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Eryx. Die Kämpfe des Hamilkar Barkas und die Auffindung der Stadt. Eine militärisch-archäologische Studie1). Von J. Kromayer. (Hierzu eine Karte S. 472/3.)

Der der Alten, welcher auf seiner Spitze das hochberühmte Heiligtum der Erycinischen Aphrodite trug, ist bekanntlich der heutige Monte S. Giuliano, der westlichste Berg Siciliens. bei der Stadt , dem antiken gelegen. Unsere Expedition berührte diesen Punkt auf der Durchreise von Afrika nach Italien, und da hier die letzten Kämpfe des ersten Punischen Krieges stattgefunden haben, in denen der geniale Hamilkar Barkas den Römern 2 Jahre lang erfolgreichen Widerstand geleistet hat, so beschlossen wir, die Oertlichkeit eingehend daraufhin zu besichtigen und zu untersu- chen, ob man an Ort und Stelle eine anschauliche Vorstellung von diesen Kämpfen gewinnen könne. Wir glauben nicht nur dies erreicht, sondern dabei zugleich die bis- her unbekannte Stätte der alten Stadt Eryx gefunden zu haben und da- durch in der Lage zu sein, auch den Ort des Heiligtumes der Erycinischen Aphrodite genauer, als es bisher geschehen war, zu bestimmen. Die Resultate dieser Untersuchung sollen hier vorgelegt werden. Die ersten Kämpfe am Eryx in dem Ringen zwischen Karthago und Rom liegen vor dem Auftreten des Hamilkar Barkas und gehen bis ins Jahr 249 v. Chr. zurück. Damals — so erzählt Polybios —' bemächtigte sich der Konsul L. Junius Pullus unmittelbar nach der grossen Niederlage seines Kollegen in der Seeschlacht von Drepana des Berges Eryx und besetzte, wie ausdrück- lich hinzugefügt wird, sowohl den Tempel als auch die Stadt Eryx selber. Dann legte er zum Schutze dieser Stellung einerseits in den Tempel eine Besatzung, anderseits stationierte er am Fusse des Berges beim Aufstiege von Drepana aus eine Truppe zur Bewachung. Er war überzeugt, durch

1) Als Vortrag gehalten in der Sitzung der archäologischen Gesellschaft in Berlin am 2. Februar 1909.

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Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM diese letztere zugleich die Stadt Erjx und überhaupt den ganzen Berg decken zu können x). Nach der Erzählung Dio- dors, welcher hier mit einigen Details ergänzend eintritt, ist die Behauptung der unteren Position nicht ohne grössere Kämpfe mit den Karthagern ab- gegangen. Es gelang nämlich dem karthagischen Oberbefehls- haber Karthalo durch eine nächt- liche Ueberrumpelung von der Seeseite her, dieselbe wieder zu nehmen, die römische Besatzung von 800 Mann teils niederzu- machen, teils auf den Eryx zu treiben und die Stellung selber mit 3000 Mann zu besetzen. Da- bei nennt uns Diodor auch den Namen des Bergausläufers, um den es sich hier handelt; er hiess damals Aigithallos, spä- ter Akellos2). Aber diese Be-

ll Pol. I 55, 6: (δ Ιούνιος) κα- ταλαμβάνει πραξικοπήοας τον Έρυκα και γίγνεται τον τε τ ης 'Αφροδίτης ιερόν και της πόλεως εγκρατής . . 10: int τε δ!) την κορυφών επιστήσας φυ- λακήν, ομοίως δε καπι την άπό δρέ- πανων πρόαβααιν, ετήρει φιλοτίμως άμψοτέρονς τού; τόπους καΐ μάλλον ετι τον της αναβολής, πεττεισμένος όντως και την πάλιν αοφαλΰυς και το 2) Diod. XXIV 1,10: (ό Ιούνιος) σύμπαν ορός ν φ' αντόν εξε ιν. νυκτός ovo η ς επιπεοων τον "Ερνκα παρέλαβε, και τον Λίγί!}αλλον ετεί- χεοεν, υνπερ νυν "Ακελ/.ον καλονοι, και οτρατιίοτας ύκτακοοίονς εις φυλα- κών κατέλιπε. 11: Ιίαρ&άλων δε πυ- Άόμενος τους περί τον "Ερυχα τόπους προκατειληφθ-αι, νυκτός iv ταΐς ναυσι παρεκόμιοε δύναμιν £πιπεσ£υΐ' δε τοις φρουροϊς τοΰ Αίγι0άλ?.ου εκνρίενοε τον χωρίου, και περιγενόμενος οί:ς μεν άπέκτεινεν ονς δε εφνγάδενσεν εις τον "Ερνκα · και τό μεν φρονριον τρισχίλιοι οτρατιώται εφνλαξαν. An-

Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM Eryx. 463 setzung der Karthager kann nicht von Dauer gewesen sein, denn im Jahre 243, als Hamilkar Barkas in die Verhältnisse am Eryx eingriff, hatten die Römer auch die untere Position wieder in ihrem Besitz'), ohne dass wir erfahren, wie das gekommen ist, da Polybios bei seiner nur summa- rischen Erzählung dieser Vorgänge den mehrmaligen Wechsel übergangen hat und von Diodor nur eben jenes erwähnte Fragment auf uns gekom- men ist. Zwischen diese beiden Stellungen der Römer schob sich nun Ha- milkar dazwischen, besetzte die Stadt Eryx und belagerte von ihr aus den Tempel, den er leider nicht hatte im Ueberfalle mit nehmen können. Er selber aber wurde wiederum von den Römern belagert durch ihre Stellung am Fusse des Berges, durch welche sie ihn von dem Lande abschnitten, so dass ihm nur ein einziger Ausweg nach der See zu übrig blieb 2). So stand man sich hier zwei Jahre lang gegenüber3). Durch was für Kämpfe dieser lange Zeitabschnitt ausgefüllt worden ist, darüber hat sich Polybios leider nur ganz allgemein geäussert: Alle Listen und Gewaltmittel der Belagerungskunst — so sagt er — brachten beide Parteien gegen einander in Anwendung, alle möglichen Entbehrungen ertrugen sie, alle Arten von Ueberfällen und Kämpfen ver- suchten sie, aber der Kampf blieb liier unentschieden; der Krieg fand auf andere Weise — durch die Seeschlacht bei den ägatischen Inseln — sein Ende4). Andere Nachrichten erlauben uns, dies schattenhafte Bild durch detailliertere Nachrichten etwas schärfer zu umreissen. Hamilkar — so heisst es bei Diodor — kam mit seinem Heere von der Seeseite her, er landete in der Nacht, erstieg selber an der Spitze seiner Armee die 30 Stadien entfernte Stadt Eryx, nahm sie, Hess die Ein- gesichts dieser Nachrichten, die den Aegithallos in unmittelbarste Verbindung mit dem Eryx bringen, ist die Vermutung neuerer Forscher, dass derselbe identisch mit dem von Ptolemaios genannten Aegitharsos sei und also das jetzige Cap Teocloro 20 km süd- lich vom Eryx, bezeichne, entschieden zurückzuweisen. Man vergl. darüber Meitzer, Gesch. d. Kurth. II 8-33. Holm, Gesch. Siciliens I 13, III 354. 1) Pol. I 58, 2: των 'Ρωμαίων τον "Ερνκα τηρονντων επί τε της κορυφής και παρά τι/ν ρίζαν, καΟ-άπερ εΐπομεν. 2) Pol. 158, 2: ό γαρ Άμίλκας . . . κατελάβετο τήν πάλιν των Έρυκίνων, ήτις ήν μ ε τ α ξ ν τ ij ς τ ε κ ο ρ ν φ Τ/ ς κ at τ ü>v προς τ f> ρ i'üy στρατοπεδευ- οάντων. ες ον συνέβαινε παραβόλως μεν υπομένειν καΐ διακινδυνενειν πο/.ιορχονμέ- νους τους την κ ο ρ ν φ ή ν κατέχοντας των ΖΡωμαίων, απίστως δε τους Καρχηδονίους αντεχειν των τε πολεμίων πανταχόθεν προσκειμένων και των χορηγιών ον ραδίως αν- τοϊς παρακομιζομένω ν ως αν τ •!/ ς θ- α λ ά τ τ η ς κ α ε να τ ό π ο ν κ α ι μ ί α ν π ρ ό σ- ο δ ο ν άντεχομένοις. 3) Pol. a. a. Ο. § 6: δν' ετη πάλιν εν τούτω τω τόπψ διαγωνιααμένους. 4) Ib. § 4: πάσας μεν αμφότεροι ταΐς πολιορκητικαΐς έπινοίαις και βίαις χρησάμενοι κατ' αλλήλων, παν δε γένος ενδείας άνασχόμενοι, πάσης δ' έπιΆ-έσεως και μάχης πειραν λαβόντες • . . ως αν Απαθείς και αήττητοι τίνες άνδρες ιερόν εποίησαν τον στέφανον.

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wohner soweit sie nicht niedergemacht waren nach Drepana bringen1). In den folgenden Kämpfen selbst hatte Haroilkar einmal einen bedeutenden Sieg erfochten, aber da seine gallischen Söldner unter Vodostor sich gegen seinen Befehl auf Beraubung der gefallenen Gegner eingelassen, wurden sie dabei von den Römern überfallen und gerieten in grosse Gefahr, ver- nichtet zu werden. Nur durch eine Schar von 200 Heitern, die zusammen- geblieben war, wurde weiteres Unheil abgewendet *). Ein anderes Mal erlitt Hamilkar durch den Konsnl Fundanius Fundulus, also im Jahre 243, eine empfindliche Schlappe; er bat um Auslieferung seiner Toten, die ihm aber höhnisch verweigert wurde: „Er solle lieber um freien Abzug der Lebenden bitten". Damals muss es also mit ihm recht bedenklich ge- standen haben. Aber bald macht er durch einen Sieg die Niederlage wieder gut, Fundanius muss seinerseits um Ausliefeinng seiner Toten bitten und erhält sie3). Eine besondere Rolle spielen in diesen Kämpfen die gallischen Söldner in karthagischen Diensten. Von einem Teil derselben — etwa 2000 Mann — wird auf die Stadt Eryx ein verräterischer Anschlag gemacht. Sie wollen sie den Römern in die Hände spielen. Aber der Anschlag wird entdeckt und vereitelt. Dieselbe Söldnerschar tritt dann in römische Dienste, wird mit der Wache des Tempels betraut, meutert auch hier und plündert das Heiligtum4). Alle diese Einzelziige sind zwar zur Belebung von Polvbios allge- meinem Berichte ganz wertvoll, aber sie genügen ebensowenig wie dieser Bericht selber, um uns ein klares und anschauliches Bild der ganzen mi- litärischen Lage und die deutliche Vorstellung davon zu geben, worauf sich die Anstrengungen beider Gegner im einzelnen richteten, welche Ab- sichten sie verfolgten, welche Bewegungen sie im Terrain gemach.t haben, welche Positionen sie einnahmen oder nehmen wollten, kurz wie wir uns den ganzen Gang der Ereignisse in diesen zweijährigen Kämpfen im ein- zelnen vorzustellen haben. Die Beantwortung dieser Fragen kann natürlich, soweit sie überhaupt

1) Diod. 24, 8: Βάρκας δε νυκτός καταπλεύαας xul την δύναμη· άποβιβάαας, αυτός πρώτος ηγησάμενος της αναβάσεως της πρός "Ερνκα, οναης σταδίων τριάκοντα παρελαβε την πάλιν και (Lücke) πάντας άνεΐλε, μετώκισε δε τονς λοιπούς εις τά Λρέπανα. 2) Diod. ib. 9,1: υτι τον ' Λμίλκον διαταςαμένον μη διαρπάζειν τονς στρατιώτης, Ούοδόστωρ ουκ έπείο9η καΐ πολλούς άπέβαλε των στρατιωτών • . . ώστε οι juhv πεζοί προγεγενημένης ευημερίας τηλικαύτης ονχ ΰτι μόνον ταντην ανέτρεψαν, άλλα xcd πάντες εκινδύνενσαν άπολέσ&αι, οι δε ιππείς ού πλείονς διακοσίων οντες ον μόνον εκ-ντονς διέ- σωσαν, άλλα και τοις άλλοις την άαφάλιιαν παρεσκενασαν. 3) Diod. 24, 9 2 u. 3. 4) Pol. II 7,8: die 2000 Gallier επεχείρησαν μεν και την πάλιν (.Eryx) καΐ τονς συμπολιορκονμένονς προδουναι, της δε πράξεαις ταύτης αποτυχόντες ήυτομόλ?/σαν προς τονς πολεμίους, .τ:;/ οις πιστεν&έντες πάλιν εσνληοαν το της 'Αφροδίτης της 1 Ερνκινης ιερόν.

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Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM Ertjx. 465 möglich ist, nur durch eine genaue Betrachtung der Oertlichkeit gegeben werden, wie sie sich heute noch dem Beschauer darstellt, und auf sie müssen wir daher zunächst unser Augenmerk richten (s. die Karte S. 472). Der Monte S. Giuliano, an dessen Identität mit dem alten Eryx nicht zu zweifeln ist1), ist einer der schönsten und stolzesten Berge, die ich kenne. Einsam aufragend nach allen Seiten hin, steigt er mächtig und steil vom Meere und aus der umgebenden Tiefebene auf. Er kann in seiner Form verglichen werden mit einer riesenhaften Ackerscholle, die schief geworfen mit ihrer Fläche nach oben liegt und nach allen Seiten hin mit ihren Bruchrändern schroff zur Tiefe absinkt. Besonders im Süden und Osten, wo der höchste Rand des Plateaus liegt, sind diese Felsab- stürze von gewaltiger Höhe und ζ. T. fast senkrechtem Fall, weniger steil und hoch sind sie dagegen nach Norden und Westen zu, wo das nach dieser Seite hin geneigte Plateau des Berges allmählicher in sie übergeht (s. Abb. 1). Der Gipfel des Berges erhebt sich bis zu 751 Meter, eine Höhe, die besonders deshalb imponierend wirkt, weil sie sich unmittelbar über dem Meere erhebt und nur 3 Kilometer in der Luftlinie vom Ge- stade entfernt ist. Auf der Spitze liegt heutzutage das kleine Städtchen S. Giuliano, das dem Berge seinen modernen Namen gegeben hat, mit mehreren Kirchen und dem Schlosse des Grafen Pepoli. Sonst befinden sich auf ihm nur vereinzelte Häuser. Der Berg ist vollkommen kahl, eine öde Stein- und Felsmasse und doch, oder vielleicht gerade deshalb von wunderbarer Schönheit und Schärfe der Formen und mit einer Aussicht vom Gipfel, die weit über die Ebene zu Füssen und die Berge Siciliens nach Ost und Süd, und noch weiter Uber Drepana, die ägatischen Inseln und das Meer nach Nord und West hinüberschaut. Der Umfang des Berges beträgt etwa 20 km, das obere Plateau hat etwa 2 km Breite und 3 km Länge, der Durchmesser des annähernd kreis- runden Berges beträgt an seinem Fusse etwa 6 km. Das ist der genau begrenzte Geländeabschnitt, auf welchem sich die von unserer TJeberlieferung geschilderten Operationen abgespielt haben. Wird unsere, an moderne kriegerische Verhältnisse gewöhnte Vorstel- lung auch durch die Kleinheit dieser Oertlichkeit in Erstaunen gesetzt, so dass wir kaum begreifen, wie die Armeen sich zwei Jahre lang auf diesem engbegrenzten Gebiet gegenübergestanden und herumgetummelt haben können, so ist doch anderseits gerade die geringe Ausdehnung des Terrains ein Umstand, der die Untersuchung ausserordentlich erleichtert und Resultate wahrscheinlich macht.

1) Pol. I 55, 7: ο δ' "Ερνξ tu τ ι μεν ΰρος παρά ϋ-άλατταν τί/ς Σικελίας εν παρά τ //ν Ίταλίαν κειμένη πλευρά, μεταξν Δρέπανων και Πανόρμου, μάλλον δ' ομορον και αννάπτον προς τα Δρέπανα. Das lässt keinen Zweifel. Ein Irrtum wie beim Heirkte — s. m. Aufsatz in cler Festschrift des Wiener JEranos zur Begrüssung der Philologen- vers. in Graz 1909 S. 225 f. — ist hier ausgeschlossen. Klio, Beiträge zur alten Geschichte IX 4. 3J

Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM 466 J. Kromayer,

Die vielen vorhin aufgeworfenen Fragen über den Gang der Ereig- nisse reduzieren sich im wesentlichen auf 3, aus deren Beantwortung alles andere folgt. Nämlich 1) Wo lag der Tempel der Aphrodite ? 2) Wo lag die Stadt Eryx? 3) Wo lag das römische Lager ? Der festeste Punkt, den uns die Beschreibung des Polybios gibt, ist die Lage des Heiligtums der Aphrodite. Auf dem Gipfel des Berges — sagt er ausdrücklich — das ist also dort, wo jetzt die Stadt S. Giuliano liegt *). Die Frage ist nur, ob der Tempel und der natürlich dazu ge- hörige Tempelbezirk, von dem auch eine Notiz Diodors ausdrücklich redet2), den ganzen Raum der heutigen Stadt eingenommen hat oder ob auch noch die alte Stadt Eryx in diesen Raum mit eingeschlossen war. Die letztere Annahme ist die herrschende. Sie stützt sich darauf, dass angeblich die alte Stadtmauer noch steht, welche die Stadt im Nordwesten begrenzte. Es kann nun nach den abschliessenden Untersuchungen von 0. Richter 3) in der Tat kein Zweifel darüber bestehen, dass diese Mauer, obgleich vielfach restauriert und ζ. T. ganz neu aufgerichtet, doch in ihren Hauptbestandteilen aus dem Altertum stammt, und dass viele in ihr verbaute Werkstücke bis in die punische Periode zurückgehen. Es kann auch darüber kaum ein Zweifel bestehen, dass die älteren Mauern, die der heutigen vorausgegangen sind, ungefähr dieselbe Trace eingehalten haben müssen, wie das schon Richter selbst mit Recht aus der Beschaffen- heit einzelner Türme geschlossen hat, und wie das eine ausgesprochen steile Böschung des Berges vorschreibt, die gerade unterhalb der Mauer abfällt. Aber ob diese Mauer die Stadtmauer gewesen ist, das ist eine ganz andere Frage. Wenn wir nämlich die Fläche der heutigen Stadt, wie sie durch diese Mauer festgelegt wird, betrachten, so finden wir, dass sie für Stadt und Tempelbezirk zusammen zu klein ist. Die heutige Stadt bildet ein gleich- seitiges Dreieck von nur etwa 3/i km Seitenlänge, hat also nur einen In- halt von knapp km. Ueber diese Grösse könnte dann auch die an- tike Stadt mit samt dem Tempel und seinem Bezirk nicht hinausgegangen sein, da die Naturgrenzen auf den beiden anderen Seiten durch die steil abstürzenden Felsen noch viel deutlicher vorgezeichnet sind (s. Abb. 2). Nun hören wir aber, dass der Tempelbezirk für sich allein zur Zeit seiner Blüte eine sehr beträchtliche Bevölkerung gehabt hat. Abgesehen von 1) Pol. I 55, 8: τούτον (τον "Ερνχος) «π' αντϊ/ς μεν της χορνφης ονσης επιπέδον, χεΐται το της Αφροδίτης της Έονχίνης ιερόν- 2) Diod. 23,9: Hamilkar (nicht der Barkas) im Jahre 260 v. Chr. τον "Ερνκα χατίβχαιρε πλ>)ν τον π ε ρι το ιερόν τόπον. Die Stadt muss dann später wieder besiedelt sein. 3) TJeber antike Steinmet ζ zeichen, Winkelmannprogramm Nr. 45 (1885).

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Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM Enjx. 467 der Priesterschaft war hier ein Heer von Hierodulen '). Siebzehn sicilische Städte hatten nach einem Beschlüsse des römischen Senates für den Unter- halt des Heiligtumes zu sorgen und eine Besatzung von 200 Mann ge- währleistete in der Kaiserzeit seine Sicherheit2). Das macht doch alles den Eindruck, als wenn wir es mit einer ausgedehnten Anlage mit ver- schiedenen Nebengebäuden, Kasernen etc., zu tun hätten. Die Besatzung aber war zu Zeiten des ersten Punischen Krieges noch viel beträchtlicher. Es gingen von Hamilkar allein mindestens gegen 2000 Gallier zu den Römern über und wurden zur Besatzung des Tenipelbezirkes mit ver- wendet 3). Wo soll das alles Platz gehabt haben, wenn noch dazu die Stadt Eryx in diesen kleinen Raum mit hineingezwängt war, in der Ha- milkar, wie wir gleich sehen werden, sein Lager hatte. Man hat allerdings bisher den Tempel auf die äusserste Ostspitze des Plateaus versetzen wollen, wo ein abgesprengter und von allen Seiten b

Abb. 2. Planskizze der Stadt S. Giuliano (nach Richter), a: Kastell Pepoli, b—c: die Nordwestmauer des Tempelbezirks, d: Schloss Pepoli. Maßstab 1:25 000. isolierter Fels liegt, der heute das sogenannte Kastell trägt und nur durch einen schmalen Grat mit dem übrigen Plateau zusammenhängt. Man hat sich dabei auf eine Notiz Diodors gestützt·, der (IV 78, 4) berichtet, der Tempel habe hart am Rande des Abhanges gestanden und sei durch eine kühne Futtermauer gestützt gewesen. Diese Futtermauer hat man in einer noch heute am Kastell teilweise erhaltenen Substruktion wiederfinden

1) Strabo YI 2, 5 C 272: οικείται δε και ό "Ερυξ λόφος υψηλός, ιερόν εχων 'Αφρο- δίτης τιμωμενον διαφερόντως ιεροδονλων γυναικών πλήρες τό παλαιύν, ίΐς άνέ&εοαν κατ tvyjjv ο" τ' εκ της Σικελίας και εξωβ-ev πολλοί. 2) Diodor IV 88,7. 3) Pol. II 7, 8 s. oben S. 464 A. 4. Die Schar war im Anfange des Krieges über 3000 Mann stark und betrug im Jahre 230 noch immer 800 Mann (Polyb. II 5,4). Man kann sie also 13 Jahre früher, als sie zu den Römern überliefen kaum niedriger veranschlagen, als im Text geschehen ist, da ihr Durchschnittsverlust im Jahre einige 70 Mann beträgt, und in den späteren Jahren der natürliche Abgang stärker als in den früheren gewesen sein wird. 31* 7

Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM 468 J. Kromayer, wollen x). Aber diese Annahme ist sehr unwahrscheinlich, da der Felsen des Kastells für einen Tempel auch nur massiger Grösse doch allzu klein erscheint. Er hat nämlich nach meiner Abschreitung nur 314 Schritt im Umfange und dabei eine unregelmässige Form. Auch könnte Polybios dieses abgesprengte Felsstück nicht als κορυφή έπίπεδος des ganzen Berges bezeichnet haben (s. unten Anm. 2); denn es ist weder der höchste Punkt noch eben. Der Tempel kann aber ferner auch nicht auf dem östlichsten Teile des Plateaus selber gelegen haben, da wo sich jetzt das Schloss des Grafen Pepoli befindet. Denn dieser Teil des Plateaus liegt tiefer als seine Umgebung. Man hätte den Tempel dann weder vom Meere, noch vom Lande her sehen können. Die einzige für ihn passende Stelle ist m. E. der höchste Punkt des Berges überhaupt, der Punkt 751, den heut- zutage die Kirche S. Giuliano einnimmt, die vielleicht geradezu auf den Fundamenten de3 alten Tempels erbaut ist und auch noch ziemlich nahe am Ostabsturz des Plateaus liegt. Aber selbst wenn man zugeben wollte, dass der Tempel auf dem Felsen des Kastells gelegen haben könnte, so wäre damit nicht viel ge- wonnen. Denn für die anderen zugehörigen Gebäude und den ganzen Tempelbezirk müsste der Raum doch auf dem Plateau selber gesucht werden, und dieser Raum muss ausserdem noch eine Befestigung und zwar eine sehr starke gehabt haben, da Hamilkar mit seiner ganzen Armee zwei Jahre lang davor lag und sie nicht nehmen konnte. Wo bleibt für diese Befestigung der Platz und wo bleibt das natürliche Hindernis, durch das sie verstärkt wurde. Das Terrain der Stadt S. Giuliano fällt inner- halb der Stadt ziemlich gleichmässig ab. Es ist keine solche Stufe vor- handen, wie bei der sog. Stadtmauer und es ist im höchsten Grade un- wahrscheinlich, dass eine nur durch Kunst hergestellte Befestigung sich gegen so überlegene Streitkräfte, wie das ganze Heer des Hamilkar war, zwei Jahre lang gehalten haben sollte. So drängt uns alles zu dem Schlüsse, dass die heutige Stadtmauer von S. Giuliano nicht die Mauer der alten Stadt Eryx gewesen ist, son- dern die Befestigungsmauer des Tempelbezirkes, und dass wir die Stadt selber weiter unten am Berge, ausserhalb der modernen Stadt zu suchen haben. Darauf weist uns nun auch die Schilderung des Polybios selbst, wenn wir sie aufmerksam betrachten, ganz deutlich hin. Der Tempel — sagt er — liegt έπ' αύτής της κορυφής, die Stadt aber ϋπ' αυτήν την κορυφήν 2).

1) Man vergleiche darüber Meitzer, Gesch. d. Karthager II 344 und Holm Gesch. Siciliens III 354. Die Stelle der Futtermauer ist auf Abb. 2 bei dem Buchstaben a, durch einen dicken Strich bezeichnet. 2) Pol. I 55,8: τούτον (τον "Έρνκος) in αντης μεν της κορυφής οναης inmtäov, κείται το της 'Αφροδίτης της Έρνκίνης 'ιερόν ... η άε πάλι ς νπ αντην την κορυφην τεταχται.

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Nun senkt sich allerdings das Terrain innerhalb der Stadt S. Giuliano ziemlich stark. Ich taxiere etwa 60 m. Aber im Vergleich zu dem grossen Umfang des Berges von 20 km und seiner bedeutenden Höhe von 751 m ist dieses kleine Fleckchen eben doch nur die κορυφή selber. Es wird niemanden, der an Ort und Stelle gewesen ist, einfallen zu sagen, das Schloss des Grafen Pepoli liegt auf und die Stadt S. Giuliano unter dem Gipfel. Auch dass Polybios den Gipfel selber als έπίπεόος (eben) bezeichnet, beweist, dass er damit nicht einen Punkt, sondern eine ganze grössere Fläche verstanden wissen wollte, was nur auf das ganze Plateau der Stadt S. Giuliano passt. Und wenn er endlich hinzufügt, die Stadt Eryx liege zwischen dem Gipfel und dem Lager der Römer am Fusse [μεταξύ της τε κορυφής και των προς τή §ίζΐ] στρατοπεδευσάντων) so weist auch das bei unbefangener Auffassung ebenso entschieden auf eine tiefere Lage der Stadt selber hin, wie die Bemerkung, dass die Römer durch ihr Lager am Fusse des Berges auch die Stadt Eryx mit hätten decken wollen. Dieselbe war also offenbar durch die Besatzung des Tem- pels nicht mit geschützt1). Aber wo soll man in aller Welt diese Stadt suchen? Holm, der die entwickelten Schwierigkeiten auch schon in vollem Masse würdigt, hat an die Südseite des Berges gedacht, wo auf einer Felsstufe jetzt das Kapuzinerkloster liegt2). Der Platz wäre an sich für eine antike Stadt nicht so ungeeignet, wenn auch etwas klein. Aber wie soll Hamilkar mit seiner Armee hierher gekommen sein ? Senkrechte Felsabstürze be- grenzen den Platz nach Süden hin, in deren Ritzen nur Kletterpfade hinauf führen konnten, ehe die wunderbare Kunststrasse gebaut war, die jetzt in vielen Windungen den Berg hinaufführt. Und wie konnte er von hier aus den Tempel hoch oben auf dem Berggipfel belagern, da ebenso steile Felsen von hier aus zur Spitze hinansteigen. Wie konnte er von hier aus eine Verbindung mit dem Meere aufrecht erhalten? Das alles sind Unmöglichkeiten. Wir müssen die Lage der Stadt in ganz anderer Rich- tung suchen, und bei Erwägung der gesamten Gestalt des Berges ergibt sich von vornherein als das Wahrscheinlichste, dass sie auf dem oben geschilderten Plateau des Berges selber etwas tiefer als der Gipfel, also im Norden oder Nordwesten der heutigen Stadt S. Giuliano gelegen hat, wohin ja das Plateau bedeutend abfällt. Allerdings haben sich hier bis- her nirgends Anhaltspunkte im Terrain gefunden, und das ist wohl der Hauptgrund, weshalb man von einer solchen Annahme immer wieder abgegangen und zu der unmöglichen Ansicht zurückgekehrt ist, die Stadt habe den Platz des heutigen S. Giuliano eingenommen. Indessen hat man da nur nicht gründlich genug gesucht. Denn an einer Stelle sind in der Tat die gewichtigsten Anhaltspunkte für die Existenz einer sehr alten Ansiedelung vorhanden.

1) S. S. 464 Anm. 4. — 2) Geschichte Siciliens III 354.

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Schon früher haben einheimische Forscher die Beobachtung gemacht, dass im Nordwesten der Stadt S. Giuliano Reste von offenbar sehr alten Befestigungen bestehen. Sie sprechen von einer Gegenmauer oder- viel- mehr Graben (contromuraglia ο piutosto trinciera) der sich 1 Miglie (l1/2 km) entfernt von der jetzigen Stadtmauer und parallel mit ihr von Südwest nach Nordost (dal libeccio in maestro) hingezogen habe und zwar von der Quelle Chiaramosta bis zu der verfallenen Kirche Sta. Maria della Scala, mit Resten von Türmen oder Basteien (un qualche αυαηζο notcibüe delle torri ο bastite) besonders eines hervorragenden in der Nähe der erwähnten Quelle, der aus grossen quadratischen Steinen ohne Cement bestehe (ci gross i macigni riqiiadrati senza cemento). Diese — wie es scheint — ganz vergessenen, wenigstens ganz unbe- achtet gebliebenen Bemerkungen fand ich in einem Manuskript der Biblio- theca Fardelliana in Trapani und zwar in dem auch von Mornmsen er- wähnten, aber, so viel ich weiss, ungedruckt gebliebenen Werke des Lokal- gelehrten Antonio Cordici aus Trapani, der im 17. Jahrh. gelebt und ein Werk la istoria della citta del monte in mehreren Bänden geschrieben hat. Erweitert und offenbar durch Autopsie ergänzt, finden sich dann dieselben Angaben wieder in dem Werke des Castronovo Erice, oggi monte S. Giuliano Palermo 1872. Diese für mich äusserst wichtige Entdeckung veranlasste mich, den Platz selber aufzusuchen und den Herrn Hauptmann Yeith zu bitten, ihn kartographisch und photographisch aufzunehmen und seine Beobachtungen schriftlich darüber zu fixieren. Das Resultat ist folgender Bericht mit der dazugehörigen Skizze und Photographien.

Bericht Uber die vermutlichen Reste der Stadt Eryx. (Hierzu die Detailskizzen auf der Karte zu Eryx.) „1. Die Quelle bei Abb.0 hat kein Wasser, dagegen hat die Quelle bei casa Grangi viel Wasser. 2. Knapp nördlich Abb.0 bei α eine flache kreisrunde Kuppe. Durch- messer des Kreises 70 Schritte. Profil des Rondeaus in 1 :1500 s. Skizze. Stellenweise am inneren Rande des ebenen Kreisganges regelmässig angeordnete grosse Steine von 1—3 Quadratfuss Oberfläche. Die Ober- fläche derselben ist gleichmässig flach, wie bei Pflastersteinen. Durch die Mitte des Kreises zieht sich von Ost nach West eine deutliche Rippe, scheinbar eine vor sehr langer Zeit zusammengestürzte Mauer (s. Abb. 3). 3. Von α (unter der Kuppe herum) bis b zieht ein Steilabfall von ca. 45 0 Neigung und durchschnittlich 50 m Höhe. Unter seinem oberen Rand ist eine fortlaufende Stufe eingeschnitten, deren etwa 1 m breiter Boden mit 2 Reihen verschieden grosser, aber regelmässig angeordneter und behauener Steine belegσ t ist. Die innere Reihe liego t etwas höher.

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Die Steine sind, wie aus der Photographie (Nr. 4) zu entnehmen ist, teil- weise verschoben und verwittert. 4. Zwischen δ und c gleichfalls steiler Abfall gegen eine von c herab- ziehende schluchtartige Mulde mit ziemlich breiter Sohle. 5. Zwischen c und d senkrechte Felsenwand, Höhe 4—8 m. Spuren künstlicher Bearbeitung daran jetzt nicht zu sehen. Die Wand ist viel- fach von Geröll verschüttet. 6. Yon α gegen d im Bogen um die ehemalige Quelle herum eine deutlich auf künstliche Arbeit zurückgehende Terrainstufe. 7. Das Terrain innerhalb ciicd ist sehr flach gebösclit, erscheint dem Auge nahezu als Ebene."

Steine des Kreisganges Steinrippe

Abb. 3. Burg der Stadt Eryx.

Aus diesem Bericht geht hervor, dass wir es nicht nur mit einer Gegenmauer oder Graben zu tun haben, wie die früheren Beobachter mein- ten, sondern dass an dieser Stelle offenbar einmal eine starke Befestigung von fast quadratischer. Form und etwa 2 km Umfang gelegen hat, mit einer Sonderbefestigung in der Nordwestecke, einem in seinem Umfange gewaltigen, burgartigen Bau unmittelbar über der Quelle und zu deren Schutz, eine Anlage, die man als Akropolis der Stadt bezeichnen könnte. Ueberhaupt ist ja diese ganze Lage typisch für eine antike Stadt: ein kleines, halbinselartig vorspringendes Plateau, auf drei Seiten durch die steilen, natürlichen Abstürze des Berges, auf der vierten durch eine nicht unbeträchtliche Ueberhöhung gegen das sonst ansteigende Gelände trefflich geschützt, das ist eine Stadt und Burganlage, wie sie nicht cha-

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Brought to you by | Johns Hopkins University Authenticated | 128.220.68.44 Download Date | 4/13/14 5:12 PM 472 J. Kromayer, rakteristischer gedacht werden kann. Auch Wasser war dabei. Noch heute holen die Bewohner von S. Giuliano ihr Wasser bei der Quelle von Casa Grangi. Auch die zur Zeit unserer Anwesenheit trockene Quelle bei Abb.0 wird früher Wasser gehabt haben. Dass wir hier die Stätte und die Reste der alten Stadt Eryx vor uns haben, dürfte kaum ernst- haften Zweifeln begegnen. Denn durch diese Lage der Stadt wird nun auch die ganze militäri- sche Situation der Hamilkarkämpfe am Eryx mit einem Schlage erhellt und die Beschreibung des Polybios im einzelnen klar und anschaulich ge- macht. Wenn Tempelbezirk und Stadt etwa 600 m von einander entfernt lagen; getrennt durch ein ziemlich stark ansteigendes Gelände; die Stadt

Abb. 4. Stadtmauer von Eryx (Nordseite). etwa 200 m unter dem Gipfel und fast 150 m unterhalb der Tempelbe- zirksmauer, der jetzigen Stadtmauer von S. Giuliano, wenn ferner beide Plätze, jeder für sich, stark befestigt und ohne Verbindung untereinander waren, so erkennen wir sofort, weshalb Polybios schon bei seiner ersten Erwähnung von der Besitznahme des Berges durch die Römer im Jahx-e 244 ausdrücklich hervorgehoben hat, dass der Konsul nicht nur den Tempel- bezirk, sondern auch die Stadt selber in seine Gewalt gebracht hatte (s. S. 462 Anm. 1). Denn das verstand sich bei dieser Situation durchaus nicht von selber. Ebenso klar ist es ferner aus der Lage der Stadt im Norden des Tempels, weshalb Hamilkar die Stadt eher überrumpeln konnte als den Tempel, und warum er diesen nicht mehr erreichte. Er kam ja vom

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Heirkte bei Palermo, landete also im Norden, ohne Zweifel bei der Ton- nara di Bonagia, wo heute noch ein frequentierter Landungsplatz für Küsten- schiffe ist; und stieg von da noch in der Nacht den Berg hinan. Auf die Stadt stiess er natürlich zuerst. Er machte sie zu seinem Hauptstütz- punkte, richtete sich in ihr mit seinen Soldaten ein und versetzte, um mehr Platz in dem immerhin kleinen Räume zu haben, die Bewohner nach Drepana. So hatte er sich also, wie Polybios ganz richtig sagt, zwischen die Römer auf der Spitze des Berges und am Fusse desselben auf der Seite nach Drepana zu, durch seinen Ueberfall dazwischen ge- schoben und zwar von einer Seite her, von der man ihn am wenigsten er- warten mochte. Denn die karthagischen Streitkräfte in der Nähe des Eryx waren ja in Drepana konzentriert und von hier aus war, wie wir gleich sehen werden auch der frühere Angriff Karthalos ausgegangen. Ferner sehen wir, welches die von Polybios erwähnte einzige Verbindung Hamilkars mit dem Meere, und sein einziger Hafen gewesen ist (S. 463 A. 2). Es war der Weg, den er gekommen war, und die Tonnara di Bonagia. Denn das ist die einzige leidliche Landungsstelle, die es hier an dem ganzen Gestade gibtx). Auch die Entfernung der Stadt Eryx vom Meere, die uns bei Diodor auf 30 Stadien angegeben wird, lässt sich als eine mit den wirklichen Verhältnissen ziemlich gut stimmende Schätzungsentfernung be- trachten2). Endlich liegt jetzt auch das Feld für die der Besetzung folgende Tätig- keit der Heere klar vor Augen: Es ist das oben beschriebene Plateau des Monte S. Giuliano fast in seiner ganzen Ausdehnung. Die von Diodor erwähnten Kämpfe und gegenseitigen Schlappen, die die Heere sich in grösseren oder kleineren Scharmützeln beibrachten (S. 464), werden wir in erster Linie hier zu lokalisieren haben. Auch die Anstrengungen, welche Hamilkar gemacht hat, um sich des Tempelbezirkes zu bemächtigen, treten jetzt in ihrer Bedeutung besser hervor. Es handelte sich eben nicht bloss um einen einfachen Tempel, sondern um einen ganzen Bezirke, ein Objekt von verhältnismässig be- deutender Grösse und mit einer entsprechend zahlreichen Besatzung. Wäre bei den Aktionen am Berge Eryx nur das Fleckchen auf der Felsspitze des Kastells Pepoli in Frage gekommen, so muss man sagen, dass der ganze Hergang der Ereignisse überhaupt kaum verständlich wäre. Aber ehe wir versuchen, uns hiernach von dem Hergang der zvvei- 1) "W. H. Smyth, memoir of Sicily and his islands 1824 sagt in seiner sehr sorg- fältigen Küstenbeschreibung Siciliens p. 247: inside of point Emilia is the fine and extensive tonnara di Bonazia . . defended by a sconce in good condition, and pos- sessing a tolerable anchorage for the coasting vessels that go there to load fish. Andere Landungsplätze erwähnt er hier nicht. 2) Diodor s. S. 464 Anm. 1. — 30 Stadien sind 5,28 Kilometer. Die Luftlinie beträgt allerdings nur 2,5 Kilometer, aber dazu kommen 500 Meter Steigung. Das wären nach Touristenschritt im Gebirge bergauf etwa l3Ai Stunden.

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jiilirigen Kämpfe im einzelnen eine Vorstellung zu machen, müssen wir noch erst den dritten Punkt festzulegen trachten, der dabei eine wichtige Rolle spielt, nämlich die Position des römischen Lagers am Fusse des Berges, welches nach Polybios' oben (S. 462 Α. 1) erwähntem Berichte, auf der Seite nach Drepana zu angelegt worden war. Nach dieser Seite hin schiebt nun der Monte S. Giuliano — man ver- gleiche die Karte und Abb. 1 — zwei Ausläufer wie 2 riesige Bastionen vor: den Pizzo Argenteria mit dem Kirchlein Sta. Anna im Süden und den Pizzo Roccazzo mit der Regione Martogna im Norden. Zwischen ihnen zieht sich eine breite Mulde mit langsamer Steigung den Berg hinan. Zwei Wege führen in ihr von Trapani aus auf den Berg, ein dritter umgeht den Pizzo Argenteria von Süden her, und läuft bei Sta. Anna mit dem einen der beiden nördlicheren zusammen. Alle diese Wege sowie überhaupt die ganze Gegend von Trapani über- sieht man wunderbar vom Pizzo Argenteria bei Sta. Anna aus. Dieser Punkt musste daher bei einem Lager, das den Berg gegen Angriffe von Drepana her decken sollte, mindestens einen Beobachtungsposten haben und auch das Lager selbst werden wir uns ganz in der Nähe, nördlich oder nordöstlich des Pizzo Argenteria zu denken haben, wo das Terrain sehr wohl dafür geeignet ist und wo man zugleich nahe genug war, um einen AufstiegΟ der Feinde über die Martognc5 a zu hindern. Gefunden habe ich hier keine Reste. Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich bei eingehenderem Suchen vielleicht doch noch etwas entdecken lässt, und die Oert-lichkeit im allgemeinen kann ja nicht zweifelhaft sein. Wir werden demnach den Pizzo Argenteria als den Aigithallos oder Akellos Diodors in Anspruch zu nehmen haben, den die Römer schon gleich bei ihrem Ueberfall im Jahre 249 besetzt hatten, und den Karthalo dann auf kurze Zeit ihnen wieder von Drepana aus entrissen hatte (s. oben S. 462). Wie mussten sich nun bei dieser Lage der drei hauptsächlichsten Po- sitionen die Kämpfe am Eryx im einzelnen gestalten? Die erste Aufgabe Hamilkars, die Bestürmung des Tempels, hatte ihren Schauplatz natürlich in dem erwähnten etwa 600 m breiten Streifen zwischen Stadt und Tempeibezirk. Ihr Objekt war die oben erwähnte, noch heute vorhandene Mauer, die wenn auch in grossenteils anderer Ge- stalt, so doch wie erwähnt ohne Zweifel auf ungefähr derselben Linie liinlief. Dass eine Bestürmung des Tempelbezirkes überhaupt nur an dieser Stelle möglich war, leuchtet ja ohne weiteres ein: nicht minder aber, dass sie bei dem stark ansteigenden Terrain und bei dem Vorhandensein der oben erwähnten bedeutenden Terrainabdachung, auf der die Mauer hin- läuft, auch hier noch ganz ungewöhnliche Schwierigkeiten bieten musste. Es erklärt sich also die Tatsache, dass Hamilkar den Tempel nicht nehmen konnte, sehr befriedigend aus der Natur des ganzen Geländes. Je weniger aber eine Bestürmung unmittelbare Aussicht auf Erfolg

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bot, um so mehr musste die zweite Aufgabe in den Vordergrund treten, den Tempelbezirk möglichst von Zufuhr und Verbindung mit der Aussen- welt abzuschneiden. Nun wird das Plateau des Berges im Süden von einem fast senk- rechten, etwa zwei Kilometer langen Felsabsturze begrenzt, und der ein- zige Weg, welcher ohne Kunstbauten bequem gangbar ist, geht von der Stadt S. Giuliano in südwestlicher Richtung auf dem Plateau des Berges unmittelbar am Abstürze hin mit fortwährendem herrlichem Weitblicke nach Norden, Süden und Westen hinab nach Trapani. Er ist noch heute trotz der viel bequemeren Kunststrassen der von Fussgängern und Maul- tieren begangenste Pfad des Berges, gepflastert, und ζ. T. mit chaussee- mässigem Unterbau. Vor dem Bau der grossen Kunststrassen, die an der Süd- und Ostseite mit vielen Windungen die sonst unersteiglichen Felsstufen nehmen, muss er die einzige in Betracht kommende Verbindung der Stadt oben mit Trapani gewesen sein. Das schreibt die Natur des Geländes so vor. Diesen Weg zu sperren, war also für Hamilkar das erste Erfordernis und zwar um so mehr als durch ihn ja zugleich die Verbindung des Tem- pels mit dem römischen Lager hergestellt wurde. Er musste also unter allen Umständen seine Positionen bis an den nur etwa 700 m von der Stadt Eryx entfernten Plateaurand vorzuschieben versuchen. Und anderseits mussten die Anstrengungen der Gegner sich darauf richten, diese Verbindung mit aller Kraft frei zu halten. Hier haben wir also den zweiten Hauptschauplatz der Hamilkar- kämpfe zu suchen. Mit welchen Mitteln man hier gefochten hat, ob Hamilkar, ähnlich wie die Athener vor Syrakus, eine Einschliessungsmauer, ob die Belagerten Gegenmauern gezogen haben, und Aver in der Behauptung der wichtigen Position schliesslich Sieger geblieben ist, das vermögen wir nicht mehr zu sagen, da Polybios schweigt und die Details, die Diodor gibt, keinerlei topographische Aufklärungen enthalten. Nur das wird man mit Sicherheit annehmen dürfen, dass sich die Bemüh- ungen beider Parteien nicht auf diese zwei genannten Punkte beschränkt haben. Man kann sich ζ. B. kaum des Gedankens erwehren, dass die Mar- togna mit ihrer für den nordwestlichen Teil des Berges beherrschenden Position hier eine grosse Rolle gespielt haben muss, sei es dass die Römer sie zu besetzen suchten, um Hamilkars Verbindung mit dem Meere im Norden zu bedrohen, sei es dass Hamilkar ihnen zuvorkam und hier seiner- seits eine Landverbindung mit Drepana zu gewinnen suchte. Diese Gegend würde also den dritten Schauplatz für unsere Kämpfe abgeben, und hier würden wohl am ehesten die Gefechte mit Fundanius Fundulus anzusetzen sein, von denen oben (S. 464) die Rede gewesen ist. Wir hätten dann hier Kämpfe um eine beherrschende Position vor uns,

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ähnlich wie sie in Casars Kriegen so oft geschildert werden, und der wieder- holte schnelle Umschlag des Kriegsglückes würde sich daraus gut erklären. Auch hier kann man bei dem Mangel aller Einzelnachrichten natür- lich nichts über den Ausgang dieser Bemühungen sagen. Endlich aber musste Hamilkar, wenn er eine Abschliessung des Tem- pelbezirkes von der Aussenwelt wirklich durchführen wollte, sein Augen- merk auch auf den Süd- und Ostabhang des Berges richten. An eine völlige Cernierung war freilich bei der Anwesenheit eines starken römischen Heeres an der Westseite des Eryx nicht zu denken, und die felsige Natur des Berges verbot sie schon an und für sich. Aber Versuche, durch mobile Detachements die schwierigen Kletterpfade, welche hier den Berg hinaufführten, zu beobachten und die spärliche Zufuhr weg- zuschnappen, die hier auf Menschen- oder Maultierrücken heraufgebracht werden konnte, dürften doch kaum gefehlt haben. Dass es dabei auch in diesen Gegenden zu manchen Scharmützeln und Gefechten kommen konnte und musste, versteht sich von selber. Und so hätten wir damit den vierten und letzten Schauplatz dieser Kämpfe zu verzeichnen. Es ergibt sich also aus dem allem ein wenigstens in den grossen Zügen durchaus greifbares Bild der Bewegungen und Kämpfe am Eryxberge, ein Bild, dessen einzelne Teile aus Belagerungskrieg, Kleinkrieg und schlacht- artigen Kämpfen bestehen und uns in ihrem Zusammenhang das Gemälde der grossen kriegerischen Gesamthandlung· in leidlich klaren Zügen er- kennen lassen. Was dieser Gesamthandlung allerdings fehlt, um ein erstklassiges hi- storisches Interesse wachzurufen, das ist ein grosser dramatischer Ab- schluss, die Katastrophe des einen oder anderen Teiles der streitenden Gegner. Aber gerade dafür, weshalb ein solches positives Resultat der Anstrengungen hier ausgeblieben ist, gibt uns wiederum die Betrachtung des Geländes recht eigentlich erst den Schlüssel des Verständnisses. Die Positionen, welche beide Parteien inne hatten, waren ja, wie die Felsennatur des Geländes noch heute erkennen lässt, so fest, dass an eine Erstürmung derselben durch offene Gewalt bei den beschränkten Mitteln, über welche die alte Belagerungskunst verfügte, und bei den annähernd gleichen Kräften der Gegner nicht gedacht werden konnte. Das gilt so- wohl von dem Tempelbezirk, als von der Stadt Eryx und von den Posi- tionen auf der Martogna mit seinem Pizzo Roccazzo und der bei Sta. Anna mit ihrer nach allen Seiten hin beherrschenden Anhöhe. Eine Aus- hungerung war aber anderseits auch kaum durchzuführen, denn beide Teile besassen ihre Verbindungen nach rückwärts, in denen sie nicht ernstlich bedroht werden konnten. Hamilkar hatte die seine nach Norden und zum Meere hin, den Römern stand das ganze Festland Siciliens nach Süden und Osten hin zur Verfügung. Nur die Ermattung des einen der beiden Teile oder ein glücklicher Zufall konnte auf diesem Terrain ein Ende des

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Kampfes herbeiführen. So wird es verständlich, dass die Entscheidung von aussen her gekommen ist: durch die Seeschlacht an den ägatischen Inseln. Denn mit dem Ausschluss vom Meere war Hamilkar in dieser Position dem Hungertode verfallen.

Ich habe diese Untersuchung im Titel als eine militärisch - archäo- logische Studie bezeichnet und möchte deshalb, nachdem ich die mi- litärische Seite der Sache erledigt habe, noch zum Schlüsse mit einem kurzen Worte die archäologischen Resultate berühren, die in ihr enthalten sind. Wir haben versucht zu erkennen, was das Auge auf der Oberfläche des Bodens erreichen kann. Das Resultat kann aber auch hier erst voll- kommen werden, wenn der Spaten seine Tiefarbeit beginnt. Am leichtesten wäre das bei der Stadt Eryx zu erreichen. Es würde sich hier nur darum handeln ein Stück Land von wenig mehr als km Grösse zu erwerben und zwar ein Stück Land, welches keine Gebäude trägt und auch sonst so gut wie ganz wertlos ist, da nichts darauf wächst und es nur aus Fels- und Steingeröll besteht. Es würde sich bei solchen Arbeiten vielleicht ein genauerer Plan der Umfassungsmauer und der Burg, vielleicht auch Reste von Strassen und Häusern im Inneren feststellen lassen. Steinmetzzeichen, wie man sie auf Werkstücken der Tempelbe- zirkmauer gefunden hat, und datierbare Einzelfunde aus dieser recht alten Periode, könnten auch hier vielleicht noch wertvolle Aufschlüsse geben. Denn es ist ja in dem genau bekannten Datum der Zerstörung ein sicherer terminus ante quem gegeben. Weit lohnender, aber auch weit kostspieliger, würde dann zweitens eine Aufdeckung des Tempelbezirks oder wenigstens eines Teiles davon sein. Die Stadt S. Giuliano ist eine sterbende Stadt. Alle Jahre verödet sie mehr, da die Einwohner in die tiefer gelegenen Ortschaften auswan- dern. Der Ankauf solcher verlassener Häuser dürfte nicht allzuhoch zu stehen kommen, und die Möglichkeit, wieder eines der berühmtesten Heiligtümer des Altertums aufzudecken, wäre schon einiger Opfer wert. Es ist nicht ausgeschlossen, dass solche systematisch und konsequent be- triebenen Nachgrabungen den Eryx zu einem italischen Dodona oder Epi- dauros ausgestalten könnten.

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