicht so klar – növer der Arbeitgeber abzuschaffen? im Rahmen der Absenkung des Eingangssteuersatzes. Wir haben damals, im Jahressteuergesetz 1996, zu- sätzlich den Kohlepfennig mit einem Volumen von Gisela Frick (F.D.P.): Nein. 8 Milliarden DM abgeschafft. Das heißt: Im Prinzip haben wir damals 30 Milliarden DM Entlastung an die (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha! Da sehen Bürger weitergegeben. Sie einmal, wie unglaubwürdig Sie sind!) Wo aber war die Wirkung auf den Konsum? Wo war Den Schwarzen Peter nur den Arbeitgebern zuzuschie- die Wirkung auf Investitionen? Wo war die Wirkung auf ben ist gerade der Fehler. Ich habe ja bereits in meiner Arbeitsplätze? Es hat überhaupt keine meßbaren Erfolge Antwort auf Ihre erste Frage gesagt, daß die Arbeitgeber gegeben. Insofern ist die Behauptung, daß die Nach- über die jetzige Lösung zum großen Teil nicht glücklich frageaspekte nicht greifen werden, keine Theorie. Wir waren. Diese Erfahrung haben wir doch alle gemacht.haben diese Erfahrungen in der Vergangenheit mit unse- Deshalb müßten wir konsequenterweise einen Schrittren Steuergesetzen gemacht, insbesondere mit dem Jah- weitergehen, nämlich hin zu einer echten und klaren Fi- ressteuergesetz 1996. Das zeigt uns ganz deutlich, daß nanzamtslösung, und nicht einen Schritt zurück. die Ziele, die Sie anstreben, so überhaupt nicht zu errei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – chen sind. Joachim Poß [SPD]: Dazu kann Herr Faltl- Auch das ist wesentlicher Inhalt des Clement-Briefes, hauser etwas sagen angesichts dessen, daß die um auf diesen noch einmal zurückzukommen. Clement Länder 16 : 0 votiert haben!) sagt: Entlastungen im unteren Einkommensbereich und Belastungen der Wirtschaft, insbesondere des Mittel- (B) Dieser Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes ist (D) standes, sind Gift für Investitionen und Arbeitsplätze. eine Zumutung auch vom Inhalt her. Das ist natürlich das weitaus Wichtigste. Auch wenn wir hier in der (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zweiten und dritten Lesung nur über den sogenannten Vorläufer 1 beraten, so haben wir doch das gesamteInsofern ist der Inhalt dieses Steuerentlastungsgesetzes Konzept zu beachten. Dieses Gesamtkonzept ist eindeu- offensichtlich von einer falschen, und zwar total fal- tig von einer Schieflage gekennzeichnet, nämlich vonschen Konzeption gekennzeichnet. einer erheblichen Belastung der Wirtschaft und des Zusätzlich muß man die Gesetze beachten, die neben Mittelstandes sowie von einer nur relativ geringen Ent- dem Steuerentlastungsgesetz geplant sind, nämlich die lastung der Familien durch die Erhöhung des Kindergel- von Ihnen als Ökosteuer bezeichnete Steuererhöhung des und einer Entlastung der Arbeitnehmer – übrigens und – darauf haben eben sowohl Frau Scheel als auch nicht nur der Arbeitnehmer; aber diese haben Sie in er- Herr Poß hingewiesen – die Unternehmensteuerreform. ster Linie im Auge – durch die Senkung des Eingangs- steuersatzes, die minimal ist und auf den Lohnsteuer- Im übrigen ist eineUnternehmensteuerreform ge- tabellen, die uns im Finanzausschuß vorgelegt wurden, plant. Dabei wird nach dem Motto verfahren: Wenn ich überhaupt nicht zu erkennen war. Da mußte man dienicht mehr weiter weiß, gründe ich einen Arbeitskreis. Druckschärfe verbessern, damit man die ÄnderungEs wird also jetzt eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Das überhaupt sehen konnte. aber, was dabei herauskommen soll, ist sowohl zeitlich als auch konzeptionell total vage. Wir wissen nicht, Davon versprechen Sie sich – das ist jetzt das Ent-wann etwas passieren soll. Wir wissen nicht, was passie- scheidende – eine Stärkung des Konsums bzw. derBin- ren soll. nennachfrage und wollen dadurch Investitionen und Arbeitsplätze schaffen. Es tut mir leid: Das ist genau der Wir haben gehört, daß die Steuer rechtsformunab- falsche Weg. hängig sein soll. Viel Vergnügen! Das hatten wir näm- lich schon einmal im Jahr 1952. Das alles ist aber wieder (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) einkassiert worden, weil es überhaupt nicht praktikabel war. Wenn Sie den Sachverständigen nicht glauben, dann sollten Sie doch bitte den Erfahrungen glauben, die wir Wir wissen nicht, ob es sich bei den 35 Prozent um selbst in der letzten Legislaturperiode gemacht haben. einen linearen Steuersatz handeln soll wie bei der Kör- perschaftsteuer oder ob dies der Spitzensteuersatz sein (Lachen bei der SPD) soll wie bei den gewerblichen Einkünften gemäß der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 695

Gisela Frick (A) Einkommensteuer. Das alles ist noch höchst unklar. Wie Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat die(C) können Sie mit solch unklaren Absichtserklärungen – es Kollegin Barbara Höll, PDS-Fraktion. ist nicht mehr als eine politische Absichtserklärung – auch nur erhoffen, daß die Wirtschaft bei dieser Pla- nungsunsicherheit hier investiert, hier Innovationen fin- Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da- det, hier Arbeitsplätze schafft! Das kann doch überhaupt men und Herren! Wir sprechen heute über den Vorläufer nicht aufgehen. 1. Ich bin ein bißchen erstaunt, daß die Vorrednerinnen und Vorredner alle sehr weit ausgeholt und zum Ge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) samtkonzept des Steuerentlastungsgesetzes Stellung ge- Damit kein Mißverständnis aufkommt: Auch wirnommen haben. Dazu haben wir noch keine Anhörung halten es für wünschenswert, die Leistungen für Fami- gehabt, keine weiteren Beratungen in den Ausschüssen; lien und Arbeitnehmer zu verbessern. Wir aber habendazu gibt es eigentlich keine weiteren Erkenntnisse. Sie einen anderen Lösungsansatz. Wir glauben nämlich, daß sind es schuldig geblieben, sich detaillierter mit dem die Schaffung von Arbeitsplätzen die beste Sozialpoli- auseinanderzusetzen, was wir heute verabschieden. tik ist (Beifall der Abg. Dr. Heidi Knake-Werner (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) [PDS]) und damit der Konsum auf ganz natürlichem Wege wie- Bei Frau Frick wundert mich das nicht so sehr; Sie ha- der angekurbelt wird. Wir wissen doch alle, daß wir mit ben ja selbst gesagt, das sei für Sie nur ein „Minimum“. Blick auf den Arbeitsmarkt nicht nur ein Konjunktur-Aber von Herrn Poß und Frau Scheel hätte ich gerne ein problem haben. Sehr viel ausschlaggebender ist unserbißchen mehr dazu gehört. Strukturproblem. Und dieses Strukturproblem werden Ich konzentriere mich auf das, was wir heute verab- Sie mit Ihren Plänen nicht lösen können. schieden wollen. Denn – das ist wichtig – wir haben uns (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- damit auseinanderzusetzen, ob wir als Parlament unter ten der CDU/CSU) der neuen Regierung endlich dieMaßgaben des Bun- desverfassungsgerichtes einhalten oder ob dieser Maß- Das ist der Grund, weshalb wir auch den ersten Teil stab immer noch nicht erfüllt wird, auch unter rotgrün ablehnen. Wir sehen ihn nämlich als Teil des Gesamt- nicht. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von konzeptes, wenn das Gesamtkonzept auch in vielen Be- 1992 wurde ausgeführt, daß dem Steuerpflichtigen nach reichen kaum zu erkennen ist. Wir haben dem Parlament Erfüllung seiner Steuerpflicht von seinem Einkommen statt dessen den Clement-Brief als Entschließung vor-soviel verbleiben muß, wie er zur Bestreitung des not- gelegt und werden dem natürlich in der namentlichenwendigen Lebensunterhaltes – seines eigenen und desje- (B) Abstimmung zustimmen. nigen seiner Familie – bedarf. Die Höhe hängt nach(D) Aussagen des Gerichtes von den allgemeinen wirt- Sie selbst haben gesagt, die Regierung müsse sich am schaftlichen Verhältnissen und dem anerkannten Min- Ende der Legislaturperiode an ihren Erfolgen im Be- destbedarf ab. schäftigungssegment messen lassen. Sicher, es herrscht seitdem in Wirtschaft, Politik und (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Das werden den verschiedenen Verbänden darüber ein ziemlich wir in vier Jahren tun!) kontroverser Streit. Aber man muß feststellen, daß es Als Oppositionspolitikerin könnte ich mich jetzt beru- unter den Experten bisher weitgehende Einigkeit dar- higt zurücklehnen und sagen: Prima! Ich weiß nämlich über gab – von den Wohlfahrtsverbänden bis zu den schon, was dabei herauskommt: Der Beschäftigungs-Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen –, daß markt wird eher zusammenbrechen. Zumindest werden der von der alten Regierung für 1999 vorgesehene wir weniger Arbeitsplätze und mehr Arbeitslose haben Grundfreibetrag von 13 000 DM unzureichend ist und als zu Beginn dieser Legislaturperiode. Sie werden sich damit nicht der Maßgabe des Bundesverfassungsgerich- dann die Quittung bei den Wählern abholen. tes entspricht. Ich bin aber nicht nur Oppositionspolitikerin, sondern Ich zitiere – der SPD zur Erinnerung – aus dem Ent- fühle mich für das ganze Land verantwortlich. schließungsantrag der SPD auf Drucksache 13/8057: (Zurufe von der SPD: Oh!) Der vorgesehene Grundfreibetrag in Höhe von 13 000 DM/26 000 DM ist unzulänglich und ver- Deshalb bedaure ich es sehr, daß wir durch Ihre Vor- fassungsrechtlich bedenklich. Er stellt keine Ver- schläge, durch das, was Sie mit der Mehrheit im Bun- besserung gegenüber dem 1999 geltenden Recht desrat sehr viel schneller durchsetzen können als wir in dar. diesen Bereichen in der vergangenen Legislaturperiode, vier Jahre verlieren. Das ist schade für das Land. Es ist Im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- vertane Zeit. Wir werden zusehen, daß wir verhindern che 13/7895 war zu lesen: können, was zu verhindern ist. Die Bundesregierung sieht vor, das Existenzmini- Danke schön. mum nur leicht, von 12 365 DM (1998) auf 13 067 DM, anzuheben. Dies erscheint vor dem Hinter- (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. und der grund der Entscheidung des Bundesverfassungsge- CDU/CSU) richtes . . . als weitaus zu gering. 696 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Dr. Barbara Höll (A) Und tatsächlich: Die alte Bundesregierung Höhe von von 14 000 DM; Bündnis 90/Die Grünen forderte (C) CDU/CSU und F.D.P. hat in Vorbereitung des Bundes- 15 000 DM. Jetzt, nach der Wahl, verharren Sie mit dem verfassungsgerichtsurteils bereits 1992 das Existenzmi- Argument von Haushaltszwängen bei einem verfas- nimum mit 12 400 DM veranschlagt, unter Berücksich- sungswidrigen Zustand. Das kann doch nicht sein. tigung des Mehrbedarfszuschlages auf 14 000 DM. Un- (Beifall bei der PDS) geachtet dessen, daß CDU/CSU und F.D.P. den Grund- freibetrag für 1996 trotz alledem auf 12 096 DM festge- Meine Damen und Herren von der Regierung und der legt haben, halten Sie von der Koalition heute de facto Regierungskoalition, die Einhaltung der Verfassung an diesen alten Beschlüssen fest. Das kann doch nichtkann und darf nicht von der Haushaltslage abhängig Sinn und Zweck eines Regierungswechsels sein! sein. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Dies ist in zweierlei Hinsicht bedenklich. Zum ersten: Die Regierung hat vielmehr mit ihrer Politik die Verfas- Sie argumentieren, daß die Orientierung durch densungsmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen. Wenn durchschnittlichen Sozialhilferegelsatz gegeben sei. Sie dabei in Finanzierungsengpässe geraten, verzichten Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, daß der Sie doch zum Beispiel auf die Senkung des Spitzensteu- durchschnittliche Sozialhilferegelsatz das Existenzmi- ersatzes. nimum der Menschen in dieser Bundesrepublik absi- chert! (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Daneben haben wir andere Vorschläge, wie zum Bei- spiel die Wiedererhebung der Vermögensteuer, die Sie Das ist nicht so; er ist nicht bedarfsgerecht. Noch einmal auf den Sanktnimmerleinstag verschieben wollen, ge- zur Erinnerung: Nach EU-Maßstab müßten es 1 425 DM macht. pro Monat sein, um in dieser Bundesrepublik überhaupt über die Armutsgrenze zu kommen. Die PDS hat heute einen Änderungs- und einen Ent- schließungsantrag eingebracht. Wir wollen sicherstellen, Zum zweiten sind die Sozialhilferegelsätze bekannt- daß der steuerfreie Grundbetrag zum 1. Januar des lich regional unterschiedlich und abhängig von den je- nächsten Jahres auf 15 000 DM festgelegt wird. Damit weiligen Lebenshaltungskosten wie Heizung, Miete,könnte man versuchen, in einem absehbaren Zeitraum Energie. Die Höhe des steuerlichen Existenzminimums innerhalb einer Wahlperiode das verfassungsmäßige orientiert sich nun an dem Durchschnitt der Sozialhilfe- Gebot schrittweise zu erreichen, so daß wir bei minde- regelsätze. Das heißt, daß mit dem Grundfreibetrag für stens 17 000 DM im Jahre 2002 ankommen. 1999 von 13 200 DM das Existenzminimum von Bürge- (B) (D) rinnen und Bürgern in Berlin, Hamburg und München Gleiches gilt für die Erhöhung des Kindergeldes. Sie auf Grund der dort zum Beispiel sehr hohen Mietkosten schlagen vor, das Kindergeld im nächsten Jahr auf 250 noch weniger als auf dem flachen Land abgedeckt ist.DM anzuheben. Das unterstützen wir natürlich. Aber Sie Das steuerfreie Existenzminimum in diesen Regionenbleiben auch an diesem Punkt sowohl hinter den aktuel- liegt unter dem Niveau der dortigen Sozialhilfe. Indem len Erfordernissen als auch hinter Ihren eigenen Ansprü- Sie den Menschen, die in Hamburg, Berlin oder Mün- chen zurück. Bereits 1996 forderte die SPD ein Kinder- chen erwerbstätig sind, weniger Einkommen belassen, geld in Höhe von 250 DM. Jetzt machen Sie die Neu- als Sozialhilfeberechtigte vom Staat erhalten, stellen Sie auflage der Forderung von 1994, ignorieren jedoch, daß den Sozialstaat tatsächlich auf den Kopf. das Bundesverfassungsgericht auch die steuerliche Frei- stellung des Existenzminimums des Kindes verfügt hat. (Beifall bei der PDS) Unter Berücksichtigung der inzwischen gestiegenen Genau an diesem Punkt verstoßen Sie wiederum gegen Lebenshaltungskosten von Familien durch Kostensteige- das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das vor-rungen bei Miete, Heizung, Strom usw. ist klar, daß be- schreibt, daß das Existenzminimum für alle Menschen reits jetzt 300 DM das verfassungsmäßige Gebot sind. gleichermaßen steuerfrei zu stellen ist. Das heißt aberDas haben Sie von Bündnis 90/Die Grünen ebenso wie nichts anderes, als daß der Grundfreibetrag mindestens die PDS in der letzten Legislaturperiode gefordert. Wir in Höhe des bundesweit höchsten Sozialhilfesatzes lie- werden das weiterhin einklagen. Deshalb haben wir ei- gen muß, um wirklich allen Menschen das Existenzmi- nen Antrag eingebracht. nimum halbwegs sicherzustellen. Sie argumentieren bei Ihrem halbherzigen Schritt (Beifall bei der PDS) wieder einmal damit, daß Sie gern mehr durchsetzen würden, wenn Sie das Geld dafür hätten. Ich muß aber Beim dualen System vonKindergeld und Kinder- klipp und klar sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen freibetrag wird genau das verwirklicht. Deshalb wollen von der Regierungskoaltion: Das Kindergeld ist keine wir auch dessen Beibehaltung, bis die von der Verfas- Größe, das je nach Belieben und aktueller Haushaltslage sung vorgesehenen 300 DM mindestens für jedes Kind nach oben und unten angepaßt werden kann. erreicht sind. (Beifall bei der PDS) Diese Erkenntnisse hatten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, in der Das Kindergeld ist keine Sozialleistung, sondern Teil vergangenen Legislaturperiode. Folgerichtig forderte die des Einkommens der Eltern, auf das der Staat nach der SPD für 1998 ein steuerfreies Existenzminimum Verfassung in keinen Zugriff haben darf. Ich war sehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 697

Dr. Barbara Höll (A) erstaunt, daß Frau Scheel hier vorschlägt, gegen dieses Wir entlasten die Mehrzahl der Arbeitnehmer und ihre(C) Gebot zu verstoßen. Sie widerspricht damit ihren eige- Familien. Damit zielen wir ganz eindeutig auf die Mehr- nen Ansätzen. Auch Kinder sind eigenständige Persön- heit der Bevölkerung in unserem Land, die dies braucht. lichkeiten und sollten nicht auf diese Art und Weise gegen das Einkommen ihrer Eltern aufgerechnet werden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der PDS) Unser Land braucht eine deutliche Stärkung der Bin- Lassen Sie uns hier die Verfassung einhalten. Das ist der nennachfrage, eine echte Verbesserung der Investitions- richtige Weg. bedingungen und eine gerechtere Verteilung des Wohl- (Beifall bei der PDS) stands. Die dreistufige Steuerreform wird dazu einen unverzichtbaren Beitrag leisten. Die Steuerreform ist Sie haben in Ihrem großen Gesetzentwurf des Steuer- sozial gerecht, sie ist wachstums- und beschäftigungs- entlastungsgesetzes 1999/2000/2002 eine Finanzierungs- fördernd, und sie ist solide finanziert. Sie entlastet durch quelle aufgezeigt. Sie schlagen die Begrenzung deseine deutliche Senkung der Steuersätze, und sie führt zu Ehegattensplittings – allerdings nicht jetzt, sondern erst mehr Steuergerechtigkeit durch eine nachhaltige Ver- im Jahre 2002 – vor, um damit eine Erhöhung des Kin- breiterung der Bemessungsgrundlage. dergelds um 10 DM zu finanzieren. Warum sind Sie wieder so halbherzig? Fangen Sie an! Folgen Sie unse- Das Gesamtvolumen der Reform ist höher als das der rem Vorschlag der Kappung des Ehegattensplittings im dreistufigen Reform der alten Regierung in den 80er ersten Schritt bereits für das nächste Jahr und schrittwei- Jahren. Die Bruttoentlastung beträgt rund 57 Milliar- se fortschreitend bis zur tatsächlichen Individualisierung den DM. Rund 42 Milliarden DM werden durch den des Steuerrechts – bei sozialer Kompensation. Ich binAbbau von Steuervergünstigungen finanziert. Insgesamt erstaunt: Meines Erachtens ist das immer noch Be-wird es in der dritten Stufe eine haushaltspolitisch reali- schlußlage der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokra-stische und gesamtwirtschaftlich akzeptable Nettoentla- tischer Frauen. Warum setzen Sie sich da nicht endlich stung von rund 15 Milliarden DM geben. einmal durch, auch hier in der Fraktion, und verwirk- lichen diesen Parteibeschluß? Vorrang haben aber zunächst die Familien und Ar- beitnehmer. Die Steuerlast ist derzeit ungerecht verteilt. (Beifall bei der PDS) Das hat die alte Regierung zu verantworten. Um das zu Seien Sie nicht so zaghaft! Gehen Sie diesen Schritt! ändern, ist diese neue Regierung gewählt worden. Wir tun das jetzt. Wir fordern Sie deshalb auf: Wenn Sie nach der Re- (Beifall bei der SPD) (B) gierungsübernahme Ihre Erkenntnisse und die aktuellen (D) Erfordernisse nicht einfach über Bord werfen wollen, sondern dazu stehen, dann folgen Sie unseren Anträgen. Familien mit zwei Kindern werden ab dem Jahr 2002 Stimmen Sie ihnen zu! Wir stimmen Ihrem Vorschlag um 2 700 DM im Jahr und schon im nächsten Jahr um der Erhöhung zu. Aber bleiben Sie nicht so halbherzig, rund 1 200 DM entlastet. Im Gegensatz zu den Tarifen sondern seien Sie auch an der Stelle ein bißchen wage- von 1996 und 1998 und auch dem jetzt noch gültigen, mutig! aber von uns zu ändernden Tarif 1999 sieht der neue Tarif eine, wenn auch zunächst geringe Entlastung aller (Beifall bei der PDS) Steuerpflichtigen beim Durchschnittssteuersatz vor. Da nützt es auch nichts, Frau Kollegin Frick, Spielchen mit dem Grenzsteuersatz zu machen. Es kommt darauf Das Wort hat nun die Präsident Wolfgang Thierse: an, was im Portemonnaie ist. Das wird durch den Durch- Parlamentarische Staatssekretärin Barbara Hendricks. schnittssteuersatz gemessen.

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) lieben Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Steuerent- Das ist der erste Schritt. In den nächsten Stufen, 2000 lastungsgesetz 1999/2000/2002 setzen wir um, was wir und 2002, verstärkt sich dieser positive Effekt. uns auf dem Gebiet der Steuerpolitik im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern in den Koalitionsverein- Der Vorwurf, der Mittelstand würde nicht ent-, son- barungen vorgenommen haben. Wir bringen jetzt aufdern belastet, trifft einfach nicht zu. den Weg, wofür diese Regierung gewählt worden ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wir haben die Belange des Mittelstandes bei den Ent- scheidungen über die Verbreiterung der Bemessungs- Wir machen endlich Ernst mit dem, was dem Durch-grundlage besonders berücksichtigt. Ich will folgende schnittsbürger über mehr als eineinhalb Jahrzehnte zwar Beispiele nennen: Der Verlustvortrag wird nicht an- versprochen, aber von der vorherigen Regierung niegetastet. Verluste können uneingeschränkt auch weiter- eingelöst wurde: hin vorgetragen werden. Das wollten Sie nicht. Für die (Beifall des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] Abschaffung des Verlustrücktrages ist eine Übergangs- [SPD]) frist eingeführt worden. Bis einschließlich 2000 dürfen 698 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Verluste bis zu 2 Millionen DM auf das Vorjahr zurück- Die Aufkommenszahlen des Finanzierungstableaus (C) getragen werden. ergeben für die Wirtschaft ein nicht zutreffendes, nach- teilig verzerrtes Bild. In dem von diesem Tableau abge- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Dann ist er deckten Zeitraum dominieren die hohen Einmalbela- weg!) stungen bzw. die vorgezogenen Belastungswirkungen. – Sie wollten sogar an den Verlustrücktrag und denDie Zeiträume, in denen sich diese vorübergehenden Verlustvortrag ran. Herr Kollege, Sie sollen hier nichtBelastungen wieder zurückbilden, sind hingegen in dem immer die Unwahrheit sagen. Tableau nicht enthalten. Die im Finanzierungstableau ausgewiesenen Steuermehr- und Steuermindereinnah- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ men haben lediglich den Zweck, die Auswirkungen des DIE GRÜNEN) Steuerentlastungsgesetzes auf die öffentlichen Haushalte im Finanzplanungszeitraum darzustellen. In ökonomi- Beim Verlustausgleich gibt es für aktive Einkünftescher Betrachtung sind die Gesamtwirkungen des der Unternehmen keine Einschränkungen. Der gewerb- Steuerpakets auf die Wirtschaft und insbesondere auf liche Mittelstand ist von der sogenannten Mindestbe-den Mittelstand sehr viel positiver einzuschätzen, als steuerung nicht betroffen. Den Erhalt der steuerfreiendies bei isolierter Betrachtung des Finanzierungstableaus Wiedereinlage von Gewinnen aus dem Verkauf vonder Fall zu sein scheint. Grundstücken und Gebäuden haben wir ebenfalls vorge- sehen, ebenso die Möglichkeit, den realisierten Gewinn In ihrem Entschließungsantrag vom 1. Dezember beim Verkauf eines Unternehmens rechnerisch auf fünf 1998 fordert die F.D.P. neben der Steuersenkung für Jahre zu verteilen, um die Progressionswirkung abzu-private Haushalte eine stärkere Nettoentlastung der schwächen. Auch dies dient dem Mittelstand. Wirtschaft. Übersehen oder bewußt unterschlagen wird dabei: Deutschland hat schon die niedrigste Steuerquote Weiterhin dient dem Mittelstand die degressive Ab- in Europa, zwar nicht für Arbeitnehmer, aber für Unter- schreibung für Ausrüstungsinvestitionen in Höhe vonnehmen. 30 Prozent, die im ersten Jahr voll erhalten bleibt. Im internationalen Vergleich liegen wir damit über dem (Beifall bei der SPD – Zurufe von der SPD: Durchschnitt. Hört! Hört! Sehr wahr!) (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Wer schon jetzt eine Nettoentlastung von 30 Mil- liarden DM und mehr fordert, ist einfach finanzpolitisch Was eigentlich im Vordergrund steht: DieUnter- unseriös und sozial blind. nehmensteuersätze werden deutlich gesenkt. Das bringt (Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: So die Entlastung. Das aber wird von den vielen Kritikern ist es!) (B) übersehen; auch Sie tun das hier geflissentlich, willent- (D) lich und wider besseres Wissen. Alle, die dies tun, nehmen Verschlechterungen der Staatsleistungen in Kauf. (Beifall bei der SPD) In Kürze wird eine Kommission für eine umfassende Frau Kollegin, ge- Unternehmensteuerreform eingesetzt. Ziel dieser Kom- Präsident Wolfgang Thierse: statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fromme? mission ist ein einheitlicher, rechtsformunabhängiger Unternehmensteuersatz von 35 Prozent. Selbstverständ- lich darf das Ergebnis nicht zu Lasten der mittelständi- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim schen Wirtschaft gehen. So ist beispielsweise zu prüfen, Bundesminister der Finanzen: Bitte sehr, Herr Kollege. ob den Unternehmen ein Wahlrecht eingeräumt werden sollte. Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Frau Staats- Mit der Reform der Unternehmensbesteuerung imsekretärin, geben Sie mir recht, daß in Deutschland viele Jahre 2000 werden wir die Position unserer Unterneh- Dinge über die Sozialversicherung finanziert werden, men im internationalen Steuer- und Standortwettbewerb die in anderen Ländern über die Steuer finanziert wer- deutlich verbessern. Dafür werden wir Steuersubventio- den, und daß man deshalb nicht die Steuerquote, son- nen streichen. Die Abschaffung überflüssiger Steuerver- dern nur die Abgabenquote vergleichen kann? günstigungen und undurchsichtiger Steuervorschriften dient der Steuergerechtigkeit und zugleich der Finanzie- rung der Entlastungsmaßnahmen, soweit sie über die Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim geplante Nettoentlastung von 15 Milliarden DM Bundesminister er- der Finanzen: Herr Kollege Fromme, bracht werden muß. die Sozialversicherungssysteme sind auch innerhalb der Europäischen Union ausgesprochen unterschiedlich. Ein sachlich zutreffender Vergleich von Be- und Aber trotzdem ist festzustellen, daß wir die niedrigste Entlastungsmaßnahmen darf nicht auf einzelne Rech- Steuerquote in der Europäischen Union haben und daß nungsjahre beschränkt werden, sondern muß einen län- die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1997 die nied- geren Zeitraum umfassen. Dies entspricht auch der in rigste Steuerquote seit Bestehen der Republik, also, seit der Wirtschaft üblichen Investitions- und Steuerplanung. 1949, hatte. Dies wird sich in diesem Jahr so fortsetzen. Die Grundlagen ergeben sich aus der Finanzierungs- rechnung. (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 699

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) Das können wir noch nicht ändern. Aber es wird in der dung kommen zu lassen, wonach die Lasten der Kinder- (C) Tat irgendwann notwendig, daß die Wirtschaft, insbe- gelderhöhung zu 76 Prozent vom Bund getragen werden sondere die Großwirtschaft, wieder ihre Verantwortung (Joachim Poß [SPD]: 74 Prozent!) für die öffentlichen Haushalte mit übernimmt, (Beifall bei der SPD und der PDS) – oder zu 74 Prozent – und zu 26 Prozent von den Län- dern zu tragen sind. so daß wir in der Lage sind, Arbeitnehmerinnen und Ar- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Herr Kollege, beitnehmer und den Mittelstand zu entlasten. Denn die ungleiche Verteilung der Steuerbelastung in der Wirt- die Zahlen sollten Sie kennen!) schaft, nämlich zu Lasten des Mittelstandes und zugun- sten der bilanzierenden Großindustrie, hat die alte Bun- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim desregierung zu verantworten. Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Kalb, in der Tat ist in dem Gesetz festgelegt, daß der Bund zu (Beifall bei der SPD – Ingrid Matthäus-Maier 74 Prozent und die Länder zu 26 Prozent an den Kinder- [SPD]: Genau! – Joachim Poß [SPD]: Das ist geldlasten zu beteiligen sind. Ich darf Sie darauf auf- die Erblast von Waigel und Kohl!) merksam machen, daß die Länder sozusagen noch eine Senkung der Steuersätze und Verbreiterung der Be- Altforderung gegen den alten Bundesfinanzminister er- messungsgrundlage sind die zwei Seiten einer Medaille. heben, die sich auf 4 Milliarden DM beläuft. Wer niedrige und international voll konkurrenzfähige Steuersätze will, kann sich nicht gegen den Abbau ( [SPD]: Altlast!) zahlloser Sondervorschriften stellen, die unser Steuersy- Dafür sieht sich die neue Bundesregierung nicht in der stem nach und nach ausgehöhlt haben. Es muß ganz ein- Verantwortung. fach heißen – das versteht auch jeder Mensch –: Wer A sagt, muß auch B sagen. (Beifall bei der SPD – Auch die SPD-regierten Bundesländer unterstützen [CDU/CSU]: Milchmädchenrechnung!) unsere Steuerreform. Sie sind mit der Bundesregierung Ich darf Sie des weiteren darauf aufmerksam machen der Auffassung, daß die Steuerreform zu einer dauer- haften Entlastung des Mittelstandes führt. (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Milch- mädchenrechnung!) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Aber nicht Herr Clement!) – Herr Kollege Schulhoff, Sie sind doch sonst ein ganz umgänglicher Kerl –, (B) Dies ist das Ergebnis der gestrigen Sitzung des Finanz- (D) ausschusses des Bundesrates. Gerade die Bundesländer (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) sind auf eine solide finanzierte Steuerreform angewie- sen. daß die Länder in der Tat einen grundgesetzlich ver- Heute soll der Vorläufer zum Gesamtpaket des Steuer- bürgten Anspruch auf Deckung dieser Mehrausgaben für entlastungsgesetzes verabschiedet werden. Dieser Vorläu- das Kindergeld haben. Das ist unbestritten. Er beläuft fer ist vom Gesamtpaket abgekoppelt worden. Dies war sich für das Jahr 1999 auf 1,8 Milliarden DM durch die erforderlich, um diejenigen Maßnahmen umzusetzen, die jetzige Erhöhung und auf 2,2 Milliarden DM aus dem, schon dieses Jahr im Gesetz stehen müssen. was die alte Bundesregierung noch nicht getan hat. Das sind zusammen 4 Milliarden DM. Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Frau Kollegin, ge- Präsident Wolfgang Thierse: Ich darf Sie aber darüber hinaus darauf aufmerksam statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kalb? machen, daß in Art. 106 unserer Verfassung die allge- meine Deckung der Ausgaben und Aufgaben aller Ebe- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim nen des Staates normiert ist. Dies ist sozusagen das Bundesminister der Finanzen: Ja, gerne, Herr Kollege. Dach, das Grundgesetz innerhalb der Finanzverfassung. Darunter gibt es in der Tat auch noch einen Rechtsan- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vorsicht, Herr spruch der Länder. Kollege!) Aber man muß auch sagen – der liebe Kollege Wai- gel hat sich ja früher immer über den Tisch ziehen las- Bartholomäus Kalb (CDU/CSU): Frau Staatsse- sen –: Es geht dem Bund schlechter als den Ländern. kretärin, weil Sie gerade die Finanzministerkonferenz von gestern erwähnen, möchte ich Ihnen eine Frage (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Reden Sie stellen, die im Haushaltsausschuß weder am Mittwoch doch kein Blech!) noch am Donnerstag beantwortet werden konnte, – Herr Kollege Waigel, Sie standen doch vor dem Pro- (Klaus Lennartz [SPD]: Das lag doch an blem, daß Sie nicht nach Hause hätten kommen dürfen, Ihnen!) wenn Sie Herrn Stoiber nicht nachgegeben hätten. nämlich ob Sie im Zuge der Kindergelderhöhung bereit (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem sind, den § 1 des Finanzausgleichgesetzes zur Anwen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 700 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin, ge- Ein neuer Antrag auf Auszahlung des Kindergeldes(C) statten Sie noch eine Nachfrage? ist nicht erforderlich. Der Kindergeldempfänger muß der Familienkasse nur eine eventuell geänderte Kontonum- mer mitteilen. Dazu erhalten diejenigen Arbeitnehmer Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim der Privatwirtschaft, deren Kindergeld bisher vom Ar- Bundesminister der Finanzen: Ja, sofort, wenn ich die er- beitgeber ausgezahlt wurde, einen Brief von der Famili- ste Frage beantwortet habe. – Herr Kalb, bleiben Sie bitte enkasse. Die Versendung der Briefe ist bereits im Gange stehen; ich bin mit meiner Antwort noch nicht fertig. und wird spätestens am 7. Dezember, also in drei Tagen, (Lachen bei der SPD) abgeschlossen sein. Die Kindergeldempfänger können Deswegen muß der Bund zunächst seinen Anspruch so pünktlich das erhöhte Kindergeld für Januar erhalten. auf die allgemeine Deckung seiner Ausgaben und Auf- Je nach der Endziffer der Kindergeldnummer wird das gaben erfüllt haben. Dann haben die Länder einen weite- Kindergeld ab dem 5. Januar bis zum 22. Januar 1999 ren Anspruch. ausgezahlt. Das ist also ein sehr rationales und nachvoll- ziehbares Verfahren. (Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/CSU] nimmt wieder Platz) (Detlev von Larcher [SPD]: Frau Hasselfeldt, haben Sie zugehört?) – Herr Präsident, ich bin trotzdem noch bei der Beant- wortung. Das bedeutet eine regelmäßig frühere Auszahlung als die bisherige zusammen mit dem Gehalt durch den Ar- Ich darf im übrigen darauf aufmerksam machen, daß beitgeber am Ende des Monats. im Jahr 1999 das Finanztableau des Steuerentlastungs- gesetzes ein Positivsaldo für alle Ebenen des Staates, al- Von einer Zeitung geweckte Zweifel, daß die Um- so für Bund, Länder und Gemeinden, vorsieht. Es kann stellung nicht klappen könnte, sind völlig unberechtigt. schlechterdings nicht vernünftig sein, für einen gar nicht Ich sage dies ausdrücklich an alle Leserinnen und Leser entstehenden finanziellen Ausfall eine Deckung zu for- dieser Zeitung, die dadurch in den vergangenen Tagen dern. Für etwas, das nicht ausfällt, kann man auch keine möglicherweise beunruhigt wurden. Kompensation fordern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN und der PDS – Klaus Lennartz Beim Investitionszulagengesetz 1996 und dem För- [SPD]: Rügen! Er muß doch stehenbleiben! dergebietsgesetz besteht ein unmittelbarer Handlungs- Was hat er für ein Benehmen da hinten? Das bedarf. Die Ergebnisse von zweiHauptprüfverfahren ist doch unmöglich, Herr Kalb!) der Europäischen Kommission, die mit Wirkung von (B) (D) – Schon in Ordnung! Ich mache jetzt weiter. Anfang September 1998 zuungunsten der Bundesrepu- blik Deutschland entschieden worden sind, müssen in Im einzelnen sind folgende Maßnahmen in dem heute nationales Recht umgesetzt werden. zur Abstimmung anstehenden Gesetzentwurf vorgese- hen: die Senkung des Eingangsteuersatzes von 25,9 auf Der Vorwurf der Opposition, der Entwurf des Steuer- 23,9 Prozent, die Erhöhung des Kindergeldes für das er- entlastungsgesetzes enthalte keinen ausreichenden Dek- ste und zweite Kind um je 30 DM monatlich, die Aus- kungsvorschlag und sei nicht mit der Haushaltslage des zahlung des Kindergeldes in allen Fällen durch die Fa- Bundes in den kommenden Jahren vereinbar, ist völlig milienkassen. unbegründet. Bereits für den Monat Januar 1999 sollen die Arbeit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) geber auf der Grundlage desneuen Einkommensteu- Der Entwurf des Steuerentlastungsgesetzes enthält fast ertarifs die Lohnsteuer berechnen und die Arbeitnehmer 80 Gegenfinanzierungsmaßnahmen im Gesamtvolumen entlasten. Die Vorarbeiten zum Lohnsteuerabzug sind von über 10 Milliarden DM schon für das nächste Jahr, bereits angelaufen. Die Bundesregierung war sich deransteigend bis auf über 41 Milliarden DM im Jahre Dringlichkeit natürlich bewußt. Die Verwaltung ist be- 2002. Die in dem heutigen Gesetz enthaltenen Entla- reits mit der Entschließung des Deutschen Bundestages stungen können dadurch mehr als gedeckt werden. vom 13. November 1998 beauftragt worden, die zum 1. Januar 1999 wirksam werdenden Tabellenänderungen Die in § 96 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Deut- schon vor dem Gesetzesbeschluß umzusetzen. Die maß- schen Bundestages genannte Bedingung, daß Möglich- gebenden Programmabläufe sind bereits angefertigt und keiten künftiger Deckung aufzuzeigen sind, wurde können von den Internet-Seiten des Bundesfinanzmi-selbstverständlich erfüllt. Dies wird im Bericht des nisteriums heruntergeladen werden. Die daneben be-Haushaltsausschusses eindeutig festgestellt. Die Voraus- deutsamen Tabellen der Privatverlage werden in Kürze setzungen für eine Beratung der Vorlage sind damit na- ausgeliefert. türlich gegeben. Die Einwände der Opposition sind le- diglich billige, formale Tricks, mit denen verhindert Auch das Kindergeld soll schon ab Januar kommen- werden soll, daß Familien mit Kindern und Normalver- den Jahres beim ersten und zweiten Kind in Höhe von diener zum 1. Januar 1999 eine Entlastung erhalten, die 250 DM monatlich ausgezahlt werden. Weiterhin sollen ihnen zusteht. auf Wusch der Wirtschaft die Familienkassen die Kin- dergeldauszahlung zum 1. Januar 1999 vollständig über- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Die gönnen nehmen. Auch das haben wir so geregelt. denen das nicht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 701

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks (A) – Ja, so ist es, Frau Kollegin Matthäus-Maier: Die gön- Jahr der Verlustrücktrag von 10 auf 2 Millionen DM re- (C) nen denen das nicht. duziert und ab 2001 komplett abgeschafft. Ausweislich der Drucksache 13/8020 vom 24. Juni 1997 zum Steuer- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans- reformgesetz 1998, die ich Ihnen gleich geben werde, Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hatte die alte Koalition die Beibehaltung des Verlust- NEN – Ludwig Stiegler [SPD]: Ihr hättet es rücktrages in Höhe von 10 Millionen DM für ein Jahr doch machen können! Warum habt ihr denn beschlossen. nichts gemacht?) (Klaus Lennartz [SPD]: Für ein Jahr! Was Die heutigen Oppositionsfraktionen haben den Ar- kommt dann? – Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: beitnehmern über viele Jahre Steuerentlastungen vorent- Das ist etwas anderes als Abschaffen!) halten und lieber ihre Klientel der Unternehmer und Großverdiener entlastet. Dies muß ein Ende haben. Parl. Staatssekretärin beim (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Barbara Hendricks, Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, darf ich Sie Auch durch juristische Winkelzüge und Geschäftsord- darauf aufmerksam machen, daß das genau das entlarvt, nungstricks wird es der Opposition nicht mehr gelingen, was Sie immer hier betreiben? Steuergerechtigkeit in unserem Land zu verhindern. (Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: (Beifall bei der SPD) Was ist das hier? Woher hat sie denn das Wort? Was ist das denn für eine Art, Herr Prä- Alles, was nicht zum heutigen Gesetzentwurf gehört, sident? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU) soll im Gesamtentwurf im März 1999 – weitestgehend rückwirkend zum 1. Januar 1999 – beschlossen werden. Sie reden von Verlustrücktrag unter dem Gesichtspunkt Das betrifft auch die Maßnahmen zur Finanzierung im des Mittelstandes. Sie halten uns vor, wir seien mittel- Bereich der steuerlichen Bemessungsgrundlage ein-standsfeindlich, und bringen das Beispiel des Verlust- schließlich der Finanzierung der ersten Stufe der Steuer- rücktrages. reform. Was tun wir? Wir sagen: Für zwei Jahre bleibt der Die im Gesamtentwurf vorgesehenen Finanzierungs- Verlustrücktrag in Höhe von 2 Millionen DM erhalten. maßnahmen werden im Lichte der Ergebnisse des öf-Das ist doch wohl eine Größenordnung, die mittel- fentlichen Hearings, das der Finanzausschuß am Montag standsfreundlich ist. und Dienstag nächster Woche durchführt, vertieft bera- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten werden. (B) In Einzelpunkten wird es sicherlich Korrekturen ge- Sie dagegen wollten den Verlustrücktrag und damit die(D) Begünstigung der entsprechenden Bereiche nur für ein ben müssen. Natürlich sollen Alternativen untersucht Jahr in Höhe von 10 Millionen DM erhalten und darüber werden, die allerdings mit den gesetzten Zielen der Ge- setzesvorlage übereinstimmen müssen. Werden geplante hinaus abschaffen. Finanzierungsmaßnahmen wieder herausgenommen Ich habe im übrigen darauf hingewiesen, daß Sie oder gemildert oder sonst wie geändert, muß die dadurch auch den Verlustvortrag – nach meiner Erinnerung je- aufgerissene Lücke durch eine andere Maßnahme ge-denfalls – deutlich einschränken, wenn nicht sogar ganz schlossen werden. abschaffen wollten. Wir allerdings erhalten den Verlust- vortrag in unbegrenzter Höhe. Wir werden jetzt das verwirklichen, was die alte Re- gierung in 16 Jahren nicht auf die Reihe bekommen hat: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS eine spürbare Entlastung der Familien und der Arbeit- 90/DIE GRÜNEN) nehmer. Kleine und mittlere Einkommen waren lange genug der Lastesel der Nation. Das soll nun anders wer- den. Hierzu machen wir mit dem Steuerentlastungsge- Präsident Wolfgang Thierse: Meine Herren Kolle- setz 1999 den ersten Schritt. gen, weil Sie sich so erregen: Es ist üblich, daß der An- gesprochene auf eine Kurzintervention reagieren kann. (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall Frau Kollegin Hendricks war etwas sehr eilig; ich kam beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gar nicht mehr dazu, ihr das Wort zu erteilen. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sonst sind Sie doch auch fix, Herr Präsident! – Hannelore Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Diese Re- Kurzintervention erhält Kollege Carl-Ludwig Thiele. gierung muß noch viel lernen!) Ich stelle fest: Sie war zu schnell. Dieses Temperament Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herrbitte ich demnächst zu zügeln. Präsident! Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, dann haben Sie erklärt, daß die Nun hat der Finanzminister des Freistaates Bayern, alte Koalition den Verlustrücktrag habe abschaffenKurt Faltlhauser, das Wort. wollen. Ich glaube, das haben Sie so gesagt. Da möchte ich Sie korrigieren. Nach Ihrem Gesetzentwurf wird in Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Herr § 10d Abs. 1 EStG schon in diesem und im nächstenPräsident! Meine Damen und Herren! Ich bin entgegen 702 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern) (A) der ursprünglich vorgesehenen Reihenfolge jetzt spontan sich untereinander nicht einig war. Das ist der eigentli- (C) an dieses Rednerpult gegangen, um deutlich zu machen, che Punkt. daß das, was die Frau Staatssekretärin Hendricks hier (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – vorgetragen hat, in keiner Weise der Rechtssituation und den Tatsachen entspricht. Lachen bei der SPD) Herr Kollege Poß, der Sachverhalt bleibt der gleiche. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) In dem Gremium, in dem eigentlich nach dem Gesetz Es sind die Tage der Stilbrüche. Nicht nur, daß derdie Abstimmung zwischen Bund und Ländern erfolgen Finanzminister selbst nicht hier sitzt – sollte, und zwar sachkundig und auf der Basis von präzi- sen Unterlagen, konnte eine Abstimmung nicht erfolgen, (Zuruf von der SPD: Das hatten wir schon weil erstens keine Zahlen des Bundes vorlagen und weil mal!) der Bund zweitens dies auch gar nicht wollte; denn er ich darf Ihnen von einem anderen Stilbruch berichten. hatte seine inhaltlichen Festlegungen schon mit den Wir hatten vorgestern eine Sitzung des sogenanntenFi- SPD-Kollegen getroffen. Das ist das gleiche, was der nanzplanungsrates, eines im Haushaltsgrundsätzege- ehemalige Finanzminister Waigel mit Recht beklagt: setz festgelegten Gremiums, in dem sich Bund, Länder daß der Ecofin-Rat auch schon beginnt, Fraktionsbil- und Kommunen über die zukünftigen Finanzplanungen dungen zu betreiben, und daß es Vorbesprechungen un- austauschen, über Parteigrenzen und über die Ebenenter sozialdemokratischen Finanzministern gibt. Man will der Politik hinweg. Wenige Tage vorher hat es Herralso offenbar nicht nur diesen Staat, sondern auch Euro- Lafontaine für richtig gehalten, seine SPD-Kollegenpa zur Parteiveranstaltung machen. nach Düsseldorf einzuladen, pikanterweise in die Räume (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – einer Großbank – ebenfalls eine Stilfrage –, Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: (Zurufe von der SPD) Das muß ein CSU-Politiker gerade sagen! Ihr habt euch doch Bayern zur Beute gemacht, um mit ihnen separat genau das zu verhandeln, was ei- Herr Faltlhauser!) gentlich an den Ort des Finanzplanungsrates gehört hät- te: Im Finanzplanungsrat haben die Gemeinden ihre Nun komme ich zu dem, was die Frau Kollegin Zahlen vorgelegt, haben die Länder ihre Zahlen vorge- Hendricks gesagt hat. Frau Kollegin Hendricks hat aus- legt; doch an den Stellen, an denen der Bund seine Pla- drücklich noch einmal bestätigt: Die Länder haben ent- nungen für die Abstimmung hätte darlegen sollen, stan- sprechend Art. 106 Abs. 3 GG und auf der Grundlage den durchweg nur Pünktchen. Das nennt man „Pünkt-des § 1 des Finanzausgleichsgesetzes einen Rechtsan- chenplanung“. Nicht einmal Eckpunkte sind vorgelegt spruch auf die Erstattung der Ausfälle auf Grund der (B) worden. So werden vom Stil her die gesetzlich vorge-Kindergeldzahlungen. Ich wiederhole es – das habe ich (D) schriebenen Institutionen ausgehöhlt. bei der ersten Lesung auch schon gesagt –: Diesen An- spruch hat die damalige Opposition, insbesondere Herr Kollege Schleußer, durchgesetzt. Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Faltl- hauser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Klaus Lennartz [SPD]: Ein guter Mann!) Poß? Er hat ihn deshalb durchgesetzt, weil dieser Ausgleich eben nicht in die allgemeine Deckungsquote hineinge- Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Bei rechnet werden darf. Dies ist deshalb so geregelt wor- Ihnen, Herr Kollege Poß, besonders gerne. den, weil man es separat abrechnen wollte. Herr ehema- liger Ministerpräsident und jetziger Bundeskanzler, Herr Schröder, ich hoffe, daß Sie sich daran erinnern; denn es Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Faltlhauser, ist war eine wichtige Sache. Man wollte das unbedingt vor- Ihnen sowohl als langjähriger erfahrener Finanzpolitiker her separat abrechnen. Deshalb wurde dies sowohl im des Bundestages als auch als jetziger Staatsminister des Grundgesetz als auch im Finanzausgleichsgesetz so ver- Freistaates Bayern nicht bekannt, daß Ihr Kollegeankert. Das ist eindeutig. Schleußer die SPD-Finanzminister mindestens einmal jährlich zu einer Klausurtagung zusammenholt, daß er (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Hermann Otto dies auch am letzten Donnerstag getan, daß er nach Düs- Solms) seldorf eingeladen hat, daß die Einladung zu diesem tur- Jetzt ist folgendes festzustellen: Selbstverständlich nusmäßigen Treffen also nicht Herr Lafontaine ausge- sagen alle Länder – in der gestrigen Finanzministerkon- sprochen hat? Erfreulich im Gegensatz zu den vorheri- ferenz auch die A-Länder –: gen Treffen ist nur, daß dieses Mal die SPD den Bundes- finanzminister stellt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ich denke, das ist Parteipolitik!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) Diese 1,8 Milliarden DM wollen wir – der Kollege Kalb hat zu Recht gerade nachgefragt – spitz gerechnet aus- Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Diese gezahlt bekommen; wir haben ein Anrecht darauf. Sie Auskunft versuchte mir der von mir hochgeschätztehaben wiederum betont: Es gibt keine separate Abrech- Kollege Schleußer auch schon zu geben. Aber internnung. Das geht in dieallgemeine Deckungsquote ein. weiß jeder: Das war eine Notzusammenkunft, weil man Dies hat Finanzminister Lafontaine auf meine ausdrück- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 703

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern) (A) liche Nachfrage im Finanzplanungsrat auch gesagt. Ich kannt –, sondern interessant ist, was Sie nicht beantra-(C) habe ihn gefragt: Wollen Sie diese 1,8 Milliarden DMgen. Ich nenne drei Beispiele, wo Ihr Antrag von dem entsprechend der Rechtsgrundlage an die Länder zahlen Brief des Ministerpräsidenten Clement abweicht: oder nicht? Er hat geantwortet: Nein. Er wird sie nicht Erstens. Wie immer versuchen Sie wortstark, Ihrem ausbezahlen. Er wird sie in die trübe Suppe der Ver- Image als Steuerentlastungspartei gerecht zu werden. So handlungen über die Deckungsquote hineinnehmen. auch hier, wenn Sie wie Herr Clement eine steuerliche Wenn dies so gemacht wird – Frau Kollegin Hendricks, Nettoentlastung der mittelständischen Unternehmen ein- Sie haben das durch Ihre Rede bestätigt –, ist das fordern. Wer wäre nicht für eine steuerliche Entlastung schlicht Rechtsbruch. der Unternehmen? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ja, Sie!) Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Einstweilige Anordnung! – Joachim Poß [SPD]: Gehen Sie Eine entscheidende Passage von Herrn Clement lassen doch nach Karlsruhe!) Sie dabei aber unter den Tisch fallen. Ich zitiere: Es kommt also nicht nur täglich zu Stilbrüchen – hier Natürlich bleibt es eine Gratwanderung, die not- sitzt kein Finanzminister, man hält separate Veranstal- wendigen Steuerentlastungen mit der angespannten tungen ab –, sondern es wird auch Rechtsbruch began- Finanzsituation der öffentlichen Haushalte in Ein- gen. Ich glaube, die Öffentlichkeit sollte allmählich dar- klang zu bringen. auf aufmerksam gemacht werden. Das will ich im Na- men aller Länder, die ein Interesse daran haben, die ein So Herr Clement. Aber nichts davon ist bei der F.D.P. Anrecht darauf haben, in aller Deutlichkeit betonen. zu lesen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zweitens. Eine weitere Auslassung nehmen Sie bei Ludwig Stiegler [SPD]: Wegen so einem einem der konkreten Vorschläge von Herrn Clement Krampf fährt er nach Bonn! Er hätte das Geld vor. Herr Clement sagt beispielsweise, die individuelle lieber sparen sollen! Eine Schande, daß der Durchschnittssteuerbelastung der Unternehmen solle um Freistaat so vertreten ist! – Joachim Poß 10 Prozentpunkte gesenkt werden. Daß Sie natürlich [SPD]: Dafür hätten Sie wirklich in München diesen Vorschlag in Ihrem Antrag nicht aufgreifen, kann bleiben können!) an zwei Gründen liegen: Zum einen ist der F.D.P., wie wir aus dem Finanzausschuß wissen, eine Argumentati- on, die sich auf Durchschnittssteuersätze bezieht, fremd. Vizepräsident Dr. : Als Zum anderen ist es das Ziel von Herrn Clement, die ent- nächster Redner hat der Kollege Klaus Müller vomstehende Entlastung (B) Bündnis 90/Die Grünen das Wort. (D) gleichmäßiger auf alle Unternehmen, nicht nur auf ca. 13 Prozent mit den höchsten Gewinnen, Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE zu verteilen. Auch das ist nicht unbedingt O-Ton F.D.P. GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ver- ehrten Damen und Herren! Eine Vorbemerkung, Herr Als drittes und letztes Beispiel für leider unverwertete Faltlhauser: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Stei- Passagen aus dem nordrhein-westfälischen Brief möchte nen werfen. ich noch folgenden Satz anbringen. Herr Clement schreibt dort: (Walter Hirche [F.D.P.]: Was hat denn Rechts- bruch mit Steinewerfen zu tun?) Grundsätzlich muß dabei Ich erinnere an die Ausführungen von Frau Hendricks, – bei der Gegenfinanzierung – was im Bereich Kindergeld in den letzten Jahren passiert gelten, daß keiner Interessengruppe Sonderrechte ist. eingeräumt werden. Wie schon in der Debatte um das Einwanderungsge- setz wird auch im Entschließungsantrag der F.D.P. zum Auch dies haben Sie bewußt ausgespart. Das, liebe Steuerentlastungsgesetz deutlich, daß die Liberalen im Kolleginnen und Kollegen von der F.D.P., spricht für Begriff sind, einen ökologischen Weg einzuschlagen.sich. Grüne begrüßen ja bekanntlich Wiederverwertung. Nur Bemerkenswert finde ich den von Herrn Clement ge- drängt sich beim Ideenrecycling die Sorge auf, Ihreäußerten Hinweis, daß Tarifbegrenzungsregelungen kei- Fraktion könnte möglicherweise so ausgelaugt sein, daß ne allgemein mittelstandsfördernde Wirkung haben. Für sie schon auf Briefe sozialdemokratischer Ministerpräsi- eine steuerliche Entlastung würde dann ein Mindestge- denten zurückgreifen müssen. winn von 100 000 DM notwendig sein. Der Adressaten- (Zurufe von der F.D.P.: Oh!) kreis wäre ziemlich klein. Kleine Unternehmen erführen gar keine Entlastung. Darüber werden wir in den kom- Ein wichtiger Punkt hierbei ist, daß Recycling nie zu menden Beratungen noch zu reden haben. 100 Prozent möglich ist. So ist es immer interessant, welche Bestandteile nicht wiederverwertet worden sind, In Ihrem Entschließungsantrag merken Sie, meine besonders dann, wenn Sie eine Recyclingquote von im- Damen und Herren von der F.D.P., kritisch an, Steue- merhin 79 Prozent erreicht haben. Ich finde also nichtrentlastungen für private Haushalte seien zwar wichtig, interessant, was Sie beantragen – die Ideen sind ja be- mit Blick auf die Arbeitsmarktsituation seien aber auch 704 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (A) Nettoentlastungen für die Wirtschaft vorzusehen.da hätten Sie vielleicht nicht nur recycelt und anderes(C) Steuerentlastungen privater Haushalte sind mit Blick abgeschrieben, sondern eigene Akzente in der Steuer- auf die Lohnforderungen auch eine Entlastung der Wirt- politik gesetzt. schaft. Die Arbeitgeber fordern eine spürbare Senkung der Arbeitskosten. Das ist nachvollziehbar. Der Gesetz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) entwurf der Koalitionsfraktionen, der in erster Linie den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen zugute kommt, ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Mit Blick auf das Bündnis für Arbeit scheint mir des- Kollege Müller, erlauben Sie eine weitere Zwischenfra- halb schon dieses Vorläufergesetz eine gute Vorarbeit zu ge des Kollegen Koppelin? sein. Die Nettolöhne und das Kindergeld steigen ab dem 1. Januar nächsten Jahres. Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE ( [CDU/CSU]: Um GRÜNEN): Aber natürlich; von Herrn Koppelin doch 3,80 DM!) immer. Wir schaffen somit die Voraussetzung für eine maßvolle Lohnpolitik bei gleichzeitig steigendem Nettoeinkom- men. Hinzu kommt, daß die Lohnnebenkosten bis zum Jürgen Koppelin (F.D.P.): Kollege Müller, da auch Ende der Legislaturperiode auf unter 40 Prozentpunkte ich eine solche lebhafte Debatte begrüßt hätte, frage ich sinken werden. Auch davon profitieren ArbeitnehmerSie: Bedauern Sie ebenso wie ich, daß Frau Simonis und und Arbeitgeber. auch Herr Clement hier heute nicht anwesend sind? (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Ja, um (Lachen bei der SPD) 3,80 DM!)

Nur, die von Ihnen geforderte Absenkung der Spit- Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE zensteuersätze auf unter 40 Prozentpunkte bei der Ein- GRÜNEN): Ich bin sicher, daß sowohl Frau Simonis als kommensteuer und auf unter 30 Prozentpunkte bei derauch Herr Clement genügend Möglichkeiten hätten, sich Körperschaftsteuer sind derzeit leider schlicht nichthier Gehör zu verschaffen. Das haben sie in der letzten finanzierbar. Die Waigel-Löcher bieten, anders als die Zeit über die Presse getan. Wir nehmen das zur Kennt- Schlupflöcher, derzeit keine Gestaltungsfreiräume. nis. Ich finde, die Repräsentanz der Bundesregierung ist ausreichend und zufriedenstellend; das ist doch prima. (B) (D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr (Zurufe von der F.D.P.: Oh!) Kollege Müller, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin? Die wesentlichen Punkte des Vorläufers hat meine Kollegin Scheel in ihrer Rede bereits genannt. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch auf einen wei- (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE Klaus Wolfgang Müller teren Punkt einzugehen, der aus meiner Sicht zumindest GRÜNEN): Sehr gerne. diskussionswürdig ist. In den Koalitionsvereinbarungen haben wir uns mit der SPD darauf geeinigt, denSplit- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte tingvorteil auf maximal 8 000 DM im Jahr zu begren- schön, Herr Kollege. zen. Dies ist in dem uns vorliegenden Steuerentla- stungsgesetz leider nicht gelungen, da kein Ehepaar schlechtergestellt werden soll als ein geschiedenes Paar. Jürgen Koppelin (F.D.P.): Kollege Müller, da Sie Auch unser Ziel der Steuervereinfachung ist an diesem angeführt haben, welche Teile des Briefes von HerrnPunkt noch nicht ganz erreicht. Clement wir in unserem Antrag nicht erwähnt haben, möchte ich Sie fragen, ob Sie auf der anderen Seite froh Natürlich kann es nicht sein, daß Geschiedene bes- sind, daß wir die Äußerungen, die zum Beispiel Mini- sergestellt werden als Verheiratete. Bündnis 90/Die sterpräsidentin Simonis gemacht hat – die ja Chefin ei- Grünen halten aber eine Fixierung auf eheliche Gemein- ner Landesregierung ist, die von Rotgrün getragen wird schaften für unzeitgemäß. Es gibt Ledige, Alleinerzie- – oder die Äußerungen anderer Ministerpräsidentenhende, unverheiratete Paare mit Kindern, unverheiratete nicht auch noch zum Antrag gemacht haben. hetero- oder homosexuelle Paare und viele andere mehr. Die Palette der Lebensformen ist bunter geworden. Die steuerliche Benachteiligung dieser Lebensformen ge- Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE genüber der Ehe gehört deshalb in die Mottenkiste. GRÜNEN): Herr Koppelin, ich bin froh, daß Sie Frau Simonis und die anderen Ministerpräsidenten der SPD (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch einmal erwähnt haben. Ich bedauere, daß Sie das sowie bei Abgeordneten der PDS) nicht gemacht haben; denn dann wäre hier eine sehr leb- hafte politische Debatte über eigene Vorstellungen der Das entsprechende Urteil des Bundesverfassungsge- F.D.P. möglich gewesen; richts ist von 1957. In den letzten 41 Jahren hat sich viel getan. Das kann doch am Steuerrecht nicht spurlos vor- (Zuruf von der F.D.P.: Die kennen Sie doch!) beigegangen sein. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 705

Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (A) Dies hat auch der Bundesratsausschuß für Frauen und schläge von Professor Bareis und seiner Kommission (C) Jugend in seiner gestrigen Sitzung bemängelt. Statt des seitens der früheren Bundesregierung aufgegriffen wer- im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgeschlagenen den sollten. fiktiven Realsplittings wird eine steuer- und familienpo- litisch gerechte Lösung gefordert, die Eheleute, ob ge- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sehr rich- tig!) schieden, zusammen- oder getrenntlebend, gleichstellt. Wir haben das getan. Aber Sie haben die Umsetzung Dieser Beschluß basiert auf einem Antrag aus dem rotgrün regierten Hamburg, durch den der Splittingvor- blockiert. Heute legen Sie einen eigenen Entwurf vor, zu dem Professor Bareis sagt: Dieser vorliegende Entwurf teil auf das derzeitige Realsplitting begrenzt wird. Das ist halbherzig und unausgegoren. Realsplitting wird in der gegenwärtigen Rechtslage auf getrenntlebende oder geschiedene Paare angewendet. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Da hat er Damit können Unterhaltszahlungen von bis zu 27 000 recht!) DM von dem zu versteuernden Einkommen des Gebers abgezogen werden. Beim Unterhaltsempfänger ist dann Das ist der zentrale Bruch in Ihrer Argumentation. die Zahlung als Einkommen zu versteuern. Damit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- kommt es zu einem Splittingvorteil, der allerdings ge- ordneten der F.D.P.) ringer ausfällt als bei bisher verheirateten Paaren. Diese Kritik wird ja nicht nur von einzelnen, sondern Der Bundesratsausschuß schlägt nun ebenso wie das auch vom Sachverständigenrat und von den sechs wirt- DIW vor, diese Regelung auf Eheleute auszuweiten.schaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten geteilt, Damit käme es zu einem Wandel des Steuerrechts, der im übrigen auch von allen Persönlichkeiten der deut- einer modernen Rollenverteilung bei der Erwerbs- und schen Wirtschaft, mit denen sich der jetzige Bundes- Familienarbeit Rechnung trägt. kanzler Schröder in den Wochen des Wahlkampfes ge- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Von wel- schmückt hat, angefangen von Roland Berger bis hin zu chem Gesetzentwurf redet der eigentlich?) Herrn Stollmann. Bei einer solchen aufkommensneutralen Gestaltung wä- Jetzt, Frau Hendricks, komme ich zu einem Punkt, re somit eine zielgerichtete Familienförderung auch über über den Sie sich nicht einfach hinwegsetzen können. die Einkommensteuerpolitik durchaus möglich. Was sagen Sie zu dem, was dieser Tage Professor Hom- burg, Ein weiterer kleiner Wermutstropfen in dem Steuer- paket, über das wir diskutieren, ist die Frage derKilo- (Detlev von Larcher [SPD]: Den kennen wir!) meterpauschale. Vereinbart war im Koalitionsvertrag (B) Inhaber des Lehrstuhls für öffentliche Finanzen in Han- (D) die Umwandlung in eine Entfernungspauschale. Auch nover und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim hieran werden wir in den kommenden Monaten noch ar- Bundesfinanzminister, schriftlich dargelegt hat? Er hat beiten müssen, um dies tatsächlich realisieren zu kön-folgendes geschrieben: nen. (Joachim Poß [SPD]: Den kennen wir aus vielen Lassen Sie mich zum Schluß noch zu der Mehrwert- Anhörungen: Professor Humbug!) steuerdebatte, die ab und zu mal von der rechten Seite des Hauses hochgezogen wird, klarstellen: Sie steht we- Werden diese Pläne, an deren Entstehung weder die der heute noch morgen auf unserer Agenda. Im Gegen- Beamten des Bundesfinanzministeriums noch ande- satz zu den Petersberger Beschlüssen der abgewählten re Fachleute maßgeblich beteiligt waren, jetzt Regierung ist unsere Steuerreform seriös finanziert; sie durchgepeitscht, wird dies negative Auswirkungen kommt ohne unsoziale Mehrwertsteuererhöhungen aus. auf den Arbeitsmarkt haben. Eine solide und durchdachte Steuerreform im kommenden Jahr wä- Vielen Dank. re allemal besser als die hektische Umsetzung des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und jetzt vorgelegten Pakets. bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das hat er Ihnen, Frau Hendricks, ins Stammbuch ge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als schrieben. nächster Redner hat der Kollege Peter Jacoby von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. (Joachim Poß [SPD]: Humbug bleibt Hum- bug!)

Peter Jacoby (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Jetzt komme ich auf eine zweite Argumentation zu sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst sprechen, die von Frau Hendricks eingeführt wurde. Sie einmal auf das zurückkommen, was Frau Staatssekretä- sagen zur Höhe der Steuerquote – das hat Herr Lafon- rin Hendricks eben dargelegt hat. Ich will in diesem Zu- taine in den letzten Debatten schon getan –: Hinsichtlich sammenhang an die steuerpolitischen Debatten der letz- der Steuerquote liegen wir im europäischen Vergleich ten Legislaturperiode anknüpfen. im unteren Drittel. Die Argumentation all der Sachver- ständigen, bis hin zu der von Ministerpräsident Clement, Der Ausgangspunkt war, daß die damalige Opposi- ist also falsch, die besagt: Wir müssen mehr für den tion vehement dafür eingetreten ist, daß die Steuervor- Mittelstand und die Wirtschaft und damit für Investitio- 706 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Peter Jacoby (A) nen und Arbeitsplätze tun, weil letztendlich nur dieselbstverständlich richtig ist, daß in die Steuerquote – da (C) Maßnahmen sozial sind, die Beschäftigung schaffen. Sie sind Sie doch ganz gewiß mit mir einer Meinung – alle beziehen sich aber nur auf die Steuerquote. möglichen Steuerarten und Belastungsunterschiede ein- gehen, so daß das, was Sie gerade gesagt haben, über- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – haupt keine Aussage über die Höhe der Belastung der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] und Abg. deutschen Wirtschaft zuläßt? Auch nach den Zahlen von Dietrich Austermann [CDU/CSU] melden sich Eurostat, das alle Statistiken in Europa auf einen glei- zu einer Zwischenfrage) chen Level bringt, ist die deutsche Wirtschaft unterpro- – Lassen Sie mich noch einen Moment im Zusammen- portional belastet. hang mit Ihrer Argumentation antworten, Frau Hen- (Joachim Poß [SPD]: So ist es! Das wissen sie dricks. Herr Kollege Austermann, einen kleinen Mo- auch!) ment bitte, ich möchte noch kurz beim Thema Steuer- quote bleiben. Das gilt insbesondere für die bilanzierende Großindu- strie; da sind Sie doch hoffentlich mit mir einer Mei- Ich will Ihnen deutlich sagen, daß ein Vergleich der nung. Dies werden wir, wie ich denke, ändern müssen. Steuerquoten auf europäischer Ebene allein schon des- halb unangemessen ist, weil er überhaupt nichts hin- Ich möchte Sie aber bitten, auch noch zur Kenntnis zu sichtlich der Besteuerung einzelner Einkommensarten nehmen – – aussagt. (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) – Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich es als Zum ersten gibt es in Dänemark deshalb eine hoheParlamentarische Staatssekretärin einfach nicht so ste- Steuerquote, weil dort die Sozialleistungen über Steuern henlassen kann, wenn Sie sagen, die Beamten des finanziert werden. Hier in Deutschland führen Sie aber Finanzministeriums und andere Fachleute seien nicht an eine ganz andere Diskussion, nämlich die Diskussionder Erarbeitung des Gesetzentwurfes beteiligt gewesen? über die versicherungsfremden Leistungen. Das ist doch (Zurufe von der CDU/CSU: Wo gibt es denn ein Widerspruch. so etwas? – Frage!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Richtig!) – Ich hatte den Satz eingeleitet mit „Würden Sie bitte Zum zweiten gibt es in anderen europäischen Ländern zur Kenntnis nehmen“. Haben Sie das verstanden, Herr höhere Mehrwertsteuersätze. Auch diese müssen bei der Kollege Austermann? Das ist auch eine Frage. Steuerquote berücksichtigt werden. Deshalb sage ich (Zuruf von der CDU/CSU: Nun seien Sie doch (B) Ihnen: Ein Vergleich der Steuerquoten sagt überhaupt einmal ein bißchen gelassener!) (D) nichts aus über die tatsächliche Besteuerung, über die Körperschaftsteuersätze und über die Tarife insgesamt. Würden Sie es bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich es auch als Zitat von Herrn Professor Homburg nicht ste- Zum dritten erleben wir, daß ein Land wie Großbri- henlassen kann, daß die Beamten des Finanzministeriums tannien mit einer geringen Steuerquote schon zweimal nicht an der Erarbeitung des Gesetzentwurfes beteiligt die Körperschaftsteuer unter der Regierung von Tonygewesen seien? Nehmen Sie bitte zur Kenntnis – – Blair gesenkt hat – immer mit dem Ziel, mehr Investi- tionen und damit mehr Arbeitsplätze zu erreichen. Das (Zurufe von der CDU/CSU: Frage!) ist und bleibt für uns der Ausgangspunkt, egal ob es sich – Würden Sie es bitte zur Kenntnis nehmen, daß wir aus um den ersten oder zweiten Vorläufer oder um das Ge- den Anhörungen sehr wohl wissen, wie die Äußerungen samtpaket des Steuerentlastungsgesetzes handelt. von Herrn Professor Homburg zu bewerten sind? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Jacoby, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Peter Jacoby (CDU/CSU): Frau Staatssekretärin, Frau Kollegin Hendricks? Sie haben jetzt eine ganze Fülle von (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Falschen Peter Jacoby (CDU/CSU): Ja. Behauptungen!) Gesichtspunkten noch einmal eingebracht. Ich möchte auf all diese Gesichtspunkte antworten. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Hendricks. Erstens. Die Art und Weise der Vorbereitung Ihres Gesetzentwurfes haben wir allerdings in dieser Woche in den beteiligten Ausschüssen des Deutschen Bundes- Dr. Barbara Hendricks (SPD): Herr Kollege Jaco- tages sattsam erlebt. Die Öffentlichkeit hat mittlerweile by, da Sie mich direkt angesprochen haben, möchte ich von diesem Chaos Kenntnis genommen. in Form einer Frage reagieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Sind Sie mit mir der Meinung, daß ich keine andere Joachim Poß [SPD]: Das haben Sie insze- Aussage zur Steuerquote als die gemacht habe, daß es niert!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 707

Peter Jacoby (A) Zweitens. Unser Anliegen ist, daß die Ansätze, dieStaatssekretärin Hendricks Vergleichsmaßstäbe bemüht (C) uns schon in der letzten Legislaturperiode zu einer Steu- hat, die nicht richtig sind, und daß sie deshalb zu fal- erreform geführt haben, jetzt nicht ganz verlorengehen. schen Schlußfolgerungen kommt. Mit diesen falschen Wir beziehen uns dabei auf Kronzeugen aus Ihren eige- Schlußfolgerungen setzen wir uns in dieser Debatte im nen Reihen. Jetzt stelle ich Ihnen eine Gegenfrage, die Deutschen Bundestag politisch auseinander. Das ist der aber eine Antwort darstellt. In Ihrem „Eckwertepapier Zusammenhang, um den es geht. einer sozialdemokratischen Modernisierungs- und Re- formpolitik“ formulierte der seinerzeitige Ministerprä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sident und jetzige Bundeskanzler Schröder heute vor Deshalb stellen wir fest: Sie verlassen Ihre eigenen einem Jahr folgendes: Ansätze und Ihre Kritik aus der Vergangenheit. Sie ver- (Zurufe von der CDU/CSU: Frau Hendricks, absäumen die Belange derjenigen, die nicht um ihrer selbst willen gestärkt werden sollten, sondern um deren aufstehen!) Investitionen und Engagement willen, das wir für die Privates Kapital meidet seit Jahren Deutschland als Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland brauchen. Investitionsstandort, weil hier die nominalen Steu- Die von Ihnen heute vorgenommenen sogenannten Ent- ersätze im europäischen Vergleich nicht wettbe-lastungen, nämlich die Senkung des Eingangssteuersat- werbsfähig sind. zes und die Kindergelderhöhung, sind letztendlich, wie es vorhin schon meine Kollegin Hasselfeldt gesagt hat, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Hört! Hört!) nichts anderes als ein Etikettenschwindel. Dies führt für Die ausländischen Investitionen in Deutschlanddie Familien in Deutschland zu keiner Nettoentlastung. sind inzwischen auf einen historischen TiefstandDenn all das, was Sie heute verabschieden wollen, wird gesunken. Diese Hindernisse werden wir beseiti-nächstens durch das kompensiert, gen. (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist nicht Das hat Herr Schröder vor einem Jahr schriftlich nieder- wahr!) gelegt, und heute wollen Sie Argumentationen bis hin was Sie hier an sogenannten Ökosteuern veranlassen, zur Argumentation von Herrn Clement, daß im nächsten Jahr der Mittelstand und die Wirtschaft um 10 Mil- (Detlev von Larcher [SPD]: Nein!) liarden DM nämlich durch mehr Zuzahlungen der Familien im näch- (Dr. Barbara Höll [PDS]: Schreien Sie doch sten Jahr in einer Größenordnung von 3 Milliarden DM. nicht so!) Das ist der Zusammenhang.

(B) und in den nächsten drei Jahren um 30 Milliarden DM (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (D) belastet werden – nicht entlastet werden –, mit Floskeln Detlev von Larcher [SPD]: Nein! – Gegenruf vom Tisch wischen. Das ist im Blick auf Investitionen, des Abg. Rainer Brüderle [F.D.P.]: Bleiben Arbeitsplätze und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Sie doch zu Hause!) schädlich. Um diesen Zusammenhang geht es. Deshalb nehmen die Stimmen aus Ihrem Bereich zu – (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) damit möchte ich schließen –, (Detlev von Larcher [SPD]: Gott sei Dank!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Gestat- die Ihre Politik in Frage stellen und kritisieren. Es ist ja ten Sie eine weitere Zwischenfrage? – Bitte. nicht nur Ministerpräsident Clement, der mit Blick auf die unzureichenden Maßnahmen hinsichtlich des Hand- werks, des Mittelstands, des Kleingewerbebereiches und Hans Michelbach (CDU/CSU): Herr Kollege Jaco- dergleichen argumentiert. by, nachdem sich die Frau Kollegin Hendricks wieder gesetzt hat – weshalb Sie keine weitere Gelegenheit zur (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Er ist umge- Beantwortung ihrer Frage hatten –, stelle ich die Frage fallen!) erneut: Können Sie bejahen, daß Frau Kollegin Ich lese vielmehr dieser Tage in einer überregionalen Hendricks eine erschreckende Unkenntnis an den Tag Tageszeitung folgendes: Der Fraktionsvorsitzende der gelegt hat, als sie die Steuerquote in Verbindung mit der SPD im niedersächsischen Landtag, Herr Bundeskanz- Umsatzsteuer genannt hat? Da die Umsatzsteuer aber ler, sagt, keine Belastung für die deutschen Unternehmen dar- stellt, ist es nicht statthaft, von einer solchen Differenz (Detlev von Larcher [SPD]: Da schau her!) zwischen den Steuerquoten Deutschlands und der ande- ren europäischen Länder zu sprechen. es sei fahrlässig, daß in diesen Wochen ausschließlich über Einnahmeerhöhungen statt über Ausgabenkürzun- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der gen diskutiert werde. SPD. Joachim Poß [SPD]: Ihre Kompetenz kommt ins Protokoll!) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es!) In diesem Zusammenhang wolle er noch nicht einmal den Verzicht auf ein höheres Kindergeld ausschließen, Peter Jacoby (CDU/CSU): Herr Kollege Michel- bach, ich möchte noch einmal bestätigen, daß Frau (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Hört! Hört!) 708 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Peter Jacoby (A) zumal dessen Wirkung ja gar keine Wohltat sei. – So al- daß in einer zweiten Stufe, die im Koalitionsvertrag ver- (C) so die Stimmen aus Ihrem Bereich. ankert ist, für die Gruppen, die Sie gerade angesprochen haben, soziale Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß für Rentnerinnen und Rentner durch die Erhöhung der Nettoeinkommen ein Jahr später und für Sozialhil- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr feempfänger durch eine Erhöhung der Warmmiete eben- Kollege Jacoby, erlauben Sie eine Zwischenfrage desfalls eine Entlastung erfolgt? Kollegen Müller von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: 5 DM für nen? Sprit, das ist die zweite Stufe!)

Peter Jacoby (CDU/CSU): Jawohl. Peter Jacoby (CDU/CSU): Ich will Sie darauf hin- weisen, daß dieser Tage zum Beispiel Frau Scheel, die Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE Vorsitzende des Finanzausschusses, ihrerseits öffentlich GRÜNEN): Herr Kollege Jacoby, sind Sie bereit, zurgesagt hat: Die Maßnahmen, so wie sie bisher vorgese- Kenntnis zu nehmen, daß in dem vorliegenden Gesetz- hen seien, würden nicht ausreichen; man müsse zusätz- entwurf zur ökologischen Steuerreform die im Rahmen lich etwas tun. einer höheren Energiebesteuerung vorgesehenen Steuer- einnahmen durch die Senkung der Lohnnebenkosten Ihre Frage ist mir noch einmal Veranlassung, auf fol- vollkommen zurückgegeben werden und daß die Finan- gendes hinzuweisen: Ihre Entwürfe sind zunächst einmal zierung des Kindergeldes davon vollkommen unabhän- höchst fragwürdig und höchst kritisierbar. Wir sind es gig erfolgt? gewesen, die Sie im Rahmen der ersten Lesung auf diese Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht haben. Und (Ludwig Stiegler [SPD]: Das überfordert ihn jetzt versuchen Sie eine notdürftige Reparatur. – Das ist doch!) der Zusammenhang. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Jacoby, ich bitte Sie, nach der Antwort gleich Genauso ist es bei der Teilwertabschreibung und bei zum Schluß zu kommen. der Frage Verlustvortrag/Verlustrücktrag. Zunächst wa- ren die Vorschläge viel weitergehender; teilweise ist dies ja noch im Papier enthalten. Dann gab es eine erste Peter Jacoby (CDU/CSU): Jawohl. Reparatur. Ich prophezeie Ihnen: Es wird weitere Repa- (B) Ich will Ihnen wie folgt antworten: Die Umfinanzie- raturen geben; denn das, was Sie auf den Weg gebracht (D) rung in Richtung Sozialversicherung trifft nur jene Ar- hatten, war mit heißer Nadel gestrickt. Es war in vielen beitsplatzbesitzer, die ihrerseits der Sozialversiche-Fällen höchst fragwürdig und hatte in weiten Bereichen rungspflichtigkeit unterliegen. Es gibt aber eine ganze nichts mit der Verbreiterung der Bemessungsgrundlage Reihe von Gruppen, die Sie in Ihren Plänen schlichtweg zu tun, wie sie nach den Petersberger Beschlüssen aus- vergessen und aus Ihrem Blickfeld gerückt haben. Dies zusehen hätte. Deshalb kritisieren wir das Verfahren, sind Alleinerziehende, Rentner und Studenten, aber auch den Inhalt Ihrer Gesetzentwürfe, und deshalb lehnen wir diese Vorgehensweise und diese materiell- (Ludwig Stiegler [SPD]: Wie sind Sie denn rechtliche Regelung ab. mit diesen umgegangen?) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die nicht der Sozialversicherungspflichtigkeit unterlie- gen und nichts davon haben, daß Sie nächstens eine gi- gantische Umfinanzierung in Gang setzen, und über de- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als ren soziale Belange Sie sich hinwegsetzen. Das ist ein nächste Rednerin hat die Kollegin Nicolette Kressl von Mißstand, um den es ebenfalls geht. der SPD-Fraktion das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist ja unglaub- Nicolette Kressl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- lich!) leginnen und Kollegen! Zunächst eine Anmerkung zu Ihnen, Herr Jacoby. Ich finde es schon rührend, wie Sie Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Erlauben sich nun plötzlich um Sozialhilfeempfängerinnen und Sie eine weitere Zwischenfrage von Herrn Müller? Sozialhilfeempfänger kümmern, (Beifall des Abg. Klaus Wolfgang Müller Peter Jacoby (CDU/CSU): Ja. [Kiel] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) nachdem Sie als Koalition diese Gruppe über Jahre ver- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte unglimpft haben, indem Sie über Lohnabstand und über schön, Herr Müller. zu hohe Leistungen und Leistungsmißbrauch diskutiert haben. Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, GRÜNEN und bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 709

Nicolette Kressl (A) Zweitens. Familien steuerlich zu entlasten ist einesWir alle hier erinnern uns doch noch an diese lächerli-(C) der entscheidenden Ziele sozialdemokratischer Politik. chen 30 DM, die Herr Waigel für die Erhöhung des Für uns und diese Regierung ist diese Aufgabe vor-Kindergeldes für das zweite Kind übrig haben wollte. dringlich, zum einen weil wir Schritt für Schritt die Be- (Joachim Poß [SPD]: 20 DM!) lastungen zurückführen müssen, die Sie den Familien bei Steuern und Abgaben über Jahre hinweg aufge-– Ja, später waren es 30 DM. brummt haben, und zum anderen weil für uns die Fami- Und freiwillig haben Sie das alles nicht gemacht. lien zu den Leistungsträgern in der Gesellschaft gehö- ren, die ein Recht auf eine gerechte und leistungsge- (Zuruf von der SPD: So ist es!) rechte Besteuerung haben. Es gab doch ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zur Das Gesetz, das wir heute abschließend beraten, trägt Steuerfreistellung des Existenzminimums, das Sie um- dazu einen wichtigen Teil bei: mit der Erhöhung dessetzen mußten. Kindergeldes, mit dem niedrigeren Eingangssteuersatz – (Beifall bei der SPD) übrigens berücksichtigen wir dabei endlich die Men- schen, die Sie bei der Entlastung völlig außen vor gelas- Mit dieser Umsetzung haben Sie sich dann auch noch sen haben, als der Solidaritätszuschlag gesenkt wurde – Zeit gelassen, bis wir Sie endlich dazu getrieben haben. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Genau!) Sie werden sich auch noch daran erinnern, daß Sie und mit dem höheren Grundfreibetrag. Damit bleibenohne die SPD im Bundesrat die bereits beschlossene Er- wir in der Kontinuität unserer Politik. höhung des Kindergeldes auf 220 DM wieder einkassiert Die Opposition bleibt übrigens ebenfalls in der Kon- hätten. Das ist eine ganz delikate Form der Steuererhö- tinuität ihrer Politik. hung, und die haben Sie dann ja auch umgesetzt. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja! Sehr gut!) (Zuruf von der SPD: Jawohl!) Ihre Begründung war damals: „Wir hätten es ja gerne Sie haben nämlich schon immer die Familien mit Wor- gemacht, aber die Haushaltslage ließ es einfach nicht ten hochgehalten, dann aber fast nichts für ihre Entla-zu.“ Sie wissen ganz genau, daß in dem Verfassungsge- stung getan. richtsurteil eindeutig steht, die Haushaltslage reiche als (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Heidi Rechtfertigung nicht aus, um Familien nicht ausreichend Knake-Werner [PDS] – Ludwig Stiegler steuerfrei zu stellen. Genau darum geht es heute: um [SPD]: So ist es! Nur Sonntagsreden!) eine verfassungsgemäße und leistungsgerechte Besteue- (B) rung von Familien. (D) Zu Ihrer Kontinuität in diesem Bereich gehört auch, Was ich an Ihrer Argumentation übrigens für poli- daß Sie erst vor kurzem ganz verschämt den Zehnten tisch sträflich halte, ist: Mit Ihrem scheinbaren Bedauern Jugend- und Kinderbericht verstecken mußten, weil in – „Wir würden ja so gerne, aber wir können nicht!“ – diesem Bericht deutlich geworden ist, was Sie für die erwecken Sie den Eindruck, als ginge es bei dieser Er- Familien nicht getan haben. höhung des Kindergeldes um kleine Wahlgeschenke, so- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zusagen Almosen. Aber dafür, den Spitzensteuersatz auf der PDS) 39 Prozent zu senken, hätten Sie Geld gehabt. In diesem Bericht ist deutlich geworden, daß wir hier (Beifall bei der SPD – Dr. Peter Ramsauer nicht über Belastungsverteilungen spekulieren müssen. [CDU/CSU]: Das will doch der Herr Clement Vielmehr hat Ihre Politik dazu geführt, daß Familien in auch, oder?) diesem Land erhebliche Nachteile haben. Schon allein Mit diesem Gesetzentwurf dagegen machen die Re- aus diesem Bericht ergibt sich die Notwendigkeit desgierungsfraktionen deutlich, daß wir wissen, um was es Gesetzes, über das wir gerade diskutieren. geht: um gerechte Besteuerung und darum, über die Er- höhung des Kindergeldes die Leistung von Familien ein Trotz dieser Fakten erzählen aber immer wieder Red- Stück anzuerkennen. Daß Sie das anscheinend immer ner und Rednerinnen der jetzigen Opposition, manchmal noch nicht richtig kapiert haben, ist mir jetzt erst wieder Herr Thiele, manchmal Frau Frick, was sie alles schein- in den Verhandlungen im Finanzausschuß klargewor- bar für die Familien getan haben. den. Statt um Inhalte zu diskutieren – dazu haben Sie (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Natürlich fast nichts gesagt –, haben Sie sich in Geschäftsord- haben wir etwas getan! Für die Familien ist nungsdebatten geflüchtet. noch nie so viel getan worden wie in unserer (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wie Regierungszeit!) immer!) Die Wirklichkeit aber ist eine andere, Herr Ramsauer. Sie konnten nicht einmal in der Sache abstimmen, weil Die SPD hat Sie 1995 aus der Opposition heraus regel- Sie mit der Nase immer noch in den Geschäftsordnungs- recht dazu zwingen müssen, die Kindergelderhöhungakten steckten. vorzunehmen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 710 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Nicolette Kressl (A) Bei dem wenigen Inhaltlichen, das dann kam, wurde Dieser erste Entlastungsschritt bewirkt auch, daß zum (C) wieder deutlich: Für Sie ist Kindergeld ein Bonbon, das Beispiel eine Familie mit zwei Kindern mit einem zu man dann verteilt, wenn noch ein bißchen Geld übrig ist. versteuernden Einkommen von 60 000 DM nach Split- Was für ein falsches Verständnis von gerechter Besteue- tingtabelle eine steuerliche Entlastung von fast 1 200 rung ausgerechnet bei Ihnen! DM im Jahr bekommt. Was also soll das Gezetere, es werde nicht entlastet? (Beifall bei der SPD) Klar ist auch, daß dies ein erster Schritt in einem Ge- Es geht nämlich nicht um Geschenke, sondern darum,samtpaket ist, in dem weiter entlastet wird, übrigens den Familien netto das zu lassen, was sie sich erarbeitet natürlich auch bei den Körperschaftsteuersätzen und den haben und was ihnen entsprechend auch zusteht. Sätzen für gewerbliche Einkünfte. Für uns ist es selbst- Wir legen mit diesem Gesetzentwurf Schritte vor, die verständlich, daß die Rahmenbedingungen für den Kon- dazu hinführen, die ungleiche Lastenverteilung von Fa- sum und die Rahmenbedingungen für Investitionen ver- milien und von Menschen ohne Kinder, die seit langem bessert werden müssen. Aber für uns ist auch selbstver- größer geworden ist, auszugleichen. Daß dies nötig ist, ständlich, daß sich diejenigen, die starke Schultern ha- macht der Kinder- und Jugendbericht sehr deutlich – ich ben, nicht der Finanzierung dieser Gesellschaft und ihrer zitiere daraus ein kleines Stück –: Aufgaben entziehen können. Wenn die Aufgaben wieder von mehr Schultern getragen werden, dann können wir Familien brauchen gesicherte und vorhersehbaredie Lasten auf jeder einzelnen Schulter Schritt für Rahmenbedingungen für ein Leben ohne andauern- Schritt reduzieren. Das ist die erkennbare Schrittfolge, de Sorge um eine Verschlechterung der familialen für die dieses Gesetz den ersten Schritt darstellt. Wir Existenzbedingungen. werden diese Schritte sehr konsequent gehen. Jetzt hören Sie gut zu: An dieser Grundlinie ändern natürlich auch Diskus- Gegen diesen Grundsatz ist in den vergangenen an- sionen um die Ausgestaltungsdetails nichts. Auf diesem derthalb Jahrzehnten Weg wissen wir sehr genau zwischen denen, die berech- tigte Argumente vortragen – dazu ist der politische – das sind 15 Jahre, komisch, fast die Dauer Ihrer Regie- Dialog ja auch da –, und denen zu unterscheiden, die rungszeit – laut zetern können, weil sie sowieso schon starke immer wieder verstoßen worden, weil viele Ände- Schultern haben und damit die entsprechende Möglich- rungen von Steuer- und Versicherungsregelungen keit, besonders lautstark zu zetern. zu Lasten der Familien gegangen sind. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (B) (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hört! Dies ist unser erster Schritt zur Steuerentlastung, die wir (D) Hört! – Ludwig Stiegler [SPD]: Sehr wahr!) mit Entlastungen in anderen Bereichen verzahnt haben. Wir haben Sie als Opposition immer wieder auf die- Das war doch auch Ihr entscheidender Fehler. Sie re- ses Problem hingewiesen. den von Entlastungen in 1996 und vergessen, daß Sie in Wirklichkeit belastet haben. Sie haben den Menschen (Detlev von Larcher [SPD]: Jawohl!) andere Belastungen durch die Erhöhung des Rentenver- Das hat überhaupt nichts geholfen. Für uns ist es selbst- sicherungsbeitrags, durch Zuzahlungen im Gesundheits- verständlich und konsequent, daß wir unsere Mehrheiten bereich aufgedrückt. Jetzt müssen Sie hier nicht argu- jetzt dazu nutzen, daran endlich etwas zu ändern. mentieren, daß das für die Binnennachfrage nichts bringt. Natürlich nicht; denn Sie haben im Endeffekt (Beifall bei der SPD) zwar steuerlich entlastet, aber insgesamt belastet. Auch Behaupten Sie also nicht, es gebe keine steuerlichen darüber sollten wir nachdenken. Entlastungen. Es kann ja sein, daß die steuerlichen Ent- (Beifall bei der SPD) lastungen nicht dorthin gehen, wo Sie sie gerne hätten. Weil wir keine Wundermittelchen versprechen wol- (Ludwig Stiegler [SPD]: Das ist so! Deshalb len, konzentrieren wir die Entlastungen in diesem ersten sind sie ja so aufgebracht!) Schritt auf das, worauf es ankommt. Es ist auch politi- Aber daß uns diese Art der Schwerpunktsetzung nicht sche Aufgabe zu sagen, wenn es nicht Geschenke für weitergebracht hat, wird an den Arbeitslosenzahlen und alle gibt, dann schauen wir, wo sie hin müssen. Das ma- an der Steuer- und Abgabenbelastung deutlich, die Sie chen wir auch. zurückgelassen haben. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Dieser erste Schritt ist ein richtiger und passender Teil in dem Mosaik, das wir für eine sinnvolle und ge- Es mag auch sein, daß Ihnen unsere Prioritäten nicht ge- rechte Wirtschafts-, Steuer- und Sozialpolitik zusam- fallen. Aber glauben Sie tatsächlich, Sie hätten das Al- menfügen. Sie, meine Damen und Herren von der Oppo- leindefinierungsrecht dafür, wer in dieser Gesellschaft sition, täten gut daran, dieses Gesetz nicht abzulehnen. Leistung erbringt und wer leistungsgerecht besteuert wird? Das ist nicht der Fall. Danke schön. (Beifall bei der SPD – Ludwig Stiegler [SPD]: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Das ist vorbei!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 711

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Die werden durch das heute zu beratende Steuerbela-(C) nächste Rednerin hat die Kollegin Hannelore Rönsch,stungsgesetz und durch das Energiebesteuerungsgesetz, CDU/CSU, das Wort. das wir demnächst beraten werden, vielfach zur Kasse gebeten. Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es Sie haben davon gesprochen, daß der Grundfreibetrag gehört schon einiger Mut dazu, dieses Steuerbelastungs- erhöht wird. Haben Sie einmal nachgerechnet, was das gesetz, das Sie uns heute vorgelegt haben, als Entlastung bringt? Das sind schlappe 3,50 DM. Dafür lohnt sich der der Familien zu verkaufen. Weg von da drüben bis hierher gar nicht. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Im Wahlkampf haben Sie versprochen: Das Kinder- der F.D.P. – Zuruf von der SPD: Das ist die geld wird erhöht. Ich gehe einmal davon aus, daß Sie Wahrheit!) vorher nachgerechnet und gemerkt haben, daß dies 5,8 Milliarden DM kostet. Jetzt wissen Sie nicht, wie Im Gegensatz zu einigen meiner Kollegen habe ichdas Ganze finanziert werden soll. durchaus Verständnis dafür, daß der Finanzminister an dieser Debatte nicht teilnehmen will; (Detlev von Larcher [SPD]: 3,50 DM plus 5,8 Milliarden DM!) (Ludwig Stiegler [SPD]: Die lichtvollen Aus- führungen von F.D.P. und CDU/CSU werden In dieser neuen Koalition ist das Chaos so groß, daß ihm wirklich fehlen!) Mittwoch und Donnerstag noch einmal beraten werden mußte. Da wurde von den Grünen gesagt, man sei sich denn das, was uns heute von der Regierungskoalitiongar nicht klar darüber, welche haushaltsrechtlichen geboten wurde, ist eine schlichte Zumutung. Sie haben Auswirkungen dieses Vorhaben hätte. Da weiß doch die ein sogenanntes Steuerentlastungsgesetz vorgelegt, und eine Linke nicht, was die andere Linke tut. Aber uns dies ist nichts anderes als eine großangelegte semanti- wird heute zugemutet, ein solches Gesetz in Abwesen- sche Täuschung der Familien. heit des Finanzministers zu beraten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ich bin auch erstaunt darüber, daß sich die Grünen Widerspruch bei der SPD) heute hier hinstellen und dieses Gesetz vollmundig un- terstützen, obwohl sie am Donnerstag abend noch gar In 78 Einzelpunkten werden Familien von Ihnen zur nicht wußten, wohin die Reise geht. Kasse gebeten. Frau Kollegin Kressl, ich nehme es Ih- nen nicht übel, weil Sie Neuling im Parlament sind – – (Christian Sterzing [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Was?) (D) (Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Hier weiß doch überhaupt keiner, was heute wirklich be- Die Kollegin ist schon vier Jahre dabei!) raten wird und wie das Ganze finanziert werden soll. – Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der (Detlev von Larcher [SPD]: Lesen Sie es SPD, die Sie soeben gelacht haben und schon länger nach! Dann wissen Sie es!) dem Parlament angehören, nehme ich übel, daß Sie die- se neue Kollegin nicht darüber aufgeklärt haben, was – – Ihr Geheimnis wird es bleiben, wie Sie Familien un- terstützen und entlasten wollen. Ich werde Ihnen jetzt (Lachen bei der SPD – Zuruf von der SPD: Sie am Beispiel einiger Ihrer Einzelmaßnahmen deutlich ist schon vier Jahre dabei!) machen, wo Sie Familien in Zukunft zusätzlich belasten. – Schon vier Jahre dabei? Um so schlimmer, dann hätten Die Familien sind ganz besonders betroffen von der Sie vielleicht das eine oder andere an FamilienpolitikStreichung des pauschalen Vorkostenabzugs, von der schon mitbekommen müssen. Reduzierung des Erhaltungsaufwands und den Ab- schreibungsmöglichkeiten beim Wohnungsbau, beim (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Eigenheimbau und beim Mietwohnungsbau. der F.D.P. – Detlev von Larcher [SPD]: Frau Rönsch, wie lange sind Sie im Parlament?) Nehmen wir einmal die durchschnittliche Familie in Deutschland mit zwei Kindern und einer Wohnung mit Ich werde dies heute nicht noch einmal wiederholen;80 Quadratmetern. Sie geben dieser Familie für ein Kind denn dann hatten Sie ja in vier Jahren Gelegenheit, inim Monat 30 DM mehr Kindergeld. Eine Mieterhöhung den unterschiedlichen Ausschüssen zu sehen, was dievon nur 1 DM pro Quadratmeter belastet diese Familie alte Bundesregierung für die Familien geleistet hat. zusätzlich mit 960 DM im Jahr. Ihre Kindergelderhö- hung von jährlich 720 DM für zwei Kinder wird dann Sie haben sich damit gebrüstet, eine Kindergelderhö- allein durch die Mietkostensteigerung aufgefressen. hung für das erste und das zweite Kind vorzulegen. Was tun Sie denn für die Familien mit mehr als zwei Kin- Ich nenne ein weiteres Beispiel; da gehen Sie der dern? Nichts! Familie so richtig ans Eingemachte. Bisher war der Spa- rerfreibetrag auf 6 000 DM festgelegt. Jetzt sind es nur (Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher noch 3 000 DM. [SPD]: Nicht zu glauben! – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie haben wieder einmal (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie wollten überhaupt nichts verstanden!) das doch genauso!) 712 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (A) Das heißt, Sie tasten den Notgroschen der Familie an. Es Rentner, die Studenten und die Sozialhilfeempfänger,(C) ist schändlich, daß Sie so etwas als Familienpolitik be- die keine Sozialbeiträge zahlen und daher an keiner zeichnen. Stelle eine Kompensation erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das wird auch durch das Mit diesem Steuerbelastungsgesetz wollen Sie ein Klatschen von Herrn Repnik nicht richtiger!) weiteres ungeliebtes Kind beseitigen, nämlich das Ehe- gattensplitting. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihnen Wir sind in unserer Fraktion nach langen Beratungen schon gesagt, daß man das gar nicht so ohne weiteresübereingekommen, dieser Kindergelderhöhung nicht zu- antasten darf. zustimmen. Diese 30 DM für die Ein-Kind-Familie – 60 DM bei zwei Kindern – haben diese Familien zwar (Detlev von Larcher [SPD]: Können Sie ei- verdient, weil Sie ihnen permanent in die Tasche grei- gentlich nicht lesen, Frau Kollegin?) fen, aber wir sorgen uns um die Menschen. – Herr von Larcher, Ihre Zwischenrufe waren noch nie (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der sehr sinnvoll; deshalb werde ich auch nicht weiter dar- SPD und der PDS: Och! – Zuruf von der auf eingehen. – Mit der Kappung des Ehegattensplittings CDU/CSU: Jawohl!) wollen Sie die Familie treffen, bei der sich ein Ehepart- ner der Familienarbeit und der Kindererziehung widmet. Wir sehen, wie Sie durch Ihre Gesetze die Menschen Es entspricht nämlich nicht Ihrem Familienbild, daß eine ständig neu belasten und wie Sie vor dem 7. Februar Frau und Mutter zu Hause bleibt, ihre Kinder erzieht1999, dem Termin der Hessen-Wahl, den Bürgern un- und sich der Familienarbeit widmet. redlich das eine oder andere verschweigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Rep- Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das er- nik [CDU/CSU]: Der dicke Hammer kommt zählen Sie schon seit Jahren! Dafür sind Sie nach Hessen!) abgewählt worden!) Wir werden diesen Gesetzentwurf heute ablehnen, weil Dafür wollen Sie sie bestrafen. er unredlich und unsolide ist, weil er von den Bürgern selbst bezahlt wird und den Familien keine Entlastung Wie die Frau Staatssekretärin dazu kommt, sehr laut- bringt. stark zu behaupten, die Kaufkraft würde durch dieses Gesetz gestärkt, bleibt ihr Geheimnis. Bei jeder der (Beifall bei der CDU/CSU) 78 Einzelmaßnahmen geht es der Familie direkt oder in- Einige meiner Kollegen werden diesen Gesetzentwurf (B) direkt ans Portemonnaie. Wie dadurch Kaufkraft ge-heute trotz der Kindergelderhöhung, die darin enthalten (D) stärkt werden soll, kann ich mir nicht erklären. ist – einige tun sich sehr schwer damit –, ablehnen. Wenn Sie die Experten aller Verbände, die heuteBringen Sie ein besseres Gesetz ein! Besinnen Sie sich morgen schon angesprochen worden sind, und die Wirt- auf einen guten Weg! Wir haben Ihnen mit unseren schaftswissenschaftler einmal genau anhören, dann wer- Petersberger Beschlüssen gute Vorgaben gemacht. den Sie noch mitbekommen, daß die Ihnen prognostizie- (Lachen bei der SPD – Wilhelm Schmidt ren, daß die Zahl der Arbeitslosen auf Grund Ihrer Maß- [Salzgitter] [SPD]: Lächerlich!) nahmen schleichend steigen wird. Es ist für mich unver- ständlich, wie Sie dies alles so hinnehmen können. An dieser Stelle, meine lieben Kolleginnen und Kolle- gen von der SPD, wäre es für Ihre Fraktion schon einmal Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit demsinnvoll, auch Sachverstand von außen einzuholen; heute vorgelegten Steuerbelastungsgesetz ist aber erst der Anfang beim Abkassieren gemacht. (Ludwig Stiegler [SPD]: Das sieht man an Ihnen!) (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Abzocken! Reinste Abzockermentalität!) denn dann wüßten Sie, daß die von uns vorgelegte Steuer- reform in breiten Teilen der Bundesrepublik Deutsch- Es kommt noch ein weiteres Gesetz, das Sie auch se-land, bei Wirtschaftswissenschaft und Industrie, bei mantisch sehr schön verkleidet und „Ökosteuergesetz“ Arbeitnehmern und Arbeitgebern auf höchste Akzeptanz genannt haben. Wie dieses Gesetz für Ökologie, fürgestoßen ist. Natur greifen soll, wird ebenfalls Ihr Geheimnis bleiben. All das, was in dieses Gesetz eingeht, wird für die Sen- (Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen haben kung der Sozialbeiträge herangezogen. Ich finde es nicht die uns gewählt!) verkehrt, daß man Sozialbeiträge senkt. Aber nennen Sie Fragen Sie doch auch einmal bei den Grünen nach, die dieses Gesetz entsprechend dem, was es bewirkt, näm- unserer Steuerkonzeption sehr entgegengekommen sind! lich Energiebesteuerungsgesetz. Mit diesem Energiebe- steuerungsgesetz, mit neuen Steuern auf Gas, auf Heiz- (Detlev von Larcher [SPD]: Sie haben die öl, auf Strom, auf Benzin, wird der Bürger zusätzlich Wahl verloren; sie haben uns gewählt!) vielfach belastet. Das wird sich auch bei der Familie– Die Wahl verloren, die Wahl gewonnen, lieber Herr auswirken: auf den Schulbus, wiederum auf die Miete, von Larcher: Wir nehmen die Oppositionsrolle an, auf das Brot, auf den Metzger, auf das Schwimmbad für die Kinder. In keiner Weise Entlastung erfahren die (Detlev von Larcher [SPD]: Aber schlecht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 713

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (A) aber wir werden Sie kontrollieren und Ihnen auf die Fin- gewinnung mit den Sachverständigen ins Gespräch zu(C) ger schauen. kommen. Vielmehr wird das ein Schaulaufen von Lob- byisten werden, von dem Sie sich einen publizistischen (Beifall bei der CDU/CSU) Gewinn versprechen, das uns aber in der Sache keinen Was Sie in diesen Tagen bisher geboten und geleistetSchritt weiterbringen wird. haben, ist ein Skandal für das Votum, das der Wähler (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ihnen gegeben hat. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn Sie im Verfahren (Beifall bei der CDU/CSU – Detlev von unter Kollegen nicht wieder zu einem vernünftigen Stil Larcher [SPD]: Nein!) zurückfinden, wie wir Beratungen organisieren, werden Sie reden sich heraus, daß Sie 100 Tage Zeit brauchen. wir von unserer verfahrensgestaltenden Mehrheit auch in den Ausschüssen komplett Gebrauch machen. (Detlev von Larcher [SPD]: Das sagen wir gar nicht!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sie sind so unvorbereitet in diese Regierung gestolpert, Das bedeutet zum Beispiel, daß wir festlegen könnten, daß unser Land heute darunter leidet. daß bei Anhörungen im Finanzausschuß maximal 40 Sachverständige, den Kräfteverhältnissen entsprechend, (Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der eingeladen werden. Sie können sich dann Ihre Lobby- SPD: Oh!) isten aussuchen. Wir werden vernünftige Sachverstän- Sie hatten sich auf die Übernahme der Regierung nicht dige benennen. Dann ist ein Gespräch wieder möglich. vorbereitet, und wir haben heute die Konsequenzen zu Das werden wir auch tun, wenn Sie so weitermachen. tragen. Das werden wir, die Opposition, Ihnen nicht (Beifall bei Abgeordneten der SPD) durchgehen lassen. Wir werden das Mandat, das der Bürger uns gegeben hat, hier kraftvoll vertreten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich höre hier immer wieder von der PDS über die F.D.P. bis hin zur publizi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) stischen Begleitung, wir sollten uns ein Herz fassen und beherzte, große Schritte unternehmen, um dem ganzen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Volk mehr Steuer- und Abgabenentlastungen zu brin- letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat nun gen. Das würde auch ich gerne tun; das ist keine Frage. Kollege Reinhard Schultz von der SPD-Fraktion dasIch glaube, wir alle würden das über die Steuersen- Wort. Bitte schön! kungsschritte und über die angekündigte Abgabensen- kung von 2,3 Prozent bis zum Jahr 2002 hinaus gerne (B) (Zuruf von der CDU/CSU: Das muß nicht tun. (D) sein!) Nur, die abgewählte Regierung war uns ein Beispiel dafür, daß große Sprüche nicht mit großen Schritten Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Herr Präsi- verwechselt werden dürfen. dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe Ver- (Beifall bei der SPD) ständnis dafür, daß es nicht ganz einfach ist, sich an die Oppositionsrolle zu gewöhnen und Stilfragen durch das Denn von Ihren großen Sprüchen ist nichts, aber auch Herausarbeiten inhaltlicher Unterschiede bei gleichzeiti- gar nichts übriggeblieben, was die Absenkung von gem Konsens im Verfahren zu lösen. Sie haben IhreSteuer- und Abgabenbelastungen angeht. Rolle in dieser Woche maßlos mißbraucht. Das betrifft (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) nicht nur den Vorsitzenden im Haushaltsausschuß, der sich entgegen dem Votum der Mehrheit geweigert hat, Sie wußten ganz genau – auch der Kollege Waigel bestimmte Verfahren einzuhalten. Das geschah nurwußte das genau –, daß die Länder aus ihrer Verant- deshalb, weil Sie erreichen wollten, daß damit kein Vo- wortung heraus solche großen Schritte, wie Sie sie in tum des mitberatenden Haushaltsausschusses zustande Richtung Abgrund machen wollten, nicht mitmachen kommt, da Sie das gesamte Gesetzgebungsverfahrenkonnten. Deswegen waren Sie auch froh darüber, daß torpedieren wollen. die Länder standgehalten haben, damit das Schlimmste abgewendet werden konnte. Das war nicht das einzige. Sie haben heute morgen erneut mit fadenscheinigen Begründungen zu verhindern Wir gehen konstruktiv an das Vorhaben. Wir wollen versucht, daß die erste Stufe der Steuerreform pünktlich Schritt für Schritt in genau dem Umfang entlasten, wie zum 1. Januar 1999 in Kraft tritt. wir die Einnahmeausfälle durch Einnahmen an anderer Stelle decken können. Wir müssen erst einmal mit dem (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Stimmt doch aufräumen, was Sie uns an hohen Belastungen insbe- nicht!) sondere für die kleineren Einkommen und die mittleren Sie haben durch eine Orgie von Einladungen und an kleineren Unternehmen hinterlassen haben. sogenannte Sachverständige – zu zwei Dritteln Lobby- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) isten – im Zusammenhang mit der Anhörung zur zwei- ten und dritten Stufe der Steuerreform am kommenden Wir haben zwar die niedrigste Steuerquote in Europa, Montag und Dienstag dafür gesorgt, daß wir nicht in der aber wir haben gleichzeitig gerade für den Normalver- Lage sein werden, sozusagen zur besseren Erkenntnis- diener im Bereich der Beitragsbemessungsgrenzen 714 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) Steuer- und Beitragsbelastungen, die über 60 Prozentsondern auch die erste Stufe dieses Reformvorschlages (C) der Bruttoeinnahmen wegfressen. Das werden innerhalb wir weniger Wochen – pünktlich zum 1. Januar schrittweise ändern. 1999 – umzusetzen. Das hat unsere Vorgängerregierung nicht ein einziges Mal hinbekommen: weder der Sache (Beifall bei Abgeordneten der SPD) noch dem Tempo nach. Wir haben gleichzeitig die Situation, daß die veran- (Beifall bei der SPD) lagte Einkommensteuer in den letzten Jahren geradezu zu einer Restgröße verkommen ist, weil sich Gutverdie- Warum Sie auf die Tränendrüse drücken, wenn es um nende über den Umweg der Bereicherungsmaschineden Mittelstand geht, verstehe ich nicht. West – das ist der eigentlich ehrliche Ausdruck für das (Große Unruhe) Werk „Aufbau Ost“ – ihren Steuersatz selber festsetzen konnten. Unabhängig davon, daß in diesem dreistufigen Reform- werk sowohl die Körperschaftsteuersätze als auch die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Besteuerung der gewerblichen Einkünfte generell ge- PDS – Ludwig Stiegler [SPD]: Und zwar auf senkt werden – das ist eindeutig mittelstandsfördernd –, Null!) kündigen wir – das ist ein Befreiungsschlag für die Wir haben bei großen exportstarken bilanzierenden nächsten beiden Jahre – eine von derRechtsform un- Unternehmen kaum noch einen nennenswerten Beitrag abhängige Unternehmensbesteuerung in Höhe von zur Finanzierung des Gemeinwesens, im Gegensatz zum maximal 35 Prozent an. Das hat sich in dieser Form vor Handwerker, zum Einzelhändler und zum kleinen Un- uns keine Regierung getraut. ternehmen, das vom Binnenmarkt lebt. (Beifall bei der SPD) Wir sehen das gut am Beispiel der Banken; das war Zu diesem Paket, zu diesen Überlegungen gehört auch vorhin kurz erwähnt worden. Welchen Beitrag leistendie Frage: Wie gehen wir eigentlich mit dem Verhältnis die privaten Geschäftsbanken, die international tätigzwischen der privaten Einkommensteuer und den Ein- sind, zum Beispiel im Vergleich zu den Sparkassen, die künften aus unternehmerischer Tätigkeit um? Wie soll im Inland tätig sind? Zwischen beiden liegen Welten,das Verhältnis aussehen? – Herr Präsident, könnten Sie was die Steuerbeteiligung an der Finanzierung des Ge- bitte einmal für ein bißchen Ruhe sorgen. meinwesens angeht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich bitte darum, die Im Jahressteuergesetz 1996 hatten wir auf Druck der Gesprächsrunden in den Gängen aufzulösen und dem SPD-geführten Länder und auf Grund von Vorlagen der (B) Redner die Gelegenheit zu geben, seine Rede zu Ende(D) SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam den Familienlasten- zu führen, und ihm auch zuzuhören. ausgleich reformiert. (Beifall bei der SPD) (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Nein! – Detlev von Larcher [SPD]: Natürlich! So ist es, Herr Thiele!) Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Zu diesem Paket der von der Rechtsform unabhängigen Unterneh- Selbst diese Entlastung ist durch Beitragserhöhungen bei menssteuer gehört auch die Frage: Wie gehen wir mit den Sozialversicherungen mehr als komplett aufgefres- der Gewerbesteuer um, die wir gerade noch vor kurzem sen worden. Selbst da hat es nicht zu einer Entlastung im Grundgesetz als eine wesentliche Einnahmeform für gereicht. die Gemeinden verankert haben, über deren Höhe sie Leider gab es bei den Unternehmen ähnliche Effekte, alleine entscheiden können. die zu einer völligen Verzerrung im Zusammenhang mit In diesen Zusammenhang passen auch die Überle- der Wettbewerbsfähigkeit geführt haben. Ich spreche gungen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten von den großen internationalen Ketten gegenüber den Clement, nämlich im Rahmen der von der Rechtsform angestammten kleinen und mittleren Unternehmen in unabhängigen Unternehmenssteuer darüber nachzuden- unseren Regionen, die vom Binnenmarkt leben. ken, welche Spielräume es für die Vergrößerung des Wir müssen diese Entwicklung schrittweise stoppen Kreises der Gewerbesteuerpflichtigen gibt – also Revi- und umkehren. Das ist eine Herkulesaufgabe, und estalisierungsvorschläge, wie sie der nordrhein-westfäli- wäre unehrlich, zu sagen, daß man das in einem Streich sche Finanzminister Schleußer bereits vor zwei Jahren machen könnte. vorgeschlagen hat – und welche Spielräume so gewon- nen werden, dann zum Beispiel auch die Gewerbesteuer- (Unruhe) freibeträge anzuheben? Ich halte das für einen sehr kon- Ich bin sehr stolz darauf, daß wir nicht unter Inan-struktiven Ansatz, wenn er in ein Gesamtpaket einge- spruchnahme von 100 Tagen, sondern innerhalb vonbracht wird. Das hat nichts mit der ersten Stufe zu tun; wenigen Wochen in der Lage sind, nicht nur einen kom- vielmehr hat es etwas mit dem zu tun, wie wir uns im pletten Reformvorschlag vorzulegen, den jede Wählerin nächsten Jahr auf die von der Rechtsform unabhängige und jeder Wähler vor den Hessenwahlen nachlesen kann Unternehmensbesteuerung einigen. – darauf möchte ich Sie, Frau Rönsch, hinweisen –, (Zuruf von der CDU/CSU: Der Kanzler hat (Beifall bei der SPD) genickt! Sie können sich setzen!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 715

Reinhard Schultz (Everswinkel) (A) Das wird für viele Unternehmen befreiend sein – egal, Sie können also eine beliebige Urne für Ihre Stimmab-(C) ob Einzelkaufmann, Personengesellschaft, Aktiengesell- gabe nutzen, am besten die Urne, die Ihnen am nächsten schaft oder GmbH. Ich bin sehr zuversichtlich, daß wir positioniert ist. das sowohl im Interesse der betroffenen Unternehmen und der Arbeitgeber als auch mit Blick auf die Regel- Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen einge- mäßigkeit der Einnahmen für den Staat ausgewogen brachten Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes hinbekommen werden. 1999/2000/2002, Drucksachen 14/23 und 14/125. Der (Beifall bei der SPD) Finanzausschuß empfiehlt, einen Teil des Gesetzent- wurfs in der Ausschußfassung mit der Bezeichnung Es sind noch zwei weitere Punkte im Zusammenhang „Steuerentlastungsgesetz 1999“ anzunehmen und die üb- mit dem zweiten „Vorläufergesetz“ zu behandeln. Sierigen Teile des Entwurfs späteren Beschlußfassungen haben uns gezwungen, dazu noch eine zweite Runde zu vorzubehalten. machen. Das ist eigentlich ganz „witzig“: So müssen Unternehmen in dem Augenblick, in dem sie erfahren, Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS daß ihre Rückstellungen für Pensionen nicht ausrei- vor, über den wir zunächst abstimmen. Wer für diesen chen, ihre Rückstellungen schlagartig erhöhen. Das kann Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 14/138 für Unternehmen, die ihre Bilanz randgenäht machenstimmt, den bitte ich um sein Handzeichen. – Gegen- und kaum Erträge ausweisen, zur Katastrophe führen.stimmen? – Enthaltungen? – Dann ist der Antrag bei Zu- Deswegen haben wir vorgeschlagen, das über drei Jahre stimmung der PDS-Fraktion und zwei Enthaltungen in zu strecken. Die Verbände der Wirtschaftsprüfer ebenso der PDS-Fraktion mit den Stimmen aller anderen Frak- wie die mittelständische Wirtschaft begrüßen das. Wer tionen abgelehnt. sich dagegen wehrt, sind F.D.P. und CDU/CSU im Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in Finanzausschuß. Das ist schon ein beachtenswerter Vor- gang. der Ausschußfassung auf Drucksache 14/125 Nr. 1 zu- stimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- Noch beachtenswerter ist die Diskussion um diemen? – Enthaltungen? – Dann ist der Gesetzentwurf mit Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege. Es gibt den Stimmen der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis große Erfolge der Steuerfahndung bei der Frage, in wel- 90/Die Grünen und der PDS-Fraktion gegen die Stim- chem Umfang sich Steuerpflichtige durch Auslandsan- men der CDU/CSU-Fraktion und der F.D.P.-Fraktion lagen der Zinsbesteuerung entziehen. bei einigen Enthaltungen in der CDU/CSU-Fraktion (Zurufe von der SPD: Aha!) angenommen. (B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr (D) Kollege Schultz, ich bitte, zum Schluß zu kommen. Die dritte Beratung Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Ich komme und Schlußabstimmung folgt nun. Die Fraktion der SPD zum letzten Satz. – Wir hatten im Finanzausschuß den verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schrift- Eindruck, daß es gerade die F.D.P. war, die durch Ver- führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze hinderung eines pünktlichen Inkrafttretens dieses Geset- einzunehmen. – Sind alle Urnen besetzt? – Das ist der zes eine De-facto-Amnestie für Tausende von Steuer-Fall. Ich eröffne die Abstimmung. – sündern – für ihre Klientel – erreichen wollte. Das wer- den wir nicht mitmachen. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Dann schließe ich (Beifall bei der SPD) die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er- gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekanntgege- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich ben.*) schließe die Aussprache. Wir setzen die Beratungen fort und kommen nunmehr Es liegen zahlreiche schriftliche Erklärungen zur Ab- zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vor. WirFraktion der F.D.P. auf Drucksache 14/140. Die Frakti- nehmen diese Erklärungen zu Protokoll.*) on der F.D.P. hat ebenfalls namentliche Abstimmung Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in diebeantragt. Abstimmungen eintreten, bitte ich um Ihre Aufmerk- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die samkeit für folgenden Hinweis: Wir werden nachhervorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen drei namentliche Abstimmungen durchführen. Nach ei- besetzt? – Das ist der Fall. ner Vereinbarung im Ältestenrat sind die Abstimmungs- urnen ab sofort nicht mehr bestimmten Buchstabengrup- Dann bitte ich, mit der Abstimmung zu beginnen. – pen zugeordnet. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine (Beifall) Stimme bei dieser zweiten namentlichen Abstimmung ––––––––– –––––––––– *) Anlagen 2 bis 12 *) Seite 716 C 716 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine(C) schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin- Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte Das Ergebnis dieser Abstimmung wird ebenfalls später die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Aus- bekanntgegeben.*) zählung zu beginnen. Auch dieses Ergebnis werde ich Ihnen später bekanntgeben.**) Wir setzen die Beratungen fort und kommen zur Ab- stimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Es liegt das Ergebnis zu der Abstimmung über das der PDS auf Drucksache 14/137. Die Fraktion der PDS Steuerentlastungsgesetz 1999, Drucksachen 14/23 und verlangt namentliche – das ist die dritte – Abstimmung. 14/125, vor: Abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 328, mit Nein haben gestimmt 220, Enthaltun- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die gen 15. Der Gesetzentwurf ist damit angenommen. vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle Urnen (Beifall bei der SPD) besetzt? – Das ist der Fall. –––––––––– **) Seite 721 C Ich eröffne die Abstimmung – **) Seite 723 B

Endgültiges Ergebnis Ludwig Eich Eike Hovermann Ulrike Mascher Abgegebene Stimmen: 581; Marga Elser Christel Humme Peter Enders Lothar Ibrügger Ingrid Matthäus-Maier davon Brunhilde Irber Heide Mattischeck ja: 347 Petra Ernstberger Gabriele Iwersen nein: 219 Annette Faße Renate Jäger Ulrike Mehl enthalten: 015 Lothar Fischer (Homburg) Jann-Peter Janssen Ulrike Merten Ilse Janz Iris Follak Dr. Uwe Jens Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Ja Norbert Formanski Volker Jung (Düsseldorf) Ursula Mogg Hans Forster Johannes Kahrs Christoph Moosbauer SPD Sabine Kaspereit Siegmar Mosdorf Peter Friedrich (Altenburg) Susanne Kastner Michael Müller (Düsseldorf) Lilo Friedrich (Mettmann) Hans-Peter Kemper Jutta Müller (Völklingen) Harald Friese Klaus Kirschner Christian Müller (Zittau) Hermann Bachmaier (Köln) Marianne Klappert Arne Fuhrmann Siegrun Klemmer Volker Neumann (Bramsche) (B) Monika Ganseforth Hans-Ulrich Klose Gerhard Neumann (Gotha) (D) Dr. Hans-Peter Bartels Konrad Gilges Dr. Edith Niehuis Eckhardt Barthel (Berlin) Iris Gleicke Fritz Rudolf Körper Dr. Rolf Niese (Starnberg) Günter Gloser Karin Kortmann Ingrid Becker-Inglau Uwe Göllner Günter Oesinghaus Dr. Renate Gradistanac Nicolette Kressl Eckhard Ohl Hans-Werner Bertl Angelika Graf (Rosenheim) Volker Kröning Leyla Onur Friedhelm Julius Beucher Dieter Grasedieck Angelika Krüger-Leißner Manfred Opel Horst Kubatschka Holger Ortel Wolfgang Grotthaus Ernst Küchler Adolf Ostertag (Heidelberg) Karl Hermann Haack Helga Kühn-Mengel Kurt Palis (Extertal) Ute Kumpf Albrecht Papenroth Klaus Brandner Hans-Joachim Hacker Konrad Kunick Dr. Willfried Penner Anni Brandt-Elsweier Klaus Hagemann Dr. Uwe Küster Georg Pfannenstein Manfred Hampel Werner Labsch Johannes Pflug Dr. Alfred Hartenbach Brigitte Lange Dr. Eckhart Pick Rainer Brinkmann (Detmold) Klaus Hasenfratz Christian Lange (Backnang) Joachim Poß Nina Hauer Detlev von Larcher Karin Rehbock-Zureich (Hildesheim) Christine Lehder Margot von Renesse Hans-Günter Bruckmann Reinhold Hemker Waltraud Lehn Renate Rennebach Ursula Burchardt Frank Hempel Robert Leidinger Bernd Reuter Dr. Michael Bürsch Rolf Hempelmann Klaus Lennartz Dr. Edelbert Richter Hans Martin Bury Dr. Barbara Hendricks Dr. Elke Leonhard Reinhold Robbe Hans Büttner (Ingolstadt) Eckhart Lewering Renè Röspel Marion Caspers-Merk Monika Heubaum Götz-Peter Lohmann Dr. Wolf-Michael Catenhusen Uwe Hiksch (Neubrandenburg) Michael Roth (Heringen) Dr. Reinhold Hiller (Lübeck) Christa Lörcher Birgit Roth (Speyer) Christel Deichmann Stephan Hilsberg Erika Lotz Gerhard Rübenkönig Gerd Höfer Dr. Marlene Rupprecht Peter Dreßen Walter Hoffmann Dieter Maaß (Herne) Thomas Sauer Rudolf Dreßler (Darmstadt) Winfried Mante Dr. Hansjörg Schäfer Detlef Dzembritzki (Wismar) Dirk Manzewski Rudolf Scharping Dieter Dzewas Frank Hofmann (Volkach) Tobias Marhold Bernd Scheelen Ingrid Holzhüter Lothar Mark Dr. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 717

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Siegfried Scheffler Hans-Joachim Welt Ludger Volmer Marie-Luise Dött (C) Horst Schild Dr. Sylvia Ingeborg Voß Dieter Schloten Hildegard Wester Helmut Wilhelm (Amberg) Horst Schmidbauer Lydia Westrich Margareta Wolf (Frankfurt) (Nürnberg) Inge Wettig-Danielmeier Dr. Hans Georg Faust (Aachen) Dr. PDS Ingrid Fischbach Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Norbert Wieczorek Dirk Fischer (Hamburg) (Meschede) Helmut Wieczorek Monika Balt Axel E. Fischer (Karlsruhe- Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (Duisburg) Maritta Böttcher Land) Regina Schmidt-Zadel Jürgen Wieczorek (Leipzig) Eva Bulling-Schröter Heinz Schmitt (Berg) Heidemarie Wieczorek-Zeul Dr. Gerhard Friedrich Dieter Wiefelspütz Heidemarie Ehlert (Erlangen) Dr. Emil Schnell Heino Wiese (Hannover) Dr. Erich G. Fritz Walter Schöler Klaus Wiesehügel Fred Gebhardt Jochen-Konrad Fromme Brigitte Wimmer (Karlsruhe) Wolfgang Gehrcke-Reymann Hans-Joachim Fuchtel Karsten Schönfeld Engelbert Wistuba Dr. Klaus Grehn Dr. Jürgen Gehb Fritz Schösser Barbara Wittig Dr. Dr. Dr. Barbara Höll Georg Girisch Gerhard Schröder Verena Wohlleben Carsten Hübner Gisela Schröter Hanna Wolf (München) Sabine Jünger Dr. Reinhard Göhner Dr. Mathias Schubert Waltraud Wolff (Zielitz) Gerhard Jüttemann Peter Götz Richard Schuhmann Heidemarie Wright Dr. Evelyn Kenzler Dr. Wolfgang Götzer (Delitzsch) Dr. Heidi Knake-Werner Kurt-Dieter Grill Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Christoph Zöpel Rolf Kutzmutz Reinhard Schultz Peter Zumkley Heidi Lippmann-Kasten Carl-Detlev Freiherr von (Everswinkel) Ursula Lötzer Hammerstein Volkmar Schultz (Köln) BÜNDNIS 90/ Dr. Gerda Hasselfeldt Ilse Schumann DIE GRÜNEN Heidemarie Lüth Norbert Hauser (Bonn) Manfred Müller (Berlin) Hansgeorg Hauser Dr. R. Werner Schuster Gila Altmann (Aurich) Rosel Neuhäuser (Rednitzhembach) Dietmar Schütz (Oldenburg) (Bremen) Christina Schenk Ursula Heinen Dr. Angelica Schwall-Düren (Köln) Gustav-Adolf Schur Manfred Heise Ernst Schwanhold Angelika Beer Dr. Ilja Seifert Siegfried Helias Hans Jochen Henke Annelie Buntenbach Bodo Seidenthal Nein Ernst Hinsken Erika Simm Ekin Deligöz (B) Dr. Thea Dückert (D) Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk CDU/CSU Klaus Hofbauer Dr. Cornelie Sonntag- Franziska Eichstädt-Bohlig Wolgast Dr. Uschi Eid Josef Hollerith Wieland Sorge Hans-Josef Fell Joachim Hörster Wolfgang Spanier (Berlin) Dietrich Austermann Hubert Hüppe Dr. Margrit Spielmann Joseph Fischer (Frankfurt) Peter Jacoby Jörg-Otto Spiller Katrin Göring-Eckardt Dr. Dr. Harald Kahl Dr. Ditmar Staffelt Rita Grießhaber Günter Baumann Bartholomäus Kalb Antje-Marie Steen Steffen Kampeter Ludwig Stiegler Antje Hermenau Dr. Dietmar Kansy Rolf Stöckel Kristin Heyne Renate Blank Rita Streb-Hesse Ulrike Höfken Irmgard Karwatzki Dr. Peter Struck Michaele Hustedt Dr. Norbert Blüm Joachim Stünker Dr. Angelika Köster-Loßack Jörg Tauss Dr. Maria Böhmer Ulrich Klinkert Jella Teuchner Dr. Helmut Lippelt Sylvia Bonitz Dr. Dr. Gerald Thalheim Dr. Reinhard Loske Norbert Königshofen Wolfgang Thierse Oswald Metzger Wolfgang Börnsen Eva-Maria Kors Franz Thönnes Klaus Wolfgang Müller (Bönstrup) Thomas Kossendey Uta Titze-Stecher (Kiel) Dr. Martina Krogmann Adelheid Tröscher Kerstin Müller (Köln) Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Hermann Kues Hans-Eberhard Urbaniak Winfried Nachtwei Klaus Brähmig Rüdiger Veit Christa Nickels Dr. Dr. Karl A. Lamers Simone Violka Cem Özdemir Paul Breuer (Heidelberg) (Pforzheim) Simone Probst Hartmut Büttner Dr. Hans Georg Wagner (Augsburg) (Schönebeck) Dr. Paul Laufs Hedi Wegener Christine Scheel Karl-Josef Laumann Dr. Konstanze Wegner Irmingard Schewe-Gerigk Werner Lensing Wolfgang Weiermann Rezzo Schlauch Hubert Deittert Peter Letzgus Reinhard Weis (Stendal) Albert Schmidt (Hitzhofen) Albert Deß Ursula Lietz Matthias Weisheit (Leipzig) Walter Link (Diepholz) Gunter Weißgerber Christian Sterzing Wilhelm Dietzel Eduard Lintner Dr. Ernst Ulrich von Hans-Christian Ströbele Thomas Dörflinger Dr. Klaus Lippold Weizsäcker Jürgen Trittin Hansjürgen Doss (Offenbach) 718 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Dr. Manfred Lischewski Kurt Rossmanith Jürgen Koppelin (C) Wolfgang Lohmann Adolf Roth (Gießen) Ina Lenke (Lüdenscheid) Norbert Röttgen Andrea Voßhoff Dirk Niebel Julius Louven Dr. Christian Ruck Dr. Theodor Waigel Günter Friedrich Nolting Dr. Jürgen Rüttgers Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Joachim Otto Dr. Martin Mayer Anita Schäfer Annette Widmann-Mauz (Frankfurt) (Siegertsbrunn) Dr. Wolfgang Schäuble Heinz Wiese (Ehingen) Wolfgang Meckelburg Hartmut Schauerte Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Dr. Günter Rexrodt Dr. Heinz Schemken Gert Willner Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Dr. Karl-Heinz Scherhag Klaus-Peter Willsch Gerhard Schüßler Dietmar Schlee Willy Wimmer (Neuss) Dr. Hans Michelbach Andreas Schmidt Werner Wittlich Marita Sehn Dr. Gerd Müller (Mühlheim) Elke Wülfing Dr. Hermann Otto Solms Bernward Müller (Jena) Hans Peter Schmitz Wolfgang Zeitlmann Carl-Ludwig Thiele Elmar Müller (Kirchheim) (Baesweiler) Wolfgang Zöller Dr. Dieter Thomae Günter Nooke Birgit Schnieber-Jastram Jürgen Türk Franz Obermeier Dr. F.D.P. Dr. Guido Westerwelle Friedhelm Ost Dr. Reinhard Freiherr von Hildebrecht Braun Enthalten Norbert Otto (Erfurt) Schorlemer (Augsburg) Dr. Peter Paziorek Dr. Erika Schuchardt Rainer Brüderle CDU/CSU Wolfgang Schulhoff Dr. Friedbert Pflüger Clemens Schwalbe Jörg van Essen Dr. Christian Schwarz- Ulrike Flach Dr. Schilling Gisela Frick Marlies Pretzlaff Wilhelm-Josef Sebastian Paul K. Friedhoff Wolfgang Dehnel Dieter Pützhofen Heinz Seiffert Maria Eichhorn Werner Siemann Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Hans-Peter Friedrich Hans Raidel Johannes Singhammer Hans-Michael Goldmann (Naila) Dr. Peter Ramsauer Bärbel Sothmann Dr. Klaus Holetschek Christa Reichard (Dresden) Margarete Späte Klaus Haupt Dr.-Ing. Rainer Jork Carl-Dieter Spranger Dr. Manfred Kolbe Erika Reinhardt Ulrich Heinrich Hartmut Koschyk Hans-Peter Repnik Andreas Storm Walter Hirche Dr. Paul Krüger Klaus Riegert Dorothea Störr-Ritter Birgit Homburger Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dr. (Halsbrücke) (B) Franz Romer Max Straubinger (D) Hannelore Rönsch Ulrich Irmer (Wiesbaden) Michael Stübgen Dr. Gerald Weiß (Groß-Gerau) Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Dr. Rita Süssmuth Dr. Heinrich Leonhard Kolb Aribert Wolf Dr. Klaus Rose Edeltraut Töpfer Gudrun Kopp

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete(r) Behrendt, Wolfgang, SPD Bühler (Bruchsal), Klaus, Hoffmann (Chemnitz), Jelena, Maaß (Wilhelmshaven), Siebert, Bernd, CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU Erich, CDU/CSU

Die Ergebnisse der beiden weiteren namentlichen Werner Siemann (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr Abstimmungen gebe ich Ihnen bekannt, sobald sie vor- Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kolle- liegen. gen! In das seit Jahren schon verworrene Konzept der Bündnisgrünen paßt die Äußerung von Herrn Staatsmini- Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe den Zusatz- ster Volmer aus dem Auswärtigen Amt, die Bundeswehr punkt 5 auf: abzuschaffen. Er reiht sich damit nahtlos in das Verwirr- spiel seines Außenministers und Parteivordenkers Fischer Aktuelle Stunde ein. Dieser hat schon in den vergangenen Tagen in den auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU USA und bei der NATO für genügend Irritationen gesorgt, als er glaubte, den Großmächten im Alleingang vorschrei- Die Zukunft der Bundeswehr vor dem Hinter- ben zu müssen, daß die Nuklearstrategie der NATO mit grund von Äußerungen des Staatsministers im einem Verzicht auf den Ersteinsatz geändert werden müs- Auswärtigen Amt, Dr. Ludger Volmer, zurse. Die Auftritte der Bundesminister Scharping und Fi- Entbehrlichkeit eines stehenden Heeres scher vor dem Auswärtigen Ausschuß und vor dem Ver- teidigungsausschuß haben diesen Dissens innerhalb der Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der Kollege Werner Siemann von der CDU/CSU-Fraktion Regierung nicht beseitigt, sondern nur noch verdeutlicht. das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 719

Werner Siemann (A) Wie eine Ohrfeige muß es für Sie, Herr Staatsmi- Es ist zu einfach, den Erhalt der Bundeswehr und die (C) nister, gewirkt haben, daß der Regierungssprecher Heye Mitgliedschaft in der NATO auf die Frage von Kosten Ihren Vorschlag, Deutschland benötige kein stehendes zu reduzieren. Sicherheit, Frieden und Freiheit kann man Heer mehr, als Ihre Privatmeinung als Bundestagsabge- nicht in Mark und Pfennig ausrechnen. Eine Konzeption ordneter abstempelte. Jedenfalls entspreche der Vor-hat sich an der aktuellen, realen sicherheitspolitischen schlag nicht der Auffassung der Bundesregierung. EsLage und nicht an der Verfügbarkeit von Mitteln auszu- stellt sich nun für uns alle die sicherlich berechtigte Fra- richten. Zudem dürfen Streitkräfte nicht als Experimen- ge: Woran können wir erkennen, ob Sie als Staatsmi-tierfeld der Politik mißbraucht werden. nister, Abgeordneter oder Privatmann einen Beitrag zum politischen Geschehen abgeben? Ich denke, Sie sollten (Michael Glos [CDU/CSU]: Sehr richtig!) diesen Punkt aufklären, um zumindest in der Zukunft Soldaten, zivile Mitarbeiter und deren Familien dürfen ernst genommen zu werden. nicht Spielball ideologisch geführter Auseinanderset- Noch nie hat sich eine neue Bundesregierung zungen so sein. durch Konfusion, Verwirrung, Enttäuschung von viel Hoffnung hervorgetan und so viel Unbedachtes und Un- (Beifall bei der CDU/CSU – Wilhelm Schmidt ausgewogenes von sich gegeben wie die jetzige Bundes- [Salzgitter] [SPD]: Darum stellen Sie auch regierung. Sie, Herr Volmer, passen sich dem nahtlos nicht den Verteidigungsminister!) an. Der Gedanke der Abschaffung unserer Bundeswehr (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der zeugt von einer Verkennung von Realitäten. Solange SPD: Denken Sie mal an die letzte Bundesre- Menschen mit all ihren Schwächen wie falsch verstan- gierung!) denem Ehrgeiz, Größenwahn, Sucht zur Selbstzerstö- rung, Rücksichtslosigkeit und Niedertracht agieren, Ihre Wahl des Begriffes von der „Entbehrlichkeitbrauchen wir unsere Bundeswehr, wenn wir unsere eines stehenden Heeres“ zeigt auch, wie es um IhreFreiheit lieben. Ein Verzicht darauf wäre gleichbedeu- Kenntnisse in militärischen Dingen bestellt ist. Selbst- tend mit Verlust von Freiheit, welche 17 Millionen verständlich gehören auch Luftwaffe, Marine und zivile Menschen unseres Volkes gerade vor neun Jahren für Mitarbeiter zur Bundeswehr. Stehende Heere wurden im sich erstritten haben. Dies kann und darf niemand aufs übrigen im 17. Jahrhundert aus der Taufe gehoben und Spiel setzen, auch nicht Sie, Herr Staatsminister Volmer. aus geworbenen Berufssoldaten sowie ausgehobenen Untertanen rekrutiert. Ein Blick in ein ordentliches (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Nachschlagewerk hätte zu Ihrer Aufklärung sicherlich Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]) beigetragen. (B) Wir brauchen keine Berufsarmee, und wir wollen(D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) auch keine Berufsarmee. Das heißt aber nicht, daß wir überhaupt keine Armee brauchten. Die allgemeine Unsere Bundeswehr ist keine Armee von Söldnern Wehrpflicht ist Wesensmerkmal unserer Bundeswehr und zum Wehrdienst gepreßten Bürgern. Wer hier kei- und muß dies auch sein. Ich will damit zum Ausdruck nen Wehrdienst leisten will – ich bin allerdings davon bringen, daß der Schutz und die Sicherheit nicht Sache überzeugt, daß die Wehrdienstleistung erste Bürger- der Bundeswehr und des NATO-Bündnisses allein sein pflicht ist –, muß als Wehrdienstverweigerer adäquaten können. Vielmehr sind für den Schutz des Vaterlandes Ersatzdienst leisten. Diese Regelung halte ich auch in alle seine Bürger verantwortlich und gefordert. Wer die der Zukunft für richtig. Wir sind nämlich vom ewigen Streitkräfte aufgibt, muß sich die Frage gefallen lassen, Frieden weit entfernt und haben auch die Insel der Seli- ob er diesen Staat opfern will. Wer sich nicht verteidi- gen noch lange nicht erreicht. Die Krisenherde der Welt gen kann, begibt sich seiner Sicherheit. erinnern uns täglich daran. Namen wie Milosevic, Sad- dam Hussein und Gaddafi sprechen für sich. Friedens- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE engel oder auch Friedenstauben kann ich unter ihnen GRÜNEN]: Streitkräfte sind der Staat? – Zu- nicht finden. ruf von der SPD: Wo leben Sie eigentlich?) Wie sicher beurteilen Sie, Herr Staatsminister im– Schön, daß Sie auf diese Rede schon so reagieren, Auswärtigen Amt, eigentlich die Lage in den Staaten der meine Damen und Herren. früheren Sowjetunion? In der politischen Entwicklung dieser Staaten, in ihrer wirtschaftlichen Situation und in Niemand kennt die Wechselfälle der Geschichte. Nur der Unzufriedenheit ihrer Einwohner mit dem jeweiligen wer sich verteidigen kann, wird ernst genommen. Nur Staat steckt ein gewaltiges und unberechenbares Kon- wer Freiheit und Recht schützen kann und anderen dabei fliktpotential, welches wir uns immer vor Augen führen zur Seite steht, findet selbst Freunde und Bündnispart- müssen. Wenn Sie meinen, aus der Reduzierung derner. Nur der kann frei verhandeln und Frieden sichern Streitkräfte Geld für andere Vorhaben freisetzen zu sol- sowie ihn gestalten. len, dann beurteilen Sie meines Erachtens die aktuelle Lage völlig falsch. Sie erwecken damit berechtigteIch komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Zweifel an Ihrer Qualifikation für das Amt eines Staatsministers im Auswärtigen Amt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) GRÜNEN]) 720 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Werner Siemann (A) In seiner Rede zum 30jährigen Bestehen der Bundes-von Herrn Volmer auch –, daß dies völlig unbestritten(C) wehr hat der frühere Bundespräsident von Weizsäcker ist. am 12. November 1995 folgendes geäußert: (Beifall des Abg. Manfred Opel [SPD]) Wer für das Gemeinwesen im ganzen politisch ver- antwortlich ist, darf den Bürgern den Schutz nicht Vor beinahe 200 Jahren hatte dieser Begriff nämlich verweigern. Wer sich in ein Lamm verwandelt, ruft eine völlig andere Bedeutung. In dieser Frage sind wir Wölfe auf den Plan. gar nicht auseinander, Herr Kollege Siemann. Das ste- hende Heer sollte der staatlichen Macht, die nicht demo- Dies sollten wir bei unseren Äußerungen und Entschei- kratisch legitimiert war, ein mannstarkes Volksheer für dungen nicht vergessen. Die Bundeswehr ist für mich, die Zwecke der Politik zur Verfügung stellen, nicht nur für die CDU/CSU-Fraktion auch ein Modell für die Zu- auf Verteidigung beschränkt, nicht nur defensiv. kunft. Die CDU/CSU-Fraktion steht hinter unseren Sol- daten. Unser Politikverständnis heute ist ein völlig anderes. Die rechtliche Grundlage für die Bundeswehr liegt in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) unserer Verfassung. In Art. 87 a des Grundgesetzes steht: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr auf.“ Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes ermöglicht die Kollege Siemann, ich beglückwünsche Sie zu Ihrer er- Einordnung des Bundes in ein System gegenseitiger sten Rede im Deutschen Bundestag. kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens. Diesen Weg sind wir gegangen, und wir werden ihn auch weiter (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- gehen. wie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Das Wort hat als nächster Redner der Kollege Peter Der Koalitionsvertrag berücksichtigt diese rechtliche Zumkley von der SPD-Fraktion. und politische Grundlage der Bundeswehr. Der Vertrag enthält die zentrale und unverzichtbare Rolle des Bünd- (Gernot Erler [SPD]: Zum Glück ist das nicht nisses und der Bundeswehr. An diesen Koalitionsvertrag deine erste, lieber Peter! – Paul Breuer werden wir uns halten. In der Koalitionsvereinbarung [CDU/CSU]: Jetzt aber ehrlich sagen, was ge- steht auch, daß vor Abschluß der Arbeit der Wehrstruk- dacht wird!) turkommission keine Sach- und Haushaltsentscheidun- gen über die Bundeswehr getroffen werden, die die zu untersuchenden Bereiche wesentlich verändern oder (SPD): Herr Präsident! Verehrte (B) Peter Zumkley neue Fakten schaffen würden. Daran wird sich die Re-(D) Kolleginnen und Kollegen! Wegen einer Äußerung, die, gierungskoalition halten. wie man hört, eher beiläufig in einem Gespräch gefallen ist, an dem auch Journalisten beteiligt waren, Unser Blick richtet sich dabei nach vorne. Die Neu- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Hauptsa- ausrichtung der NATO und die Neuausrichtung der che, wir haben einmal darüber gesprochen!) Bundeswehr müssen in Einklang stehen. Die Bundes- wehr muß auch künftig gemeinsam mit unseren Freun- eine Aktuelle Stunde zu beantragen, weist im Grundeden und Partnern auf den Mangel an wichtigeren Themen in der Oppositi- on hin. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) ihre Aufgaben im Rahmen der Landes- und Bündnis- verteidigung in internationalen Einsätzen zur Friedenssi- Herr Kollege Glos, glauben Sie es mir: Es gibt wichtige- cherung und Krisenbewältigung sowie zur Hilfeleistung re Themen als das. in Katastrophenfällen angemessen wahrnehmen können. (Michael Glos [CDU/CSU]: Schämen Sie sich Dafür werden wir kontinuierlich die Voraussetzungen doch wenigstens!) erhalten und verbessern. Herr Volmer hat den Begriff des stehenden Heeres Wir brauchen und wollen eine Bundeswehr, deren gebraucht, der tatsächlich aus der Zeit der preußischen Soldaten gut ausgebildet sind und die effektiv struktu- Wehrgesetzgebung von 1814 stammt riert sowie modern ausgerüstet ist. (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Sie sind (Beifall bei der SPD) doch ein freier Mann! Sagen Sie doch Ihre Sie muß ihre Aufgaben erfüllen können und zugleich Meinung! Sie beschädigen mit dieser Rede Ih- den bestmöglichen Schutz für unsere Soldaten gewähr- ren eigenen Ruf!) leisten. Es kommt deshalb auch darauf an, daß die Bun- und natürlich überhaupt nicht auf die Bundeswehr über- deswehr mit unseren Bündnispartnern kompatibel bleibt, tragen werden kann. Da aus den Erklärungen so des wie das in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo zur Staatsministers hervorgeht, daß er die BezeichnungZeit erforderlich ist. Nur gemeinsam mit dem Bündnis „stehendes Heer“ als einen Begriff in Anführungszei-können wir den sicherheitspolitischen Herausforderun- chen gebraucht hat, gehe ich davon aus – ich weiß dasgen begegnen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 721

Peter Zumkley (A) Unsere Bundeswehr beruht auf der allgemeinenInstrument unserer Außen- und Sicherheitspolitik zu er- (C) Wehrpflicht. Diese hat sich bewährt und dazu beigetra- halten und zukunftsfähig weiterzuentwickeln. gen, unserem Land und dem Bündnis den Frieden zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten bewahren. Es gibt keinen Grund, die Wehrpflicht grund- sätzlich in Frage zu stellen oder sie gar leichtfertig auf- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) zugeben. Wir werden sie weiterentwickeln müssen. Da- bei zählen wir auch auf die Arbeit der Wehrstruktur- kommission, die unter anderem auch die Wehrform Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich gebe überprüfen wird. Ihnen jetzt die beiden noch ausstehenden von den Schriftführern und Schriftführerinnen ermitteltenEr- (Beifall bei der SPD) gebnisse der namentlichen Abstimmungen bekannt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten im all- Zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den täglichen Geschäft gewisse Dinge nicht immer gleich so Antrag der F.D.P.-Fraktion auf Drucksache 14/140. Ab- hoch hängen. Nachdenken muß weiterhin erlaubt sein. gegebene Stimmen 579. Mit Ja haben gestimmt 232, mit Es kommt allerdings darauf an, die Bundeswehr als Nein haben gestimmt 346, Enthaltung 1.

Endgültiges Ergebnis Rainer Eppelmann Volker Kauder Dieter Pützhofen Abgegebene Stimmen: 577; Anke Eymer Eckart von Klaeden Thomas Rachel Ilse Falk Ulrich Klinkert Hans Raidel davon Dr. Hans Georg Faust Dr. Helmut Kohl Dr. Peter Ramsauer ja: 230 Ingrid Fischbach Manfred Kolbe Christa Reichard (Dresden) nein: 345 Dirk Fischer (Hamburg) Norbert Königshofen Katherina Reiche enthalten: 001 (Karlsruhe- Eva-Maria Kors Erika Reinhardt ungültig: 001 Land) Hartmut Koschyk Hans-Peter Repnik Herbert Frankenhauser Thomas Kossendey Klaus Riegert Dr. Gerhard Friedrich Dr. Martina Krogmann Franz Romer Ja (Erlangen) Dr. Paul Krüger Hannelore Rönsch Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Hermann Kues (Wiesbaden) (Naila) CDU/CSU Karl Lamers Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Dr. Klaus Rose Ulrich Adam Jochen-Konrad Fromme (Heidelberg) Kurt Rossmanith Ilse Aigner Hans-Joachim Fuchtel Dr. Norbert Lammert Adolf Roth (Gießen) Peter Altmaier Dr. Jürgen Gehb Dr. Paul Laufs Norbert Röttgen (B) Dietrich Austermann Norbert Geis Karl-Josef Laumann Dr. Christian Ruck (D) Norbert Barthle Georg Girisch Werner Lensing Dr. Jürgen Rüttgers Dr. Wolf Bauer Michael Glos Peter Letzgus Anita Schäfer Günter Baumann Dr. Reinhard Göhner Ursula Lietz Dr. Wolfgang Schäuble Brigitte Baumeister Peter Götz Walter Link (Diepholz) Hartmut Schauerte Meinrad Belle Dr. Wolfgang Götzer Eduard Lintner Heinz Schemken Renate Blank Kurt-Dieter Grill Dr. Klaus Lippold Karl-Heinz Scherhag Peter Bleser Manfred Grund (Offenbach) Dietmar Schlee Dr. Norbert Blüm Carl-Detlev Freiherr von Dr. Manfred Lischewski Dr.-Ing. Joachim Schmidt Friedrich Bohl Hammerstein Wolfgang Lohmann (Halsbrücke) Dr. Maria Böhmer Gerda Hasselfeldt (Lüdenscheid) Andreas Schmidt Sylvia Bonitz Norbert Hauser (Bonn) Julius Louven (Mühlheim) Jochen Borchert Hansgeorg Hauser Erwin Marschewski Hans Peter Schmitz Wolfgang Börnsen (Rednitzhembach) Dr. Martin Mayer (Baesweiler) (Bönstrup) Ursula Heinen (Siegertsbrunn) Birgit Schnieber-Jastram Wolfgang Bosbach Manfred Heise Wolfgang Meckelburg Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Wolfgang Bötsch Siegfried Helias Dr. Michael Meister Dr. Rupert Scholz Klaus Brähmig Hans Jochen Henke Dr. Angela Merkel Reinhard Freiherr von Dr. Ralf Brauksiepe Ernst Hinsken Friedrich Merz Schorlemer Paul Breuer Peter Hintze Hans Michelbach Dr. Erika Schuchardt Monika Brudlewsky Klaus Hofbauer Dr. Gerd Müller Wolfgang Schulhoff Hartmut Büttner Martin Hohmann Bernward Müller (Jena) Dr. Christian Schwarz- (Schönebeck) Klaus Holetschek Elmar Müller (Kirchheim) Schilling Dankward Buwitt Josef Hollerith Günter Nooke Wilhelm-Josef Sebastian Leo Dautzenberg Joachim Hörster Franz Obermeier Horst Seehofer Wolfgang Dehnel Hubert Hüppe Eduard Oswald Heinz Seiffert Hubert Deittert Peter Jacoby Norbert Otto (Erfurt) Werner Siemann Albert Deß Dr.-Ing. Rainer Jork Dr. Peter Paziorek Johannes Singhammer Renate Diemers Dr. Harald Kahl Anton Pfeifer Bärbel Sothmann Wilhelm Dietzel Bartholomäus Kalb Dr. Friedbert Pflüger Margarete Späte Thomas Dörflinger Steffen Kampeter Beatrix Philipp Carl-Dieter Spranger Hansjürgen Doss Dr. Dietmar Kansy Ronald Pofalla Erika Steinbach Marie-Luise Dött Manfred Kanther Marlies Pretzlaff Andreas Storm Maria Eichhorn Irmgard Karwatzki Dr. Bernd Protzner Dorothea Störr-Ritter 722 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Max Straubinger Ernst Bahr Hubertus Heil Heide Mattischeck (C) Thomas Strobl Doris Barnett Reinhold Hemker Markus Meckel Michael Stübgen Dr. Hans-Peter Bartels Frank Hempel Ulrike Mehl Dr. Rita Süssmuth Eckhardt Barthel (Berlin) Rolf Hempelmann Ulrike Merten Edeltraut Töpfer Klaus Barthel (Starnberg) Dr. Barbara Hendricks Angelika Mertens Arnold Vaatz Ingrid Becker-Inglau Gustav Herzog Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Angelika Volquartz Dr. Axel Berg Monika Heubaum Ursula Mogg Andrea Voßhoff Hans-Werner Bertl Uwe Hiksch Christoph Moosbauer Dr. Theodor Waigel Friedhelm Julius Beucher Reinhold Hiller (Lübeck) Siegmar Mosdorf Peter Weiß (Emmendingen) Petra Bierwirth Stephan Hilsberg Michael Müller (Düsseldorf) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Rudolf Bindig Gerd Höfer Jutta Müller (Völklingen) Annette Widmann-Mauz Lothar Binding (Heidelberg) Walter Hoffmann Christian Müller (Zittau) Heinz Wiese (Ehingen) Kurt Bodewig (Darmstadt) Andrea Nahles Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Klaus Brandner Iris Hoffmann (Wismar) Volker Neumann (Bramsche) Gert Willner Anni Brandt-Elsweier Frank Hofmann (Volkach) Gerhard Neumann (Gotha) Willy Wimmer (Neuss) Willi Brase Ingrid Holzhüter Dr. Edith Niehuis Werner Wittlich Dr. Eberhard Brecht Eike Hovermann Dr. Rolf Niese Aribert Wolf Rainer Brinkmann (Detmold) Christel Humme Dietmar Nietan Elke Wülfing Bernhard Brinkmann Lothar Ibrügger Günter Oesinghaus Wolfgang Zeitlmann (Hildesheim) Brunhilde Irber Eckhard Ohl Wolfgang Zöller Hans-Günter Bruckmann Gabriele Iwersen Leyla Onur Ursula Burchardt Renate Jäger Manfred Opel F.D.P. Dr. Michael Bürsch Jann-Peter Janssen Holger Ortel Hildebrecht Braun Hans Martin Bury Ilse Janz Adolf Ostertag (Augsburg) Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. Uwe Jens Kurt Palis Rainer Brüderle Marion Caspers-Merk Volker Jung (Düsseldorf) Albrecht Papenroth Ernst Burgbacher Wolf-Michael Catenhusen Johannes Kahrs Dr. Willfried Penner Jörg van Essen Dr. Peter Danckert Sabine Kaspereit Georg Pfannenstein Ulrike Flach Christel Deichmann Susanne Kastner Johannes Pflug Gisela Frick Karl Diller Hans-Peter Kemper Dr. Eckhart Pick Paul K. Friedhoff Peter Dreßen Klaus Kirschner Joachim Poß Rainer Funke Rudolf Dreßler Marianne Klappert Karin Rehbock-Zureich Dr. Wolfgang Gerhardt Detlef Dzembritzki Siegrun Klemmer Margot von Renesse Hans-Michael Goldmann Dieter Dzewas Hans-Ulrich Klose Renate Rennebach Dr. Karlheinz Guttmacher Sebastian Edathy Walter Kolbow Bernd Reuter (B) Klaus Haupt Ludwig Eich Fritz Rudolf Körper Dr. Edelbert Richter (D) Dr. Helmut Haussmann Marga Elser Karin Kortmann Reinhold Robbe Ulrich Heinrich Peter Enders Anette Kramme Renè Röspel Walter Hirche Gernot Erler Nicolette Kressl Dr. Ernst Dieter Rossmann Birgit Homburger Petra Ernstberger Volker Kröning Michael Roth (Heringen) Dr. Werner Hoyer Annette Faße Angelika Krüger-Leißner Birgit Roth (Speyer) Ulrich Irmer Lothar Fischer (Homburg) Horst Kubatschka Gerhard Rübenkönig Dr. Klaus Kinkel Gabriele Fograscher Ernst Küchler Marlene Rupprecht Dr. Heinrich Leonhard Kolb Iris Follak Helga Kühn-Mengel Thomas Sauer Gudrun Kopp Norbert Formanski Ute Kumpf Dr. Hansjörg Schäfer Jürgen Koppelin Hans Forster Konrad Kunick Rudolf Scharping Ina Lenke Dagmar Freitag Dr. Uwe Küster Bernd Scheelen Dirk Niebel Peter Friedrich (Altenburg) Werner Labsch Dr. Hermann Scheer Günter Friedrich Nolting Lilo Friedrich (Mettmann) Brigitte Lange Siegfried Scheffler Hans-Joachim Otto Harald Friese Christian Lange (Backnang) Horst Schild (Frankfurt) Anke Fuchs (Köln) Detlev von Larcher Dieter Schloten Cornelia Pieper Arne Fuhrmann Christine Lehder Horst Schmidbauer Dr. Edzard Schmidt-Jortzig Monika Ganseforth Waltraud Lehn (Nürnberg) Gerhard Schüßler Konrad Gilges Robert Leidinger Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Irmgard Schwaetzer Iris Gleicke Klaus Lennartz Silvia Schmidt (Eisleben) Marita Sehn Günter Gloser Dr. Elke Leonhard Dagmar Schmidt (Meschede) Dr. Hermann Otto Solms Uwe Göllner Eckhart Lewering Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Carl-Ludwig Thiele Renate Gradistanac Götz-Peter Lohmann Regina Schmidt-Zadel Dr. Dieter Thomae Angelika Graf (Rosenheim) (Neubrandenburg) Heinz Schmitt (Berg) Jürgen Türk Dieter Grasedieck Christa Lörcher Carsten Schneider Dr. Guido Westerwelle Monika Griefahn Erika Lotz Dr. Emil Schnell Wolfgang Grotthaus Dr. Christine Lucyga Walter Schöler Karl Hermann Haack Dieter Maaß (Herne) Olaf Scholz Nein (Extertal) Winfried Mante Karsten Schönfeld Hans-Joachim Hacker SPD Dirk Manzewski Ottmar Schreiner Klaus Hagemann Tobias Marhold Gerhard Schröder Brigitte Adler Manfred Hampel Lothar Mark Gisela Schröter Gerd Andres Alfred Hartenbach Ulrike Mascher Dr. Mathias Schubert Rainer Arnold Klaus Hasenfratz Christoph Matschie Richard Schuhmann Hermann Bachmaier Nina Hauer Ingrid Matthäus-Maier (Delitzsch) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 723

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (A) Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Konstanze Wegner Matthias Berninger PDS (C) Reinhard Schultz Wolfgang Weiermann Annelie Buntenbach (Everswinkel) Reinhard Weis (Stendal) Ekin Deligöz Monika Balt Volkmar Schultz (Köln) Matthias Weisheit Dr. Thea Dückert Maritta Böttcher Ilse Schumann Gunter Weißgerber Franziska Eichstädt-Bohlig Eva Bulling-Schröter Ewald Schurer Dr. Ernst Ulrich von Dr. Uschi Eid Roland Claus Dr. R. Werner Schuster Weizsäcker Hans-Josef Fell Heidemarie Ehlert Dietmar Schütz (Oldenburg) Hans-Joachim Welt Andrea Fischer (Berlin) Dr. Heinrich Fink Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Rainer Wend Joseph Fischer (Frankfurt) Fred Gebhardt Ernst Schwanhold Hildegard Wester Katrin Göring-Eckardt Wolfgang Gehrcke-Reymann Rolf Schwanitz Lydia Westrich Rita Grießhaber Dr. Klaus Grehn Bodo Seidenthal Inge Wettig-Danielmeier Winfried Hermann Dr. Gregor Gysi Erika Simm Dr. Margrit Wetzel Antje Hermenau Dr. Barbara Höll Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr. Norbert Wieczorek Kristin Heyne Carsten Hübner Dr. Cornelie Sonntag- Helmut Wieczorek Ulrike Höfken Sabine Jünger Wolgast (Duisburg) Michaele Hustedt Gerhard Jüttemann Wieland Sorge Jürgen Wieczorek (Leipzig) Dr. Angelika Köster-Loßack Dr. Evelyn Kenzler Wolfgang Spanier Heidemarie Wieczorek-Zeul Steffi Lemke Dr. Heidi Knake-Werner Dr. Margrit Spielmann Dieter Wiefelspütz Dr. Helmut Lippelt Rolf Kutzmutz Jörg-Otto Spiller Heino Wiese (Hannover) Oswald Metzger Heidi Lippmann-Kasten Dr. Ditmar Staffelt Klaus Wiesehügel Klaus Wolfgang Müller Ursula Lötzer Antje-Marie Steen Brigitte Wimmer (Karlsruhe) (Kiel) Dr. Christa Luft Ludwig Stiegler Engelbert Wistuba Kerstin Müller (Köln) Heidemarie Lüth Rolf Stöckel Barbara Wittig Winfried Nachtwei Manfred Müller (Berlin) Rita Streb-Hesse Dr. Wolfgang Wodarg Christa Nickels Rosel Neuhäuser Dr. Peter Struck Verena Wohlleben Cem Özdemir Christina Schenk Joachim Stünker Hanna Wolf (München) Simone Probst Gustav-Adolf Schur Jörg Tauss Waltraud Wolff (Zielitz) Claudia Roth (Augsburg) Dr. Ilja Seifert Jella Teuchner Heidemarie Wright Christine Scheel Dr. Gerald Thalheim Uta Zapf Irmingard Schewe-Gerigk Enthalten Wolfgang Thierse Dr. Christoph Zöpel Rezzo Schlauch Franz Thönnes Peter Zumkley Albert Schmidt (Hitzhofen) CDU/CSU Uta Titze-Stecher Werner Schulz (Leipzig) Dr. Heribert Blens Adelheid Tröscher BÜNDNIS 90/ Christian Sterzing Hans-Eberhard Urbaniak DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele (B) Rüdiger Veit Jürgen Trittin Ungültig (D) Simone Violka Gila Altmann (Aurich) Ludger Volmer Ute Vogt (Pforzheim) Marieluise Beck (Bremen) Sylvia Voß CDU/CSU Hans Georg Wagner Volker Beck (Köln) Helmut Wilhelm (Amberg) Hedi Wegener Angelika Beer Margareta Wolf (Frankfurt) Dr. Sabine Bergmann-Pohl Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der OSZE oder der IPU Abgeordnete(r) Behrendt, Wolfgang, SPD Bühler (Bruchsal), Klaus, Hoffmann (Chemnitz), Jelena, Maaß (Wilhelmshaven), Siebert, Bernd, CDU/CSU CDU/CSU CDU/CSU Erich, CDU/CSU

Des weiteren das Ergebnis der Abstimmung über den Leider hat die Opposition aber aus einem Elefanten eine Antrag der PDS-Fraktion auf Drucksache 14/137. Abge- Mücke gemacht. Statt eine Debatte über eine moderne gebene Stimmen 577. Mit Ja haben gestimmt 25, mitFriedenspolitik anzunehmen, die laut Immanuel Kant Nein haben gestimmt 549, Enthaltungen 3.*) beim „stehenden Heer“ beginnt, unterläuft sie diese, in- Wir setzen die Aktuelle Stunde fort. Als nächsterdem sie sich über unbotmäßige Begriffe erregt. Diese Redner hat Staatsminister Ludger Volmer das Wort. Banalisierung wird dem höchst überfälligen Thema nicht gerecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer nicht die „FAZ“, die „Süddeutsche Zeitung“ und die Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen „Bild“-Zeitung, sondern die „HAZ“, die „Berliner Zei- Amt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dietung“ und die „taz“ gelesen hat, weiß, was ich wirklich CDU/CSU hat diese Aktuelle Stunde beantragt, um vor gesagt und gemeint habe. dem Hintergrund meiner angeblichen Äußerung zum (Paul Breuer [CDU/CSU]: Darauf kommen „stehenden Heer“ ihre traditionelle Sichtweise der Si- wir noch zurück!) cherheits- und Militärpolitik ausbreiten zu können. Deren Korrespondenten nämlich waren bei meinem (Paul Breuer [CDU/CSU]: Bestreiten Sie Ihre Hintergrundgespräch die gesamte Zeit über anwesend Äußerung?) —————— und haben korrekt berichtet. Doch ich will mich nicht *) Aus technischen Gründen erfolgt der Abdruck der Abstimmungs- bei den Gepflogenheiten mancher Zeitungen und den liste im Stenographischen Bericht der 13. Sitzung, als Anlage 2. Lesegewohnheiten der Opposition aufhalten, sondern 724 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Staatsminister Dr. Ludger Volmer (A) meine Auffassung, die in voller Übereinstimmung mit über. Hier muß nach den geeigneten Instrumenten ge-(C) dem Koalitionsvertrag steht, auch hier gern erläutern. fragt werden. Diese Debatte hat sich in den letzten Jah- ren auf die militärischen Einrichtungen verengt, die nach Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen:dem Ende des kalten Krieges ein neues Selbstverständ- Selbstverständlich gehört die Landesverteidigung zu den nis suchten. In einigen Fällen haben diese tatsächlich ei- wichtigen Hoheitsaufgaben jeder Regierung. Sie mußne Gewaltspirale unterbrochen und einen Waffenstill- sich aber an einer zeitgemäßen Bedrohungsanalyse ori- stand herbeigezwungen. Gefragt werden muß aber, ob es entieren, die die Gefahrenlage realistisch beschreibt, und nicht Alternativen gegeben hätte, die bei frühzeitigem darf sich nicht hinter historisch überholten Feindbildern entschlossenen Eingreifen ebenso effektiv gewesen wä- verschanzen. ren. Der jüngste Fall, die Kosovo-Krise, beweist jeden- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN falls, daß es zur militärischen Drohung kam, weil früh- sowie bei Abgeordneten der SPD und der zeitige Warnungen vor einer Zuspitzung der Lage nicht PDS) ernst genommen wurden. Und sie muß im Sinne des Friedensgebotes des Grund- Die Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag die Kon- gesetzes alle Möglichkeiten nutzen, um militärischefliktprävention an die erste Stelle ihrer sicherheitspoliti- Gewaltanwendung zu vermeiden. Zudem muß sie Kon- schen Aussagen gerückt. Frühwarnung, präventive Di- zepte für die neuen Herausforderungen entwickeln, die plomatie, friedenserhaltende Maßnahmen und der Wie- jenseits des Verteidigungsauftrags ein Engagement er- deraufbau demokratisch-zivilgesellschaftlicher Struktu- fordern. ren – das sind die Instrumente zur Bewältigung von Re- gionalkonflikten, die der Entwicklung und Stärkung be- Niemand kann heute doch ernsthaft bestreiten, daßdürfen. Hier muß eine Außenpolitik, die sich als Frie- der Verteidigungsfall um ein Vielfaches unwahrschein- denspolitik versteht, besonders ansetzen. licher geworden ist als die Notwendigkeit, sich bei der regionalen Krisenbewältigung nützlich zu machen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Dr. Wolfgang Bötsch [CDU/CSU]: Aber PDS) nicht wegen eurer Politik!) In der Kosovo-Verifikationsmission der OSZE be- Das macht den Verteidigungsauftrag nicht obsolet. Doch weist sich der Bedarf der internationalen Gemeinschaft aus der entscheidend verbesserten Sicherheitslage und an neuen Instrumenten. Dem SFOR-Einsatz in Bosnien- den neuen internationalen Verpflichtungen leitet sichHerzegowina wird eine ähnliche Mission folgen müssen. notwendig die Frage nach einem zeitgemäßen sicher-Eine Reihe von OSZE-Langzeitmissionen hat erfolg- heitspolitischen Instrumentarium ab. reich an der Prävention oder Eindämmung von bewaff- (B) (D) Man darf nicht aus falschem Traditionalismus undneten Konflikten mitgewirkt. Gleichwohl bleibt festzu- aus Reformscheu eine überlebte Struktur, die einsthalten, daß trotz wachsender Bedeutung solcher Ein- durchaus ihre Berechtigung gehabt haben mag, konser- satzkräfte die institutionellen Voraussetzungen noch un- vieren. In diesem Zusammenhang möchte ich die Frage klar sind. Rekrutierung, Ausbildung, Ausrüstung und stellen: Warum hat der ehemalige Verteidigungsminister Umfang müssen präziser definiert werden. Ihre Finan- Rühe uns nicht berichtet, daß es Partnern im Auslandzierung darf nicht an militärpolitischer Besitzstandswah- unverständlich ist, daß Deutschland noch über starkerung scheitern. Kampfpanzerverbände verfügt, obwohl selbst nach Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sage von Herrn Rühe unser Land nur noch von Freunden sowie bei Abgeordneten der SPD und der umgeben ist? Wo und gegen wen sollen denn in Mittel- PDS) europa noch Panzereinsätze stattfinden? Und warum hat uns Herr Rühe nicht mitgeteilt, daß an uns die Frage ge- Diesem Ansatz entsprechend hat die Bundesregie- richtet wird, gegen wen die Bundesmarine noch die Ost- rung, vertreten durch Außenminister Fischer und mich, seezugänge verteidigen soll. bei der jüngsten Ministerratstagung der OSZE in Oslo die Einrichtung eines Ausbildungs- und Trainingszen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trums für Peacekeeping vorgeschlagen. Bei vielen Sol- sowie bei Abgeordneten der SPD und der daten ist die Motivation hoch, gemeinsam mit Zivilisten, PDS) Männern und Frauen, an solcher Form von Friedensein- Solche Fragen nach dem Auftrag der Bundeswehr eben- sätzen mitzuwirken. Ich möchte die Opposition einla- so wie die nach Umfang, Struktur, Ausbildung und Aus- den, diese Motivation nicht zu zerreden, sondern uns bei rüstung der Streitkräfte müssen in der geplanten Wehr- der Entwicklung solcher neuen friedenspolitischen An- strukturkommission beraten werden. sätze im kritischen Dialog zu unterstützen. Hinzu kommt, daß die KSE-Verhandlungen über Ich danke Ihnen. Obergrenzen bei der konventionellen Bewaffnung, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sie denn endlich erfolgreich abgeschlossen werden, auch bei der SPD und der PDS) von uns eine deutliche Reduzierung verlangen werden. (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als Der Landesverteidigung steht eine real erhöhte Betei- nächster Redner hat der Kollege Günther Nolting von ligung beim internationalen Krisenmanagement gegen- der F.D.P.-Fraktion das Wort. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 725

(A) Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsi- Mühe gegeben haben. Aber es ist Ihnen nicht gelungen, (C) dent! Meine Damen und Herren! Es ist ja schon be-diese Unterschiede zu überdecken. zeichnend, daß bei der Rede des Staatsministers Volmer die eigene Fraktion, die Grünen, und die PDS Beifall (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE klatschen – und der Koalitionspartner schweigt. GRÜNEN]: Das ist die reine Phantasie! – Manfred Opel [SPD]: Im Verteidigungsaus- (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schuß haben Sie ihm gedankt dafür!) NEN]: Haben Sie Tomaten auf den Augen? – Weitere Zurufe von der SPD und demUnd Minister Fischer? Sonst vor Selbstbewußtsein strot- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zend, hatte er es nötig, sich im Ausschuß mehrfach hin- ter einer angeblichen Position Frankreichs zu verstek- Das scheint mir doch sehr bezeichnend zu sein. ken. Die Krönung aller Ignoranz war – das hat sich auch Herr Staatsminister, wenn Sie sich hier hinstellen und heute wieder erwiesen –, daß der selbsternannte Sicher- von „angeblichen Äußerungen“ sprechen, so kann ichheitspolitiker und vermeintliche Bundeswehrexperte nur festhalten, daß Sie der Presse unterstellen, falsch be- Ludger Volmer über die Presse wissen ließ, daß richtet zu haben. Deutschland keine Landstreitkräfte mehr benötige. Aber wir haben ja heute gehört: Das war alles nicht so ge- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der meint, die Presse hat hier falsch berichtet. CDU/CSU) Das Entscheidende ist doch, daß hier nicht irgendwer Darauf wird man an anderer Stelle noch einmal zurück- solch einen Unsinn verbreitet, sondern daß es sich hier kommen können. Die Journalisten werden sich über Ihre um ein Regierungsmitglied der Bundesrepublik Aussage ganz bestimmt gefreut haben. Deutschland handelt. Herr Kollege Zumkley, als Koali- tionspartner hätten Sie zumindest darauf ein wenig ein- Sie beweisen genau das, was wir einer rotgrünen gehen sollen. Das habe ich in Ihrer Rede leider vermißt. Bundesregierung vorausgesagt haben: Nur wenige Wo- chen nach der Amtsübernahme der Regierung Schröder (Beifall bei der F.D.P.) ist die außen- und sicherheitspolitische Geisterfahrt in vollem Gange, und am Steuer sitzen Fischer und Vol-Hier reden Amtsinhaber, die in der Regierungsverant- mer. wortung des größten Landes in der EU und des zweit- größten Mitglieds in der NATO stehen. (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Ursula Lietz [CDU/CSU]) (Peter Zumkley [SPD]: Ich habe da keine Be- denken!) Diese Regierung hat es binnen kürzester Zeit geschafft, (B) (D) alte Freunde und Partner Deutschlands wie zum Beispiel Angesichts dessen hätte ich von Ihnen erwartet, daß Sie Italien und die Türkei zu verärgern etwas zu dieser unverantwortlichen Rede sagen. (Zurufe von der SPD, vom BÜNDNIS 90/DIE (Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.]) GRÜNEN und der PDS: Oh!) Ich habe die Vermutung – damit wiederhole ich das, und enorme Irritationen bei den Verbündeten in Wa-was ich schon im Verteidigungsausschuß gesagt habe –: shington, in London und in Paris auszulösen. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Dr. Eberhard Brecht [SPD]: Sie sind wohl ein NEN]: Oh, nein, bitte nicht!) Neuer im Bundestag?) Es ist doch wohl kein Zufall, daß sich Herr Fischer und Bei den Antrittsbesuchen zum Beispiel des Kanzlers Herr Volmer gerade zum jetzigen Zeitpunkt äußern – Schröder bei unseren Partnern gibt es ja gegenteiligewenn man weiß, daß drei Tage nach der Außenminister- Bekundungen. Hier ist von „Kontinuität“ gesprochenkonferenz, auf der dieses Thema ja auch behandelt wer- worden. Aber von dieser Kontinuität ist nichts mehrden soll, der Bundesparteitag der Grünen stattfindet. Es geblieben. Sie haben die bisher bewährte Außen- undist doch offensichtlich so, daß sich der Außenminister Sicherheitspolitik verlassen, die über Jahrzehnte durch und sein Staatsminister heute schon in Position bringen, die liberalen Außenminister, Scheel, Genscher und Kin- um auf dem Bundesparteitag entsprechend auftreten zu kel, gewährleistet war. können. (Beifall bei der F.D.P.) (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE Der Außenminister und der Verteidigungsminister GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung!) sind in der Frage der NATO-Strategie, einer elementa- ren sicherheitspolitischen Frage, völlig unterschiedlicher Wenn diese Geisterfahrt, Herr Kollege Nachtwei, Meinung weitergeht, bewegt sich Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik auf einem Sonderweg. Ich sage für die (Manfred Opel [SPD]: Das Thema heißt nicht F.D.P.-Bundestagsfraktion dazu: Wir wollen diesen NATO-Strategie!) Sonderweg nicht. Wir wollen keine Sonderrolle in der Außen- und Sicherheitspolitik für Deutschland. und konnten dies in den Ausschußsitzungen des Bun- destages vorgestern nicht einmal vordergründig über- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- spielen, obwohl Sie, Minister Scharping, sich sehr viel ten der CDU/CSU) 726 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Günther Friedrich Nolting (A) Wer kann denn diese Entwicklung überhaupt noch Die PDS wird sich diesem Ritual nicht unterwerfen(C) stoppen? Etwa der Aufpasser im Auswärtigen Amt, Herr und keine Denkverbote akzeptieren. Verheugen? Vielleicht der Verteidigungsminister? Ich (Beifall bei Abgeordneten der PDS) denke, hier ist Richtlinienkompetenz gefragt. Ich frage für die F.D.P.-Fraktion: Wo ist der Kabinettschef? Wo Militär und Bundeswehr sind für uns keine Themen, bei ist Schröder? denen alle in Reih und Glied zu stehen haben. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der PDS) ten der CDU/CSU) Ganz im Gegenteil: Die große Koalition, die wir in den Wir verlangen von einem Regierungschef der Bundesre- vergangenen Wochen im Verteidigungsausschuß und publik Deutschland, daß er die Richtlinienkompetenzauch hier im Haus zum Teil erlebt haben, ist überaus be- ausübt und außenpolitischen Unfug unterbindet. denklich. Von daher begrüßen wir jetzt andersartige Einlassungen. (Gernot Erler [SPD]: Wo ist Möllemann?) (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Herr Staatsminister Volmer, Sie sollten darüber nachdenken, ob Sie nicht eine andere Laufbahn ein- Es ist schon verwunderlich, wie wenig über die Er- schlagen möchten. Mit einem Staatsminister wie Herrn fahrungen, die man in diesem Jahrhundert mit militäri- Volmer ist einfach kein Staat zu machen. scher Abschreckung gemacht hat, nachgedacht wird. Es mag ja sein, daß die Abschreckung der Nuklearwaffen Herr Präsident, ich komme zum Schluß. Der Bundes- funktioniert hat, aber auch in den Zeiten der Ost-West- kanzler ist aufgefordert, zu handeln und Ordnung in sei- Konfrontation wurden in der sogenannten dritten Welt ne Regierung zu bringen. Herr Zumkley, Sie verweisen grausame Kriege geführt. Ebenso gibt es genug aktuelle ebenso wie der Staatsminister ständig auf den Koaliti- Beispiele: in der Türkei und in Kurdistan, zwischen Is- onsvertrag. Ich kann nur festhalten: Sie haben sich mit rael und Palästinensern, zwischen Serben und Kosova- diesem Koalitionsvertrag auf den kleinsten gemeinsa-Albanern. Gewalt führt zur Gegengewalt, Rüstung führt men Nenner geeinigt. Sie halten krampfhaft daran fest zur Nachrüstung, und die Konflikte bleiben. und versuchen, damit alles zu überdecken. Sie werden Wir müssen nach Auswegen aus der Spirale der Ge- erleben: Die Irritationen, die wir jetzt erfahren, werden walteskalation suchen und darüber nachdenken, die Ab- nicht die letzten sein. Wir werden uns darüber weiterhin rüstung weltweit voranzubringen, Rüstungsexporte zu in dieser Art und Weise unterhalten, auch wenn Sie drosseln und endlich ganz einzustellen und die zivile glauben, wir brauchten dazu keine Aktuelle Stunde. Krisenprävention auf Punkt eins der Tagesordnung zu (B) Vielen Dank. setzen. (D) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS) In diesen Rahmen gehören auch die Bundeswehr ebenso wie die NATO und die WEU und die atomare Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als First-use-Option auf den Prüfstand. Darüber sollten wir nächste Rednerin hat Frau Kollegin Heidi Lippmann-ernsthaft diskutieren. Kasten, PDS-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Jetzt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) kriegt der arme Herr Volmer endlich mal Zu- stimmung!) Von daher ist es zu begrüßen, wenn über die Zukunft der Bundeswehr durch die Kommission im Rahmen einer breiten gesamtgesellschaftlichen Debatte diskutiert wird. Heidi Lippmann-Kasten (PDS): Herr Präsident! Staatsminister Volmer hatte geäußert, daß wir territo- Meine Damen und Herren! Nicht nur der NATO, son-rialen Angriffen nicht mehr ausgesetzt sein werden. Die- dern auch der Bundeswehr soll offensichtlich der Todes- se Feststellung ist nicht neu, Sie sagten es schon. Auch stoß versetzt werden. „Volmer fordert die Abschaffung Herr Rühe hat ausgeführt, daß Deutschland nur noch der Bundeswehr“, so klingt das Feldgeschrei von Ihnen von Partnern und Freunden umgeben sei. Auch er vertrat rechts hier im Hause. Dazu gehört auch der außen- und die Position, daß die Bundeswehr nie mehr im Allein- sicherheitspolitische Unfug, den Herr Nolting geradegang, sondern nur noch im multilateralen Verband ein- verzapft hat. gesetzt werden soll. (Beifall bei Abgeordneten der PDS, der SPD Herr Volmer ist nun dankenswerterweise einen und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Schritt weitergegangen und hat daraus eine vorsichtige Mit dieser Aktuellen Stunde soll wieder einmal ein Schlußfolgerung formuliert, nämlich: Dieses Land Ritual zelebriert werden. Bekenntnisse werden verlangt. braucht kein stehendes Heer mehr. Wer nicht bedingungslos ja und amen zur Bundeswehr Wir gehen noch einen Schritt weiter und sagen: sagt, der wird verdächtigt, dieses Land schutzlos werden 340 000 Mann unter Waffen sind zuviel. zu lassen, im schlimmsten Fall sogar fremden Mächten zu überlassen und wird automatisch zum Vaterlandsver- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten räter. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 727

Heidi Lippmann-Kasten (A) Die Bundeswehr muß und kann erheblich verkleinert Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als (C) werden, sicherlich schrittweise und sozial verträglich.nächste Rednerin hat das Wort Frau Kollegin Verena Aber welche rationalen Erwägungen sprechen dagegen, Wohlleben von der SPD-Fraktion. daß für eine Übergangszeit 100 000 deutsche Soldaten mehr als genug sind? (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: PDS für Volmer! – Gegenruf des Abg. Wolfgang Die Wehrpflicht kann abgeschafft werden; denn diese Gehrcke [PDS]: Volmer für PDS wäre noch ist laut Grundgesetz eine Ausnahme und kein Dauerzu- besser!) stand. Wenn es im kalten Krieg einen berechtigten Grund hierfür gab oder gegeben haben sollte, so ist er Verena Wohlleben (SPD): Herr Präsident! Meine heute zweifelsohne obsolet. lieben Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Lipp- (Beifall bei der PDS) mann-Kasten, ich denke, wir arbeiten zusammen im Verteidigungsausschuß und nicht im Rüstungsausschuß. Die PDS fordert die Abschaffung der allgemeinenSollte das anders sein, bitte ich Sie, das irgendwann Wehrpflicht nicht nur deshalb, weil sie ein Anachronis- einmal öffentlich mitzuteilen. mus und ein entscheidendes Hindernis für eine perso- (Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nol- nelle Reduzierung der Bundeswehr ist, sondern vor al- ting [F.D.P.]: Man kann sich seine Freunde lem auch deshalb, weil Wehr- und Zivildienst staatliche nicht aussuchen!) Zwangsdienste sind, die freiheitlich-demokratischen Prinzipien widersprechen. – Das ist richtig. Aber Ihr Beitrag, (Beifall bei der PDS) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: War gut!) Herr Nolting, trägt auch nicht gerade zur konstruktiven Meine Damen und Herren, wir wissen, daß unsere Zusammenarbeit für die Zukunft unserer Bundeswehr Vorschläge für Sie schwer verdaulich sind; denn eine bei. drastische Reduzierung der Bundeswehr würde auch er- hebliche Einschnitte in der Rüstungswirtschaft nach sich (Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nol- ziehen. Doch statt auch hierüber Denkverbote zu ertei- ting [F.D.P.]: Sie werden doch wohl noch Kri- len, sollten wir ernsthaft über Konversionsprogramme tik vertragen!) nachdenken. – Die vertragen wir sehr wohl; allerdings muß sie kon- (Beifall bei der PDS) struktiv sein. (B) Für die Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ er- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,(D) warten wir klare Aufträge, zum Beispiel wie der Streit- Willy Brandt hat einmal gesagt: Der Frieden ist nicht kräfteumfang schrittweise und sozial verträglich redu- alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. ziert werden kann – mit der Option der Abschaffung der (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sehr gut!) Wehrpflicht –, wie die Struktur entsprechend dem Ver- teidigungsauftrag des Grundgesetzes verändert werden Ich füge hinzu: Weil es eben nicht überall Frieden gibt muß, was an Bewaffnung ausreicht und auf welche Pre- und weil es die Welt nicht gibt, die ich mir wünsche, die stigeobjekte man verzichten kann. Hierüber wollen und wir uns wünschen, nämlich friedvoll, gerecht, ohne müssen wir diskutieren. Wir dürfen diese Themen nicht Krieg – wir werden es dieser Tage in allen Reden zu länger tabuisieren. Weihnachten hören –, brauchen wir Sicherheitspolitik. Und zur Sicherheitspolitik gehört auch unsere Bundes- Stellen Sie sich einmal vor, inwieweit unsere Vor-wehr. schläge den Rüstungsetat entlasten würden. Stellen Sie (Beifall bei der SPD) sich einen Schritt weiter vor, ein großer Teil dieser Mit- tel würde für Projekte der Krisenprävention, der nach- Ich bin stolz darauf, daß wir unsere Bundeswehr ha- haltigen Entwicklung in den Ländern des Südens oder ben und danke an dieser Stelle allen Soldatinnen und auch für den wirtschaftlichen Aufbau in Osteuropa inve- Soldaten, allen Zivilbeschäftigten und – auch allen ihren stiert werden. Dies wäre eine auf Konfliktverhütung ge- Familien –, allen Angehörigen der Bundeswehr für ihre richtete Politik. Wir würden alle davon profitieren. Bereitschaft, dort Dienst zu tun. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Günther Friedrich Nolting Es ist gut, daß diese Debatte jetzt in Gang gekommen [F.D.P.]: Dann weisen Sie mal Ihren Koali- ist. Wir werden sie spätestens bei der Vorlage des Rü- tionspartner zurecht!) stungshaushalts 1999 fortsetzen. Aufgabe unserer Bundeswehr ist es, die Landesver- Danke schön. teidigung und die Verteidigung im Bündnis zu gewähr- leisten und damit zum Frieden beizutragen. Das tut die (Beifall bei der PDS – sowie bei Abgeordne- Bundeswehr mit internationalen Einsätzen zur Friedens- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – sicherung und Krisenbewältigung. Gerade diese Aufga- Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das war ben unserer Bundeswehr erfordern ein ausgeprägtes jetzt eine Drohung!) Bewußtsein für die politische Dimension militärischen 728 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Verena Wohlleben (A) Urteilens und Handelns. Dieser Dienst, sei es Wehr- Eine interne Bestandsaufnahme wird gemacht; erst(C) dienst oder Dienst als Zeit- oder Berufssoldat, als zivile dann wird analysiert und danach, Ende 2000, werden Mitarbeiterin oder ziviler Mitarbeiter, ist ein Dienst für Empfehlungen ausgesprochen. Die Bundeswehr kann die Gemeinschaft. Das muß immer wieder ins Gedächt- getrost mit uns in die Zukunft gehen. Ich füge hinzu: nis gerufen und kann gar nicht oft genug wiederholtSozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind auch in werden. der Verteidigungspolitik, in der Sicherheitspolitik und für unsere Bundeswehr zuverlässige Partner. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sagen Sie das immer wieder Ihrem Koalitionspartner!) Vielen Dank. – Herr Nolting, im Moment spreche ich alle an, Sie ein- (Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nol- geschlossen. Ich würde gerne in Ruhe fortfahren und ting [F.D.P.]: Haben Sie auch für die Koalition bitte Sie, Herr Nolting, Ihr kleines Schlägerkäppchen gesprochen? Kein Beifall des Koalitionspart- abzunehmen und ein bißchen zuzuhören. ners!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Dieser Dienst ist ein Beitrag zur äußeren Sicherheit un- Wort hat jetzt der Kollege Paul Breuer von der seres Landes – Herr Rossmanith, Sie sind auch noch an CDU/CSU-Fraktion. der Reihe – und garantiert den Bürgerinnen und Bürgern (Wolfgang Gehrcke-Reymann [PDS]: Die ha- Frieden und Freiheit. Er signalisiert aber auch die Be- ben ja heute große Probleme!) reitschaft der Bundesrepublik Deutschland, für den Er- halt von Frieden und Freiheit, für den Erhalt der Unver- sehrtheit unseres Territoriums, für die Verteidigung der Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Menschenwürde und für die Durchsetzung internationa- Damen und Herren! Wenn man diese Debatte, von der ler Abkommen einzutreten. ich gehört habe, daß die Grünen sie außerhalb dieses Saales als lustige Debatte bezeichnet haben, verfolgt, Dieser Dienst ist ethisch begründet und sicherheits- stellt man fest: Der Eindruck, den sie vermitteln wollten, politisch notwendig. Weil sich unsere Bundeswehr dazu trügt nicht. bekennt, diesen Dienst zu leisten, stehen wir in sozialer Verantwortung für die Soldatinnen und Soldaten, für die (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So sehen zivilen Mitarbeiter und für die Angehörigen. Sie haben die gar nicht aus!) es verdient, daß mit ihnen anständig und fürsorglich Ich habe den Eindruck, daß die Kollegen der SPD den umgegangen wird. Darauf haben sie einen Anspruch. Sie (B) Artikel in der „Hannoversche Allgemeinen Zeitung“,(D) haben Anspruch auf eine solide Planung, auf Planungs- den Herr Volmer als absolut korrekt sicherheit; das ist die Voraussetzung. (Manfred Opel [SPD]: Ich habe ihn sogar da! Bundeswehrstandorte und Kommunen, Wehrindustrie – Peter Zumkley [SPD]: Ich kann mitlesen!) und die Öffentlichkeit brauchen diese Planungssicher- heit. Die Voraussetzung dafür ist die Schaffung einerbezeichnet hat, gar nicht gelesen haben. Ich zitiere aus zukunftsorientierten und zukunftssicheren Struktur der dem Artikel von Herrn Urschel: Streitkräfte. Es muß klar sein, daß Finanzen, Personal- In zwei bis drei Jahren könnten in Tageszeitungen stärke, Struktur und Ausrüstung in einem stimmigen Anzeigen etwa folgenden Inhalts erscheinen: „Kri- Verhältnis zueinander stehen. senreaktionskräfte gesucht. (Beifall bei der SPD) (Manfred Opel [SPD]: So machen es die Dä- Politik und Staat müssen dafür sorgen, daß entsprechen- nen!) de Rahmenbedingungen für die Soldaten, Standorte und Die Bundesrepublik Deutschland stellt wehrfähige Regionen gegeben sind. junge Männer ein, die gemeinsam mit Gleichge- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, der sinnten im Auftrag der Vereinten Nationen an ver- Mensch muß im Mittelpunkt unseres Handelns stehen. schiedenen Orten der Welt Krisenherde beseitigen Für uns stehen die Soldatin und der Soldat wie auch die helfen. Bewerber melden sich beim Auswärtigen Zivilbeschäftigten im Zentrum unseres Handelns, Amt, Berlin, oder beim Verteidigungsministerium, Bonn.“ (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aha!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE und zwar bei unseren Überlegungen und Entscheidun- GRÜNEN]: Hervorragend!) gen, aber auch schon beim Denkansatz. Für die zukünf- – Das finden Sie hervorragend. tige Gestaltung der Bundeswehr lassen wir uns von dem Grundsatz leiten, daß der sozialen Gerechtigkeit für alle (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Angehörigen der Bundeswehr und ihren Familien bei NEN]: Lesen Sie doch weiter!) allen zu treffenden Maßnahmen Vorrang einzuräumen Die Frage lautet nicht mehr ist. Deswegen danken wir dem Bundesminister der Verteidigung, Herrn Rudolf Scharping, daß er sich dafür – so schreibt der Journalist weiter, daß die Bundeswehr ausgesprochen hat, der Planungssicherheit Vorrang zu heute nach Meinung von Herrn Volmer dieses Bild geben. habe –: Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 729

Paul Breuer (A) Wo steht der Feind, wie bekämpfe ich ihn? Dinge offenbar mitzutragen bereit sind. Das dürfen Sie(C) so nicht stehenlassen. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja genau!) (Verena Wohlleben [SPD]: Unverschämtheit! – Wolfgang Gehrcke-Reymann [PDS]: Das Die Frage müsse nun lauten: wäre aber sehr schlimm!) Wo ist das Problem, wie löse ich es? Meine Damen und Herren, worum geht es denn? Es geht darum, daß Herr Staatsminister Volmer offenbar Meine Damen und Herren, wer ein solches Bild von nicht verstanden hat, daß er nicht mehr im Auftrag sei- der Bundeswehr hat und wer den Einsatz der Bundes-ner grünen Fraktion oder grünen Partei irgendwelchen wehr beispielsweise in Bosnien-Herzegowina so sieht, Fundi-Kram erzählen kann. der gehört nicht auf den Sitz eines Staatsministers im Auswärtigen Amt. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist gewählt worden!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Er ist jetzt im Amt eines Staatsministers der Bundesre- Wer dieses krause Zeug wie Sie, Frau Kolleginpublik Deutschland. Und das ist etwas fundamental an- Wohlleben, hier mit „Seid getrost!“ und „Frohe Weih- deres, Herr Volmer. nachten!“ quittiert, der verfehlt seine Aufgabe in dieser rotgrünen Koalition, wo Sie doch bisher behauptet ha- (Gernot Erler [SPD]: Wo ist eigentlich Herr ben, daß Sie die Bundeswehr in Ordnung halten wollen. Rühe?) (Peter Zumkley [SPD]: Das werden wir auch!) Es geht nicht auf, im Namen der Bundesrepublik Deutschland Dinge zu erklären, die man so nicht ste- Das ist völlig verfehlt. henlassen kann. Das Spiel, das Sie von den Sozialdemokraten hier (Peter Zumkley [SPD]: Das hat er doch so gar betreiben wollen: „Die Grünen können krauses Zeug er- nicht gesagt!) zählen, auch auf dem Sitz eines Staatsministers im Aus- wärtigen Amt, und wir Sozialdemokraten vertreten die Wenn Herr Pressesprecher Erdmann vom Auswärti- reine Lehre“, geht nicht auf. Denn Sie stehen in dieser gen Amt gesagt hat, es habe nicht der Staatsminister Koalition dafür Schmiere, daß dieses krause Zeug über- Volmer gesprochen, sondern der Abgeordnete Volmer, haupt geäußert werden kann. dann bedeutet das doch offenbar, daß ein Bediensteter des Auswärtigen Amtes in der Lage ist, die Äußerungen (B) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eines Staatsministers zu bewerten. Allerdings möchte(D) ich Ihnen auch deutlich sagen: Es ist einem Abgeordne- Es ist schon sehr bemerkenswert, was hier auf derten nicht erlaubt, etwas Dümmeres zu erzählen, als es Regierungsbank vorgeht. Ich habe beobachtet, daß am einem Staatsminister erlaubt ist. Anfang dieser Debatte der deutsche Außenminister, Herr Fischer, hier im Raume war. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Und wo ist er Gehen Sie davon aus, daß wir das, was hier geschieht, jetzt? – Manfred Opel [SPD]: Der Schäuble sehr genau beobachten werden. auch!) (Kurt Palis [SPD]: Das ist in Ordnung!) – Auch ich frage mich jetzt, wo er ist. Er ist rechtzeitig Die Bundeswehr macht einen hervorragenden Dienst im gegangen, weil er entweder es nicht ertragen kann – das Dienste des Friedens in den Ländern, in denen sie bisher würde mich allerdings wundern –, welch krauses Zeug eingesetzt worden ist. durch diesen Staatsminister erzählt wird, (Peter Zumkley [SPD]: Etwas anderes haben (Peter Zumkley [SPD]: Keine Spekulationen!) wir auch nicht gesagt! – Verena Wohlleben [SPD]: Das ist einmal etwas Vernünftiges!) oder möglicherweise in die Versuchung käme, dazu Stellung zu beziehen. Sie hat ein hohes Bewußtsein und Einfühlungsvermögen in das, was dort im Land geschieht und was für die (Manfred Opel [SPD]: Jetzt einmal aus- Menschen dort wichtig ist. nahmsweise zur Sache!) Wer ein so krauses Zeug erzählt, der vergeht sich an Ich will eines sagen: Wenn Sie, Herr Verteidigungs- den hohen Verdiensten der Bundeswehr und an den ho- minister Scharping, hen Verdiensten von Soldaten dieser Demokratie. (Verena Wohlleben [SPD]: Herr Breuer, sagen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Sie etwas zur Bundeswehr!) Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: heute in dieser Debatte nicht Stellung beziehen und Oh!) wenn Sie nichts dazu sagen, daß die SPD-Fraktion mit derartigen lapidaren Erklärungen aus dem Saal geht, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr dann werfe ich Ihnen in Zukunft vor, daß Sie derartige Kollege, kommen Sie bitte zum Schluß. 730 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

(A) Paul Breuer (CDU/CSU): Ich bedanke mich für die absehbare Zeit auch nicht mehr gegeben. Das ist Fakt.(C) Aufmerksamkeit. Das heißt, daß es einen – bitte hören Sie auf die Wort- wahl – akuten Verteidigungsbedarf auf mittlerer Frist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht gibt. Damit stehen natürlich auch Fragezeichen hinter der Legitimation der bisherigen Wehrform – ganz Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das logisch. Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei von der Für dieses alte Konfliktszenario sind wir allerdings in Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. einer Weise gewappnet, die relativ weit über das hinaus- geht, was wir zur Zeit der Blockkonfrontation hatten. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ganz anders sieht es allerdings bei dem Konliktszenario Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! aus, das inzwischen vorherrschend ist, nämlich den in- Die Erklärungen des Kollegen Volmer und des Kollegen nerstaatlichen Konflikten. Dafür werden militärische Zumkley haben sehr deutlich gemacht, daß die „Oppo- Krisenreaktionskräfte aufgebaut. Aber was – auch das sition Üb“ versucht, hier künstlich Aufregung zu schaf- wissen Sie – eindeutig fehlt, was mangelhaft ausgebildet fen. ist und bei dem ein enormer Rückstand besteht, sind die Mittel für eine nichtmilitärische und eine friedliche Kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fliktbewältigung. und bei der SPD) Die Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ wird Zugleich wollen Sie in Ihrem Übungsstadium eineselbstverständlich diese Schlüsselfragen nach der Lage sehr schlechte Tradition der letzten Legislaturperiodeund nach dem Auftrag der Bundeswehr und ihren ent- fortsetzen, indem Sie nämlich versuchen, sicherheits-sprechenden Mitteln systematisch und gründlich bear- politische Debatten auf die Ebene von Bekenntnisde-beiten. Das soll bekanntlich nicht in Form eines Konkla- batten herunterzudrücken. ves, sondern eingebunden in eine breitere gesellschaftli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che Debatte geschehen. In dieser öffentlichen Diskussi- sowie bei Abgeordneten der SPD) on sind Beiträge der Militärs und der Politiker nicht nur erwünscht, sondern auch unbedingt notwendig. Dadurch wollen Sie eine offene Diskussion von vorn- herein blockieren und Geschlossenheit gegenüber dem Die Erfahrungen – ich habe es vorhin schon ange- parteipolitischen Gegner demonstrieren. sprochen – mit dem Konflikt und dem Krieg in Ex- Jugoslawien haben grundsätzlich gezeigt, wie mangel- (Peter Zumkley [SPD]: Das sehe ich aus- haft der vorbeugende Brandschutz in der internationalen drücklich auch so!) Politik entwickelt ist und wie hochkompliziert das Pea- (B) (D) Das ist Ihre alleinige Taktik. Daß Sie dabei auf das In- cebuilding über einen erzwungenen Waffenstillstand strument der Verdrehung von Aussagen – auch bezogen hinaus ist. Ich erinnere mich an so manche regelrecht er- auf den Artikel in der „Hannoverschen Allgemeinenschütternde Berichte des früheren Außenministers Kin- Zeitung“ – zurückgreifen, finde ich schon empörend. Sie kel und des früheren Verteidigungsministers Rühe nach von der Opposition brauchen uns wahrhaftig nicht zuihrer Rückkehr aus Bosnien, in denen sie feststellten, belehren, daß die Landesverteidigung selbstverständli- daß man allein mit Brücken aus Beton keinen Frieden ches Recht eines jeden Staates ist und daß Landesvertei- bauen kann und daß hier noch mehr geschehen muß. digung heutzutage – Gott sei Dank – nur noch kollektiv Daß sich die neue Bundesregierung auf diesen Fel- – im Rahmen der Bündnisverteidigung – organisiert ist. dern der internationalen Krisenbewältigung besonders engagieren will und erste Schritte eingeleitet hat, ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht nur sehr ermutigend, sondern wird mit Sicherheit und der SPD) die Unterstützung gerade auch der Bundeswehrangehö- Sie brauchen uns wahrhaftig nicht zu belehren, daß rigen und – wie ich hoffe – der Vertreter einer konstruk- die Entwicklung der sicherheitspolitischen Lage in den tiven Opposition finden. nächsten 10 oder 20 Jahren heute nicht absehbar ist. Um (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ diese Fragen, die überdies im Koalitionsvertrag eindeu- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tig behandelt wurden, geht es heute doch gar nicht. Es PDS – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: geht heute um eine andere Frage, die der Kollege Vol- Thema verfehlt!) mer angesprochen hat, nämlich die um den Stellenwert und das Gewicht der Landesverteidigung und der Bünd- nisverteidigung im Zusammenhang von militärischer Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als und nichtmilitärischer Krisenbewältigung. Das ist dienächster Redner hat der Kollege Rossmanith von der selbstverständliche Frage. CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Präsident! und der SPD) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staats- Es ist altbekannt und hier völliger Konsens: Die Ge- minister Volmer hat zwar Kant angesprochen, aber er fahr von raumgreifenden Offensiven gegenüber demhat ihn sicherlich nicht gelesen; deutschen Gebiet und gegenüber dem Gebiet des Bünd- (Zuruf von der SPD: Er hat über ihn promo- nisses ist nicht nur höchst unwahrscheinlich, sondern auf viert!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 731

Kurt J. Rossmanith (A) denn sonst wäre ihm diese Aussage nicht gelungen. Der In kurzer Folge gehen die sicherheitspolitischen(C) Philosoph Immanuel Kant hielt in seiner Schrift „Zum Sprengladungen im Koalitionsvertrag hoch und werden ewigen Frieden“ im Jahre 1795 den grausamen Herr-zur Gefahr für die fein ausgewogene Statik der euro- schern seiner Zeit die Forderung entgegen, stehendetransatlantischen Sicherheit. Wie damals die Solzialde- Heere sollten mit der Zeit ganz aufhören. mokraten beim NATO-Doppelbeschluß scheint die rot- grüne Regierung bereit zu sein, funktionierende Sicher- Aber Kant hat auch hinzugefügt: heitsinstrumente schlicht und einfach gegen Visionen Ganz anders ist es mit der freiwilligen, periodisch einzutauschen. vorgenommenen Übung der Staatsbürger in Waffen (Peter Zumkley [SPD]: Ihr nicht!) bewandt, sich und ihr Vaterland dadurch gegen Angriffe von außen zu sichern. Wer ein stehendes Heer für verzichtbar hält, beraubt un- ser Land seiner Wehrfähigkeit. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiwillig!) Wer auf das notwendige Mindestmaß von nuklearer Abschreckung verzichtet, erhöht geradezu das Risiko Ich glaube, das ist ein ganz klares Plädoyer Kants für konventioneller Konflikte. Wer strategische Grundele- die Wehrfähigkeit von Demokratien, die er als die einzi- mente der NATO in Frage stellt, ohne funktionierende ge Staatsform zur Wahrung der Freiheit ansah, Alternativen zu haben, mißachtet den Anspruch der (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande auf Sicher- GRÜNEN]: Wie ist es mit der Wehrpflicht?) heit, die zu garantieren auch mit eine Verpflichtung von uns Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist. Denn allerdings auch ein Plädoyer des Philosophen gegen die wir sind es ja, die unseren Soldaten und den Zivilbe- Gefahren von Hochrüstung, von der wir uns nach Weg- diensteten der Bundeswehr diesen Auftrag gegeben ha- fall des Ost-West-Konflikts in großen Schritten entfernt ben. haben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Diese Entwicklung sollten wir nach der schon lange ausste- Herzlichen Dank. henden Ratifizierung des Start-II-Abrüstungsabkom- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mens durch die Duma sofort über einen Abrüstungsfol- gevertrag weiter vorantreiben. Während Sie, Herr Verteidigungsminister Scharping, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als gerade dabei sind, eine Kommission „Zukunft der Bun- nächster Redner hat der Kollege Kurt Palis von der deswehr“ zusammenzustellen, ist der Herr Staatsmi-SPD-Fraktion das Wort. (B) nister im Auswärtigen Amt schon wesentlich weiter. (D) Ganz ohne Kommission stellt er nämlich fest, daß die Bundeswehr schlicht und einfach keine Zukunft mehr Kurt Palis (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und hat. Er macht klar, daß Landesverteidigung für ihn kein Herren! Nicht immer, wenn jemand unkonventionelle Thema mehr ist, allenfalls denkt er noch ein bißchen an Gedanken äußert, sind diese auch uneingeschränkt eine Blauhelmtruppe. Diese würde er dann am liebsten, brauchbar. Querdenken erregt Aufmerksamkeit und so wie es auch im Koalitionsvertrag nachzulesen ist,manchmal auch die Gemüter. gleich direkt den Vereinten Nationen unterstellen. (Peter Zumkley [SPD]: Wie man heute sieht!) Wahrscheinlich wollte Herr Staatsminister Volmer mit seiner radikalen Entwaffnungskampagne vor seinen Stimmen Sie mir zu, Herr Kollege Nolting? grünen Freunden nicht hinter der Initiative seines Au- ßenministers zurückstehen. Dieser – ich bedaure auch, (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ich lau- daß er bei der Debatte heute nicht anwesend ist – stellt ja sche! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Nur, wenn gerade durch seine Äußerungen – trotz der beschwören- ich weiß, was sonst noch kommt! – Heiterkeit) den Feststellungen des Bundesministers der Verteidi- Herr Nolting, wenn Sie zum Beispiel an die spora- gung, ein Ausscheren aus dem Bündniskonsens komme disch geäußerten sicherheitspolitischen Verirrungen Ih- für Deutschland überhaupt nicht in Betracht – die trans- res Fraktionskollegen Koppelin denken, atlantischen Beziehungen auf eine völlig unnötige Bela- stungsprobe. (Zurufe von der F.D.P.: Was?) Dabei wird natürlich bei den Verbündeten Mißtrauen müßten Sie zustimmen. geweckt. Das wird noch durch die Gewichtung verstärkt, die die rotgrüne Koalition der OSZE geben will. Auch (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So einen darauf ist Herr Staatsminister Volmer eingegangen. Ich Unsinn hat der noch nie erzählt, Herr Kollege! glaube, daß immer deutlicher wird, daß das Versprechen Das muß ich wirklich zurückweisen! – Wil- von der außenpolitischen Kontinuität nichts anderes als helm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Meinen Sie der Versuch eines Täuschungsmanövers seitens Rotgrün jetzt Unsinn wie Herr Koppelin? – Manfred war. Opel [SPD]: Der hat anderen Unsinn erzählt!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE – Herr Nolting, weisen Sie es zurück. Ich werfe es Ihnen GRÜNEN]: Sagt er was, dann ist es auch nicht noch einmal zu: Das war der Versuch, sich gemeinsam gut!) an Erlebtes zu erinnern. 732 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Kurt Palis (A) Meine Damen und Herren, ich habe in den vergange- Zu diesen Aussagen stehen die neue Regierung und(C) nen Wochen, sowohl vor als auch nach der Wahl, zahl- die sie tragenden Fraktionen weiterhin. reiche Gespräche mit Soldaten und Zivilbeschäftigten (Beifall bei der SPD – Günther Friedrich Nol- der Bundeswehr geführt. Die Frage nach der Zukunft der ting [F.D.P.]: Na? – Ja. – Paul Breuer Bundeswehr wurde jedesmal gestellt. Auch die Angehö- [CDU/CSU]: Das glauben Sie selbst nicht! – rigen treibt die Sorge um: Müssen wir wieder umziehen? Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Es klatscht Wie lange bleibt diesmal unser Standort erhalten? Wel- aber nur die SPD!) che Zukunftsperspektive habe ich, wenn ich als junger Mensch heute zum Bund gehen will? Die Politik dieser Regierung im Hinblick auf die Bun- deswehr und ihre Zukunft wird sich an diesen Aussagen Die Menschen erbitten von uns Orientierungshilfe. und Festlegungen orientieren. Dafür steht auch unser neuer Verteidigungsminister Rudolf Scharping. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Aber nicht so!) (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Angelika Sie erwarten Planungssicherheit für ihre berufliche und Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) damit natürlich auch für ihre persönliche Zukunft. Diese Forderung ist nach den Jahren der permanenten Um- Abschließend wage ich zu behaupten, daß bei aller strukturierung und der daraus folgenden Ungewißheit, Ergebnisoffenheit, die der Herr Minister für die Arbeit für die Sie, Herr Breuer, ja gestanden haben, nur allzu der Kommission „Zukunft der Bundeswehr“ reklamiert, berechtigt. die folgenden drei Aufträge der Streitkräfte erhalten bleiben werden: Landes- und Bündnisverteidigung in (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zentraleuropa, Krisenreaktionen und Verteidigung im Bündnis außerhalb Zentraleuropas und Kriegsverhinde- Wir Politiker bestehen gegenüber unseren Soldaten rung durch Abschreckung und Stabilitätsbewahrung. auf dem Primat der Politik, und zwar aus wichtigenDafür ist das Heer unverzichtbar. Die Welt ist nicht Gründen. Ich brauche diese hier nicht auszuführen. friedlich, noch nicht. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Herzlichen Dank. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordnten der Aber für mich ergibt sich daraus – darauf wird meines PDS) Erachtens viel zu selten hingewiesen – die Verpflichtung der Politik, sowohl mit unseren Bürgern in Uniform als auch mit den Zivilbeschäftigten und mit den Familien (B) (D) fürsorglich umzugehen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Wolfgang Bötsch, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS CDU/CSU-Fraktion, das Wort. 90/DIE GRÜNEN)

Dies müssen wir uns besonders dann klarmachen, Dr. Wolfgang Bötsch (CDU/CSU): Herr Präsident! wenn es um Fragen geht, die die ExistenzgrundlagenMeine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich drei von Menschen betreffen. Dann muß unsere Devise zu- Tage vor der Bundestagswahl mit meinem Wahlkreis- gegebenermaßen lauten: Erst nachdenken, dann quer-kontrahenten Walter Kolbow, der inzwischen Parla- denken. mentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministeri- um ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD – Wilhelm Schmidt Mit der Einsetzung der Kommission „Zukunft der Bun- [Salzgitter] [SPD]: Ein sehr guter!) deswehr“ durch den Bundesverteidigungsminister wird – er hat es verdient, – eine Podiumsdiskussion zu be- die neue Regierung dies gewährleisten. Vor dem Ab-streiten hatte, waren wir uns einig, daß es wenig Sinn schluß der Arbeit dieser Kommission und der politi-macht, sich dort groß über Fragen der Sicherheitspolitik schen Diskussion der Ergebnisse wird es keine substan- auseinanderzusetzen, weil wir beide der Auffassung wa- tiellen Veränderungen im Bereich der Bundeswehr ge- ren, daß es dabei zwischen uns nicht viel zu streiten gä- ben. Diese Zusage gilt auch angesichts der schwierigen be. Haushaltslage, die uns die alte Regierung hinterlassen hat. (Manfred Opel [SPD]: Das ist auch richtig! – Peter Zumkley [SPD]: Das sieht Herr Breuer Dies verdeutlichen auch die entsprechenden Passagen neuerdings anders!) im Koalitionsvertrag, die ich zitieren darf: Ich hätte mir damals nicht vorstellen können, daß es so Vor Abschluß der Arbeit der Wehrstrukturkommis- wenige Wochen nach der Wahl zu dieser Aktuellen sion werden unbeschadet des allgemeinen Haus-Stunde kommen wird. haltsvorbehalts keine Sach- und Haushaltsentschei- (Zuruf von der SPD: Das lag an Ihnen!) dungen getroffen, die die zu untersuchenden Berei- che wesentlich verändern oder neue Fakten schaf- Ich glaube, er hat seine Auffassung nicht geändert, son- fen. dern offensichtlich manövrieren die Grünen die SPD in Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 733

Dr. Wolfgang Bötsch (A) wirklich schwierige Situationen hinein – dieses Mal in Das Gedankengut kommt bei ihm nach wie vor zum(C) der Person des Herrn Staatsministers Volmer. Das über- Durchbruch. Wer eine solche Verunsicherung betreibt, rascht nicht, denn er war ja nun keine Liebeswahl fürversündigt sich an unserer Sicherheit und an der Vertei- das Außenministerium, sondern er sollte in der Nähe des digungsbereitschaft unserer Soldaten. Herrn Fischer plaziert werden, damit der ihn etwas unter (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Kontrolle hat. Das war ja wohl der Sinn dieser Übung. Wer mir dann sagt, Herr Volmer habe seine persönli- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: che Meinung bzw. seine Privatmeinung geäußert, dem Wie schön, was Sie alles wissen!) entgegne ich: Staatsminister im Auswärtigen Amt ist Die SPD hat auch heute zu Herrn Volmer so gut wie keine Hobbyveranstaltung, wo einer seine persönlichen nichts ausgeführt. Meinungen zum Besten gibt, sondern da spricht er für die Bundesrepublik Deutschland. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Palis hat sich distanziert!) Wenn die dpa-Meldung stimmt, daß die Verteidigung seiner Ansicht nach in Zukunft nicht durch Kampftrup- Die Kollegin Wohlleben hat ja offenbar mehr oder we- pen sichergestellt werden soll, sondern daß diese Aufga- niger Versatzstücke aus der Weihnachtsansprache des ben im Bereich zwischen Militär, Polizei und Diploma- Bundeskanzlers tie angesiedelt sein müssen, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aus (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: welcher?) Sehr richtig!) bzw. aus dem Tagesbefehl des Verteidigungsministers dann kann ich nur die Frage stellen: Diplomaten mit an die Soldaten zu Weihnachten verlesen. Das hat sich schweren Waffen oder Soldaten im Diplomatenlook? Er alles ganz prima angehört, das kann man auch fast alles hat bei seinen Überlegungen nur noch die freiwillige unterstreichen; nur zum Thema der heutigen Aktuellen Feuerwehr ausgelassen. Stunde hat sie nichts gesagt. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Nichts (Peter Zumkley [SPD]: Eine ganze Menge! – gegen die freiwillige Feuerwehr! – Wilhelm Verena Wohlleben [SPD]: Waren Sie drau- Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So ein Unsinn!) ßen?) Meine Damen und Herren, ich glaube, in diesen Fra- gen muß ganz schnell Klarheit durch den Außenminister Ich dachte eigentlich, meine Damen und Herren, daß es für uns selbstverständlich ist, daß für ein politisch ge-oder durch den Verteidigungsminister hergestellt wer- den. Am besten geschieht dies durch den Bundeskanzler, (B) eintes Europa jeder seinen Verteidigungsbeitrag, und (D) zwar einen deutlichen, zu leisten hat. weil es so aussieht, als seien sich der Verteidigungsmi- nister und der Außenminister in diesen Fragen auch (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht einig. Der Parteivorsitzende der CSU, , hat am Vielen Dank. vergangenen Montag beim Franz-Josef-Strauß-(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Symposium der Hanns-Seidel-Stiftung fünf gleicherma- Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wo ist ßen einfache wie klare Grundsätze dafür formuliert: Er- Schröder? – Gernot Erler [SPD]: Die Rede stens. Kein Mitglied der Union kann sich alleine vertei- war eine Sonderbriefmarke wert!) digen. Zweitens. Die Sicherheit Europas ist unteilbar. Drittens. Europa muß gleichberechtigter Partner Nord- amerikas bleiben. Viertens. Europas strategische Hand- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat lungsfähigkeit ergänzt, ersetzt aber nicht die Allianz.die Kollegin Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grünen, Und fünftens. Atlantische und europäische Sicherheitdas Wort. müssen dieselben Strukturen nutzen. Meine Damen und Herren, in diesen Punkten wird ein Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr erfolgversprechender Weg aufgezeigt, der zu einer Ver- Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolle- tiefung der auf gemeinsamen Werten und Interessen be- ginnen und Kollegen! Herr Bötsch, lassen Sie mich ein ruhenden Sicherheitspartnerschaft zwischen Europäern persönliches Wort an Sie richten. Sie haben gesagt, kein und Amerikanern führt und einer Stärkung der NATOMitglied der Union kann sich selbst verteidigen. Ich ha- und nicht deren Schwächung dient. Äußerungen wie die be Verständnis dafür. Aber in dem Fall wären wir soli- des Staatsministers Volmer führen aber nicht nur im In- darisch mit Ihnen, wenn die Angriffe aus den eigenen nern, sondern auch im Äußeren zu Irritationen. DamitReihen zu stark würden. setzt er im Grunde genommen Vorstellungen seiner (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sie hat es Politik um; er hat nämlich geglaubt, die Demonstration nicht verstanden!) mit 300 000 Teilnehmern im Bonner Hofgarten, die Demonstrationen in Mutlangen und das Händchenhalten Wir haben hier heute etwas über Querdenken gehört. entlang der Autobahn hätten die Sicherheit garantiertAber ich möchte zunächst einmal versuchen, die Beiträ- und nicht unsere Streitkräfte im Verbund der NATO. ge der Opposition zu verstehen oder einzuordnen. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Das ist schwierig!) 734 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Angelika Beer (A) Ganz offensichtlich verharren Sie in einem sicher- Wir wollen diese Aufgaben mit der Bundeswehr zu- (C) heitspolitischen Anachronismus – das ist nicht neu;sammen erledigen; denn wir haben erlebt, daß es, wenn sonst wären Sie nicht abgewählt worden –, der Ihnenman die Bundeswehr als Apparat für die eigene Partei- den Blick nicht nur für die Zukunft der Bundeswehr,politik instrumentalisiert, nach hinten losgeht. Damit tun sondern auch dafür versperrt, die internationalen Her-Sie weder den Bundeswehrangehörigen noch den Zivil- ausforderungen der Friedenssicherung, der Prävention beschäftigten noch unserem Bündnis innerhalb der überhaupt anzuerkennen, um dementsprechend Ant-NATO einen Gefallen; denn das, was Herr Volmer vor- worten geben und diesen Herausforderungen nachkom- gestellt hat und was Sie hier kritisieren, ist doch das, men zu können. was unsere NATO-Partner, zum Beispiel in Dänemark, längst machen. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Welche Anma- ßung!) Wir wollen endlich mit unseren Bündnispartnern die- Ich habe den Eindruck, daß Sie, weil Sie mit Ihrersen Schritt der Anpassung gehen, rechtzeitig Mittel für neuen Rolle noch nicht klarkommen, krampfhaft versu- die Verhinderung von Kriegseinsätzen bereitzustellen, chen, den in der abgewählten Regierung ständig vorhan- um so eine präventive Sicherheits- und Außenpolitik zu den gewesenen Konflikt zwischen Auswärtigem Amtgestalten. und Verteidigungsministerium künstlich der neuen rot- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – grünen Regierung aufzudrücken. Das wird Ihnen nicht Zuruf des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU]) gelingen. Das sage ich gerade Ihnen, Herr Kollege Breuer. Wir wollen – Herr Kollege Breuer, auch wenn Sie das nicht verstehen wollen – eine präventive Sicherheits- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Waren politik. Wir wollen den Bundeswehrangehörigen sagen Sie eigentlich im Ausschuß?) können: Auch wenn ihr dafür ausgerüstet und ausgebil- Sie haben jahrelang nicht verstanden, daß es einedet seid, werdet ihr erst dann in Kampfeinsätze ge- Aufgabenteilung gibt, eine Aufgabenteilung zwischen schickt, wenn alle präventiven Maßnahmen gescheitert dem Bundesministerium der Verteidigung, das für Bun- sind. Erst dann sollten wir das Recht haben, die Streit- deswehr, Sicherheitspolitik und Verteidigung zuständig kräfte in einen schwierigen Einsatz zu schicken. Man ist, und dem Auswärtigen Amt, das für die Aufgabe der muß aber jetzt damit anfangen, diese präventiven Maß- Konfliktprävention und der Moderation zuständig ist.nahmen zu operationalisieren und nicht alle Konflikte Daß Sie es nicht verstanden haben wundert mich nicht; auf dem Rücken der Bundeswehr auszutragen. denn Ihr Außenminister war dazu nicht in der Lage. In- sofern war es Zeit, daß der Staatsminister im Auswärti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (B) gen Amt diesen Punkt sehr offen und konstruktiv ange- Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Da sind wir (D) sprochen hat. aber gespannt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Diese präventive Sicherheitspolitik werden wir inner- Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber er halb der nächsten Jahre konkretisieren. Jeder Bündnis- hat es doch nicht gemacht! Er hat vorhin er- partner und jeder in Deutschland, der sich diesem Weg klärt, die Presse habe falsch zitiert!) verweigert, wird vor der Zukunft Deutschlands in einer sicheren Umgebung innerhalb Europas und innerhalb Ich will Ihnen noch einmal sagen, was die Zeichender NATO die Augen verschließen und sich selbst iso- der Zeit denn sind. Es geht nicht um Blindheit, und eslieren. Das ist Ihr Weg. Wenn Sie ihn unbedingt gehen geht nicht darum, Denkverbote der früheren Regierung wollen, dann tun Sie es. Mir würde es aber leid tun. fortzuführen. Wir werden überprüfen müssen, ob wir bei der aus meiner Sicht – wenn man es mit den anderen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Streitkräften innerhalb der NATO vergleicht – über- Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und zu die- dimensionierten Bundeswehr, sem Unfug spricht der Bundesverteidigungs- minister kein Wort!) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Da liegen wir im unteren Drittel!)

einer Bundeswehr, die zugegebenermaßen – ich glaube, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das keiner kann das bestreiten – als panzerüberlastig zu be- Wort hat jetzt der Bundesminister der Verteidigung, zeichnen ist und die ganz andere Aufgaben zu erfüllen Herr Scharping. hat, als ihr im Moment immer unterstellt wird – Sie haben die Arbeit im Untersuchungsausschuß betreffend Bundeswehr und Rechtsextremismus vom Gedanken her Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi- vielleicht überhaupt nicht begleitet –, gung: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kleine (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was? Ich Mißverständnisse können ja entstehen. Wenn sie nicht mußte mich jeden Tag aufregen!) sozusagen so konstruiert würden, wie manche es in die- ser Debatte getan haben, dann würde die Diskussion ein- nicht tatsächlich über innere Führung, politische Bildung facher. und Tradition reden müssen. Es stellt sich die Frage, ob da nach der Zeit von Bundesverteidigungsminister Rühe (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Hier ist nicht tatsächlich Reparaturbedarf besteht. überhaupt nichts konstruiert!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 735

Bundesminister Rudolf Scharping (A) Dies sage ich auch, um dem Kollegen Breuer einensondern daß sie bedeutet, daß alle internationalen Insti-(C) Hinweis darauf zu geben, daß man zwar so mit Themen tutionen mit ihren ganz spezifischen Verantwortungen umgehen kann, aber nicht unbedingt sollte. ihre Fähigkeit steigern sollten, Krisen frühzeitig zu er- kennen, wirksam gegen ihre Ursachen vorzugehen und Es ist die klare Politik der Bundesregierung, daß die schneller in diesem Sinne zu handeln. Fähigkeiten unseres Landes und des gemeinsamen Bündnisses, auch die der Europäischen Union und der Mit Blick auf manche Diskussionsbeiträge wäre es Westeuropäischen Union, gestärkt werden sollten, gegen übrigens gut, wenn man diese politische Linie nicht in Krisen vorbeugend vorzugehen, ihre Ursachen frühzeiti- einen Gegensatz zur Bundeswehr und zu ihren Aufgaben ger zu erkennen und konsequenter zu handeln. Wenn in brächte; denn die Bundeswehr hat zum Beispiel in Bos- dieser Frage zwischen der CDU/CSU – ich hoffe: auch nien, in Georgien, in Kambodscha und im Sudan bewie- der F.D.P. – und der Koalition, für die dieser Punktsen – sie wird es hoffentlich auf friedliche Weise auch ohnehin selbstverständlich ist, keine Differenz besteht, im Kosovo beweisen können –, daß sie schon heute dann müssen Sie verstehen, daß es konsequent ist, zum fähig ist, in diesem Sinne Aufgaben zu übernehmen und Beispiel die Fähigkeiten der Vereinten Nationen undsie wirksam zu erfüllen. auch die der NATO auf diesem Felde zu steigern. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS dem, was Volmer gesagt hat! Das hat Volmer 90/DIE GRÜNEN) bestritten!) Sie werden dann weiterhin verstehen, daß es konse- Vor diesem Hintergrund kann ich alle Mitglieder des quent ist, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen Hauses, gleich welche Ämter sie ansonsten bekleiden das anzubieten, was der Außenminister und der Vertei- mögen, nur bitten, diese Politik der Bundesregierung digungsminister bei ihren Besuchen angeboten haben, nicht in einen Gegensatz zu den Aufgaben der Bundes- nämlich speziell ausgerüstete und speziell ausgebildete wehr und ihren nachgewiesenen Fähigkeiten zu bringen, Einheiten für eine schnellere Reaktion, zum Beispiel für im Interesse von Gewaltfreiheit und Friedenssicherung eine der Vereinten Nationen, zur Verfügung zu stellen. zivile Entwicklungen überhaupt zu ermöglichen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (Beifall bei der SPD) 90/DIE GRÜNEN) Dann haben Sie hier im übrigen Debatten über die Sie wissen, daß auch andere Länder dieses tun. Der Aufgaben der Bundeswehr geführt. So etwas gibt ja im- Beitrag Deutschlands ist für die Vereinten Nationenmer auch Anlaß, allerlei Bemerkungen über das zu ma- außerordentlich wichtig; er wird ja auch von Ihnen be- chen, was sich in Zukunft ergeben könnte. Ich möchte grüßt. Da ich sehr dafür eintrete, ohne parteipolitische (B) Ihnen dazu nur folgendes sagen: Die Koalition hat sich(D) Vordergründigkeiten zu diskutieren – zwar leiden-verpflichtet, der Bundeswehr zunächst die notwendige schaftlich in der Sache, aber ruhig im Ton, was immer Sicherheit zu geben. Jeder, der das in seinen Reden hier besser ist als umgekehrt –, im Hause in Zweifel zieht, redet gegen die erklärte Poli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tik der Bundesregierung. Auch das soll klar ausgespro- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen sein. will ich Ihnen noch sagen, daß diese Politik der Bundes- (Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith regierung nicht nur bei den Vereinten Nationen respek- [CDU/CSU]: Also redet Herr Volmer gegen tiert und bei den Bündnispartnern gut aufgenommen die Bundesregierung!) wird, sondern daß wir diese Politik auch konsequent Die Arbeit der Kommission ist nämlich nicht eine umsetzen werden. Vorbereitung intellektueller Natur, um schon gefaßte Falls Sie in die Vergangenheit schauen, werden Sie Vorurteile zu begründen, sondern sie ist eine Anstren- erstaunt feststellen, daß ich als erster Bundesminister der gung, die sicherheitspolitische Lage unseres Landes und Verteidigung zu den Vereinten Nationen gehe. Ich will des Bündnisses mit Blick auf die Aufgaben des Landes jetzt nicht auf einzelne Personalentscheidungen zurück- und des Bündnisses – diese sind ja nicht voneinander zu kommen. Ich will aber sagen, daß – um es einmal etwas trennen – sorgfältig zu analysieren und dann daraus unpräzise zu sagen – der Rückzug des Generals Eisele Konsequenzen zu ziehen. bei den Vereinten Nationen nicht gerade ein sehr gutes Dabei warne ich alle Neugierigen vor dem Trug- Signal war. schluß, aus der verbesserten sicherheitspolitischen Si- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS tuation unseres Landes könne automatisch gefolgert 90/DIE GRÜNEN – Paul Breuer [CDU/CSU]: werden, daß man die zum Teil hier angedeuteten und in Heißt das für Sie mehr UNO und weniger der Öffentlichkeit diskutierten Konsequenzen locker NATO?) vom Hocker ziehen könnte. Das wird nicht gehen. Die historisch einmalige Situation der Bundesrepublik Da Sie ja immer ein bißchen schneller reden als den- Deutschland, nach dem Beitritt Polens und der Tsche- ken, chischen Republik – ich will auch Ungarn nicht verges- sen – von Freunden und Bündnispartnern umgeben zu (Heiterkeit bei der SPD) sein, ist für Deutschland und die Kernaufgabe der Lan- will ich Ihnen noch den Hinweis geben, daß diese Poli- desverteidigung ein gewaltiger Fortschritt. Für das tik nicht „mehr UNO und weniger NATO“ bedeutet,Bündnis und die andere Kernaufgabe der gemeinsamen 736 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

Bundesminister Rudolf Scharping (A) Sicherheit der Bündnispartner verbietet sich aber ein Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich (C) Blickwinkel, der an den territorialen Grenzen der Bun- möchte nur darauf hinweisen, daß nach der Geschäfts- desrepublik Deutschland halt macht. ordnung jetzt eine neue Runde der Debatte eröffnet wer- den könnte. – Ich höre aber, daß darauf verzichtet wird. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Wir haben diesem Bündnis etwas zu verdanken; wir 90/DIE GRÜNEN) haben ihm auch etwas zu geben. Als abschließende Rednerin hat die Kollegin Ursula (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: So ist Lietz von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. es!) Ursula Lietz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Vor diesem Hintergrund muß jeder, der sicherheits- Damen und Herren! Der eine oder andere mag zu Be- und außenpolitische Erfordernisse betrachtet, nicht nur ginn dieser Legislaturperiode geglaubt haben, daß es in Deutschland und seine unmittelbaren territorialen Nach- der Außen- und Sicherheitspolitik möglicherweise einen barn betrachten, sondern das Bündnis und dessen territo- weitestgehenden Konsens über alle Parteigrenzen hin- riale Nachbarn. weg geben könnte. Die Bundesregierung hat Kontinuität (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Sehr und Verläßlichkeit versprochen. Wir haben bereits we- gut!) nige Tage nach dem Regierungswechsel feststellen müs- sen, daß die vollmundigen Zusagen des Bundeskanzlers Anderenfalls kann man nicht erfassen, welche Aufgaben und seiner Regierungsmitglieder reine Lippenbekennt- sich der Bundesrepublik Deutschland und der Bundes- nisse waren. wehr stellen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Die Grü- Sie, Herr Zumkley, erklären sogar, daß die Frage der nen sollten zuhören!) zukünftigen Strukturen der Bundeswehr heute nicht das wichtigste Thema sei. Das hat mich schon erschüttert; Ich kann gut verstehen, daß man in den ersten Wo-das muß ich wirklich sagen. chen einer neuen Bundesregierung auch nur den leise- sten Verdacht auf Mißverständnisse und unterschied- (Peter Zumkley [SPD]: Das ist hier doch eine liche Auffassungen nutzt. Aber ich rate Ihnen, bei der Aktuelle Stunde!) Konstruktion des Verdachtes und der Verwendung des Staatsminister Volmer, um dessen Äußerungen zur immer wieder reklamierten Wortes, nun müsse aber bitte (B) Bundeswehr es hier heute geht, hat ebenfalls innerlich(D) schön der Bundeskanzler Klarheit schaffen, etwas vor- überhaupt noch nicht nachvollzogen, daß es in der Poli- sichtiger zu sein. Das wirkt ein bißchen lächerlich. tik in seiner neuen Rolle als Regierungsmitglied um Der Kollege Volmer hat – im übrigen in völligerVerantwortung für unser Land und dessen Gestaltung geht und nicht um Sprüche, welche die eigene grüne Ba- Übereinstimmung mit einer Linie, die zwischen dem sis und deren Fundis ruhigstellen. Verständnis habe ich Bundesaußenminister und mir völlig unstrittig ist – hier klargemacht, daß eine bestimmte Berichterstattung mit dafür, daß der eine oder andere Grüne angesichts des bevorstehenden Parteitages einen Spagat zu machen ver- seinen Auffassungen nicht übereinstimmt. Dann nehmen sucht. Aber damit können Sie nicht regieren, meine Da- Sie es doch einfach einmal so, wie es ist. men und Herren von den Grünen. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Aber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Frau Beer hat das doch bestätigt!) Daß dies im Auswärtigen Amt ebenfalls so gesehen Er sagt es Ihnen hier im Parlament, und deswegen macht wird, zeigt die Reaktion des Sprechers des eigenen Am- es keinen Sinn, immer wieder darin herumzubohren, es tes, der die Aussagen von Herrn Volmer als persönliche sei denn – ich bitte Sie, sich einmal zu überlegen, was Äußerungen des Abgeordneten bewertet und nicht etwa Sie hier zum Teil veranstalten –, man versucht, das öf- als eine offizielle Regierungsmeinung. Herr Volmer, fentlich gemeinsam proklamierte Ziel von sozialer und dies müßte Ihnen eigentlich peinlich sein, wenn Sie eine planerischer Sicherheit für die Bundeswehr, für die Sol- Schmerzgrenze hätten. Ich finde es beschämend, daß ein daten und Zivilangestellten einschließlich ihrer Famili- Staatsminister von einem Beamten des eigenen Hauses en, in Mißkredit zu bringen und jeden Vorwand dafür zu in dieser Art und Weise abgekanzelt werden muß. nutzen, um Unsicherheit zu säen. Insgesamt entsteht bei mir als jemandem, der in die- Das kann nicht im Interesse unseres Landes, seinersem Parlament neu ist, der Eindruck, daß in dieser Re- Sicherheit und der Bundeswehr liegen. Stellen Sie diegierung niemand mehr so recht weiß, wer eigentlich für Sache einfach ein. Herr Volmer hat die Angelegenheit was und für wen spricht. Die Grünen selbst bezeichnen klargestellt. Damit ist das in meinen Augen geklärt. diese Regierung als Chaostruppe. Das kann ich nach- vollziehen. Das ist vielleicht eine erste Form von Selbst- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS erkenntnis. So habe ich mir und so haben sich viele und 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten immer mehr Menschen in diesem Lande verantwor- der PDS – Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: tungsvolle Politik für Deutschland wirklich nicht vorge- Der erste Teil war gut!) stellt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 737

Ursula Lietz (A) Der Verteidigungsminister ist auf die Bemerkungen, schauen sehr genau hin, was diese Regierung mit ihnen(C) die Herr Volmer gemacht hat, überhaupt nicht einge-vorhat und wie sie sie und ihre Familien behandelt. gangen. Er hat sich mit ihnen nicht auseinandergesetzt, (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das obwohl Herr Volmer in der „Berliner Zeitung“ sehr stimmt! Das ist auch in Ordnung so!) deutlich bezweifelt hat, daß die Sicherheitsaufgaben von der jetzigen Bundeswehr bewältigt werden können. Das Es scheint inzwischen in der rotgrünen Koalition ist schon bemerkenswert. Angesichts dessen müssen wir Methode zu sein: Grüne Politiker verkünden sicher- uns als CDU/CSU-Fraktion hinter die Bundeswehr stel- heitspolitischen Unsinn in aller Welt, und der rote Ver- len, wie wir das in der Vergangenheit immer getan ha- teidigungsminister muß die grünen Scherben mühsam ben. wegräumen. Dies wird auf Dauer nicht reichen, um ein Land wie Deutschland erfolgreich und für die Partner (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) berechenbar und verläßlich zu regieren. Kein halbwegs Herr Volmer ist der Meinung, daß seine politischen ernstzunehmendes Land dieser Welt leistet sich die ha- und ideologischen Gründe, die Bundeswehr abzuschaf- nebüchene Forderung nach der Abschaffung seiner fen, wie es seine Parteifreunde von den Grünen erhof- eigenen Streitkräfte, meine Damen und Herren. Auch da fen, richtig seien. Die Stärkung der UNO durch Auf-sind wir einzigartig. stellung von „Stand-by-Forces“ soll die NATO schwä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) chen – das ist die eigentliche Absicht – Zu einer verantwortungsvollen Politik gehört auch (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: So ist es! – eine angemessene Sicherheitsvorsorge. Gesicherte Ver- Manfred Opel [SPD]: Ausgemachter Unsinn!) teidigungsfähigkeit sichert politische Handlungsfähig- keit. Ich fordere für meine Fraktion den Bundeskanzler und im Ergebnis völlig überflüssig machen. Genau diese auf, die sicherheitspolitische Kontinuität in diesem Lan- beiden Ziele – Abschaffung der Bundeswehr und derde wiederherzustellen, den Scherbenhaufen endlich auf- NATO – sind ein grüner Traum, der mit der Realität der zukehren und klare Signale zu setzen. Welt leider nichts zu tun hat.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Kom- NEN) men Sie bitte zum Schluß, Frau Kollegin. Frau Beer, Sie haben vorhin übersehen, daß es die Dänen waren, die mit Panzern nach Bosnien gekommen Ursula Lietz (CDU/CSU): Die Bürger unseres Lan- sind. Auch das sollten Sie wissen. des, insbesondere die Soldaten und ihre Familien, haben (B) ein Anrecht auf die Verläßlichkeit dieses Hauses und(D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) dieser Regierung. Wo wären wir heute in Bosnien ohne die Soldaten der Vielen Dank. Bundeswehr und ohne die internationale Gemeinschaft? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wie anders als mit der überzeugenden Androhung mili- tärischer Gewalt hätten wir Diktatoren und selbster- nannte Revolutionäre wieder zur Räson bringen können, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich gra- um Frieden und Freiheit in der Welt ein Stück weittuliere Ihnen, Frau Lietz, zu Ihrer ersten Rede im Deut- sicherer zu machen? Es gibt eben nicht, wie Sie eben ge- schen Bundestag. sagt haben, Herr Volmer, nur Freunde in Europa und in (Beifall) der Welt; das erleben wir täglich. Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am (Zuruf von der PDS: Die Russen!) Schluß unserer Tagesordnung. Mit Ihren Äußerungen haben Sie es geschafft, erneut Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- Unruhe in die Bundeswehr zu tragen. Gleichzeitig ist der destages auf Mittwoch, den 9. Dezember 1998, 13 Uhr Verteidigungsminister einmal mehr krampfhaft bemüht, ein. den Soldaten der Bundeswehr Planungssicherheit und Die Sitzung ist geschlossen. Ruhe vorzugaukeln. Täuschen Sie sich nicht! Die Sol- daten und die zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr (Schluß: 13.53 Uhr) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 739

(A) (C) Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Pau, Petra PDS 4.12.98 Dr. Pfaff, Martin SPD 4.12.98 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Polenz, Ruprecht CDU/CSU 4.12.98 Rauber, Helmut CDU/CSU 4.12.98 Dr. Bartsch, Dietmar PDS 4.12.98 Rauen, Peter Harald CDU/CSU 4.12.98 Behrendt, Wolfgang SPD 4.12.98 * Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 4.12.98 Bläss, Petra PDS 4.12.98 Rühe, Volker CDU/CSU 4.12.98 Dr. Blank, CDU/CSU 4.12.98 Schaich-Walch, Gudrun SPD 4.12.98 Joseph-Theodor Scheu, Gerhard CDU/CSU 4.12.98 Bruckmann, Hans-Günter SPD 4.12.98 Schily, Otto SPD 4.12.98 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 4.12.98 Schmidbauer, Bernd CDU/CSU 4.12.98 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 4.12.98 * Seiters, Rudolf CDU/CSU 4.12.98 Caesar, Cajus Julius CDU/CSU 4.12.98 Siemann, Werner CDU/CSU 4.12.98 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 4.12.98 Simmert, Christian BÜNDNIS 90/ 4.12.98 Peter Harry DIE GRÜNEN Dr. Däubler-Gmelin, SPD 4.12.98 Dr. Stadler, Max F.D.P. 4.12.98 Herta Tappe, Joachim SPD 4.12.98 Dr. Eckardt, Peter SPD 4.12.98 Uldall, Gunnar CDU/CSU 4.12.98 Fornahl, Rainer SPD 4.12.98 Wissmann, Matthias CDU/CSU 4.12.98 Dr. Fuchs, Ruth PDS 4.12.98 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 4.12.98 Dr. Geißler, Heiner CDU/CSU 4.12.98 —————— Gröhe, Hermann CDU/CSU 4.12.98 * für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Parla- Großmann, Achim SPD 4.12.98 ments (B) (D) Haack (Extertal), SPD 4.12.98 * Karl-Hermann Hanewinckel, Christel SPD 4.12.98 Hartnagel, Anke SPD 4.12.98 Anlage 2 Haschke (Großhenners- CDU/CSU 4.12.98 dorf), Gottfried Erklärung nach § 31 GO Hedrich, Klaus-Jürgen CDU/CSU 4.12.98 Imhof, Barbara SPD 4.12.98 der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Klaus Holetschek, Günter Baumann, Jelpke, Ulla PDS 4.12.98 Albert Deß, Georg Girisch, Axel E. Fischer Kasparick, Ulrich SPD 4.12.98 (Karlsruhe-Land), Wolfgang Lohmann (Lüden- Knoche, Monika BÜNDNIS 90/ 4.12.98 scheid), Franz Obermeier (alle CDU/CSU) zur DIE GRÜNEN Abstimmung über den von den Fraktionen der Kraus, Rudolf CDU/CSU 4.12.98 SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurf eines Steuerentlastungsgeset- Lafontaine, Oskar SPD 4.12.98 zes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) Lambrecht, Christine SPD 4.12.98 Lengsfeld, Vera CDU/CSU 4.12.98 Angesichts der geplanten Ausplünderung der Famili- en durch die rotgrünen Energiebesteuerungspläne ist die Leutheusser-Schnarren- F.D.P. 4.12.98 vorgeschlagene Kindergelderhöhung ein nicht ausrei- berger, Sabine chender Ausgleich. Insbesondere die dringend erforder- Maaß (Wilhemshaven), CDU/CSU 4.12.98 * liche Entlastung von kinderreichen Familien mit drei Erich und mehr Kindern fehlt völlig. Marquardt, Angela PDS 4.12.98 Statt sozialpolitischer Flickschusterei fordern wir von Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 4.12.98 der Bundesregierung eine umfassende Konzeption zur Michels, Meinolf CDU/CSU 4.12.98 Ermutigung der Familien. Familien in Deutschland Müntefering, Franz SPD 4.12.98 brauchen eine Steuerreform, die diesen Namen verdient, eine Verbesserung des Erziehungsgeldes, eine gerechte Naumann, Kersten PDS 4.12.98 Anerkennung der Erziehungsleistung in der Altersver- Ostrowski, Christine PDS 4.12.98 sorgung und mehr gesellschaftliche Anerkennung. 740 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

(A) (C) Anlage 3 Anlage 5

Erklärung nach § 31 GO Erklärungen nach § 31 GO der Abgeordneten Johannes Singhammer, des Abgeordneten Hubert Deittert (CDU/CSU) Aribert Wolf, Ilse Aigner, Dr. Gerd Müller, zur Abstimmung über den von den Fraktionen Marie-Luise Dött, Thomas Dörflinger, Klaus der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Hofbauer, Josef Hollerith (alle CDU/CSU) gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- zur Abstimmung über den von den Fraktionen setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Ich bin für eine Erhöhung des Kindergeldes, soweit gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- die Finanzierung solide gesichert ist. Nach dem vorlie- setztes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) genden Gesetzentwurf gemäß Drucksache 14/125 erge- Die vorgesehene Kindergelderhöhung ist nicht geeig- ben sich für die im Gesetzentwurf genannten Maßnah- net, die Situation der Familien in Deutschland nachhal- men nichtfinanzierte Belastungen in Höhe von 7,1 Mil- tig zu verbessern. Als Ergebnis der geplanten Ökosteuer liarden DM allein im Entstehungsjahr. werden vielen Familien zum Teil höhere Beträge wieder Eine Erhöhung des Kindergeldes kann nur in einem genommen werden. Familien profitieren nicht durchsolide finanzierten Gesamtkonzept, aber nicht etwa durch Umverteilungsprogramme, sondern nur durch nachhal- eine höhere Verschuldung entschieden werden. Da die Fi- tige Entlastungen. Zudem werden mit der geplantennanzierung nicht gesichert ist, kann ich nicht zustimmen. Kappung des Ehegattensplittings traditionelle kinderrei- che Familien mit nur einem Ernährer getroffen, die trotz höherem Verdienst über ein unterdurchschnittliches Pro- Anlage 6 Kopf-Einkommen verfügen. Die notwendige besondere Förderung von Mehrkinderfamilien sieht der Gesetzes- Erklärungen nach § 31 GO entwurf nicht vor. Nach der amtlichen Statistik beträgt die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei Frauen mit der Abgeordneten Renate Blank (CDU/CSU) zwei oder mehr minderjährigen Kindern überproportio- zur Abstimmung über den von den Fraktionen nal 37,8%. Dies ist ein Indiz für die Notwendigkeit be- der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- sonderer Hilfen für Mehrkinderfamilien. gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) Wir fordern von der Bundesregierung eine umfassen- de Konzeption zur Ermutigung der Familien. Familien Die vorgesehene Kindergelderhöhung ist nicht geeig- (B) in Deutschland brauchen eine Steuerreform, die diesen net, die Situation der Familien in Deutschland nachhal- (D) Namen verdient, eine Verbesserung des Erziehungs-tig zu verbessern. Als Ergebnis der geplanten Ökosteuer geldes, eine gerechte Anerkennung der Erziehungslei- werden vielen Familien zum Teil höhere Beträge wieder stung in der Altersversorgung und mehr gesellschaftli- genommen werden. Familien profitieren nicht durch che Anerkennung statt Gleichschaltung mit Lebensge- Umverteilungsprogramme, sondern nur durch nachhalti- meinschaften aller Art. ge Entlastungen. Zudem werden mit der geplanten Kap- pung des Ehegattensplittings kinderreiche Familien mit nur einem Ernährer getroffen, die trotz höherem Ver- Anlage 4 dienst über ein unterdurchschnittliches Pro-Kopf-Ein- kommen verfügen. Die notwendige besondere Förde- Erklärung nach § 31 GO rung von Mehrkinderfamilien sieht der Gesetzesentwurf nicht vor, nachdem das Kindergeld nur für die ersten des Abgeordneten Max Straubinger (CDU/CSU) zwei Kinder erhöht werden soll. zur Abstimmung über den von den Fraktionen Deshalb ist der zur Beschlußfassung vorliegende Ge- der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- setzentwurf nicht angetan, die Situation von Familien gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- mit Kindern zu verbessern. Ich lehne den Gesetzentwurf setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) deshalb ab, weil nicht alle Kinder durch die Kindergeld- Nachdem das Kindergeld nur für die ersten zwei Kin- erhöhung erfaßt werden. der erhöht wird, werden Familien mit mehr als zwei Kindern indirekt benachteiligt. Besonders durch die Ein- führung der geplanten Öko-Steuern auf Strom, Gas,Anlage 7 Heizöl und Treibstoff werden Familien mit mehreren Erklärung nach § 31 GO Kindern stärker belastet als Familien ohne Kinder bzw. mit nur einem Kind oder zwei Kindern. des Abgeordneten Gert Willner (CDU/CSU) Deshalb ist der zur Beschlußfassung vorliegende Ge- zur Abstimmung über den von den Fraktionen setzentwurf nicht angetan, die Situation von Familien der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- mit Kindern wesentlich zu verbessern. gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) Ich lehne den Gesetzentwurf deshalb ab, weil nicht alle Kinder durch die Kindergelderhöhung bessergestellt Ich bin für eine Erhöhung des Kindergeldes, soweit werden. die Finanzierung solide gesichert ist. Nach dem vorlie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998 741

(A) (C) genden Gesetzentwurf gemäß Drucksache 14/125 erge- Anlage 10 ben sich für die im Gesetzentwurf genannten Maßnah- men nicht finanzierte Belastungen von 7,1 Milliarden Erklärung nach § 31 GO DM allein im Entstehungsjahr. der Abgeordneten Kurt J. Rossmanith und Heinz Eine Erhöhung des Kindergeldes kann nur in einem Schemken (beide CDU/CSU) solide finanzierten Gesamtkonzept, aber nicht etwa durch eine höhere Verschuldung entschieden werden. zur Abstimmung über den von den Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Da die Finanzierung nicht gesichert ist, kann ich nicht gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- zustimmen. setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) Die vorgesehene Kindergelderhöhung ist nicht geeig- net, die Situation der Familien in Deutschland nachhal- Anlage 8 tig zu verbessern. Als Ergebnis der geplanten Ökosteuer werden vielen Familien zum Teil höhere Beträge wieder Erklärung nach § 31 GO genommen werden. Familien profitieren nicht durch Umverteilungsprogramme, sondern nur durch nachhal- des Abgeordneten Wilhelm-Josef Sebastiantige Entlastungen. Zudem werden mit der geplanten (CDU/CSU) Kappung des Ehegatten-Splittings kinderreiche Familien zur Abstimmung über den von den Fraktionen mit nur einem Ernährer getroffen, die trotz höherem der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Verdienst über ein unterdurchschnittliches Pro-Kopf- gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- Einkommen verfügen. Die notwendige besondere Förde- setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) rung von Mehrkinderfamilien sieht der Gesetzentwurf nicht vor. Nach der amtlichen Statistik beträgt die Zahl Ich bin für eine Erhöhung des Kindergeldes, soweit der Schwangerschaftsabbrüche bei zwei oder mehr min- die Finanzierung solide gesichert ist. Nach dem vorlie- derjährigen Kindern überproportional 37,8 Prozent. Dies genden Gesetzentwurf auf Drucksache 14/125 ergeben ist ein Indiz für die Notwendigkeit besonderer Hilfen für sich für die im Gesetzentwurf genannten MaßnahmenMehrkinderfamilien. nicht finanzierte Belastungen von 7,1 Milliarden DM allein im Entstehungsjahr. Deshalb müssen wir diesen völlig unzulänglichen und mit „heißer Nadel gestrickten“ Gesetzentwurf ablehnen. Eine Erhöhung des Kindergeldes kann nur in einem solide finanzierten Gesamtkonzept, aber nicht etwa Wir fordern vielmehr von der Bundesregierung eine (B) durch eine höhere Verschuldung entschieden werden. umfassende Konzeption zur Ermutigung der Familien.(D) Familien in Deutschland brauchen eine Steuerreform, Da die Finanzierung nicht gesichert ist, kann ich dem die diesen Namen verdient, eine Verbesserung des Er- Steuerentlastungsgesetz auf Drucksache 14/125 nichtziehungs- und Kindergeldes, eine gerechte Anerkennung zustimmen. der Erziehungsleistung in der Altersversorgung und mehr gesellschaftliche Anerkennung statt Gleichschal- tung mit Lebensgemeinschaften aller Art. Anlage 9 Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Erklärung nach § 31 GO (CDU/CSU) der Abgeordneten Wolfgang Dehnel, Gerald Weiß zur Abstimmung über den von den Fraktionen (Groß-Gerau) und Dr.-Ing. Rainer Jork (alle der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- CDU/CSU) gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- zur Abstimmung über den von den Fraktionen setztes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- Ich bin für eine Erhöhung des Kindergeldes, soweit gebrachten Entwurf eines Steuerentlastungsge- die Finanzierung solide gesichert ist. Nach dem vorlie- setzes 1999/2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) genden Gesetzesentwurf auf Drucksache 14/125 ergeben Wir werden uns bei der von der Bundesregierung sich für die im Gesetzesentwurf genannten Maßnahmen vorgeschlagenen Kindergelderhöhung aus folgenden nicht finanzierten Belastungen von 7,1 Milliarden DM Gründen der Stimme enthalten: allein im Entstehungsjahr. Erstens. Die CDU/CSU-Fraktion ist generell für eine Eine Erhöhung des Kindergeldes kann nur in einem Besserstellung von Familien, während durch die von der soliden finanzierten Gesamtkonzept, aber nicht etwaBundesregierung vorgesehene Energiesteuer aber ein- durch eine höhere Verschuldung entschieden werden. deutige Nachteile gerade für Familien entstehen. Da die Finanzierung nicht gesichert ist, kann ich dem Zweitens. Besonders Familien mit geringem Ein- Steuerentlastungsgesetz auf Drucksache 14/125 nichtkommen werden in besonderer Weise einen noch höhe- zustimmen. ren Ausgleich für noch höhere Ausgaben benötigen. 742 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 12. Sitzung. Bonn, Freitag, den 4. Dezember 1998

(A) (C) Drittens. Ostdeutsche Familienhaushalte müssen zwar Die Anhebung des Grundfreibetrages muß jedoch auf die gleichen Ausgaben tätigen wie westdeutsche, haben ein Niveau erfolgen, das eine menschenwürdige Exi- aber im Durchschnitt nur zwei Drittel der Einkommen stenz gewährleistet. Nach Ansicht von Sozial- und der westdeutschen Familien zur Verfügung. Sie trifft die Wohlfahrtsverbänden, die wir unterstützen, beträgt diese Energiesteuer auch wegen der höheren Energiepreise in Höhe zur Zeit mindestens 17 000 DM. Um die Vorga- Ostdeutschland in verstärkter Weise. ben des Bundesverfassungsgerichtes zu berücksichtigen, wonach das Einkommen in der Höhe des Existenz- Viertens. Die relativ geringe Kindergelderhöhung ist minimums von der Einkommenssteuer befreit werden nicht für eine Besserstellung von Familien geeignet. muß, sind weder die bereits beschlossenen 13 020 DM, Fünftens. Die Kindergelderhöhung ist nach jetzigem noch die von der PDS geforderten 15 000 DM aus- Stand haushaltspolitisch nicht abgesichert. Die Bundes- reichend. Auch wenn die Erhöhung auf 15 000 DM eine regierung kann auf keine schlüssige Gegenfinanzierung Verbesserung der momentanen Situationen darstellt, verweisen. Schon allein aus diesem Grund können wir geht dieser Schritt dennoch nicht weit genug. dem vorliegenden Entwurf nicht zustimmen. Im Inter- esse eines Signals für eine verbesserte haushaltsgesi- cherte Familienpolitik werden wir und deshalb derAnlage 13 Stimme enthalten. Amtliche Mitteilung ohne Verlesung Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Anlage 12 mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU- Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Erklärung nach § 31 GO Parlament zur Kenntnis genommen oder von einer Be- ratung abgesehen hat. der Abgeordneten Sabine Jünger und Christina Schenk (beide PDS) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Drucksache 13/11106 Nr. 2.10 zur Abstimmung über den Entschließungsan- Drucksache 13/11106 Nr. 2.13 trag der Fraktion der PDS auf Drucksache Drucksache 13/11106 Nr. 2.14 Drucksache 13/11106 Nr. 2.15 14/137 zu dem von den Fraktionen SPD und Drucksache 13/11106 Nr. 2.16 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Drucksache 13/11106 Nr. 2.23 Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes 1999/ Drucksache 13/11106 Nr. 2.25 Drucksache 13/11204 Nr. 1.4 2000/2002 (Tagesordnungspunkt 8) Drucksache 13/11204 Nr. 2.5 (B) Drucksache 13/11204 Nr. 2.8 (D) Wir haben uns heute in der Abstimmung zum Antrag Drucksache 13/11204 Nr. 2.14 der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Heidemarie Ehlert, Drucksache 13/11204 Nr. 2.15 Dr. Christa Luft, Dr. Uwe-Jens Rössel, Dr. Gregor Gysi Drucksache 13/11409 Nr. 1.4 Drucksache 13/11409 Nr. 1.13 und der Fraktion der PDS auf Drucksache 14/137 der Drucksache 13/11409 Nr. 1.14 Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrages der Stim- Drucksache 13/11409 Nr. 2.32 me enthalten. Drucksache 13/11409 Nr. 2.38 Drucksache 13/11409 Nr. 2.39 Dazu erklären wir folgendes: In o. g. Antrag wird Drucksache 13/11409 Nr. 2.40 Drucksache 13/11409 Nr. 2.62 eine Erhöhung des steuerlichen Grundfreibetrages zum Drucksache 13/11409 Nr. 2.67 1. Januar 1999 auf 15 000 DM gefordert. Drucksache 13/11409 Nr. 2.69

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