Spiel Ohne Ball
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14 Sport Mittwoch, 30. Dezember 2020 Benjamin Huggel, 43 – Meister mit dem FCB: 2002, 2004, 2005, 2008, 2010, 2011, 2012; Rücktritt: 2012. Marco Streller, 39 – Meister mit dem FCB: 2004, 2008, 2010, 2011, 2012, 2013, 2014, 2015; Rücktritt: 2015. Am Schluss dieser Geschichte spaziert Alex Frei in die dunkle Nacht hinaus, Spiel mit einem Rucksack und einem Traum, von dem er bis vor kurzem vielleicht noch gar nicht wusste, dass er ihn hat. Das Leben ist kein Traum. ohne Ball Alex Frei, Marco Streller und Benja- min Huggel waren bedeutende Spieler des FC Basel. Und jetzt – jetzt kommt das erste Jahr seit mehr als einem Jahr- Alex Frei, Marco Streller zehnt, in dem keiner von ihnen im FCB und Benjamin Huggel waren angestellt ist. Aber es gibt eine neue Verbindung: die Erfahrung, dass es nicht prägende Figuren des FC Basel. so leicht ist, nach der Karriere den pas- senden Weg zu finden. Seit diesem Jahr sind sie alle «Egal, wer von uns irgendetwas weg vom Klub – und jeder erfährt, machte – die anderen haben nichts daraus gelernt», sagt Streller. Frei sei wie schwierig es ist, sich nach in Luzern drauflosgerannt, Rücktritt als Spieler, sogleich Sportchef im FC der Karriere zurechtzufinden. Luzern, «ins kalte Wasser, bumm, voll Von Benjamin Steffen (Text) am Limit». Er, Streller, habe davon ge- wusst, «und dennoch machte ich später und Karin Hofer (Bilder) dasselbe». Sportdirektor im FC Basel, zwei Jahre nach dem Rücktritt als Spie- ler, kaltes Wasser, bumm. Alle standen sie für dasselbe. Für die Stadt, für den Klub, für Titel. Frei, Streller, Huggel: allesamt Alphatiere mit scheinbar unverbrüchlichen Bezie- hungen zum FCB. Von 2010 bis 2017 ge- wann der FCB stets den Meistertitel, sie prägten den Anfang dieser Serie, bis zu Huggels Rücktritt 2012.Alle Berufsbas- ler, aber Streller war der Vollprofi. Der grösste FCB-Fan mit den grössten Emo- tionen und der grössten Integrations- kraft. Frei: am torgefährlichsten und am wenigsten gesellig. Sassen andere nach dem Essen noch zusammen, zog er sich aufs Zimmer zurück. Huggel: eigentlich ein umgänglicher Typ, aber im Team der professionelle Bad Guy, latent hässig, wie er selber sagt, aus lauter Ehrgeiz, dem Erfolg zuliebe. Seine Rolle. Ende November 2020,Alex Frei steht in der Cafeteria im Sportpark Bergholz, Wil, vor einer leeren Kaffeemaschine. Er öffnet Kästchen und Schubladen: «Wo sind die Bohnen?» Er findet sie, füllt die Maschine nach, voilà.Wieso ist der erste Schritt nach der Karriere so schwie- rig? «Ich glaube nicht, dass der erste Schritt schwierig ist», sagt Frei, «aber Alex Frei, 41 – Meister mit dem FCB: 2010, 2011, 2012, 2013; Rücktritt: 2013. Mittwoch, 30. Dezember 2020 Sport 15 der zweite.» Als ginge man den ersten denkst: Ich gebe mein Bestes, ich gebe schiedenheiten, letztmals im August, als Schritt noch unbewusster und dächte mein Herz – und es funktioniert nicht. ihm ein Vertragsangebot als Cheftrai- Hass? Liebe! erst vor dem zweiten nach. «Ich würde Und ich weiss nicht, was ich machen soll. ner vorlag. Frei, bis dahin U-21-Coach, Michelle Gisin gewinnt als erste sagen: Nach dem zweiten Schritt ist man Ich kenne solche Situationen vom Platz, spürte etwas Halbherziges bei dieser näher bei der Realität.» und da sagte ich: Gib mir den Ball, und Offerte und ging. «Mir gelingt es relativ Schweizerin seit 2002 im Slalom Freis Realität ist der FC Wil, Chal- ich kann etwas tun. Aber nun sagte ich: einfach, neue Kapitel aufzuschlagen.» lenge League. Im August kündigte er Scheisse, ich muss einfach hoffen, dass wir Anders Streller. Er schwärmt noch PHILIPP BÄRTSCH als Nachwuchstrainer im FCB, es war am Wochenende gewinnen, sonst wird es heute vom ersten Matchbesuch mit dem der letzte Bruch der grossen drei – und noch schlimmer. Und sogar wenn du ge- Vater, «das ist Tradition in Basel, der Ob Slalom manchmal frustrierend sei, Freis dritter Abschied vom FCB. 2013 winnst, kommt ein Telefon eines Bera- Papa mit dem Sohn», von den Gefühlen, wurde Michelle Gisin vor gut einem Jahr war er schon einmal gegangen, Rück- ters, der sich beschwert, dass sein Spie- als er erstmals für den FCB spielte oder in einem NZZ-Interview gefragt. Und tritt als Spieler, tags darauf Anfang als ler nicht spielt. Du bist oft mit negativen erstmals als Captain aufs Feld schritt – Gisin antwortete: «Extrem. Slalom ist Sportchef in Luzern. Ein erster grosser Energien beschäftigt, und das raubt dir aber eine solche Geschichte, mit so vie- eine grosse Hassliebe von mir, aber die Schritt, der die Frage nach sich zieht, ob Kraft, gerade mir, von dem es heisst, er len Titeln und Toren, «ein Riesentraum. Liebe überwiegt den Hass letztlich eben sich überschätzt, wer Sportchef wird, von habe immer gute Laune. Und die Leute Ich bin halt schon extrem, ich kann mich doch. (. .) Mental ist der Slalom eine heute auf morgen – und scheitert. «Was sagen dir: Du musst böser werden, kom- nicht dagegen wehren.» Das Leben, ein ganz schlimme Mühle, davon habe ich heisst schon scheitern?», fragt Frei, in promissloser, und irgendwann denkst du: Traum. Streller weiter: «Letzthin spa- in den anderen Disziplinen profitiert.» der Schweiz werde so schnell von einem Vielleicht stimmt das. Du merkst, wie bei zierte ich der Birs entlang, nahe dem Gisin ist eine Alleskönnerin des Ski- Scheitern geredet. Also anders: Sind Sie dir eine Veränderung stattfindet – und St.-Jakob-Park, und ich kann es nicht be- rennsports, «der Traum, eine Allroun- verbrannt? «Ja, eher. Weil der Druck so gleichzeitig denkst du: Die Person, die schreiben, es macht etwas mit meinem derin zu werden, war halt stets sehr gross ist, auch von aussen, dass du irgend- sich da zeigt, möchte ich gar nicht sein.» Körper, meinem Herzen, meiner Seele. gross», sagte sie im Interview auch. Zu wann keine andere Wahl hast, als aufzu- Streller fehlte das Werkzeug, er hatte Das heisst nicht, dass es nur den FCB ihrer Vielseitigkeit passt, dass sie zwei hören, auch, um dich selber zu schützen.» keine Skills für schwierige Situationen gibt im Leben, aber . .» Und dann: «Ich Medaillen in der Kombination gewon- Ende 2014 hörte Frei als FCL-Sport- auf Managementstufe. Unerfahren im muss mein Profil schärfen, ich will Dinge nen hat, WM-Silber 2017 in St. Moritz chef auf, an der Pressekonferenz las er Spiel ohne Ball. Es schlug ihm auf die verstehen. Sollte ich wieder einmal eine und Olympiagold 2018 in Pyeongchang. eine Stellungnahme vor und beantwor- Gesundheit, öfter Migräne, öfter Herz- Sie mögen sich, Führungsposition haben, müssen die Doch im Weltcup blieb Gisin ohne tete keine einzige Frage. Selbstschutz. rasen, «und wenn du heimkommst und Kompetenzen klar abgesteckt sein, egal, Sieg, Winter für Winter; man fragte sich Er sagte noch, er wünsche allen «frohe die Kinder erzählen etwas: Dann schaust aber die grosse wo. Ich will bereit sein, wenn es wieder schon, ob sie ihre Siegchancen verrin- Festtage – vor allem ist es die Zeit der du durch sie hindurch und hörst gar gemeinsame Klammer, einmal zum FCB zurückgehen würde – gere, weil sie auf zu vielen Hochzeiten Besinnung». Danach lernte der ehema- nicht, was sie sagen. Du kannst nicht aber es ist nicht mehr mein Lebensziel. tanze. Gisin aber lebte unbeirrt ihren lige Sportchef, was es heisst, ein Fami- mehr schlafen. Diese Entwicklung ist der FC Basel, hält sie Weil ich mit so viel Herz dabei bin, dass Traum. «Ich liebe halt jede Disziplin lienbudget zu machen: Wofür gebe ich gefährlich. Und daraus herauszufinden, nicht mehr zusammen. es krankmachen kann.» und finde es total faszinierend, wie sich Geld aus, wie kriege ich Geld rein? Ant- braucht sehr viel Zeit.» Als ihn die «NZZ am Sonntag» im die Disziplinen unterscheiden, wie man wort: gar nicht.War Frei allein zu Hause, September 2017 fragte, ob er irgendeine aber doch in der einen Disziplin von der setzte er sich manchmal hin und dachte «Ein Jahr verloren» Weiterbildung im Bereich Management anderen profitieren kann.» Wenn man nach. So erzählt er es heute. Es war der gemacht habe, sagte Streller: «Wann alle Disziplinen aufbauen wolle, «dauert Luxus des Spitzenfussballers, Zukunfts- Huggel war nicht wieder eingestiegen hätte ich das machen sollen?» Vielleicht es logischerweise länger, bis man eine planung mit Geldreserven, Zeit für Be- im FCB beim Neuanfang 2017, er suchte sei in einer ruhigen Phase Zeit dafür. Siegfahrerin ist». Aber wartet ihr nur! sinnung. Frei fragte sich: Willst du so anderswo nach dem zweiten Schritt.Als Die Ruhe kam mit der Demission Am Dienstag hat die 27-jährige sein oder dich auch ein wenig verän- Fussballer war für ihn stets klar gewe- im Juni 2019, nach FCB-internen Wir- Engelbergerin den ersten Weltcup-Sieg dern, aktiver auf Leute zugehen etwa? sen, dass er später Trainer werden wollte. ren noch und noch. Endlich Zeit für Be- errungen, in Semmering, im Slalom, der Er wisse, dass er kein Spieler gewesen Er überlegte sich nie, ob es anderes gebe, sinnung, wie Frei 2015, wie Huggel 2016. Hassliebe – die Liebe überwiegt den sei, den alle umarmen wollten, wenn er er wog nicht ab, was dieser Job bedeu- Streller lässt sich coachen, er will nicht Hass jetzt noch mehr. Gisin setzte sich einen Raum betrat; aber er wolle offe- tet in Kombination mit einer Familie, er mehr zwischen Erfolgen und Misserfol- vor Katharina Liensberger, Mikaela ner werden, zugänglicher, empathischer. war sich so sehr gewöhnt, dass der Fuss- gen unterteilen, er sagt: «Das Leben ist Shiffrin, Petra Vlhova und Wendy Hol- Einmal steht Sékou Camara an der ball die Agenda diktiert. Von 2012 bis ein Lehrpfad aus Erfahrungen – und ich dener durch, nachdem in den 28 Welt- Kaffeemaschine, ein junger Stürmer aus 2016 arbeitete Huggel als Nachwuchs- sehe es als meine Verantwortung, diese cup-Slaloms zuvor stets entweder Shif- Guinea. Frei packt ihn an der Schul- trainer im FCB und im FC Luzern, er Erfahrungen positiv zu verwerten.» Die frin oder Vlhova gewonnen hatte.