Plenarprotokoll 13/67

Deutscher -

Stenographischer Bericht

67. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tages Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5736 A ordnung 5727 A Dr. F.D.P 5737 B Absetzung des Punktes III j von der Tages Hans Büttner (Ingolstadt) SPD . . . 5739 B ordnung 5727 B Dr. , Bundesminister AA . 5741 B Heidemarie Wieczorek-Zeul SPD . . . 5743 D Nachträgliche Ausschußüberweisung . 5727 B Eckart Kuhlwein SPD 5744 B, 5751 C Begrüßung des Außenministers von Costa Dr. (München) CDU/CSU . . 5746 D, Rica, Herrn Dr. Fernando Naranjo, und 5751B, 5751 D einer Delegation 5796 D Eckart Kuhlwein SPD 5747 B Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F.D.P. 5749 D Tagesordnungspunkt I: Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/ Fortsetzung der zweiten Beratung des DIE GRÜNEN 5752B, 5757 B von der Bundesregierung eingebrach- Dr. F.D.P. . . . . 5756 D ten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans Dr. F.D.P 5758 B für das Haushaltsjahr 1996 (Haushalts- PDS 5759 D gesetz 1996) (Drucksachen 13/2000, Dr. , Bundeskanzler . . . 5761 B 13/2593) 5727 C Antje Hermenau BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN 5769 D Einzelplan 04 SPD 5770 B Bundeskanzler und Bundeskanzleramt Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . 5778B (Drucksachen 13/2604, 13/2626) . . . 5727 C Günter Verheugen SPD 5779 B in Verbindung mit Ingrid Matthäus-Maier SPD 5781 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Einzelplan 05 NEN 5784 A Auswärtiges Amt (Drucksachen 13/2605, F.D.P. 5785 A 13/2626) 5727 D Joseph Fischer (Frankfurt) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5785 C in Verbindung mit Dr. PDS 5786 D Einzelplan 14 Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 5790B Bundesministerium der Verteidigung Ernst Kastning SPD 5792A, 5799 B (Drucksachen 13/2614, 13/2626) . . . 5727 D CDU/CSU 5792 D Günter Verheugen SPD 5728A, 5751 B Jürgen Koppelin F.D.P 5793 C CDU/CSU 5732 D Dr.-Ing. Paul Krüger CDU/CSU 5796 D II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 5798D g) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Stephan Hilsberg SPD 5799 C Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Eckart Kuhlwein (Erklärung nach § 31 Änderung des Fleischhygienegesetzes (Drucksache 13/2904) GO) . . . . ...... . . . . . 5800C 5804 D- h) Antrag des Bundesministeriums der Dr. Peter Struck (Erklärung nach § 31 GO) 5801 A Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 Namentliche Abstimmungen . . 5800B, 5801 C Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung zur Veräußerung der von den briti- Ergebnisse 5802A, 5807 A schen Streitkräften freigegebenen bun- deseigenen Wohnsiedlung in Werl (Drucksache 13/2650) 5805 A Tagesordnungspunkt III: i) Antrag des Bundesministeriums der Überweisungen im vereinfachten Ver- Finanzen: Einwilligung gemäß § 64 fahren Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseige- a) Erste Beratung des von der Bundesre- nen Liegenschaft in Leipzig, Essener gierung eingebrachten Entwurfs eines Straße 1-3, an den Freistaat Sachsen Gesetzes zur Änderung des Gesetzes (Drucksache 13/2678) ...... 5805 A über die Errichtung eines Umweltbun- desamtes (Drucksache 13/2687) . . . 5804 B Zusatztagesordnungspunkt i: b) Erste Beratung des von der Bundesre- Weitere Überweisungen im vereinfach- gierung eingebrachten Entwurfs eines ten Verfahren Gesetzes zu dem Abkommen vom a) Erste Beratung des von der Bundesre- 20. März 1995 zwischen der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines publik Deutschland und der Republik Gesetzes zur Änderung des Strafrecht- Polen über den Autobahnzusammen- lichen Rehabilitierungsgesetzes des schluß sowie über den Bau und den Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie- Umbau einer Grenzbrücke im Raum rungsgesetzes und des Beruflichen Forst und Erlenholz (Olszyna) (Druck- Rehabilitierungsgesetzes (Drucksache sache 13/2688) 5804 B 13/2838) 5805A c) Erste Beratung des von der Bundesre- b) Antrag der Gruppe der PDS: Grund- gierung eingebrachten Entwurfs eines rechte für die in der Europäischen Gesetzes zu dem Abkommen vom Union lebenden Menschen (Druck- 20. März 1995 zwischen der Bundesre- sache 13/2457) 5805B publik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenz- Tagesordnungspunkt IV: brücken im Zuge der deutschen Bun- Abschließende Beratungen ohne Aus- desfernstraßen und der polnischen sprache Landesstraßen an der deutsch-polni- schen Grenze (Drucksache 13/2689) 5804 C a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs d) Erste Beratung des von der Bundesre- eines Gesetzes zur Änderung des gierung eingebrachten Entwurfs eines Bundeswasserstraßengesetzes (Druck- Gesetzes zu dem Abkommen vom sachen 13/192, 13/1583) 5805C 20. März 1995 zwischen der Bundesre- b) Zweite Beratung und Schlußabstim- publik Deutschland und der Republik mung des von der Bundesregierung Polen über den Zusammenschluß der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes deutschen Bundesstraße B 97 und der zu dem Internationalen Kaffee-Über- polnischen Landesstraße 274 sowie einkommen von 1994 (Drucksachen über den Bau einer Grenzbrücke im 13/1667, 13/2648) 5805 C Raum Guben und Gubinek (Druck- sache 13/2690) ...... 5804 C e) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft zu der Un- e) Erste Beratung des von der Bundesre- terrichtung durch die Bundesregierung: gierung eingebrachten Entwurfs eines Bericht der Bundesregierung zum Gesetzes zur Änderung des AGB- Filmförderungsgesetz (Drucksachen Gesetzes (Drucksache 13/2713) . . . 5804 D 13/1666, 13/1899 Nr. 2, 13/2647) . . . 5806 C f) Beschlußempfehlung und Bericht des f) Erste Beratung des von der Bundesre- Finanzausschusses gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlagerung des Sitzes zu der Unterrichtung durch die Bundes des Bundesverwaltungsgerichts von Ber- regierung: Bericht über die Erfahrun lin nach Leipzig (Drucksache 13/2714) 5804 D gen mit der befristeten umsatzsteuer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 III

lichen Übergangsregelung und den Einzelplan 33 Auswirkungen auf den innergemein- Versorgung (Drucksachen 13/2624, 13/ schaftlichen Warenverkehr sowie über 2626) 5823 D den Stand der Bemühungen, zu einer Uta Titze-Stecher SPD 5824 A endgültigen Umsatzsteuer-Regelung im - europäischen Binnenmarkt zu kommen Hartmut Schauerte CDU/CSU . . . 5826 D zu dem Bericht der Kommission an den Dr. Klaus-Dieter Uelhoff CDU/CSU . . 5828 B Rat und das Europäische Parlament: 5831 A, 5831 C Funktionieren der MwSt-Übergangs- Uta Titze-Stecher SPD regelung für den innergemeinschaft- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) F D.P. . 5832A lichen Handelsverkehr (Drucksachen Rezzo Schlauch BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 12/8221, 13/725 Nr. 62, 13/1097, 13/ NEN 5832 B 1096 Nr. 2.1, 13/2673) 5806C Dr. F D P. 5834 B g) Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu der Unterrich- Cem Özdemir BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tung durch die Bundesregierung: Über- NEN 5836 C planmäßige Ausgaben bei Kapitel Dieter Wiefelspütz SPD 5836 D 11 13 Titel 646 11 - Erstattung des So- PDS 5837 C zialzuschlags für Rentenempfänger in dem in Artikel 3 des Einigungsvertra- Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein ges genannten Gebiet (Drucksachen CDU/CSU 5839A 13/2096, 13/2275 Nr. 1.6, 13/2762) . . 5806 C Günter Graf (Friesoythe) SPD 5839 D h) bis i) Beschlußempfehlungen des Peti- CDU/CSU 5842 B tionsausschusses: Sammelübersichten , Bundesminister BMI 5843 B 73 und 74 zu Petitionen (Drucksachen Peter Dreßen SPD 5845 A 13/2765, 13/2766) 5806D Günter Graf (Friesoythe) SPD . . . 5845 D Einzelplan 23 Einzelplan 17 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Bundesministerium für Familie, Senio- (Drucksachen 13/2620, 13/2626) . . . 5809B ren, Frauen und Jugend (Drucksachen Dr. Emil Schnell SPD ...... 5809 C 13/2617, 13/2626) 5846 C Michael von Schmude CDU/CSU . 5812A, 5817B Siegrun Klemmer SPD 5846 D Dr. R. Werner Schuster SPD 5814 B Peter Jacoby CDU/CSU 5850 D Wolfgang Schmitt (Langenfeld) BÜNDNIS Margot von Renesse SPD 5852 B 90/DIE GRÜNEN 5814 D Rita Grießhaber BÜNDNIS 90/DIE GRÜ CDU/CSU 5816 C NEN 5853 A Roland Kohn F.D.P. 5817D Heinz Lanfermann F.D.P. . . . . 5854B, 5857 B Dr. Willibald Jacob PDS 5819C Heidemarie Lüth PDS 5855 D Dr. Uschi Eid BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN ...... 5820B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5856 D Carl-Dieter Spranger, Bundesminister BMZ 5820D Maria Eichhorn CDU/CSU 5858 A Dr. R. Werner Schuster SPD 5822 C , Bundesministerin BMFSFJ 5859A

Einzelplan 06 Nächste Sitzung 5861 C Bundesministerium des Innern (Druck sachen 13/2606, 13/2626) 5823D Anlage in Verbindung mit Liste der entschuldigten Abgeordneten . 5862* A

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67. Sitzung

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Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und Ich rufe die Einzelpläne 04, 05 und 14 auf: Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne hiermit die Sitzung. Einzelplan 04 Bundeskanzler und Bundeskanzleramt Ich gebe bekannt: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um - Drucksachen 13/2604, 13/2626 - die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte er- Berichterstattung: weitert werden. Abgeordnete Helmut Wieczorek (Duisburg) 1. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Roland Sauer (Stuttgart) (Ergänzung zu TOP III) Antje Hermenau a) Erste Beratung des von der Bundesregierung einge- Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Jürgen Koppelin Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, des Verwal- tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und des Be- ruflichen Rehabilitierungsgesetzes - Drucksache 13/ Einzelplan 05 2838 - Auswärtiges Amt b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS: Grundrech- te für die in der Europäischen Union lebenden Men- - Drucksachen 13/2605, 13/2626 - schen - Drucksache 13/2457 - Berichterstattung: Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, so- Abgeordnete Dr. Erich Riedl (München) weit erforderlich, abgewichen werden. Ina Albowitz Eckart Kuhlwein Außerdem ist vereinbart worden, den ohne Aus- Antje Hermenau sprache vorgesehenen Tagesordnungspunkt III j ab- zusetzen. Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Darüber hinaus mache ich auf eine nachträgliche - Drucksachen 13/2614, 13/2626 - Ausschußüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkt liste aufmerksam. Berichterstattung: Abgeordnete Der in der 64. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Oktober 1995 überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf Kurt J. Rossmanith soll nachträglich dem Haushaltsausschuß auch gemäß § 96 Jürgen Koppelin der Geschäftsordnung überwiesen werden: Gesetzentwurf Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. eines Ersten Helmut Wieczorek (Duisburg) Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgeset- zes und anderer Gesetze Ernst Kastning Oswald Metzger - Drucksache 13/2746 - Zum Einzelplan 04 liegen zwei Änderungsanträge Überweisung: der Gruppe der PDS, zum Einzelplan 05 zwei Ände- Ausschuß für Gesundheit (federführend) rungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Innenausschuß und zwei Änderungsanträge der PDS vor. Zum Ein- Finanzausschuß Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung zelplan 14 liegen vier Änderungsanträge der Frak- Haushaltsausschuß mitberatend tion Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Änderungsan- und gemäß § 96 GO trag der Gruppe der PDS vor. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offensicht- Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die lich der Fall. Dann verfahren wir so. Aussprache über den Einzelplan 04 und über einen 5728 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Änderungsantrag zum Einzelplan 14 namentlich ab- In dieser Situation sehe ich keinen Sinn da rin, stimmen werden. noch einmal lange die Frage zu erörtern, wer wann was vielleicht falsch gemacht hat. Jetzt geht es um Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für etwas viel Wichtigeres: Was können wir tun, um dem die gemeinsame Aussprache fünf Stunden vorgese- Frieden auch im ehemaligen Jugoslawien eine Hei-- hen. - Auch hierzu sehe ich keinen Widerspruch. mat zu geben? Ich hoffe, daß wir vom Bundeskanzler Ich eröffne die Aussprache. und vom Außenminister dazu heute mehr hören als eine allgemeine Bestätigung der deutschen Verant- Das Wort hat als erster der Kollege Günter Verheu- wortung und konkrete Aussagen vielleicht nur zu ei- gen. ner möglichen Beteiligung am militärischen Teil der Umsetzung eines Friedensplans. Günter Verheugen (SPD): Frau Präsidentin! Meine Aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion kommt sehr verehrten Damen und Herren! Unsere heutige es jetzt darauf an, vorausschauende Lösungen zu fin- Debatte wird von dem Mord an dem israelischen Mi- den, die nicht nur Bosnien für den Augenblick Frie- nisterpräsidenten Rabin überschattet. Viele von uns den bringen, sondern die gesamte Region stabilisie- haben Yitzhak Rabin persönlich gekannt und wegen ren und keine Konfliktherde übriglassen. seiner mutigen und konsequenten Politik bewundert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Es wird heute noch genug Gelegenheit geben, uns ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu streiten. Aber ich halte es für notwendig, mit ei- Ich weiß, daß das ein anspruchsvolles Ziel ist. Aber nem Thema zu beginnen, das uns nicht nur im Deut- wenn wir es nicht wenigstens ernsthaft versuchen, schen Bundestag verbindet, sondern alle Menschen, werden wir mitverantwortlich für neues Blutvergie- die für Frieden und Versöhnung eintreten. ßen und neue Gewalt. Ich unterscheide deshalb zwi- (Beifall im ganzen Hause) schen humanitärer Hilfe, Wiederaufbauhilfe für Kriegsgebiete und Aufbauhilfe für die gesamte Re- Der fanatische Mörder konnte Yitzhak Rabins Leben gion. vernichten, aber nicht sein Lebenswerk. Humanitäre Hilfe muß überall dort geleistet wer- (Beifall im ganzen Hause) den, wo die Menschen ihrer bedürfen, ganz egal, wer sie sind und wo sie sind. Daß das wahr bleibt, ist unsere über die Tage der Trauer hinausreichende Verantwortung. Wir müssen Für den Wiederaufbau der vom Krieg zerstörten deshalb den Friedensprozeß im Nahen Osten auch Gebiete sind zuerst die Konfliktparteien selbst ver- in der Zukunft mit allen unseren Kräften unterstüt- antwortlich. Wir sollten ihnen großzügig helfen, aber zen. nicht ohne Bedingungen. Beifallbei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN und bei der PDS sowie bei Ab- Solche sind: demokratische Strukturen, Schutz von geordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Minderheiten, Rüstungsverminderung und Gewalt- Für uns Deutsche geht es dabei um mehr als Hilfe verzicht. bei der Beilegung eines beliebigen Konflikts. Der Die politische und wirtschaftliche Stabilisierung Frieden im Nahen Osten wird mehr sein als ein Inter- der gesamten Region reicht über das ehemalige Ju- essenausgleich zwischen Israelis und Palästinensern. goslawien hinaus. Aufbauhilfe für die Region bis hin Er ist eine Existenzbedingung für den Staat Israel, zur Eröffnung einer realistischen europäischen Per- und das geht uns Deutsche direkt und unmittelbar spektive verlangt grenzüberschreitende Kooperation, an. Vertrauensbildung und Abbau von Spannungsursa- chen. Wir wissen aus der Zeit der erfolgreichen Ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne spannungspolitik, daß ein solcher Weg möglich ist. ten der CDU/CSU, der F.D.P., des BÜND Erfahrungen können genutzt werden. Gerade hier NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) kann der deutsche Beitrag besonders ins Gewicht fal- Deshalb kann uns der Mord an Ministerpräsident Ra- len. bin in unserer Entschlossenheit nur bestärken, die Die deutsche und europäische Politik sollte in dem deutsch-israelische Freundschaft als ein besonders in Gang gekommenen Friedensprozeß auf Ausgren- kostbares Gut zu pflegen und zu bewahren. zungen verzichten. Wir wollen nicht den einen für (Beifall im ganzen Hause) gut und den anderen für böse erklären, sondern an einem gemeinsamen Neubeginn aller mitwirken. Meine Damen und Herren, schrecklicher Haß, Dazu gehört auch die Bereitschaft, Serbien-Monte- blind wütende Gewalt, entfesselter Fanatismus - das negro wieder einen Platz in der internationalen Ge- ist eine Realität in dieser Welt. Die Folgen haben wir meinschaft zu geben und entsprechend den Fort- jetzt in Israel erlebt. Seit Jahren erleben wir sie in un- schritten des Friedensprozesses auch die Beziehun- serer Nachbarschaft, im ehemaligen Jugoslawien. gen zu diesem Land, bei dem ein Schlüssel für den Zum erstenmal seit langer Zeit besteht jetzt Hoff- Frieden in der Region liegt, wieder zu entwickeln. nung, daß das Morden, Vertreiben und Plündern ein Die Zeit kann schnell kommen, wo auch Belgrad die Ende findet und daß eine tragfähige Friedensrege- Hand gereicht werden sollte. Es gibt gute Zeichen lung gefunden wird. dafür, daß sie angenommen würde. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5729

Günter Verheugen Meine Damen und Herren, die Hoffnung auf Frie- die NATO in einer noch zu regelnden Verbindung den im ehemaligen Jugoslawien erspart uns nicht mit anderen Staaten das tut, was eigentlich die UNO eine bittere Frage: Warum konnte dieser Krieg nicht oder eine europäische Sicherheitsgemeinschaft tun früher gestoppt werden? Vor allem aber: Was muß müßte, ist aus dem Zwang widriger Umstände gebo- geschehen, damit sich eine solche Tragödie nicht ren und kein auf Dauer tragfähiges Modell. - wiederholt? Europa - das hat sich gezeigt - hat nicht das Maß an Einheit und den Entwicklungsstand sei- (Beifall bei der SPD) ner Institutionen, die es wirklich handlungsfähig ge- Ich kann Ihnen leicht ein Dutzend Konflikte in der macht hätten. Die Vereinten Nationen sind in ihrer Welt aufzählen, wo es so nicht funktionieren würde. politischen und militärischen Handlungsfähigkeit be- Nicht einmal in Europa könnte es überall so gehen. grenzt. Dennoch wäre es falsch, das Engagement der Die NATO ist für eine solche Aufgabe nicht geschaf- Vereinten Nationen als Fehlschlag abzutun. fen. Sie würde auf Dauer daran zerbrechen. Wohl (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne aber kann die NATO eine wichtige Rolle spielen, ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wenn es um die Entwicklung eines europäischen Sicherheitssystems geht. Sie würde in einem solchen Hunderttausende Menschen verdanken dem Han- System nicht überflüssig, sondern könnte es als deln der Vereinten Nationen ihr Leben. Die Friedens- transatlantische Klammer sinnvoll ergänzen. gespräche sind in Gang gekommen, nachdem es un- ter Führung der USA zu einem massiven militäri- Im Augenblick haben wir kein stabiles Sicherheits- schen Eingreifen gekommen war. Aber kann und system, das ganz Europa umfaßt. Wir haben nur darf das unser einziges Konfliktlösungsmodell sein? Bruchstücke. Bis jetzt kann ich nicht erkennen, wie Nein. Wenn der Bosnienkonflikt eines deutlich ge- die Bundesregierung aus den vorhandenen Einzeltei- macht hat, dann dies: Wir brauchen in Europa und in len NATO, OSZE, WEU, GASP, Partnerschaft für den der Welt starke, handlungsfähige Systeme gemeinsa- Frieden usw. ein sinnvolles Ganzes schaffen will. Da mer Sicherheit, denen die Verantwortung für den wird an allen möglichen Ecken gewerkelt, aber ein Weltfrieden und die internationale Sicherheit obliegt Bauplan ist nicht zu erkennen. und die sie zuverlässig wahrnehmen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ulrich So entsteht dieser Eindruck eines heillosen Gewur- Irmer [F.D.P.]) stels, eines sich irgendwie Durchmogelns, das so Davon sind wir weit entfernt. Ich weiß auch nicht, kennzeichnend für die Außenpolitik dieser Regie- ob es in absehbarer Zeit erreichbar ist. Aber es kann rung ist. ein großes gemeinsames Ziel der deutschen und der (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wie europäischen Außenpolitik sein, solche Systeme zu wahr!) schaffen. Wir brauchen Instanzen in Europa und in der Welt, die die Legitimation und die Fähigkeit ha- Die verschiedenen Systeme sinnvoll aufeinander zu ben, die Ursachen von Spannung und Gewalt vor- beziehen, sie anzupassen und zu verändern, wo es beugend zu bekämpfen, Krisen mit politischen Mit- nötig ist, damit sie sich zu einem Ganzen fügen, das teln zu entschärfen und als letzte und äußerste Mög- ist die große außenpolitische Aufgabe von heute. lichkeit Verstöße gegen das Gewaltverbot zu ahn- den. (Beifall bei der SPD) Die Satzung der Vereinten Nationen sieht das al- Für mich ganz und gar unverständlich, werden vor les vor. Sie sieht auch Regionalorganisationen vor, allem die Chancen nicht genutzt, die in einem Aus- die einen Teil ihrer Verantwortung übernehmen kön- bau der OSZE liegen. Der OSZE fehlt das völker- nen. Für mich beantwortet sich die oft gestellte Frage rechtliche Fundament. Wir wollen, daß dieses Funda- nach der deutschen Verantwortung in der Welt so: ment geschaffen und dann Schritt für Schritt eine Unser Land sollte mit seinem ganzen Gewicht und europäische Friedensgemeinschaft entwickelt wird. mit seinem ganzen Einfluß darauf hinwirken, daß die Die Europäische Union befindet sich in einer Vereinten Nationen so handeln können, wie es in ih- schwierigen Phase. Lassen Sie mich zunächst sagen, rer Charta steht, und daß in Europa eine Sicherheits- daß für uns Sozialdemokraten die europäische Ein- gemeinschaft entsteht, die die Konfliktbewältigung heit die alles entscheidende Konstante der deutschen zur gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Staa- Politik überhaupt ist. ten macht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Was ein System kollektiver Sicherheit in seiner Daran darf es keinen Zweifel geben. Es ist kein Zwei- Verantwortung tut, um den Weltfrieden und die in- fel an Europa und an unserem festen Willen zur deut- ternationale Sicherheit zu wahren, das muß jedes schen Integration in Europa, wenn man angesichts Mitglied eines solchen Systems im konkreten Einzel- der jetzt nahe herangerückten Termine an die Bedin- fall unterstützen können, wobei A rt und Ausmaß der gungen der Währungsunion erinnert. Die schrillen Unterstützung selbstverständlich der Entscheidung Reaktionen aus dem Regierungslager auf die Hin- in eigener, nationaler Verantwortung überlassen weise des SPD-Vorsitzenden auf die Modalitäten der bleiben. Währungsunion waren ganz und gar unangebracht. Meine Damen und Herren, die Lösung, die sich für (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ das ehemalige Jugoslawien anbahnt, daß nämlich CSU und der F.D.P.) 5730 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Günter Verheugen Daß die Einhaltung der Stabilitätskriterien wichtiger wie wollen Sie diese Forderung Ihres Parteitages un- ist als der Zeitplan, haben Sie, Herr Bundeskanzler, seren Partnern in der Europäischen Union präsentie- als erster gesagt. Das ist längst Allgemeingut in der ren? Soll das Gegenstand der Regierungskonferenz deutschen Politik. Wir haben 1992 während der werden? Ich würde es begrüßen. Aber was machen Maastricht-Debatte den Parlamentsvorbehalt durch- Sie, wenn Sie diese Nachbesserung nicht erreichen?- gesetzt. Kommt dann die Währungsunion nicht? Sie haben den Vertrag abgeschlossen. Jetzt wollen Sie ihn an- (Beifall bei der SPD - Bundesminister ders. Dr. Theodor Waigel: Ich habe dies selbst vorgeschlagen!) Ich könnte jetzt etwas zu Populismus und D-Mark- - Ja, gegen Sie, Herr Waigel. - Wir wollen, daß der Nationalismus anmerken, aber ich unterlasse das, Bundestag die Verantwortung dafür übernimmt, daß weil die Frage zu ernst ist und weil diese Debatte die gemeinsame europäische Währung keinen Ver- endlich in und mit der deutschen Öffentlichkeit ge- lust an Währungsstabilität bedeuten wird. führt werden muß. Wo denn sonst, wenn nicht hier? (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Geschichtsklitterung, (Beifall bei der SPD) Herr Verheugen!) Unsere Aufgabe ist es, die Deutschen davon zu Der CDU-Parteitag war nicht nur wegen der Ref or- überzeugen, daß die Währungsunion kommen muß, men, denen er sich verweigert hat, interessant; er hat wenn die Bedingungen stimmen. Ich glaube nicht, in diesem Punkt etwas beschlossen, was hier zitiert daß die Deutschen davon schon überzeugt sind. werden muß. Ich zitiere den CDU-Parteitagsbe- ( [Köln] [SPD]: Sehr richtig!) schluß: Voraussetzung für eine gemeinsame europäische Lassen Sie mich zum Schluß noch eines sagen: Na- Währung bleibt die dauerhafte Erfüllung der türlich muß die Europapolitik Gegenstand der De- strengen Stabilitätskriterien des Maastrichter batte in Deutschland sein. Wir haben sie nicht zu oft, Vertrages. Die Sicherung einer dauerhaft inte- sondern zu selten geführt. grierten Wirtschafts- und Finanzpolitik der Mit- (Beifall bei der SPD - Helmut Wieczorek gliedstaaten im europäischen Währungsgebiet ist [Duisburg] [SPD]: So ist es!) Voraussetzung für eine funktionierende Wäh- rungsunion. Europa braucht Europäer, und die gewinnt man durch Überzeugungsarbeit und nicht durch Gezerre Wenn diese Worte einen Sinn haben, dann bedeuten hinter verschlossenen Türen. sie, daß Maastricht nachgebessert werden muß; denn so steht es nicht im Vertrag. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Zur Diskussion steht heute die Gesamtpolitik der Wir haben seinerzeit kritisiert, daß das nicht im Ver- Bundesregierung. Wenn man Ihnen, Herr Bundes- trag steht. kanzler, außen- und sicherheitspolitisch noch zugute halten kann, daß es eine Reihe von großen Fragen (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Warum haben Sie zu gibt, auf die noch niemand eine endgültige Antwort gestimmt?) hat, und selbst Sie eine neue Weltordnung nicht im Alleingang schaffen können, - Auf diesen Zwischenruf, Herr Irmer, habe ich ge- wartet. Ich habe genau hier hingeschrieben: „Zwi- (Lachen bei der SPD - Bundesminister schenruf Irmer: Warum haben Sie zugestimmt?". Dr. Theodor Waigel: Aber wenn, dann er!) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem so sieht Ihre innenpolitische Bilanz heute schlimmer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS) aus denn je. Das kann man nach 13 Jahren Regie- Herr Irmer, wie sähe Europa heute aus, wenn der von rung Kohl mit Bestimmtheit sagen: dieser Regierung ausgehandelte und unterschrie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bene Vertrag an Deutschland und in Deutschland an der SPD gescheitert wäre? Das ist der Grund gewe- Ihre Politik hinterläßt tiefe Spuren der Beschädigung sen: Aus staatspolitischer Verantwortung haben wir in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen. Nach Ih- diesem Vertrag zugestimmt. nen wird einer lange Zeit schwer aufräumen müssen. (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ (Beifall bei der SPD) CSU und der F.D.P.) In der alles entscheidenden Frage der Beschäfti- - Da lachen Sie. Ihre Regierung, Herr Bundeskanz- gungspolitik sind Sie ein Kanzler der Untätigkeit. ler, war damals nicht einmal in der Lage, die verfas- sungsmäßigen Voraussetzungen für die Ratifizierung (Beifall bei der SPD) des Vertrags zu schaffen. Diese Arbeit haben wir für Sie gemacht. Die Wurzel fast allen nationalen Übels bei uns ist die (Beifall bei der SPD) zu hohe Arbeitslosigkeit. Die jüngsten Zahlen von Ende Oktober zeigen: Die Arbeitslosigkeit liegt, mit Aber jetzt will ich etwas von Ihnen wissen, Herr steigender Tendenz, über der des Vorjahres. Sie ko- Bundeskanzler und CDU-Vorsitzender: Wann und stet jetzt 130 Milliarden DM im Jahr. Das Hauptziel Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5731

Günter Verheugen der Regierungspolitik müßte sein: Arbeitsplätze, Ar- Von ökologischer Steuerreform ist bei Ihnen beitsplätze und noch einmal Arbeitsplätze. keine Rede mehr. Sie lassen auch hier die Dinge lau- fen und denken wohl: Soll doch die nächste Genera- (Beifall bei der SPD) tion auch noch etwas zu tun haben. Und damit wir es Aber Sie überlassen das Problem dem Selbstlauf der nicht vergessen: Einen beklagenswerten Wechsel- - Wirtschaft. Die ist an ihren Kosten und Erträgen in- balg von Ozongesetz haben Sie zustande gebracht, teressiert. Ich stelle das nur fest; das ist ja nun einmal in den Werten und technischen Erfordernissen so so. Für eine aktive Beschäftigungspolitik zu sorgen sehr manipuliert, daß kein Gesetz besser gewesen wäre Ihre Aufgabe. wäre als dieses. Man kann noch nicht einmal sagen, daß die Jahrhundertaufgabe der ökologischen Er- (Beifall bei der SPD) neuerung der Industriegesellschaft bei Ihnen in schlechten Händen wäre. Sie haben diese Aufgabe Ungenutzte Möglichkeiten gibt es zuhauf: regio- überhaupt noch nicht erkannt. nale Strukturpolitik, mehr Forschung, mehr Qualifi- zierung, ökologischer Umbau. Das alles könnten Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- tun oder wenigstens fördern. Statt dessen kommen ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sie uns mit dem Ladenschluß, der - so wie Sie es Sie sind ein Kanzler der Wohnungsnot geworden. jetzt angelegt haben - beschäftigungspolitisch zu Es fehlen mehr als 2 Millionen Wohnungen, vom Sa- nichts anderem führen wird als einer uferlosen Ver- nierungsbedarf in Ostdeutschland ganz zu schwei- mehrung der 580-Mark-Jobs zu Lasten ordentlicher gen. Den sozialen Wohnungsbau haben Sie schon Teilzeitarbeitsverhältnisse. ruiniert, der freifinanzierte geht jetzt auch den Bach (Beifall bei der SPD - Dr. Hermann Otto runter, wie die Verbände der Wohnungswirtschaft Solms [F.D.P.]: Bei jeder konkreten Maß und der Bauindustrie übereinstimmend sagen. Und nahme blockieren Sie!) als hätten Sie die Mieter mit einer Politik, die bezahl- baren Wohnraum zu Mangelware macht, nicht schon Viel redet diese Regierung von der Globalisierung genug geängstigt, verkaufen Sie jetzt mal soeben der Märkte und der damit verbundenen Risiken. Da- 48 000 Bundeswohnungen. gegen müßten Sie auf die Innovationsfähigkeit un- serer Volkswirtschaft setzen, auf das Potential unse- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Unglaublich!) rer Wissenschaftler und Techniker. Aber hier sind Sie In diesen Wohnungen leben Menschen mit meist ge- ein Kanzler des Stillstands, der in sich ruht wie ein ringem Einkommen. Was glauben Sie wohl, wie chinesischer Buddha. diese Mieter über Ihre Regierungskunst und die (Lachen und Beifall bei der SPD - Bundes Chaostruppe im Finanzministerium denken? kanzler Dr. Helmut Kohl: Gefällt mir!) (Beifall bei der SPD - Bundesminister - Es gefällt Ihnen? Dr. Theodor Waigel: Wo waren denn die Chaostage?) (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Das ge Sie sind der Kanzler der Höchstbesteuerung ge- fällt mir sehr gut!) worden. Im Durchschnitt sind die Einkommen jetzt Deutschland fällt als Forschungsstandort zurück. bei einer Steuer- und Abgabenquote von 48 Prozent Sie haben Kapazitäten zerstört, statt neue zu entwik- angekommen, fast 10 Prozent mehr als zu Beginn Ih- keln. In unserem Land stecken große Kräfte. Aber rer Regierungsarbeit. Haben wir von Ihnen nicht ein- Sie bringen es nicht fertig, sie freizusetzen. mal gehört, daß sich Leistung wieder lohnen soll? Sollte das eine sportpolitische Aussage gewesen ( [CDU/CSU]: Sie sind freige sein, war Tennis gemeint, Herr Bundeskanzler? setzt worden!) (Heiterkeit bei der SPD)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Darf ich um mehr Aber Sie haben die Steuerlast nicht nur erhöht, Sie Ruhe im Saal bitten! Man kann den Redner kaum haben sie auch anders verteilt, mit dem Ergebnis, mehr verstehen. daß die Normalverdiener heute wesentlich mehr zum Gesamtsteueraufkommen beitragen müssen als je- mals zuvor. Es paßt ins Bild, daß es bei der Einkom- Günter Verheugen (SPD): Umweltpolitisch sind Sie mens- und Vermögensentwicklung genau umge- der Kanzler des gebrochenen Wortes. kehrt ist: Da sinkt der Anteil der Normalverdiener. Damit sind Sie auch noch zum Kanzler der Ungerech- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tigkeit geworden. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD) Ihre gegenüber der internationalen Gemeinschaft gemachte, in diesem Jahr erst erneuerte Zusage, ei- Der Kanzler der Höchstverschuldung sind Sie ja nen deutschen Beitrag zur Vermeidung der Klimaka- schon lange. Angetreten waren Sie mit dem Verspre- tastrophe zu leisten und bis 2005 den CO2-Ausstoß chen, die Staatsverschuldung abzubauen. Allein in um 25 Prozent zu senken, ist nicht mehr zu erfüllen. der Amtszeit des jetzigen Finanzministers haben Sie Das sagen Ihre eigenen Experten. Sie haben auch die Schulden- und Zinslast verdoppelt. Jede vie rte nichts dafür getan. Auf der Habenseite steht eine Steuermark wird im nächsten Jahr für das Zahlen von schwächliche Wärmeschutzverordnung, sonst nichts. Zinsen verbraucht. Haben Sie sich eigentlich einmal 5732 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Günter Verheugen überlegt, was das gesellschaftspolitisch bedeutet, len Wirkungen politischer Ursachen, die Sie geschaf- wer die Steuern bezahlt und wer die Zinsen be- fen haben. kommt? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Dr. [F.D.P.]: Haben ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Sie was von der deutschen Einheit gehört? - und der PDS) - Michael Glos [CDU/CSU]: Halten Sie ein Nachher werden Sie sich hierherstellen und fragen: mal eine ordentliche Abschiedsrede, Herr Von welchem Land redet denn die SPD? Schauen Sie Verheugen!) sich doch um: Den Leuten geht es gut. Was wollen Mit verband sich einmal die Devise: Sie denn? - Ja, es ist wahr. Den meisten Menschen in Wohlstand ist für alle da. Das haben Sie mit Ihrer unserem Land geht es, verglichen mit anderen Län- Politik gründlich widerlegt. dern, gut. (Beifall bei der SPD) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ihnen geht es nicht so gut!) Mit Ihrer Schuldenpolitik verschieben Sie die Finan- Aber es sind zu viele, denen es nicht gut geht, meine zierungsprobleme auf spätere Generationen. Ihr En- Damen und Herren. kel möchte man wirklich nicht sein. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der SPD - Bundesminister ten der PDS) Dr. Theodor Waigel: Eine lustige Rede!) Wir dürfen nicht nur die sehen, die im Lichte stehen. Gelegentlich denken Sie auch ans Sparen, aber da Wir müssen auch die sehen, die auf die Schattenseite fallen Ihnen immer nur diejenigen ein, die es ohne- der glitzernden Wohlstandsfassaden abgedrängt hin am schwersten haben. So soll es auch weiterge- sind. Der Staat ist nicht in erster Linie für die Starken hen: Arbeitslosenhilfe gekürzt, Arbeitsbeschaf- da; seine besondere Fürsorge muß den Schwachen fungsmaßnahmen für Arbeitslose zusammengestri- gelten. chen, alleinerziehenden Müttern die Hilfe wegge- nommen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) In diesem Jahr haben Sie sich einen weiteren Platz im Buch der Rekorde erworben: Sie haben das größte Wir wollen eine humane Gesellschaft, in der jeder Haushaltsloch produziert, das diesem Parlament je- seine gerechte Chance hat, aber die Politik dieser Re- mals eingestanden werden mußte. So sind Sie in Ih- gierung schafft Chancen nicht, sondern zerstört sie rer Regierungszeit wenigstens bei den Löchern zur für zu viele. Wer das nicht sehen will oder die Ziel- Weltspitze aufgestiegen: gruppen der Fernsehwerbung für die ganze gesell- schaftliche Wirklichkeit hält, der leidet an einem ge- (Heiterkeit bei der SPD) fährlichen Realitätsverlust. Sie haben das tiefste Loch, nämlich in Windisch- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph eschenbach in der Oberpfalz, und Sie haben das Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- größte Loch, und zwar in Ihrem Haushalt, meine Da- NEN]) men und Herren. Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland sind vi- (Beifall bei der SPD) tal und kreativ genug, um die großen Probleme zu bewältigen. Was die Gestaltungs- und Antriebskräfte Wissen Sie was: Sie haben einen Finanzminister, lähmt, ist die Politik einer Regierung, von der auch der mit Geld nicht umgehen kann. nicht der Hauch jener Aufbruchstimmung ausgeht, die wir zur Gestaltung unserer Zukunft brauchen. (Lebhafter Beifall bei der SPD) (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall Nein, er kann mit Geld nicht umgehen. Wäre er der beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ina Al- Chef einer Bank, würden seine Schalter von der bowitz [F.D.P.]: Aber von Ihnen!) Bankenaufsicht geschlossen. Wir kennen die Methoden, Herr Bundeskanzler, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster mit denen Sie die Ergebnisse Ihrer Politik vergessen spricht der Kollege Rudolf Seiters. machen wollen. Auf Parteitagen beklagen Sie die ge- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sellschaftlichen Folgen Ihrer Politik, fordern mehr DIE GRÜNEN]: Rudi Ratlos!) Verantwortung und Gemeinsinn und tun so, als hät- ten Sie nichts damit zu schaffen, daß diese Tugenden selten geworden sind. Rudolf Seiters (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach dieser Rede des (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Kollegen Verheugen weiß ich endlich, warum er als ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Generalsekretär und Bundesgeschäftsführer der SPD gescheitert ist. Ich sage Ihnen: Jugendkriminalität, Gewaltbereit- schaft, Rücksichtslosigkeit, zügellose Gewinnsucht - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - das alles fällt nicht vom Himmel. Das sind die sozia- Zuruf von der SPD: Und Sie als Minister!) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5733

Rudolf Seiters - Habe ich leider nicht verstanden. sind Schröder und Lafontaine die Weltmeister im Schuldenmachen. Das ist die Wahrheit. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vorsicht, Herr Innenmini- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ster, sagt er!) Schröders Wahlkampfversprechen vor einem Jahr:- Manchmal haben unterschiedliche Mehrheiten im Wir machen jedes Jahr weniger Schulden. Zur Zeit Deutschen Bundestag und in den Ländern auch et- sieht es so aus: Die Staatsverschuldung steigt und was Gutes. Man kann nämlich auf die alte christliche steigt und steigt. Ich sage das deswegen, weil es je- Weisheit zurückgreifen, daß man Leute an ihren Ta- der Glaubwürdigkeit entbehrt, wenn Sie vor diesem ten mißt und nicht an ihren Sprüchen. Hintergrund eine auch im internationalen Maßstab erfolgreiche Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge dieser Bundesregierung angreifen, während Sie ordneten der F.D.P.) selbst dort, wo Sie mit absoluter Mehrheit nach so- zialdemokratischen Vorstellungen handeln und ent- Ich finde es schon ein starkes Stück, daß die Spre- scheiden können, auf geradezu klägliche Weise ver- cher der SPD gestern und heute hier im Deutschen sagen. Bundestag ein Horrorszenario von sozialer Kälte und finanzpolitischem Niedergang malen, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Widerspruch bei der SPD) (Widerspruch bei der SPD) Noch toller finde ich eigentlich, daß Sie - ich sage während ausgerechnet in den Ländern, in denen die das noch einmal -, die Weltmeister im Schuldenma- SPD mit absoluter Mehrheit regiert, die Schulden ex- chen, sich zu Hütern der Geldwertstabilität aufspie- plodieren und eine soziale Leistung nach der ande- len, wenn es um das Thema Wirtschafts- und Wäh- ren gekürzt wird. Das ist die Wahrheit. rungsunion geht. Das ist schon ein starkes Stück. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Soviel Ich möchte ein Beispiel Ihres ehemaligen wirt- Schulden wie Sie hat noch keiner gemacht!) schaftspolitischen Sprechers nennen. Die SPD in Nie- dersachsen streicht und kürzt gegenwärtig, was das Ich beziehe mich jetzt auf ein Interview mit Zeug hält: bei den Krankenhäusern, den Sozialstatio- Gerhard Schröder, der die Meßlatte immer höher nen, beim sozialen Wohnungsbau, bei den behinder- legt. ten Menschen, den psychisch Kranken, den Obdach- (Zustimmung des Abg. Dr. Wolfgang losen und den Blinden. Sie wissen nicht, was in Schäuble [CDU/CSU]) Deutschland los ist, sonst müßte ich sagen: Heuche- lei, dein Name ist SPD. Er fing damit an, der Bundeskanzler müsse wissen, daß er scheitere, wenn Italien bei der Währungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) union nicht dabei sei. (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Herr Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Sei- Waigel schämt sich schon! Er ist rausgegan- ters, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen gen!) Larcher? Dann hat er geradezu unverhohlene und offene Be- geisterung gezeigt, endlich ein nationales Wahl- Rudolf Seiters (CDU/CSU): Nein. - Der Paritäti- kampfthema gefunden zu haben. Heute sagt er, die sche Wohlfahrtsverband hat in diesen Tagen der Währungsunion könne nicht zustande kommen; der SPD-Alleinregierung in Niedersachsen geschrieben, Zeitplan müsse verschoben werden, wenn Italien, er sei bestürzt über die konzeptionslose, verworrene Spanien oder Großbritannien nicht dabei wären. und sparwütige Sozial- und Jugendpolitik in Nie- dersachsen. Planvolles und verläßliches Handeln sei Sie kennen doch auch die besorgten Stimmen aus nicht mehr feststellbar. Ihrer eigenen Partei zu dieser Kampagne. Was heißt es denn, wenn der Präsident des Europäischen Parla- (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! - ments, Klaus Hänsch, SPD, sagt: Widerspruch bei der SPD) Ich kann die SPD nur davor warnen, die Ängste Der Deutsche Gewerkschaftsbund, der DGB-Lan- der Bevölkerung vor der geplanten Einführung desbezirk Niedersachsen/Bremen, wirft der SPD-Al- der EU-Währungsunion zum Wahlkampfthema leinregierung in Niedersachsen vor, in der Arbeits- zu machen. Die SPD kann auf einer nationalisti- marktpolitik sei Niedersachsen Schlußlicht unter al- schen Welle keine Wahlen gewinnen. len Bundesländern. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ordneten der F.D.P.) Was heißt es denn, wenn er sagt: „Da werden die Niedersachsen und das Saarland - ausgerechnet die Balken des eigenen Hauses verbrannt"? beiden Länder mit absoluter SPD-Mehrheit - sind unter den deutschen Flächenländern die Spitzenrei- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört! ter in Sachen Arbeitslosigkeit. In der Finanzpolitik Hört!) 5734 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Rudolf Seiters Was heißt es denn, wenn sagt: „Ich Deutschland konsequent für den Beitritt dieser Län- warne vor Stammtischdebatten" und wenn der thü- der zur NATO und zur Europäischen Union einsetzt. ringische Europaabgeordnete von ei- rich Irmer [F.D.P.]) nem „Schlag unter die Gürtellinie" spricht, der um so (Beifall des Abg. Ul unverständlicher sei, als Scharping ja auch Vorsit- Deutschland ist Partner Rußlands bei dessen- zender der europäischen Sozialdemokraten sei. schwerem Weg von der Diktatur zu Demokratie und Das ist ein massiver Fehler, das kann ich nicht Marktwirtschaft. Unstreitig ist auch, daß Deutsch- land hohes Ansehen in den Ländern der dritten und mehr als Ausrutscher werten. vierten Welt genießt. Wie wäre es wohl um das Anse- Wulf-Mathies und viele andere haben sich geäu- hen Deutschlands bestellt, wenn Verheugen unsere ßert . Ich appelliere an Sie, diese Kampagne einzu- deutschen Interessen bei der NATO, Lafontaine in stellen. Ich warne die SPD, dieses zentrale Anliegen Washington, Gerhard Schröder als Menschenrechts- als Wahlkampfverfügungsmasse zu betrachten. experte in Peking und Heide Wieczorek-Zeul in Pa ris vertreten würden? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zurufe von der SPD: Besser!) Nun zu den außenpolitischen Thesen des Kollegen Verheugen. Ich denke, daß die Außen- und Sicher- Wie wäre es wohl um unsere deutschen Interessen heitspolitik eines der klassischen Beispiele dafür ist, bestellt? wie isoliert die Sozialdemokratische Partei Deutsch- lands ist und wie unrealistisch ihre Positionen sind. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vor kurzem hat der „Vorwärts" vor einem Militaris- mus in der deutschen Außenpolitik gewarnt. Das ist Wir können uns keine außenpolitische Sonder- wirklich abwegig. rolle und keine bündnispolitischen Expe rimente lei- sten. Wir sind darüber froh, daß der kalte Krieg zu Die SPD werde nicht zulassen, daß Außenpolitik Ende ist. Der Kommunismus ist gescheitert, die ost- auf die Frage von Bundeswehreinsätzen reduziert werde, hieß es weiter im „Vorwärts". Es ist unsinnig, europäischen Staaten bewegen sich hin zu Demokra- das der Bundesregierung vorzuwerfen. tie und Marktwirtschaft. Wir haben die staatliche Einheit Deutschlands erreicht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Hel Aber wir sehen auch die neuen Gefährdungen: mut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Herr Sei ters, wollen Sie das denn?) Mord und Krieg im ehemaligen Jugoslawien, Natio- nalitätenkonflikte, Unsicherheiten über den politi- Über das Verhältnis der Bundesrepublik Deutsch- schen Kurs Rußlands, die Gefährdungen durch einen land zu seinen Nachbarn führt er aus: Die deutsch- fundamentalistischen islamischen Extremismus und französischen Beziehungen seien nicht belastbar, das vieles andere mehr. Vor diesem Hintergrund brau- Verhältnis zu den Niederlanden sei überlagert von chen wir auch künftig ein klares Programm zur äuße- der Aufarbeitung nationalsozialistischen Unrechts, ren Sicherheit. Wir brauchen auch künftig die NATO die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und und die Bundeswehr, wir brauchen auch künftig eine der Tschechischen Republik seien immer noch ver- Partei, die sich vor die Soldaten stellt, wenn diese mit giftet, das Verhältnis zu Polen sei so zerbrechlich wie Mördern verglichen werden. feinstes Glas. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich erinnere in diesem Zusammenhang auch an die Wir brauchen auch künftig Solidarität im Bündnis Äußerungen von Herrn Scharping, der sich zu der und eine Politik, die die europäische Einigung voran- Absurdität verstieg, die Bundesregierung sei mit ih- rer Bosnien-Politik international isoliert. Wer ein sol- bringt. ches Zerrbild verbreitet, ist weder regierungs- noch Herr Verheugen, es war doch eine ganz unselige oppositionsfähig. Diskussion in den vergangenen Monaten mit Ihrer bei frie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Partei über den Einsatz der Bundeswehr ordneten der F.D.P.) denserhaltenden und friedenschaffenden Maßnah- men. Ich will in Erinnerung rufen: Am 8. Ap ril 1993 Niemals war das Vertrauen in das demokratische hat das Bundesverfassungsgericht Ihre Klage gegen Deutschland und der Wunsch nach Zusammenarbeit einen Einsatz von Bundeswehrsoldaten in AWACS- größer als heute. Das hat eben mit der jetzt 13jähri- Flugzeugen bei der Überwachung des Flugverbots gen Kanzlerschaft von Helmut Kohl und mit der Ste- über dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien mit tigkeit und Verläßlichkeit dieser Bundesregierung zu der Begründung abgelehnt, daß sonst großer außen- tun. politischer Schaden entstehen würde. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Günter Verheugen [SPD]: Ihre eigene Re- ordneten der F.D.P.) gierung war beteiligt!) Deutschland ist ein absolut verläßlicher Partner im Am 12. Juni letzten Jahres hat das Bundesverfas- Bündnis. Deutschland ist ein konsequenter Verfech- sungsgericht all Ihren Versuchen, das Grundgesetz ter europäischer Integration und atlantischer Part- hinsichtlich der Möglichkeit einer Teilnahme von nerschaft. Deutschland ist Anwalt der Interessen un- Bundeswehrsoldaten an Friedensmissionen ein- serer osteuropäischen Nachbarn. In Warschau, Bu- zuengen, eine klare Absage erteilt. Am 30. Juni die- dapest oder Prag hören Sie den Dank dafür, daß sich ses Jahres haben Sie hier im Parlament gegen den Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5735

Rudolf Seiters Beschluß der Bundesregierung gestimmt und damit Deutschland kommen wollen, gehört die Hilfe unse- auch ein Stück Solidarität gegenüber den geschun- res Landes in erster Linie den politisch Verfolgten denen Menschen in Sarajevo und Bosnien und ge- und den Opfern von Krieg und Bürgerkrieg. Diese genüber unseren Verbündeten verweigert. Hilfe könnten wir am besten dann leisten, wenn es uns gelänge, den Zustrom von Asylbewerbern, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU aus wirtschaftlichen Gründen über unsere Grenzen und der F.D.P. - Hans Büttner [Ingolstadt] kommen, zu begrenzen und wirksam zu steuern. - [SPD]: Sie machen es unanständig! Aber so Das gilt auch heute. sind Sie immer!) Vor diesem Hintergrund habe ich allerdings die Als gäbe es keinen Anlaß, aus diesen Fehlentschei- dringende Bitte an die Sozialdemokraten, den Asyl- dungen die richtigen Lehren zu ziehen, als hätten Sie kompromiß, den wir damals nach jahrelanger Dis- immer noch nicht mitbekommen, daß erst der NATO- kussion beschlossen haben, nicht wieder in Frage zu Einsatz den Waffenstillstand in Bosnien ermöglicht stellen. Wenn Frau Däubler-Gmelin jetzt forde rt, den hat, Asylkompromiß insbesondere bei der Flughafenrege- (Günter Verheugen [SPD]: Ich habe es doch lung und der Drittstaatenregelung zu ändern, dann eben gesagt!) kann ich nur sagen: Sie spielen mit dem Feuer. Wer immer in der gegenwärtigen Situation der politi- wollen Sie jetzt - sehen Sie doch einmal in Ihre Pa- schen, der justizpolitischen und der verfassungs- piere zum Parteitag in Mannheim! - in Mannheim rechtlichen Diskussion das falsche Signal gibt, durch halsstarrig Ihre Fehlentscheidung vom 30. Juni auch das die alten Probleme wieder aufgeworfen werden, noch sanktionieren lassen. Ausdrücklich bekräftigen der gefährdet erneut den inneren Frieden in unserem Sie Ihre Ablehnung vom 30. Juni bezüglich des Be- Lande, den wir mühsam hergestellt haben. schlusses der Bundesregierung. Es ist unglaublich. Sie wollen immer noch den Wiesbadener Parteitags- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) beschluß festklopfen, daß man eine Trennlinie zwi- schen klassischen Peace-keeping-Missionen und Wer eine Änderung des Asylkompromisses fordert, friedenschaffenden Maßnahmen ziehen könnte, als hat offensichtlich die provozierenden Bilder von ge- hätte es sich nicht herumgesprochen, daß dies gar schleppten und geschleusten Asylbewerbern an den nicht möglich ist. deutschen Grenzen und insbesondere auf dem Flug- hafen in Frankfurt vergessen. Meine Damen und Herren, jetzt will ich aus den Vorlagen zum Mannheimer SPD-Bundesparteitag zi- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ tieren und zeigen, wie Sie Ihre eigenen Parteitagsde- DIE GRÜNEN]: Was sagen Sie denn zu dem legierten manipulieren. Ich frage: Was bedeutet der ehemaligen CSU-Minister Lang?) Umstand, daß die Antragskommission den Beschluß des Wiesbadener Parteitags zu den Prinzipien von Alle, die in Diskussionen in polemischer und wahr- Peace-keeping wörtlich zitiert - wörtlich zitiert! -, da- heitswidriger Weise behauptet haben - da können bei aber unvollständig bleibt und ein wichtiges in Sie auch in Ihre eigenen Reihen schauen, Herr Kol- Wiesbaden beschlossenes Kriterium unterschlägt? lege Fischer -, der Asylkompromiß mache Deutsch- Dort wurden folgende Kriterien genannt: die prinzi- land zu einer Festung und schließe die deutschen pielle Zustimmung der Konfliktparteien, die strikte Grenzen hermetisch ab, sind doch von der Praxis to- Neutralität gegenüber den Konfliktparteien, rein de- tal widerlegt worden. fensive Bewaffnung und Einsatzkonzeptionen. Die Passage mit der strikten Neutralität ist im Antrag für (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den Mannheimer Parteitag nicht zitiert. Es kommen jeden Monat 8 000 bis 9 000 Asylbewer- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) ber in unser Land, aber es kommen monatlich eben nicht mehr 50 000, die unsere Gemeinden völlig Sie wird unterschlagen. Worüber will die SPD die überforderten. deutsche Öffentlichkeit damit täuschen? Ich bin für eine sorgfältige Prüfung des Einzelfal- Wir sagen, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wer les. Es muß bei Abschiebungen human zugehen, und 40 Jahre lang Sicherheit importiert hat, der muß auch jeder Verantwortliche ist bei der praktischen Durch- umgekehrt bereit sein, Solidarität im Bündnis zu führung des Gesetzes ganz persönlich gefordert. üben. Wir lassen jedenfalls keinen Zweifel daran, Aber jetzt erneut am Gesetz herumzubasteln, da daß die Bundesrepublik Deutschland auch bei der kann ich nur sagen: Bedenke das Ende. Wer immer künftigen Suche nach einer Friedenslösung für Bos- im politischen Bereich oder auch bei Gericht zu ent- nien-Herzegowina ihren vollen solidarischen Beitrag scheiden hat, trägt eine große Verantwortung für den leisten wird. inneren Frieden. Wir seitens der CDU/CSU-Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tagsfraktion werden jedenfalls alles tun, damit eine solche Gefährdung des inneren Friedens nicht wie- Wir haben im übrigen in diesem Zusammenhang der eintritt. eine Diskussion geführt, wie wir es denn künftig mit Flüchtlingen aus Kriegsgebieten halten. Ich habe (Beifall bei der CDU/CSU - Abg. Albert damals beim Ringen um den Asylkompromiß gesagt: Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/DIE Bei allem Verständnis für Menschen, die aus wirt- GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- schaftlichen Gründen zu uns in die Bundesrepublik frage) 5736 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Sei- gen Amtes sollen für den Bau von Kriegsschiffen für ters, gestatten Sie eine Zwischenfrage? die Türkei bereitgestellt werden. Diese Summe ist, verglichen mit dem Rüstungshaushalt, zwar gering, Rudolf Seiters (CDU/CSU): Ich möchte jetzt so- aber sie ist geradezu gigantisch gegenüber der Aus- wieso zum Schluß kommen. stattung der OSZE. Für diese erklärtermaßen zu för-- dernde, wichtige europäische Organisation, für ihre Ich habe vorhin von Frau Däubler-Gmelin gespro- Zentrale, für ihr Menschenrechtsbüro, für den Min- chen. Ich bin der Meinung, auch folgendes gehört zu derheitenkommissar und für ihre schon mehrfach in dieser Diskussion: Angesichts der unglaublichen akuten und latenten europäischen Konfliktfällen mit Vorwürfe, zum Beispiel von Unmenschlichkeit an die Erfolg vermittelnden Langzeitmissionen werden sage Adresse des Bundesinnenministers, steht noch im- und schreibe ganze 5,3 Millionen DM aufgewandt. mer Ihre Entschuldigung aus. Das finde ich unan- Also nicht einmal ein Zehntel dessen, was allein die ständig; das will ich mit aller Deutlichkeit sagen. kriegführenden türkischen Militärs für ihre Fregatten (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und erhalten, ist der Bundesregierung die europaweite der F.D.P.) Konfliktprävention wert. Das ist nicht nur eine kurz- sichtige und falsche Politik, das ist geradezu skanda- lös. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Kollege Poppe. Ein anderes Beispiel: die Ausstattung von auslän- dischen Streitkräften und Polizei. Dafür wird viermal Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe ein soviel Geld zur Verfügung gestellt wie für die Demo- paar Schwierigkeiten gehabt, festzustellen, an wel- kratisierungshilfe. Nun mag die eine oder andere Sa- cher Stelle der Tagesordnung wir uns eigentlich be- nitätseinheit auch zur zivilen Gesundheitsversor- finden. gung beitragen. Den Schwerpunkt der Streitkräfte- hilfe aber so zu formulieren, als handele es sich (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ eigentlich um die Förderung ärztlicher Versorgung NEN und bei der SPD - Joachim Hörster in den betreffenden Ländern, halte ich - sehr zu- [CDU/CSU]: Sind sie jetzt beseitigt?) rückhaltend formuliert - für schwer nachvollziehbar. Dem größeren Teil Ihrer Ausführungen, Herr Seiters, Zur Demokratisierungshilfe dagegen fällt Ihnen entnehme ich, daß wir jetzt vorrangig über den Haus- gerade einmal die Wahlhilfe ein, und selbst die kann halt des Auswärtigen Amtes und die Außenpolitik angesichts der knappen Mittel nicht gewährleistet der Bundesrepublik sprechen. Ich möchte auch dabei werden. Mitunter kommt es einem so vor, meine Da- bleiben und vorzugsweise zu diesem Thema reden. men und Herren von der Bundesregierung, als wür- den Sie ausländische Bevölkerung vorrangig als eine Daß die Bundesregierung entgegen ihrer eigenen Ansammlung von Soldaten und Polizisten betrach- Behauptung schlecht gerechnet hat, ist während die- ten. Ist Ihnen denn die Bedeutung der zivilen Gesell- ser Haushaltsdebatte schon mehrfach und heute wie- schaft gerade auch für die Demokratieentwicklung der einmal zu Recht gesagt worden. Aber auch wenn und Friedensbewahrung bisher verborgen geblie- sie besser rechnen könnte, wäre deswegen ihre Poli- ben? tik nicht besser. Das Problem ist nicht nur, daß zuviel Geld ausgegeben wird, sondern vor allem, daß es Auch diese Art zu sparen trägt dazu bei, welche falsch verwendet wird. Wahlen dann herauskommen. Da soll in Rußland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eben mal eine wichtige Oppositionspartei von den Wahlen ausgeschlossen werden. Herr Bundeskanz- Wie für viele Politikbereiche gilt das ganz beson- ler, Sie werden sich in Kürze, wenn Herr Jelzin die ders auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Die politische Bühne verlassen hat, wohl fragen müssen, Reaktion der Bundesregierung auf die seit dem Ende in welches geheimnisvolle schwarze Loch denn all der Blockkonfrontation völlig veränderte Situation in die russischen Demokraten, die Marktwirtschaftler, Europa halten wir nach wie vor für unangemessen. die Europäer verschwunden sind. Wir sagen das seit fünf Jahren, und wir haben leider Veranlassung, es erneut zu sagen. Wieder einmal - Oder nehmen wir einen anderen Ihrer Hoffnungs- das kann man durch den Vergleich der für Rüstung träger, den kroatischen Präsidenten Tudjman. Der und Verteidigung verwendeten Haushaltsmittel mit verdoppelt einfach zwei Wochen vor den Wahlen die denen für Konfliktverhütung, internationale politi- Sperrklausel und läßt Bürger eines anderen Staates, sche Institutionen und humanitäre Hilfe sehr leicht die Kroaten aus Bosnien-Herzegowina, mitwählen, feststellen - stellt dieser Haushalt die falschen Wei- um dem Ziel des Einparteienstaates, dem er sich chen. Wo früher Milliarden für Aufrüstung ausgege- wohl immer noch verpflichtet fühlt, näherzukommen. ben wurden, sind es jetzt vergleichbare Summen für Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortset- Umrüstung. Viel zu wenig Beachtung wird nach wie zen. Sie alle lassen erkennen, daß der außen- und vor den Ursachen von Konflikten und ihrer Bekämp- sicherheitspolitische Ansatz der Bundesregierung fung geschenkt. überholt und kurzsichtig ist, daß er auf die falschen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Personen abgestellt ist, daß er vorrangig auf die mili- tärgestützte Konfliktbearbeitung setzt. Diese Politik Ich will dazu einige Beispiele nennen. Allein ist kurzsichtig, weil dabei immer noch die Bedeutung 65 Millionen DM aus dem Einzelplan des Auswärti- demokratischer Stabilität, die Bedeutung von Kon- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5737 Gerd Poppe fliktprävention und Ursachenbekämpfung unter- ßenpolitischen Fragen ernst wurde, von der NATO- schätzt wird. Nachrüstungsfrage bis hin zum Bosnien-Einsatz, ha- ben Sie nein gesagt. Wir haben mit all unserer Kraft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dafür gekämpft, daß die richtigen Entscheidungen Wer vorrangig auf wi rtschaftliche und militärische getroffen wurden. Zusammenarbeit mit undemokratischen Regimen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) setzt, wer nicht bemerkt, daß er damit zusätzliche Hindernisse für eine demokratische Entwicklung Wir haben diese Entscheidungen getroffen und öf- aufstellt oder neue gefährliche Konflikte provoziert, fentlich durchgesetzt. Sie aber haben sich auf sehr wem nicht einleuchtet, daß Konfliktvorbeugung poli- populistische Wege begeben. tisch und ökonomisch sinnvoller ist als die Vorberei- tung auf ihre militärische Bekämpfung, der betreibt (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wie immer! - die falsche Politik. Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Auf Abwege!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unser Vorwurf bei dem Thema Währungsunion, Ein letztes Beispiel will ich aufführen: die bevorste- das Sie nun auszugraben beginnen, ist der gleiche. hende Reise des Bundeskanzlers nach China. Auf Ih- Auch wir wissen, daß in Deutschland eine kollektive rem Programm, Herr Bundeskanzler, steht, wenn ich Erinnerung an zwei Hyperinflationen vorhanden ist. richtig informiert bin, der Besuch einer chinesischen Wir warnen Sie aber, von dem Grundsatz abzuge- Militäreinheit. Sie wissen, welche Rolle das Militär hen, daß Parteien bei der politischen Willensbildung bei der Niederschlagung der Demokratiebewegung des Volkes mitwirken, auf den Weg zu einer stabilen gespielt hat. Sie wissen, daß wichtige Vertreter die- Währung zu gelangen. Wenn Sie jetzt den Druck ser Bewegung, die seit Ihrem letzten Besuch in Pe- durch den Maastricht-Vertrag und seine Termine be- king freigelassen worden waren, inzwischen längst seitigen, werden andere Länder nachlassen - das wieder inhaftiert sind. wissen auch Sie -, so daß der Weg zum Ziel eher in- Wir verlangen nicht, daß Sie diese Reise absagen stabil wird. Dann sind Sie die ersten, die hier im Bun- oder verschieben, wir verlangen keinen Boykott. destag aus innenpolitischen Gründen Anträge zur Führen Sie die Gespräche, auch über wirtschaftliche Erhöhung der Ausgaben stellen, anstatt Sparsam- Zusammenarbeit. Aber fordern Sie zugleich rechts- keitsappellen zu folgen. staatliche Schritte. Fragen Sie beispielsweise nach (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Chen Ziming, dem Dissidenten, besuchen Sie seine mutige Frau, die kürzlich zum wiederholten Male Wir wissen, daß der Maastricht-Vertrag und die festgenommen und verhört wurde. Fragen Sie nach Europäische Währungsunion in Deutschland ein Wei Jingsheng, der 13 Jahre in Haft war und nach schwieriges Thema sind. Wir wissen, daß dieses seiner vorübergehenden Freilassung seit weit über Land in manchen Identitätsfragen zurückgeworfen einem Jahr an einem unbekannten Ort festgehalten werden kann, auch bezüglich der stabilen Währung, wird. Verlangen Sie, ihn zu sehen. Und schließlich: die die Menschen erarbeitet haben. Sie wissen aber Sagen Sie Ihren Besuch beim chinesischen Militär ebenso wie wir: Eine Stabilitätsinsel Deutschland ab. wird es nicht geben. Es muß eine Stabilität in ganz Europa geben: ökonomisch, ökologisch und sicher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heitspolitisch. Das ist der Kern des Weges, der hier sowie bei Abgeordneten der SPD) vertreten wird. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt. Wir sind genau wie Sie für die Prinzipien der Geld- wertstabilität, die die Menschen in Deutschland brauchen. Wir sind genau wie Sie für die Einhaltung Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe heute morgen der Konvergenzkriterien. Wir sind aber im Gegensatz ein Stück Belehrung über die Außenpolitik der Bun- zu Ihnen nicht für die Irritationen unserer europäi- desrepublik Deutschland entgegengenommen. schen Nachbarn bei Verträgen, die wir mit abge- schlossen haben und auf die sich diese Nachbarn (Zurufe von der SPD) müssen verlassen können; denn verläßliche Außen- politik verlangt auch Verläßlichkeit in bezug auf Ver- Herr Verheugen, es wäre klüger gewesen, Sie hätten träge. Ihre Beteiligung an wichtigen außenpolitischen Schritten dieses Landes, die damals richtig waren (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - und zur Chance der Vereinigung geführt haben, zu- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gegeben, hätten Ihre Verantwortung übernommen, DIE GRÜNEN]: Siehe Waigel! Sagen Sie anstatt die Außenpolitik komplett als verfehlt und in einmal etwas zum Finanzminister!) die falsche Richtung gehend darzustellen. - Herr Fischer, ich wundere mich ohnehin schon Tatsache nämlich ist: Die Entscheidungen in den lange, daß Sie in den letzten Sitzungen nicht mehr zentralen Fragen der Außenpolitik, die nicht zuletzt geredet haben. Sie sind in außenpolitischen Fragen vor wenigen Wochen von der Koalition getroffen zu einem echten minderheitspolitischen Sprecher bei worden sind, haben sich als richtig erwiesen, Ihre den Grünen geworden. Bei der SPD ist Zweifel an Vorschläge als falsch. Immer dann, wenn es in au- der Verläßlichkeit geboten; bei Ihnen liegt die Unzu- 5738 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt verlässigkeit offen zutage. Sie werden mit Ihrer au- schen Lage und seiner Geschichte wie kein anderes ßen- und sicherheitspolitischen Konzeption keine auf das Vertrauen der anderen angewiesen. Deshalb Mehrheitsfähigkeit bei den Grünen erreichen. Des- ist die Debatte über die Währungsunion, die Herr halb sind wir einstweilen darum bemüht, sie abzu- Schröder begonnen und die Herr Scharping mit dem wehren. Sie sind in dieser Situation der Bundesrepu- Hinweis auf irgendeine Idee fortgeführt hat, nicht blik Deutschland nicht regierungsfähig nur für die innenpolitische Situation gefährlich, weil man auf falsche Gedanken zurückgreift, sondern (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) auch für die außenpolitische Situation sehr riskant, Vorhin ist gesagt worden - da besteht zwischen meine Damen und Herren. Das ist kein Punkt, mit uns keine Differenz, Herr Verheugen -, daß die Bun- dem man Wahlkampf führen sollte. Auch die Par- desrepublik Deutschland alle internationalen Bemü- teien haben die Aufgabe, Meinungsbildung bei den hungen anstellen muß, um Menschen zu helfen und Menschen herbeizuführen. Sie haben nicht die Auf- Stabilität in den Regionen herzustellen. Die morali- gabe, sich zu drücken, wenn es unbequem wird und sche Kernfrage aber ist auch für die Sozialdemokra- wenn man Menschen über Tabuschwellen hinweg- ten, ob sie notfalls bereit sind, wenn irgendwo Völ- helfen muß. kerrecht gebrochen wird, Soldaten dorthin zu schik- ken, um Menschen daran zu hindern, andere Men- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- schen umzubringen. Diese Frage beantworten Sie ten der CDU/CSU) nicht, jedenfalls nicht bis zum Ende. Darauf möchten Herr Verheugen hat heute morgen in einem ganz wir Sie heute morgen hinweisen. anderem Zusammenhang - dazu komme ich jetzt - Die sozialdemokratische Partei ist bezüglich der sehr zu Recht einen Menschen gewürdigt, der von Rechte gerne in den Vereinten Nationen. Sie ist aber uns deshalb so geschätzt wird, weil er den Versuch im Kern nicht bereit, die Pflichten aus der Völkerge- gemacht hat, in einer ganz schwierigen Situation sei- meinschaft, die sich für die Bundesrepublik Deutsch- nem Volk über Tabuschwellen hinwegzuhelfen, ihm land ergeben, zu erfüllen. zu sagen, daß es mit seinen Nachbarn auskommen muß, ihm eine Zukunft nicht mehr durch Kampf - (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Soldat war er ja auch -, sondern durch Frieden und Aus dieser Aufgabe aber können wir Sie nicht entlas- die Kraft des Vertrauens zu anderen nahezulegen. sen. Das ist eine Kernfrage der Verläßlichkeit der Po- Wenn dieser Mann dafür mit seinem Leben bezahlt litik in Deutschland. hat, verdient er unseren Respekt. Ein Stück der Ver- haltensweise, das Vertrauen der anderen zu erwer- Dazu gehört dann auch eine Klarstellung, die für ben und zu erhalten, zu wissen, daß man es braucht, unser Land wichtig ist, meine Damen und Herren: täte uns allen in manchen politischen Diskussionen, Soldaten sind keine Mörder. Die Soldaten der Bun- die wir hier führen, gut. deswehr verrichten einen Friedensdienst. Sie haben sich mit ihrer Entscheidung verpflichtet, unser Land (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zu verteidigen. Wir müssen auch bei Entscheidungen Eines wird Ihnen, Herr Kollege Verheugen, nicht des Bundesverfassungsgerichts, die juristisch be- gelingen, und zwar die SPD als Modernisierungspar- gründet sind, in der Öffentlichkeit aber erklärt wer- tei in Deutschland darzustellen. Der Versuch ist den müssen, sagen können, daß diejenigen, die in gänzlich ungeeignet. Wir finden gerade bei Ihnen unserem Staat für die Bewahrung von Freiheit und die größte Verweigerungshaltung, das größte Beton- Frieden den Dienst in der Bundeswehr leisten, keine denken. Ihr Streit mit Herrn Schröder ist doch im Mörder sind und auch nicht als solche bezeichnet Kern nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen werden dürfen. Ihnen und Herrn Schröder, er ist die Auseinanderset- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zung darüber, ob die SPD in Deutschland strukturel- len Wandel überhaupt begünstigen oder gestalten Ich zitiere einen Satz, den unser Freund und Kol- kann oder ob sie es nicht kann. Bisher haben Sie aus- lege Hans-Dietrich Genscher bei der damaligen De- schließlich Antworten gegeben, die zeigen: Sie kön- batte hier gesagt hat: Das Recht auf freie Meinungs- nen ihn nicht gestalten. Sie mußten doch erst einmal äußerung selbst würde in seinem Kern beschädigt, auf den Vorsitzenden der IG Metall hören, der nun wenn diejenigen, die dieses Grundrecht schützen, gesagt hat, er fordere Einstiegstarife für Langzeitar- als Mörder bezeichnet werden dürften. Darüber gibt beitslose. Als das mein Freund und Kollege Helmut es mit den Liberalen nichts zu streiten. Haussmann in seiner Zeit als Wirtschaftsminister ge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sagt hat, ist er als böser Kapitalist beschimpft wor- den. Nun sagt das der Vorsitzende der größten Ein- Wir haben vor wenigen Tagen gemeinsam das große zelgewerkschaft der Welt, sogar vor Ihnen sagt er Jubiläum der Bundeswehr gefeiert. Und es ist zu das. Die Sozialdemokratische Partei ist weit hinter Recht notwendig, heute morgen den Soldaten und manchen Einzelgewerkschaften zurück, noch weiter ihren Familien zu sagen: Wir wissen, was sie für un- hinter der IG Chemie. ser Land tun. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, eine berechenbare Au- ßenpolitik ist eine Grundvoraussetzung für unser Herr Zwickel hat tatsächlich erklärt: Lohnverzicht Land. Das ist kein beliebiger Punkt, über den jeder zugunsten von Arbeitsplätzen. Er hat noch etwas Be- Streit begonnen werden könnte; denn dieses Land in merkenswertes gesagt: Er beharrt nicht mehr auf der der Mitte Europas ist auf Grund seiner geographi- 30-Stunden-Woche, weil er erkannt hat, daß immer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5739

Dr. Wolfgang Gerhardt kürzere Arbeitszeiten nicht mehr Arbeitsplätze daß die SPD nun auf ihrem Parteitag Voraussetzun- schaffen. Aber bei der SPD ist das immer noch Be- gen dafür schaffen will, daß bei Dienstleistungen für schlußlage. Auf dem Wege fahren Sie doch immer private Haushalte gut bezahlte und sozial abgesi- noch. Nein, wenn es in Deutschland um die Frage cherte Arbeitsplätze entstehen. Das wollen wir schon geht, wer hier modernisiert, dann ist die Koalition lange. Sie haben es bisher als „Dienstmädchenpri-- moderner und bewußter. vileg" diffamiert. Jetzt spreche ich dies bei dem Symbolthema (Beifall bei der F.D.P.) Ladenschluß offen an. Das ist eine schwere Geburt in der Koalition. Ich warte jetzt einmal ab, ob Sie etwas Entsprechen- des beschließen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh, der Ladenschluß! Die Sie haben ebenfalls einmal gesagt, mit einer be- Frage ist: Wann gibt es den Ladenschluß für schäftigungspolitischen Differenzierung könnten die F.D.P.?) die Lohnentwicklungen und die wirtschaftliche Lei- stungsfähigkeit besser in Einklang gebracht werden. Aber wenn ich, Herr Fischer und Herr Scharping, die Was heißt denn das? Sie erkennen jetzt, daß Be- Äußerungen aus Ihren Parteien nehme, dann muß triebe, deren Produktivität geringer ist, mit den Be- ich fragen: In welchem Land leben wir eigentlich? schäftigten darüber verhandeln müssen, ob sie beim Wir alle wissen doch, daß es Menschen gibt, die Lohn ein bißchen zurückstehen wollen, bis man ei- gerne abends einkaufen würden. Wir alle wissen nen höheren Grad der Produktivität erreicht haben doch, daß es Bäcker gibt, die ihre Dienstleistung wird. Als unsere Freunde das gesagt haben, sind sie gerne sonntags erbringen würden. Wir alle wissen nahezu als Verfassungsfeinde und Ankratzer der Ta- doch, daß es Menschen gibt, die gerne abends arbei- rifautonomie beschimpft worden. Sie gehen jetzt zu ten würden, auch Menschen mit 580-DM-Verträgen. Ihrem Parteitag und sagen, ohne Reformen seien die - Und wir wollen Menschen vorschreiben, wann sie sozialen Sicherungssysteme nicht mehr finanzierbar. zu öffnen und zu schließen haben?! Frankfurt und Ich fordere Sie auf: Dann machen Sie es doch mit! , die Tore zur Welt - und die Läden um Dazu stehen wir bereit. Wir können das gern ma- 18 Uhr schließen. Das ist doch wirklich kein Zustand chen. in der Bundesrepublik Deutschland! (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - ten der CDU/CSU) Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 18.30 Uhr! Exakt bleiben!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Gerhardt, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, diesmal Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Dr. Gerhardt, von der Kollegin Anke Fuchs? gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Büttner? - Bitte, Herr Büttner. Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Nein, Frau Präsi- dentin; ich möchte das jetzt einmal ausführen. Hans Büttner (Ingolstadt) (SPD): Herr Kollege Ger- hardt, wie beurteilen Sie angesichts Ihrer Aussage Wir jedenfalls betreiben eine Politik für Wandel zur Arbeitszeitverkürzung die Antwort der Bundesre- und für Veränderungen, die auf Ihrer Seite über- gierung auf die Große Anfrage der SPD, in der die haupt keine Hilfe findet. Ihre Partei stellt überall Ta- Bundesregierung eindeutig konzediert, daß genau buwächter auf, die sofort aufpassen, daß sie dann, um den Prozentsatz, um den die Zahl der Arbeits- wenn irgend etwas verändert werden soll, den Bann- plätze in Deutschland in den letzten zehn Jahren ge- strahl gegen die schleudern, die Veränderung wol- stiegen ist, die individuelle Arbeitszeit der Arbeit- len. Das ist die Position der SPD, und Sie werden aus nehmer gesunken ist, nämlich um 8 Prozent? Das ist diesen Schützengräben nicht herauskommen, wenn genau der Zusammenhang zwischen der Kürzung Sie nicht großen Mut aufwenden und sich dem struk- der Wochenarbeitszeit und der Schaffung neuer turellen Wandel stellen. Arbeitsplätze, der damit durch Ihre Regierung erst- mals bestätigt worden ist. Im übrigen, Herr Kollege Fischer, merken Sie das doch auch in der Vereinbarung mit den Sozialdemo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kraten in Nordrhein-Westfalen. Das Thema Garzwei- ler ist doch nur ein Symbol dafür, wie der Wandel in Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Kollege, es unserer Industriegesellschaft bewältigt wird. Sie ha- gibt immer einen gewissen Zusammenhang. Aber ben ja dort einen Formelkompromiß geschlossen; an was ich ansprechen möchte, ist die Monopolauffas- sich lassen Sie ja zu, daß Garzweiler jetzt kommt. sung, daß man nur über diesen Weg zu Beschäfti- Aber die SPD sitzt doch seit Jahrzehnten auf Laden- gung kommen könne und daß andere Wege unge- hütern der Energiepolitik, die heute überhaupt nicht eignet seien. Darüber geht doch unsere Auseinan- mehr tragen. dersetzung! (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Dann stellt sich Herr Verheugen hier hin und sagt, die Sozialdemokraten seien die großen Modernisie- Die SPD kündigt immer an. Sie reden in manchen rer. Nein, Sie sind die Bremser; Sie handeln nach Bereichen so wie wir. Gestern las ich in der „FAZ", dem Motto „Das haben wir immer schon so ge- 5740 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt macht" oder „Das haben wir noch nie so gemacht" Das sagt er ganz glatt. Er fügt hinzu: oder „Da könnte ja jeder kommen" oder „Wo kämen wir denn da hin?". In der Koalition ist Bereitschaft Je mehr der Staat eingreift, desto mehr geht zur Veränderung zu finden, weil wir wissen, daß sich schief. Die Sache ist ganz klar! Weil die unteren Lohngruppen zu stark angehoben worden sind, um uns herum alles verändert hat, daß nach dem - Wegfall von Mauer und Stacheldraht große Heraus- sind zu viele Arbeitsplätze weggefallen. forderungen wie die Globalisierung der Märkte auf (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Recht uns zukommen. Sie verharren hier in dem alten Kon- hat er!) servendosen-Denken der 70er Jahre, in denen wir jährlich beträchtliche Wachstumsraten hatten und Ja, Herr Scharping, der Mann hat recht; er hat völlig die Politik den Wettbewerb um Verteilung machte. recht. Nehmen Sie sich daran ein Beispiel! Beschimp- Das ist der Unterschied zwischen Koalition und Op- fen Sie uns nicht, wenn man Ihnen diese nüchternen position. Erkenntnisse eines großen Sozialdemokraten vorhält. Es ist die Wahrheit: Sie sind gegenwärtig zu einem Zu Ihrer eigenen Beruhigung und meiner Hilfestel- flexiblen Wandel nicht in der Lage. lung lese ich Ihnen jetzt aus einem Interview mit vor. Helmut Schmidt hat schon 1994 Dann will ich für die Freie Demokratische Partei in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche" auf ganz deutlich sagen: Jeder, inklusive Herrn Fischer, die Frage: erklärt, die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland sei zu hoch. Wenn man sich dann aber daranmacht, Wie beurteilen Sie den SPD-Plan, Spitzenverdie- eine Substanzbesteuerung wie bei der Gewerbekapi- ner stärker zu belasten? talsteuer zurückzuführen, hemmen Sie. erklärt: (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Wer nur die hohen Einkommen und Vermögen DIE GRÜNEN]: Wo bleiben denn die Vor- treffen will, muß sich fragen, ob er noch mehr Ka- schläge von dieser Regierung?) pital- und Wohnungsverlagerungen nach Luxem- Die könnten wir schon in acht Wochen los sein, wenn burg, Monaco und anderswohin auslösen will. Sie zur Entscheidung bereit gewesen wären. Er hat hinzugefügt: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das ist ebensowenig durchdacht wie die Pflege- Jetzt müssen wir ein Jahr länger warten, weil die So- versicherung. Die wird keine drei Jahre so laufen, zialdemokraten mehr Zeit brauchen, das war eine gutgemeinte Idee, aber zum völlig falschen Zeitpunkt. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo bleiben denn Ihre Vor- Ich zitiere das auch, weil es voll meiner Auffassung schläge? Was ist denn mit Subventionsab- entspricht. bau?) (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) obwohl jeder von Ihnen schon zugegeben hat, da Dann hat man ihn auch gefragt: finde eine Substanzbesteuerung statt. Wie hätten Sie es denn lieber? Wir würden auch gerne die mittelstandsfreundli- che Senkung der Gewerbesteuer nach Ertrag umset- Darauf hat Helmut Schmidt geantwortet: zen, weil wir für Arbeitsplätze sind. Die Freie Demo- kratische Partei will Steuern nicht senken, um irgend Mir wäre es lieber, wenn das gesamte deutsche jemandem in Deutschland ein dickeres Portemon- Sozialversicherungssystem generalüberholt wür- naie zu verschaffen, de. Der Abstand der Sozialleistungen von den re- gulären unteren Einkommen muß wieder deutli- (Lachen und Widerspruch bei der SPD) cher werden. sondern wir wollen eine Unternehmensteuerreform, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne weil wir Arbeitsplätze in Deutschland schaffen wol- ten der CDU/CSU) len - zu keinem anderen Zweck. Potz Blitz! Das sagen wir seit Jahren. Sie beschimp- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) fen uns dafür. Dieses Konzept dieser Koalition steht einem alter- Das Interview mit Schmidt ist aber noch nicht zu nativen Konzept gegenüber: Noch immer glauben Ende. Es wird auch noch gefragt - das gehört ja zu Sozialdemokraten und Grüne, es sei besser, den den berühmten Rezepten -: Menschen erst einmal etwas abzunehmen, um es dann erneut nach ihrem Gusto auf andere zu vertei- Was halten Sie von einem subventionierten zwei- len. Daß dies nicht funktioniert, daß dies Leistung ten Arbeitsmarkt, um die Arbeitslosenzahl zu zum Erlahmen bringt, daß dies die Menschen vom senken? Sparen wegbringt und daß dies Menschen verärgert, Großes Thema. Wissen Sie, was der Mann antwortet? ist ebenso klar. Deswegen sage ich der versammelten Er antwortet: Opposition: Es gibt in diesem Hause keine Mehrheit für das Konzept, den Leuten erst mehr aus der Ta- Nichts. sche zu ziehen und es dann nach sozialdemokrati- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5741 Dr. Wolfgang Gerhardt schem Rezept auf andere zu verteilen. Das wird sche und amerikanische Initiative hin erzielte Ver- keine Chance haben. einbarung zur Rückkehr von kroatischen und bosni- schen Vertriebenen in ihre Heimatorte. Vertrauen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schaffen ist jetzt mit weitem Abstand das Wichtigste. Deshalb erkläre ich für die F.D.P. sehr deutlich: - Entsetzliches ist geschehen. Der Haß, die Entf rem Wenn man über Senkungen der Steuer- und Abga- dung benbelastungen redet, dann muß man das auch um- war und ist übergroß. Es ist außerordentlich setzen. Es ist das Ziel der Freien Demokratischen schwierig, Brücken zu schlagen und sich die Hand Partei, noch in dieser Legislaturperiode - nach unse- zu reichen. Aber ist es nicht ein Fortschritt, daß we- rer Zielvorstellung ab 1997 - die Belastungen zurück- nigstens jetzt weitgehend die Waffen schweigen? Ist zuführen. Wir müssen die Kraft haben, auch im es nicht ein Fortschritt, daß die Menschen in Sara- Haushalt einen Sparkurs zu fahren. Wir beginnen jevo, Bihac und Gorazde wieder frei atmen und zu- das jetzt, wir setzen das in der Koalition fort, und wir mindest mit dem Nötigsten versorgt werden können? wollen ein Signal an die Öffentlichkeit geben. Wenn Gewiß, dort ist alles noch sehr fragil. Aber es muß in Deutschland eine politische Konstellation die Kraft einfach gelingen, noch vor Weihnachten zu einer hat, Steuern zu senken, dann muß es die Konstella- Friedensvertragsregelung zu kommen. tion aus CDU, CSU und F.D.P. sein. (Beifall bei der F.D.P. und CDU/CSU) Die F.D.P. wird entscheidend darauf drängen, daß Wir Deutschen werden dazu beitragen, was wir nur in dieser Legislaturperiode eine Entlastung stattfin- können. det, weil die Zukunft für den Standort Deutschland nicht darin liegt, den Menschen mehr abzunehmen, Was muß - Herr Verheugen, Sie haben die Frage sondern darin, ihnen weniger abzunehmen. Wir wol- gestellt - geschehen? Es geht zunächst um die Aus- len Menschen eine Chance belassen und nicht staat- handlung der territorialen Frage. Es geht um Verfas- liches Umverteilen fördern. sungsfragen. Sie haben gefragt, wer hilft: Der deut- sche Verfassungsrechtler und frühere Verfassungs- (Anhaltender Beifall bei der F.D.P. - Beifall richter Professor Steinberger ist in Ohio dabei. Es bei der CDU/CSU) geht um Rüstungskontrolle. Das ist unser ganz be- sonderes deutsches Anliegen. Es geht um die Flücht- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der lingsfrage, an der wir mit am meisten interessiert Außenminister Dr. Klaus Kinkel. sind; denn wir haben mehr als doppelt soviel Flücht- linge wie alle anderen Europäer zusammen in der Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Bundesrepublik Deutschland aufgenommen, über Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am 400 000. Es geht um die Wiederaufbauproblematik, Montag hat die Welt in Jerusalem Yitzhak Rabin, ei- an der wir uns beteiligen wollen. Ja, Herr Verheu- nen großen Staatsmann, zu Grabe getragen. Uns gen, auch die Serben sollen und müssen ihren Platz Deutsche berührt diese Tragödie in besonderer in Europa wieder finden. Aber dafür sind natürlich Weise. Wir fühlen für das Schicksal des israelischen Voraussetzungen notwendig. Menschen- und Min- Volkes Verantwortung. derheitenrechte müssen anerkannt werden. Und: Gewalt darf sich nicht gelohnt haben. „Genug der Tränen, genug des Leids", das waren die Worte von Yitzhak Rabin bei der Unterzeichnung (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- der israelisch-palästinensischen Grundsatzerklärung wie bei Abgeordneten der SPD) im Weißen Haus am 13. September 1993. Frieden Es hat keinen Sinn - dazu ist es zu früh -, hier über und Versöhnung, das ist sein Vermächtnis. Daß dies alle Einzelheiten zu sprechen. Ich habe jedenfalls die in Erfüllung geht, wünschen wir in diesen Tagen von Hoffnung, daß es uns - mit entscheidender deutscher Herzen Israel, dem palästinensischen Volk und allen Hilfe - gelingt, noch vor Weihnachten zu einer Lö- arabischen Nachbarn. sung zu kommen. (Beifall im ganzen Hause) Zur militärischen Absicherung eines Friedens- Einige von uns waren bei der bewegenden Trauer- schlusses - das ist nun leider einmal notwendig - hat feier in Jerusalem dabei. Wir spürten bei aller tiefen das Kabinett am 24. Oktober 1995 den deutschen Trauer: Diese schreckliche Mordtat hat die Hoffnung Beitrag in seinen Grundzügen festgelegt. Wir haben auf Frieden nicht zerstören können. Shimon Peres, uns für die leidgeprüften Menschen in Bosnien ent- dem Freund, wünschen wir, wünsche ich viel Glück. schieden, für unsere Partnerschaftsfähigkeit. Aber wir wollen das mit Augenmaß tun. Ich freue mich, (Beifall im ganzen Hause) daß die SPD und ein kleiner real existierender Teil Auch für das ehemalige Jugoslawien besteht erst- der Grünen jetzt auf unsere Politik eingeschwenkt mals eine realistische Friedenschance. In Ohio sitzen sind. Besser spät als nie. sich die Präsidenten Tudjman, Izetbegovic und Milo- Die positive, unaufgeregte Reaktion in der Öffent- sevic zum erstenmal direkt gegenüber. Für eine Pro- lichkeit zeigt im übrigen, daß die Bevölkerung ein gnose über Dauer und Erfolg dieser Verhandlungen völlig anderes, ein besseres Gefühl hat. Manchmal ist es noch zu früh. Ich hatte gestern unseren Ver- reagiert sie besser, ruhiger, gelassener und richtiger handlungsführer, den Politischen Direktor des Aus- als mancher Politiker. wärtigen Amtes, Ischinger, zum Bericht gebeten. Ein ganz wichtiger und guter Schritt war die auf deut- (Beifall bei der F.D.P.) 5742 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Die Bürger spüren, daß man sich nicht wegdrehen heute morgen extra gesagt. Was gilt nun eigentlich? kann, wenn die Menschenrechte um uns herum mit Ich frage Sie: Wer spricht für die SPD? Füßen getreten werden. Sie sind zu intelligent, um auf den Popanz, der im Hinblick auf Militarisierung (Günter Verheugen [SPD]: Was ist denn mit aufgebaut wird, hereinzufallen. Schließlich sehen sie dem CDU-Beschluß?) - auch, welch großes Vertrauen sich die Bundeswehr mit ihren bisherigen Leistungen bei Friedensmissio- Ist es Herr Schröder? Ist es Herr Scharping? Ist es nen erworben hat. Vierzig Jahre Bundeswehr sind Frau Wieczorek-Zeul, oder ist es Herr Hänsch, der als ein ganz wichtiger Beitrag zum Frieden in Europa Präsident des Europaparlaments vor „nationalisti- und der Welt, auf den wir stolz sein können. Wir schem Stammtischgeschwätz" - das wirft er Ihnen brauchen unsere Soldaten auch in Zukunft, um deut- vor - gewarnt hat? sche Außen- und Sicherheitspolitik so zu gestalten, (Zuruf von der CDU/CSU: Zu Recht! Völlig wie es unseren deutschen Interessen entspricht: ver- zu Recht!) läßlich, berechenbar, wert- und bündnisorientiert. Glauben Sie denn wirklich, daß es sich beim Wähler Unsere Soldaten dienen dem Frieden und nicht auszahlt, wenn Sie Ängste und Sorgen entfachen? dem Krieg. Sie sind bereit, dafür notfalls Leib und Le- Ich glaube das nicht! Dafür ist Ihre Suche nach ben einzusetzen. Dafür sind wir ihnen Dank und einem vordergründigen Thema zu populistisch und Achtung schuldig. zu billig.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deshalb ist es zwingend und dringend notwendig, daß wir uns vor sie stellen, wenn sie für ihre Pflichter- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge- füllung auch noch angegriffen und verunglimpft wer- statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Wieczo- den. Ich habe noch die „Mörder, Mörder! "-Rufe im rek-Zeul? Hofgarten im Ohr. Sie waren leider unüberhörbar.

(Michael Glos [CDU/CSU]: Keine Unionsan Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: hänger! ) Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende brin- gen. Es mag sein, daß in einem liberalen Rechtsstaat, den wir haben und auf den wir stolz sind, solche Aus- Der Schaden, den Sie in Europa anrichten, steht je- schreitungen eines Pöbels vielleicht nicht zu verhin- denfalls in keinem Verhältnis dazu. Für unsere Nach- dern sind. Um so mehr gilt aber dann, daß unsere barn ist das, was Sie betreiben, ein klarer D-Mark- Soldaten vor Verunglimpfungen geschützt werden Nationalismus. Sie schaden damit unseren Bürgern müssen, auch von unseren Gerichten. und unserem Land, was unser Ansehen in Europa anbelangt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Unsere Soldaten sind kein Freiwild für Verhöhnung! ten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, die europäische Inte- Wir haben uns zu Maastricht doch nicht verpflichtet, gration - Herr Verheugen, ich habe mich über das weil wir anderen einen Gefallen tun wollen, sondern gefreut, was Sie heute dazu gesagt haben - bleibt ein weil wir eine stabile, gemeinsame europäische Wäh- Schlüssel für eine gute Zukunft unseres Landes. Al- rung haben wollen, und diese werden wir zustande lerdings scheint die SPD nach ihrem Rückzug beim bringen. Da werden auch Sie zustimmen; da bin ich Thema Bosnien jetzt ein neues sozialdemokratisches sicher. Experimentierfeld für den Alleingang aufmachen zu wollen. Herr Scharping, wer von Europa als irgendei- Während Sie europapolitisches Porzellan zerschla- ner Idee spricht, gen - ich höre es ja draußen, wieviel Porzellan durch Ihre Bemerkungen zerschlagen worden ist; Sie hören (Rudolf Scharping [SPD]: Wenn Sie wenig es leider nicht so -, bereiten wir zusammen mit stens korrekt zitieren würden!) Frankreich eine gemeinsame Position für die Regie- rungskonferenz 1996 vor. Sie wird solide sein, und wer wie Herr Schröder, der sowieso alles und jedes auf sie wird Verlaß sein. mit großen Luftnummern auf- und angreift und dann meist schnell wieder zurückziehen muß, darin end- Herr Verheugen, ich möchte zu dem, was Sie heute lich ein „großes nationales Thema" für die SPD sieht, morgen gesagt haben, noch eine Anmerkung ma- der ist wirklich von allen europapolitischen guten chen. Sie wollten uns jagen, wenn ich das richtig ver- Geistern verlassen. standen habe. Noch vor kurzem haben Sie im „Vor- wärts" großspurig angekündigt, Sie wollten die deut- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sche Außenpolitik in Frage stellen. Sie waren - das muß ich Ihnen leider entgegenhalten - der Geist, der Sie haben - es ist heute morgen schon einmal gesagt stets verneint. worden - dem Vertrag von Maastricht hier doch zu gestimmt. Darauf waren Sie stolz; das haben Sie (Zustimmung bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5743

Bundesminister Dr. Klaus Kinkel Sie waren immer destruktiv und nicht konstruktiv. Dr. Klaus Kinkel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein, ich habe nur eine kurze Redezeit. Ich bitte (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ wirklich um Verständnis. DIE GRÜNEN]: Sie sollten Faust mal fertig (Katrin Fuchs [Verl] [SPD]: Die Uhr wird ge zitieren!) stoppt!) - Von Ihrer Kritik ist nicht viel übriggeblieben. Meine Damen und Herren, ich war letzte Woche mit einigen Angehörigen des Deutschen Bundesta- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das ges zusammen in Kambodscha. Ich bin bewußt dort weiß der doch gar nicht! - Erneuter Zuruf gewesen, um mir die Situation bei den Personenmi- des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] nen anzusehen. Ich wünsche Ihnen, daß Sie das sel- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) ber einmal vor Ort erleben. Da würden Sie ruhig wer- den und zuhören und sich ansehen, was an schreckli- - Sie, Herr Fischer, sollten Ihre Pirouetten in der Zir- cher Not, an Verstümmelungen do rt täglich passiert: kuskuppel drehen, um Ihr Bündnis in die Richtung nach wie vor jeden Monat 300 Menschen. Ich habe zu bringen, wo Sie es gerne hätten. Sie wollen mich mir die Minenräumung und das Rehabilitationszen- ja ablösen. Dazu müssen Sie allerdings in der Außen- trum mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem und Sicherheitspolitik noch ein bißchen bündnisfähi- Bundestag angesehen. Ich kann nur sagen: Es muß ger werden und noch ein bißchen drauflegen. unser Ziel sein und bleiben, von diesen Personenmi- nen wegzukommen, und zwar möglichst schnell. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne DIE GRÜNEN]: Sie sind nicht ablösbar, Sie ten der CDU/CSU) lösen sich auf!) Meine Damen und Herren, wer sich heute vor al- lem in der Dritten Welt umsieht, dem wird bewußt, Meine Damen und Herren, wer die Konflikte unse- daß die eigentlichen schwerwiegenden Probleme rer Zeit von Bosnien über den Nahen Osten bis nach dieser Welt nach wie vor nicht beseitigt sind, dem Algerien verfolgt, stößt immer wieder auf eine Frage, wird bewußt, welche Not herrscht, aber auch, wieviel die bei uns in der Außenpolitik zu sehr vernachläs- Genügsamkeit und Leidensbereitschaft diese Men- sigt wird: unser Verhältnis zum Islam. Deshalb halte schen besitzen. Wir vergessen manchmal, wenn wir ich es für eine der wichtigsten politischen Aufgaben, über Außenpolitik reden, auch hier im Deutschen zu den islamischen Völkern, zu der Religion, zu der Bundestag, daß die Welt nicht nur aus den reichen Kultur von 1,2 Milliarden Menschen - 23 Prozent der Metropolen, aus den glänzenden Finanzzentren be- Menschheit - eine Brücke des' Vertrauens und des steht. Wir müssen uns daran erinnern, daß dem Wohl Dialogs zu schlagen. und dem Ansehen unseres Landes nicht nur das kalte Kalkül gedient hat oder dient. Interesse, Ver- Das ist das Ziel der Konferenz am 15./16. November antwortung und Solidarität, das läßt sich in unserer 1995, zu der ich sieben Außenminister aus islami- heutigen Welt nicht voneinander trennen. schen Ländern und rund 250 Islamexperten nach Bonn eingeladen habe. Ein solcher Dialog heißt nicht Wer heute in Deutschland mit unseren Bürgern - das sage ich mit Nachdruck -, daß wir falsche Rück- spricht, der weiß: Ihr Bewußtsein um diese Dinge ist sicht nehmen oder womöglich unsere Grundüberzeu- stärker, als viele Politiker annehmen. Die Menschen gungen in Frage stellen. Toleranz ist keine Einbahn- wissen sehr wohl, daß wir Reichen auf der Nordhalb- straße; das habe ich bei der Einweihung der König- kugel dieser Erde nicht allein auf dieser Welt sind Fahd-Akademie in Bonn sehr deutlich gemacht. Die und daß die Menschheit ein gemeinsames Schicksal Freiheit des Wortes, der Schutz des Lebens oder das hat. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft Verbot von Folter ist nicht verhandelbar. für eine Außenpolitik einsetzen, die sich zu ihrer Ver- antwortung für eine Welt bekennt. In Deutschland leben wir mit über 2 Millionen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Muslimen friedlich zusammen, die meisten von ih- nen türkischer Herkunft. Die Türkei ist unser Freund. Ihre Probleme lassen uns nicht los. Wir müs- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort zu einer sen die Zollunion erreichen. Wir müssen aber auch Kurzintervention hat die Kollegin Heidemarie Wiec- sehen, wenn in der Türkei Fortschritte gemacht wer- zorek-Zeul. den. Es hat ein paar Fortschritte gegeben. Art. 8 des Antiterrorgesetzes ist geändert worden. Immerhin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD): Liebe Kollegin- sind 77 Personen freigelassen worden - zuwenig, viel nen und Kollegen! Herr Kinkel hat vorhin über die zuwenig. Aber wir sollten sehen, daß die Bemühun- Informationspolitik zur Europapolitik gesprochen. gen bei der türkischen Regierung vorhanden sind. Er hat dabei auch mich genannt. Ich möchte an die- Wir müssen der Türkei helfen, aus ihrer Bedrängnis ser Stelle das sagen, was ich vorhin nicht sagen herauszukommen. konnte, und darauf verweisen, daß die Bundesregie- rung unter dem Datum von gestern der SPD-Bundes- tagsfraktion auf eine Große Anfrage mit 51 Fragen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, ge- zur gemeinsamen Währung auf europäischer Ebene statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten mitgeteilt hat, daß sie erst Mitte Februar 1996 im- Schily? stande sein werde, diese Fragen zu beantworten. 5744 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Heidemarie Wieczorek-Zeul Ich stelle fest: Diese Bundesregierung ist sich über die gesamtstaatliche Verantwortung für Wirtschafts- zentrale Fragen der Auswirkungen der Währungs- politik, Arbeitsmarktpolitik und Finanzpolitik liegt: union nicht im klaren. Sie ist nicht bereit, die Bevöl- Sie liegt bei dieser Bundesregierung. kerung zu informieren. Sie schadet dem Ansehen der (Beifall bei der SPD) Europäischen Union durch das Vorenthalten von In- - formationen. Wie chaotisch die Haushaltsberatungen im Haus- haltsausschuß gelaufen sind, kann jeder Redner ei- (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der gentlich nur bei seinem Einzelplan wiederholen. Ich CDU/CSU) will das noch einmal deutlich machen: Während wir Ich weise darauf hin: Unter den Fragen, die vor vor fünf Monaten zu dem Titel „Ausstattungshilfe" Mitte Februar zu beantworten sich die Bundesregie- des Auswärtigen Amtes immerhin ein 53-Seiten-Pa- rung nicht imstande sieht, sind folgende: pier bekommen haben, in dem über vier Jahre ganze 166 Millionen DM etatisiert und erläutert worden Wird der Eintritt in die Europäische Wirtschafts- sind, und Währungsunion Auswirkungen auf die Sy- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aha!) steme der nationalen Arbeitslosen- und Alterssi- cherung in Deutschland haben? Sieht die Bun- sollten wir in 24 Stunden über 20 Mil liarden DM Um- desregierung geeignete Instrumente, um zu ver- schichtung im Haushalt auf der Grundlage eines ein- hindern, daß nach dem Wegfall des Instruments zigen Wisches sachkundig und solide entscheiden. Wechselkursanpassung die Arbeitsmärkte ... ne- Dies ist ein unmögliches Verfahren. Wir bleiben da- gativ betroffen werden? bei, daß es dieser Haushalt an Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit fehlen läßt. Welche Vor- und Nachteile im einzelnen hat der Bürger durch die Verwirklichung der Europäi- (Beifall bei der SPD - Hans Büttner [Ingol schen Wirtschafts- und Währungsunion zu erwar- stadt] [SPD]: Unanständig, dieser Haushalt!) ten? Der Haushalt des Auswärtigen Amtes, zu dem ich Wie werden Forderungen und Verbindlichkeiten heute sprechen möchte, gehört mit rund 3,8 Mil- (Hypotheken- und Grundschulden, Kredite, Dar- liarden DM zu den kleineren Etats. 40 Prozent ma- lehen), Versicherungen . . ., Guthaben von Giro- chen die Betriebskosten des Auswärtigen Dienstes und Sparkonten und Renten bzw. Pensionen auf aus, etwas mehr als 30 Prozent werden für auswär- die neue Währung umgestellt? tige Kulturpolitik, etwas weniger als 30 Prozent für sogenannte politische Ausgaben aufgewendet. Diese Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Summen markieren bescheidene Größenordnungen, Dem Deutschen Bundestag, den Wählerinnen und mißt man sie etwa am Verteidigungshaushalt oder Wählern, den Menschen in Deutschland solche Infor- auch an dem längst nicht ausreichend dotierten mationen vorzuenthalten heißt, in diesen Fragen der Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit, bei Europapolitik zu schaden. Eine offene Diskussion mit dem wir ja immer noch - mit anderen gemeinsam - Bürgerinnen und Bürgern schafft Vertrauen. Die auf die Friedensdividende warten. Bundesregierung ist dazu nicht imstande. Wenn der Haushalt des Auswärtigen Amtes ge- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hein genüber 1995 geringfügig aufgestockt wurde, hat rich Graf von Einsiedel [PDS] - Ulrich Irmer das im wesentlichen zwei Ursachen, nämlich die [F.D.P.]: Das ging wohl daneben!) Pflichtbeiträge zu den Vereinten Nationen und die erste Rate für den Zuschuß zu den der Türkei ver- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister, sprochenen MEKO-Fregatten. Die politischen Aus- wünschen Sie das Wo rt zur Replik? - Nein. gaben im übrigen - dazu gehören eine Reihe von In- strumenten für friedliche Konfliktvermeidung und zi- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das lohnt sich nicht!) vile Konfliktmoderation - stagnieren. Während wir Stunden um Stunden um kleinere Millionenbeträge Dann hat als nächster der Abgeordnete Ecka rt für diese Aufgaben gefeilscht haben, werden im Ver- rt. Kuhlwein das Wo teidigungshaushalt zügig die hundertfachen Sum- ( [CDU/CSU]: Es geht steil men bewegt. bergab!) Ich will auf diese Schlagseite des Bundeshaushalts nur aufmerksam machen. Es wäre dringend an der Eckart Kuhlwein (SPD): Frau Präsidentin! Meine Zeit, die gewachsene deutsche Verantwortung in der sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Kolle- Welt nicht mehr in erster Linie militärisch zu defi- gen Seiters vorhin gehört habe, dachte ich: Bin ich nieren. eigentlich im Niedersächsischen Landtag oder im Deutschen Bundestag? (Beifall bei der SPD - Ina Albowitz [F.D.P.]: Tut ja keiner!) (Beifall bei der SPD) Wir werden das allerdings auch nicht zulassen, Herr Herr Kollege Seiters, Sie haben sich so liebevoll um Kollege Seiters. Die Frage, die wir bei allen Konflik- dieses Land im Norden bemüht und generell sozial- ten in der Welt beantworten müssen, ist doch nicht in demokratisch regierte Länder vorgeführt, indem Sie erster Linie die, ob und inwieweit die Bundeswehr gesagt haben, Sie hätten jetzt auch Sparhaushalte dort tätig wird. Die Frage ist doch zunächst, ob und eingebracht. Ich möchte Sie daran erinnern, wo denn inwieweit man mit zivilen Mitteln sehr viel wirksa- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5745

Eckart Kuhlwein mer dem vorbeugen kann, daß sich Konflikte blutig Norwegen, Schweden und Dänemark beschämen zuspitzen. lassen. (Beifall bei der SPD) Sie reden immer davon, Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen. Humanitäre Ich will nicht verschweigen, daß die Koalition den - Haushalt für auswärtige Kulturpolitik gegenüber Hilfe, Flüchtlingshilfe, Menschenrechtsarbeit sind dem Regierungsansatz um 15 Millionen DM aufge- sehr viel wirksamer im Sinne einer globalen Frie- stockt hat, nachdem dort in den Vorjahren kräftig ab- denspolitik als die Beschaffung neuer Flugzeuge. gebaut worden ist. Das ist immerhin etwas mehr als (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gar nichts, aber noch lange nicht der vom Außenmi- nister angekündigte „neue Schwerpunkt". Sie haben Oder ist es etwa falsch, daß ein einziges Exemplar dafür ausdrücklich unsere Zustimmung, auch wenn des Eurofighters doppelt soviel kosten würde, wie ich mir etwas mehr Kooperation zwischen den Be- der Haushaltsansatz für die humanitäre Hilfe um- richterstattern gewünscht hätte. Ich hoffe, daß wir faßt? Es muß erlaubt sein, solche Zahlen zu verglei- rechtzeitig für 1997 das Konzept entwickelt haben, chen, gerade wenn wir ernsthaft über neue Möglich- die Mittel für das Goethe-Institut zu plafondieren, keiten und Notwendigkeiten deutscher Außenpolitik damit dieser wichtige Träger deutscher Kulturarbeit nachdenken. im Ausland endlich selbständiger planen kann. Im übrigen, meine Damen und Herren auf der Meine Damen und Herren, es ist der gemeinsame Rechten des Hauses, halten wir den Eurofighter Wille des Bundestages, daß sich Deutschland stärker nach wie vor für sicherheitspolitisch überflüssig und als bisher an Minenräumaktivitäten beteiligt. In ei- für unbezahlbar. Und Sie werden, wenn Sie uns nicht nem Sonderfonds der Ausstattungshilfe sind dafür, nachweisen, daß das Flugzeug wirklich gebraucht auf drei Jahre verteilt, 10 Millionen DM vorgesehen. wird, und aufzeigen, wie Sie es bezahlen, von uns Es ist nicht zuletzt dem Einsatz und dem Engage- keine positive Entscheidung bekommen. ment unseres ehemaligen Kollegen Horst Jungmann zu verdanken, daß die Koalition für 1996 jetzt noch (Beifall bei der SPD) einmal 10 Millionen DM dazulegen will, damit die er- Die Abrüstungshilfe für die Nachfolgestaaten der folgversprechenden Einsätze der Vereinten Natio- Sowjetunion ist von der Bundesregierung um 5 Mil- nen, zum Beispiel in Mosambik, fortgesetzt werden lionen DM aufgestockt worden. Das ist ein Fort- können. schritt. Gemessen an den Bemühungen anderer (Beifall bei der SPD) westlicher Länder ist es immer noch viel zuwenig. Der Kollege Horst Jungmann hat dort an Ort und Ich möchte in dem Zusammenhang auf ein beson- Stelle als Experte für die Vereinten Nationen mitge- deres Problem eingehen: Wir warnen davor, die Lö- arbeitet. Das ist auch ein Beispiel dafür, daß Bericht- sung für die Beseitigung von waffenfähigem Pluto- erstatter aus dem Haushaltsausschuß nach ihrer Ab- nium in der Umwandlung zu Mischoxidbrennstäben geordnetenzeit nicht unbedingt Lobbyisten für die zu suchen. In Deutschland - genauer gesagt: in Rüstungsindustrie werden müssen, wie das ja Hanau - wird so etwas nie genehmigungsfähig und manchmal der Fall ist. von der Bevölkerung niemals akzeptiert werden. Eine Pilotanlage in Rußland würde langfristig zusätz- (Zustimmung bei der SPD) liches ziviles Plutonium mit immer noch hohem Proli- Trotz solcher Fortschritte in Erkenntnis und Han- ferationsrisiko erzeugen. Gerade wegen dieses Risi- deln auf der Seite der Koalition: Die Negativposten kos ist einst eine amerikanische Regierung aus der überwiegen. Bei der humanitären Hilfe, bei UNICEF, Mischoxidtechnologie ausgestiegen. beim Internationalen Roten Kreuz mauern CDU/CSU Deutschland sollte sich deshalb am Bau eines und F.D.P. noch immer. Dabei ließe sich dort mit ver- Sicherheitslagers in Rußland beteiligen. Dann sollte hältnismäßig geringen Beträgen große politische gemeinsam an der Vitrifikation, das heißt an der Ein- Wirkung erzielen. 80 Millionen DM im Haushalt für schmelzung in Glas, gearbeitet werden. Der Weg, humanitäre Hilfe für die ganze Welt - dazu gehören der heute mit deutscher Unterstützung verfolgt wird, Flüchtlingshilfe, Sofort- und Katastrophenhilfe -, ist abrüstungspolitisch und energiepolitisch eine aber 65 Millionen DM als erste Rate für türkische Sackgasse. Fregatten. Das macht deutlich, wo diese Bundesre- gierung ihre falschen Prioritäten setzt. (Zustimmung bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Ich habe die MEKO-Fregatten bereits erwähnt. ten der PDS) Der Bundestag hatte zum Haushalt 1995 die Ver- pflichtungsermächtigungen gesperrt. Der Haushalts- Das Internationale Rote Kreuz hat im September ei- ausschuß hat die Mittel jetzt gegen unsere Stimmen nen Hilferuf gestartet und an die vergessenen Kon- freigegeben. Aber die Gründe für eine Sperre gelten flikte erinnert - an Afghanistan, an Liberia, an Sri nach wie vor: Keine Rüstungshilfe für die Türkei, so- Lanka, an den Kaukasus. Es hat bedauert, daß sich lange es Spannungen im östlichen Mittelmeer gibt die Geberländer vor allem dort engagieren, wo sie und die Lage der Menschenrechte noch immer nicht sich eine große Medienwirkung versprechen. Bei den Standards entspricht, die in der Nato auch als den Beiträgen zu UNICEF und dem Weltkinderhilfs- Wertegemeinschaft vereinbart worden sind. werk liegen wir in der Rangskala weit hinten und müssen uns von unseren Nachbarn Niederlande, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 5746 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Eckart Kuhlwein Die Bundesregierung, der Bundesaußenminister Ich bedaure auch, daß unsere Bemühungen um ei- hat uns immer noch nicht die Frage beantwortet, nen ersten Schritt zu einer deutsch-tschechischen warum ausgerechnet diese Werfthilfe, die es sein Stiftung für die Opfer des Nationalsozialismus am soll, im Haushalt des Auswärtigen Amtes veran- Widerstand der Koalition gescheitert sind. Das paßt schlagt ist. Diese Frage ist immer noch offengeblie- in dieselbe Generallinie, leichtfertig mit der deut- ben. Sie wird hin- und hergeschoben. Ich bin ge- schen Geschichte umzugehen. spannt darauf, ob bei dieser Werfthilfe die Brüsseler Kommission eines Tages interveniert und sagt, daß (Zustimmung bei der SPD) sie eigentlich mit dem europäischen Recht nicht ver- Zum Schluß möchte ich die Bundesregierung einbar sei. darum bitten, neue Instrumente ziviler Konfliktbe- wältigung zu entwickeln und zu erproben, wie sie Der Vizeweltmeister beim Rüstungsexport hat kei- zum Beispiel von der Kirchenleitung -Branden- nen Grund, durch die Ausfuhr von weiteren Kriegs- burg angeregt worden sind, die als Mittel einer waffen nach dem Weltmeistertitel zu streben. neuen Politik friedlicher Streitbeilegung einen zivi- (Beifall bei der SPD) len Friedensdienst schaffen möchte. Das Forum Zivi- ler Friedensdienst, das aus dieser Initiative entstan- Dazu kommt, daß die Türkei jetzt zugeben mußte, den ist, hat dazu erste Vorschläge vorgelegt, die ich daß deutsche Waffen aus der Rüstungshilfe entgegen den Fraktionen des Deutschen Bundestages und der den Verabredungen auch gegen Kurden im türki- Bundesregierung ans Herz legen möchte. eingesetzt worden sind. Wahrscheinlich schen Inland Gerade jetzt, am Beginn des Friedensprozesses im gilt dies auch für die anhaltende völkerrechtswidrige ehemaligen Jugoslawien, brauchen wir viele enga- Besetzung des nördlichen Teils von Zypern. Wir wür- gierte und qualifizierte Menschen, die dabei helfen, den gern vom Außenminister hören, wie er mit den vor Ort die verfeindeten Gruppen wieder zusammen- Brüskierungen umgehen will, nachdem er uns früher zuführen. Es stünde unserem Land mit seiner Ge- erklärt hat, er sei sicher, die Türkei habe die Wahr- schichte gut an, auch solche Wege zu suchen und zu heit gesagt, als sie behauptete, deutsche Waffen gehen. seien nicht gegen Kurden eingesetzt worden. Wir würden gerne hören, ob Sie da etwas zu korrigieren (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- haben. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das ist Ganz zum Schluß danke ich den Mitarbeiterinnen doch zurückgezogen! - Günther F riedrich und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes für ihre Nolting [F.D.P.]: Woher haben Sie denn Ihre Unterstützung bei der Beratung des Haushalts. Kenntnisse?) Ich bitte die Kollegen Berichterstatter von der Koa- - Ich habe einen Bericht gelesen, wonach Abgeord- lition um bessere Terminabstimmung und mehr Infor- -neten dieses Hauses, des Verteidigungsausschusses - mation. Sie werden das gleich ergänzen können. Es gibt für meine Fraktion keine ausreichenden Gründe, dem Haushalt des Auswärtigen Amtes und (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Er war damit der Politik des Bundesaußenministers, auch dabei! - Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: wenn wir in manchen Fragen mit ihm übereinstim- Ich bin dabeigewesen!) men, zuzustimmen. Im übrigen habe ich an anderer Stelle auch Infor- Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. mationen, was den Einsatz von deutschen Waffen in Zypern angeht, erhalten. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Meine Damen und Herren, leider kennzeichnen [CDU/CSU]: Für die Rede Haushaltstitel wie die MEKO-Subventionen die Ein- haben Sie nicht einmal einen Schluck Was- stellung der Koalition zu den Gewichten in der Au- ser verdient!) ßenpolitik mehr als die folgenlosen Bemühungen um die Verbesserung der zivilen Instrumente. Bezeich- nend dafür ist auch, wie die Koalition mit dem Be- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Erich Riedl. schluß des Deutschen Bundestages umgeht, in Guer- nica als Geste des Friedens ein Berufsbildungspro- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ jekt zu fördern. Seit 1991 gibt es dazu einen Vertrag DIE GRÜNEN]: Bundeskanzler Riedl!) zwischen Guernica und seiner Partnerstadt Pforz- heim. Gebraucht würden insgesamt 12 Millionen DM, aber die Koalition will nicht. Der Kollege Riedl Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Fi- bezweifelt sogar, ob die Geschichtsschreibung über scher, ich kann mir vorstellen, daß das ein ewiger Guernica 1937 neueren Erkenntnissen standhalten Wunschtraum von Ihnen sein wird. würde. Wer so mit der Geschichte und ihrer Auf- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ arbeitung umgeht, setzt mühsam erworbenes Ver- DIE GRÜNEN]: Nein!) trauen aufs Spiel. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen (Beifall bei der SPD sowie der Abg. und Herren! Wenn man den Reden des Kollegen Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Kuhlwein und seiner SPD-Kollegen etwas aufmerk- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5747

Dr. Erich Riedl (München) sam zugehört hat, wurde einem der Grund klar, machen wir in der Bereinigungssitzung. Da sind Sie warum die SPD diese Haushaltsdebatte absetzen aber ausgezogen. wollte: In keinem der Beiträge ist ein einziger ver- nünftiger und konstruktiver Gedanke zur deutschen (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der Politik festzustellen gewesen. F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es ist nur schade, daß Herbe rt Wehner nicht mehr lebt. Dessen Gesicht würde ich jetzt gern sehen, Dabei weiß ich nicht, ob die Kollegen auch dagewe- wenn er da vorne säße. sen wären, wenn wir den Punkt abgesetzt und in den Haushaltsausschuß zurückverwiesen hätten. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Widerspruch bei der SPD) Ihre Meinung zum Jäger 90 kenne ich. Der Kollege Kuhlwein lobt den SPD-Kollegen Jungmann dafür - den ich im übrigen genauso (Günter Verheugen [SPD]: Klar, das wissen schätze wie Sie -, daß er sich für 10 Millionen DM wir!) mehr für Minenräumung eingesetzt hat. Justament zu dem Zeitpunkt, als wir über diese 10 Millionen - Seien Sie vorsichtig, Herr Verheugen. Sie sind Ab- DM diskutiert und sie beschlossen haben, war die geordneter in Bayern - zwar nur über die Liste, aber SPD ausgezogen. immerhin. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der CSU) F.D.P.) Vor der Tür setzt man keine 10 Millionen DM durch. Sie würden die Mehrheit in einem Wahlkreis, in dem die Luftfahrtindustrie zu Hause ist, auch nicht be- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P. kommen. Sie haben sie nicht einmal in der Bierstadt - Ina Albowitz [F.D.P.]: Da setzt man in der Kulmbach erhalten. Regel gar nichts durch!) Herr Kuhlwein, auf Grund der Erfahrungen, die (Günter Verheugen [SPD]: Da habe ich sie! ich in diesem Haus schon gesammelt habe, möchte Über 50 Prozent!) ich sagen: Man kann überall ausziehen. Nur aus - Nein, dort haben Sie sie nicht bekommen. In Kulm- zwei Gremien würde ich nicht ausziehen: aus dem bach werden Männer gewählt, richtige Männer. Ältestenrat und aus dem Haushaltsausschuß. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) F.D.P.) Ich bitte die Damen um Entschuldigung. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Riedl, Lieber Herr Kuhlwein, zum Jäger 90 und zu den gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kuhl- MEKO-Fregatten möchte ich Ihnen sagen: Bevor Sie wein? an dieses Pult treten, empfehle ich Ihnen, das mit der IG Metall und den vor Ort tatsächlich noch zahlreich Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Es ist mir vorhandenen SPD-Betriebsratsmitgliedern zu disku- ein Vergnügen. tieren. Ich weiß, was die über Sie reden. Das kann ich Ihnen gratis und privatissime - wie Strauß immer Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Riedl, ist es zu sagen pflegte - mitteilen. richtig, daß Sie bei der Beratung des Einzelplans 05 (Widerspruch bei der SPD) einen Antrag unserer Fraktion, 10 Millionen DM zu- sätzlich für Minenräumung einzusetzen, abgelehnt Ich habe gedacht, heute gibt es das große Donner- haben und daß sich die Koalition erst nach den wetter über die Etatisierung der deutschen Außenpo- freundschaftlichen Gesprächen, die der Kollege litik innerhalb des Bundeshaushalts. Jungmann nach seinen Erfahrungen in Mosambik auch mit Ihnen geführt hat, entschieden hat, doch (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ 10 Millionen DM einzusetzen? DIE GRÜNEN]: Die Etatisierung? Er meint die Militarisierung!)

Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Kuhl- Mitnichten. wein, Sie passen nicht einmal in Sitzungen auf, in de- nen Sie anwesend sind. Es ist falsch, Herr Kuhlwein, wenn Sie sagen, die in der Welt gewachsene deutsche Aufgabe schlage (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der sich in diesem Haushalt nicht entsprechend nieder. F.D.P.) Das Gegenteil ist der Fall. Der Haushalt des Auswär- Ich kann es Ihnen noch schriftlich geben. tigen Amtes für 1996 - das ist schon gesagt worden - hat ein Gesamtvolumen von 3,782 Milliarden DM. Ich habe Ihnen damals gesagt: Diese 10 Millionen Ich nenne Ihnen diese Zahl, weil ich Sie später bitten DM müssen wir vom Finanzminister holen, weil wir möchte, sie mit anderen Zahlen in Verbindung zu sie aus dem Einzelplan 05 nicht herausstreichen bringen. Herr Finanzminister, das sind 0,84 Prozent konnten. Da habe ich gesagt: Gedulden Sie sich; das am gesamten Bundeshaushalt. 5748 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Erich Riedl (München) Ich darf Ihnen als Berichterstatter im Haushaltsaus- ich erwähnen darf. Das ist die Erhöhung der Mittel schuß sagen, daß die deutsche Außenpolitik mit die- für die humanitäre Hilfe um 3,5 Millionen DM, für sem Haushalt den Kurs der soliden Haushaltsfinan- UNICEF um 3 Millionen DM, für das Internationale zierung und -konsolidierung voll mitträgt. Das muß Komitee vom Roten Kreuz um 400 000 DM und für einmal gesagt werden, weil oft falsche Vorstellungen die Beseitigung von Landminen. über das bestehen, was auswärtige Politik leistet. - Der Kollege Poppe hat vorhin die Ausstattungs- Ich will das unterstreichen - es kommt viel zuwe- hilfe kritisiert, weil es unter diesem Titel auch Poli- nig zum Ausdruck -: Unsere Diplomaten leisten ei- zeihilfe gibt. Herr Kollege Poppe, ich will es in aller nen lebenswichtigen Dienst für Deutschland. Sie lei- Ruhe und Nüchternheit sagen: Hier werden keine sten zunehmend einen wertvollen Dienst für unsere Waffen, keine Pistolen, keine Munition und über- gesamte Volkswirtschaft. Der auswärtige Dienst ist haupt nichts Militärisches geliefert; das ist aus- nicht nur ein rein diplomatischer Dienst. schließlich Ausstattung für Krankenhäuser und Infra- strukturen. Ich bin sehr froh, daß unter den wenigen Manche Diplomaten - angesichts der vielen Kri- Ländern der Welt, die diese Hilfe überhaupt leisten, senherde in der Welt muß man sogar sagen: viele Deutschland ist. Diplomaten - leben äußerst gefährlich mit ihren Fa- milien in Krisengebieten und setzen täglich ihr Le- Wenn man sieht, wie die leidenden Menschen - ben ein. Ich möchte an dieser Stelle unseren Diplo- ich habe Menschen im Jemen gesehen, die durch maten und ihren Familienangehörigen ein herzliches den dort herrschenden Bürgerkrieg fürchterlich ver- Dankeschön für ihre Arbeit sagen. stümmelt wurden - von deutschen Ärzten, Schwe- stern und deutschen Einrichtungen gepflegt werden, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so und ihre Dankbarkeit miterlebt, dann sollte man, wie bei Abgeordneten der SPD und des Herr Kollege Poppe, im Bundestag nicht so reden, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie Sie es getan haben. 0,84 Prozent, also nicht einmal 1 Prozent aller Bun- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- desausgaben werden für den auswärtigen Dienst ordneten der F.D.P.) Deutschlands aufgewendet, der weltweite Interessen einer großen Exportnation wahrnimmt, in der jeder Von den etwa 3,8 Milliarden DM, die im Einzelplan dritte Arbeitsplatz exportabhängig ist, der bis in ent- vorgesehen sind - meine Bitte lautet, daß Sie alles in legenste Winkel der Erde seinen Bürgern - wir sind Relation zu dieser Zahl stellen -, gehen 1,19 Mil- Weltmeister im Tourismus; das ist keine Beleidigung - liarden DM in den Kulturhaushalt des Auswärtigen im Notfall hilft und der in einem immer dichter wer- Amtes. Was mich immer ein wenig wundert - in mei- denden Netz bilateraler und multilateraler Beziehun- nem Alter ärgert man sich nicht mehr so leicht -, ist, gen für Frieden, Verständigung, sozialen Fortschritt daß ausgerechnet von denen, die seit Jahren von und eine bessere Umwelt arbeitet. Das ist fürwahr staatlichen Gehältern leben, öffentlich daran Kritik kein Luxus, ganz im Gegenteil. geübt wird, daß es noch nicht genug sei. Herr Kollege Lamers, wir haben neulich in der Ar- (Beifall der Abg. [Unna] [CDU/ beitsgruppe darüber gesprochen: Weder die USA, CSU]) Großbritannien, Frankreich noch die meisten ande- Wenn sie den Bundespräsidenten oder den verehr- ren großen Industrienationen verfügen über eine der- ten Bundeskanzler treffen, dann geht das Klagelied art bescheidene Quote ihres Haushalts für den aus- los, und wir alle müssen uns das Klagelied anhören. wärtigen Dienst am Gesamtstaatshaushalt. Wenn ich dann dem Bundeskanzler und dem Bun- Dieser Haushalt wächst trotz aller Konsolidierungs- despräsidenten berichte, was wir alles sagen, dann bemühungen 1996 gegenüber 1995 etwas an, und höre ich: Das habt ihr gut gemacht. Also, meine Her- zwar um rund 217 Millionen DM. Herr Kollege Kuhl- ren vom Goethe-Institut oder wie sie alle heißen: wein, die MEKO-Fregatten hätte ich auch herausge- Seien Sie etwas vorsichtig mit ihren etwas vorlauten rechnet. Herr Kollege Wieczorek, wenn wir die Haus- Kritiken, die nicht berechtigt sind. Auch das will ich haltswahrheit angewandt hätten, hätten wir sie ei- hier einmal loswerden. gentlich in den Einzelplan 09 einsetzen müssen. Es (Beifall bei der CDU/CSU) hat jedoch andere Gesichtspunkte gegeben, deshalb rechne ich die Kosten der MEKO-Fregatten aus einer Es ist im übrigen interessant, daß in den Gremien exakten Haushaltsanalyse heraus. zum Beispiel beim Goethe-Institut ausgerechnet die Kolleginnen und Kollegen mehr Geld fordern, die Der Zuwachs beruht in erster Linie auf der Höhe früher, als sie auf der Regierungsbank saßen, nicht in der Pflichtbeiträge an die Vereinten Nationen und in- der Lage waren, mehr Gelder für das Goethe-Institut ternationale Organisationen. Daneben mußten eine durchzusetzen. Dafür wird man vielleicht sogar ganze Reihe von Maßnahmen finanziert werden, die heute noch mit einem Orden dekoriert. die große Not von vielen hunderttausend Menschen in der Welt lindern helfen können, bei denen manche Wir haben, den Kulturhaushalt um 20 Millionen angesichts der Beträge, die ich Ihnen gleich beispiel- DM aufgestockt. Dies ist in den Zeiten knapper Kas- haft nennen will, sagen: Das ist kleinlich, und dieses sen ein politisches Signal für die auswärtige Kultur- große Deutschland könnte mehr tun. politik. Deutschland ist - das muß man wissen, und das weiß man - Gott sei Dank nicht autark. Unsere Wir sollten sogar froh sein, daß es trotz der schwie- Politik ist europäisch eingebunden, unsere Wirtschaft rigen Haushaltslage gelungen ist, einiges zu tun, was mit weltweiten Handels- und Kapitalströmen ver- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5749 Dr. Erich Riedl (München) netzt und unsere Wissenschaft und Forschung inter- Wir müssen uns alle gemeinsam die Frage stellen, national orientiert. Deshalb brauchen wir eine lei- ob es sich Deutschland bei seiner gewachsenen Be- stungsfähige Auslandskulturpolitik. Wir werden die deutung auf Dauer leisten kann, diese Einsparungen Zielsetzungen, die wir uns selbst gegeben haben, mit mit der Schließung von Konsulaten und Generalkon- bescheidenen Zuwachsraten an Haushaltsmitteln sulaten zu erkaufen. Mir jedenfalls bereitet der konti-- auch in den nächsten Jahren realisieren. nuierliche Abbau unserer Präsenz im Ausland größte Sorge. Ich würde es für gut halten, wenn darüber Ei- Aber nicht alle Probleme lassen sich über den nigung erzielt werden könnte, daß es das gesamt- Haushalt lösen. Wenn die auswärtige Kulturpolitik staatliche Interesse erfordert, künftig die deutschen das leisten soll, was wir und vor allen Dingen auch Auslandsvertretungen so, wie wir die Polizei, die Ju- die Wirtschaft von ihr erwartet, dann braucht sie stiz und die Zollverwaltung ausgenommen haben, mehr und stärkere Unterstützung von allen gesell- von den jährlichen Stellenkürzungen auszunehmen. schaftlichen Kräften, nicht nur vom Bund und von den Ländern, sondern auch und in erster Linie von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU der deutschen Wirtschaft. und der F.D.P.) Die Bilanz ist sehr eindrucksvoll. Das Goethe-Insti- Nun ein Wort zu den Kosten im internationalen Be- tut wird demnächst den 750 000. Sprachkursteilneh- reich. Ich richte meinen Appell, meine Bitte an Sie, mer begrüßen. daß Sie diese Zahlen in Relation zum Gesamtvolu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so men des Haushaltes setzen. Im Haushalt des Aus- wie des Abg. Joseph Fischer [Frankfurt] wärtigen Amtes sind im Haushaltsjahr 1996 rund [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Joseph Fi 770 Millionen DM für Pflichtbeiträge an die Verein- scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten Nationen und an andere internationale Organisa- NEN]: Eben hat die Debatte einen einsa tionen vorgesehen. Das sind immerhin 70 Prozent al- men Höhepunkt erreicht! - Heiterkeit beim ler politischen Ausgaben des Auswärtigen Amtes. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der Wenn Sie den gesamten Haushalt betrachten, dann SPD) stellen Sie fest, daß jede fünfte D-Mark des Haus- halts des Außenministers für Pflichtbeiträge der Ver- - Herr Fischer, Ihre Demagogie kenne ich. Ich rate einten Nationen und andere internationale Organisa- Ihnen: Gehen Sie einmal ein Semester ins Goethe-In- tionen ausgegeben wird. stitut, und lernen Sie anständig Deutsch! (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU - Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Riedl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- DIE GRÜNEN]: Ich würde lieber ein Seme ordneten Weng? ster in die CSU München eintreten!) - Um Gottes willen! Wenn wir auch Sie noch in der Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Kol- Münchener CSU hätten, dann hätte ich noch mehr lege Weng, wenn mir Ihre Frage auf meine Redezeit Probleme als zur Zeit. nicht angerechnet wird, gerne. (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Herr Kol- Ein netter Mensch sind Sie nicht, Herr Fischer. Das lege Riedl, Sie haben gerade den Vorschlag gemacht, muß ich Ihnen schon sagen. daß bei den Außenvertretungen des auswärtigen Be- Herr Bundeskanzler, mir wäre es recht - ich sage reichs Personalkürzungen nicht erfolgen sollten. das jetzt mehr als Staatsbürger und als Erich Riedl -, Stimmen Sie mir in der Auffassung zu, daß der Be- wenn die deutsche Sprache vom Goethe-Institut schluß, den der Deutsche Bundestag hierzu in der auch noch in den nächsten Jahrzehnten so, wie sie in Folge des Beschlusses des Haushaltsausschusses fas- ihrer Orthographie heute besteht, und nicht in der sen wird, der Regierung die Möglichkeit in der Um- verunstalteten Weise der Vorschläge, die zur Zeit von setzung durchaus läßt, den Bereich der auswärtigen den Kultusministern der Länder diskutiert werden, Vertretungen herauszunehmen? vermittelt werden könnte. Ich bin sicher, daß wir uns da völlig verstehen. Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Ich bin Ih- nen für diesen Hinweis dankbar. Ich hätte ihn selber (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) geben müssen. Es ist richtig, was Sie gesagt haben. Ich muß im Zusammenhang mit den deutschen Ich kann Ihnen zustimmen. Ich nehme Ihre Frage Vertretungen in der ganzen Welt auf einen Punkt zu zum Anlaß, die Bundesregierung und insbesondere sprechen kommen, den Sie sicher alle schon bemerkt den verehrten Finanzminister zu bitten, diese Art von haben. Wir müssen, wie Sie wissen, aus haushalteri- Flexibilität in die Spezialanweisung zur Durchfüh- schen Gründen auch in diesem Jahr und auch für rung des Bundeshaushalts 1996 mit aufzunehmen. 1996 eine Kürzung von 1,5 Prozent des Personalbe- Vielen Dank. stands erdulden, erleiden und durchsetzen: Ich will (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- für das Auswärtige Amt auch als Haushälter sagen, wie der F.D.P.) daß angesichts der zunehmenden Aufgaben in der Welt die Umsetzung dieser Kürzungen leider Gottes Meine Damen und Herren, ich bin auf eine andere nur noch durch weitere Schließungen von Auslands- Sache gestoßen, weil ich mir gedacht habe: Es kann vertretungen möglich wird. doch nicht wahr sein, daß nur im Einzelplan 05 Bei- 5750 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Erich Riedl (München) träge für internationale Organisationen etatisiert nes Licht für Deutsch als Amtssprache im Europarat sind. Man höre und staune, daß Deutschland über gegeben wird, dann ist, Herr Minister, das Geld da. 20 Einzelpläne hinweg an rund 350 internationale und supranationale Organisationen 6,7 Milliarden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) DM Pflichtbeiträge in 1996 leistet. Ich muß jetzt leider etwas überblättern. - Herr Bundeskanzler, ich möchte Ihnen, wenn Sie irgendwann einmal gefragt werden, ob die Deut- (Günter Verheugen [SPD]: Das macht schen ihren Verpflichtungen nachkommen, und nichts! - Weitere Zurufe von der SPD) wenn kritisiert wird, daß wir zuwenig bezahlen, die Die Misere der SPD ist bekannt. Sie müßten mal Ermutigung für diese Gespräche mit auf den Weg ge- Nachhilfeunterricht bekommen, der qualifiziert ist. ben, daß es in der Welt außer uns keine Nation gibt, Aber selbst dies lehnen Sie ab. Mit Ihnen ist es hoff- die so pünktlich zum Stichtag, umfassend und in die- nungslos! Mit Ihnen kann man nicht einmal Nachhil- sem Volumen einmalig ihren internationalen Ver- feunterricht machen. Fürchterlich! Bin ich froh, daß pflichtungen nachkommt. Das ist ein Musterbeispiel ich nicht Mitglied der SPD bin! an internationaler Solidarität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ordneten der F.D.P.) F.D.P.) Mich ärgern allerdings - ich bin sicher, da bin ich Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestat- nicht allein - zwei Dinge. Das erste ist, daß ange- ten Sie mir zum Schluß ein Wort über die deutschen sichts der Finanzleistungen, die wir erbringen, der Zielsetzungen bei der derzeit in Erarbeitung befindli- deutsche Personalanteil fast überall in diesen Orga- chen Konzeption der Europäischen Union zum Wie- nisationen eindeutig unterrepräsentiert ist, aber nicht deraufbau im ehemaligen Jugoslawien. Dieser Wie- nur im VN-Bereich, sondern auch bei so gut wie al- deraufbau nach einer, wann auch immer - Herr Mi- len europäischen Institutionen. Dies ist selbst bei der nister, es wäre schön, wenn es bis Weihnachten so WTO - das ist die Nachfolgeorganisation des GATT - weit wäre; ich glaube das persönlich nicht -, in Kraft der Fall, bei der der deutsche Finanzanteil getretenen Friedensregelung muß eine internatio- 12,5 Prozent beträgt, aber der deutsche Personalan- nale Gemeinschaftsaufgabe der Vereinigten Staaten, teil nur 2,5 Prozent. Das ist ein Skandal. Japans und aller Industriestaaten sein. Alle Lasten müssen, wie es die Bundesregierung anpeilt - der (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ein gro Außenminister hat es heute hier dargelegt -, ange- ßer Skandal!) messen geteilt werden. Insbesondere die internatio- Da muß etwas gemacht werden. nalen Finanzinstitutionen müssen maßgebliche Bei- träge leisten. Dies muß vor allem auch für den Bei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - trag der Europäischen Union gelten. Dieser Beitrag Dr. Peter Struck [SPD]: Wer regiert denn?) muß unbeschadet flankierender nationaler Leistun- gen aus EU-Mitteln aufgebracht werden, wobei - Das war doch zu Ihrer Zeit noch viel schlimmer. Sie Richtschnur der derzeit gültige EU-Haushalt - ich sind ja wirklich ein Clown. Sie waren im Haushalts- füge ganz bewußt hinzu - im Rahmen der beschlos- ausschuß zu jener Zeit, als die SPD die Regierung ge- senen finanziellen Vorschau - bei uns heißt es mittel- stellt hat. Dann haben Sie sich aus dem Haushalts- fristige Finanzplanung - sein muß. Dabei ist es ausschuß als Parlamentarischer Geschäftsführer ver- selbstverständlich, daß vorzeitige Festlegungen der abschiedet, und inzwischen haben Sie alles verges- Politik - ich spreche auch dies ganz deutlich aus -, sen, was im Haushaltsausschuß war. von wem auch immer, so lange zu unterbleiben ha- (Dr. Peter Struck [SPD]: Das stimmt gar ben, bis eine verläßliche Einschätzung des mittelfri- nicht, Herr Riedl! Nehmen Sie das zurück!) stig erforderlichen Finanzbedarfs einschließlich der Möglichkeiten für die Schuldenregelung durch Welt- - Denken Sie zurück. Setzen Sie Ihr Langzeitge- bank und IWF besteht. dächtnis ein. Dann werden Sie mir zustimmen. (Zuruf von der CDU/CSU: Hat er überhaupt Ich möchte deshalb an die Bundesregierung appel- lieren, insbesondere im Hinblick auf die auch in den ein Langzeitgedächtnis?) kommenden Haushaltsjahren zu erwartenden enor- - Ob er eines hat, das weiß ich nicht. Da gebe ich Ih- men Sparanstrengungen im Rahmen unserer mittel- nen recht. Das weiß ich einfach nicht. Ich will keine fristigen Finanzplanung, finanzielle Zusicherungen falschen Behauptungen aufstellen. für den Wiederaufbau im ehemaligen Jugoslawien nur in enger Abstimmung und im Einvernehmen mit Das zweite, was mich ärgert, ist, daß Deutsch als allen Fraktionen des Deutschen Bundestages zu ma- Amtssprache oder als Arbeitssprache - da wird un- chen. terschieden - so gut wie nirgendwo vorhanden ist. Ich freue mich, daß es jetzt - offenbar ist das das Er- gebnis der jahrelangen Bemühungen unseres Bun- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Zeit, Herr deskanzlers, seiner Bundesregierung und auch deut- Kollege! scher Parlamentarier des Bundestages - zumindest im Europarat hierzu eine positive Entwicklung gibt, so daß wir im Einzelplan 05 für 1996 die finanziellen Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Ich mache Voraussetzungen geschaffen haben. Wenn also grü- den Satz noch zu Ende, Herr Präsident. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5751

Dr. Erich Riedl (München) Angesichts des unsinnigen Krieges im ehemaligen Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Ich bitte Jugoslawien mit seiner sinnlosen Zerstörung der ge- um Entschuldigung, aber Technik ist etwas Fürchter- samten Infrastruktur und des verantwortungslosen liches. Hinmordens unschuldiger Menschen liegt es in der (Lachen bei der SPD) Verantwortung der Industriestaaten, daß sich alle ge- meinsam am Wiederaufbau beteiligen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das jedenfalls Meine Damen und Herren, ich möchte mich ganz haben Sie mit den Kollegen der SPD gemeinsam. zum Schluß sehr herzlich bedanken. Ich war schon Berichterstatter für mehrere Häuser. Aber ich möchte Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Ver- mich ausdrücklich bedanken, Herr Minister, für die heugen, in Ihrer Schublade liegt das Bundestags- außerordentlich qualifizierte und sparbewußte Hal- handbuch. Wenn Sie hineinschauen, werden Sie se- tung Ihrer Mitarbeiter im Haushaltsreferat. hen, daß den Wahlkreis Kulmbach der Kollege Protz- (Bundesminister Dr. Klaus Kinkel: Das tut ner als Direktkandidat gewonnen hat, gut!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Zu Recht!) Es ist für einen Minister immer gut, auch einmal ein und zwar mit einem Bombenabstand zu Ihnen. Lesen paar Details über sein Haus zu erfahren. Mit der Ab- Sie doch zuerst einmal Ihre eigenen Wahlergebnisse, teilung können Sie wirklich sehr gut leben. Diese dann können Sie im Bundestag nicht einen solchen Abteilung hat sich außerordentlich konstruktiv er- Blödsinn bekanntgeben. wiesen. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich möchte mich auch bei den Mitberichterstatte- rinnen und dem Mitberichterstatter für den Einzel- plan 05 bedanken. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu einer weiteren Kurzintervention hat jetzt der Kollege Ich wäre Ihnen dankbar, meine Damen und Her- Kuhlwein. ren, wenn Sie dem Einzelplan 05 in zweiter Lesung zustimmen würden. Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Kollege Riedl, wenn (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie noch einen Moment aufpaßten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- Ich möchte noch etwas zur Klärung der Vaterschaft ner Kurzintervention hat der Kollege Verheugen. für diese zusätzlichen 10 Millionen DM sagen, die für Minenräumaktivitäten ausgegeben werden sollen. Sie haben versucht zu verwaschen, von wem die In- (SPD): Ich weiß zwar nicht, Günter Verheugen itiative dafür gekommen ist. Deshalb möchte ich Sie meine Damen und Herren, was der Kollege Riedl da- an die Drucksache 13/2630, Bericht des Haushalts- mit sagen wollte, daß ich selbst in der Bierstadt ausschusses, erinnern. Auf Seite 16 steht wörtlich: Kulmbach die Mehrheit nicht hätte gewinnen kön- nen, weil es ja viele Städte in Deutschland gibt, in Mehrheitlich abgelehnt hat der Haushaltsaus- denen CDU- oder CSU-Kollegen die Mehrheit nicht schuß einen Antrag der Fraktion der SPD, die gewinnen konnten. Aber ich habe mir das Wahler- Ausstattungshilfe um 10 Mio. DM in 1996 sowie gebnis kommen lassen. Erststimmenergebnis der Verpflichtungsermächtigungen um 13,3 Mio. DM letzten Bundestagswahl in der Bierstadt Kulmbach: zur Finanzierung von Projekten zur Beseitigung CSU - Kollege Dr. Protzner, Generalsekretär der CSU der Landminengefahr zu erhöhen. - 41,38 Prozent, SPD - ich - 48,77 Prozent. Wenn ich richtig rechnen kann, ist das die Mehrheit für die Das geschah im ersten Durchgang zum Einzelplan 05. SPD. Dieser Titel war auch nicht zur Behandlung in der Ich erwähne das nur deshalb, weil ich das Gefühl Bereinigungssitzung vorgesehen. Sie haben sich gewonnen habe, daß Sie sich gern hier hinstellen, nachher dazu bewegen lassen; das begrüßen wir. einfach irgend etwas daherreden und denken, es Tun Sie aber nicht so, als hätten Sie diesen Ansatz wird schon niemand merken, daß es falsch ist. Dies- allein entwickelt. Zudem fand ich es unfair, daß mal haben wir es gemerkt! unser Name nicht auf der von Ihnen erstellten Druck- sache gestanden hat. (Beifall bei der SPD) (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie waren ja nicht dabei! - Weitere Zurufe von Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege der CDU/CSU) Riedl. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Ver- Riedl. heugen - - Dr. Erich Riedl (München) (CDU/CSU): Herr Präsi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Immer mit der dent! Wir waren uns im Bundestag über alle Fraktio- Ruhe. Sie müssen warten, bis das rote Licht aufleuch- nen hinweg einig, daß wir bezüglich der Minenräum- tet. aktivitäten etwas machen müssen. Der eigentliche 5752 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Erich Riedl (München) Jammer besteht darin, daß der Herr Kollege Kuhl- 21. Jahrhundert geboten bekommen haben, kann ich wein hier so tut, als ob das nur von ihm und Herrn nur sagen: Prost Mahlzeit! Jungmann initiiert worden wäre. Bei der entschei- denden Abstimmung aber war er nicht da. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der SPD sowie bei Abgeordneten Wissen Sie, es ist so wie beim Fußball: Wenn eine der PDS) - Fußballmannschaft um 15.30 Uhr nicht im Stadion ist, hat sie verloren. Seine Erhabenheit, der Bundeskanzler - da muß man sich fragen, welches Verfassungsverständnis Sie (Heiterkeit bei der CDU/CSU) haben -, Sie schweigen bereits den ganzen Morgen wie ein Buddha, obwohl es darum geht, Ihren Haus- Der Herr Kollege Kuhlwein war bei der Abstimmung halt zu verteidigen. Dabei geht es nicht um Bierstadt draußen. Ob er sich do rt mit seinen Kollegen von der oder ähnliches, sondern um höchst ernste Dinge, SPD darüber gestritten hat, ob es richtig war, hinaus- Herr Bundeskanzler. zugehen, oder ob es besser gewesen wäre, drin zu bleiben, kann Ihnen der Kollege Wieczorek sagen. Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert - das ist in der Ob er seine Geheimhaltungspflichten unterwandern Tat das zentrale Thema, um das es sich zu streiten kann, ist aber wieder Sache der SPD. Das weiß ich lohnt. Nur: Darum muß auch gestritten werden. nicht. Darum geht es. Wir freuen uns alle darüber, daß (Heiterkeit bei der CDU/CSU) der siebenhundertfünfzigtausendste Besucher die Goethe-Institute endlich erreicht hat. Aber es ist Eines muß ich noch sagen: Kulmbach ist eine herr- nicht das Thema des 21. Jahrhunderts, meine Damen liche Stadt. Der Abgeordnete Protzner hat den Wahl- und Herren. kreis 226, Kulmbach, mit 53,3 Prozent gewonnen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) der SPD-Kollege Verheugen hat nur 37,2 Prozent er- zielt. Deswegen lassen Sie uns einmal zu den substan- tiellen Themen kommen, über die es sich wirklich in (Günter Verheugen [SPD]: Wahlkreis! Es aller Ernsthaftigkeit zu streiten lohnt. Herr Bundes- war von der Stadt die Rede!) kanzler, ich möchte Sie auffordern, mit diesem kindi- schen Spiel aufzuhören. Sie haben Ihren Haushalt zu Wir haben jetzt für Kulmbach genug Werbung ge- vertreten. Kommen Sie hierher und vertreten Sie ihn. macht, aber ich möchte noch hinzufügen: Sie gewin- Das ist der entscheidende Punkt. Ich finde es höchst nen ihn auch in vier Jahren nicht. Das sage ich Ihnen albern, wie Sie sich heute morgen hier gebärden. schon heute voraus. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) der SPD und der PDS) Meine Damen und Herren, der CDU-Parteitag war Das Wort hat Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: insoweit richtungsweisend. Ich betone noch einmal: jetzt der Kollege Fischer, Bündnis 90/Die Grünen. Herr Hintze, Sie haben es als Oberministrant hervor- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Exzel ragend gemacht. Die Frage, wie dieses Land in das lenz! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] 21. Jahrhundert geführt werden soll, wird hoffentlich [F.D.P.]: Holt tief Luft!) die entscheidende Kontroverse a ller Parteien in den kommenden Jahren und wird hoffentlich der Ent- scheidungsmaßstab für die nächsten Bundestags- Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE wahlen sein. Ich glaube, darüber gibt es keinen Dis- GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- sens, und kann es unter Demokraten keinen Dissens ren! Fast wäre ich versucht, dem Haus zu einer ge- geben. Sehen Sie sich die Ergebnisse Ihres Partei- lungenen Parlamentsreform zu gratulieren; denn an- tages an und wie Sie auf dem Weg in das gesichts der Höhepunkte, die heute die Haushaltsde- 21. Jahrhundert erst einmal in der Vorbereitung be- batte um den Einzelplan des Bundeskanzlers erreicht stimmte gesetzliche Vorschriften ausmanövrieren hat, bleibt einem kaum noch eine Alternative. Es mußten, Ausnahmevorschriften gewissermaßen er- geht um die Bierstadt Kulmbach. lassen mußten, um dort Ihre höchst fortschrittliche Verpackungsvorstellung durchsetzen zu können. Man könnte fast meinen, das sei die Fortsetzung des CDU-Parteitages mit anderen Mitteln hier im (Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble Plenum: auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Ich [CDU/CSU]) nehme an: Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert befin- det sich auch die Bundesregierung mit dem Bundes- - Herr Schäuble, das mag für Sie eine Kleinigkeit kanzler. sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Der Bundeskanzler redet immer gerne in großen Worten über Umwelt. Wenn es konkret wird, sei es - Ich bedanke mich ausdrücklich für diesen Beifall; bei den Öko-Steuern, sei es bei der Verpackungsver- denn zu dem, was wir heute auf dem Weg ins ordnung oder wo auch immer, dann stellt man fest, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5753 Joseph Fischer (Frankfurt) daß den schönen Worten keine Taten folgen. Aber Finanzminister hatte sogar noch die glorreiche Idee, das ist für mich nicht der entscheidende Punkt. in seinem Haushaltsansatz auf entsprechende Bun- deszuschüsse bei der Bundesanstalt für Arbeit zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verzichten. Die Opposition hat Ihnen von Anfang an und der SPD) gesagt, mein lieber Waigel, daß es sich dabei um Der entscheidende Punkt ist, daß seine Eminenz eine reine Luftbuchung handelt. Sie werden das ganz persönlich für die Frauenquote angetreten ist, nicht durchhalten können. Dann kamen Sie auch, als daß es akzeptiert wird, daß es sich hierbei um einen das Haushaltsloch da war, und mußten entspre- wichtigen Schritt auch der Frauengleichstellung in chende Milliardenbeträge nachschieben. Hohe Ar- der CDU handelt. Ihr Weg in das 21. Jahrhundert sah beitslosigkeit, wachsende Armut und dann das, was aber so aus, daß Sie beim ersten Schritt auf die man von der Wirtschaft immer wieder hört - und es Schnauze gefallen und im 19. Jahrhundert gelandet sind keine grünen oder sozialdemokratischen Wäh- sind. ler -: geringe Investitionstätigkeit, mangelnde Flexi- bilität, starke Bürokratisierung, sehr hohe Steuer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Abgabenlast, hohe Arbeitskosten durch sehr der SPD und der PDS) hohe Lohnnebenkosten. Das war die Konsequenz, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, in bezug auf die (Zurufe von der CDU/CSU) Steuer- und Abgabenlast: Ich fand es ja putzig, wie Herr Gerhardt sich heute morgen hingestellt hat - - Nein, nein, das ist kein Haushalt, das ist Präludium, Kohl und die F.D.P. regieren; die F.D.P. seit 26 Jahren - das ist Ihre Fähigkeit, Zukunft zu gestalten. Wir kom- und sagt: Die F.D.P. hat mit nichts in diesem Lande men gleich noch zum Regierungsteil. Keine Sorge, zu tun, was unbequem ist. Schuld an der hohen keine Sorge. Steuer - und Abgabenlast sind Rot und Grün. Diese Ich spreche noch einmal einen ganz entscheiden- Form der Arbeitsteilung können Sie wirklich nur den Punkt an. Sie sagen, Sie können die Zukunft ge- noch dann machen, wenn Sie, wie die F.D.P., Zukunft stalten. Sie sprechen dauernd über Investitions- offensichtlich völlig aufgegeben haben. Es ist doch hemmnisse. Sie sehen in der wachsenden Zahl der nachgerade grotesk. Sie, CDU/CSU und F.D.P., ver- Arbeitslosen kein bedrängendes Problem, in der antworten die hohe Steuer- und Abgabenlast. Wenn wachsenden Zahl der Armen kein bedrängendes wir über hohe Arbeitskosten sprechen, dann reden Problem, sondern Sie sehen hier hauptsächlich wir hauptsächlich darüber, daß diese Bundesregie- Leute, die sich - so Ihre Sprache, vor allem von der rung wesentliche Teile der Einheit über Lohnneben- F.D.P. - in das soziale Netz, in die soziale Hänge- kosten finanziert. Das ist die Wahrheit, meine Damen matte legen. Ich frage Sie: Wo ist Ihr Reformansatz in und Herren. einem der entscheidenden Punkte, wo Sie persönlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN direkt Verantwortung tragen, nämlich bei der Reform und der SPD sowie bei Abgeordneten der des öffentlichen Dienstes? Wenn ich mir ansehe, was PDS - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] der Bundesinnenminister vorgelegt hat, dann kann [F.D.P.]: Sie haben keine Alternative!) man sagen, das ist die Wiederentdeckung der Lang- samkeit bei der Reform des öffentlichen Dienstes. - Ich freue mich ja, daß Sie wieder den Mund aufbe- kommen. Er war ja versiegelt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der Der Kollege Riedl hat ja, um jetzt nochmals auf PDS) ihn zurückzukommen - in Kulmbach sind Männer gefragt -, offensichtlich an jenem Wochenende Wo sind denn hier wirklich substantielle Eingriffe? Kulmbacher Bier getrunken, als er den Brief an sei- Wo sind denn hier die Vorschläge für einen schlan- nen Parteivorsitzenden und Fraktionsvorsitzenden ken, für einen modernen, für einen hochproduktiven, geschrieben hat, in dem er wegen der Haushaltslage, gut bezahlten öffentlichen Dienst? Sie halten doch an wegen der Haushaltslöcher des Alarm dem bezopften absolutistischen Berufsbeamtentum schlug. fest. Das, was Sie sich an Reformen erlauben, ver- dient nicht einmal den Namen Reförmchen, meine Graf Lambsdorff hat ja dann ebenfalls eine klare Damen und Herren. Sprache in der Öffentlichkeit gefunden, indem er sagte: Dieser Haushalt ist auf das höchste gefährdet. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich meine, der Bundeskanzler hat als Antwort darauf und der SPD sowie bei Abgeordneten der den Grafen Lambsdorff gewissermaßen zur politi- PDS) schen Entmündigung freigegeben, und seitdem Das ist der Maßstab, wenn Sie über Zukunftsgestal- schweigt er. Die F.D.P. versteckt ihn auf den hinteren tung reden. Bänken. Schauen Sie sich doch einmal die Lage an. Jedes Herr Weng schweigt. Sie wissen doch ganz genau, Mal, wenn man mit jemandem aus der Wirtschaft re- daß das, was hier als Haushalt und als Haushaltsaus- det, kommt eine endlose Litanei: hohe Arbeitslosig- gleich vorgelegt wurde, auf mehr als dünnen und keit - 3,5 Millionen. Und alle sagen, es wird vermut- wackligen Beinen steht. Wenn die wi rtschaftliche lich auf diesem Sockel weiter in die Arbeitslosigkeit Entwicklung nur noch etwas rückläufig ist - das wis- hineingehen, denn Sie weigern sich konstant, eine sen Sie, Herr Weng, genauso gut wie ich - werden aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Ja, dieser Sie erkennen, daß Sie mit Einmalverkäufen die struk- 5'754 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Joseph Fischer (Frankfurt) turellen Defizite nicht werden lösen können. Das ist Herr Haussmann, eine der entscheidenden Fragen genau das, was Sie fürchten. der zukünftigen wirtschaftlichen Gestaltung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt das und der SPD sowie bei Abgeordneten der 21. Jahrhundert!) PDS) wird die Frage des ökologischen Umbaus sein. Nein, meine Damen und Herren. (Michael Glos [CDU/CSU]: Schon wieder Und zu den Helden von der F.D.P.: Was wird denn das!) nun mit der Kinderstaatsangehörigkeit? Die Frage des ökologischen Umbaus wird daran fest- (Zuruf von der CDU/CSU: Das sagen wir gemacht werden, wie man mit Energie umgeht. nicht! - Heiterkeit bei Abgeordneten der (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Internatio- CDU/CSU und der F.D.P.) nal!) - Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert: Das sagen wir Jetzt frage ich Sie: Wo ist denn der Deregulierungs- nicht. Das ist die Antwort; das finde ich hervorra- vorschlag? Wo ist denn entsprechend der Entmono- gend. polisierungsvorschlag dieser Helden der Marktwirt- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: schaft, bezogen auf leitungsgebundene Energie auf Der Zwischenruf kam von der Union!) dem hochregulierten und hochmonopolisierten Stromsektor? Wo kommt das denn von der F.D.P.? Es ist grotesk, wenn man sich die Situation hier in Deutschland anschaut. Ich war in der letzten Woche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Amerika. Man kann es keinem, ob einem Konser- sowie bei Abgeordneten der SPD und der vativen oder Demokraten, erklären, warum Men- PDS) schen, die hier geboren sind, die hier seit 20, Von uns werden Sie einen Deregulierungs- und Ent- 30 Jahren leben, die in Frankfurt geboren und aufge- monopolisierungsvorschlag bekommen. Ich freue wachsen sind, nicht selbstverständlich die deutsche mich heute schon auf die Zustimmung dieser Helden Staatsangehörigkeit bekommen, der Marktwirtschaft. Ich bin gespannt, ob Sie zustim- (Zuruf von der CDU/CSU: Weil wir kein men werden. Die Trennung von Produktion und Netz Einwanderungsland sind!) wird ein ganz, ganz wichtiger Gesichtspunkt wer- den. wenn sie sie wollen. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Eine euro- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN paweite Regelung!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der Ebenso wichtig ist die Frage des freien Netzzugan- PDS) ges. Denn ich kann es nicht verstehen, wie Strom- Ich frage einmal die Helden von der F.D.P.: Wann konzerne in Deutschland argumentieren. Schauen endlich kommen wir hier zu einer Lösung, damit die- Sie nicht so kritisch, Herr Wieczorek. ses überständige, absurde Staatsangehörigkeitsrecht (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: endlich europäisch- demokratisch modernisiert wird. Ankündigungs-Fischer!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Ich weiß, daß Sie da vielleicht Bedenken haben, völ- Wir sind auf gutem Wege!) lig klar. Aber da müssen Sie durch. Das schaffen Sie; Das ist einer der Punkte, bei denen ich mich freuen da bin ich sicher. würde, wenn Sie endlich einmal Mumm zeigen wür- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ den und das durchsetzen könnten. Aber bis zum heu- DIE GRÜNEN) tigen Tage bekommen wir immer nur Ihr zustimmen- des Nicken, aber keine Taten. Das ist das ganze Pro- Ich begreife nicht, warum dieselben Stromkon- blem. zerne bei der Frage der Privatisierung der Telekom- munikation wie selbstverständlich den freien Netzzu- Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen. gang als eine der Voraussetzungen für eine wirkliche Alle Welt spricht heute von der Notwendigkeit, auf Privatisierung im Telekommunikationsbereich for- die weltwirtschaftlichen Veränderungen seit 1989/90 dern, sich aber mit Händen und Füßen gegen einen zu reagieren. freien Netzzugang bei der Stromproduktion wehren. (Michael Glos [CDU/CSU]: Jetzt kommt's!) Wir versprechen uns davon endlich die Mobilisie- - In der Tat, jetzt kommt's. Die Frage ist: Was kommt rung von Einsparpotentialen. Wir versprechen uns jetzt? davon auch die Mobilisierung von zusätzlichen Chancen für den Mittelstand, auch im ländlichen (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU Raum für die Landwirtschaft. Wir versprechen uns und der F.D.P. - Michael Glos [CDU/CSU]: davon auch Chancen für die Mobilisierung dezentra- Jetzt wird er leise!) ler Energie-, Kraft- und Wärmeerzeugung. Das alles wird auf dem Tisch dieses Hauses liegen. Das ist der Jetzt kommt die Deregulierung und Privatisierung. Weg ins 21. Jahrhundert. Den müssen wir gehen. Und als ob Sie es geahnt hätten, setzen Sie sich da vorn hin, um sich entsprechend rote Ohren zu holen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5755

Joseph Fischer (Frankfurt) Auch die Verkehrspolitik wird einen zentralen scheidungen in der Energiepolitik und in der Ver- Stellenwert haben. Wir werden ja immer als Technik- kehrspolitik werden auf die Arbeitsplätze von mor- feinde bezeichnet. Ich gebe ja zu: Im Verhältnis zum gen und übermorgen und auch auf die Exportchan- Bundeskanzler bin ich ein echter Technikfeind, zum cen entscheidende Auswirkungen haben. Beispiel wenn ich nachts durchs Internet surfe. Ich - bin Technikfeind bei der Arbeit - im Gegensatz zu (Beifall bei der PDS) Ihnen. - Das ist ja ein wirklich schönes Thema auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Nur, glauben Sie, daß Deswegen bin ich der Meinung, wir sollten dieses Sie das verkörpern können? Geld lieber in den Ausbau der Rad-Schiene-Ver- kehrswege einsetzen. Wir sollten bei Energiesteuern (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Aber Sie! nicht von Steuersenkungen reden, sondern wir soll- - Heiterkeit bei der CDU/CSU und der ten von Steuererhöhungen reden, weil höhere Ener- F.D.P.) giesteuern dazu führen, daß wir die Investitionen im - Nein. Sie sind Geschichte - im guten und im öffentlichen Personennahverkehr und -fernverkehr schlechten Sinne. Das wollten Sie immer werden; das steigern können. Gleichzeitig produzieren wir da- haben Sie erreicht. durch Chancen für neue Techniken auch und gerade im Automobilbau, in der Automobilindustrie. Das ist (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Also wun Zukunftsgestaltung des 21. Jahrhunderts. derbar!) Aber Zukunft werden Sie nicht mehr sein. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie mich noch zwei Punkte ansprechen. und bei der SPD) Punkt eins: Sie reden immer über Modernisierun- Sie reden aber nie über die Modernisierung zu Das ist, wenn Sie so wollen, drei Zentner Fleisch ge- gen. sozial gerechten Bedingungen. Das werden Sie mit wordene Vergangenheit. Das ist ja das große Pro- uns nicht bekommen. blem der CDU: Sie denkt doch Tag und Nacht nur über eines nach: Wie können wir den Wechsel im Wenn Sie über Flexibilisierung reden - es mag Kanzleramt herbeiführen, ohne daß wir die Macht sein, daß Flexibilisierung notwendig ist -, werden verlieren? Ihnen ist das bisher noch nicht eingefallen; wir gleichzeitig über mehr Arbeitszeitsouveränität deswegen sind Sie noch da. Das ist der entschei- der abhängig Beschäftigten reden und darüber Ver- dende Punkt, meine Damen und Herren. einbarungen treffen müssen. Schauen Sie sich doch einmal die Verkehrspolitik an. Jetzt kommen Sie mit dem Transrapid. Ich bin (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kein Gegner der Magnettechnik. Sie haben Herrn Zwickel nur in einem Punkt zitiert. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: Ich würde mir wünschen, diese Bundesregierung Oh!) hätte nur 10 Prozent der Modernität der IG Metall. - Nein. Wollen Sie das Argument hören? - Dann hö- ren Sie zu! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir befinden uns doch in einer verkehrspolitischen der PDS) Umbruchsituation. Wir werden in diesem Deutsch- land, in der Mitte Europas gelegen, riesige Transit- Meine Damen und Herren, wo gibt es das in einem probleme bekommen - von den Quellverkehren ganz anderen Land, daß an der Spitze der technischen zu schweigen. Nachts ist ein endloser Güterzug auf und ökonomischen, aber auch der sozialen Moderni- den Bundesautobahnen unterwegs. sierungsdiskussion der Vorsitzende der größten Ein- Der entscheidende Punkt ist: Ich verstehe nicht, zelgewerkschaft steht? Das zeigt doch, wie wenig zu- warum wir jetzt zusätzlich auf eine Technik setzen, kunftsfähig diese Regierung tatsächlich ist. die sehr viel teurer als die bewährte Rad-Schiene- Technik ist, ohne daß die technischen und verkehrs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, politischen Vorteile der Magnetschwebebahn nur an- bei der SPD und der PDS) nähernd dieses Risiko rechtfertigen würden. Ich ar- gumentiere nicht technisch gegen die Magnetschwe- Ich kann nur sagen: Ich möchte der IG Metall zu bebahn, sondern ich argumentiere verkehrspolitisch, dieser Initiative nachdrücklich gratulieren. Wir ha- und ich argumentiere finanzpolitisch dagegen. ben schon bei Betriebsvereinbarungen bei Opel, bei VW, bei BMW, bei der Deutschen Pirelli Erfahrungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gemacht. Das alles sind Schritte nach vorne. Wenn bei der SPD und der PDS) Sie das politisch umsetzen würden, wenn Sie nicht immer nur die Frage stellten, was es nützt und wie Jetzt brauchen wir in der Tat verstärkte Anstren- wir bessere Profitmöglichkeiten bekommen, sondern gungen, um alle Möglichkeiten zu nutzen, damit in auch die soziale Dimension berücksichtigten, wenn der Tat so etwas wie eine zweite Eisenbahnrevolu- Sie also beides zusammenfügen würden, dann wür- tion im Nah- und im Fernbereich gelingt. den Sie unsere Unterstützung haben. Wenn Sie aller- Da hat Europa zum Beispiel gegenüber Amerika dings diese Gelegenheit nutzen wollen, um in der einen riesigen Standortvorteil. Die Infrastrukturent- Frage der sozialen Gerechtigkeit weiter von unten 5756 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Joseph Fischer (Frankfurt) nach oben zu verlagern, werden Sie unseren ent- Deswegen müssen Sie, Herr Bundeskanzler, hier schiedenen Widerstand bekommen. sagen, wie es gehen so ll, und zwar nicht mehr nur in der Zielbeschreibung. Vielmehr muß der Weg von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Regierung definiert werden. Wird es gehen? Ist sowie bei Abgeordneten der SPD — Steffen eine Währungsunion mit Frankreich aus gegenwärti- Kampeter [CDU/CSU]: Nichts Konkretes ger Sicht denkbar? Ist sie ohne Frankreich denkbar?- gesagt!) Ich halte es für absurd, eine Währungsunion ohne Frankreich auch nur anzudenken. Wie geht das zu- Meine Damen und Herren, nun lassen Sie mich sammen: Vertiefung über die Währungsunion und zum Schluß noch eine Frage ansprechen. Selten wird gleichzeitig Ihre Zusage an Polen, im Jahre 2000 un- soviel geheuchelt wie bei dem Thema Europa. Herr mittelbar vor dem Eintritt in die EU zu stehen oder Bundeskanzler, sozusagen die geringste Differenz bereits Mitglied zu sein? Das alles sind Fragen, Herr zwischen uns in der Politik gibt es in der Europapoli- Bundeskanzler, die endlich hier von Ihnen konkret tik. Ich zitiere Sie immer vorbehaltlos zustimmend, beantwortet werden müssen. Denn die Alternative wenn Sie sagen: Die Frage der europäischen Eini- wird nicht sein, daß die Linke Ihnen die größten gung ist nicht zuerst eine Frage der Wirtschaft, son- Schwierigkeiten macht. Hier auf den vielen leeren dern eine Frage von Krieg und Frieden in Europa im Plätzen, die Sie sehen, 21. Jahrhundert. Ich stimme nachdrücklich auch François Mitterrand zu, der die Hauptgefahr im Na- (Der Redner zeigt auf die Reihen von CDU/ tionalismus ausmachte und in seiner letzten Rede vor CSU und F.D.P.) dem Europäischen Parlament sagte: Nationalismus, das ist der Krieg in Europa. werden die Anhänger der Esperantogeld-Agitation sitzen. Das wissen Sie so gut wie ich. Deswegen ver- Aber Sie werden die Währungsunion nicht so hin- lange ich von Ihnen, ohne Wenn und Aber ja zu ei- bekommen wie die deutsch-deutsche Währungs- nem demokratischen europäischen Einigungsprozeß union. Da hatten Sie 17 Millionen Menschen, die die zu sagen. Aber wir verlangen genauso von Ihnen, Währungsunion wollten. daß Sie heute hierher kommen und diesen Weg end- lich konkret definieren und sich nicht mehr ins Wol- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Das ist et kige flüchten. Sonst wird es nämlich mit dem Weg in was völlig anderes! Fachlich etwas völlig ein gemeinsames Europa im 21. Jahrhundert nichts anderes! Sie haben nichts verstanden! - werden. Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist doch dummes Zeug!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) - Jetzt muß ich gleich wieder schreien, um mich durchsetzen zu können. Ich will ruhig argumentie- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ren. einer Kurzintervention hat der Kollege Graf Lambs- dorff. Ich sage Ihnen nochmals: Ich bin nachdrücklich der Meinung, daß es zum europäischen Einigungs- (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wo ist prozeß inklusive Währungsunion und politischer Scharping?) Union keine Alternative außer einer furchtbaren gibt. Aber wir müssen doch zur Kenntnis nehmen: Wenn Dr. Ott (F.D.P.): Herr Kollege Fi- es zu einer Währungsunion kommt, dann müssen die o Graf Lambsdorff scher, wer die deutsch-deutsche Währungsunion mit ökonomischen Daten stimmen. Was wir auch brau- der chen, das ist eine Debatte darüber hier in Deutsch- Europäischen Währungsunion gleichsetzt, hat Inhalt, Charakter, Ziel und Technik der Europäischen land und in anderen europäischen Ländern. Weil es Währungsunion nicht verstanden. nur dann, wenn die Menschen überzeugt sind, nicht zu einer Flucht von Sparern und Anlegern etwa in (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) den Schweizer Franken kommen wird - Sie werden doch der erste sein, der eine Vollbremsung macht, Es ist neuerdings Mode geworden, sich auf Körper- wenn dies passiert -, brauchen wir eine ehrliche De- sprache zu berufen. Als Sie vorhin gemeint haben, batte darüber. Ehrlich heißt, daß die Fakten auf den ich würde jetzt schweigen, hat der Finanzminister Tisch müssen und daß diejenigen, die die Fakten auf zurückgeblickt, und ich konnte von seinem Gesicht den Tisch legen, nicht gleich wieder als diejenigen ablesen: Schön wäre es ja. denunziert werden können, die Europa nicht wollen. (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/ CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es wird nicht so sein, zu wessen Freude oder zu wes- Allerdings bin ich der Meinung: Man sollte auch sen Enttäuschung auch immer. mit Begrifflichkeiten vorsichtig sein. Vor einem natio- nalen Thema scheue ich mich. Ich finde, das ist ein Sie haben über die Energiepolitik gesprochen, falscher Begriff. Den sollte man in diesem Zusam- über die leitungsgebundenen Energien, Konzessi- menhang nicht verwenden. Das will ich einmal klipp onsverträge usw. Seien Sie unbesorgt, diese Themen und klar sagen. kommen hier in dieses Parlament. Nur eines müssen Sie wohl vernünftigerweise zugestehen: daß man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erst einmal darauf wartet, wie die europäische Ener- sowie bei Abgeordneten der SPD) gierichtlinie aussehen wird. Am 14. Dezember ist die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5757

Dr. Otto Graf Lambsdorff entscheidende Sitzung. Dann haben wir unseren gemacht haben, verbissen beredt geschwiegen. Inso- Handlungsspielraum, dann wird das weitergehen, fern war das sehr gut. und dann werden wir sehen, wie Ihre Vorschläge Aber nun zur Sache, Herr Kollege Lambsdorff. aussehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Endlich einmal!) - Meine Damen und Herren, der Hauptgrund mei- ner Kurzintervention ist Ihre Kritik an der Arbeits- Punkt 1. Ich habe nicht die deutsche Währungsunion marktpolitik. Herr Fischer, das Ihnen nahestehende mit der Europäischen Währungsunion gleichgesetzt Öko-Institut - ich zitiere auch noch andere Quellen - (Widerspruch von der CDU/CSU und der sagt, man solle dem Abzug der Grundstoffindustrie F.D.P. - Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: ins Ausland nicht nachweinen. Wenn wir uns so ver- Vorsicht!) halten, dann bedeutet das den Verlust von minde- stens 100 000 Arbeitsplätzen. Die Tatsache, wie Frau - nein -, sondern ich habe folgendes gesagt: Der Höhn in Nordrhein-Westfalen mit Garzweiler um- Bundeskanzler wird die Europäische Währungs- geht, und die Umsetzung ihrer Ankündigung beim union nicht in der Weise, wie die deutsche Wäh- Bayerwerk „Wir werden dafür sorgen, daß die Che- rungsunion gemacht wurde, nämlich durch einsa- mieindustrie, vor allen Dingen die Chlorchemie, sich men politischen Entscheid, hinbekommen. Das weiß durch Steuern nicht mehr rechnet" bedeuten wie- er auch. Er argumentiert in der Öffentlichkeit anders. derum den Verlust von 100 000 Arbeitsplätzen. Ihre Arbeitsmarktpolitik besteht darin, daß Sie Arbeits- Ich fordere von der Bundesregierung - Graf plätze vernichten. Und dann stellen Sie sich hierhin Lambsdorff, vermutlich sind wir an diesem Punkt gar nicht soweit auseinander -: Je näher wir an den Ter- und kritisieren die Bundesregierung dafür, daß wir zugegebenermaßen auf diesem Gebiet nicht soweit min kommen, desto mehr müssen die nächsten gekommen sind, wie wir es eigentlich wollten. Schritte definiert und präzisiert werden, und zwar durch die Bundesregierung. Das ist ein ganz ent- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) scheidender Punkt. Ich möchte meine Befürchtung ausdrücken: Ich fürchte, ansonsten wird es eine Dazu fällt einem kaum noch ein eigenes Urteil ein; Angstreaktion geben - ich betone es nochmals -, we- man kann sich nur noch auf einen Propheten beru- niger im demokratisch-linken Spektrum als im kon- fen. Bei Jesaja heißt es: Seht, ihr seid nichts, und servativ-liberalen Spektrum. Wenn Sie in die Union euer Tun ist nichts; ein Greuel, wer euch erwählt. hineinhören und wenn Sie sich den Beschluß des (Heiterkeit und Beifall bei der F.D.P. und CDU-Parteitages anschauen, der noch verschärft der CDU/CSU) wurde und zu dem Herr Kohl hoffentlich heute noch etwas sagen wird, dann wissen Sie, daß ich mit mei- ner Aufforderung, meiner Befürchtung und meiner Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Fi- Beschreibung der Situation gar nicht so falsch liege. scher. Punkt 2. Sie haben gesagt, die Grünen seien Ar- beitsplatzvernichter. Herr Lambsdorff, solange es uns Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE gibt, wird uns dies vorgeworfen. Sie sehen, dem Er- GRÜNEN): Herr Kollege Lambsdorff, ich kann mir folg tat es keinen Abbruch. Das liegt entscheidend richtig vorstellen, wie Sie den Spruch des Propheten daran, daß dies nicht stimmt. Schauen Sie sich ein- Jesaja nach jedem Wahlabend im Präsidium zum Be- mal die Umweltbewegung und auch den Wahlerfolg sten geben der grünen Partei an. Wir kennen das doch beide. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ 1985 verkündete Zimmermann, deutsche Urlauber DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) müßten, wenn wir den Katalysator einführten, am Brenner ihre Autos stehenlassen und zu Fuß weiter und die Nachfolger vor Enttäuschung und Wut in nach Rimini oder sonstwohin gehen. Das war damals den Tisch beißen. die Diskussion. (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Lachen bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS) Der ökologische Umbau hat mehr Arbeitsplätze Herr Gerhardt, Sie sollten sich diesen Satz wirklich mit Zukunft geschaffen, er hat mehr Gewinne ge- merken: Seht, ihr seid nichts. bracht, als er gekostet hat. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN und bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich werde in Zukunft wieder verstärkt die Bibel le- Ich kann Ihnen, Graf Lambsdorff, zur Chemieindu- sen. Das verdanke ich einem Liberalen. strie nur sagen: Ich hatte im Jahre 1993 die Verant- wortung für ein Unternehmen. Ich habe erlebt, was (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) es bedeutet, für die Gefährdung von Arbeitsplätzen - Sehen Sie, es gibt Beifall von der CSU. verantwortlich zu sein, wenn der ökologische Struk- turwandel in einem solch bedeutenden Unterneh- Herr Kollege Lambsdorff, ich freue mich, daß es men verschlafen wurde. Sie werden dort von nieman- mir gelungen ist, Sie hier wieder zum Reden zu brin- dem hören, daß eine grüne oder eine rot-grüne Re- gen. Ich denke, das war sehr, sehr wichtig. Denn Sie gierung für die Verdrängung von Arbeitsplätzen ver- haben ja, seitdem Sie Ihre öffentlichen Äußerungen antwortlich war, sondern das, was dieses Unterneh- 5758 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Joseph Fischer (Frankfurt) men als Programm dann vorgestellt hat, ist von uns ihm auch sein neuer Freund Spöri in Baden-Würt- entwickelt worden. Soviel zu Ihrer Propaganda, ver- temberg. Denn eines ist völlig klar: Wer von Neuver- ehrter Herr Kollege. handlungen spricht, wer auf das letzte Weichwäh- rungsland mit der Realisierung der Wirtschafts- und (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Währungsunion warten will, knüpft den Vertrag auf, Ich sage Ihnen nochmals: Der ökologische Umbau hebt damit den Druck auf und schafft damit auch kei-- wird Arbeitsplätze bringen. Er ist die entscheidende nen Fortschritt in der politischen Union. Herausforderung. Was ich demgegenüber mit Sorge (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sehe, ist, daß Herr Henseler verkündet, daß ten der CDU/CSU) 25 Prozent der deutschen Exportanteile in Zukunft im Ausland produziert werden müssen. Das Perverse ist - da gebe ich sogar Herrn Fischer recht -, daß diese teuflische Schrödersche Strategie Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Fi- umgekehrt aufgeht; denn sein Populismus bereitet scher, die Kurzintervention hat drei Minuten. für chauvinistische Populisten überall in Europa den Boden, ohne der SPD zu nützen. Seine Verweigerung der Währungsunion zur vertraglich vereinbarten Zeit Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE wirft die Europäer letztlich im globalen Wettbewerb GRÜNEN): Ich komme zum Schluß. mit Asien und Amerika weit zurück und erzeugt da- Wie soll es denn gehen, wenn diese Arbeitsplätze mit weitere Massenarbeitslosigkeit. nicht durch Veränderungen im Energiebereich, im Verkehrsbereich und in der Telekommunikation neu Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Dr. Hauss- geschaffen werden? Da werfe ich dieser Regierung mann, einen Moment. Meine verehrten Kolleginnen vor, daß sie hemmungslos die Zukunft verschläft. und Kollegen, es ist zu unruhig. Ich muß Sie bitten, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN etwas ruhiger zu sein. sowie bei Abgeordneten der SPD und der (Jörg Tauss [SPD]: Das liegt am Redner! Das PDS) ist das Problem! - Bundesfinanzminister Dr. Theodor Waigel: Zappelphilipp!) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Haussmann, F.D.P. - Ich bitte Sie, etwas ruhiger zu sein - unkommen- tiert.

Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Herr Präsident! Verehrte Kollegen und Kolleginnen! Das Geschrei Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Meine Damen und von Herrn Fischer hat auf eines hingewiesen: daß Herren, es bleibt dabei: Die Sozialdemokratie muß das wichtigste Thema die Bekämpfung der Arbeitslo- heute klären, ob sie den Vertrag von Maastricht, sigkeit heute zu Recht nicht mehr mit nationalen dem sie zugestimmt hat, will oder nicht. Man kann Maßnahmen, sondern nur mit globalen Möglichkei- nicht sagen: Wir wollen neue Verhandlungen; wir ten angegangen werden kann. Herr Fischer, ich will wollen die Verschiebung der Wirtschafts- und Wäh- Ihnen eines sagen: Im internationalen Bereich wird rungsunion, bis Spanien, Italien und Griechenland in Zukunft über Arbeitsplätze in Deutschland im kommen. Das hieße, daß man den Vertrag auflöst; Weltmaßstab dort entschieden, wo die Grünen weder denn der Termin ist Vertragsbestandteil, meine Da- eine Rolle spielen noch eine Konzeption haben. Die men und Herren. Das muß hier heute eindeutig ge- Grünen haben zur Weiterentwicklung einer Welt- klärt werden. Wer diesen Druck auflöst, wirft Europa wirtschaftsordnung nichts beizutragen. Sie spielen im internationalen Wettbewerb um Arbeitsplätze in Brüssel keine Rolle. Es gibt überhaupt keinen An- weit zurück und erzeugt Nationalismus, Abwer- satz einer Europäisierung der Klimaschutzsteuer. Sie tungswettlauf, mehr Arbeitslosigkeit und damit poli- spielen auch überhaupt keine Rolle, was die Globa- tischen Extremismus. lisierung der Weltmärkte angeht. Insofern, Herr Es bleibt dabei: Wer die Massenarbeitslosigkeit in Fischer, lösen Sie Ihre internationalen Aufgaben, Deutschland bekämpfen will, muß für internationale schaffen Sie sich Mehrheiten, kommen Sie wieder, und für größere europäische Märkte und Währungs- und melden Sie sich in dieser Debatte zurück. einheiten sorgen, damit die großen Firmen ebenso Was aber der Opposition fehlt, ist der Oppositions- wie amerikanische und asiatische Firmen agieren führer. Er fehlt in dieser Debatte immer noch. können. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU - Jörg Tauss [SPD]: Der ten der CDU/CSU - Carl-Ludwig Thiele Kanzler fehlt!) [F.D.P.]: Kann das nicht auch Herr Schröder erkennen?) Deshalb will ich - sollte er sich noch melden - vor- sorglich sagen, daß führende Sozialdemokraten in- - Wenn Herr Schröder ein Positives erreicht hat, zwischen unter einem schlimmen Wiederholungs- dann das: Es gibt nun endlich die dringend erf order zwang leiden. So wie damals die -liche öffentliche Debatte um die Wirtschafts- und deutsche Einheit verhindern wollte, so will jetzt Währungsunion, und wir müssen sie endlich führen. ebenfalls Gerhard Schröder die europäische Eini- Wir haben sie längst angemahnt; sie ist dringend not- gung verhindern, mit ihm Herr Scharping und mit wendig. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5759

Dr. Helmut Haussmann Wer aber wie Herr Schröder von Monopoly-Geld Wer aber die Verschiebung der Wirtschafts- und oder wie früher Herr Gauweiler von Esperanto-Geld Währungsunion will, der macht einen großen Fehler, redet, der zeigt, daß währungspolitische Laien am meine Damen und Herren. Zeit ist Geld. Zeit ist Werk sind, die nicht verstanden haben, daß die Glo- heute im internationalen Wettbewerb ein wichtiger balisierung der Weltwirtschaft heißt: völlige Öffnung Faktor zur Gewinnung von Vorteilen. Wenn ich als- der Finanzmärkte, weltweite Spekulationsmöglich- Ökonom die Währungsunion richtig verstehe, dann keiten. Deshalb besteht die Notwendigkeit der Ent- ist ja der Hauptzweck, die Währungen zu einem Zeit- wicklung größerer, übernationaler Märkte und grö- punkt zusammenzulegen, wo die Inflationsraten ge- ßerer Währungseinheiten, meine Damen und Herren. ring sind. In den 80er Jahren gab es in Europa eine Inflationsrate von mehr als 13 Prozent; heute liegt die Ist es denn, so frage ich Herrn Schröder, für einen Inflationsrate in Europa bei 3 Prozent. Aufsichtsrat von Volkswagen oder für Herrn Wirt- schaftsminister Spöri im Land von Daimler-Benz und (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) Hewlett-Packard so schwer zu verstehen, daß es einen riesigen Vorteil für Arbeitsplätze bedeutet, Wann soll die Währungsunion denn kommen, wenn wenn über 60 Prozent des Gesamtumsatzes von nicht jetzt? Volkswagen, Mercedes und Hewlett-Packard in Zu- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) kunft in einer europäischen Währung abzuwickeln sind? Meine Damen und Herren, das ist doch ein rie- Glauben denn die Populisten vom Schlage eines siger Vorteil. Warum versteht ein SPD-Wirtschaftsmi- Herrn Schröder, daß bei einer Verschiebung der nister Spöri im Mittelstandsland Baden-Württemberg Währungsunion der Druck auf die nationalen Haus- nicht, welchen immensen Vorteil und welche Be- halte anhalten würde? Nie und nimmer. schäftigungssicherung es bedeutet, daß Mittelständ- ler aus Baden-Württemberg dann 80 Prozent ihrer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Zeit, Herr Kunden - nämlich in Deutschland, Frankreich, den Kollege! Beneluxstaaten, Österreich und Großbritannien d. h. über 200 Millionen Verbraucher in Zentraleu- ropa, ohne Währungsverluste, ohne Umtauschverlu- Dr. Helmut Haussmann (F.D.P.): Deshalb will ich ste, ohne Sicherungsgeschäfte und damit langfristig abschließend sagen: Wir, die F.D.P., werden uns ver- auf der Grundlage einer klar kalkulierbaren europäi- tragskonform verhalten. Wir wollen die Europäische schen Währung erreichen können? Währungsunion, weil sie das beste Mittel zur Siche- rung von Arbeitsplätzen ist. Wir wollen den Vertrag (Beifall bei der F.D.P.) von Maastricht in beiden Elementen: Deutschland Deshalb wollen wir die Währungsunion, die ja und Luxemburg werden beginnen; Frankreich, Groß- nicht von einigen wildgewordenen Eurokraten in britannien, Dänemark, Österreich werden in der Brüssel erfunden wurde. Sie ist vielmehr eine Forde- Lage sein, an dieser Währungsunion noch in diesem rung der deutschen Wirtschaft, um im internationa- Jahrhundert teilzunehmen. Wir wollen die Stabilität len Wettbewerb mitmischen zu können. in Europa nicht irgendwann, sondern wir wollen sie noch in diesem Jahrhundert, wir wollen sie 1999. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne ten der CDU/CSU) Vielen Dank. Denn die wirklichen Arbeitsplatzgewinner in Ame- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) rika und in Asien operieren heute eben in geschlos- senen Binnenmärkten mit einer Währung - im einen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Fall mit dem Dollar, im anderen Fall mit dem Yen -, Kollege Zwerenz, PDS. und deshalb muß ein Exportland wie die Bundesre- publik Deutschland an der Spitze auf dem Weg zu einer soliden europäischen Währung marschieren. Gerhard Zwerenz (PDS): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Ich habe nicht gewußt, ich habe (Beifall bei der F.D.P. sowie des Abg. Karl nicht ahnen können - da ich erst seit einem Jahr in Lamers [CDU/CSU]) diesem Parlament bin und vorher diese Verhandlun- gen nur vom Fernsehen her kannte -, wie unterhalt- Der Zeitplan ist unter Experten völlig klar; bei Ihnen, sam es bei Ihnen vormittags und mittags sein kann. Herr Fischer, leider noch nicht. Besonders unterhaltsam scheint es zu sein, wenn Wir haben erreicht, das Europäische Währungsin- man bestimmte Biersorten erwähnt. Ich nehme an, stitut in Frankfurt am Main anzusiedeln - gegen daß es dafür Prämien gibt. Ich will deswegen keine Ihren Widerstand und gegen eine völlig falsche Biersorte erwähnen, bitte aber diejenigen, die etwas Stadtverkehrspolitik in Frankfurt, bekommen, das an eine gemeinnützige Institution, vielleicht an den Tierschutzverein, weiterzugeben. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch nicht so (Beifall bei der PDS) einen Käse!) Ich bin etwas traurig: Ich wollte nach dem Verteidi- - Natürlich, die rot-grüne Mehrheit in Frankfurt war gungsminister sprechen; jetzt aber ist es so, daß der das Hauptargument von London und Amsterdam, Verteidigungsminister nach mir spricht. Das ist eine um für sich zu werben. Es war eine große Leistung seltsame Dramaturgie. Ich werde mich dennoch auf der Koalition, Frankfurt als Standort durchzusetzen. den Verteidigungshaushalt konzentrieren. 5760 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Gerhard Zwerenz Es ist kein Geheimnis, daß wir von Freunden und Genau dies bestätigt den Verdacht derer, die miß- Partnern umgeben sind, daß ein Angriff auf unser Ter- trauisch sind. Ich meine, daß hier geplant ist, auf eine ritorium nicht bevorsteht und von niemandem erwartet Art und Weise aktiv zu sein, wie es uns von der Lin- wird. Vor fünf Jahren, als diese Friedensperiode be- ken als höchst bedenklich erscheint. Es heißt in gonnen hat, wurde uns deshalb eine Friedensdivi- „Soldat und Technik" weiter, militärische Mittel dende in Aussicht gestellt. Aber seltsamerweise stei- seien dabei immer als Ultima ratio, also als äußerstes- gen seitdem die Rüstungsanstrengungen. Neuerdings Mittel, zu verstehen, was man akzeptieren kann. sollen auch die Ausgaben wieder steigen, nach NATO- Aber es heißt weiter: Kriterien auf etwas mehr als 60 Milliarden DM. Wei- tere Steigerungen sind eingeplant. Der Verteidigungs- was allerdings nicht heißen darf, daß man sie im- minister spricht von der bevorstehenden notwendigen mer nur als letztes Mittel anwendet. Totalerneuerung des Großgerätes der Bundeswehr. Dies ist die Frage, die ich stelle: Was geschieht mit Mit der Aufstellung der Krisenreaktionsstreitkräfte diesen Geldern, was geschieht mit dieser Rüstung, ist natürlich eine neue Beschaffungsplanung verbun- wozu brauchen wir eine solche militärische Aufrü- den. Allein die Beschaffung des umbenannten Jä- stung? gers 90 wird voraussichtlich zwischen 20 und Minister und Generäle sollten uns und der Öffent- 30 Milliarden DM kosten. Vorsichtshalber sind an- lichkeit erklären, wie sie sich das vorstellen. Wie wol- dere Großprojekte wie Spionagesatelliten oder neue len wir in den Staaten dieser ganzen Welt verhin- Raketenabwehrsysteme in die mittelfristige Finanz- dern, daß es zu einer weiteren Aufrüstung kommt? planung gar nicht erst eingestellt. Wie wollen wir die Massenvernichtungsmittel ab- Ich frage mich - dies werden wir auch von den schaffen, wenn wir sehen, daß es fortwährend Bestre- Menschen im Lande gefragt -: Was rechtfertigt diese bungen gibt, weiterhin aufzurüsten? großen Ausgaben, wenn wir doch von Freunden und In der Einleitung zur Hegelschen Rechtsphiloso- Partnern umgeben sind? Diese Frage ist angesichts phie konstatiert kein anderer als Karl Marx nach ei- der Zahlen im Haushalt offensichtlich nicht zu beant- nem allgemeinen großen Lob der Kritik folgendes: worten. Aber sie ist zu beantworten; denn zum Glück haben wir ja einen obersten Soldaten der Republik, Aber die Waffe der Kritik kann die Kritik der Waf- nämlich den Generalinspekteur Naumann, der uns fen nicht ersetzen. Aufschluß darüber gibt, was mit dieser Aufrüstung Wenn ich mir diesen Satz genau überlege, muß ich eigentlich geplant und beabsichtigt ist. feststellen, daß in diesem Hause, insbesondere auf Ich lese im „Spiegel" Nr. 44 vom 30. Oktober 1995, der Regierungsseite, offenbar recht viele Marxisten daß der deutsche Soldat auch fern der Heimat versu- vorhanden sind, denn das Militär, eben die Kritik der chen müsse, Krisen von seinem Land fernzuhalten, Waffen, bekommt einen neuen Stellenwert zugewie- das während seiner Abwesenheit in Frieden lebt. - sen. Das ist ja ein ganz vernünftiger Wunsch. Er sagt aber Ich glaube nun, daß diese Aufrüstung, daß diese dazu, deutsche Militärs hätten ähnliches in diesem Kritik durch Waffen wie in der Dritten Welt das gänz- Jahrhundert nur zweimal, vor 1945 und in den Ein- lich falsche Mittel ist. Hier wird ständig von Bedro- sätzen seit 1992, fertiggebracht. Das ist eine seltsame hung geredet, von antiwestlichen fundamentalisti- Geschichtsrechnung, die da aufgemacht wird. Nau- schen Kräften, doch diesen Strömungen ist durch mann nämlich gibt zu, daß Kriegszüge der kaiserlich Aufrüstung nicht zu begegnen. Man muß ihnen an- deutschen Armee in den Jahren von 1900 bis 1904 ders das Wasser abgraben. von ihm gemeint sind. Ich weiß, daß hier ein äußerer Konfrontationskurs Ich stelle fest, daß der oberste Bundeswehrsoldat eingeschlagen worden ist. Ich befürchte, daß diesem die Niederschlagung des Boxer-Aufstands und den äußeren Konfrontationskurs, der ganz nüchterne Re- Völkermord an den Hereros auf eine ganz erstaunli- alpolitik sein soll, ein innerer Konfrontationskurs ent- che Weise qualifiziert, jedenfalls so, wie man es nicht spricht. Jetzt wird für mich auch eindeutig, jetzt wird zu erwarten gehabt hätte. auch erklärlich, weshalb es zu solchen erstaunlichen Der Generalinspekteur ist, wie ich bezeugen kann, Erscheinungen kommt wie dem Großen Zapfen- persönlich ein äußerst freundlicher Mann. Meine frü- streich in Bonn. Der Herr Bundeskanzler hat sich da heren Vorstellungen vom preußischen Militär sind vielleicht einen ganz besonderen Wunsch erfüllt. Das durch Leute wie diesen Generalinspekteur durchaus muß man akzeptieren können. Er gehört zu einer Ge- korrigiert worden. Es ist also nicht so, daß wir an ver- neration, der das Kriegspielen, das Spiel mit Zinnsol- alteten Konstruktionen festhalten. daten 1945 gewissermaßen von der Geschichte un- tersagt worden ist. Das kapiere ich vollkommen. Aber gerade hier werde ich doch mißtrauisch. Ich frage mich: Was bringt ihn dazu, sich so zu einem Ich kann aber als ein etwas älterer Herr dem etwas Zwillingsbruder Kaiser Wilhelms II. auszustaffieren? jüngeren Herrn Bundeskanzler sagen: Es gibt dabei Da finde ich eine weitergehende Antwort. In Heft ganz bestimmte Gefahren. Wenn man sich schon 1/1995 von „Soldat und Technik" schreibt er: dazu versteht, einen Großen Zapfenstreich in einer solchen Konfrontationssituation zu veranstalten, an Zum ersten mal seit 300 Jahren erleben wir die einem Ort, wo sich in den vergangenen Jahren und Gunst, nicht mehr Gegenstand externen Drucks Jahrzehnten die Friedensbewegung gezeigt hat, und zu sein, sondern wir haben die Chance, politi- wenn man vier bemantelte Herren sozusagen als Ste- scher Akteur zu sein. len vor diesen Zapfenstreich stellt, dann muß man Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5761

Gerhard Zwerenz sich nicht wundern, wenn man sich erkältet. Ich war war oder nicht - zu den ganz großen Persönlichkei- bei der Gegenkundgebung und habe mich auch er- ten dieses Jahrhunderts gezählt wird. kältet. Ältere Herren sollten also diese Mythologie bitte lassen. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der PDS) sowie bei Abgeordneten der PDS) Ich will Ihnen noch eins sagen. Über das ,,Solda- Ich will ihm auch von dieser Stelle aus noch einmal ten-sind-Mörder"-Urteil regen sich alle auf. Das danken: für freundschaftliche, kameradschaftliche wundert mich schon lange. Das ist doch juristisch Begegnungen, für die Fähigkeit, auch in schwierigen eine vollkommen klare Sache. Wollen Sie denn die Zeiten schwierigste Fragen ganz offen miteinander deutsche Geschichte auch da noch verändern? 1932 zu besprechen, für ein weites Herz gegenüber unse- hat das Reichsgericht Ossietzky und Tucholsky frei- rem Volk, gegenüber den Deutschen, die seinem gesprochen, mit genau der gleichen Begründung, die Volk so viel angetan haben. Er kannte die Ge- heute mehrfach von unserem Bundesverfassungsge- schichte und vergaß nicht, war aber fähig, aus der richt wieder vorgetragen worden ist, daß es nämlich Geschichte heraus Zukunft zu entwickeln. Manche, keine Beleidigung ist, wenn man einen philosophi- die hier im Saal sind, waren dabei, als wir im Som- schen, einen gesellschaftskritischen Satz sagt. Der mer am letzten Abend unseres Besuches im Garten Satz „Soldaten sind Mörder" könnte genausogut in seines Hauses nicht nur gemeinsam Lieder sangen, der Bibel stehen. Er könnte überall stehen. Wir müs- sondern ins 21. Jahrhundert zu schauen versuchten. sen zugeben, daß wir nicht damit einverstanden sein können, daß damit Soldaten oder andere beleidigt Ich empfand - das wird Ihnen ähnlich gegangen werden. Dazu gibt es Rechtsschutz. Es gibt aber kei- sein -, daß die Trauerfeier am vergangenen Montag nen Grund, eine Meinungsdiktatur durchzusetzen nicht nur die Sympathie und die Anteilnahme der und Sätze zu verbieten, die im Dritten Reich verbo- ganzen Welt auf sich zog, sondern daß sie auch eine ten waren, die natürlich in der DDR verboten waren. innere Kraft des jüdischen Volkes, des israelischen Wenn solche philosophischen, gesellschaftskriti- Volkes zeigte, die bewundernswert ist. Wir wün- schen Sätze auch in der Bundesrepublik verboten schen uns, daß diese Kraft erhalten bleibt. werden, wird das dieses Land verändern. Darum geht es und um nichts anderes. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der PDS) sowie bei Abgeordneten der PDS) Meine Damen und Herren, auch das will ich sagen: Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Wir wünschen uns vor allem, daß die israelische Re- Herr Bundeskanzler. gierung, das israelische Parlament und, wie ich hoffe, die große Mehrheit des israelischen Volkes auch nach diesem feigen Mord den Weg des Friedens wei- Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Meine Damen tergeht. Yitzhak Rabin hatte recht: Es gibt keine Al- und Herren! Erlauben Sie mir, daß ich zu Beginn mei- ternative zu diesem Weg. Wir, die Bundesrepublik ner Ausführungen auch namens der Bundesregie- Deutschland - ich denke, darin sind wir uns alle rung noch ein kurzes Wort zur Ermordung von Pre- einig - werden auch als Teil der Europäischen Union mierminister Rabin sage. und in allen internationalen Organisationen unseren Beitrag leisten. Wir alle in Deutschland sind tief erschüttert über den Tod, die Ermordung von Yitzhak Rabin. Ich will Ich erinnere mich an ein Gespräch in diesem Som- die Gelegenheit nutzen - wie ich das auch in Jerusa- mer im Jordantal mit dem jetzigen israelischen Mini- lem tun durfte -, vor allem seiner Frau, seinen Kin sterpräsidenten, mit Yitzhak Rabin und dem König von Jordanien, bei dem wir uns einig waren, daß es -dern, seinen Enkeln, seiner ganzen Familie unser herzliches Beileid zu übermitteln. eigentlich eine Schande wäre, wenn es den Men- schen guten Willens nicht gelänge, in einer Region, (Beifall im ganzen Hause) in der drei Weltreligionen ihren Ursprung haben - der Islam, das Judentum und das Christentum -, zu In diesen Tagen - es wird vielen so ergangen sein einem Werk des Friedens zu kommen, jetzt und für wie mir - hielten wir inne und überlegten, was es be- künftige Generationen. deutet, daß ein solches Leben - gelebter Patriotismus seit Kindertagen - durch diese barbarische Tat aus- Ich will noch einmal namens der Bundesregierung gelöscht wurde. Er war ein Mann, der ein ganzes Le- sagen: Wir, die Deutschen, wollen dabei helfen. ben seinem Land in vielen Funktionen - als ganz (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- junger Soldat, als Chef der israelischen Armee, als wie bei Abgeordneten der SPD, des BÜND- ein wichtiger diplomatischer Vertreter seines Landes NISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) wie auch als aktives Mitglied seiner Regierung, zum Schluß als Regierungschef - immer und zu jeder Zeit Meine Damen und Herren, ich habe gezögert, ans gedient hat. Ein solches Leben ist beispielhaft auch Pult zu gehen; denn in meinen jetzt 36 Jahren parla- weit über Israel hinaus. Er war ein Mann, der dienen mentarischer Erfahrung habe ich gelernt, daß - so konnte, der Maßstäbe setzte und der in diesen Tagen war es im Landtag in Mainz, und so war es in den zu Recht - ungeachtet der Tatsache, ob man mit jeder über 40 Jahren auch hier immer - die Generalaus- seiner politischen Entscheidungen einverstanden sprache über den Etat des Bundeskanzlers, in Mainz 5762 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl des Ministerpräsidenten, die Stunde der Opposition Hauses Europa, Wirtschafts- und Währungsunion, und der großen Abrechnung ist. Maastricht-II-Vertrag - also Abschluß der Regie- rungskonferenz - Themen sein sollten, die jedenfalls (Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist traurig Demokraten in Deutschland nicht entzweien sollten. gewesen! - Dr. Peter Struck [SPD]: Immer ruhig bleiben!) Ich verstehe das, was sich hier in der SPD vollzo- gen hat, überhaupt nicht. Wenn es einen Grund gibt, Ich habe die ganze Zeit überlegt, ob ich, wenn ich daß Sie das alles vor Ihrem Parteitag gebraucht ha- mich erst jetzt melde, nicht in den Verdacht komme, ben, um irgendwelche Stimmungen zu reflektieren - auch noch den Anspruch zu erheben, die Führung auch ich habe vor Parteitagen schon manchmal Feh- der Opposition zu übernehmen. ler gemacht und Stimmungen reflektiert -, dann wol- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der len wir das als läßliche Sünde einstufen. Die Grund- F.D.P.) frage - ich behaupte, die Frage der Fragen - der deutschen Politik lautet: Werden wir Teil des neuen Da Sie mir ja viel zutrauen, will ich vorsorglich sa- Europas im 21. Jahrhundert? In dieser Frage sollten gen: Diese Absicht habe ich nicht. sich - ich sage das sehr ernsthaft - die großen tradier- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten politischen Kräfte einig sein; sie haben in dieser Frage eine alte Tradition. Die SPD hat hier eine län- Da der Oppositionsführer nicht gesprochen hat - gere Tradition als alle anderen, weil sie eine sehr viel den Vorsitzenden der grünen Fraktion kann ich als ältere Partei ist. Diese Frage wurde schon auf den in- solchen nicht anerkennen; da wären die Maßstäbe ternationalen Sozialistenkongressen vor 1914 von Ih- völlig verrutscht, zwar nicht bei Ihnen, aber bei den rer Seite ganz klar angesprochen. Denken Sie an die anderen -, will ich zu den Themen, die mir wichtig große Rede von Jean Jaurès damals vor seiner Ermor- sind, sprechen. dung. Ich möchte mich ausdrücklich beim Kollegen Ver- Dies alles ist ein Beispiel dafür, daß es sich um ein heugen bedanken, der für mich einen neuen Begriff sehr kostbares Thema handelt - ich verwende be- eingeführt hat - andere haben ihn aufgenommen -; wußt diese Sprache - und daß es sich weder zur Le- er hat mich als Buddha bezeichnet. Ich bin mir nicht gendenbildung noch zu einem billigen Populismus klar, ob Herr Verheugen wirklich weiß, was er damit eignet. Ich will jetzt gar nicht zynisch sagen, Herr getan hat. Ich habe meine Erinnerungen extra telefo- Vorsitzender Scharping, was Sie so oder so zu tun nisch aufgefrischt. Im Staatslexikon heißt es unter hätten. Ich habe als Kanzler der Bundesrepublik dem Stichwort Buddha, Herr Verheugen: Als Persön- Deutschland ganz einfach die Bitte: Tragen Sie dazu lichkeit zeichnete sich Buddha aus durch seinen Le- bei, daß diese ungute Diskussion durch die SPD so bensernst, seine durchdachte und gelassene Lebens- schnell wie möglich beendet wird! meisterung, seinen Sinn für das Wirkliche und Mögli- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- che, seine Mäßigung und Ausdauer. wie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU DIE GRÜNEN) und der F.D.P.) Sagen Sie auch Ihren politischen Freunden, die da- Ich bin bereit, alles zu akzeptieren. Mit der Mäßi- bei ganz anderes im Schilde führen - ich nenne jetzt gung habe ich allerdings gewisse Probleme. Diese Herrn Schröder aus Hannover -, daß es diesem teile ich mit dem Vorsitzenden der grünen Fraktion. Thema natürlich nicht angemessen ist, zu sagen, es Das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten. Daß Sie eigne sich, um die Spiele des Herrn Kohl zu stören. mich aber nach 13 Jahren in diesem Amt so anspre- Es geht nicht um die Spiele des Herrn Kohl. Es geht chen, tut mir wohl. um eine Säule deutscher Politik. Dies haben alle meine Amtsvorgänger ohne Wenn und Aber vertre- (Große Heiterkeit und Beifall bei der CDU/ ten. CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich sage Ihnen, Herr Verheugen, ganz offen: Ich bin seit 23 Jahren Parteivorsitzender der CDU. Aber Es ist gut, daß wir uns bei allem dringenden Dis- so hat mich meine Partei noch nie verwöhnt. kussionsbedarf zu innenpolitischen Fragen - Europa- politik ist im übrigen längst zu einem Teil deutscher (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Innenpolitik geworden - darüber im klaren sind, daß Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ wir in den nächsten zwei Jahren - bis zum Ende der DIE GRÜNEN]: Was wäret ihr ohne die Amtszeit des Kollegen Wim Kok als Vorsitzender des Grünen!) Rates der Europäischen Union bis Sommer 1997 - in Die gehen ganz anders mit mir um. Aber ich bin für einem ungewöhnlich schwierigen innenpolitischen dieses Lob dankbar, und es stimmt ja auch. und außenpolitischen Umfeld vorangehen müssen. (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU Europa ist und bleibt Kern unserer Außenpolitik. und der F.D.P.) Das heißt, wir wissen, daß von uns erwartet wird, daß wir mehr internationale Verantwortung übernehmen. Ich will jetzt ein, wie ich hoffe, für uns gemeinsam Das heißt aber gleichzeitig - das ist die eigentliche wichtiges Thema ansprechen. Vielleicht kann auch Problematik -, daß uns alle unsere Nachbarn mit sehr diese Debatte dazu beitragen, daß wir zu einer Klä- viel intensiveren Blicken betrachten als noch vor ein rung darüber kommen, daß die Themen Bau des paar Jahren zur Zeit des kalten Krieges, als man Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5763

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl glauben konnte, die Balance im Westen Europas sei Entgegen allen Unkenrufen haben wir 1985 das ungefähr erreicht. Wir müssen sehen, daß das Miß- Binnenmarktprogramm und 1986 die Einheitliche trauen nicht wegen der aktuellen Politik, sondern Europäische Akte durchgesetzt. Wir haben erreicht - wegen der objektiven Daten gewachsen ist. In der das war nicht selbstverständlich -, daß am Ende alle Zeit des Jahres 1985/86 war es für den Beobachter in unsere europäischen Nachbarn der deutschen Ein-- Paris, in London, in Rom und Den Haag sehr viel ein- heit zugestimmt haben. facher, die Deutschen entsprechend einzuordnen, weil wir ungefähr die gleiche Bevölkerungszahl hat- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten, zwar eine stärkere Wirtschaftskraft, aber sich be- Meine Damen und Herren, in dieser neumodi- stimmte militärische und andere Komponenten eben schen Form der Indiskretion hat der langjährige Be- zugunsten der anderen entwickelt hatten. Das ist an- rater von François Mitterrand, Jacques Attali, vor ei- ders geworden. Die Bundesrepublik Deutschland ist nigen Tagen erneut ein Buch veröffentlicht und darin heute ein Land mit knapp 80 Millionen Einwohnern geschildert, daß auf dem Straßburger Gipfel im De- und mit weitem Abstand trotz all unserer Probleme zember 1989 keine Mehrheit der Anwesenden in die- die stärkste Wirtschaftskraft Europas. ser Stunde für die deutsche Einheit war. Ich halte es für eine der ganz großen Leistungen deutscher Poli- Mir sind jene Sätze mitten im Prozeß der deut- tik und dieser Bundesregierung, daß wir diese Stim- schen Einigung unvergessen, die François Mitter- mung verändert und mit dem Aufbruch nach Europa rand damals in einer Rede sagte: „Es ist wahr, die die Besorgnisse abgebaut haben. Deutschen haben jetzt Probleme. Aber sie werden ihre Probleme lösen, sonst wären sie nicht mehr die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutschen. Danach werden sie stärker sein als je zu- vor." Der Satz „Danach werden sie stärker sein als je Die in dieser Zeit meistgestellte Frage war, ob sich zuvor" geht durch Europa. Deswegen ist es wichtig, die Deutschen, wenn sie die Einheit gewinnen, wie- daß wir nicht vergessen, woher wir kommen. der isolieren, neutralisieren lassen, ob sie abdriften oder ob sie die Bindung in die NATO und die Euro- 1982 sprach man noch von „Eurosklerose". Wenn päische Union beibehalten und gleichzeitig offen für Sie einmal nachlesen, meine Damen und Herren von zukünftige Entwicklungen in Mittelost- und Süd- der SPD, was Sie von diesem Pult - - osteuropa sind. (Dr. Peter Struck [SPD] geht durch die Rei- Herr Abgeordneter Fischer, Sie haben mich nach hen der SPD - Unruhe bei der SPD - Bun- der Erweiterung gefragt. Ich habe in Polen nicht ge- desminister Dr. Theodor Waigel: Der fordert sagt: Im Jahr 2000 tritt Polen bei. Das ist falsch zitiert. die Leute zur Unruhe auf! - Dr. Wolfgang Ich habe gesagt, daß ich fest davon ausgehe, daß wir Schäuble [CDU/CSU]: Unglaublich! - Mi- im Jahr 2000 mitten in den Verhandlungen über den chael Glos [CDU/CSU]: Das Mieseste vom Beitritt von Polen stehen. Da ein solcher Vertrag von Miesen! Herr Präsident, greifen Sie ein!) allen ratifiziert werden muß, das heißt von allen 16, erkennt doch jeder, daß ein Zeitplan, der auf dieses - Meine Damen und Herren, das entspricht dem Bild, Datum zielt, abwegig ist. das ich in diesen Jahren von Ihnen hier gewonnen habe. Sie sind mit Blumen in dieses Haus gezogen Aber ich bleibe dabei, für uns als Deutsche kann und haben mehr Zwietracht hereingebracht als viele die Gleichung nur heißen: Wir sind für die Vertie- andere. fung der Europäischen Union, und wir sind für die Erweiterung der Europäischen Union. Die Ostgrenze (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Deutschlands, die Oder-Neiße-Linie, darf nicht die DIE GRÜNEN]: Wir doch nicht! Ich bin im Ostgrenze der Europäischen Union sein. Das ist für mer für alles schuld! - Eduard Oswald mich eine entscheidende Voraussetzung. [CDU/CSU]: Die SPD ist gemeint!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) - Lassen Sie den Abgeordneten operieren, wie er will. Dann haben wir, François Mitterrand und ich, im April 1990 die gemeinsame Initiative zur Politischen (Michael Glos [CDU/CSU]: Herr Scharping, Union ergriffen. Deswegen stellt sich doch die Frage schämen Sie sich!) gar nicht, Herr Fischer, ob man sich vorstellen kann, - Er hat Angst wegen seiner Wiederwahl, und das ist daß die Währungsunion ohne Frankreich beginnt. ja verständlich. Das ist eine völlig abwegige Vorstellung. Das habe ich oft genug gesagt. Warum stellen Sie dann diese (Beifall bei der CDU/CSU) Frage? Sie können doch nicht die Momentaufnahme des heutigen Tages nehmen, nach der die Kriterien Lassen Sie mich bitte wieder zu diesem für mich von Maastricht derzeit nur von Luxemburg und der wirklich wichtigen Punkt zurückkommen. Wir haben Bundesrepublik Deutschland erfüllt werden. Sie wis- in den vergangenen zehn Jahren aus einer Politik sen doch so gut wie ich, daß das kein Neubeginn des Stillstands heraus eine neue europäische Dyna- wäre. Selbstverständlich müssen wir mit unseren mik entwickelt. Wir haben in diesen zehn Jahren ge- Freunden darüber reden, aber nicht über das Absen- meinsam mit unseren französischen Freunden - rüh- ken der Voraussetzungen; dazu will ich gleich noch men will ich den Präsidenten der Europäischen Kom- etwas sagen. mission in dieser Zeit, Jacques Delors; das möchte ich ausdrücklich hinzufügen - Europa auf das rich- Wir haben dann die Verhandlungen zum Maas-

tige Gleis gebracht. tricht - Vertrag auf den Weg gebracht. Natürlich, 5764 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl meine Damen und Herren, können Sie sich hinsetzen Zwei dieser zentralen Bereiche sind eine gemein- und sagen, dieses oder jenes sei schlampig ausgear- same Außen- und Sicherheitspolitik und das Thema beitet. der inneren Sicherheit, insbesondere die stärkere (Zuruf von der SPD: So ist es!) Zusammenarbeit gegenüber der Mafia, gegenüber dem grenzüberschreitenden organisierten Verbre- - Das können Sie sagen, weil Sie keine Ahnung ha- chen und dem Terrorismus sowie eine gemeinsame- ben! Jeder, der dabei war, auch die Mitglieder der Asyl- und Immigrationspolitik. Sozialistischen Internationale, die als Regierungs- chefs dabei waren, halten diesen Vertrag für einen Hinzu kommt drittens die Verbesserung der Hand- ersten Schritt zu einem großen Wurf. Daß er nicht lungsfähigkeit und der Effizienz der europäischen alle unsere Wünsche erfüllt, daß es nicht ein Vertrag Institutionen. Das bezieht sich ausdrücklich auch auf ist, den wir hier zusammen erdacht und diktiert ha- die Rolle des Europäischen Parlaments. Dieses tut ben, sondern daß wir dazu die Zustimmung von an- sich sehr schwer, seine Rolle zu finden, weil es do rt deren brauchen, ist doch auch ganz klar. keine Rollenverteilung zwischen Regierung und Op- position gibt. Meine Damen und Herren, was für eine Arroganz vor der Geschichte! Daß wir als Deutsche 50 Jahre Viertens muß ein klares Wort zur Erweiterung ge- nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges diesen Ver- sagt werden. Es gibt z. B. den Beschluß, meine Da- trag mit erreicht haben, zeigt doch, daß wir aus der men und Herren, daß binnen sechs Monaten nach Geschichte gelernt haben und daß wir etwas erreicht dem Abschluß der Regierungskonferenz die Ver- haben, von dem ich vor 20 Jahren nicht geglaubt handlungen mit Zypern und Malta aufgenommen hätte, daß es erreichbar sei. werden. Ohne Prophet zu sein: Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir diesen Prozeß einleiten und nicht (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und gleichzeitig mit den wichtigsten Nachbarn in Mittel-, der F.D.P.) Ost- und Südosteuropa Gespräche beginnen. Dabei Die Sympathien und die Lebenserfahrungen der lasse ich völlig offen, wie lange dies dauert und ob Völker haben sich in diesen paar Jahren doch nicht die einzelnen Länder in der konkreten Situation dies völlig verändert. Natürlich stimmen solche Sätze - bereits wünschen. Die Länder selbst müssen dazu die sind in der Sache nicht richtig -, die ich aus dem das Notwendige tun. englischen Unterhaus gehört habe, nachdenklich: Diese Länder aber, sei es Polen, sei es Tschechien, Wir haben sie zweimal geschlagen, jetzt sind sie wie- die Slowakei oder Ungarn, müssen wissen: Die Bun- der da! - Das ist doch die Realität, mit der wir uns in desrepublik Deutschland - ich hoffe, daß ich das so Europa auseinandersetzen müssen! sagen kann - wird Anwalt dieser Länder sein, damit Deswegen müssen wir viele kleine Schritte tun. sie in das Haus Europa kommen können. Deswegen müssen wir sehr viel Sympathie erwer- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ben. Deswegen müssen wir sehr sensibel sein, auch gegenüber Einwänden und Vorwürfen, die wir selbst In diesen Bereich gehören meines Erachtens als auf Grund unserer Geschichte als abwegig erken- ein weiterer Punkt die Frage der Bürgernähe und die nen. Dennoch: Wir brauchen diesen Einigungspro- demokratische Verantwortung. Darunter fällt vor al- zeß. Wir brauchen dieses Haus Europa. Europa muß lem das Stichwort der Subsidiarität. unumkehrbar gemacht werden. Das ist entscheidend für die nächsten Jahre. Ich bin mir darüber im klaren - das wird schon in wenigen Wochen auf dem EU-Gipfel in Spanien ein wichtiges Thema sein -, daß der Streit unter den jet- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Bundes- zigen 16 Mitgliedstaaten, was wir unter Subsidiarität kanzler, gestatten Sie Frau Kollegin Vollmer eine zu verstehen haben, noch lange nicht ausgetragen Zwischenfrage? ist. Die nationalstaatliche Tradition der einzelnen Länder ist verschieden. Die einen, zum Beispiel Frankreich und Italien, kennen einen Zentralstaat. Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Nein, danke schön. Ich möchte die Debatte nicht so führen, daß Wir, die Bundesrepublik Deutschland, sind zu Recht der Gedankengang dabei unterbrochen wird. stolz auf unsere Erfahrungen mit einer vernünftigen föderalen Struktur. (Zurufe von der SPD) Wer sich jetzt hier hinstellt und sagt, wir müßten - Aber Entschuldigung, ich war doch den ganzen etwa das, was wir im Gemeindebereich seit dem Frei- Morgen dabei! Sie werden doch nicht sagen wollen, herr vom Stein hoch schätzen, anderen oktroyieren, daß die Debatte nicht lebendig gewesen wäre! der hat keine Ahnung von der Wirklichkeit in Eu- ropa. Wir müssen für diese Überzeugung rund um Für mich ist entscheidend, daß wir jetzt fähig sind, die Uhr werben. diesen Prozeß mit Blick auf das 21. Jahrhundert un umkehrbar zu machen. Das ist die Aufgabe der Re- Wir haben viel erreicht. Wenn man sich vor Augen gierungskonferenz, die in ein paar Monaten beginnt. führt, daß eine Konvergenz der Wirtschaftspolitiken Dabei gibt es vier Zentralbereiche, wobei das, was vor zehn Jahren noch als völlig illusorisch betrachtet ich jetzt sage und was wünschenswert ist, bei Maas- wurde, es heute aber in der EU ganz selbstverständ- tricht II mit Sicherheit nicht vollständig erreichbar lich ist, von einer solchen Konvergenz zu sprechen, sein wird. Aber wir müssen einen weiteren entschei- wird deutlich, daß wir große Erfolge erzielt haben. Es denden Schritt vorangehen. waren Mitglieder der Bundesregierung, Finanz- und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5765 Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Wirtschaftsminister, auch all diejenigen Kollegen, die blik, die mit ihrer Fahne und ihrer Hymne Probleme die Verhandlungen geführt haben, die hervorra- hatte. Vor diesem Hintergrund muß man doch beden- gende Arbeit geleistet haben und nun Anerkennung ken, daß die Frage der D-Mark in diesem Land einen dafür verdienen. völlig anderen Stellenwert hat. Dies ist schon deswe- gen der Fall, weil die Generation der Älteren, die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch aus dem Ersten Weltkrieg die Erfahrungen von Zu der Wirtschafts- und Währungsunion. Meine Inflation und Zusammenbruch hatte, und die Gene- Damen und Herren, ich finde es erstaunlich, daß es ration, die den Zusammenbruch von 1945 und da- noch immer Leute für denkbar halten, daß wir eine nach den Zusammenbruch der Währung bis zur Ein- Politische Union ohne eine Wirtschafts- und Wäh- führung der D-Mark 1948 erlebt hat, ein völlig ande- rungsunion realisieren könnten. res Verhältnis zu dem Thema „Inflation und Verlust der Werte" haben als die Menschen in einem Land, (Dietmar Thieser [SPD]: Wer hat denn das das solches nicht erlebt hat. Wir müssen bei unseren gesagt?) Freunden darum werben, daß sie uns verstehen. - Lesen Sie nicht die Zeitung? Aber klar sein muß auch: Wenn die D-Mark, die Währung Nummer eins in Europa, nicht der Kern der (Dietmar Thieser [SPD]: Doch!) Währungsunion ist, kann die Währungsunion nichts - Dann wissen Sie es ja. Es gibt viele dieser Leute. werden. Beides gehört zusammen. Meine Damen und Herren, wenn dieser Satz aber Herr Fischer, Sie haben mich richtig zitiert. Wenn richtig ist, heißt das doch im Klartext, daß wir auch wir über diese Fragen reden, geht es nicht um eine bei der Frage, wer an der Währungsunion zu wel- Frage der Ökonomie - so wichtig sie ist -, nicht um chen Zeitpunkten und bei Erfüllung der Kriterien eine Frage der sozialen Dimension - so wichtig auch teilnehmen kann, immer bedenken müssen, welche diese ist -, sondern vor allem um die Frage, ob wir im Auswirkungen das auf die Politische Union haben 21. Jahrhundert in unserem Land und in Europa frei wird. In Wahrheit geht es nämlich um die Aufgabe sind von Krieg, ob der Frieden bewahrt bleibt. Die von nationalen Souveränitätsrechten. eigentliche, für jeden Deutschen überzeugende Ar- gumentation muß sein: So wichtig all diese ökonomi- Ob wir es gern hören oder nicht: Wir haben es in schen Faktoren sind - ich schätze sie aus den eben den letzten 40 Jahren leichter gehabt, nationale Sou- genannten historischen Erfahrungen unseres Volkes veränitätsrechte abzugeben, weil wir erst mit dem ganz hoch ein -, bleibt es das wichtigste, den Frieden Petersberger Abkommen nationale Souveränitäts- im nächsten Jahrhundert zu erhalten. Frieden und rechte erhalten haben. Andere Länder waren Sieger- Freiheit in Deutschland und in Europa werden wir mächte des Zweiten Weltkriegs und haben aus die- nur erhalten, wenn wir das Haus Europa bauen. ser Situation heraus völlig anders gedacht; zum Teil denken sie noch heute so. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deswegen kann ich nur immer wieder sagen: Wir Meine Damen und Herren, es soll niemand glau- müssen hier Schritt für Schritt vorgehen. Ich bin zu ben, daß wir in Deutschland oder anderswo in Eu- jedem Gespräch bereit; das habe ich gerade im Aus- ropa von der Gefahr frei sind, daß wieder Chauvinis- wärtigen Ausschuß vorgetragen. Es hat aber doch mus aufkommt, wenn in ihrer großen Mehrheit eine wenig Sinn - das wurde heute wieder verlangt -, als Generation die Verantwortung hat, die keine persön- Bundesregierung öffentliche Postulate abzugeben, lichen Erfahrungen mit dem Krieg und mit der dama- wenn wir unsere Partner erst dafür gewinnen müs- ligen Zeit hat. Deswegen kann ich nur leidenschaft- sen, sich in diese Richtung zu bewegen. Das ist doch lich dafür plädieren und dafür eintreten, daß wir wis- eine absurde Vorstellung von internationalen Bezie- sen: Der Bau des Hauses Europa ist die Frage von hungen. Krieg und Frieden für die Deutschen im 21. Jahr- hundert. Dies ist im übrigen auch die Frage nach der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wohlfahrt unserer Völker. Das Exportland Deutsch- land braucht Europa mehr als jedes andere Land in In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich ma- Europa. Sie werden auch keine wirklich bedeutsame chen - auch das gehört in diese Debatte -, daß sei- ökologische Frage national lösen können. Wir müs- tens vieler unserer Nachbarn kaum Verständnis für sen zu europäischen Dimensionen kommen. die Diskussion um die D-Mark in Deutschland vor- handen ist. Dies ist unseren Partnern und Freunden (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU außerhalb unserer Grenzen sehr schwer zu vermit- und der F.D.P.) teln. Für andere gibt es eine andere Geschichtserfah- rung. Wenn dies alles richtig ist, dann kann man ruhig herumkritisieren, aber dann muß man doch zusehen, Ich weise in meinen Gesprächen immer wieder daß wir jetzt mit Klugheit ans Werk gehen. Heute darauf hin, wie die Situation im Jahre 1948 war; ich morgen stand plötzlich eine Abgeordnete aus Ihren habe das als 18jähriger erlebt. Plötzlich war eine Reihen auf und hat eine Serie von Fragen vorgelesen Währung da, der niemand eine Zukunft vorhersagte und gesagt, die Bundesregierung sei nicht in der und die unter den Gurus der damaligen Zeit als eine Lage, darauf Antworten zu geben. Damit es ganz Art Mißgeburt galt. Diese Währung aber hat sich klar ist: Ich will jetzt einen Teil der Antworten gar Jahr für Jahr durchgesetzt. Man kann das so deutlich nicht geben, weil das Gegenstand von Verhandlun- sagen: Die D-Mark hat uns Deutschen mehr Identifi- gen ist und weil es eine abwegige Vorstellung von kation gebracht als die neugegründete Bundesrepu- internationaler Politik ist, daß ich mich im Deutschen 5766 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Bundestag in 40 Fragen festlegen lasse, und an- Ich sitze hier, angeblich buddhaähnlich, und höre schließend rede ich mit den Schweden, rede ich mit mir Ihr Geschrei schon seit Stunden an. Es ist ein den Iren, rede ich mit den Spaniern, und ich habe gar tiefenpsychologischer Vorgang, den Sie endlich ein- keinen Verhandlungsspielraum mehr. Das müssen mal beseitigen müssen, daß Sie nicht mehr zuhören Sie doch begreifen. können. - (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und der F.D.P.) ordneten der F.D.P. - Zurufe von der SPD) Sie müssen doch nach 13 Jahren Opposition, wenn Die wichtigsten Stützen des Wachstums - - Sie wieder an die Regierung wollen, endlich ein (Anhaltende Zurufe von der SPD und der Stück Denken in sich aufnehmen, wie Sie Regie- PDS) rungsfähigkeit erwerben. - Ich will nur noch einmal etwas sagen: Ich weiß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - doch - das sage ich jetzt wegen der Fernsehzu- Widerspruch bei der SPD) schauer -, was Ihre Absicht ist. Aber jetzt bitte ich Meine Damen und Herren, es ist zu dem Thema Sie wirklich: Sie haben mich in 13 Jahren nicht aus- Konjunktur und Arbeitsmarkt einiges gesagt wor- gehebelt; Sie schaffen das auch heute früh nicht. den. Auch ich will dazu einige kurze Bemerkungen (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ machen. Zunächst möchte ich aber angesichts Ihrer DIE GRÜNEN]: Das haben wir schon so oft Katastrophenmeldungen - das machen Sie ja nun gehört!) auch schon über ein Jahrzehnt - feststellen - - Sie haben auch gar keine Chance, das zu machen, (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Sie sind der Kanzler der Arbeitslosigkeit!) (Zuruf von der SPD: Abwarten!) - Wissen Sie, das können Sie nach Art einer Gebets- weil Sie ja außer diesen billigen Störungen keinen mühle betreiben, aber immerhin ist es so, daß die Beitrag zur Diskussion geleistet haben. Wähler das anders sehen. Sie haben doch gerade in Berlin, einer Stadt voller Schwierigkeiten, erlebt, daß (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und die Wähler in Berlin mich als Kanzler und Vorsitzen- der F.D.P.) den der CDU nicht als Kanzler der Arbeitslosigkeit Eine der wichtigsten Stützen unserer Konjunktur - sehen. Sie haben doch die Wahl verloren, und Sie ha- ich bin froh, daß man das sagen kann - ist auch wei- ben doch Angst vor Ihrem Parteitag. Reagieren Sie terhin die lebhafte Weltkonjunktur. Es ist unüberseh- sich doch endlich einmal auf Ihrem Parteitag ab! bar - das ist positiv -, daß die Zinsen in Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - mittlerweile niedriger sind als in fast allen anderen Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Industrienationen. Ich bin auch ganz sicher, daß DIE GRÜNEN) Steuerentlastungen in absehbarer Zeit dem privaten Konsum eine entsprechende Unterstützung geben Meine Damen und Herren, trotz aller Schwie- werden. Wir haben guten Grund anzunehmen, daß rigkeiten ist die deutsche Wirtschaft weiterhin auf wir - das ist nicht die Welt und nicht in allen Punkten Wachstumskurs. In diesem Jahr sind es 2 1/4 oder 2 1/2 optimal, aber immerhin - im nächsten Jahr eine Zu- Prozent. Es ist unübersehbar, wachsrate von 2 1/2 Prozent haben werden. Das ist die eine Seite. (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wachstum der Schulden und der Arbeitslosigkeit!) Die andere Seite, die nicht befriedigend ist, ist die Situation am Arbeitsmarkt; denn zum ersten Mal in daß das eine Entwicklung ist, die teils bef riedigend 40 Jahren zeigt sich, daß Stabilität und auch ein und teils unbefriedigend ist. Es ist ebenfalls wahr, leichter, sich fortsetzender Aufschwung im konjunk- daß wir die Hoffnung haben, daß wir mehr schaffen turellen Bereich sich nicht automatisch im Bereich können, weil wir auch mehr brauchen. Ich schiebe des Arbeitsmarktes niederschlagen. die Verantwortung nicht auf andere ab, aber wenn ich mir vorstelle, wie die Tariflohnabschlüsse ge- (Zuruf von der SPD: Potzblitz! - Hans Bütt- wirkt haben, dann hätte ich mir gewünscht, daß man ner [Ingolstadt] [SPD]: Das ist das Ergebnis bestimmte Erkenntnisse von heute schon vor einem Ihrer Politik!) Jahr gehabt hätte. Wir wären dann ein gutes Stück weitergekommen. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie unschwer erkennen, wie die Tatsachen sind. In dieser Woche (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - veröffentlichen die drei großen Chemiekonzerne ihre Zuruf des Abg. Hans Büttner [Ingolstadt] Zahlen für die Dreivierteljahresbilanz. Es handelt [SPD]) sich um Rekordzahlen positiver A rt . Aber, meine Da- men und Herren, wenn Sie sozusagen das Kleinge- Es gibt nicht den geringsten Grund, die Konjunk- druckte betrachten, dann werden Sie feststellen, daß tur schlechtzureden. die guten Zuwachsraten insgesamt auch mit dem Ab- (Weitere Zurufe des Abg. Hans Büttner [In bau von Personal erkauft wurden. Das ist eine Ent- golstadt] [SPD]) wicklung, die wir überall haben. - Ich weiß gar nicht: Sind Sie inzwischen unfähig ge Deswegen muß man sich darüber im klaren sein - worden, einmal eine halbe Stunde ruhig zu sitzen? das gilt natürlich in hohem Maße auch für die Ent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5767

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl wicklung in den neuen Ländern -, daß wir jetzt nicht Dazu gehört beispielsweise eine Antwort auf die nur auf die althergebrachten Formen der Konjunk- Frage, die uns viele Bürger stellen: Wie ist es mög- turentwicklung setzen können, sondern daß wir in lich, daß der Arbeitsminister jährlich fast eine Million der Tat ein großes Gemeinschaftswerk - ich werde kurzfristige Arbeitserlaubnisse außerhalb der EU er- gleich mehr dazu sagen - auf den Weg bringen müs- teilt und wir beispielsweise im gleichen Sektor, der sen. Denn die Arbeitslosigkeit in ganz Deutschland Bauwirtschaft, Arbeitslosigkeit haben? kann nicht akzeptiert werden, Wir haben die Zahlen im Laufe des Wahlkampfs in (Zuruf von der SPD: Aha!) Berlin diskutiert. Es ist doch absurd, daß wir in Berlin Zehntausende von arbeitslosen Baufacharbeitern ha- und das Schicksal der Arbeitslosen kann nicht ein- ben und gleichzeitig in erheblichem Maße Arbeits- fach hingenommen werden. kräfte von draußen hereinholen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zuruf von der SPD: Wohl wahr! - Weitere Zurufe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- von der SPD) ordneten der F.D.P. - Dr. Peter Struck [SPD]: Und was ist mit dem Entsendegesetz? - - Alles, was Sie jetzt leisten, ist immer nur dazwi- Weitere Zurufe von der SPD) schenschreien. - Das ist eine Tatsache, die Sie auch mit Geschrei (Anhaltende Zurufe von der SPD) nicht widerlegen. - Ich bin ja doch noch bei meiner Rede. Was soll es Deswegen gilt der Satz - ich hoffe, daß dieser Satz denn? Es hat doch wirklich gar keinen Sinn, daß wir bei unseren Gesprächen durchdringt -, ohne daß wir so miteinander umgehen. jetzt in die Tarifautonomie eingreifen: Interessen der Arbeitslosen dürfen in tarifpolitischen Auseinander- Die Arbeitslosenunterstützung hilft, die Zeit der setzungen nicht hinter den Einkommensinteressen Arbeitslosigkeit finanziell zu überbrücken. Aber sie der Beschäftigten zurückstehen. gibt den Menschen, die arbeitslos sind und diese Un- terstützung erhalten, nicht das Gefühl, daß sie ge- (Beifall bei der CDU/CSU - Abg. E rnst braucht werden; sie haben oft das Gefühl, die Aner- Schwanhold [SPD] meldet sich zu einer kennung in ihrem ganz privaten Bereich wird ihnen Zwischenfrage) vorenthalten. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Deswegen Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Bundes- stellen Sie sie schlechter!) kanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Deswegen werden wir im Blick auf die konjunktu- relle Entwicklung eben nicht einfach warten können; Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Nein. - Wir ha- vielmehr müssen wir in allen Bereichen, in denen wir ben damit die Chance, bei Flexibilisierungen im das können, wirtschaftliches Wachstum voranbrin- Blick auf die Maschinenlaufzeiten mehr Beschäfti- gen, die Attraktivität unseres Standortes für Arbeits- gungsmöglichkeiten zu finden. plätze weiter erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit Meine Damen und Herren, jetzt sagt die IG Metall stärken und vor allem das Klima für Leistungswillen - der Vorstand hat alles getan, um diesen 30-Stun- wieder verbessern. den-Antrag nicht durchkommen zu lassen - genau (Zuruf von der SPD: Nur Sprüche!) das gleiche, was wir Ihnen seit Jahr und Tag erzählt haben. Und Sie haben dazwischengeschrien und er- Meine Damen und Herren, genau darin sehe ich klärt, das sei soziale Demontage. die Aufgaben für die nächsten Jahre. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen für Investitionen, Wachs- Wir brauchen mehr Flexibilität, das heißt mehr tum und Arbeitsplätze verbessern. Dabei ist jeder Freiräume für private Initiative. Es bleibt das Ziel, gefordert. Deswegen begrüße ich das, was Herr die Staatsquote zurückzuführen. Das bedeutet, Zwickel von der IG Metall jetzt gesagt hat. Wir wer- meine Damen und Herren, daß Sie hier im Hause, den das Angebot, miteinander zu sprechen, aufneh- aber noch mehr im Bundesrat eingeladen sind, Ihre men. Zustimmung dazu zu geben. Übrigens, wenn Sie ihn zitieren, dann sollten Sie Wir werden die Konsolidierungspolitik fortsetzen. auch hinzufügen, daß derselbe Vorsitzende der IG Was immer Sie hier sagen: Für mich ist entscheidend, Metall auf seinem Kongreß gesagt hat, der einzige was der Internationale Währungsfonds etwa zur Poli- Ort, an dem gegenwärtig in Deutschland vernünftige tik des Finanzministers sagt. Ich bin stolz darauf, daß Diskussionen dieser Art möglich seien, sei die Runde Theo Waigel in den ganzen Jahren eine Politik ohne beim Bundeskanzler. Populismus durchgesetzt hat. Die war gut für die Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Zurufe von der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ich bin sofort bereit, seine These, daß wir den Auf- SES 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der bau und Ausbau von Arbeitsplätzen mit Vorrang se- SPD) hen müssen, daß sich dem anderes unterordnen muß, entsprechend zu unterstützen. Wir müssen darüber Durch das Jahressteuergesetz werden die Bürger ohne Tabus reden. um fast 20 Milliarden DM entlastet. Bei der Unter- 5768 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl nehmensteuerreform mit dem Schwerpunkt Gewer- Denn die mittelständischen Unternehmen beschäfti- besteuerreform können Sie ja jetzt mitwirken. Sie gen zwei Drittel aller Arbeitnehmer. Im letzten Jahr sollten dabei vor allem mit dem Unsinn des alten so- entfielen 90 Prozent des Beschäftigungszuwachses zialistischen Neidkomplexes aufhören, das sei ein auf Wirtschaftszweige mit hohen Selbständigenquo- Geschenk für die Reichen. Es ist ein Geschenk für ten. die Arbeitslosen, wenn wir mehr Arbeitsplätze in - In Deutschland sind 8 Prozent aller Erwerbstätigen Deutschland schaffen. selbständig; im Durchschnitt unserer Nachbarn in (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der EU sind es 11 Prozent. Daran gemessen - das sehe ich als die wichtigste Hausaufgabe für die näch- Deswegen ist es ganz wichtig, daß wir in der aller- ste Zeit an - fehlen uns in Deutschland rund 800 000 nächsten Zeit - die Bundesregierung wird im Zusam- Selbständige. menhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht, der, glaube ich, im Februar in diesem Hohen Hause dis- Noch etwas halte ich für ganz wichtig: daß wir im kutiert wird, neue, eigene Vorschläge vorlegen - zu Blick auf vielerlei Entwicklungen der Demographie einem Gesamtprogramm kommen. Ich hoffe, daß es vor einer großen Übergabewelle im mittelständi- in den Gesprächen mit den Gewerkschaften und mit schen Bereich stehen. In den nächsten fünf bis zehn den Arbeitgebern gelingt, wenigstens in den wich- Jahren werden rund 700 000 Betriebsinhaber im mit- tigsten Teilbereichen ein Stück Konsens zu erzielen. telständischen Bereich, darunter 200 000 Handwer- Ich kann die Sozialdemokratie nur einladen, dann ker, ihren Betrieb aufgeben oder abgeben, weil sie nicht das, was gemacht werden muß, im Bundesrat keine Erben in der eigenen Familie haben. Meine zu bremsen, sondern der Zukunft eine Chance zu ge- Damen und Herren, es gibt eine totale Veränderung ben. der gesellschaftlichen Struktur, wenn wir dagegen nicht das Notwendige tun. Das ist nicht nur eine Des weiteren müssen wir im Prozeß des Umden- Frage des Geldes, sondern nach meiner festen Über- kens zu der Erkenntnis kommen, daß wir jetzt in zeugung vor allem eine Frage des gesellschaftlichen einer sehr viel schärferen Konkurrenz stehen. Wenn Klimas in Deutschland. wir in wenigen Tagen in die Volksrepublik China aufbrechen und ein ganz maßgeblicher Teil der Un- Wenn, wie Jürgen Rüttgers ausgerechnet hat, rund ternehmensführungen der Bundesrepublik Deutsch- 40 Prozent der berufstätigen Hochschulabsolventen land dabei vertreten ist, dann tun wir das doch wahr- im öffentlichen Dienst arbeiten, ist das eine Zahl, die lich, um Märkte für die Zukunft zu sichern. Genau absolut außerhalb der normalen Verhältnisse anderer das müssen wir tun, und das werden wir auch tun. Staaten und Länder liegt. Hier müssen wir, von der Bildungspolitik angefangen und bis in andere Berei- Auch zu einer anderen Frage sollte sich die SPD che hinein, vor allem aber durch Umdenken, der einmal äußern. Ich habe in den letzten Wochen oft Selbständigkeit einen höheren Stellenwert in der Ge- genug dazu gesprochen. Wenn Sie die Entwicklung sellschaft einräumen. der Arbeitsplatzsituation und die Entwicklung der Demographie in Deutschland betrachten, dann kom- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) men Sie unschwer zu dem Ergebnis, daß wir auf tra- Meine Damen und Herren, das heißt, daß wir uns ditionelle Weise nicht viele neue Arbeitsplätze wer- alle - ich sage bewußt: alle - auch zu jenen Lei- den gewinnen können. stungseliten bekennen, die unsere Demokratie über- haupt erst zukunftsfähig machen. Ich spreche nicht Wir verlangen mit Recht den schlanken Staat. von Eliten nach Geburt. Ich spreche von denen, die Wenn wir aber zu einem schlanken Staat kommen auf Grund ihrer eigenen Leistung in der Lage sind, wollen, kann das nicht bedeuten, daß die Zahl der etwas auf die Beine zu stellen, öffentlich Bediensteten dramatisch zunimmt. Viel- mehr wird die Zahl der öffentlich Bediensteten eher (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) reduziert werden, und zwar auf allen Ebenen. die in allen Bereichen wirksam sind, nicht nur in der Wir wissen zum zweiten, daß, wenn ich einmal den Wirtschaft, sondern auch im Bereich der Kirchen, im Telekommunikationsbereich ausnehme, in weiten Bereich der Parteien, im Bereich der Bürgerinitiati- Teilen der deutschen Großindustrie nicht in großer ven und Vereine. Wenn sich diese Gesellschaft der Zahl neue Arbeitsplätze geschaffen werden, daß die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1995 dazu Strukturierung dieser Unternehmen zur Rationalisie- durchringt, daß dieser Bereich mit Vorrang unter- rung führt, damit sie international wettbewerbsfähig stützt wird, werden wir auch auf dem Arbeitsmarkt bleiben. Das heißt doch, daß wir in Deutschland jetzt einen entscheidenden Beitrag leisten können, weil einen neuen Anlauf für den Aufbau neuer Betriebe jede Neugründung - das zeigt die Statistik - bis zu im mittelständischen Bereich nehmen müssen, vier neue Arbeitsplätze schafft. So muß ein Stück der Zukunft gestaltet werden. (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) anders ausgedrückt: daß wir eine breite Gründungs- welle brauchen, so wie wir sie in den fünfziger Jah- Meine Damen und Herren, auch das möchte ich sa- ren erreicht haben, eine neue Kultur der Selbstän- gen, denn wir haben ja vor wenigen Wochen über digkeit. das Thema „Fünf Jahre deutsche Einheit" diskutiert: Es ist fast auf den Tag sechs Jahre her - es war ja am (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge 9. November 1989 -, daß Mauer und Stacheldraht ge- ordneten der F.D.P.) fallen sind. Natürlich sind die Emotionen dieser gro- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5769

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl ßen Stunden und Tage bereits vergessen oder nur fentlichkeit findet -, daß er hier heute einmal die noch in der Erinnerung schwach vorhanden. Zahlen vorgetragen hat, die zeigen, in welchem Um- fang die Bundesrepublik Deutschland bei internatio- Wahr ist, daß in diesen sechs Jahren Gewaltiges nalen Organisationen ihre Pflicht ganz selbstver- geschehen ist. Viele haben damals die deutsche Ein- ständlich erfüllt. Wir brauchen uns hier vor nieman-- heit für eine Illusion gehalten. Es ist mir ja wohl er- dem zu verstecken. Wir tun das, was wir für selbst- laubt, daran zu erinnern, daß ich bei der Vorstellung verständlich und richtig halten. Aber man darf doch des Zehn-Punkte-Programms am 29. November 1989 wenigstens sagen, daß wir es tun, wenn andere, Ver- hier im Deutschen Bundestag auf viel Skepsis gesto- gleichbare es nicht tun. ßen bin. Gelegentlich - Herr Scharping, Sie haben das neulich wieder gesagt - wird die kritische Frage Wir werden ganz gewiß die Herausforderungen, gestellt, warum ich dieses Programm nicht mit den die mit Blick auf das frühere Jugoslawien auf uns zu- anderen abgestimmt hätte. Wenn Sie es mir nicht kommen werden, annehmen. Die Herausforderun- glauben, dann lesen Sie bei Jacques Attali nach, wo- gen werden, wenn es zum Friedensschluß kommt, hin ich gekommen wäre, wenn ich damals in der von dem wir alle hoffen, daß er bald erfolgt, auch in Europäischen Union um Abstimmung nachgesucht materieller Unterstützung bestehen; das muß jetzt hätte. schon klar ausgesprochen werden. Ohne die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, teils direkt, teils (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) über die Europäische Union, wird es dort keinen Auf- Wir haben vor vier Wochen gesagt: Die Bilanz nach bau geben. fünf Jahren deutscher Einheit ist bei alledem, was Wir werden alles tun, um beim Bau des Hauses Eu- noch zu tun ist, eindeutig positiv. Wir haben erfah- ropa Vorkämpfer zu sein, ohne daß wir unsere Über- ren, daß dieser dramatische Wechsel gerade unseren legungen anderen aufzwingen. Wir werden vielmehr Landsleuten in den neuen Ländern enorme Opfer ab- für unsere Ideen werben. Die Nachbarn in Mittel-, verlangt hat. Wir haben aber auch erfahren - das ge- Ost- und Südosteuropa können sich darauf verlas- hört ebenfalls ins Bild -, daß viele aus der alten Bun- sen, daß die Deutschen ihre Pa rtner und Freunde desrepublik und nicht zuletzt die Steuerzahler das sind und daß wir unsere besondere historische Pflicht Ganze mit einem ganz unglaublichen Engagement gegenüber Tschechien, der Slowakei, Ungarn und überhaupt erst möglich gemacht haben. Polen, um diese Länder einmal vor allem zu nennen, (Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Und wie wahrnehmen. viele Spekulanten davon profitiert haben!) Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Bei al- - Natürlich haben auch Spekulanten profitiert. Sie ler Kritik bin ich froh, daß wir 1995 einmal mehr ein sind wohl ein solcher Übermensch, daß Sie drama- erfolgreiches Jahr hinter uns bringen können. Ich tischste Veränderungen der Geschichte ohne jede danke allen denen, die dabei geholfen haben. Schwierigkeit bewältigen. Sie haben schlicht und Eines zu sagen sei mir persönlich noch zum Schluß einfach keine Ahnung vom Ablauf, wenn Sie solche erlaubt: Diejenigen, die sich weitere Zukunftsgedan- Zwischenrufe machen. ken über den Inhaber des Kanzlersitzes machen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge können ruhig schlafen. Wir werden unsere Pflicht ordneten der F.D.P.) tun, wie die ganzen Jahre, und es wird gutgehen. Ich bin jedenfalls dankbar, daß sich durch die Hilfe (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU vieler in vielen Funktionen und vielen Bereichen das und der F.D.P.) Problem, wie wir mit der Hinterlassenschaft 40jäh- riger SED-Herrschaft, einer maroden Wi rtschaft, ei- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- ner veralteten Infrastruktur und einer geschundenen ner Kurzintervention hat die Kollegin Antje Herme- Umwelt, fertigwerden sollen, auf einem guten Weg nau, Bündnis 90/Die Grünen. befindet und daß wir Gott sei Dank gut vorangekom- men sind. Antje Hermenau (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Herr Bundeskanzler, Sie haben davon gesprochen, wird auch in den nächsten Jahren das Aufbauwerk daß die Ost-Erweiterung der Europäischen Union Ost weiter unterstützen. Es kann gar keine Rede da- für Sie ein wichtiges Anliegen ist. Ich komme aus ei- von sein, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, die nem Bundesland, das EU-Außengrenzen hat. Übri- Unterstützung abzubrechen. Die Menschen in den gens, das einzige Bundesland sind wir da nicht, auch neuen Ländern brauchen unsere Unterstützung. Das die Bayern sowie andere Länder haben eine EU-Au- ist ein Akt elementarster Solidarität. ßengrenze, aber wir haben zwei, und wir lernen na- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) türlich jetzt die Probleme des grenzüberschreitenden Wirtschaftens kennen. Wenn ich dies alles zusammenfasse, so bin ich ganz sicher, daß wir die Herausforderungen, manche Ich möchte Sie an den Taten Ihres Kabinettes mes- mit großen Schwierigkeiten - das sei eingeräumt -, sen und das mit dem vergleichen, was Sie jetzt ge- annehmen und meistern können. rade verbal als Eindruck herzustellen versucht ha- ben. Die Haushaltsberatungen haben ein anderes Wir werden unseren Beitrag zum Frieden in der Bild davon gezeigt, wie Sie bzw. Deutschland als Welt leisten. Ich bin dem Kollegen Riedl sehr, sehr Vorreiter innerhalb der Europäischen Union mit de- dankbar - ich wünsche mir, daß das eine breite Öf- ren Erweiterung umgehen. 5770 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Antje Hermenau Es ist deutlich geworden, daß Sie keine gleichran- den ist, ist eine große Chance für diese Region, für gige Behandlung der verschiedenen mittel- und ost- die Menschen, die do rt leben und arbeiten. Er ist ge- europäischen Staaten anstreben, vielmehr behan- rade für uns in Deutschland, aber auch für uns Euro- deln Sie einige als „bessere Wirtschaftsobjekte" und päer eine besondere Verpflichtung. andere als „schlechtere". Dementsprechend haben - Sie sie entweder der Verantwortung des Wirtschafts- (Vorsitz : Vizepräsident ) ministeriums oder der des BMZ unterstellt. Das halte Wir sollten auch in Zukunft alles tun, um diesen ich für unmöglich. Denn das BMZ heißt ja Ministe- Menschen auf einem friedlichen Weg zu helfen. rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und sollte eigentlich für alle zuständig sein und nicht nur für (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ diejenigen, die die Deutsche Bank oder vielleicht DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der auch einzelne deutsche Großkonzerne als „Zielge- CDU/CSU und der F.D.P.) biete" entdeckt haben. Investive Maßnahmen in den osteuropäischen Ländern finden nämlich kaum statt, Ich fürchte, meine Damen und Herren, damit sind sondern es wird dorthin nur irgendwelche Produk- andere Fragen, die man durchaus auch gemeinsam tion, die arbeitsintensiv ist, verlagert, um Lohnne- behandeln könnte, nicht erreicht. Die Rede des Bun- benkosten zu senken. deskanzlers hat seine größte Stärke und zugleich seine größte Schwäche offenbart: In diesem Zusammenhang wäre es also eine wirkli- che Tat gewesen, alle Maßnahmen der Bundesregie- (Widerspruch bei der CDU/CSU - rung für die mittel- und osteuropäischen Staaten Dr. [CDU/CSU]: beim BMZ - dem Ministerium für wirtschaftliche Zu Nicht so schnell!) sammenarbeit, die Partnerschaft voraussetzt - zu die Stärke, in geschichtlicher Dimension - jedenfalls bündeln und das Instrumentarium dieses Ministeri- scheinbar - und im Gefühl zu reden und zu argumen- ums zu erweitern, damit es dieser Aufgabe gerecht tieren; die Schwäche, zur konkreten Lage in werden kann. Denn wir haben einige veränderte Be- Deutschland nichts zu sagen, das Politik offenbaren dingungen in diesen Ländern: zum Beispiel das Bil- würde - nichts. dungsniveau der Bevölkerung. Sie haben das ver- säumt, und Sie haben sozusagen den mittel- und ost- (Beifall bei der SPD sowie des Abgeordne- europäischen Ländern keine Partnerschaft angebo- ten Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ ten, sondern gesagt: Das ist das europäische Haus; DIE GRÜNEN]) wir sind einigermaßen fertig; wir haben noch eine Butlerwohnung und ein Dienstmädchenzimmer üb- Das kann man, meine Damen und Herren, an einer rig, da könnt ihr hinein. - Ich halte das nicht für eine Reihe von Beispielen deutlich machen. Es hat sich ja zukunftsweisende Erweiterungspolitik für die Euro- in der wirtschaftlichen, in der sozialpolitischen, in der päische Union. gesellschaftspolitischen Diskussion der Bundesrepu- blik Deutschland durch den Vorschlag des Vorsit- Danke. zenden der IG Metall einiges wirklich grundlegend (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) verändert. Wenn der Bundeskanzler sagt, er komme jetzt zu den Themen, die ihm wichtig seien, und als erstes sich selbst nennt, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Rudolf Scharping, SPD. (Heiterkeit bei der SPD) dann ist das schon beachtlich. Rudolf Scharping (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch mir fällt es im Rahmen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- dieser Debatte schwer, zur üblichen Tagesordnung ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) überzugehen, ohne etwas zur Ermordung von Zu den Hauptproblemen unseres Landes - so zu Yitzhak Rabin zu sagen. den Fragen: Können wir den sozialen Frieden vertei- Yitzhak Rabin war ein Mann, durchdrungen von digen? Läßt sich die Arbeitslosigkeit bekämpfen? der Vision zum Frieden, ein großer, ein mutiger Wie verbinden wir wirtschaftlichen Fortschritt mit so- Staatsmann, der in der Verbindung einer gesicherten zialer Sicherheit? - Kommt außer ein paar wolkigen Existenz seines Landes Israel mit dem Selbstbestim- Formulierungen und einer ungewöhnlich selbstgefäl- mungsrecht der Palästinenser den Schlüssel zum ligen Attitüde nichts Konkretes mehr - nichts mehr. Frieden sah. Ich fand es besonders beeindruckend, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- daß er noch vor wenigen Tagen direkt, unmittelbar ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und persönlich dafür plädiert hat, jetzt vor allen Din- gen denjenigen zu helfen, die in einer wirtschaftlich Ich will Ihnen das an zwei Beispielen deutlich ma- und sozial schwächeren, zum Teil verzweifelten Si- chen, die in Ihrer Rede eine Rolle gespielt haben. tuation sind, also jenen Menschen im Gazastreifen und in der Westbank. (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Jetzt sind wir gespannt!) Die große Lücke, die der Tod von Yitzhak Rabin reißt, zerstört hoffentlich nicht sein Lebenswerk. Der Sie haben davon gesprochen, es sei ein Skandal, daß Friedensprozeß, der mit seinem und den Namen von in Berlin deutsche Bauarbeiter keine Arbeit fänden. Shimon Peres und Yassir Arafat untrennbar verbun- Da haben Sie auch recht; es ist aber der Skandal Ih- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5771

Rudolf Scharping rer Politik, weil Sie immer noch nicht das Entsende- anderthalb mal soviel wie in den 40 Jahren der Ge- gesetz verabschiedet haben. schichte der Bundesrepublik zuvor. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD - Bartholomäus Kalb ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN [CDU/CSU]: Primitiv ist so etwas! - Adolf - und der PDS) Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Unglaublich!) Was sind Sie denn für ein Regierungschef, der sich hier in den Deutschen Bundestag stellt, die Ergeb- Angesichts dieser Zahlen von Konsolidierung zu re- nisse seiner Politik beklagt, Umdenken anmahnt, den ist dreist, wirklich dreist. ohne dann zu sagen, worin genau dieses Umdenken (Beifall bei der SPD) bestehen soll und was seine Regierung tut? (Beifall bei der SPD) Die Zinsausgaben des Bundes betrugen 34,2 Mil- liarden DM im Jahre 1990. Im nächsten Jahr werden Sie haben doch die Mahnungen in den Wind ge- sie die 100-Milliarden-Grenze überschreiten. Und schlagen. Sie haben doch verhindert, daß auch auf wenn es bei dem Trend, der sich jetzt abzeichnet, den Baustellen gleicher Lohn für gleiche Arbeit ge- bleibt, dann werden wir schon im Jahre 1997 fast zahlt wird. Sie haben doch ein unzureichendes Ge- 28 Prozent unserer Steuereinnahmen nur für Zinsen setz vorgelegt. ausgeben. Ich weiß sehr wohl, welche Risiken bestehen. Aber ein Risiko sollte nicht verschwiegen werden: Wenn (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ja!) Sie so weitermachen, dann wird das nicht nur die Bauarbeiter, nicht nur das Bauhauptgewerbe treffen, Mit dieser Politik erwürgen Sie die Gestaltungs- dann wird es auch andere Berufe treffen. kraft der Politik, und Sie belasten die Arbeitsplätze zum Schaden unseres gemeinsamen Fortschritts. Ich will Ihnen eines sagen: Wer sich gegen eine vernünftige Gesetzgebung wehrt und dagegen, daß (Beifall bei der SPD) die deutsche Wirtschaft durch Innovation, Flexibili- sierung und Forschung und Entwicklung wettbe- Dann sagen Sie: Tja, müssen wir eben sparen! Wie werbsfähig bleibt, der wird am Ende das ernten, was üblich fällt Ihnen auf die allerdings sehr ernste Ergebnis Ihrer Politik ist, nämlich Auswanderung Frage, ob sich sozialer Frieden unter dem Druck des von Arbeitsplätzen und Einwanderung von Arbeits- globalen Wettbewerbes bewahren läßt, nur ein, et- suchenden mit Schaden für beide Seiten. was zum Sozialstaat zu sagen. Da reden Sie ver- schämt von einem „Umbau". Ist es „Umbau", ar- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne beitslose Menschen noch stärker ins Abseits zu drän- ten und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ gen? Ist es „Umbau", den Familien die finanziellen NEN und der PDS) Hilfen zu kürzen? Dann reden Sie von Konsolidierung und davon, daß der Kurs der Konsolidierung fortgesetzt werde, (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das uneingeschränkt. steht doch in Ihrem Papier!) (Günter Verheugen [SPD]: Das ist eine Dro - Ich rede von Ihren Vorstellungen. - Das hat mit hung!) „Umbau" überhaupt nichts zu tun.

Angesichts der Ergebnisse Ihrer Politik hört sich das (Beifall bei der SPD) fast bedrohlich an. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Sie ruinieren den sozialen Frieden in einem Land - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) das will ich Ihnen dann doch noch etwas deutlicher sagen; denn es hilft ja nicht, sich darüber mit allge- Verehrter Herr Bundeskanzler, es gehört schon ent- meinen Floskeln hinwegzuretten -, in dem der Anteil weder ein hohes Maß an Unkenntnis oder ein hohes der Sozialleistungen am Bruttoinlandsprodukt von Maß an Spekulation auf Unkenntnis dazu, ange- 1990 bis 1994 als einzigem Land in Europa gesunken sichts Ihrer Haushaltspolitik von Konsolidierung zu ist. Ich rede vom Westen Deutschlands; auf die Son- reden. derfragen des Osten Deutschlands will ich gleich zu- (Beifall bei der SPD) rückkommen. Wir sind das einzige Land, in dem der Im Jahre 1990 hatte der Bund einschließlich seiner Anteil der Sozialausgaben gesunken ist. Sie reden Schattenhaushalte 542 Milliarden DM Schulden. von einem europäischen Vergleich und verschwei- Ende 1996 wird es mit Ihrer Haushaltsplanung einen gen, daß Großbritannien mittlerweile einen gleich Schuldenberg von 1 378 Milliarden DM geben. Sie hohen Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlands- haben nicht nur die Zukunft dieses Landes verfehlt produkt hat. Sie verschweigen, daß Frankreich, Bel- finanziert - zum großen Teil auf Pump, dann zu gien, Italien, die Niederlande mittlerweile einen hö- Lasten der Arbeitsplätze -, sondern Sie haben auch heren Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlands- zusätzliche Schulden von 836 Milliarden DM in nur produkt haben. sieben Jahren aufgehäuft, Nein, nicht der Sozialstaat, nicht der soziale Frie- (Adolf Roth [Gießen] [CDU/CSU]: Schon den, nicht die soziale Sicherheit sind zu teuer; Ihre mal was von Erblast gehört?) Politik ist verfehlt, auf dem Rücken des sozialen Frie- 5772 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Rudolf Scharping dens Politik zu formulieren und zu finanzieren, die Verteilung des gemeinsam Erwirtschafteten aus? Da dort nicht hingehört. beginnt die politische Gestaltung, und da ist bei Ihnen Mattscheibe. Da kommt überhaupt nichts. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) und der Abg. Dr. [PDS]) Wenn wir für ein an Beschäftigung und Umwelt- Der soziale Friede kann behauptet werden. Dafür orientiertes Wachstum plädieren, wenn wir für eine brauchen wir aber mehr und zielbewußtes, das heißt intelligente, flexibel arbeitende und flexibel produ- an Beschäftigung und am Schutz der Umwelt orien- zierende Wirtschaft plädieren, dann macht es wenig tiertes Wachstum. Sinn, eine Strategie zu verfolgen, wie das offenkun- (Zustimmung bei der SPD) dig die Ihre ist. Wenn man wirklich will, daß dieses Land Sozialpartnerschaft, Verantwortungsbewußt- Und wir brauchen eine Modernisierung des Sozial- sein, Kreativität, Leistung der Arbeitnehmer heraus- staats. fordert und fördert, anstatt sie immer wieder neu zu belasten, Nun kann man die Frage stellen: Was tun Sie eigentlich dafür? Sie stellen sich hier hin und sagen: (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Muß man Wir brauchen eine neue Gründerwelle. Das hört sich CDU/CSU wählen!) gut an, vor allen Dingen an jenem Tag, an dem die Deutsche Presseagentur meldet, daß der Anstieg der dann darf man nicht eine Politik verfolgen, wie Sie Pleitenzahlen sich im Sommer unvermindert fortge- das tun. setzt hat. All die Stichworte, die hier mehrfach eine Rolle ge- (Beifall bei der SPD) spielt haben - Lohnfortzahlung, Kündigungsschutz, Im Juli und August gab es 3 700 Insolvenzen mehr, Einschränkung der Tarifautonomie -, sind am Ende davon 2 800 von Unternehmen. Besonders schlimm primitive Konfliktstrategien, und Sie liegen damit sind die Zahlen im Osten Deutschlands. weit hinter dem zurück, was Sozialdemokratie und Gewerkschaften zur wirtschaftlichen Modernisie- Wenn eine Regierung nicht in der Lage ist, Unter- rung, zur Zukunft unseres Landes zu sagen haben. nehmen des Handwerks, des Mittelstands, der Bau- wirtschaft anständig mit Eigenkapital auszustatten, (Beifall bei der SPD) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie verhin Sie liegen übrigens auch weit hinter dem zurück, dern es doch die ganze Zeit!) was die Praxis in den Unternehmen ist. dann ist das die unmittelbare Frucht Ihrer Politik. Da (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Reden Sie können Sie viele Gründerwellen fordern, wenn Sie doch mal mit dem Mittelstand!) noch nicht einmal in der Lage sind, die Pleiten mit zu Vor allen Dingen würden wir alle gerne von Ihnen verhindern, die jetzt eingetreten sind. wissen, wie Sie auf das Angebot des Vorsitzenden (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ der IG Metall reagieren. Sie haben es gelobt, Sie fin- DIE GRÜNEN - Wolfgang Zöller [CDU/ den es positiv. Sorgen Sie mit dafür, daß die Politik, CSU]: Wer blockiert das denn?) die zum Abdrängen von Arbeitslosen führt, beendet wird. Gehen Sie auf die Voraussetzungen ein, die Wer eine moderne Wirtschaft will, leistungsfähig, Ihnen die wichtigen Gewerkschaften und auch die intelligent in ihren Produkten, auf den Weltmärkten deutsche Sozialdemokratie nennen. an der Spitze, der darf nicht die Frage stellen, ob wir billiger produzieren können als andere; er muß zu- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Hilfloser Versuch!) erst die Frage stellen, ob wir besser produzieren kön- Sind Sie bereit, zu einem gemeinsamen nen als andere. Pakt für Be- schäftigung zu kommen, oder wollen Sie Ihre Politik (Beifall bei der SPD - Dr. Helmut Hauss so fortsetzen wie bisher? mann [F.D.P.]: Beides!) Wenn sich Wirtschaftspolitik in dem Affentheater Es macht auch keinen Sinn, eine Politik immer wei- der letzten Tage um den Ladenschluß erschöpft, ter fortzusetzen, verehrter Herr Kollege Haussmann, kann ich nur sagen: Nichts kennzeichnet die „Fä- die das Wachstum des Bruttosozialprodukts voran- higkeit" Ihrer Politik zur Gestaltung so sehr wie das. bringt, aber zugleich immer weniger Beschäftigung produziert, die den Konsum nicht bei den Privaten, (Beifall bei der SPD - Michael Glos [CDU/ sondern beim Staat immer weiter vorantreibt, ohne CSU]: Wie ist denn Ihre Position? - Dr. für die Zukunft wirksam Vorsorge zu treffen. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Sie haben doch gar keine Position!) Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Bundeskanzler, es ist eine Binsenweisheit, daß pro- Ein Affentheater ist es. duziert werden muß, bevor man verteilen kann. Ich füge ganz deutlich hinzu: Wenn Sie sich dar- (Zurufe von der CDU/CSU: Aha!) über beschweren, daß die Sozialversicherungsbei- träge so hoch seien, dann fangen Sie doch damit an, Es ist aber genauso eine Binsenweisheit, daß der Po die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß sie nicht litik die Frage gestellt wird: Unter welchen Bedin steigen müssen. Sie können mit uns gerne über die gungen wird produziert, und wie sieht es mit der Veränderung der Ladenschlußzeiten reden. Aber Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5773

Rudolf Scharping dann seien Sie auch bereit, dafür zu sorgen, daß der die die steigende Belastung aus dieser verunglück- Anreiz entfällt, im Handel und an anderer Stelle im- ten und falschen Politik finanzieren muß. mer mehr Menschen ohne soziale Sicherheit zu be- schäftigen. (Beifall bei der SPD) Wer hier von Gründerwelle und Arbeitsplätzen re-- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ det, der sollte zuerst und vor allen Dingen dafür sor- DIE GRÜNEN) gen, daß die Belastung der Arbeitsplätze mit jenen Ein Land mit 4,5 Millionen Menschen, die ohne So- Finanzierungslasten, die bei den Arbeitsplätzen zialversicherung arbeiten, kann sozial nicht stabil überhaupt nichts zu suchen haben, beendet wird. Da bleiben. fehlt Ihnen der Mut; da fehlt Ihnen der Gestaltungs- wille; da sind Sie Gefangener einer Politik, die von Wir stimmen mit der Christlich-Demokratischen Anfang an verfehlt war. So sehr Sie Umdenken an- Arbeitnehmerschaft überein, so unbedeutend sie mahnen - das ist ein wunderschönes Wo rt , eine selbst ist. Wir stimmen im Zweifel sogar mit Herrn schöne Zielsetzung -, konkret findet nichts statt. Im Blüm überein; das ist schon ein bißchen wichtiger. Bereich der Teilzeitarbeit hätten Sie dazu eine gute Ich war aber gespannt darauf, was Sie, Herr Bundes- Gelegenheit. kanzler, dazu meinen. Doch Sie sagten kein einziges Wort dazu. Wollen Sie gemeinsam mit vernünftigen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Menschen Ich will das an einem zweiten Beispiel deutlich ma- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU chen, der Flexibilisierung. Herr Bundeskanzler, und der F.D.P.) meine Damen und Herren, ich will gar nicht mehr in den Urherberstreit eintreten; der ist unfruchtbar. Sie die Ausbeutung von Frauen im Handel endlich been- sprechen davon, wie Flexibilisierung in der deut- den und für anständige Teilzeitarbeitsplätze sorgen? schen Wirtschaft aussehen könnte, wer sie zuerst ge- fordert hat usw. Sie haben Flexibilität im Bereich der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sozialen Sicherheit gefordert. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sie nicht!) Sie kommen hierher, sprechen von einer Gründer- Wir haben sie immer im Bereich der Arbeitsorganisa- welle und sagen, man müsse mehr in Richtung Ar- tion und der Verantwortung der Arbeitnehmerinnen beitsplätze denken. Dann lassen Sie uns bitte in und Arbeitnehmer gefordert. Überall da, wo sie exi- Richtung Arbeitsplätze denken. Mit Ihrer Politik wird stiert, sind die Ergebnisse gut. vermutlich die Krankenversicherung - der Einigung Ich füge hinzu: Alle diese Fragen - Bekämpfung im Krankenhausbereich zum Trotz - teurer, die Ren- tenversicherung ganz sicher. der Arbeitslosigkeit, Sicherung des Sozialstaates, in- ternationale Wettbewerbsfähigkeit - sind in Europa Wir werden im nächsten Jahr einen Anstieg der gemeinsam besser zu beantworten, als wenn jedes Lohnnebenkosten zu verzeichnen haben, der fast al- Mitgliedsland der Europäischen Union das für sich les zerstören wird, was mit dem Jahressteuergesetz allein täte. Das ist wahr. erreicht worden ist. (Beifall bei der SPD) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Leider!) Folglich wird man bei der Formulierung von Wirt- Sie werden eine erneute Belastung der Arbeitsplätze schafts- und Sozialpolitik, von Haushalts- und und der Arbeitseinkommen festzustellen haben. Finanzpolitik immer darauf achten müssen, daß sie in Wenn Sie in der Lage sind, Ihre schöne Forderung einen europäischen Geleitzug passen, was Stabilität umzusetzen - man hört häufig von Ihnen: Wir brau- für die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt und das Geld chen mehr Teilzeitarbeit; Sie haben als Beispiel im- bedeutet. mer die Niederlande erwähnt -, dann sorgen Sie Da, Herr Bundeskanzler, ist mir etwas aufgefallen. doch dafür, daß aus den ungesicherten Beschäfti- gungsverhältnissen gesicherte Teilzeitarbeit wird. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Endlich!) (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der Sie haben gesagt, Sie wollten bestimmte Fragen CDU/CSU) nicht beantworten; das habe mit dem Stand der inter- nationalen Verhandlungen zu tun. Dann gibt es mehr Beitragszahler. (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Reden ist Ich muß das aufgreifen, damit es jeder zur Kennt- Silber, Schweigen ist Gold!) nis nehmen kann. Sie sagen, das sei schon längst geschehe. Der zahlenmäßige Anstieg dieser Beschäf- Ich will Ihren im Zusammenhang mit unserer Gro- tigungsverhältnisse ist dramatisch geworden. ßen Anfrage zur Wirtschafts- und Währungsunion ei- nes sagen: Man kann über viele einzelne Fragen (Michael Glos [CDU/CSU]: Besser als der durchaus reden, man kann sogar einwenden, daß zu Anstieg der Arbeitslosigkeit!) bestimmten Fragen eine Antwort detaillie rt , mit Fest- legungen verbunden, zur Zeit noch nicht möglich ist. Wenn Sie Ihre Politik fortsetzen, wird er noch drama tischer werden, und zwar zu Lasten der betroffenen Ich halte es aber für das Verständnis untereinander Menschen und zu Lasten der Mitte der Gesellschaft, und für den Respekt vor dem Parlament abträglich, 5774 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Rudolf Scharping wenn sich ein deutscher Bundeskanzler hier hinstellt Nach dem europäischen Binnenmarkt brauchen und sagt, er wolle diese Fragen nicht beantworten. wir auch eine zielbewußte, jedenfalls in den Grund- zügen gemeinsame Wirtschafts-, Beschäftigungs- (Beifall bei der SPD) und Arbeitsmarktpolitik. So können wir nicht miteinander umgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) - Dafür ist auch die Europäische Union zu wichtig. Wer von der gemeinsamen Währung redet, ohne von Wir halten unverändert daran fest, daß Europa geei- einer Verständigung auf wirtschaftliche, arbeits- nigt werden muß. Wir halten unverändert daran fest, marktpolitische und beschäftigungspolitische Fort- daß Europa das beste Beispiel politischer Lernfähig- schritte zu reden, der entzieht der Währungsunion, keit ist. Aus den europäischen Bürgerkriegen dieses die notwendig ist, einen wesentlichen Teil ihrer real- Jahrhunderts haben gerade wir eine besonders bit- wirtschaftlichen Grundlagen. tere Erfahrung und gleichermaßen eine besonders fruchtbare Lehre gezogen. (Beifall bei der SPD) Also ist gerade Deutschland verpflichtet, nie mehr Das Ärgerliche ist: Daran war diese Bundesregie- Sonderwege zu gehen, fest in den westlichen Demo- rung beteiligt. Diese Bundesregierung hat - ich erin- kratien verankert zu bleiben und unauflöslich mit nere Sie an die Diskussion um das Weißbuch von Jac- Europa verbunden zu sein. ques Delors und der Europäischen Kommission - in diesem Bereich gemeinsam mit anderen gebremst, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) was an europäischem Fortschritt möglich gewesen wäre Daraus folgt für uns zweierlei: Die europäische In- tegration ist zu vertiefen, die Union selbst zu erwei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tern. Diesen Maßstäben muß auch die Wirtschafts- und von einem klugen Europäer und Freund der und Währungsunion genügen. Darüber gibt es jetzt Bundesrepublik Deutschland vorgeschlagen worden eine öffentliche Debatte; das ist auch gut so. Das ist war. Sie wissen auch um die Enttäuschung, die dar- schon deswegen gut, weil sich auf der Grundlage - aus entstand. ich sage ausdrücklich: auf der Grundlage - des Ver- trages von Maastricht Fragen stellen und weil viele Viel wichtiger aber ist, daß man im Denken und in von uns die Sorge bewegt, daß wir die Vision eines den Herzen der Menschen Europa einen Sinn und gemeinsamen Europas in dem Verhakeln der Regie- eine Seele gibt. Dazu gehört auch gemeinsames rungen und in den bürokratischen Einzelheiten ver- Geld; dazu gehört, daß möglichst viele daran betei- lieren könnten. Als Wille ohne Vorstellung jedenfalls ligt sind. Dazu gehört, daß es einen gemeinsamen kann Europa nicht wachsen. Willen zur Sicherung wirtschaftlicher Stärke und so- zialer Stabilität gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb sind uns die Kriterien der europäischen Wer ein Europa der Bürgerinnen und Bürger will, Währung, der Europäischen Wirtschafts- und Wäh- der wird für eine Stärkung des Parlamentes, für eine rungsunion wichtiger als die Zeitpläne. Ich ver- bessere demokratische Verankerung eintreten. schweige nicht: Die Zeitpläne können eine förderli- (Beifall bei der SPD) che disziplinierende Wirkung haben. Das scheint aber nicht gerade das Herzensanliegen (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Eben!) der Bundesregierung zu sein. Ein Bundeskanzler, der Ich bin damit allerdings angesichts des Verdachts der in wenigen Monaten zweimal in dieses Parlament Lehrmeisterrolle Deutschlands sehr zurückhaltend. kommt und sagt, ich bin Ihnen hier keine Rechen- schaft schuldig, ich will Ihre Fragen nicht beantwor- (Lachen bei der F.D.P.) ten, der offenbart ein eigenartiges Verständnis von Nun möchte ich Ihnen etwas zitieren: der offenen parlamentarischen und demokratischen Diskussion. Konvergenzmängel könnten daher die Stabili- tätsorientierung, wenn nicht den Bestand der (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Joseph Währungsunion gefährden ... Angesichts dieser Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ im Ganzen unbefriedigenden Entwicklung ist es NEN]) besonders problematisch, daß die im Vertrag Wir wollen mit Blick auf Europa auch eine Stär- über die Europäische Union und in den einschlä- kung und Verankerung von Bürgerrechten. Deshalb gigen Protokollen niedergelegten Konvergenz- haben wir vorgeschlagen, sich auf eine Charta jener kriterien erhebliche Unschärfen aufweisen und Bürgerrechte zu verständigen, die jedem Menschen demzufolge unterschiedliche Auslegungen zu- in Europa zur Verfügung stehen. Deshalb mahnen lassen. Hiervon sind tatsächlich alle Kriterien be- wir eine gemeinsame Innen- und Sozialpolitik an, da- troffen. Da sie jedoch ohnehin nicht besonders mit eingelöst werden kann, was in den politischen anspruchsvoll sind, muß im Interesse eines dauer- Zielen proklamiert wird. haften Erfolgs der Währungsunion jedem Ver- such einer Aufweichung der Zugangsvorausset- (Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Ihr habt zungen energisch entgegengetreten werden. doch die Wulf-Mathies! Was macht die Dies gilt um so mehr, als die Konvergenzprüfung denn?) großteils nur auf eine Momentaufnahme abstellt, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5775

Rudolf Scharping während ein befriedigendes Funktionieren der Meine Damen und Herren, Politik in Europa, Inte- Währungsunion dauerhafte Konvergenzerfolge gration in Europa ist eine Voraussetzung dafür, daß voraussetzt. wir unsere Probleme besser lösen können, als wenn wir das alleine tun wollen. Das merkt man übrigens (Michael Glos [CDU/CSU]: Dazu brauchen auch an der dramatischen Veränderung der Wäh-- wir Sie nicht! - Dr. Otto Graf Lambsdorff rungsrelationen. Dazu kein Wort von Ihnen, Herr [F.D.P.]: Nichts Neues!) Bundeskanzler, nicht ein einziges Wort, obwohl Ihre - Wenn Sie sagen, daß das nichts Neues sei, wenn Finanzpolitik mit dazu beigetragen hat, daß sich die Sie sagen, daß der Geschäftsbericht der Deutschen Währungsrelationen in erheblichem Umfang verän- Bundesbank 1994 für Sie nichts Neues sei, dann dert haben, und zwar zum Schaden unserer Arbeits- verstehe ich überhaupt nicht mehr, warum Sie das plätze. Beharren der Sozialdemokratie auf einer Einhaltung Herr Bundeskanzler, wer zu solchen Fragen im Zu- der Stabilitätskriterien kritisieren und warum Sie kri- sammenhang mit dem europäischen Kontext nicht tisieren, daß diese dauerhaft gesichert werden müs- redet, der erzeugt einen vielleicht wohligen, viel- sen. leicht gefühligen, ganz sicher einen selbstgefälligen (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ Nebel, aber nicht die Klarheit, die wir brauchen, um CSU und der F.D.P.) gemeinsam voranzukommen. Denn das wird neu besprochen werden müssen. (Beifall bei der SPD) Maastricht, von dem man sagen kann, es sei der er- Das will ich Ihnen noch an einem anderen Beispiel ste wichtige Durchbruch in Richtung auf eine ge- deutlich machen: Die Steuerpolitik in Deutschland meinsame Wirtschafts- und Währungsunion, braucht setzt ganz eindeutig falsche Prioritäten. Die hohe eine Ergänzung. Es braucht eine Ergänzung in Form Verschuldung des Staates ist zu einem Instrument einer besseren Abstimmung der Haushalts - und Fis- massiver Umverteilung geworden. kalpolitik, es braucht eine bessere, dauerhaftere Si- cherung der Stabilitätskriterien, als das bisher im (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Wir Vertrag vorgesehen ist. Das braucht es auch, damit liegen bei 27 Prozent!) die Europäische Zentralbank nicht überfordert wird. Das braucht es auch, damit stabilitätskonforme Län- Die falsch organisierte Steuerbelastung wird zu ei- der nach Inkrafttreten der Währungsunion nicht für nem immer größeren Risiko für wirtschaftlichen Fort- weniger stabilitätskonformes Verhalten in anderen schritt. Ländern bestraft werden, entweder über die Märkte Es gibt einige Stichworte, bei denen ich gerne wis- oder über die Geldpolitik. sen würde, was der Bundeskanzler dazu sagt; denn (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Deshalb auf das Wort des Finanzministers kann man sich er- hat Herr Schröder die Diskussion nicht an kennbar nicht mehr verlassen. gefangen!) (Beifall bei der SPD) Vor diesem Hintergrund sage ich Ihnen noch ein- Eine Koalitionsvereinbarung besagt, Sie wollten die mal: Wir werden mit Blick auf den Parlamentsvorbe- Gewerbekapitalsteuer abschaffen, die Steuern nach halt und mit Blick auf die ratifizierten Verträge von dem Gewerbeertrag senken und mittelfristig die Ge- Maastricht strikt darauf achten, daß die Konvergenz- werbesteuer insgesamt abschaffen. In einem Brief kriterien eingehalten werden, daß sich möglichst des Bundesfinanzministers an die kommunalen Spit- viele europäische Länder beteiligen, daß die Konver- zenverbände steht, er wolle die Gewerbesteuer, aber genz- oder Stabilitätskriterien für Wirtschaft, Arbeits- in der Verfassung abgesichert. Ein Parlamentarischer markt und Geld gleichermaßen wirksam sind und Staatssekretär sagt im Deutschen Bundestag sogar, daß sie nicht nur für den Eintritt in die Währungs- wie eine solche Formulierung aussehen könnte. Was union, sondern dauerhaft gelten. gilt denn jetzt bei Ihnen? Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Es ist (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- gut, daß diese Debatte entstanden ist, selbst wenn sie ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) manche Töne hat, die weniger erfreulich sind. Aber sie ist notwendig. Wollen Sie die Gewerbesteuer abschaffen, oder wollen Sie sie beibehalten? (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich frage das deshalb, weil Sie dazu übergegangen sind, alle Probleme Ihrer Politik nach unten durchzu- Ich füge hinzu: Wenn wir nicht in einer offenen Dis- reichen. Die Unfähigkeit, auf der Bundesebene Ord- kussion die Bürgerinnen und Bürger davon überzeu- nung zu schaffen, ist durch diese Haushaltsberatun- gen, daß gemeinsame Währung, gemeinsame Wirt- gen so erschreckend deutlich bewiesen worden, daß schaft, gemeinsame Bewahrung des sozialen Frie- man sich kaum noch daran freuen kann. Alle Zei- dens das Anliegen Europas sind, dann werden wir tungen schreiben davon. Sie bewegen sich auf einem ihre Zustimmung nicht bekommen. Die Verständi- dünnen Eis, Sie täuschen einen soliden Haushalt vor, gung zwischen einzelnen Regierungen nutzt gar nichts, wenn die Bevölkerung nicht will und zu- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: stimmt. Lesen Sie einmal, was die „Herald Tribune" (Beifall bei der SPD) über Sie schreibt!) 5776 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Rudolf Scharping Sie nehmen eine Kreditaufnahme vor, die nur dann Nun kann man sich die Ziele des Jahreswirt- ausreichen kann, wenn Ihre eigenartigen Privatisie- schaftsberichts und die Realitäten, die - bedauerli- rungserlöse eintreten. Daß Sie die Gremien des Par- cherweise - eintreten werden, ja ansehen. Sie haben lamentes damit beschäftigen, wegen 10 oder wieviel eine Absenkung der Arbeitslosenzahlen verspro- Millionen DM auch immer 140 Seiten - mit Folgen chen. Im Oktober 1995 liegen die Arbeitslosenzahlen für die kommenden Jahre - zu studieren, aber auf ei- um 80 000 über dem Vorjahr. Im Februar waren wir- nen Schlag, mit einem Wisch Papier 20 Milliarden noch auf dem Weg, um 260 000 unter den Zahlen des DM scheinbar finanzieren, das ist in meinen Augen Vorjahres zu bleiben. Wie dramatisch soll eine ein politischer Offenbarungseid. Wende eigentlich sein? Und dann stellt sich der Bun- deskanzler hin und sagt: Das ist leider etwas unbe- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ friedigend, wir müssen mehr für die Menschen tun. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Sie haben sich, Herr Bundeskanzler, von der Vor- stellung, die Menschen denunzieren zu können, sa- Ein Finanzminister, Herr Kollege Waigel, der so mit gen zu können, Deutschland sei ein kollektiver Frei- Staatsfinanzen umgeht und glaubt, er könnte mit ei- zeitpark, die Menschen lägen in der sozialen Hänge- nem Wisch Papier - noch nicht einmal sorgfältig ge- matte, verabschiedet. Jetzt haben Sie eine neue Me- rechnet; aber das nur nebenbei - ein Parlament zu- lodie drauf: Man muß für die Menschen etwas tun. friedenstellen, der kann das nur tun, weil er davon Man darf sie nicht beiseite stehenlassen und derglei- ausgeht: Ich habe innerhalb der Koalition vielleicht chen mehr. Das sagt der Chef einer Regierung, die eine Mehrheit. Das geht ja auch gar nicht anders. Die gleichzeitig vorschlägt, die originäre Arbeitslosen- Mitglieder dieser Koalition sind ja zur Zustimmung hilfe abzuschaffen, die vorschlägt, die Arbeitslosen- verpflichtet und müssen notfalls die eigene Desavou- hilfe auf zwei Jahre zu begrenzen, die vorschlägt, Ar- ierung als eine besondere staatsmännische Tat noch beitsbeschaffungsmaßnahmen erst nach zwölf Mona- bejubeln. ten Arbeitslosigkeit eintreten zu lassen usw. Herr Bundeskanzler, ich finde es empörend, wie Sie über (Beifall bei der SPD) die Ergebnisse und die Absichten Ihrer Politik hin- Denn das parlamentarische Bewußtsein ist so weit wegreden! heruntergekommen, daß es sich ein Haushaltsaus- (Lebhafter Beifall bei der SPD - Beifall beim schuß mit seiner Mehrheit bieten läßt, mit einem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wisch von einer Seite 20 Milliarden DM Ausgaben erläutert zu bekommen, daß er es sich bieten läßt, Die Arbeitslosigkeit steigt, die Zahl der Erwerbstä- daß die Mitglieder des Haushaltsausschusses und die tigen sinkt. Das wirtschaftliche Wachstum erreicht in Berichterstatter im Finanzministerium jede Informa- diesem Jahr, mit Folgen für alle weiteren Jahre - was tion verweigert bekommen, während der Finanzmi- übrigens Ihre gesamte Finanzplanung zur Makulatur nister gleichzeitig in Hintergrundgesprächen aus- macht -, leider nicht die Zahlen, die Sie uns vorge- breitet, was er dem Parlament nicht mitteilen will. gaukelt haben. Das einzige, was übertroffen wird, ist das Ziel der Steigerung der Unternehmenseinkom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne men. Nichts gegen Gewinne! Im Gegenteil, wir brau- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - chen sie. Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Vor (Zuruf von der F.D.P.: Aha!) dergrundgespräche! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Unglaublich! - Wir brauchen sie insbesondere für Investitionen. Dr. Renate Hellwig [CDU/CSU]: Da war ja Dann aber sorgen Sie mit Ihrer Steuerpolitik dafür, der Fischer noch besser! - Gegenruf des daß es sich wieder lohnt, in Deutschland zu investie- Bundesministers Dr. Theodor Waigel: Leider ren! wahr! - Heiterkeit bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Ich habe übrigens mit Interesse gehört, daß Herr Kol- Meine Damen und Herren, dies ist die Folge einer lege Solms - er ist jetzt leider nicht da - gesagt hat, Politik, die den Sozialdemokraten immer gesagt hat: das sei alles Unsinn. Dann hat er mal nachgelesen - Wenn ihr finanzielle und wirtschaftliche Risiken be- was ich übrigens den Mitgliedern der Bundesregie- schreibt, dann malt ihr schwarz; ihr spielt Kassandra. rung auch empfehle - und dann gesagt, das sei ein Als wir im Verlauf des Jahres gesagt haben, leider durchaus diskussionsfähiger Ansatz. wird sich die wirtschaftliche Entwicklung abschwä- chen, da haben Sie erwidert: Jetzt sind wieder die Ich behaupte: Es wird hier so gehen wie in ande- Miesmacher am Werk. Als wir gesagt haben, die ren Bereichen der Politik auch. Jahrelang haben wir hohe Steuerbelastung der Arbeitseinkommen, des darum gekämpft, daß Bestechungsgelder nicht von Mittelstands, des Handwerks - do rt insbesondere die der Steuer abgesetzt werden können. Nach mehre- hohe Belastung durch Sozialversicherungsbeiträge - ren Jahren haben wir es erreicht. Jahrelang haben sei nicht notwendig, da haben Sie gesagt, wir seien wir darum gekämpft, daß die Förderung des Eigen- daran ja selber schuld, wir seien diejenigen, welche . . . tums an Wohnungen und Häusern unabhängig vom Als wir darauf hingewiesen haben, daß die Ziele des Einkommen, ohne Vorteil in der Progression, durch- Jahreswirtschaftsberichts nicht eingehalten werden - gesetzt wird. Jetzt haben wir es erreicht. Ich sage Ih- das war im September, vor zwei Monaten -, da ha- nen voraus: Wir werden uns einige Jahre darum ben Sie gesagt: Miesmacherei, Schwarzmalerei, Kas- streiten, ob eine ökologische Modernisierung des sandrarufe und weiß ich, was alles noch. Wirtschaftens notwendig und sinnvoll ist, und dann Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5777

Rudolf Scharping werden wir es durchsetzen. Wir werden es durchset- Kommen Sie doch nicht hierher oder auf den Bundes- zen! parteitag der CDU und sagen: Man müßte mal. Wenn (Beifall bei der SPD) Sie dies sagen, droht immer die Gefahr, daß die Leute nicht so ganz wollen. Das hat man auch auf Ih- Das ist nicht durchzusetzen mit einer Finanzpolitik, rem Parteitag gesehen: Es existiert in politischen- die eine enorme Pumpleistung jedes Jahr als Punkt- Sachentscheidungen Angst vor den eigenen Mitglie- landung verkauft. Das ist auch nicht durchzusetzen, dern und Angst vor der Gleichberechtigung der Herr Bundeskanzler, mit einer Politik, die mit den Frauen, obwohl der Bundeskanzler gesagt hat: Man „drei M" hantiert. Ich habe es schon in meiner eige- müßte mal. nen Partei nicht sonderlich gern, wenn Kollegen auf- treten und sagen: Man müßte mal! Das ist ein - leider (Beifall bei der SPD - Lachen und Wider- auch bei uns - hier und da verbreiteter Bazillus. Aber spruch bei der CDU/CSU) von einem Regierungschef, der sich hier hinstellt und nach der Melodie singt „Ich verkünde ein gutes Ge- Ich rate also dringend dazu, nicht nur in den Deut- fühl, ich verbreite eine wohlige Selbstgefälligkeit" schen Bundestag zu kommen und zu sagen: Man und im übrigen sagt „Man müßte mal", erwarte ich, müßte mal. Herr Bundeskanzler, tun Sie endlich, was daß er sich an den Kabinettstisch setzt und Herrn Sie ankündigen! Verbleiben Sie nicht in dieser nebe- ligen Selbstgefälligkeit! Rüttgers sagt, daß man die Ausbildungsinteressen der deutschen Studierenden nicht so rasieren kann (Beifall bei der SPD - Wolfgang Zöller wie er. [CDU/CSU]: Eine Stunde geredet und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nichts gesagt!) DIE GRÜNEN) Es mag Ihnen gefallen haben, daß Sie auf den Vor- Von diesem erwarte ich auch, daß er sich an den Ka- wurf des Buddha so reagieren konnten, wie Sie rea- giert haben. Einverstanden, jeder sieht zu, wie er da binettstisch setzt und sagt: Lieber Norbert Blüm, jetzt habe ich im Deutschen Bundestag geäußert, man am besten herauskommt. dürfe die Arbeitslosen nicht zur Seite drängen und (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Jeder so kaltherzig mit ihnen umgehen. Setz einmal deine hat den Geschäftsführer, den er verdient!) Politik durch! Ich korrigiere meine und helfe dir als Bundessozial- und -arbeitsminister - das ist ein Titel, Der Kollege Verheugen hat, so meine ich, heute den er nicht sonderlich verdient hat; aber gut - in Zu- morgen eine Rede gehalten, die saß. kunft gegen Herrn Rexrodt und Herrn Waigel. - Ich bin einmal gespannt, wann das passieren wird. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - (Beifall bei der SPD) Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Von einem Bundeskanzler, der hier herkommt und sagt „Ich bin für Konsolidierung, wir werden den Für mich gibt es zwei sichere Indizien, um festzustel- Kurs fortsetzen", möchte ich gelegentlich auch ein- len, ob etwas gesessen hat, ob Sie sich getroffen und mal hören, daß er wenigstens in den Koalitionszir- zu Recht kritisiert fühlen: keln seinen Finanzminister in die Mangel nimmt und ihm sagt: Wie kannst du mir aufschreiben, daß ich im (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Deutschen Bundestag von Konsolidierung reden soll, Jetzt wird es spannend!) während du bei 40 000 Wohnungen und Privati- sierungserlösen, die schon im letzten Jahr nicht er- Das eine Indiz ist das spontan losbrechende Geläch- ter des Kollegen Waigel nach der Methode: Wenn zielt werden konnten, Schein- und Luftbuchungen machst? schon alles schlecht ist, dann muß wenigstens ich la- chen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das andere Indiz basiert auf der Reaktion des Bun- Von einem Bundeskanzler, der von der Innova- deskanzlers. Er signalisiert das immer dadurch, daß tionskraft der deutschen Wirtschaft redet und davon, er sich betont lässig, betont freundlich zurücklehnt. daß jetzt die Hemmnisse beseitigt werden müssen, Und wenn er dann ans Pult kommt - jeder Zwischen- erwarte ich, daß er irgendwann einmal in dieses Par- ruf wird übrigens fast als Majestätsbeleidigung emp- lament kommt und sagt: Paßt einmal auf: Genehmi- funden - müssen Mitglieder der CDU-Fraktion auf- gungsverfahren werden verkürzt. Wir organisieren stehen und sagen: Stellt mal eure Gespräche ein, der es jetzt so, daß Projektmanagement möglich ist. Wir Bundeskanzler spricht! Wie könnt ihr so unhöflich begrenzen den Beamtenstatus auf strikt hoheitliche sein! - Aufgaben. Wir sorgen dafür, daß viele Einzelheiten in der Gesetzgebung geregelt werden. (Heiterkeit bei der SPD - Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist Geschichtsfälschung!) Herr Bundeskanzler, pfeifen Sie doch mal, anstatt nur den Mund zu spitzen. Nein, ich will Ihnen einmal folgendes sagen: Ich habe nichts gegen Souveränität. Ich habe aber etwas (Beifall bei der SPD - Lachen und Wider gegen eine Form von Souveränität, die sich jeder spruch bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Auseinandersetzung entzieht - und deshalb keine 5778 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Rudolf Scharping mehr ist - und in völlige Selbstgefälligkeit um- ler eine Regierungserklärung abgegeben hat, so ent- schlägt. spricht dies nicht meinem Verständnis von parlamen- (Beifall bei der SPD) tarischem Selbstbewußtsein. Wer dann - ich komme auf Ihre Stärken und Ihre (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Schwächen zurück - in Gefühl und Geschichte so - stark ist, daß er für die Gegenwart des Landes wenig Da wir Ihnen aber jeden Gefallen tun, ist der Bundes- Interesse und wenig Gestaltungskraft aufbringt, wer kanzler Ihnen hier entgegengekommen. Nur, daß Sie in einer längeren Rede im Deutschen Bundestag fast Ihren Parlamentarischen Geschäftsführer durch die nichts zur wirtschaftlichen Entwicklung, zur Ent- Reihen Ihrer Fraktion schicken, um Unruhe zu orga- wicklung des Arbeitsmarktes, zur Finanzierung des nisieren, geht nun wirklich nicht. So gehen wir nicht Staates, zur Modernisierung und zum Abbau von Bü- miteinander um! rokratie sagt, dem sage ich noch einmal: So werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Sie die Politik für die Zukunft dieses Landes nicht Widerspruch der SPD) wirklich machen können, so nicht! Nun haben Sie viel von Europa gesprochen, aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne die entscheidende Frage haben Sie nicht beantwor- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tet. Europa, die europäische Einigung ist zu wichtig, Es ist leider eine Binsenweisheit: als das man drumherumreden kann. (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Davon (Zuruf von der SPD) haben wir jetzt genügend gehört!) - Es gibt eine ganz einfache Frage, die Sie irgend- Wer sich im Bundestag befindet und jede kritische wann beantworten sollten: Wollen Sie am Maas- Bemerkung, jeden kritischen Zwischenruf nach der tricht-Vertrag festhalten, oder wollen Sie eine Neu- Methode abbügelt „Der hat überhaupt keine Ah- verhandlung des Maastricht-Vertrages? Das ist die nung", der signalisiert nur eines: Es fehlen ihm entscheidende Frage. Mit noch so vielen Überschrif- schlicht die Argumente. ten kommen Sie an dieser Frage nicht vorbei. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Zuruf von der SPD: Sie haben nicht zuge- und der PDS) hört!) Also: Wir lassen Ihnen gerne die Stärke in Ge- - Ich habe sehr genau zugehört. Deswegen kann ich schichte und Gefühl, aber wir fügen hinzu: Diese - Ihre Kollegen verstehen, die den Saal verlassen. wenn Sie so wollen - Stärke reicht nicht aus. Politik Wenn man Ihnen eine Stunde zugehört hat, hat man nach der Methode „Man müßte einmal" ist für die wirklich ein Bedürfnis nach Kaffee. schwierigen Probleme, für die Herausforderungen (Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das liegt der Zukunft unseres Landes unzureichend. Tun Sie an Ihrer Rede, Herr Kollege Schäuble!) endlich einmal etwas, anstatt immer nur davon zu re- den! - Jetzt halten Sie doch einmal den Mund, oder schik- ken Sie Herrn Struck wieder durch die Reihen, um (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall den Lärm zu organisieren, wie Sie wollen. beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie reden von einer Ergänzung des Vertrags. Was Vizepräsident Hans Klein: Ich erteile dem Kollegen ist das? Dr. Wolfgang Schäuble das Wort. (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Ja!) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Wir, diese Bundesregierung, dieser Bundeskanzler, Die Truppe flieht! - Bundesminister dieser Finanzminister, diese Koalition, brauchen von Dr. Theodor Waigel: Der Zappelphilipp der SPD ganz gewiß keinen Nachhilfeunterricht in geht!) bezug auf die Einhaltung der Konvergenzkriterien. Von der Stabilität des Geldwertes verstehen diese Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Präsi- Regierung und diese Koalition mehr als die Opposi- dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich tion. habe ein gewisses Verständnis dafür, daß man nach (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- der Rede des Kollegen Scharping ein Bedürfnis nach ordneten der F.D.P.) Pause hat und müde ist. Das kann ich verstehen. Der Bundeskanzler und alle Redner der Koalition (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben schon bei der Ratifizierung des Maast richt- Es geht offenbar auch zahlreichen Kollegen seiner Vertrages gesagt, daß die Stabilitätskriterien streng Fraktion so. eingehalten werden müssen, daß es keine Aufwei- chung geben wird und daß wir, wenn wir in einen Es ist überhaupt eine merkwürdige Debatte, Herr Konflikt zwischen Zeitplan und Stabilitätskriterien Kollege Scharping. Sie haben vom parlamentari- geraten würden, diesen Konflikt nicht zu Lasten der schen Selbstbewußtsein gesprochen. Wenn in der Stabilitätskriterien lösen würden. Aussprache über den Einzelplan des Kanzleramtes der Oppositionsführer erst redet, nachdem der Kanz- (Widerspruch bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5779

Dr. Wolfgang Schäuble - Nein, tun wir nicht. Darin sind wir uns alle einig. nen oder wie immer. Das ist eine Frage, die die Teil- nehmer - es werden ja leider nicht alle 15 sein - ent- Nur, Herr Verheugen, warum wird dann von „Er- scheiden müssen. Aber Sie oder irgend jemand von gänzung" geredet? Genau darum geht es. Wenn man Ihnen, Herr Kollege Verheugen, zum Beispiel Herr - das ist ja richtig - die Menschen in unserem Lande Scharping - wer immer mag -, müssen die Frage be-- auch noch überzeugen muß - da ist noch viel zu tun -, antworten: Wollen Sie eine Auflösung des Vertra- dann darf man eben nicht in dieser Art reden, darf ges? - Herr Schröder will. Von Herrn Schröder habe man keine unverbindlichen Andeutungen machen ich diesbezügliche Interviews hier; das müssen Sie oder einen Satz wie den folgenden sagen: klarstellen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: „Irgend (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist der ein"!) zentrale Punkt!) „Für irgendeine Idee, die dann am Ende keine wirt- Sie haben in der nächsten Woche Ihren Parteitag. schaftliche Stabilität und auch keine Stabilität des Sie, Herr Scharping, sollten dort nicht so reden, wie Geldes signalisieren würde, die D-Mark aufzugeben, Sie hier geredet haben. Denn dem entnimmt jeder: hielte ich für falsch." Es muß etwas Ergänzendes hinzukommen, damit die (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Währungsunion kommt. Das ist der Punkt. Stellen Gedankenlos und töricht!) Sie es klar; dann sind wir einen Schritt weiter. Lassen Sie uns um Himmels willen nicht Ängste der Men- Ich frage Sie: Wer will denn das? Das ist doch nicht schen schüren, sondern lassen Sie uns den Men- der Maastricht-Vertrag. Sie diffamieren doch die schen sagen: Die europäische Währung wird so stabil Währungsunion, und Sie schüren die Ängste der sein, wie die D-Mark immer gewesen ist, als die Menschen gegen die Währungsunion. Union und diese Koalition in Bonn regiert haben. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ordneten der F.D.P.) Lassen Sie uns den Menschen ebenfalls erklären, daß die Währungsunion auch wirtschaftlich für uns Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Schäuble, alle von Vorteil ist. Sie haben mit großem Aplomb gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ver- von der Lage der Beschäftigten in der Bauwirtschaft heugen? und vom Entsendegesetz gesprochen. Meine Damen und Herren, es zeigt sich doch eines: Ohne eine Har- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte schön. monisierung im europäischen Binnenmarkt können wir weder unsere wirtschaftlichen noch unsere sozia- len Probleme dauerhaft lösen. Deswegen machen wir (SPD): Herr Kollege Schäuble, Günter Verheugen das Entsendegesetz. Das ist aber nur eine Notlösung. nachdem der Bundeskanzler die Antwort auf die Der bessere Weg ist die Harmonisierung im europäi- Frage verweigert hat, darf ich Sie vielleicht fragen, schen Rahmen; das gilt für die Umweltpolitik wie für was in dem Zusammenhang der Beschluß des CDU- die Sozialpolitik. Die Harmonisierung wird aber eher Parteitages bedeutet, der von einer dauerhaften Er- gefördert, wenn wir die Währungsunion zustande füllung der Stabilitätskriterien und von einer dauer- bringen. Wenn die Währungsunion scheitert, wird haften Zusammenfassung der Wirtschafts- und Wäh- der Harmonisierungsdruck in Europa schwächer, rungspolitik der Länder spricht. Was bedeutet das in und wir werden unsere Probleme schwerer lösen. diesem Zusammenhang? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So, wie es ge schrieben steht!) Deswegen werben wir so dafür, daß man begreift, daß die Währungsunion - unter der Voraussetzung, daß die Währung stabil ist; aber das ist gesichert für Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Herr Kollege Verheugen, ich bin Ihnen für diese Frage dankbar. uns alle von Vorteil ist. Sie erst macht die wirtschaft- Ich finde, daß wir auch die Chance nutzen sollten, liche Integration unumkehrbar. Sie wird den Lei- das eine oder andere zu klären. Deswegen will ich stungsaustausch stärken. Sie wird verhindern, daß Ihnen die Frage gerne beantworten. Unsere Position die deutsche Wirtschaft im Wettbewerb mit anderen ist völlig klar: keine Ergänzung des Vertrages, keine Europäern durch ständige Wechselkurskorrekturen Neuverhandlungen, keine zusätzlichen Vorausset- zusätzliche Nachteile erleidet. Das Problem ist nicht zungen. Aber die Teilnehmer der Währungsunion, die starke D-Mark, wie Herr Scharping zu begrün- die hoffentlich am 1. Januar 1999 beginnen wird und den beliebt hat - ich bin gottfroh, daß wir eine starke an der Deutschland, weil wir dank der Politik dieser Währung haben; darauf komme ich gleich -, sondern Bundesregierung die Stabilitätskriterien erfüllen, das Problem sind die ständigen Wechselkursverän- teilnehmen wird, derungen, die unsere exportierende und auch impor- tierende Wirtschaft belasten. Das alles wird durch die (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Europäische Währungsunion besser. Deswegen dient DIE GRÜNEN]: Halleluja, halleluja!) sie dem weiteren wirtschaftlichen Wachstum und der Beschäftigung. werden natürlich alles daransetzen müssen - dafür werden wir uns einsetzen -, daß die Kriterien auch Sie wird uns auch besser ermöglichen, in der Um- dauerhaft erfüllt bleiben. Das ist dann Aufgabe der weltpolitik in Europa gemeinsam voranzukommen. Teilnehmer. Das kann man „Schengen-Regime" nen Wir können in Wahrheit kein Problem mehr national 5780 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Wolfgang Schäuble lösen, in der Umweltpolitik schon gar nicht. Wir dür- im nationalen Alleingang aus der Kernenergie auszu- fen in einer Lage, in der die Beschäftigungssituation steigen. so angespannt ist, wie sie ist, Umweltpolitik nicht zum Gegensatz von Beschäftigung und Arbeitsmarkt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werden lassen. Deswegen ist der Weg der Grünen mit nationalen Alleingängen, der Verteuerung der Die Debatte über den Transrapid ist schon herzzer- Energie und damit der weiteren Verschlechterung reißend. Jetzt haben wir ein verkehrstechnologisches der Standortbedingungen Deutschlands ein falscher, System der Zukunft, und Rot-Grün setzt alles daran, der uns nicht mehr Umweltschutz, sondern nur weni- den Bau dieses Systems in unserem Lande zu verhin- ger Arbeitsplätze bringt. dern und jede Marktchance und jene Zukunfts- chance zunichte zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Dies alles wird besser vorankommen, wenn die Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ europäische Einigung fortschreitet. Deswegen muß DIE GRÜNEN]: Das ist absurd!) die europäische Einigung gelingen, und darum darf sie nicht so billig populistisch ausgebeutet werden, - Nein, das ist nicht absurd. Herr Fischer, das ist Ihr wie es Herr Schröder angefangen und Herr Schar- Problem: Sie halten allgemeine Reden, und sobald es ping gleich nachgemacht hat. konkret wird, kneifen Sie und weichen Sie aus.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Reine Populismusdividende!) Sie haben hier gesagt, Sie seien für die Technologie der Magnetschwebebahn. Aber Sie sind dagegen, Nach Ihrer Rede, Herr Kollege Scharping, muß sie hier zu bauen. man in aller Kürze doch sagen: Wir haben schwierige Probleme, über die gesprochen werden muß. Wir Bei der SPD liest sich das wunderbar. Deswegen sollten auch ein bißchen darum ringen, wer den bes- möchte ich Ihnen das einmal vorlesen. seren Weg hat. Sie haben uns aber leider nicht ein- mal den Hauch einer Alternative angeboten. (Zuruf von der SPD: Wer SPD zitiert, hat gut zitiert!) (Uwe Hiksch [SPD]: Haben Sie das denn überhaupt verstanden, Herr Schäuble?) Herr Scharping kennt offenbar seinen eigenen An- trag nicht; denn er hat unsere Politik zum Sozialum- - Ich habe genau zugehört. Ich will Ihnen gleich Ih- bau diffamiert, obwohl im Antrag der SPD zum ren Leitantrag für Ihren Parteitag vorlesen. Thema Sozialumbau steht:

Es ist doch ein Zerrgemälde von der Wirklichkeit, Ein funktionstüchtiger Sozialstaat ist die Grund- wenn man von den gewaltigen Schulden und von lage für soziale Sicherheit und wi rtschaftliche dem ungeheuren Konsolidierungsdruck redet, dabei Produktivität. Der Politik des sozialen Abbaus er- aber verschweigt, daß die Ausgaben im Haushalt teilen wir eine Absage. 1996 niedriger sein werden als im Haushalt 1995. Das hat es in der Bundesrepublik seit 30 Jahren nicht (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Ökosteuer!) gegeben. Der Erfolg dieser äußerst angestrengten Fi- nanzpolitik ist doch, daß wir eine Preissteigerungs- Ein Umbau des Sozialstaats ist aber notwendig. rate von 1,6 Prozent haben. Das ist doch ein Gütezei- Ohne Reformen sind die sozialen Sicherungssy- chen für die Finanzpolitik dieser Regierung. steme nicht mehr finanzierbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD)

Daß wir auch in schwierigen Zeiten ein nachhaltiges Eine Senkung der gesetzlichen Lohnnebenko- wirtschaftliches Wachstum von fast 2,5 Prozent in sten ist ein Beitrag zur Sicherung und Schaffung diesem Jahr - und - nach allen Prognosen - voraus- von Arbeitsplätzen. sichtlich ebenfalls 2,5 Prozent im nächsten Jahr ha- ben - und das bei Preisstabilität -, ist doch ein unge- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Umbau statt heurer Erfolg. Abbau! - Zuruf von der SPD: Er nähert sich!) Natürlich sind damit noch nicht die Probleme auf dem Arbeitsmarkt gelöst. Aber wie wollen wir sie an- - Ich habe das genau vorgelesen. ders lösen als dadurch, daß wir zunächst darauf set- zen, unsere Wirtschaft weiter zu modernisieren? Das (Klaus Lennartz [SPD]: Hoffentlich haben heißt aber auch, daß man auf moderne Produkte und Sie es auch verstanden!) technologischen - wissenschaftlichen Fortschritt set- zen muß. Jetzt frage ich Sie: Wie wollen Sie denn gesetzliche Lohnnebenkosten senken, wenn Sie nicht bereit Ich kann Ihnen dazu Beispiele nennen; das der sind, in der Sozialhilfe und in der Arbeitslosenhilfe Energiedebatte hören Sie nicht gerne. Dabei bin ich die Anreize zur Arbeit zu verstärken, wie wir das vor- immer noch dafür, lieber Tschernobyl stillzulegen, als schlagen? Wie wollen Sie Lohnnebenkosten senken, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5781

Dr. Wolfgang Schäuble wenn Sie nicht zur Reform unseres Gesundheitswe- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Matthäus- sens bereit sind? Jeden konkreten Vorschlag zur Be- Maier, ich war gerade bei den Lohnnebenkosten und grenzung von Lohnnebenkosten lehnen Sie ab. Des- nicht beim Steuersystem. wegen bleiben Sie bei den Überschriften. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Arbeitslosen-- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - versicherungsbeiträge!) Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Reden Sie Ich hatte gerade, bevor Sie sich zur Zwischenfrage einmal mit der F.D.P.!) gemeldet haben, gesagt - wenn Sie nicht immer da- Das können wir nahezu endlos fortsetzen. zwischenschreien würden, könnten Sie das auch hö- ren -, daß ich überhaupt nichts davon halte, das (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Fragen Sie Herrn Thema Lohnnebenkosten dadurch lösen zu wollen, Solms!) daß man es anders finanziert. Wir müssen zu Einspa- rungen kommen. Wenn wir unsere zu hohe Sozial- - Frau Fuchs, ich kann nicht so laut schreien wie an- quote nicht durch Einsparungen zurückführen, wer- dere. den wir scheitern.

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Schade!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich will Ihnen ein zweites Beispiel nennen. - Ich Deswegen lassen Sie mich das leise machen. war ja gerade bei meiner Antwort auf den Zwischen- (Klaus Lennartz [SPD]: Sie schreien schon ruf von Herrn Fischer. - laut genug!) (Jörg Tauss [SPD]: Der arme Herr Geißler! Der senkt sein Haupt!) Jeden konkreten Vorschlag, Ausgaben zu kürzen, bekämpfen Sie. Einen eigenen haben Sie nicht ge- Wenn wir auf Modernisierung setzen - ich habe den macht. Eine Stunde haben Sie geredet, nichts haben Transrapid und die Energiepolitik allgemein ge- Sie vorgeschlagen. Sie werden aber Lohnnebenko- nannt, auch die Gentechnologie -: Wer glaubt denn, sten nicht senken, wenn Sie nicht zu Einsparungen daß die chemische und die pharmazeutische Indu- kommen. Die Umschichtung von der Finanzierung strie in unserem Lande ohne die Gentechnologie durch Sozialversicherungsbeiträge auf die Finanzie- eine Chance hat? Aber Sie vertreiben sie systema- rung durch den Bundeshaushalt, die Steuerzahler, tisch aus Deutschland, und zwar durch ausstiegs- führt nicht zur Senkung, führt nicht zu Einsparun- orientierten Vollzug. Wie weit das inzwischen geht - - gen, sondern ist lediglich ein Verschiebebahnhof. Deswegen ist das der falsche Weg. Ohne Einsparun- (Rudolf Scharping [SPD]: So ein Quatsch!) gen kommen wir um dieses Problem nicht herum. - Ich will Ihnen einmal sagen, wie das bei Ihnen ist. Sie schreiben folgendes in Ihrem Antrag - danach zi- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tiere ich ihn nicht mehr, ich verspreche es. - Doch, in einem Punkt noch immer. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege, gestatten (Uwe Hiksch [SPD]: Bravo!) Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matthäus Maier? Sie hören nicht gern Zitate aus Ihrem Antrag. Offen- bar halten auch Sie nicht viel davon. Das ist sehr in- teressant. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte, gerne. (Rudolf Scharping [SPD]: Doch, doch, wir freuen uns über jedes Zitat! Das macht die Rede vernünftiger!) Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege Schäu- ble, es bleibt Ihnen unbenommen, unseren konkre- - Passen Sie auf, Herr Scharping. Sie sind ein richti- ten Vorschlag einer ökologischen Umorientierung ger, mutiger Führer. der Steuerpolitik abzulehnen. Aber wollen Sie mir wenigstens zugestehen, daß es ein sehr konkreter Sie schreiben unter dem Absatz „Technologische Vorschlag ist, zu sagen - so steht es dort -: Wir sen- Leistungsfähigkeit" : ken die Lohnnebenkosten durch Verringerung der Wir wollen die Chancen der neuen Technologien Arbeitslosenversicherungsbeiträge um 2 Prozent- nutzen. Mit ihnen können Krankheiten geheilt, punkte um ein Drittel und finanzieren das - weil kei- Umweltschutz vorangebracht ... werden. ner in diesem Hause Geld in dieser Höhe netto aus- zugeben hat - durch eine maßvolle Verteuerung der Sie vermeiden aber das Wort „Gentechnologie". Wis- Energiekosten? Dabei erinnere ich mich daran, daß sen Sie, was das heißt? Sie haben nicht einmal den Sie persönlich es waren, der in einer Zeitung gesagt Mut, dieses Wort in Ihren Antrag zu schreiben. Und hat, es sei nicht der Weisheit letzter Schluß, daß der so, glauben Sie, werden Sie die Standortbedingun- Strom in diesem Lande durch den Wegfall des Kohle- gen verbessern? pfennigs billiger wird. Sind Sie nicht der Ansicht, daß (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) das ein sehr konkreter Vorschlag ist, auch wenn Sie ihn vielleicht ablehnen? Vizepräsident Hans Klein: Der Kollege Catenhusen (Beifall bei der SPD) möchte gerne eine Zwischenfrage stellen. 5782 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Nein, danke und daß wir dort, wo wir zu teuer sind, wieder billi- sehr, der Kollege Catenhusen war vorher unfreund- ger werden. Wir müssen auch flexibler und schlanker lich. werden. Wir müssen ferner bereit sein, ein Stück weit unsere bürokratischen Prozesse abzubauen, die Jetzt will ich Ihnen auch noch folgenden Punkt zu kompliziert gewesen sind. nennen: Wir beschäftigen uns alle zu Recht mit dem Vorstoß des Vorsitzenden der IG Metall. Ich finde, (Uwe Hiksch [SPD]: Sagen Sie das mal Ihrer für den Vorsitzenden der größten Einzelgewerk- Regierung!) schaft in Deutschland war das ein bemerkenswerter - Entschuldigung, wir sind ein Bundesstaat, und Vorstoß. Ich glaube, wir alle, die Arbeitgeber und nach dem Grundgesetz ist die Ausführung der Bun- auch die Politik, sollten positiv darauf reagieren, so desgesetze Sache der Bundesländer. wie es auch der Bundeskanzler gesagt hat. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an die Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) länder zu appellieren, Nur, wenn die Sozialdemokraten in ihrem Papier (Rudolf Scharping [SPD]: Die sind viel wei- schreiben: „Die konservative Strategie des Lohn- ter als ihr!) drucks ignoriert den Zusammenhang von Angebot und Nachfrage", von dem Prinzip des ausstiegsorientierten Vollzuges der Bundesgesetze endlich Abstand zu nehmen, weil (Beifall bei Abgeordneten der SPD) das vielleicht die größte Gefahr und der größte Scha- dann sind sie weit hinter Herrn Zwickel zurück, der den für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist. in seinem Vorstoß genau den Zusammenhang zwi- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Sehr rich- schen Zurückhaltung in der Lohnpolitik und mehr tig!) Arbeitsplätzen erkannt hat. Unsere Gesetze sind weiß Gott schon kompliziert ge- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Genauso ist nug. Was aber in den Verwaltungen der Länder dar- es, ganz genau!) aus gemacht wird, ist noch viel schlimmer. Sie haben das immer noch nicht erkannt. Deswegen sollten wir wirklich eine gemeinsame (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Anstrengung dagegen unternehmen, und das vor al- Rudolf Scharping [SPD]: Das scheint Ihnen lem in einer Zeit, in der bei den Gewerkschaften viel irgendwie wehzutun, denn Lohndruck ist ja Bewegung, jedenfalls in Ansätzen, zu erkennen ist. etwas anderes als eine Einkommenspolitik, Ich nenne nur die Baugewerkschaft und ihre Hal- die Inflation ausgleicht! Aber das ist schwer tung beim Schlechtwettergeld gegen Ihre Diffamie- verständlich, jedenfalls für Rechtsanwälte!) rung, die IG Metall und die IG Chemie. Reden Sie doch einmal mit der Chemiegewerkschaft, was sie - Herr Scharping, Ihre etwas getragene Art, an den von Ihren energiepolitischen Vorschlägen hält: über- realen Zusammenhängen vorbeizureden, tut in der haupt nichts. Sie sind gegen die Arbeitsplätze und Tat manchmal weh, insbesondere wenn man es eine gegen die Zukunftschancen der Menschen, die in ganze Stunde lang ertragen muß. Das ist wahr. der chemischen Industrie Arbeit und Brot finden, und gegen die Zukunftschancen unseres Landes. (Uwe Hiksch [SPD]: Wir ertragen Sie ja auch! Seit ich hier bin, ertrage ich Sie! - (Beifall bei der CDU/CSU) Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Dann gehen Sie doch raus!) Wir müssen diese Chancen und die Bereitschaft nutzen, auch überlieferte und überkommene Besitz- Mich stört, daß man nicht mehr Argumente austau- stände zu überprüfen. Das wird in jedem Einzelfall schen kann. Ich argumentiere. Ich sage: Wenn wir auf Widerstände stoßen. Wer macht sich denn lustig nicht auf die Modernisierung unserer Wirtschaft set- über die Debatte zum Ladenschluß? Daß das für die zen, wenn wir nicht darauf setzen, mit modernsten betroffenen Menschen keine einfache Entscheidung Produkten bei unseren höheren Kosten auch in Zu- ist, ist doch in Ordnung. Deswegen muß man mit ih- kunft wettbewerbsfähig zu sein, haben wir keine nen darüber reden. Am Schluß muß man auch zu Chance, unseren Wohlstand und die Grundlagen un- Entscheidungen kommen. Wir werden zu den Ent- serer sozialen Sicherheit zu erhalten, und werden wir scheidungen kommen; nur von Herrn Scharping weniger anstatt mehr Arbeitsplätze haben. habe ich kein Wort gehört. Ist er nun dafür oder da- gegen? Er kritisiert es immer nur. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Sie verlagern auf Wenn wir nicht billiger oder wenigstens nicht teurer die Länder! Sie entscheiden nicht, Sie verla- im Abstand zu anderen werden, insbesondere in den gern auf die Länder!) Lohn- und Lohnzusatzkosten - genau deswegen ist das Wort „Lohndruck" so töricht -, dann werden - Nein, überhaupt nicht. Das ist doch nicht wahr. Wir noch mehr Arbeitsplätze abwandern. Wenn wir haben in der Koalition eine klare Absprache. Wir dis- durch nationale Alleingänge die Energie im Ver- kutieren in meiner Fraktion. Das zeigt, daß wir die gleich zu unseren Mitbewerbern weiter verteuern, Sorgen und Befürchtungen der betroffenen Men- dann werden wir noch mehr Arbeitsplätze verlieren. schen, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, ernst Das alles dürfen wir nicht machen. Wir müssen viel- nehmen. Wir werden zu den notwendigen Entschei- mehr darauf setzen, daß wir konkurrenzfähig bleiben dungen kommen. Nur, wir tun uns schwer in einer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5783

Dr. Wolfgang Schäuble Zeit, in der uns der Bundesrat mit seiner SPD-Mehr- ren, die notwendigen Veränderungen rechtzeitig heit bei jedem konkreten Einsparvorschlag, der sei- durchzusetzen. ner Zustimmung bedarf, die Sache schwermacht. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wir haben DIE GRÜNEN]: Nun sagen Sie doch etwas - doch die 200 DM Kindergeld durchgesetzt! zur Öko-Steuer, die Sie wollen und nicht Seien Sie froh, daß Sie uns hatten!) durchsetzen!) Mir ist das Lachen längst vergangen, wenn ich den - Herr Kollege Fischer, Sie waren gerade einen Mo- Herrn Scharping reden höre, die Bundesregierung ment draußen, das ist in Ordnung. Ich habe es ge- müsse den Mittelstand mit genügend Eigenkapital rade gesagt: In einer Zeit, in der wir teurer sind als ausstatten. Im übrigen ist mein Verständnis von So- andere - ich muß es wiederholen -, können wir nicht zialer Marktwirtschaft nicht, daß die Regierung ver- durch nationale Alleingänge den Standort Deutsch- teilt. Nicht einmal der Finanzminister kann die Be- land weiter belasten. triebe mit Eigenkapital ausstatten. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU Aber daß Sie noch immer die Abschaffung der Ge- und der F.D.P.) werbekapitalsteuer blockieren, ist wirklich ein Scha- Wenn wir den Umweltschutz in einen Gegensatz zu den für Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum in Arbeitsplätzen bringen, dienen wir der Umwelt nicht unserem Lande. und den Arbeitsplätzen auch nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Ingrid Matthäus-Maier [SPD): Aufkom- Daß Sie noch immer den Gemeinden einen Zugang mensneutral!) zu der langfristig stetigen, ständig wachsenden Fi- - Nein, aufkommensneutral funktioniert auch nicht. nanzquelle der Mehrwertsteuer verschließen, indem Herr Präsident, ich muß noch zwei Minuten länger Sie die Grundgesetzänderung verweigern, ist auch reden, um das auch noch zu erklären. Frau Matthäus- für die kommunale Selbstverwaltung der schlechtere Maier, aufkommensneutral ist theoretisch, aber prak- Weg. tisch funktioniert es nicht. Denn die Menschen emp- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Wer verwei finden heute eine Steuererhöhung, sagen wir: um gert denn die Grundgesetzänderung? Sie!) 1 DM als zehnmal so stark wie eine Steuersenkung um 1 DM. Daß Sie im übrigen den Gemeinden die dringend notwendigen Einsparungen durch die Reform der So- (Rudolf Scharping [SPD]: Davor kapitulieren zialhilfe und durch die Veränderungen im Asylbe- Sie!) werberleistungsgesetz verweigern wollen, ist wie- - Jetzt lassen Sie mich das doch einmal erklären! derum ein Beitrag dafür, daß Sie die kommunale Herr Kollege Scharping, ich wollte meine Position be- Selbstverwaltung schwächen und nicht stärken. Das züglich des Einwands von Frau Matthäus-Maier und alles schadet unserem Land. ebenfalls bezüglich des Einwands von Herrn Fischer Wir sind in unserem Land - was der Haushalt 1996 erläutern. Wir können auch übereinander her- ausdrückt - in einer guten Lage. Ich sage noch ein- schreien. mal: Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum von real Ich sage noch einmal: Ein aufkommensneutraler 2,5 Prozent bei vollständiger Preisstabilität; auf dem Umbau des Steuersystems wird in der psychologi- Weg zur europäischen Einigung mit Chancen, wie schen Wahrnehmung der Menschen nicht aufkom- wir sie vor zehn oder zwanzig Jahren noch nicht für mensneutral sein, weil Steuererhöhungen bei der denkbar gehalten hätten; eine Bundesregierung und derzeit zu hohen Belastung mit Steuern und Abga- einen Bundeskanzler, einen Finanz- und einen ben stärker wahrgenommen werden als Steuersen- Außenminister, die in Europa und weltweit als Hort kungen. Deswegen funktioniert das theoretisch und Anker von Stabilität und Vertrauen angesehen denkbare Modell des aufkommensneutralen Um- werden, das alles sind hervorragende Zukunftschan- baus praktisch nicht. Das wird dazu führen, daß die cen für unser Land, ein Land, das in Europa und Investitionsbereitschaft weiter abnimmt und die Ab- weltweit an der Spitze in den Bemühungen zur wanderungsbereitschaft weiter zunimmt. Deswegen Erhaltung der Umwelt steht, ein Land, das noch im- können wir nicht aufkommensneutral umbauen, und mer an der Spitze auch des technischen Fortschritts deswegen können wir nicht die Energie durch natio- steht. nale Alleingänge verteuern. Wir haben keinen Grund zur Resignation. Wir ha- (Rudolf Scharping [SPD]: Absurd!) ben nur Grund, unsere Kräfte und unseren Mut zu- sammenzunehmen, um angesichts vieler Wider- Wir müssen statt dessen die Belastungen senken. stände gegen notwendige Veränderungen die erfor- Das ist der Weg, um Arbeitsplätze zu erhalten. derlichen Anpassungen an die Zukunft durchzuset- (Beifall bei der CDU/CSU) zen. Das, Herr Kollege Fischer, ist der Weg in das 21. Jahrhundert, nicht Steuererhöhungen, bei denen Deswegen, Herr Kollege Scharping, können wir im Sie immer gleich landen, oder McDonalds. Wenn es Umweltschutz wie in der sozialen Sicherung weitere um den Weg in das 21. Jahrhundert geht, meine Da- substantielle Fortschritte nur in europaweiter Har- men und Herren, dann ist die entscheidende Frage, monisierung erreichen. Auch aus diesem Grunde ob wir die Kraft, den Mut und die Fähigkeit bewah- sind weitere Fortschritte in der europäischen Politik 5784 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Wolfgang Schäuble so existentiell notwendig für unser Land und unsere des Militärs reagieren überempfindlich, wenn nicht wirtschaftlichen Zukunftschancen. Weil es dagegen alles für Gold gehalten wird, wenn der Helm und die so viele Widerstände gibt, ist es unverantwortlich, Gewehrläufe nur glänzen. hier Ängste zu schüren. Wer Ängste schürt, stärkt die notwendige Veränderungsbereitschaft nicht. Wir set- Die Bundeswehrführung befürchtet, daß sie nicht zen auf Zukunft, und wir haben den Mut, die not- genügend Soldaten bekommt. Die Verweigererzah-- wendigen Entscheidungen auch durchzusetzen. len nehmen weiter zu. Ich freue mich darüber, und ich finde es ausgesprochen beruhigend, daß immer (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) mehr Menschen, die sich nicht bereit erklären, mit einer Waffe möglicherweise einen Krieg zu führen, diesem Staat ihre klare Absage erteilen. Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Angelika Beer, Sie haben das Wort. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Für die Bundesregierung ist dies natürlich ein Pro- Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr blem. Das wissen wir, und das ist heute deutlich ge- Schäuble, Sie haben eben sehr viel von Einsparun- worden. Seit Jahren bemühen Sie sich, der Bevölke- gen und Notwendigkeiten gesprochen, von Bela- rung Bundeswehreinsätze außerhalb des Einsatzge- stungen, die zu senken sind. Es gibt konkrete Finan- bietes schmackhaft zu machen. Seit Jahren spielen zierungsvorschläge meiner Fraktion zu dem Einzel- Sie vor, Soldaten seien weltweit im Auftrage der hu- bereich, wo diese Senkungen auch politisch drin- manitären Hilfe unterwegs. In Wirklichkeit geht es gend notwendig sind. Das ist der Einzelplan 14. Dar- aber um nationale Interessen der Eliten dieser Repu- auf möchte ich gleich eingehen. blik und um eine globale Odnungspolitik im Inter- Ihr Haushalt, Herr Waigel, ist löchrig wie ein esse der reichen Staaten des Nordens, um eine Art Schweizer Käse. Sie wursteln sich auf Kosten der OECD-Polizei. Sie versuchen natürlich, das einer Schwachen und der Ärmsten unseres Landes durch, mißtrauischen Bevölkerung noch mit schönen For- statt den einzelnen sozial- und umweltverträglichen mulierungen zu verkaufen, es zu verschleiern. Einsparungen, nämlich den Streichungen von Wahn- Der Preis für die Umrüstung der Bundeswehr in sinnsprojekten wie dem Jäger 90, dem Eurofighter, eine Krisenreaktionsarmee beträgt rund 50 Mil- der weiteren Minenproduktion und vielem mehr, liarden DM. Sie streichen das Geld für die sozial endlich das grüne Licht zu geben. Schwachen, Sie streichen Wirtschaftshilfeprogramme Daß dazu auch ein Wechsel im politischen Denken zusammen. Diese Umrüstung der Bundeswehr auf notwendig ist, Krisenreaktion ist die wohl größte Fehlentscheidung der Bundesregierung. Sie geht zu Lasten einer Um- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ steuerung für den Erhalt unserer Umwelt. DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, man kann sie nicht verstehen! - Glocke des Präsiden Die Umbenennung des besonders unsinnigen Pro- ten) gramms Eurofighter 2000 - es ist umbenannt wor- den, weil man es noch irgendwie vernünftig euro- zeigt die Debatte seit gestern, wenn wir beobachten päisch verkaufen wollte - hat das gewünschte Ziel müssen, wie demokratiefähig unsere Militärpolitiker nicht erreicht. Der Bundesrechnungshof kommt nicht und -politikerinnen eigentlich sind. Das Urteil des umhin, immer wieder auf die Verschwendung und Bundesverfassungsgerichtes ist eigentlich eine de- Ineffizienz hinzuweisen. Der Bundeshaushalt ist al- mokratische Selbstverständlichkeit. Aber es läßt den lein durch dieses Wahnsinnsprojekt mit 9 Milliarden Adrenalinspiegel des konservativen Teils der Repu- DM belastet. Wenn es tatsächlich zu der Beschaffung blik in die Höhe schnellen. Auffallend ist die Diskre- von 140 Stück kommen sollte, dann kostet das panz zu den Jubelveranstaltungen anläßlich des 21 Milliarden DM, die Hälfte des diesjährigen Vertei- 40jährigen Bestehens der Bundeswehr. digungshaushalts. Diese Haushaltspolitik ist die Ur- sache dafür, daß im sozialen und im ökologischen Be- Ich muß sagen: Es stimmt bedenklich, wenn ein reich nur noch geflickschustert wird. Unsere Gesell- Bundesverteidigungsminister, der einer Armee, einer schaft hat die Lasten zu tragen. demokratischen Bundeswehr, vorsteht, sich zum zweitenmal als unfähig erweist und ein grunddemo- Herr Kinkel, Sie können viel von Kambodscha er- kratisches Urteil für die Meinungsfreiheit wieder be- zählen und von der Erkenntnis, daß man Minen be- wußt politisch falsch interpretiert und Stimmung seitigen muß. Erhöhen Sie die Mittel für die Räu- macht, Stimmung nicht zuletzt auch gegen die eige- mung auf mehr als diese 13 Millionen DM, aber strei- nen Soldaten. chen Sie vor allem die 230 Millionen DM für die Wei- terentwicklung von Minen! Das ist doch die Ursache (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - für die weltweiten Todesopfer heute. Michaela Geiger [CDU/CSU]: Absurd ist das, was Sie erzählen, total absurd!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Uta Titze-Ste- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Bundesre- cher [SPD]) publik ist geprägt von einer Kultur der Zurückhal- tung, die nicht nur in der alten Bundesrepublik vor- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der Anteil der herrschte, sondern auch jetzt im vereinten Deutsch- militärischen Beschaffung soll immer weiter angeho- land gegenwärtig und bestimmend ist. Die Freunde ben werden, nach Willen der SPD sogar um Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5785

Angelika Beer 35 Prozent. Ich kann Ihnen nur sagen: Vollziehen Sie Ina Albowitz (F.D.P.): Das darf er. eine Wende, und stimmen Sie in der namentlichen Abstimmung heute unserem Antrag zu! Streichen (Staatsminister Helmut Schäfer: Aber sonst Sie alle Mittel für den Eurofighter, für die Krisenreak- darf er nichts!) tionskräfte, und entsprechen Sie dem Anliegen vieler - Petenten, die sich an alle Mitglieder des Bundestages Joseph Fischer (Frankfurt) (BÜNDNIS 90/DIE gewandt haben mit dem Ziel, den Bau des Eurofigh- GRÜNEN): Frau Kollegin Albowitz, ich bin immer ters nicht weiter zu verfolgen! Er ist militärisch, der Meinung, daß man sich dann streiten soll, wenn volkswirtschaftlich, arbeitswirtschaftlich ein Wahn- es wirklich etwas zu streiten gibt. Aber würden Sie sinnsprojekt, auch für Herrn Schröder. Stimmen Sie zur Kenntnis nehmen, daß dies keine Herabsetzung in der namentlichen Abstimmung unserem Antrag der hervorragenden Arbeit der Goethe-Institute oder zu! Begraben wir dieses Projekt! Es diente wahr- gar der deutschen Auslandsschulen ist, sondern daß scheinlich noch der Unterstützung der Bundesregie- ich im Gegenteil jedesmal, wenn ich im Ausland bin, rung, jetzt endgültig die Bremse zu ziehen. versuche, in Goethe-Instituten Vorträge zu halten, Diskussionen zu veranstalten und auch die deut- Wir dürfen die Kultur der militärischen Zurückhal- schen Auslandsschulen zu besuchen? In dieser Frage tung nicht nur im Wort führen, sondern müssen sie brauchen wir uns nicht zu streiten. finanzpolitisch dokumentieren. Runter mit den Mit- teln des Einzelplans 14! Wir brauchen sie für die Auf- gaben, die wir alle ernst nehmen müssen und die nur Ina Albowitz (F.D.P.): Lieber Herr Kollege Fischer, aus diesem Haushalt gewonnen werden können. ich danke Ihnen sehr herzlich, daß Sie das so deut- lich hier bestätigt haben, denn das tut der Auslands- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arbeit gut, es tut der auswärtigen Kulturpolitik gut und PDS sowie der Abg. Ingrid Matthäus und den Goethe-Instituten auch. Insoweit sind wir Maier [SPD]) uns dann wieder einig. Vielen Dank. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Er soll Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Ina Albo- lieber nicht so oft auftreten! - Joseph Fi- witz, Sie haben das Wort. scher [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Darf ich jetzt essen gehen?) Meine Damen und Herren, ich möchte trotzdem (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr Ina Albowitz die Gelegenheit nutzen, zur Bedeutung der auswärti- verehrten Damen und Herren! Der Kollege Fischer gen Kulturpolitik etwas zu sagen. Sie hat die wich- aus Frankfurt - er will gerade gehen, aber er hört so tige Aufgabe, die politischen Ziele unserer Außen- gar noch zu - hat heute morgen versucht, uns klarzu- politik mitzutragen und flankierend zu unterstützen. machen, daß wir über die wichtigen Dinge der Politik Es geht vor allem um die Förderung der deutschen reden wollen. Ich verstehe ja, daß Sie Hunger haben Sprache im Ausland, die Auslandsschulen, die Sti- - habe ich ja auch -, aber vielleicht sollten Sie doch pendienprogramme, die Forschungs- und Wissen- noch zuhören. schaftsförderung, die Medien. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Du bist aber schlan Zusammengefaßt: Es geht um das Bild Deutsch- ker!) lands im Ausland, es geht um Friedenspolitik, und es geht um Völkerverständigung. - Ja, er könnte es fast vertragen, auf das Essen zu verzichten. (Beifall bei der F.D.P.) Angesichts dessen, was Sie heute morgen zu den Nun kollidiert unbestritten die große Bedeutung Goethe-Instituten gesagt haben, glaube ich, daß Sie der auswärtigen Kulturpolitik immer wieder mit den nicht wissen, wovon Sie reden. Finanzproblemen und den häufig überzogenen Wün- schen aller Beteiligten. Deshalb sind effektive (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Schwerpunktbildungen erforderlich. DIE GRÜNEN]: Doch!) Als Berichterstatterin für den Einzelplan des Aus- - Ich will Ihnen trotzdem nachhelfen, damit auch die wärtigen Amtes und als kulturpolitische Sprecherin anderen wissen, wovon wir reden. Wir reden von der F.D.P.-Bundestagsfraktion freut es mich natürlich 113 Auslandsschulen, von 1 500 Lehrern, die an aus- ganz besonders, daß die Koalition in der Bereini- ländischen Schulen unterrichten, von 70 000 Schü- gungssitzung den Etat für die auswärtige Kulturpoli- lern, die zur Zeit Deutschunterricht erhalten - ich tik um 15 Millionen DM aufgestockt hat. glaube, das sind mehr Schüler, als Ihre Pa rtei Mit- (Beifall bei der F.D.P. - Dr. Wolfgang Weng glieder hat -, und von ganz vielen Menschen, die über die Goethe-Institute und die Mittlerorganisatio- [Gerlingen] [F.D.P.]: Ina sei Dank!) nen Botschafter Deutschlands im Ausland sind. Das Angesichts der Einsparungen in anderen Bereichen haben Sie als „nicht wichtig" in der deutschen Poli- ist das mehr als ein erfreuliches Ergebnis, und wir tik bezeichnet. scheuen uns auch nicht, dies laut zu sagen. Dies bedeutet jedoch nicht, meine Damen und Vizepräsident Hans Klein: Frau Kollegin Albowitz, Herren, daß wir nun ein flächendeckendes Gießkan- der Kollege Fischer würde Sie gerne etwas fragen. nenverfahren einleiten. Es kann auch nicht erstau- 5786 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Ina Albowitz nen, daß nicht alles Wünschenswerte machbar ist. Al- erfolgt. Flexibilität und Eigenverantwortung sind von lerdings meinen manche der selbsternannten Kultur- allen Beteiligten gefordert. gurus, die sich in der letzten Zeit über die Medien geäußert haben, nur mit Geld könne man gute aus- Der Modellversuch „Flexible Budgetierung" wärtige Kulturpolitik machen. kann, wenn alle Beteiligten es wollen, für 1997 auf das Goethe-Institut als hundertprozentigem Zuwen- Nach der Wiedervereinigung Deutschlands und dungsempfänger übertragen werden. Ich bin ziem- den Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa haben sich lich sicher, daß das die Motivation der vielen tausend neue Herausforderungen, neue Schwerpunkte erge- Mitarbeiter dieser Institute erheblich stärken würde. ben. Insbesondere die Förderung der deutschen Sprache im Ausland sowie die zur Sympathiebildung (Beifall bei der F.D.P.) beitragende Vermittlung kultureller Werte haben In der Gesamtbetrachtung kann die auswärtige Po- große Bedeutung für das Zusammenwachsen Euro- litik eine Bilanz ziehen, die sich sehen lassen kann. pas. Daß zur Finanzierung vieler Wünsche manches of- Gerade in den Ländern Mittel- und Osteuropas fenbleiben muß, liegt in der Natur der Sache. Aber dient die auswärtige Kulturpolitik den Menschen als sowohl der Bundesminister als auch die Bericht- ausgestreckte Hand zur Annäherung an die west- erstatter der Koalition haben sich immer wieder für europäische Kultur. Unsere Kulturpolitik ist föderali- entsprechende Prioritäten eingesetzt und diese letzt- stisch und demokratisch, pluralistisch und liberal or- lich auch verwirklichen können. Darauf sind wir stolz. ganisiert und wirbt durch Information und Vermitt- Gerade meine Partei, die F.D.P., die als Partei und lung eines umfassenden Deutschlandbildes für unser als Fraktion für die offene und liberale Bürgergesell- Land. schaft steht, betrachtet die Kultur im innerstaatlichen Soll diese Arbeit effizient sein, so ist es selbstver- und auswärtigen Bereich als elementar für den Zu- ständlich, daß die Mittlerorganisationen eng einge- sammenhalt unserer Gesellschaft. bunden werden müssen. Aber ich möchte darauf hin- (Beifall bei der F.D.P. sowie der Abg. Bri- weisen, daß gerade bei den Mittlerorganisationen die gitte Baumeister [CDU/CSU] - Zuruf des organisatorische Effizienz im Mittelpunkt ihrer Ar- Abg. Dr. Gregor Gysi [PDS]) beit stehen muß. - Es mag sein, Herr Gysi, daß Ihnen das nicht gefällt, (Beifall bei der F.D.P.) daß Sie da noch Lernprozesse durchlaufen müssen. Wir haben 118 deutsche Auslandsschulen, die von Aber Sie haben in den kommenden Jahren noch Zeit etwa 70 000 Menschen in der ganzen Welt besucht zu üben. werden. 1 500 entsandte Lehrer aus Deutschland Meine Damen und Herren, lassen Sie mich, weil werden dort beschäftigt und tragen das Bild als Bot- heute morgen schon im ersten Teil der Debatte sei- schafter Deutschlands in die Welt hinaus. tens der Grünen, der PDS und auch der SPD von den (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: MEKO-Fregatten die Rede war, noch zwei Bemer- Hervorragende Kräfte!) kungen machen. Wir haben in diesem Frühjahr auf Veranlassung der Koalition den Etat, der Diese Arbeit muß allerdings - das sollten wir hier 150 Millionen DM als Finanzierungshilfe von zwei auch deutlich sagen - besser koordiniert werden. MEKO-Fregatten vorsieht, gesperrt. Der Grund für die Sperre war seinerzeit die Intervention der türki- In kurzer Zeit, meine Kolleginnen und Kollegen, schen Armee auf nordirakischem Gebiet. Der Grund sind in 13 der wichtigsten Städte Mittel- und Ost- ist weggefallen. Damit muß auch die Sperre wegfal- europas neue Goethe-Institute eröffnet worden; wei- len. tere sind ins Auge gefaßt. Von den zusätzlich einge- stellten Mitteln erhält das Goethe-Institut 3 Millionen Ich glaube, der Minister hat hier heute morgen DM zur Finanzierung neuer Aufgaben. Ich halte da- sehr deutlich gesagt: Noch nicht alles, was in der her Klagelieder des Instituts nicht für angemessen. Türkei, unserem NATO-Partner, abläuft, ist so, wie Im übrigen gibt das Goethe-Institut zuviel Geld für wir uns das vorstellen. Ich meine aber, wir können Betriebskosten und zuwenig für die Programmarbeit nicht ständig kritisieren und den Dingen den Boden aus. Das muß sich ändern, damit das Schwergewicht entziehen, die in einem Demokratisierungsprozeß wieder auf dem letzteren liegt. ablaufen. Dazu gehören eben auch MEKO-Fregat- ten. Deswegen hat die Koalition - auch mit meiner Meine Damen und Herren, für die deutsche aus- Zustimmung - die Sperre aufgehoben. wärtige Kulturpolitik gibt der Bund alleine 3,5 Milliarden DM aus. Ich glaube, es ist ein wichti- Ich danke Ihnen. ger Bereich unserer Politik insgesamt. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Das Deutsch-Polnische Jugendwerk hat seine Ar- ten der CDU/CSU) beit erfolgreich aufgenommen. Die Hochschul- und Wissenschaftleraustauschprogramme laufen auf vol- len Touren. Dies alles geschieht nicht umsonst. Der Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Bund, der seine Mittel effizienter einsetzen muß, lege Dr. Gregor Gysi. setzt darum auf straffe Organisation, auf Neuorgani- sation in vielen Bereichen. Wir müssen darauf ach- Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- ten, daß dieser Mitteleinsatz gestrafft und zielgenau men und Herren! Auch im Namen meiner Abgeord- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5787

Dr. Gregor Gysi netengruppe will ich etwas zu dem entsetzlichen dort an humanitärer Hilfe leisten: Fast nichts. Ein Attentat in Israel sagen. Wir bringen vor allem un- Staat, der 16 Milliarden DM für Krieg ausgibt und sere Hoffnung zum Ausdruck, daß sich jene Kräfte fast nichts für humanitäre Hilfe, muß sich sagen las- im palästinensischen und im israelischen Volk, die sen, daß seine Außenpolitik in jeder Hinsicht militari- diesen Friedensprozeß voranbringen wollen, durch siert worden ist. Das ist eine ganz gefährliche Ent- - das Attentat nicht einschüchtern lassen, sondern - wicklung. ganz im Gegenteil - noch zulegen. Die Mörder müs- (Beifall bei der PDS) sen eine Niederlage erleiden, indem der Frieden im Nahen Osten endlich Wirklichkeit wird. Das ist unser Wir haben die Diskussion über die Europäische tiefer Wunsch. Union und damit auch die Diskussion über die Wäh- rungsunion. Ich erinnere daran, daß die PDS-Bun- (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne destagsgruppe den Vertrag von Maastricht abge- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE lehnt hat und für einen Volksentscheid eintrat und GRÜNEN) daß alle anderen Fraktionen dem Vertrag von Maas- tricht zugestimmt haben, auch die Fraktion der SPD, Wenn man über die Außenpolitik der Bundesregie- und gegen einen Volksentscheid waren. rung spricht, dann muß man natürlich feststellen, daß es veränderte Schwerpunktsetzungen gibt. Es lohnt (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Nein!) sich, sich damit auseinanderzusetzen. Wenn Sie zum Vertrag von Maastricht ja gesagt Mir ist aufgefallen, daß in der ganzen langen De- haben, ist es jetzt nicht sonderlich redlich, die Wäh- batte, in der es übrigens auch um den Etat des Bun- rungsunion in Frage zu stellen, die Bestandteil dieses deskanzlers geht, der schon nicht mehr teilnimmt, Vertrags gewesen ist. obwohl es um seinen eigenen Etat geht - das hängt vielleicht mit den Buddha-Vergleichen zusammen; (Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Quatsch!) darauf möchte ich noch zurückkommen -, nicht ein Ich sage noch etwas: Wir haben bei der Diskussion einziges Mal über die UNO gesprochen worden ist. über die europäische Währungsunion eines kritisiert, Es ist sehr viel über die Europäische Union gespro- indem wir gesagt haben: Wir sind nicht Gegner der chen worden - sicherlich zu Recht -, aber kein einzi- europäischen Währungsunion - sie muß kommen -, ges Wort über die UNO. Ich warne vor dieser Art von aber sie muß am Ende einer Entwicklung stehen, in Eurozentrismus. der es vorher ökonomische, ökologische und soziale Eine ganz wesentliche Aufgabe wird darin be- Angleichungen gegeben hat. stehen, die UNO zu stärken, und zwar nicht dadurch, Wenn es diese Entwicklung nicht vorher gibt, son- daß Deutschland Großmacht wird, und nicht da- dern am Beginn einer Währungsunion steht, dann durch, daß Deutschland ein Vetorecht erhält, son- heißt das, diese Angleichungen werden erzwungen. dern dadurch, daß wir die UNO demokratisieren, Wozu das führt, haben wir in der DDR bei der Wäh- zum Spiegelbild der Weltbevölkerung machen und rungsunion erlebt. Deshalb warnen wir davor, die Vetorechte abschaffen. niedrigsten sozialen und ökologischen Standards (Beifall bei der PDS - Ulrich Irmer [F.D.P.]: zum Maßstab zu machen, indem man eine Anglei- Herr Gysi, wir hatten dazu vor zwei Wochen chung erzwingt, statt hohe Standards durchzusetzen eine spezielle Debatte!) und erst als Schlußpunkt die Währungsunion einzu- führen. - Ich weiß, daß wir vor zwei Wochen eine Debatte (Beifall bei der PDS) dazu hatten. Wir hatten auch eine über die Europäi- sche Union. Trotzdem ist heute über sie gesprochen Es ist ein wenig gefährlich, wenn man einzelne worden. Es fällt schon auf, daß dieses Thema einmal Äußerungen von SPD-Politikern betrachtet - nicht besprochen wird; danach ist es wieder erledigt. die heutigen hier im Plenum, aber einige, die drau- ßen zu hören waren -, bei denen plötzlich das natio- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Sie waren auch nicht nale Element mitklingt. Davor - hier muß ich aus- die ganze Zeit hier, Herr Kollege!) nahmsweise einmal der anderen Seite des Hauses Es stört Sie immer, wenn man über die Militarisie- recht geben - warne ich. Wir dürfen diese Diskussion rung der Außenpolitik spricht. Diese Militarisierung nicht auf nationalistischer Ebene führen. Das wird macht mir ganz große Sorgen. Sie nimmt zu: Zu nen- kreuzgefährlich, davon haben ganz andere etwas, nen sind nicht nur das Säbelgerassel beim Großen nämlich die, die von solchen Ängsten leben, die sie Zapfenstreich, nicht nur die Tatsache, daß heute der schüren und versuchen, sie für ihre Politik zu nutzen. internationale Einsatz der Bundeswehr wie eine (Beifall bei der PDS) Selbstverständlichkeit klingt, nicht nur die Teil- nahme an Kriegen, obwohl wir doch seit Jahrtausen- Was die innere Situation unserer Gesellschaft be- den wissen, daß mit Kriegen Probleme in diesen Ge- trifft, so sage ich Ihnen, macht mir die Art der Aus- sellschaften nicht gelöst werden, sondern auch fol- grenzung von immer größer werdenden Gruppen gendes Beispiel. 16 Milliarden DM hat die Bundesre- ganz beachtliche Sorge. Das betrifft eine Vielzahl publik Deutschland für den Golfkrieg zur Verfügung von Menschen, die heute überhaupt nirgendwo gestellt. Jetzt, da die Wahrheit über diesen Krieg mehr organisiert sind. Sie sind nicht in den Parteien langsam herauskommt, da bekannt wird, daß Zehn- organisiert, sie sind auch nicht in den Gewerkschaf- tausende Kinder und Erwachsene verseucht und ver- ten organisiert, sie sind nicht in Verbänden, natürlich giftet wurden, schauen Sie sich einmal an, was wir auch nicht in den Arbeitgeberverbänden, nicht ein- 5788 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Dr. Gregor Gysi mal mehr in Vereinen organisiert. Zum großen Teil wirklich wollen, was man inzwischen schon bezwei- sind sie nicht einmal Mitglied der Kirchen. feln kann. Es sind Menschen, die von dieser Gesellschaft voll- (Beifall bei der PDS) ständig ausgegrenzt sind. Das betrifft nicht nur Ar- Wissen Sie, was ich auch eine Unverschämtheit beitslose, das betrifft nicht nur Sozialhilfeempfänge- finde? Da reist ein Deutscher, der seit 20 Jahren in rinnen und Sozialhilfeempfänger, sondern das be- Argentinien lebt, drei Monate vor der Bundestags- trifft zunehmend Menschen in prekären Arbeitsver- wahl an, wählt hier den Kanzler, dampft danach wie- hältnissen und solche, die nur hin und wieder im der ab, und ich muß mich hier vier Jahre lang mit Jahr ein Arbeitsverhältnis haben, das heißt, die eine dem Kanzler herumschlagen. Nein, ich möchte, daß Zeitspanne sozialer Sicherheit und dann wieder viele die Leute ihr Wahlrecht dort haben, wo sie leben. Monate sozialer Verunsicherung erleben. Das bet rifft Das heißt, derjenige soll in Argentinien leben und Menschen, die sich von Existenzkampf zu Existenz- dort seine Regierung und sein Parlament wählen. kampf durchrangeln und für die dabei jegliche so- ziale Sicherheit, jegliche Organisierung in dieser Ge- (Beifall bei der PDS) sellschaft immer absurder wird. Das nenne ich ein republikanisches Wahlrecht, das Sie fühlen sich nicht mehr durch uns vertreten, sie wir dringend benötigen. fühlen sich nicht mehr durch andere Organisationen (Peter Harald Rauen [CDU/CSU]: Wir müs- vertreten, sie machen in dieser Gesellschaft einfach sen mit Gysi leben, das ist viel schlimmer! - nicht mehr mit. Das ist deshalb verheerend, weil es Weitere Zurufe von der CDU/CSU) den Tag geben wird - leider; zumindest ist das zu be- fürchten -, an dem von ganz rechts außen die Sorgen - Was haben Sie denn daran auszusetzen? Geben Sie dieser Menschen populistisch genutzt werden, um doch einmal eine logische Begründung, weshalb Sie diese Gesellschaft in einem Sinne zu verändern, wie den Ausländerinnen und Ausländern, die seit Jahren wir das alle nicht wollen. hier leben, arbeiten und Steuern zahlen, ein so selbstverständliches Recht wie das Wahlrecht vorent- Deshalb sage ich: Es ist eine ganz entscheidende halten! Es gibt dafür nur inhumane oder rassistische gesellschaftspolitische Aufgabe, die Millionen Aus- Begründungen; das sage ich Ihnen ganz offen. gegrenzten in dieser Gesellschaft wieder in politi- sche, soziale, ökonomische und kulturelle Entschei- (Beifall bei der PDS) dungen einzubeziehen. Wenn wir über Wirtschafts- und Sozialpolitik re- (Beifall bei der PDS) den, dann tun Sie immer so, als ob es gar keine Alter- nativen zur gegenwärtigen Politik gibt. Seit Jahren Diesbezüglich leistet die Bundesregierung fast steigen die Zahlen der Arbeitslosen, seit Jahren er- nichts. Das zerstört auch Chancen für die Jugend klären Sie, daß das auch für Sie ein unerträglicher und damit für die Zukunft. Zustand ist. - Ich freue mich, daß bei der Beratung Es ist über den Umgang mit Flüchtlingen und Aus- des Etats des Bundeskanzleramtes der Bundeskanz- länderinnen und Ausländern nur ganz kurz gespro- ler wieder erschienen ist. chen worden. Herr Seiters hat zum Beispiel die Flug- (Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl: Fünf Mi- hafenregelung ausdrücklich verteidigt. Ich glaube, nuten aus dem Saal!) daß die Flughafenregelung eine der inhumansten Regelungen in der Geschichte der Bundesrepublik - Ich freue mich einfach. Ich darf doch meine Freude Deutschland ist. Sie sollte so schnell wie möglich zum Ausdruck bringen, Herr Bundeskanzler. Ich ver- überwunden werden. Am Umgang mit den Schwäch- gleiche Sie auch nicht mit Buddha wie die anderen, sten in einer Gesellschaft zeigt sich der Grad der Hu- weil ich das für Gotteslästerung halte. So etwas manität, nicht am Umgang mit anderen. mache ich nicht. (Beifall bei der PDS) (Heiterkeit und Beifall bei der PDS) Es war bereits vom Wahlrecht die Rede. Ich sage Ich will auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu- Ihnen dazu eines: Daß uns die F.D.P. Ratschläge ge- rückkommen. Wir müssen Wirtschaft endlich als Mit- ben will, was wir üben sollen, wundert mich schon. tel zum Zweck und nicht als Selbstzweck begreifen. Frau Albowitz, Sie könnten auch einen Moment zu- Wir müssen endlich zu einer sozialen Grundsiche- hören. Sie hatten in Berlin sehr viel Zeit zum Üben; rung kommen, um Ängste zu nehmen und um die inzwischen haben Sie diese Möglichkeit in Berlin Zerstörungen, von denen ich gesprochen habe, zu verloren. beseitigen, so daß jedem und jeder wenigstens das Existenzminimum zu jeder Zeit gesichert ist und Die F.D.P. möchte ich eines fragen: Was sind denn nicht darum gebangt werden muß. Es ist eben eine die liberalen Positionen dieser Partei, die in der Poli- Tatsache, daß in unserer Gesellschaft Armut zu- tik dieser Bundesregierung noch eine Rolle spielen? nimmt, und zwar im Westen zum Teil schneller als im Wo bleibt denn ein modernes Staatsbürgerschafts- Osten; allerdings nimmt auch der Reichtum gewaltig recht? Wo bleibt denn ein republikanisches Wahl- zu, der jedoch im Westen. recht, das Ausländerinnen und Ausländern, die fünf Jahre oder länger ihren Wohnsitz in der Bundesrepu- Die sozialen Unterschiede wachsen. Sie rechtferti- blik Deutschland haben, endlich das aktive und pas- gen diese sozialen Unterschiede mit angeblichen Lei- sive Wahlrecht einräumt? Nichts dergleichen können stungsunterschieden und ähnlichem, obwohl Sie ge- Sie in dieser Koalition durchsetzen, wenn Sie es denn nau wissen, daß das nicht stimmt. Es ist in Wirklich- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5789

Dr. Gregor Gysi keit das Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts-, Fi- stisch höhere Diäten zubilligen wollen. Das ist ein nanz- und Sozialpolitik. Wer Massenarbeitslosigkeit moralischer Widerspruch, der Ihnen nicht verziehen bekämpfen will, der muß grundsätzliche Reformen wird und, wie ich finde, zu Recht nicht verziehen der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik einlei- wird. ten. Es kann einfach nicht so weitergehen, daß jede (Beifall bei der PDS) spekulative Finanztätigkeit in der Bundesrepublik Nicht die zu hohen Löhne sind das Problem in der steuerlich begünstigt bleibt und jede aktive Wirt- Bundesrepublik, sondern die zu hohen Abgaben, die schaftstätigkeit, die Arbeitsplätze sichert oder damit verbunden sind, und eine falsche Währungs- schafft, steuerlich bestraft wird. politik. Sie reden immer von der stabilen Mark. Sie Wissen Sie, wer inzwischen die Bundesrepublik wissen ganz genau: Diese Mark ist ständig überbe- Deutschland allein bezahlt? Das sind die Arbeitneh- wertet. Der billige Urlaub in Bangkok kostet uns merinnen und Arbeitnehmer und die kleinen und Tausende von Arbeitsplätzen. Machen Sie endlich mittelständischen Unternehmen. Die großen Kon- reale Wechselkurse, dann würde es der Wirtschaft zerne und die Banken haben sich aus der Finanzie- wesentlich bessergehen. rung der Bundesrepublik Deutschland längst verab- Natürlich muß ich auch noch einen Satz zur Situa- schiedet. Die, die zahlen, werden aber noch perma- tion in den neuen Bundesländern sagen. Ich höre das nent bestraft. gerne - es wird immer so gönnerhaft davon gere- (Beifall bei der PDS) det -: Wir werden die Förderung nicht einstellen. Das Die zu verteilenden Mittel im Haushalt sind doch Hauptproblem ist: Die industriellen Kerne sind zer- nur deshalb so knapp, weil sich diese Bundesregie- stört, und wenn sie nicht wiederhergestellt werden, rung weigert, das Geld dort einzunehmen, wo es la- wird es eine eigenständige Wirtschafts- und Finanz- gert. Sie sparen bei den Sozialhilfeempfängerinnen entwicklung in den neuen Bundesländern nicht ge- und Sozialhilfeempfängern, bei den Arbeitslosen, bei ben. Sie werden auf die Hilfe der anderen Bundes- den alleinerziehenden Müttern, bei Obdachlosen, im länder angewiesen sein, und das schafft Demüti- Kultur- und Bildungsbereich, also in all den Berei- gung. chen, in denen es um sozial Schwache oder um Zu- Ich sage Ihnen noch eines: Jetzt kämpfen plötzlich kunft oder Jugend geht. Aber es wäre nicht nur so- alle um PDS-Wählerinnen und PDS-Wähler. Selbst zial gerechter, sondern auch viel einträglicher, wenn der große Run auf die ehemaligen SED-Mitglieder ist Sie sich endlich entschließen könnten, das frei vaga- plötzlich gestartet worden. Ich wünsche Ihnen allen bundierende Kapital von rund 750 Milliarden DM an- viel Erfolg damit. zugreifen. Es wäre sozial gerechter, arbeitsplatz- schaffender und einträglicher, wenn Sie die spekula- (Heiterkeit bei der PDS) tiven Geldgeschäfte an Börsen und Banken wesent- Nur, auch das sage ich Ihnen: Ihre Politik der perma- lich höher besteuern würden. nenten sozialen und politischen Ausgrenzung in den Es wäre sozial gerechter, arbeitsplatzschaffender neuen Bundesländern hat zu den Verwerfungen ge- und einträglicher, wenn Sie endlich dafür sorgen führt, mit denen wir es heute zu tun haben. würden, daß die Unternehmen mit hohen Gewinnen Versuchen Sie nicht, die Bürger dort pauschal in und wenig Beschäftigten mehr in die Versicherungs- systeme einzahlen müssen und jene mit hohen Be- Gute und Böse einzuteilen. Das wird Sie nicht weiter- bringen. Wer die deutsche Einheit will, der muß auch schäftigungszahlen endlich entlastet werden. Das ist die Menschen aus den neuen Bundesländern wollen etwas, wie man Lohnnebenkosten reformieren kann. und darf sich nicht selektiv aussuchen, welche er Orientieren Sie die Einzahlungen der Unternehmen in die Versicherungssysteme doch nach Umsatz und mag und welche er nicht mag, welche er benachtei- ligt, welche er durch Rente bestraft, welchen er Alt- Gewinn und genau nicht nach der Zahl der Beschäf- schulden aufdrückt und welche er politisch diskrimi- tigten und der Höhe des Bruttolohns! Das wäre eine niert. Das ist Ihre Politik seit fünf Jahren. Maßnahme für und nicht gegen Arbeit, so wie es ge- genwärtig aussieht. Wer hindert denn die Bundesre- (Beifall bei der PDS) gierung daran, solche Reformen durchzuführen? Seit fünf Jahren nutzen Sie nicht die Erfahrungen (Beifall bei der PDS - Gerhard Zwerenz der Menschen aus den neuen Bundesländern. Wir [PDS]: Ihre Lobby!) haben zwei Systeme erlebt. Das macht problembe- wußter. Wir können Ihnen sagen, was alles nicht - Das ist sehr richtig. funktioniert, weil wir das schon erlebt haben. Des- Es wäre auch sozial gerechter, arbeitsplatzschaf- halb können wir Ihnen sagen, daß Ihre Politik ver- fender und einträglicher, endlich eine ökologische fehlt ist. Menschen, die zwei Systeme erlebt haben, Steuerreform durchzuführen. Das gleiche gilt für den sind in besonderem Maße in der Lage, problembe- Umstand, daß man hohe Erbschaften und hohe Ver- wußt für Vernderungen einzutreten. Das haben Sie mögen natürlich anders besteuern und die wirklich nie ernst genommen. Das haben Sie zu keinem Zeit- Besserverdienenden zu einer Mehrabgabe heranzie- punkt zur Kenntnis genommen. Sie sind entweder hen muß. gönnerhaft, oder Sie bestrafen. Das ist Ihre Politik in bezug auf die neuen Bundesländer. Das muß letztlich Und dann wundern Sie sich, daß sich die Bevölke- zu einem Fiasko führen. rung in einer Zeit, in der Sie Sozialabbau betreiben und bei allem von Kürzungen reden, aufregt, wenn Der Umgang mit den Altschulden zeigt das ganz sich die Bundestagsabgeordneten selber phanta- deutlich. Nichts gilt aus der DDR; alles verwerfen 5790 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Gregor Gysi Sie. Nur die Altschulden sollen die einzig wahre den Haushalt zu sprechen, sondern uns noch einmal Größe sein. Diese haben Sie erst den Betrieben auf- der ethischen Grundlagen und auch der praktischen gebürdet, um sie kaputtzumachen, dann den Woh- Pflichten unserer Politik der Friedenswahrung und nungsgenossenschaften, und jetzt wollen Sie auch der Friedenssicherung zu vergewissern. noch die Kommunen zerstören. Dagegen werden wir auftreten. Militärbischof Dr. Löwe hat bei dem ökumenischen Gottesdienst zum 40jährigen Bestehen der Bundes- Übrigens: Wir bekommen in den neuen Bundes- wehr hier in Bonn Worte gesagt, für die ich ihm ländern so viel Zuspruch, weil wir versuchen, diese dankbar bin. Das habe ich auf der Tagung der EKD- Probleme einfach zu artikulieren, weil wir psycholo- Synode am Sonntag auch zum Ausdruck gebracht. gisch anders mit den Problemen umgehen und weil Er sagte: wir Verständnis für das sehr unterschiedliche Leben Wofür Soldaten einstehen, das ist nicht schon der der Menschen in den neuen Bundesländern haben. Friede Gottes. Aber den irdischen Frieden, die Ich komme damit zu meinem letzten Satz: Der ei- Abwesenheit von Krieg, die wir zusammen mit gentliche Anspruch für eine solche Bundesregierung, der Politik ganz wesentlich auch der Bundeswehr Herr Bundeskanzler, müßte darin bestehen, Fort- verdanken, dürfen wir nicht selbstverständlich schritte in Richtung Zivilisation zu erreichen. Dazu nehmen, nicht gedankenlos wahr sein lassen. würde zum Beispiel gehören, daß in der Politik der Der Militärbischof hat die Soldaten in seiner Dan- Bundesregierung Bildung und Kultur einen höheren kesrede als „Diener des Friedens" bezeichnet. Das Stellenwert bekommen. Ich sehe diesen Abbau in hat ihnen gutgetan, und ich denke, das ist auch eine den alten und in den neuen Bundesländern. Ich geglückte Formulierung. warne vor diesem Abbau. Überall, wo wir Bildung und Kultur abbauen, bauen wir auch Liberalität, Hu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- manismus und Zukunft ab. Machen Sie diesbezüg- wie bei Abgeordneten der SPD) lich endlich eine andere Politik! Machen Sie wirklich einmal Reformen, um die Massenarbeitslosigkeit und Die Bundeswehr bereitet sich in diesen Tagen zu- die soziale Ausgrenzung in dieser Gesellschaft end- sammen mit den Streitkräften der Verbündeten und lich zu beenden! Partner darauf vor, ihren Beitrag zu leisten, daß die leidgeprüften Menschen im früheren Jugoslawien (Beifall bei der PDS) endlich wieder in Gerechtigkeit und Frieden leben können. Krieg, Folter und Vertreibung dürfen nicht das letzte Wort behalten. Es geht darum, der humani- Ich erteile dem Bundes- Vizepräsident Hans Klein: tären Hilfe, dem Wiederaufbau und vor allem auch minister der Verteidigung, Volker Rühe, das Wort. der Versöhnung zwischen den Völkern eine neue Chance zu geben. Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Der Präses der Synode der EKD, Dr. Jürgen Beginn eine Bemerkung zum Haushalt: Ich möchte Schmude, ein früherer geschätzter Kollege aus der mich bei dem Finanzminister sowie bei den Verteidi- Fraktion der Sozialdemokratischen Partei, schrieb gungs- und Haushaltspolitikern der Koalition bedan- vor zwei Jahren: ken. Denn ich weiß, daß es angesichts der allgemei- Menschenrechtsverletzungen sind eine grau- nen Finanzschwierigkeiten nicht einfach ist, einen same Realität in unserer Welt. Sie gehen uns alle stabilen Haushalt im Bereich der Verteidigung vorzu- an. Sie sind nicht eine innere Angelegenheit des legen. Aber genau das ist gelungen. Wir sind weiter- Einzelstaates, sondern der gesamten Staatenge- hin gezwungen, äußerst sparsam zu sein. Aber das meinschaft. Wort gegenüber den Soldaten, daß wir eine stabile Haushaltsperspektive in den nächsten Jahren haben, So weit Jürgen Schmude. Ich denke, er hat recht. ist gehalten worden. Außen- und Sicherheitspolitik muß Krisen und Das, was die Bundeswehr an Einsparungen durch Konflikten vorbeugen oder sie am Ort ihres Entste- Rationalisierung und auch durch Personalabbau er- hens eindämmen, in erster Linie mit politischen, di- bringt, wird schon im Haushalt des nächsten Jahres plomatischen und wirtschaftlichen Mitteln. Aber po- für mehr Investitionen bis hin zu einem Anteil von litisches Verhalten kann scheitern, wenn nicht die 25 Prozent genutzt. Das ist auch notwendig, um die Bereitschaft dahinter steht, notfalls auch mit militäri- Bundeswehr in eine moderne Zukunft zu führen. Wir schen Mitteln denen in den Arm zu fallen, die eben sind zuversichtlich, daß wir Ende der 90er Jahre auf nicht friedenswillig sind. Militärische Gewalt allein einen Anteil von 30 Prozent kommen können. kann zwar keinen dauerhaften Frieden schaffen. Wenn aber die politischen Mittel erschöpft sind, Ich denke, angesichts der Konferenz in Dayton, dann können Streitkräfte als äußerstes Mittel Ag- Ohio, wo in den nächsten Tagen wirklich viel auf gression verhindern oder den Weg zur politischen dem Spiel steht und wo im Falle eines Friedensab- Lösung wieder ebnen, so wie wir es hoffentlich im kommens, wie es das bisher noch nicht gegeben hat, Jugoslawien-Konflikt erleben. möglicherweise der Einsatz von NATO-Soldaten un- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ter Einschluß der Bundeswehr für erforderlich gehal- ten wird, aber auch angesichts der letzten Entschei- Der Einsatz militärischer Mittel kann sehr unmora- dung des Bundesverfassungsgerichts stände es uns lisch sein; wir haben das häufig genug in der Ge- gut an, in dieser Debatte nicht nur über Zahlen und schichte erlebt. Aber es kann ebenso unmoralisch Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5791

Bundesminister Volker Rühe sein, Soldaten nicht einzusetzen, wenn ihr Einsatz Zwar stellt das Ge richt fest, daß die we rtende Gleich- notwendig ist, um Menschenrechtsverletzungen zu stellung eines Soldaten mit einem Mörder eine tiefe stoppen. Kränkung ist,

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so (Zustimmung bei der F.D.P.) - wie bei Abgeordneten der SPD) der verallgemeinernde Gebrauch aber ist weiterhin Dafür gibt es genug Beispiele aus der jüngsten Ge- straffrei. Zudem ist die Entscheidung des Bundesver- schichte. fassungsgerichts wieder einmal nicht so eindeutig, wie es notwendig gewesen wäre, um Rechtsfrieden Worum es also geht, ist der verantwortliche Ge- zu bekommen. brauch von Macht, auch von militärischer Macht, zu (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sittlichen Zwecken. Denn wir können selbst auf Dauer nur dann in Frieden leben - auch hier in Klar muß sein: Das Recht auf Meinungsfreiheit ist Deutschland -, wenn auch andere Völker in Europa kein Freibrief, die Würde unserer Soldaten zu verlet- in Frieden leben. zen. Schließlich haben unsere Soldaten 40 Jahre lang gemeinsam mit den Truppen der Alliierten dafür ge- Die letzten Wochen haben gezeigt, daß unser maß- sorgt, daß die Freiheit, auch die Meinungsfreiheit, volles Vorgehen von einem wachsenden Konsens in geschützt wird. Dann aber kann man nicht im Na- Deutschland getragen wird. Ich freue mich übrigens, men der Meinungsfreiheit den Soldaten den notwen- Herr Verheugen, daß Sie auf der Tagung des Bundes- digen Ehrenschutz verweigern. wehrverbandes, wie mir berichtet worden ist, diesen Satz voll unterschrieben haben: daß es sehr unmora- Unser Staat verpflichtet die jungen Männer zum lisch sein kann, Soldaten nicht einzusetzen, um ge- Waffendienst, zum Wehrdienst, und verlangt von ih- gen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Ich nen Gehorsam. Wir, der Deutsche Bundestag, tun glaube, daß die Lage in Jugoslawien ganz offensicht- dies. Wir haben die entsprechenden Gesetze be- lich ist. schlossen. Ich finde - da stimme ich mit dem überein, was als Minderheitsmeinung formuliert worden ist -: Die Soldaten brauchen diesen Konsens. Wer näm- Ein Staat, der auf Grund seiner Rechtsordnung, auf lich bereit ist, in letzter Konsequenz mit Leib und Le- Grund der Gesetze, die im Parlament verabschiedet ben für unseren Frieden und unsere Freiheit einzu- werden, junge Männer bezüglich des Wehrdienstes, stehen, der hat Anspruch auf Unterstützung durch des Waffendienstes in die Pflicht nimmt, der hat die uns alle. verdammte Pflicht und Schuldigkeit, sie auf jede Weise vor jeder Ehrverletzung zu schützen. Damit komme ich zum Beschluß des Bundesverfas- sungsgerichts. Er ist nicht zu einem Zeitpunkt des (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- tiefsten Friedens erfolgt, sondern zu einem Zeit- wie bei Abgeordneten der SPD) punkt, in dem wir zur Kenntnis nehmen müssen, daß schon heute tagtäglich Soldaten der Bundeswehr ihr Ich und Sie alle mit mir, wir haben doch die Rufe Leben riskieren und es auch verlieren, damit all das während des Zapfenstreiches hier in Bonn, aber auch verhindert wird, von dem ich hier gesprochen habe. während des Zapfenstreichs in Erfurt, bei vielen Ge- In einer solchen Situation haben die Soldaten einen löbnissen gehört: „Mörder! Mörder!" Das ist nicht im noch größeren Anspruch auf Unterstützung und ent- Sinne von Tucholsky. Es ist auch nicht die serbische sprechende Würdigung ihrer Arbeit. Soldateska, die damit angesprochen worden ist. An- getreten sind vielmehr die Wehrpflichtigen der Bun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so deswehr. Es muß verdammt noch mal strafbar sein, wie bei Abgeordneten der SPD) wenn in diesem Zusammenhang von Mördern ge- sprochen wird. Wir müssen davon ausgehen, daß das, was die deutschen Soldaten im Zusammenhang mit der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- NATO-Mission leisten müssen, kein Spaziergang ist. wie bei Abgeordneten der SPD) Ich selbst habe es erlebt: Unsere Transall-Maschinen Was wir brauchen, ist Klarheit. Die Justiz muß den sind mit Kanonen und Raketen beschossen worden. Ehrenschutz für die Soldaten eindeutig gewährlei- Mit viel Glück ist ein Abschuß verhindert worden. sten. Ich hoffe, daß die Gerichte, an die die Verfahren Plötzlich aber haben wir sieben Soldaten auf einem zurückgegangen sind und auf die eine zukünftige Routineflug verloren. Wir müssen immer damit rech- Entscheidung zukommt, die notwendige Klarheit nen, daß Soldaten in Ausübung ihres Berufes zum herstellen. Wenn nichts anderes hilft - da bin ich für Opfer werden können. Das ist ein weiterer Grund da- das dankbar, was Wolfgang Schäuble gesagt hat -, für, daß wir mit ihnen ganz besonders sorgfältig um- müssen wir über gesetzgeberische Konsequenzen gehen müssen. nachdenken. Das Bundesverfassungsgericht hat erneut über die Ich sage es noch einmal: Die Gefahr für Leib und Äußerung „Soldaten sind Mörder" entschieden. Ich Leben unserer Soldaten wird zunehmen. Von daher meine, die Soldaten der Bundeswehr und wir alle wächst unsere Verantwortung gegenüber den Solda- können damit nicht zufrieden sein. ten, dies klarzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Vors it z : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) 5792 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundesminister Volker Rühe Nächsten Sonntag, am 12. November 1995, dem sind nicht bekannt. Dennoch wird von der Koalition 240. Geburtstag Scharnhorsts, legen junge Wehr- stets die Plafondgarantie für den Einzelplan 14 be- pflichtige aller drei Teilstreitkräfte in Bordenau, dem tont. Sie haben die Zusicherung gegeben. Herr Mini- Geburtsort des Reformers, ihr Gelöbnis als Soldaten ster, Sie haben sich beim Finanzminister noch einmal der Bundeswehr ab. Ich werde dort sein und bin ausdrücklich bedankt, daß sie noch gewährt bleibt, dankbar dafür, daß Vizepräsident Klose dort spre- obwohl sie mit 183 Millionen DM unterlaufen wird,- chen wird. und Sie haben sich bei den Berichterstattern der Ko- alition bedankt, obwohl die Plafondgarantie schon Wir setzen damit ein Zeichen, daß die Bundeswehr gar nicht mehr existiert. Meine Damen und Herren, die Armee der deutschen Demokratie ist. Freiheit, diese Plafondgarantie beinhaltet neben der Absichts- Menschenwürde, Recht und Hilfe sind Werte, für die erklärung, das verteidigungspolitisch Notwendige im die Bundeswehr seit 40 Jahren einsteht und für die Haushalt abzusichern, zugleich aber auch das Einge- sie auch in der Zukunft mit wachsendem Risiko für ständnis der Tatsache, daß der Wehretat jahrelang die Soldaten einstehen wird. Dafür verdienen sie un- heruntergefahren worden ist, und zwar nicht nur auf ser aller Unterstützung. Grund der international vereinbarten Abrüstung und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so der Truppenreduzierung, sondern auch auf Druck wie bei Abgeordneten der SPD) des Finanzministers: 1994 durch eine allgemeine Haushaltssperre in einem riesigen Umfang und 1995 durch pauschale Sperren, zum Beispiel bei allen Posi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Ernst Kastning, SPD. tionen, die die Datenverarbeitung angehen, die für die Streitkräfte nicht gerade unwichtig sind. Die Folge ist, daß leider personalpolitisch überfällige Ernst Kastning (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Maßnahmen unterblieben sind. Wir sind uns darin men und Herren! Lassen Sie mich, da das Thema einig, daß im Laufe der letzten Jahre eine Überalte- wieder ganz aktuell geworden ist, wenigstens eine rung der Ausrüstung der Bundeswehr in vielen Be- kurze Bemerkung zum Urteil des Bundesverfas- reichen die Folge war. sungsgerichts machen. Ich mache es wirklich kurz, weil ich denke, daß wir heute auch ein paar Worte Die Plafondgarantie soll, wenn ich es richtig ver- zum Verteidigungshaushalt verlieren sollten. Ich be- stehe, von seiten der Bundesregierung ein besonde- trachte jedenfalls meine Aufgabe als Haushälter im res Maß an Fürsorge für die Bundeswehr ausdrük- wesentlichen in dieser Richtung. ken. Aber während Sie stets aufs neue betonen, wie sehr Sie die Arbeit der Streitkräfte und der Men- Ich bin davon überzeugt, daß dieses Urteil des schen, die in ihnen Dienst tun, schätzen, werden von Bundesverfassungsgerichts ein Fortschritt ist - das der Koalition in den nichtöffentlichen Haushaltsbera- sollten wir befriedigt aufnehmen - gegenüber dem, tungen - auch das muß man einmal erwähnen dür- was wir noch vor Monaten an Rechtsprechung hat- fen - Millionen für die finanzielle Absicherung eben ten. Damals gab es helle Aufregung - überwiegend dieser Arbeit hin- und hergeschoben, binnen weni- berechtigt, muß ich sagen; demgegenüber ist es ein ger Monate, ja, binnen weniger Wochen, gerade so, Fortschritt -, ich will aber auch für meine Person er- als sei die Bundeswehr ein Brettspiel, wo man nach klären: Wir sollten nicht in diesen Tritt verfallen, den Belieben die Figuren neu setzen und dann auch noch wir immer pflegen, wenn irgendwo etwas passiert ist, im Laufe von wenigen Wochen die Spielregeln nach nach neuen Gesetzen zu rufen, sondern ich halte es Belieben ändern kann. für richtig und wichtig, in den zuständigen Aus- schüssen und hier im Plenum zu prüfen, was denn (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Na, na! machbar ist, auch im strafrechtlichen Sinne. Wir soll- Das nehmen Sie aber sofort zurück!) ten gemeinsam dafür eintreten, daß das vorhandene Recht angewendet wird, und zum anderen sollten - Herr Rossmanith, lieber Kurt, du hast dich an dem wir versuchen, gemeinsam zu erreichen, daß der ge- Spiel locker beteiligt, manchmal zu meinem Erstau- sellschaftliche Konsens, die Bundeswehr betreffend, nen in einer Art und Weise, daß ich schon die Seriosi- gefestigt wird; denn ich denke, daß solche Bezeich- tät der Beratungen anzuzweifeln begann. nungen, wie sie hier vor Gericht standen, auch nur in einem ganz bestimmten gesellschaftlichen Klima ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege deihen können, und zwar in Sachen Sicherheits- und Kastning, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Verteidigungspolitik. legen Breuer? (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, der Verteidigungshaus- Ernst Kastning (SPD): Wenn meine Zeit nicht wei- terläuft, Herr Präsident. halt ist in Umfang und Struktur Ausdruck der Sicher- heits- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik, im guten wie im schlechten. Er kann und darf aber Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das wird nicht nicht losgelöst von unserer volkswirtschaftlichen angerechnet. - Bitte. Kraft, von der Finanzlage und von der Gesamtheit der übrigen Staatsaufgaben betrachtet werden. Paul Breuer (CDU/CSU): Herr Kollege Kastning, In diesen Wochen ist viel vom Milliardenloch des ist es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß in den Bundesfinanzministers die Rede gewesen, auch letzten Jahren seitens Ihrer Bundestagsfraktion, ge- heute wieder. Hinreichende Deckungsvorschläge gen den Willen der Verteidigungspolitiker zum Bei- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5793 Paul Breuer spiel, ständig Anträge zur Reduzierung des Verteidi- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Kol- gungshaushaltes gestellt wurden? lege Koppelin. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Steinbruch!) Jürgen Koppelin (F.D.P.): Herr Kollege Kastning, ist Ihnen, als Sie den Haushalt lasen, vielleicht doch Wenn Sie hier lautstark auftrumpfen und sagen, daß entgangen, daß gerade die Koalition einen entschei- die Koalition der Bundeswehr schaden würde, muß denden Schritt für die Wehrpflichtigen getan hat, in- ich Ihnen sagen: In jedem Jahr war es so, daß Frau dem wir nämlich die Mobilitätszulage eingeführt ha- Matthäus-Maier das Geld für den Bundeswehretat ben, und ist Ihnen vielleicht entgangen, daß wir da schon irgendwo anders verarbeitet hat. trotz der knappen Mittel, genau gesagt 101 Millionen DM zur Verfügung stellen, was ja gerade kein Pap- Ernst Kastning (SPD): Herr Breuer, es wird Sie penstiel ist? Ist das nicht eine großartige Leistung für nicht verwundern, daß ich sehr erstaunt gewesen unsere Wehrpflichtigen? wäre, wenn Sie sich heute während meines Redebei- trages nicht gemeldet hätten. Ich kann Ihnen sagen: (Zuruf von der SPD: Drei-Klassen-Wehr- Ich habe mir, bevor ich am Beginn dieses Jahres die- pflichtige!) ses Amt des Berichterstatters übernahm - Sie wissen ja, daß ich noch neu bin in dem Geschäft -, die An- Ernst Kastning (SPD): Erstens, Herr Kollege Kop- träge angesehen, und ich habe festgestellt, daß aus pelin, wissen Sie aus Berichterstattergesprächen der SPD zum Beispiel für den Haushalt 1994 in der ganz genau, daß ich den Haushalt sehr aufmerksam zweiten Lesung ein Antrag gestellt worden ist, der zu lesen pflege, ja sogar manchmal den Koalitions- nicht einfach so pauschal sagte: „Kürzen!", in dem kollegen Berichterstattern auf die Sprünge helfen vielmehr ganz differenziert einzelne Titel angeschaut muß, weil sie etwas übersehen. Also, ich lese sehr ge- wurden und geprüft wurde, ob man das Geld nau. braucht oder nicht. Ich gedenke diesen Arbeitsstil (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Das ist mir ent- fortzuführen. Das ist das eine. gangen bisher!) Das zweite ist - das werden Sie ja wohl nicht be- - Ja, da müssen Sie etwas besser aufpassen. streiten können -, daß es die Koalition und die Bun- desregierung im Laufe der letzten Jahre fertigge- Zweitens ist mir das überhaupt nicht entgangen. bracht haben, eine Kürzung von über 6 Milliarden Mir ist ebenfalls nicht entgangen, daß Sozialdemo- DM in die Tat umzusetzen. Das heißt: Sie haben im kraten diesem Passus, der den Mobilitätszuschlag Grunde genommen nur das nachvollzogen, was die enthält, im Verteidigungsausschuß zugestimmt ha- Opposition mal gedanklich auf das Papier gebracht ben. Ferner ist mir nicht entgangen, daß der Mobili- hat. Da Sie regieren, tragen Sie dafür auch die Ver- tätszuschlag in der Praxis bedeutet: Schaffung von antwortung; das ist doch wohl außer Frage. drei Gruppen, um nicht zu sagen: drei Klassen unter den Wehrpflichtigen. (Beifall bei der SPD) Unsere Wehrpflichtigen, die einen Dienst für unser (Beifall bei der SPD) Land, für unsere Gemeinschaft leisten, werden vom Ich komme auf den Einwand des Herrn Nolting Verteidigungsminister mit netten Worten bedacht. gleich zurück. - Ich frage Sie: Wie wollen Sie erklä- Das ist soweit gut. Aber Taten folgen dieser Wert- ren, daß von drei Kameraden in einer Stube zwei schätzung nicht. Es ist mehr als drei Jahre her, daß sind, die auf Grund dieses Zuschlages 30 Prozent der Wehrsold zum letzten Mal erhöht worden ist. Die mehr Wehrsold bekommen, während der dritte, der Bundestagsfraktion der SPD hat im Haushaltsaus- sogenannt heimatnah untergebracht oder eingezo- schuß den Antrag gestellt, hier endlich eine Verbes- gen ist, diese 30 Prozent nicht bekommt? Herr Nol- serung herbeizuführen und den Sold eines jeden ein- ting sprach von den Kosten der Wehrsolderhöhung: zelnen Wehrdienstleistenden in diesem Jahr um 105 Millionen DM. 2 DM pro Tag zu erhöhen. Dies haben die Koalitions- fraktionen abgelehnt. Es kann doch wohl nicht an (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Nein, den dafür nötigen 105 Millionen DM gelegen haben. ich meinte, die anderen Kameraden haben Wenn Sie wieder einmal zu den Wehrdienstleisten- höhere Kosten, weil sie längere Wege zu- den gehen und mit ihnen sprechen, dann sagen Sie rückzulegen haben!) ihnen die Wahrheit; sagen Sie: „Ihr habt unsere - Entschuldigung, aber sie bekommen schließlich Wertschätzung, aber 2 DM mehr am Tag für jeden das Fahrgeld ersetzt. Oder müssen die auf eigene von euch - das ist nach unserer Ansicht nicht drin." Rechnung zum Standort fahren? Das habe ich noch (Beifall bei der SPD) nicht erlebt. Sie kürzen auch noch das Weihnachtsgeld und das (Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/ Entlassungsgeld. CSU]) - Ist ja gut, Herr Rossmanith. - Ich will Ihnen nur sa- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege gen: Das ist eine Maßnahme. Kastning, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage? Die andere ist, daß Sie die Wehrpflichtigen in Gruppen aufteilen und daß Sie sagen: Ihr, die ihr hei- Ernst Kastning (SPD): Ja, bitte. matnah untergebracht seid, könnt mit dem Wehrsold 5794 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Ernst Kastning von vor drei Jahren weiterleben; das ist der Dank des und dadurch Lücken entstehen, die gerade auf be- Vaterlandes für die Erfüllung eurer Pflicht. stimmten Spezialgebieten in der Zukunft kaum zu schließen sein werden. Statt dessen haben Sie das Geld lieber für VIP- Hubschrauber und ähnliches für Spitzenpolitiker Wir sagen ja zur Optimierung der Betriebsabläufe, ausgegeben. Nebenbei bemerkt, Frau Karwatzki, aber nein zu personeller und infrastruktureller Aus- - was die Hubschrauber angeht: Wenn sie dazu dien- hungerung von Einrichtungen, die letztendlich nur ten, das große Milliardenloch von der Luft her aufzu- dazu dient, eines Tages wegen absehbar entstehen- klären und dessen Ausmaße zu erkennen, könnte der Mängel in der Aufgabenerfüllung mit dem Knüp- man noch zustimmen. Aber diese Absichtserklärung pel der Privatisierung zu drohen. der Regierung liegt leider nicht vor. Meine Damen und Herren, immer wieder wird von Meine Damen und Herren, die Verweigerung der der Truppe selbst und von Politikern - wir nehmen Wehrsolderhöhung hat noch einen anderen Beige- uns da nicht aus - die mangelnde Attraktivität der schmack. Es muß doch in den Ohren der Betroffenen Bundeswehr beklagt. Ich habe heute einer Ticker- schon zynisch klingen, wenn Sie, jedenfalls in den meldung entnommen, daß das drohende Personal- Ausschußberatungen, sagen - das können Sie nicht loch bei den Zeitsoldaten inzwischen dadurch ge- bestreiten -: Wir wollen die Erhöhung nicht, weil sie schlossen werden soll, daß man Soldaten als Zeitsol- indirekt auch den Zivildienstleistenden zugute daten akzeptiert, die nicht die volle Wehrfähigkeit kommt. Das nenne ich einen Keil treiben zwischen haben. Aber daß das Loch dasein wird, Herr Mi- zwei Gruppen von Menschen, die nach dem Gesetz nister, können Sie nicht bestreiten. Wir haben im ihren Dienst tun. Haushalt schon von Zeitsoldaten zu Grundwehr- dienstleistenden umgeschichtet. Wenn das so ist, (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Weng Herr Rühe, müssen auch ein paar fundierte Vor- [Gerlingen] [F.D.P.]: Frei erfundene Äuße schläge zur Beseitigung dieses Mißstandes her. Dann rung!) kann man die jungen Männer nicht nur mit ganzsei- - Das ist keine frei erfundene Äußerung. Herr Au- tigen Zeitungsanzeigen dafür begeistern, daß sie stermann muß das heute bestätigen, wenn er nicht ihren Dienst tun. lügen will. Steigern Sie die Attraktivität unter anderem da- Meine Damen und Herren, ich denke, beiden durch, daß Sie den Soldaten gute Berufsperspektiven Gruppen, Wehrdienst- und Zivildienstleistenden, ge- geben! Ein Beispiel dafür wäre die von uns ange- bührt der Respekt des Parlaments und der Dank für regte Feldwebellaufbahn. ihren Einsatz, für ihr Engagement. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Die für diese Maßnahme erforderlichen und verhält- Sowenig wir im Grad der Anerkennung beider Grup- nismäßig geringen Kosten würden sich meines Er- pen Unterscheidungen vornehmen sollten und dür- achtens tausendfach zugunsten von besser ausgebil- fen, so wenig sollten und dürfen wir es zulassen, daß deten Führern in der Truppe, größerer zivilberufli- mit Mitteln der Haushaltspolitik die eine Gruppe ge- cher Anerkennung und besseren Chancen für den gen die andere ausgespielt wird. Aufstieg auszahlen. Sie haben sich diesem Vorschlag leider vom Hause und vom Ressort aus verweigert. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich immer für eine Reduzierung der Streitkräfte eingesetzt, soweit Ein breiter Konsens über zentrale Fragen der Si- sich dies im Rahmen der sicherheitspolitischen Inter- cherheits- und Außenpolitik ist wichtig. Es ist gut, essen der Bundesrepublik Deutschland vertreten daß er sich abzeichnet und in weiten Bereichen be- reits erkennbar vorhanden ist. Das schließt ein, daß ließ. Der Truppenabbau etwa im Rahmen der inter- national vereinbarten Abrüstung stand und steht für wir Sozialdemokraten - das sage ich hier ganz offen - uns außer Frage. Es ist allerdings nicht hinnehmbar, dazu bereit sind, aus diesen Übereinstimmungen er- Herr Minister, wenn der personelle Abbau und die wachsende finanzielle Belastungen mitzuverantwor- Schließung von Standorten sowie Bundeswehrein- ten und mitzutragen. Dies ist einer der Gründe dafür, richtungen - nicht nur militärischen Standorten - daß wir unverantwortlichen Anträgen, wie sie etwa nicht rational nachvollziehbar vonstatten geht. durch Bündnis 90/Die Grünen mit der parlamentari- schen Initiative zur Streichung aller Beschaffungs-, Ich sage Ihnen meine Position: Wenn dem nicht Forschungs- und Entwicklungskosten für die Krisen- zwingende militärische Notwendigkeiten entgegen- reaktionskräfte und darüber hinaus vorgelegt wor- stehen, müssen auch regionalpolitische Aspekte in den sind, nicht zustimmen können. Standortentscheidungen jeglicher Art einfließen. Frau Kollegin Beer, Sie haben uns - ich glaube, es Gerade weil die Kommunen unter der Politik dieser war in der „Zeit" - menschenverachtende Politik un- Bundesregierung, die die weitestgehende Abwäl- terstellt, weil wir Ihrem Antrag auf Streichung von zung finanzieller Verantwortung auf Städte und Ge- nicht zugestimmt haben. Ich meinden zur Richtschnur erhoben hat, zu leiden ha- Mitteln für die Minen sage Ihnen: Wir haben eine Haushaltssperre bean- ben, ist die Regierung, ist der Bund hier besonders in tragt, um zu erfahren, was geschieht. Wir bleiben bei der Pflicht. dieser Linie der konkreten, sachlichen Diskussion. Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen: Es Ich sage weiter: Wir haben letztlich interfraktionell kann auch nicht angehen, daß - wie etwa im Bereich erreicht - das wurde schon heute morgen angespro- der Wehrtechnik - Personal pauschal abgebaut wird chen -, daß im Einzelplan 05 Mittel für die Minenräu- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5795 Ernst Kastning mung in den Entwicklungsländern eingesetzt wer- im Laufe eines Jahres Mittel so hin- und herschiebt, den. der schadet der Bundeswehr, weil er damit das Ver- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ständnis in der Bevölkerung für die Sicherheitsaufga- ben bei knappen Kassen wirklich tangiert und ge- Ich darf Ihnen versichern: Sowohl an dieser Maß- fährdet. nahme wie an der anderen werden wir dranbleiben. (Beifall bei der SPD) Es hat mich geradezu vom Stuhl gehauen, was Herr Zwerenz von der PDS vorhin gesagt hat, näm- Meine Damen und Herren, ich könnte für dieses lich daß wir nicht mehr bedroht würden und deshalb Jahr eine Reihe von Beispielen dafür aufzeigen, wie keine Bundeswehr mehr bräuchten. So habe ich ihn auch beim Verteidigungsetat bei den Haushaltsbera- verstanden. Das kommt mir so vor, als würde in dem tungen offenbar nicht sachgerecht vorgegangen wor- kleinen Dorf, in dem ich wohne, der Bürgermeister den ist. sagen: Wir brauchen keine Feuerwehr. Wenn es dann brennt, sammelt er in der Gemeinde, und wenn (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das wei- er das Geld zusammen hat, dann ruft er eine große sen wir zurück!) Firma in Ulm an und fragt: Wann könnt ihr denn das Feuerlöschfahrzeug liefern? Dann braucht man aber Herr Kollege Austermann, wenn ich für die SPD be- nicht mehr zu löschen. antragt habe, bei der Instandsetzung von Kraftfahr- zeugen 10 Millionen DM einzusparen, und Sie das Ich füge hinzu: Dieses Bekenntnis zur Notwendig- ablehnen, weil kein Pfennig übrig sei, und wenn keit von Sicherheitsvorkehrungen beinhaltet nicht - dann auf einmal eine Vorlage aus dem Finanzmini- um wieder zu dem Bild des Dorfbürgermeisters zu sterium kommt, man könne diesen Titel um kommen -, daß ich etwa da, wo kein Hochhaus vor- 80 Millionen DM kürzen, dann frage ich Sie: Wo ist handen ist, eine motorisierte Drehleiter bestelle. da noch ein sachgerechtes Vorgehen? Das ist Willkür. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) So kritisch, sachlich und seriös sollten wir Verteidi- gungshaushalte beraten und dann entscheiden. Sie haben es dann verhindert, weil Sie Angst bekom- men haben; denn die Hälfte aller Bundeswehrfahr- In einer Zeit knapper Kassen müssen eindeutig die zeuge hätte im nächsten Jahr nicht mehr gewartet Mittel Vorrang haben, die der Sicherheit unserer werden können. Soldaten dienen. Dazu gehören eine gute Ausbil- dung und das notwendige Material und Kampfgerät, ( [CDU/CSU]: Was könnte das den Soldaten diese Sicherheit gewährt. Soldaten man mit solch einer Redezeit alles anfan- einsetzen heißt auch, Verantwortung für diese Men- gen? Mein lieber Mann!) schen und ihre Familien zu übernehmen. Wenn die Garantie des Kabinetts, den Verteidi- Ich könnte noch mehrere Beispiele nennen. gungshaushalt nicht anzutasten, dazu dient, diese Ich habe eine Kürzung um 5 Millionen DM bei der Aufgaben zu erfüllen, dann gehen wir so weit mit. Bewirtschaftung von Grundstücken, Gebäuden und Wir gehen aber nicht mit, wenn die Plafondgarantie Räumen vorgeschlagen, weil man davon ausgehen dazu dienen soll, willkürliche Maßnahmen und kann, daß es technische Investitionen gibt, die zu Er- schludrige Haushaltspolitik zu kaschieren. Wir ge- sparnissen führen. Unmöglich, sagt die Hardthöhe, hen schon gar nicht mit, wenn das Haushaltsrecht re- weil das alles spitz gerechnet sei. In der Bereini- gelrecht verbogen wird, wie das in diesem Jahr bei gungssitzung werden aber kurzerhand 30 Millionen den Mehrkosten für die Entwicklung des Jägers 90, DM in diesem Titel gestrichen. Das kann man ja ein- also des EF 2000, geschehen ist. fach so machen. Dieses Jahr hat an mehreren Beispielen gezeigt, wie man eine Kabinettsgarantie mißbrauchen kann. Meine Damen und Herren, der Haushalt, der hier Es sind mehrere hundert Millionen DM gewesen, jetzt zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt wird, und zwar mehr als im Vorjahr - ich weiß, daß man trägt nicht die Züge sinnvoller Planung, sondern eher nicht alles auf den Pfennig planen kann -, die man willkürlicher Mehrheitsentscheidungen. hin- und hergeschoben hat und die man schließlich für andere Projekte ausgegeben hat - auch für Pro- Ich möchte noch einen weiteren Punkt kurz an- jekte, von denen selbst Militärs offenbar nicht über- sprechen. Ein trauriges Kapitel ist nämlich die Aus- zeugt sind, daß man sie dringend gebraucht hat -, einandersetzung um die Gelder für die Nachversi- weil die ursprünglich geplanten nicht beschaffungs- cherung der Berufs- und Zeitsoldaten in der Renten- reif waren. versicherung. Da verkündet die Hardthöhe zunächst, sie könne im nächsten Jahr 594 Millionen DM aus Ich denke, Herr Rühe, das darf so nicht weiterge- diesem Ansatz erübrigen. Das sei spitz gerechnet hen. Es darf nicht noch einmal passieren, daß in der und gesetzlich alles in Ordnung. Dann protestiert je- öffentlichen Berichterstattung die Nachricht die mand aus der F.D.P. und offensichtlich Herr Blüm. Runde macht, auf der Hardthöhe mache man sich Daraufhin wird in einer Nachtsitzung vor der Bereini- Sorgen, weil das „Risiko von Minderausgaben" gungssitzung des Haushaltsausschusses gesagt: drohe. Herr Rühe, ich sage Ihnen: Wenn Sie das zu- Nein, 400 Millionen DM müssen zurück, obwohl man lassen, machen Sie es allen schwer. Herr Blüm hat sie schon bei Beschaffungen zugeschlagen hatte. ähnliche Probleme mit Ihnen oder Sie mit ihm. Wer Entweder waren die angesetzten Geldmengen für 5796 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Ernst Kastning die Bundeswehr notwendig, dann müßte ihr die Die Industrie wird sich darauf einstellen müssen, daß Streichung bei der Beschaffung jetzt schaden, hier keine totale Freigabe geschehen kann. Die Re- geln dafür liegen fest; sie müssen eingehalten wer- (Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Was hat denn der den. Zukunftsgerichtete Unternehmen sollten wis- SPD-Vertreter gemacht? Wie hast du denn sen, daß ihr Standbein nicht mehr allein Rüstung sein - gestimmt?) kann, daß sie sich umorientieren sollten. Es gibt da- oder aber die eingesetzten Geldmengen waren nicht für positive Beispiele, die hoffentlich in der Wirt- notwendig, dann waren Spielräume von mehreren schaft Schule machen. hundert Millionen DM vorhanden, und dann hat man Meine Damen und Herren, mir scheint, daß dieser hier gegen eine sparsame Haushaltsführung versto- Verteidigungsetat in seinem Plafond etwa auf der ßen. Höhe von 1995 ausreichen müßte, um eine auftrags- Meine Damen und Herren, ich will ja nur, daß bei gerechte Struktur zu erhalten bzw. herzustellen. allem Bekenntnis zur Bundeswehr und dem, was nö- tig ist, auch dieser Haushalt sachgerecht beraten Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Zeit, Herr Kol- wird und daß dort keine Sparkassen versteckt wer- lege. den, über die sich im Laufe des Jahres auch Koalitio- näre ärgern müssen, weil die Stimmung in der Bevöl- kerung auf den Nullpunkt gebracht wird, was die Ernst Kastning (SPD): Das ist der letzte Satz, Herr Bundeswehr angeht. Präsident. (Beifall bei der SPD) Denn durch die Schaffung von mehr Effizienz kön- nen Mittel von den laufenden Betriebsausgaben auf Noch eine Bemerkung zum Bosnien-Einsatz: Ich Investitionen umgeschichtet werden, und das im Zu- habe zu denen gehört, die zum ersten Einsatz schon sammenhang mit einer wirksamen Investitionspla- ja gesagt haben. Ich leite besonders auch daraus das nung sowie einer gezielteren und kontrollierteren Recht ab, als Haushälter zu fragen, wie der Bosnien Beschaffung. Da dies nicht der Fall ist, werden wir Einsatz finanziert werden soll. Ich möchte ihn, auch Ihnen heute nicht zustimmen können. im nächsten Jahr, wenn denn alles stimmt, Herr Mi- nister, und wenn auch die Soldaten, die da eingesetzt (Beifall bei der SPD) werden, vernünftig ausgestattet sind. Ich habe ge- hört, daß Sie unter anderem Soldaten aus Ost- deutschland mit einer Besoldung da hinschicken Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Verehrte Kolle- wollen, die nicht der der Soldaten aus dem Westen ginnen und Kollegen! Auf der Tribüne hat Platz ge- entspricht. Ich würde noch einmal darüber nachden- nommen der Außenminister von Costa Rica, Herr ken, ob das vernünftig ist. Ich möchte also wissen, Dr. Fernando Naranjo, der sich mit einer Delegation wie wir das finanzieren. Ich möchte wissen, woher zu Gesprächen in Bonn aufhält. wir das Geld nehmen. Oder soll das der Verteidi- (Beifall im ganzen Hause) gungsminister aus seinem Plafond erwirtschaften? Dann werden wir noch Probleme bekommen. Dar- Herr Außenminister, ich begrüße Sie und Ihre De- über muß doch im Rahmen von Haushaltsberatungen legation sehr herzlich im Deutschen Bundestag. Ich geredet werden, ohne daß man jemandem unter- hatte für das Präsidium Gelegenheit zu einem Ge- stellt, er sei gegen den Einsatz. Das ist ein Mangel spräch mit Ihnen, das mir einmal mehr gezeigt hat, dieses Verteidigungshaushalts, ein ganz großer. wie gut und eng die Beziehungen zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und Costa Rica sind. Ihr Be- Meine Damen und Herren, ich will auch noch et- such trägt dazu bei, diese Beziehungen weiter zu ver- was zur Rüstungsindustrie sagen, weil sie zur Bera- tiefen. Costa Rica ist ein kleines, aber ein sehr wichti- tung des Haushalts ja immer auf der Matte steht. Es ges Land mit großem politischen Einfluß. Herr ist für mich und für uns klar, daß wir im Bereich der Außenminister, der Bundestag fühlt sich durch Ihre Beschaffung nur Mittel ausgeben können, die auf Anwesenheit geehrt. Seien Sie uns herzlich willkom- Grund unserer Sicherheitspolitik tatsächlich erfor- men! derlich sind. (Beifall im ganzen Hause) Es ist selbstverständlich - da herrscht Gott sei Dank Konsens unter den Berichterstattern der Koali- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Krüger, CDU/ tion und der SPD -, daß, wenn Aufträge auch im Rah- CSU-Fraktion. men europäischer Lösungen vergeben werden, die deutsche Industrie beteiligt wird. Wir müssen darauf Dr.-Ing. Paul Krüger (CDU/CSU): Herr Präsident! drängen, daß es dort, wo Aufträge in das außereuro- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es dürfte nach der päische Ausland gehen, Kompensationslösungen Rede von Herrn Kastning nicht ganz einfach sein, die gibt. Denn die Zeit für Einbahnstraßen ist wirklich Mitglieder des Parlaments, die wohl zeitweise einge- vorbei. Das heißt auch, daß wir ein Mindestmaß an schlafen waren, wieder munter zu machen. wehrtechnischer Kapazität, gerade auch im Hoch- technologiebereich, erhalten müssen, aber in einem (Heiterkeit bei der CDU/CSU) gewissen Rahmen. Wir sind nicht bereit, den Rah- Trotzdem würde ich mich freuen, wenn Sie mit etwas men des Rüstungsexportrechtes zu sprengen. mehr Aufmerksamkeit meiner Rede lauschen wür- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) den. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5797

Dr.-Ing. Paul Krüger Der Haushalt, über den wir heute debattieren, ist Industrieforschung, im Bereich der Eigenkapital- kein Haushalt der großen Sprünge. Das ist deutlich situation der Unternehmen, im Straßenbau der geworden. Wir diskutieren heute einen Haushalt der neuen Länder, bei der Eigentumsförderung, wobei Stabilität und Solidität für West und Ost, hier insbesondere die Wohneigentumsförderung zu nennen ist. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir konnten im Rahmen der parlamentarischen einen Haushalt, der im übrigen das erste Mal seit Beratungen in allen Punkten Verbesserungen errei- dreißig Jahren nicht wächst, sondern endlich einmal chen. Wir haben in der Industrieforschung etwa wieder sinkt. Ich denke, das ist eine große und dan- 60 Millionen DM im Bereich des Bundeswirtschafts- kenswerte Leistung dieser Koalition. ministeriums draufsatteln können, nachdem wir Die Transferleistungen des Bundes in die neuen schon beim Regierungsentwurf im BMBF-Bereich Länder waren in den letzten Jahren enorm hoch. Die 50 Millionen DM mehr durchsetzen konnten. Wir ha- alten Länder haben sich bei diesen Transferleistun- ben im Eigenkapitalhilfebereich für die Unterneh- gen wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Die Trans- men zusätzlich 70 Millionen DM an Verpflichtungs- ferleistungen des Bundes waren hoch; der vom So- ermächtigungen, um auch weiterhin eine bessere zialismus hinterlassenen Aufgabe waren sie ange- Förderpräferenz in den neuen Ländern aufrechter- messen. Sie waren gut angelegt. halten zu können, durchgesetzt, nachdem wir schon beim Jahressteuergesetz Kapitalsammelfonds in Der Bundeshaushalt 1996 belegt, daß wir die Höhe von 500 Millionen DM zur Eigenkapitalstär- Früchte dieser enormen Anstrengungen langsam zu kung der Unternehmen im Osten durchsetzen konn- ernten beginnen können. Wir haben erstmals wach- ten. Wir haben beim Bundesfernstraßenbau mit unse- sende Rückflüsse aus Steuermehreinnahmen in ren Kollegen gemeinsam Erhöhungen durchsetzen Höhe von 6 Milliarden DM, und wir haben einen er- können, die im Bereich von 100 Millionen DM auch heblichen Minderbedarf an Sozialleistungen - beides den neuen Bundesländern zugute kommen. dank einer sich ständig verbessernden Wirtschafts- situation. Wir haben einen sprunghaft sinkenden (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Sehr gut!) Mittelbedarf bei der Treuhandanstalt, der heutigen Wir werden noch stärker in die Öffentlichkeit brin- BVS, als Ergebnis der Privatisierungs- und Sanie- gen, was wir im Bereich der Wohneigentumsförde- rungsbemühungen dieser Einrichtung. rung mit dem Gesetz, das wir in der letzten Sitzungs- Nur am Rande möchte ich erwähnen, daß ein er- woche hier verabschiedet haben, erreichten; denn heblicher Anteil des rechnerischen Rückgangs der wir haben eine klare Präferenz für die niedrigeren Transferleistungen, der hier von der Opposition an- Einkommen, also für die neuen Bundesländer, durch- gesprochen wurde, durch Umschichtung des Kinder- setzen können, das heißt auch eine verstärkte Privati- geldes auf die Einnahmenseite der Länder bedingt sierung und Sanierung von Altbauten durch bessere ist. Förderbedingungen und durch ein neues Burg- schaftsprogramm. Das Ganze wird dazu führen, daß wir einen deutlichen Schub bei der Privatisierung, Herr Kollege Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: bei der Eigentumsbildung im Osten, im Wohnungs- Krüger, einen Augenblick. baubereich und bei der Sanierung von Wohnungen, Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben was ich für ganz besonders wichtig halte, erreichen. jetzt das Dauerproblem dieses Hauses: Wir nähern (Beifall bei der CDU/CSU) uns den Abstimmungen, und es wird laut und gegen- über dem Redner unhöflich. Ich denke, liebe Kollegen, daß damit in Anbetracht der Haushaltssituation im nächsten Jahr eine den (Zuruf von der SPD: Der will doch schlafen!) Prioritäten und der Situation der neuen Bundeslän- Ich bitte um etwas mehr Ruhe. der angemessene Förderung erreicht wird. Wenn wir heute damit eine wichtige Weichenstellung für die Zukunft vornehmen, wollen wir nicht vergessen, wo (CDU/CSU): Zusammenfas- Dr.-Ing. Paul Krüger wir vor fünf Jahren standen, liebe Kollegen. send, meine Damen und Herren, können wir feststel- len: Hinter dem rechnerischen Rückgang der Netto- Ich habe den Eindruck, daß Herr Scharping in sei- transfers verbergen sich also bei genauem Hinsehen ner Rede gar nicht berücksichtigt hat, daß wir in den überwiegend erfreuliche Entwicklungen in den letzten Jahren einigungsbedingte Lasten zu tragen neuen Bundesländern. hatten. Es waren nicht nur die maroden Industrie- strukturen, nicht nur die schlechten Straßen, nicht Meine Damen und Herren, es hat auch etwas mit nur die vergiftete Umwelt, nicht nur die verfallenen der Identität und dem Selbstwertgefühl der Men- Häuser, die uns Milliardensummen, Hunderte von schen in den neuen Bundesländern zu tun, daß wir Milliarden DM, zusätzlich gekostet haben. Es war keine Dauerförderung wollen. Niemand im Osten vor allem auch das, was man nicht vordergründig will auf ewig am Tropf des Westens hängen. Auch sieht: eine Schuldenlast von rund 600 Milliarden DM, deshalb sind wir entschieden für die Konzentration die uns der Sozialismus aufgebürdet hat und die wir der Förderung auf prioritäre Aufgaben, auf die Be- als Bund zu tragen hatten. reiche, die in den neuen Bundesländern defizitär sind. Wir, die Ostabgeordneten der CDU/CSU-Frak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- tion, haben auf einer Klausurtagung den Handlungs- ordneten der F.D.P. - Zuruf von der CDU/ bedarf noch einmal genau definiert: im Bereich der CSU: Der Sozialismus!) 5798 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr.-Ing. Paul Krüger Diese Hinterlassenschaft, liebe Kollegen, einer sozia- Land Brandenburg betrug sie bis dato 6 000 DM - listischen Mißwirtschaft ist entstanden, obwohl die und war damit schon die absolut höchste in den Menschen nicht schlechter qualifiziert waren, ob- neuen Ländern -; nach dem neuen Haushaltsentwurf wohl die Menschen nicht fauler waren als hier im soll sie sogar auf 7 700 DM steigen. Westteil Deutschlands. Wir werden daran noch lange zu tragen haben. Aber wir werden auch nicht aufhö- (Dr. [CDU/CSU]: Das ist un-- ren, immer wieder klar und deutlich die Schuldigen glaublich!) zu benennen. Das haben nämlich nicht die Men- Ich bitte die SPD, auch das einmal zur Kenntnis zu schen im Osten zu verantworten, sondern das ma- nehmen. Brandenburg hat übrigens - das sage ich rode sozialistische System hat dazu geführt. nur, weil das in der Debatte heute eine Rolle gespielt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hat - nicht nur die höchste Verschuldung, sondern auch die höchsten Sozialausgaben und die niedrig- Ich frage mich, wo wir gelandet wären, wenn die sten Forschungsausgaben. SPD diese Lasten abzutragen hätte. Liebe Kollegen von der SPD, wenn Sie wirklich et- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge was für die neuen Länder tun wollen, dann helfen ordneten der F.D.P. - Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie mit, daß sich Ihre Fraktion und Ihre Bundesrats- Die Frage ist berechtigt!) mitglieder vernünftigen Gedanken bei den dringend Ich habe heute das zweite Mal in diesem Hause eine notwendigen Reformen zur Stärkung des Wirt- große Rede des Oppositionsführers Scharping ge- schaftsstandortes Deutschland nicht weiterhin ver- hört, in der er nicht einmal die neuen Bundesländer weigern. erwähnt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- (Jochen Feilcke [CDU/CSU]: Unerhört! - wie des Abg. Jürgen Koppelin [F.D.P.]) Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Nicht zu fassen!) Tragen Sie zu einem Wirtschaftswachstum bei, wel- ches die Finanzierung des Aufbaus Ost nicht nur er- Ich frage mich, mit welchem Recht die Genossen von leichtert, sondern dazu führt, daß der Aufschwung der SPD diesen Haushalt kritisieren. Man muß nicht Ost zunehmend aus eigener Kraft erfolgen kann. nur feststellen, daß sie an den Verhandlungen im Wachstum ist von vielen Faktoren abhängig. Der Haushaltsausschuß nicht teilgenommen haben, son- Bundeshaushalt ist nur einer dieser Faktoren. Der dern auch fragen: Sind sie haushaltspolitisch über- Bundeshaushalt dieser Koalition wird auf der Basis haupt kompetent? Schon zu DDR-Zeiten war fast al- einer stabilen Finanzpolitik einen wichtigen Beitrag len von uns bekannt - das zeigt sich jetzt auch, wenn für die zukünftige Entwicklung im Westen wie im man sich die Entwicklung der SPD-geführten alten Osten leisten. Länder anschaut -, daß die SPD nicht mit Geld umge- hen kann. Vielen Dank. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) Herr Schröder hat es verstanden, seinen Haushalt in sechs Jahren um 50 Prozent des Gesamtvolumens zu steigern, und das bei dem höchsten Personalzu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- wachs, der höchsten Neuverschuldung und der ge- ner Kurzintervention, die schon vor der letzten Wort- ringsten Investitionsquote aller Länder. Verbunden meldung hätte stattfinden sollen - ein Versäumnis war diese Entwicklung mit einem enormen Sozialab- von mir -, hat jetzt der Kollege Augustinowitz, CDU/ bau. CSU. (Zuruf von der PDS: Aufhören!) Sogar Herr Scharping hat das erkannt. Im „Stern", Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Liebe Kolle- Heft 28/1995, sagt er: „Gerhard Schröder hat den ginnen und Kollegen! Ich will die Debatte nicht un- Landeshaushalt total ruiniert" . nötig verlängern. Aber die Rede des Kollegen Kast- ning hat mich doch dazu veranlaßt, etwas zu sagen. Die Pro-Kopf-Verschuldung in Niedersachsen ist Man konnte den Eindruck gewinnen, daß die Wehr- seit 1990 um 23,2 Prozent gewachsen, in Bayern ist nach der Gesetzgebung, die die Koalition sie im gleichen Zeitraum um 2,6 Prozent gesenkt pflichtigen durchgesetzt hat, weniger bekommen als vorher. worden. Dieser Eindruck darf nicht hier im Raume stehenblei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ben. Die SPD schimpft hier. Aber in der Bundeswehr freut man sich darüber, daß wir etwas für die jungen Hier zeigt sich ganz eindeutig haushalts- und finanz- Wehrpflichtigen tun. politische Kompetenz. Deshalb will ich dem Parlament die Fakten nen- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Vor allem nen: Erstens. Wir haben zum 1. Oktober dieses Jah- der CSU!) res das doppelte Verpflegungsgeld an allen Feierta- Die Art, wie die SPD mit dem Geld umgeht, setzt gen sowie an Samstagen und Sonntagen wieder ein- sich mittlerweile auch in den neuen Bundesländern geführt. Das macht für jeden Wehrpflichtigen 50 DM fort. Die Verschuldung pro Kopf beträgt im Bundes- im Monat aus und kostet den Bundeshaushalt land Sachsen 2 700 DM. Im von der SPD geführten 90 Millionen DM. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5799

Jürgen Augustinowitz Zweitens. Mobilitätszulage. Mehr als jeder zweite Sie hatten es nämlich, wenn ich mich recht erinnere, ist davon positiv betroffen. Kosten: über 100 Millionen vor 1993 oder 1992 gestrichen und führen es jetzt DM. wieder ein. Das ist ein „wunderbarer Erfolg". Dem will ich nicht widersprechen. Drittens. Verbesserung der Beförderungsintervalle. - Das heißt, zukünftig wird man nach drei Monaten (Beifall bei der SPD) Gefreiter. Das macht für den jungen Mann im Monat 50 DM mehr aus. Kosten für den Bundeshaushalt: Das Wort hat 60 Millionen DM. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: jetzt der Kollege Stephan Hilsberg, SPD. Viertens - eine alte Forderung -: Vorziehen des Freizeitausgleichs oder des finanziellen Ausgleichs Stephan Hilsberg (SPD): Sehr geehrter Herr Präsi- auf den vierten Monat. Kosten: wiederum 50 Mil- dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Lieber Paul lionen DM. Krüger, Sie sind doch Sprecher der ostdeutschen Unter Berücksichtigung dessen, daß wir Weih- CDU-Abgeordneten. Neulich haben Sie sich darüber nachtsgeld und Entlassungsgeld den kürzeren Zei- beschwert, daß Sie von Ihrer eigenen Fraktion über ten anpassen, bedeutet dies für die jungen Wehr- den Tisch gezogen wurden. Nach Ihrer Rede - das pflichtigen ein Mehr von über 300 Millionen DM muß ich sagen - kann ich das verstehen. netto im Jahr. Ich finde, es gehört zur Redlichkeit, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- hier die Dinge beim Namen zu nennen und nicht so ten der PDS) zu tun, als ob wir etwas täten, was gar nicht hinter der Sache gesteckt hat. 300 Millionen DM sind ja Denn statt ihnen in kräftiger Interessenvertretung wohl ein Wort . Ich finde, das könnte auch die Oppo- ostdeutscher Belange kräftig in den Hintern zu bla- sition einmal würdigen. sen, reden Sie ihnen nach dem Mund. Sie reden ei- nen Haushalt schön, der Ostdeutschland viel zuwe- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge nig hilft und die Probleme, die wir in Ostdeutschland ordneten der F.D.P.) haben, noch nicht einmal richtig beim Namen nennt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege Kastning. Sie müssen doch wissen, wie die Finanzentwick- lung ist: Die Schere zwischen Ost und West klafft weiter auseinander - sowohl in absoluten als auch in (SPD): Herr Präsident! Meine Da- Ernst Kastning relativen Zahlen. Ostdeutschland hat von dem Ku- men und Herren! Ich hätte mich nicht mehr gemel- chen des Solidarpakts so gut wie gar nichts abbe- det, wenn Herr Augustinowitz seine Ausführungen kommen. nicht so eingeleitet hätte, daß man den Eindruck be- kommen konnte, ich hätte Behauptungen aufgestellt, Wenn Sie in Ostdeutschland fragen, ob man dort in die er zu widerlegen versuchen müßte. der Lage ist, aus dem Tal aus eigener Kraft herauszu- kommen, sagt Ihnen jeder Experte, daß dies nicht Ich bin ganz sicher, daß ich hier nicht gesagt habe, der Fall ist. Die ostdeutschen Kommunen haben hö- es sei für die Grundwehrdienstleistenden überhaupt here Lasten, die ostdeutschen Länder haben höhere nichts Positives geschehen. Ich habe Ihnen vorge- Lasten. Da nützt es überhaupt nichts, wenn Sie hier worfen, daß Sie differenzieren - um es sehr seriös Krokodilstränen wegen der hohen Pro-Kopf-Ver- auszudrücken -, und habe überspitzt gesagt, daß Sie schuldung vergießen. die Wehrdienstleistenden in Gruppen einteilen, um nicht zu sagen: einen Keil dazwischentreiben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Was Sie wollen, ist zwar eine Besserstellung - da- gegen ist nichts einzuwenden -, aber Sie nutzen Ihr Haushalt hat nichts dazu beigetragen, daß den diese Besserstellung zugleich zu einer Differenzie- ostdeutschen Kommunen und Ländern wirklich ge- rung. Das ist das Übel. Sie weigern sich, auch etwas holfen werden kann. Statt dessen kürzen Sie die ost- für die zu tun, die bei Ihnen jetzt nicht bei der Aus- deutschen Fördermittel. Ich sage Ihnen, Herr Krüger: zahlung von Geld erfaßt sind, und zwar beim Mobili- Jammern und kürzen, damit können Sie Ostdeutsch- tätszuschlag. land nicht helfen. Kürzen ist immerhin noch ein biß- chen mehr, als die PDS tut; die PDS jammert nur. Es ist nach drei Jahren doch wohl Ihre Pflicht und Aber ansonsten können Sie sich mit denen wirklich Schuldigkeit, eine Überprüfung vorzunehmen und in ein Boot setzen. zu beschließen, daß der allgemeine Wehrsold ange- paßt wird. Sonst dürfen Sie sich nicht wundem, daß (Beifall bei der SPD - Dr. Barbara Höll [PDS]: draußen Diskussionen laufen, die Sie selbst nicht Erzählen Sie mal, wieviel Anträge von uns mehr in den Griff bekommen. gekommen sind und wieviel von Ihnen!) Im übrigen möchte ich betonen, meine Damen und Ich will das an einem Beispiel zeigen. Wenn Sie Herren: Es gibt Dinge, die wir auch gemeinsam ge- durch Ostberlin fahren, sehen Sie, daß dort ein Büro- macht haben. Das ist nicht zu bestreiten. Herr Augu- haus neben dem anderen entsteht. Wer befindet sich stinowitz, Sie hätten der Vollständigkeit halber sagen in diesen Häusern? Niemand. Die Bürohäuser wer- sollen, daß Sie das doppelte Verpflegungsgeld zwar den nicht genutzt. Investitionen in Projekte, die nicht eingeführt haben, nicht aber neu eingeführt haben. genutzt werden, bringen uns auch nichts. Dann ist es 5800 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Stephan Hilsberg in der Tat sehr viel besser, das Geld in Investitionen Wir könnten theoretisch die Beratung fortsetzen, für anderes zu stecken. praktisch jedoch nur, wenn Sie Platz nehmen. Wenn Sie es wünschen, kann ich die Sitzung gern für eine Auch die Forschungsförderung kommt viel zu Viertelstunde unterbrechen. - Das ist nicht der Fa ll. kurz. Sie selber, Ihre eigene Regierung, sind mit da- Dann bitte ich Sie noch einmal, Platz zu nehmen. für verantwortlich, daß über 90 Prozent der außeruni- - versitären Forschungskapazität in Ostdeutschland Ich rufe den Einzelplan 05 - Auswärtiges Amt - kaputtgegangen sind. Jetzt gibt es Krokodilstränen, auf. Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Frak- weil wir zuwenig Kapazität haben. tion Bündnis 90/Die Grünen und zwei Änderungsan- Als verlängerte Werkbank hat Ostdeutschland träge der Gruppe der PDS vor. Wer stimmt für den keine Zukunft. Es hat nur mit einer starken For- Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen auf schungsförderung, mit Innovationen in Software und Drucksache 13/2886? - Gegenprobe! - Enthaltun- Hardware eine Zukunft. Alle Signale, die es in die- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der sem Bereich zur Zeit gibt, verdeutlichen, daß die Un- Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion ternehmen überlegen, ob sie sich nicht zurückzie- Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei hen. Was sagt man bei Mercedes denn in puncto Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. Ludwigsfelde? Rückzug ist die alarmierende Mel- Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag von dung. Mit Ihrem Haushalt werden Sie dieser Situa- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2887. tion nicht gerecht. Ostdeutschland ist bei weitem Dazu hat zu einer Erklärung nach § 31 unserer Ge- noch nicht über den Berg. schäftsordnung der Kollege Kuhlwein das Wo rt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die finanzielle Situation für Ostdeutschland ist dra- Eckart Kuhlwein (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- matisch. Es wird nicht nur finanzielle Auswirkungen leginnen und Kollegen! Die Fraktion Bündnis 90/Die geben, es wird nicht nur die Gefahr drohen, daß die Grünen hat mit ihrem Antrag auf Drucksache 13/ soziale und wirtschaftliche Schranke zwischen Ost- 2887 einen Antrag von uns abgeschrieben, den wir nd Westdeutschland bestehen bleibt, sondern es im Haushaltsausschuß bei der normalen Beratung wird auch politische Auswirkungen geben. Sie tra- des Einzelplans 05 gestellt hatten. Dieser Antrag gen die Verantwortung dafür. wurde von der Koalition im Haushaltsausschuß abge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne lehnt. ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich bleibe bei meiner Position. Auch meine Frak- tion vertritt diese Position nach Ihren Beschlüssen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die Dennoch werden wir uns bei der Abstimmung der Aussprache. Stimme enthalten, weil dieser Haushalt auch durch noch so gutgemeinte Korrekturen nicht zu retten ist. Wir kommen zu den Abstimmungen, und zwar zu- Ich gehe davon aus, daß das viele meiner Kollegin- nächst zum Einzelplan 04, Bundeskanzler und Bun- nen und Kollegen in der SPD-Fraktion genauso se- deskanzleramt. Dazu liegen zwei Änderungsanträge hen. der Gruppe PDS vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Schönen Dank. che 13/2902? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wer stimmt für Stimmenthaltung der SPD abgelehnt. den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Grünen auf Drucksache 13/2887? - Die Gegenprobe! che 13/2914? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit den dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim- tionen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/ men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimment- Gruppe der PDS und einzelne Stimmen aus der SPD- haltung der SPD abgelehnt. Fraktion bei Stimmenthaltung des größeren Teils der SPD-Fraktion abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ein- zelplan 04 in der Ausschußfassung. Die Fraktion der Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/ CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung. Ich 2909. Wer stimmt dafür? - Die Gegenprobe! - Enthal- eröffne die Abstimmung. - tungen? - Der Änderungsantrag ist gegen die Stim- men der Gruppe der PDS mit den Stimmen aller an- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das deren Fraktionen des Hauses abgelehnt. seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das scheint nicht der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung Änderungsantrag der PDS auf Drucksache 13/ und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu be- 2910. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltun- ginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird später gen? - Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- bekanntgegeben.*) gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung *) Seite 5802A der SPD-Fraktion abgelehnt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5801 Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Wer stimmt für den Einzelplan 05 in der Ausschuß- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir stimmen fassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ein- jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 13/ zelplan 05 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- 2885 ab. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ver- nen gegen die Stimmen der Opposition angenom- langt namentliche Abstimmung. men. - Wir kommen zum Einzelplan 14, Bundesministe- Ich eröffne die Abstimmung. - rium der Verteidigung. Dazu liegen vier Änderungs- anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und ein Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das Änderungsantrag der Gruppe der PDS vor. seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Ich muß erst einmal etwas klären. Herr Kollege Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Struck, ich habe eine Wortmeldung, aber ich weiß Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be- nicht, zu welchem Antrag. kanntgegeben. ) (Dr. Peter Struck [SPD]: 13/2885!) Wir setzen die Beratung mit der gleichen Mah- - Dann behandeln wir diese Drucksache zuerst. nung wie zuvor fort. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen. - Wir setzen die Beratung fort und kom- Das Wort zu einer Erklärung nach § 31 unserer Ge men zur Abstimmung über den Änderungsantrag schäftsordnung hat Kollege Struck. der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 13/2888. Wer stimmt für diesen Änderungs- antrag? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Än- Dr. Peter Struck (SPD): Herr Präsident! Meine derungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- Damen und Herren! Es geht bei diesem Antrag um fraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Frak- die Bewilligung von Mitteln für den Eurofighter. tion Bündnis 90/Die Grünen und die Gruppe der Ich will für die Bundestagsfraktion der SPD er- PDS abgelehnt. klären, daß wir bisher keine einzige Mark für die Entwicklungskosten dieses Projektes bereitgestellt haben und bei dieser Meinung auch bleiben wer- Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion den. Ich will gleichzeitig erklären, daß wir ange- Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2899? - sichts des desolaten Zustands des Bundeshaus- Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsan- halts und angesichts der schlampigen Arbeit, die trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- Finanzminister Waigel vorgelegt hat - Herr Waigel, gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei in Klammern sage ich: Sie sind nach dem, was Stimmenthaltung der SPD-Fraktion und der Gruppe Sie hier vorgelegt haben, für mich der schlech- PDS abgelehnt. teste Finanzminister der Bundesrepublik Deutsch- land; Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/2900? - (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hein Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungs- rich Graf von Einsiedel [PDS]) antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen von ich weiß, daß Ihnen das nicht gefällt, aber das ist so; Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe PDS abge- Sie sind noch schlechter als Rolf Dahlgrün und an- lehnt. dere -, (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Das Wer stimmt für den Änderungsantrag der PDS auf trifft mich schwer!) Drucksache 13/2908? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der gar keinen Sinn darin sehen, hier durch Umschich- Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die tung - das ist Ziel des Antrags der Grünen - irgend Grünen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen etwas zu erreichen. der Gruppe PDS abgelehnt. (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN) Über den Einzelplan 14 in der Ausschußfassung können wir erst abstimmen, wenn das Ergebnis der In einem 20-Milliarden-DM-Loch kann man nichts namentlichen Abstimmung über den Änderungsan- umschichten. Man kann nur sagen: Der gesamte trag vorliegt. Haushalt ist Mist. Wir werden den Haushalt am Frei- tag entsprechend bescheiden und ablehnen. Ich kann Ihnen aber jetzt das von den Schriftführe- rinnen und Schriftführern ermittelte Hier geht es jetzt nur darum, daß wir deutlich Ergebnis der na- mentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf feststellen: Dieses Spielchen werden wir nicht ma- über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für chen. Wir werden uns bei allen Anträgen, die vorge- das Jahr 1996, Einzelplan 04, mitteilen: Abgegebene legt werden, der Stimme enthalten, weil es keinen Stimmen 651. Mit Ja haben gestimmt 335, mit Nein Sinn hat, sich weiter mit diesem Haushalt zu beschäf- tigen. 316; keine Enthaltungen. Der Gesetzentwurf ist an- genommen. (Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU/ CSU und der F.D.P.) *) Seite 5807 A 5802 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Endgültiges Ergebnis Michaela Geiger Dr. Roland Richter Roland Richwien Abgegebene Stimmen: 652; Dr. Heiner Geißler Armin Laschet Dr. Norbert Rieder davon: Michael Glos Herbert Lattmann Dr. Erich Riedl (München) ja: 336 Wilma Glücklich Dr. Paul Laufs Klaus Riegert Dr. Reinhard Göhner Karl-Josef Laumann Dr. nein: 316 Peter Götz Werner Lensing Hannelore Rönsch Dr. Wolfgang Götzer (Wiesbaden) Joachim Gres Peter Letzgus Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Ja Kurt-Dieter Grill Editha Limbach Dr. Klaus Rose Wolfgang Gröbl Walter Link (Diepholz) Kurt J. Rossmanith Hermann Gröhe Eduard Lintner Adolf Roth (Gießen) CDU/CSU Claus-Peter Grotz Dr. Klaus W. Lippold Norbert Röttgen (Offenbach) Dr. Christian Ruck Horst Günther (Duisburg) g) Dr. Manfred Lischewski Volker Rühe ( Carl-Detlev Freiherr von Wolfgang Lohmann Dr. Jürgen Rüttgers Hammerstein (Lüdenscheid) Roland Sauer (Stuttga rt) Jürgen Augustinowitz g g Julius Louven Ortrun Schätzle Dietrich Austermann (Großhennersdorf) Sigrun Löwisch Dr. Wolfgang Schäuble Bargfrede ( ) Hartmut Schauerte Rainer Haungs Dr. Michael Luther Heinz Schemken Dr. g Otto Hauser (Esslingen) Erich Maaß (Wilhelmshaven) Karl-Heinz Scherhag Hansgeorg Hauser Dr. Dietrich Mahlo Gerhard Scheu (Rednitzhembach) Erwin Marschewski Norbert Schindler Dr. Sabine Bergmann-Pohl Klaus-Jürgen Hedrich Günter Marten Dietmar Schlee Hans-Dirk Bierling Manfred Heise Dr. Martin Mayer Ulrich Schmalz DDr. Joseph- Dr. Renate Hellwig (Siegertsbrunn) Dr. Blank g Ernst Hinsken Wolfgang Meckelburg Christian Schmidt (Fürth) Dr. Peter Hintze Rudolf Meinl Dr.-Ing. Joachim Schmidt Josef Hollerith Dr. (Halsbrücke) Dr. Norbert Blüm Dr. Karl-Heinz Hornhues (Mülheim) Dr. Andreas Schmidt Siegfried Hornung Merz Schmiedeberg Dr. Maria Böhmer Friedrich Hans-Otto Joachim Hörster Rudolf Meyer (Winsen) Hans Peter Schmitz Hubert Hüppe Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (Baesweiler) Peter Jacoby Meinolf Michels Michael von Schmude Susanne Jaffke Dr. Wolfgang Bötsch Dr. Gerd Müller Birgit Schnieber-Jastram Georg Janovsky Elmar Müller (Kirchheim) Dr. Andreas Schockenhoff Klaus Brähmig Helmut Jawurek Rudolf Braun (Auerbach) Engelbert Nelle Dr. Rupert Scholz Dr. Dionys Jobst (Bremen) Reinhard Freiherr von Paul Breuer Dr.-Ing. Rainer Jork Johannes Nitsch Schorlemer Michael Jung (Limburg) Claudia Nolte Dr. Erika Schuchardt Dr. Rolf Olderog Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Egon Jüttner Friedhelm Ost Dr. Hartmut Büttner Dr. Harald Kahl Eduard Oswald (Schwäbisch Gmünd) (Schönebeck) Bartholomäus Kalb Otto (Erfurt) Gerhard Schulz (Leipzig) Steffen Kampeter Norbert Dr. Gerhard Päselt Frederick Schulze (Emstek) Dr.-Ing. Dietmar Kansy Diethard Schütze (Berlin) Manfred Kanther Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe (Nordstrand) Irmgard Karwatzki Hans-Wilhelm Pesch Ulrich Petzold Dr. Christian Schwarz- Peter Keller Schilling Wilhelm-Josef Sebastian Angelika Pfeiffer Albert Deß Dr. Bernd Klaußner Dr. Gero Pfennig Hans Klein (München) Dr. Friedbert Pflüger Wilfried Seibel Ulrich Klinkert Heinz-Georg Seiffert Werner Dörflinger Dr. Helmut Kohl Dr. Winfried Pinger Rudolf Seiters Hansjürgen Doss Hans-Ulrich Köhler Dr. (Hainspitz) Dr. Hermann Pohler Bernd Siebert Maria Eichhorn Manfred Kolbe Jürgen Sikora Norbert Königshofen Marlies Pretzlaff Eva-Maria Kors Dr. Bärbel Sothmann Heinz Dieter Eßmann Hartmut Koschyk Dr. Bernd Protzner Margarete Späte Manfred Koslowski Dieter Pützhofen Carl-Dieter Spranger Thomas Kossendey Wolfgang Steiger Rudolf Kraus Hans Raidel Dr, Wolfgang Krause (Dessau) Dr. Dr. Wolfgang Freiherr von Jochen Feilcke Andreas Krautscheid Rolf Rau Stetten Dr. Karl H. Fell Arnulf Kriedner Helmut Rauber Dr. Heinz-Jürgen Kronberg Peter Harald Rauen Andreas Storm Dirk Fischer (Hamburg) Dr.-Ing. Paul Krüger Otto Regenspurger Leni Fischer (Unna) Reiner Krziskewitz Christa Reichard () Michael Stübgen (Hamburg) Dr. Hermann Kues Klaus Dieter Reichardt Egon Susset (Mannheim) Dr. Rita Süssmuth Dr. Gerhard Fried rich Dr. Bertold Reinartz Michael Teiser Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Erika Reinhardt Dr. Susanne Tiemann Hans-Joachim Fuchtel (Heidelberg) Hans-Peter Repnik Dr. Klaus Töpfer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5803

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Gottfried Tröger Nein Uwe Hiksch Dr. Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Reinhold Hiller (Lübeck) Georg Pfannenstein Stephan Hilsberg Dr. Eckhart Pick Dr. Horst Waffenschmidt SPD Gerd Höfer Joachim Poß Dr. Theodor Waigel Jelena Hoffmann (Chemnitz) Rudolf Purps Alois Graf von Waldburg-Zeil Frank Hofmann (Volkach) Hermann Rappe Dr. Jürgen Warnke Ingrid Holzhüter (Hildesheim) Kersten Wetzel Robert Antretter Erwin Horn Karin Rehbock-Zureich Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Hermann Bachmaier Eike Hovermann Margot von Renesse Lothar Ibrügger Renate Rennebach Bernd Wilz Wolfgang Ilte Otto Reschke Willy Wimmer (Neuss) Barbara Imhof Bernd Reuter Ingrid Becker-Inglau Brunhilde Irber Dr. Edelbert Richter Simon Wittmann Wolfgang Behrendt Gabriele Iwersen Günter Rixe (Tännesberg) Hans Berger Renate Jäger Reinhold Robbe Dagmar Wöhrl Hans-Werner Bertl Jann-Peter Janssen Gerhard Rübenkönig Michael Wonneberger Friedhelm Julius Beucher Ilse Janz Dr. Hansjörg Schäfer Dr. Uwe Jens Elke Wülfing Gudrun Schaich-Walch Volker Jung (Düsseldorf) Dieter Schanz Peter Kurt Würzbach Lilo Blunck Sabine Kaspereit Rudolf Scharping Dr. Ulrich Böhme (Unna) Arne Börnsen (Ritterhude) Susanne Kastner Bernd Scheelen Wolfgang Zeitlmann Anni Brandt-Elsweier Ernst Kastning Siegfried Scheffler Benno Zierer Tilo Braune Hans-Peter Kemper Horst Schild Wolfgang Zöller Dr. Klaus Kirschner Marianne Klappert Dieter Schloten Ursula Burchardt Siegrun Klemmer Günter Schluckebier F.D.P. Hans Ma rtin Bury Hans-Ulrich Klose Horst Schmidbauer Hans Büttner (Ingolstadt) Dr. Hans-Hinrich Knaape (Nürnberg) Ina Albowitz Marion Caspers-Merk Ursula Schmidt (Aachen) Dr. Wolf-Michael Catenhusen Fritz Rudolf Körper (Meschede) Hildebrecht Braun Peter Conradi Nicolette Kressl Wilhelm Schmidt (Salzgitter) () Dr. Herta Däubler-Gmelin Volker Kröning Regina Schmidt-Zadel Günther Bredehorn Christel Deichmann Thomas Krüger Heinz Schmitt (Berg) Jörg an Essen Horst Kubatschka Dr. Emil Schnell Dr. Peter Dreßen Eckart Kuhlwein Walter Schöler Gisela Frick Rudolf Dreßler Konrad Kunick Christine Kurzhals Gisela Schröter Ludwig Eich Dr. Uwe Küster Dr. Mathias Schubert Hans-Dietrich Genscher Peter Enders Werner Labsch Richard Schuhmann Dr. Wolfgang Gerhardt Brigitte Lange (Delitzsch) Joachim Günther (Plauen) Petra Ernstberger Detlev von Larcher Brigitte Schulte (Hameln) Dr. Annette Faße Waltraud Lehn Volkmar Schultz (Köln) Dr. Helmut Haussmann Elke Ferner Robert Leidinger Ilse Schumann Ulrich Heinrich Lothar Fischer (Homburg) Klaus Lennartz Dr. R. Werner Schuster Walter Hirche Dr. Elke Leonhard Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Burkhard Hirsch Iris Follak Klaus Lohmann (Witten) Dr. Angelica Schwall-Düren Birgit Homburger Norbert Formanski Christa Lörcher Ernst Schwanhold Dr. Erika Lotz Ulrich Irmer Anke Fuchs (Köln) Dr. Bodo Seidenthal Dr. Klaus Kinkel Katrin Fuchs (Verl) Dieter Maaß (Herne) Lisa Seuster Detlef Kleinert (Hannover) Arne Fuhrmann Winfried Mante Horst Sielaff Roland Kohn Monika Ganseforth Dorle Marx Erika Simm Dr. Heinrich L. Kolb Norbert Gansel Ulrike Mascher Johannes Singer Jürgen Koppelin Konrad Gilges Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Iris Gleicke Ingrid Matthäus-Maier Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast Heide Mattischeck Wieland Sorge Dr. Otto Graf Lambsdorff Günter Gloser Dr. Wolfgang Spanier Heinz Lanfermann Günter Graf (Friesoythe) Ulrike Mehl Dr. Dietrich Sperling Sabine Leutheusser- Angelika Graf (Rosenheim) Jörg-Otto Spiller Schnarrenberger Dieter Grasedieck Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Antje-Marie Steen Uwe Lühr Achim Großmann Ursula Mogg Günther Friedrich Nolting Karl Hermann Haack Siegmar Mosdorf Dr. Peter Struck Dr. (Extertal) Michael Müller (Düsseldorf) Joachim Tappe Lisa Peters Hans-Joachim Hacker Jutta Müller (Völklingen) Jörg Tauss Dr. Günter Rexrodt Klaus Hagemann Christian Müller (Zittau) Dr. Bodo Teichmann Dr. Klaus Röhl Manfred Hampel Volker Neumann (Bramsche) Jella Teuchner Helmut Schäfer (Mainz) Christel Hanewinckel Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Gerald Thalheim Cornelia Schmalz-Jacobsen Alfred Hartenbach Dr. Edith Niehuis Dr. Dr. Liesel Hartenstein Dr. Rolf Niese Dietmar Thieser Dr. Hermann Otto Solms Klaus Hasenfratz Günter Oesinghaus Franz Thönnes Dr. Dr. Ingomar Hauchler Leyla Onur Uta Titze-Stecher Carl-Ludwig Thiele Dieter Heistermann Manfred Opel Adelheid Tröscher Dr. Dieter Thomae Reinhold Hemker Adolf Ostertag Hans-Eberhard Urbaniak Jürgen Türk Rolf Hempelmann Kurt Palis Siegfried Vergin Dr. Wolfgang Weng Dr. Barbara Hendricks Albrecht Papenroth Günter Verheugen (Gerlingen) Monika Heubaum Dr. Willfried Penner (Pforzheim) 5804 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Karsten D. Voigt (Frankfurt) Cem Özdemir publik Polen über den Autobahnzusammen- Hans Georg Wagner Gerd Poppe schluß sowie über den Bau und den Umbau Hans Wallow Simone Probst einer Grenzbrücke im Raum Forst und Erlen Dr. Konstanze Wegner Dr. Jürgen Rochlitz holz (Olszyna) Wolfgang Weiermann Halo Saibold Reinhard Weis (Stendal) Christine Scheel - Drucksache 13/2688 - Matthias Weisheit Irmingard Schewe-Gerigk - Gunter Weißgerber Rezzo Schlauch Überweisungsvorschlag: (Wiesloch) Albert Schmidt (Hitzhofen) Ausschuß für Verkehr (federführend) Jochen Welt Wolfgang Schmitt Finanzausschuß Hildegard Wester (Langenfeld) Lydia Westrich Ursula Schönberger c) Erste Beratung des von der Bundesregierung Inge Wettig-Danielmeier (Berlin) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Dr. Norbert Wieczorek Rainder Steenblock dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen Helmut Wieczorek (Duisburg) Christian Sterzing Heidemarie Wieczorek-Zeul Manfred Such der Bundesrepublik Deutschland und der Re- Dieter Wiefelspütz Dr. publik Polen über die Erhaltung der Grenz- Berthold Wittich Ludger Volmer brücken im Zuge der deutschen Bundesfern- Dr. Helmut Wilhelm (Amberg) straßen und der polnischen Landesstraßen an Verena Wohlleben Margareta Wolf (Frankfurt) der deutsch-polnischen Grenze Hanna Wolf (München) Heidi Wright - Drucksache 13/2689 - PDS Überweisungsvorschlag: Dr. Christoph Zöpel Peter Zumkley Wolfgang Bierstedt Ausschuß für Verkehr (federführend) Finanzausschuß Petra Bläss Maritta Böttcher 90 / DIE GRÜNEN BÜNDNIS Eva Bulling-Schröter d) Erste Beratung des von der Bundesregierung Heinrich Graf von Einsiedel eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Gila Altmann (Aurich) Dr. Ludwig Elm Elisabeth Altmann dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen Dr. (Pommelsbrunn) der Bundesrepublik Deutschland und der Re- Dr. (Köln) publik Polen über den Zusammenschluß der Angelika Beer Dr. Gregor Gysi deutschen Bundesstraße B 97 und der polni- Matthias Berninger Dr. Uwe-Jens Heuer schen Landesstraße 274 sowie über den Bau Annelie Buntenbach Dr. Barbara Höll Dr. Willibald Jacob einer Grenzbrücke im Raum Guben und Gu Amke Dietert-Scheuer binek Franziska Eichstädt-Bohlig Ulla Jelpke Dr. Uschi Eid Gerhard Jüttemann - Drucksache 13/2690 - (Berlin) Dr. Heidi Knake-Werner Joseph Fischer (Frankfurt) Rolf Köhne Überweisungsvorschlag: Rita Grießhaber Rolf Kutzmutz Ausschuß für Verkehr (federführend) Antje Hermenau Andrea Lederer Finanzausschuß Kristin Heyne Dr. Christa Luft Ulrike Höfken Heidemarie Lüth e) Erste Beratung des von der Bundesregierung Michaele Hustedt Dr. Günther Maleuda eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Dr. Manuel Kiper Manfred Müller (Berlin) Dr. Angelika Köster-Loßack Rosel Neuhäuser Änderung des AGB-Gesetzes Dr. Uwe-Jens Rössel - Drucksache 13/2713 - Christina Schenk Dr. Helmut Lippelt Steffen Tippach Überweisungsvorschlag: Oswald Metzger Klaus-Jürgen Warnick Rechtsausschuß (federführend) Kerstin Müller (Köln) Dr. Winfried Wolf Ausschuß für Wirtschaft Gerhard Zwerenz f) Erste Beratung des von der Bundesregierung Wir setzen die Beratungen fort. Ich rufe jetzt zu- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur nächst die Tagesordnungspunkte III a bis i sowie die Verlagerung des Sitzes des Bundesverwal- Zusatzpunkte 1 a und b auf: tungsgerichts von Berlin nach Leipzig III a) Erste Beratung des von der Bundesregierung - Drucksache 13/2714 - eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung Überweisungsvorschlag: eines Umweltbundesamtes Rechtsausschuß (federführend) Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO - Drucksache 13/2687 - Überweisungsvorschlag: g) Erste Beratung des von den Fraktionen der Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs (federführend) eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Fleischhygienegesetzes

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung - Drucksache 13/2904 - eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Überweisungsvorschlag: dem Abkommen vom 20. März 1995 zwischen Ausschuß für Gesundheit (federführend) der Bundesrepublik Deutschland und der Re Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5805

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose h) Beratung des Antrags des Bundesministeriums über Straßenbauprojekte auf den Drucksachen 13/ der Finanzen 2688 bis 13/2690 sollen zusätzlich zur Mitberatung dem Finanzausschuß überwiesen werden. Sind Sie Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- damit einverstanden? - Dann sind die Überweisun- haushaltsordnung zur Veräußerung der von gen so beschlossen. den britischen Streitkräften freigegebenen bundeseigenen Wohnsiedlung in Werl Ich rufe die Tagesordnungspunkte IVa und b so- - Drucksache 13/2650 — wie IV e bis i auf:

Überweisungsvorschlag: Abschließende Beratungen ohne Aussprache

Haushaltsausschuß a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Bundeswasserstra- i) Beratung des Antrags des Bundesministeriums ßengesetzes (WaStrÄndG) der Finanzen - Drucksache 13/192 - Einwilligung gemäß § 64 Abs. 2 der Bundes- (Erste Beratung 15. Sitzung) haushaltsordnung in die Veräußerung der bundeseigenen Liegenschaft in Leipzig, Esse- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- ner Straße 1-3, an den Freistaat Sachsen schusses für Verkehr (15. Ausschuß) - Drucksache 13/1583 - - Drucksache 13/2678 — Berichterstattung: Überweisungsvorschlag: Abgeordnete Annette Faße Haushaltsausschuß b) Zweite Beratung und Schlußabstimmung ZP1 Weitere Überweisungen im vereinfachten des von der Bundesregierung eingebrach- Verfahren ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Inter- (Ergänzung zu TOP III) nationalen Kaffee-Übereinkommen von 1994 a) Erste Beratung des von der Bundesregie- - Drucksache 13/1667 - rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- (Erste Beratung 50. Sitzung) zes zur Änderung des Strafrechtlichen Re- habilitierungsgesetzes, des Verwaltungs- Beschlußempfehlung und Bericht des Aus- rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und schusses für Wirtschaft (9. Ausschuß) des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes - Drucksache 13/2648 - - Drucksache 13/2838 - Berichterstattung: Abgeordnete Sabine Kaspereit Überweisungsvorschlag: e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Rechtsausschuß (federführend) Innenausschuß Berichts des Ausschusses für Wirtschaft Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (9. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung b) Beratung des Antrags der Gruppe der PDS Bericht der Bundesregierung zum Filmför- derungsgesetz Grundrechte für die in der Europäischen Union lebenden Menschen - Drucksachen 13/1666, 13/1899 Nr. 2, 13/ 2647 - - Drucksache 13/2457 — Berichterstattung: Abgeordneter Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Überweisungsvorschlag:

Rechtsausschuß (federführend) f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Auswärtiger Ausschuß Berichts des Finanzausschusses (7. Aus- Innenausschuß schuß) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - zu der Unterrichtung durch die Bundesre- Ausschuß für die Angelegenheiten der Europäischen Union gierung Bericht über die Erfahrungen mit der be- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach- fristeten umsatzsteuerlichen Übergangs- ten Verfahren ohne Debatte. regelung und den Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen sowie über den Stand der Bemühungen, an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu einer endgültigen Umsatzsteuer-Re- zu überweisen. Die Gesetzentwürfe der Bundesre- gelung im europäischen Binnenmarkt zu gierung zu den Abkommen mit der Republik Polen kommen 5806 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose - zu dem Bericht der Kommission an den dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- Rat und das Europäische Parlament ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- Funktionieren der MwSt-Übergangsre- fraktionen und der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/ gelung für den innergemeinschaftlichen Die Grünen bei Stimmenthaltung der Gruppe PDS Handelsverkehr angenommen. - Drucksachen 12/8221, 13/725 Nr. 62, 13/ 1097, 13/1096 Nr. 2.1, 13/2673 - Tagesordnungspunkt IVe: Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft zu dem Be richt der Berichterstattung: Bundesregierung zum Filmförderungsgesetz auf Abgeordnete Detlev von Larcher Drucksache 13/2647. Wer stimmt für diese Beschluß- Johannes Selle empfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- g) Beratung der Beschlußempfehlung und des tionsfraktionen, der Fraktion der SPD und der Berichts des Haushaltsausschusses Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung von Bündnis 90/ (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch Die Grünen angenommen. die Bundesregierung Tagesordnungspunkt IV f: Beschlußempfehlung Überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 1113 des Finanzausschusses zu dem Bericht der Bun- Titel 64611 - Erstattung des Sozialzu- desregierung zur Umsatzsteuer-Regelung im euro- schlags für Rentenempfänger in dem in Ar- päischen Binnenmarkt und zum Bericht der Euro- tikel 3 des Einigungsvertrages genannten päischen Union zur Mehrwertsteuer-Übergangsrege- Gebiet lung für den innergemeinschaftlichen Handelsver- - Drucksachen 13/2096, 13/2275 Nr. 1.6, 13/ kehr auf Drucksache 13/2673. Wer stimmt für diese 2762 - Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig ange- Berichterstattung: nommen. Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel Ina Albowitz Tagesordnungspunkt IV g: Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu überplanmäßigen Aus- h) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- gaben bei der Erstattung des Sozialzuschlags für tionsausschusses (2. Ausschuß) Rentenempfänger im Beitrittsgebiet auf den Druck- sachen 13/2096 und 13/2762. Wer stimmt für diese Sammelübersicht 73 zu Petitionen Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- - Drucksache 13/2765 - gen? - Die Beschlußempfehlung ist einstimmig ange- nommen. i) Beratung der Beschlußempfehlung des Peti- tionsausschusses (2. Ausschuß) Tagesordnungspunkt IV h: Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2765. Sammelübersicht 74 zu Petitionen Das ist die Sammelübersicht 73. Wer stimmt für diese - Drucksache 13/2766 - Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen Es handelt sich um die Beschlußfassung zu Vorla- der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei gen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bun- desrat eingebrachten Entwurf zur Änderung des Tagesordnungspunkt IVi: Beschlußempfehlung Bundeswasserstraßengesetzes auf Drucksache 13/ des Petitionsausschusses auf Drucksache 13/2766. 192. Der Ausschuß für Verkehr empfiehlt auf Druck- Das ist die Sammelübersicht 74. Wer stimmt für diese sache 13/1583, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltun- lasse über den Gesetzentwurf des Bundesrates auf gen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen Drucksache 13/192 abstimmen. Ich bitte diejenigen, der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Stimmenthaltung von Bündnis 90/Die Grünen und Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltun- der Gruppe der PDS angenommen. gen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Ich gebe Ihnen jetzt zu Einzelplan 14 das von Stimmen der Opposition abgelehnt. Damit entfällt den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit- nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera- telte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über tung. den Änderungsantrag der Abgeordneten Angelika Beer, Winfried Nachtwei, Christian Sterzing und Wir kommen zur Abstimmung über den von der der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur zweiten Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Beratung des Haushaltsgesetzes 1996 auf Druck- Internationalen Kaffee-Übereinkommen auf Druck- sache 13/2885, bekannt. Abgegebene Stimmen sache 13/1667. Der Ausschuß für Wirtschaft emp- 646. Mit Ja haben gestimmt 91. Mit Nein haben fiehlt auf Drucksache 13/2648, den Gesetzentwurf gestimmt 338. Enthaltungen 217. Der Änderungs- unverändert anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die antrag ist abgelehnt. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5807

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Endgültiges Ergebnis Rainder Steenblock Hartmut Büttner Dr. Harald Kahl Christian Sterzing (Schönebeck) Bartholomäus Kalb Abgegebene Stimmen: 646; Manfred Such Dankward Buwitt Steffen Kampeter davon: Dr. Antje Vollmer Manfred Carstens (Emstek) Dr.-Ing. Dietmar Kansy ja: 91 Ludger Volmer Peter Harry Carstensen Manfred Kanther Helmut Wilhelm (Amberg) (Nordstrand) Irmgard Karwatzki nein: 338 Margareta Wolf (Frankfurt) Wolfgang Dehnel Volker Kauder enthalten: 217 Hubert Deittert Peter Keller Gertrud Dempwolf Eckart von Klaeden PDS Albert Deß Dr. Bernd Klaußner Ja Renate Diemers Hans Klein (München) Wolfgang Bierstedt Wilhelm Dietzel Ulrich Klinkert Petra Bläss Werner Dörflinger Dr. Helmut Kohl SPD Maritta Böttcher Hansjürgen Doss Hans-Ulrich Köhler Eva Bulling-Schröter Dr. Alfred Dregger (Hainspitz) Hans-Werner Bertl Heinrich Graf von Einsiedel Maria Eichhorn Manfred Kolbe Friedhelm Julius Beucher Dr. Ludwig Elm Wolfgang Engelmann Norbert Königshofen Rudolf Bindig Dr. Dagmar Enkelmann Rainer Eppelmann Eva-Maria Kors Peter Conradi Dr. Ruth Fuchs Heinz Dieter Eßmann Hartmut Koschyk Peter Dreßen Dr. Gregor Gysi Horst Eylmann Manfred Koslowski Ludwig Eich Dr. Uwe-Jens Heuer Anke Eymer Thomas Kossendey Christel Hanewinckel Dr. Barbara Höll Ilse Falk Rudolf Kraus Uwe Hiksch Dr. Willibald Jacob Dr. Kurt Faltlhauser Wolfgang Krause (Dessau) Nicolette Kressl Ulla Jelpke Jochen Feilcke Andreas Krautscheid Detlev von Larcher Gerhard Jüttemann Dr. Karl H. Fell Arnulf Kriedner Christa Lörcher Dr. Heidi Knake-Werner Ulf Fink Heinz-Jürgen Kronberg Otto Reschke Rolf Köhne Dirk Fischer (Hamburg) Dr.-Ing. Paul Krüger Hansjörg Schäfer Dr. Rolf Kutzmutz Leni Fischer (Unna) Reiner Krziskewitz Schmidt (Meschede) Dagmar Andrea Lederer Klaus Francke (Hamburg) Dr. Hermann Kues Heinz Schmitt (Berg) Dr. Christa Luft Herbert Frankenhauser Werner Kuhn Dr. Angelica Schwall-Düren Heidemarie Lüth Dr. Gerhard F riedrich Karl Lamers Horst Sielaff Erich G. Fritz Dr. Karl A. Lamers Dr. Günther Maleuda Hans Wallow Hans-Joachim Fuchtel (Heidelberg) Manfred Müller (Berlin) Gert Weisskirchen (Wiesloch) Michaela Geiger Dr. Norbert Lammert Rosel Neuhäuser Norbert Geis Helmut Lamp Dr. Uwe-Jens Rössel Dr. Heiner Geißler Armin Laschet Christina Schenk BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN Michael Glos Herbert Lattmann Steffen Tippach Wilma Glücklich Dr. Paul Laufs Klaus-Jürgen Warnick Gila Altmann (Aurich) Dr. Reinhard Göhner Karl-Josef Laumann Dr. Winfried Wolf Elisabeth Altmann Peter Götz Werner Lensing (Pommelsbrunn) Gerhard Zwerenz Dr. Wolfgang Götzer Christian Lenzer Volker Beck (Köln) Joachim Gres Peter Letzgus Angelika Beer Kurt-Dieter G rill Editha Limbach Matthias Berninger Nein Wolfgang Gröbl Walter Link (Diepholz) Annelie Buntenbach Hermann Gröhe Eduard Lintner Amke Dietert-Scheuer Claus-Peter Grotz Dr. Klaus W. Lippold Franziska Eichstädt-Bohlig CDU/CSU Manfred Grund (Offenbach) Dr. Uschi Eid Horst Günther (Duisburg) Dr. Manfred Lischewski Andrea Fischer (Berlin) Ulrich Adam Carl-Detlev Freiherr von Wolfgang Lohmann Joseph Fischer (Frankfurt) Peter Altmaier Hammerstein (Lüdenscheid) Rita Grießhaber Anneliese Augustin Gottfried Haschke Julius Louven Antje Hermenau Jürgen Augustinowitz (Großhennersdorf) Sigrun Löwisch Kristin Heyne Heinz-Günter Bargfrede Gerda Hasselfeldt Heinrich Lummer Ulrike Höfken Franz Peter Basten Rainer Haungs Dr. Michael Luther Michaele Hustedt Dr. Wolf Bauer Otto Hauser (Esslingen) Erich Maaß (Wilhelmshaven) Dr. Manuel Kiper Brigitte Baumeister Hansgeorg Hauser Dr. Dietrich Mahlo Dr. Angelika Köster-Loßack Meinrad Belle (Rednitzhembach) Erwin Marschewski Steffi Lemke Dr. Sabine Bergmann-Pohl Klaus-Jürgen Hedrich Günter Marten Vera Lengsfeld Hans-Dirk Bierling Manfred Heise Dr. Martin Mayer Dr. Helmut Lippelt Dr. Joseph-Theodor Blank Dr. Renate Hellwig (Siegertsbrunn) Oswald Metzger Ernst Hinsken Wolfgang Meckelburg Kerstin Müller (Köln) Dr. Heribert Blens Peter Hintze Rudolf Meinl Winfried Nachtwei Peter Bleser Josef Hollerith Dr. Michael Meister Cem Özdemir Dr. Norbert Blüm Dr. Karl-Heinz Hornhues Dr. Angela Merkel Gerd Poppe Friedrich Bohl Siegfried Hornung Simone Probst Dr. Maria Böhmer Joachim Hörster Rudolf Meyer (Winsen) Dr. Jürgen Rochlitz Jochen Borchert Hubert Hüppe Hans Michelbach Halo Saibold Wolfgang Börnsen (Bönstrup) Peter Jacoby Meinolf Michels Christine Scheel Wolfgang Bosbach Susanne Jaffke Dr. Gerd Müller Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Wolfgang Bötsch Georg Janovsky Elmar Müller (Kirchheim) Rezzo Schlauch Klaus Brähmig Helmut Jawurek Engelbert Nelle Albert Schmidt (Hitzhofen) Rudolf Braun (Auerbach) Dr. Dionys Jobst Bernd Neumann (Bremen) Wolfgang Schmitt Paul Breuer Dr.-Ing. Rainer Jork Johannes Nitsch (Langenfeld) Monika Brudlewsky Michael Jung (Limburg) Claudia Nolte Ursula Schönberger Georg Brunnhuber Ulrich Junghanns Dr. Rolf Olderog Werner Schulz (Berlin) Klaus Bühler (Bruchsal) Dr. Egon Jüttner Friedhelm Ost 5808 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Eduard Oswald Gerhard Schulz (Leipzig) Rainer Funke Iris Follak Norbert Otto (Erfurt) Frederick Schulze Hans-Dietrich Genscher Norbert Formanski Dr. Gerhard Päselt Diethard Schütze (Berlin) Dr. Wolfgang Gerhardt Dagmar Freitag Dr. Peter Paziorek Clemens Schwalbe Joachim Günther (Plauen) Anke Fuchs (Köln) Hans-Wilhelm Pesch Dr. Christian Schwarz- Dr. Karlheinz Guttmacher Arne Fuhrmann Ulrich Petzold Schilling Dr. Helmut Haussmann Monika Ganseforth Anton Pfeifer Wilhelm-Josef Sebastian Ulrich Heinrich Konrad Gilges Angelika Pfeiffer Horst Seehofer Walter Hirche Iris Gleicke Dr. Gero Pfennig Wilfried Seibel Birgit Homburger Günter Gloser Dr. Friedbert Pflüger Heinz-Georg Seiffert Dr. Werner Hoyer Dr. Peter Glotz Beatrix Philipp Rudolf Seiters Ulrich Irmer Günter Graf (Friesoythe) Dr. Winfried Pinger Johannes Selle Dr. Klaus Kinkel Angelika Graf (Rosenheim) Ronald Pofalla Bernd Siebert Detlef Kleinert (Hannover) Dieter Grasedieck Dr. Hermann Pohler Jürgen Sikora Roland Kohn Achim Großmann Ruprecht Polenz Johannes Singhammer Dr. Heinrich L. Kolb Karl Hermann Haack Marlies Pretzlaff Bärbel Sothmann Jürgen Koppelin (Extertal) Dr. Albe rt Probst Margarete Späte Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann Hans-Joachim Hacker Dr. Bernd Protzner Carl-Dieter Spranger Dr. Otto Graf Lambsdorff Klaus Hagemann Dieter Pützhofen Wolfgang Steiger Heinz Lanfermann Manfred Hampel Thomas Rachel Erika Steinbach Sabine Leutheusser- Alfred Hartenbach Hans Raidel Dr. Wolfgang Freiherr von Schnarrenberger Dr. Liesel Hartenstein Dr. Peter Ramsauer Stetten Uwe Lühr Klaus Hasenfratz Rolf Rau Dr. Gerhard Stoltenberg Günther Friedrich Nolting Dr. Ingomar Hauchler Helmut Rauber Andreas Storm Dr. Rainer Ortleb Dieter Heistermann Peter Harald Rauen Max Straubinger Lisa Peters Reinhold Hemker Otto Regenspurger Michael Stübgen Dr. Günter Rexrodt Rolf Hempelmann Christa Reichard (Dresden) Egon Susset Dr. Klaus Röhl Dr. Barbara Hendricks Klaus Dieter Reichardt Dr. Rita Süssmuth Helmut Schäfer (Mainz) Monika Heubaum (Mannheim) Michael Teiser Cornelia Schmalz-Jacobsen Reinhold Hiller (Lübeck) Dr. Bertold Reinartz Dr. Susanne Tiemann Dr. Hermann Otto Solms Stephan Hilsberg Erika Reinhardt Dr. Klaus Töpfer Dr. Max Stadler Gerd Höfer Hans-Peter Repnik Gottfried Tröger Carl-Ludwig Thiele Jelena Hoffmann (Chemnitz) Roland Richter Dr. Klaus-Dieter Uelhoff Dr. Dieter Thomae Frank Hofmann (Volkach) Roland Richwien Gunnar Uldall Jürgen Türk Ingrid Holzhüter Dr. Norbert Rieder Dr. Horst Waffenschmidt Dr. Wolfgang Weng Erwin Horn Dr. Erich Riedl (München) Dr. Theodor Waigel (Gerlingen) Eike Hovermann Klaus Riegert Alois Graf von Waldburg-Zeil Lothar Ibrügger Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Jürgen Warnke Barbara Imhof Hannelore Rönsch Kersten Wetzel Enthalten Brunhilde Irber (Wiesbaden) Hans-Otto Wilhelm (Mainz) Gabriele Iwersen Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Gert Willner Renate Jäger Dr. Klaus Rose Bernd Wilz SPD Jann-Peter Janssen Kurt J. Rossmanith Willy Wimmer (Neuss) Ilse Janz Adolf Roth (Gießen) Matthias Wissmann Brigitte Adler Volker Jung (Düsseldorf) Norbert Röttgen Simon Wittmann Gerd Andres Sabine Kaspereit Dr. Christian Ruck (Tännesberg) Robert Antretter Susanne Kastner Volker Rühe Dagmar Wöhrl Hermann Bachmaier Ernst Kastning Dr. Jürgen Rüttgers Michael Wonneberger Ernst Bahr Hans-Peter Kemper Roland Sauer (Stuttgart) Elke Wülfing Doris Barnett Klaus Kirschner Ortrun Schätzle Peter Ku rt Würzbach Klaus Barthel Marianne Klappert Dr. Wolfgang Schäuble Cornelia Yzer Ingrid Becker-Inglau Siegrun Klemmer Hartmut Schauerte Wolfgang Zeitlmann Wolfgang Behrendt Dr. Hans-Hinrich Knaape Heinz Schemken Benno Zierer Hans Berger Walter Kolbow Karl-Heinz Scherhag Wolfgang Zöller Lilo Blunck Fritz Rudolf Körper Gerhard Scheu Dr. Ulrich Böhme (Unna) Thomas Krüger Norbert Schindler Anni Brandt-Elsweier Horst Kubatschka Dietmar Schlee SPD Tilo Braune Eckart Kuhlwein Ulrich Schmalz Dr. Eberhard Brecht Konrad Kunick Bernd Schmidbauer Arne Börnsen (Ritterhude) Edelgard Bulmahn Christine Kurzhals Christian Schmidt (Fürth) Wolfgang Ilte Ursula Burchardt Dr. Uwe Küster Dr.-Ing. Joachim Schmidt Dr. Uwe Jens Hans Martin Bury Werner Labsch (Halsbrücke) Hans-Ulrich Klose Hans Büttner (Ingolstadt) Brigitte Lange Andreas Schmidt (Mülheim) Gudrun Schaich-Walch Marion Caspers-Merk Waltraud Lehn Hans-Otto Schmiedeberg Dr. Mathias Schubert Wolf-Michael Catenhusen Robert Leidinger Hans Peter Schmitz Dr. Herta Däubler-Gmelin Klaus Lennartz (Baesweiler) Christel Deichmann Dr. Elke Leonhard Michael von Schmude F.D.P. Karl Diller Klaus Lohmann (Witten) Birgit Schnieber-Jastram Rudolf Dreßler Erika Lotz Dr. Andreas Schockenhoff Ina Albowitz Freimut Duve Dr. Christine Lucyga Dr. Rupert Scholz Dr. Gisela Babel Peter Enders Dieter Maaß (Herne) Reinhard Freiherr von Hildebrecht Braun Gernot Erler Winfried Mante Schorlemer (Augsburg) Petra Ernstberger Dorle Marx Dr. Erika Schuchardt Günther Bredehom Annette Faße Ulrike Mascher Wolfgang Schulhoff Jörg van Essen Elke Ferner Christoph Matschie Dr. Dieter Schulte Gisela Frick Lothar Fischer (Homburg) Heide Mattischeck (Schwäbisch Gmünd) Horst Friedrich Gabriele Fograscher Markus Meckel Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5809

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ulrike Mehl Rolf Schwanitz Berichterstattung: Angelika Mertens Bodo Seidenthal Abgeordnete Dr. Emil Schnell Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Lisa Seuster Michael von Schmude Ursula Mogg Erika Simm Siegmar Mosdorf Johannes Singer Jürgen Koppelin Michael Müller (Düsseldorf) Dr. Cornelie Sonntag - Antje Hermenau Jutta Müller (Völklingen) Wolgast Christian Müller (Zittau) Wieland Sorge Dazu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Volker Neumann (Bramsche) Wolfgang Spanier Bündnis 90/Die Grünen und ein Änderungsantrag Gerhard Neumann (Gotha) Dr. Dietrich Sperling der Gruppe der PDS vor. Dr, Edith Niehuis Jörg-Otto Spiller Dr. Rolf Niese Antje-Marie Steen Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Günter Oesinghaus Ludwig Stiegler Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Kein Wider- Leyla Onur Dr. Peter Struck spruch. Dann ist das so beschlossen. Manfred Opel Joachim Tappe Adolf Ostertag Jörg Tauss Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kol- Kurt Palis Dr. Bodo Teichmann lege Dr. Schnell, SPD-Fraktion. Albrecht Papenroth Jella Teuchner Dr. Willfried Penner Dr. Gerald Thalheim (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ein Dr. Martin Pfaff Wolfgang Thierse mutiger Mann!) Georg Pfannenstein Dietmar Thieser Dr. Eckhart Pick Franz Thönnes Joachim Poß Uta Titze-Stecher Dr. Emil Schnell (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Rudolf Purps Adelheid Tröscher verehrten Damen und Herren! Ich begrüße all die, Hermann Rappe Hans-Eberhard Urbaniak die an Entwicklungspolitik interessiert sind, und ich (Hildesheim) Siegfried Vergin hoffe, daß sich die populistischen Entgleisungen sei- Karin Rehbock-Zureich Günter Verheugen tens der Koalition vom Vormittag nicht über die wei- Margot von Renesse Ute Vogt (Pforzheim) teren Beratungen ziehen. Ich denke, wir sind eher Renate Rennebach Karsten D. Voigt (Frankfurt) Bernd Reuter Hans Georg Wagner zur Sachlichkeit aufgerufen. Dr. Edelbert Richter Dr. Konstanze Wegner (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Günter Rixe Wolfgang Weiermann Reinhold Robbe Reinhard Weis (Stendal) Wir hatten zum Einzelplan 23 ein konstruktives Be- Gerhard Rübenkönig Matthias Weisheit richterstattergespräch und hatten auch eine ver- Dieter Schanz Gunter Weißgerber nünftige und gute erste Runde im Haushaltsaus- Rudolf Scharping Jochen Welt Bernd Scheelen Hildegard Wester schuß. Wir haben in der Tat über jeden Titel, über Siegfried Scheffler Lydia Westrich jede Mark, über jede Umschichtung ernsthaft gestrit- Horst Schild Inge Wettig-Danielmeier ten, bis uns leider der Finanzminister für die Bereini- Otto Schily Dr. Norbert Wieczorek gungssitzung das sogenannte Waigel-Wischpapier Dieter Schloten Helmut Wieczorek auf den Tisch gelegt hat, - Günter Schluckebier (Duisburg) Horst Schmidbauer Heidemarie Wieczorek-Zeul (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Ich (Nürnberg) Dieter Wiefelspütz bitte um mehr Sachlichkeit!) Ursula Schmidt (Aachen) Berthold Wittich Wilhelm Schmidt (Salzgitter) Dr. Wolfgang Wodarg - Ja, Herr Minister, das ist leider so -, wo Sie Milliar- Regina Schmidt-Zadel Verena Wohlleben denbeträge als Hausnummern an Veränderungen Dr. Emil Schnell Hanna Wolf (München) zum Haushalt 1996 begründen wollten. Wer die Walter Schöler Heidi Wright Haushaltsberatungen auch nur halbwegs ernst Ottmar Schreiner Uta Zapf Gisela Schröter Dr. Christoph Zöpel nimmt, kann sich damit nicht abfrühstücken lassen. Richard Schuhmann Peter Zumkley (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Delitzsch) Brigitte Schulte (Hameln) Ein Stück Haushälterehre sollten wir uns bewahren. Volkmar Schultz (Köln) F.D.P. Herr Minister, Sie waren früher auch einmal Haus- Ilse Schumann Dr. R. Werner Schuster Dr. Olaf Feldmann hälter und haben seinerzeit konkret gearbeitet. Ich Dietmar Schütz (Oldenburg) Dr. Burkhard Hirsch denke, daß Sie sich so etwas nicht hätten bieten las- Ernst Schwanhold Dr. Irmgard Schwaetzer sen. Ich bin schon verwundert darüber, daß gerade Sie uns ein derartiges Papier auf den Tisch legen. Wer stimmt jetzt für den Einzelplan 14 in der Aus- Deshalb war es unumgänglich, daß wir die Bereini- schußfassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der gungssitzung verlassen mußten. Einzelplan 14 ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- tionen gegen die Stimmen der Opposition angenom- Wir erinnern uns noch sehr gut an das Geschrei zur men. sogenannten Trendwende des Entwicklungsetats. Die Pressestimmen zeigen, daß es durchaus ein PR- Erfolg der Regierung war, leider mit massiver Unter- Ich rufe jetzt Tagesordnungspunkt I. 13 auf: stützung von Nichtregierungsorganisationen. 500 Nichtregierungsorganisationen haben sich bereit Einzelplan 23 erklärt, Aufrufe zu verfassen und den Minister zu un- terstützen. Ich kann nur hoffen, daß die Vertreter der Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- Nichtregierungsorganisationen aus diesem Vertrau- sammenarbeit und Entwicklung ensmißbrauch lernen und die richtigen Schlußfolge- - Drucksachen 13/2620, 13/2626 - rungen ziehen. 5810 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Emil Schnell Einige Zeitungsüberschriften dazu lauteten: Mehr Ich möchte die wenigen positiven Veränderungen Geld für die Dritte Welt; Spranger unterstützt Appell im Einzelplan 23 nicht verschweigen, zumal sie un- an Kanzler Kohl; auch die Kirchen beteiligen sich an seren Intentionen und Anträgen gedankt sind. einer Aktion für Minister Spranger; Spranger sieht positive Wende in der Entwicklungshilfe; Steigerung Folgende Punkte, die wir schon im Berichterstat- um 1,7 Prozent als Erfolg gewertet; Entwicklungs- tergespräch gefordert haben, die dort abgelehnt wur- hilfe blieb verschont; Kanzler will Entwicklungshilfe den, die wir in der ersten Beratung des Haushalts- verstärken; und schließlich: Unionsabgeordnete ver- ausschusses wieder gefordert haben, dort wieder ab- langen Erhöhung des Etats auf 9 Milliarden DM und gelehnt wurden und jetzt doch im Haushalt stehen, so weiter. Wo sind denn jetzt die lieben Unionsabge- zeigen, daß Vernunft offensichtlich doch ansteckend ordneten? Alle abgetaucht und umgefallen. -sein kann. Es sind: Erhöhung der bilateralen FZ Schuldendienstregelung von 110 auf 200 Millionen (Beifall bei der SPD) DM für Umweltmaßnahmen und Armutsbekämp- Sie sollten sich für die massive Täuschung der Öf- fung, Umschichtung von leider nur 4 Millionen DM fentlichkeit entschuldigen, Herr Minister. aus dem Einzelplan 60 für die GUS/MOEL-Bera- tungshilfe zum Stiftungstitel im Einzelplan 23, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) 100 Millionen DM Expo-2000-Unterstützung für ärmere Partnerländer und, was wir als Genugtuung Wenn Ihr Etat Spiegelbild der gestiegenen Verant- empfinden, die Tatsache, daß unser Vorschlag für wortung Deutschlands gegenüber der Dritten Welt einen neuen Titel „Entwicklungspolitische Sofort- sein soll, wissen wir, wohin die Reise geht. hilfe" - sie nennen das Nahrungsmittel-, Not- und Schauen wir einmal, wie sich der Plafond von Mi- Flüchtlingshilfe - von der Regierung entsprechend nister Spranger entwickelt hat. Der Finanzplan vom aufgenommen wurde. Zwar liegt der Mittelansatz Sommer 1992, der sogenannte Rio-Finanzplan, hatte noch unter unseren Vorstellungen, aber wir werden noch 9,13 Milliarden DM für den Einzelplan 23 sehen, wie die Mittel 1996 abfließen werden, und vorgesehen. Dies sind plus 12,6 Prozent gegenüber sollten dann 1997 im Haushalt eine angemessene dem 95er Plafond. Der Finanzplan 1994 betrug Größenordnung einstellen. 8,34 Milliarden DM, der Regierungsentwurf von die- sem Jahr 8,24 Milliarden DM. Das sind nur noch plus - Die unbefriedigende Gestaltung der GUS/MOEL 1,7 Prozent. Die Bereinigungsvorlage der Koalition Beratungshilfe wurde von mir schon beim 95er Haus- betrug 8,14 Milliarden DM, plus 0,5 Prozent, lag also halt angesprochen, allerdings ohne wirklichen Er- weit unter der Inflationsrate. folg. Die Federführung für die Koordinierung der Be- ratungshilfe für 11 Länder liegt beim BMWi und dem Was wir daraus lernen, meine lieben Kollegen, ist, Auswärtigen Amt; dafür sitzt der Staatssekretär a. D. daß die Finanzplanung der Regierung schlicht un- Kittel im Wirtschaftsministerium. brauchbar und nichtssagend ist. 15 Ressorts sind fachlich zuständig; 7 Ressorts ver- (Beifall bei der SPD) fügen über eigene Haushaltsansätze. Bei der Umset- zung der Projekte bedienen sich die Fachressorts Das politische Ziel der Trendwende wurde damit allerdings der in der Entwicklungszusammenarbeit glatt verfehlt. Das nennen Sie dann Punktlandung. In erfahrenen und insofern dem BMZ zugeordneten dem Fall sind es 0,5 Prozent. Durchführungsorganisationen. Die aufgeteilten Mit- In Anbetracht der schwierigen Haushaltslage, so- tel fließen so teilweise wieder zusammen. zusagen als Ergebnis der ständigen Punktlandungen des Finanzministers, haben wir Sozialdemokraten Einige Ressorts haben sich leider extra Strukturen mit viel Augenmaß Anträge in den Schwerpunktbe- geschaffen, die vergleichbare Aufgaben wahrneh- reichen Armutsbekämpfung, Umwelt, Bekämpfung men wie bereits existierende Organisationen. Auch des Bevölkerungswachstums, Schuldenumwand- von daher ist die Konzentration der Aufgaben im lung, Unterstützung der Frauen in der Dritten Welt BMZ naheliegend. Kollegin Hermenau hat das in und bilaterale technische Zusammenarbeit gestellt, ihrer Kurzintervention richtig angedeutet, aber es die leider zum Teil mit großer Ignoranz von der Koali- kommt noch schlimmer. tion abgelehnt wurden. Die Umsetzung der Beratungshilfe von knapp (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Haben Sie 300 Millionen DM beansprucht in den Ressorts rund auch das Geld dazu? - Gegenruf der Abg. 60 Planstellen. Das BMZ benötigt für die Umsetzung Brigitte Adler [SPD]: Ja! - Siegf ried Hor- von 200 Millionen DM für vergleichbare Aufgaben nung [CDU/CSU]: Wo denn? - Gegenruf zirka 12 Mitarbeiter. Das heißt: Gut 50 Planstellen der Abg. Brigitte Adler [SPD]: Durch Um- könnten eingespart werden bei deutlicher Steige- schichtungen aus dem Landwirtschaftsetat!) rung der Effizienz des Mitteleinsatzes; denn die Nachteile der jetzigen unmöglichen Konstruktion lie- Wir hatten seriöse Deckungsvorschläge - in die- gen auf der Hand. sem Fall aus dem Einzelplan 14. Wir haben im gro- ßen und ganzen eher bescheidene Anträge gestellt, Meine Damen und Herren, hier könnten Sie ein- um überhaupt ein Wachstum zu ermöglichen und mal demonstrieren, was Sie von verschlanktem Staat das Ziel von 0,7 Prozent wenigstens in kleinen Schrit- und schlanker Verwaltung tatsächlich halten. ten anzusteuern, im Gegensatz zu dem, was Sie hier getan haben. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5811

Dr. Emil Schnell Ich fürchte, das, was der Bundeskanzler heute Wir müssen also auch in diesem Bereich flexibel dazu gesagt hat, sind hohle Phrasen gewesen. Und sein. Das heißt auch, daß in besonders krassen Fällen ich befürchte ebenfalls, daß die eigentlichen Bremser Regierung und Parlament in der Lage sein müssen zu bei dieser Konzentration der Aufgaben im BMZ eher handeln. die F.D.P. sein dürfte, die damit eine sinnvolle Mittel- verwendung boykottiert. Das Fazit kann nur sein: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Konzentration der Beratungshilfe Ost beim BMZ. Wir begrüßen das dritte Umschuldungsabkommen Auch in den Vorjahren wurde der Einzelplan 23 mit Nicaragua vom 3. November 1995 - das ist also durch Wechselkursanpassungen empfindlich ge- erst wenige Tage her -, wonach rund 80 Prozent der kürzt. Dazu hat der Haushaltsausschuß am Altschulden erlassen wurden. Weitere 152 Millionen 21. September 1995 die Bundesregierung aufgefor- Dollar sollen für 23 Jahre gestundet werden. dert, im Falle einer Wechselkursanpassung für ent- 67 Prozent der DDR-Handelsforderungen wurden er- sprechenden Ausgleich zu sorgen. Die im multilate- lassen. Hier müßte es eine bilaterale Sonderentschul- ralen Bereich eingesparten Mittel sollten dem bilate- dung auf Null geben, wie es übrigens auch viele ralen Bereich zur Verfügung gestellt werden. Die Nichtregierungsorganisationen fordern. Koalition hat bisher keine Anstrengungen unternom- (Beifall bei der SPD) men, ihre mitgetragene Forderung umzusetzen. Deutschland wird mit rund 3 Milliarden ECU Dramatisch sieht die Situation für die Zuwen- zweitgrößter Beitragszahler für den 8 . Europäischen dungsempfänger des BMZ aus, also für die Deutsche Entwicklungsfonds sein. Wir bezahlen 160 Millionen Stiftung für Internationale Entwicklung, die Carl- ECU mehr, als wir uns vorgestellt haben. Wir akzep- Duisberg-Gesellschaft, für das Deutsche Institut für tieren das aber als Kompromiß im Hinblick auf die Entwicklungspolitik und für den Deutschen Entwick- Verbesserungen der Grundsätze für die Mittelver- lungsdienst. Für diese Einrichtungen bedeutet der gabe, die neuen Rahmenbedingungen und die Kon- Regierungsentwurf eine Stellenkürzung bis Ende trolle der Wirksamkeit der Maßnahmen. 1996 um 30 Stellen. Würde das an den richtigen Stel- len in Ministerien passieren, würde es sicherlich kei- Wir haben allerdings als Haushaltsausschuß eine nen Widerstand unsererseits geben. Aber insbeson- Kontrollmöglichkeit eingebaut. Wir möchten infor- dere eine Reihe Ende 1995 wirksam werdender kw- miert werden, bevor die Mittel verwendet werden. Vermerke führt jedoch zu einer Existenzkrise der in Wir möchten auch sicherstellen, daß die Bedenken den neuen Bundesländern aufgebauten neuen des Europäischen Rechnungshofs ausgeräumt wer- Standorte, in Magdeburg, Zschortau, Berlin-Mitte den. und Brandenburg. Fast 40 Milliarden DM deutsche Zusagen, über die Aus der Entscheidung des Rechnungsprüfungs- ganze Welt verstreut, befinden sich in der, wie wir es ausschusses, das Ärzteprogramm der DSE weiterzu- nennen: VE-Pipeline. Das sind zum Teil 20 Jahre alte führen, müßten jetzt die personalwirtschaftlichen völkerrechtlich verbindliche Zusagen an Staaten, die Konsequenzen gezogen werden. Jedoch Fehlanzeige kumuliert diesen gewaltigen Betrag ausmachen. bei der Koalition. Wir wollen diese Entwicklung in Zukunft nicht Wir fordern eine angemessene Stellenausstattung mehr so hinnehmen. Deshalb haben wir beschlossen, für die Zuwendungsempfänger in den neuen Län- daß in den völkerrechtlichen Zusagen zu vereinba- dern. Sonst sind diese Außenstellen in zwei Jahren ren ist, daß die Verpflichtungen entfallen, soweit in- am Ende. nerhalb von acht Jahren nach der Zusage der Mittel eine Durchführungsvereinbarung nicht abgeschlos- (Beifall bei der SPD) sen wurde. Am Beispiel wo wir unzählige Zuschrif- Nicaragua, Der sogenannten Scheckbuchdiplomatie, wo Kohl ten mit bilateralen Entschuldungsforderungen erhal- oder Kinkel dem Spranger zurufen: „Herr Spranger, ten haben, kann man das Problem der Schulden von schreiben Sie das mal auf", und schon sind ärmsten Ländern gut darstellen. Dabei spielen die 100 Millionen DM Verpflichtungen entstanden, soll Forderungen aus der Ex-DDR in Höhe von so Einhalt geboten werden. 590 Millionen Dollar, die wir übernommen haben, eine gewichtige Rolle. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU: Gibt es dafür ein Beispiel?) Nicaragua hat mit zirka 2 500 Prozent - Stand 1993 - die mit Abstand höchste Schuldenexport- - Dafür gibt es mehrere Beispiele. Ich nenne bloß quote. Die Verschuldungsindikatoren sind drama- Vietnam; das war, glaube ich, ein eher unrühmliches tisch und stellen eine besondere Härte dar, der man Beispiel. multilateral wie bilateral Rechnung tragen muß. Zu den Anträgen anderer Fraktionen wurde hier Deshalb ist es sinnvoll, zusätzliche bilaterale Son- schon klargestellt: Wir selber stellen zur zweiten Le- derentschuldungsmaßnahmen, wie sie übrigens auch sung keine Detailanträge, weil es bei diesem Haus- andere Länder anwenden, nach Einzelfallprüfungen haltsverfahren und bei der Haltung der Koalition un- zu ermöglichen. Im Falle Nicaraguas sollten diese zur wahrscheinlich ist, mit Einzelanträgen zum Erfolg zu Anwendung kommen. Die Bedenken der Kollegen kommen. Wir denken nicht, daß wir den Haushalt der Koalition kann ich nicht teilen. damit in Ordnung bringen können. 5812 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Emil Schnell Wir haben deshalb im Entschließungsantrag für überweisen wir nun einmal in Fremdwährungen und die dritte Lesung unsere politischen Forderungen nicht in D-Mark: Die Stabilitätspolitik unserer Regie- noch einmal in konzentrierter Form dargelegt. Wir rung hilft uns, hier Geld zu sparen, ohne es anderen werden uns entsprechend bei den Abstimmungen wegzunehmen. Die starke D-Mark verbessert nicht über die Anträge in der zweiten Lesung enthalten. nur im Inland die Kaufkraft. Was für den deutschen - Urlauber im Ausland bezüglich der D-Mark gilt, gilt Abschließend möchte ich sagen: Wir werden dem auch für unsere Fördermittel bei den Drittländern. Einzelplan 23 nicht zustimmen können, zumal der Durchbruch zum wirklichen Zukunftsministerium, Über Effizienz und Effektivität unserer Entwick- wie wir es eigentlich erwarten, von der Struktur, der lungshilfe müssen wir weiterhin nachdenken. Mittelbündelung und der Plafondentwicklung her gesehen nicht zu erkennen ist. Ich glaube, daß das (Zuruf von der SPD: Das ist wohl wahr!) 0,7-Prozent-Ziel für die Regierung offensichtlich erle- digt ist. Wir haben uns auf den Grundsatz verständigt, nur Leistungen zu transferieren, die von den Empfänger- Vielen Dank. ländern nicht erbracht werden können. Insofern ist (Beifall bei der SPD) es zu begrüßen, daß das Ministerium jetzt ein Kon- zept vorgelegt hat, wie lokale Personalressourcen besser von uns genutzt werden können. Ich begrüße Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der dies. Denn oft haben qualifizierte akademisch ausge- Kollege von Schmude, CDU/CSU-Fraktion. bildete Arbeitskräfte keine Chance auf einen Ar- beitsplatz. Michael von Schmude (CDU/CSU): Herr Präsi- dent! Meine Damen und Herren! Der Kollege Wir müssen aber dringend eine Korrektur bei der Dr. Schnell hat zu Recht von einer guten ersten Bezahlung einheimischer Kräfte vornehmen. Es Runde in der Haushaltsausschußberatung gespro- kann nicht hingenommen werden, daß zum Beispiel chen. Ich kann Ihnen versichern: Die zweite Runde - wie wir festgestellt haben - in Nepal ein in deut- war noch viel besser. Um so mehr bedauere ich, daß schen Diensten stehender einheimischer Mitarbeiter die SPD an dieser zweiten Runde nicht teilgenom- rund 5 000 DM und ein einheimischer Kraftwerkslei- men hat. Ich bedauere das auch aus einem anderen ter umgerechnet nur 300 DM im Monat verdient. Grund: Der Kollege Dr. Schnell ist ein von mir sehr (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: So ist das, geschätzter Kollege, der sich sehr um Sachinforma- wenn die Rest-Soziologen untergebracht tionen bemüht. An seiner Rede eben habe ich festge- werden!) stellt, daß ihm die Sachinformationen, die in der Be- reinigungssitzung vermittelt wurden, offensichtlich Ein besserer Kosten-Nutzen-Effekt wird auch er- entgangen sind. reicht, wenn die berufliche Aus- und Fortbildung von Die Eckwerte des Einzelplans 23 können sich se- Angehörigen der Entwicklungsländer stärker vor Ort erfolgt. 170 Millionen DM haben wir dafür vorgese- hen lassen. Sie signalisieren nach außen wie nach in- hen. nen, daß wir gewillt sind, auch in Zukunft einen an- gemessenen deutschen Beitrag zu leisten. Ihnen, (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das fordern Herr Minister Spranger, gebührt dafür besonderer wir seit fünf Jahren!) Dank. Sie haben eine Erfolgsbilanz vorgelegt, die sich sehen lassen kann. Wir haben zur Zeit einen Bei der ersten Lesung unseres Haushalts lag der Höchststand an Projekten, nämlich 2 868. Bericht des Europäischen Rechnungshofs über den EEF nur in Teilen vor. Das ganze Ausmaß von Miß- Vor dem Hintergrund knapper Finanzmittel - der wirtschaft kann man jetzt dem kompletten Be richt Bundeshaushalt geht bekanntlich um 1,4 Prozent zu- entnehmen. Das hat zu folgendem Haushaltsvermerk rück - kann man erst recht von einer Trendwende in geführt, den wir als Koalition, aber auch in Überein- der deutschen Entwicklungshilfe sprechen. Der Re- stimmung mit der Opposition eingeführt haben: Vor gierungsentwurf ist unter dem Strich gesehen sogar Auszahlung von deutschen Mitteln ist dem Haus- qualitativ verbessert worden. haltsausschuß ein Bericht über die Planung der Mit- (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ telverwendung und die Zahlung anderer europäi- NEN]: Reden Sie doch nicht schön, wo scher Staaten an die Fonds sowie über die Aufarbei- nichts schönzureden ist!) tung der Beanstandungen des Europäischen Rech- nungshofs vorzulegen. - Der Rechnungshofbericht - Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen: gerne. bestätigt im übrigen unsere Zielsetzung, die bilate- Ich sprach von einer qualitativen Verbesserung: rale Hilfe zu verstärken. Im vorliegenden Haushalt Wir haben 165 Millionen DM mehr an Verpflich- allerdings wird der Gesamtzuwachs von 41 Millionen tungsermächtigungen, und wir haben auch mehr für eingegangene Verpflichtungen im multilateralen Flexibilität in den Einzelplan hineingebracht. Bereich benötigt. Der Rückgang der ursprünglichen Steigerungsrate Die vereinzelt geäußerte Befürchtung, wir würden - hier beklagt - von 1,7 Prozent auf jetzt 0,5 Prozent unserer Verantwortung im multilateralen Bereich ist nahezu ausschließlich auf die Aufwertung der nicht gerecht, weise ich mit Nachdruck zurück. D-Mark gegenüber Dollar und ECU zurückzuführen. 6,7 Milliarden DM Beiträge an internationale Organi- Unsere Beiträge an internationale Organisationen sationen sprechen ein deutliche Sprache. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5813

Michael von Schmude Der Haushaltsausschuß hat angesichts der laufen- brauch gemacht hat, und sage hier: Wir werden uns den Verhandlungen zu IDA 11 in den Haushalt 1996 dieses Instrument sehr genau anschauen und hier in sowie in die Finanzplanung bis 1999 eine deutsche Zukunft auch bei kommenden Haushalten flexibel Beteiligung in gleicher Höhe wie bei IDA 10 einge- reagieren. plant, nämlich 3,2 Milliarden DM. Dabei liegen wir - anteilig sogar über dem Betrag, den die Weltbank Für Nicaragua hat das deutsche Entgegenkommen zur Zeit anvisiert. gleichzeitig die Tür für ein weiteres Abkommen mit der Weltbank geöffnet, durch das nämlich insgesamt Ich sage aber auch ganz deutlich: Wir sitzen hier 1,37 Milliarden Dollar kommerzieller Schulden mit als Deutsche nicht irgendwo auf der Reservebank einem Abschlag von 92 Prozent aus dem Markt ge- und warten nur darauf, fröhlich für andere, die kurz- nommen werden konnten. fristig ausfallen, einzuspringen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU So erfreulich diese Schritte auch sind, es bleibt ab- und der F.D.P.) zuwarten, wie das Land mit der jetzt stark reduzier- ten Schuldenlast dennoch fertig wird. Auch hier wer- Der Haushalt enthält im übrigen einen Vorbehalts- den wir die Entwicklung aufmerksam beobachten. vermerk, der auch für andere Titel wie den EEF gilt. Wir haben gute Gründe, im Konsens mit anderen Ge- Die noch vor wenigen Jahren formulierte Absicht, berländern zu verhandeln. Die Probleme können die Zahl der Länder bei der finanziellen und techni- überall nur gemeinsam gelöst werden, und dies gilt schen Zusammenarbeit zu reduzieren, läßt sich ange- im besonderen Maße auch für den Schuldenerlaß. sichts der Entwicklung in Osteuropa so schnell nicht verwirklichen. Zunehmend öffnet sich unsere Ent- Erst vor wenigen Tagen konnte mit Nicaragua ein wicklungshilfepolitik nach Osten. Aber an Stelle der neues Abkommen vereinbart werden, und ich Beratungshilfe für die MOE-Staaten treten jetzt Pro- möchte mich ausdrücklich beim Bundesminister der jekt- und strukturpolitische Maßnahmen. Insbeson- Finanzen und beim Bundesminister für wirtschaftli- dere sind wir auch den Nachfolgestaaten Jugosla- che Zusammenarbeit bedanken, daß wir zu einem wiens, nämlich Mazedonien, Kroatien und Bosnien- solchen Ergebnis gekommen sind. Herzegowina, verpflichtet. (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Es hat auch lange genug gedauert!) Für Sonderhilfen zur Bewältigung der Kriegsfol- gen, zum Beispiel Projekte in der Energie- und Was- - Es war auch schwierig, Frau Kollegin Eid, außeror- serversorgung, in der Transportinfrastruktur oder bei dentlich schwierig! den kommunalen Diensten, werden wir 1996 voraus- Das Land gehört mit 11,3 Milliarden Dollar Ver- sichtlich 30 Millionen DM in bar einsetzen und dar- schuldung zu den höchstverschuldeten Staaten der über hinaus 90 Millionen DM an Verpflichtungser- Welt. Unsere Ursprungsforderung belief sich auf mächtigungen benötigen. Der Kollege Dr. Schnell 1,6 Milliarden DM, davon nicht 559 Millionen Dollar hat zu Recht darauf hingewiesen: Aus dem neuen Ti- DDR-Schulden, lieber Kollege Dr. Schnell, sondern tel „Nahrungsmittel-, Not- und Flüchtlingshilfe" mit umgerechnet 1,2 Milliarden DM DDR-Schulden. einem Betrag von 116 Millionen DM werden wir Hilfe in Bosnien leisten können. Es ist schon ganz interessant, daß damals diejeni- gen, die heute den totalen Schuldenerlaß forde rn, Ich sage ganz nachdrücklich: Wir machen bei die- sich hierher gestellt und uns die DDR-Hilfe für Nica- sem Beispiel deutlich, daß Entwicklungshilfe auch ragua als Vorbild vorgehalten haben. Das waren die immer ein Beitrag zur Friedenssicherung ist. Dies gleichen, die sich zum Teil in ihren Ferien als Kaffee- gilt im besonderen Maße für unsere Hilfe im Nahen pflücker irgendwo in Nicaragua fotografieren ließen, Osten, wo wir den Friedensprozeß Israel-Palästina- meine Damen und Herren. Wären wir diesen Rat- Jordanien mit 100 Millionen DM für gemeinsame schlägen gefolgt, hätten wir es heute mit einer ganz Projekte, die do rt von den betroffenen Staaten ent- anderen Schuldendimension zu tun. Wir haben - Ni- wickelt werden, nachhaltig fördern wollen. caragua III einbezogen - diesem Land jetzt rund 1 Milliarde DM Schulden erlassen, rund 1 Milliarde Wir können nicht alle diese Hilfen alleine bewerk- DM! Das darf nicht kleingeredet werden! stelligen. Es wird gerade in bezug auf die ehemali- gen jugoslawischen Staaten und auch in bezug auf (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Das tut auch den Nahen Osten darauf ankommen, daß Organisati- niemand!) onshilfe von der EU geleistet wird, aber auch von der Der Rest ist überwiegend langfristig umgeschuldet gesamten westlichen Welt. worden. Von der Möglichkeit, Schulden zu erlassen, wenn der Schuldnerstaat 20 Prozent eigene Mittel für Was uns im Zusammenhang mit unseren Hilfsmaß- den Umweltschutz und auch für Armutsbekämpfung nahmen Sorge macht, sind die stark gestiegenen Ge- einsetzt, wurde in diesem Fall Gebrauch gemacht. treidepreise. Der Haushaltstitel ist nicht erhöht wor- den. Wir konnten das nicht, weil es zunächst keine Wir haben der Bundesregierung durch einen Haus- Deckung dafür gab und es diese Deckung auch bis haltsvermerk jetzt die Möglichkeit eingeräumt, künf- heute nicht gibt. Wir müssen aber sicherstellen - das tig nicht für 400 Millionen, sondern bis zu können wir durch entsprechende Haushaltsvermerke 200 Millionen an Stelle von bisher 110 Millionen für auch -, daß bei einem Nichtausreichen auf die Mittel Schuldenerlaß in dieser Form zu gewähren. Ich bin der finanziellen Zusammenarbeit zurückgegriffen froh, daß Nicaragua auch von dieser Möglichkeit Ge- wird. 5814 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Michael von Schmude In diesem Zusammenhang bitte ich die Bundesre- AWZ, jedenfalls unsere, können bestätigen, daß das gierung, doch einmal bei der EU-Kommission in meine Formulierung war und daß ich sie zu einem Brüssel vorstellig zu werden. Auf Grund der weltwei- sehr frühen Zeitpunkt unseren Fraktionskollegen im ten Getreideknappheit hat man in Brüssel die Export- AWZ mitgeteilt habe. Denn mir liegt, weil ich als erstattungshilfe für Getreide gestrichen und statt Haushälter natürlich diese Dramatik, die sich hier dessen eine Exportabgabe eingeführt, die den Ex- entwickelt, sehe, einerseits daran, daß wir nichts auf- port von Weizen verteuert. bauen, was uns bindet und in Erklärungsnotstand bei den betroffenen Ländern bringt, die dann mit ir- (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! Der gendwelchen Projekten kommen, die wir nicht gut- Weltmarkt ist teurer als der deutsche!) heißen können, aber gutheißen müssen, um das Für Hilfslieferungen in die Dritte Welt sollte Brüssel Ganze abzubauen. Auf der anderen Seite müssen wir von derartigen Abgaben absehen. Ich meine, daß wir auch Flexibilität für neue Verpflichtungsermächti- das mit Nachdruck in Brüssel vertreten sollten. gungen haben. Das ist vom ersten Tag meiner Tätig- keit für diesen Einzelplan an meine Zielvorstellung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - gewesen. Zuruf von der SPD - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will bei den übrigen Maßnahmen, die der Kol- Hier wird gesagt, Sie hätten keine Ahnung! lege Dr. Schnell hier auch aufgeführt hat, sagen, daß Stimmt das?) ich das gerne auch gemeinsam mit Ihnen und der Für die ärmeren Entwicklungsländer haben wir übri- Vertreterin der Grünen im Haushaltsausschuß in der gens im Haushalt 100 Millionen DM an Verpflich- Bereinigungssitzung noch einmal erörtert hätte - tungsermächtigungen bereitgestellt, um ihnen die dazu war aber bedauerlicherweise keine Gelegen- Teilnahme an der Expo 2000 zu ermöglichen. heit -; denn auch hier kamen die Denkanstöße durchaus von verschiedenen Seiten. Auch hier gab Bei der Gesamtbewertung unserer entwicklungs- es aber den notwendigen Informationsbedarf, um politischen Leistungen wird oft übersehen, daß wir entscheiden zu können, mit welcher Größenordnung der Dritten Welt völkerrechtlich verbindliche Zusa- wir an die eine oder andere Titeletatisierung heran- gen in einer Größenordnung von 40 Milliarden DM gehen, um wirklich einen Haushalt zu haben, der gemacht haben - übrigens zeitlich unbefristet. Der das Haus bei knappen Ressourcen zum einen in die Stau in der Pipeline, wie es so schön heißt, erklärt Lage versetzt, effektiv zu arbeiten, dem Haus ande- sich vor allem durch politische Instabilität und durch rerseits aber durch Haushaltsvermerke die Möglich- Bürgerkriege in den Entwicklungsländern. Dieses keit gibt, flexibel auf die Notwendigkeiten und Erf or- unlimitierte Gewähren von Hilfen bedeutet, daß wir, dernisse zu reagieren. wenn wir dem nicht in irgendeiner Form Einhalt ge- bieten, ein Anwachsen bekommen, das eines Tages Mein Dank gilt zum Abschluß den Mitarbeitern haushaltstechnisch nicht mehr beherrschbar ist. Um des Ministeriums für die ausgezeichnete Vorberei- dieses deutsche Obligo in realisierbaren und im Hin- tung des Haushalts, aber auch den Vertretern zahl- blick auf zukünftige Haushalte verantwortbaren reicher NGOs, die mit ihren Anregungen und Infor- Grenzen zu halten, sind nach einem Haushaltsver- mationen gerade auch für die Bereinigungssitzung, merk, den wir eingeführt haben, künftig völkerrecht- bei der sich die Opposition verweigert hat, wichtige liche Zusagen so abzuschließen, daß die Verpflich- Entscheidungshilfe geleistet haben. tungen entfallen, soweit nicht innerhalb von acht Jahren nach der Zusage der Mittel eine entspre- Die Koalitionsfraktionen stimmen dem Einzelplan 23 chende Durchführungsvereinbarung abgeschlossen zu. wird. (Zuruf von der CDU/CSU: Gerne!)

Schönen Dank. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege von Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Michael von Schmude (CDU/CSU): Ja, bitte. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Herr Kol- Kollege Wolfgang Schmitt, Bündnis 90/Die Grünen. lege Schuster.

Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE Dr. R. Werner Schuster (SPD): Herr Kollege von GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Her- Schmude, wissen Sie und Ihre Kollegen im Haus- ren! Lassen Sie mich noch auf die zurückliegende haltsausschuß, daß genau dieser Vorschlag nicht von Abstimmung zurückkommen. Es wundert mich den Haushältern, sondern von den Entwicklungspoli- schon, wenn der Kollege von der SPD hier lauthals tikern und von der Opposition kam, um mehr Flexibi- die bestehenden Defizite in der Entwicklungsfinan- lität zu bekommen? zierung beklagt, seine Fraktion aber offenbar nicht in der Lage ist, einem Antrag meiner Fraktion zuzustim- Michael von Schmude (CDU/CSU): Ich streite men, der die Streichung des „Jäger 90" vorsieht, ei- mich nicht um das Erstgeburtsrecht. Aber die Kolle- nes Projekts, das nicht nur verteidigungspolitisch un- gen im Haushaltsausschuß und auch die Kollegen im sinnig ist, sondern dessen Wegfall auch finanzpoliti- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5815

Wolfgang Schmitt (Langenfeld) sche Spielräume eröffnen würde, die gerade ihren der Entwicklungshilfefinanzierung. Auch in diesem entwicklungspolitischen Anliegen dienen würden. Bundestag - schließlich wird der Etat vom Bundestag verabschiedet - greift die Müdigkeit zu helfen um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich, wie dieses fatale Phänomen mittlerweile im in- sowie bei Abgeordneten der PDS) ternationalen Kontext genannt wird. - Ich meine, wenn man sich hierhin stellt und die Re- gierung kritisiert, dann ist man bei allen Schwierig- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo soll es keiten, die dieses Haushaltsverfahren in diesem Jahr denn herkommen?) geboten hat, auch verpflichtet, an entscheidenden Einer größeren Zahl von Partnerländern stehen weni- Stellen politische Akzente zu setzen. Man kann sich ger Geld und weniger Personal gegenüber. Preisbe- nicht mit Enthaltungen aus der Affäre ziehen. reinigt haben wir es sogar mit einer echten Kürzung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - der Etatmittel zu tun. Karl Diller [SPD]: Sagen Sie mal, Polemik steht Ihnen gar nicht!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. R. Werner Schuster [SPD]: So ist es!) Meine Damen und Herren, in der nachrichtenar- men Zeit dieses Sommers hat Entwicklungshilfemi- So sehr ich es als grüner Entwicklungspolitiker nister Spranger lauthals vor der Presse verkündet, auch akzeptieren kann, daß wir interfraktionell be- eine Trendwende sei in Sicht, es gebe mehr Geld, die reit sein müssen, Lobbyarbeit im Sinne unseres Poli- Bundesregierung werde ihrer internationalen Ver- tikfeldes zu betreiben: Der vorgelegte Entwurf ist pflichtung gerecht, Entwicklungshilfe sei eine Inve- nicht dazu angetan, optimistisch in die Zukunft zu stition in die Zukunft, der Etat werde um 1,7 Prozent blicken. erhöht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Ankündigung hat dann auch bei verschiede- nen Nichtregierungsorganisationen Anklang gefun- Wir kritisieren unter anderem die zu geringe Kon- den, und engagierte Einzelpersonen haben sich in zentration der Mittel auf die sogenannten „Least De- der Presse geäußert und durchaus positiv auf die Äu- veloped Countries ". Aber halt, die Bundesregierung ßerungen des Ministers Bezug genommen. Diese und der Haushaltsausschuß servieren uns noch ein Personen schrieben damals an den Bundeskanzler: Schmankerl: Ein neuer Titel in Höhe von Setzen Sie sich dafür ein, daß im Parlament der vom 100 Millionen DM ist eingestellt, damit auch die ärm- Kabinett beschlossene Zuwachs nicht wieder revi- sten Entwicklungsländer an der Expo 2000 in Han- diert wird und daß die Politik der Kürzungen für die nover teilnehmen können. Entwicklungszusammenarbeit nicht fortgesetzt wird. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - Doch der Kanzler hat, das wissen wir alle, nach den DIE GRÜNEN]: Ui, hervorragend!) Hiobsbotschaften des Finanzministers andere Sor- gen, als sich um den Etat des Bundesentwicklungs- Ich frage sie: Welches ärmste Entwicklungsland ist hilfeministeriums zu kümmern. Das Resultat: Es wird hier in Bonn vorstellig geworden und hat die Bundes- keine nennenswerte Erhöhung des Etats geben. Wir regierung darum gebeten, diese Mittel bereitzustel- müssen zurück auf „Los" - übrigens ohne 8 000 DM len? zu gewinnen - und das Ganze noch einmal von vorne (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: China!) beginnen. Ich habe eher den Eindruck, daß das Kino der Frau In Zahlen ausgedrückt, wurde der ursprüngliche Breuel offenbar nicht gefüllt wird und daß man auf Entwurf um 93 Millionen DM gekürzt. Um es deut- diese Art und Weise ein paar Freikarten verkauft, da- lich zu sagen: Es gibt keine Trendwende in der Mit- mit die Expo zu einem Erfolg wird. telausstattung des Einzelplanes 23. Von einem hö- heren Stellenwert der Entwicklungszusammenarbeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kann keine Rede sein. sowie des Abg. Dr. R. Werner Schuster (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN [SPD] - Zuruf des Abg. Helmut Wieczorek sowie bei Abgeordneten der SPD - Dr. Emil [Duisburg] [SPD]) Schnell [SPD]: Das stimmt!) Dieser Haushaltsposten ist, Herr Wieczorek, übri- Der Etat wird sich weiter von dem in Rio vom Bun- gens symptomatisch für das Verhältnis zwischen deskanzler verkündeten Ziel entfernen, die Entwick- Haushalts- und Entwicklungshilfeausschuß: Statt lungshilfemittel sukzessive auf 0,7 Prozent des Brut- sich mit quantitativen Aspekten der Entwicklungsfi- tosozialprodukts anzuheben. nanzierung zu beschäftigen, setzt der Haushaltsaus- schuß qualitative Fakten, siehe U-Bahn Shanghai, (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ siehe Expo 2000 in Hannover. Die einstimmigen Vor- DIE GRÜNEN]: Obacht: Der hält demnächst schläge des Fachausschusses wurden noch nicht ein- eine Rede zur Umwelt in der UN, wie er ge mal diskutiert. Während Sie, Herr Pinger, wohlfeil sagt hat!) über Selbsthilfe in unserem Ausschuß räsonieren - Ja, wir sind alle gespannt, was er denn da außer dürfen, sind es andere, die in diesem Hause die ent- leeren Taschen anzubieten hat. wicklungspolitischen Fakten setzen. Die Bundesrepublik bildet keine Ausnahme beim (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: international feststellbaren Trend zur Reduzierung Richtig!) 5816 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Wolfgang Schmitt (Langenfeld) Darüber hätte im Zusammenhang mit einer Parla- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- mentsreform gesprochen werden müssen. ner Kurzintervention hat der Kollege Laschet. (Beifall der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/ (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was DIE GRÜNEN] - Dr. Willfried Penner [SPD]: hat denn der damit zu tun?) Der Pinger war mal Repetitor!) - Nun ist die Kritik am Etat kein Selbstzweck. Den Armin Laschet (CDU/CSU): Der Kollege Schmitt Titel „Schuldenumwandlung für Umweltschutzpro- hat manches Richtige gesagt, aber er hat bei man- jekte und Projekte der Armutsbekämpfung" auf chem auch nicht richtig dargestellt, wie es im Aus- 200 Millionen DM aufzustocken ist für mich ein posi- schuß erörtert worden ist. tives Beispiel. Das geht im übrigen auf eine Initiative (Dr. Willfried Penner [SPD]: Ausreichend meiner Fraktion im Ausschuß für wirtschaftliche Zu- plus!) sammenarbeit und Entwicklung zurück. Zum einen haben wir den Haushaltsvermerk mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Zielsetzung beschlossen, für Nicaraguas große sowie der Abg. Ulla Jelpke [PDS] - Zuruf Verschuldungsprobleme eine Lösung zu finden. Es von der SPD: Stimmt doch überhaupt nicht! hätte natürlich gut zu einem solchen Debattenbeitrag - Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Ab gepaßt, hier einmal darzustellen, was wir für Nicara- schreiber!) gua in den letzten Wochen an Positivem erreicht ha- Meine Damen und Herren, der Ausschuß hat im ben, wie hoch die Reduktion für Nicaragua bei dem Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen be- ist, was in der Tat alles Schulden bei der früheren schlossen, bei der Schuldenreduzierung für die DDR sind. hochverschuldeten ärmsten Länder in Ausnahmefäl- Hierüber müssen wir die Debatte allerdings fortset- len über das Niveau internationaler Vereinbarungen zen. Ich denke, daß wir auch im nächsten Jahr zu ei- hinauszugehen. Dafür sollte im Einzelfalle die Zu- nem weiteren Schuldenerlaß kommen müssen. Der stimmung des Haushaltsausschusses und des AWZ demokratische Nachfolger der früheren DDR kann erforderlich sein. Ein Haushaltsvermerk im Einzel- nicht von den demokratischen Nachfolgern der kom- plan 32 schränkt notwendigerweise den Handlungs- munistischen Sandinisten in Nicaragua Gelder für spielraum der Regierung ein. Waffen für sich fordern. Das war unsere gemeinsame Mir steht es nicht zu, das in diesem Haushaltsver- Überzeugung im Ausschuß; deshalb dieser Haus- merk zum Ausdruck kommende Mißtrauen der Par- haltsvermerk. Die Dringlichkeit, dies zu überneh- lamentsmehrheit gegenüber der eigenen Regierung men, hat sich dadurch erledigt, daß die Verhandlun- zu kommentieren. Aber nach dem Vorschlag, den wir gen zu einem so positiven Ergebnis geführt haben. gemacht haben, nämlich daß dem zwei Ausschüsse Eine zweite Bemerkung. Man kann natürlich dar- zustimmen müssen, und der gestrigen Abstimmung - über streiten, was eine Trendwende ist. Was an bei der sich die SPD übrigens abermals enthalten Trendwende erreicht worden ist, reicht natürlich hat - längst nicht aus. Aber nach jahrelang sinkenden (Andreas Krautscheid [CDU/CSU]: Hört! Haushalten nun bei einem Bundeshaushalt, der auch Hört! - Dr. Willfried Penner [SPD]: Seien Sie in diesem Jahr in fast allen Bereichen absinkt, beim doch nicht so böse zu uns!) Entwicklungshilfeetat zu erreichen, daß er ansteigt, halte ich für ein Signal der Trendwende. Das war im stelle ich fest, daß in diesem Hause das Mißtrauen Sommer kein Schautheater des Ministers und der gegenüber zwei Ausschüssen so dominant ist, daß Kollegen von uns, die das vertreten haben, sondern wir die Schuldenproblematik nicht flexibel behan- ich glaube auch, daß die Debatte des Sommers und deln können. die Debatte, die davor stattgefunden hat, dazu beige- (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Wie tragen haben, daß dieses Ergebnis jetzt möglich ge- lange dauert eigentlich die Rede?) worden ist. Meine Damen und Herren, die Gestaltungsspiel- Ich denke, daß die Debatte im nächsten Jahr wei- räume für die Entwicklungszusammenarbeit tergeht. Wenn wir entgegen dem Gesamthaushalt schrumpfen weiter. Es geht längst um die Substanz wieder in diesem Trend liegen könnten, so wäre das der entwicklungspolitischen Arbeit, sowohl bilateral auch eine Sache, für die wir allerdings erst kämpfen als auch multilateral. Dieser Etat ist in Zeiten interna- müssen, auch gegenüber manchen, die die Bedeu- tional zurückgehender Entwicklungsfinanzierung tung der Entwicklungshilfe nicht erkannt haben, das falsche Signal. Die Bundesregierung wird dem, aber nicht unter den Entwicklungspolitikern, son- was sonntags die „Verantwortung für globale Pro- dern bei anderen. bleme" genannt wird, im harten finanzpolitischen (Beifall bei der CDU/CSU) Alltag nur unzulänglich gerecht.

Ich danke Ihnen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Schmitt. Karl Diller [SPD]: Ein Glück, daß diese Rede zu Ende ist! Sie war unerträglich! Heuchelei Wolfgang Schmitt (Langenfeld) (BÜNDNIS 90/DIE pur! - Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: GRÜNEN): Herr Kollege Laschet, ich kann verste- Amtsanmaßung war das!) hen, daß Sie engagiert die Politik der Bundesregie- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5817

Wolfgang Schmitt (Langenfeld) rung verteidigen müssen und möchten. Aber gestat- dig gemacht, um abzuklären: Mit welcher Marsch- ten Sie mir wenigstens den Hinweis darauf, daß das richtung geht die Bundesregierung in die Nicaragua- Abkommen mit Nicaragua nach Beendigung der Be- Verhandlungen? Ich habe mich vorher erkundigt, mit reinigungssitzung im Haushaltsausschuß getroffen welchen Vorstellungen man ganz konkret verhan- wurde. Wir haben in unserem Ausschuß auf Initiative deln will, um zu dem Ergebnis zu kommen, das wir- aller Fraktionen einstimmig einen Beschluß gefaßt. alle für notwendig halten, unabhängig davon, in wel- chem Ausschuß wir sitzen. Es ist schon bezeichnend, daß Sie nicht in der Lage sind, Ihre eigenen Haushaltspolitiker von diesem Es ist ein Zweites anzumerken. Sie können sich im Vorhaben zu überzeugen. Der einstimmige Beschluß Ausschuß - das ist Ihre Aufgabe - Ihre Meinung zu des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit fachlichen Dingen bilden und dazu Beschlüsse fas- und Entwicklung ist nicht in die Beratungen des sen. Im Haushaltsausschuß haben wir aber die ver- Haushaltsausschusses eingeführt worden, nicht dammte Pflicht und Schuldigkeit, die finanziellen durch die Grünen, weil wir nicht teilgenommen ha- Folgen solcher Beschlüsse genau zu untersuchen. ben, nicht durch die SPD, weil sie nicht teilgenom- men hat; aber es war ein gemeinsamer Antrag aller (Eckart Kuhlwein [SPD]: 20 Milliarden DM Fraktionen, und es hätte Ihnen gut angestanden, in 24 Stunden!) wenn Sie die Beschlüsse, die mit Ihren Stimmen, zum Erstens hat es sehr wohl haushaltstechnische Auswir- Teil auf Ihre eigene Initiative hin, im Ausschuß für kungen, wenn wir irgendwo einen Schuldenerlaß wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung durchführen. Man kann das nicht einfach als eine gefaßt wurden, in adäquater Weise in den Haushalts- glatte Ausbuchung von bereits abgeschriebenen For- ausschuß eingespeist hätten. Das ist der Grund für derungen abtun. meine Empörung. Zweitens stelle ich fest, daß wir auch mit dem jetzi- Ich finde, dieser Vorfall spricht Bände, welchen gen Haushaltsvermerk beim Einzelplan 32 die Mög- Stellenwert die entsprechenden Fachpolitiker in den lichkeit haben, bei der FZ einen Schuldenerlaß Reihen der CDU/CSU- und der F.D.P.-Fraktion ha- durchzuführen. Das sind die beiden Instrumente, die ben. wir haben. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Das kann man daraus nicht ableiten!) Vollmer) Das ist das entscheidende Manko. Ich spreche Ihnen Darüber hinaus haben wir - das wiederhole ich - keineswegs das persönliche und politische Engage- auch die verbesserte Möglichkeit, Schuldenum- ment in diesen Sachfragen ab. Aber man muß sich wandlung, Schuldenerlaß in der Form vorzunehmen, ehrlich fragen, Herr Kollege Laschet: Wozu beschäf- daß die Entwicklungsländer einen 20prozentigen tigt sich unser Fachausschuß mehrere Stunden lang Anteil leisten, um Maßnahmen zur Armutsbekämp- mit Haushaltsproblemen, mit Problemen der interna- fung und zum Umweltschutz durchzuführen. tionalen Entschuldung, Ich glaube, wir haben in diesem Bereich ausrei- (Zuruf des Abg. Armin Laschet [CDU/CSU]) chend Instrumentarien. Wir wollen den Haushalt mit wenn dem Vernehmen nach die gemeinsame Be- Vermerken auch nicht überfrachten. Wir schaffen schlußlage des Ausschusses im Haushaltsausschuß nur da Vermerke, wo es unbedingt notwendig ist, wo mit der Bemerkung „Das sind die Beschlüsse des es die Flexibilität unseres Handelns und möglicher- AWZ" zu den Akten gelegt wird und man sich noch weise auch, wenn es erforderlich ist, das Handeln der nicht einmal bemüßigt fühlt, sich ernsthaft mit den Regierung erleichtert. einstimmig gefaßten Beratungsergebnissen unseres Ausschusses auseinanderzusetzen? Ich denke, als Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Will jemand ant- Fachpolitiker hat man das Recht und die Pflicht, die- worten? - Das ist nicht der Fall. sen Mißstand zu beklagen. Dann hat jetzt das Wort der Abgeordnete Roland (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kohn. sowie bei Abgeordneten der PDS und des Abg. Günter Graf [Friesoythe] [SPD]) Roland Kohn (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bedanke mich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Eine Kurzinter- dafür, daß niemand mehr antworten wollte. Ich habe vention des Kollegen von Schmude. jetzt die Chance zu reden, nachdem zwei Kollegen, die bereits gesprochen hatten, ihre Redezeit mit Michael von Schmude (CDU/CSU): Herr Kollege Kurzinterventionen ausgedehnt haben. Soviel zum Schmitt, ich muß leider feststellen, daß auch Sie nicht Thema Parlamentsreform. umfassend informiert sind. (Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/ (Zuruf von der SPD: Sie sollen den Wahr CSU) heitsbeweis antreten!) Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den Das ist das Ergebnis der Nichtteilnahme an der Be vergangenen Jahren ist der Einzelplan 23, bedingt reinigungssitzung. Wir haben uns als Berichterstatter durch die Kosten zur Überwindung der kommunisti- im Haushaltsausschuß sehr wohl Bach- und fachkun schen Hinterlassenschaft in Deutschland und Eu- 5818 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Roland Kohn ropa, zurückgefahren worden. Im Haushalt 1996 ha- denfalls begreifen diese Situation als eine Erneue- ben wir erstmals wieder ein Wachstum von einem rungschance für die Entwicklungspolitik und als eine halben Prozent zu verzeichnen. Der Anteil des Ein- Herausforderung an Kreativität und Innovations- zelplans am Gesamthaushalt liegt unverändert bei kraft. 1,8 Prozent. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Die auf Grund der Beratungen im Haushaltsaus- ten der CDU/CSU) schuß gegenüber dem Regierungsentwurf vorgese- hene Kürzung der Barmittel im Einzelplan um Es muß mit der rein quantitativen Betrachtungsweise 93 Millionen DM auf rund 8,2 Milliarden DM ist zum der Entwicklungspolitik, wie sie in allen Redebeiträ- allergrößten Teil durch Wechselkursgewinne be- gen der Oppositionspolitiker vorgetragen wurde, dingt: schwacher Dollar - starke D-Mark. Insoweit Schluß sein. sind mit diesen Kürzungen keinerlei Einschränkun- (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen unseres entwicklungspolitischen Programms NEN]: Dann haben Sie nicht zugehört!) oder des entwicklungspolitischen Spielraums dieser Regierung verbunden. Insofern möchte ich das, was Wir müssen gemeinsam überlegen, wie die vorhan- hier von seiten der Opposition kritisch bemerkt denen knappen Ressourcen in Zukunft noch besser, wurde, als weit über das Ziel hinausschießend zu- noch effizienter im Sinne einer nachhaltigen Ent- rückweisen. wicklung eingesetzt werden können. Wir müssen (Beifall bei der F.D.P.) auch unkonventionelle und zukunftsträchtige Alter- nativen zu den ausgetretenen Pfaden der Vergan- Wichtiger für unsere Arbeit ist jedoch die vorgese- genheit prüfen. hene Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen - allein im bilateralen Bereich um 4,3 Prozent -; das In diesem Zusammenhang drängen sich geradezu entspricht der Intention und dem Wunsch des Aus- eine Reihe von Fragen auf, von deren Beantwortung schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Qualität unserer Entwicklungspolitik in Zukunft Entwicklung. Insbesondere im Hinblick auf die entscheidend abhängen wird: Wie kommen wir bei- künftigen Entwicklungsnotwendigkeiten brauchen spielsweise in der Entwicklungszusammenarbeit wir mehr Flexibilität bei den Instrumenten und mehr weg von dem reinen Subventionsprinzip hin zu ei- Nachhaltigkeit der Entwicklung bei unseren Pa rtner- nem verstärkten Einsatz marktwirtschaftlicher In- staaten. Deswegen ist auch ein weiterer Aufwuchs strumente, um so die Lebensbedingungen der Men- gerade bei den Verpflichtungsermächtigungen unab- schen zu verbessern? Wie können wir unsere ent- dingbar. wicklungspolitischen Instrumentarien im Sinne einer effektiven Ressourcennutzung optimieren? Was müs- Natürlich ist eine Steigerung des entwicklungs- sen wir tun, um die Selbsthilfekräfte und die Eigen- politischen Etats um ein halbes Prozent nicht das, verantwortung in den Entwicklungsländern selbst was sich manche erträumt haben: angesichts großer zu fördern? Wie können wir die Eliten in unseren Probleme, angesichts der gewachsenen internationa- Partnerländern stärker in die Pflicht nehmen? len Verantwortung und des Gewichts unseres Lan- des. Das Wachstum des Einzelplans stellt aus meiner Ich sehe zum Beispiel überhaupt nicht ein, daß Sicht ein um so bemerkenswerteres Ergebnis dar, als manche Führungskräfte in der Dritten Welt Milliar- der Bundeshaushalt 1996 insgesamt erstmals seit denbeträge in die Schweiz verschieben, statt dieses Jahrzehnten nicht wächst, sondern zurückgefahren Geld zur Förderung der Lebensbedingungen der wird. Hiermit wird in der Tat, wie es Herr Kollege Menschen in ihrem eigenen Land einzusetzen. Laschet formuliert hat, ein vernünftiges Signal für (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- den Stellenwert gegeben, den wir dieser Politik im ten der CDU/CSU) Rahmen unserer Gesamtverantwortung einräumen. Wie kommen wir weg von der bürokratiege- Meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Wir schwängerten und personalkostenintensiven Einzel- müssen der Wahrheit einfach ins Auge blicken. projektitis, die auch bei uns im Ausschuß um sich (Helmut Wieczorek [Duisburg] [SPD]: Muß greift? Welche Alternativen gibt es? Könnte es zum das denn sein?) Beispiel ein Wettbewerb in Gestalt kommunaler und regionaler, also dezentraler Budgethilfe sein? - Herr Kollege Wieczorek, es muß sein, so schwer es gerade der SPD und den anderen Oppositionspar- (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teien fällt. NEN]: Tun Sie es doch! Sie sind doch in der Regierung!) Auch in den nächsten Jahren werden wir mit knap- pen Kassen leben müssen. Deshalb sollten wir uns Wie schaffen wir es, die Zusammenarbeit zwischen nicht jammernd und zagend an die Klagemauer des den verschiedenen Einrichtungen, die auf diesem Haushaltsausschusses stellen und unseren Frustra- Felde international tätig sind, zu verbessern und zu tionen darüber freien Lauf lassen, wie schlecht doch einer echten Koordination ihrer Bemühungen zu die Welt als solche sei. kommen? Brauchen wir wirklich die nahezu unüber- schaubare Vielzahl von Institutionen und Organisa- Statt sich darüber zu beklagen, daß die Mittel für tionen, die sich auf dem Felde der Entwicklungspoli- die Entwicklungshilfe in den nächsten Jahren nicht tik tummeln, erheblichen Koordinierungsaufwand nennenswert gesteigert werden können, sollten wir verursachen und wahrlich - man kann es sich vor Ort der Lage nüchtern Rechnung tragen. Wir Liberale je- anschauen - nicht immer Synergieeffekte in diesen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5819

Roland Kohn Ländern erzielen? Wann endlich gibt es eine sachlich Dr. Willibald Jacob (PDS): Frau Präsidentin, um Sie plausible Aufgaben- und Kompetenzabgrenzung am Ende durch die Länge meiner Rede oder die zwischen der Europäischen Union einerseits und den Überschreitung der Zeit nicht in Bedrängnis zu brin- einzelnen Mitgliedstaaten andererseits? gen, möchte ich das Ergebnis meiner Rede vorweg- nehmen. Meine Damen und Herren, ich muß ge-- Diese Liste ließe sich verlängern. Darüber möchte meinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen der ich gern mit Ihnen in diesem Parlament streiten und PDS den Planteil 23 ablehnen. nicht über formale Zielsetzungen quantitativer Art. Wir müssen vor allem diese Fragen beantworten, (Brigitte Adler [SPD]: Das ist eine Überra- schung!) (Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie das mal!) - Natürlich keine. - Wir erwarten im Zusammenhang mit dem Gesamthaushaltsplan eine Neufassung. wenn wir die Zustimmung der Bürger für unsere Poli- tik erhalten wollen. Das, was Kollege Kohn vor mir gesagt hat, ist na- türlich richtig. Es geht um die Qualität. Ich möchte Ich habe mich bereits in der Debatte zur ersten Le- deshalb, weil es um den Dialog unter uns nicht nur sung zur Gesamtverantwortung für die Haushalts- im Ausschuß, sondern auch hier geht, die Gegen- politik bekannt. Ich wiederhole deshalb: Der Weg in frage stellen: Wie kommt es dazu, daß aus den, wie noch höhere Verschuldung darf im Interesse der jun- Sie sagen, Subventionen innerhalb der Entwick- gen Generation nicht weitergegangen werden. Die lungshilfe Subventionen an die deutsche Wirtschaft Steuer- und Abgabenlast der Bürger ist zu hoch und im Ausland werden? Das sind Positionen des Plan- muß abgebaut werden. teils 23. Die Eliten aus den Entwicklungsländern sind Ihre Partner, Partner deutscher Wirtschaft und deut- Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, scher Regierungspolitiker. Ich denke, primär sind Sie müssen wir in allen Politikfeldern, auch in der Ent- in der Pflicht, das zu realisieren, was Sie anmahnen. wicklungspolitik, diese Situation als Erneuerungs- chance begreifen und nutzen. Nur so werden wir die Ich möchte im Blick auf den Planteil 23 zwei grund- Zustimmung der Bürger für diese Politik erhalten. legende Bemerkungen machen. Der Beginn der deutschen Entwicklungspolitik ist (Karl Diller [SPD]: Frau Präsidentin, wie mit den Namen von zwei Liberalen verbunden: Wal- hieß der Teil?) ter Scheel war der erste Entwicklungsminister der Erstens. Der Ertrag der drei UNO-Konferenzen des Bundesrepublik Deutschland, und der Mannheimer Jahres 1995 in Kopenhagen, Berlin und Peking ist Abgeordnete Robert Margulies war der erste Vorsit- die Erkenntnis, die Globalisierung der Märkte, der zende des entwicklungspolitischen Ausschusses des Finanzen und der Produktion bedeutet gleichzeitig Deutschen Bundestages. die Globalisierung von Hunger, Armut und sozialer Seither haben sich viele Mitglieder meiner Partei Rechtlosigkeit, für dieses immer wichtiger werdende Politikfeld en- (Karl Diller [SPD]: Diese Regierung macht gagiert, wie zuletzt unsere frühere Kollegin Ingrid „Planteile", hat er behauptet!) Walz. Dies, Herr Minister Spranger, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß es nicht richtig sein kann, Wahl- aber auch die Globalisierung der Verschuldung. rechtssysteme zu propagieren, die den Wählerwillen jedenfalls nicht fair widerspiegeln, um es sehr zu- (Unruhe) rückhaltend auszudrücken. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Einen Moment (Beifall der Abg. Dr. Irmgard Schwaetzer bitte. Liebe Kollegen, ich bitte um ein bißchen mehr [F.D.P.]) Ruhe. Es ist für den Redner sonst wirklich schwer zu Wir Liberalen bekennen uns ausdrücklich zur Zu- reden. sammenarbeit mit den armen Ländern auf dieser (Karl Diller [SPD]: Er behauptet, es gäbe Erde. Demokratie und Partizipation, Achtung der „Planteile" !) Menschenrechte, Minderheitenschutz, Rechtsstaat- lichkeit und Soziale Marktwirtschaft bleiben für uns Richtschnur der Entwicklungspolitik. Dr. Willibald Jacob (PDS): In Indien zum Beispiel heißt „lean production" unter dem Druck ausländi- (Beifall bei der F.D.P.) scher Investoren, daß Betriebe so behandelt werden wie in Ostdeutschland. In einer mittleren Industrie- Die Bundestagsfraktion der Freien Demokrati- stadt habe ich es in der letzten Woche erlebt. Ein Ze- schen Partei stimmt deshalb dem Einzelplan 23 zu. mentwerk entläßt von 2 500 Mitarbeitern 2 150. 350 Vielen Dank. bleiben übrig, und das in einem Land der billigen Ar- beitskräfte. Die Folge ist eine 16prozentige regi- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne strierte Arbeitslosigkeit wie bei uns in Ostdeutsch- ten der CDU/CSU) land. (Wolfgang Schmitt [Langenfeld] [BÜND- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Zement der Abgeordnete Willibald Jacob. wird billiger!) 5820 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Willibald Jacob - Natürlich. - Global ist die Weltbevölkerung zu ben eine Kontinuität in den Erfahrungen. Ich kann 80 Prozent weiterhin unterernährt, zu 20 Prozent vom nicht nachlassen, vielleicht auch in Ihrem Sinne kri- Hungertod bedroht. Weiterhin sterben täglich 40 000 tisch nachzufragen. Kinder. 170 Millionen Kinder kämpfen ums Überle- ben. Die Problematik der Straßenkinder ist bekannt. (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/ CSU: Viel Erfolg!) - Dies alles sind Folgen einer gigantischen Struktur- anpassung, die auch bei uns vorgenommen wird. Trotz meiner Kritik bin ich der Meinung, daß Ent- Zerstörung von Produktion, das ist in Ostdeutschland wicklungshilfe und Solidarität unsere Verpflichtung passiert. Arbeitslosigkeit und Verschuldung als Folge sind, obwohl die Bundesrepublik Deutschland - das dessen geschehen bei uns. sage ich jetzt im Kontext Ihrer Frage an mich - 40 Jahre lang daran beteiligt war, Länder der Dritten (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Erzählen Welt auszuplündern. Auch das ist die Basis des Wohl- Sie den Leuten doch keinen Unsinn mehr!) standes, der im Westen entstanden ist. In diesem Sinne ist die Wirtschaft der Bundesrepu- Zweitens. In einer Situation der Verschuldung hilft blik Deutschland voll in die Globalisierung der nur, sich das Geld von denen zurückzuholen, zu de- Märkte einbezogen, nen es transferiert worden ist und die damit spekulie- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie sind ren. Das ist in dieser Debatte heute schon oft gesagt doch selber die Brandstifter!) worden. Die Opfer der Entwicklung erwarten das in den Entwicklungsländern wie bei uns selbst. so wie Kollege Helmut Haussmann es uns immer wieder nahezubringen versucht. Insofern ist unser Fi- Dazu kommen Ausgrenzung und Sinnlosigkeit des nanzminister von den Wirkungen seines eigenen Sy- Lebens, geschehen in weit schlimmerem Maße bei stems voll getroffen und weiß nicht angemessen dar- den Menschen im Süden. Es hilft nicht, den Opfern auf zu reagieren. Das Loch im Haushaltsplan ist ein der Entwicklung die Schuld in die Schuhe zu schie- Zeichen dafür. ben, im Süden mit dem Argument „Ihr habt zu viele Kinder" und bei uns mit „Die Ostdeutschen sind schuld" . So ist das im Ausschuß für wi rtschaftliche Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, Zusammenarbeit im September sinngemäß immer gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Uschi wieder geschehen, genau in den Sitzungen, in denen Eid? ich dabei war. Da mußte ich mein Veto einlegen. (Zuruf von der CDU/CSU: Was? Da waren Dr. Willibald Jacob (PDS): Bitte, ja. Sie doch nie! - Andreas Krautscheid [CDU/ CSU]: Herzlich willkommen! - Erwin Mar- Dr. Uschi Eid (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr schewski [CDU/CSU]: Kassieren, aber nicht Kollege, Sie haben soeben aufgezählt und bedauert, arbeiten!) was alles in der Welt passiert, daß sehr viele Men- schen an Hunger leiden und es sehr viele Behinderte gibt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ihre Redezeit ist um. Ich komme gerade aus Angola zurück. Wir haben von dem Landminenräumungsbüro eine Liste be- kommen, auf der die Minen, der Typ und das Her- Dr. Willibald Jacob (PDS): Meine Zeit ist um, kunftsland verzeichnet sind. Wir mußten feststellen, (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sehr richtig!) daß zwei Landminentypen aus der ehemaligen DDR nachweislich noch heute in Angola liegen und dort und im Prinzip habe ich alles gesagt. bei Minenräumungen gefunden werden. Ich hätte Vielen Dank. gerne Ihre Meinung dazu gewußt. Wie stehen Sie dazu, daß die ehemalige DDR Landminen an Angola (Beifall bei der PDS) geliefert hat?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat und bei der CDU/CSU - Zuruf von der jetzt der Bundesminister Carl-Dieter Spranger. CDU/CSU: „Nichts davon gewußt"!) Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- Dr. Willibald Jacob (PDS): Ich finde das fatal und schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Frau falsch. Ich selber bin in der DDR Wehrdienstverwei- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Investitionen gerer vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir in die Zukunft, die Förderung strukturellen Wandels, gemacht haben, gewesen. die Bekämpfung der Risiken für Wohlstand und so- (Zuruf von der CDU/CSU: Dann sind Sie ziale Sicherheit, dies sind die zentralen Themen des aber in der falschen Partei!) Haushalts 1996. Dabei gewinnt die Sicherung unse- rer Zukunft immer mehr eine internationale Dimen- Nun ist die Frage, ob wir in diesem vereinten sion. Die Globalisierung der Güter-, Finanz- und Ar- Deutschland das, was in der DDR falsch gemacht beitsmärkte ebenso wie die Globalisierung der Risi- worden ist, fortsetzen. Das ist der Punkt, der mich ken durch grenzüberschreitende ökologische Pro- heute beschäftigt. Insofern gibt es also in meinem Le bleme sowie soziale und ethnische Konflikte lassen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5821

Bundesminister Carl-Dieter Spranger (A) uns immer weniger die Chance, Zukunftssicherung Herr Schmitt hat gesagt, daß die Preisbereini- allein aus einer rein innenpolitischen Betrachtungs- gung sozusagen zur Stagnation führe. Wenn Sie weise heraus zu betreiben. eine Preisbereinigung durchführen, dann müssen Sie natürlich auch die Inflationsraten in den Ent- (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ wicklungsländern berücksichtigen. Da diese Infla- - NEN]: Das ist richtig, Herr Minister!) tionsraten wesentlich höher sind als unsere Infla- Die deutsche Entwicklungspolitik der 90er Jahre tionsrate, ist das sogar ein erheblicher Gewinn, ist wichtiger Bestandteil einer so verstandenen glo- den die Entwicklungsländer durch unsere DM-Lei- balen Strategie. Entwicklungspolitik dient dem Frie- stungen erfahren. Insofern steigen unsere Leistun- den, indem sie zum Abbau wirtschaftlicher und so- gen zusätzlich. zialer Spannungen beiträgt. Sie hilft, die natürlichen Lebensgrundlagen für künftige Generationen zu er- (Karl Diller [SPD]: So kann man sich auch halten, und sie unterstützt die Menschen in ihrem glücklich machen!) Bemühen, ihr Leben aus eigener Kraft zu gestalten. Damit wirkt die Entwicklungspolitik der Bundesre- Zum anderen: Die positive Zukunftsperspektive, gierung auch in unserem wohlverstandenen eigenen das heißt die Trendwende zugunsten künftiger Stei- Interesse. gerungen der bilateralen Zusammenarbeit, kommt vor allem in der Erhöhung der Verpflichtungser- Die Rolle der modernen Entwicklungspolitik ha- mächtigung um 4,3 Prozent zum Ausdruck. Ich kann ben wir in diesem Jahr bereits mehrfach diskutiert. mich noch an manche Debatte erinnern, in der ge- Im Grundsatz besteht darüber, soweit ich sehe, kein rade aus der Oppositionsecke behauptet wurde, es Dissens. Lieber Kollege Dr. Schnell, ich begrüße den sei das entscheidende Manko, daß die Verpflich- Aufruf zur Fortsetzung der sachlichen Diskussion. tungsermächtigungen stagnieren. Jetzt haben wir Man sollte sich dann aber auch selber daran halten ein Wachstum von 4,3 Prozent. Das ist ein durchaus und die 500 Nichtregierungsorganisationen, die in bedeutsamer Fortschritt. der Sommerpause unsere Arbeit unterstützt und deutlich gemacht haben, welch große entwicklungs- (Beifall bei der CDU/CSU) politische Lobby sich in Deutschland entwickelt hat, nicht diskreditieren, sondern sagen: Das ist eine Nicht erreicht wird - das muß man offen einge- prima Sache! stehen - eine Trendwende bei der Entwicklung der Bei einer Steigerungsrate des (Beifall bei der CDU/CSU) ODA/BSP-Quote. Einzelplans um 0,5 Prozent und einer geschätzten Wir hoffen, daß wir in dieser Gemeinschaft der Ent Wachstumsrate des BSP von 4 bis 5 Prozent wird wicklungsarbeit weiter auf Erfolgskurs bleiben. sie weiter sinken. Auch der Anteil der gesamten Auch Ihre Kritik, Herr Schmitt, ist damit zurückge- öffentlichen Hilfe unter Einschluß der Hilfen für wiesen. die weiter fortgeschrittenen Entwicklungsländer und die Transformationsländer wird nach einem (Dr. Emil Schnell [SPD]: Sie haben die Un starken Anstieg zu Beginn der 90er Jahre zurück- terstützung mißbraucht!) gehen. In diesem Bereich würde ich mir natürlich Eine Politik, mit der wir unserer internationalen eine deutliche Trendwende wünschen. Verantwortung nachkommen und zur Sicherung der Zukunft nachfolgender Generationen beitragen wol- Bedauerlich ist auch - das ist schon gesagt worden -, len, verdient eine gute finanzielle Ausstattung. daß die Einsparungen von 87,5 Millionen DM im multilateralen Bereich, die wechselkursbedingt sind Mit dem Haushalt 1996 setzt die Bundesregierung und nicht etwa zur Kürzung von Programmen füh- für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit neue ren, erneut nicht für dringende Aufgaben im bilatera- Akzente. Ich sehe darin einen ersten Erfolg der Be- len Bereich verwendet werden konnten. Dennoch, mühungen, für ein besseres Verständnis von Ent- vor dem Hintergrund der angespannten Haushalts- wicklungspolitik zu werben und die Bedeutung der lage ist die Feststellung, Deutschland werde seiner Auslandskooperation für die Lösung globaler Pro- gestiegenen internationalen Verantwortung gerecht, bleme zu unterstreichen. vertretbar. Was haben wir nun mit dem Haushalt 1996 er- reicht? Auf der positiven Seite ist zu vermelden: Zum Wir haben im Haushalt Weiteres erreicht. In eini- einen: Nach der Kürzung in den vergangenen Jahren gen wichtigen Bereichen wurde der Handlungsspiel- wird der Einzelplan 23 etwas bessergestellt. Die Stei- raum der Bundesregierung und des BMZ erweitert. gerungsrate ist angesichts der angespannten Haus- Zu nennen sind: haltssituation mit 0,5 Prozent äußerst maßvoll und kann nicht alle Erwartungen erfüllen. Bei einem zu- Erstens. Das Verzichtsvolumen f ür die Umwand- rückgehenden Gesamthaushalt ist sie jedoch ein lung von Schulden ärmerer Entwicklungsländer ge- deutliches politisches Signal. Die Kollegen Kohn und gen Umweltschutz wurde von 110 auf 200 Millionen Laschet haben das in ihren Beiträgen auch richtig DM erhöht und auf Projekte der Armutsbekämpfung und sachlich begründet. erweitert. Damit erwerben wir Flexibilität bei der Schuldenstrategie. Maßnahmen bei der Schulden- (Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ entlastung können jetzt noch besser in die entwick- NEN]: Sie sind aber sehr genügsam, Herr lungspolitische Gesamtkonzeption einbezogen wer- Minister!) den. 5822 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundesminister Carl-Dieter Spranger Zweitens. Mit dem neuen Titel „Nahrungsmittel-, gen, um die 1996 eingeleitete Trendwende zu bestä- Not- und Flüchtlingshilfe" wird es leichter, die ver- tigen und zu verstärken. schiedenen, auch über die Nahrungsmittelhilfe hin- ausgehenden Elemente der Not- und Flüchtlings- Ich möchte mich zum Schluß für alle Unterstützung hilfe schnell und dem jeweiligen Bedarf entspre- und Hilfe vor allem beim Finanzminister, beim Haus- chend zu einem integrierten Hilfsprogramm zusam- haltsausschuß insgesamt, bei den Kollegen im AwZ, menzustellen. Gleichzeitig wird die Bedeutung der insbesondere aber bei der Dame und den Herren Be- Zusammenarbeit des BMZ im Kontinuum zwischen richterstattern - Herrn von Schmude, Herrn Koppe- humanitärer Hilfe und langfristiger Unterstützung lin, Herrn Dr. Schnell und Frau Hermenau -, die uns unterstrichen. Auch das ist ein Bemühen, das jahre- in vielen Stunden Arbeit sehr geholfen haben, be- lang angehalten hat. Hier kommen wir Schritt für danken. Vielen Dank für Ihre Arbeit und Unterstüt- Schritt zu einer Konsolidierung. zung. Ich freue mich auf eine weitere Zusammenar- beit mit den Ausschüssen und dem Parlament. Drittens. Der BMZ-Haushalt wurde als zentrales Instrument des Bundeshaushalts bei der Unterstüt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zung der MOE/NUS-Länder bestätigt. Rund 350 bis 400 Millionen DM sind für diese Region im Einzel- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt plan 23 insgesamt vorgesehen. Die Zusammenfas- der Abgeordnete Werner Schuster. sung der Sonderhilfen mit den Beratungshilfen für die vom BMZ federführend betreuten Länder schafft zusätzlichen Handlungsspielraum, insbesondere im Dr. R. Werner Schuster (SPD): Frau Präsidentin! Hinblick auf Südosteuropa. Meine Damen und Herren! Herr Bundesminister Spranger, es gibt ein gutes deutsches Sprichwort: Ich brauche nicht zu betonen, daß die heutige In- Not macht erfinderisch. Das scheint jedoch für das tervention von Frau Hermenau in einem anderen Zu- BMZ nicht zu gelten. Dieser Haushalt ist business as sammenhang der Strategie und der Auffassung des usual. Nichts von dem, was Herr Kohn an Innovation BMZ, mich natürlich eingeschlossen, entspricht. gefordert hat, ist enthalten. Oder, Herr Minister, (Beifall bei der CDU/CSU) könnte es sein, daß die Not noch immer nicht groß genug ist? Viertens. Im multilateralen Bereich ist hervorzuhe- Bevor Sie im Jahre 1990 Ihr Amt antraten, betrug ben, daß für die elfte Wiederauffüllung der IDA eine die ODA-Quote 0,41 Prozent. Ende 1996 wird die Verpflichtungsermächtigung eingestellt wurde, die ODA-Quote bei 0,3 Prozent liegen. Wenn man das für die anstehenden Verhandlungen genügend hochrechnet, Herr Minister, haben wir in zehn Jah- Spielraum enthält. Der IDA - das sollte man nicht ren eine ODA-Quote in Höhe von 0 Prozent. vergessen - kommt entscheidende Bedeutung für die wirtschaftlichen Reformprogramme gerade der ärme- Meine Damen und Herren, auf die Vorgeschichte ren Länder zu. Diese Reformprogramme dienen zu- hat Herr Kollege Schnell schon hingewiesen. Ich will gleich als Grundlage unserer bilateralen Programme nur eines wiederholen: Sie haben die NGOs gebeten, und der Verhandlungen im Pariser Club. für Entwicklungszusammenarbeit zu werben. Es ist kein Geheimnis, daß der heute zu verabschiedende Meine Damen und Herren, damit sind wir gerüstet, Haushalt ein großes Desaster ist, und viele NGOs um den heute sichtbaren Anforderungen des Jahres sind maßlos enttäuscht. 1996 zu begegnen. Daneben werden wir unsere Be- mühungen um Effizienzsteigerung und Verfahrens- Was lernen wir daraus, meine Damen und Herren? vereinfachung fortsetzen, wie es auch Herr Kohn - Drei Dinge: Erstens. Herr Minister, Sie sägen offen- wiederholt zutreffend gefordert und angeregt hat. Es sichtlich systematisch Ihren eigenen Ast ab. Die kommt in Zukunft noch mehr darauf an, daß alle drei Leute, die für unser Anliegen, den Nord-Süd-Aus- Säulen der Zusammenarbeit - die bilaterale staatli- gleich, in die Bütt gehen, die NGO-Vertreter, bekom- che, die bilaterale nichtstaatliche und die multilate- men nicht mehr als vorher. Die entwicklungspoliti- rale - noch enger miteinander verzahnt werden und sche Bildung spielt ebenfalls kaum noch eine Rolle. einander ergänzen. 1993 waren es noch 5,6 Millionen DM, jetzt sind es nur 4,3 Millionen DM. Wir wollten nur kleine Be- In der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorga- träge. Aber, meine Damen und Herren, ich frage Sie: nisationen, die angesichts der in vielen Ländern ein- Wer soll eigentlich diesen so staatstragenden Haus- geleiteten gesellschaftlichen Reformprozesse, aber hältern Dampf machen, wenn nicht die Mitglieder auch wegen des von uns beherzigten Grundsatzes der NGOs die Öffentlichkeit in Deutschland entspre- der Subsidiarität in den letzten Jahren immer wichti- chend mobilisieren, wenn nicht ein entsprechender ger geworden ist, haben wir eine neue Qualität er- Bewußtseinswandel organisiert wird? reicht, für die wir alle miteinander dankbar sein soll- ten. Wir können nur sagen: Diese Art von Gemein- (Beifall bei der SPD) samkeit wollen wir auch in den kommenden Jahren kontinuierlich ausbauen. Wer soll deutlich machen, meine Damen und Herren, daß der Nord-Süd-Ausgleich nicht eine Frage des (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Südens ist, sondern eine Frage unseres eigenen Überlebens? 1997 und in den Jahren danach müssen, was die finanzielle Ausstattung angeht, weitere Schritte fol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5823

Dr. R. Werner Schuster Ich frage Sie, Herr Minister: Wollen Sie diesen strate- freuen, wenn Sie sich für die zweite Alternative ent- gischen Aspekt der Verbündeten nicht wahrhaben, scheiden. Das wünschen wir uns von Ihnen. oder müssen Sie ihn verdrängen? Ich bitte Sie an die- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ser Stelle, sich bei den NGOs zu entschuldigen, da- GRÜNEN und der PDS) mit es nicht noch mehr Scherben gibt.

(Beifall bei der SPD) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- mit die Aussprache. Zweitens. Zu den falschen Prioritäten, Herr Kohn: Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst Wenn Ihnen, Herr Minister Spranger, Herr Kohl - im über die Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/ Gegensatz zu den Vereinbarungen von Rio - schon Die Grünen. Wer stimmt für den Änderungsantrag nicht mehr Geld zur Verfügung stellt, dann muß doch auf Drucksache 13/2882? - Gegenprobe! - Enthaltun- die Frage erlaubt sein, ob man das vorhandene Geld gen? - Der Antrag auf Drucksache 13/2882 ist mit nicht wirksamer, nachhaltiger ausgibt, ob man nicht den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die andere Prioritäten setzen muß. Ich will nicht mißver- Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung standen werden. Prioritäten setzen heißt nicht: ent- von SPD und PDS abgelehnt. scheiden zwischen guten und schlechten Projekten, sondern innerhalb von wichtigen Projekten noch ein- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- mal eine neue Rangordnung schaffen. che 13/2883? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit denselben Stimmenverhält- Ich darf Sie daran erinnern: Dieser Bundestag hat nissen abgelehnt worden. vor 13 Jahren, 1982, einstimmig beschlossen, daß die Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- Hauptzielgruppe der deutschen Entwicklungszusam- che 13/2884? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch menarbeit die ärmsten Bevölkerungsschichten sein dieser Änderungsantrag ist mit denselben Stimmen- sollten. Die Mobilisierung und die aktive Beteiligung verhältnissen abgelehnt worden. der betroffenen Bevölkerung am Entwicklungspro- zeß sollten bestimmende Kriterien für Programme Wir kommen zum Änderungsantrag der Gruppe und Projekte sein. Und besonderer Wert ist auf die der PDS auf Drucksache 13/2912. Wer stimmt dafür? Förderung von Frauen zu legen. Wenn Sie das, - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsan- meine Damen und Herren, mit dem vergleichen, was trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge- wir neulich in der Anhörung zur Armutsbekämpfung gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und gehört haben, haben Ihnen hoffentlich die Ohren ge- der PDS bei Enthaltung der Fraktion der SPD abge- klungen.m Und Sie, meine Damen und Herren vo lehnt worden. BMZ, muß man fragen: Was machen Sie eigentlich mit solchen Beschlüssen des Bundestages? Legen Sie Wer stimmt für den Einzelplan 23 in der Ausschuß- die auf Ihre Kopfkissen - und das war's dann, die Ka- fassung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ein- rawane zieht weiter? zelplan 23 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- nen gegen die Stimmen der Opposition angenom- Ich meine, Herr Minister Spranger, wir müssen men worden. endlich lernen, daß Herr Nyerere in einem Punkt recht hatte: Menschen können nicht entwickelt wer- Ich rufe auf: den, sie können sich nur selbst entwickeln. Das ist Einzelplan 06 aber sehr personalintensiv, Herr Kohn. Bundesministerium des Innern Drittens. Wenn Sie schon nicht genug Geld von - Drucksachen 13/2606, 13/2626 - Herrn Kohl für ausreichendes Personal bekommen: Berichterstattung: Warum machen Sie dann weiterhin die „Projektitis"? Abgeordnete Dr. Klaus Uelhoff Sie haben ein Riesenreservoir an Organisationen. Sie Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein könnten eine Menge Arbeit delegieren und bekä- Ina Albowitz men endlich die manpower frei, um so wichtige Fra- Uta Titze-Stecher gen wie die Beeinflussung der Politik der Weltbank, Oswald Metzger des IWF oder auch von Brüssel zu klären. Einzelplan 33 Meine Damen und Herren, Herr Spranger, nach meinem Verständnis haben Sie zwei Handlungsalter- Versorgung nativen: Entweder machen Sie weiter so. Dann wird - Drucksachen 13/2624, 13/2626 - Ihr Name leider untrennbar mit einer zunehmenden Berichterstattung: Bedeutungslosigkeit des BMZ verbunden sein. Oder Abgeordnete aber, Herr Spranger, Sie machen tatsächlich aus der Carl-Detlev Frhr. von Hammerstein Not eine Tugend, suchen sich systematisch Verbün- Ina Albowitz dete, unterstützen diese, setzen andere Prioritäten Uta Titze-Stecher und organisieren einen Reformprozeß in Ihrem Haus. Oswald Metzger Wir, meine Damen und Herren, die wir nach wie Zum Einzelplan 06 liegen neun Änderungsanträge vor der Vision von dem gemeinsamen solidarischen der Gruppe der PDS und ein Änderungsantrag des Leben in der einen Welt nachhängen, würden uns Abgeordneten Manfred Such vor. 5824 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für für das THW - gegen die wir nichts haben - nicht die gemeinsame Aussprache eineinhalb Stunden durch klammheimlichen Personalabbau ausgehöhlt vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist wird. Denn die Beschäftigten beim THW - wozu so beschlossen. auch die Helferorganisationen gehören - brauchen (Große Unruhe) Verläßlichkeit nach den vergangenen Jahren der ab- soluten Unsicherheit. - Ich bitte ein wenig um Ruhe. (Beifall bei der SPD) Ich eröffne nun die Aussprache. Das Wort hat zu- nächst die Abgeordnete Uta Titze-Stecher. Der Minister ist aber nur da so saumselig, wo es ihm paßt, zum Beispiel in Sachen zivile Verteidigung. Uta Titze-Stecher (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Ganz im Gegensatz dazu steht seine Entschluß- Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 06 des freude, wenn es um seine Lieblingsspielfelder geht, Bundesministeriums des Innern umfaßt ein Finanzvo- nämlich die innere Sicherheit - freilich so, wie er in- lumen von 9 Milliarden DM. Die leichte Steigerung nere Sicherheit versteht. Für den BGS - Bundes- um 2,4 Prozent gegenüber dem Haushalt des letzten grenzschutz - und das BKA - Bundeskriminalamt - Jahres erklärt sich sehr einfach: Der Einzelplan 36, hat Herr Kanther immer ein offenes Ohr und vor al- Zivile Verteidigung, wurde aufgelöst und erstmalig lem ein offenes Portemonnaie. im Einzelplan 06 veranschlagt, allerdings um (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr gut!) 4,3 Prozent gesenkt. - Dafür sind Sie zuständig; dafür sorgen Sie. - Im Re- Wer glaubt, der zuständige Innenminister Kanther gierungsentwurf sind für den BGS 2,9 Milliarden DM habe sich die massiv geäußerten Vorwürfe der Oppo- vorgesehen, gut 200 Millionen DM mehr als gegen- sition anläßlich der letzten Haushaltsberatung Ende über dem Vorjahr, was eine satte Steigerung von März zu Herzen genommen und zeige sich nun re- 7,5 Prozent bedeutet. formwillig, reformfähig, entschlossen und konzeptio- nell neuorientiert - Bereiche dafür gäbe es genug -, (Beifall bei der CDU/CSU) der täuscht sich gewaltig; Fehlanzeige in allen Berei- - Von der Seite brauche ich wirklich keinen Beifall. - chen, wie ich gleich im einzelnen nachweisen werde. Auch das Haushaltsvolumen des BKA erhöht sich um Im Gegenteil, der Minister ist sich treu geblieben; er 10 Prozent. handelt entschlossen am Parlament vorbei. Damit Sie sich nicht täuschen: Auch der SPD ist Dies zeigt sich exemplarisch im Zusammenhang klar, daß ein leistungsfähiges BKA ein unverzichtba- mit der Erarbeitung und Umsetzung des Konzepts rer Bestandteil der inneren Sicherheit ist. Das heißt, zur Neuordnung des Zivilschutzes. Wie Sie wissen, sowohl die Personalausstattung als auch die Struktur haben wir seit 1989 veränderte politische Verhält- des BKA müssen mit Blick auf die Bekämpfung der nisse durch das, was in Osteuropa geschehen ist. Das organisierten Kriminalität in Ordnung sein. hat auch die Situation der politischen Sicherheit und damit die militärische Bedrohungslage der Bundesre- (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sind sie publik Deutschland geändert. Daß dies Auswirkun- auch!) gen auch auf die Ausgestaltung des Zivilschutzes ha- Das ist auch der Opposition bekannt. Ebenso ist uns ben mußte und haben muß, ist klar und unbestreit- bekannt, daß sich die OK - bar. Genau deshalb hat der Deutsche Bundestag seit organisierte Kriminali- tät - besorgniserregend verstärkt hat und daß inter- 1991 den zuständigen Bundesinnenminister wieder- nationale Verbrechersyndikate auch in Deutschland holt zur Vorlage eines Konzepts aufgefordert, zuletzt arbeiten, im Juni 1992. Was glauben Sie, wann dieses Konzept endlich überkam? Nach Zwischenberichten, endgül- (Hartmut Schauerte [CDU/CSU]: Eine ganz tigen Zwischenberichten haben wir am Ende der tolle Erkenntnis!) Sommerpause diesen Jahres, also nach genau drei Jahren Brütezeit, endlich das endgültige Konzept auf wodurch sie jährlich einen volkswirtschaftlichen den Tisch bekommen; es ist bis heute noch nicht par- Schaden in dreistelliger Milliardenhöhe verursachen. lamentarisch beraten. - Daran tragen Sie und der zuständige Innenminister ein erhebliches Maß an Mitschuld. Ich werde das (Zuruf von der SPD: Unerhört!) jetzt erklären. Ich rüge ausdrücklich, daß dies nicht geschehen ist. - (Zuruf des Abg. Erwin Marschewski [CDU/ Aber die erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen CSU]) und haushaltsrechtlichen Schlußfolgerungen werden bereits mit dem Haushalt dieses Jahres, also seit - Sie brauchen gar nicht so laut zu schreien, Herr 1995, in Gang gesetzt bzw. gezogen. Damit brüskiert Marschewski. Sie haben nachher noch genug Gele- der Innenminister eindeutig den gesamten Bundes- genheit dazu. tag. Daß Sie, die Kollegen von der rechten Seite, sich Das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 und die das gefallen lassen, das verstehe ich nicht. geltenden Vorschriften des Geldwäschegesetzes ha- (Beifall bei der SPD) ben sich - das beweist der Anstieg der organisierten Kriminalität - im Kampf gegen international agie- Wir werden im Zusammenhang mit der zivilen rende Banden als nicht ausreichend erwiesen. Nach Verteidigung sehr genau aufpassen müssen, damit Angaben des BKA selbst konnte 1994 bei Finanzer- die vom Minister zugesagte Budgetierung der Mittel mittlungen nur in 4 Prozent der Verfahren der Ver- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5825

Uta Titze-Stecher dacht der Geldwäsche konkretisiert werden. Herr Desintegration. Schärfere Strafgesetze sind kein Er- Kanther, hier wartet jede Menge Arbeit auf Sie. Es satz für eine sinnvolle Lebensperspektive. kann nicht hingenommen werden, daß Teile der Koa- lition vor einer Lobby kapitulieren, die den Schutz (Beifall bei der SPD) von Finanztransaktionen höher bewertet als die Ver- Gefragt ist gerade im Blick auf Jugendliche, auch- brechensbekämpfung selbst. ausländische Jugendliche, Kriminalprävention. Dazu (Beifall bei der SPD) werde ich im weiteren Verlauf noch einiges an sinn- vollen Vorschlägen bringen. Aber das paßt wohl nicht Eine bereits im Mai 1993 von der SPD eingebrachte in das Weltbild dieses Ministers und vor allem dieser und zwischenzeitlich aktualisierte Große Anfrage zu Koalition. diesem Komplex ist bis heute - das ist anscheinend bewährtes Muster - nicht beantwortet worden. Viel- Dritter Punkt. Ich wüßte schon ein Betätigungsfeld leicht verraten Sie in Ihrer anschließenden Antwort, auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung. Eine Herr Minister, warum. BKA-Studie über Korruption in Deutschland stellt fest, daß Bestechung im Amt nicht ausreichend ge- Drei abschließende Bemerkungen zum Thema Kri- ächtet wird. - Wie wahr! Der Komplex Bestechung im minalität und BKA: Erstens. Das Bundesverfassungs- Amt ist kein Peanut. Nach BKA-Angaben wurden al- gericht hat Ihnen nun einen Strich durch die Rech- lein 1994 7 000 Delikte registriert, von den nicht regi- nung gemacht, indem es im Wege einer einstweili- strierten gar nicht zu sprechen. Hier empfehlen die gen Anordnung im Juli dieses Jahres die im Verbre- BKA-Experten schärfere Gesetze und höhere Strafen chensbekämpfungsgesetz 1994 durch den Bundes- sowie die Ernennung von Korruptionsbeauftragten, nachrichtendienst vorgesehene „verdachtslose Ra- um in den Behörden die Vorbeugung zu verbessern. sterfahndung" wegen schwerwiegender Nachteile Als Präventivmaßnahmen werden ausdrücklich bes- für Bürgerinnen und Bürger gestoppt hat. sere Aus- und Fortbildung von öffentlich Bedienste- ten mit dem Ziel der Sensibilisierung für dieses (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Dem hat Thema genannt. Aber ich frage Sie, meine Damen die SPD im Bundesrat doch zugestimmt, und Herren von der Koalition: Wie soll denn das ge- Frau Kollegin!) schehen, wenn die Koalition gerade in diesen Berei- Das heißt, ein Teil Ihres Gesetzes ist schlicht außer chen, also in den Bereichen Aus-, Fort- und Weiter- Kraft gesetzt worden. Da kann ich nur sagen: hand- bildung, die Mittel besonders gern nach unten korri- werklicher Pfusch. Damit sind die schweren Beden- giert? ken der SPD im nachhinein bestätigt worden. Ich komme nun zu einem Bereich, der durch das (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Beharrungsvermögen des Ministers sowie der Büro- kratie seines Hauses im Schneckentempo angegan- Zweiter Punkt. Die jährliche Präsentation der amt- gen wird: die dringend notwendige und eigentlich lichen Kriminalitätsstatistik - sonst als Frühjahrsri- überfällige Reform des öffentlichen Dienstes. Diese tual des Ministers nach dem immer gleichen Motto anzupacken wäre Ihre vornehmste Pflicht, Herr „Warnung, Alarm, Entsetzen" zelebriert - wurde Minister. Bekenntnisse zum Berufsbeamtentum er- diesmal sehr zögerlich und relativ spät durchgeführt. setzen keinesfalls Reformen. Der Grund ist klar: Die aktuellen Zahlen waren in keiner Weise geeignet, um daraus einen allgemeinen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Anstieg der Kriminalität abzuleiten. Den leichten An- An die Adresse der F.D.P. sei gleich gesagt, daß Sie stieg der Kinderkriminalität allerdings nannte der die Reformdiskussion durch den völlig unnötigen Minister „besorgniserregend", obwohl er weiß, daß Streit über das Berufsbeamtentum zwar auf die be- gerade deren Registrierung auf Grund der Straf- währte Weise etwas abwürgen können, aber nicht unmündigkeit von Kindern unter 14 Jahren ein verhindern können. reiner Zufall ist. Die SPD - damit das hier im Raume klar ist - hält Die eigentlich erschreckende Information aber am Berufsbeamtentum fest wurde gar nicht erst erwähnt. Deswegen kommt sie jetzt: In Ostdeutschland ist die Straffälligkeit Ju- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das hört sich aber gendlicher, bezogen auf Räubereien und schweren sonst ganz anders an!) Diebstahl, rund dreimal höher als im Westen und ent- - hören Sie gut zu; Sie haben anscheinend unsere Pa- spricht in etwa derjenigen junger Ausländer im We- piere nicht gelesen -, sten. Der Schluß daraus ist eindeutig: Subjektive und objektive Armut und. Perspektivlosigkeit schlagen (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das lohnt sich auch bei beiden Gruppen in Kriminalität um. Was helfen meistens nicht!) Ihnen, Herr Kanther, da neue Strafgesetze, wenn die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter den Jugendli- will allerdings die Verwendung von Beamten prinzi- chen ständig ansteigt? piell auf den hoheitlichen Kernbereich beschränken. Dies fordert sogar die entsprechende EU-Richtlinie. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten der PDS) Ihre Vorschläge hingegen strotzen von Ängstlich- keit und Widersprüchen. Können Sie, Herr Minister, Wenn alte Netzwerke nicht mehr halten, sondern - mir erklären, wie Sie die Forderung, Beamte in den im Gegenteil - von dieser Koalition mutwillig durch- Tätigkeitsfeldern der staatlichen Daseinsvorsorge löchert und zerstört werden, dann wächst soziale einzusetzen, mit der Forderung in Einklang bringen 5826 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Uta Titze-Stecher wollen, diese Daseinsvorsorge mehr und mehr zu pri- Staat" Vorschläge produziert, die ich nur als Kosme- vatisieren? Erklären Sie mir doch diese Ungereimt- tik betrachten kann. heit! Vielleicht ist der Blick auf die Wählerstimmen die einzige Erklärung. Mir ist das zu unsachlich, weil Folge: Der Staat wird zur Beute seiner Bedienste- primitiv. ten. Damit Sie sich das mal in Zahlen klarmachen können: Die Personalkosten sind bereits heute der- Ich kann auch die Begründung nicht nachvollzie- drittgrößte Posten im Bundeshaushalt. Da liegt zu- hen, mit der Sie die Vergabe von Spitzenpositionen künftiger Sprengstoff. Das bedeutet, daß die frei ver- auf Zeit ablehnen. Beamte - so sagen Sie - sollten fügbaren Mittel und damit der Gestaltungsspielraum sich nicht an politischen Vorgaben, sondern an des Bundes, des Staates für neue Aufgaben immer Rechtsstaatlichkeit und Loyalität orientieren. Mit die- geringer wird. Die Zukunftsperspektive ist düster. ser absurden Argumentation konstruieren Sie einen Wahrscheinlich verschiebt der zuständige Minister Widerspruch zwischen Politik und Rechtsstaatlich- die Vorlage des seit einem Jahr überfälligen Versor- keit. Das schadet dem Ansehen der Politik von uns gungsberichts deswegen bis nach Abschluß der dies- allen. jährigen Haushaltsberatungen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oswald Eines ist sicher: So wie Waigel in der Zins- und Metzger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Schuldenfalle, so sitzt dieser Staat in der Kostenfalle. Warum wehrt sich der zuständige Innenminister (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- so, durch die Modernisierung von Staat und Verwal- ten der PDS) tung einer Entwicklung Rechnung zu tragen, die in In den nächsten zwei Jahrzehnten verdoppelt sich immer kürzeren Zeiträumen und mit immer größerer die Zahl der Pensionäre, die - ohne je einen Pfennig Dynamik Anpassung an veränderte Rahmenbedin- dafür eingezahlt zu haben - auf Staatskosten ihre gungen verlangt? Länder und Gemeinden haben in Pensionen genießen können. Sollen sie auch! Aber ihren Verwaltungen bereits gehandelt. Können Sie nun kommt das Haushalterische an der Lage: Die mir sagen, Herr Kanther - wenn Sie nachher ant- Pensionszahlungen werden von heute 40 Milliarden worten -, wieso Sie den von Rheinland-Pfalz geplan- DM in 20 Jahren auf über 100 Milliarden DM und im ten Pensionsfonds für neu eingestellte Beamte ableh- Jahre 2040 auf 240 Milliarden DM ansteigen. nen? Diese Begründung würde mich interessieren. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Guten Morgen, SPD!) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das kön nen wir wohl machen!) Auf 100 Beamte im Dienst werden dann 93 Pen- sionäre kommen, wenn sich nichts ändert. Das Motto Wie sieht denn die Alternative zur Lösung des Pro- „Nach mir die Sintflut" ist angesichts dieses Szena- blems der horrenden Versorgungslasten aus? Die rios schlicht verantwortungslos. Länderchefs kritisieren zu Recht Ihre mageren Vor- schläge und fordern neue Verhandlungen mit den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zielen mehr Teilzeit, neues Besoldungsrecht und effi- DIE GRÜNEN) zientere Verwaltungsstrukturen. Setzen Sie als feder- Es muß sich einiges ändern, und zwar sehr radikal führender Minister doch wenigstens die Forderung und sehr schnell. Aber wie soll das geschehen, wenn des Bundesrechnungshofes durch, der seit Jahren der teuerste Produktionsfaktor in der Kiste, das Per- die Praxis der Personalbedarfsermittlung und der sonal im öffentlichen Bereich, der am schlechtesten Dienstpostenbewertung kritisiert. gemanagte ist? Mut zur Zukunft und zur Innovation ist bei vollem Pensionsausgleich wohl schwerlich zu Jetzt komme ich zu einer Sache, die für Konserva- haben. tive das eigentliche Horrorszenario darstellen sollte: 70 000 Vorschriften - Sie hören richtig - regeln in die- sem Staat, was Bürger und Firmen zu tun haben. Das Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Frau Kollegin, können Sie nicht auf die SPD zurückführen. gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr seid an allem schuld!) Uta Titze-Stecher (SPD): Ja.

Angesichts dieser Situation komme ich in diesem Hartmut Schauerte (CDU/CSU): Frau Kollegin, Punkt ausnahmsweise zur selben Bewertung wie der können Sie bestätigen, daß die Personalentwicklung bayerische Ministerpräsident Stoiber: in den Ländern - und ich denke hier insbesondere (Zuruf von der CDU/CSU: An dem solltet an Nordrhein-Westfalen - dazu geführt hat, daß mitt- ihr euch öfter ein Beispiel nehmen!) lerweile mehr als 50 Prozent des Etats für Personalko- sten ausgegeben werden? Und können Sie ebenfalls Die Bürokratie hat sich in diesem Lande zu einem bestätigen, daß die Grundlagen für die von Ihnen be- Standortrisiko ersten Ranges entwickelt. klagte Pensionslawine, die in den nächsten zwei Jahrzehnten auf uns zukommt, im wesentlichen in (Beifall bei der SPD) der sozialliberalen Koalition gelegt worden sind? Da ist Verschlankung gefragt! Aber da sich die Staatsdiener den Ast, auf dem sie sitzen, nicht selbst Uta Titze-Stecher (SPD): Ich kann Ihnen gern be- absägen, muß dies natürlich dazu führen, daß die stätigen, daß die Länder von denselben Sorgen be- von Ihnen eingesetzte Kommission „Schlanker drückt und bedrängt sind. Zum Teil liegen die Pro- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5827

Uta Titze-Stecher zentsatzzahlen für die Versorgungslasten dort noch Bonner Finanzhilfen sehr kräftig zu Lasten der ruß- höher, als Sie sie nannten, nämlich bei 60 Prozent. landdeutschen Flüchtlinge aus Mittelasien und der Eben weil der Druck unten in den Gemeinden und Alteingesessenen nach dem Motto: „Villen für die Ländern größer ist, haben die unter diesem Druck Chefs, Container fürs Volk." bereits begonnen, das Ruder herumzuwerfen. An- scheinend ist der Druck dem Minister nicht bekannt, Solch eine Verteilung von deutschen Steuergel- oder er will ihn nicht wahrnehmen, oder er sagt dern schafft Ärger und festigt eben nicht die vom „Nach mir die Sintflut"; soll das nach mir ein anderer Aussiedlerbeauftragten behauptete Strategie, für die auslöffeln! Rußlanddeutschen eine „Insel der Hoffnung" zu schaffen. Auch die im Haushalt 1996 für das nächste Das ist das erste, was ich sagen will: Die Länder Jahr angesetzten 150 Millionen DM werden die Si- kennen das Problem. Aber daß es auf die soziallibe- tuation, wenn so weitergewurstelt wird, nur ver- rale Koalition zurückzuführen ist, bestreite ich. Rech- schärfen und nicht entspannen. nen Sie mal zurück! Das würde ja heißen, daß fast alle in diesen Jahren der Wende - es sind 13 Jahre - Sinnvoller und ehrlicher wäre es angesichts einer auf einen Schlag in Pension gegangen sein müßten. jährlichen Zuwanderung von rund 220 000 auslands- Aber da es auch unter Beamten nach der Verteilung deutschen Aussiedlern - das ist eine Folge des von entsprechend der Gaußschen Kurve und der Alters- uns allen gewollten Kriegsfolgenbereinigungsgeset- pyramide einen großen Teil junger Beamter, Beamter zes -, die Bundesrepublik als das zu definieren, was mittleren Alters und älterer Beamter gibt, kann Ihre sie ist: ein Einwanderungsland. Rechnung nicht aufgehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD - Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sie müssen eine Gesamtschule Aber das, Herr Minister, fürchten Sie und die Koali- besucht haben!) tion wie der Teufel das Weihwasser. Der Grund dafür Die SPD ist bereit - und Sie wissen, uns zwickt ist ebenfalls klar: Die Konsequenz einer solchen Defi- schlicht und einfach der Zwang, der durch die EU- nition wäre nämlich ein Einwanderungsgesetz, das Richtlinie ausgeübt wird -, das Beamtenrecht flexi- den Staat zu einer zukunftsweisenden Migrations- bler und leistungsgerechter auszugestalten. Aller- politik zwingen würde. Diese müßte sowohl eine ver- dings sagen wir Ihnen gleich, Herr Kanther: Wir wol- besserte Integration als auch eine aktive Zuzugs- len die Dienstrechtsreform mit der Modernisierung steuerung umfassen, um den Belangen der Zuwan- der öffentlichen Verwaltung verknüpfen, das heißt derer gerecht zu werden und die soziale Akzeptanz die Verwaltungsreform dazunehmen und nicht, wie in der Bevölkerung zu erhöhen. Sie, abkoppeln und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. (Beifall bei der SPD - Zuruf von der CDU/ CSU) Lassen Sie mich noch zwei weitere Bereiche an- sprechen, die ebenfalls in den Geschäftsbereich des - Es ist ja nicht ganz unproblematisch, was Sie hier Bundesinnenministers fallen: zum einen die Bewilli- anzetteln. Mein Kollege Graf wird das sehr plastisch gungen für Kultur und zum anderen - ich nenne es und sehr bildhaft darstellen. nach dem dafür zuständigen Staatssekretär immer „Kapitel Waffenschmidt" - die Bewilligungen für Unter uns leben bereits 7 Millionen Ausländer. Die Vertriebene, Flüchtlinge, Kriegsgeschädigte, Aus- Politik muß sich endlich entscheiden: Einwanderung und Übersiedler. Zu letzterem wird mein Kollege steuern oder Deutschland zur geschlossenen Gesell- Graf ganz detailliert Ausführungen machen. schaft erklären. 80 Prozent der Bevölkerung wollen laut Umfragen genau dasselbe wie die SPD, nämlich Daher von mir nur ein Beispiel dafür, wie „deut- Zuwanderung per Gesetz steuern. sches Geld in der sibirischen Steppe vergraben wird". Dies ist der Titel eines Artikels in der seriösen Aber nicht nur hier besteht Nachholbedarf. Wir for- „Süddeutschen Zeitung" vom 13. Juli 1995. Danach dern Sie auf, Ihre Verweigerung gegenüber den For- geht die Rechnung des Aussiedlerbeauftragten Waf- derungen nach erleichterter Einbürgerung und dop- fenschmidt bis heute nicht auf. Im Gegenteil: Die pelter Staatsbürgerschaft endlich aufzugeben. Das Millionenprogramme der Bundesregierung erweisen völkisch verengte Staatsbürgerrecht aus dem Jahre sich zunehmend als Bumerang: Anstatt in den ur- 1913 - es tut mir um den militärischen Ausdruck leid, sprünglichen Siedlungsgebieten - so zum Beispiel in Herr Kanther - ist buchstäblich „out of area". dem vor drei Jahren neu gegründeten deutschen na- tionalen Rajon Asowo nahe der kasachischen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Grenze - zu bleiben und sich dort mit bundesdeut- DIE GRÜNEN) scher Millionenhilfe eine neue Existenz aufzubauen, benutzen viele Rußlanddeutsche den Landkreis als Nur noch Hardliner wie Sie und eine kleine radikale Sprungbrett nach Deutschland. Minderheit Ewiggestriger blockieren vernünftige Re- formen. Seit einem halben Jahr liegt der Antrag der Zum Beweis: 1994 hatte Asowo die höchste Zahl an SPD zur Erleichterung von Einbürgerung unter Hin- Ausreisenden aus dem Gebiet Omsk. Bei den Ruß- nahme der doppelten Staatsbürgerschaft auf dem landdeutschen wächst - was für mich noch bedrük- Tisch. Seit Monaten betreibt diese Koalition verzöge- kender ist - der Unmut über Fehlplanungen, denn rungstaktische Spielchen im Innenausschuß mit der die rußlanddeutschen Funktionäre bedienen sich der Begründung „Beratungsbedarf". Wissen Sie, Herr 5828 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Uta Titze-Stecher Minister, was notwendig ist? Kein Beratungsbedarf, Das ist eine hervorragende Idee, die diese Bundesre- sondern Entscheidungsbedarf. gierung vertreten hat und für die sie immerhin, was die Eingliederung und die Unterstützung der Min- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ derheiten in Ost- und Mitteleuropa angeht, 1996 in DIE GRÜNEN) mehreren Einzelplänen insgesamt 3,5 Milliarden DM - Ich sehe die Lampe hier schon blinken; ich muß ausgibt. mich auch entscheiden, und zwar für das Ende mei- Ich möchte bei dieser Gelegenheit gerade auch ner Rede. den sozialen Betreuungsverbänden sehr herzlich danken, mit deren Hilfe es gelingt, diese Deutschen, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) die in harten Zeiten in Rußland und anderswo ausge- Sie sollten nicht zögern, hier zu entscheiden und harrt haben, hier zu integrieren. sich im Sinne unserer Vorschläge zu bewegen, Herr Ein weiterer Punkt: Es ist richtig, daß die Ausga- Minister. Dazu gehört - um das gleich in einem Auf- ben für die innere Sicherheit - wie Kollegin Titze- wasch zu machen - ebenfalls die Einlösung der im Stecher gesagt hat - um 200 Millionen DM zuneh- Asylkompromiß vereinbarten Zusagen, nämlich der men, und das in einer Situation, da der Haushalt - gesetzlich zugesicherten Altfallregelung und des erstmals übrigens seit 1949 - abgesenkt wird. Das ist Status für Bürgerkriegsflüchtlinge. ein Ausweis der Glaubwürdigkeit dieser Bundesre- Letzte Bemerkung zur Kultur: Der Kulturetat ist gierung; denn innere Sicherheit gehört zum Schwer- von 1995 bis 1999 plafondiert. Das bedeutet faktisch punktthema, das sich diese Bundesregierung und Stillstand und Rückstand. Ich hoffe, Sie können da- diese Koalition gestellt haben. mit ruhig schlafen. (Zurufe von der SPD: Seit wann das denn? - (Zuruf von der SPD: Auf keinen Fall!) Nun seit 13 Jahren!) Deshalb ist es auch richtig, daß hier 200 Millionen Wir lehnen den Einzelplan 06 auf Grund der uner- DM mehr für diesen wichtigen Bereich ausgegeben ledigten Hausaufgaben ab. Beim Einzelplan 33 - werden. Versorgung - enthalten wir uns wegen des nicht vor- gelegten Versorgungsberichtes; es handelt sich im- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. merhin um gesetzliche Leistungen. Ina Albowitz [F.D.P.]) (Beifall bei der SPD - Ina Albowitz [F.D.P.]: Das sind Personalkosten, das betrifft wichtige An- Das überrascht uns aber nicht!) strengungen der Organisationen, die mit der Verbre- chensbekämpfung befaßt sind. Neben gesetzlichen Maßnahmen wie Geldwäschegesetz und Kronzeu- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat genregelung müssen auch die sonstigen Ausstattun- jetzt der Abgeordnete Klaus-Dieter Uelhoff. gen unserer Polizeiorgane den Anforderungen ange- (Zuruf von der CDU/CSU: Guter Mann!) paßt werden, die zu erfüllen sind, wenn Drogen- und Menschenschmuggel oder organisierte Kriminelle, die heute grenzüberschreitend operieren, erfolgreich Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Verehrte bekämpft werden sollen. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann sogar verstehen, wenn meine Kollegin Der Bundesgrenzschutz hat sich seit 1990 grundle- Titze-Stecher sagt, sie werde diesen Etat ablehnen; gend verändert. Die offenen Grenzen im Osten, das denn sie hat ja ein Szenario beschrieben, bei dem Schengener Abkommen im Westen, die neuen Tätig- auch ich diesem Etat nicht zustimmen könnte. keitsfelder Bahnpolizei und Luftsicherheit erlauben heute durchaus den Vergleich mit der Schutzpolizei (Jörg Tauss [SPD]: Kein Problem!) der Länder. Die Forderung, wenn sich die Aufgaben angleichen, dann auch bei Planstellen, Besoldung Nur, die Welt in Deutschland sieht anders aus. In und Beförderung für Vergleichbarkeit zu sorgen, einigen Punkten wird der Minister sicherlich selber halte ich für berechtigt. Ich will hier ausdrücklich einiges dazu sagen; denn ich erinnere mich an seine festhalten, daß es unsere feste Absicht ist, die ent- hervorragenden Vorschläge zur Verschlankung des sprechenden Strukturen beim Bundesgrenzschutz Staates. Das ist ein wichtiges Thema. Die 70 000 Vor- denen der Polizeien der Länder mittelfristig anzuglei- schriften, die uns alle und die Verwaltung belasten, chen. sind uns allen in der Tat ein Dorn im Auge. Wir haben 1995 einen wichtigen Schritt mit 3 000 Ich bin allerdings auch sicher, daß manches, was Stellenhebungen von A 7 nach A 8 getan. Für 1996 Sie zu den Aussiedlern gesagt haben, wirklich an der können wir bei immerhin 1 000 Hebungen davon Sache vorbeigeht. Es ist eine hervorragende Doppel- ausgehen, daß auf Grund der Beförderungschancen strategie in der Aussiedlerpolitik, daß der einzelne für Beamte, die auf Planstellen nachrücken können, von den vier Millionen, die in Osteuropa leben, die die andere freigemacht haben, beim Bundesgrenz- Chance hat, entweder dort zu bleiben und sich mit schutz etwa 2 000 Beamte befördert werden können. deutscher Hilfe Infrastruktur zu schaffen oder jetzt oder später im Rahmen der Kontingente nach Ich will ausdrücklich anerkennen, daß Sie, Herr Deutschland zu kommen. Minister Kanther, die regionale Verteilung der Plan- stellen nicht nach dem Gießkannenprinzip vorge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nommen haben, sondern Bef örderungsmöglichkeiten Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5829

Dr. Klaus-Dieter Uelhoff gezielt dort schaffen, wo Unterdeckung im Personal- geschehen oder auch durch Kontrollen hinter der bestand vorhanden ist. Ich halte das für einen hervor- Grenze, wie dies in Bayern vorgesehen ist. ragenden Ansatz, im bestehenden Recht die Mobili- tät unserer Beamten zu fördern. (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Was wollen Sie denn jetzt, die Gren- (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wohin denn?) zen öffnen oder nicht?) Da wir in diesem Jahr, wie jedermann weiß, in Die Verhütung von Straftaten allerdings gebietet in einer besonders schwierigen finanziellen Situation jedem Fall derartige Maßnahmen, sei es durch die stehen, müssen wir uns für 1996 mit den genannten Länderpolizeien oder durch den Bundesgrenzschutz. Verbesserungen abfinden. Ich will aber noch einmal Ich bin sehr sicher: Dies findet auch die nachdrückli- ausdrücklich erklären: Es ist der Wille der Koalition, che Unterstützung der betroffenen Bevölkerung. daß der Bundesgrenzschutz Anschluß an die Verhält- nisse der Schutzpolizei der Länder findet. Politischer Handlungsbedarf besteht in bezug auf das Schleusen von Menschen aus dem Balkan über Wir unterstützen nachdrücklich die Bemühungen Italien nach Deutschland. Dies ist keineswegs eine des Bundesinnenministers, weiterhin vorhandenes, theoretische Mahnung an die Adresse der Bundesre- aber bei verschiedenen anderen Behörden nicht gierung, sondern hat den sehr konkreten Hinter- mehr benötigtes Personal umzusetzen. Dies gilt vor grund, daß nach wie vor Personen - oft von Schlep- allem für das Bundesamt für die Anerkennung von pern geführt - illegal über die deutsch-französische ausländischen Flüchtlingen. Daß bei diesem Bundes- Grenze nach Deutschland einreisen. amt weniger Arbeit anfällt, als noch vor einigen Jah- ren angenommen, will ich ausdrücklich als einen Er- Da es zwischen Italien und dem ehemaligen Jugo- folg unserer gemeinsamen Bemühungen um die Ver- slawien keine Visumpflicht gibt, kann es nicht ver- besserung des deutschen Asylrechts anerkennen. wundern, daß auch Schlepperbanden diesen Weg mißbrauchen. Um die illegale Zuwanderung wirksa- Heftige Kritik haben Sie, Herr Minister Kanther, mer unterbinden zu können, sollte deshalb Italien wegen der Abschiebung der Sudanesen vom Frank- mit Nachdruck ersucht werden - wie die übrigen EU- furter Flughafen einstecken müssen - Kritik, die sich Mitgliedsländer auch -, die Visumpflicht für Staats- im nachhinein als völlig unhaltbar erwiesen hat, angehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien einzu- auch durch die Aussagen der betroffenen Menschen führen. Herr Minister, ich möchte Sie ausdrücklich selbst, die sich dann eindeutig als sogenannte Wirt- auffordern, dies mit Nachdruck gegenüber unseren schaftsflüchtlinge zu erkennen gegeben haben. Sie, Freunden in Italien zu betreiben. Herr Minister Kanther, haben der Glaubwürdigkeit der deutschen Politik einen guten Dienst erwiesen. Die innere Sicherheit gehört zur „political hard- ware" des Bundesinnenministeriums und des Einzel- (Beifall bei der CDU/CSU) plans 06. Angesichts der Härte und der Schwierig- Der Bundesgrenzschutz konnte seit Beginn dieses keiten dieses Aufgabenbereiches ist es auch für den Jahres allein an unseren Westgrenzen - dies ist ein Berichterstatter im Haushaltsausschuß fast erholsam, Problem, das ich als Abgeordneter, dessen Wahlkreis jedenfalls angenehm, auch für schönere Dinge ver- unmittelbar betroffen ist, sehr gut nachvollziehen antwortlich zu sein. Meine Kollegin hat ja am Ende kann - die illegale Einreise von 2 267 Personen ver- noch ein wenig zur Kulturpolitik ausgeführt. Ich füge hindern. Was besonders festgehalten werden muß: ausdrücklich hinzu: Auch der Sport gehört dazu. Es Es konnten 157 professionelle Schlepper festgenom- ist erfreulich, daß in diesen Politikfeldern bei allen men werden. politischen Gruppierungen ein hohes Maß an Kon- sens vorhanden ist. Mit dem Inkrafttreten des Schengener Durchfüh- rungsabkommens im März dieses Jahres sind die Be- Lassen Sie mich einige Sätze zur Sportförderung fugnisse des Bundesgrenzschutzes an den deutschen sagen. Wir erkennen die Bemühungen des Deut- Westgrenzen im wesentlichen auf das Tätigwerden schen Sportbundes ausdrücklich an, gemeinsam mit bei konkreten Verdachtsfällen und auf die beobach- den Fachverbänden das Stützpunktsystem effizienter tende Präsenz reduziert worden. Als Abgeordneter zu gestalten. Hier zeigt sich jedoch, daß erst der aus einem großflächigen Wahlkreis mit unendlich sanfte Zwang der Verhängung der qualifizierten langen grünen Grenzen zum Elsaß und zu Lothrin- Sperre durch den Haushaltsausschuß im Ergebnis zu gen weiß ich offene Grenzen als eine hervorragende einer Konzentrierung der Stützpunkte geführt hat. Errungenschaft eines zusammenwachsenden Euro- Dies hat nichts mit einer „Inquisition, die ihre Instru- pas zu schätzen. Aber ich weiß auch um die Besorg- mente zeigte", wie eine namhafte Zeitung einmal nis der Bevölkerung vor steigender Bedrohung durch schrieb, zu tun. Ich hoffe, daß die im Bericht des Bun- die zunehmende internationale, grenzüberschrei- desinnenministers angekündigten weiteren Zusam- tende Kriminalität durch Schlepperbanden und Dro- menlegungen auf bis zu 13 Bundesleistungszentren genschmuggel. mit den Fachverbänden nunmehr auch zügig verein- bart werden können. Ich halte es deshalb für eine wichtige Aufgabe der inneren Sicherheit, daß auch künftig die Lageent- Auch für das Jahr 1996 haben wir im Ausschuß wicklung an unseren Westgrenzen und im grenzna- wieder zwei qualifizierte Sperren im Bereich des hen Raum sorgsam beobachtet wird. Dies kann, wie Sportes ausgebracht, nicht etwa um beim Spo rt zu jüngst von unseren französischen Nachbarn vorge- sparen, sondern um den Einsatz der Steuergelder im schlagen, durch gemeinsame mobile Polizeieinheiten Interesse des Sports, der Sportler und der Sportförde- 5830 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Klaus-Dieter Uelhoff rung, effizienter zu machen, letztlich also ausschließ- tionen erhalten Mittel für Personalausgaben und In- lich, um dem Sport zu nützen. vestitionen. 20 Einrichtungen werden als sogenannte Leuchttürme in den neuen Bundesländern gefördert Die Sperre von 5 Millionen DM bei den Bundeslei- - Leuchttürme der Geschichte und der Kultur unse- stungszentren soll ausschließlich gewährleisten, daß res Landes, der Geisteswissenschaften, der Kunst man das Konzept und den beschrittenen Weg nicht und der Musik. - auf halbem Weg verlassen muß, sondern letztlich weiterverfolgen kann. Gerade in Westdeutschland, meine ich, ist diesen Zum zweiten haben wir beim Kölner Bundesinsti- Einrichtungen viel mehr Aufmerksamkeit zu wün- tut für Sportwissenschaft eine Sperre von einer hal- schen; denn Luther, Bach, Goethe und Schiller, die ben Million DM beschlossen. Sosehr ich von der Wartburg, das Bauhaus in Dessau oder die Preußi- wichtigen Arbeit dieses Institutes und der beiden aus schen Gärten in Potsdam, Cottbus und Muskau sind DDR-Zeiten übernommenen nützlichen Einrichtun- prägende Gestalten bzw. Institutionen unserer Na- gen, FES und IAT in Leipzig und Berlin, überzeugt tion. Wer sich hier umsieht, kann ermessen, daß die bin, so sehr bin ich doch der Ansicht, daß der Bund wiedergewonnene Einheit gerade auch uns West- nicht unbedingt drei voneinander unabhängige Insti- deutsche reicher gemacht hat tute braucht, um Sportforschung zu betreiben, da (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Richtig!) den Sportlern etwas geboten werden soll und nicht in erster Linie den Verwaltern, den Bürokraten und den und vieles neu begreifen läßt, was über 40 Jahre ver- Forschern. schüttet war. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Hätten Sie darüber nicht mal vorher mit den Betei Die europäischen Kulturminister haben uns Deut- ligten sprechen können?) schen die große Chance gegeben, 1999 mit die „Kulturstadt Europas" zu präsentieren. Wir ha- - Nein, wir haben eine Sperre gemacht und erwarten ben dafür den Bundeszuschuß von 24,5 Millionen einen Bericht. Jetzt sind diese Institute dran, und DM so umgeschichtet, daß bereits im nächsten Jahr jetzt ist der Innenminister gefordert. die ersten Vorarbeiten geleistet werden können. Bei einem Besuch unserer Berichterstattergruppe konn- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Er ten wir uns vor Ort über Pläne informieren, übrigens hätte schon vorher mal was tun können!) auch über die wichtige Einbindung der nationalen Insofern war vorher nichts zu besprechen. Wir haben Gedenkstätte Buchenwald in die Pläne für die Eu- nichts gekürzt, wir haben nichts weggestrichen, son- ropa-Kulturstadt Weimar. dern wir erwarten einen Bericht und noch längst kei- nen Vollzug. Darüber wird auch mit den Fachleuten Wer sich in den neuen Bundesländern umsieht, zu reden sein. wird bald feststellen, wie sehr die Denkmalpflege, von einigen Prestigeobjekten abgesehen, in Meine Damen und Herren, das Sportmuseum in 40 Jahren real existierendem Sozialismus schändlich Köln hat uns einige Jahre lang beschäftigt. Wir ha- vernachlässigt wurde. Quedlinburg ist dafür nur ein ben insgesamt 6 Millionen DM dafür vorgesehen, Beispiel. Für die von der UNESCO zum Weltkultur- nachdem nunmehr definitiv gesichert ist, daß der erbe erklärte Innenstadt wollen wir mit der beschei- Bund für Betriebs- und Unterhaltungskosten nicht in denen Summe von nur einer halben Million Mark Frage kommt. Ich möchte hinzufügen: Damit hat der wenigstens symbolisch unsere Solidarität zeigen. Bund seine gesamtstaatliche Repräsentationspflicht, was Sportmuseen angeht, abschließend erfüllt. Ein auf fünf Jahre angelegtes Förderprogramm „Dach und Fach" soll zur baulichen Sicherung und Eine letzte Anmerkung zu dem sehr wichtigen und Erhaltung denkmalgeschützter Objekte insgesamt in schönen Bereich der Kultur. In Deutschland trägt den neuen Bundesländern beitragen. auch der Bund im Rahmen seiner verfassungsrechtli- chen und finanziellen Möglichkeiten Erhebliches zur Jetzt will ich noch ein ha rtes, aber notwendiger- Förderung der Kultur bei; mit rund 700 Millionen DM weise deutliches Wort zum regionalen Förderpro- mehr als jemals zuvor im Etat des Bundesinnenmini- gramm sagen. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, sters. daß dies seit langem immer wieder gefordert wird. (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Aber Politik ist nun einmal die Kunst des Möglichen NEN]: Viel zuwenig!) und nicht das Zauberwerk des Wünschbaren. Abge- sehen von der verfassungsrechtlichen Verantwor- - Ich stimme Ihnen zu, es ist zuwenig. Aber es ist na- tung der Bundesländer für regionale Maßnahmen türlich bei der Entwicklungshilfe, bei der inneren Si- sieht sich der Bund auch vor der unüberwindbaren cherheit, es ist überall zuwenig. Aber wir wissen Hürde, ein solches Programm zu finanzieren. Ich eben auch das Geld des Steuerzahlers nur einmal halte es deshalb für ein Gebot der Redlichkeit, zu ei- auszugeben und versprechen nicht, die Mark drei- nem regionalen Förderprogramm dezidiert und defi- mal auszugeben, obwohl wir sie nur einmal haben. nitiv nein zu sagen. (Beifall bei der CDU/CSU) Um den notwendigen Freiraum für Kunst und Kul- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, tur zu sichern, konnten die meisten Fördermaßnah- gestatten Sie eine Zwischenfrage Ihrer Kollegin men fortgeschrieben werden. Mehr als 60 Institu- Titze-Stecher? Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5831

Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Ich ver- sende von kleinen Kirchen, von Einrichtungen aus möchte meiner verehrten Kollegin niemals eine der Tradition und aus der Kultur unseres Volkes, die Frage abzuschlagen. schlicht und einfach kaputtgehen, wenn nicht dafür gesorgt wird, daß wenigstens ein Dach darauf Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Also, dann soll kommt, so daß später, wenn die Zuständigen dazu in es so passieren. Bitte. der Lage sind, unterhalb des Daches die notwendi- gen dauerhaften Reparaturen vorgenommen werden können. Dieses „Dach-und-Fach"-Programm ist im Uta Titze-Stecher (SPD): Herr Kollege Uelhoff, Sie Grunde ein Notprogramm und hat mit dem regiona- haben sich eben vehement gegen die Installierung len Förderprogramm inhaltlich überhaupt nichts zu eines regionalen Förderprogramms entlang der tun. deutsch-polnischen und der deutsch-tschechischen Grenze gewandt. Sie sagten, daß nicht der Bund, sondern originär die Länder dafür zuständig seien. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage? Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): So ist es. (Widerspruch bei der CDU/CSU)

Uta Titze-Stecher (SPD): Wollen Sie bestätigen, daß bei der Installierung des Denkmalschutzsonder- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Bitte schön. programms „Dach und Fach", das Sie zuvor erwähnt haben, von gestern auf heute plötzlich 5 Millionen Uta Titze-Stecher (SPD): Wenn wir schon zusam- DM möglich waren? Ich will nicht die Sache selbst in men die neuen Länder bereisen, dann darf man mir Abrede stellen; die finde ich in Ordnung: „Dach und auch Fragen erlauben. Fach" für von Nässe gefährdete Kirchen in Ost- deutschland. Herr Kollege Uelhoff, die Frage war die nach dem Widerspruch. Für beide Angelegenheiten, die ange- Stimmen Sie mit mir nicht überein, daß a) plötzlich sprochen wurden, sind originär die Länder zustän- Geld da war, weil der Minister die Sache politisch dig. Trotzdem fühlt sich der Bund in dem einen Fall wollte, und daß b) auch in einer Sache Geld etatisiert mit zuständig, in dem anderen Fall nicht. Warum? wurde, für die eigentlich auch originär die Länder zu- ständig sind? Die Begründung im heute vorgelegten Meine zweite Frage: Sind Sie mit mir nicht der Papier lautet: Meinung, daß die kulturelle Begegnung, die jahr- zehntelang über die Flüchtlingsverbände erfolgt ist - Die Finanzierung des Denkmalschutzes ist vor- zwischen den Deutschen jenseits der Ostgrenze bzw. rangig Sache der Länder, Kreise, Kommunen und der damaligen Zonengrenze und diesseits -, allmäh- Maßnahmeträger. Die Bundeszuwendungen sol- lich von den Flüchtlingsverbänden hin zu offeneren len deswegen in der Regel ein Drittel der zuwen- Organisationen gelenkt werden müßte? Das heißt, dungsfähigen Kosten je Einzelmaßnahme nicht nicht nur vom Vertriebenenverband mit seinen Un- übersteigen. terorganisationen sollten Gelder für kulturelle Aktivi- Das heißt, vorrangig ist es Sache der Länder, Kreise täten grenzüberschreitender A rt genutzt werden. und Kommunen, aber der Bund beteiligt sich aus- nahmsweise - terminiert auf einige Jahre - an dieser Sache. Wie stehen Sie zu diesem Widerspruch? Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Ich ent- nehme dem zweiten Teil der Frage, daß Sie mir im ersten Teil zustimmen, daß es sich beim Förderpro- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Verehrte gramm „Dach und Fach" und bei der Regionalförde- Frau Kollegin, ich bin sehr dankbar, daß diese 5 Mil- rung um zwei unterschiedliche Dinge handelt. lionen DM nicht aus dem plafondierten Teil des Kul- turetats stammen, Ich stimme Ihnen zu, daß die Vertriebenenver- bände natürlich nicht nur ganz wesentliche Aufga- (Uta Titze-Stecher [SPD]: Das war nicht die ben haben - vielleicht werten wir das anders -, son- Frage!) dern auch als Brückenfunktion gegenüber der tsche- sondern daß sie aus dem Einnahmetitel für kulturelle chischen und der polnischen Republik erfüllen. Maßnahmen genommen werden konnten. Eben wurde kritisiert, daß man da viel mehr machen (Beifall bei der CDU/CSU) müsse. Dies ist so ein Fall. Deswegen bin ich für diese kulturelle Arbeit, die die Außerdem sind beim Denkmalschutz - dort aber Vertriebenenverbände gegenüber unseren Nachbarn weniger als beim Regionalprogramm; denn beim im Osten leisten, dankbar. Denkmalschutz haben wir es mit bestehender Bau- substanz zu tun, beim Regionalprogramm ging es um Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Gestatten Sie neue Dorfgemeinschaftshäuser usw. - andere Ge- eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Weng? -sichtspunkte zu beachten. Bei diesem „Dach-und Fach"-Programm handelt es sich im Grunde um ein Notprogramm. Wir haben in Mecklenburg, Branden- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff (CDU/CSU): Natürlich, burg, auch in Sachsen und Thüringen, aber insbe- bitte schön. So komme ich zu einer ungeahnt langen sondere im nördlichen Teil Ostdeutschlands, Tau- Redezeit. 5832 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) (F.D.P.): Ist es mir loch gräbt, der fällt - möglicherweise bald - selbst entgangen oder ist es ein Versehen Ihrerseits, daß hinein. Sie bei der Nennung von Teilen des Programms „Leuchttürme" die Franckeschen Stiftungen in Halle (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- an der Saale nicht genannt haben, wo doch Halle an NEN - Hans Georg Wagner [SPD]: Die sind der Saale auch aus liberaler Sicht eine Stadt von schon drin!) - ganz besonderer Bedeutung ist? Nicht einmal da, Herr Kollege Marschewski, wo (Beifall bei der F.D.P.) Sie mit uns zusammen und mit Ihren Kollegen im In- nenausschuß der Ansicht waren, daß man sparen könnte, wo sich das Sparen geradezu aufgedrängt (CDU/CSU): Ich weiß na- Dr. Klaus-Dieter Uelhoff hätte, nämlich beim Regierungsbunker in Marien- türlich, daß der von uns beiden geschätzte frühere thal, sind Sie zu Einschnitten bereit gewesen. Strei- Außenminister dort eine besondere Rolle spielt. Ich chen Sie diese 16 Millionen DM im Innenetat. Sie, habe sie nicht vergessen, ich habe einfach die Herr Kanther, haben sich, so glaube ich, politisch 20 Leuchttürme im einzelnen nicht aufzählen kön- und mental doch schon so eingebunkert, daß dieser nen. Ich habe auch das Meeresmuseum in Stralsund Regierungsbunker völlig überflüssig ist. nicht aufgezählt. Ich hätte Ihnen allein drei Luther Gedenkstätten aufzählen können. (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es gibt eine unglaubliche Menge von Gedenkstät- NEN]: Der ist total zugebunkert! - ten der deutschen Geschichte. Dazu gehören insbe- Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Der sondere die Franckeschen Stiftungen in Halle und ist doch geheim, den gibt es nicht!) das Bach-Archiv in Leipzig. Ich bin sehr dankbar, So wie Finanzminister Waigel Milliardenlöcher im daß ich als Berichterstatter in dieser Legislaturpe- Bundeshaushalt mit einem Schulterzucken zu den riode bei ihrem Erhalt mithelfen kann. Akten nimmt, so verspielen Sie, Herr Kanther, innen- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) politisch alle Chancen, die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik aktiv zum Positiven zu gestalten. Ich möchte zum Schluß nur noch einen Punkt nen- nen, der leider nicht mehr zum Einzelplan 06 gehört, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) obwohl er für die Kultur wichtig ist. Wir haben uns in den letzten Monaten mit den Berlinern, insbesondere Ich möchte mich drei Themenbereichen zuwen- mit dem - Gott sei Dank - nicht mehr nominierten den: innere Sicherheit, Verwaltungsreform und Re- Kultursenator heftig herumgeschlagen. Berlin hat in form des Staatsbürgerschaftsrechts. diesem Jahr 30 Millionen DM erhalten. Im Einzel- Bei der inneren Sicherheit doktern Sie seit Jahren plan 25 sind für das kommende Jahr entsprechend hilflos an den Symptomen herum, statt sich auf die des Hauptstadtvertrags 60 Millionen DM vorgese- Ursachen zu konzentrieren. Sie rufen nach immer hen, die auf wenige herausragende Kultureinrichtun- neuen Strafgesetzen. Nachdem es hier im Bundestag gen konzentriert werden sollen. Es war der aus- nicht ganz geklappt hat - vielleicht verhilft die F.D.P. drückliche Wille des Haushaltsausschusses, daß na- irgendwann doch noch dazu -, lassen Sie das Feld türlich auch die Berliner Philharmoniker dazugehö- von Ihren großen Koalitionen in den Ländern bestel- ren. len. Stichwort: großer Lauschangriff und Vermögens- Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Ein- beschlagnahme. zelplan 06 ist abgerundet. Er ist in der Bereinigungs- sitzung - leider ohne den Sachverstand der Opposi- Herr Kollege Maurer aus Baden-Württemberg, der tion - gründlich durchberaten worden. Ich empfehle schon im Europa-Wahlkampf mit seiner durchsichti- Ihnen gleichwohl, ihm zuzustimmen. Es lohnt sich. gen Anti-Mafia-Kampagne einen Riesenflop für die Er nützt uns allen. SPD gelandet hat, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Da liegt er in dieser Pa rtei richtig!) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt versucht sich nun als Kanthers Hilfssheriff zu profilie- der Abgeordnete Rezzo Schlauch. ren. Weil die SPD fürchtet, beim kriminalpolitischen Muskelspiel - ich weiß, daß das weh tut, aber so ist Rezzo Schlauch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): es nun einmal - den kürzeren zu ziehen, lassen Sie Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Getreu sich auf einen Deal ein nach dem Motto: Opferst du Murphys Gesetz kam bei diesen Haushaltsberatun- mir die Eigentumsgarantie in Art. 14 des Grundge- gen fast alles anders, als es geplant war. Mit Waigel setzes, opfere ich dir die Privatsphäre der Bürgerin- scher Ignoranz und Selbtgefälligkeit haben Sie be- nen und Bürger in Art. 13 des Grundgesetzes. Als ob schlossen, das Haushaltsloch einfach weiter vor sich Grundrechte nur zum Verschachern da wären! herzuschieben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Wen mei nen Sie?) Mit dieser rechtspolitischen Abrißbirne schleifen Sie wichtige bürgerrechtliche Standards in diesem - Sie zum Beispiel; Sie schieben ja mit vor sich her. - Land, die von Ihren jährlichen Bekämpfungsgeset- Aber denken Sie daran: Wer anderen ein Haushalts zen in der Vergangenheit noch übriggeblieben sind. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5833

Rezzo Schlauch Wir wollen die irrationale Spirale von immer mehr den Umzug nach Berlin. Nichts, aber auch gar nichts polizeilichen Mitteln und Befugnissen und schärfe- an Streichungs- und Straffungsvorschlägen hört man ren Strafbestimmungen, die beispielsweise eine im- vom Verwaltungsreformminister für sein eigenes mer höhere Drogenkriminalität nach sich zieht, Haus. Statt dessen wird im Begleitgesetz zum Umzug durchbrechen. Statt Stigmatisierung, Kriminalisie- mit vollen Händen Geld, das bekanntlich nicht vor- rung und daraus folgender sozialer Verelendung der handen ist, ausgegeben, wird der „goldene Hand- Drogensüchtigen setzen wir auf Prävention durch schlag" im Überfluß für Beamte geplant. Von Ver- Aufklärung ohne Verteufelung, durch niederschwel- waltungsreform keine Spur, von verantwortungsbe- lige Hilfen zunächst zum Überleben und dann zum wußtem Haushalten ganz zu schweigen. Ausstieg aus der Droge. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Minister für das Unsere grüne Kollegin Nimsch hat dies modellhaft 21. Jahrhundert!) und sowohl für die Betroffenen wie für das Gemein- wesen erfolgreich auf den Weg gebracht. Es wäre Während Sie sich bei der inneren Sicherheit, Herr höchste Zeit, daß dieses Parlament aus diesen Erfah- Minister, mit Gesetzentwürfen im Hauruck-Verfah- rungen die Konsequenzen zieht. ren überschlagen, haben Sie beim innenpolitischen Dauerbrenner Reform des Staatsbürgerschaftsrechts (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - die hohe Kultur des Aussitzens für sich entdeckt. Im Roland Sauer [Stuttga rt] [CDU/CSU]: Staatsangehörigkeitsrecht können und dürfen sich Warum ist sie dann gescheitert?) unsere Gesellschaft und die Betroffenen keine wei- - Herr Sauer, Missionare wie Sie haben viel Leid tere Runde staatlicher Tatenlosigkeit leisten, wenn über die Welt gebracht. An Missionare halte ich mich nicht auf Dauer der soziale Friede gefährdet werden nicht. soll. Organisierte Kriminalität kann man nicht bekämp- Renationalisierung, Selbstisolation und Flucht in fen, indem sich die Strafverfolger selbst wie Krimi- religiösen Extremismus unter den Einwanderinnen nelle benehmen, indem der Staat wie beim großen und Einwanderern ohne gesicherten Rechtsstatus Lauschangriff durch die Verfassung geschützte hoch- weisen auf drohende Entwicklungen hin. Dem kann rangige Rechtsgüter verletzt oder indem der Staat nur durch eine entschiedene Abkehr von der jahr- Vermögen demnächst auf Verdacht beschlagnahmen zehntelang betriebenen Ausgrenzung und durch will, in einer Art und Weise, die an Wegelagerei oder neue Zugehörigkeitsangebote begegnet werden. Es räuberische Erpressung grenzt. Diesen weiteren kann doch nicht angehen, meine Damen und Herren, Kahlschlag von Grundrechten im höchst sensiblen daß ein Land mit humanem Selbstverständnis inlän- Verhältnis Bürger und Staat werden wir Grünen mit dische Menschen über Jahre und Jahrzehnte als allen politischen und rechtlichen Mitteln bekämpfen. Ausländer definiert, daß Kinder und Jugendliche, die hier geboren worden sind, die hier aufgewachsen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind, die hier gelernt haben, die hier ihren Lebens- Eine weitere Herausforderung der Innenpolitik ist mittelpunkt haben, noch immer in das Herkunftsland die Reform des öffentlichen Dienstes. Was wir da ihrer Vorfahren, das sie gar nicht kennen, abgescho- bisher von Ihnen, Herr Innenminister, gehört haben, ben werden. Diese Situation ist eines humanen sind keine Reformen, es ist pure Kosmetik. Staatswesens unwürdig. Wir haben auch kein Ver- ständnis dafür, daß erst die dritte Generation der Ein- (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) wanderer als Inländer akzeptiert wird. Es bleibt beim Berufsbeamtentum weitgehend in den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Strukturen des 19. Jahrhunderts. Flexibilisiert, Herr Minister, werden vor allem die Rechte des Dienst- Das führt, meine Damen und Herren von der SPD, herrn. Die Strukturen und die Hierarchien verfesti- zu der absurden Situation, daß hier geborene Kinder, gen Sie durch Versetzungen und Abordnungen. Die deren Eltern im Alter von einem Jahr nach Deutsch- Motivation der Beschäftigten wird das mit Sicherheit land gekommen sind, einen völlig anderen Rechts- nicht verbessern. status erhalten als ebenfalls hier geborene Kinder von Eltern, die zufällig erst in Deutschland das Licht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Welt erblickt haben. So werden Menschen der gleichen Generation mit völlig identischem Lebens- Vom Reformziel der modernen, effizienten, bürger- mittelpunkt künstlich in In- und Ausländer gespal- freundlichen öffentlichen Dienstleistung sind Sie ten. Wir werden deshalb nicht länger warten und die meilenweit entfernt. In der Gehaltstabelle sollen Lei- Beratung unseres Gesetzentwurfes auf die Tagesord- stungsaspekte berücksichtigt werden. Das klingt ge- nung setzen. rade so, als ob sie bisher noch nie berücksichtigt wor- den sind. Führungspositionen will der Innenminister Fassen wir zusammen. In Fragen der inneren Si- auf Probe besetzen. Das wird die Verantwortungsbe- cherheit steht der Innenminister in der Tradition des reitschaft nicht steigern, sondern verringern. Die Obrigkeitsdenkens, nicht in der Tradition der Zivil- richtige Antwort ist die Besetzung von Führungsposi- gesellschaft. So wird es ihm nicht gelingen, mehr Si- tionen grundsätzlich auf Zeit. cherheit und weniger Kriminalität zu erwirken. Selbst die größte Chance, mit dem Umbau der Ver- Bei der Verwaltungsreform, Herr Innenminister, waltung zu beginnen, übersehen Sie, Herr Minister: liegt die Betonung auf „Reform", nicht auf „Verwal- 5834 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Rezzo Schlauch tung". Mit der Einstellung „Das war schon immer kann die Werte einer Verfassung nicht verteidigen, so", „Das haben wir ja noch nie gehabt", und „Wo wenn man sie immer weiter einschränkt. kommen wir denn da hin?" werden Sie jedenfalls nicht weit kommen. (Beifall bei der F.D.P.) (Dr. Peter Struck [SPD]: Da kann ja jeder Die dringendste Aufgabe, der wir uns in der Innen-- kommen! - Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] politik gegenübersehen, ist es, die Grenzen der [F.D.P.]: Auf Sie haben wir gerade noch ge Wirksamkeit des Staates neu zu bestimmen. Dazu wartet!) gehört sowohl die Modernisierung des öffentlichen Dienstes - immerhin machen die Personalkosten - Herr Weng, vielleicht stört es Sie, daß Sie in meiner 40 Prozent des Innenetats aus - als auch die Frage, Rede nicht vorkommen, aber ich habe mir Sie heute ob der Staat wirklich alles tun muß, was er tut und einfach erspart. wie er es tut. Die Koalition hat Vorschläge zur Mobili- sierung der personellen Ressourcen vorgelegt, die (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ nach meinem Urteil weitergehen als alle bisherigen NEN) Vorschläge. Herr Kanther, wer als Hessischer Löwe in Wiesba- (Beifall bei der F.D.P.) den gesprungen ist, um in Bonn als Silberlöwe an Ich habe die Kritik, die hier geäußert worden ist, den Beharrungskräften der eigenen Bürokratie zu überhaupt nicht verstanden. Dazu gehören die grö- scheitern, der wird kein König der Löwen mehr. ßere Durchlässigkeit der Laufbahnen, der unbe- In der Staatsbürgerschafts- und Einwanderungs- dingte Vorrang der anderweitigen zumutbaren Ver- frage scheint Ihnen der Stahlhelm nicht auf dem, wendung eines Beamten an Stelle seiner Frühpensio- sondern der Stahl im Kopf zu sitzen. Nichts ist von nierung, also auch die Versetzungsmöglichkeit in an- Ihnen zu hören außer dem Festhalten am Blutsrecht, dere Laufbahnen und zu anderen Dienstherren, und als ob das Zeitalter der sich herausbildenden Natio- zwar auch ohne die Zustimmung des Beamten, wohl nalstaaten nicht längst hinter uns wäre. Dabei ist aber unter Wahrung der Mitbestimmungsrechte des doch der Kopf, Herr Kollege Zeitlmann und meine Personalrates, Leistungsanreize auch bei den Besol- Damen und Herren von der Union, rund, damit das dungsregelungen ähnlich denen bei der gewerbli- Denken in verschiedene Richtungen möglich ist und chen Wirtschaft und vieles andere. auch die Richtung ab und zu einmal wechseln kann Die ständig wiederholte Vorstellung, die Reform und es nicht immer nur so wie bei Herrn Kanther ist: des öffentlichen Dienstes bestehe darin, möglichst eindimensional und geradeaus. viele Beamte durch Angestellte zu ersetzen, ist fi- Ihre Gesamtbilanz, Herr Kanther, läßt sich in zwei nanziell falsch, wie die Untersuchungen auch sozial- Begriffe fassen: Ignoranz gegenüber gesellschaftli- demokratischer Finanzminister zeigen. chen Realitäten und rückwärtsgewandte National- (Zuruf von der SPD: Das hat auch niemand ideologie. Ihren Haushalt, der diese Politik in Zahlen behauptet!) gießt, lehnen wir deshalb ab. Es ist altes Denken. Wir wollen und wir werden das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Berufsbeamtentum wegen seiner inneren Unabhän- und bei der PDS) gigkeit, und weil es sich bewährt hat, erhalten. Es ist nun einmal ein unverzichtbarer Bestandteil des Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Rechtsstaates. der Abgeordnete Burkhard Hirsch. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ebenso wichtig sind die Modernisierung des Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Frau Präsidentin! Dienstrechts und die Aufgabenkritik, also das, was Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kol- wir als „schlanken Staat" bezeichnen. Städte und lege Schlauch, wenn Sie mit „Blutrecht" auf Boden- Gemeinden sind mit der Privatisierung vorangegan- recht anspielen, dann ist zu sagen: Das ist auch nicht gen. Der Bund ist in außerordentlichem Umfang ge- schöner. Früher hieß es immer Blut und Boden. Ob folgt; Beispiele sind Flugsicherung, Bahn und Post. das eine vornehmer ist als das andere, will ich dahin- Die Länder bleiben aufgefordert, ihren Bereich ent- gestellt sein lassen. Es ist ja Kennzeichen einer jeden schlossen zu überprüfen. freien Gesellschaft, daß es in ihr Gegensätze gibt. Die Liberalität einer Gesellschaft macht aus, wie ein Ein Detail möchte ich in diesem Zusammenhang Staat mit diesen Gegensätzen umgeht, ob er auf Kon- erwähnen. Wir müssen den öffentlichen Dienst von frontation oder auf Integration setzt, ob er Gemein- der Kameralistik befreien und weitestgehend zu samkeiten und Toleranzen mobilisiert einer modernen Kostenstellen- und Kostenträger- rechnung kommen, ohne die ein wirklicher Lei- (Beifall der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD]) stungsvergleich und die Delegierung von Verantwor- oder ob er auf die Ausübung staatlicher Macht setzt. tung nicht möglich sein wird. Kein Staat kann darauf verzichten, Recht und Gesetz (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) durchzusetzen. Aber er muß sorgfältig darauf achten, daß die Mittel, die er dazu einsetzt, mit den Grund- Die Experimentierklausel, die es in diesem Bereich werten übereinstimmen, die er verteidigen will. Man gibt, reicht nicht aus. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5835

Dr. Burkhard Hirsch Im übrigen muß dem Bürger gesagt werden, daß berg, natürlich rechtzeitig vor der Landtagswahl, den die Deregulierung nicht zum Nulltarif zu haben ist. großen Lauschangriff mit einer elementaren Verlet- Es ist leichter, staatliche Regelungen zu treffen, als zung der Unschuldsvermutung bei der Einziehung sie aufzuheben. Das bedeutet gleichzeitig, bisher ge- von Vermögen durch Verwaltungsentscheidungen setzlich geregelte Entscheidungen dem Selbstlauf kombiniert - dies sogar ohne Anhörung des Betroffe-- der Gesellschaft zu überlassen. Also: weniger Gleich- nen und mit der treuherzigen Versicherung, er könne heit und mehr eigenes Risiko, weniger Staat und ja dagegen klagen. Wir nehmen an, meine verehrten mehr Selbstverantwortung. Kollegen, daß das zu den Willenserklärungen gehört, die in der Erwartung abgegeben werden, daß ihr Die zweite elementare Aufgabe der Innenpolitik ist Mangel an Ernsthaftigkeit nicht verkannt wird. es, die Rechte der Bürger vor Kriminalität und Ge- walt zu schützen. Das ist eine elementare liberale (Beifall bei der F.D.P.) Aufgabe; denn auf den schwachen Staat folgt immer Uns interessiert die praktische Polizeiarbeit. Die der starke Mann, und die starken Männer stehen Kriminalitätsstatistik zeigt, daß die Zusammenarbeit meistens schon bereit, ehe sie gerufen werden. der Polizeien der Bundesländer untereinander und Die Koalition hat im Laufe des letzten Jahres mit über die europäischen Grenzen hinweg nicht in Ord- den Gesetzen zur Bekämpfung der organisierten nung ist. Die gravierenden Unterschiede zwischen Kriminalität und dem Verbrechensbekämpfungsge- der Kriminalität in den neuen Bundesländern und in setz eine geradezu verschwenderische Fülle neuer Westdeutschland bleiben von den Verwaltungen strafrechtlicher Regelungen verwirklicht, die ich hier weitgehend unbeantwortet. Wir sehen nichts von nur dann aufzählen könnte, wenn es mir nicht auf dem notwendigen Ausbau der Polizeiführungsaka- meine Redezeit angerechnet werden würde. Wir for- demie in Hiltrup. Wir sehen nichts von der gegensei- dern den Innenminister - und natürlich auch die tigen Hilfe bei der Bekämpfung der Alltagskriminali- Justizministerin - dringend auf, im kommenden Jahr tät. Wir vermissen in den Länderhaushalten die Ver- eine wirklich aussagekräftige Bilanz über die Wirk- stärkung der Polizei. Wir erwarten dringend den samkeit der getroffenen gesetzgeberischen Entschei- Ausbau von Europol und die drastische Verbesse- dungen vorzulegen. Es ist nicht damit getan und rung der bilateralen polizeilichen Zusammenarbeit furchtbar leicht, immer neue Gesetze zu produzieren, über die Grenzen hinweg nach West und Ost. immer neue Strafvorschriften zu schaffen und sich Wir leisten unseren Beitrag dazu durch die zügige damit insbesondere in Wahlkampfzeiten als strahlen- Beratung des neuen Bundeskriminalamtgesetzes der Held herauszustellen. und ebenso durch die drastische Verbesserung der (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Zu finanziellen Ausstattung des Bundesgrenzschutzes. stimmung des Abg. Dr. Wolfgang Weng Dafür möchte ich meiner Kollegin Albowitz als unse- [Gerlingen] [F.D.P.]) rer Berichterstatterin in diesem Bereich wirklich herzlich danken. Es ist sehr viel wichtiger, dafür zu sorgen, daß die schon beschlossenen Gesetze wirksam angewendet (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) werden. Für die Bekämpfung der den Bürger belastenden All- Das Geldwäschegesetz ist bei weitem nicht so tagskriminalität bringt die Bundesgesetzgebung al- schlecht, wie es dargestellt wird, weil es nämlich lerdings nicht allzuviel. viele Fahndungsansätze geliefert hat. Aber es muß Ich möchte noch ein anderes Thema ansprechen, nach den bisherigen Erfahrungen weiterentwickelt nämlich die Integration der in der Bundesrepublik werden. lebenden Ausländer. Es ist unbestreitbar, daß wir der (Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Zuwanderung Grenzen setzen müssen, urn die Inte- NEN]: Aber nur Fahndungsansätze! Das hat gration der hier lebenden Ausländer nicht zu er- doch nichts gebracht!) schweren. Deswegen brauchen wir ein Einwande- rungsgesetz, das zwischen Bürgerkriegsflüchtlingen, - Ein Gesetz kann nur Ansätze liefern, verehrter Herr politischen Flüchtlingen und Einwanderern differen- Kollege. Die Polizei muß sich darum bemühen, aus ziert. diesen Ansätzen Erfolge zu machen. So ist es nun einmal. Ich glaube, daß man die Wirksamkeit des Wir sind übrigens, um das hier nur mit einem Satz Geldwäschegesetzes nicht, wie das häufig geschieht, anzusprechen, nicht bereit, den absoluten Stillstand an der Frage messen kann, wieviel Geld beschlag- zwischen Bund und Ländern in bezug auf die Bür- nahmt worden ist, sondern wir müssen es auch an gerkriegsflüchtlinge auf Dauer hinzunehmen. Wir der Frage messen, wieviel Kriminalitätsbekämpfung werden uns des Problems der Abschiebehaftanstal- oder wieviel Fahndungsansätze gefunden worden ten annehmen. Sie gefährden unser internationales sind, um weiter aufzuklären. Das sieht nicht so Ansehen und den inneren Frieden h unserer Gesell- schlecht aus, wenn Sie sich das Vergnügen machen schaft. würden, sich das einmal im Detail anzusehen. (Beifall bei der F.D.P.) Ebenso kann und muß die Korruptionsbekämp- Zum Asylrecht mache ich heute lieber keine Be- fung nach den bisherigen Erfahrungen verbessert merkung. Wir erwarten mit größtem Interesse die werden. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Wir wundern uns aber schon, mit welcher Leichtig- Der Kernpunkt der Integrationspolitik ist es, zu be- keit die schwarz-rote Koalition in Baden-Württem- greifen, daß die Integration der in der Bundesrepu- 5836 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Dr. Burkhard Hirsch blik lebenden Ausländer nicht ausschließlich in de- Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lie- ren Interesse liegt. Es ist vielmehr unser eigenes In- ber Herr Hirsch, stimmen Sie mir angesichts des Sze- teresse, narios, das Sie gerade beschrieben haben und bei dem ich Ihnen insofern zustimme, als es in unserem (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. sowie Interesse, im Interesse der Bundesrepublik Deutsch- der Abg. Uta Titze-Stecher [SPD] und des land und der hier lebenden Menschen, liegt, die- Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE Nichtdeutschen dringend in diese Gesellschaft zu in- GRÜNEN]) tegrieren, zu, daß durch das Instrument der Kinder- dafür zu sorgen, daß sich in unserem Land nicht eine staatsangehörigkeit genau dies nicht erfolgen wird? Diaspora von über 7 Millionen Menschen bildet, die (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das hat der Kollege mindere Rechte haben und hier auf Dauer leben, hier schon mehrfach laut gesagt!) aber doch nicht richtig zu uns gehören.

Wir müssen den jungen Menschen unter ihnen Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Özde- eine gesicherte Perspektive geben. Deswegen brau- mir, es ist kein Geheimnis, daß ich der Meinung bin, chen wir ein massives Integrationsangebot auch im daß nach allen Untersuchungen, die wir bisher ange- Staatsangehörigkeitsrecht. stellt haben, feststeht, daß dieses in der Koalitions- vereinbarung enthaltene Instrument nicht so weit (Beifall bei der F.D.P.) führen wird, wie wir es für notwendig halten. Das ist Die Doppelstaatsangehörigkeit entspricht bereits in in der Tat unsere Überzeugung. Hunderttausenden von Fällen der Lebenswirklich- Ich hoffe, daß wir in dieser Frage wesentlich weiter keit in der Bundesrepublik Deutschland. kommen, ohne neue Beg riffe einführen zu müssen, (Ina Albowitz [F.D.P.]: 1,4 Millionen!) als mit den Instrumenten, die unser Staatsangehörig- keitsrecht traditionell zur Verfügung stellt. Dabei Wir wollen die Doppelstaatsangehörigkeit nicht muß man sehen, daß das Problem der Integration flächendeckend, aber doch als ein Mittel, um der darin liegt, daß die Integrationslasten in unserer Ge- zweiten und dritten Generation verläßlich zu sagen, sellschaft unterschiedlich verteilt sind. Dieser Tat- daß sie zu uns gehören und daß wir bereit sind, das sache ist bisher nicht ausreichend Rechnung getra- Problem der Integration mit ihnen zu teilen und nicht gen worden. ihnen allein aufzubürden. (Beifall der Abg. Cornelia Schmalz-Jacob- (Beifall des Abg. Otto Schily [SPD]) sen [F.D.P.]) Unser Dank gilt in diesem Zusammenhang insbe- sondere der Ausländerbeauftragten, der Kollegin Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt Herr Wie- Schmalz-Jacobsen, und ihren Mitarbeitern, die für felspütz. Bitte. den inneren Frieden in unserer Gesellschaft einen ganz unverzichtbaren Beitrag leisten. Dieter Wiefelspütz (SPD): Herr Kollege Hirsch, es (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne geht nicht darum, beim Staatsbürgerschaftsrecht das ten der CDU/CSU) Rad neu zu erfinden, und es geht sicherlich nicht um eine gesetzgeberische Revolution, sondern es geht um eine notwendige, angemessene Modernisierung Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege unseres Staatsbürgerschaftsrechtes. Ich habe den Hirsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Eindruck, es gibt in diesem Hause Mehrheiten für gen Cem Özdemir? eine angemessene, notwendige Modernisierung. Ich darf Sie fragen: Wann bekommen wir denn mit Ihrer Unterstützung, Herr Kollege Hirsch, einen Entschei- Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Mit großem Vergnü- gen. dungsprozeß, wo wir in einem überschaubarem Zeit- rahmen - ich sage einmal: innerhalb von einem vier- tel oder halben Jahr - das Notwendige auf diesem Dieter Wiefelspütz (SPD): Verehrter Kollege - - Sektor tun und entscheiden und uns nicht von De- batte zu Debatte entlanghangeln an Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Übrigens gilt dies na- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: türlich auch für Herrn Wiefelspütz. Gut Ding will Weile haben!) schönen Erklärungen von Ihnen, die leider nicht zu Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Wiefels- Taten werden und nicht zu Entscheidungen kom- pütz, ich hatte zuerst nach der Gestattung einer Zwi- men? schenfrage von Herrn Özdemir gefragt. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Stimmt doch gar nicht!) Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich lasse Ihnen gern den Vortritt, wenn Sie darauf be- stehen. Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Wiefels- pütz, Sie sind lange genug im Hause, um zu wissen, wie schwierig es manchmal ist, Mehrheiten zu erhal- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nein. ten. Ich erinnere Sie zum Beispiel daran, als es in die- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5837

Dr. Burkhard Hirsch sem Hause eine breite Mehrheit gab, um das Wahl- ter, die einen aufopferungsvollen Dienst geleistet ha- recht für Deutsche im Ausland herbeizuführen, und ben? Ich denke, daß uns die Entscheidung des Haus- wo es nur an wenigen, allerdings außerordentlich haltsausschusses nicht an einer ruhigen Erörterung namhaften Mitgliedern Ihrer Fraktion scheiterte, die- hindert. ses Wahlrecht einzuführen, bis insbesondere eines - der außerordentlich namhaften Mitglieder Ihrer (Karl Diller [SPD]: Herr Dr. Weng, wie stim- Fraktion aus dem Bundestag ausschied. Dann wurde men Sie nachher ab?) es gemacht. Der Hinweis darauf, daß es Mehrheiten Mit dieser Maßgabe werden wir dem Einzelplan zu- gibt, ist zwar hochinteressant, ist aber nicht der ein- stimmen. zige Punkt. Ich kann Ihnen nur zusagen - und das ist kein Geheimnis -, daß wir in der Koalition über diese (Beifall bei der F.D.P. - Karl Diller [SPD]: Frage wirklich sorgfältig reden und verhandeln. Ich Aha, also mitbunkern! - Gegenruf des Abg. habe die Hoffnung - sonst würde ich das nicht sagen -, Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Haben Sie An- daß wir uns auf eine Linie verständigen, die weite träge dazu? - Karl Diller [SPD]: Natürlich, Teile des Hauses akzeptieren könnten. Ich hoffe das. die Grünen stellen einen Antrag!) Wir werden jedenfalls nach besten Kräften daran ar- beiten. Die Mitglieder des Innenausschusses wissen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat das. jetzt die Abgeordnete Ulla Jelpke. Frau Sonntag-Wolgast, Sie sehen so aus, als ob Sie meine Redezeit auch noch verlängern wollen. Ulla Jelpke (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen (Zuruf der Abg. Dr. Cornelie Sonntag-Wol und Herren! Der Haushalt des Bundesministers des gast [SPD]) Innern steht erneut im Widerspruch zur allgemeinen Haushaltsentwicklung. Während die Bundesregie- - Nein, gut. rung bei den sozial schwächsten Gruppen, bei Ar- Dann eine letzte Bemerkung zum Haushalt. Wir beitslosen und bei Sozialhilfeempfängern und Sozial- hilfeempfängerinnen und vor allen Dingen bei freuen uns, daß es gelungen ist, im kulturellen Be- Flüchtlingen, drastische Kürzungen vorsieht, steigt reich das Programm „Leuchttürme Ost" fortzuführen der Haushalt des Innenministeriums um 2,4 Prozent. und ein Denkmalschutzprogramm „Dach und Fach" einzurichten, durch das der drohende Verfall unseres An Einzelposten läßt sich diese Haushaltspolitik deutlich machen. Die Gelder, die für das Bundesamt gemeinsamen kulturellen Erbes in den neuen Bun- für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt und desländern aufgehalten werden soll und durch das auch für den BGS ausgegeben wurden, stiegen seit übrigens auch die Gedenkstätte Sachsenhausen Oranienburg unter gleichwertiger Mitwirkung des 1989 rasant an, allein für den BGS sage und schreibe um 122,47 Prozent. Für das kommende Haushaltsjahr Landes Brandenburg erhalten werden kann. sind noch einmal Steigerungen von 7,5 Prozent vor- Dann muß ich noch etwas zu dem von Herrn gesehen. Schlauch schon erwähnten Regierungsbunker in der Eifel sagen: 20 Millionen. Wissen Sie, das Bauwerk In der Haushaltsentwicklung der Grenzpolizei braucht man nun wirklich nicht mehr mit Geheimhal- spiegelt sich der Ausbau der Festung Europa wider. tung zu umgeben. Mit der Anschaffung von weiteren sogenannten Wär- mebildkameras wird die quasi-militärische Siche- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: rung der deutschen Ostgrenze weiter vorangetrie- Aber es ist geheimgehalten!) ben. Allein für die Rückführung von Flüchtlingen sind nicht weniger als 15,5 Millionen DM veran- - Nun, Herr Kollege Weng, dann sollten wir uns ge- schlagt. Die Bundesregierung versucht derzeit syste- meinsam darum bemühen, das zu ändern, weil jeder, matisch, mit Hilfe sogenannter Rückführungsabkom- der sich für den Bunker interessiert, ihn in- und aus- men das ramponierte Asylrecht endgültig ad absur- wendig kennt. Seine Lage ist bekannt. Was da ge- dum zu führen. Mit Folterregimen wie der Türkei, Al- heimzuhalten ist, habe ich auch nach heftigem Nach- gerien, Kroatien, Rest-Jugoslawien und nicht zuletzt denken nicht herausbekommen. dem Sudan verhandelt Innenminister Kanther offen- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: sichtlich besonders gern, wenn es um Abschiebung Der Innenausschuß war für Geheimhal geht. Sie machen so Staatsterroristen wie die Regie- tung!) rung des Sudan zu Kronzeugen der bundesdeut- schen Asylpolitik und zu Helfershelfern Ihrer Ab- Wir müssen uns einmal überlegen, ob es wichtiger schiebepolitik. Diese Herren werden sich freuen und ist, mit diesen Mitteln, die dort eingesetzt werden, die Hände reiben, wenn sie von der Bundesrepublik den Verfall dieses Bauwerkes aufzuhalten, oder ob es Deutschland formal als verfolgungsfreie Herkunfts- vielleicht besser ist, mit denselben Mitteln den Bau länder eingestuft werden. von Kulturdenkmälern in Ostdeutschland aufzuhal- ten. Für Maßnahmen zur Flüchtlingsabschiebung bzw. Abschottung, zum Ausbau von Abschiebehaftanstal- (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und ten und zur Rückführung von Flüchtlingen werden dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Behörden nicht auf Di it gesetzt, sondern finan- Oder ist es vielleicht besser, diese Mittel nicht in Be ziell gemästet. Gekürzt werden im Gegenzug die me- ton zu investieren, sondern in sozialverträgliche Lö dizinischen und die Sozialhilfeleistungen für Asylan- sungen bei der Abwicklung der Zivilschutzmitarbei tragstellerinnen und -antragsteller sowie insbeson- 5838 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Ulla Jelpke dere für Bürgerkriegsflüchtlinge. Vertreter der evan- findet, den großen Lauschangriff durchgesetzt. Hier gelischen Kirche kritisierten am Dienstag auf ihrer soll ganz offensichtlich demonstriert werden, daß die Synode in Friedrichshafen die herrschende Abschie- F.D.P. mit ihrem Mitgliedervotum überflüssig ist, aber bepolitik und stellten fest, daß es nicht gut um das auch ansonsten. Notfalls wird dieses Repressionsmit- deutsche Asylrecht steht. Gerügt wurde vor allem tel auch in diesem Haus mit einer großen Koalition auch die sogenannte Drittstaatenregelung. Bischof durchgesetzt. Kohlwage meinte - ich zitiere -: Über den Haushalt des Bundesamtes für Verfas- Das Asylrecht ist ein zentraler Punkt unseres Ge- sungsschutz darf die Öffentlichkeit wieder einmal meinwesens, ein Vermächtnis aus bitteren Erfah- nichts wissen: kein Stellenplan, keine Übersicht über rungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. die freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und keine Nachweise über die Ausgaben für Sachmittel. Solche Überlegungen haben offensichtlich die Richter des Bundesverwaltungsgerichtes nicht gelei- Allerdings läßt sich nachrechnen, daß das Bundes- tet. Mit ihrem jüngsten Urteil zur Drittstaatenrege- amt für Verfassungsschutz seit dem Zusammenbruch lung hat Innenminister Kanther für seine Politik des realen Sozialismus seinen Etat nicht senkte. Im „Ausländer raus" neue Rückendeckung bekommen. Gegenteil: Die Schlapphüte haben seither 11 Prozent Die Richter haben eindeutig festgelegt, daß nicht der mehr bekommen. Asylgrund, sondern der Reiseweg entscheidend ist, ob politisch Verfolgte hier in diesem Land Zuflucht Die Jahresberichte des Bundesamtes für Verfas- finden oder nicht. sungsschutz über die Gefahren des Rechtsextremis- mus sind ein Eingeständnis tatsächlicher oder zur Meine Damen und Herren von der Sozialdemokra- Schau gestellter Unwissenheit. Das Bundesamt über- tie, wir hören hier immer wieder, daß Sie zum Bei- sieht seit Jahrzehnten eine wesentliche Strömung spiel die doppelte Staatsangehörigkeit, die erleich- des bundesdeutschen Neofaschismus, nämlich die terte Erlangung der Staatsangehörigkeit einklagen. Neue Rechte. Bei der Neuen Rechten handelt es sich Das ist richtig, aber ich möchte Sie auch daran erin- um eine überaus gefährliche und erfolgreiche Strö- nern, daß Sie mit für diese verheerende Asylpolitik mung des Rechtsextremismus. Ganze neun Zeilen verantwortlich sind. Damals, als Sie dieser Politik zu- werden ihr im letzten Jahresbericht gewidmet. gestimmt haben, haben Sie darauf verzichtet, das Pa- ket, das Sie immer schnüren wollten, um Erleichte- Auch zu theoretischen Fragen will sich dieser Be- rungen einzuführen - dazu gehörte übrigens auch richt nicht äußern, zum Beispiel zur konservativen die Erleichterung der Einbürgerung -, zu schnüren. Revolution. Das ist meiner Meinung nach gezielt Deswegen müssen Sie heute kläglich hinterherlau- politisch gewollt. fen, damit überhaupt irgend etwas Positives in Sa- (Vorsitz : Vizepräsident Dr. Burkhard chen Asylpolitik herauskommt. Hirsch) Auch das Bundeskriminalamt konnte seit 1989 Meine Damen und Herren, ähnliches könnte man eine Etatsteigerung um nicht weniger als zu dem vorgelegten Bericht über rassistische und fa- 80,25 Prozent verzeichnen. Für das kommende Haus- schistische Gewalt sagen. Auch hier gibt es eine er- haltsjahr kann das BKA mit einer Erhöhung um hebliche Steigerung. Dennoch will das Bundesamt 10 Prozent rechnen. Dies geschieht vor dem Hinter- für Verfassungsschutz dort nach wie vor keinen orga- grund, daß mit dem von der Bundesregierung vorge- nisierten Charakter sehen, auch nicht, daß es in legten Entwurf des BKA-Gesetzes die fortschreitende Hamburg und NRW bereits rechtsterroristische An- Zentralisierung und Politisierung einer deutschen sätze gibt. Bundespolizei geplant ist. Wenn es dagegen um Linke und Antifaschisten (Erwin Marschewski [CDU/CSU]: O Gott, geht, ist dieses Amt besonders aktiv. Wie wir wissen, O Gott!) werden antifaschistische Organisationen und Einzel- Die entsprechende Zurverfügungstellung von Haus- personen von diesem Amt besonders diskreditiert. haltsmitteln auch zum technischen Ausbau des BKA Zu einem Haushalt, der den Ausbau staatlicher soll den Bundesapparat stärken und wird die Ein- Machtkonzentration, die Einschränkung von Frei- schränkung länderpolizeilicher Kompetenzen zur heits- und Bürgerrechten sowie eine menschenver- Folge haben. achtende Asylpolitik weiter vorantreibt, sagen wir lo- Diese Absichten haben die sozialdemokratischen gischerweise nein. Bundesländer zu Recht kritisiert. Von dieser Kritik Zum Abschluß möchte ich noch einen Satz zu un- ausgespart bleibt jedoch - im Unterschied zu War- serem Antrag zur parteinahen Stiftung sagen, den nungen der Datenschutzbeauftragten - die Möglich- wir heute erneut - ich glaube, das fünfte Mal zu ei- keit eines Lauschangriffes durch das BKA. Hier zeigt nem Haushalt - vorgelegt haben. Ich bitte Sie ganz sich meines Erachtens, daß im Bereich der sogenann- besonders, diesem Antrag endlich zuzustimmen. ten inneren Sicherheit Grund- und Menschenrechte bei der Sozialdemokratie nicht weniger gut auf geho- Danke. ben sind als bei der Regierung. (Beifall bei der PDS) Letzte Woche hat die SPD - wie Herr Dr. Burkhard Hirsch hier bereits sagte - in Baden-Württemberg, Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das wo sie sich mit der CDU in einer großen Koalition be- Wort dem Abgeordneten Freiherr von Hammerstein. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5839

Cari-Detlev Freiherr von Hammerstein (CDU/ Zweitens. Große Teile der Mitarbeiter der zivilen CSU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verteidigung sind in andere Ministerien eingeglie- Lassen Sie mich noch einige Worte zum Einzelplan 33 dert worden. sagen, zu Herrn Schlauch und zu Uta Titze-Stecher. Drittens: Luftrettungsdienst. Ich freue mich, daß es Herr Schlauch, Sie sind Gott sei Dank ein brüllen- uns nach über einjährigen Verhandlungen über die der Löwe, der aber wenig beißt. Wenn Sie den Innen- Parteigrenzen hinweg gelungen ist, 17 neue Hub- minister anklagen und sagen, er sollte im Bereich der schrauber im Leasingverfahren anzuschaffen, um Verschlankung des öffentlichen Dienstes etwas tun, den Luftrettungsdienst so zu gestalten, wie wir uns dann würde ich zunächst vor der eigenen Haustür das wünschen. Das hat zugleich einen guten Neben- kehren und in Ihrer Fraktion einmal gucken - die im effekt: 17 neue Hubschrauber schaffen auch viele Augenblick natürlich nicht vollzählig ist -, wie viele neue Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutsch- im Bereich des öffentlichen Dienstes tätig sind. land. Viertens - das ist meines Erachtens die Meisterlei- Liebe Uta Titze-Stecher, wenn du an der Bereini- stung im Bereich der zivilen Verteidigung -: das gungssitzung teilgenommen hättest, hättest du auch Technische Hilfswerk. Ich würde mir wünschen, daß gehört, daß der Innenminister zum Versorgungsbe- auch in anderen Ministerien die Möglichkeit ge- richt etwas gesagt hat. Dieser Versorgungsbericht, schaffen wird, die Budgetierung vorzunehmen. Hier liebe Uta, wird noch in diesem Jahr vorgelegt. Der haben wir den Mitarbeitern in einem Teil der zivilen Innenminister hat dazu ein paar klare und deutliche Verteidigung mit einem über mehrere Jahre hinweg Aussagen gemacht: Dieser Bericht wird genaue Da- konstanten Haushalt von 390 Millionen die Möglich- ten über die Versorgungsleistungen im öffentlichen keit gegeben, sowohl im investiven Bereich als auch Dienst sowie über die Entwicklung der Versorgungs- im Personalbereich alleine zu entscheiden. Ich ausgaben bis zum Jahre 2008 enthalten. An Hand glaube, das ist eine Maßnahme, die nachahmenswert dieses Berichtes wird zu prüfen sein, welche Folge- ist. Ich möchte mich hier ganz herzlich bei den vielen rungen zur Eindämmung der Versorgungsausgaben Mitarbeitern des Technischen Hilfswerkes für ihre zu ziehen sind. Hilfsbereitschaft, insbesondere aber auch für das eh- renamtliche Engagement bedanken. Schon jetzt sind nach dem Entwurf des Dienst- rechtsreformgesetzes Einsparungsmaßnahmen vor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gesehen, nämlich erstens die Anhebung der Alters- Als letztes - da meine Zeit schon wieder um ist - grenze bei den Beamten vom 62. auf das 63. Le- möchte ich die drei Aufgaben nennen, die das Tech- bensjahr zum 1. Januar 1997 - wobei ich es für besser nische Hilfswerk zu verrichten hat: erstens das Ber- hielte, lieber Herr Minister, diese Maßnahme einzu- gen, zweitens die internationalen Einsätze und drit- setzen, sobald das Gesetz in Kraft tritt, weil die Ein- tens - ich bitte Sie, Herr Minister, ein bißchen darauf sparungen dann sicherlich noch erheblich höher zu achten, daß auch das einmal erwähnt wird - das sind, als wenn damit erst am 1. Januar 1997 begon- Instandsetzen z. B. von Wasserleitungen - ich denke nen wird -, zweitens das Vorziehen der Versorgungs- gerade an Mostar - oder Abwasserleitungen. Hier abschlagsregelung vom Jahre 2002 auf voraussicht- wird also in vielen Bereichen Hilfe von ehrenamtli- lich schon Anfang 1998 und drittens die Begrenzung chen Helfern geleistet. Das sollte man nicht verges- von Frühpensionierungen infolge Dienstunfähigkeit sen zu erwähnen. durch die Verschärfung des Grundsatzes Rehabilita- tion vor Versorgung. Ich darf mich noch einmal ganz herzlich bei Ihnen, lieber Manfred Kanther, und bei Ihren Mitarbeitern Nun lassen Sie mich zum Einzelplan 36 kommen. für hervorragende Leistungen bedanken. Da möchte ich mit einem Wort anfangen: Das Zau- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) berwort heißt „sparen" .

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Das Zauberwort heißt immer nur „bitte"!) Wort dem Abgeordneten Günter Graf.

Die meisten unter uns sparen gerne bei den anderen, Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Präsident! aber nie bei sich selber. Hier möchte ich dem Innen- Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Bevor ich minister und dem gesamten Innenministerium eine mich mit einem Aspekt des Einzelplanes 06 befasse, Gratulation aussprechen für das, was im Einzelplan 36, möchte ich hier - zumindest für mich ganz persön- im Bereich der zivilen Verteidigung, erreicht wurde. lich - meine Betroffenheit über die heutigen Haus- Das zu vollbringen, was hier in der Kürze geschaffen haltsplanberatungen zum Ausdruck bringen. Ich worden ist, ist eine grandiose, enorme Leistung. habe heute morgen den Eindruck gehabt, daß hier mit einem Maß an Arroganz, mit einem Maß an Ich nenne hier einige Beispiele. Erstens. Der BVS, Selbstherrlichkeit und Überheblichkeit, wie auf einer der Bundesverband für Selbstschutz, ist völlig aufge- Wolke schwebend, eine Problembeschreibung in die- löst worden. Hier ist die Möglichkeit geschaffen wor- sem Land vorgenommen wurde; aber Lösungsan- den, daß alle Mitarbeiter flexibel überall in der Bun- sätze konkreter Art habe ich sehr vermißt. desrepublik untergebracht werden können, was mei- nes Erachtens auch hervorragend angenommen (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Man- wird. fred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) 5840 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Günter Graf (Friesoythe) Insbesondere hat dies, so glaube ich, der Bundes- - Frau Kollegin, Sie müssen sich das vor Ort einmal kanzler in der Art, wie er sich heute morgen hier dar- ansehen. gestellt hat, sehr deutlich bewiesen. Ich habe den Eindruck, er sieht die Probleme nicht, oder will sie (Ina Albowitz [F.D.P.]: Die Länder haben die einfach nicht mehr sehen. Quote!) - Frau Kollegin, ich werde gleich noch einige Zitate- Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines ist unüber- Ihrer Kollegen aus der Fraktion und von der CDU/ sehbar: Der Sozialabbau in unserem Staat ist unver- CSU bringen. Dann, glaube ich, reden Sie anders, kennbar und trägt in gravierender Weise dazu bei, oder wir sprechen hinterher einmal darüber. unser Land in Arm und Reich zu spalten. (Ina Albowitz [F.D.P.]: Da bin ich aber ge- Dies nur als kurze Vorbemerkung zur heutigen De- spannt!) batte, die ich von heute morgen an hier verfolgt Ich will hier nur sagen: Wir haben - das ist nach- habe. vollziehbar -, in den 50er und 60er Jahren, als Spät- aussiedler zu uns gekommen sind, in bestimmten Re- Ich möchte die Redezeit benutzen, um mich dem gionen mit Hilfe der Kirche dafür gesorgt, daß sie Einzelplan 06 zuzuwenden. Ganz kurz noch eine An- hier bei uns verdientermaßen eine Heimat finden. merkung dazu. Mir ist heute einmal mehr sehr deut- Das war gut und richtig. Es hat allerdings über Jahre lich geworden, daß diese Bundesregierung hand- und Jahrzehnte ständig Verbindungen zu den Men- lungsunfähig ist, wenn es darum geht, eine notwen- schen, die drüben bleiben mußten, gegeben. Diese dige Strategie zur Bekämpfung des internationalen Situation führt heute dazu - wo jährlich zirka 225 000 Verbrechens, der internationalen Kriminalität zu ent- Menschen herüberkommen -, daß sie sich verständli- wickeln. Offenbar lähmt sie der Koalitionspartner in cherweise - ich würde es genauso tun - dahin orien- dieser Frage. tieren, wo bereits andere Menschen wohnen. Die ge- setzliche Regelung betreffend vorläufige Festlegung Es hilft auch nichts, wenn der Bundesinnenmini- eines Wohnortes ist nach meinem Dafürhalten abso- ster immer sagt, was er denn gerne tun möchte, um lut unzureichend. Es muß etwas anderes hinzukom- mit diesem Problem in diesem Lande fertig zu wer- men, ein anderes Steuerungsinstrument. den, wenn er handlungsunfähig ist, weil ihm in die- ser Frage die Unterstützung verwehrt wird. (Zuruf der Abg. Ina Albowitz [F.D.P.]) - Frau Kollegin, nun reden Sie nicht. Sie müssen sich (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Man schon vorher schlau machen, bevor Sie solche Zwi- fred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schenbemerkungen machen. Ich sage Ihnen hier ganz deutlich: Damit schadet Wenn Sie also einen Ort haben, in dem es einen die Bundesregierung diesem Land, weil sich in ihm Anteil von 25 Prozent an Aussiedlern gibt, dann kön- die organisierte Kriminalität mehr und mehr fest- nen Sie sich vorstellen, was das bedeutet. Ich rede setzt und damit die illegalen Geldströme in dieses hier nicht gegen diese Menschen. Diese Menschen Land zu einer massiven Gefährdung unserer Demo- sind bei uns willkommen, wir nehmen sie auf. Wir kratie führen. haben aber auch dafür zu sorgen, daß es in diesem Land in bestimmten Regionen nicht zu Spannungen Ich fordere Sie daher auf, gemeinsam mit uns - wir kommt. Diese gibt es aber im Lande Niedersachsen, haben dazu Vorschläge unterbreitet; ich nenne Stich- diese gibt es im Lande Baden-Württemberg worte wie Vermögenseinziehung, Beweislastumkehr (Beifall bei der SPD - Ina Albowitz [F.D.P.]: und Einsatz technischer Mittel zum Abhören - end- Und in Nordrhein-Westfalen!) lich gesetzliche Regelungen zu schaffen, damit dieje- nigen, die in unserem Staat für die Sicherheit zu sor- - und zum Teil in Nordrhein-Westfalen, aber bei wei- gen haben, einen Teil des notwendigen Rüstzeugs tem nicht so gravierend, wie Sie vielleicht vermuten, bekommen, damit sie ihrer Aufgabe gerecht werden. Frau Kollegin. Das hierzu. Dieses hat Folgen. Dieses Problem betrifft nicht nur Cloppenburg, es betrifft das Emsland, den Land- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kreis Osnabrück, die Gemeinden Gifhorn oder Lahr. Ich will Ihnen nun einmal einige Zitate bringen, die Nun möchte ich aber, liebe Kolleginnen und Kolle- ich gestern zusammengeschrieben habe. Herr Eppel- gen - wie meine Kollegin Uta Titze-Stecher schon an- mann sagte am 15. Juni 1995: „Davon habe ich heute gekündigt hat - einen besonderen Aspekt des Ein- zum erstenmal gehört. Ich werde diese Problematik zelplanes 06 herausnehmen, und das ist die Aussied- sowohl in der CDA wie auch im CDU-Bundesvor- lerproblematik. Ich habe das im Innenausschuß stand erörtern." Ob etwas geschehen ist, weiß ich schon einmal getan, und ich möchte es hier wieder- nicht. holen. Herr Eveslage, Präsident des Niedersächsischen Ich komme aus einem Wahlkreis - Cloppenburg/ Städte- und G emeindebundes, parlamentarischer Vechta -, der durch den unkontrollierten Zuzug von Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion in Han- Aussiedlern in einem starken Maße betroffen ist. nover und stellvertretender Fraktionsvorsitzender in Hannover, sagt, beispielsweise müsse der Sprachun- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das kann nicht sein!) terricht wieder verlängert werden, den Bonn auf Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5841

Günter Graf (Friesoythe) sechs Monate verkürzt hatte. Er kritisiert dabei auch Ich könnte diese Reihe von Aussagen von Mitglie- die eigenen Reihen. Ich könnte Ihnen dazu noch eine dern dieser Koalition unbegrenzt fortsetzen, aber ganze Menge mehr vorlegen. meine Redezeit ist relativ kurz.

Der Parlamentarische Staatssekretär Manfred Car- (Zuruf von der CDU/CSU: Zum Glück! Sehr - stens, mein Kollege aus dem Wahlkreis, sagt, so gut!) könne es nicht weitergehen, man müsse etwas tun. - Ja, es ist immer unbequem, wenn man sich bittere Er fordert sogar die Bürgermeister auf, sich bei der Wahrheiten anhören muß. Das weiß ich, das geht mir Baulandausweisung in dieser Frage zurückzuhalten, manchmal auch so; man macht ja auch nicht alles was ich für diskriminierend halte. Das will ich Ihnen richtig. Aber das muß einmal gesagt werden. ganz offen sagen. In Gemeinderäten in der Weise zu argumentieren, daß man sagt: „Wir können diese (Beifall bei der SPD) Leute hier nicht bauen lassen. Ihr kriegt keinen Bau- platz, sondern nur die Einheimischen", kann nicht Jetzt will ich Ihnen noch einmal einige Zahlen nen- die Politik in einem demokratischen Staat sein. Wenn nen, die belegen, wie sich die Situation darstellt. das ein Parlamentarischer Staatssekretär vor Ort kri- Zum Beispiel betrugen im Landkreis Osnabrück die tisiert, gehe ich davon aus, daß das auch in das Kabi- Sozialhilfeausgaben 1993 3,1 Millionen DM, im nett getragen wird und daß sich das Kabinett mit die- Jahre 1994 25,1 Millionen DM, und 1995 ist eine Stei- sen Fragen beschäftigt. Das scheint mir aber nicht gerung auf über 25 Millionen DM zu erwarten. der Fall zu sein. Im Landkreis Gifhorn waren es vor diesem Hinter- grund - ich habe den Schwerpunkt angesprochen - war auch Der Staatssekretär Dr. Walter Priesnitz 1993 20 Millionen DM, 1994 34 Millionen DM; 1995 dort und schreibt in einem Brief an Ihren Kollegen, werden es voraussichtlich 45 Millionen DM sein. Herrn , daß die Kosten, die dort entste- hen, nicht mehr allein von den Leuten dort getragen Im Ortenaukreis - ich habe auf Lahr hingewiesen - werden können, daß einiges mehr notwendig ist, daß betrugen die Sozialhilfeausgaben 1993 2 Millionen den betroffenen Kommunen Hilfe zukommen muß. DM und 1994 12 Millionen DM. 1995 werden es Was ist die Folge? Was ist geschehen? Nichts! Wir 18 Millionen DM sein. kürzen im Einzelplan 06 - gucken Sie hinein -, ge- rade was die Eingliederungshilfen insgesamt angeht. Wie sieht es bei mir im Landkreis Cloppenburg aus? Auch das will ich nicht verschweigen: 1993 (Uta Titze-Stecher [SPD]: Eine Schande! Die 23 Millionen DM, 1994 34 Millionen DM und 1995 Leute hereinlassen und immer weniger tun! voraussichtlich mehr als 45 Millionen DM Sozialhilfe- - Zurufe von der CDU/CSU) ausgaben. Dies hat zur Folge gehabt, daß wir zwei- mal die Kreisumlage erhöht haben; wir befinden uns - Zur Sozialhilfe will ich Ihnen gleich noch einige jetzt bei 46, 47 Prozent. Die Gemeinden sind finan- Zahlen nennen. ziell am Ende. Ich frage mich, was das noch mit der Garantie Der Kollege Hans Eveslage, den ich eben schon zi- kommunaler Selbstverwaltung zu tun hat. Ich erin- tiert habe, will über alle Parteiräson hinaus im Kon- nere an den Art. 28 des Grundgesetzes, der diese Ga- flikt mit der CDU/F.D.P.-Bundesregierung eine finan- rantie enthält. Die Kommunen sind finanziell am zielle Besserstellung der Kommunen erreichen. Da- Ende. Die Haushalte können nicht mehr ausgegli- mit ist der Gang zum Bundesverfassungsgericht eine chen werden, ganz zu schweigen von den Personal- kalkulierbare Größe für ihn geworden. Herr Eves ausgaben, die notwendig sind, um mit dieser Proble- lage sagt, er erwäge eine Verfassungsklage gegen matik, die sie zusätzlich belastet, fertig zu werden. den Bund wegen dieser Situation. Ich weiß nicht, ob Ihnen das schon bekannt ist. Wir haben im Innenausschuß des Deutschen Bun- destages drei Anträge vorgelegt. Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Ausländerbeauf- tragte. Früher war es Kollegin Dempwolf, heute ist es Wir haben ein Sofortprogramm für die Kommu- die Kollegin Kors. Was sagen die eigentlich zu dieser nen in der Bundesrepublik Deutschland gefordert, Problematik? Das kann ich einmal zitieren. Am die in besonderer Weise betroffen sind. Es wurde 20. Februar 1995 heißt es für die CDU/CSU-Fraktion ohne große Diskussion mit der Koalitionsmehrheit im Deutschen Bundestag im DUD-Sonderdienst: abgelehnt.

Die neu eintreffenden Mitbürger brauchen - ge- Wir haben einen Antrag zur Erhöhung der Mittel rade in Zeiten von Arbeitslosigkeit und Woh- für den Garantiefonds eingebracht. Die Mittel für die nungsnot - verstärkte Hilfe von politischer Seite. Sprachförderung im schulischen und außerschuli- Finanzielle Mittel, wie z. B. die Sprachschulun- schen Bereich sind seit 1992 kontinuierlich von gen und der Garantiefonds, 450 Millionen DM auf 240 Millionen DM im Jahre 1995 zurückgegangen, und das in einer Zeit, wo ein (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr erforderlich ist und nicht ein Weniger. Das versteht doch kein Mensch!) (Beifall bei der SPD) der speziell für jugendliche Aussiedler da ist, dür- Wir haben einen dritten Antrag gestellt, der sich fen nicht weiter gekürzt werden. auf die Eingliederungshilfen bezieht, auf die die be- 5842 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Günter Graf (Friesoythe) treffenden Personen Ansprüche haben und bei natürlich zu einer dramatischen Veränderung der denen alleine der Bund der Zahlungspflichtige ist. Welt des Verbrechens geführt. Denken Sie doch an Allein bei uns im Landkreis konnten 15 Millionen die ehemalige Sowjetunion. Denken Sie an die DM - obwohl geprüfte, berechtigte, genehmigte An- Schmuggelei von spaltbarem Material. Denken Sie träge auf Eingliederungshilfen vorlagen - nicht aus- doch an die Zwangsprostitution, die Verschleppung gezahlt werden, weil der Bund die Finanzmittel erst junger Mädchen und Frauen nach Westeuropa. - mit einer Verzögerung von zwei Jahren zur Verfü- gung stellt, was wiederum dazu führt, daß die betref- Unsere Sicherheitslage hat sich beträchtlich verän- fenden Personen natürlich den Weg zum Sozialamt dert. antreten müssen, um Sozialhilfe in Anspruch zu neh- (Zustimmung bei der CDU/CSU) men, und daß sich die Kommunen nachher auf dem Verwaltungswege die Mittel zurückholen müssen, Deswegen brauchen wir neue, verschärfte Gesetze, um dieser Sicherheitslage zu begegnen. wenn die Antragsteller das Geld haben. Das nenne ich unter dem Stichwort Erhöhung der Effizienz der (Beifall bei der CDU/CSU) Verwaltung, Verschlankung des Staates. Wir müssen - erstens - die Mobilkommunikation Dies alles ist widersinnig. Ich kann Sie alle, insbe- denselben Abhörmöglichkeiten unterwerfen, wie es sondere die Bundesregierung, nur auffordern, sich beim herkömmlichen Fernmeldeverkehr der Fall ist. ganz konkret mit diesen Fragen zu befassen, sich die von mir angesprochenen Anträge noch einmal zu (Uta Titze-Stecher [SPD]: Dann mach es vergegenwärtigen und vielleicht im nachhinein doch doch!) noch eine Regelung zu finden, um diesen Kommu- nen zu helfen. Dies gilt genauso für Mailboxen. Herzlichen Dank. Zweitens wollen wir das BKA-Gesetz dringend mo- dernisieren. Hierzu liegt ein Entwurf der Bundesre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne gierung vor. Noch ein Satz zur Eigensicherung der ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Bundeskriminalbeamten: Wir können nicht hinter dem zurückbleiben, was für die meisten Polizeibeam- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem ten der Länder möglich und nötig ist. Ich halte es für Abgeordneten Erwin Marschewski das Wort. dringend erforderlich, hier etwas zu unternehmen. Drittens. Natürlich lernt man aus der neuen, sich Erwin Marschewski (CDU/CSU): Herr Präsident! verändernden Sicherheitslage. Selbstverständlich Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kol- müssen und werden wir das Geldwäschegesetz re- lege Günter Graf, wenn Sie Lösungsansätze der formieren. Wir halten es für richtig, den Vortatenka- Union oder der Bundesregierung vermißt haben, talog des § 261 StGB zu erweitern. Wir müssen die dann müssen Sie sehr vieles vergessen haben. Wir Beweisführung erleichtern, dürfen die Beweislast haben das Gesetz zur Bekämpfung der organisierten aber nur dann umkehren, wenn dies wirklich vonnö- Kriminalität eingebracht, mit verdecktem Ermittler, ten ist. Ganz wichtig ist: Um letzten Endes an die mit Vermögenseinziehung. Da haben Sie nein ge- Drahtzieher der organisierten Kriminalität heranzu- sagt. Wir haben das Geldwäschegesetz eingebracht. kommen, müssen wir es ermöglichen, das Schwarz- Da haben Sie nein gesagt. Wir haben das Verbre- geld weiter fließen zu lassen. Nur so kommen wir an chensbekämpfungsgesetz eingebracht, mit Kronzeu- die Gangster im Hintergrund heran. genregelung, mit Bundesnachrichtendienst. Da ha- ben Sie nein gesagt. Erst nach vielen Stunden und Ich bedauere, daß Sie es damals im Vermittlungs- Tagen im Vermittlungsausschuß haben Sie dem Gan- ausschuß abgelehnt haben, die Hauptverhandlungs- zen zugestimmt. Ich denke, daß Sie vieles verschla- haft einzuführen. fen haben müssen, wenn Sie hier eine solche Aus- sage treffen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schmerzensgeldzulage!) (Ina Albowitz [F.D.P.]: Arme SPD!) Ich glaube, spätestens die Chaostage in Hannover Wir haben dies natürlich getan, weil wir gesagt ha- müssen Sie gelehrt haben, daß es dringend vonnöten ben: Die ist ein Men- Sicherheit vor Verbrechen ist, diese Hauptverhandlungshaft einzuführen schenrecht. Es ist kein Populismus, wenn man die Kriminalitätsfurcht der Bürger ernst nimmt, auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wenn sie nicht immer der objektiven Sicherheitslage entspricht. Der Staat hat, so meine ich, nicht nur für einfach deswegen, weil die Strafe auf dem Fuße fol- die Eindämmung der Kriminalitätsphänomene zu gen muß. Das gilt natürlich auch für Sie, Herr Kol- sorgen, sondern auch für die Eindämmung der Be- lege Fischer. drohtheitsgefühle, weil sie die Lebensqualität und letzten Endes die freiheitliche Demokratie beein- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU trächtigen. und der F.D.P. - Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein lieber Wir wollen keinen gesetzgeberischen Aktionis- Marschewski, für alle Schandtaten, die ich mus. Wir wollen keine Gesetzesverschärfungen um je begangen habe, sind Sie Strafe genug! ihrer selbst willen. Nur, die rasante Entwicklung der Was haben wir nur getan, daß wir Ihnen zu- Technik und die weltpolitischen Umbrüche haben hören müssen?) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5843

Erwin Marschewski - Ich habe im Augenblick das Mikrophon; deswegen aber weiterhin die vielen Ausnahmen, die wir auch bin ich etwas im Vorteil. heute schon kennen. Die Innenpolitik der kommenden Jahre steht vor (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- großen Herausforderungen. Ich bedanke mich bei ordneten der F.D.P.) - den Haushältern, daß wir im Etatbereich Erhöhun- Bei Ihren Ausführungen zum Einwanderungsge- gen haben vornehmen können. Mein herzlicher setz, liebe Frau Titze-Stecher, habe ich gedacht: Dank gilt meinem Freund Klaus-Dieter Uelhoff. Warum ist denn wohl Frau Däubler-Gmelin heute Herzlichen Dank für die Tätigkeit im Sinne und zu- nicht da? Wollte sie Ihnen vielleicht nicht zuhören? gunsten der inneren Sicherheit. Haben Sie die Anträge zu Ihrem Bundesparteitag in Meine Damen und Herren von der SPD, ich biete der nächsten Woche gar nicht gelesen? Ihnen erneut an zusammenzuarbeiten. Das ist nötig. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie hat Wir haben damit in der Vergangenheit im Bereich eine andere Aufgabe wahrzunehmen und der Asylgesetze gute Erfahrungen gemacht. Beim wird morgen früh hiersein! Morgen früh Verbrechensbekämpfungsgesetz war dies, Herr Kol- frage ich Sie, wo Sie morgen früh sind!) lege Schily, zumindest im Vermittlungsausschuß letz- ten Endes in Ordnung. Ist Ihnen aufgefallen, wie wenig Sie sich selbst grün in der Hinsicht sind, ob Sie ein Einwanderungsgesetz Zum Schluß: Eine liberale Rechtsordnung ist auf wollen oder nicht, und daß ein halbes Dutzend von wirkungsvolle Gesetze und auf ihre Durchsetzung Fragen von der Öffentlichkeit und auch von uns stän- angewiesen, wenn sie nicht zum Gespött werden soll dig an Sie gestellt werden? und wenn das ohnehin geschwächte Rechtsbewußt- sein nicht weiter der Erosion ausgesetzt werden soll. Sie sind eine sehr viel freundlichere und sachkun- digere Kollegin, als es eben den Anschein hatte. Herzlichen Dank. Warum in drei Teufels Namen bringen Sie als Frak- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tion nicht endlich ein Einwanderungsgesetz in den ordneten der F.D.P.) Bundestag ein, damit man überhaupt weiß, wovon Sie reden? Sagen Sie dem staunenden Volk, wie hoch die Quote sein soll, die Sie gerne zusätzlich zu Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem all denen noch gerne hätten, die ohnehin kommen, Bundesminister Manfred Kanther das Wort. etwa als Asylbewerber! Sagen Sie das alles, oder le- sen Sie die Begründung Ihrer Kommission zum Par- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr teitag, die Ihnen davon abrät, dies zu tun! Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Es ist zu (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Oho!) spät für Grundsatzreden geworden. Deshalb will ich mich darauf beschränken, zu ein paar Punkten, die Vierter Punkt: innere Sicherheit und neue Ge- hier in der Debatte eine Rolle gespielt haben, knapp setze. Natürlich brauchen wir auch neue Gesetze, Stellung zu nehmen. ebenso wie die Anwendung und kritische Hinterfra- gung der alten. Deshalb verlängern wir die Kronzeu- Erstens. Frau Kollegin Titze-Stecher, was ist genregelung. Deshalb hoffe ich, daß wir zu ver- schlecht daran, wenn die Ausgaben für die Bundes- nünftigen Vorschriften im Bereich des Abhörens von polizei steigen und nachweisen, daß diese Koalition Gangsterwohnungen kommen. es mit der inneren Sicherheit ernst meint? Aber ich bin der Verfassungsminister, und ich sehe (Ina Albowitz [F.D.P.]: Wohl wahr!) mit äußerstem Mißtrauen einen Vorschlag, der schlichtweg auf die Beweislastumkehr abzielt. Ich Sie werden auch weiterhin steigen; das wollen wir, weiß, daß viele verantwortungsbewußte Sozialdemo- das ist Gegenstand unserer Koalitionsvereinbarung. kraten das auch mit Bedenken sehen, und zwar Zweitens. Integration von Ausländern ist eine ge- nicht, weil das nicht mit Art. 14 vereinbar wäre, son- waltige Aufgabe, jetzt und in Zukunft. Jeder, dem dern weil der Kernbereich des Art. 79 Abs. 3 und der der innere Frieden angelegen ist, muß sie angehen. Unschuldsvermutung tangiert sein könnte. Die Un- schuldsvermutung im Rechtsstaat ist ein hohes Gut (Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast [SPD]: Aber und kann nicht einfach freihändig unter dem Tages- es tut sich nichts!) aspekt des Wahlkampfes aufs Spiel gesetzt werden. Ich habe dazu in der ersten Lesung Näheres ausge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- führt. Ich will nicht alles wiederholen. Es ist falsch, so wie bei Abgeordneten der SPD) zu tun, als könnten die Integrationsbeiträge zuvör- derst auf dem Umweg über das Staatsbürgerschafts- Das geht so nicht. Das wollen wir sachkundig und si- recht geleistet werden. Sie geben den Menschen cher auch miteinander prüfen. Was aus Baden-Würt- Steine statt Brot, wenn Sie ihnen dieses vormachen. temberg vorgelegt worden ist, scheint mir vom An- satz her richtig zu sein, aber in der Einzelfragenstel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge lung muß man das noch einmal sehr überprüfen. ordneten der F.D.P.) Im Zivil- und Katastrophenschutz - ich bedanke Einbürgerung kann Beiträge leisten. Aber man darf mich für die freundlichen Bemerkungen der Kolle- es nicht falsch machen: Einen Regelanspruch auf gen Uelhoff und von Hammerstein - sparen wir Hun- doppelte Staatsbürgerschaft wird es nicht geben, derte von Millionen Mark gegenüber früher, und 5844 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundesminister Manfred Kanther Hunderte von Mitarbeitern werden anderweitig ein- Ich habe die Hoffnung, daß sich das Land Nord- gesetzt werden können. Das ist ein praktischer Bei- rhein-Westfalen an dem Erhalt der Symphonia trag zum schlankeren Staat und nicht nur ein allge- Hungarica beteiligt. meines Gerede darüber. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben erklärt: 7 Millionen DM auf fünf Jahre Das dafür notwendige Abschlußgesetz wird selbst- fest, zu einem Stiftungszweck, der wirklich nicht verständlich hier im Bundestag eingebracht. Aber mehr so vorhanden ist wie in den 50er Jahren. Das was hätten Sie mir zu dessen erster Lesung wohl er- Land Nordrhein-Westfalen zackert mit der Frage klärt, wenn ich mit dem Abschlußgesetz zwei Jahre herum, ob es 350 000 oder 600 000 DM geben will. gewartet hätte und in der Zwischenzeit gar nichts ge- Wenn die Symphonia Hungarica weiter spielen soll, tan, sondern das Geld verbraten hätte? Das ist doch ist die Frage, ob das Land Nordrhein-Westfalen ei- wohl nicht Ihr Ernst. nen angemessenen Beitrag leistet oder nicht. Ich hoffe, es tut das. Die Fragen des Dienstrechts sind umfassender an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gepackt als in Jahrzehnten zuvor. Wie kommt es denn hier zu Ihren Bemerkungen und der Zustim- Wir haben ein kleines Programm zugunsten der mung der überwiegend sozialdemokratischen neuen Bundesländer aus der Taufe gehoben. Ich Ministerpräsidenten auf ihrer letzten Konferenz, die kann leider nicht behaupten, daß das Programm außer den wenigen, die grundsätzlich an das Beam- „Dach und Fach" die Probleme löst. Es gibt zu viele tenrecht heranwollen, nur an einem einzigen Punkt kleine kostbare Kulturdenkmäler in ländlichen Ge- Kritik geübt haben? Das ist die Frage der Zeitver- genden der neuen Länder: kleine Kirchen, Bürger- träge über zweimal fünf Jahre für Führungsbeamte. häuser, innerstädtische Ensembles, Scheunen. Dafür Dazu kann man ganz unterschiedlicher Meinung haben wir im Westen Deutschlands Programme. sein. An den Argumenten ist auch etwas dran, aber Wenn wir in den nächsten Jahren Dach und Grund an den Argumenten ist auch viel nicht dran. Man nicht gegen Feuchtigkeit sichern, besteht die Gefahr, kann so oder anders entscheiden. daß wir es in zehn Jahren, wenn wir vielleicht wieder Geld hätten, um in den neuen Ländern größer einzu- Mag der Bundesrat seine Vorstellungen einbrin- steigen, nicht mehr können. gen. Mein Stolz ist, daß die Ministerpräsidenten den Vorschlägen, die wir gemacht haben, als tauglich zu- Deshalb gibt es diesen Ansatz. Darüber herrscht gestimmt haben. Wir haben vier Aspekte, die ent- allgemeine Freude. Mein Dank gilt dem Haushalts- scheidend sind, nämlich die Verstärkung von Lei- ausschuß, der dies ermöglicht hat, indem er an ande- stungsaspekten - natürlich nicht ihre erstmalige Be- ren Stellen eingespartes Geld so einsetzt. gründung - bei der Förderung und Besoldung, die Kräftigung der Vorgesetztenverantwortung, die Stär- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kung der Mobilität der Bediensteten in einer sich Das sind alles keine weltbewegenden Dinge; es schnell ändernden Arbeitswelt und das erste Anpak- ken der Problematik des vorzeitigen Ruhestands, die sind kleine Fortschritte. In finanzpolitisch beengter Zeit ist die Politik gefragt, sachkundig kleine Fo rt so nicht bleiben kann. -schritte zu bewirken. (Dr. Klaus-Dieter Uelhoff [CDU/CSU]: Sehr Im Sportbereich gibt es mit dem Deutschen Sport- wahr!) bund nach Jahren der Übung und vom Haushalts- ausschuß richtigerweise gesperrten Geldern endlich Wir arbeiten am Versorgungsbericht. Er wird so Bewegung und ein Konzept für die Olympiastütz- bald wie möglich vorgelegt. Mir ist bei einem so wichtigen Werk viel wesentlicher, daß es absolut zu- punkte. Das ist doch gut. Es ist gut, daß Geld wieder gesperrt ist, damit der Zwang zum Weiterarbeiten er- treffend die Lage beschreibt, als daß es vorzeitig in halten bleibt. Teilen oder auf einzelne Länder oder Dienstherren bezogen vorgelegt wird und dann die kritischen Fra- Lieber Herr Graf, ich verstehe Ihren Ansatz, der gen nicht aushält. Wir legen diesen Bericht so schnell auch heimisch geprägt ist, gut. Die Konzentration der wie möglich vor, aber nicht überstürzt. Aussiedler an wenigen Punkten ist nicht gut. Des- halb haben wir doch unseren Gesetzentwurf über die Die dienstrechtliche Versorgungsfragestellung ist Wohnortzuweisung und den Sozialhilfelastenaus- nur ein Spiegelbild der allgemeinen gesellschaftli- gleich vorgelegt, dem der Bundesrat bereits zuge- chen Problematik, daß die Versorgungslasten unse- stimmt hat. Binnen kurzem wird der Gesetzentwurf rer Volkswirtschaft außerordentlich hoch sind. Es ist hier vorliegen. keine besondere Fragestellung an das Dienstrecht. Wenn Sie den Rückgang der Mittel des Garantie- Zur Kultur. Ich bin stolz darauf, daß wir in Berlin fonds beklagen, frage ich Sie: Warum hat das von Ih- statt 30 Millionen DM 60 Millionen DM einsetzen ren Freunden regierte Niedersachsen im vorigen können, in einem Haushalt, der zurückgeführt wer- Jahr nicht einmal die Mittel ausgegeben, die ihm zur den mußte, mit allgemeinen Engpässen, mit vielen Verfügung standen, sondern sie zum Teil verfallen sozialdemokratisch regierten Großstädten, in denen lassen? unter der Überschrift „Sport und Kultur" die freiwilli- gen Ausgaben reduziert werden. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5845

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Minister, Diese Frage greifen wir mit dem jetzt vom Bundes- gestatten Sie eine Zwischenfrage? rat beschlossenen Gesetz auf. Ich kann von dieser Stelle aus nicht Mängel des kommunalen Finanzaus- gleichs abstellen. Ich kann nicht schnell genug auf Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: solche Phänomene im Land reagieren und sie schon Gleich. - Ich glaube, wir sollten mit den gegenseiti- gar nicht durch den Neueinsatz von Bundesgeldern gen Bezichtigungen einfach vorsichtiger umgehen. beseitigen. In allen Bereichen der Innenpolitik arbeiten wir unter Volldampf. In allen Bereichen haben wir die Koaliti- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger- onsvereinbarung angepackt oder in der Bearbeitung lingen] [F.D.P.]) schon weitgehend abgeschlossen. Umschichtung von Landesgeld ist hier gefragt. Daß wir aber ein Programm für vier Jahre verein- Deshalb müssen Sie Ihre Kritik an Ihren Partei- bart haben und nicht nur eines für das erste Jahr, das freund, den Innenminister, richten, wenn der kom- ist zuzugeben. Deshalb haben wir noch ein Stück munale Finanzausgleich nicht so sein sollte, wie er Weges vor uns, das wir miteinander gehen wollen. unter diesem Aspekt notwendig wäre. Ebenso muß sich der liebe Herr Graf an den Zuständigen in Nie- Bitte stellen Sie nun Ihre Zwischenfrage. dersachsen wenden, wenn es darum geht, den Ga- rantiefonds auszuschöpfen oder nicht. Peter Dreßen (SPD): Herr Minister, wir erleben zur Zeit, daß die Bürger auf ungerechte Art und Weise Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nach dem Kol- verschiedene Lasten tragen müssen. legen Dreßen möchte nun der Kollege Graf eine Zwi- (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: schenfrage stellen. Und Parteien!) Was das Problem Aussiedler betrifft, so hatten wir in Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Herr der Stadt Lahr durch den Abzug der kanadischen Präsident, Sie sind sehr gnädig mit mir. Es mag ge- Streitkräfte schon einen wi rtschaftlichen Rückgang schehen. zu verzeichnen. Zur Zeit wohnen dort zwischen 3 000 und 4 000 Aussiedler. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das ist dann (Ina Albowitz [F.D.P.]: Ihr wollt doch keine sozusagen die Schlußfrage. Soldaten mehr!) Das Problem ist, daß die Sozialhilfe von 2 Millionen Günter Graf (Friesoythe) (SPD): Herr Minister, da auf 18 Millionen DM gestiegen ist. Der gesamte Kreis Sie soeben so getan haben, als läge es am Land Nie- darf das bezahlen. dersachsen, daß Garantiefondsmittel nicht abgeru- fen worden sind, frage ich Sie, ob Ihnen folgendes In der Nähe gibt es einen Landkreis, wo es über- bekannt ist. Ich zitiere, was mir das niedersächsische haupt keine Aussiedler gibt, weil do rt keine Einrich- Innenministerium vor dem Hintergrund dieser Pro- tungen vorhanden sind, in die sie einziehen könnten. blematik geschrieben hat: Dieser Landkreis bezahlt nichts, der andere bezahlt mit ungefähr 3- bis 4prozentiger Erhöhung der Kreis- Dem Land Niedersachsen wurden 1994 zunächst umlage. 16 Millionen DM Garantiefondsmittel zugewie- sen. Die Bedarfsmeldung lag demgegenüber bei Hinzu kommt, daß Sie von der Bundesregierung 20 Millionen DM. Durch nachträgliche Bewilli- die Aussiedler mit der Reduzierung von zwölf auf gung des Bundes erhöhten sich die Garantie- sechs Monate benachteiligt haben. Halten Sie es für fondsmittel auf 19,55 Millionen DM. Davon wur- in Ordnung, daß man die Mittel so ungerecht ver- den 1,95 Millionen DM erst im November zuge- teilt? Halten Sie es nicht für dringend notwendig, daß wiesen. Zum Jahresabschluß 1994 mußte Nieder- ein Gesetz geschaffen wird, in dem geregelt ist, daß sachsen 4,3 Millionen DM als nicht verausgabt das vom Bund bezahlt wird? zurückgeben. Insgesamt mußten von allen Bun- desländern ca. 25 bis 30 Millionen DM Garantie- fondsmittel zurückgegeben werden. Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Ver- ehrter Herr Kollege, beim allerbesten Willen nicht! Ich bin gern bereit, Ihnen das Schreiben zur Verfü- Und so funktioniert auch unser Staatsaufbau nicht - gung zu stellen. Vielleicht erhalte ich dann eine um- wenn Sie mir einen Rückfall in frühere finanzmini- fassende Antwort. sterliche Zeiten gestatten.

Das ist ein klassisches Beispiel für den kommuna- Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Ich len Finanzausgleich, wenn es nur ums Geld geht. Es danke Ihnen, daß Sie meine Bemerkung bestätigt ha- geht aber bei der Massierung von Aussiedlern um ben. Es paßt nicht zusammen, daß der eine Kollege sehr viel mehr. Es geht um eine Zusammenballung Bundesgeld zur Bewältigung des Problems forde rt von Fremdheit, die in der Umgebung nur schwer er- und der andere mir auch noch bestätigt, daß das zur tragen wird. Es geht um Wohn- und Arbeitsplatzpro- Verfügung gestellte Bundesgeld von den Ländern bleme. Das kann man mit dem kommunalen Finanz- nicht abgerufen worden ist. Beides zusammen geht ausgleich nicht steuern. nicht in einen Kopf, Herr Kollege Graf. 5846 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundesminister Manfred Kanther Danke sehr. Ich rufe den Änderungsantrag des Abgeordneten Manfred Such auf Drucksache 13/2903 auf. Wer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der ordneten der F.D.P.) Antrag ist mit den Stimmen der Koalition bei Stimm- enthaltung der Fraktion der SPD und gegen die Stim- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe die men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der- Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen, Gruppe der PDS abgelehnt. und zwar zunächst zum Einzelplan 06 des Bundesmi- nisteriums des Innern. Dazu liegen zehn Änderungs- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzelplan anträge vor. 06 in der Ausschußfassung. Wer stimmt dafür? - Ge- genprobe! - Stimmenthaltungen? - Einzelplan 06 ist Wir stimmen zunächst über neun Änderungsan- in der Ausschußfassung mit den Stimmen der Koali- träge der Gruppe der PDS ab. tionsfraktionen gegen die Stimmen des restlichen Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2901 Hauses angenommen. auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltun- Ich rufe Einzelplan 33, Versorgung, auf. Wer gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der stimmt für den Einzelplan 33 in der Ausschußfas- Koalition und bei Enthaltung der Fraktion der SPD sung? - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Ein- abgelehnt worden. zelplan 33 ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2913 nen gegen die Stimmen der Gruppe der PDS bei auf. Wer stimmt dafür? - Gegenstimmen? - Enthal- Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Frak- tungen? - Der Änderungsantragtion Bündnis ist 90/Die gegen Grünen angenommen. die Stim- men der Gruppe der PDS abgelehnt worden. Damit sind wir am Ende dieses Einzelplans. Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2915 auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltun- Ich rufe auf: gen? - Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD abgelehnt. Einzelplan 17 (Ina Albowitz [F.D.P.]: Die Grünen haben Bundesministerium für Familie, Senioren, sich nicht beteiligt!) Frauen und Jugend Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2916 - Drucksachen 13/2617, 13/2626 - auf. Wer dafür stimmt, den bitte ich um das Handzei- chen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Auch Berichterstattung: dieser Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak- Abgeordnete Peter Jacoby tionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen Ina Albowitz der Gruppe der PDS und der Fraktion Bündnis 90/ Siegrun Klemmer Die Grünen abgelehnt. Kristin Heyne Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2917 Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Stimment- gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. - haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann verfah- Koalitionsfraktionen bei Stimmenthaltung der Frak- ren wir so. tion der SPD und gegen die Stimmen der Fraktion Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Bündnis 90/Die Grünen und der Gruppe der PDS ab- der Abgeordneten Siegrun Klemmer. gelehnt.

Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2918 Siegrun Klemmer (SPD): Herr Präsident! Liebe Kol- auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Stimment- leginnen und Kollegen! „Es wird manchmal bergauf haltungen? - Der Antrag ist mit denselben Stimmver- gehen, aber viel öfter noch bergab." Das kommt Ih- hältnissen abgelehnt worden. nen vielleicht bekannt vor, Frau Ministe rin. Was Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2919 während einer Radtour in Thüringen, anläßlich deren auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Stimment- Sie mit diesen Worten Optimismus unter Ihre Mitrad- haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der ler streuen wollten, ein schwungvolles und mühelo- Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD abge- ses Dahingleiten verspricht, läßt sich ebenso mühelos lehnt. auf die Arbeit Ihres Ministeriums und den hier zur Beratung anstehenden Einzelplan 17 übertragen. Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2920 Nur steht derselbe Satz hier leider für eine rasende auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Stimment- Schußfahrt in inhaltliche Erstarrung und finanzielle haltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Lähmung. Koalitionsfraktionen und der Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Gruppe der PDS und der Fraktion (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. ten der PDS) Ich rufe den Änderungsantrag Drucksache 13/2925 Ein frauen- und familienpolitisches „Weiter so", auf. Wer stimmt dafür? - Gegenprobe! - Enthaltun- das die gewandelten Befindlichkeiten und Wider- gen? - Der Antrag ist mit demselben Stimmergebnis sprüche im vereinten Deutschland ignoriert, führt in abgelehnt worden. Tateinheit mit diesem Haushalt dazu, daß von Ihrem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5847

Siegrun Klemmer Haus der Generationen, so oft gepriesen, nur noch die bewährten Instrumente unserer Politik für Fa- Bruchstücke bleiben. milien, Senioren, Frauen und Jugend fortzufüh- ren. Er gewährleistet Kontinuität und gibt Raum (Beifall bei der SPD) auch für die Verwirklichung neuer Ansätze. - Ihre Jugendpolitik, Frau Ministe rin, zeigt sich lei- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Weng [Ger- der so, als hätte es weder die gewalttätigen Hilferufe lingen] [F.D.P.] - Ma ria Eichhorn [CDU/ gesellschafts- und politikverdrossener junger Men- CSU]: So ist es!) schen noch deren wissenschaftliche Erfassung im Achten und Neunten Jugendbericht gegeben. Es mag ihr Geheimnis bleiben, wo sie diese Spiel- räume bei einem Rückgang der freien Mittel erken- Daß die Senioren wieder zuletzt erwähnt werden, nen kann. Um über 11 Millionen DM sollen die allge- trägt nur der Prioritätensetzung Ihres Hauses Rech- meinen Bewilligungen sinken. Gerade noch knappe nung. Denn allen demographischen Entwicklungen 870 Millionen DM - das sind magere 6 Prozent dieses zum Trotz: Wer zu alt ist, um seine Interessen laut- Etats - stehen damit für die Förderung von Maßnah- stark einzufordern, hat bei Ihnen keine Lobby. men zur Verfügung. Der Rest nämlich wird durch ge- (Beifall bei der SPD) setzliche Leistungen sowie durch Personal- und Sachhaushalte gebunden. Dabei, Frau Ministerin, sind Ihre Voraussetzungen auf den ersten Blick nicht schlecht. Als mit Abstand Da liegt es auf der Hand, daß dieser Rückgang jeg- jüngstes Kabinettsmitglied wäre es Ihre Aufgabe, mit lichen Gestaltungsspielraum zunichte macht und die Schwung und kritischer Distanz all denen kräftig in vielbeschworenen neuen Ansätze Makulatur werden die Suppe zu spucken, die in bornierter Verwal- läßt. Wenn die Zuwendungen an die Träger der Maß- tungsroutine überholte Ansätze über die Zeit retten nahmen nicht einmal mehr die Inflationsverluste des wollen. Vorjahres ausgleichen, muß dies zu einem realen Weniger bei Maßnahmen und Projekten führen. In (Karl Diller [SPD]: Doch nicht die!) vielen Gesprächen haben mir die Betroffenen ihre Der Einzelplan 17 und seine Instrumente müssen desolate Situation geschildert. Für nicht wenige steht eben mehr sein als therapeutische oder pädagogi- tatsächlich die Fortsetzung ihrer Arbeit in Frage. sche Korrektur; denn es ist ja kein zu therapierendes Damit ist auch eine ordnungspolitische Frage auf- Gebrechen, weiblich oder jung oder alt zu sein. geworfen. Das Subsidiaritätsprinzip war jahrzehnte- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne lang eine Säule der bundesdeutschen Sozialordnung. ten der PDS) Fällt die Bezuschussung freier Träger für deren Bei- trag zur Sozialstaatlichkeit dem Haushalt zum Opfer, Aber auch unter Ihrer Leitung, Frau Ministe rin, hat werden dort, wo Staat und Markt versagen, Versor- sich noch nicht durchgesetzt, mit gezielten Ansätzen gungslücken bei öffentlichen Aufgaben unweiger- Impulse zu geben, um die ungeheuer brachliegen- lich entstehen. den Potentiale junger und alter Menschen selbstbe- stimmt zur Entfaltung zu bringen. Statt dessen ma- Lassen Sie mich, Frau Ministerin, weil es von Ih- chen Sie sich zur Sachwalterin der Gralshüter am Ka- rem Hause in bekannter Regelmäßigkeit als Aushän- binettstisch oder anderswo. Denn wie anders als eine geschild benutzt wird, noch ein Wo rt zum Familien- Verbeugung vor der Vergangenheit soll es denn aus- leistungsausgleich sagen. Es ist richtig: Mit der Neu- sehen, wenn die Frauenministerin den interfraktio- regelung sind Verbesserungen für Familien erreicht nellen Kompromiß zum Abtreibungsrecht ablehnt, worden. Mit Beharrlichkeit aber verschweigen Sie, weil er ihr zu liberal erscheint? Mit der Lebenswirk- welch großen Anteil wir Sozialdemokraten an dem lichkeit von Frauen in Deutschland 1995 hat dieses erreichten Kompromiß tragen. Votum wahrlich nichts zu tun. Vermittelbar ist es (Beifall bei der SPD) auch nicht. Auf jeden Fall ist dieser Fortschritt völlig ungeeignet, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne die finanzielle Misere des hier zu beratenden Einzel- ten der PDS) plans zu kaschieren oder gar zu legitimieren. Die vollmundigen Verlautbarungen und Rechen- Ich komme zu einigen ausgewählten Politikberei- schaftsberichte Ihres Hauses - so im Jahresbericht chen und beginne mit der Familienpolitik. der Bundesregierung für 1994 - können trotz der ständigen Betonung angeblicher. Fortschritte über ei- Daß für die Bundeszentrale für gesundheitliche nes nicht hinwegtäuschen: Die Schwerpunkte des Aufklärung in diesem Haushalt deutlich höhere An- Ministeriums bleiben einer konservativen Ideologie sätze veranschlagt sind als bisher, bestätigt die Argu- unterworfen. Frauen sollen sich in tradierte Rollen- mente, mit denen wir diese Aufstockung immer muster einfügen, und Ihr Ideal für junge Menschen gefordert haben. Experten haben mehrfach darauf heißt Normalität. Kritik und Verweigerung gelten Ih- hingewiesen, daß der Finanzbedarf bei jährlich nen noch immer als Störf all. 20 Millionen DM liegt. Wenn die Aufgaben, die der Bundeszentrale auch durch höchstrichterliche Recht- Für die Parlamentarische Staatssekretärin, die Kol- sprechung im Präventionsbereich zugeschrieben legin Dempwolf, ist das alles ganz einfach: werden, erfüllt werden sollen, muß natürlich in den Der vorgelegte Haushaltsentwurf ermöglicht es, nächsten Jahren noch einmal kräftig nachgebessert werden. Wir sehen den jetzigen Ansatz als ersten - so sagte sie in diesem Haus am 7. September - Schritt. 5848 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Siegrun Klemmer So erfreulich sich diese finanzielle Ausstattung ge- werbsleben einen automatischen Statusverlust nach staltet, so bedenklich muß die Entwicklung erschei- sich zieht, muß endlich der Vergangenheit angehö- nen, daß die BZgA inhaltlich immer stärker in das ren. ideologische Korsett der Bundesregierung gezwängt (Beifall bei der SPD) wird. Wenn Herr Minister Seehofer auf Betreiben ei- Staatliche Fürsorge für Senioren beinhaltet mehr, als ner katholisch-konservativen Allianz die Aufklä- - dafür zu sorgen, daß sie für die letzten Jahre einiger- rungsbroschüre „Starke Mädchen" aus dem Ver- kehr zieht, dann steht dies symptomatisch für den maßen geordnet über die Runden kommen. neuen Wind, der all denen ins Gesicht weht, die jun- Eine Gesellschaft, die auf die Beiträge und Erfah- gen Menschen eine selbstbestimmte und lustvolle rungen alter Menschen verzichtet, tut sich keinen Sexualität zugestehen und sie ihnen auch zielgrup- Gefallen. Das alte Bild des Älterwerdens bezieht sich pengerecht vermitteln möchten. Es ist nicht gerade vor allem auf Defizite, auf Verlust von Kraft und Kom- ein Ruhmesblatt, Frau Ministerin, wenn Sie diesem petenzen. Eine genaue Sichtweise hingegen er- Vorgang kommentar- und tatenlos zusehen. kennt, daß auch Alter voll von Tatkraft und Kreativi- sein kann, wenn die Rahmenbedingungen stim- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne tät men. ten der PDS) Um diese Erkenntnisse entsprechend umzusetzen, Mit einiger Überraschung habe ich der Bereini- bedarf es selektiver Instrumente innerhalb einer gungsvorlage zu diesem Haushalt entnommen, daß schlüssigen Gesamtkonzeption. Diese fehlen. Die beim Erziehungsgeld für 1996 in letzter Minute eine mageren Mittel lustlos zu verteilen, Frau Ministerin, Kürzung um 850 Millionen DM veranschlagt worden kann nicht Ihr letztes Wo rt sein. ist. Aus der Vorlage ist zu ersehen, daß es sich dabei um eine Anpassung „auf Grund aktueller Entwick- (Beifall bei der SPD) lung" handelt. Gemeint ist damit gleichwohl nicht das riesige Milliardenloch des Finanzministers, son- Ich komme zur Frauenpolitik. Ich will mir das Zitat dern die Tatsache, daß die seit Jahren unverände rten aus Zeitgründen ersparen, das Sie, Frau Ministerin, Einkommensgrenzen mittlerweile so absurd niedrig während der Gleichberechtigungskonferenz vorige sind, daß ein rasant steigender Teil der Familien leer Woche in Berlin gesagt haben. Wir alle kennen die- ausgeht. Wenn Sie, Frau Ministerin, erst untätig zu- ses Zitat. Leider sieht die Praxis immer anders aus. sehen, daß Ihr familienpolitisches Paradeinstrument Der jüngste CDU-Parteitag hat zum Entsetzen des zahnlos wird, und dann mit gespieltem Erstaunen Kanzlers offengelegt, daß die Gleichstellung von Herrn Waigel eine Minderausgabe in den Schoß le- Frau und Mann in der CDU noch immer ein nachge- gen, dann ist das an Zynismus kaum noch zu über- ordneter Politikbereich ist. Die Parteitagsregie hätte bieten. diesen Eindruck gerne vermieden. So aber erscheint (Beifall bei der SPD) dieser Haushalt nur als Fortsetzung der alten Politik Ich komme zur Seniorenpolitik und beginne mit mit alten Mitteln. Das ist zwar nicht mehr fortschritt- einer Weisheit aus der Politik, die da lautet: Wenn lich, aber wenigstens ehrlich. man nicht mehr weiter weiß, gründet man einen Ar- Noch immer ist der Frauentitel im Einzelplan 17 beitskreis. Für die Seniorenpolitik kann man sagen: mit 24 Millionen DM mehr als kläglich ausgestattet. Oder man erteilt einen Forschungsauftrag. Noch immer sammelt sich darunter eine Vielzahl von (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Bei der Projekten, deren Zusammenstellung sich weder mit SPD heißt es „ Querschnittsgruppe " !) einem bundespolitischen Erkenntnisinteresse noch mit einem inhaltlichen Konzept erklären läßt. Viel- Schaut man sich die Dimension und die Ausrichtung mehr hat unter den Trägern längst ein fruchtloser, der Projekte an, mit denen Ihr Haus, Frau Ministerin, schädlicher Wettbewerb Einzug gehalten; denn Neu- Seniorenforschung betreibt, muß die Ratlosigkeit ankömmlinge müssen sich mit abstrusen Mitteln ge- groß sein. - Herr Kollege Kalb, hören Sie mal gut zu. genseitig an Originalität überbieten, um überhaupt Sie sind zwar noch ein bißchen jünger, aber auch Sie eine Chance zu haben, in die Förderung aufgenom- werden älter. men zu werden. Völlig unstreitig ist die Notwendigkeit, den demo- Ich sage Ihnen, Frau Ministerin: Hauen und Ste- graphischen Wandel wissenschaftlich aufzuarbeiten. chen können nicht die Mechanismen einer problem- Die fehlende Koordination jedoch, mit der zwei Al- bewußten Frauenpolitik sein. tersforschungsinstitute institutionell und ein zusätzli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- cher globaler Forschungstitel aus dem Einzelplan 17 gefördert werden, erweist der Sache wahrhaftig ei- ten der PDS) nen Bärendienst. Der Titel muß erhöht werden. Zudem muß ein Kon- (Beifall bei der SPD) zept her für die Förderung von Frauen in Bundeszu- ständigkeit. Das steht bei Ihren Hausaufgaben an er- Wenn man den Forschungsaufwand in Relation ster Stelle. stellt zum Bundesaltenplan, erkennt man ein krasses Was noch immer fehlt, ist Ihre ideologiefreie Hal- Mißverhältnis zuungunsten der Förderung konkreter Maßnahmen. tung gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebenswei- sen. Sie bleiben noch immer fest im Dickicht Ihrer Die einseitig funktionalistische Betrachtung älterer Vorbehalte stecken. Wir haben auch dieses Jahr zum Menschen, nach der das Ausscheiden aus dem Er- wiederholten Male gefordert, daß Sie einen Schwer- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5849

Siegrun Klemmer punkt „lesbenpolitische Maßnahmen" in den Frau- Der Deutsche Bundesjugendring und seine Mit- entitel aufnehmen. Zumindest wäre dieses Zuge- gliedsorganisationen bieten den Rahmen für die Arti- ständnis an die Realität längst überfällig gewesen. kulation und Selbstorganisation junger Menschen nach demokratischen Prinzipien und müssen deshalb Frau Ministerin Nolte, es kann nicht genügen, auch als politische Sozialisationsinstanz anerkannt- wenn Sie nach dem Urteil des Europäischen Ge- werden. Auch das Ehrenamt als die Säule von Ju- richtshofs zur Frauenförderung ein Lippenbekennt- gendarbeit muß von Ihnen endlich wieder gestärkt nis ablegen. Alles sei halb so schlimm, sagten Sie werden. hier anläßlich der Bundestagsaussprache, auch biete (Beifall bei der SPD) das Urteil endlich Rechtsklarheit, und zudem werde sich die Bundesregierung dadurch nicht von ihrem Wer dann, wie die Berichterstatter der Koalition, Weg der Frauenförderung abbringen lassen. Na den Regierungsansatz für den Kinder- und Jugend- prima! Warum, so frage ich Sie, blockiert dann die plan noch einmal auf glatte 205 Millionen DM abrun- Bundesregierung als einzige von 15 Regierungen der det, entlarvt das ganze Ausmaß seiner Ignoranz. Europäischen Union das 4. Aktionsprogramm zur Junge Menschen sind keine Verfügungsmasse für Frauenförderung? Haushaltssanierung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der PDS) ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Diese Frage haben Sie der Kollegin Schmidt in der Debatte nicht beantwortet. Vielleicht sagen Sie heute Zu unterschiedlichen Bereichen der Jugendpolitik etwas dazu. haben die Sozialdemokraten Anträge gestellt: zu Ju- gendbildungsstätten, zu Betreuungstiteln für junge Zur Jugendpolitik. Heerscharen von Jugendfor- Aussiedler und Flüchtlinge. Sie haben alle unsere schern, darunter das Deutsche Jugendinstitut, stehen Anträge abgelehnt. Liebe Kolleginnen und Kollegen seit einigen Jahren einem Phänomen gegenüber, das von den Regierungsfraktionen, Sie müssen sich da- nur mit dem Begriff der Entfremdung treffend zu be- her vorhalten lassen, die Zukunftschancen der jun- nennen ist. Voll resignativer Skepsis wenden sich gen Generation auf dem Altar unse riöser Haushalts- große Teile der jungen Generation ab oder blenden politik und inhaltlicher Trägheit zu opfern. sich aus. Die alten Lebensentwürfe sind vom Tempo einer sich rasant verändernden Gesellschaft über- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- rollt; neue Orientierungen und Perspektiven aber ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sind für viele nicht zu sehen. Zum Schluß möchte ich einige Anmerkungen zum So werden Teile der jungen Generation zur Szene. Zivildienst machen. Die Äußerung der Wehrbeauf- Sie sind zersplittert in Trends, teilweise in mystische tragten Frau Marienfeld, Zivildienstleistende als Kulte; sie finden sich in den Erwachsenen völlig ver- Egoisten abzuurteilen, schlossenen Cliquen zusammen. Das konnten Sie ge- rade gestern in einem erschütternden Bericht über (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) zwei junge Selbstmörderinnen aus München im ist Gott sei Dank auch in ihren eigenen Reihen kopf- „Spiegel" lesen. schüttelnd als Fehlstart aufgenommen worden. Die Chancenlosen unter ihnen greifen zum Brand- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Leider satz. Selbst die, die einfach nur normal sein wollen, nicht überall! — Karl Diller [SPD]: Viel zu kommen in verschärfter Konkurrenz um Bildung und milde!) Arbeit zunehmend aus der Bahn. Die neue deutsche Armut, so meldet die „Berliner Zeitung", ist vor allem Diese Entgleisung hat nicht nur im Umfeld des Zivil- jung. In Berlin sind mittlerweile 42 Prozent der So- dienstes gewaltigen Flurschaden ange richtet; sie legt zialhilfeempfänger jünger als 25 Jahre. Was machen auch in seltener Deutlichkeit offen, welchen Stellen- Sie? Die Regierung kürzt im gleichen Augenblick die wert der Zivildienst in Ihren Reihen tatsächlich im- Arbeitslosenhilfe. mer noch hat. Hinter Ihren freundlichen Kulissen, meine Damen und Herren Kollegen von der Koali- Welche Ängste und Reaktionen dies freisetzt, hat tion, wird die Kriegsdienstverweigerung nämlich im- der Neunte Jugendbericht der Bundesregierung für mer noch als spleenige Idee der Verfassungsväter ge- Ostdeutschland eindrucksvoll belegt. Fast 700 Seiten handelt. hat die Sachverständigenkommission Ihnen ins Stammbuch graviert. Die Botschaft allerdings ist bei (Zuruf von der SPD: So ist es!) Ihnen offenbar noch nicht angekommen: Der Kinder- Die häßlichen Attribute von den Drückebergern, de- und Jugendplan ist zu einem Steinbruch geworden. nen, so Frau Marienfeld in einem Inte rview vom 5. August, bei ihrer Arbeit keine besonderen Leistun- Verbände der Jugendhilfe und die Jugendver- gen abverlangt würden, sprechen eine deutliche bände müssen seit Jahren eine nominale Stagnation Sprache. hinnehmen. Diese ermöglicht es ihnen mit Müh und Not, auf dem Level zu bleiben, den sie vor fünf Jah- (Zuruf von der SPD: Ungeheuerlich!) ren hatten; denn durch die Preissteigerungen wird ihnen all das, was dazugekommen ist, wieder wegge- Wer im Pflegedienst oder im Umweltschutz wertvolle nommen. Arbeit leistet, muß sich für seine Motive weder von 5850 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Siegrun Klemmer Ihnen diffamieren lassen noch die ständige Litanei keiten die Grundlage für die ambulante Versorgung ertragen, von Schwerstbehinderten im eigenen Hausstand wegfällt. Drohende Heimeinweisungen werden die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Folge sein, und die ausdrückliche gegenteilige Ab- ten der PDS) sicht, die das bei Einführung der Pflegeversicherung wie sehr viel staatsdienlicher und normaler doch der verhindern sollte, wird ad absurdum geführt. - Wehrdienst ist. (Zustimmung bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Frau Marienfeld muß sich entschuldigen!) Ich komme zum Schluß. Dieser Haushalt, Frau Mi- nisterin, verwüstet leider das „Haus der Generatio- So bleibt der Zivildienst wehr- und beschäftigungs- nen" . Es ist nicht in Ordnung. Zentrale Politikberei- politischen Opportunitäten ausgeliefert. In Zeiten, in che werden gerupft, andere dämmern unter den denen die Bundeswehr aus allen Nähten platzt, wer- Nachwirkungen der letzten Sparhaushalte konturlos den Verweigerer im Eilverfahren anerkannt und als dahin, aber Bekenntnisse und Broschüren ersetzen mobile Eingreiftruppe gegen Pflegenotstand und so- keine politischen Schwerpunkte. ziale Unterversorgung eingesetzt. Das kennen wir. Kaum sieht die Hardthöhe die Sollstärke wanken, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wird die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer DIE GRÜNEN) sozusagen zum hoheitlichen Gnadenakt. (Beifall bei der SPD) Leider sind Sie zu stark verstrickt in eine Ge- mengelage aus rückwärtsgewandter Ideologie und Zunächst werden formale, schließlich werden inhalt- sich addierenden Effekten politischer Fehlentschei- liche Anerkennungskriterien verschärft. Die 118 000 dungen, und - das ist im Zusammenhang mit den jungen Männer, die 1996 Zivildienst leisten werden, Haushaltsberatungen am schlimmsten - Sie, Frau treffen diese Entscheidung allerdings unabhängig Ministerin, fügen sich dem finanzpolitischen Crash- von der Ausgestaltung des Zivildienstes. Für sie ste- kurs Ihres Kollegen Waigel. Dabei bleiben die Chan- hen Fragen der Attraktivität und der Sinnhaftigkeit cen wesentlicher Teile unserer Gesellschaft auf der des Dienstes bei der Bundeswehr im Vordergrund. Strecke. Sie werden diese Folgen zu verantworten Der hier zu beratende Einzelplan 17 ist ein Doku- haben. ment der Randstellung des Zivildienstes. Die Zivil- Wenn Sie, Frau Ministerin, unsere Vorschläge be- dienstschulen hinken mit ihren Kapazitäten dem Be- rücksichtigen, dann können Sie sich der Unterstüt- darf hinterher. Die Quote der Zivildienstleistenden, zung der Sozialdemokraten im Haushaltsausschuß die überhaupt in den Genuß eines Einführungslehr- bei den Auseinandersetzungen mit dem Finanzmi- ganges kommen, ist so mittlerweile auf 36 Prozent nister sicher sein. So aber bedingen dieser Haushalt zurückgefallen. und Ihre kleinlaute Beschränkung auf symbolische (Zurufe von der SPD: Unsäglich! - Politik folgerichtig unsere Ablehnung des Einzel- Schlimm! ) plans 17. Diejenigen Verbände, die den fachlichen Teil der (Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Einführung in eigener Regie übernehmen, mußten Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE eine siebenjährige Stagnation bei den Zuschüssen GRÜNEN) hinnehmen. (Zuruf von der SPD: Das ist ein Skandal!) Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das Als diese Zuschüsse Mitte dieses Jahres endlich an- Wort dem Abgeordneten Peter Jacoby. gehoben wurden, geschah dies nur im Gegenzug zu einer Verschlechterung der Abrechnungsmodalitä- (Zuruf von der SPD: Der hat es jetzt schwer! ten. - Gegenruf von der CDU/CSU: Nein, der hat es leicht!) Ein ganz eklatanter sozialpolitischer Skandal ist der Wegfall der Aufwandszuschüsse an die Träger von Dienststellen im Bereich der sogenannten indivi- Peter Jacoby (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine duellen Schwerstbehindertenbetreuung ab dem Damen und Herren! Ich muß zunächst einmal sagen, 1. Januar 1996. daß es mir in der Tat schwerfällt, nach einem sachli- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne chen Berichterstattergespräch und nach einer eini- ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN germaßen sachlichen Diskussion im Ausschuß jetzt und der PDS) zu dieser Stunde im Plenum des Deutschen Bundes- tages unvermittelt auf Polemik umzuschalten, und Zahlreiche Verbände haben angekündigt - die ha- das in der Form, wie wir es eben gehört haben. Ich ben sich auch bei den Kolleginnen und Kollegen von muß sagen, das fällt mir einigermaßen schwer. der Koalition gemeldet -, diese Zivildienststellen ab- zubauen. Die Pflegeversicherung wird, wie es mo- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mentan aussieht, nur den Kernbereich der Pflegelei- stungen abdecken, so daß mit der Rund-um-die-Uhr- Ich möchte deshalb gleich zu Beginn folgendes sa- Betreuung und den „weichen" pflegerischen Tätig gen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5851

Peter Jacoby Erstens. Was hat das Stimmverhalten von Frau Mi- flektieren, wieviel freiwillige und wieviel gesetzliche nister Nolte in der Angelegenheit der Neuregelung Leistungen es in diesem Haushalt gibt. Es gibt jeden- des § 218 mit dem Haushalt des Jahres 1996 zu tun? falls eine Steigerung auch in diesem Etat gegenüber dem Vorjahr. Das ist der entscheidende Punkt. Das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU hängt mit unserer Prioritätensetzung zusammen. - und der F.D.P.) stel Hanewinckel [SPD]: Jetzt bin ich Ihre Bemerkung zu diesem Thema möchte ich zum (Chri Anlaß nehmen, zu sagen: Wer selbst in einer solchen aber neugierig!) Frage nicht den Respekt vor der persönlichen Gewis- Würde dieser Einzelplan 17 unsere Regelungen sensentscheidung eines Abgeordnetenkollegen oder zum Familienleistungsausgleich beinhalten, wie wir einer Ministerin oder eines Ministers zum Ausdruck sie zum nächsten Jahr beschlossen haben - - bringt, (Christel Hanewinckel [SPD]: Beinhaltet er (Zustimmung bei der CDU/CSU) aber nicht!) der geht mit Maßgaben und Vorgaben an die Haus- haltsdiskussion heran, die nicht zu dem Ziel führen - Er beinhaltet das deshalb nicht, weil wir die Fami- können, um das es uns geht, nämlich die unter- lienleistungen von einer Sozialleistung hin zu einer schiedlichen Gruppen, die unter die Zuständigkeit Steuervergünstigung umgestellt haben. Das heißt, dieses Ministeriums fallen, dieser Posten erscheint an anderer Stelle des Ge- samtetats. Aber das soziale Anliegen, das dahinter- (Zuruf von der SPD: Eben! Zum Beispiel die steht, hat doch in unsere gesetzliche Regelung Ein- Frauen, Herr Kollege!) gang gefunden. Darüber kann doch nicht diskutiert die Jugendlichen, die Frauen, die Familien, die Se- werden. nioren, zusammenzuführen und eben nicht auszu- Würde dies genauso geregelt wie in den zurücklie- grenzen und auseinanderzudividieren. Das ist für genden 20, 25 oder 30 Jahren, dann würde der Etat meine Begriffe ein entscheidender Unterschied. des Einzelplans 17 gegenüber dem Vorjahr um sage (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge und schreibe 20 Prozent ansteigen - 20 Prozent we- ordneten der F.D.P.) gen unserer Prioritätensetzung in der Familienpoli- tik! Eine zweite Vorbemerkung möchte ich auch noch machen. Sprache kann schon verräterisch sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Widerspruch bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Eben!) Es gibt, Frau Kollegin, in der Tat Hilferufe junger Deshalb ist es doch unsinnig, die Mathematik so Menschen. Aber von dieser Stelle aus davon zu spre- anzuwenden, wie das eben gemacht worden ist. Das chen, es gebe gewalttätige Hilferufe junger Men- wird nicht dem gerecht, was wir sozialpolitisch, fami- schen, das, finde ich, geht ebenfalls zu weit, und das lienpolitisch im Blick auf Familien mit Kindern auf geht über das Maß des Verständnisses hinaus, das den Weg gebracht haben. Es wird auch nicht der ge- wir von einer Stelle wie dem Rednerpult des Deut- sellschaftspolitischen Wirklichkeit in unserem Land schen Bundestages zum Ausdruck bringen sollten. gerecht. - Das, glaube ich, muß zu dem gesagt wer- Jawohl, wir kümmern uns um Randgruppen, und wir den, was eben Diskussionsthema gewesen ist. kümmern uns um Probleme. Wir kümmern uns (Beifall bei der CDU/CSU) darum, wenn Hilferufe zu uns gelangen. Aber Ver- ständnis für Gewalttätigkeit haben wir in keiner Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal Weise und in keinem Zusammenhang. Auch das, auf folgendes hinweisen: Wir haben eine Prioritäten- glaube ich, muß gesagt werden. entscheidung, und wir haben nicht zuletzt durch Ihr (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge Mitwirken im Vermittlungsausschuß - deshalb dis- ordneten der F.D.P. - Zurufe von der SPD) kreditieren Sie sich jetzt doch selbst - dieser gemein- samen Prioritätensetzung zum Durchbruch verhol- Eine dritte Vorbemerkung zu den Ausführungen fen. von Frau Kollegin Klemmer. Sie haben in der Tat recht: Der Haushalt des Ministeriums in der Größen- Das Kennzeichen, das Markenzeichen des Ministe- ordnung von rund 12,5 Milliarden DM enthält zu riums und der Schwerpunktsetzungen hier sind die etwa 93 Prozent gesetzliche Leistungen. Erhöhung des Kindergeldes, die Anhebung des Frei- betrages, das Heraufsetzen der Altersgrenze auf (Zuruf von der SPD: So ist es!) 18 Jahre, die Perspektive der weiteren Anhebung Lediglich 7 Prozent sind freiwillige Ausgaben. Nur, über 1997 hinaus was soll es, sich hierherzustellen und diese beiden (Christel Hanewinckel [SPD]: Das hat doch Bereiche gegeneinander auszuspielen, wenn wir auf mit dem Haushalt nichts mehr zu tun!) der anderen Seite immer wieder von Planungssicher- heit und Verläßlichkeit reden und wenn wir darauf und schließlich die erklärte politische Absicht einer drängen, daß sozialpolitische Anliegen in Gesetze Dynamisierung der familienpolitischen Leistungen umgegossen werden, diese also unsere Antworten über 1998 hinaus. auf soziale Herausforderungen in unserem Land sind? Insofern ist es völliger Unsinn, darüber zu re (Beifall bei der CDU/CSU) 5852 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 Peter Jacoby Das sind die Fakten, meine Damen und Herren, zu Peter Jacoby (CDU/CSU): Ich möchte darauf hin- diesen Fakten bekennen wir uns, und zu diesen Fak- weisen, daß sich alle daran Beteiligten, einschließlich ten stehen wir. der SPD und der Bundesländer, zu der jetzt beschlos- senen Regelung positiv bekannt haben. Deshalb hat Das sind keine isolierten Maßnahmen - auch das es doch keinen Sinn, ein Vierteljahr später hinzuge- muß zu Ihren Überlegungen zu den gesetzlichen Lei- hen und dies herabzuwürdigen. Umgekehrt ist doch stungen und den freiwilligen Leistungen gesagt wer- die Betrachtungsweise richtig: Stellen Sie doch bitte den -, sondern es bildet sich aus vielen Mosaikstei- in Rechnung, welche finanzpolitischen Argumente nen ein Bild gesellschaftspolitischen Engagements gerade aus den sozialdemokratisch geführten Bun- dieser Bundesregierung, und das über Jahre hinweg. desländern gekommen sind, Denn der Erziehungsurlaub, das Erziehungsgeld und die Anerkennung nicht nur der Erziehungsleistun- (Zuruf von der CDU/CSU: Jawohl! Schrö- gen, sondern auch der Pflegeleistungen für die Rente der!) sind ebenfalls gesetzlich verbrieft. die die finanzpolitischen Rahmenbedingungen zur (Chri stel Hanewinckel [SPD]: Reden Sie Kenntnis zu nehmen hatten und haben, wie das auch doch einmal von Ihrem Haushalt!) auf unserer Seite der Fall ist. Sie finden auch ihren Ausdruck in den Ansätzen des Haushaltes. Deshalb sollten wir die Dinge nicht (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) kleinreden, nicht herabwürdigen, sondern wir sollten Insofern sage ich noch einmal: Wir stehen zu dieser sie so darstellen, wie sie sind. Schwerpunktsetzung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Zum Abschluß möchte ich noch auf eines hinwei- sen, das in dieser Diskussion unehrlich ist. Sie disku- GRÜNEN]: Aber auch nicht aufblasen!) tieren hier in einseitiger Schuldzuweisung gegen- Im übrigen möchte ich sagen, meine Damen und über der Bundesregierung und erwecken den Ein- Herren - auch dieser Gedanke ist mir bei Ihrem Hin- druck, als ginge es lediglich darum, alles, was sozial- weis auf das Stimmverhalten von Frau Minister Nolte politisch wünschenswert ist, hier zur Darstellung zu im Zusammenhang mit der Regelung des § 218 ge- bringen. kommen -: Sie haben im Berichterstattergespräch und im Ausschuß selber begrüßt, daß der Aufwuchs Schauen Sie sich bitte die Haushaltsplanberatung um 3 Millionen auf jetzt 10 Millionen für die Umset- im Lande Niedersachsen an: Niedersachsen läßt zung des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes viele soziale Leistungen ersatzlos wegfallen. - Oder von uns gemeinsam beantragt worden ist. Das ist schauen Sie sich die Haushaltsplanberatungen in letztendlich allerdings alleine durchgesetzt worden. Hessen an: Finanzminister in Hessen kündigt Ein- Sie haben das selber begrüßt. schnitte an. Auch Leistungsgesetze sind nicht aus- gespart. - In dem Land, aus dem ich komme, im Saar- Ich finde, das ist Konsequenz, auch im Zusammen- land, protestieren insbesondere die Jugendverbände hang mit der Umsetzung dessen, was vom Bundes- gegen eine fünfprozentige Minderung im Etatansatz, verfassungsgericht vorgegeben worden ist. Diese die durch die Landesregierung zu verantworten ist. Konsequenz drücken wir auch in den anderen Berei- chen aus: in der Jugendpolitik, in der Seniorenpolitik Da ist es schon eine große Leistung, daß wir in fi- und in anderer Hinsicht. nanzpolitisch schwieriger Zeit eines auf jeden Fall verhindert haben - und das war das Ansinnen der Verbände, wie es uns gegenüber vorgebracht wor- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, den ist -: Wir haben Abstand genommen von dem gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Frau Gedanken, eine globale Minderausgabe zu beschlie- von Renesse? ßen und vorzunehmen, denn die hätte dann in der Tat Probleme mit sich gebracht, die bis in den institu- Peter Jacoby (CDU/CSU): Bitte schön. tionellen Teil gereicht hätten. Das haben wir nicht gemacht.

Margot von Renesse (SPD): Herr Kollege, wenn Das wird auch anerkannt von denen, auf deren En- Sie im Zusammenhang mit der Kindergeldregelung gagement gerade in der ehrenamtlichen Ausprägung im Jahressteuergesetz und im Zusammenhang mit wir auch in der Zukunft Wert legen wollen, weil wir der weiteren Dynamisierung beziehungsweise der uns immer und immer wieder vergegenwärtigen soll- vorgesehenen Anhebung in späteren Jahren von Lei- ten: Wir bieten hier die Initialzündung. Diese Initial- stungen sprechen, ist Ihnen dann eigentlich klar, daß zündung wird durch viele Initiativen in der freien diese Regelungen auf Grund von bundesverfas- Verantwortung multipliziert. Dafür sagen wir Dank. sungsgerichtlichen Entscheidungen im Rahmen der Wir sichern zu, daß dies auch in der Zukunft in Gleichbehandlung von Leuten mit Kindern zu Leu- Deutschland gut geschehen kann. ten ohne Kinder Minimalleistungen sind, die vom Fi- nanzminister auch noch so heruntergerechnet wur- Vielen Dank. den, wie das normalerweise unterhaltspflichtige Vä- ter tun? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Lachen bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei Abgeordneten der SPD) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5853

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der rade im Jugendbereich sind. Verabschieden Sie sich Abgeordneten Rita Grießhaber das Wort. von dem Ziel, die Sonderprogramme Jugend Ost auf Null zu streichen! (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Rita Grießhaber - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese bei der SPD und der PDS) Haushaltsdebatte steht im Prinzip unter dem Motto: Kürzen, sparen, Löcher stopfen und kaschieren. Ich wurde in meiner Schulzeit sehr stark von den Möglichkeiten geprägt, die der deutsch-französische Nun ist dieser Haushalt für Familien, Senioren, Jugendaustausch geboten hat. Ich denke, auf dieser Frauen und die Jugend wahrhaftig nicht üppig. - Basis haben inzwischen Generationen die Idee des Den Rest vom Kabinett interessiert das offenbar auch westlich geeinten Europas ganz real erfahren. Lassen nicht besonders. - Aber gleichzeitig ist es doch so, Sie uns doch diese Idee verstärkt auch mit unseren daß die betroffenen Gruppen unterstützender Hilfe osteuropäischen Nachbarn fördern! Sie haben ja Ih- immer notwendiger bedürfen. Denn dieses „Haus ren Beitrag zum Deutsch-Polnischen Jugendwerk er- der Generationen", Frau Nolte, gerät doch zuneh- höht, mend aus den Fugen. Warum? Das Fundament gerät (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) ins Wanken, weil die bezahlte Erwerbsarbeit immer weniger wird. Das heißt, die daraus abgeleiteten so- aber ein Blick auf das deutsch-tschechische Verhält- zialen Absicherungen geraten ins Wanken. Die nis zeigt doch, wir sollten in Zukunft auch an die an- Frauen wollen auch nicht mehr nahezu unbezahlt die deren osteuropäischen Nachbarn denken, sie nicht gesamte Erziehungs- und Pflegearbeit alleine schul- außen vor lassen, und die beiden Präsidenten Havel tern. Sie können es auch nicht mehr, wenn nicht die- und Herzog haben hier richtige Zeichen gesetzt und ses soziale Netz, das Hilfsnetz, ausgebaut wird. Zum zu Jugendtreffen aufgerufen. Stellen Sie die Mittel anderen müssen doch diese Arbeiten, die sie tun, dafür bereit! Perspektiven eröffnen und dürfen nicht länger in Sackgassen und Einbahnstraßen enden. Wenn da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, nichts geändert wird, wird die soziale Bereitschaft für bei der SPD und der PDS) diese Arbeit immer mehr abnehmen. Ein weiterer Bereich, in den Sie mehr Geld inve- Was tun angesichts der Schuldenberge? Ich denke, stieren, in dem aber auch, denke ich, mehr Phantasie in diesen Zeiten knapper Kassen haben wir, Frau Mi- gefragt ist, ist dieses traurige Kapitel vom Unterhalts- nisterin, mit dem Frauenministerium einen kleinen vorschuß. Vorteil: Wir Frauen sind an Mangel gewöhnt und Frau Nolte, Sie haben gesagt, wer Politik für Kin- müssen alles andere als überzogene Ansprüche ab- der aus der Sicht von Kindern definiert, darf sie nicht specken. Das kann man hier einmal feststellen. Aber schlechterstellen, nur weil ihre Eltern nicht miteinan- daß Sie ausgerechnet bei den Mitteln für Maßnah- der verheiratet sind. Das sollte aber auch bei Unter- men zur Gleichberechtigung, die sowieso nur einen haltsregelungen gelten. Es paßt doch nicht mehr in ganz verschwindend kleinen Teil Ihres Haushalts unsere Zeit, wenn Kinder Alleinerziehender beim ausmachen, noch einmal über eine Million DM kür- Unterhalt schlechtergestellt sind als eheliche Kinder zen, grenzt an Provokation. nach einer Scheidung. Sie haben diesen Haushaltsti- tel um 70 Millionen DM erhöht, ich weiß, wegen der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anhebung der Altersgrenze und der steigenden Zahl sowie bei Abgeordneten der SPD und der der Fälle. Aber es gilt doch auch mal nachzufor- PDS) schen, warum denn einerseits die Zahlungsmoral der Knappe Mittel sind ein Problem, aber sie bedeuten Väter ständig abnimmt und andererseits Kinder in doch nicht zwangsläufig politische Handlungsunfä- dieser Gesellschaft für immer mehr Menschen an- higkeit. In diesen Zeiten kommt es darauf an, Priori- scheinend unbezahlbar werden. Da muß man mal täten zu setzen, Phantasie zu investieren und die Mit- nachforschen, was die Ursachen sind und welche tel, wo sie vorhanden sind, nicht zu blockieren. Da familienpolitischen Konsequenzen das hat. sage ich nur noch einmal: viertes mittelfristiges Akti- Aber vielleicht müssen Sie ja auch Strukturen än- onsprogramm der Europäischen Union zur Verwirkli- dern; denn die Jugendämter, die das Geld von Bund chung der Chancengleichheit für Männer und und Land ausbezahlen, haben überhaupt keinen Frauen - blockieren Sie es nicht länger, sondern stim- finanziellen Anreiz, dieses Geld auch wieder einzu- men Sie zu! treiben. Ob jetzt dabei so drastische Maßnahmen wie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, in den USA - Führerscheinentzug - hilfreich wären, bei der SPD und der PDS) ist eine andere Diskussion. Aber dieses strukturelle Problem angehen, ich denke, das müssen wir tun. Nach wie vor gibt es natürlich Dinge, die einfach Geld kosten. Aber da muß man auch wieder fragen, (Beifall der Abg. Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) wie man mit bescheidenen Mitteln spätere teure Re- Dann gibt es, was die Strukturen angeht, sehr viele paraturen vermeiden kann. Wenn Sie nur an diese andere Dinge. Bauen Sie doch den sogenannten Er- bedrückenden Aussagen bei der Anhörung zum ziehungsurlaub zu einem flexibel zu gestaltenden Neunten Jugendbericht denken, meine Damen und Zeitkonto für die Eltern aus! Herren, Aussagen über die Situation in den nicht mehr ganz so neuen Bundesländern, dann weiß man Dann ist auch die Frauenquote ein strukturelles In- doch, wie notwendig Investitionen des Bundes ge strument, wo Sie parteimäßig in die Gänge kommen 5854 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Rita Grießhaber müssen, wo man aber auch sagen kann: Die Frauen- vier oder fünf Männer sehen kann. Es könnten ja quote ist ein wichtiger Mosaikstein, doch wenn an- auch ein paar mehr sein. dere notwendige Bedingungen nicht da sind, wie eine bedarfsgerechte verläßliche Kinderbetreuung, (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU - dann läuft sie auch ins Leere. Das muß man hier ein- Dr. Uwe Küster [SPD]: Da sehen Sie einmal, mal ganz klar sagen. wie viele Frauen wir haben! Umgekehrt - wird ein Schuh daraus!) In Ihrem eigenen Hause sollten Sie, denke ich, Nachdem der Kollege Jacoby dankenswerterweise endlich auch einmal Ihr begrenzt wirkendes Gleich- vieles von dem, was die Kollegin Klemmer an Fal- berechtigungsgesetz dadurch stärken, daß Sie end- schem und zum Teil wirklich nicht Hinnehmbarem lich die entsprechenden Arbeitszeitregelungen in gesagt hat, schon behandelt hat, kann ich direkt auf dem eigenen Ministerium einführen. Die fehlen näm- den Haushalt und auf Zahlen zu sprechen kommen. lich auch. Die Haushaltsberatungen für das Jahr 1996 sind Zum Schluß möchte ich noch einen Punkt nennen, nicht einfach, und Sparen ist dringend nötig. Alle bei dem es um ideologische Unterstützung geht, was Gruppen der Gesellschaft müssen ihre Ansprüche an überhaupt kein Geld kostet. Das ist, meine Damen den Staat zurückschrauben. und Herren, die Frage der Vergewaltigung in der Vor diesem Hintergrund und dem Leitgedanken Ehe. Menschenrechte sind unteilbar, auch in der der Haushaltspolitik der F.D.P., bei strikter Ausga- Ehe, denn es wäre willkürlich, wenn der Staat die bendisziplin in entscheidenden Bereichen Prioritä- Eheschließung als Grund für eine Relativierung von ten zu setzen, verdient der Einzelplan 17 Anerken- Persönlichkeitsrechten ansähe. nung. Trotz der Vorgabe, auch aus gesamtwirtschaft- licher Verantwortung die Ansätze des laufenden Jah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, res 1995 nicht zu überschreiten, werden die Finanz- bei der SPD und der PDS) mittel für die Familien nicht gekürzt. Im Gegenteil: Es gibt viel mehr Geld, insbesondere weil die Eltern Widerspruchs- und Versöhnungsklauseln schaffen ab 1996 für das erste und das zweite Kind monatlich bewußt eine unklare Rechtslage, die Tat wird vom ein Kindergeld von 200 DM, für das dritte Kind Verbrechen zum Konflikt. Lehnen Sie diese Klauseln 300 DM und ab dem vierten Kind 350 DM erhalten ab! und weil dieser Ansatz - wie jetzt schon feststeht - Frau Nolte, der soziale Kitt in Ihrem Generationen zum 1. Januar 1997 für das erste und das zweite Kind haus bröckelt. In Ihren Kassen ist nicht viel Spiel- auf 220 DM im Monat bei gleichzeitiger Erhöhung raum. Um so nötiger sind strukturelle Änderungen. der Kinderfreibeträge erhöht wird. Sie kosten vor allem Mut. Sie haben auf der fünften Meine Damen und Herren von der SPD, ich glaube Gleichberechtigungskonferenz gesagt: Frauen- und nicht, daß es die Familien sonderlich interessiert, aus Gleichberechtigungspolitik dürfen kein Luxus sein, welchem Haushaltstitel das Geld kommt, das sie jetzt den man sich nur in guten Zeiten leistet, sondern sie mehr bekommen. Es geht vielmehr darum, daß diese sind eine gesellschaftliche Herausforderung, der wir Leistung erbracht wird. uns jetzt und in Zukunft stellen müssen. Tun Sie es! Wir unterstützen Sie gerne. Aber dem Einzelplan (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) stimmen wir nicht zu. Das können Sie nicht mit „bürokratischen" Finessen versuchen geringzureden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber schade!) Diese Neuregelung des Leistungsausgleichs ist gleichzeitig der Einstieg in eine dynamische Fami- Vielen Dank. lienförderung, denn wir werden in Zukunft über die Höhe von Kindergeld und Kinderfreibetrag politisch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, entscheiden. Wir haben ein neues Verwaltungsver- bei der SPD und der PDS) fahren, das einen guten Einstieg bietet, zum einen in das Bürgergeldsystem, zum anderen in die Verwal- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Nun erteile ich tungsvereinfachung. Dadurch werden viele Verwal- das Wort dem Abgeordneten Heinz Lanfermann. tungen entlastet, so daß wir dort hohe Beträge spa- ren, die wir den Kindern und Eltern zugute kommen (Zurufe von der SPD: Der frauenpolitische lassen können. Das sei nur am Rande erwähnt. Sprecher! - Jetzt kommt die einzige Frau Eine solche Leistungssteigerung von über 6 Mil- der F.D.P.!) liarden DM geringzureden, das sollte eigentlich nicht einmal der Opposition gut anstehen. Sie wissen, daß das auch in der Öffentlichkeit so gesehen wird. Heinz Lanfermann (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die Tatsache, daß jetzt ein Wir können natürlich nicht über Familien- und Mann zu diesem Thema spricht, in den Reihen der Frauenpolitik sprechen, ohne über das Thema „Kin- SPD-Fraktion wieder einmaldergartenplatz zu bestimmten und Betreuungsangebote" Bemer- zu reden, kungen geführt hat, darf ich einmal daran erinnern, zumal es gerade in diesen Tagen wieder eine große daß Sie dieses Feld der Politik offensichtlich für so Diskussion gibt. Ich darf noch einmal zur Erinnerung wichtig halten, daß ich unter den gut zwanzig Mit- sagen: Im Juni 1992 hat der Bundestag einmütig den gliedern Ihrer Fraktion, die anwesend sind, gerade Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz be- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5855

Heinz Lanfermann schlossen, und zwar für jedes Kind ab Vollendung und stolz darauf waren und weil jetzt Ihre Kollegin- des dritten Lebensjahres; das ist der dritte Geburts- nen und Kollegen aus den Ländern kommen und Sie tag - dies für alle, die das mittlerweile offensichtlich drängen, hier für eine Lösung durch einen Gesetz- vergessen haben; also nicht irgendein Tag nach dem entwurf einzutreten, der - ich sage es noch einmal - dritten Geburtstag, sondern der dritte Geburtstag. eine Zumutung ist, da nicht einmal eine einzige Zahl darüber, was denn nun eigentlich passieren soll, in Auch die Länder haben bis auf eine Ausnahme ihm enthalten ist, und hier praktisch Hilfestellung für diesem Gesetz zugestimmt, und sie haben nachher den Bundesrat zu leisten. noch erheblich mehr Geld vom Bund bekommen, um diese Aufgabe zu schultern. Vielleicht wäre es in (Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- manchen Ländern ja einmal eine Idee gewesen, das NEN]: Aber die Landesregierung von Geld an die Gemeinden weiterzuleiten. Rheinland-Pfalz mit F.D.P.-Beteiligung hat auch den Stichtag!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich will noch einen Punkt dazu sagen. Frau Mini- Dann stünden die nämlich jetzt nicht vor so großen sterin Nolte, ich habe es sehr begrüßt, daß Sie am Schwierigkeiten. 6. November im Süddeutschen Rundfunk, 1. Pro- Es wird eingeredet, man plane etwas Gutes, näm- gramm, ein Interview mit folgendem klaren Satz ge- lich eine Stichtagsregelung, die aber etwas Schlech- geben haben: Mit mir wird es eine Aushöhlung des tes ist. Das bedeutet ja nur, daß Hunderttausende Kindergartenplatzanspruches nicht geben. Das war von Kindern nicht - wie von allen Parteien verspro- eine ganz klare, eindeutige Aussage. Das fand ich chen - am dritten Geburtstag ihren Kindergarten- hervorragend. platz erhalten, sondern erst ein halbes oder sogar ein Das hatte sich leider nicht bis in Ihr Haus herumge- ganzes Jahr später. Im Bundesrat haben Länder dazu sprochen; denn da ist eine ganz bedauerliche Panne einen Gesetzentwurf vorgelegt, den man unter ver- passiert, daß nämlich in einem Faltblatt steht: Bun- ständigen Abgeordneten eigentlich nur als eine Un- destag und Bundesrat wollen deshalb noch vor dem verschämtheit bezeichnen kann, weil darin nichts Jahresende 1995 eine Übergangsregelung für die von den Fakten steht, sondern nur das Begehren an Zeit bis Ende 1999 beschließen. Das kann nur eine uns gerichtet wird, wir mögen ihnen doch unbefristet ganz bedauerliche Panne sein. Denn erstens wäre es die Möglichkeit zu einer solchen Stichtagsregelung nicht so ganz das, was Sie gesagt haben, und zwei- lassen. Ich sage Ihnen für die F.D.P.: Wir entlassen tens muß da wohl ein Beamter nicht aufgepaßt ha- die Länder nicht aus ihrer Verantwortung, und der ben; denn die Gesetze beschließt der Bundestag, und Anspruch auf einen Kindergartenplatz darf nicht aus- er und nicht die Bundesregierung beschließt auch, gehöhlt werden. ob er Gesetze beschließen will. Ich bin sicher, daß Sie (Beifall bei der F.D.P.) diese Panne ausräumen und daß wir dann ein Falt- blatt bekommen, das den Realitäten entspricht. Anfang dieser Woche hat eine Anhörung zu dieser Frage stattgefunden. Auf meine Nachfrage sah sich (Abg. Matthias Berninger [BÜNDNIS 90/ der Vertreter der federführenden Landesregierung DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi- Schleswig-Holstein nicht in der Lage, konkrete Zah- schenfrage) len zu nennen, wie viele Plätze fehlten und wie hoch die finanzielle Entlastung durch die Stichtagsrege- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Lanfer- lung ausfallen solle, und zu sagen, wie und in wel- mann - - chen Zeiträumen die säumigen Länder die fehlenden Plätze bereitzustellen gedächten. Eine solche Dar- (F.D.P.): In diesem Sinne danke stellung, verbunden mit einem konkreten Plan und Heinz Lanfermann ich für Ihre Aufmerksamkeit. einer verbindlichen Zusage, wäre doch wohl das mindeste gewesen, was man von denen erwarten Ich habe überzogen; ich bitte um Entschuldigung, kann, die ihrerseits vom Deutschen Bundestag die Herr Präsident. Zustimmung dazu erwarten, ihre Versäumnisse nachträglich zu genehmigen. (Beifall bei der F.D.P.) Deswegen wird es keine Lösung geben, die den Ich wollte Sie Ländern einfach - sozusagen als Blankoscheck - er- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen. laubt, diese Dinge weiter vor sich hin zu schieben. Im übrigen konnten oder wollten die Vertreter der Ge- meinden nicht garantieren, daß mit Auslaufen einer Heinz Lanfermann (F.D.P.): Nein, jetzt nicht mehr. eventuellen Verlängerung die Kindergartenplatzga- rantie vollständig erfüllt würde. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Gut. - Dann er- Frau Niehuis, ich wäre an Ihrer Stelle in dieser Dis- teile ich der Abgeordneten Heidemarie Lüth das kussion sehr zurückhaltend. Wort . (Dr. Edith Niehuis [SPD]: Warum?) Heidemarie Lüth (PDS): Herr Präsident! Meine Da- - Weil Sie zwischen Baum und Borke sitzen, weil Sie men und Herren! Herr Jacoby, Herr Lanfermann, der Bevölkerung dauernd etwas versprochen haben, wenn die verfassungsrechtliche Freistellung des Exi- weil Sie diesen Anspruch hier mit beschlossen haben stenzminimums für Kinder das Markenzeichen des 5856 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Heidemarie Lüth Ministeriums, um das es hier geht, ist, dann ist das an Projekte, die den konservativen Familienbegriff wohl eine Markenware, die reduziert aus dem Win- weiter zementieren. Selbst ein Versuch im Ausschuß, terschlußverkauf kommt. hier umzuverteilen, wurde abgelehnt, wie zum Bei- spiel der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, mehr (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordne Mittel für den Schutz der Frauen vor Gewalt einzu- ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE stellen. - GRÜNEN) Im Einzelplan 17 wird wohl das „Haus der Genera- Dann schlug noch einmal der Dirigent des Haus- tionen" aus Haushaltssicht betrachtet; die Messen haltes zu, und mit großer Ergebenheit wurde den werden allerdings in anderen Resso rts gesungen, Wünschen des Ministers stattgegeben. Es wurde und dort werden auch die Noten geschrieben. Die noch einmal gespart, auch diesmal wieder nicht an Auftraggeber des Werkes und der Di rigent sitzen auf Glanzbroschüren, sondern vor allem bei Hilfen für der Regierungsbank. behinderte Menschen, bei Zuschüssen für überregio- nale Modelleinrichtungen für Behinderte, bei Zu- Alles, was in diesem Haushalt an Sozialabbau, De- schüssen und Leistungen für laufende Zwecke an regulierung, Diskriminierung von Arbeitslosen, So- Länder und Träger für Aufgaben der freien Jugend- zialhilfeempfängerinnen und -empfängern, Kranken, hilfe. Pflegebedürftigen und Behinderten in neuer Qualität fortgeschrieben wird, wirkt negativ auf die Lebens- Der gesamte Einzelhaushalt 17 atmet die Arroganz qualität zahlloser Familien, Frauen, Kinder, Jugendli- des Umgangs mit den Vorschlägen und Protesten cher und der Alten in der Gesellschaft. von Verbänden, Organisationen und Gewerkschaf- Offensichtlich müßte eigentlich der normale Men- ten durch diese Koalition. Dies hat zur Folge, daß schenverstand ausreichen, um die Wirkungen auf Kommunen gezwungen werden, auf Grund dieser diesen Kreis unserer Gesellschaft zu erfassen. Haushaltslage den Vereinen B riefe zu schreiben, in denen sie verkünden müssen: Weil aus genannten Und dennoch wird in diesem Haushalt festge- Gründen die Mittel nicht mehr antragsgemäß zur schrieben: Der Bund wird den öffentlichen Verkehrs- Verfügung stehen, kann eine gesonderte Auswei- unternehmen das Fahrgeld für Schwerbehinderte sung der Kofinanzierung für Maßnahmen nach künftig nicht mehr erstatten. Die originäre Arbeitslo- § 249h AFG nicht mehr erfolgen. senhilfe soll wegfallen; weitere Kürzungen im Be- reich der Arbeitslosenhilfe sind vorgesehen. Die Auf- Das ist natürlich ein Schlag gegen Seniorenver- füllbeträge für Seniorinnen und Senioren in den bände und Selbsthilfegruppen. Aus einem Be richt neuen Bundesländern sollen ab dem 1. Januar 1996 des Vereins „Graue Löwen" aus Leipzig geht zum wegfallen. Beispiel he rvor: Wenn die drei ABM-Kräfte, die die- Es ist eindeutig, wohin diese Reise gehen soll: hin- ser Verein hat, auf Grund der Haushaltslage nicht ein in eine Gesellschaft, die dem Ideal der Koalition mehr beschäftigt werden können, werden die über nahekommt, koste es, was es wolle. Natürlich kostet 38 ehrenamtlichen Helfer die 468 Seniorinnen und es vor allem den Normalbürger etwas. Verluste sind Senioren nicht mehr betreuen können. eingeplant. Es ist sicherlich eindeutig, daß die Abgeordneten- Länder und Kommunen geben diese Kürzungen in gruppe der PDS diesem Haushalt nicht zustimmen der Tat gleich weiter. Sie wirken sich in dem Bereich wird. aus, für den der Haushalt für das „Haus der Genera- tionen" Forschungsaufträge und Modellprojekte Danke. eingestellt hat. Diese sollen dann, zum Teil für viel Geld, erkunden, was diese vorgeschriebene und be- (Beifall bei der PDS) triebene Politik angerichtet hat.

Frau Ministerin Nolte hat am 31. Oktober in Bonn Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Zu einer Kurz- auf dem Kongreß „Kinder in Deutschland - wie sie intervention zu der Rede des Kollegen Lanfermann leben, was sie brauchen" wieder einmal die Ziele ih- erteile ich dem Abgeordneten Matthias Berninger rer Politik verkündet und die Aufgaben verteilt. Es ist das Wort. bemerkenswert, in welcher Reihenfolge die Aufga- ben verteilt wurden: Zuerst kamen die Länder, die Kommunen, die Kirchen, und auch die großen gesell- schaftlichen Gruppierungen wurden sehr wohl mit Matthias Berninger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aufgaben bedacht. Am Ende schließlich stand der Herr Kollege Lanfermann, ich nehme Ihre Äußerun- Bund. gen zum Problem der fehlenden Kindergartenplätze in diesem Land zum Anlaß, noch einmal auf das lei- Haushaltspolitisch bedeutet das: Im Einzelplan 17 dige Problem der Stichtagsregelung einzugehen. sind diejenigen Posten die fettesten, die die partei- politischen Ziele der Koalition transportieren. Ich er- Zunächst - ich glaube, darin besteht in diesem innere nur an Maßnahmen zur Durchführung der Haus eine große Einigkeit -: Wir brauchen mehr Kin- zentralen familienpolitischen Tagungen und die In- dergartenplätze. Auch in den Ländern, in denen stitutionalisierung der Familienkonferenz, an die nicht genügend Kindergartenplätze vorhanden sind, Herstellung und den Vertrieb von Erfolgsbroschüren müssen größere Anstrengungen unternommen wer- für Frauen, Familien und die ältere Generation sowie den. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5857

Matthias Berninger Ich finde, Sie haben hier mit einem denkbar Parteien zu sprechen. Ich habe nicht gehört, daß je- schlechten Beispiel versucht, eine populistische Posi- mand von den Liberalen irgend etwas Gehässiges tion der F.D.P. zu etablieren. gesagt hätte, als Sie aus einigen ostdeutschen Land- tagen hinausgeflogen sind. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wenn man keine - Ahnung hat!) ( [Aachen] [SPD]: Das ging auch schlecht! Sie waren ja mit draußen!) Wenn man schon über Stichtagsregelungen redet, soll man vor der eigenen Haustür kehren. Sie sind Ich finde Ihre Art, wie Sie mit der Sache umgehen, zwar in Nordrhein-Westfalen rausgeflogen, aber in äußerst hochmütig. Das will ich Ihnen bei der Gele- Rheinland-Pfalz haben Sie für ein paar Monate noch genheit durchaus sagen. ein kleines Türchen. In Rheinland-Pfalz gibt es die Stichtagsregelung, gegen die Sie hier so populistisch Was die Kindergartenplätze angeht, weiß ich argumentiert haben, schon seit längerem. Dort re- nicht, was an meinen Aussagen populistisch sein soll. giert die F.D.P. zumindest für ein paar Monate noch Ich habe gesagt, daß der ganze Bundestag, der mit. Auch wenn Sie bald vor dieser Tür stehen, will ganze Bundesrat allen Eltern dieser Republik ver- ich Ihnen sagen, daß sich dieses Thema absolut nicht spricht, daß ab 1. Januar 1996 jedes Kind einen Kin- dazu eignet - - dergartenplatz hat. Jetzt gibt es Bemühungen quer durch das ganze Haus, diesen Rechtsanspruch in (Birgit Homburger [F.D.P.]: Hochmut kommt Hunderttausenden von Fällen auszuhöhlen, und da vor dem Fall! - Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: machen Sie jetzt mit, nur weil Sie in Hessen mit in Wie hoch ist die Abdeckung in Rheinland der Regierung sitzen, weil Sie in Niedersachsen in ei- Pfalz?) ner Landesregierung waren, die Sie auch wieder ver- lassen mußten, weil Sie sich dort nicht profilieren - Wenn wir in Hessen die Stichtagsregelung einfüh- konnten, weil Herr Schröder mit Ihnen gemacht hat, ren, haben wir auch die Abdeckung, Frau Babel. Das was er wollte. ist überhaupt kein Problem, weil wir in Hessen 30 000 Plätze in nur vier Jahren geschaffen haben. Aber eines haben sie mitgetragen in Niedersach- Das hat keine Landesregierung zuvor getan. sen, daß nämlich in den Jahren vor der letzten Land- tagswahl dort auch nicht genug getan worden ist. Sie werden irgendwann in der Lage sein, einen so Niedersachsen sieht in der Statistik auch schlecht populistischen Kurs nach dem Motto „Vergessen wir aus. die Situation in den Ländern und Kommunen" zu fahren, und zwar aus einem einfachen Grund: Sie (Rita Grießhaber [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- werden dort nicht mehr vertreten sein. Aber das wer- NEN]: Wir haben Albrechts Defizit aufge- den Sie nur für eine begrenzte Zeit machen können, holt in Niedersachsen!) denn ohne Mandate in den Ländern und Kommunen werden Sie auch nicht mehr im Bundestag sein. Da gibt es eine grüne Mitverantwortung für Mängel, und deswegen benehmen Sie sich jetzt schon wie Lassen Sie uns bitte über andere Themen populi- manche andere, die das nicht mehr wahrhaben wol- stisch streiten, aber nicht über die Frage des Kinder- len. gartenplatzes, bei der der Bund auf die Länder zeigt, die Kommunen sagen, sie hätten überhaupt kein Der Gesetzgeber hat in Deutschland 1992 etwas Geld mehr, und die Mütter und Väter einfach daste- beschlossen und den Menschen etwas versprochen. hen und für ihre Kinder keine Unterbringungsmög- Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, daß bei lichkeiten haben. Sie verfolgen in Rheinland-Pfalz der Neuregelung des § 218 die Kindergartenplatzga- genau die Politik, die ich ablehne, sich nämlich um rantie ein Eckpfeiler ist, weil der Staat sich wegen die Kindergartenplätze zu drücken, und tragen in des Schutzes des ungeborenen Lebens gar nicht aus Hessen diese Politik mit. Deswegen sollten Sie sich der Bestrafung zurückziehen darf, wenn er nicht außerhalb von Nordrhein-Westfalen umschauen; diese Angebote an Betreuung bietet. Da gibt es ei- lange werden Sie das ja nicht mehr können. nen inneren Zusammenhang, Herr Kollege; lesen Sie einmal die Urteile, und rufen Sie sich die Bemerkun- Lassen Sie uns bitte das Thema Kindergarten- gen ins Gedächtnis zurück, die auch vor dem Bun- plätze in einer anderen Art und Weise diskutieren, desverfassungsgericht gemacht wurden. als Herr Lanfermann es hier probiert hat. Dann wer- Wenn Sie denjenigen für populistisch halten, der den Sie im übrigen bei den nächsten Wahlen auch nicht punkten. an die Rechtslage erinnert, und wenn Sie denjenigen für populistisch halten, der den Anspruch der Men- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen, den wir alle hier beschlossen haben, aufrecht- sowie bei Abgeordneten der SPD) erhalten will, während Sie versuchen, daran mitzuar- beiten, ihn auszuhöhlen, dann haben Sie irgend et- was falsch verstanden, Herr Kollege. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege Lanfermann, Sie haben das Wort. (Beifall bei der F.D.P. - Christel Hane- winckel [SPD]: Nein, Sie sollen nicht nur reden!) Heinz Lanfermann (F.D.P.): Es ist schon richtiger- weise gesagt worden: Hochmut kommt vor dem Fall. Ich glaube, wenn wir über Kindergartenplätze spre- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile der chen, dann brauchen wir nicht über die Situation von Abgeordneten Maria Eichhorn das Wort. 5858 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Maria Eichhorn (CDU/CSU): Herr Präsident! gehen. Daher ist es besonders wichtig, daß die En- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verant- quete-Kommission „Demographischer Wandel" ihre worten und gestalten - das bleibt unser politisches Arbeit in dieser Legislaturperiode fortsetzt. Ziel, auch in den nächsten Jahren. Wir müssen die Ein weiteres ebenso wichtiges Feld ist der Ausbau Veränderungen der Zeit, müssen die Erwartungen der - von Familien, von Jugendlichen, von Senioren und Maßnahmen für pflegebedürftige ältere Men- Mit der Pflegeversicherung haben wir den von Frauen immer wieder analysieren und darauf schen. Grundstein gelegt. In den nächsten Monaten wird es politisch reagieren. unsere Aufgabe sein, mit dem Heimgesetz eine Verharren bedeutet oft Rückschritt; Weiterentwick- Grundlage für die Kurzzeitpflege zu schaffen. Diese lung auf solider Grundlage bedeutet sichere Zu- Kurzzeitpflege ist besonders im Rahmen der ambu- kunftspolitik. Wir haben in diesem Jahr keine Zwei- lanten Pflege, der häuslichen Pflege, unverzichtbar fel daran aufkommen lassen, daß wir nach diesem und muß gestärkt werden. Motto handeln. Die Fakten beweisen es - Herr Ja- Meine Damen und Herren, die Diskussion darüber, coby und auch Herr Lanfermann haben bereits dar- wie die Leistungen, die Familien erbringen, unter- auf hingewiesen -: Der Familienleistungsausgleich stützt und gestärkt werden können, muß weiterge- wird sich 1996 für die Familien segensreich auswir- führt werden. Eines ist uns dabei klar: Wir müssen ken. Ich bestätige und betone nochmals: Dies sind die Leistungen von Familien bei der Rente auf Dauer große Leistungen, die den Familien spürbar zugute noch stärker berücksichtigen. Ich weiß, daß dieser kommen und die deutlich machen, daß Familienpoli- Berg nicht so leicht zu erklimmen sein wird. Die Fa- tik bei uns einen wichtigen Stellenwert hat. milien erwarten von uns aber, daß wir in den näch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. sten Monaten, in den nächsten Jahren einen Weg Dr. Gisela Babel [F.D.P.]) weisen. Der Einzelplan 17 stellt sicher, daß im nächsten Ich verweise auch auf die Notwendigkeit der An- Jahr an die erfolgreiche Arbeit dieses Jahres ange- hebung der Einkommensgrenzen beim Erziehungs- knüpft wird. Daß die Opposition einige Schwer- geld. Wir werden dafür sorgen, daß diese Einkom- punkte anders setzen will, ist ihr gutes Recht. Die mensgrenzen in den nächsten Jahren erhöht werden. eingebrachten Änderungsanträge konnten uns aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht überzeugen. Wenn Mitglieder der SPD, Frau ordneten der F.D.P.) Kollegin Klemmer, im Ausschuß fordern, den Haus- haltsansatz zur Unterrichtung älterer Menschen zu Bei den anstehenden Neuregelungen des Mutter- kürzen, also die Seniorenpolitik zu beschneiden, schutzgesetzes werden wir uns mit dem Kündigungs- schutz für Hausangestellte beschäftigen. (Widerspruch bei der SPD) (Dr. Gisela Babel [F.D.P.]: Sehr gut!) ist das für mich kein Zeichen konsequenter Senioren- politik. Ältere Menschen umfassend über ihre Ich meine, daß es bei einer Ungleichbehandlung ge- Rechte, über neue Betätigungsfelder zu informieren genüber sonstigen Arbeitnehmerinnen nicht bleiben ist Grundvoraussetzung für eine gute und zukunfts- darf. gerichtete Seniorenpolitik. Ich freue mich, daß zur (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Förderung von gesellschaftspolitischen Maßnahmen für die ältere Generation 1996 insgesamt rund Ich habe mich schon in der letzten Legislaturperiode 1,3 Millionen DM mehr veranschlagt worden sind. dafür eingesetzt. Der Bundesrat hat einstimmig für eine Gleichbehandlung votiert. Die Bundesregierung (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge hat in ihrer Stellungnahme gesagt, daß sie das noch ordneten der F.D.P.) eindeutig und intensiv prüfen wird. Unsere Aufgabe im Ausschuß wird es sein, dies intensiv zu behan- Wer die Arbeit der Seniorenbüros kennt und deren deln. Ich meine, wir sollten jetzt den berechtigten große Akzeptanz bei den älteren Menschen erfahren Forderungen vieler Fachverbände endlich nachge- hat, der weiß, daß diese Gelder zukunftssicher ange- ben. legt sind. Daß wir mit unserer Politik für die aktiven Senioren auf dem richtigen Weg sind, beweist mir Mit der Verabschiedung des Bundeshaushalts 1996 eine Schlagzeile aus der „FAZ" der letzten Tage, die schaffen wir die finanziellen Rahmenbedingungen. lautete: „Die Weltbank sucht den Rat der Senioren." Aber das ist nur eine Säule zielgerichteter Politik. Die Dies spricht für sich. andere muß darin bestehen, der Werteorientierung wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Auch die Mittel, die zur Altersforschung im Haus- haltsplan eingesetzt worden sind, sind richtig und Das war eines der Themen, die wir gestern zusam- gut angelegt. Die Erkenntnisse, die wir heute aus men mit Jugendverbänden diskutiert haben. Dabei den veränderten Lebensbedingungen und Verhal- wurde sehr deutlich, daß die zunehmende Individua- tensweisen, aber auch aus Krankheitsbildern von äl- lisierung von Jugendlichen die Arbeit in den Verbän- teren Menschen ziehen, werden uns auf die Aufga- den nicht leichter gemacht hat. Die Verbandsarbeit ben der nächsten Jahrzehnte gut vorbereiten. steht nach wie vor hoch im Kurs, aber die Erwartun- gen sind sehr angestiegen. Die demographische Entwicklung stellt hohe An- forderungen an uns, die wir nicht hoch genug bewer- Jugendliche suchen nach Orientierung, sie wollen ten können. Wenn wir sie meistern wollen, müssen die Vermittlung von Werten. Ehrenamtlichkeit wird wir ohne Berührungsängste an diese Themen heran- nach wie vor großgeschrieben. Aber nicht so sehr der Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5859

Maria Eichhorn Ruf nach finanzieller Unterstützung, sondern viel dürfte sich auch bis zu Ihnen herumgesprochen ha- mehr der nach gesellschaftlicher Anerkennung steht ben, daß die Hauptverantwortlichen für diese Berei- hier im Vordergrund. Das ist uns gestern sehr deut- che die Länder sind. Was passiert denn phantasievol- lich geworden. les in den SPD-regierten Ländern? - Deswegen ist es wichtig, das Image des Ehrenam- Ihre Rede hätten Sie im niedersächsischen Landtag tes wieder anzuheben. Darum ist es auch richtig und nicht halten dürfen, weil Sie dort nicht von Kontinui- notwendig, daß wir uns im Rahmen unseres Arbeits- tät oder „Weiter so" reden können. kreises „Ehrenamt", den unsere Fraktion eingesetzt hat, dieser Frage vertieft annehmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Orientierungshilfen müssen vielfältiger angesetzt Dort wird gekürzt. werden. Es muß auch unsere Aufgabe in der Politik sein, daß Jugendliche lernen, Werte wie Akzeptanz Es wurde der Neunte Jugendbericht angespro- und Verantwortungsbereitschaft mit ihren Lebens- chen. Ich möchte ihn als ein Beispiel aufgreifen. Ge- maßstäben, die heute immer mehr individualisiert rade dort wird bei all den Dingen, die noch zu ma- sind, zu verknüpfen. chen sind, ausdrücklich anerkannt, was der Bund in den neuen Bundesländern in dieser kurzen Zeit ge- Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr wer- leistet hat. Das, was dort an Forderungen erhoben den wir wichtige und interessante Aufgaben zu lösen wird, wird auch klar an die Länder gerichtet, die jetzt haben. Wir knüpfen an die erfolgreiche Arbeit dieses ihrer Verantwortung gerecht werden müssen. Inso- Jahres an. Der Haushalt 1996 ist eine gute Basis zur fern finde ich es sinnvoll, daß wir die Zuordnung Verwirklichung unserer Ziele. richtig gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben durchgesetzt, daß im Investitionsförde- rungsgesetz für die neuen Bundesländer auch Inve- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile nun stitionen für den Jugendbereich gefördert werden der Bundesministerin Claudia Nolte das Wort. können. Das sind 6 Milliarden DM pro Jahr für zehn Jahre. Jetzt liegt es an den Ländern, diese Mittel (Karl Diller [SPD]: Frau Ministerin, wie viele auch dort zu investieren. Unterstützen Sie da Ihre Staatssekretäre haben Sie eigentlich?) Mitstreiter in den Ländern! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Claudia Nolte, Bundesministerin für Familie, Senio- ren, Frauen und Jugend: Herr Präsident! Liebe Kolle- Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist unverzicht- ginnen und Kollegen! In Zeiten knapper Kassen kön- bar für unser Land, daß junge Menschen Bedingun- nen nicht alle Wünsche erfüllt werden. Ich bin ent- gen vorfinden, die es ihnen ermöglichen, ihren schieden dafür, daß wir sparen, weil ich es nicht gut Wunsch zu verwirklichen, in Familien, mit Kindern finde, heute das Holz zu verbrennen, an dem sich un- zu leben. Natürlich entscheiden in einer freiheitli- sere Kinder die Hände wärmen sollen. chen Gesellschaft zuallererst die Menschen selber (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU darüber, wie sie zusammenleben und ob sie es tun. und der F.D.P.) Sie geben ihrem Familienleben selber einen Sinn. Aber wir sind als politisch Verantwortliche im Bund, Um so wichtiger ist es, Prioritäten zu setzen. Das ist in den Ländern und in den Kommunen selbstver- uns mit diesem Haushalt gelungen. Wir machen un- ständlich gefordert, Leistungen der Familien anzuer- sere Zusagen wahr und entlasten die Familien ab kennen und zu fördern. Hierzu hat die Bundesregie- 1996 mit zusätzlich 7 Milliarden DM. rung mit der Neuregelung des Familienlastenaus- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU gleichs einen wichtigen Beitrag geleistet. Ich erin- und der F.D.P. - Karl Diller [SPD]: Dafür ha nere auch an die neue Wohnbauförderung, mit der ben wir gesorgt!) ganz klare familienpolitische Prioritäten gesetzt wur- den. Mein besonderer Dank gilt in diesem Zusammen- hang den Berichterstattern der beiden Ausschüsse (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- und den Mitgliedern des Ausschusses für Familie, ordneten der F.D.P.) Senioren, Frauen und Jugend und des Haushaltsaus- Es ist richtig, Frau Klemmer: Wir sind auch in Zu- schusses. Sie waren mit viel Engagement dabei, und kunft gefordert. Sie sprachen zu Recht die Nichterhö- die Beratungen waren bis kurz vor dieser Sitzung hung der Einkommensgrenzen beim Erziehungsgeld hier im Plenum sehr konstruktiv. an. Es ist mein fester Wille, hier eine Erhöhung in Ich bin sehr zufrieden, daß es neben den spürba- dieser Legislaturperiode zu erreichen. Das hat für ren Verbesserungen beim Familienlastenausgleich mich Priorität. Ich hoffe da auf Ihre Unterstützung. gelang, die Kontinuität für alle Bereiche zu sichern Sie wissen, man kann nicht alles auf einmal und so- und dadurch eine Verstetigung der Arbeit zu ermög- fort durchsetzen. lichen. Frau Klemmer, hier von Erstarrung zu spre- chen, finde ich mehr als unangebracht. Um so besser war es, daß wir 3 Millionen DM zu- sätzlich für die Sexualaufklärung zur Verfügung stel- Was haben Sie damals in der sozialliberalen Koali- len können. Gerade im Hinblick auf unser gemeinsa- tion gemacht? Sie haben zum Beispiel das Kinder- mes Anliegen, Abtreibungen zu verhindern - ich geld gekürzt, als es in der Kasse knapp wurde. Es hoffe zumindest, daß wir hier ein gemeinsames An- 5860 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Bundesministerin Claudia Nolte liegen vertreten -, sind diese zusätzlichen Mittel macht, und ich bleibe dabei. Ich will dieses Pro- ganz besonders we rtvoll. gramm und werde mich dafür stark machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Für die Zukunft der Familien wie für die Zukunft Karl Diller [SPD]: Frau Minister, an wem unserer Gesellschaft insgesamt ist entscheidend, daß liegt die Blockade? - Dr. Uwe Küster [SPD]: Familie und Erwerbsarbeit miteinander vereinbart Wer verhindert das denn?) werden können. Auch hier sind in erster Linie die Ta- rifpartner gefordert. Gerade dem Bereich flexible Ar- - Wir müssen uns in der Bundesregierung schon ei- beitszeiten kommt in diesem Zusammenhang eine nig werden. Ich habe gesagt, ich trete dafür ein und entscheidende Bedeutung zu. Deshalb werden wir kämpfe, Herr Diller. Ich weiß, daß Sie sich in der unsere Modellprojekte in diesem Bereich fortsetzen, SPD-Fraktion immer einig sind, vor allen Dingen in zum Beispiel die Mobilzeitberatung, indem wir Be- der Partei. Darauf können wir bauen. trieben Unterstützung anbieten, qualifizierte Teilzeit- arbeit auch in Fach- und Führungspositionen einzu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) setzen. Ich setze mich mit meiner Politik im „Haus der Ge- nerationen" für eine Partnerschaft der Geschlechter, Mit einem Projekt zur Förderung der beruflichen aber auch für ein Miteinander der Generationen ein. Selbständigkeit von Frauen als Beitrag zur kommu- Denn Politik für und mit Senioren ist gerade ange- nalen Wirtschaftsentwicklung wollen wir die Voraus- sichts der demographischen Veränderungen in unse- setzungen dafür verbessern, daß sich Frauen an- rer Gesellschaft, des Zuwachses an älteren Men- spruchsvolle und erfolgversprechende Tätigkeitsfel- schen notwendig. Es ist erforderlich, ältere Men- der für eine Existenzgründung in ihrem Umfeld er- schen in unser Politikfeld einzubeziehen, sie in un- schließen können. Ich habe am 9. Oktober dieses sere Gesellschaft zu integrieren. Jahres in Thüringen eine Arbeitsmarktkonferenz durchgeführt. Ich will in allen neuen Bundesländern Aufgabe ist es vor allen Dingen, daß sich alte Men- gemeinsam mit den Wirtschaftsministern, den Ta rif- schen am gesellschaftlichen Leben beteiligen kön- parteien, Vertreterinnen und Vertretern der Wirt- nen und daß sie sich mit ihrer Lebenserfahrung und schaftsförderung sowie der Arbeitsverwaltung alles Kompetenz in die Gesellschaft einbringen. Hier zu dafür tun, daß wir gemeinsam Strategien und Wege behaupten, wir täten nichts dafür, geht an der Reali- erarbeiten, die den Frauen den Zugang zum ersten tät wirklich völlig vorbei. Wir haben den Bundesal- Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Denn es kann nicht tenplan als das Förderinstrument zwar noch nicht sein, daß wir uns mit einem geteilten Arbeitsmarkt allzulange. Er erweist sich aber als besonders effek- abfinden, den Männern den ersten, den Frauen den tiv. Ich will in der nächsten Zeit Schwerpunkte in zweiten. dem Bereich „Wohnkonzepte der Zukunft" setzen. Wir haben mit dem Modellprogramm Senioren- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und büro ein hervorragendes Beispiel dafür geliefert, wie dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) man Anlaufpunkte schaffen kann. Auf diese Weise wird älteren Menschen ermöglicht, mit Freunden zu- Deshalb ist es natürlich notwendig, diejenigen, die sammen zu sein und ihre Freizeit selber zu gestalten. die Hauptverantwortung für den ersten Arbeitsmarkt Für mich ist dabei wichtig: Das können auch Treff- tragen, mit in die Pflicht zu nehmen und ihnen deut- punkte sein, wo Begegnungen über Generationen- lich zu machen, daß sie sich für Chancengleichheit grenzen hinweg stattfinden. Ich bin dafür eingetre- einsetzen müssen. ten, daß wir über Mittel des Kinder- und Jugendpla- nes sowie des Bundesaltenplanes solche Aktivitäten in besonderer Weise fördern, die vor allem dem Dia- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Was tun Sie dafür?) log der Generationen dienen.

- Zum Beispiel diese Konferenzen, dieses Miteinan- Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einem Europa, der-Reden. das zusammenwächst, ist auch das Miteinander über Grenzen hinweg unverzichtbar. Von diesem Gedan- ken wird die internationale Jugendarbeit getragen. Daß die Gleichberechtigung von Frau und Mann Dabei ist die Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn noch nicht verwirklicht ist, hat auch die vie rte Welt- im Osten ein Schwerpunkt. Denn für mich ist es frauenkonferenz in Peking noch einmal aufgezeigt. wichtig, daß gerade im Bewußtsein der jungen Gene- Für Deutschland wird dies ganz klar deutlich, wenn ration Europa nicht an Oder und Neiße endet, son- wir uns anschauen, wie hoch der Frauenanteil in dern daß wir ein Bewußtsein für das ganze Europa Führungspositionen ist, egal ob in Politik oder Wirt- schaffen. schaft, und wir die Benachteiligungen von Frauen auf dem ersten Arbeitsmarkt erleben. Gleichberech- Ausdrücklich hat der deutsch-polnische Jugendrat tigte Teilhabe von Frauen an den wirtschaftlichen kürzlich in Warschau das große Interesse junger Ressourcen und den politischen Entscheidungen zu Deutscher und Polen an gegenseitigen Begegnun- verwirklichen steht für mich deshalb im Vorder- gen begrüßt. Zirka 60 000 Jugendliche aus beiden grund. Ich habe in der Debatte zum Urteil des Euro- Ländern wurden 1995 aus Mitteln des Deutsch-Polni- päischen Gerichtshofes meine Haltung zum vie rten schen Jugendwerkes unterstützt. Ich habe mich er- Aktionsprogramm Chancengleichheit deutlich ge- folgreich dafür stark gemacht, daß die Regierungs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995 5861

Bundesministerin Claudia Nolte beiträge der deutschen und der polnischen Seite er- Vielen Dank. höht werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich schließe die Abgeordneten der PDS) Aussprache. Auch bei den freiwilligen Jahren für junge Men- Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- schen im Inland habe ich Verbesserungen erreicht, plan 17. Wer dem Einzelplan 17 in der Ausschußfas- da es notwendig ist, Bewährungsfelder für sie zu sung zustimmt, bitte ich um das Handzeichen. - Die schaffen. Mit dem freiwilligen sozialen und ökologi- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich schen Jahr erhalten junge Menschen die Chance, fest, daß der Einzelplan 17 mit den Stimmen der sich unter Beweis zu stellen und sich gleichzeitig für Koalition gegen die Stimmen der Opposition ange- andere Menschen zu engagieren. nommen worden ist. Unsere Gesellschaft steht vor großen Herausforde- Weitere Wortmeldungen liegen für die heutige Sit- rungen. Die Lösung schwieriger Probleme in vielen zung nicht vor. Bereichen hängt davon ab, ob wir es schaffen wer- den, Einzelinteressen zurückzustellen und zu über- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- winden und gemeinsam nach Lösungswegen zu su- destages auf morgen, Donnerstag, den 9. November chen. Nur im Miteinander der Generationen und in 1995, 9 Uhr ein. der Partnerschaft zwischen Mann und Frau entsteht Die Sitzung ist geschlossen. das menschliche Klima, das für die Zukunft unseres Landes so entscheidend ist. (Schluß der Sitzung: 21.05 Uhr) 5862' Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 67. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 8. November 1995

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Nickels, Christa BÜNDNIS 08. 11.95 entschuldigt bis Abgeordnete(r) 90/DIE einschließlich GRÜNEN Beck (Bremen), BÜNDNIS 08. 11. 95 Odendahl, Doris SPD 08. 11.95 Marieluise 90/DIE Dr. Scheer, Hermann SPD 08. 11.95 GRÜNEN Schoppe, Waltraud BÜNDNIS 08. 11.95 Behrendt, Wolfgang SPD 08. 11. 95 * 90/DIE Dr. Dobberthien, SPD 08. 11.95 GRÜNEN Marliese Steindor, Marina BÜNDNIS 08. 11. 95 Fischer (Unna), Leni CDU/CSU 08. 11. 95 * 90/DIE GRÜNEN Hafner, Gerald BÜNDNIS 08. 11. 95 90/DIE Terborg, Margitta SPD 08. 11.95 GRÜNEN Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 08. 11. 95 Dr. Hauchler, Ingomar SPD 08. 11. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 08. 11. 95

Meißner, Herbert SPD 08. 11. 95 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Möllemann, Jürgen W. F.D.P. 08. 11.95 sammlung des Europarates