Plenarprotokoll 14/179

Deutscher

Stenographischer Bericht

179. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Jürgen Trittin, Bundesminister BMU ...... 17545 A neten Christa Lörcher ...... 17543 A Dr. Peter Paziorek CDU/CSU ...... 17546 D Bestimmung des Abgeordneten Klaus Brandner als stellvertretendes Mitglied im Vermittlungs- Ulrike Mehl SPD ...... 17549 A ausschuss ...... 17543 A Marita Sehn F.D.P...... 17550 D Erweiterung der Tagesordnung ...... 17543 B Dr. Wolfgang Methling, Minister (Mecklen- Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 14, 23, burg-Vorpommern) ...... 17553 A 24, 26 und 30 a ...... 17544 B Karsten Schönfeld SPD ...... 17554 C Umstellung und Erweiterung der Tagesord- nung ...... 17544 B Dr. Christian Ruck CDU/CSU ...... 17556 C Geänderte bzw. nachträgliche Ausschussüber- Sylvia Voß BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . . . 17558 A weisung ...... 17544 B Cajus Caesar CDU/CSU ...... 17559 B Christel Deichmann SPD ...... 17561 C Tagesordnungspunkt 3: Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Erste Beratung des von den Fraktionen der NEN ...... 17563 C SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des Rechts des Na- Tagesordnungspunkt 4: turschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvor- a) Antrag der Abgeordneten Cornelia schriften (BNatSchGNeuregG) Pieper, Birgit Homburger, weiterer Ab- (Drucksache 14/6378) ...... 17544 C geordneter und der Fraktion der F.D.P.: Verbesserung der internationalen At- in Verbindung mit traktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstandortes Deutsch- land Zusatztagesordnungspunkt 2: (Drucksache 14/3339) ...... 17565 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- b) Antrag der Abgeordneten Cornelia torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- Pieper, Birgit Homburger, weiterer ten Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: F.D.P.: Bildungsschecks für mehr Eigentumsrechte nicht durch falsche Na- Qualität und Wettbewerb an Hoch- turschutzpolitik aushöhlen schulen in Deutschland (Drucksachen 14/1113, 14/4572) ...... 17544 D (Drucksache 14/3518) ...... 17565 A II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

c) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, und Effizienz für den wachsenden Bil- , weiterer Abgeordneter dungsmarkt und der Fraktion der F.D.P.: Naturwis- (Drucksache 14/6437) ...... 17566 A senschaftlicher Wettbewerb an deut- schen Schulen in Verbindung mit (Drucksache 14/4270) ...... 17565 B

d) Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach, Zusatztagesordnungspunkt 4: Cornelia Pieper, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Ökonomi- Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, sche Komponente in der Lehreraus- Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und bildung entschieden ausbauen der Fraktion der F.D.P.: Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs- und Wirt- (Drucksache 14/4271) ...... 17565 B schaftsstandorts Deutschland durch Aus- e) Antrag der Abgeordneten Dr. Helmut bildung hoch qualifizierter Fachkräfte Haussmann, Cornelia Pieper, weiterer (Drucksache 14/6445) ...... 17566 A Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Cornelia Pieper F.D.P...... 17566 B Bessere Rahmenbedingungen für aus- ländische Studierende in Deutschland , Bundesministerin BMFB 17568 B (Drucksache 14/5250) ...... 17565 C Cornelia Pieper F.D.P...... 17569 A f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ulrike Flach F.D.P...... 17571 C Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- CDU/CSU ...... 17573 B trag der Abgeordneten Cornelia Pieper, , Senatorin (Hamburg) ...... 17575 B Ulrike Flach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Sonderpro- F.D.P...... 17576 D gramm zur Sicherung und Erhöhung Maritta Böttcher PDS ...... 17577 D des Niveaus der Landes- und Hoch- schulbibliotheken am Wissenschafts- Dr. SPD ...... 17579 B und Forschungsstandort Deutschland Norbert Hauser (Bonn) CDU/CSU ...... 17582 B (Drucksachen 14/5105, 14/6195) . . . . 17565 C Dr. Reinhard Loske BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- g) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst NEN ...... 17583 D Dieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Frak- Ulrike Flach F.D.P...... 17585 D tion der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Peter Eckardt SPD ...... 17587 C Dr. Reinhard Loske, Grietje Bettin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion des Ulrike Flach F.D.P...... 17588 A BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Die Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) CDU/CSU internationale Attraktivität und Leis- 17589 B tungsfähigkeit des Wissenschafts- und Jörg Tauss SPD ...... 17589 D Forschungsstandortes Deutschland für ausländische Studierende und Klaus-Jürgen Hedrich CDU/CSU ...... 17590 C junge Wissenschaftlerinnen stärken (Drucksache 14/6209) ...... 17565 D Tagesordnungspunkt 29: h) Antrag der Abgeordneten Maritta Überweisungen im vereinfachten Ver- Böttcher, Dr. , weiterer fahren Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Bericht über die Erfahrungen a) Erste Beratung des von der Bundes- bei der Anwendung des Hochschul- regierung eingebrachten Entwurfs eines zeitvertragsgesetzes Gesetzes zur Bereinigung von Kos- (Drucksache 14/6212) ...... 17565 D tenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums in Verbindung mit (Drucksachen 14/6203, 14/6449) . . . . 17592 B b) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Zusatztagesordnungspunkt 3: Gesetzes zur Änderung des Überein- Antrag der Abgeordneten Norbert Hauser kommens vom 14. Juli 1967 zur Er- (Bonn), Dr. , weiterer richtung der Weltorganisation für Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ geistiges Eigentum CSU: „Stiftung Bildungstest“ – Qualität (Drucksache 14/6260) ...... 17592 B Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 III

c) Erste Beratung des von der Bundes- b) Antrag der Abgeordneten Ernst Küchler, regierung eingebrachten Entwurfs ei- Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Ab- nes Zweiten Gesetzes zur Familien- geordneter und der Fraktion der SPD so- förderung wie der Abgeordneten Dr. Reinhard (Drucksachen 14/6411, 14/6452) . . . . 17592 B Loske, Hans-Josef Fell, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion des BÜND- d) Erste Beratung des von der Bundes- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Weiterbil- regierung eingebrachten Entwurfs ei- dung im Bildungssystem verankern – nes Gesetzes zur Neuregelung der Chancengleichheit stärken Krankenkassenwahlrechte (Drucksache 14/6435) ...... 17593 A (Drucksache 14/6409) ...... 17592 C c) Antrag der Abgeordneten Tobias Marhold, e) Erste Beratung des von der Bundes- Adelheid Tröscher, weiterer Abgeordneter regierung eingebrachten Entwurfs eines und der Fraktion der SPD sowie der Ab- Gesetzes zur Einführung des Wohn- geordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, ortprinzips bei Honorarvereinbarun- Hans-Christian Ströbele, weiterer Abge- gen für Ärzte und Zahnärzte ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- (Drucksachen 14/6410, 14/6450) . . . . 17592 C SES 90/DIE GRÜNEN: Wissenschafts- f) Erste Beratung des von der Bundes- und Hochschulkooperationen mit Ent- regierung eingebrachten Entwurfs ei- wicklungs- und Transformationslän- nes Gesetzes zur Anpassung der Re- dern gelungen über die Festsetzung von (Drucksache 14/6442) ...... 17593 B Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung d) Unterrichtung durch die Bundesregie- (Festbetrags-Anpassungsgesetz) rung: Nationaler Aktionsplan zur (Drucksachen 14/6408, 14/6451) . . . . 17592 C Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung g) Erste Beratung des von der Bundesre- (Drucksache 14/6134) ...... 17593 B gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen Arbeitsor- Tagesordnungspunkt 30: ganisation vom 17. Juni 1999 über das Verbot und unverzügliche Maßnah- Abschließende Beratungen ohne Aus- men zur Beseitigung der schlimmsten sprache Formen der Kinderarbeit b) Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 14/6107) ...... 17592 D Bundesregierung eingebrachten Ent- h) Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, wurfs eines Gesetzes zur Änderung Carl-Ludwig Thiele, weiterer Abgeord- von Verbrauchsteuergesetzen und neter und der Fraktion der F.D.P.: Ver- des Finanzverwaltungsgesetzes sowie besserung der Familienförderung zur Umrechnung zoll- und ver- (Drucksache 14/6372) ...... 17592 D brauchsteuerrechtlicher Euro-Beträ- ge (Zwölftes Euro-Einführungsge- setz) in Verbindung mit (Drucksachen 14/6143, 14/6458) . . . . 17593 C c) Zweite und dritte Beratung des von den Zusatztagesordnungspunkt 5: Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, Weitere Überweisungen im vereinfach- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, ten Verfahren der F.D.P. und der PDS eingebrachten (Ergänzung zu TOP 29) Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errich- a) Erste Beratung des von den Abge- tung einer Stiftung „Erinnerung, ordneten Iris Gleicke, Hans-Günter Verantwortung und Zukunft“ Bruckmann, weiteren Abgeordneten (Drucksachen 14/6370, 14/6465) . . . . 17593 D und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Albert Schmidt (Hitzho- d) Beschlussempfehlung und Bericht des fen), Franziska Eichstädt-Bohlig, wei- Ausschusses für Arbeit und Sozialord- teren Abgeordneten und der Fraktion nung zu den Unterrichtungen durch die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeför- – Vorschlag für einen Beschluss derungsgesetzes (PBefG) des Rates über den Standpunkt (Drucksache 14/6434) ...... 17593 A der Gemeinschaft in dem durch IV Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Rumä- nerseits und der Republik Ungarn nien andererseits eingesetzten andererseits eingesetzten Assozia- Assoziationsrat zur Annahme von tionsrat zur Annahme von Vor- Vorschriften zur Koodinierung schriften zur Koodinierung der der Systeme der sozialen Sicher- Systeme der sozialen Sicherheit heit – Vorschlag für einen Beschluss – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwischen die Europa-Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaf- den Europäischen Gemeinschaf- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- nerseits und der Republik Polen nerseits und der Republik Slowe- andererseits eingesetzten Assozia- nien andererseits eingesetzten tionsrat zur Annahme von Vor- Assoziationsrat zur Annahme von schriften zur Koordinierung der Vorschriften zur Koordinierung Systeme der sozialen Sicherheit der Systeme der sozialen Sicher- heit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt – Vorschlag für einen Beschluss der Gemeinschaft in dem durch des Rates über den Standpunkt die Europa-Abkommen zwischen der Gemeinschaft in dem durch den Europäischen Gemeinschaf- die Europa-Abkommen zwischen ten und ihren Mitgliedstaaten ei- den Europäischen Gemeinschaf- nerseits und der Republik Bulga- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- rien andererseits eingesetzten nerseits und der Republik Li- Assoziationsrat zur Annahme von tauen andererseits eingesetzten Vorschriften zur Koordinierung Assoziationsrat zur Annahme von der Systeme der sozialen Sicher- Vorschriften zur Koordinierung heit der Systeme der sozialen Sicher- heit – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt – Vorschlag für einen Beschluss der Gemeinschaft in dem durch des Rates über den Standpunkt die Europa-Abkommen zwischen der Gemeinschaft in dem durch den Europäischen Gemeinschaf- die Europa-Abkommen zwischen ten und ihren Mitgliedstaaten ei- den Europäischen Gemeinschaf- nerseits und der Republik Estland ten und ihren Mitgliedstaaten ei- andererseits eingesetzten Assozia- nerseits und der Tschechischen tionsrat zur Annahme von Vor- Republik andererseits eingesetz- schriften zur Koordinierung der ten Assoziationsrat zur Annahme Systeme der sozialen Sicherheit von Vorschriften zur Koordinie- rung der Systeme der sozialen Si- – Vorschlag für einen Beschluss cherheit des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch – Vorschlag für einen Beschluss die Europa-Abkommen zwischen des Rates über den Standpunkt den Europäischen Gemeinschaf- der Gemeinschaft in dem durch ten und ihren Mitgliedstaaten ei- die Europa-Abkommen zwischen nerseits und der Slowakischen den Europäischen Gemeinschaf- Republik andererseits eingesetz- ten und ihren Mitgliedstaaten ei- ten Assoziationsrat zur Annahme nerseits und der Republik Lett- von Vorschriften zur Koordinie- land andererseits eingesetzten rung der Systeme der sozialen Si- Assoziationsrat zur Annahme von cherheit Vorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicher- – Vorschlag für einen Beschluss heit des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch (Drucksachen 14/3146 Nr. 2.9 bis 2.18, die Europa-Abkommen zwischen 14/6312) ...... 17594 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 V

e) – g) Dr. Thea Dückert BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17610 C Beschlussempfehlungen des Petitions- Wolfgang Zöller CDU/CSU ...... 17611 C ausschusses: Sammelübersichten 277, Marga Elser SPD ...... 17612 C 278, 279 zu Petitionen (Drucksachen 14/6363, 14/6364, 14/6365) 17595 A Tagesordnungspunkt 5: Tagesordnungspunkt 27: a) Erste Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs ei- – Zweite und dritte Beratung des von den nes Gesetzes zum Vertrag von Nizza Fraktionen der SPD und des BÜND- vom 26. Februar 2001 NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrach- (Drucksache 14/6146) ...... 17613 C ten Entwurfs eines Gesetzes zur Um- setzung der Richtlinie 2000/52/EG b) Zweite und dritte Beratung des von der der Kommission vom 26. Juli 2000 Bundesregierung eingebrachten Ent- zur Änderung der Richtlinie 80/723/ wurfs eines Gesetzes zu dem Be- EWG über die Transparenz der schluss des Rates vom 29. September finanziellen Beziehungen zwischen 2000 über das System der Eigenmittel den Mitgliedstaaten und den öffentli- der Europäischen Gemeinschaften chen Unternehmen (Transparenz- (Drucksachen 14/6142, 14/6464) . . . . 17613 D richtlinie-Gesetz) (Drucksachen 14/5956, 14/6460) . . . . 17595 B c) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht der Bundesregierung – Zweite und dritte Beratung des von der über ihre Bemühungen zur Stärkung Bundesregierung eingebrachten Ent- der gesetzgeberischen Befugnisse des wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung Europäischen Parlaments 2000 der Richtlinie 2000/52/EG der Kom- (Drucksache 14/5221 [neu]) ...... 17613 D mission vom 26. Juli 2000 zur Ände- rung der Richtlinie 80/723/EWG d) Beschlussempfehlung und Bericht des über die Transparenz der finanziel- Ausschusses für die Angelegenheiten len Beziehungen zwischen den Mit- der Europäischen Union zu dem Antrag gliedstaaten und den öffentlichen der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Unternehmen (Transparenzricht- Uwe Hiksch, weiterer Abgeordneter linie-Gesetz) und der Fraktion der PDS: Für eine (Drucksachen 14/6280, 14/6460) . . . . 17595 C verbindliche und erweiterbare Euro- päische Charta der Grundrechte (Drucksachen 14/4654, 14/5379) . . . . 17614 A Zusatztagesordnungspunkt 6: e) Beschlussempfehlung und Bericht des Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bun- Ausschusses für die Angelegenheiten desregierung zur Welle der Beitragssatz- der Europäischen Union erhöhungen in der gesetzlichen Kran- kenversicherung ...... 17595 D – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Günter Gloser, Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 17595 D Hans-Werner Bertl, weiterer Abge- Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin ordneter und der Fraktion der SPD BMG ...... 17597 B sowie der Abgeordneten Christian Sterzing, (Augsburg), Dr. Dieter Thomae F.D.P...... 17598 D weiterer Abgeordneter und der Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE Fraktion des BÜNDNISSES 90/ GRÜNEN ...... 17599 D DIE GRÜNEN zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Dr. PDS ...... 17601 B zum bevorstehenden Europä- Horst Schmidbauer (Nürnberg) SPD ...... 17602 B ischen Rat in Nizza am 7./8. De- zember 2000 CDU/CSU ...... 17603 B – zu dem Antrag der Abgeordneten , Bundesministerin BMG . . . . . 17604 D , , weite- CDU/CSU ...... 17606 C rer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Der Europäische Dr. SPD ...... 17607 C Rat von Nizza muss zum Erfolg Annette Widmann-Mauz CDU/CSU ...... 17609 B für Europa werden VI Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

– zu dem Entschließungsantrag der – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, Fraktion der PDS zu derAbgabe ei- Dr. Klaus Grehn, weiterer Abgeord- ner Erklärung der Bundesregie- neter und der Fraktion der PDS zur rung: Die Bundeswehr der Zu- Abgabe einer Erklärung der Bun- kunft, Feinausplanung und Sta- desregierung zum bevorstehen- tionierung den Europäischen Rat in Nizza (Drucksachen 14/5220, 14/5236, vom 7. bis 9. Dezember 2000 14/6396) ...... 17630 C – zu dem Antrag der Abgeordneten b) Beschlussempfehlung und Bericht des Wolfgang Gehrcke, Dr. , Verteidigungsausschusses zu dem An- weiterer Abgeordneter und der Frak- trag der Abgeordneten Günther tion der PDS: Die Europäische Friedrich Nolting, , weite- Union als Zivilmacht ausbauen rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Hilfe durch den Bund für die (Drucksachen 14/4733, 14/4732, 14/4666, von Reduzierung und Schließung be- 14/4653, 14/5386) ...... 17614 A troffenen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar in Verbindung mit (Drucksachen 14/5467, 14/6397) . . . . 17630 D Ursula Mogg SPD ...... 17631 A Zusatztagesordnungspunkt 7: CDU/CSU ...... 17632 C Antrag der Abgeordneten Uwe Hiksch, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17634 C Dr. Klaus Grehn, und der Fraktion der PDS: Vertrag von Nizza Günther Friedrich Nolting F.D.P...... 17636 C nachverhandeln Heidi Lippmann PDS ...... 17638 A (Drucksache 14/6443) ...... 17614 C , Parl. Staatssekretär BMVg 17639 B Günter Gloser SPD ...... 17614 D Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... 17641 B Peter Hintze CDU/CSU ...... 17616 D SPD ...... 17643 A Christian Sterzing BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kurt J. Rossmanith CDU/CSU ...... NEN ...... 17619 A 17644 A Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 17619 D Tagesordnungspunkt 7: Dr. F.D.P...... 17620 C Zweite und dritte Beratung des von der Uwe Hiksch PDS ...... 17622 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 17623 A eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes Michael Stübgen CDU/CSU ...... 17625 A (Drucksachen 14/6121, 14/6261, 14/6325) 17645 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger F.D.P. 17626 C Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 17645 C Dr. Jürgen Meyer (Ulm) SPD ...... 17627 B Elmar Müller (Kirchheim) CDU/CSU ...... 17646 C Dr. Friedbert Pflüger CDU/CSU ...... 17629 B Michaele Hustedt BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Joseph Fischer, Bundesminister AA ...... 17629 C NEN ...... 17648 B F.D.P...... 17649 B

Tagesordnungspunkt 6: Gerhard Jüttemann PDS ...... 17649 D (Starnberg) SPD ...... 17650 C a) Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses Tagesordnungspunkt 8: – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Paul Breuer, Ulrich a) Erste Beratung des von den Fraktionen Adam, weiterer Abgeordneter und der SPD und des BÜNDNISSES 90/ der Fraktion der CDU/CSU zu der DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Abgabe einer Erklärung der Bun- eines Gesetzes zur Reform des Risi- desregierung: Die Bundeswehr kostrukturausgleichs in der gesetzli- der Zukunft, Feinausplanung und chen Krankenversicherung Stationierung (Drucksache 14/6432) ...... 17652 A Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 VII

b) Unterrichtung durch die Bundesregie- Tagesordnungspunkt 11: rung: Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung zu den Wir- a) Beschlussempfehlung und Bericht des kungen des Risikostrukturausgleichs Ausschusses für Wirtschaft und Techno- in der gesetzlichen Krankenversiche- logie zu der Unterrichtung durch die rung Bundesregierung: Bericht der Bundes- (Drucksache 14/5681) ...... 17652 B regierung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin 1999 (Rüstungsexportbericht 1999) BMG ...... 17652 B (Drucksachen 14/4179, 14/5671) . . . . 17677 C Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) CDU/CSU 17653 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Katrin Göring-Eckardt BÜNDNIS 90/DIE Ausschusses für Wirtschaft und Tech- GRÜNEN ...... 17655 B nologie zu dem Antrag der Abgeordne- ten Heidi Lippmann, Wolfgang Detlef Parr F.D.P...... 17656 D Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Transparenz Dr. Ruth Fuchs PDS ...... 17658 A und parlamentarische Kontrolle bei Hildegard Wester SPD ...... 17658 D Rüstungsexporten (Drucksachen 14/4349, 14/5810) . . . . 17677 C Aribert Wolf CDU/CSU ...... 17660 A Heidi Lippmann PDS ...... 17677 D Dr. Martin Pfaff SPD ...... 17661 B

Tagesordnungspunkt 12: Tagesordnungspunkt 9: – Zweite und dritte Beratung des von der Beschlussempfehlung und Bericht des Bundesregierung eingebrachten Ent- Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität wurfs eines Gesetzes zur Änderung und Geschäftsordnung zu dem Antrag der der Insolvenzordnung und anderer Fraktion der CDU/CSU: Änderung der Gesetze Geschäftsordnung des Deutschen Bun- (Drucksachen 14/5680, 14/6468) . . . . 17678 D destages (Drucksachen 14/542, 14/2007) ...... 17662 D – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Dr. Uwe Küster SPD ...... 17663 A Kutzmutz, Dr. Gregor Gysi und der CDU/CSU ...... 17665 B Fraktion der PDS eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17667 A der Insolvenzordnung (InsOÄndG) Jörg van Essen F.D.P...... 17668 A (Drucksachen 14/2496, 14/6468) . . . . 17678 D Alfred Hartenbach SPD ...... 17679 A

Tagesordnungspunkt 10: Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ 17679 B Antrag der Abgeordneten Heide Mattischeck, Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten CDU/CSU 17680 B Reinhard Weis (Stendal), weiterer Abge- (Köln) BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ordneter und der Fraktion der SPD sowie NEN ...... 17682 A der Abgeordneten , (Bremen), weiterer Abge- Rainer Funke F.D.P...... 17683 B ordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- Dr. Evelyn Kenzler PDS ...... 17684 B SES 90/DIE GRÜNEN: FahrRad – für Alfred Hartenbach SPD ...... 17685 A ein fahrradfreundliches Deutschland (Drucksache 14/6441) ...... 17668 D Heide Mattischeck SPD ...... 17669 A Tagesordnungspunkt 17: Albert Schmidt (Hitzhofen) BÜNDNIS 90/ Erste Beratung des von den Abgeordneten DIE GRÜNEN ...... 17671 A Alfred Hartenbach, Hermann Bachmaier, weiteren Abgeordneten und der Fraktion Wolfgang Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU . . . 17671 D der SPD sowie der Abgeordneten Volker Annette Faße SPD ...... 17672 B Beck (Köln), Grietje Bettin, weiteren Ab- geordneten und der Fraktion des BÜND- Winfried Hermann BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NISSES 90/DIE GRÜNEN eingebrachten NEN ...... 17674 B Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung Hans-Michael Goldmann F.D.P...... 17675 C der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern Gustav-Adolf Schur PDS ...... 17676 D (Drucksache 14/6433) ...... 17686 C VIII Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU ...... 17686 D Anlage 1 Steffi Lemke BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17688 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 17701 A Dr. Norbert Röttgen CDU/CSU ...... 17689 A Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär BMJ . . 17689 B Anlage 2 Rainer Funke F.D.P...... 17690 A Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Dirk Manzewski SPD ...... 17690 C Beschlussempfehlung und des Berichts: Ände- Eckart von Klaeden CDU/CSU ...... 17692 A rung der Geschäftsordnung des Deutschen Dr. Heinrich Fink PDS ...... 17692 A Bundestages (Tagesordnungspunkt 9) ...... 17701 D Dr. Heidi Knake-Werner PDS ...... 17701 D Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregie- Anlage 3 rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der zes zur Modernisierung der Besoldungs- Beschlussempfehlung und des Berichts struktur (Besoldungsstrukturgesetz) (Drucksache 14/6390) ...... 17692 D – zu der Unterrichtung: Bericht der Bundes- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär BMI 17693 A regierung über ihre Exportpolitik für kon- ventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 CDU/CSU ...... 17694 A (Rüstungsexportbericht 1999) Helmut Wilhelm (Amberg) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ...... 17695 A – zu dem Antrag: Transparenz und parlamen- tarische Kontrolle bei Rüstungsexporten Heidemarie Ehlert PDS ...... 17695 D (Tagesordnungspunkt 11 a und b) ...... 17702 A Hans-Peter Kemper SPD ...... 17696 C Dr. Ditmar Staffelt SPD ...... 17702 B Tagesordnungspunkt 16: Erich G. Fritz CDU/CSU ...... 17703 B Große Anfrage der Abgeordneten Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17704 C Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, weiterer Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P...... 17705 C Abgeordneter und der Fraktion der PDS: Reform des Familienlastenausgleichs Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär BMWi 17706 C (Drucksachen 14/4983, 14/6230) ...... 17697 D in Verbindung mit Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung Zusatztagesordnungspunkt 8: des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung der Besoldungsstruktur (Besoldungs- Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, strukturgesetz – BesStruktG) (Tagesordnungs- Dr. , weiterer Abge- punkt 15) ...... 17707 B ordneter und der Fraktion der PDS: Exis- tenzminimum realitätsnah ermitteln Dr. F.D.P...... 17707 B (Drucksache 14/6444) ...... 17697 D Dr. Barbara Höll PDS ...... 17698 A Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Tagesordnungspunkt 18: – der Großen Anfrage: Reform des Familien- Antrag der Abgeordneten Dr. R. Werner lastenausgleichs Schuster, Reinhold Hemker, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der SPD sowie – des Antrags: Existenzminimum realitäts- der Abgeordneten Dr. Angelika Köster- nah ermitteln Loßack, Hans-Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜND- (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- NISSES 90/DIE GRÜNEN: Sonderpro- nungspunkt 8) ...... 17707 D gramm zur breitenwirksamen Nutzung Ingrid Arndt-Brauer SPD ...... 17707 D angepasster, erneuerbarer Energien in den Entwicklungsländern Elke Wülfing CDU/CSU ...... 17709 A (Drucksache 14/5486) ...... 17699 C Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17710 C Nächste Sitzung ...... 17699 D Ina Lenke F.D.P...... 17711 C Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 IX

Anlage 6 men Nutzung angepasster, erneuerbarer Ener- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung gien in den Entwicklungsländern (Tagesord- des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nungspunkt 18) ...... 17715 D vertraglichen Stellung von Urhebern und aus- übenden Künstlern (Tagesordnungspunkt 17) 17712 B SPD ...... 17715 D Dr. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 17712 B Dr. CDU/CSU ...... 17716 D Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin BMJ 17713 B Dr. Angelika Köster-Loßack BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ...... 17718 A Anlage 7 Joachim Günther (Plauen) F.D.P...... 17718 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Sonderprogramm zur breitenwirksa- Carsten Hübner PDS ...... 17719 C

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179. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident : Guten Morgen, liebe 4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ulrike Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Flach, (Bayreuth), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Sicherung des Wissenschafts-, For- Die Kollegin Christa Lörcher feierte am 24. Juni schungs- und Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Ausbildung hoch qualifizierter Fachkräfte – Drucksache ihren 60. Geburtstag. Im Namen des Hauses gratuliere ich 14/6445 – nachträglich sehr herzlich. Überweisungsvorschlag: (Beifall) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als stellvertretendes Mitglied aus dem Ver- Haushaltsausschuss mittlungsausschuss ausscheidet. Als Nachfolger wird der 5. Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren Kollege Klaus Brandner vorgeschlagen. Sind Sie damit (Ergänzung zu TOP 29) einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Iris Gleicke, der Kollege Klaus Brandner als stellvertretendes Mit- Hans-Günter Bruckmann, Dr. , weiteren (B) (D) glied im Vermittlungsausschuss bestimmt. Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abge- ordneten Albert Schmidt (Hitzhofen), Franziska Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Eichstädt-Bohlig, Helmut Wilhelm (Amberg), weiteren Tagesordnung zu erweitern. Die Punkte sind in der Ihnen Abgeordneten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes vorliegenden Zusatzpunktliste aufgeführt: zur Änderung des Personenbeförderungsgesetzes 1. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der PDS: Haltung (PbefG) – Drucksache 14/6434 – der Bundesregierung zur drohenden Auszehrung der Bahn- Überweisungsvorschlag: industrie in Deutschland vor dem Hintergrund einer exis- Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) tenziellen Gefährdung der Adtranz/Hennigsdorf Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie 2. Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Aus- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Tourismus (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Ulrike Flach, Hildebrecht Braun (Augsburg), weite- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Küchler, rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Eigentums- Dr. Ernst Dieter Rossmann, , weiterer Abge- rechte nicht durch falsche Naturschutzpolitik aushöhlen ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordne- – Drucksachen 14/1113, 14/4572 – ten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- Berichterstattung: SES 90/DIE GRÜNEN: Weiterbildung im Bildungssys- Abgeordnete Ulrike Mehl tem verankern – Chancengleichheit stärken – Druck- sache 14/6435 – Ulrike Höfken Birgit Homburger Überweisungsvorschlag: Eva Bulling-Schröter Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) 3. Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Hauser Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard Friedrich (Erlan- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias Marhold, gen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU: Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weiterer Abgeordneter „Stiftung Bildungstest“ – Qualität und Effizienz für den und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten wachsenden Bildungsmarkt – Drucksache 14/6437 – Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, Überweisungsvorschlag: Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Wissenschafts- abschätzung (f) und Hochschulkooperationen mit Entwicklungs- und Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Transformationsländern – Drucksache 14/6442 – Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Haushaltsausschuss wicklung (f) 17544 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Präsident Wolfgang Thierse (A) Auswärtiger Ausschuss Antrag der Abgeordneten Dr. , (C) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- , Ina Albowitz, weiterer Abge- abschätzung ordneter und der Fraktion der F.D.P.: Die deutsch- d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: französische Beziehungen mit Leben erfüllen Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung – Drucksache 14/6134 – – Drucksache 14/6167 – Überweisungsvorschlag: überwiesen: Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Auswärtiger Ausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Der in der 177. Sitzung des Deutschen Bundestages Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich 6. Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe Haltung der Bundesregierung zur Welle der Beitragssatz- zur Mitberatung überwiesen werden. erhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung Gesetzentwurf der Abgeordneten , 7. Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Sabine Jünger, Dr. Evelyn Kenzler, weiterer Abge- Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS: Vertrag von Nizza nachverhandeln – Drucksache 14/6443 – ordneter und der Fraktion der PDS zur Änderung des Asylverfahrensgesetzes und anderer Vor- Überweisungsvorschlag: schriften – Drucksache 14/6129 – Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Auswärtiger Ausschuss überwiesen: Rechtsausschuss Innenausschuss (f) Rechtsausschuss 8. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Dr. Dietmar Bartsch, Heidemarie Ehlert, weiterer Abgeordne- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ter und der Fraktion der PDS: Existenzminimum realitätsnah Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ermitteln – Drucksache 14/6444 – Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? – Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie den Zusatz- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss punkt 2 auf: 9. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: Solidarpakt II: 3. Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD Sichere Zukunft für die neuen Länder und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- (B) 10. Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainer Brüderle, brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- (D) Dr. , Dr. , weiterer lung des Rechts des Naturschutzes und der Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Neue Wachstums- chancen mit durchgreifenden wirtschaftspolitischen Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Reformen schaffen – Blitzprogramm für die deutsche Wirt- Rechtsvorschriften (BnatSchGNeuregG) schaft – Drucksache 14/6446 – – Drucksache 14/6378 – Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Sportausschuss Haushaltsausschuss Rechtsausschuss Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- weit erforderlich, abgewichen werden. wirtschaft Des Weiteren wurde vereinbart, die Punkte 13 – Airbus Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Tourismus A 3 –, 14 – Datenschutzbericht –, 23 – Asylverfahrensän- derungsgesetz –, 24 – Spätaussiedlerstatusgesetz –, 26 – ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ausländeränderungsgesetz – sowie 30 a – Neuntes Euro- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz Einführungsgesetz – abzusetzen. und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu dem An- Außerdem soll der Tagesordnungspunkt 17 vorgezo- trag der Abgeordneten Ulrich Heinrich, Ulrike gen und bereits nach Tagesordnungspunkt 12 beraten wer- Flach, Hildebrecht Braun (Augsburg), weiterer den. Der Tagesordnungspunkt 27 soll bereits heute ohne Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Debatte aufgerufen werden. Eigentumsrechte nicht durch falsche Natur- Weiterhin mache ich auf eine geänderte bzw. eine schutzpolitik aushöhlen nachträgliche Überweisung im Anhang zur Zusatzpunkt- – Drucksachen 14/1113, 14/4572 – liste aufmerksam: Berichterstattung: Der in der 173. Sitzung des Deutschen Bundestages Abgeordnete Ulrike Mehl überwiesene nachfolgende Antrag soll nunmehr feder- Vera Lengsfeld führend an den Auswärtigen Ausschuss und an den Aus- Ulrike Höfken schuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Birgit Homburger zur Mitberatung überwiesen werden. Eva Bulling-Schröter Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17545

Präsident Wolfgang Thierse (A) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die häufiger, für immer kürzere Zeit und immer weiter in den (C) Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich höre Urlaub zu fliegen. keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem und bei der SPD) Bundesminister Jürgen Trittin. Wir versuchen, die Arbeit der Naturschutzverbände zu stärken. Was wäre denn Naturschutz ohne die Zehn- Jürgen Trittin, Bundesminister für Umwelt, Natur- tausende von Jugendlichen und Erwachsenen in den Na- schutz und Reaktorsicherheit: Herr Präsident! Meine turschutzverbänden? Die Naturschutzverbände sind die Damen und Herren! Seit fast vier Legislaturperioden dis- Anwälte der Natur. Wir geben ihnen nunmehr auch bun- kutieren wir über eine Novellierung des Bundesnatur- desweit ein Instrument in die Hand, mit dem sie als An- schutzgesetzes. Eine solche Novelle legen wir heute vor. walt der Natur wirklich tätig werden können. Wir führen Wir schaffen damit die Grundlagen für den Erhalt der bio- die Verbandsklage ein. Wo auf Auflagen für Schutzge- logischen Vielfalt in einer modernen Industrie- und biete verzichtet werden soll, wo Planfeststellungsverfah- Dienstleistungsgesellschaft. Meine Vorgängerin und ihr ren durchgeführt werden, dort können anerkannte Ver- Vorgänger sind – ich sage bewusst: leider – an einem sol- bände künftig, wenn sie sich vorher an den Verfahren chen Gesetzentwurf, wie er heute dem Bundestag vor- beteiligt haben, Klage erheben. Wir ziehen damit die Kon- liegt, gescheitert. Ich denke, wir sind damit heute einen sequenz aus den guten Erfahrungen, die wir mit der Ver- großen Schritt weiter. bandsklage in mittlerweile 13 Bundesländern gemacht haben. Die Bayern und die Baden-Württemberger müssen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in diesem Punkt noch ein bisschen geschoben und nach und bei der SPD) vorne gebracht werden. Wir stärken den Schutz der Natur, um, wie es Richard (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- von Weizsäcker einmal gesagt hat, ihrer selbst willen. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Störche, Adonisröschen und andere bedrohte Arten sollen in Deutschland ein Recht auf Überleben haben. Ich sage Wir unterstützen mit diesem Gesetz auch die Agrar- immer: Da, wo Störche leben können, ist mit Sicherheit wende und die Neuorientierung der Landwirtschaft, die auch ein guter Platz für Menschen. Wer als Kind Natur Verbraucher ebenso wie Landwirte fordern. Ich will an dieser Stelle mit allem Nachdruck sagen: Ohne landwirt- live erlebt und erfahren sowie die Bereicherung durch Na- schaftliche Tätigkeit, das heißt ohne die Arbeit von Land- tur empfunden hat, der wird sich als Erwachsener mehr wirten, würde die Kulturlandschaft in Deutschland ver- für Natur, aber auch mehr für Naturschutz und gelegent- öden. Aber umgekehrt gilt auch: Bei einer weiteren lich für die Naturwissenschaften interessieren. (B) Industrialisierung der Landwirtschaft würden nicht nur (D) Wir schützen mit dem Bundesnaturschutzgesetz die die Landschaft und die Natur unter die Räder kommen, Natur nicht gegen die Menschen, sondern mit den Men- sondern auch das Höfesterben würde sich weiter be- schen. Wir wollen den Naturschutz aus seinem Reservat schleunigen. Deswegen sage ich mit allem Nachdruck: herausholen. Landwirte und Naturschutz haben ein gemeinsames Inte- resse an einer nachhaltigen Landwirtschaft und an or- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dentlichen ländlichen Räumen. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wir berücksichtigen deswegen auch die Interessen der bei der SPD – Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Im Ziel Jogger, der Kletterer und der Menschen, die Kanu fahren, sind wir uns einig! Es kommt darauf an, wie!) weil wir glauben, dass diejenigen, die in ihrem Sport Na- tur erleben, potenziell auch Bündnispartner für den Na- Spätestens dann, wenn ungespritztes Obst, Gemüse und turschutz sein können. Fleisch, das von Bioland oder anderen Produzenten er- zeugt worden ist, für alle bezahlbar wird, merkt jeder: Gerade mit der Verpflichtung, Naherholungsgebiete Nachhaltige Landwirtschaft, Naturschutz schmeckt gut. zu schaffen und zu erhalten, wollen wir dazu beitragen, dass Menschen – seien es alte Menschen, seien es Men- Ich will an dieser Stelle noch einige Bemerkungen zu schen mit Kindern – eine Chance haben, sich ortsnah zu den Eckpunkten dieses Gesetzentwurfs machen. Wir de- erholen. Der Spreewald, das Siebengebirge und die Eifel finieren das Verhältnis von Naturschutz und Land- und sind allesamt ideale Kurzurlaubsorte vor der Haustür. Forstwirtschaft neu. Das heißt, wir führen erstmals Re- geln für eine gute fachliche Praxis aus der Sicht des Na- (Karsten Schönfeld [SPD]: Den Thüringer turschutzes ein. Es ist nicht so, wie einige immer be- Wald haben Sie vergessen!) fürchten, dass dadurch etwas Schreckliches passiert. Im – Ich konnte nicht alle aufzählen. Grunde genommen ist es doch selbstverständlich – es sind die „basics“, Neudeutsch gesagt –, dass Grünland in (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Der Bo- Flußauen und an Hängen nicht umgebrochen wird, weil densee fehlt! – Zuruf von der F.D.P.: Und der das zu Erosionen führt. Wir wissen, dass leider nicht da- Hunsrück!) nach gehandelt wird; deswegen müssen wir entspre- chende Vorschriften in das Gesetz aufnehmen. – Jetzt kommen die ganzen Vorschläge. Sie wissen, was ich meine. – Wir sind uns einig, dass wir diese Räume er- Höfe sollen künftig im Verhältnis zum Viehbestand halten müssen, anstatt eine Tendenz zu befördern, immer und zur Fläche ausgewogen bewirtschaftet werden. Wir 17546 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Bundesminister Jürgen Trittin (A) wollen, dass in der Forstwirtschaft Kahlschlag untersagt Ich möchte nun eine Bemerkung zu einem Konfliktfeld (C) wird. Wir halten nichts davon, dass überall Fichtenplanta- machen, das gerade an der Küste eine besondere Rolle gen angelegt werden. Wir wollen vernünftigen Misch- spielt. Wir beobachten eine steigende Investitionstätigkeit wald und eine standortgerechte Bewirtschaftung. in Bezug auf die Planung und den Bau und von Offshore- windenergieparks. Als Naturschützer sage ich ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deutlich: Wir wollen den Ausbau der Windenergie. Wenn sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter wir den Klimawandel nicht bekämpfen, wird das gerade Ramsauer [CDU/CSU]: Das haben Sie doch auf die Artenvielfalt, die Biodiversität, Auswirkungen ha- nicht erfunden! Die Waldbauern machen das ben. Es ist und bleibt aber richtig, dass die wirklichen Po- schon immer so!) tenziale für den Ausbau der Windenergie beim Windener- In der Fischereiwirtschaft erhält der Naturschutz Vorrang gieweltmeister Bundesrepublik Deutschland offshore im vor der Rendite. Wasser liegen. Das ist der Grund, weswegen wir als für den Naturschutz zuständiges Ministerium Flächen be- Wir geben es den Ländern mit dem Naturschutzgesetz stimmt haben, auf denen dieser Ausbau möglich ist. Wir in die Hand, dieses Gesetz auszugestalten. Wir setzen be- wollten damit ganz bewusst ein Signal setzen, nämlich wusst Rahmen, weil wir der Auffassung sind, dass es je den Naturschutz aus der Rolle des Verweigerers und Ver- nach Landschaft, je nach Bundesland unterschiedliche hinderers in eine aktive Mitgestaltung bei der Lösung die- Bedingungen gibt. Dem muss in einem föderalen Staat ses Problems bringen. von den Ländern Rechnung getragen werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das gilt gerade im Hinblick auf die Ausgleichsrege- und bei der SPD) lung. Wir haben mit der von Ihnen vorgelegten Gesetzes- novelle, nach der eine Ausgleichspflicht auch dann be- Außerdem werden wir dafür sorgen, dass innerhalb der stand, wenn eine Naturschutzbehörde lediglich zur AWZ, der Außenwirtschaftszone, für solche Dinge ent- Verhinderung von Umweltsünden eine gute fachliche sprechende Regeln gelten. Wir verändern die Seeanlagen- Praxis durchgesetzt hat, Schluss gemacht. Das kann nicht verordnung und wir schaffen die Grundlagen zur Auswei- ausgleichsfähig sein. Den Ausgleich von Leistungen, die sung von FFH- und Vogelschutzgebieten. die Landwirte über die gute fachliche Praxis hinaus für Meine Damen und Herren, in einem montäglichen den Naturschutz erbringen, sollen die Länder regeln. Das Magazin habe ich auf dem Titelbild Folgendes gelesen: ist unser Ansatz für ein neues Miteinander zwischen Na- „Die abgeschlafften Reformer“. turschutz und Landwirtschaft. (Jörg van Essen: Genau so ist es!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (B) Ich muss Ihnen sagen: Für die Umwelt- und Naturschutz- (D) und bei der SPD) politik dieser Regierung kann ich das nicht nachvollzie- Wir wollen, dass die Länder auch eine Gesetzlichkeit hen. für ein Biotopverbundsystem aufbauen, ein System, in (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dem sich unterschiedliche Biotope miteinander verbin- SES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der den. Ich sage an dieser Stelle deutlich, dass es sich hier F.D.P.) nicht um eine Schutzkategorie handelt. Wir haben mit Ab- sicht nicht festgeschrieben, wie die Länder das machen Nach dem Atomkonsens, dem Erneuerbare-Energien- sollen, sondern wir gehen davon aus, dass dies aufgrund Gesetz und dem Modernisierungsgesetz für Kraft- der jeweiligen regionalen Bedingungen erfolgt. Wärme-Kopplung geht Rot-Grün mit dem Natur- schutzgesetzentwurf die nächste große Reform an, eine Schließlich möchte ich darauf hinweisen, dass wir die Reform, an der Sie 16 Jahre lang gescheitert sind. Ich Eingriffsregelung des Bundesnaturschutzgesetzes ver- kann nur sagen: Von Reformmüdigkeit ist zumindest bei schärft haben. Künftig gilt die Veränderung des Grund- mir keine Spur. wasserspiegels, eines der Hauptprobleme, das wir haben, als ein Eingriff. Wir haben sie zwar praktikabler gemacht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und aber gleichzeitig den Schutz von Lebensräumen von bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Eine sehr streng geschützten Tier- und Pflanzenarten verschärft. mittelmäßige Rede! Ohne Engagement!) Darüber hinaus wollen wir nicht mehr, dass bei Eingriffen Ablasshandel betrieben wird. Ausgleichsmaßnahmen Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort müssen angemessen und hochwertig sein. Die Natural- dem Kollegen Peter Paziorek von der CDU/CSU-Frak- kompensation muss im Vordergrund stehen. Die Funktion tion. des Naturhaushaltes und das Landschaftsbild dürfen nicht beeinträchtigt werden. Dr. Peter Paziorek (CDU/CSU): Herr Präsident! Schließlich sind wir mit dem Naturschutzgesetzent- Meine Damen und Herren! Der Schutz der Natur ist bei wurf einen weiteren Missstand angegangen, nämlich den uns, in Europa und weltweit eine der zentralen Heraus- Vogeltod an Hochspannungsleitungen. Bestehende Lei- forderungen unserer Zeit. Bei der Festlegung der Krite- tungen sollen innerhalb von acht Jahren so umgerüstet rien für die Beantwortung der Frage, wie wir die Natur am werden, dass zum Beispiel Uhus und Greifvögel gegen besten schützen können, müssen wir zwar von naturwis- Stromschlaggefahr gesichert sind. senschaftlichen Fakten ausgehen; letztlich ist dies aber Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17547

Dr. Peter Paziorek (A) eine gesellschaftspolitische Frage. Bei ihrer Beantwor- tages steht aus rein ideologischen Gründen im Mittel- (C) tung müssen alle Bürger einbezogen werden. Das bedeu- punkt dieser Novelle. tet für die CDU/CSU im Gegensatz zur Regierungskoali- Der Entwurf fördert nicht die Lösung von Natur- tion: Naturschutz kann nur mit der Bevölkerung und nicht schutzfragen im Konsens mit dem Bürger, er stärkt nicht gegen die Bevölkerung verwirklicht werden. den Vertragsnaturschutz, sondern er setzt wieder stärker (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) auf die hoheitliche und damit auch verwaltungsmäßige Dies ist einer der wichtigsten Grundsätze in der Natur- Wahrnehmung, teilweise auch gegen den Willen der ört- schutzpolitik. Sagen wir es ganz deutlich: Moderner Na- lichen Bevölkerung. turschutz bedeutet Schutz der Natur vor negativen Der Entwurf hebt die bundeseinheitliche Verpflichtung menschlichen Einflüssen, aber auch Schutz und Nutzung der Bundesländer zum finanziellen Ausgleich für Natur- der Natur durch den Menschen. schutzauflagen, die über die gute fachliche Praxis hinaus- (Karsten Schönfeld [SPD]: Richtig! Völlig in gehen, wieder auf und überlässt damit die Regelung der Ordnung! Da geht unser Gesetz hin!) finanziellen Fragen in Bezug auf die Landwirtschaft tatsächlich nur den Bundesländern. Es wird nach Ihrem Daraus folgt für uns ganz wesentlich: Diese Grund- Gesetzentwurf entgegen Ihren Worten, Herr Minister, kei- frage mit Generationenbedeutung kann nur im Einver- nen gerechten bundeseinheitlichen Lastenausgleich im nehmen mit allen gesellschaftlichen Gruppen gelöst Naturschutz mehr geben. Gerade das war ein Erfolg der werden. Das wird nur zu schaffen sein, wenn für die Be- letzten Novellierung vor 1998. Sie machen diesen wich- lange des Naturschutzes ein auf Konsens gerichtetes poli- tigen Erfolg, die Verankerung des Naturschutzes in der tisches Klima erreicht wird. Dieser Anforderung wird Ihr Bevölkerung, wieder zunichte. Gesetzentwurf, Herr Minister, an keiner Stelle gerecht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wer das nicht glauben will, schaue sich nur die Be- Voraussetzung für einen Dialog zwischen Naturnut- gründung Ihres neuen Gesetzentwurfes an. Ich darf zitie- zern und Naturschützern und den Willen aller zu einem ren, Herr Präsident. Bündnis für die Natur ist, dass es zu einer gerechten Las- tenverteilung im Rahmen der Naturschutzpolitik kommen Zwar ist es den Ländern unbenommen, Entschädi- muss. Den Nutzen, den die Allgemeinheit von einer in- gungen auch für solche Beschränkungen zu zahlen, takten Natur hat, dürfen nicht nur wenige, sondern müs- die nur unwesentlich über den Standard der guten sen alle bezahlen. Das übersehen Sie – entgegen Ihren fachlichen Praxis hinausgehen. Aber auf der anderen Worten, Herr Minister – eindeutig in Ihrem Gesetzent- Seite sind auch reine Härtefallregelungen denkbar, (B) wurf. die bereits an der Grenze der Sozialpflichtigkeit des (D) Eigentums angesiedelt sein können. In dieser Band- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) breite sind die Länder zukünftig frei, Ausgleichszah- Unter Berücksichtigung dieser Anforderungen ist der lungen zu treffen. jetzt von Bundesminister Trittin – nach seiner Rede zu ur- So die Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf. teilen besteht bei ihm doch eine große politische Müdig- keit – und von den Regierungskoalitionen vorgelegte Ent- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das ist der entschei- wurf einer Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz eine dende Punkt!) herbe Enttäuschung. Er trägt nicht zum Konsens im Dabei wissen wir doch ganz genau, dass gerade diese Naturschutz bei. Er vertieft vielmehr die Kluft zwischen frühere Praxis, die Sie jetzt wieder einführen wollen, zu den verschiedenen Akteuren, insbesondere zur Land- und unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen in Deutsch- Forstwirtschaft. Diese Kluft haben wir, CDU/CSU und land geführt hat. F.D.P., ( [SPD]: Das ist Föderalis- (Ulrike Mehl [SPD]: Geschaffen!) mus!) vor 1998 – da waren Sie, Herr Minister, noch nicht Mit- Sie war doch gerade ein wesentlicher Grund für die Ab- glied dieses Bundestages – durch die letzte Novellierung nahme der Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen in der des Bundesnaturschutzgesetzes erfolgreich überbrücken Bevölkerung, insbesondere in der Land- und Forstwirt- können. Sie schrauben das wieder zurück. schaft. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Christoph Matschie [SPD]: Wollten Sie nicht Sie werden diese Kluft mit diesem Gesetzentwurf wieder mehr Wettbewerbsföderalismus?) aufreißen, und zwar – das sage ich ganz deutlich – zulas- Es ist ein umweltpolitischer Treppenwitz, dass die Bundes- ten des Naturschutzes in unserem Land. regierung diese überholte Praxis, die wir schon längst über- Wie bei der Rentendiskussion 1998 und bei der Ge- wunden hatten, jetzt in Deutschland wieder einführen will. sundheitsreform Ende 1998 wird jetzt, natürlich verspä- (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Das ist tet, auch die Naturschutzdiskussion von der rot-grünen gar nicht wahr!) Bundesregierung mit Themen von gestern und vorgestern eröffnet. Nicht die Lösung von Zukunftsfragen, sondern Die Konsequenz daraus wird sein, dass damit unter dem das Rückgängigmachen früherer Beschlüsse des Bundes- Diktat leerer öffentlicher Landeskassen Naturschutz 17548 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Peter Paziorek (A) künftig wieder zulasten einer Bevölkerungsgruppe betrie- Sie werden sehen, dass wir gerade diese Punkte im Detail (C) ben wird, siehe Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. kritisieren werden. Ich muss ganz deutlich sagen: Ich halte es für unehr- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) lich, dass bei der Vorstellung des Entwurfs auf frühzeitige Ein wichtiges Thema ist das von Ihnen angesprochene Information und Konsens mit der Bevölkerung hingewie- Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. sen wird, dass in den konkreten Regelungen aber – das Wir wissen, dass es notwendig ist, Landwirtschafts- und stellt man fest, wenn man in den Gesetzentwurf hinein- Naturschutzpolitik zu harmonisieren. Durch neue Aufla- schaut – vieles von dem, was Sie, Herr Minister, heute gen und Verordnungen sowie durch die Abschaffung von Morgen gesagt haben, vom Gesetzes- und Begründungs- Regelungen zur finanziellen Entschädigung werden Sie in text leider nicht getragen wird; das waren alles reine Wort- diesem weiten Politikfeld nicht erfolgreich sein. Auch die hülsen. CDU/CSU ist für standortangepasste Landnutzung, artge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rechte Tierhaltung und naturnahe Bewirtschaftung. Die Anhebung der Standards, von denen Sie gerade gespro- Die Anhänger des Naturschutzes werden es noch be- chen haben, gehört aber in die einschlägigen Fachgesetze reuen. Das Zurückdrängen des Vertragsnaturschutzes in und nicht in das Bundesnaturschutzgesetz. Deutschland wird nicht dazu beitragen, das zukünftige Klima – ich sage es noch einmal ganz deutlich – für not- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wendige Naturschutzmaßnahmen zu verbessern. Man der F.D.P.) kann sagen: Der Entwurf hält nicht das, was Sie gerade in Herr Trittin, man merkt, dass Sie ursprünglich nicht in Ihrer Rede versprochen haben. der Verwaltung tätig gewesen sind: Alle Fachleute sagen (Marita Sehn [F.D.P.]: Das weiß er auch! – Zu- Ihnen, dass die Naturschutzbehörden vor Ort personell ruf von der CDU/CSU: Auf dem Rücken der nicht so ausgestattet sind, dass sie die vielen offenen Betroffenen!) Punkte im Natur- und Landschaftsschutz regeln und har- monisieren könnten. Die Verwaltung vor Ort ist überhaupt Es wird zum Beispiel davon gesprochen, dass ein Bio- nicht entsprechend ausgestattet. Sie befrachten vielmehr topverbund notwendig sei – dies ist richtig – und dass die die Naturschutzbehörden mit neuen Aufgaben und wissen verschiedensten Naturschutzflächen in Deutschland ganz genau, dass die Naturschutzbehörden diese Fragen grundsätzlich 10 Prozent der Landesfläche umfassen sol- vor Ort überhaupt nicht lösen können. Sie werden dadurch len. Wie kommen Sie auf diese Zahl von 10 Prozent? nur große Unsicherheiten und Probleme in der Natur- (Marita Sehn [F.D.P.]: Es können ja auch schutzpolitik vor Ort herbeiführen. 5 oder 15 Prozent sein!) Deshalb fordere ich ganz deutlich: Hören Sie auf, in (B) (D) Warum nicht in dem einen Land 12 oder 15 Prozent und diesen Fragen die so genannte Agrarwende zu betreiben! in einem anderen 7 oder 8 Prozent? Wieso greifen Sie ein- Machen Sie das, wenn Sie wollen, in den Fachgesetzen! fach eine Zahl heraus, obwohl Sie ganz genau wissen, Helfen Sie aber mit, dass der Gedanke des Naturschutzes dass Sie diese Zahl in der konkreten Naturschutzdiskus- an dieser Stelle keinen Schaden leidet! sion überhaupt nicht begründen können. Sie wollen nur Ich fasse zusammen: Dieser von Rot-Grün vorgelegte Ihre Klientel zufrieden stellen; das ist völlig falsch. Entwurf einer Novellierung des Bundesnaturschutzgeset- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zes wird die Situation des Naturschutzes in Deutschland leider nicht verbessern. Die CDU/CSU-Fraktion schlägt Meinen Sie denn wirklich, dass es ein Beitrag zur Bür- vor, den bisher eingeschlagenen Weg des Konsenses gerinformation und Bürgeröffentlichkeit ist, wenn Sie die verschiedensten Biotoptypen und -schutzkategorien jetzt (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Des noch weiter anreichern? Sie führen eine Vielzahl von Nichtstuns!) Schutzgebietskategorien ein. Der Bürger steht verzweifelt im Naturschutz weiterzugehen. Dazu muss – im Gegen- vor Ihrem Gesetzentwurf und fragt sich, was durch die ent- satz zu Ihrem Entwurf – der Vertragsnaturschutz gestärkt sprechenden Typen – Naturschutzgebiete, Naturparke, Na- und die bundeseinheitlich vorgeschriebene Ausgleichs- tionalparke und Biosphärenreservate – geschützt wird, in- verpflichtung der Bundesländer für Naturschutzauflagen wieweit durch den einen Typ in sein Eigentum eingegriffen beibehalten werden. Darüber hinaus ist das Bundesnatur- wird und wie er sich bei einem anderen Typ tatsächlich ver- schutzrecht mit einer Vereinfachung der Schutzkategorien halten muss. Im Sinne der Entbürokratisierung wäre es ein und Veränderungen im Artenschutzrecht für den Bürger Gebot der Stunde, die Schutzkategorien zu vereinfachen, transparenter zu gestalten. damit die Bürger wissen, wo es langgeht, und bereit sind, dort mitzumachen. Das machen Sie leider nicht. Für solche Regelungen bieten wir in den Ausschüssen unsere Mitarbeit an. Den Entwurf in der jetzigen Fassung (Christoph Matschie [SPD]: Machen Sie mal lehnt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion aber entschieden einen Vorschlag!) ab. – Herr Matschie, Sie als Ausschussvorsitzender werden (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- noch erleben, wie lange die Beratungen im Ausschuss dau- neten der F.D.P.) ern werden. Diesen Zwischenruf werden Sie noch bereuen. (Lachen bei der SPD – Christoph Matschie Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort [SPD]: Jetzt habe ich aber Angst!) Ulrike Mehl, SPD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17549

(A) Ulrike Mehl (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- Das tut sie ja in weiten Teilen, und zwar auch in der Pra- (C) ginnen und Kollegen! Herr Paziorek, ich konnte eigent- xis. Aber mit solchen Reden, wie Sie sie hier halten, tun lich nichts anderes erwarten; aber ein bisschen enttäuscht Sie das jedenfalls nicht. es mich schon, dass Sie wieder in das altbekannte Horn blasen. Den Dissens in der Öffentlichkeit, den Sie bekla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des gen, haben Sie erzeugt, und zwar in der letzten Legis- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) laturperiode mit der Diskussion gerade um die Land- Wir werden mit dem vorgelegten Gesetzentwurf einen wirtschaft. Einen Konsens erreicht man nicht mit solchen neuen Anlauf nehmen, um endlich das notwendige ge- Reden, wie Sie eben eine gehalten haben. setzliche Fundament für einen wirksamen Naturschutz zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaffen. Dieses Gesetz ist im Gegensatz zu dem, was wir DIE GRÜNEN) eben gehört haben, eine deutliche Verbesserung gegen- über dem geltenden Recht. Es orientiert sich an dem Prin- Ich habe gehofft, dass Sie konstruktiv mitarbeiten wollen. zip der Nachhaltigkeit, betont nicht mehr so stark die Aber offensichtlich wollen Sie es nicht; Sie wollen das Interessen der Naturnutzer und berücksichtigt neue wis- Thema vielmehr wieder ausschlachten und schaden damit senschaftliche Erkenntnisse aus Naturschutz und Land- gerade dem Bestreben, Naturschutz und Landwirt- schaftsplanung. schaft zusammenzubekommen. Sie bringen die Leute auf die Barrikaden, und das ohne jeden Grund. Ich kann in dem Zusammenhang nur begrüßen, dass die Liste der zu schützenden Biotope erweitert worden ist (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Wer geht und dass beispielsweise auch der Schutz von Gewässern denn auf die Barrikaden?) und Uferzonen als wichtiges Element für ein ökolo- – Ich komme dazu gleich noch. Ich kann überhaupt nicht gisches Netz benannt worden ist. nachvollziehen, was Sie an Inhalten kritisieren. Aber viel- Ich finde die Neuregelung des Verhältnisses von Na- leicht kommt später mehr Substanz. turschutz einerseits und Land-, Forst- und Fischerei- Wir debattieren heute – ich hoffe, zum vorletzten Mal für wirtschaft andererseits, wie sie jetzt in den Gesetzent- geraume Zeit – das Bundesnaturschutzgesetz, das wir weit wurf aufgenommen worden ist, lobenswert. Die über zwölf Jahre intensiv diskutiert haben. Aber bis 1998 bestehenden fachrechtlichen Vorschriften für die ord- gab es nur Gesetzentwürfe der Opposition. Auch der frühere nungsgemäße Bewirtschaftung werden durch na- Umweltminister Töpfer, der das Fehlen einer Novelle als turschutzfachliche Anforderungen ergänzt. Diese ge- eine klaffende Wunde in der Umweltpolitik der damaligen plante Änderung – das ist der Unterschied zu dem, was Regierung bezeichnet hat, hatte keinen Gesetzentwurf und in der letzten Legislaturperiode gelaufen ist – flankiert (B) er wusste sehr wohl, warum: Er wollte nämlich keinen die ebenfalls überfällige Agrarwende, die den Weg zu (D) schlechten vorlegen. Stattdessen haben Sie 1998 zwei No- einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Landwirtschaft vellen vorgelegt; die zweite scheiterte. In der dritten haben ebnet. Die Novellierung des Bundesnaturschutzgeset- Sie dann das geregelt, was Sie in der zweiten nicht durch- zes ist also einer der Bausteine bei der Umsetzung der bekommen haben. Alleine das ist schon ein Grund dafür, neuen Agrarpolitik. dass das Naturschutzgesetz überarbeitet werden muss. § 5, um den es hier geht, hat schon im Vorfeld zu hef- Dass die CDU jetzt im Bundesrat versucht, zu halten, tigen Diskussionen geführt. Allerdings ist das eine Dis- was zu halten ist, um dem Gesetz einen eigenen Stempel kussion, die wir schon seit zehn Jahren intensiv führen. aufzudrücken, kann ich zwar nachvollziehen; aber ich Ich kann heute, da der ausformulierte Text vorliegt, die sage Ihnen: Es wird Ihnen nicht gelingen, dieses Gesetz ablehnenden Argumente vonseiten der Landwirtschaft zu einem zustimmungspflichtigen Gesetz zu machen und noch weniger verstehen als früher. Es ist für mich nicht es damit scheitern zu lassen. Das Gesetz wird diesmal be- schlossen werden. nachvollziehbar, warum die Landwirtschaft glaubt, dass das, was hier formuliert ist, zum Ruin der Landwirtschaft (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ führt. Dies haben Sie ja eben heraufbeschworen. DIE GRÜNEN) (Christoph Matschie [SPD]: Das glauben nur Die Fachwelt ist sich jedenfalls einig, dass, obwohl einige Verbandsvertreter!) schon viele Jahre untätig ins Land gegangen sind, eine Überarbeitung des Naturschutzgesetzes dringend notwen- Ich glaube, das im Gesetz Formulierte ist das Minimum dig ist; denn die Artengefährdung sowie der Lebens- dessen, was man von der Landwirtschaft erwarten kann. raumschwund und die Lebensraumverschlechterung hal- Die Bauernverbandsvertreter sagen ja selbst, dass sie das, ten ungebremst an. Das kann man in vielen Gutachten, die was in § 5 des Bundesnaturschutzgesetzes formuliert ist, in den letzten Jahren erstellt worden sind, nachlesen. ohnehin machen, und zwar seit vielen Jahren. Deswegen erschließt es sich mir nicht, warum sie mit allen Mitteln Der Interessenkonflikt zwischen Landwirtschaft und dagegen kämpfen. Naturschutz ist weitgehend unverändert geblieben. Dazu hat die Diskussion in der letzten Legislaturperiode kräftig (Beifall bei der SPD und dem BÜND- beigetragen. Ich finde das ausgesprochen bedauerlich. Ich NIS 90/DIE GRÜNEN) glaube, dass es für die Landwirtschaft eine große Chance Unter den diversen Gegenargumenten gibt es eines, das ist, wenn sie von sich aus auf den Naturschutz zugeht. ich gerne bereit bin, im parlamentarischen Beratungsver- (Marita Sehn [F.D.P.]: Das macht sie doch!) fahren zu untersuchen. In § 5 Abs. 3 Nr. 2 steht, dass die 17550 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Ulrike Mehl (A) erforderlichen Elemente zur Vernetzung von Biotopen in ebene lange überfällig. Wir haben dies ernst genommen (C) ausreichender Dichte zu erhalten bzw. wieder herzustel- und haben jetzt die Gelegenheit genutzt, es in das Gesetz len sind. Es wird behauptet, dass dies dazu führen könnte, aufzunehmen. dass bestehende Agrarförderprogramme ausgehebelt (Beifall bei der SPD und dem BÜND- würden. Ich glaube nicht, dass dieser Fall eintreten wird, NIS 90/DIE GRÜNEN) weil nämlich in dem gleichen Absatz formuliert ist, dass die Länder die zu erreichende regionale Mindestdichte Wir haben das Instrument der Landschaftsplanung hierfür festlegen müssen. Ich bin aber, wie gesagt, gern gestärkt, indem wir es als flächendeckendes Instrument in bereit, dies zu überprüfen, weil wir natürlich im Interesse das Gesetz aufgenommen haben. Die Landschaftsplanung des Naturschutzes eine Bereicherung an Landschaft errei- ist die einzige Fachplanung, die die unterschiedlichen chen wollen. Wenn dies über Agrarprogramme geschieht, Nutzungsansprüche an Natur und Landschaft koordinie- dann soll dies auch weiterhin so sein. ren kann. Deswegen ist sie ein sehr wichtiges Instrument. Die Länder werden nun die Aufgabe haben, einen ent- Im Übrigen ist in diesem Themenzusammenhang wei- sprechenden Mindeststandard der Landschaftsplanung terhin der Vertragsnaturschutz als wichtiges Element festzulegen. In Teilen ist das ja schon geschehen, aber die verankert worden. Ich betone aber noch einmal, dass der Länder werden auch die Aufgabe haben, mit solchen Min- Vertragsnaturschutz eben nur ein Instrument unter ande- deststandards der Landschaftsplanung die Bedeutung zu ren ist. Dies ist im Gesetzentwurf auch so formuliert. Der geben, die sie verdient. Vertragsnaturschutz ist ein Instrument, das bei der Um- setzung vor Ort sehr flexibel angewendet werden kann, Wir haben außerdem unsere langjährigen Forderungen und zwar dort, wo es Sinn macht. Aber was Sinn macht, nach einem Biotopverbund in diesen Entwurf aufge- an welcher Stelle und unter welchen Voraussetzungen es nommen. Auf mindestens zehn Prozent der Fläche eines Sinn macht, das entscheiden diejenigen, die für den Na- Bundeslandes soll es den Vorrang für den Naturschutz ge- turschutz und für die Umsetzung zuständig sind, und das ben. Die Vernetzung der Flächen untereinander setzt nun sind die Länder. Im Übrigen sind es auch die Länder, die endlich schon lange bekannte wissenschaftliche Erkennt- das bezahlen müssen. Deswegen halte ich es nach wie vor nisse im Bereich des Naturschutzes um. für richtig, im Bundesgesetz nicht bindend vorzuschrei- Abschließend möchte ich festhalten: Dieses Gesetz ist ben, dass der Vertragsnaturschutz das Instrument ist, das eine sehr gute Grundlage zur Verbesserung des Natur- die Länder als erstes anzuwenden haben, sondern dass schutzes. Allerdings bietet auch dieses Gesetz nicht die dieses Instrument zur Verfügung gestellt und gesagt wird: Lösung aller Probleme; das sollte jedem klar sein. Das Wendet es dort an, wo ihr meint, dass es das richtige und liegt zum einen daran, dass es sich um ein Rahmengesetz flexible Instrument ist. Genau das haben wir jetzt ge- handelt, zum anderen aber auch daran, dass Naturschutz (B) macht. eine Querschnittsaufgabe ist, die mit vielen Interessen aus (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜND- anderen Ressorts kollidiert. Der Erfolg des Naturschutzes NIS 90/DIE GRÜNEN) hängt im Wesentlichen davon ab, dass diese anderen Inte- ressenfelder dem Naturschutz die Aufgabe zumessen, die Alles in allem ist festzuhalten: Die Landwirtschaft ist er hat, nämlich die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen. in die Lage zu versetzen, umweltverträglich zu wirtschaf- ten. Das ist aber nicht Aufgabe des Naturschutzes, son- Es gibt sicherlich den einen oder anderen Punkt in die- dern Aufgabe der Landwirtschaftspolitik. Genau das wird sem Gesetzentwurf, der verbesserungswürdig ist. Wir die Regierung jetzt mit der Agrarwende tun. Alle über werden darüber im parlamentarischen Verfahren diskutie- dieses Maß hinausgehenden Anforderungen und Wün- ren. Das betrifft möglicherweise Regelungen zum sche vonseiten des Naturschutzes gehören in das Aufga- Biotopverbund, zum Thema Meeresnaturschutz und viel- benfeld des Naturschutzes. Dafür haben wir mit diesem leicht auch im Zusammenhang mit Offshore-Anlagen, die Gesetz die Grundlagen und die Instrumente geschaffen. vorhin schon angesprochen worden sind. Wir werden da- rüber eingehend beraten. Ein weiterer wichtiger Eckpunkt des Gesetzes ist, dass die Naturschutzverbände nun endlich durch die Ein- Ich freue mich sehr, Herr Paziorek, dass Sie trotz aller führung der Vereinsklage auch auf Bundesebene ein grundsätzlichen undifferenzierten Beschimpfungen, was wichtiges Instrument erhalten. Wie wir schon gehört ha- dieses Gesetz angeht, erklären, Sie wollten konstruktiv ben, wenden bereits 13 Bundesländer dieses Instrument mitarbeiten und würden im Ausschuss sehr intensive Vor- seit Jahren an. Während noch vor zehn Jahren heftig la- lagen dazu einbringen. Ich freue mich darauf und hoffe, mentiert wurde, dadurch würde der ganze Staat lahm ge- dass Sie dann auch konstruktiv nach außen wirken und legt, weil die Umweltverbände auf Teufel komm raus nicht so destruktiv, wie Sie es eben getan haben. klagen würden, hat sich genau das Gegenteil herausge- (Beifall bei der SPD und dem BÜND- stellt. Es hat sich herausgestellt, dass die Umweltver- NIS 90/DIE GRÜNEN) bände mit diesem Instrument sehr verantwortungsbe- wusst umgehen. Auf der anderen Seite haben die Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kolle- Verwaltungen inzwischen festgestellt, dass das die Ver- gin Marita Sehn, F.D.P.-Fraktion, das Wort. fahren eher beschleunigt, als dass es sie verlangsamt, weil sie nämlich in den Verfahren sehr viel enger und sehr viel früher zusammenarbeiten. Alle miteinander stellen also Marita Sehn (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kollegin- fest: Dies ist ein gutes Instrument. – Das war auf Bundes- nen und Kollegen! Welche Vision hat diese Bundesregie- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17551

Marita Sehn (A) rung eigentlich von oder für Deutschland – Industriestand- nisse über die Einkommens- und Vermögensentwick- (C) ort oder Feuchtbiotop? lungen der landwirtschaftlichen Betriebe in den verschie- denen Schutzgebietstypen bzw. über die finanziellen Aus- (Zurufe von der SPD und dem BÜND- wirkungen von Schutzgebietsausweisungen vorliegen“. NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh, oh!) (Jörg van Essen [F.D.P.]: Aha! Er redet, wie es Naturschutz in einer hoch entwickelten Industriege- ihm gefällt!) sellschaft, in einem dicht besiedelten Land ist ein dau- ernder Abwägungsprozess. Auf einem zunehmend enger Woher nimmt dann bitte schön die Koalition die Dreistig- werdenden Markt für Fläche ist der Naturschutz neben der keit, immer wieder zu behaupten, der Naturschutz sei eine Wirtschaft und dem Wohnungs- und Straßenbau zu einem Einkommensquelle für die Landwirtschaft? weiteren Nachfrager geworden. Da ist es wenig hilfreich, diesen Abwägungsprozess zu ignorieren und erst einmal Aber die Antwort auf meine Anfrage enthält ein weite- die Abwägungsklausel zu streichen. res Highlight. Schließlich weist die Bundesregierung ausdrücklich darauf hin, dass den „durch Auflagen verur- (Beifall bei der F.D.P.) sachten Kosten jedoch auch Ertragssteigerungen entge- Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie genstehen können, wenn landwirtschaftliche Erzeugnisse uns schon nicht glauben, dann sollte Ihnen die gemein- aus Schutzgebieten zu einer erhöhten Nachfrage und da- same Erklärung von BDI, DIHK, DBV und den mit Zahlungsbereitschaft führen“. Während die Einnah- kommunalen Spitzenverbänden Anlass zum Nachdenken men aus dem Naturschutz also sehr fraglich sind, sind die sein. Wer den Naturschutz aus sich selbst heraus rechtfer- Kosten sehr real. Darüber kann man doch nur noch den tigt, geht zumindest den lästigen Fragen der Landwirt- Kopf schütteln. Geht es nicht noch etwas praxisfremder? schaft, der Forstwirtschaft, der Grundeigentümer, der Wenn man so etwas liest, dann weiß man eines: Herr gesamten Bevölkerung des ländlichen Raumes aus dem Trittin steht mit seiner Novelle mit beiden Beinen fest in Weg. der Luft. (Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/ Genau so ist es!) CSU – Karsten Schönfeld [SPD]: Welch ein Satz!) Herr Minister, auch wir haben natürlich ein Herz für den Storch und für das Adonisröschen. Aber man muss ihm zu seiner Verteidigung zugestehen: Er hat schließlich niemanden, der es ihm besser erklären Nachhaltigkeit – dieses wunderschöne Wort! Kaum könnte. ein Antrag, kaum ein Gesetzentwurf, kaum eine Rede der (B) Regierung, in denen nicht das Leitbild der Nachhaltigkeit Auf meine Frage nach der Anzahl der Fachkräfte mit (D) beschworen wird. Aber was ist denn Nachhaltigkeit, landwirtschaftlicher Ausbildung im Bundesumweltminis- meine Damen und Herren von der Regierung? Nachhal- terium antwortete die Bundesregierung: zehn Mitarbeiter tigkeit umfasst genau das, was Sie mit der Novelle des des höheren und gehobenen Dienstes beim BMU und sie- Bundesnaturschutzgesetzes verhindern wollen, nämlich ben beim Bundesamt für Naturschutz. – Wenn man das in die offene Abwägung von ökonomischen, ökologischen Relation zu den 770 Mitarbeitern beim BMU und 220 und sozialen Faktoren. beim Bundesamt für den Naturschutz setzt, dann versteht man die Befürchtung der Landwirte, wenn sich Herr (Beifall bei der F.D.P.) Trittin erst einmal an die Definition der guten fachlichen Meine sehr geehrten Damen und Herren, wie erklären Praxis macht. Sie es den Landwirten, wenn Sie ihre wirtschaftliche Frei- Beim BMU mag diese personelle Schieflage noch hin- heit zunehmend einschränken? nehmbar sein. Vielleicht hilft Frau Künast Herrn Trittin (Jörg van Essen [F.D.P.]: Leider!) bei den Hausaufgaben. Ich vermisse übrigens Vertreter des Landwirtschaftsministeriums bei einer für die Land- Wie sagen Sie dem Landwirt, dass seine Existenz weniger wirte so wichtigen Debatte. wichtig ist als zum Beispiel die einer bedrohten Insekten- art? Sie drücken sich vor der Antwort, Herr Schönfeld, in- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten dem Sie sagen: Wir schützen die Natur, weil es nun ein- der CDU/CSU) mal die Natur ist. – Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass Bei dem Bundesamt für Naturschutz habe ich für so et- die Betroffenen mit dieser Auskunft sehr zufrieden sein was kein Verständnis. Wenn Naturschutz tatsächlich auf werden. 100 Prozent der Fläche stattfinden soll, wie es das BfN Aber die Halbwahrheiten der Regierung gehen noch immer wieder fordert, dann sollte doch eigentlich weiter. Während Herr Trittin landauf, landab erklärt, dass sichergestellt sein, dass diese Behörde in der Lage ist, die der Naturschutz zu einer wichtigen Einkommensquelle Sorgen und Nöte der größten Flächennutzer, nämlich der für die Bauern geworden ist, sieht die Wahrheit etwas an- Landwirtschaft, zu verstehen. 97 Prozent der Mitarbeiter ders aus. Wohlgemerkt, Herr Trittin: Dies ist die Wahrheit des BfN haben von Landwirtschaft keine Ahnung. Das ist aus Ihrem eigenen Haus. etwas wenig Fachkompetenz, um zu verstehen, was auf 55 Prozent der Fläche in Deutschland vor sich geht. Auf meine schriftliche Anfrage an die Bundesregie- rung vom 7. Juni 2001 habe ich zur Antwort bekommen, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten dass der Bundesregierung „keine allgemeinen Erkennt- der CDU/CSU) 17552 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Marita Sehn (A) Die gesamte Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes Die Bundesregierung will große Politik machen, hat (C) ist deshalb auch ein Beleg für die landwirtschaftliche Ah- aber kein Geld. Also müssen die Landwirte die Zeche zah- nungslosigkeit des Herrn Trittin. Was können Sie nach der len. Vielleicht sollte man Herrn Trittin einmal daran erin- Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes für den Natur- nern: Die Qualität einer Demokratie zeigt sich an ihrem schutz tun, was Sie nicht auch heute schon tun können? Umgang mit Minderheiten. Sie wollen einen Biotopverbund auf 10 Prozent der Fläche. Warum verwirklichen Sie dies nicht gemeinsam Das Recht auf Eigentum ist ein Grundrecht. Es muss mit den Landwirten über den Vertragsnaturschutz? auch für die Landwirte gelten. Die Landwirtschaft darf Warum brauchen Sie immer gleich ein neues Gesetz? nicht mit immer neuen Auflagen belastet werden, die ei- ner schleichenden Enteignung gleichkommen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der F.D.P.: Sehr Die F.D.P. fühlt sich dem Gedanken der Nachhaltigkeit richtig!) verpflichtet, die auch die sozialen und ökonomischen Be- lange mit in Betracht zieht. Wir Liberale wissen, dass der Ob dieses Gesetz mehr Naturschutz bringt, ist nicht si- Wirtschaftsstandort Deutschland kein Feuchtbiotop ist cher. Sicher ist aber, dass auch dieses Gesetz weniger und wir neue Konzepte brauchen. Die Realität lässt sich Freiheit bedeutet – weniger Freiheit für die Land- und leider auch nicht per Gesetz wegverordnen. Deshalb brau- Forstwirtschaft, weniger Freiheit für die Grundbesitzer, chen wir neue Strategien, die es ermöglichen, Naturschutz weniger Freiheit für das Handwerk und den Mittelstand auch in dicht besiedelten Räumen zu verwirklichen. und weniger Freiheit für die Bewohner des ländlichen Raumes. Es ist interessant, dass die ehemaligen Alternati- Die Grünen haben anscheinend ein Problem mit den ven heute die fleißigsten Gesetzesstricker sind. Realitäten eines Industrielandes. Ein Industrieland braucht eine gewisse Infrastruktur. Dazu gehört natürlich auch eine Die F.D.P. setzt gerade beim Naturschutz auf Koopera- flächendeckende Energieversorgung. Aber selbst damit tion. Naturschutz ist ein Anliegen der gesamten Gesell- haben Sie ein Problem. Für die toten Vögel an Hochspan- schaft. Deshalb ist es nur recht und billig, wenn er auch nungsleitungen haben Sie ein Herz. Aber sind die, welche von allen mitgetragen wird. Mit dem Vertragsnatur- von Windrädern erschlagen werden, weniger wert? schutz – an dem wir übrigens in der vergangenen Legis- laturperiode einen großen Anteil gehabt haben – (Horst Kubatschka [SPD]: Die gibt es nicht! Sie haben doch wirklich keine Ahnung!) (Zuruf von der F.D.P.: Genauso ist es! Das ist richtig!) Was ist übrigens in diesem Zusammenhang mit dem Landschaftsbild, Herr Kubatschka? Danach muss ich hier gibt es bereits ein hervorragendes Instrument, Natur- auch einmal fragen. schutzaspekte auf der einen Seite und die ökonomischen (B) Belange der Nutzer auf der anderen Seite gleichermaßen Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch im Na- (D) zu berücksichtigen. turschutz brauchen wir eine Verhältnismäßigkeit; wir brauchen die Abwägung ökonomischer, sozialer und öko- (Beifall bei der F.D.P.) logischer Faktoren. Viele Aspekte in unserer Gesellschaft Für uns Liberale ist der Naturschutz kein von der Rest- sind nicht unbedingt angenehm und fast jede Form des gesellschaft losgelöster Monolith, sondern integraler Be- Wirtschaftens ist auch mit einem Ge- und Verbrauch von standteil. Deshalb muss ein Abwägungsprozess stattfin- Umwelt verbunden. Wenn aber das Streichen der Abwä- den. Wer Naturschutz will – und wir alle wollen ihn –, gungsklausel im Bundesnaturschutzgesetz alles ist, was muss auch sagen, was er dafür zu zahlen bereit ist. Natur- Ihnen dazu einfällt, dann ist das schon etwas mager. schutz darf nicht per Mehrheitsbeschluss einer Minder- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten heit aufs Auge gedrückt werden. Die F.D.P. will, dass der CDU/CSU) Grundrechte für alle gelten, auch für Minderheiten. Die Landwirte sind zu einer Minderheit geworden An der Realität ändert sich dadurch überhaupt nichts und Sie bringen die Gesellschaft damit keinen Deut weiter. (Christoph Matschie [SPD]: Das sind jetzt aber schwere Geschütze!) Man möchte Sie manchmal fragen: Wissen Sie eigent- lich, wo Sie sich befinden? Deutschland ist keine Jäger- und die Bundesregierung lässt sie dieses deutlich spüren. und-Sammler-Gesellschaft mehr. Herr Matschie, ich möchte noch einmal fragen: Wer (Christoph Matschie [SPD]: Das kann doch vertritt das Landwirtschaftsministerium heute auf der Re- nicht wahr sein!) gierungsbank? Ich kann niemanden sehen. Es tut mir Leid. Wir leben in einem hoch entwickelten Industrieland mit ei- ner umfassenden Infrastruktur und dicht besiedelten Räu- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die sind gar nicht men. Da kann Naturschutz nur in Abwägung mit anderen da! – Zuruf von der F.D.P.: Die mussten schon Faktoren stattfinden. Die eigentliche Herausforderung im die Segel streichen!) Naturschutz besteht nicht darin, ein neues Gesetz zu schaf- Ich empfinde dies als eine Katastrophe. Es ist ein so wich- fen. Die große Herausforderung im Naturschutz besteht tiges Gesetz, gerade für die Landwirtschaft. Dafür, dann vielmehr darin, Wege aufzuzeigen, wie Naturschutz auch hier nicht anwesend zu sein, habe ich kein Verständnis. in Ballungsgebieten im Konsens mit allen Beteiligten (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten (Ulrike Mehl [SPD]: Den kriegen Sie nie hin, der CDU/CSU) Frau Kollegin!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17553

Marita Sehn (A) durchgeführt werden kann. Wir Liberale wollen den Na- müssen. Dabei den großen Wurf für den Naturschutz zu er- (C) turschutz, Frau Mehl, aber wir wollen den Naturschutz zielen ist höchst schwierig und nach Einschätzung der PDS mit den Menschen und für die Menschen und nicht einen mit dem heutigen Gesetzentwurf noch nicht voll gelungen. Naturschutz, der über die Bedürfnisse der Menschen hin- Im Vergleich zum geltenden Bundesnaturschutzgesetz weggeht. ist der vorliegende Entwurf ein Fortschritt, wenn auch aus Vielen Dank. unserer Sicht nur ein relativ bescheidener. Anders als es aus naturschutzfachlicher Sicht erforderlich wäre und im (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Gegensatz zu den Forderungen der Naturschutzverbände – das ist Ihnen sicherlich bekannt – stellt er leider nicht Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort den erhofften großen Schritt nach vorne für den Natur- dem Umweltminister des Landes Mecklenburg-Vorpom- schutz dar. Die Fortschritte sind mehr von der Tilgung von mern, Wolfgang Methling. enormen Defiziten – auch das sollte hier einmal erwähnt werden – des im Kern 25 Jahre alten Gesetzes als von der konsequenten Umsetzung neuer Ansätze im Naturschutz- Dr. Wolfgang Methling, Minister (Mecklenburg-Vor- recht bestimmt. Dies lässt sich an mehreren Kernpunkten pommern): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen der Novelle deutlich machen. und Herren Abgeordnete! Zunächst darf ich mich sehr herzlich für die Gelegenheit bedanken, als PDS-Umwelt- (Beifall bei der PDS) minister aus Mecklenburg-Vorpommern in diesem Hohen Zweifellos ist es für den ehrenamtlichen Naturschutz Hause zu sprechen. ein Erfolg, wenn anerkannten Naturschutzverbänden erst- ( [CDU/CSU]: Machen Sie es mals ein Vereinsklagerecht zur Wahrung von Natur- kurz!) schutzinteressen zugestanden wird. Allerdings zeugt der konkrete Regelungsgehalt nicht von großem Vertrauen zu Die ersten Diskussionsbeiträge, die ich gehört habe, ma- den Umweltverbänden; das merkt man dieser Novelle chen es mir nicht schwer, mich hier ganz wie zu Hause zu durchaus an. Die Beschränkung auf eine Klagemöglich- fühlen; denn die Argumente zum Naturschutz, die ich keit bei Planfeststellungsbeschlüssen und Befreiungen gehört habe, kenne ich aus ähnlichen Diskussionen in von Verboten und Geboten in Schutzgebieten bleibt deut- Mecklenburg-Vorpommern. lich hinter dem zurück, was viele Länder bereits durch (Beifall bei der PDS – Zuruf von der F.D.P.: Landesrecht geregelt haben. Dann muss ja etwas Wahres daran sein!) (Beifall bei der PDS – Horst Kubatschka [SPD]: Sagen Sie das das nächste Mal Herrn (B) Es mag übrigens sein, dass 97 Prozent der Mitarbeiter (D) im BfN von der Landwirtschaft keine Ahnung haben. Zu- Schnappauf!) mindest mir geht es nicht so; denn ich habe noch bis vor – Ja, mit Herrn Schnappauf lassen sich dazu besonders gut kurzem in der Lehre und in der Forschung für die Land- Gespräche führen. wirtschaft gearbeitet. Ich glaube, dass ich die Interessen der Landwirtschaft sehr gut kenne, und dazu will ich mich Insofern ist es tröstlich, dass die Länder weitergehende äußern. Regelungen getroffen haben. Sie tun dies grundsätzlich auch deshalb, weil dieses Bundesrecht nur ein „Rahmen- (Beifall bei der PDS – Marita Sehn [F.D.P.]: recht“ ist. Davon hat auch Mecklenburg-Vorpommern Aber dann verstehe ich den Gesetzentwurf – ich muss sagen: endlich – Gebrauch gemacht, indem es nicht, den die PDS eingebracht hat!) seinen Gesetzentwurf so gestaltet hat, dass eine Kla- – Unser Gesetzentwurf ist gut. gemöglichkeit bei Plangenehmigungen, aber auch bei UVP-pflichtigen Vorhaben außerhalb von Schutzgebieten Als ich erfahren habe, dass bereits heute die erste Le- vorgesehen ist. sung der Novelle zum Bundesnaturschutzgesetz erfolgen würde, war ich, ehrlich gesagt, von dem vorgelegten Was die Eingriffsregelung betrifft, finde ich es richtig, Tempo, mit dem der Gesetzentwurf die Ressort-, die Län- dass die Koalitionsfraktionen auf dem Vorrang des Aus- der- und die Verbandsabstimmungen durchlaufen und das gleichs vor Ersatzmaßnahmen bestanden haben. Die Er- Bundeskabinett passiert hatte, außerordentlich über- satzzahlung soll weiterhin nur bei nicht ausgleichbaren rascht. Denn ich hatte das nicht erwartet. – Herzliche Gra- und nicht kompensierbaren Eingriffen in Betracht kom- tulation an die Bundesregierung, dass sie diesen Entwurf men und wird der Regelungskompetenz der Länder un- terworfen. Wir werden dies schon regeln. Dies halte ich so schnell vorlegen konnte! – Haben sich doch vorange- für eine praktikable Lösung. gangene Anläufe zur Novellierung schon mehrfach totge- laufen. Sie waren am Widerstand der Wirtschaft und auch Gleichwohl wird diese Regelung ebenso wenig wie in an dem der Landwirtschaft gescheitert. der Vergangenheit Eingriffe in Natur und Landschaft wirk- lich verhindern können. An der Praxis, dass die Belange Ich weiß sehr wohl – ich selbst habe das vor kurzem so- des Naturschutzes bei Bauvorhaben häufig eher „weg“- zusagen am eigenen Leibe in Mecklenburg-Vorpommern als, wie eigentlich erforderlich, abgewogen werden, wird anlässlich der Novelle zu unserem Landesnaturschutz- durch die Novelle wohl nichts geändert. Das ist eine Ein- gesetz erfahren –, dass ein solches Vorhaben von ver- schätzung, die natürlich auch für unser Land zutrifft. schiedenster Seite außerordentlich argwöhnisch beäugt wird und widerstrebende Interessen abgewogen werden (Beifall bei der PDS) 17554 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Minister Dr. Wolfgang Methling (Mecklenburg-Vorpommern) (A) Durch den Gesetzentwurf soll ferner das Verhältnis stande gebracht. Dafür gebührt ihnen Dank und Respekt. (C) von Naturschutz und Landwirtschaft neu geordnet Der Gehalt der Novelle dagegen lässt manche Wünsche werden. Das gesellschaftliche Klima dafür ist nach den offen. Ein – wenigstens heimlicher – Blick in den Gesetz- Debatten um BSE und MKS so günstig wie nie, obwohl entwurf der PDS-Fraktion vor den Ausschussberatungen ich hier sagen möchte, dass diese beiden Krankheiten nun kann sicherlich Anregungen zur Verbesserung des Ent- wahrlich nichts mit Naturschutz zu tun haben. Es ist wurfs von SPD und Bündnis 90/Die Grünen geben. Dazu selbstverständlich nicht nur im Interesse des Natur- möchte ich Sie – auch im eigenen Interesse – ermuntern, schutzes, sondern aus meiner Sicht auch im Interesse der denn wenn Sie im Bund höhere Maßstäbe setzen, wird es Bauern selbst, wenn sie dieses positive Klima aufgreifen mir leichter gemacht, eine weitere Anhebung des Natur- und nicht blockieren und mit eigenen Vorschlägen ihr schutzniveaus in Mecklenburg-Vorpommern zu errei- – leider – bei großen Teilen der Bevölkerung beschädig- chen. tes Ansehen aufwerten würden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der PDS und der SPD) (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten Es steht völlig außer Frage, dass die so genannte ord- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- nungsgemäße Landwirtschaft zu einer erheblichen Moor- NEN) degradation geführt hat, die Nährstoffeinträge in die Gewässer aufgrund der diffusen Austräge aus den land- Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- wirtschaftlichen Nutzflächen nach wie vor unzulässig gen Karsten Schönfeld, SPD-Fraktion, das Wort. hoch sind und intensive Tierhaltung ohne die entspre- chenden eigenen Flächen zur Gülleausbringung höchst problematisch ist. Vor diesem Hintergrund ist das, was in Karsten Schönfeld (SPD): Herr Präsident! Liebe § 5 des Entwurfs von dem Landwirt verlangt wird – das Kolleginnen und Kollegen! Es war eine sozialdemokra- ist meine Meinung –, eher als zaghaft und wenig verbind- tisch geführte Bundesregierung, die 1976 das erste Bun- lich zu charakterisieren; denn fast alles, was von ihm ge- desnaturschutzgesetz verabschiedet hat. Trotz einiger Än- fordert wird, muss er schon aus wirtschaftlichem Eigen- derungen in den letzten Jahrzehnten ist das bestehende interesse tun. Naturschutzrecht heute nicht mehr zeitgemäß. Deshalb le- gen wir diesen Gesetzentwurf vor. Die Anerkennung der in § 5 des Entwurfs genannten Grundsätze als gute fachliche Praxis ist aus meiner Sicht Natur und Umwelt müssen in einem hoch industriali- eher eine Würdigung als eine Forderung an die Landwirt- sierten und dicht besiedelten Land – also nicht nur Feucht- schaft. biotope, Frau Kollegin Sehn – wie Deutschland konse- (B) quent und wirkungsvoll geschützt werden, dies besonders (D) (Beifall bei Abgeordneten der PDS) auch deshalb, um künftigen Generationen eine lebens- Mir ist deshalb die häufig zu hörende Kritik der Bauern- werte Umwelt zu hinterlassen. Man muss kein ausgewie- verbände an dieser Definition völlig unverständlich. In sener Umweltpolitiker sein, um das zu erkennen. diesem Punkt möchte ich Frau Mehl und Herrn Minister In unserem Gesetzentwurf wird die Verantwortung für Trittin unterstützen. Mir ist unverständlich, wie die An- die zukünftigen Generationen hervorgehoben und damit erkennung einer guten fachlichen Praxis aus Sicht des Na- das Nachhaltigkeitsprinzip gestärkt. turschutzes für die Bauern ein Problem sein kann; denn sie sagen ja, sie würden eine gute fachliche Praxis üben. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der PDS) Es wird sichergestellt, dass bei Naturschutzmaßnahmen die betroffene und interessierte Öffentlichkeit frühzeitig Will man eine genauere Definition der guten fachlichen und umfangreich informiert wird. Außerdem wird die Ak- Praxis haben, so kann ich nur empfehlen, in den Entwurf zeptanz von Maßnahmen des Naturschutzes durch eine der PDS-Fraktion, der sich bereits in der ersten Lesung verstärkte Einbindung der Betroffenen gefördert. befunden hat, zu schauen. In diesem Entwurf wird eine Orientierung gegeben, da er eine klarere und weiterge- Naturschutz ist in der grundgesetzlichen Ordnung eine hende Regelung hinsichtlich der Verantwortung der Angelegenheit der Länder; darauf ist bereits hingewiesen Landwirtschaft für den Schutz der Natur enthält. worden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist deshalb als Rahmengesetz, quasi als Richtschnur, formuliert. Bei sei- Ich habe viele Gespräche mit Bauern geführt und weiß ner Umsetzung spielen die Länder eine entscheidende daher, dass viele Bauern durchaus bereit sind, freiwillig Rolle. Gemäß den Regelungen im Grundgesetz sind die zum Naturschutz beizutragen. Es gibt in der Bauernschaft Länder hier in der Verantwortung. nicht nur Feinde des Naturschutzes, sondern auch viele Die Novelle unterstützt die von uns eingeleitete Neu- Verbündete. Darauf können wir bauen. orientierung in der Agrarpolitik. Erst vor wenigen Tagen (Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten haben die Umwelt- und Agrarminister der Länder und des der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Bundes diese Neuorientierung eingefordert und unter an- NEN) derem einen besseren Schutz von Umwelt und Natur ver- langt. Lassen Sie mich zusammenfassen: Die Bundesregie- rung und die Koalitionsfraktionen haben hinsichtlich des Ein wesentliches Anliegen ist uns die Akzeptanz in der Tempos der Novellierung ein beträchtliches Ergebnis zu- Öffentlichkeit. Es geht darum, das Verständnis für Natur- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17555

Karsten Schönfeld (A) schutz zu verstärken. Der Dialog mit der Land- und Über die Gründe kann man sicherlich streiten; festzuhal- (C) Forstwirtschaft ist mir als Agrarpolitiker dabei ein be- ten ist aber, dass eine nachhaltige Land- und Forstwirt- sonderes Anliegen. schaft bereits heute keine Probleme hat, die im Gesetz- entwurf definierten Anforderungen zu erfüllen. (Marita Sehn [F.D.P.]: Wo ist Frau Künast?) Die Aufzählung von Pflichten in § 5 des Gesetzent- Landwirtschaftliche Verbände, aber auch einige Agrar- wurfes lässt sich auch als positive Darstellung der land- minister kritisieren den Entwurf zur Neuregelung des wirtschaftlichen Tätigkeit in unserem Land lesen: Verant- Bundesnaturschutzgesetzes, weil er – so der Tenor der wortungsvolle Landwirte wählen schon immer Bewirt- Kritik – die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft über schaftungsverfahren, die die natürliche Ausstattung der Gebühr belaste und ihre Rolle bei der Pflege der Kultur- Nutzfläche nicht über das erforderliche Maß hinaus be- landschaft nicht anerkenne. Diese undifferenzierte Glo- einträchtigen. Verantwortungsvolle Landwirte erhalten balkritik trifft so nicht zu, schon immer die natürliche Ertragsfähigkeit ihres Bo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des dens. Verantwortungsvolle Betriebsleiter unterlassen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schon immer den Grünlandumbruch auf erosionsgefähr- deten Hängen und schon immer treten verantwortungs- auch wenn einige Punkte noch einer eingehenden Prüfung volle Agrarpolitiker – auch aus Ihren Reihen – für ein re- bedürfen. Die berufsständischen Vertreter kritisieren, die gional ausgewogenes Verhältnis zwischen Tierhaltung pauschale Festlegung, dass mindestens 10 Prozent der und Pflanzenbau ein. Landesfläche als Biotopverbundsystem ausgewiesen wer- den sollen, berücksichtige regionale Besonderheiten nur (Beifall bei der SPD – Marita Sehn [F.D.P.]: Selbstverständlich!) unzureichend. Es besteht die Furcht, dass diese 10 Prozent Naturschutzfläche auf kleine Regionen oder sogar auf Die neuen Anforderungen an die gute fachliche Praxis einzelne Betriebe bezogen wird. Das kann ich dem Ent- im Gesetz sind so streng nicht. Gute Landwirte wirtschaf- wurf so nicht entnehmen. Vielmehr müssen die Länder ten – ich habe es erwähnt – bereits heute so. Trotzdem ist darüber entscheiden, auf welche Weise sie diese Zielvor- die Befürchtung nicht völlig von der Hand zu weisen, dass gabe erreichen. Sollte das unklar formuliert sein, werden einige der staatlich finanzierten Agrarumweltmaßnahmen wir das in unserem Gesetzentwurf noch konkretisieren. gefährdet sein könnten. Werden sie als neuer gesetzlicher Standard festgeschrieben, so könnte – das ist eine Sorge – Schon heute ist von einigen Ländern – Schleswig- ihre Förderfähigkeit infrage gestellt sein. Wir wollen die Holstein sei hier genannt – zu hören, dass sie diese Ziel- bisher für die EU-Agrarpolitik verwendeten Mittel in die vorgabe bereits erreicht haben. In anderen Ländern ist das zweite Säule umschichten. Modulation ist ein Instrument schwieriger. Die Zahl 10 dokumentiert aber unseren dazu. Das heißt, wir verringern die Mittel für Flächen- (B) festen Willen, ein ökologisch sinnvolles Verbundsystem und Tierprämien und stellen sie den Landwirten für Um- (D) zu schaffen. weltmaßnahmen auf dem Wege der Kofinanzierung wie- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) der zur Verfügung. Lassen Sie mich dazu einige Zahlen nennen, die – so Wir werden kein Gesetz verabschieden, das Zahlungen denke ich – in diesem Zusammenhang wichtig sind: Etwa für Umweltleistungen behindert. Das kann ich unseren 2 Prozent der Landesfläche entfallen bereits heute auf Na- Landwirten von dieser Stelle aus versichern. turschutzgebiete, weitere 2 Prozent auf Nationalparks, (Beifall bei der SPD) 4 Prozent auf Biosphärenreservate, 25 Prozent auf Land- Auch wenn die Ausgestaltung der Vorschriften Ländersa- schaftsschutzgebiete und 19 Prozent auf Naturparke. Si- che ist, wird unser Bundesgesetz in dieser Frage klar und cher, die Flächenanteile lassen sich nicht addieren und nur eindeutig sein. Teile davon sind auch Bestandteil eines zukünftigen Ver- bundsystems. Aber es sollte möglich sein, 10 Prozent der Es wird auch bemängelt, dass wir dem Vertragsna- Flächen in einem Verbund zusammenzufassen. turschutz keinen Vorrang vor anderen umweltpolitischen Maßnahmen wie Geboten und Verboten einräumen. Auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dies ist eine Frage, die die Länder in ihrer Verantwortung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) zu lösen haben. Wir Sozialdemokraten sind immer dafür Kritisiert wird außerdem, dass Regelungen zur guten eingetreten, das bewährte Instrumentarium des Vertrags- fachlichen Praxis in der Landwirtschaft in das Bundes- naturschutzes zu nutzen, weil die Akzeptanz für Umwelt- naturschutzgesetz aufgenommen werden sollen. Es ist maßnahmen bei den Landwirten gestärkt wird und ihre aber nun einmal so, dass die Regelungen zur guten fach- aktive Mitwirkung unterstützt wird – auch durch zusätzli- lichen Praxis im landwirtschaftlichen Fachrecht nicht che Einkommen. Wir haben uns immer dagegen ausge- ausgereicht haben, sprochen, in Bundesgesetzen Regelungen festzuschrei- ben, die dann die Länder zu finanzieren haben. (Marita Sehn [F.D.P.]: Na, na!) (Widerspruch bei der CDU/CSU) um negative Folgen für Umwelt und Natur in jedem Fall zu verhindern. Das ist so. Die Verbesserung des Naturschutzes darf allerdings nicht gegen die Landwirtschaft, sondern sie muss im Ein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vernehmen mit der Landwirtschaft geschehen. Ich bitte DIE GRÜNEN – Marita Sehn [F.D.P.]: Das Sie, meine Damen und Herren von der Opposition: Sor- stimmt nicht!) gen Sie mit dafür, dass dieses Einvernehmen hergestellt 17556 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Karsten Schönfeld (A) wird, und sorgen Sie nicht mit Brandreden, wie wir sie Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- (C) hier heute schon gehört haben, dafür, dass ein weiterer gen Dr. Christian Ruck von der CDU/CSU-Fraktion das Keil zwischen die Politik und die Landwirtschaft getrie- Wort. ben wird! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Herr Präsident! DIE GRÜNEN) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bewahrung der Schöpfung und der Schutz der natürlichen Lebens- Ich scheue mich auch in einer Umweltdebatte nicht, grundlagen sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit darauf hinzuweisen, dass in vielen Agrarbetrieben in und im eigenen Land eine drängende und zunehmend Deutschland eine schwierige Einkommenssituation schwierigere Aufgabe. herrscht. Das haben wir nie bestritten. Deshalb werden unsere Maßnahmen – in der Form, wie ich sie hier be- In den Entwicklungs- und Schwellenländern schrump- schrieben habe – dazu führen, dass sich die Einkommens- fen die Tropenwälder als Zentren der Biodiversität unauf- situation nicht verschlechtert, sondern, im Gegenteil, ver- haltsam weiter und gehen ganze Regionen der Verwüs- bessert werden kann. tung entgegen. In unserem Land kämpfen wir darum, die Artenvielfalt und die verbliebenen Naturlandschaften mit (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Das nennt man unserem Wohlstand in Einklang zu bringen. Natürlich gesundbeten!) kommt der Druck auf unsere Natur von der hohen Sied- Wir können keinen Subventionsabbau vornehmen und lungsdichte, unserem engmaschigen Verkehrsnetz und ei- von den Landwirten verstärkt unternehmerisches Handeln ner intensiven Land- und Forstwirtschaft. Aber all dies ist fordern, ohne gleichzeitig Wege aufzuzeigen, wie sie zu- auch wesentliche Grundlage für unseren hohen Lebens- standard, auf den wir nicht verzichten wollen. sätzliche Einkommen erzielen können. Und das machen wir. Die Kunst der Politik besteht darin, die Anforderungen an eine moderne Industrie- und Technologiegesellschaft Öffentliche Mittel für Leistungen im Bereich der Land- mit unseren Vorstellungen von Natur und Heimat in Ein- schaftspflege und im Vertragsnaturschutz sind gut ange- klang zu bringen. Diese Entscheidung findet auf allen po- legtes Geld. Wir helfen damit der Umwelt, sichern zu- litischen Ebenen und auf allen Politikfeldern statt; der Na- sätzliches Einkommen und schaffen Akzeptanz bei den turschutz ist ein solches wichtiges Politikfeld. Seine Landwirten. Wir sichern außerdem bei den Bürgerinnen Aufgabe ist es, die Schädigungen der Natur zurückzu- und Bürgern die Akzeptanz für Direktzahlungen an die drängen, die vorhandenen Schutzgebiete und die schüt- Landwirte. zenswerten Flächen abzusichern und einen großräumigen (B) Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss Biotopverbund herzustellen. (D) und möchte mit einem Zitat enden: Meine Damen und Herren, die bisherigen Taten von Einen völligen Ausgleich aller Interessen herbeizu- Rot-Grün im Naturschutz in Bund und Ländern sind aber führen und dabei das große Ziel, den Schutz unserer kein Grund, sich selbst zu beweihräuchern. Die Vorredner Natur, nicht aus den Augen zu verlieren, das ist eine von der Koalition – insbesondere Sie, Herr Trittin – haben Aufgabe wie die Quadratur des Kreises. Es gibt so getan, als hätten sie den Naturschutz erfunden. Sie ha- kaum einen Bereich, in dem der Anspruch, sachver- ben zum Beispiel völlig vergessen – das ist allerdings ein ständig zu sein, in derartiger Breite geltend gemacht Kunststück –, dass die letzte Novellierung des Natur- wird wie im Naturschutz. Zumeist verbergen sich schutzgesetzes 1998 passiert ist, eine Leistung der dama- dahinter ziemlich eigennützige Motive, das Festhal- ligen Bundesumweltministerin. ten an vermeintlichen Privilegien, die Eroberung (Beifall bei der CDU/CSU) neuer. In dieser Novellierung haben wir den Konsens mit der Diesem Zitat aus dem Jahr 1997, meine Damen und Landwirtschaft gefunden. Es wäre sicherlich besser ge- Herren, ist fast nichts hinzuzufügen. Es stammt von Frau wesen, erst einmal Erfahrungen mit dieser Novelle zu Merkel, aus anscheinend noch glücklicheren Tagen in ih- sammeln und deren Umsetzung durch die Länder abzu- rer Zeit als Umweltministerin. Ich kann gut verstehen, warten, ehe man eine neue Novelle aus dem Ärmel zieht. dass Frau Merkel hier heute nicht im Plenum ist. Praktischer Naturschutz findet zum Beispiel im (Zuruf von der CDU/CSU: Wo ist denn unionsregierten Bayern statt, wo zehnmal mehr für den Herr Schröder?) Vertragsnaturschutz als im rot-grünen Nordrhein-West- falen ausgegeben wird. Dieses Zitat trifft in wunderbarer Weise die Haltung vie- ler Oppositionspolitiker – wir haben es heute wieder ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Peter Repnik hört –, die sich hier als Sachwalter von Interessengruppen [CDU/CSU]: Bayern ist nur noch mit Baden- aufführen, anstatt gemeinsam mit uns ein gutes Gesetz Württemberg zu vergleichen!) zum Schutz der Umwelt zu verabschieden. Das rot-grüne Nordrhein-Westfalen hat es bisher auch Vielen Dank. nicht geschafft, einen einzigen Nationalpark auszuwei- sen. Es war ein CSU-Finanzminister, der die milliarden- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schwere „Bundesstiftung Umwelt“ ins Leben gerufen hat, DIE GRÜNEN) die jetzt auch für Naturschutzzwecke geöffnet worden ist. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17557

Dr. Christian Ruck (A) Auch war es die letzte Regierung, die den ersten Trup- jetzigen Form nicht mittragen können, auch wenn er si- (C) penübungsplatz zum Nationalpark erklärt hat, genauso cherlich positive Regelungen wie die Rückholklausel wie es die Vorgängerregierung war, die den Entwick- oder die Jedermannverpflichtung zum Naturschutz bein- lungshaushalt ökologisierte. Eben diesen Haushalt strei- haltet. Aber anstatt die wichtigsten Akteure für eine ver- chen Sie jetzt aber zusammen. Herr Trittin, der einzige trauensvolle Zusammenarbeit bei der Lösung einer Haushaltstitel in Ihrem Ministerium, mit dem Sie auf na- großen Aufgabe zu gewinnen, wird die vorliegende No- tionaler Ebene wirklich Naturschutz betreiben können, velle, so befürchten wir, mehr teilen statt einen und damit der Titel für die gesamtstaatlich repräsentativen Flächen, dem Naturschutz mehr schaden als nützen. stammt ebenfalls von uns. (Beifall des Abg. Dr. Ihre Naturschutzpolitik ist bisher nichts als heiße Luft [CDU/CSU]) oder – das muss ich jetzt noch einmal sagen – sie bringt Wir werden die Novellierung konstruktiv begleiten. In die Leute gegen den Naturschutz auf. Das gilt auch für die ihr müssen aus unserer Sicht folgende Elemente stärker jetzige Novelle. beachtet werden: Erstens. Die wichtigsten Ziele und (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Grundsätze müssen in allen Bundesländern gleicher- Abg. Marita Sehn [F.D.P.]) maßen gelten. Angesichts der verfassungsmäßigen Kompetenzen ist ein Zweitens. Der Bund und seine Einrichtungen müssen erfolgreicher Naturschutz nur dann möglich, wenn erstens sich stärker engagieren, zum Beispiel auf den bundes- die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und eigenen Flächen oder im Haushaltstitel des Bundes für Umweltinstitutionen überlegt und fundiert ist, wenn wir national bedeutsame Naturräume. Außerdem muss die zweitens ein abgestimmtes Instrumentenbündel aus ho- Öffnung der „Bundesstiftung Umwelt“ für Naturschutz- heitlichem und vertraglichem Naturschutz haben und zwecke als weiteres Instrument des Bundes verstärkt wer- wenn es drittens zu einer vertrauensvollen Zusammen- den, um den Ländern bei der Absicherung wichtiger Na- arbeit zwischen Staat und Gebietskörperschaft sowie Na- turgebiete zu helfen. turschützern und Land- und Forstwirten kommt. Genau Drittens. Naturschutz muss auch flexibler und effizien- diesen Anforderungen hält Ihre Novelle nicht stand. ter werden, zum Beispiel mit der Aufhebung der unmit- Ihre Vorlage führt zu mehr Verwaltungsaufwand und telbaren räumlichen Verbindung von Ausgleichsfläche bürokratischen Kosten – Geld und Personal, das wir an- und Eingriff sowie mit der Verwaltung der Kompensati- derswo im Naturschutz besser einsetzen könnten. Die onsgelder über einen Naturschutzfonds und deren regio- dem Entwurf fehlende unmittelbare Geltung der Ziele und nale Verteilung. Wir sind dezidiert für ein Ökokonto, das Grundsätze für das ganze Bundesgebiet kann zu einem man vorausschauend einrichten kann, sowie für steuerli- (B) Bumerang auch für den Naturschutz werden, wenn ein- che Anreize, wenn Privateigentümer freiwillig auf ihrem (D) zelne Bundesländer in einen Wettbewerb um die gerings- Grundstück ökologische Verbesserungen tätigen. ten Naturschutzanforderungen eintreten. Statt Koopera- Viertens. Wir treten dafür ein, dass die staatliche Zu- tion – das wurde von meinem Kollegen bereits gesagt – sammenarbeit mit den Naturschutzverbänden gestärkt lautet Ihr Motto Konfrontation: Die Verschärfung der wird. Dazu gehört auch die Übertragung bestimmter Auforderungen an die gute fachliche Praxis im Natur- behördlicher Aufgaben, zum Beispiel bei der Pflege von schutz-, anstatt im Landwirtschaftsrecht und dazu die feh- Schutzgebieten. Dazu zählen auch Umweltpatenschaften, lende präzise formulierte und ausreichende Ausgleichs- in deren Rahmen die Verbände wertvolle Liegenschaften regelung bei Nutzungsbeschränkungen werden die Forst- in einer Mischfinanzierung erwerben, mit staatlicher För- und Landwirtschaft noch mehr gegen den Naturschutz in derung betreuen und auch selbst mit Privateigentümern Wallung bringen. Wenn man darauf hinweist, so ist das privatrechtliche Schutzvereinbarungen schließen können. nicht etwa eine Brandrede, sondern das ist die Wirklich- keit, wie sie von allen gesehen wird, die sich in der Land- Vor allem aber: Offensive für Naturschutz kann nicht und Forstwirtschaft auskennen. heißen Offensive gegen Bauern, Kommunen und Wald- besitzer. Natürlich braucht der Naturschutz eine natur- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der verträgliche Bodennutzung, aber nicht über eine kalte Abg. Marita Sehn [F.D.P.]) Enteignung. Der Forderung nach einer umweltgerechten Meine Damen und Herren, das Gleiche gilt für die Aus- Landwirtschaft muss das staatliche Angebot gegenüber- grenzung der Bundesländer im Entscheidungsprozess. stehen, naturschützerische Leistungen wie die Schaffung Nach der Verfassung sind vor allem die Bundesländer für und die Pflege von Hecken, Feuchtwiesen und Gewässer- den Naturschutz verantwortlich. Die Umgehung des Bun- randstreifen angemessen zu honorieren. Ertragsein- desrats ist deshalb kein gutes Signal für eine zukünftige bußen, zum Beispiel durch Verzicht auf Düngung, Grün- vertrauensvolle Zusammenarbeit. landumbruch oder Pflanzenschutzmittel, sind fair auszugleichen. (Ulrike Mehl [SPD]: Er befasst sich gerade mit dem Gesetz!) Jedes neue Windkraftwerk, jede Hochspannungslei- tung und jedes neue Gewerbegebiet auf der grünen Wiese Genauso gilt dies für die fehlende Verpflichtung der Bun- sind für uns einerseits ein Zuwachs an Wohlstand. Ande- desbehörden, das jeweilige Landesnaturschutzrecht zu rerseits kann es auch Verlust an Heimat sein. Wir müssen beachten. dafür werben: Es ist wichtig, dass unsere Kinder noch Das sind die Hauptgründe, warum wir den rot-grünen wissen, wie ein Laubfrosch oder eine Feldlerche ausse- Entwurf eines neuen Bundesnaturschutzgesetzes in der hen. Aber wenn wir unsere Heimat bewahren wollen, 17558 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Christian Ruck (A) dürfen wir die Kosten dafür nicht einer oder nur wenigen wichtig sind. Ich sage das nur, um Ihrer Polemik einmal (C) Berufsgruppen, zum Beispiel den Landwirten, aufbürden. etwas entgegenzusetzen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) Wenn wir das – wofür wir nachdrücklich eintreten – er- reichen wollen, dann müssen die Opfer gemeinsam er- Wer die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen ernst bracht werden. Erfolgreiches Werben für den Naturschutz nimmt, dem muss es bei der Lösung von Interessenkon- braucht ein Miteinander. Dies ist bei Ihrer Novelle nicht flikten darum gehen, den Stellenwert des Naturschutzes der Fall. Deswegen fordern wir entsprechende grundle- endlich zu erhöhen. Das tun wir mit dieser Gesetzesno- gende Nachbesserungen. velle. Die CDU könnte einmal eine andere SOS-Kampa- gne starten: statt SOS Tourismus SOS Naturschutz. Das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wäre endlich etwas Neues und brächte viel Erfolg. neten der F.D.P.) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: SOS für die Grünen bei der nächsten Wahl! – Dr. Christian Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Ruck [CDU/CSU]: Das ist doch alles heiße Kollegin Sylvia Voß, Bündnis 90/Die Grünen. Luft!) Ich möchte auf den Biotopverbund eingehen, weil Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr ge- diese Regelung einer der wichtigsten Bestandteile dieses ehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesetzentwurfs ist. Herr Paziorek, wir haben – das soll Herr Ruck und Herr Dr. Paziorek, ich bin etwas erstaunt eine Verpflichtung sein – „mindestens 10 Prozent der Lan- darüber, dass Sie hier immer wieder behaupten, wir wür- desfläche“ festgelegt. Die Länder unseres föderalen Staa- den Gräben aufreißen und für Konfrontation sorgen. Viel- tes sind aufgerufen, diese 10 Prozent oder mehr Landes- leicht ist es Ihnen ja entgangen, dass die Koalitionsfrak- fläche dafür auszuweisen. Das dient uns allen; Herr Ruck tionen in Vorbereitung der jetzt vorliegenden Novelle hat eben so schön geschildert, warum. Wie Sie wissen, ist anderthalb Jahre lang in einem einmaligen Prozess Ge- unsere Verantwortung auch eine internationale, Stichwort spräche mit allen Naturschutzverbänden und Nutzerver- „Natura 2000“. Wir tragen zum Beispiel für wandernde bänden geführt haben, von den Bauernverbänden über die Vogelarten, die auch in Deutschland Rast- und Nahrungs- Verbände der Jäger bis hin zu denen der Reiter, also mit plätze brauchen, Verantwortung. allen, auf die sich das Gesetz auswirken könnte. Von ei- Es ist unerträglich, dass sich F.D.P. und CDU/CSU hier nem Gegeneinander oder von einer Konfrontation kann zum Hüter der Interessen der Eigentümer und der Land- überhaupt keine Rede sein. wirte hochstilisieren. Ich kann es nicht mehr hören! Im End- (B) effekt haben alle die Verantwortung für den Erhalt unserer (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Natur und unserer Lebensgrundlagen zu tragen. Land- sowie bei Abgeordneten der SPD) schafts- und Naturschutz können nur gelingen, wenn man Wir haben die Argumente dieser Gruppen wohl vernom- sie – über das Eintreten für die Belange von Schutzgebie- men und sie finden sich auch in diesem Gesetzentwurf ten hinaus – als essenzielle Grundlagen bei allen entspre- wieder. Der Schutz unserer Lebensgrundlagen – das sage chenden Entscheidungsfindungen, ob in diesem Hause, in ich ausdrücklich in Ihre Richtung – ist einfach zu wichtig, den Ressorts, in den Ausschüssen, auf Landes-, Kreis- und um in einem solchen Parteiengezänk und in solchen Kommunalebene, berücksichtigt. Es darf nicht so sein, wie Brandreden unterzugehen. es Herr Methling aus Mecklenburg vorhin schon sagte, dass Landschafts- und Naturschutz in vielen Fällen gewogen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und für zu leicht befunden werden. Wie Sie selbst wissen, sowie bei Abgeordneten der SPD) ist der Vertragsnaturschutz auch für uns weiterhin ein Ich möchte mich beim Umweltministerium ausdrück- wichtiges Instrument zum Schutz der Natur. lich bedanken, dass es diesen Gesetzentwurf auf den Weg (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Wenn Sie so breite gebracht hat. Trotz mancher Verbesserungswünsche, die Übereinstimmung haben, warum kriegen Sie auch ich habe – sie werden im parlamentarischen Verfah- das dann nicht mit der Zustimmung des Bun- ren mit Sicherheit noch zu besprechen sein –, ist dieses desrats hin?) Gesetz tatsächlich ein Meilenstein. Es wird den Weg zu Herr Paziorek, ich möchte Ihnen noch etwas zu den einem neuen, modernen Naturschutz in Deutschland öff- Ausgleichszahlungen sagen. Die von Ihnen eingeführten nen. Wir brauchen diesen Naturschutz. Er ist dringender Ausgleichszahlungen haben eine Belastung der Länder denn je, denn – das haben Sie selbst konstatiert – unsere hervorgerufen. Außerdem haben sie dazu geführt – das Natur befindet sich in einem Besorgnis erregenden Zu- war dann Ihr Erfolg –, dass immer weniger für Natur- stand. schutz ausgegeben wurde und dass in Deutschland immer Frau Sehn, ich war echt erschüttert. Vielleicht dämmert weniger neue Schutzflächen geschaffen wurden. Vor die- der F.D.P. eines Tages die Erkenntnis sem Hintergrund von einem Erfolg im Hinblick auf den Naturschutz zu sprechen, ist ja wohl das Letzte. (Michael Müller [Düsseldorf] [SPD]: Nein!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- – vielleicht; man soll die Hoffnung nicht aufgeben –, dass SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Ulrich Landwirtschaft auch vom Wirken von Insekten abhängt Heinrich [F.D.P.]: Nur Niedersachsen und oder dass Feuchtbiotope auch für Industriestandorte Schleswig-Holstein!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17559

Sylvia Voß (A) Ich bin mir sicher – das wurde schon vorhin angespro- nicht geredet, sondern gehandelt und Dinge vorgelegt, die (C) chen –, dass wir auch Regelungen für den Meeresnatur- auch praktikabel waren und noch sind. schutz finden werden. Es ist ebenfalls hervorzuheben, (Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Kahrs dass wir Neuerungen, auch bei den Schutzkategorien [SPD]: Hat nur keiner gemerkt!) vornehmen. Diese Neuerungen dienen aber keineswegs einer Überregulierung; vielmehr führen sie einfach dazu, Was hat denn die Regierung Schröder/Trittin bisher in dass wir zum Beispiel unsere Nationalparke rechtlich diesem Bereich auf den Weg gebracht? deutlich besser absichern. (Johannes Kahrs [SPD]: Vieles!) Die Koalition hat Wort gehalten: Wir machen den Weg Wie in vielen anderen Bereichen wurden Versprechungen wirklich frei für einen verbesserten Naturschutz. Ich möchte nicht, dass Sie sich sagen: „Wir müssen kräftig gemacht, die nicht gehalten wurden. Das ist in der Wirt- dagegenhalten“, nur weil Sie es seinerzeit nicht geschafft schafts- und Arbeitsmarktpolitik, aber insbesondere in der haben. Wir modernisieren den Naturschutz in Deutsch- Umweltpolitik so. Meine Fraktion hätte sich gewünscht, land zum Wohle aller in Deutschland. Es geht auch darum, dass die Kurve auch einmal nach oben zeigt. Aber das ist zu der Erkenntnis zurückzukehren, dass wir die Natur zur auch hier nicht der Fall. Lebensgrundlage brauchen. Menschen, die sich der Natur (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Leider ist das entfremden, werden hart und gefühlskalt. Ich möchte hier so!) ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry vortragen: Herr Minister, Sie haben hier ausführlich die nachhal- Wenn du ein Schiff bauen willst, lehre die Menschen tige Land- und Forstwirtschaft angesprochen. Offensicht- die Sehnsucht nach dem weiten Meer. lich jedoch haben Sie Ihren eigenen Gesetzentwurf nicht Wenn wir ein solches Gesetz „bauen“, dann müssen wir gelesen. Denn in diesem Gesetzentwurf fehlt die Veranke- die Sehnsucht nach Natur in allen Ministern und in allen rung der nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft. Sie soll- Kollegen erwecken. ten noch einmal genau nachsehen. Vielleicht können Sie ja den Passus wieder einfügen, der in der bisherigen Rege- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Sehnsucht nach den lung verankert ist. Grünen haben wir!) (Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: – Es ist schön, dass Sie Sehnsucht nach den Grünen ha- Sie haben es nicht verstanden!) ben, besser wäre es, Sie hätten sie auch nach dem Grü- nen. – In unserer immer technischeren, immer hektische- Ich meine, man sollte sich auch Gedanken darüber ma- ren Welt treibt die Sehnsucht nach Wildnis und nach chen, wie man Natur- und Umweltschutz auf großer (B) Naturerleben immer mehr Deutsche in die Ferne. Wir in Fläche verankert. Dazu ist es natürlich erforderlich, dass (D) diesem dicht besiedelten Land haben gegenüber unseren man auch europaweite Lösungen vorantreibt. Das ist Kindern und unseren Enkeln eine große Verantwortung, allerdings nur möglich, wenn man einen starken Minister, ihnen zum Leben Kulturlandschaften, reichhaltige Natur eine starke Regierung hat. Hier ist bisher jedoch wenig ge- und Wildnis zu hinterlassen. schehen. Deshalb hat diese Regierung bislang auch im Bereich des Naturschutzes wenig vorzuweisen. Deswegen müssen wir den Naturschutz wieder zur Herzensangelegenheit machen. Wir müssen für die Kost- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) barkeiten unserer Heimat begeistern. Das ist eine Auf- Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolle- gabe, die untrennbar mit dem Gesetz, das wir jetzt auf den ginnen und Kollegen, wenn wir uns den Gesetzentwurf Weg bringen, verbunden ist. Ich erwarte von Ihnen eine ansehen, dann stellen wir einen Definitions- und Formu- konstruktive Mitarbeit. lierungsdschungel fest. Sie haben ja schon eine ganze (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reihe von Gesetzentwürfen hier vorgelegt und viel Papier und bei der SPD) beschrieben. Dadurch ist es jedoch nicht zu einer Qua- litätssteigerung gekommen. Vielleicht haben Sie aber da- durch zur Waldpflege, nämlich durch Papierverbrauch, Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort beigetragen. Das gestehe ich Ihnen an dieser Stelle zu. dem Kollegen Cajus Caesar von der CDU/CSU-Fraktion. Schaut man sich die Regelungen, insbesondere zum Beispiel zur flächendeckenden Landschaftsplanung, an, Cajus Caesar (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe dann stellt man fest, dass man sich hin zu mehr Bürokratie Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die CDU/CSU-Bundes- und Personal und vor allem zur Verankerung von Kosten tagsfraktion kann diesem vorgelegten Gesetzentwurf kei- in Verwaltung und Personal bewegt. Das zeigt ja auch Ihr nesfalls zustimmen, Haushalt. Ihr Umwelthaushalt entwickelt sich hin zu mehr (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Verwaltungsausgaben. Derzeit beträgt der prozentuale Anteil der Verwaltungsausgaben im Umweltbereich weil er bürokratisch, unseriös, nicht zukunftsweisend und 52 Prozent. deshalb zum Scheitern verurteilt ist. (Albert Deß [CDU/CSU]: Rot-grüne Planwirt- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schaft! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ Die CDU/CSU-Fraktion kann sich mit dem, was sie in DIE GRÜNEN]: Wir brauchen nicht so viel der Vergangenheit vorgelegt hat, sehen lassen. Wir haben Geld für die Atomwirtschaft!) 17560 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Cajus Caesar (A) Das soll Ihrer Meinung nach einen praktischen Umwelt- als wahr hin. So kann man wirklich keinen Naturschutz (C) und Naturschutz darstellen? im Miteinander mit den Betroffenen machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diese Novelle lässt viele Fragen offen. Sie geht hin zu Sie sagen, 100 DM kostet die Pflege auf reduzierter mehr Dirigismus und Verwaltung. Deshalb können wir Fläche, das heißt, Sie wollen alle zehn Jahre 100 DM pro eine solche Vorgehensweise – Ähnliches haben wir bei Hektar in Schutzgebieten für Pflege ausgeben. Das ist an der letzten Haushaltsberatung festgestellt; als Beispiel jeder Realität vorbei, das muss man ganz deutlich noch nenne ich die Kürzungen beim Verband des BHU, der im einmal einbringen. Bereich der Heimatvereine praktischen Naturschutz vo- (Ulrich Heinrich [F.D.P.]: Die sollen mal in ranbringt – nicht mittragen. Sachsen-Anhalt nachfragen!) Wir finden es auch schade, dass Ansätze guter Rege- Wenn Sie die gute fachliche Praxis betrachten, Herr lungen, beispielsweise im Bereich des Ökokontos, wie- Minister, dann müssen Sie doch sagen, dass es zwei we- der zurückgefahren worden sind. Wir hatten gedacht, dass sentliche Bereiche gibt. Es gibt Bereiche, in denen man Minister Trittin hier vorangeht. Leider aber sind gute An- die Formulierung so unterschreiben kann, und es gibt Be- sätze wieder einmal vernachlässigt worden. reiche, die unseriös und bürokratisch sind, zum Beispiel Die CDU/CSU-Fraktion will den Naturschutz voran- die schlagspezifische Dokumentation, gar nicht zu reden bringen, um unseren Kindern und den zukünftigen Gene- von dem absoluten Kahlschlagverbot, das weit über Na- rationen eine intakte Umwelt zu übergeben. turschutzverordnungen hinausgeht und wieder die Besit- zer kleiner Wälder trifft. Es trifft nicht so sehr, aber auch (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den großen Privatwald und den öffentlichen Wald, son- NEN]: Mit solchen Reden wirkt das sehr glaub- dern den kleinen Mann und die kleine Frau vor Ort. Des- würdig!) halb ist das, was Sie hier einbringen, so misslich. Wir wollen das aber im Miteinander mit den betroffenen Durch diese Formulierungen zur guten fachlichen Pra- Menschen und mit denen, die vor Ort wirtschaften. Das xis tragen Sie insbesondere dazu bei, dass die Förderung ist nur möglich, wenn auch die Rahmenverträge oder die durch die EU gefährdet wird. Wir können durchaus das einzelvertraglichen Regelungen entsprechend ausgestal- eine oder andere, wie zum Beispiel die Extensivierung im tet sind. Um Naturschutz praktisch umzusetzen, darf man Grünland oder das Verbot des Grünlandumbruchs in be- nicht nur Papier voll schreiben. Naturschutz umsetzen, stimmten Fällen, unterschreiben, aber das muss über ver- das ist unser Ziel. Erhalten, schützen, pflegen, ent- tragliche Vereinbarungen gehen und darf nicht auf dem (B) wickeln und wieder herstellen, das muss Naturschutzpo- Rücken der Betroffenen ausgetragen werden, indem Aus- (D) litik sein. gleichszahlungen nicht mehr geleistet und EU-Mittel (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht mehr in Anspruch genommen werden. Sie sollten schon das nationale Interesse vertreten und in der Tat auch Meine Damen und Herren, wir haben in der Vergan- hier dafür sorgen, dass wir die Mittel, die wir aus dem genheit eine ganze Reihe von Vorschlägen insbesondere Kulturlandschaftspflegeprogramm der EU für Deutsch- zum Bereich des Naturschutzes eingebracht. Ich hätte mir land und für die Bundesländer in Anspruch nehmen kön- gewünscht, dass Sie zum Beispiel unserem Vorschlag, Pa- nen, auch bekommen und dass nicht letztendlich die vor tenschaften für Naturschutzverbände zu ermöglichen, Ort Wirtschaftenden die Zeche zahlen müssen. Diese gefolgt wären. Dort besteht die Möglichkeit, am Objekt Möglichkeiten müssen ausgeschöpft werden. Sie haben ja mit tätig zu werden; das ist ehrenamtlicher Naturschutz. Recht, Sie sollten mehr tun, das gebe ich gerne zu. Das sa- Das wäre ein Zeichen hin zu den Naturschutzverbänden gen auch die Stellungnahmen von BDI, von DIHK, vom und zu ehrenamtlichem Naturschutz gewesen. Deutschen Landkreistag, vom Deutschen Städte- und Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) meindebund und auch vom DBV aus, Vielmehr haben Sie unseren Antrag, 6 Millionen DM (Ulrike Mehl [SPD]: Der BDI ist der größte mehr für vertragliche Vereinbarungen bereitzustellen, ab- Naturschutzverband!) gelehnt. Das zeigt doch, was die Regierung wirklich will. die unsere Argumente gleichfalls unterstützen. Will sie tatsächlich Vertragsnaturschutz oder will sie ihn nicht? (Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wen wundert es?) (Dr. Peter Paziorek [CDU/CSU]: Will sie nicht!) – Das sind nicht, wie Sie zwischengerufen haben, ein- zelne Verbandsvertreter, sondern es findet eine breite Ba- Nein, sie will ihn nicht, sie hat unseren Antrag abgelehnt. sis in den Verbänden und auch bei den Bürgern. Das Meine Damen und Herren, stattdessen finden wir un- wollte ich Ihnen an dieser Stelle noch einmal sagen. seriöse Kostenberechnungen vor. Bei Kostenberechnun- Sie haben auch im Detail gelesen, dass von Natur- gen mit zehn Prozent Wertminderung und zehn Prozent schutz mit Ausschließlichkeitsanspruch oder von der Ab- Ertragsminderung im Schutzgebiet für die Betroffenen kehr von der Agenda 21 die Rede ist, auch davon, dass Sie sage ich: Das kann doch nicht wahr sein! Darüber schüt- die Menschen im ländlichen Raum mitnehmen sollten. Es teln alle Experten den Kopf. Solche Zahlen nimmt keiner ist aber auch die Rede von viel Bürokratie und von den Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17561

Cajus Caesar (A) fehlenden vertraglichen Vereinbarungen. Ich habe einige sen sicherstellen, so wurde es auch EU-weit formuliert. (C) Punkte hier angesprochen und dazu auch Beispiele ge- Sie sollten vor allen Dingen durch langfristige vertragli- nannt. che Vereinbarungen Naturschutz voranbringen. Dann wird es uns gelingen, Artenvielfalt zu sichern, die ländli- Wir wollen ein Miteinander von Ökologie, Ökonomie chen Räume mitzunehmen und dort die Chancen auf Ar- und sozialer Komponente im Sinne einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft handeln. Wir wollen des- beit und wirtschaftliche Teilhabe zu verbessern. Wir wol- halb die Abwägungsklausel, die bisher in § 1 Abs. 2 des len Kooperation statt Konfrontation. Gesetzes verankert ist, beibehalten, damit das Miteinan- Herzlichen Dank. der von wirtschaftlicher Betätigung und Umweltschutz gewährleistet ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir wollen Naturschutz! Wir wollen Natur auch um ih- rer selbst Willen schützen, zugleich wollen wir aber den Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort Menschen dabei mitnehmen. Deshalb finde ich es schade, der Kollegin Christel Deichmann, SPD-Fraktion. dass Sie die Formulierungen zu den Lebensgrundlagen des Menschen einfach aus dem Gesetz gestrichen haben. Christel Deichmann (SPD): Sehr geehrter Herr Prä- Das kann nicht im Sinne des Miteinanders von Mensch sident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr und Naturschutz sein. Ruck, Sie haben die DBU angesprochen; ich denke, es ist Ich darf Sie bitten: Seien Sie aufgeschlossen gegenüber Ihnen nicht entgangen, dass der Stiftungsrat der DBU die unseren Ideen und unseren stichhaltigen Argumenten. Stiftung für den Naturschutz geöffnet hat. Sicherlich gibt Das wird der Natur und uns allen gut tun, wenn Sie unsere es dadurch jetzt noch eine ganze Menge an weiteren Mög- guten Vorschläge auch entsprechend mit einbringen. lichkeiten. Darüber haben wir, wie ich denke, uns alle ge- meinsam gefreut. (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann müssen Sie auch einmal die CDU- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Länder von Ihren guten Vorschlägen überzeu- DIE GRÜNEN – Winfried Hermann [BÜND- gen!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachdem das in ihren Fraktionen kein Thema war!) Miteinander hat, Herr Hermann, auch etwas mit dem Ein- binden der Länder zu tun. Wenn Sie über die Hälfte der Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und die rund 60 Regelungen, von denen in diesem Gesetzentwurf Bewahrung der Vielfalt des Lebens auch für künftige Ge- die Länder betroffen sind, verändern und zudem den Län- nerationen – das wurde hier wiederholt betont; auch ich (B) dern noch Aufgaben bei den Klein- und Saumstrukturen möchte das noch einmal unterstreichen – zählen zu den (D) aufbürden, dann sollten Sie auch so fair sein, die Länder großen Herausforderungen unserer Zeit. Somit gehört bei den Beratungen so mit einzubinden, wie es sich ge- auch die Modernisierung des Bundesnaturschutzgesetzes, hört. Diese müssen nämlich nachher diese Gesetzesno- dessen Novellierung wir heute in erster Lesung beraten, velle umsetzen. Wenn ich zunächst gegen die Länder rede zu unseren zentralen umweltpolitischen Vorhaben in die- und handle und sie nicht in die Beratungen einbinde, Herr ser Legislaturperiode. Im Gegensatz zur gescheiterten Hermann, dritten Novelle steht nun mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf eine Diskussionsgrundlage zur Verfügung, die (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist reine Arro- den Ansprüchen einer modernen Naturschutzpolitik ge- ganz!) recht wird. dann wird es nicht gelingen, im Sinne des Naturschutzes Herr Caesar, Sie haben Recht, wenn Sie sagen, Natur- zu guten und vernünftigen Umsetzungen zu kommen. schutz brauche Akzeptanz. Die Koalitionsfraktionen ha- Denken Sie einfach noch einmal darüber nach, ob Sie das ben darum seit Beginn dieser Legislaturperiode dieses nicht vielleicht doch tun sollten. Thema intensiv mit Naturschutzverbänden, mit den Wir jedenfalls sind für ein Miteinander. Wir wollen Bundesländern, mit Sportverbänden, mit Nutzerverbän- eine ökologische und soziale Marktwirtschaft; wir wollen den, auch mit dem Deutschen Bauernverband, mit dem den Schutz der Kernzonen. Dafür sind natürlich auch ho- AbL und der AGÖL, mit Landschaftsplanern und vielen heitliche Maßnahmen erforderlich. Wir wollen auch die anderen mehr erörtert. Wir konnten neue Anregungen auf- Biotopvernetzung, wollen sie aber nicht durch irgend- nehmen und im Vorfeld auch einige Konfliktpunkte welche beliebig angesetzten Prozentzahlen, die man ins klären. Ob es uns gelungen ist, Verständnis für unsere Po- Gesetz schreibt, sondern durch tatsächlichen Schutz si- sitionen zu erreichen, werden wir dann feststellen. cherstellen. Dazu muss Vertrauen zu den Betroffenen auf- Worum geht es jetzt? Unsere Novelle integriert den gebaut werden; das gelingt nicht dadurch, indem verlangt Vorsorgegrundsatz und den Schutz der natürlichen Le- wird, dass auch die an Biotope angrenzenden Gebiete ent- bensgrundlagen auch für die nachkommenden Generatio- sprechend bei der Bewirtschaftung Berücksichtigung fin- nen. Das können Sie einfach zur Kenntnis nehmen. den müssen. Da weiß der Betroffene nicht, was an Verbo- ten und Geboten auf ihn zukommt. (Karsten Schönfeld [SPD]: Sehr richtig!) Sie sollten im Vertrauen mit den Betroffenen vor Ort Ein Kernpunkt der Novelle – das ist hier wiederholt an- die Dinge angehen, das heißt, Biotopvernetzung in den gesprochen worden – ist der Biotopverbund, der – das fachlich begründeten und schützenswerten Gebietskulis- möchte ich noch einmal unterstreichen – keine neue 17562 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Christel Deichmann (A) Schutzkategorie schafft, sondern dafür sorgt, dass das, Bundesrepublik sich verpflichtet, die Meeresumwelt zu (C) was schützenswert ist, sinnvoll miteinander verbunden schützen und zu bewahren und besondere Maßnahmen zu werden soll. Nach den vorliegenden wissenschaftlichen ergreifen, um dieses Ziel durchzusetzen. Die Europä- Erkenntnissen stellt der Flächenanteil von „mindestens ische Gemeinschaft hat 1992 das fünfte umweltpolitische 10 Prozent“, der hier wiederholt kritisiert wurde, einen Aktionsprogramm beschlossen, das in den Punkten 5.3 Minimalwert für den Biotopverbund dar. Es gibt also und 5.4 dem Naturschutz besondere Aufmerksamkeit durchaus begründete wissenschaftliche Erkenntnisse für widmet. diese Zahl. Es darf – das sagt das Wort „mindestens“ – An den Jahreszahlen der Vereinbarungen ist zu erken- durchaus auch mehr sein. nen, dass Deutschland sich schon lange zu entsprechen- (Beifall bei der SPD) den Maßnahmen verpflichtet hat; nur mit der Umsetzung, zumindest im Meeresbereich, hapert es noch. Darum Wie gesagt, die Verbindungsflächen zwischen den richte ich auch an dieser Stelle noch einmal die Auffor- einzelnen Kernelementen müssen nicht zwingend als derung an die CDU/CSU- und die F.D.P.-Fraktion: Schutzgebiete ausgewiesen werden. Wenn man aber be- Blockieren Sie nicht, bauen Sie keinen Popanz auf, son- denkt, dass bereits 8 Prozent der Landesfläche fachlich dern unterstützen Sie uns bei der Umsetzung dieser Ver- für einen Biotopverbund geeignet sind, haben wir hier pflichtungen, die die Bundesrepublik zu Recht eingegan- wohl ein realistisches Ziel formuliert. Ich bin sicher, gen ist! dass es auch in einem überschaubaren Zeitraum erreicht wird. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich muss zugeben: Ein wirklich komplexes und schwieriges Thema in der anstehenden Novelle ist die Ein weiterer wichtiger Punkt, der hier ebenfalls bereits Frage der Eingriffsregelung. Zu kaum einem anderen angesprochen wurde, ist nach unserer Auffassung, dass wir Abschnitt gibt und gab es gegenteiligere Meinungsäuße- uns intensiver als in der Vergangenheit mit dem Meeres- rungen. Bei all der Diskussion um dieses Thema ist klar- schutz befassen müssen. Das war bei unseren Diskussio- zustellen: Die Vermeidung von Eingriffen ist oberstes nen, die ich erwähnt habe, ein zentrales Thema. Es hat sich Gebot. Wir halten also an der Entscheidungskaskade Ver- im Verlauf der Diskussionen gezeigt, dass hier noch sehr meiden – Ausgleich – Ersatz fest. Übrigens ist die Rege- viele Fragen offen sind. lung, die wir Ihnen vorschlagen, näher an der Verwal- Die stetig zunehmende intensive Nutzung unserer tungspraxis orientiert. Wir gehen davon aus, dass damit Meeresumwelt ist bisher mit keinerlei raumordnerischen dann auch Zustimmung gefunden werden kann. Kriterien unterlegt. Es mag komisch klingen, doch auf (B) Wir haben mit den Regelungen, wie sie vorgeschlagen (D) dem Meer vor unseren Küsten wird es sehr eng. See- sind, die Naturalkompensation gestärkt, sodass auch schifffahrt, Fischerei, Tourismus, Kiesabbau, Überseeka- hier der Entwicklung in der Praxis Rechnung getragen bel, Ölplattformen, Übungszonen für die Bundeswehr wurde. Von der Möglichkeit der Kompensation durch Er- und anderes mehr konkurrieren auf immer enger werden- satzzahlungen ist erst nach dem Abwägungsprozess, das dem Raum miteinander. Neuerdings meldet auch der heißt deutlich hinter Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, Denkmalschutz in den Gewässern vor unseren Küsten Gebrauch zu machen, wenngleich man auch Ersatzzah- Ansprüche an. lungen in dem einen oder anderen Ausnahmefall einfach Wo bleibt da noch Platz für die marine Fauna und Flora nicht von der Hand weisen kann. oder gar für deren Schutz? Wie können wir einen geeig- Wichtig ist auch die Sicherung und Kontrolle der Aus- neten Weg finden, um unsere sensiblen Meeresökosys- gleichs- und Ersatzmaßnahmen. Dies obliegt dem Ge- teme langfristig zu erhalten und zu schützen? Wir haben staltungsspielraum der Länder. Auch das ist an der Praxis im Gesetz einen Weg aufgezeigt. Ich denke, wir müssen orientiert. Da kann man zum Beispiel an ein Flächenka- diesen Punkt noch sehr intensiv diskutieren, weil wir von taster der Dokumentation und auch der besseren Über- unserer Fraktion aus da noch Verbesserungsbedarf sehen. sichtlichkeit halber denken. Auch andere Maßnahmen Die Offshore-Anlagen und die Windenergie wurden an- sind durchaus vorstellbar. gesprochen. Dies hat auch etwas mit Rechtssicherheit für die Investoren zu tun. Ich denke, das sind wir den ent- Die häufig geäußerten Bedenken zur Verbandsklage sprechenden Unternehmen schuldig. kann ich ebenfalls nicht teilen. Hier wird kein neues Son- dervetorecht für die Naturschutzverbände geschaffen, Ich verweise an dieser Stelle auch auf internationale sondern lediglich das Recht, ein deutsches Verwaltungs- Verpflichtungen, die Deutschland im marinen Bereich gericht zur objektiven Überprüfung der Rechtmäßigkeit eingegangen ist und die mit dieser Gesetzesnovelle wei- einer Behördenentscheidung anzurufen. ter in nationales Recht umgesetzt werden sollen. Ich nenne nur das OSPAR-Abkommen aus dem Jahr 1992. (Karsten Schönfeld [SPD]: Das ist ver- Ich erwähne die Jahreszahl bewusst; das ist also keine nünftig!) rot-grüne Erfindung. Das Abkommen wurde 1998 um – Richtig. Naturschutzregelungen im marinen Bereich erweitert. Da gibt es das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Bei der Diskussion um die Belange der Land- und Nationen, das dem „Schutz und der Bewahrung der Mee- Forstwirtschaft wird uns immer vorgeworfen, dass der resumwelt“ einen eigenen Teil widmet. Auch hier hat die vorliegende Entwurf zulasten der Flächennutzer gehe. Ich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17563

Christel Deichmann (A) habe den vielen Vorwürfen, die hier so pauschal erhoben Basis für ökonomische Wertschöpfung. Unterstützen Sie (C) wurden, kein einziges substanzielles Argument entneh- uns mit konstruktiven Beiträgen, wenn es bei dem disku- men können. Ich hoffe doch, dass Sie, liebe Kolleginnen tierten Gesetzesvorhaben um die Sicherung unserer natür- und Kollegen, uns unterstützen werden, damit wir im Be- lichen Lebensgrundlagen geht! reich der Vermittlung naturschutzfachlicher Kriterien Vielen Dank. auch im Bereich der Land- und Forstwirtschaft und der Fi- schereiwirtschaft ein Stück weiter kommen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Albert Deß [CDU/CSU]: Da gibt es bereits genügend Regelungen! Sie wollen den Bauern schikanieren!) Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile dem Kolle- gen Reinhard Loske, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort. Gegenwärtig prüft das Verbraucherschutzministerium, ob im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ Ausgleichs- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zahlungen für besondere – ich unterstreiche: besondere – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Naturschutzleistungen möglich sind. Sie sehen also, dass Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist eine der wir hier einen Instrumentenmix anbieten können, um dem großen politischen Aufgaben der Gegenwart. Naturschutz Naturschutz und auch den Landwirten in die richtige hat viel mit Lebensqualität zu tun, denn dort, wo Land- Richtung zu helfen. schaften schön sind, wo die Tier- und Pflanzenwelt reich- haltig ist, lässt es sich besser leben und lässt es sich bes- Schließlich wollen wir Naturschutz mit den Men- ser erholen. Frau Kollegin Sehn, bei allem Respekt – schen in der Kulturlandschaft. Aus diesem Grunde haben wir den Schutzgebietsteil modernisiert. Das Entwick- (Marita Sehn [F.D.P.]: Ich komme aus einer lungsprinzip wird durchgehend gestärkt, und der Prozess- solchen Gegend, Herr Loske!) schutzgedanke wird rechtlich abgesichert. es geht nicht um die Frage „Feuchtbiotop oder Industrie- Ein weiteres Element der Novellierung ist die Ein- standort“, sondern es geht darum, wirtschaftliche Ent- führung der Umweltbeobachtung als eine Aufgabe für wicklung und landschaftliche Vielfalt zu haben; beides Bund und Länder im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständig- gehört zusammen. keiten. Der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat schon 1990 in einem Sondergutachten eine entspre- und bei der SPD – Marita Sehn [F.D.P.]: Rich- chende gesetzliche Regelung gefordert. Zweck dieser Be- tig! Da sind wir uns einig!) stimmung ist es, die zahlreichen, leider nur sektorspezifi- (B) (D) schen Beobachtungsprogramme und Datenbanken für die Zweitens: Naturschutz hat viel mit Kultur zu tun, auch Bereiche Luft, Wasser und Boden zusammenzuführen und viel mit Kulturpolitik, im Hinblick auf komplexe umweltpolitische Fragestellun- (Marita Sehn [F.D.P.]: Kommen Sie mal zu gen besser nutzbar zu machen. Also: Effizienz durch Har- uns und schauen Sie sich das an!) monisierung und Verknüpfung, und keine neuen Verwal- tungseinheiten, wie Sie hier immer aufzeigen. Da können denn die meisten Landschaften, die uns ans Herz gewach- Sie uns, denke ich, nur unterstützen. Ausdrücklich wird in sen sind, sind Kulturlandschaften, von Menschenhand ge- dem Gesetzentwurf unterstrichen, dass die Vorschriften schaffen oder beeinflusst. Naturzerstörung ist deshalb im- über Geheimhaltung und Datenschutz unberührt bleiben. mer auch Kulturverlust. Ich meine, auch da ist umsichtig gehandelt worden. Naturschutz hat viel mit – ich drücke es einmal so aus – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ „harter Ökologie“ zu tun, denn die Diversitätsforschung DIE GRÜNEN) hat uns gezeigt, wie engmaschig das Netz des Lebens ge- knüpft ist, wie sehr alles mit allem zusammenhängt. Noch Ich bin zuversichtlich, liebe Kolleginnen und Kolle- einmal, Frau Kollegin Sehn – Sie haben sich so ein biss- gen, dass auf der Basis des vorliegenden Gesetzentwurfs chen über die Insekten lustig gemacht –: eine effektive Neuregelung des Verhältnisses zwischen (Marita Sehn [F.D.P.]: Nein, ich habe mich gar Naturschutz und den Belangen anderer Interessengruppen nicht lustig gemacht!) formuliert werden kann. Dafür brauchen wir auf allen Sei- ten Augenmaß und auch Kompromissbereitschaft. Wir Sie wissen doch vielleicht – ich hoffe das –, wie wichtig haben einen moderaten Entwurf vorgelegt – das gebe ich die Insektenbestäubung und die Windbestäubung für die zu – und laden alle Interessierten hiermit ein, im weiteren Produktivität der Landwirtschaft sind. Verfahren konstruktiv mit uns zusammenzuarbeiten. Wir (Marita Sehn [F.D.P.]: Das ist nicht das Pro- haben daher am Mittwoch im Umweltausschuss den Be- blem!) schluss gefasst, am 24. September in einer ganztägigen Anhörung den genannten Themenkomplex mit Experten Immerhin haben Sie es ja geschafft, nur gegen die Insek- zu erörtern, und das ist gut so. ten zu polemisieren und nicht gegen den Wind, denn der weht ja bekanntermaßen, wo er will. Die Natur braucht den Menschen nicht, aber der Mensch braucht die Natur. So stellt die Natur insgesamt (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen wichtigen Beitrag für unsere Lebensqualität dar. und bei der SPD – Marita Sehn [F.D.P.]: Der Biologische Vielfalt ist Lebensgrundlage, sie ist aber auch Vergleich war aber nicht gut, Herr Loske!) 17564 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Reinhard Loske (A) – Der Vergleich war schon zutreffend. können froh darüber sein, dass sich in Deutschland so (C) viele Menschen in den Umweltverbänden einsetzen. Sie Naturschutz hat auch viel mit Respekt vor der nicht sind Anwälte der Natur und ich möchte mich an dieser menschlichen Kreatur zu tun. Deshalb müssen wir auch Stelle für ihr Engagement ausdrücklich bedanken. Raum für die freie Entfaltung der Natur lassen und nicht alles muss dem Denken von Nutzen und Nützlichkeit un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN terworfen werden. und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Der Gesetzentwurf, den die Koalitionsfraktionen heute und bei der SPD) vorlegen, geht von diesen Orientierungspunkten, die ich genannt habe, aus. Erstmals werden im Naturschutzgesetz Wenn man von dieser Einschätzung ausgeht, dass Na- klare qualitative Kriterien für die gute fachliche Praxis turschutz eine Kulturaufgabe ist, dass er eine umweltpo- in der Landwirtschaft und Nutzungsregeln für die Forst- litische Aufgabe ist und dass er eine Zukunftsaufgabe ist, wirtschaft bestimmt. Ich glaube, man kann sagen: Das ist dann stellt sich die Frage: Was bedeutet das für ein zeit- ein qualitativer Sprung in der Naturschutzpolitik und eine gemäßes Naturschutzgesetz? Diese Frage ist es ja, die uns wichtige Ergänzung der neuen Agrarpolitik. Das heute hier zusammenführt. Nach meiner Meinung bedeu- Umweltministerium und das Landwirtschaftsministerium tet das vor allen Dingen dreierlei: – das ist wichtig – haben nicht gegeneinander gearbeitet, Erstens müssen wir von dem alten Denken wegkom- sondern miteinander. Das war nicht immer so. Bei Ihnen men, dass Naturschutz und Naturnutzung unvereinbar von der Opposition standen Herr Töpfer und Frau Merkel sind. Es geht vielmehr darum, Naturschutzziele durch im Regen. Das hat sich jetzt fundamental geändert. Erst- eine nachhaltige und sensible Naturnutzung zu erreichen. mals wird im Naturschutzgesetz das Ziel formuliert, auf Die Menschen sollen nicht ausgesperrt werden, sondern zehn Prozent der Landesfläche ein Biotopverbundsystem sie sollen in ihrem Handeln Verantwortung für die Natur zu schaffen. Hier sind nun die Länder gefordert, geeignete übernehmen. Dafür brauchen wir Regeln, insbesondere Flächen auszuweisen und durch geeignete Maßnahmen für die Landnutzung, also die Landwirtschaft, die Forst- abzusichern. Es muss aber, das will ich gerne zugeben, si- wirtschaft, die Fischereiwirtschaft und auch für den chergestellt werden, dass das nicht nur einfach durch schnell wachsenden Sektor der Freizeit- und Tourismus- Umdeklarierungen vorhandener Schutzgebietskategorien aktivitäten. Dies ist keine Bürokratie, sondern es ist stattfindet, sondern dass wirklich neue Qualitäten hinzu- Zukunftsvorsorge. kommen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Erst- und bei der SPD) mals wird den Umweltverbänden im Naturschutzgesetz (B) ein Klagerecht eingeräumt, das ihnen faire Chancen in (D) Zweitens: Sicherlich ist der Zaun nicht mehr das ge- der Auseinandersetzung vor Gericht gibt. Damit wird auf eignete Symbol für den Naturschutz – darin sind wir uns Bundesebene endlich das realisiert, was in den meisten alle einig –, aber es muss selbstverständlich Gebiete ge- Bundesländern längst möglich ist. Bei der Anerkennung ben, in denen der Naturschutz Vorrang genießt, in denen dessen, was als Naturschutzverband gilt, müssen aller- Nutzungsinteressen zurücktreten müssen. dings strenge Kriterien angelegt werden, weil sonst dem (Marita Sehn [F.D.P.]: Die gibt es doch schon! Missbrauch Tür und Tor geöffnet wird. Bei uns in Rheinland-Pfalz gibt es die!) Ich fasse zusammen: Nach einem Jahrzehnt der politi- Solche Räume haben wir bislang viel zu wenig; es sind schen Abstinenz in Sachen Naturschutz wird mit dem zwei Prozent der Landesfläche. Wir streben zehn Prozent neuen Gesetz ein klares Signal gegeben. Naturschutz hat an, wie Sie wissen. Von solchen Räumen haben wir viel in Deutschland eine Zukunft, und zwar nicht gegen die zu wenige, und sie sind nicht selten viel zu klein; sie sind Menschen, sondern mit ihnen. sehr häufig kleine Inseln in einem Ozean der Naturzer- Danke schön. störung. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Marita Sehn [F.D.P.]: In Nordrhein-Westfalen DIE GRÜNEN) vielleicht, aber nicht in Rheinland-Pfalz!) Dort können Arten nicht überleben. Deswegen brauchen Präsident Wolfgang Thierse: Ich schließe die Aus- wir hinreichend große und vor allen Dingen vernetzte Le- sprache. bensräume für Tiere und Pflanzen; deshalb sind die Bio- topverbundsysteme für den Artenschutz auch unerläss- Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzent- lich. wurf auf Drucksache 14/6378 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist und bei der SPD) die Überweisung so beschlossen. Drittens: Wir müssen diejenigen gesellschaftlichen Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Aus- Gruppen, die sich für Naturschutzziele einsetzen, stärken. schusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Wir müssen ihnen Informationsrechte, Beteiligungs- auf Drucksache 14/4572 zu dem Antrag der Fraktion der rechte und auch Klagerechte einräumen. Ich nehme an, F.D.P. mit dem Titel „Eigentumsrechte nicht durch falsche im Namen des Hauses zu sprechen, wenn ich sage: Wir Naturschutzpolitik aushöhlen“. Der Ausschuss empfiehlt, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17565

Präsident Wolfgang Thierse (A) den Antrag auf Drucksache 14/1113 abzulehnen. Wer e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Helmut (C) stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da- Haussmann, Cornelia Pieper, Hildebrecht Braun gegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Frak- mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und tion der F.D.P. PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. ange- Bessere Rahmenbedingungen für ausländische nommen. Studierende in Deutschland Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 h sowie die – Drucksache 14/5250 – Zusatzpunkte 3 und 4 auf: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia abschätzung (f) Pieper, Birgit Homburger, Jürgen W. Möllemann, Auswärtiger Ausschuss weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Innenausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Verbesserung der internationalen Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulstand- f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ortes Deutschland richts des Ausschusses für Bildung, Forschung und – Drucksache 14/3339 – Technikfolgenabschätzung (19. Ausschuss) zu Überweisungsvorschlag: dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Pieper, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), weiterer abschätzung (f) Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Sonderprogramm zur Sicherung und Er- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend höhung des Niveaus der Landes- und Hoch- Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder schulbibliotheken am Wissenschafts- und For- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- schungsstandort Deutschland wicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union – Drucksachen 14/5105, 14/6195 – Berichterstattung: b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Pieper, Birgit Homburger, Ulrike Flach, weiterer Abgeordnete Dr. Peter Eckardt Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Norbert Hauser (Bonn) Dr. Reinhard Loske Bildungsschecks für mehr Qualität und Wett- Cornelia Pieper bewerb an Hochschulen in Deutschland Maritta Böttcher (B) – Drucksache 14/3518 – (D) Überweisungsvorschlag: g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Dieter Rossmann, Dr. Peter Eckardt, Klaus abschätzung (f) Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Rechtsausschuss Finanzausschuss der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Loske, Grietje Bettin, Hans-Josef Fell, weiterer Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- Haushaltsausschuss SES 90/DIE GRÜNEN Die Internationale Attraktivität und Leistungs- c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike fähigkeit des Wissenschafts- und Forschungs- Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer standortes Deutschland für ausländische Studie- Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. rende und junge Wissenschaftlerinnen stärken Naturwissenschaftlicher Wettbewerb an deut- schen Schulen – Drucksache 14/6209 – Überweisungsvorschlag: – Drucksache 14/4270 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Überweisungsvorschlag: abschätzung (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Auswärtiger Ausschuss abschätzung (f) Innenausschuss Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Kultur und Medien d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrike Flach, Cornelia Pieper, Birgit Homburger, weiterer h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maritta Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Böttcher, Dr. Heinrich Fink, Angela Marquardt, Gustav-Adolf Schur und der Fraktion der PDS Ökonomische Komponente in der Lehreraus- bildung entschieden ausbauen Bericht über die Erfahrungen bei der Anwen- dungen des Hochschulzeitvertragsgesetzes – Drucksache 14/4271 – – Drucksache 14/6212 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Überweisungsvorschlag: abschätzung (f) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie abschätzung (f) 17566 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Präsident Wolfgang Thierse (A) Innenausschuss ist heute umzukehren in „Hänschen weiß heute schon, (C) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung dass er als Hans weiter lernen muss“. Das wird das Prin- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zip der Zukunft. ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert (Beifall bei der F.D.P.) Hauser (Bonn), Dr. Heinz Riesenhuber, Dr. Gerhard Die Gesellschaft wird stärker von selbstständigen Friedrich (Erlangen), weiterer Abgeordneter und Existenzen und Beschäftigten geprägt sein. Darauf muss der Fraktion der CDU/CSU sich unser Ausbildungssystem insgesamt einstellen. Eine „Stiftung Bildungstest“ – Qulität und Effizienz Kultur der Selbstständigkeit ist gefordert; dies muss in für den wachsenden Bildungsmarkt den Lehrplänen vermittelt werden. Der Selbstständige – Drucksache 14/6437 – oder der Unternehmer hat wohl weltweit kein so schlech- tes Image wie in Deutschland, meine Damen und Herren. Überweisungsvorschlag: Auch das muss sich ändern. Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- abschätzung (f) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Wirtschaft und Technologie der CDU/CSU) – Widerspruch bei der SPD) Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- schaft Dass Sie, meine Damen und Herren von der Regie- Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung rungskoalition, diese geistige Wende bzw. dieses geistige Haushaltsausschuss Umdenken nicht erkennen, ist für dieses Land bezeich- ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia nend. Pieper, Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Wir haben Bildungsreformen verschleppt. weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. (Beifall bei der SPD und der F.D.P. – Jörg Tauss Sicherung des Wissenschafts-, Forschungs- und [SPD]: Ihr habt verschleppt! Das ist wahr!) Wirtschaftsstandorts Deutschland durch Aus- bildung hoch qualifizierter Fachkräfte Wir brauchen aber dringend Bildungsreformen, und zwar inhaltliche Reformen. – Drucksache 14/6445 – Sie sind gefordert. Sie sind in der Landesverantwor- Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- tung. Sie sind in Ihren Landesregierungen dazu aufgefor- abschätzung (f) dert, dieses Thema aufzugreifen und auch umzusetzen. Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Das haben Sie nämlich in der Vergangenheit nicht getan. Haushaltsausschuss (B) (Beifall bei der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: (D) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Wahre Selbstkritik!) Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen, wobei die F.D.P. 15 Minuten erhalten soll. – Ich höre keinen Wider- Der Direktor des Medieninstituts in St. Gallen, Profes- spruch. Dann ist so beschlossen. sor Glotz, den Sie als ehemaligen Kollegen kennen müss- ten und nicht kritisieren sollten, spricht sogar von der di- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der gitalen Ökonomie in der Zukunft. Kollegin Cornelia Pieper von der F.D.P.–Fraktion. (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms) Cornelia Pieper (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Da- men und Herren! Wissen ist der Rohstoff der Zukunft. 20 Prozent der Bevölkerung werden zukünftig damit be- Globaler Wettbewerb, demographischer Wandel und tech- schäftigt sein, Informationen in Wissen zu verarbeiten. nische Revolution stellen uns vor große Herausforderun- (Zuruf von der SPD: Dafür haben Sie nichts gen. Wir erleben eine Kulturrevolution wie zu Zeiten der getan!) Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg – die Wende von der klassischen Industriegesellschaft zur Ist Deutschland fit für das neue Zeitalter der Wissens- Wissens- und Informationsgesellschaft. gesellschaft? Sind Schulen und Hochschulen ausreichend auf die Informationsgesellschaft vorbereitet? Sicher sind Meine Damen und Herren, in der Gesellschaft der Zu- deutsche Hochschulen besser als ihr Ruf, kunft werden mehr Menschen mit der Informationsver- arbeitung und Dienstleistung beschäftigt sein als in der (Zuruf von der SPD: Richtig!) Industrie. Lebensentwürfe werden im 21. Jahrhundert aber jüngst veröffentlichte internationale Studien und Ver- durchbrochen sein und nicht mehr mit einer einmaligen gleiche machen deutlich: Deutschland liegt eher im Mit- Ausbildung enden. Lebenslanges Lernen und die Bereit- telfeld oder ganz hinten, meine Damen und Herren. schaft, sich ständig weiterzuentwickeln, werden die (Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft bestimmen. Traurig, traurig!) Das alte Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Seit Jahrzehnten liegt die Bundesrepublik beim Verhältnis Hans nimmermehr“ der staatlichen Bildungsausgaben zum Bruttoinlands- (Peter Dreßen [SPD]: Das trifft aber voll bei produkt unterhalb des OECD-Mittelwerts mit 5,5 Prozent der CDU zu!) Bildungsausgaben. Die Bund-Länder-Kommission pro- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17567

Cornelia Pieper (A) gnostizierte in ihrem jüngsten Bericht einen enormen Ar- Die Auffassung meiner Fraktion, der F.D.P., ist seit lan- (C) beitskräftemangel und forderte zusätzliche Bildungsin- gem: Das 12. Schuljahr bis zum Abitur hätte mit der deut- vestitionen. Doch die Bundesländer selbst setzen unter- schen Einheit gesamtdeutsch eingeführt werden müssen, schiedliche Prioritäten bei den Bildungsausgaben. meine Damen und Herren. Während beispielsweise Baden-Württemberg und Bayern (Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der SPD: 8 bis 9 Prozent ihres gesamten Budgets für Bildungsaus- Wer hat denn da regiert?) gaben vorsehen, wenden Hamburg und Nordrhein-West- falen für ihre Bildungsetats wesentlich weniger auf. Glaubenskämpfe um die Köpfe der Kinder haben das Bil- dungssystem in ein Durcheinander halbherziger Konzepte (Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!) gestürzt. Das Ergebnis in Deutschland sind herunterge- Nicht nur diese falsche Prioritätensetzung, sondern kommene Schulen – Schulwracks –, Gesamtschulen, an auch eine zu starre und ideologisierte Bildungspolitik ha- denen Chancen ausgleichende Erziehung an die Stelle von ben uns im internationalen Wettbewerb zurückgeworfen. Leistungsforderungen tritt. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zu- Tauss [SPD]: Schon wieder Selbstkritik! – Wei- ruf von der F.D.P.: Genauso ist es! – Jörg Tauss terer Zuruf von der SPD: Sie waren doch [SPD]: Das ist eine Unverschämtheit!) 16 Jahre lang daran beteiligt!) Im Bildungssystem in Deutschland wird viel zu sehr auf Meine Damen und Herren, die Grünen hatten noch 1986 Gleichmacherei denn auf Leistungsorientierung, Verant- wortungsbereitschaft und Differenzierung gesetzt. in ihrem Programm den Computerboykott stehen. Ich glaube, wenn man das berücksichtigt, kann man deutlich (Widerspruch bei der SPD) erkennen, dass in Deutschland mit einer solchen Pro- Hauptschulen wurden zu Restschulen degradiert. Dabei grammatik keine Bildungsreformen auf den Weg zu brin- ist die Zahl junger Menschen ohne Berufsabschluss in gen sind. Deutschland mit 14 Prozent alarmierend. Es ist Sozialpo- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten litik, die wir mit einer qualitätsorientierten Bildungspoli- der CDU/CSU) tik in Deutschland machen können, und darauf kommt es uns an. Auch die internationale TIMSS-Studie – die Ihnen ge- wiss bekannt ist: eine Vergleichsstudie mathematisch-na- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) turwissenschaftlichen Unterrichts – ist niederschmet- Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Die ternd. Nur noch 8 Prozent deutscher Schüler wählen in der Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- (B) Schule das Fach Physik als Leistungskurs, und das nicht schung der Bundesanstalt für Arbeit sprechen eine klare (D) nur wegen Desinteresses, nein, sondern weil Fachlehrer Sprache: Je weniger jemand gelernt hat, desto größer ist fehlen. Die Bundesrepublik liegt mit einer Studienquote die Gefahr der Arbeitslosigkeit. Bildung ist eine von 28,2 Prozent im unteren Mittelfeld der europäischen Zukunftsinvestition. Deutschland ist auf seine wichtigste Staaten. Ressource, das Humankapital, angewiesen. (Zuruf von der F.D.P.: Leider wahr!) Deshalb brauchen wir nach den ideologischen Debat- Der Anteil der berufstätigen Bevölkerung mit Hoch- ten in Deutschland endlich ein Umdenken. Roman Herzog, der ehemalige Bundespräsident, hat es in seiner schulabschluss liegt mit 13 Prozent im internationalen berühmten Bildungsrede auf den Punkt gebracht: Entlas- Mittelfeld. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr sen wir unsere Bildungseinrichtungen endlich in die Frei- Studenten in Deutschland, meine Damen und Herren. heit! (Jörg Tauss [SPD]: Jawohl!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Wir brauchen in Deutschland eine gezielte Hochbegab- Tauss [SPD]: Wer hat die denn inhaftiert? Wer tenförderung, die frühzeitig, nämlich in der Grundschule, hat sie denn in die Unfreiheit geführt?) beginnt. Hochbegabtenförderprogramme für Studierende Wir brauchen mehr Eigenverantwortung für Schulen sind, gleich ob über private oder öffentliche Stiftungen, zu und Hochschulen. Schulen und Hochschulen müssen verstärken und auszubauen. zukünftig ihre Lehrer bzw. Hochschullehrer selbst aus- (Beifall bei der F.D.P.) wählen und einstellen können. Meine Damen und Herren, die Gründe für den Bil- (Beifall des Abg. Klaus-Jürgen Hedrich dungsrückstand und die Defizite liegen auf der Hand: [CDU/CSU]) ein zu hohes Einschulungsalter, zu lange Schul- und Stu- Wir sollten den Wettbewerb stärker fördern, indem dienzeiten – Stichwort 13. Schuljahr –, Wehrpflicht und Schulbezirke aufgehoben werden, freie Träger die glei- vor allem Qualitätsdefizite in der Schulausbildung. Wis- chen Chancen haben wie staatliche Bildungsein- sen Sie, manchmal habe ich den Eindruck, für einige der richtungen. Durch eine erweiterte Hochschulautonomie rot-grünen Landesregierungen sei das 13. Schuljahr ei- sollte den Hochschulen bzw. Universitäten das Recht ein- gentlich eine Art Glaubensbekenntnis, wobei sie total aus geräumt werden, Leistungsstrukturen nach eigenen Be- den Augen verloren haben, wohin sich die Bildungspoli- dürfnissen und Erfahrungen zu bestimmen. Schluss mit tik und der internationale Wettbewerb bewegen. der Studentenlandverschickung im digitalen Zeitalter, in 17568 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Cornelia Pieper (A) dem sich jeder junge Mensch im Internet an einer Hoch- Das, womit wir uns heute auseinander setzen müssen, (C) schule bewerben kann! ist in hohem Maße das Ergebnis der Untätigkeit der letz- ten Bundesregierung über 16 Jahre hinweg. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das Zeitalter der Zentralstelle für die Vergabe von Studien- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der plätzen ist vorbei! Die ZVS gehört abgeschafft! PDS – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist ja lächerlich! – Abg. Cornelia Pieper [F.D.P.] mel- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten det sich zu einer Zwischenfrage) der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Bun- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol- desminister Bulmahn – – legin, kommen Sie bitte zum Schluss. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Cornelia Pieper (F.D.P.): Ich komme zum Ende mei- und Forschung: Eine zweite Anmerkung: Frau Pieper, ich ner Rede, Herr Präsident. – Bildung im 21. Jahrhundert ist würde mir wünschen, dass die F.D.P. in den Bundeslän- ein Freiheitsthema für die Freien Demokraten. Aber es dern, in denen sie die Regierungsverantwortung mitträgt, gibt keine Freiheit ohne Verantwortung. Statt in Indus- all das tut, was Sie hier gefordert haben. trien von gestern müssen wir in kluge Köpfe von morgen investieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) (Beifall bei der F.D.P.) Dort können Sie es nämlich tun. Dort sollten Sie es ma- Deswegen werden wir das bei den bevorstehenden Haus- chen. Das betrifft isbesondere die Schulpolitik. Sie wis- haltsberatungen zum Thema machen. Lassen Sie uns die sen, dass wir im Deutschen Bundestag kein Jota an der Steinkohlesubventionen kürzen! Schulpolitik ändern können. Dies ist eine klare Länder- ( [SPD]: Menschen in die Arbeits- aufgabe und deshalb wünsche ich mir, dass die jeweiligen losigkeit schicken ist das! Nichts anderes!) Regierungsparteien ihre Verantwortung in den Ländern wahrnehmen. Lassen Sie uns diese Subventionen für Zukunftsinvesti- tionen in die junge Generation verwenden! (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Zuruf von der SPD: Unglaublich!) Sie sind in mehreren Ländern an der Regierung beteiligt. (B) Tun Sie etwas und sprechen Sie nicht nur darüber! (D) Vielen Dank.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Tauss [SPD]: Das war noch nicht einmal libe- Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage? ral! – Weiterer Zuruf von der SPD: So viele Plattheiten habe ich noch nie gehört!) Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Ich stelle zurzeit fest – – Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Bundesregierung spricht jetzt die Bundesministerin Edelgard Buhlman. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Minister, – Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung und Forschung: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung geehrten Damen und Herren! Frau Pieper, die Statistiken, und Forschung: Ich will dies noch ganz kurz ergänzen. die Daten, die Sie hier vorgetragen haben, stimmen leider. Dann lasse ich die Frage zu und dann antworte ich. Der OECD-Bericht besagt leider ganz klar, dass wir in Deutschland nicht an der Spitze liegen, sondern im Mit- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: – ich be- telfeld, teilweise sogar schlechter. Was Sie allerdings ver- stimme hier, wer spricht. Ich frage Sie, ob Sie eine Zwi- schwiegen haben, ist, dass der OECD-Bericht die Ent- schenfrage der Kollegin Pieper zulassen wollen. wicklung bis 1998 darstellt. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Aber das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des müssen Sie doch nicht mitten in der Rede ma- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der chen! Was ist das denn für ein Stil! – Gegenruf PDS – Zuruf von der SPD: Ihre Zeit, Frau von der CDU/CSU: Ruhe da hinten, Herr Pieper!) Schmidt! Der Präsident hat gesprochen!) Bei allem Respekt: So lange liegt das Jahr 1998 noch nicht zurück. Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung (Willi Brase [SPD]: Alles vergessen, Frau und Forschung: Ich lasse Zwischenfragen immer zu. Das Pieper!) wissen doch die Kolleginnen und Kollegen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17569

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie lassen schiedlicher Typen. Wenn Sie fordern, die Ideologie bei- (C) also eine Zwischenfrage zu? seite zu legen, empfehle ich, diese Forderung an die ei- gene Adresse zu richten, denn die Ideologie, die Ihre Po- litik der 90er-Jahre geprägt hat – Kürzungen in der Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung Bildung und kein Engagement des Staates –, ist falsch. und Forschung: Ja, ich lasse die Zwischenfrage zu. Der Staat muss sich engagieren, er muss gestalten und da- mit den Bildungseinrichtungen die notwendigen Ent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte scheidungsfreiheiten geben. Gerade die SPD hat das seit schön, Frau Pieper. vielen Jahren gefordert und setzt das auch um. Das ist der entscheidende Punkt. Cornelia Pieper (F.D.P.): Frau Ministerin, ist Ihnen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aufgefallen, dass ich in meiner Rede bewusst auch auf die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Entwicklung der Schulpolitik in den vergangenen Jahren Thomas Rachel [CDU/CSU]: Zu Hessen hat sie hingewiesen habe, insbesondere auf die Schulpolitik in kein Wort gesagt!) den Ländern, in denen Rot oder Grün regiert, beispiels- Das Ergebnis einer 16-jährigen Untätigkeit, das viele weise in Niedersachsen, und ist Ihnen bekannt, dass die Menschen in unserem Land beunruhigt und umtreibt, ist hessische Landesregierung unter Beteiligung der F.D.P. paradox: Wir haben auf der einen Seite Unterbeschäfti- 2 500 neue Personalstellen für Lehrer geschaffen hat bzw. gung, während auf der anderen Seite immer mehr Unter- dass die rheinland-pfälzische Regierung nach der letzten nehmen – inzwischen jedes zehnte – ihre offenen Stellen Regierungsbildung, an der auch Ihre Partei beteiligt ist, nicht mehr besetzen können, weil die notwendigen Fach- drei staatliche Eliteschulen ins Leben gerufen hat? kräfte fehlen. Diese paradoxe Situation ist Ergebnis der (Thomas Rachel [CDU/CSU]: So ist es! – Wi- Politik des letzten Jahrzehnts und nicht der letzten zwei derspruch bei der SPD und der PDS) Jahre. Das muss man leider so feststellen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Forschung: Frau Pieper, erstens habe ich als Ministe- Zu Recht wird deshalb in der Öffentlichkeit darüber rin die Initiative ergriffen, weil ich nach den langjährigen diskutiert, was getan werden muss, um die Bildungsein- Diskussionen über dieses Thema im Bundestag erkannt richtungen zu verbessern und den jungen Menschen bes- habe, dass es nicht ausreicht, nur über andere zu reden, sere Bildungsmöglichkeiten zu geben. Der eigentliche Pa- sondern dass es notwendig ist, mit den Ländern und den- radigmenwechsel ist nämlich nicht der zu einer (B) jenigen, die in den Bildungseinrichtungen arbeiten, ge- Informationsgesellschaft, sondern der von der Industrie- (D) meinsam daran zu gehen, die Situation zu verbessern. Es gesellschaft zu einer Bildungs- und Wissensgesellschaft. ist das Forum Bildung, in dem wir gemeinsam mit den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ländern – unabhängig von Parteizugehörigkeiten –, mit des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Wissenschaftsorganisationen, Jugendlichen und Sozial- partnern wichtige Empfehlungen für die Schulpolitik er- Tatsache ist, dass wir schon heute einen weltweiten arbeitet haben. Wettbewerb um hoch qualifizierte Fachkräfte – Ingeni- eure, Informatiker, begabte Studierende und Wissen- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Frau Pieper hat schaftler – haben. Dafür gibt es zwei Ursachen. Die eine nach Hessen gefragt!) Ursache ist der demographische Wandel; es gibt weniger Ich stelle zweitens fest, dass inzwischen gerade die Jugendliche. Die zweite Ursache ist in den eklatanten Ver- SPD-regierten Länder – dazu gehört das Land Rheinland- säumnissen der Bildungs- und Wissenschaftspolitik der Pfalz; die jetzige Bildungsministerin ist Sozialdemokratin 90er-Jahre zu sehen, die sich jetzt auswirken. und ihr Vorgänger war ebenso Sozialdemokrat – wirklich (Zuruf von der CDU/CSU: In den Ländern!) vorangegangen sind. Wir brauchen mehr Hochschulabsolventen, die außer- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dem besser ausgebildet sind. Es war ein fataler Fehler, in In den sozialdemokratisch regierten Ländern wurde in- den 90er-Jahren an die Jugendlichen das Signal zu geben, zwischen erheblich mehr in Bildung investiert. In den dass weniger Hochschulabsolventen gebraucht würden. 90er-Jahren ist der Zuwachs bei den Investitionen in Bil- (Jörg Tauss (SPD): Ja: Wir brauchen keine dung allein von den Ländern geleistet worden. Man muss Physiker!) das einfach zur Kenntnis nehmen. Der Bund hat seine Bil- dungsausgaben in den 90er-Jahren – Sie wissen das sehr Das Gegenteil ist der Fall: Wir brauchen mehr Hoch- gut, denn Sie haben damals mitentschieden – um 4,7 Pro- schulabsolventen, die besser und anders ausgebildet sind. zent gekürzt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten In dem Land, aus dem ich komme, haben wir 2 000 des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neue Lehrerstellen geschaffen. Wir haben das Angebot an Die Tatsache, dass sich in unserem Lande nur 28 Prozent Ganztagsschulen ausgebaut, weil Kinder und Jugendliche der Jugendlichen für ein Studium entscheiden – in Finn- heute mehr lernen müssen und dafür mehr Zeit brauchen. land sind es 58 Prozent und in Israel 49 Prozent –, ist das Wir haben ein breit gefächertes Bildungsangebot unter- Ergebnis der falschen Signale der 90er-Jahre. 17570 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) Wir brauchen auch mehr internationalen Austausch. Sie kritisieren das bestehende Ordinariensystem. Auch da (C) Dabei geht es nicht nur darum, kurzfristig Engpässe auf sind wir gefragt. Sie kritisieren den Mangel an Internatio- dem Arbeitsmarkt zu überbrücken. nalität im deutschen Hochschulsystem. Dies sind alles (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Punkte, wo wir, nämlich der Bund, wirklich handeln kön- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen und wo diese Bundesregierung auch handelt. Es geht darum, dass hoch qualifizierte ausländische Wis- (Beifall bei der SPD) senschaftler gute Ideen mitbringen, Kontakte erleichtern Im Zentrum der Kritik steht im Übrigen immer wieder und die besten Botschafter für unser Land sind, wenn sie das Habilitationsverfahren. Von jungen und erfolgrei- in ihr eigenes Land zurückkehren. chen Wissenschaftlern, auch zum Beispiel von Nobel- Lassen Sie mich einen Vergleich ziehen und die Situ- preisträgern, wird kritisiert, dass es zu langwierig und ation in einem anderen Land schildern: Die amerika- intransparent sei, dass es hierarchische Strukturen zemen- nische Forschung verdankt ihre Spitzenstellung heute zu tiere. Genau an diesen Kritikpunkten setzt das Reformpa- einem ganz wesentlichen Teil ausländischen Wissen- ket an, das diese Bundesregierung nach dem Regierungs- schaftlern. In den Vereinigten Staaten kommen 21 Prozent wechsel in Angriff genommen hat. des wissenschaftlichen Hochschulpersonals aus anderen Wir stärken Bildung und Forschung finanziell. So wer- Ländern. Bei den Postdoktoranden beträgt der Ausländer- den wir im kommenden Jahr 16,4 Milliarden DM in For- anteil sogar mehr als 50 Prozent. Ein Viertel aller Hoch- schung und Bildung investieren. Das sind 15,5 Prozent schulprofessoren in den natur- und ingenieurwissen- mehr als im Jahre 1998, dem letzten Jahr Ihrer Regie- schaftlichen Fachbereichen kommt aus anderen Ländern. rungsverantwortung. Deutschland gehört im Übrigen zu den wichtigsten Ent- sendeländern. Volkswirtschaftlich betrachtet subventio- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nieren wir also – und zwar nicht unbeträchtlich – die ame- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) rikanische Forschung. Zugleich aber schaffen wir durch die notwendigen Refor- (Beifall der Abg. Ulrike Flach [F.D.P.]) men und Strukturinnovationen die Voraussetzungen da- für, dass diese Mittel gut eingesetzt werden. Auch das ist Der Grund dafür ist offensichtlich: Deutsche Hoch- notwendig. schulen haben ihren Absolventen in den letzten Jahren hervorragende Voraussetzungen für den Wettbewerb um Wir haben das BAföG reformiert und damit echte interessante Stellen in anderen Ländern geschaffen und Chancengleichheit hergestellt. Niemand muss mehr aus geboten, aber es gab zu wenig interessante Arbeitsplätze finanziellen Gründen auf ein Studium verzichten, im (B) hier im eigenen Land. Hier haben sich die fatalen Mittel- Übrigen auch nicht im Ausland. Wir stärken die Förde- (D) kürzungen durch die alte Bundesregierung verheerend rung von Nachwuchswissenschaftlern erheblich. Aus ausgewirkt. Hier hat sich auch – das sage ich auch ganz meinem Haushalt werden in diesem Jahr 1,4 Milli- deutlich – Ihre mangelnde Kraft zur Gestaltung und Re- arden DM in die Förderung der Nachwuchswissenschaft- formierung des deutschen Hochschulsystems ausgewirkt. ler investiert. Das ist eine Bestenförderung. Es gilt: Nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ darüber reden, sondern handeln! Das tun wir. DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Thomas Die Bundesländer finanzieren die Hochschulen Rachel [CDU/CSU]: Dann handeln Sie ein- zu 90 Prozent! Sehen Sie sich einmal die Bun- mal!) desländer an, in denen die SPD regiert! Das ist ja peinlich!) Wir haben neue Stipendiensysteme geschaffen. Dies ist keine Zukunftsmusik, denn wir haben dies bereits einge- Dieser jahrelange Stillstand, den wir in der Bildungs- und leitet bzw. eingeführt. Wir haben die Dienstrechtsreform Forschungspolitik unter Ihrer Regierungsverantwortung auf den Weg gebracht, die ebenfalls die frühe Eigen- hatten, war in Wirklichkeit ein Rückschritt, der uns viele ständigkeit gerade der jungen Nachwuchswissenschaftler fähige Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchs- unterstützt. wissenschaftler gekostet hat. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie haben noch (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Das ist gar nichts gemacht! Es hat noch nicht einmal die Wahrheit! – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: Sie die erste Lesung stattgefunden!) sollten langsam rot werden! Es ist ja peinlich!) Ich würde mich freuen, Herr Rachel, wenn auch alle Bei meinem Besuch in Palo Alto Anfang dieses Jahres CDU-regierten Länder hierbei engagiert mitmachen wür- habe ich deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissen- den, schaftler, die in den USA geblieben sind oder bleiben wol- len, gefragt, was sie in Deutschland vermissen, wo aus ih- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rer Sicht Reformbedarf liegt, welche Änderungen sie für DIE GRÜNEN – Thomas Rachel [CDU/ CSU]: notwendig halten. Die deutschen Wissenschaftler kriti- Wir werden die Reform sogar verbessern, Frau sieren einhellig, dass es in Deutschland in den 90er-Jahren Bulmahn! Sie werden staunen!) keine oder nicht ausreichende Stellen für eigenständige damit wir es nun, nachdem Sie 16 Jahre lang dieses Pro- Forschung gab. Diese zu schaffen ist Aufgabe des Bundes. blem vor sich hergeschoben haben, endlich wie angekün- (Beifall bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Ja!) digt in dieser Legislaturperiode hinbekommen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17571

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) Wir verfolgen ein ehrgeiziges Programm zur Frauen- Deshalb zögern Sie nicht, sondern machen Sie mit! (C) förderung. Wir stärken Forschung und Entwicklung zum (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Beispiel durch den Aufbau von Forschungszentren an DIE GRÜNEN) deutschen Hochschulen oder durch Unterstützung des virtuellen Studiums, mit dem wir die weltweite Vernet- Mein Ziel, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist zung der deutschen Hochschulen erreichen wollen. es, deutsche Hochschulen wieder dauerhaft attraktiver für ausländische Spitzenkräfte zu machen und den gegen- Wir fördern die Internationalisierung der deutschen wärtigen Anteil von 6 bis 7 Prozent ausländischer Studie- Hochschullandschaft, wir werben offensiv um Studie- render deutlich zu erhöhen. Eine Erhöhung dieses Anteils rende und Lehrende aus anderen Ländern um 50 Prozent ist ein Ziel, das wir auf jeden Fall erreichen (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sie sparen die müssten. deutschen Schulen im Ausland kaputt!) und wir verbessern die Zusammenarbeit zwischen Hoch- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kol- schulen und Wirtschaft, damit eine schnellere Umsetzung legin Bulmahn, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage von neuen Ideen in Produkte und Verfahren gelingt. der Kollegin Flach? Um Deutschland, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, zum bevorzugten internationalen Wissen- Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung schaftsstandort zu machen, richten wir auch mehr Stu- und Forschung: Ja. diengänge international aus. Auch das ist ein Teil, ein (Jörg Tauss [SPD]: Fragen bildet! Nur zu! Nur wichtiger Teil des kulturellen Wandels in Deutschland. Mut!) Wir betreiben die gegenseitige Anerkennung von Stu- dienabschlüssen, die Akkreditierung von Studiengängen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau und schaffen damit internationale Vergleichbarkeit. Flach, bitte schön. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das alles hat die Vorgängerregierung mit Rüttgers schon einge- Ulrike Flach (F.D.P.): Danke schön, Frau Bulmahn. – leitet!) Ich möchte Ihnen einfach die rein praktische Frage stellen: – Nein, sorry! – Wir kommen dabei in großen Schritten Sie wissen, dass die F.D.P. beim Hochschuldienstrecht voran. Wir haben jetzt nämlich 1 044 Bachelor- und Mas- selbstverständlich mitziehen will. Das ist eine Reform, die terstudiengänge, die hier angeboten werden. dringend notwendig ist. Nur, ich überlege mir, wie werden Sie mit der Mehrheit Ihrer Landesminister fertig, die natür- (B) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hat alles die (D) lich nicht mitziehen werden und genau die Crux nicht be- CDU-geführte Regierung gemacht! Das hat seitigen werden, mit der wir zurzeit kämpfen müssen, dass Rüttgers schon realisiert!) nämlich das Geld für die nötigen Fachkräfte nicht vorhan- Ein zentrales Reformprojekt ist die Dienstrechtsre- den ist? Ihre Antwort darauf würde mich interessieren. form, die Anfang 2002 in Kraft treten soll. Damit wollen wir zum einen die Qualität von Lehre und Forschung ver- Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung bessern und zum anderen dafür sorgen, dass die besten und Forschung: Am Ende des Jahres werden Sie feststel- Köpfe in unserem Land bleiben oder dass die besten len, dass die sozialdemokratischen Landesregierungen Köpfe auch wieder in unser Land zurückkommen. und Landesminister diese Reform nicht nur mitmachen, Meine Damen und Herren, zeigen Sie Mut und Courage! sondern dass sie sie wollen und dass sie sich auch sehr engagiert dafür einsetzen, dass diese Reform gelingt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das heißt, zur- zeit wollen sie sie nicht!) Lassen Sie uns den alten Zopf der Habilitation abschneiden und es mit der Juniorprofessur den jungen Wissenschaft- Wenn Sie sich die Vorbereitungen für die Änderungen lern ermöglichen, in Zukunft durchschnittlich zehn Jahre der Landeshochschulgesetze anschauen, werden Sie zum früher, als das jetzt der Fall ist, eine Professur zu überneh- Beispiel feststellen, dass die Juniorprofessur im geplanten men, eigenständige Forschung und Lehre zu betreiben! niedersächsischen Landeshochschulgesetz bereits aufge- nommen worden ist. Sie werden das im Übrigen auch bei (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ anderen Ländern feststellen. Ich stelle gerade bei sozial- DIE GRÜNEN) demokratisch regierten Landesregierungen eine große Und zeigen Sie auch Courage, mit dem Dienstrecht eine Nachfrage nach diesen Juniorprofessuren fest und wir weitere wesentliche Erneuerung herbeizuführen, nämlich werden sie mit den Stimmen unserer Länder auch durch- eine Erneuerung, die Leistung in Lehre und Forschung setzen. Ich wünsche mir aber – das sage ich auch ganz honoriert! Ein Besoldungssystem, das so aussieht, dass klar –, dass diese Möglichkeit nicht nur in den sozial- vor allem nach Lebensalter besoldet wird, passt nicht demokratisch regierten Ländern genutzt wird, sondern in mehr in unsere heutige Wissenschaftslandschaft. allen Bundesländern, (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Da haben Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ausnahmsweise Recht!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 17572 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) weil ich davon überzeugt bin, dass sie für alle Hochschu- deutschen Hochschulen sind weit besser als der Großteil (C) len, egal, in welchem Bundesland sie liegen, eine gute der amerikanischen Hochschulen. Chance darstellt. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!) Wir verbessern die Strukturen, wir nutzen die UMTS- Die Max-Planck-Gesellschaft und die Fraunhofer-Ge- Zinserträge, um unseren Hochschulen einen kräftigen sellschaft haben auch international einen hervorragenden Schub in diese Richtung der Internationalisierung zu ge- Ruf. Die Forschungsleistung der deutschen Industrie ist ben, weil das nicht nur ein Defizit und ein Mangel ist, den ebenfalls weltweit anerkannt. Wir können uns also welt- unsere jungen Wissenschaftler im Ausland beschreiben, weit durchaus sehen lassen. Aber wir tun es zu wenig. Un- sondern es ist ein Mangel, den auch viele beschreiben, die sere Bildungs- und Forschungseinrichtungen sind bisher heute an den Hochschulen in Deutschland tätig sind. Wir im Ausland eher eigene Wege als gemeinsame Wege ge- stellen – zusätzlich zu den Ausgaben, die wir sowieso täti- gangen. Ich bin davon überzeugt, dass beides notwendig gen – für die Zukunftsinitiative Hochschule rund 1 Mil- ist: dass wir den gemeinsamen Weg genauso wie die Dar- liarde DM bereit, davon 210 Millionen DM, um unter stellung der eigenen Leistungsfähigkeit brauchen. dem Stichwort „Braingain“ die Anziehungskraft unserer Hochschulen im Ausland zu erhöhen. Wir gewinnen so (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten über die Programme Spitzenwissenschaftlerinnen und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) -wissenschaftler und exzellente Nachwuchswissenschaft- Deshalb hat die Bundesregierung am vergangenen ler aus dem Ausland und wir gewinnen sie teilweise auch Freitag mit den Ländern und den Hochschulen – über wieder zurück. Die Resonanz, die ich jetzt schon, nach gut 80 Hochschulen machen schon mit – sowie mit den einem halben Jahr, auf diese Programme feststelle, ist ein- Forschungsorganisationen und -einrichtungen und den fach herausragend, sie ist toll und zeigt, dass diese Pro- Außenhandelskammern ein übergreifendes Marketing- gramme genau richtig waren und dass wir damit auch ge- konzept beschlossen, nau einen Schwachpunkt getroffen haben. (Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) mit dem wir gemeinsam für den Bildungs- und For- schungsstandort werben wollen Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang aus- drücklich bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und (Jörg Tauss [SPD]: Sehen Sie, so sieht Handeln dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, die mit aus! – Gegenruf der Abg. Cornelia Pieper sehr großem Engagement diese Programme umsetzen und [F.D.P.]: Das war unser Antrag! – Jörg Tauss einfach eine hervorragende Arbeit leisten. [SPD]: Aber wir machen es!) (B) (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE sowie die wissenschaftliche Qualität, die kulturellen Vor- (D) GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. züge und die Lebensqualität unseres Landes im Ausland Norbert Hauser [Bonn] [CDU/CSU]) darstellen wollen. Wir können durch diese Programme ein Zweites er- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten reichen – auch darüber haben wir schon jahrelang disku- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tiert –: Der DAAD kann nun Hochschulverbünde aus dem Dies, meine sehr geehrten Damen und Herren, war wirk- von uns finanzierten Programm fördern und mit dem Pro- lich überfällig. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt wirklich of- gramm „Export deutscher Studiengänge“ erstmals deut- fensiv arbeiten. sche Studiengänge im Ausland anbieten. Das heißt, wir diskutieren nicht mehr über Offshore-Ausgründung deut- Eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg die- scher Hochschulen im Ausland, sondern die Offshore- ses Konzeptes ist allerdings – auch das lassen Sie mich Ausgründungen deutscher Hochschulen sind bereits in ganz klar sagen –, dass unser Land für Menschen aus an- Vorbereitung. Auch das ist mir ein wichtiges Anliegen, deren Ländern offen ist. Die konzertierte Aktion setzt sich weil ich der Auffassung bin, dass wir exzellente Hoch- deshalb für ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht ein, mit schulen haben. Ich will, dass diese exzellenten Hoch- dem auch bei uns im Vergleich zu anderen Ländern wett- schulen auch international ihre Angebote machen und im bewerbsfähige Bedingungen geschaffen werden. internationalen Wettbewerb hervorragend dastehen kön- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nen. DIE GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Dies bedeutet, dass wir Ausländern mit deutschem Hoch- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schulabschluss eine Perspektive zum Bleiben bieten müs- Wichtig sind dabei nicht nur die Strukturreformen und sen und dass Menschen mit einem ausländischen Pass, die Internationalisierung unserer Hochschulen, sondern aber einem deutschen Hochschulabschluss bei uns arbei- auch ein gezieltes Marketing für den Hochschul- ten, lehren und forschen können, und zwar nicht nur an und Wissenschaftsstandort Deutschland. Deutschland hat der Hochschule oder in einer Forschungseinrichtung. nämlich vielen Forscherinnen und Forschern, Wissen- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schaftlerinnen und Wissenschaftlern aus anderen Ländern DIE GRÜNEN) durchaus eine ganze Menge zu bieten. Die meisten unse- rer Hochschulen sind leider noch nicht so bekannt wie ei- Dies bedeutet auch, dass wir erheblich bessere Zu- nige amerikanische Eliteuniversitäten. Aber die meisten zugsmöglichkeiten für Ausländer insgesamt bieten müs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17573

Bundesministerin Edelgard Bulmahn (A) sen, etwa für hervorragende Wissenschaftler. Wir müssen geeigneten akademischen Nachwuchs, aber auch ausrei- (C) ferner Erwerbsmöglichkeiten für ihre Familienangehö- chend qualifizierte Fachkräfte aus den eigenen Reihen rigen anbieten; denn wir können ihnen nicht sagen: Du hervorzubringen. bitte ja, aber deine Ehefrau bitte nicht. Das wäre kein Gerade hat EU-Forschungskommissar Busquin in ei- überzeugendes Konzept. ner Studie belegt, dass der EU „in den Schlüsseltechnolo- Dazu gehört auch, dass wir ausländischen Studieren- gien jährlich rund 50 000 Forscher und Wissenschaftler den attraktive Rahmenbedingungen bieten: eine bessere fehlen“. Im Jahr 2010 wird es in der EU rund eine halbe Betreuung, Beratung und Unterbringung. Dafür haben Million Spitzenforscher zu wenig geben. Bei der jährli- wir ein Betreuungsprogramm gestartet und es von 3 auf chen Zuwachsrate an Forschern belegt Deutschland, Frau 11 Millionen DM aufgestockt, damit dies nicht nur ein Bulmahn, den vorletzten Rang in der EU. Das sind die Appell bleibt, sondern wir diese konkrete Arbeit auch Fakten. wirklich leisten können. Woran liegt das? – Lassen wir einmal die Nobel- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. preisträger außen vor und kümmern uns um deren poten- Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zielle Nachfolger. Dann scheint die Sache klar zu sein: Es NEN]) fehlt an geeignetem akademischen Nachwuchs in Deutschland. Dies ist eine alarmierende Diagnose; denn Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies alles sind die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit Maßnahmen, die entscheidend dazu beitragen – die Wir- eines Landes hängen entscheidend vom Potenzial an hoch kungen spürt man schon –, dass wir inzwischen Schwung qualifizierten Arbeitskräften ab. bekommen haben. Es liegt an uns, diesen Schwung zu nutzen und weiterzutragen. Dabei dürfen wir eines nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) vergessen: Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte und re- Frau Bulmahn, Deutschland droht an dieser Herausforde- nommierte Wissenschaftler, die aus der ganzen Welt zu rung einer wissensbasierten Industriegesellschaft zu uns kommen, nicht nur für die Sicherung unseres künfti- scheitern. gen Wohlstands. Sie sind auch kulturell und menschlich eine Bereicherung. Ich bin sicher, wenn wir es schaffen, Die Mängel des deutschen Bildungssystems begin- ihnen das Gefühl, dass sie für uns eine Bereicherung sind, nen früh. Nach einer Umfrage des Instituts der deutschen zu vermitteln, dann kann und wird Deutschland einer der Wirtschaft von 1999 hat jeder fünfte Abiturient deutliche gefragtesten Wissenschaftsstandorte auch weltweit wer- Schwächen im Rechnen. Bei den Realschülern sind es den. 30 Prozent, bei den Hauptschülern bereits 60 Prozent. Eine Vergleichsstudie der BASF über die Grundkennt- Vielen Dank. (B) nisse von Ausbildungsplatzbewerbern im Rechnen und (D) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Schreiben hat ergeben, dass über die Jahrzehnte das ver- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der mittelte schulische Ausbildungsniveau ständig gesunken PDS) ist. In Deutschland, immerhin das Land, in dem der Ver- brennungs- und der Dieselmotor, aber auch die Fotozelle und das Elektronenmikroskop erfunden wurden, wählen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als derzeit nur 9 Prozent der Abiturienten das Fach Chemie nächster Redner hat der Kollege Thomas Rachel von der und nur 11 Prozent das Fach Physik als Leistungskurs. CDU/CSU-Fraktion das Wort. Weil vielen Abiturienten das erforderliche Fundament (Jörg Tauss [SPD]: Rachel stimmt jetzt der fehlt, studieren auch zu wenige diese Fächer. Dienstrechtsreform zu!) Von 1988 bis 2001 konnte die stark juristisch und geis- teswissenschaftlich geprägte Kölner Universität eine Zu- Thomas Rachel (CDU/CSU): Sehr geehrter Herr nahme der Zahl ihrer Studenten von 38 000 auf 62 000 ver- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kennen Sie buchen. Im gleichen Zeitraum sank die Studentenzahl Günter Grass? – Na klar, den Träger des Nobelpreises für der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule in Literatur von 1999 kennt jeder. Doch kennen Sie auch Aachen von 38 000 auf 26 000. Dieser Rückgang bei tech- Günter Blobel? – Der deutschstämmige Molekularbio- nischen und naturwissenschaftlichen Hochschulen droht loge Günter Blobel bekam, ebenfalls 1999, den Nobel- zu einer gefährlichen Wachstumsbremse für die deutsche preis für Physiologie und Medizin. Doch während der Va- Wirtschaft zu werden. Dagegen müssen wir gemeinsam ter der „Blechtrommel“ in Deutschland gefeiert wurde, etwas tun. blieb Günter Blobel die öffentliche Anerkennung in seiner (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Heimat weitgehend verwehrt. Der Grund für seine hiesige Anonymität dürfte sein, dass Blobel seit gut drei Jahr- Die Reform des Bildungssystems wird darüber ent- zehnten an der US-amerikanischen Rockefeller Univer- scheiden, ob Deutschland in der globalisierten Welt des sity in New York lehrt. Damit sind wir bereits mitten in 21. Jahrhunderts international wettbewerbsfähig sein den Problemen des Hochschul- und Wissenschaftsstand- wird. Das Ausland hält uns kritisch den Spiegel vor Au- ortes Deutschland im 21. Jahrhundert: Das Hochtechno- gen. Aus US-Sicht verfügt Deutschland zurzeit, Frau Mi- logieland Deutschland verliert seine Koryphäen regel- nisterin, über keine einzige Universität von Weltrang. Das mäßig an ausländische Konkurrenten. Außerdem hat Problem wird so beschrieben: Es gibt eine breite Grund- Deutschland gerade in letzter Zeit Schwierigkeiten, den lage und eine solide Mitte; aber es fehlt eine Spitze. – Mit 17574 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Thomas Rachel (A) anderen Worten: Deutschland braucht Spitzenuniversitä- Die letzte unionsgeführte Bundesregierung hat bereits (C) ten im Weltmaßstab als Ergänzung und als leistungssti- entscheidende Weichenstellungen auf dem Weg zur In- mulierendes Vorbild. ternationalisierung der Hochschullandschaft vorge- nommen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Auch die deutsche Hochschulpolitik muss sich endlich der F.D.P.) zu dem Ziel bekennen, Leistungseliten in Deutschland Mit der Novelle zum Hochschulrahmengesetz wurden die heranzubilden. international anerkannten Abschlüsse Bachelor und Mas- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ter eingeführt. Sie persönlich, Frau Ministerin, Rote und Grüne haben damals versucht, die Reform zu kippen. Gott Niemand stört sich zum Beispiel an Eliten im Sport. Im sei Dank fehlte Ihnen damals die Mehrheit dazu. Gegenteil: Alles wird dafür getan, um neben dem Brei- tensport den Spitzensport zu fördern. Auch das Hoch- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schulsystem muss das Spannungsverhältnis zwischen der der F.D.P.) Förderung der Breitenausbildung und der Förderung der Sie haben den Gesetzentwurf im Bundestag und im Bun- geistigen Eliten aushalten und fair organisieren. Die Zu- desrat abgelehnt. Wäre dieser Gesetzentwurf nicht verab- gehörigkeit zur Elite beruht dabei auf individueller Leis- schiedet worden, dann hätte das einen Stillstand von drei tung, nicht etwa auf Herkunft oder Besitz. Wichtig ist da- Jahren nach sich gezogen. bei die Durchlässigkeit; neue Aufstiegsgelegenheiten müssen angeboten werden. Lösungsvorschläge müssen Seit 1998, als wir diesen Gesetzentwurf verabschiedet sich vor allem auf das bestehende Hochschulsystem be- haben, haben die deutschen Universitäten und Fachhoch- ziehen. schulen bereits 400 neue Bachelor- und Masterstudien- gänge eingeführt. Dies ist der Erfolg einer Politik, die Gut ist in Deutschland, dass unsere Absolventen in der Christdemokraten und Liberale in der vergangenen Le- Regel fachlich gut ausgebildet sind und im Vergleich zu gislaturperiode gemeinsam betrieben haben. anderen Ländern ein besser trainiertes Denk- und Urteils- vermögen besitzen. Nicht gut ist, dass unsere Absolven- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ten meist zu alt sind, wenn sie in das Berufsleben eintre- Wir waren es, die den Aufbau international ausgerichteter ten. Zu wenige von ihnen haben im Ausland studiert. Die Studiengänge auf den Weg gebracht haben. Das ist ein Selbstständigkeit wird zu spät trainiert und nicht positiv großer Erfolg. Die Regierung setzt unser Programm fort; genug bewertet. Nicht ausreichend sind die Betreuungs- aber die finanzielle Ausstattung stagniert. (B) relationen zwischen Lernenden und Lehrenden in vielen (D) Fächern unserer Hochschulen sowie der Zustand von Ge- (Willi Brase [SPD]: Das BAföG haben Sie bäuden, Labors und Bibliotheken. gekürzt!) Die Hochschulen brauchen mehr Eigenverantwortung. Das sind die Realitäten rot-grüner Bildungspolitik. Es ist Künftige Studierende sollen ihre Hochschulen und die eine Schande, dass Sie die deutschen Schulen im Ausland Hochschulen sollen ihre Studierenden selbst auswählen kaputtsparen, obwohl sie die Attraktivität der deutschen können. Sprache und den Studienplatz Deutschland fördern und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und unterstützen. der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die ZVS ist ein Anachronismus. Ich begrüße deshalb die Der Hochschulstandort Deutschland muss internatio- Initiative des neuen Wissenschaftsministers des Landes naler werden. Der Anteil der ausländischen Studieren- Baden-Württemberg, Professor Frankenberg, der ent- den liegt bei 7 Prozent. Diejenigen Ausländer, die heute schieden hat, aus dem bestehenden Staatsvertrag über die in Deutschland studieren, sind Freunde und Botschafter ZVS auszusteigen. Richtig so, Herr Minister! unseres Landes von morgen. 50 Prozent der Graduierten (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und Postgraduierten in den technischen Fächern der US- Hochschulen sind keine Amerikaner, sondern Ausländer; Die Bundesregierung darf dem Braindrain nach Ame- darunter sind viele Deutsche. Frau Bulmahn, es darf die rika nicht länger tatenlos zuschauen. Im Gegenteil: Es ist Bundesregierung nicht zufrieden stellen, dass deutsche an der Zeit, Deutschland als Hochschul- und Forschungs- Hochschulabsolventen mit öffentlichen Mitteln ihre standort für die akademischen Eliten Europas, Asiens und Grundausbildung in Deutschland erhalten, aber im End- Lateinamerikas auszubauen. Deutschland ist auf dem glo- ergebnis für die USA forschen und lehren. Das geht auf balen Bildungsmarkt unterrepräsentiert. Das ist ein Feh- die Dauer so nicht! ler. Führen Sie sich vor Augen, dass die USA auf dem in- ternationalen Bildungsmarkt einen Erlös von 12 bis (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 18 Milliarden US-Dollar pro Jahr erwirtschaften! Dieser Wir müssen deshalb für die deutschen, aber auch für Erlös ist höher als der der amerikanischen Filmindustrie. die ausländischen Studenten besser werden. Nicht Ab- (Jörg Tauss [SPD]: Das habe ich dem Herrn wehr und Provinzialismus sind gefragt. Wir brauchen in Rüttgers mal erklärt! Der hat mich angeguckt Deutschland eine neue Offenheit für qualifizierte Nach- wie ein Mondkalb!) wuchskräfte und die besten Köpfe aus dem Ausland. Des- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17575

Thomas Rachel (A) halb müssen bestehende Barrieren im Aufenthalts- und Frau Pieper, Ihre Zahlen waren nicht nur in Bezug auf die (C) Arbeitsrecht beseitigt werden. Bundesebene, sondern auch in Bezug auf Hamburg falsch. Hamburg hat in dieser Legislaturperiode den An- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. – teil des Wissenschaftsetats am Gesamtetat von 6,5 Pro- Jörg Tauss [SPD]: Sehr gut!) zent auf 8 Prozent erhöht. Kein Land gibt pro Schüler so Viele Bildungsausländer brauchen die Chance, ihren Le- viel Geld aus wie Hamburg. bensunterhalt in Deutschland zu finanzieren. Deshalb (Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das war aber müssen wir die so genannte 90-Tage-Frist verändern und die so genannte Vorrangprüfung zumindest bei stu- auch dringend nötig!) diennahen Tätigkeiten beseitigen. Wir haben den Etat auch insgesamt gesteigert. Allein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – bei den Investitionen haben wir in dieser Legislaturpe- Jörg Tauss [SPD]: Die Süssmuth-Kommission riode eine Steigerung um 16 Prozent zu verzeichnen, und wird es klar sagen!) zwar auch dank der Politik der rot-grünen Bundesregie- rung, die das möglich gemacht hat. Ausländische Studenten sollen in Zukunft nach ihrem Studium in Deutschland bleiben dürfen. Sie brauchen eine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeitserlaubnis, damit sie in Deutschland Berufserfah- sowie bei der SPD – Zuruf von der SPD: Gute rung sammeln können. Es macht keinen Sinn, dass hoch Politik setzt sich durch! – Zurufe von der F.D.P.) qualifizierte Akademiker das Land verlassen müssen, Frau Pieper, ich möchte noch einen kleinen Beitrag zur wenn Deutschland in den gleichen Bereichen mit seinen Bildung leisten. eigenen Fachkräften den Bedarf nicht decken kann. (Zuruf von der CDU/CSU: Arroganz ist das (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auch nicht!) neten der F.D.P.) Sie haben ja vorhin über Hamburg gesprochen. Vor eini- Der Nachzug und die Erwerbsmöglichkeiten der Ehe- gen Tagen haben Sie ausgeführt, dass Sie sich elbaufwärts gatten von Wissenschaftlern an Hochschulen und For- bewegen müssten, wenn Sie von Dresden nach Hamburg schungseinrichtungen müssen ebenfalls verbessert wer- kommen wollten. Das ist leider falsch. Sie müssten sich den. Welcher Wissenschaftler will nach Deutschland elbabwärts bewegen. kommen und dort forschen, wenn sein Ehepartner nicht gleich eine Arbeitserlaubnis bekommt? Nur so werden (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE wir zeigen, dass Deutschland ein offener und moderner GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Wissenschaftsstandort ist. Das ist liberal, mal so und mal so! – Hans-Peter (B) Repnik [CDU/CSU]: Jawohl, Frau Lehrerin!) (D) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Klären Sie das in Ihrer Frak- – Mal so und mal so, und dann der Spruch: Was Hänschen tion, Herr Rachel! Da sieht die Welt nämlich an- nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. – Ich habe das ver- ders aus!) standen. Sehr geehrte Damen und Herren, gut ist nicht mehr gut (Zurufe von der F.D.P.) genug. Deshalb hat der bayerische Wissenschaftsminister Meine Damen und Herren, die Bundesländer und die Zehetmair mit Recht gesagt: Hochschulen haben in den vergangenen Jahren Erhebli- Wer sich dem Wandel verschließt, verliert. Wer nicht ches geleistet, um Deutschland als internationalen danach strebt, besser zu werden, hört auf, gut zu sein. Hochschulstandort attraktiver zu machen. Ich meine, wenn einige Rednerinnen und Redner so tun, als müssten Lassen Sie uns also gemeinsam die notwendigen Refor- sie vom Deutschen Bundestag aus den Hochschulen men anpacken. Nachhilfe erteilen, dann wissen sie nicht, was in den ver- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. gangenen Jahren in den Hochschulen in Deutschland ge- schehen ist. Sie tragen damit Eulen nach Athen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: Eine hervorragende Ich bedanke mich bei der Bundesministerin, die diese Rede!) Anstrengungen in den Hochschulen und in den Bundes- ländern ausgesprochen tatkräftig unterstützt hat und die durch ihren Einsatz, und zwar sowohl durch die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort Dienstrechtsreform als auch durch die Steigerung der fi- hat nun die Zweite Bürgermeisterin der Freien und Han- nanziellen Mittel, dafür gesorgt hat, dass wir endlich die sestadt Hamburg, Krista Sager. Rahmenbedingungen haben, um die Reformen voranzu- (Zuruf von der CDU/CSU: Wahlkampf!) bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Krista Sager, Senatorin (Hamburg): Herr Präsident! und der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir zuerst eine Gibt es doch noch gar nicht! Ist doch noch gar Bemerkung in eigener Sache. nicht beschlossen!) (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Viele Grüße an Meine Damen und Herren, ich möchte eines ganz deut- die Hamburger Wahlkämpfer!) lich sagen: Die erfolgreiche Arbeit in den Ländern und in 17576 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Senatorin Krista Sager (Hamburg) (A) den Hochschulen droht jedoch in Bezug auf die Interna- Tag in unserem Wahlkreis mit den Ängsten der Bevölke- (C) tionalisierung dann im Sande zu versickern, wenn es nicht rung Schindluder treiben. gelingt, schnell zu Verbesserungen bei den arbeits- und (Jörg Tauss [SPD]: Wir nicht, die!) ausländerrechtlichen Rahmenbedingungen zu kom- men. Das geht nicht. Wenn in der nächsten Woche die Ergeb- nisse der Zuwanderungskommission vorgelegt werden, (Walter Hirche [F.D.P.]: Unsere Anträge sind erwarte ich, dass wir genauso dahinter stehen wie in den von der Koalition abgelehnt worden!) wissenschaftspolitischen Debatten und dass die Vor- Wir brauchen für die ausländischen Studierenden und die schläge dann auch umgesetzt werden. Wissenschaftler schnell Veränderungen, sonst sind wir in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesem Bereich mit den USA und mit Kanada nicht kon- und bei der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: kurrenzfähig. Wo sind denn Ihre Vorschläge?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir brauchen nicht nur Verbesserungen bei der Hand- und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Das habe der so genannten 90-Tage-Regelung bei der geneh- hätten Sie vor zwei Jahren haben können!) migungsfreien Teilzeitarbeit, wir brauchen auch den Ver- Meine Damen und Herren, ich weiß, dass die Wissen- zicht auf die so genannte Vorrangprüfung. Ich habe selbst schaftsminister der Länder, die Bundeswissenschaftsmi- erlebt, wie Studierende aus dem Ausland, die teilweise nisterin und die Regierungsfraktionen in diesem Punkt an sogar aus gut situierten Familien kamen, plötzlich ihr Stu- einem Strang ziehen. Aber als Landesministerin bin ich dium in Gefahr sahen, wenn in ihren Ländern Währungs- frei und sage eines ganz offen: Hier müssen auch der Bun- krisen auftraten. Deswegen ist es wichtig, dass diese desinnenminister und der Bundesarbeitsminister mitzie- Studierenden die Möglichkeit bekommen, neben ihrem hen. Sonst wird es nicht gehen. Studium eine ordentliche Teilzeittätigkeit anzunehmen. Sie von der F.D.P. und von der Union müssen sich an dieser Stelle fragen lassen, warum Sie es zugelassen ha- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Bür- ben, dass Parteifreunde aus Ihren Reihen jahrelang in die- germeisterin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle- sem Land ein Klima aufgebaut haben, das eine sachliche gen Dirk Niebel? Diskussion über Arbeits- und Ausländerrecht überhaupt nicht mehr zuließ. Krista Sager, Senatorin (Hamburg): Ja, selbstver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ständlich. und bei der SPD – Willi Brase [SPD]: Die Geis- (B) ter, die sie riefen, werden sie nicht mehr los!) (D) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte Dazu erhoffe ich mir in der Tat manchmal auch von den schön, Herr Niebel. Ministerpräsidenten und nicht nur von den Bildungsmi- nistern klare Aussagen. Dirk Niebel (F.D.P.): Frau Bürgermeisterin, Sie haben Die Hochschulen machen eine ganze Menge, das kann gerade – wie ich finde, nicht zu Unrecht – gefordert, dass ich von Hamburg aus tatsächlich beurteilen. Internatio- ausländische Studierende hier auch die Möglichkeit ha- nale Bachelor- und Masterabschlüsse werden breit ange- ben müssen zu arbeiten. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion boten. Credit Point Systems werden ausgebaut. Es wird hat 1999 beantragt, die Arbeitsgenehmigungspflicht ab- intensiv mit internationalen Hochschulpartnern zusam- zuschaffen, was abschließend im März 2000 in diesem mengearbeitet. Englischsprachige Studienangebote wer- Haus abgelehnt worden ist. den ausgebaut. Es gibt Sonderprogramme für die Betreu- (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE ung ausländischer Studierender. Es gibt Public Private GRÜNEN]: Die F.D.P.-Bundestagsfraktion Partnership zwischen staatlichen Hochschulen und priva- hatte 16 Jahre Zeit, das in der Regierung umzu- ten Einrichtungen mit Zusatzangeboten für ausländische setzen! Warum hat sie das nicht gemacht?) Studierende. Es gibt auch eigens entwickelte und zum Teil preisgekrönte Marketingkonzepte unserer Hochschulen. Die Roten haben ihre Ablehnung mit dem Argument begrün- det, man würde Lohndumping fördern. Die Schwarzen haben Inzwischen haben wir auf Basis der englischsprachi- sie mit dem Argument begründet, man würde Zuwanderung gen Masterprogramme zum Beispiel an der Technischen fördern. Die Grünen haben sie – sinngemäß – mit dem Ar- Universität in Hamburg einen Anteil von ausländischen gument begründet: Der Antrag ist ja nicht schlecht, aber er Studierenden von 17 Prozent erreicht, liegen also über der kommt von der F.D.P. und der trauen wir nicht. genannten Marge. Jetzt müssen wir feststellen, dass die besten Absolventen nicht in ihre Heimatländer zurück- (Willi Brase [SPD]: Berechtigt!) kehren, sondern in die USAoder nach Kanada gehen. Hier Würden Sie vor diesem Hintergrund Ihr politisches Han- müssen wir in der Tat schnell handeln. Diese Absolventen deln in diesem Haus mit den Forderungen, die Sie jetzt brauchen nicht nur eine Arbeitserlaubnis, sie brauchen aufstellen, als nicht kongruent bezeichnen? eine dauerhafte Bleibeperspektive für sich und ihre Fami- lien, wenn sie hier bleiben sollen. Da appelliere ich an Sie. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Es geht nicht, dass wir beim Thema Bildung Sonntags- GRÜNEN]: Sie hatten doch jahrzehntelang reden zur Internationalisierung halten und am nächsten Zeit! Warum haben Sie es denn nicht gemacht?) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17577

(A) Krista Sager, Senatorin (Hamburg): Herr Abgeordne- – Moment, Sie wissen ganz genau, dass die Grünen schon (C) ter, es mag sein, dass ich mich an vieles nicht mehr so ge- seit langem für diese Position eintreten. Ich sage Ihnen: nau erinnere. Wenn ich mich aber nicht arg täusche, ist es Wir werden sie auch durchsetzen, nicht so furchtbar lange her, dass Sie in diesem Land mit- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- regiert haben. Oder sehe ich das falsch? wie bei Abgeordneten der SPD – Jörg Tauss (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- [SPD]: Gemeinsam!) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) und zwar gemeinsam mit den Wissenschaftsministern der Ich frage mich in der Tat: Warum haben Sie in der Zeit, in Länder, mit der Bundesministerin und mit den Regie- der Sie handeln konnten, dies nicht getan und halten statt- rungsfraktionen, die sich hier klar positioniert haben. dessen jetzt nur Volksreden? Das ist doch die Frage. Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Jörg Tauss [SPD]: Da war sowie bei Abgeordneten der SPD) Herr Kanther vor! – Rainer Brüderle [F.D.P.]: Ich bin sehr gespannt, ob Sie sich noch an Ihre schönen Besser machen!) Reden erinnern, wenn die Voten der Zuwanderungskom- Die Grünen treten seit langem für diese Position ein. mission vorliegen. (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Aber nur Zum Abschluss möchte ich noch eines sagen: Solche mündlich!) Debatten über Internationalisierung sind immer sehr weihevoll. Eines dürfen wir aber nicht vergessen: Wenn Sie wissen, dass ich die Grünen im Hamburger Senat ver- wir es mit der Internationalisierung ernst nehmen, muss trete. Ich weiß mich mit der Bundesministerin in dieser für uns gelten: Jedes Herumzündeln am Thema Auslän- Frage völlig einig und unterstütze sie. der- und Fremdenfeindlichkeit ist Gift für die Internatio- nalisierung. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bundestag sind sie nur Neinsager!) und bei der SPD) Verschonen Sie uns in Zukunft bitte mit jeder „Kinder Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Bür- statt Inder“-Debatte und mit jeder Unterschriftensamm- germeisterin, erlauben Sie eine zweite Zwischenfrage des lung wie in Hessen. Unterstützen Sie uns ernsthaft, wenn Kollegen Dirk Niebel? es um die Internationalisierung geht. (B) (D) (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Nein!) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS) Krista Sager, Senatorin (Hamburg): Meine Fraktion hier sagt jetzt Nein. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat jetzt die Kollegin Maritta Böttcher von der PDS-Frak- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE tion. GRÜNEN) Maritta Böttcher (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolle- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau ginnen und Kollegen! Der Zustand von Bildung und For- Sager, das haben Sie alleine zu entscheiden. schung an vielen deutschen Hochschulen ist katastrophal. Statt sich aber der Misere ernsthaft zu stellen, rüsten sich Krista Sager, Senatorin (Hamburg): Sie dürfen. die Regierungsparteien für den Wahlkampf. Eine Reihe von brennenden Problemen bleibt auf der Strecke.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte Alle reden von der Internationalisierung der Hoch- schön. schulen, aber – hier möchte ich wirklich noch einmal nachlegen – das deutsche Ausländerrecht legt Studieren- den und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Dirk Niebel (F.D.P.): Vielen Dank, Frau Bürgermeis- dem Ausland nach wie vor systematisch Steine in den terin. Sie haben gerade eben gesagt, Ihre Fraktion und Weg. Es fängt damit an, dass Studierende aus Nicht-EU- Ihre Partei träten seit langem für diese Forderung ein. Ländern häufig gar keine Chance haben, sich an einer Warum haben die Grünen unseren Antrag dann abge- deutschen Hochschule einzuschreiben. Sie müssen den lehnt? Behörden im Einzelnen nachweisen, dass Sie für ein Jahr über Mittel in Höhe des BAföG-Regelsatzes verfügen. Hat ein Student dann endlich doch eine Aufenthaltsge- Krista Sager, Senatorin (Hamburg): Wo haben wir ihn nehmigung erhalten, wird ihm eine studienbegleitende denn abgelehnt? Erwerbstätigkeit untersagt. Ihm darf eine Arbeit – bei- (Walter Hirche [F.D.P.]: Hier im Bundestag! spielsweise als studentische Hilfskraft – in seinem Stu- Die Neinsager kommen von den Grünen!) dienfach nur vermittelt werden, wenn nachweislich 17578 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Maritta Böttcher (A) niemand mit deutschem oder EU-Pass zur Verfügung Die PDS hat einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt. (C) steht. Das sonst so hochgehaltene Leistungsprinzip ist bei Stimmen Sie doch einfach zu. dieser systematischen Diskriminierung von Ausländerin- (Beifall bei der PDS) nen und Ausländern außer Kraft gesetzt. Bei den vergessenen Interessen der Studierenden fällt (Beifall bei der PDS) mir gleich noch der marode Zustand der Studienfinan- Es ist traurig aber wahr: „Arbeit zuerst für Deutsche“ ist zierung ein. Die verabschiedete BAföG-Novelle wollten das Leitmotiv dieser Regelung im Sozialgesetzbuch. Sie uns mit einem Heiligenschein verkaufen; aber die Leuchtkraft ist viel zu schwach, als dass sich davon je- Auch nach ihrem Studium an einer deutschen Hoch- mand blenden ließe. Allen Beteiligten, vom Deutschen schule erhalten ausländische Hochschulabsolventin- Studentenwerk bis hin zur organisierten Regierungsju- nen und -absolventen nicht einmal eine zeitlich befris- gend, ist klar: Eine wirklich durchgreifende Verbesserung tete Aufenthaltsgenehmigung zur Aufnahme einer der sozialen Lage von Studierenden haben Sie damit noch Beschäftigung. Sie werden in ihr Heimatland zurückge- nicht geschafft, sondern allenfalls einen überfälligen schickt, um Jahre später womöglich als verzweifelt ge- Schritt gemacht. suchte Fachkräfte via Green Card wieder angeworben zu werden. Studiengebühren schweben wie ein Damoklesschwert über den Köpfen von Studierenden. Liebe Kolleginnen (Beifall bei der PDS) und Kollegen von der F.D.P.-Fraktion: Studiengebühren Das, meine Damen und Herren von der Regierung, müs- bleiben Studiengebühren, egal, ob Sie sie beim Namen nennen oder in „Bildungsschecks“ umbenennen. sen Sie wirklich einmal erklären. Ich jedenfalls finde es absurd. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Viele sind verunsichert und entscheiden sich von vorn- herein gegen ein Studium, dessen Kosten sie nicht kalku- Die Bundesregierung betreibt eine janusköpfige Poli- lieren können. Im internationalen Vergleich liegt Deutsch- tik. Auch wenn Frau Bulmahns Blick demonstrativ nach land weit zurück, was den Zugang junger Menschen zu vorn gerichtet ist, blickt stur rückwärts. Hochschulen betrifft. Wenn das Hochschulstudium at- (Beifall bei der PDS) traktiver werden soll, muss es vor allem für die Studie- renden finanzierbar werden. Wir bleiben daher bei unse- Die Regierungspolitik könnte zumindest in dieser Frage rer Forderung nach einer strukturellen Erneuerung der etwas weniger Schily und eine Prise mehr Bulmahn ver- Ausbildungsförderung und nach einem Ausschluss von tragen. (B) Studiengebühren ohne Wenn und Aber. (D) (Beifall bei der PDS – Jörg Tauss [SPD]: Wir (Beifall bei der PDS) brauchen beide!) Die PDS hat bereits vor einem Jahr als erste Bundes- Abgesehen davon, dass alle demokratischen Kräfte tagsfraktion ein geschlossenes Reformkonzept vorgelegt. hierzulande gegen Rechtsextremismus und Fremden- Kernpunkt: die verknöcherte Personalstruktur an deut- feindlichkeit kämpfen müssen, muss dieses Thema selbst- schen Hochschulen. Die Dienstrechtsreform der Bundes- verständlich auch an deutschen Hochschulen auf der regierung ist im Wesentlichen eine Reform der Besol- Agenda stehen. Aber Studentinnen und Studenten, die dungsstrukturen sowie der Laufbahn von Professorinnen eine solche kritische Auseinandersetzung offensiv führen und Professoren. Ich bestreite nicht, dass diese Reform wollen, wird es nicht leicht gemacht. Es gehört zum All- notwendig ist und grundsätzlich auch in die richtige Rich- tag, dass demokratisch gewählte Studierendenvertretun- tung geht. Aber Sie sind drauf und dran, neben den Inte- gen für antirassistische Aktivitäten vor Gericht zitiert ressen der Studierenden auch die des akademischen Mit- werden: wegen Wahrnehmung des so genannten allge- telbaus schlicht zu vergessen. mein-politischen Mandats. 1985 hat die Regierung Kohl das Hochschulzeitver- Die Studierenden erwarten vom Deutschen Bundestag tragsgesetz durchgesetzt, gegen den Widerstand der Ge- daher zu Recht eine Absicherung ihrer Politik- und Mei- werkschaften und der damaligen Oppositionsfraktionen nungsfreiheit im Hochschulrahmengesetz. SPD und Grüne. Damit wurden befristete Arbeitsverträge von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (Beifall bei der PDS – Walter Hirche [F.D.P.]: legalisiert. Um die Wogen etwas zu glätten, hat der Bun- Keine öffentliche Körperschaft hat ein politi- destag wenig später beschlossen, dass die Bundesregierung sches Mandat!) einen Bericht über die ersten Erfahrungen vorlegen muss. Im Herbst soll es zwar novelliert werden, doch die Inte- Nach ihrer Auswertung sollte entschieden werden, ob sich ressen der Studentinnen und Studenten kommen im Ge- das Zeitvertragsgesetz bewährt hat oder nicht. setzentwurf der Bundesregierung nicht vor. Wenn Sie bei Heute möchte die Bundesregierung in ihrer Dienst- dieser Abwehrhaltung bleiben, müssen Sie mit einem rechtsreform das Zeitvertragsgesetz von 1985 mit einigen heißen Herbst rechnen. Studierende fallen nicht unter die kleinen Änderungen nahezu unverändert fortschreiben. Hundehalterordnung; sie lassen sich keinen Maulkorb Den vom Bundestag geforderten Bericht bleibt sie uns aufsetzen. schuldig. Das werden wir nicht akzeptieren. (Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17579

Maritta Böttcher (A) Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, ten möchten, nämlich auf die Stärkung der internationalen (C) ihrer Berichtspflicht endlich nachzukommen. Attraktivität und Leistungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland. Wir tun das des- Die PDS will eine ergebnisoffene Diskussion über die Befristungsregelungen des Hochschulrahmengesetzes. halb, weil wir hier nicht nur ein Schlüsselproblem für die Sie reden viel vom Deregulieren, haben aber an der ent- gesellschaftliche Entwicklung und unsere Standortqua- scheidenden Stelle nicht den Mut dazu. lität sehen, sondern weil wir das auch als eine Chance be- greifen, dass dies trotz der vielen Streitigkeiten mit Wir meinen, besser als Regierung und Parlament kön- Schlagworten, die hier ausgetragen werden, die wir in die- nen die Tarifparteien über die Modalitäten entscheiden. sem Parlament beobachten, vielleicht ein gemeinsames Auch aus diesem Grund ist der Beamtenstatus ein Fremd- Anliegen werden kann, das in der Sache etwas bewegt, körper in einer modernen Hochschulpersonalstruktur. das die Bildungspolitik insgesamt nach vorne bringt, wo- (Ulrike Flach [F.D.P.]: So ist es!) bei sich mit der Regierung und dem ganzen Parlament eine neue Kraft herausbildet. Fazit: In den vergangenen drei Jahren hat die PDS als die entscheidende Triebkraft für eine strukturelle Erneue- (Beifall bei der SPD) rung des Hochschulwesens gekämpft. Es ist ja richtig: Zur weltweiten Konkurrenz um Roh- (Widerspruch bei der SPD und der CDU/CSU – stoffe, Produktionsstandorte und Absatzmärkte tritt ein Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: globaler Wettbewerb um qualifizierte Nachwuchskräfte Da müssen Sie ja selber lachen!) an den Universitäten, in Wissenschaft und Forschung. Mehr internationale Attraktivität ist dabei unabdingbar Teilweise hat die Regierung unsere Impulse in verwässer- auch für die künftige wirtschaftliche Stellung Deutsch- ter Form aufgegriffen, zum Beispiel bei der Dienstrechts- lands in der Welt, für den Wohlstand und die soziale Si- reform, teilweise widersetzt sie sich bis heute, so zum Beispiel beim Studiengebührenverbot. – Ich verstehe cherheit in unserem Land. Nur, dieses vollkommen be- schon, dass bei so viel Reformkraft ein bisschen Neid auf- rechtigte Eigeninteresse kann nicht alles sein. Es muss uns kommt! bei der Bewältigung der globalen Aufgaben zur Sicherung von Prosperität, Emanzipation, von Chancengleichheit (Beifall bei der PDS – Lachen bei der SPD, der und ökologischer Nachhaltigkeit auch immer um die ge- CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meinsamen Gestaltungsmöglichkeiten mit anderen Län- und der F.D.P. – Dr. Uwe Küster [SPD]: Selbst- dern gehen. Denn sonst passiert Folgendes: Das, was wir überschätzung war ihr Name! – Weitere Zurufe gegenwärtig in manchem als negativ im Verhältnis zu von der CDU/CSU) Amerika erleben, erleben unter Umständen jetzt schon (B) – Lassen Sie doch die alten Kamellen von SED oder nicht osteuropäische Staaten als negativ im Verhältnis zu (D) SED. Ich spreche heute hier für die PDS und das werde Deutschland und zu den Industriestaaten, den hoch ent- ich auch bis zum Schluss tun. Das ist gut so. wickelten Gesellschaften in Europa. Allerdings dürfen wir die notwendige Erneuerung des Wir sollten angesichts unseres Wunsches, nicht zu viel Hochschulwesens nicht mit deren schrittweiser Zerschla- zu verlieren, auch den Wunsch der anderen erkennen und gung verwechseln. Wir demokratischen Sozialisten sagen deshalb immer beides zusammen sehen. Die Chance, über Ja zur Innovation in Bildung und Wissenschaft und durch mehr Qualifizierung und mehr Internationalität zur Eigen- Bildung und Wissenschaft. Wir meinen damit aber aus- entwicklung in unserem Land beizutragen, muss immer drücklich auch Innovation durch Chancengleichheit und mit der Chance in Zusammenhang gestellt werden, dass Demokratie. daraus auch ein Rückfluss, eine Kooperation mit anderen Studierende sind keine Kunden, Bildung ist keine Ländern erwachsen kann. Sonst produzieren wir Spannun- Ware, Hochschulen sind keine Supermärkte. Wenn wir gen, die am Ende die Internationalität insgesamt zerstören. das berücksichtigen, werden wir wirklich eine fortschritt- Dieses Ansinnen haben wir, und wir setzen die Hoffnung liche Hochschulpolitik betreiben. darauf, hier zu einem Konsens zu kommen, der in Deutschland eine Chance haben sollte. (Beifall bei der PDS) Weil es hier auch manche Polemik gab, lassen Sie mich zur F.D.P., vor allem aber zur CDU/CSU sagen: Wenn wir Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als uns jetzt in unserem Land zusammen darum bemühen, nächster Redner hat das Wort der Kollege Ernst Dieter mehr ausländische Studenten und Nachwuchswissen- Rossmann von der SPD-Fraktion. schaftler nach Deutschland zu holen und auch mehr junge deutsche Studenten und Nachwuchswissenschaftler ins Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Sehr geehrte Da- Ausland zu vermitteln, dann ist das gut. Aber die Situa- men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau tion, wie wir sie vorfinden, ist auch aus dem Zusammen- Pieper, Quantität ersetzt noch keine Qualität. Deshalb hang von zwei politischen Lebenslügen der konservativen wollen wir gern in Bezug auf die Fülle der F.D.P.-Anträge Seite heraus zu erklären, nämlich der ersten Lebenslüge, sagen: Weniger wäre mehr gewesen. Sie hätten sich ein wir hätten in Deutschland zu viele Studenten, und der bisschen mehr konzentrieren sollen. zweiten Lebenslüge, wir bräuchten keine Zuwanderung und wir hätten keine Zuwanderung. Wir möchten uns gerne auf das Thema konzentrieren, das wir eingebracht haben, das wir gemeinsam ausgestal- (Beifall bei der SPD) 17580 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) Natürlich erkennen wir es an, wenn ein Minister wie – Wenn Sie ehrlich wären, würden Sie sich doch mit (C) Herr Zehetmair in Bayern dies ebenfalls ausdrücklich freuen, Herr Hirche. selbstkritisch sagt. Es ist gut, wenn dies aus der Spitze he- (Beifall bei der SPD) raus gesagt wird. Aber die Lebenswirklichkeit von Stu- dentinnen und Studenten, das, was sie, wenn sie aus dem Wenn Sie im Übrigen diese Zahl nicht hören mögen, Ausland zu uns kommen, in Hochschulstädten – kleineren will ich dem Parlament gerne von dem Erlebnis berichten, oder größeren – erfahren, wird natürlich nicht durch Herrn das wir neulich mit dem DAAD-Vizepräsidenten, Pro- Zehetmair wesentlich mitgeprägt. Das wird vielmehr da- fessor Huber, im Ausschuss hatten, der von den neuen durch mitgeprägt, wie sich der Kaufmann an dem Studien- finanziellen Ressourcen ganz begeistert war. Sein Kol- standort verhält, wie sich dort Reinmachefrauen verhalten, lege von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Profes- wie Dienstleister, Pförtner, Busfahrer und andere sich ver- sor Frühwald, hat sogar gesagt, man müsse sich Mühe ge- halten. An dieser Stelle haben wir alle zusammen die Auf- ben, die Mittel, die jetzt diesen Institutionen zugeflossen gabe, uns von Lebenslügen zu verabschieden und daran sind, überhaupt seriös auszugeben. Diese Zahl mag sich mitzuwirken, ein anderes Klima zu schaffen. Da haben Sie das ganze Parlament merken: Die Mittel für die Interna- als Volkspartei eine große Verantwortung. Wir glauben, tionalisierung der Lehre und Forschung sind von 1998 bis dass Sie sich in dieser Verantwortung bewähren können, 2002 um 140 Prozent gewachsen – eine wirklich ein- und möchten dies dann auch ausdrücklich anerkennen. drucksvolle Zahl. Denn das würde uns nach vorne bringen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Die Fachprogramme sind im Übrigen dabei, sich in der Die vier Zahlen, die wir jetzt in diesem Bereich vorfin- internationalen Hochschul- und Forschungswelt einen den – 7 Prozent ausländische Studenten, 5 Prozent aus- guten Namen zu machen, vom Graduierten-Kolleg über ländische Professoren, 5 Prozent ausländische Doktoran- das Emmy-Noether-Programm bis zu international ausge- den und nur 10 Prozent deutsche Studenten, die richteten Studiengängen und auch dem neuen Testsystem Auslandserfahrung haben –, sind zu gering. Wenn wir uns für Deutsch als Fremdsprache. Dass die „Zukunftsinitia- diese vier Zahlen im Parlament auch parteiübergreifend tive Hochschule“ darüber hinaus noch zusätzlich 170 Mil- merken, dann hat die Opposition das Recht, nach einiger lionen DM für Exzellentenförderung erhalten hat, darf Zeit zu fragen: Haben sich diese Zahlen verbessert? Aber man hier ebenfalls erwähnen. Nicht zu vergessen die wir alle zusammen haben die Pflicht, mit diesen Zahlen in BAföG-Reform, mit der wir ja die Schwächen des euro- der Bevölkerung darauf aufmerksam zu machen, welche päischen Erasmus-Programms ausgleichen. großen Reserven dort für uns erschlossen werden müssen. Unser Ziel muss immer ein doppeltes Ziel sein: mehr (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) ausländische Studenten und Nachwuchswissenschaft- DIE GRÜNEN) ler nach Deutschland zu holen und mehr deutsche Stu- Selbstgenügsamkeit und Verharren im eigenen Umfeld denten und Nachwuchswissenschaftler ins Ausland zu sind nicht mehr angesagt. Statt der nationalen Wagenburg, schicken. Wir haben uns für die nächsten Jahre 20 Prozent in der sich manche von ihrer Mentalität her noch finden, als Zielgröße gesetzt. Im Übrigen muss diese Verdoppe- brauchen wir als Leitbild für die Zukunft einen internatio- lung nicht nur die Uni-Absolventen erreichen, sondern nalen Bildungsmarktplatz mit breiten, fairen Zugängen, auch die Fachhochschulen, denn bei den Fachhochschu- mit Vielsprachigkeit und kultureller Vielfalt, mit Spitzen- len haben wir im Unterschied zu den Universitäten einen leistungen und hervorragender Grundqualifikation. Frau um den Faktor 3 geringeren Austausch. Wir müssen beide Ministerin Bulmahn hat ja mit Recht darauf verwiesen, Hochschularten zusammen betrachten. dass in einer längeren Linie schon deutliche Entwicklun- gen eingeleitet worden sind. Aber der politischen Gerech- (Beifall bei der SPD) tigkeit halber darf man wohl doch sagen: Unter der neuen Wenn ich mir an dieser Stelle eine Nebenbemerkung Regierung ist eben ein anderer Zug eingetreten; Bildung erlauben darf: Internationalität wird gelernt. Sie muss und Forschung haben wieder den notwendigen Stellen- schon an den Schulen mit der Hinführung zu Fremdspra- wert erhalten, den sie unter dem damaligen Bun- chen in der Grundschule, mit Mehrsprachigkeit, mit Aus- deskanzler Kohl leider nicht hatten. bau von Schüleraustausch, mit internationalen Prakti- (Beifall bei der SPD) kumsplätzen vorbereitet werden. Die Diskussion um die Green Card hat der Gesellschaft (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: die Augen geöffnet, wo es vorher an Mut gefehlt hat. Es Richtig! Das wissen wir schon alles!) gibt eben auch wieder deutlich mehr Geld für Hochschu- Rund 20 000 deutsche Schüler mit Auslandserfahrung im len und Forschung durch den Bund. Während bei Rüttgers Jahr sind uns noch nicht genug. die Mittel um 700 Millionen DM nach unten gegangen sind, sind sie bei Frau Bulmahn um 2,4 Milliarden DM (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] nach oben gegangen. Das dürfen wir wohl doch noch sa- [CDU/CSU]: Richtig!) gen, und zwar selbstbewusst und freudig sagen. Der französische Ministerpräsident Jospin hat in sei- (Jörg Tauss [SPD]: Freut euch! – Walter Hirche ner großen Rede über Europa einen, wie ich meine, be- [F.D.P.]: Sie sehen nicht sehr freudig aus; das merkenswerten Gedanken geäußert. Er hat die Europäer muss man sagen!) aufgerufen, dafür zu sorgen, dass jeder Schüler in Eu- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17581

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) ropa die Chance bekommt, einmal in seinem Schulleben Ich möchte abschließend zu den vier angesprochenen (C) vier Wochen im europäischen Ausland Erfahrungen Handlungsfeldern jeweils eine kurze Bemerkung machen. sammeln zu können. Das kann auch als Aufforderung an Wir unterstützen es erstens, wenn die deutschen Hoch- uns gelten. schulen in die Gründung von Außenstellen und Außen- (Beifall bei der SPD) studiengängen eintreten. Wir wünschen uns, dass diese Offshore-Hochschulen dann auch die nötige Offenheit Auch Frau Süssmuth – ohne die Parteien damit behaf- und Zugänglichkeit aufbringen und sich eben nicht als ten zu wollen – ist ausdrücklich darin zuzustimmen, dass Elitehochschulen abschotten. Wir sehen große Chancen wir – wie sie kürzlich im „Forum Bildung“ gefordert hat – der Internationalisierung vor allem auch darin, dass das mehr ausländische Lehrer an unseren Schulen brauchen. breite Netz von qualifizierten Hochschulen bei uns in eine Gegenwärtig unterrichtet hier nur eine minimale Zahl. verstärkte Kooperation, was die Abschlüsse angeht, ein- Das Leitbild für die Zukunft sollte im Übrigen der Eu- tritt. Damit besteht dann ein anderes Fundament als nur ropa-Lehrer sein; denn – auch wenn Sie eben sagten, das mit Offshore-Gründungen allein. wüssten wir doch alle schon, dürfen wir dies doch auch gemeinsam öffentlich feststellen – wir dürfen uns sicher Zweitens. Weshalb verknüpfen wir die Forderung nach sein: Wo Schülerinternationalität in den Schulen schon dem Ausbau von Stipendien für ausländische Studenten praktisch und persönlich erlebt wurde, wächst auch die mit der Veränderung bei den Arbeitsmöglichkeiten? Pro- Bereitschaft, sich in Studium und Berufsausbildung inter- fessor Huber hat uns kürzlich im Ausschuss dargelegt, national zu orientieren. dass sich im Gespräch mit ausländischen Studenten jede dritte Frage auf die Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] bezieht. Dies darf uns auch deshalb nicht wundern, weil [CDU/CSU]: Das ist richtig!) nur jeder vierte ausländische Student über ein Stipendium Auf der anderen Seite unterstreichen wir ausdrücklich, was verfügt und fast 60 Prozent der Studenten aus wirtschaft- Frau Ministerin Bulmahn und auch Herr Zehetmair kürz- lich schwächeren Ländern angeben, das Studium durch lich geäußert haben, nämlich dass die Zahl der ausländi- eigenen Verdienst zu bestreiten. schen Studenten um 50 Prozent gesteigert werden soll. Von diesen Zahlen ausgehend ist es doch klar, dass nur In Deutschland zeigt das zweite Aktionsprogramm des der bessere Zugang zu einer beruflichen Tätigkeit und zur DAAD zur Stärkung der internationalen Wettbewerbs- studienbegleitenden Arbeit zusätzliche Studentinnen und fähigkeit vom Juni 2000 ein hoch differenziertes und qua- Studenten ausländischer Herkunft zu uns führen wird. Die lifiziertes Handlungsprogramm auf. Wir wünschen uns, Initiative der Ministerin wird von uns ausdrücklich be- (B) dass viele Punkte daraus in die politische Agenda aller Be- grüßt. Wir wünschen uns, dass nach der Vorlage des (D) teiligten Einzug halten. Denn unsere gemeinsame Arbeit Süssmuth-Berichtes schnell und einvernehmlich eine ge- muss langfristig, kooperativ und auch gleichzeitig kom- meinsame Initiative im Parlament zustande kommt, weil plex angelegt sein. Damit ist gemeint, dass wir vier sie auch wegbereitend für andere Fragen sein könnte. gleichwertige Handlungsfelder beschreiben: Hochschul- Drittens. Wenn wir die Zahl ausländischer Studenten in reform im Zeichen von Internationalität, Verknüpfung Deutschland um 50 Prozent steigern wollen, müssen wir von Förderprogrammen und Stipendien mit besseren Ar- besonders bei den sozialen Maßnahmen treffsicher han- beits- und Erwerbsmöglichkeiten, soziale Maßnahmen deln. Ich möchte einen wichtigen Aspekt herausgreifen: für ausländische Studenten und auch das internationale 50 Prozent der ausländischen Studenten wohnen in Wohn- Hochschulmarketing. heimen. Das ist natürlich ein Vielfaches mehr als bei Weshalb vier gleichwertige Handlungsfelder? Es nützt deutschen Studenten. Wir brauchen einen Ausbau der doch nichts, die Strukturen an den Hochschulen zu inter- Wohnheimkapazitäten, und zwar in Integrationsform. nationalisieren, wenn die Studenten nicht hierher kom- Außerdem brauchen wir insgesamt mehr Tutorenpro- men können, weil sie keine soziale Unterstützung be- gramme in diesen Wohnanlagen. kommen und keine Arbeit haben. (Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CSU]: Das ist sehr richtig!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichgültigkeit und Distanz der Deutschen bis hin zu Es reicht auch nicht, ein umfangreiches Marketing auf- Ausländerfeindlichkeit sind leider auch an unseren Hoch- zubauen, wenn die entsprechenden Strukturen an den schulen nicht ausgeschlossen. Der DAAD-Generalse- kretär Bode musste kürzlich vermelden, dass immerhin an deutschen Universitäten nicht ermöglichen, Hochschul- fast einem Drittel der Hochschulen in Ostdeutschland systeme kompatibel zu gestalten. ausländische Studenten die Situation als bedrohlich emp- Wenn deutlich mehr ausländische Studenten zu uns finden. Gemeinsame kulturelle Initiativen, gemeinsame kommen sollen, müssten sie hier auch entsprechende fi- Lerngruppen, Mentorenprogramme wie auch persönliche nanzielle Möglichkeiten bzw. Arbeitsmöglichkeiten in Hilfen in allen Lebenslagen setzen hiergegen notwendige den Hochschulen selbst vorfinden. Deshalb betone ich Zeichen. Beispielhaft steht hier eine Initiative der Hum- noch einmal ausdrücklich: Man kann sich nicht auf eines boldt-Universität in Berlin – „With a little help from my konzentrieren, sondern es muss gleichwertig in vielen friends“ –, mit der sich diese Hochschule ihres großen verschiedenen kleinen Schritten wachsen. Namensgebers würdig erweist. 17582 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Ernst Dieter Rossmann (A) Viertens. Dass dieses soziale Netzwerk notwendig ist, Das ist Hamburger Wahlkampf. Damit wären Sie besser (C) wird man bei dem erfolgreich gestarteten Programm in Hamburg geblieben. Damit haben Sie hier keinen kon- „Hochschulmarketing, Werbung für den Hochschul- und struktiven Beitrag geleistet. Wissenschaftsstandort Deutschland“ nie vergessen dür- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg fen. Ich sagte schon: Was nützt die beste Präsentation der Tauss [SPD]: Der hessische Wahlkampf war leistungsfähigen deutschen Hochschulen im Ausland, das, nicht der Hamburger! „Kinder statt Inder!“, wenn dadurch geworbene Studenten aus Afrika, aus In- mein lieber Mann!) dien, aus China oder aus anderen Ländern Asiens und Südamerikas – die dann im Unterschied zu englischen, Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Koaliti- polnischen oder italienischen Studenten in Deutschland onsfraktionen, Sie müssen sich langsam einmal entschei- auch erkennbar sind als ausländische Studenten – nicht den, was Sie denn nun wollen: Entweder Sie wollen die soziale, die mentale, die geistige Unterstützung erfah- Dinge verändern oder sich permanent auf 16 Jahre Regie- ren? Wenn Deutschland die Botschaft aussendet, wir sind rungszeit berufen. Aber hier Anträge abzulehnen – wie ein weltoffenes deutsches Hochschul- und Forschungs- das von der F.D.P. zu Recht dargestellt worden ist – und land, dann darf das eben nicht nur Marketing sein, son- als Begründung zu sagen, es sei ja 16 Jahre lang auch so dern es muss Substanz dahinter stecken. gewesen, das reicht nicht mehr aus. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) DIE GRÜNEN) Sie wollten Verantwortung und haben Verantwortung be- In diesem Sinne meine Schlussbemerkung. Frau Mi- kommen. Nehmen Sie diese wahr. Versuchen Sie nicht, nisterin, Sie haben in diesem Jahr an der Stanford-Uni- sich permanent hinter anderen zu verstecken. Das funk- versity in Amerika die Vision ausgegeben: Die Hoch- tioniert nicht mehr. schulen in Deutschland werden in den nächsten zehn (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Jahren in doppelter Hinsicht eine integrative Funktion ha- ben, indem sie Menschen aus aller Welt bei uns zu For- Meine Damen und Herren, ich möchte versuchen, in schung und Lehre versammeln und uns zugleich mit aller aller Ruhe ein paar Sachpunkte anzusprechen. Wie ver- Welt verbinden. Wir sollten vom Deutschen Bundestag fahren die Situation bei mangelnder Vorausschau in der aus – und dies möglichst gemeinsam – alles tun, um aus Bildungspolitik sein kann – wir haben das in den letzten dieser Vision Wirklichkeit werden zu lassen. zwei Jahren gemerkt–, sieht man am bestehenden Fach- kräftemangel. Bereits 1995/1996 hatte man festgestellt, Danke schön. dass im Bereich der Ingenieurwissenschaften etwa 10 000 Fachkräfte fehlen. (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Jörg Tauss [SPD]: Ja, es war ein ganzes Se- PDS) mester von Maschinenbauern arbeitslos!) – Ja, Herr Kollege Tauss, etwas Ähnliches habe ich er- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort wartet. Die Antwort des damaligen niedersächsischen Mi- hat jetzt der Kollege Norbert Hauser von der CDU/CSU- nisterpräsidenten, Gerhard Schröder, darauf war, den Stu- Fraktion. diengang Informatik an der Fachhochschule Hildesheim (Jörg Tauss [SPD]: Jetzt kommt wieder das zu schließen. Kontrastprogramm!) Da sollten Sie also ganz vorsichtig sein. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Norbert Hauser (Bonn) (CDU/CSU): Herr Präsident! neten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Da müssen Meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, an- Sie sich informieren! – Willi Brase [SPD]: Alte ders als ich es vorgesehen hatte, Frau Sager ansprechen. Kamelle! Das ist an die Universität gegangen!) Frau Sager, das, was Sie hier über Kollegen der Union ge- sagt haben, war eine Unverschämtheit. Wir haben aber festzustellen, dass dieser Fachkräfte- mangel nicht nur hier in der Bundesrepublik Deutschland (Beifall bei der CDU/CSU) besteht, sondern dass er auch ein europäisches Phänomen Sie haben behauptet, Kollegen unserer Parteien hätten in ist. Deshalb reicht es nicht aus, einmal schnell zum Nach- Deutschland ein Klima geschaffen, in dem man über Ar- barn zu gehen und sich ein paar Fachkräfte herüberzuholen. beitsmarkt- und Ausländerpolitik nicht mehr in Ruhe habe (Willi Brase [SPD]: Aha!) reden können. Die Green Card, Herr Kollege, war unter diesem Aspekt (Jörg Tauss [SPD]: Ja, das habt ihr doch! Unter- tatsächlich nicht mehr als ein Marketinggag von Gerhard schriftensammlung! – Willi Brase [SPD]: Das Schröder. Wir haben das dann gemerkt. ist die Wahrheit!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frau Sager, Sie wissen, dass dies nichts mit der Wirklich- neten der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Jagoda keit zu tun hat. sagt, das läuft sehr gut! Weit über 8 000!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – – Eine Lösung der Probleme hat sie zumindest nicht dar- Widerspruch bei der SPD) gestellt. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17583

Norbert Hauser (Bonn) (A) Deshalb möchten wir Ihnen einen Vorschlag machen Wir meinen, eine „Stiftung Bildungstest“ müsste ei- (C) und mit Ihnen über diesen diskutieren. Um in Zukunft genständig sein. Sie sollte nicht in einem vielfältigen Wa- nicht in die totale Fachkräftefalle zu geraten, benötigen renkorb bei der Stiftung Warentest angesiedelt sein, in der wir eine fundierte Vorausschau. Wir müssen darüber man sich neben Windeln und Waschmitteln auch ein biss- nachdenken, wie sich die Märkte in Zukunft entwickeln chen um Weiterbildung kümmert. Der Bedeutung von Bil- werden und welchen Fachkräftebedarf wir haben werden. dung und Weiterbildung am Standort Bundesrepublik Wir müssen feststellen, dass die Institutionen, die sich mit Deutschland wird nur dann Rechnung getragen, wenn es diesen Fragen auseinander setzen – wenn sie bisher über- sich tatsächlich um eine eigenständige „Stiftung Bil- haupt in diese Richtung geforscht und Untersuchungen dungstest“ handelt. durchgeführt haben –, nicht zu Ergebnissen gekommen (Beifall bei der CDU/CSU) sind, die uns wirklich weiterhelfen. Wir wissen, dass die „Stiftung Bildungstest“ in einem Deshalb schlagen wir Ihnen ein Gremium vor, das sich Antrag, den Sie vorgelegt, aber heute leider nicht zur De- unabhängig von Interessengruppen damit auseinander batte gestellt haben, von Ihnen gefordert wird. Das lässt setzt, wie die Bildungslandschaft in den nächsten Jahr- hoffen, hier zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen. zehnten gestaltet werden muss. Wir schlagen Ihnen einen Sachverständigenrat Bildung vor. Aufgabe der Bil- (Jörg Tauss [SPD]: Auch das wird gemacht!) dungsweisen – so will ich sie einmal nennen – in diesem Zu dem Antrag bezüglich der Weiterbildung noch ein Sachverständigenrat soll die Analyse und Bewertung von Wort. Getreu typisch rot-grünen Strukturen scheint Sie, Bildungs-, Ausbildungs- und Qualifizierungstrends mit ebenso wie in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, Blick auf langfristige Entwicklungen einerseits und ei- auch in der Bildungspolitik die Regelungswut nicht ver- nem Abgleich mit staatlichen und gewerblich gesetzten lassen zu haben. Zielen andererseits sein. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU) Jörg Tauss [SPD]: Ach du lieber Himmel!) Ähnlich wie wir es schon von den fünf Wirtschaftsweisen Sie suchen Ihr Heil in neuen Vorschriften und Paragra- kennen, sollten von diesem Gremium Gutachten erstellt phen. Sie sollten sich eines merken: Deregulierung heißt werden, in denen Zukunftstrends beschrieben und Struk- das Stichwort. Auch Weiterbildung kann nur erfolgreich turempfehlungen gegeben werden. Damit könnte dieser sein, wenn man ihr die Luft zum Atmen lässt. Sachverständigenrat in unserem Bildungs- und Ausbil- dungssystem eine Art Frühwarnsystem darstellen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir müssen feststellen, dass sich der Fach- (B) Ich möchte Sie zum Abschluss – speziell Sie, Herr (D) kräftemangel auch nicht kurzfristig beheben lässt. Wir Tauss – mit einem Zitat aus der „Berliner Zeitung“ erfreuen: werden aus Ausbildungsgründen und auch aus demogra- phischen Gründen kurzfristig nicht genügend junge Leute Die Launigkeit Schröders und die Knauserigkeit auf dem Arbeitsmarkt haben. Das heißt, wir müssen ver- Eichels wären aber nicht möglich, gäbe es nicht eine stärkt auf die Weiterbildung achten. Nun könnte man fra- Dritte im Bund der Reformschwächlinge: Bildungs- gen: Wird denn dort genügend investiert? Pro Jahr werden ministerin Bulmahn. Sie macht nicht überzeugend 80 Milliarden DM investiert. Auf dem Sektor Weiterbil- und nicht laut genug Werbung für die Wissenschaft, dung gibt es 35 000 Anbieter. Man kann also nicht sagen, sucht sich keine starken Bündnispartner und scheut da gibt es zu wenig Angebote, zu wenige, die sich damit Konflikte. befassen. Das Problem ist eher die fehlende Transparenz. Dem ist nichts hinzuzufügen. Man weiß nicht, welche Angebote es auf diesem Markt gibt. Es existiert keine unabhängige inhaltliche Qualitäts- (Jörg Tauss [SPD]: Deshalb hat sie den Erfolg, kontrolle. Aufgrund fehlender Transparenz kann es auf den Ihr nicht hattet!) diesem Sektor natürlich keinen fairen Wettbewerb geben. Herzlichen Dank für Ihr aktives Mithören. (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Deshalb haben wir einen Antrag zur Gründung einer neten der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt wis- „Stiftung Bildungstest“ vorgelegt, die Weiterbildungs- sen wir, welche Zeitung er liest!) angebote bewerten und vergleichen, Qualitätsstandards erarbeiten und festlegen und auf den Kunden ausgerichtet Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort sein soll, also nicht auf die Anbieter, sondern umgekehrt hat jetzt der Kollege Dr. Reinhard Loske vom Bünd- auf die, die Angebote abfragen. Sie soll kundenorientiert nis 90/Die Grünen. sein und die Möglichkeit bieten, festzustellen: Wo ist für mich das richtige Programm, der richtige Anbieter, in den ich meine Zeit, mein Geld und letztlich auch meine Hoff- Dr. Reinhard Loske (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nungen investieren will? Nur so wird es möglich sein, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Qualität und Effizienz auf dem Bildungsmarkt zu ge- Kollege Hauser, ich hatte eigentlich in dieser Debatte währleisten. nicht vor, Sie anzusprechen. Nachdem Sie aber meine Parteifreundin Krista Sager angesprochen haben, möchte (Jörg Tauss [SPD]: Auch das ist auf dem Weg!) ich auf zwei Punkte Ihres Beitrags direkt eingehen. 17584 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Reinhard Loske (A) Erstens. Wenn ich mir vor Augen führe, was Sie mit Ih- ren, leben und arbeiten lässt; es ist wichtig, dass sie das (C) rer Kampagne „Kinder statt Inder“ in Nordrhein-West- Signal bekommen, sie sind hier willkommen – und drit- falen sowie mit dieser billigen und sehr gefährlichen Un- tens die Attraktivität der deutschen Hochschulen für aus- terschriftenaktion in Hessen gemacht haben, und ich mir ländische Lehrende, also die Frage, ob ausländische Wis- weiter vor Augen führe, wie eine Person wie Frau Profes- senschaftler hier eher als Konkurrenz oder eher als sor Süssmuth in Ihren eigenen Reihen an den Rand ge- Bereicherung gesehen werden. drängt wird, kann ich nur sagen: Frau Sager hat auf der ganzen Linie Recht. Ich komme zum ersten Thema, der internationalen Vergleichbarkeit von Abschlüssen. Ich glaube, dass mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Bachelor- und Masterstudiengängen und den zuneh- bei der SPD sowie bei Abgeordneten der PDS – menden international ausgerichteten Graduiertenkollegs Jörg Tauss [SPD]: Unsäglich!) ein guter Anfang gemacht worden ist. Wir sollten uns po- Zweitens. Sie sprachen davon, wir würden uns heraus- litisch vornehmen, vielleicht im Jahre 2003 Bilanz zu zie- reden, nur über die vergangenen 16 Jahre reden und soll- hen. Die Ministerin sprach davon, dass wir mittlerweile ten lieber über die Zukunft sprechen. Dazu will ich Fol- mehr als 1 000 solcher Studiengänge haben. Wir sollten in gendes sagen: Wenn wir uns unsere Bilanz nach einigen Jahren schauen, wie die Bilanz aussieht, und uns zweieinhalb Jahren ansehen, haben wir, glaube ich, allen dann die Frage stellen, ob wir dauerhaft Doppelstruk- Grund zum Selbstvertrauen: turen – also B.A. und M.A. auf der einen und Diplom auf der anderen Seite – wollen oder ob wir uns auf Dauer für (Lachen bei der CDU/CSU) einen der beiden Wege entscheiden. Ich selbst habe mich BAföG – bei Ihnen runter, bei uns rauf –, hier noch nicht festgelegt. Ich möchte an dieser Stelle aber eines sagen: Wir sollten hier nicht auf eine bloße Kopie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN des angelsächsischen Modells setzen; denn das deutsche und bei der SPD) System hat durchaus Vorzüge, die es wert sind, erhalten Forschungsmittel – bei Ihnen runter, bei uns rauf –, Mit- und weiterentwickelt zu werden. tel für das Auslandsstudium – bei Ihnen konstant, bei uns (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verdoppelt – und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Arbeiten müssen wir vor allen Dingen noch an der zu- und bei der SPD) nehmenden Modularisierung von Studiengängen, dass und Dienstrechtsreform – bei Ihnen Stillstand, wir packen es also Exit-Optionen gibt, dass man aber trotzdem am es an. Ende dieser Periode ein vernünftiges Testat in der Hand (B) hat, und an der Weiterentwicklung der Credit-Point-Sys- (D) Wenn ich alles zusammenfasse, kann ich nur sagen: teme. Wir haben allen Grund zum Selbstvertrauen. Aber – ich komme auf Ihre Ausführungen zurück – wenn Sie Statis- Ich glaube, dass Europa nun einmal der Kontinent der tiken aus den Jahren 1998, 1999 heranziehen, um zu be- Vielfalt ist. Dies schlägt sich selbstverständlich auch im legen, wir würden bildungspolitisch nichts bringen, ist der Bildungssystem nieder. Es kann nicht darum gehen, in Eu- Hinweis erlaubt, dass die Ergebnisse der Statistik allein ropa Vielfalt durch Homogenität zu ersetzen. Es geht viel- auf Ihre Kappe gehen. mehr darum, einen europäischen Hochschulraum zu schaf- fen, in dem Studienleistungen wechselseitig anerkannt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden. Mein Ziel ist, dass eine Studentin, die ihr Grund- und bei der SPD) studium in Köln und ihr Hauptstudium in Amsterdam und Wir sollten versuchen, weil wir in bildungspolitischen London absolviert, nach neun bis zehn Semestern fertig Fragen – zumindest zwischen den Bildungspolitikerin- sein kann. Dann hätten wir sehr viel erreicht. Dafür müs- nen und Bildungspolitikern – mehr oder minder an einem sen wir politisch arbeiten. Strang ziehen, auf die Gemeinsamkeiten hinzuweisen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Eine Gemeinsamkeit – ich habe das heute Morgen er- und bei der SPD) kannt – besteht darin, dass wir alle der Meinung sind, dass die Internationalisierung des Hochschulstandortes Über die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Deutschland vorangetrieben werden muss. Ich glaube, Förderung ausländischer Studierender ist schon viel ge- das ist ein bemerkenswerter Konsens, den wir festhalten sagt worden. Ich glaube, es ist wirklich sehr gut, dass sich sollten. die Bildungspolitiker hinsichtlich der aufenthalts- und ar- beitsrechtlichen Regelungen fraktionsübergreifend einig Drei Themenkreise sollten in das Zentrum der Be- sind. Es kann nämlich nicht sein, dass wir einerseits trachtung rücken: zum einen die internationale Ver- sagen, Deutschland solle für Studentinnen und Studenten gleichbarkeit von internationalen Studien- und Prüfungs- aus aller Welt interessant werden, dass wir ihnen aber an- leistungen – also die Frage, ob hierzulande erworbene dererseits im außeruniversitären Bereich alle nur denk- Abschlüsse und Leistungen im Ausland anerkannt wer- baren Knüppel zwischen die Beine werfen. Das geht den und Respekt genießen –, zweitens die Frage nach den nicht. aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Regelungen für aus- ländische Studierende – letztlich die Frage, ob für sie ein (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- soziales Umfeld geschaffen wird, in dem sich gut studie- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17585

Dr. Reinhard Loske (A) Es ist gut und richtig – auch darauf wurde hinge- liche Existenz aufbauen. Die Alternativen für sie heißen (C) wiesen –, dass die Bundesregierung zusammen mit den meistens nicht, entweder hier zu bleiben oder in ihr Hei- Ländern und den Hochschulen eine internationale Mar- matland zurückzukehren, sondern sie heißen, entweder ketingoffensive für das Studium in Deutschland ge- hier zu bleiben oder nach Nordamerika zu gehen. Ich startet hat. Aber die beste Werbung für den Hochschul- glaube, unsere Antwort sollte klar sein. standort Deutschland wäre, wenn diejenigen, die hier (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- studiert haben, zu Hause erzählen: In Deutschland kann SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD) man nicht nur gut studieren, sondern auch gut leben. Da- rauf sollten wir größten Wert legen. Ich komme zum Schluss. In den F.D.P.-Anträgen sind viele Themen angesprochen worden, die man nicht alle in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einem Redebeitrag abdecken kann. Aber auf eines will ich und bei der SPD sowie des Abg. Thomas noch hinweisen: Die Misere, die wir hier haben und die Rachel [CDU/CSU]) anzugehen wir gemeinsam willens und bereit sind, wur- Wir sollen dies auch – hier will ich an die Ausführun- zelt vor allen Dingen in den 90er-Jahren. In den 90er-Jah- gen des Kollegen Rachel anknüpfen – durchaus aus öko- ren wurde ein systematisches „cooling out“ betrieben, wie nomischem Eigeninteresse machen. Dies ist völlig legi- es der Publizist Reinhard Kahl genannt hat. Wir haben nur tim. Der globale Markt für Bildungsdienstleistungen ist darüber geredet: Muss das denn mit dem Studieren sein? schon heute sehr groß und wird noch enorm wachsen. Wir haben zu viele Studierende. Die Seminare und Hör- Wenn wir auf diesem rasant wachsenden Markt mit großer säle quellen über. – Das hat natürlich im Ergebnis dazu ge- Konkurrenz dabei sein wollen, ist neben den objektiven führt, dass viele potenzielle Studentinnen und Studenten Bedingungen, über die wir hier schon geredet haben oder abgeschreckt worden sind. Das kann nicht die Perspektive noch reden werden, die Gastfreundschaft sicherlich nicht sein. die unwichtigste Voraussetzung. Insofern müssen wir das Problem, das wir auch mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und dem Gerede von zu vielen Studentinnen und Studenten der F.D.P.) selbst verschuldet haben, jetzt gemeinsam bearbeiten. Ich glaube, wir sind hier auf einem guten Weg. Wir stehen Hinsichtlich der Stellen würde ich noch gerne auf einen allerdings erst am Anfang. Punkt verweisen: Ich würde mich freuen, wenn die Inter- nationalität auch im Bereich der Hochschullehrer Platz Danke für die Aufmerksamkeit. greifen würde und beispielsweise mehr Ausschreibungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im „Economist“ zu lesen wären, wie das bei anderen Uni- und bei der SPD) (B) versitäten längst üblich ist. Bei uns ist es immer noch die (D) Ausnahme. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass Voraussetzung dafür wohl die Dienstrechtsreform in Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort Deutschland ist. Hier sind wir auf dem besten Wege. Wir hat jetzt die Kollegin Ulrike Flach von der F.D.P.-Frak- werden nach den Parlamentsferien darüber diskutieren. tion. Es ist nun einmal schlicht und einfach so: Ein Land, in dem man durchschnittlich 42 Jahre alt sein muss, um Pro- Ulrike Flach (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen fessorin oder Professor zu werden, ist für viele junge Wis- und Herren! Manchmal habe ich den Eindruck, als gingen senschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland wir wirklich mit sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen nur sehr bedingt attraktiv. an diese Debatte heran. Herr Dr. Rossmann, Sie haben uns in wunderschönen himmelblauen Farben erzählt, wie seit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 1998 die Forschungslandschaft in diesem Lande aussieht. und bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Es Seit zwei Tagen haben wir Zahlen auf dem Tisch liegen, gibt auch ganz viele Gegenbeispiele!) die deutlich beweisen, dass Deutschland in Europa Ich möchte noch kurz auf einen Aspekt der Internatio- den vorletzten Platz – übrigens vor Italien – in der For- nalität eingehen, der bislang noch nicht angesprochen schungslandschaft einnimmt. Das sind neue Zahlen, wurde. Es war hier viel vom Braingain die Rede. Die Mi- keine alten. nisterin und auch viele Kollegen haben es angesprochen. (Jörg Tauss [SPD]: Von wem?) Man muss natürlich berücksichtigen, dass dem Braingain bei uns ein Braindrain, also ein Verlust an potenzieller in- Sie belegen, was wir ja eigentlich auch tagtäglich bei der tellektueller Kapazität, auf der Seite der Entwicklungs- Debatte über Stammzellen erleben: dass es eben keine länder gegenübersteht. Dies ist ein ernst zu nehmendes forschungsfreundliche und keine forschungsoffene Land- Argument, das man immer häufiger hört. schaft ist, mit der wir hier zu tun haben. Daraus darf aber ganz sicher nicht – wie das manche (Beifall bei der F.D.P. – Zuruf von der F.D.P.: tun – der Schluss gezogen werden, Menschen aus Ent- Leider wahr!) wicklungsländern seien restriktiver zu behandeln als bei- Deutschland ist übrigens weder das Forschungsland, spielsweise Menschen aus Nordamerika. Ich glaube, ge- das Sie uns hier aufgezeigt haben, noch das Bildungsland rade Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den des europäischen Kontinents und es sieht auch nicht so Entwicklungsländern wollen erst einmal hierher kom- aus, als würden wir es in nächster Zukunft wieder so men, eine Zeit lang hier leben und eine eigene wirtschaft- schnell werden. Die Anzahl der Studierwilligen stagniert, 17586 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Ulrike Flach (A) Frau Bulmahn – übrigens auch seit 1998. Darauf hinzu- Ich bin umso sicherer, als Ihre Anträge unseren Anträgen, (C) weisen, dass man mit alten Zahlen hantiere, ist – ehrlich die seit einem Jahr in diesem Plenum schmoren, fast auf gesagt – zu leicht. Hinzu kommen auch noch ganz neue den Punkt genau ähneln. Zahlen. Denken Sie daran: Nur 16 Prozent der Deutschen (Jörg Tauss [SPD]: Im Schreiben von Anträgen schaffen einen Studienabschluss. Die Abbrecherquoten in seid ihr gut! Das geben wir zu!) den Naturwissenschaften belaufen sich auf mehr als 60 Prozent. Gerade hier haben wir einen dramatischen Wo aber hakt es? Seit Monaten diskutieren wir die Not- Nachwuchsmangel. Frau Bulmahn, das sind keine Zah- wendigkeit, ausländische Spezialisten nach dem Stu- len, auf denen man sich ausruhen kann. dium hier zu halten. Immer wieder geben Sie, Frau Bulmahn, Interviews zu dringend erforderlichen Ände- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zu- rungen des Ausländerrechts. Nur, bewirkt haben Sie ruf von der SPD: Das hat auch niemand be- nichts. Herr Kollege Niebel hat eben sehr deutlich ge- hauptet, Frau Flach!) macht, dass es selbst im Plenum zu Ablehnungen kam. Da ist es auch nur wenig beruhigend, dass das Phä- Die Zögerlichkeit der Regierungskoalition, wenn es da- nomen des Fachkräftemangels keine rein deutsche Erfin- rum geht, endlich ein modernes Zuwanderungsgesetz auf dung ist. In den USA – das wissen wir alle – geht seit Jah- den Weg zu bringen, lässt Ihre höchstpersönlichen An- ren die Zahl der eigenen Studierenden ebenfalls zurück. strengungen als Flickwerk erscheinen. Aber dieses Land hat bei den Post Docs bereits einen An- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Jörg teil von 60 Prozent Ausländern. Wir haben diese Leute Tauss [SPD]: Setzen Sie mal den Koch in nicht. Hessen ab! Dann haben Sie einen guten Beitrag Rund 600 indische Studenten sind derzeit an deut- geleistet!) schen Hochschulen eingeschrieben. In den USA sind es Ich wünsche Ihnen – auch Ihnen, Herr Kollege Tauss –, 35 000. Es ist deshalb richtig, Frau Bulmahn – Sie haben dass dieses Gezaudere in der nächsten Woche endlich ein dabei unsere ausdrückliche Unterstützung –, dass Sie Ende findet. Sie können sicher sein, dass wir als die Frak- außerhalb Deutschlands für das Produkt „deutsche Hoch- tion, die seit langem mit einem Zuwanderungsantrag im schulstandorte“ werben. Es ist gut, dass Sie zu diesem Plenum vertreten ist, Ihre Vorschläge mit großem Ernst Zweck einen Kurztrip in die USA gemacht haben; aber und sehr zielorientiert begleiten werden. noch besser wäre es gewesen, wenn Sie und Ihre Leute wesentlich früher in Asien und in Osteuropa unterwegs (Beifall bei der F.D.P. – Thomas Rachel [CDU/ gewesen wären. Am allerbesten wäre es gewesen, wenn CSU]: Nur gibt es die Vorschläge der SPD Sie mit Ihren Kollegen Fischer und Schily ein ernsthaftes nicht!) Wort gesprochen und sich auch einmal durchgesetzt hät- (B) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich aber auch (D) ten. etwas zu dem sagen, was wir alle gemeinsam stärken und (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) werbewirksam für unser Land einsetzen wollen: die deut- sche Hochschullandschaft. Es ist in den letzten Jahren viel Werbung ist gut, aber aktives Regierungshandeln ist geschehen. Unsere Hochschulen haben die Herausfor- besser. Weder das Schließen von Goethe-Instituten noch derung zur Innovation angenommen, und dies trotz einer das Sparen bei deutschen Schulen im Ausland, klaren Unterfinanzierung. Um international zu bestehen, (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Skandalös!) reicht es aber trotzdem noch lang nicht aus. Wir alle, die wir hier darüber debattieren, wissen das. Es gibt immer noch das ungelöste Problem, wie man ausländische Spe- noch einen deutlichen Bruch zwischen dem, was Sie, Frau zialisten nach dem Examen im Land halten kann, trägt Bulmahn, über die Hochschule der Zukunft sagen, und dazu bei, Menschen auf die Vorzüge unseres Standortes der Realität an Universitäten und Fachhochschulen. aufmerksam zu machen. An der Uni Potsdam – lassen Sie mich das an diesem Ich mache das einfach einmal am Beispiel Texas klar. Beispiel festmachen – soll im Wintersemester nicht mehr In diesem Staat der USA, der den größten deutschstäm- geheizt werden. Die Mittel der internationalen Europa- migen Anteil aufweist, machen Sie die Goethe-Institute Universität Viadrina – darüber reden wir heute den ganzen zu. Was ist daran für diesen Standort werbewirksam, Frau Morgen – werden massiv gekürzt. Bulmahn? (Zurufe von der F.D.P. und der CDU/CSU: (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hört! Hört!) Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Ein einziger Skandal!) Wir registrieren einen katastrophalen Zustand der Lan- des- und Hochschulbibliotheken. Hier zeigt sich ganz Ich will aber auch ganz klar sagen: Sie ackern sich ab, klar der Kontrast zwischen Anspruch und Wirklichkeit im während sich Ihre beiden Kollegen ganz offensichtlich als Bildungsbereich. Frau Bulmahn, es muss Sie doch gera- Bremsfallschirme in dieser Regierung erweisen. dezu erschrecken, wenn Sie in Amerika in eine Bibliothek (Detlef Parr [F.D.P.]: Dilettanten!) kommen und dort feststellen, dass sie 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche geöffnet ist, und dann, wenn Sie Ich bin sicher, Sie persönlich werden den Anträgen der nach Hause kommen, an den Bibliotheken Schilder mit F.D.P. in vielen Punkten folgen können. der schönen Aufschrift „Öffnungszeiten: 10 bis 16 Uhr“ (Jörg Tauss [SPD]: Wie Herr Kanther damals!) vorfinden. Das ist der Zustand in Deutschland. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17587

Ulrike Flach (A) (Beifall des Abg. Thomas Rachel [CDU/CSU] – Frau Bulmahn, kommen Sie mit uns – raus aus der (C) Jörg Tauss [SPD]: Dann machen Sie mal in Ba- Kreisklasse, rein in die Champions League! den-Württemberg auf!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Hier brauchen die Unis massive Hilfe. Hier muss der Dr. Uwe Küster [SPD]: Das war flach! – Bund ein Signal setzen, und zwar trotz der Länderminis- Jörg Tauss [SPD]: Ihr bleibt in der Kreisklasse terien, hinter denen Sie sich immer sehr gerne verstecken und wir in der Bundesliga! Dann ist es okay!) und die nicht mitziehen wollen. (Zuruf von der SPD: Setzen Sie das mal in den Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Landesregierungen durch!) Tauss, wenn Sie fertig sind, würde ich gerne den nächsten Meine Damen und Herren, die deutschen Hochschulen Redner aufrufen. sind nach wie vor unterfinanziert. Es ist auch zukünftig Herr Kollege Peter Eckardt von der SPD-Fraktion hat mehr Geld nötig. Aber wenn Effizienz fehlt – das ist heute das Wort. wiederholt aufgezeigt worden –, ist Geld nicht alles. Die Strukturreform der deutschen Hochschulen muss von den (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Vielleicht will kleinen Trippelschritten endlich in den Galopp kommen. er den Herrn Tauss reden lassen!) Das aber heißt – Frau Bulmahn, da hätten Sie sicherlich die Unterstützung des ganzen Hauses –: Raus aus der Dr. Peter Eckardt (SPD): Nein, will er nicht. Umklammerung der Länderminister! Mehr Wettbewerb der Hochschulen! Volle Autonomie bei Haushalt, Perso- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Das ist auch nal, Tarif und Organisation! richtig so, Herr Kollege!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- der CDU/CSU) ren! Zu der Aufforderung der Kollegin Flach, den sieben von der F.D.P.-Fraktion vorgelegten Anträgen zuzustim- Nicht die Kultusbürokratie soll entscheiden, wer einge- men, möchte ich Folgendes sagen: Wenn Sie zum Beispiel stellt und was angeboten wird, sondern die Hochschulen in einem Antrag schreiben, dass die Juniorprofessuren in eigener Verantwortung. nicht zielführend seien und die Hochschuldienstrechts- Dazu gehört die konsequente Entrümpelung des Hoch- reform nicht geeignet sei, die Probleme an unseren Uni- schulrahmengesetzes. Was Hochschulen selbst regeln versitäten zu lösen, Sie aber heute in einer Zwischenfrage können, sollten sie tatsächlich selbst regeln. Ich hoffe, sagen, Sie könnten sich trotzdem damit einverstanden er- Frau Bulmahn, dass das Hochschulrahmengesetz auch bei klären, dann habe ich natürlich große Probleme, zu be- (B) Ihnen noch auf der Agenda steht. greifen, was Sie eigentlich meinen, ob nun das, was in Ih- (D) ren Anträgen steht, gilt oder das, was Sie sagen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Schauen Sie mal nach Nie- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dersachsen! Da ist das gemacht worden!) DIE GRÜNEN) In diesen Bereich fällt selbstverständlich auch das leidige Ich neige nicht dazu, eine Debatte über die Hochschul- Thema „Abschaffung der ZVS“. Baden-Württemberg steigt politik ausschließlich zur Vergangenheitsbewältigung zu auf Druck der F.D.P. aus dem Staatsvertrag aus. nutzen. Es ist zwar sinnvoller, über die Zukunft und die Aufgaben, die vor uns liegen, zu sprechen. Aber ich muss (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten auf ein paar Punkte eingehen, die Sie vorhin angespro- der CDU/CSU) chen haben. Sie interpretieren die in der OECD- und der Dies müssen die anderen Bundesländer endlich ebenfalls TIMSS-Studie, auf die immer verwiesen wird, aufgeliste- tun. Die Hochschulen müssen sich ihre Bewerber zukünf- ten Probleme so, als ob diese allgemein gültig seien, und tig selber aussuchen können, und zwar nach Qualifikation tun so, als ob erst Sie auf diese Probleme in Ihren heute und Motivation, nicht nach bürokratischen Verteilungs- vorliegenden Anträgen aufmerksam gemacht hätten und riten. als ob diese Schwierigkeiten nur entsprechend Ihren Vor- stellungen gelöst werden könnten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, „qualified in Ger- many“ muss ein Markenzeichen werden wie „made in Wenn Sie zum Beispiel die von Ihnen zitierten Nobel- “. Die gegenwärtigen Maßnahmen der Bundes- preisträger in den USA und die Hunderte von Wissen- regierung sind aus Sicht der F.D.P. ein sehr kleiner Schritt schaftlern befragen, wann sie denn die Bundesrepublik nach vorn; aber sie reichen nicht aus. Wir haben mit un- verlassen haben, dann werden Sie feststellen, dass sie seren Anträgen zahlreiche Vorschläge vorgelegt. Ich bin nicht erst seit 1998, seitdem die Sozialdemokraten die Bil- da ganz anderer Meinung als Herr Rossmann: Sie waren dungsministerin stellen, sondern schon in den 80er- und dringend erforderlich. 90er-Jahren in Richtung Ausland verschwunden sind. Ich weiß aus eigener familiärer Erfahrung, wie schwer es ist, (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nein! – jemanden aus den USA zurückzuholen und ihn darum zu Jörg Tauss [SPD]: Na ja!) bitten, hier zu bleiben. Das Argument, die meisten Wis- Eine Zustimmung zu diesen Anträgen wäre ein gutes senschaftler absolvierten in Deutschland Grundstudien Signal für die Bildung in Deutschland, ein gutes Signal und verschwänden dann in die USA, um dort zu arbeiten, für mehr Leistung und Wettbewerb. ist zwar völlig richtig. Aber wir haben ein Interesse daran, 17588 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Peter Eckardt (A) dass Wissenschaftler, die im Ausland Grundstudien ab- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- (C) solviert haben, in die Bundesrepublik kommen und dass lege Dr. Eckardt, erlauben Sie eine weitere Zwischenfrage die auf dem internationalen Arbeitsmarkt verfügbaren der Kollegin Flach? Spitzenwissenschaftler nicht nur in einem Land, sondern in mehreren Ländern gearbeitet haben. Dr. Peter Eckardt (SPD): Bitte. Ich bin dem Kollegen Loske für seinen Hinweis sehr dankbar, dass sich ein Land wie Südafrika darüber be- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte klagt, dass nicht nur Neuseeland, Australien, die USA und schön, Frau Flach. Kanada, sondern jetzt auch Deutschland um die dort vor- handenen etwa 350 postgradualen Studierenden konkur- riert und dass es dadurch Probleme bekommt. Ulrike Flach (F.D.P.): Herr Kollege Eckardt, Sie ha- ben mich natürlich neugierig gemacht. Könnten Sie mir bitte sagen, welche sozialdemokratisch bzw. rot-grün Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- regierten Länder bereit sind, die Kostenneutralität aufzu- lege Dr. Eckardt, erlauben Sie eine Zwischenfrage der heben und entschieden mehr Geld für die Professoren aus- Kollegin Flach? zugeben?

Dr. Peter Eckardt (SPD): Aber ja. Dr. Peter Eckardt (SPD): Frau Kollegin, Sie wissen, dass in den nächsten Jahren über 60 Prozent des wissen- schaftlichen Personals in der Bundesrepublik Deutsch- Ulrike Flach (F.D.P.): Danke, Herr Kollege Eckardt. land in den Ruhestand treten werden, weswegen die Ich habe eben deutlich gemacht, dass die F.D.P. der Länder nach Professoren und nach wissenschaftlichen Hochschuldienstrechtsreform selbstverständlich sehr po- Mitarbeitern suchen werden. Wie Sie beschrieben haben, sitiv gegenübersteht. Aber Juniorprofessur und Kosten- unterliegt man der internationalen Konkurrenz auf dem limit sind genau die Knackpunkte, die in unserem Antrag Markt. angesprochen werden. Deswegen meine Frage an Sie: Meiner Ansicht nach – ich kenne die Universität von Teilen Sie meine Einschätzung, dass mit dem von Bun- innen – werden die Länder alle Anstrengungen unterneh- desregierung und Landesregierungen bisher festgelegten men, die notwendigen Finanzmittel für den Wis- Kostenlimit eine echte und für alle produktiv wirkende senschaftsbetrieb, also für Forschung und Lehre, bereit- Hochschuldienstrechtsreform überhaupt keine Chance zustellen. Wer das nicht tut, der wird in der Auseinander- (B) hat? setzung der Bundesländer den Kürzeren ziehen. Auch die (D) so genannten ärmeren Länder müssen wissen, dass sie, was die Auseinandersetzung mit den so genannten reiche- Dr. Peter Eckardt (SPD): An den Hochschulen, die ren Ländern angeht, in noch größere Schwierigkeiten ge- ich in letzter Zeit besucht habe, konnte ich beobachten, raten, wenn sie ihre entsprechenden Etats nicht auf- wie sich die Hochschulleitungen darum bemühten, sich stocken. Ich bin optimistisch, dass auch diejenigen, die um die Teilnahme an einem Modellprojekt für Juniorpro- jetzt pokern und sagen, dass sie so viel nicht geben wol- fessuren zu bewerben. Das erweckt bei mir den Eindruck, len, nachher mehr zahlen werden. Wenn das geschieht, dass es an den Hochschulen sehr viel Zustimmung zu un- dann wird es eine Chance geben, die Kolleginnen und serem Vorhaben gibt. Kollegen in diesem Bereich ganz gut zu besolden. (Walter Hirche [F.D.P.]: Weil es bei diesen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Modellprojekten Sondergelder gibt!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Es ist doch nichts Ehrenrühriges, wenn die Universitä- Dass die Universität Hildesheim – übrigens, Herr ten mit Sondergeldern ausgestattet werden, um ein neues Hauser, es war die Universität – einen Informatiklehrstuhl Verfahren zu etablieren, das jungen Wissenschaftlern die gestrichen hat, hat nichts damit zu tun, dass es in Nieder- Möglichkeit bietet, zu lehren. sachsen keine Informatik mehr gibt; vielmehr ist die An- zahl der Bewerber so dramatisch gesunken, dass das Land Frau Kollegin, die Länder haben Spielraum – den Be- keinen Bedarf mehr für diesen Lehrstuhl sah. Der DIHT, griff „Kostenneutralität“ haben Sie ja nicht benutzt, ob- die Arbeitgeberverbände, Siemens, Bosch, Mercedes und wohl Sie ihn eigentlich meinten – und können über das, die damalige Regierung haben gesagt: Eigentlich brau- was vorgeschlagen worden ist, weit hinausgehen. Kein chen wir gar keine Akademiker. Macht lieber eine Be- Land wird daran gehindert, seinen Professoren mehr zu rufsausbildung! Ich habe noch das Wort eines Kanzlers im bezahlen, als im Hochschulrahmengesetz vorgesehen Ohr: ist. Ich habe gehört, dass zum Beispiel 25 Prozent der Kol- leginnen und Kollegen in München, die nach C 4 bezahlt (Jörg Tauss [SPD]: Kohl hieß der, glaube ich!) werden – meistens sind es Kollegen –, schon jetzt von der 1,8 Millionen Studierende sind zu viel; wir brauchen we- Ausnahmeregelung des Beamtengesetzes, Bezahlungen sentlich mehr als 1,8 MillionenAuszubildende. Man muss bis B 10 zu ermöglichen, profitieren. Damit wird in den bedenken, was für eine Motivation das auf die Schüler in Konkurrenzkampf zwischen Nord und Süd um Professo- den 10. und 11. Klassen ausübt. Es ist doch notwendig, ren ganz erheblich eingegriffen. über die Vergangenheit zu reden. Bildungsprozesse kann Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17589

Dr. Peter Eckardt (A) man nicht kurzfristig verändern; vielmehr handelt es sich Das wichtigste Kriterium für junge Leute aus dem Aus- (C) um Prozesse, die über einen Zeitraum von zehn bis land, in Deutschland zu studieren, ist die Qualität der Aus- 15 Jahren andauern. Jetzt haben wir die Folgen davon, bildung. dass in den 80er- und 90-er Jahren so eine Motivation ge- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) herrscht hat – und ich denke, das ist nicht richtig. Am Beispiel amerikanischer Eliteuniversitäten kann man (Beifall bei Abgeordneten der SPD) feststellen, wie junge Leute aus Amerika und aus dem Der Kollege hat die Stiftung Warentest – ich erinnere Ausland in diese Universitäten hineindrängen. Dabei ist an Babynahrung und Windeln – angesprochen. Sie sollten es kein Hindernis, dass diese Universitäten zum Teil sehr diese Stiftung und ihre Zeitschrift einmal etwas besser un- hohe Studiengebühren verlangen. Ich bin der Meinung, ter die Lupe nehmen. Es handelt sich im Wesentlichen um dass der Ansatz der SPD, ein Verbot von Studiengebühren eine Stiftung, die die gesamte Angebotsbandbreite, auszusprechen, absolut falsch ist, einschließlich Weiterbildungseinrichtungen und Akade- (Zuruf von der SPD: Für das Erststudium!) mien, untersucht. Es ist nicht besonders sinnvoll, sich über diese Einrichtung kritisch zu äußern. weil dies die Schaffung von Eliteuniversitäten und neuen Ausbildungsformen in Deutschland behindert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ich habe in dieser Debatte gelernt, dass wir für die Uni- Jedenfalls werden Sie mit dem Verbot von Studienge- versitäten, die Fachhochschulen und die akademische bühren keinen einzigen zusätzlichen Studenten aus dem Ausbildung insgesamt mehr tun müssen. Ich glaube, diese Ausland nach Deutschland holen. Auffassung ist hier weit verbreitet. Die in dieser Debatte (Zuruf von der SPD: Wir haben aber auch deut- sichtbar gewordenen Differenzen sind vielleicht weniger sche Studenten! Das ist nicht unwichtig!) groß, als es scheint. Die Australier sind im Übrigen so verwegen, dass sie Zum Schluss möchte ich noch eines sagen: Ich fand glauben, mit Studenten aus dem asiatischen Raum viel es – auch gegenüber meinen Kolleginnen und Kollegen an Geld verdienen zu können. In Deutschland würde ein sol- den Hochschulen – nicht gut, dass hier unwidersprochen ches Vorgehen von den Linken sofort als Kommerziali- gesagt wurde, es gebe keine deutschen Spitzenuniversitä- sierung diffamiert. Ich sage dazu: Es ist zwar sehr schwer, ten. Das ist mitnichten der Fall. mit Hochschulausbildung Geld zu verdienen. Es ist aber (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE nicht unanständig, mit Bildung Geld zu verdienen. GRÜNEN und der PDS) (B) (D) Da ich aus der Nähe von Hannover komme, möchte ich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kol- auf Folgendes hinweisen: Forschungseinrichtungen der lege Mayer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Universität Hannover und auch der Medizinischen Hoch- gen Tauss? schule Hannover können in hohem Maße mit internatio- nalen Universitäten, zum Beispiel mit solchen in Ame- Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Ja. rika, Schritt halten. Frau Kollegin Flach, Sie haben zu Recht gesagt: Es Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte gibt im Bildungsbereich nichts, was man nicht noch bes- schön, Herr Tauss. ser machen kann. Die Ministerin und die Koalitionsfrak- tionen befinden sich auf einem ganz guten Wege. Jörg Tauss (SPD): Lieber Herr Kollege Mayer, ich Schönen Dank. habe gerade mit großem Interesse Ihre Bemerkungen und (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Anmerkungen zum Thema Studiengebühren zur Kenntnis DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der genommen. Darf ich aus dem, was Sie gesagt haben, PDS) schließen, dass CDU und CSU in Abweichung von dem, was beispielsweise beim letzten CDU-Bundesparteitag diskutiert worden ist, nun für die Einführung von Stu- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort diengebühren sind? hat jetzt der Kollege Dr. Martin Mayer von der CDU/CSU-Fraktion. Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Sie dürfen aus meinen Äußerungen schließen, dass es sowohl Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (CDU/CSU): Herr in der CDU als auch in der CSU Leute gibt – ich gehöre Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in diesem dazu –, Hause unbestritten, dass Deutschland ein großes Interesse daran hat, dass mehr junge Ausländer in Deutschland (Jörg Tauss [SPD]: Ich rede von Mehrheiten!) studieren. Die Worte zur Begründung sind bereits gesagt die Studiengebühren nicht für völlig falsch halten. Jeden- worden; ich möchte sie nicht wiederholen. Es ist auch falls sind wir strikt gegen ein Verbot von Studienge- schon vieles darüber gesagt worden, wie wir Anreize da- bühren, für schaffen können. Von daher möchte ich jetzt nur noch auf einige Punkte eingehen. (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) 17590 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Martin Mayer (Siegertsbrunn) (A) weil es die Handlungsfreiheit der Länder und der Hoch- zerstört die Faszination, die junge Menschen brauchen, (C) schulen einengt. um in diesen Bereichen zu studieren. (Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Walter (Beifall des Abg. Norbert Hauser [Bonn] Hirche [F.D.P.] meldet sich zu einer Zwischen- [CDU/CSU]) frage) (V o r s i t z : Vizepräsident Mit wachsenden Möglichkeiten, Bildungsinhalte über Dr. h. c. ) das Internet zu vermitteln, wird sich das Angebot von Den Linken dieses Hauses sei deshalb gesagt: Wenn Sie Aus- und Weiterbildung zu einem wichtigen Wirtschafts- wollen, dass sich mehr Studenten den Natur- und Inge- faktor entwickeln. Fachleute sprechen von einem Billio- nieurwissenschaften zuwenden und dass mehr ausländi- nenmarkt. Die deutschen Hochschulen müssen sich dort sche Studenten nach Deutschland kommen, dann hören rechtzeitig positionieren. Sie auf, bestimmte Techniken schlecht zu machen und Für die Frage, ob man in einem anderen Land studiert, wecken Sie mit uns gemeinsam Begeisterung und eine spielt natürlich auch die Stimmung eine große Rolle. In Aufbruchstimmung. diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hälfte der japanischen Studenten, die in Deutschland studieren, Musik studiert. Warum studieren nicht mehr Ingenieur- und Naturwissenschaften? Hat das etwa mit Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe dem geistigen Klima in Deutschland zu tun? Wer möchte dem Kollegen Klaus-Jürgen Hedrich für die Fraktion der schon in einem Land Biotechnik studieren, in dem es eine CDU/CSU das Wort. große politische Gruppe gibt, die die Biotechnik verteu- felt? Klaus-Jürgen Hedrich (CDU/CSU): Herr Präsident! (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Jörg Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon vor län- Tauss [SPD]: Haftstrafen haben Sie gefordert! – gerer Zeit, als wir diese Fragen auf einem Bildungskon- Zuruf von der SPD: Meinen Sie Stoiber?) gress der Deutschen Stiftung für internationale Entwick- lung diskutierten, fragte ich einen chilenischen Freund: Ich möchte Ihnen nun mitteilen, was mir eine junge Sag mal, Eduardo, wohin schickst du deine Kinder zum Frau, die in Amerika einen Graduiertenstudiengang ab- Studium? Die spontane Antwort war natürlich: Der Erste solviert hat, gesagt hat: Wenn man in Amerika auf einer geht in die Vereinigten Staaten, der Zweite bleibt in Latein- Party sagt, man studiere oder arbeite im Bereich Biome- amerika. – In unserer Arroganz haben wir manchmal ver- dizin und Biotechnik, dann sagen die Leute: Great, das ist (B) gessen, dass es auch in Lateinamerika hervorragende wis- (D) großartig. In Deutschland aber wenden sie sich dann ab. senschaftliche Institute gibt. – Weiter sagte er: Der Dritte Dafür, dass diese Stimmung entstanden ist, tragen auch geht nach Europa, vielleicht nach Deutschland. Dann Sie Verantwortung. grinste er ein bisschen und sagte: Ich habe aber nur zwei. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Widerspruch bei der SPD) Das berührt ein wenig das Problem, dass Europa und Wir fragen uns, warum wir in den 90er-Jahren und damit auch Deutschland für viele Ausländer zu wenig at- auch jetzt noch in Deutschland fast keine ausländischen traktiv ist. Studenten im Fach Informatik haben. Ich frage Sie: Wer möchte denn in einem Land studieren, in dem es eine (Erika Lotz [SPD]: Wir können auch darüber breite Gruppe gibt, von den Gewerkschaften bis zu den reden, warum!) Linken, die in den 90er-Jahren bezüglich Chip und Selbst für die deutschen Minderheiten in vielen Ländern Computer in erster Linie vom Jobkiller gesprochen ha- dieser Erde, zum Beispiel in Lateinamerika, die noch in ben? den 60er- und 70er-Jahren wie selbstverständlich ihre (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Kinder nach Europa und nach Deutschland zum Studium neten der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Oh, Herr oder zur Ausbildung schickten – übrigens nicht nur zum Mayer! – Zuruf von der SPD: Das ist ein Micky- Studium, sondern auch zu einer normalen Ausbildung –, maus-Vortrag, den Sie da halten!) ist dies heute keine Selbstverständlichkeit mehr. – Vor diesem Hintergrund, Frau Ministerin, ist es eben keine Wo ist denn in Deutschland Begeisterung für die Mög- Bagatelle, wenn zum Beispiel im Haushaltsentwurf für lichkeiten der bemannten Raumfahrt, für die Möglichkei- das Jahr 2002 im Etat des Auswärtigen Amtes für die aus- ten der Forschung mit der Neutronenquelle, für den Trans- wärtige Kulturpolitik rund 50 Millionen DM für die deut- rapid oder für die Kernfusionsforschung, die Energie für schen Auslandsschulen gestrichen werden. die nächste Hälfte des Jahrhunderts liefern kann, zu spüren? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Jörg Tauss [SPD]: Jetzt sind Sie aber in der verkehr- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ten Veranstaltung!) neten der F.D.P.) Natürlich muss man bei manchen Zahlen in den Statis- Meine sehr verehrten Damen und Herren von den Grü- tiken vorsichtig sein. So darf man bei den OECD-Zahlen, nen und von Teilen der SPD, Ihre Technikfeindlichkeit auf die vorhin Frau Pieper, glaube ich, hingewiesen hat, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17591

Klaus-Jürgen Hedrich (A) eine gewisse Skepsis anmelden. Eine andere Organisation Sie sagten in diesem Zusammenhang, dass wir nichts (C) der Vereinten Nationen, die UNDP, hat vor vier Jahren unternommen hätten, um zum Beispiel die internationale einmal eine Darstellung über die unterschiedlichen Be- Attraktivität der deutschen Universitäten zu erhöhen. wertungen von Ländern veröffentlicht. Darin wurde zum Ich kann Ihnen dazu aus einem Aufgabenbereich berich- Beispiel das berufsbildende Schulwesen in den Vereinig- ten, für den ich früher einmal mitverantwortlich war, näm- ten Staaten als besser dargestellt als das in Deutschland. lich dem der entwicklungspolitischen Kooperation. Wir Daran kann man auch einmal sehen, wie problematisch haben damals ein Programm zur stärkeren Kooperation solche internationalen Vergleiche sind. zwischen deutschen Universitäten mit ingenieurwissen- schaftlichem Bereich und den entsprechenden sechs indi- (Jörg Tauss [SPD]: Was wollt ihr denn jetzt?) schen ingenieurwissenschaftlichen Instituten auf den Weg Wer sich übrigens ein wenig mit dem College-System in gebracht. Ausgerechnet dieses Programm haben Sie im den Vereinigten Staaten beschäftigt hat, ersten Jahr Ihrer Regierungszeit gekürzt. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das sind (Zuruf von der CDU/CSU: Hört, hört!) Spitzenuniversitäten!) Dieses geschah, obwohl zum Beispiel ständig gefor- weiß, dass man gegenüber den bloßen Zahlen ein wenig dert wird, wir müssten mehr indische Ingenieure nach skeptisch sein sollte. Deutschland holen – Indien war ja der Aufhänger. Sie wussten dabei aber nicht, dass tatsächlich schon längst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Kooperationsmodelle zwischen deutschen und indischen der SPD) Universitäten speziell im ingenieurwissenschaftlichen Bereich auf den Weg gebracht worden waren. Der Kollege Eckardt hat vorhin auf das Beispiel der Schließung des Informatikstudienganges in Hildesheim, (Jörg Tauss [SPD]: Was Sie hier vortragen, ist über das wir uns ja schon des Öfteren unterhalten haben, arrogant!) hingewiesen. Wir führen dieses Beispiel doch nicht an, – Nein, so war es und so ist es. Die Mittelkürzung haben weil wir bezweifeln, dass man möglicherweise aus Spar- Sie immer noch nicht zurückgenommen. samkeitsgründen Dinge zusammenlegen muss, sondern vor dem Hintergrund, dass der damals zuständige Minis- Der Kollege Loske – ihn möchte ich jetzt für einen Au- terpräsident des Landes Niedersachsen, der Ihnen ja nicht genblick kurz ansprechen – hat ja darauf verwiesen, dass völlig unbekannt sein dürfte, später in einer anderen poli- wir stärker in internationale Kooperation einsteigen tischen Funktion beklagt hat, dass wir zu wenig Informa- müssten und dafür Mittel zur Verfügung stellen sollten. tiker ausbildeten. Als er noch Verantwortung als Mi- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Tun wir nisterpräsident trug, hat er dazu beigetragen, dass dieser ja!) (B) Informatikstudiengang geschlossen wurde. Um diesen (D) Punkt ging es uns in diesem Zusammenhang. Schauen Sie sich einmal den Etat der Entwicklungshil- feministerin für Bildung an! Sie kürzen diesen Etat um (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sage und schreibe 400 Millionen DM – das sind 5,3 Pro- neten der F.D.P. – Willi Brase [SPD]: Das ist zent –, beklagen aber zum gleichen Zeitpunkt die Reduk- sehr verkürzt! Durch fünfmaliges Wiederholen tion im Bereich der internationalen Kooperation. wird es auch nicht besser!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. – Ein bisschen kenne ich mich in Niedersachsen doch Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]) noch aus. Sie können beruhigt sein. Wenn ich übrigens gewusst hätte – ich hätte es wenigstens (Dr. Uwe Küster [SPD]: Falsches wird da- ahnen können –, Kollege Loske, dass Sie dieses Thema durch nicht richtiger, Herr Hedrich!) hier ansprechen, hätte ich Zitate aus dem Interview der entwicklungspolitischen Sprecherin Ihrer Fraktion mitge- – Manchmal muss man ja Dinge wiederholen, weil es so bracht. Sie sagt zu den Kürzungen in diesem Einzeletat: schwer fällt, sie wirklich richtig zu inhalieren. eine klare Verletzung der Prinzipien internationaler Soli- Frau Ministerin, Sie haben dann auf die letzten darität. Das haben Sie mit zu verantworten. 16 Jahre verwiesen. Ich kann das ja verstehen; das gehört (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – alles zum politischen Geschäft. Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Da sagt jeder etwas (Dr. Uwe Küster [SPD]: Genauso verstehen anderes!) wir das!) Meine letzte Bemerkung, liebe Kolleginnen und Kol- Sie können sich darauf verlassen, wenn wir nächstes Jahr legen: Ich glaube, es ist trotz allen Streites unstrittig, dass wieder an die Regierung kommen, es eine Übereinstimmung darüber gibt, dass Deutschland daran interessiert sein muss – ich will es einmal ein wenig (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – pathetisch formulieren –, dass es von den Besten dieser Lachen bei Abgeordneten der SPD) Welt für attraktiv gehalten wird, nach Deutschland zu werden auch wir immer wieder auf die hinter uns liegen- kommen, hier zu studieren und zu arbeiten. Hierzu sind den vier Jahre verweisen. Das gehört ja zum Spiel und wir gemeinsam verpflichtet. zum Geschäft dazu. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU – Jörg Tauss [SPD]: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dann kürzt ihr wieder oder was?) neten der F.D.P.) 17592 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe Sonderausschuss Maßstäbe-/Finanzausgleichsgesetz (C) die Aussprache. Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- den Drucksachen 14/3339, 14/3518, 14/4270, 14/4271 gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- und 14/5250 an die in der Tagesordnung aufgeführten lung der Krankenkassenwahlrechte Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit ist das Haus einver- standen. Dann ist so beschlossen. – Drucksache 14/6409 – Überweisungsvorschlag: Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Ausschuss für Gesundheit (f) ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt- zung auf Drucksache 14/6195 zu dem Antrag der Fraktion schaft der F.D.P. zu einem Sonderprogramm zur Sicherung und Erhöhung des Niveaus der Landes- und Hochschulbiblio- e) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- theken am Wissenschafts- und Forschungsstandort gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- Deutschland. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf führung des Wohnortprinzips bei Honorarver- Drucksache 14/5105 abzulehnen. Wer stimmt für diese einbarungen für Ärzte und Zahnärzte Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – – Drucksachen 14/6410, 14/6450 – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen von Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder Zu Tagesordnungspunkt 4 g und h sowie Zusatzpunkt 3 und 4 wird interfraktionell Überweisung der Vorlagen auf f) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- den Drucksachen 14/6209, 14/6212, 14/6437 und gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas- 14/6445 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus- sung der Regelungen über die Festsetzung von schüsse vorgeschlagen. – Auch damit ist das Haus einver- Festbeträgen für Arzneimittel in der gesetzlichen standen. Dann ist so beschlossen. Krankenversicherung (Festbetrags-Anpassungs- gesetz – FBAG) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 29 a bis h sowie die – Drucksachen 14/6408, 14/6451 – Zusatzpunkte 5 a bis d auf: Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit (f) Überweisungen im vereinfachten Verfahren Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (B) (D) 29 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- g) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bereini- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem gung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des Übereinkommen Nr. 182 der Internationalen geistigen Eigentums Arbeitsorganisation vom 17. Juli 1999 über das – Drucksachen 14/6203, 14/6449 – Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Be- Überweisungsvorschlag: seitigung der schlimmsten Formen der Kinder- Rechtsausschuss (f) arbeit Ausschuss für Kultur und Medien – Drucksache 14/6107 – b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Überweisungsvorschlag: gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Rechtsausschuss rung des Übereinkommens vom 14. Juli 1967 Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zur Errichtung der Weltorganisation für geisti- Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ges Eigentum Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Drucksache 14/6260 – Ausschuss für Tourismus Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss (f) h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ina Ausschuss für Kultur und Medien Lenke, Carl-Ludwig Thiele, Klaus Haupt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Familienförderung Familienförderung – Drucksache 14/6372 – – Drucksachen 14/6411, 14/6452 – Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Finanzausschuss (f) Rechtsausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- zung folgenabschätzung Haushaltsausschuss Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17593

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver- Ausschuss für Gesundheit (C) fahren (Ergänzung zu TOP 29.) Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Iris Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die Gleicke, Hans-Günter Bruckmann, Dr. Peter in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über- Danckert, weiteren Abgeordneten und der Frak- weisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. tion der SPD sowie den Abgeordneten Albert Dann ist so beschlossen. Schmidt (Hitzhofen), Franziska Eichstädt-Bohlig, Bei den Tagesordnungspunkten 30 b bis g und 27 han- Helmut Wilhelm (Amberg), weiteren Abgeordne- delt es sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen ten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE keine Aussprache vorgesehen ist. GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personenbeförderungsgeset- Tagesordnungspunkt 30 b: zes (PbefG) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- – Drucksache 14/6434 – gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Überweisungsvorschlag: zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen und Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) des Finanzverwaltungsgesetzes sowie zur Umrech- Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie nung zoll- und verbrauchsteuerrechtlicher Euro- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Beträge (Zwölftes Euro-Einführungsgesetz – Ausschuss für Tourismus 12. EuroEG) – Drucksache 14/6143 – b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Küchler, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Doris (Erste Beratung 173. Sitzung) Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Reinhard schusses (7. Ausschuss) Loske, Hans-Josef Fell, Grietje Bettin, weiterer – Drucksache 14/6458 – Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNIS- Berichterstattung: SES 90/DIE GRÜNEN Abgeordnete Horst Schild Weiterbildung im Bildungssystem verankern – Hansgeorg Hauser (Rednitzhembach) Chancengleichheit stärken Ich bitte diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die – Drucksache 14/6435 – dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen (B) Überweisungsvorschlag: möchten, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – (D) Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter folgenabschätzung (f) Beratung einstimmig angenommen. Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Dritte Beratung c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tobias und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Marhold, Adelheid Tröscher, Brigitte Adler, weite- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Ge- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie genprobe! – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Der der Abgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Gesetzentwurf ist einstimmig angenommen. Hans-Christian Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNIS- Tagesordnungspunkt 30 c: SES 90/DIE GRÜNEN Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen Wissenschafts- und Hochschulkooperationen der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/ mit Entwicklungs- und Transformationsländern DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS einge- – Drucksache 14/6442 – brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Überweisungsvorschlag: Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zu- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) kunft“ Auswärtiger Ausschuss – Drucksache 14/6370 – Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung (Erste Beratung 177. Sitzung) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- schusses (4. Ausschuss) gierung – Drucksache 14/6465 – Nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung von Berichterstattung: Armut und sozialer Ausgrenzung Abgeordnete Bernd Reuter – Drucksache 14/6134 – Überweisungsvorschlag: Volker Beck (Köln) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung (f) Dr. Max Stadler Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ulla Jelpke 17594 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Der Innenausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Be- der Republik Estland andererseits einge- (C) schlussempfehlung auf Drucksache 14/6465, den Gesetz- setzten Assoziationsrat zur Annahme von entwurf in der Ausschussfassung anzunehmen. Wer dem Vorschriften zur Koordinierung der Sys- Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen möch- teme der sozialen Sicherheit te, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dage- KOM (99) 678 endg.; Ratsdok. 05237/00 gen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig angenommen. – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in Dritte Beratung dem durch die Europa-Abkommen zwi- schen den Europäischen Gemeinschaften und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zustim- und ihren Mitgliedstaaten einerseits und men wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal- der Slowakischen Republik andererseits tungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- eingesetzten Assoziationsrat zur Annahme nommen. von Vorschriften zur Koordinierung der Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Systeme der sozialen Sicherheit Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt KOM (99) 684 endg.; Ratsdok. 05238/00 für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent- – Vorschlag für einen Beschluss des Rates haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist einstimmig über den Standpunkt der Gemeinschaft in angenommen. dem durch die Europa-Abkommen zwi- schen den Europäischen Gemeinschaften Tagesordnungspunkt 30 d: und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Rumänien andererseits einge- d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- setzten Assoziationsrat zur Annahme von richts des Ausschusses für Arbeit und Sozialord- Vorschriften zur Koordinierung der Sys- nung (11. Ausschuss) zu den Unterrichtungen teme der sozialen Sicherheit durch die Bundesregierung KOM (99) 683 endg.; Ratsdok. 05239/00 – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in – Vorschlag für einen Beschluss des Rates dem durch die Europa-Abkommen zwi- über den Standpunkt der Gemeinschaft in schen den Europäischen Gemeinschaften dem durch die Europa-Abkommen zwi- und ihren Mitgliedstaaten einerseits und schen den Europäischen Gemeinschaften der Republik Ungarn andererseits einge- und ihren Mitgliedstaaten einerseits und (B) setzten Assoziationsrat zur Annahme von der Republik Slowenien andererseits einge- (D) Vorschriften zur Koordinierung der Sys- setzten Assoziationsrat zur Annahme von Vorschriften zur Koordinierung der Sys- teme der sozialen Sicherheit teme der sozialen Sicherheit KOM (99) 675 endg.; Ratsdok. 05234/00 KOM (99) 682 endg.; Ratsdok. 05240/00 – Vorschlag für einen Beschluss des Rates – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwi- dem durch die Europa-Abkommen zwi- schen den Europäischen Gemeinschaften schen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Polen andererseits eingesetz- der Republik Litauen andererseits einge- ten Assoziationsrat zur Annahme von Vor- setzten Assoziationsrat zur Annahme von schriften zur Koordinierung der Systeme Vorschriften zur Koordinierung der Sys- der sozialen Sicherheit teme der sozialen Sicherheit KOM (99) 676 endg.; Ratsdok. 05235/00 KOM (99) 681 endg.; Ratsdok. 05241/00 – Vorschlag für einen Beschluss des Rates – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwi- dem durch die Europa-Abkommen zwi- schen den Europäischen Gemeinschaften schen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits einge- der Tschechischen Republik andererseits setzten Assoziationsrat zur Annahme von eingesetzten Assoziationsrat zur Annahme Vorschriften zur Koordinierung der Sys- von Vorschriften zur Koordinierung der teme der sozialen Sicherheit Systeme der sozialen Sicherheit KOM (99) 677 endg.; Ratsdok. 05236/00 KOM (99) 679 endg.; Ratsdok. 05242/00 – Vorschlag für einen Beschluss des Rates – Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Standpunkt der Gemeinschaft in über den Standpunkt der Gemeinschaft in dem durch die Europa-Abkommen zwi- dem durch die Europa-Abkommen zwi- schen den Europäischen Gemeinschaften schen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17595

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) der Republik Lettland andererseits einge- Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- (C) setzten Assoziationsrat zur Annahme von gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Vorschriften zur Koordinierung der Sys- zur Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der teme der sozialen Sicherheit Kommission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der KOM (99) 680 endg.; Ratsdok. 05243/00 Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitglied- – Drucksachen 14/3146 Nr. 2.9 bis 2.18, 14/6312 – staaten und den öffentlichen Unternehmen Berichterstattung: (Transparenzrichtlinie-Gesetz – TranspRLG) Abgeordneter – Drucksache 14/6280 – Der Ausschuss empfiehlt auf Drucksache 14/6312, in Kenntnis der Unterrichtungen eine Entschließung anzu- (Erste Beratung 176. Sitzung) nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh- ausschusses (7. Ausschuss) lung ist einstimmig angenommen. – Drucksache 14/6460 – Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Peti- Berichterstattung: tionsausschusses. Abgeordnete (Heidelberg) Tagesordnungspunkt 30 e: Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) fehlung auf Drucksache 14/6460, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 14/5956 und 14/6280 als Transparenz- Sammelübersicht 277 zu Petitionen richtlinie-Gesetz in der Ausschussfassung anzunehmen. – Drucksache 14/6363 – Ich bitte diejenigen, die diesem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz- tungen? – Die Sammelübersicht 277 ist mit den Stimmen entwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen des Hau- des Hauses bei Enthaltung der PDS angenommen. ses bei Enthaltung der PDS angenommen. Tagesordnungspunkt 30 f: Wir kommen zur Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- dritten Beratung ausschusses (2. Ausschuss) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen Kolleginnen (B) Sammelübersicht 278 zu Petition und Kollegen, die diesem Gesetzentwurf zustimmen wol- (D) – Drucksache 14/6364 – len, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- – Der Gesetzentwurf ist mit der gleichen Mehrheit wie in tungen? – Die Sammelübersicht 278 ist einstimmig ange- der zweiten Beratung angenommen. nommen. Ich rufe nunmehr den Zusatzpunkt 6 auf: Aktuelle Stunde Tagesordnungspunkt 30 g: auf Verlangen der Fraktion CDU/CSU Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses (2. Ausschuss) Haltung der Bundesregierung zur Welle der Sammelübersicht 279 zu Petition Beitragssatzerhöhungen in der gesetzlichen Krankenversicherung – Drucksache 14/6365 – Ich eröffne die Aussprache und gebe für die Antrag- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- stellerin zunächst dem Kollegen Wolfgang Lohmann das tungen? – Die Sammelübersicht 279 ist mit den Stimmen Wort. des Hauses gegen die Stimmen der PDS angenommen.

Tagesordnungspunkt 27: Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn es je einen wirk- der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- lich wichtigen Grund für eine Aktuelle Stunde gegeben NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur hätte, dann diesen, den wir heute zu besprechen haben. Ich Umsetzung der Richtlinie 2000/52/EG der Kom- könnte die Aktuelle Stunde allein damit bestreiten, Ihnen mission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der Balkenüberschriften aus den unterschiedlichen Presseor- Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der ganen vorzulesen. Dann wüssten Sie schon, was mit die- finanziellen Beziehungen zwischen den Mitglied- ser Regierung los ist. Ich will Ihnen das aber nicht antun staaten und den öffentlichen Unternehmen und mich auf einige wenige Ausschnitte beschränken: (Transparenzrichtlinie-Gesetz – TranspRLG) „Sozialdemokraten erhöhen Druck auf SPD-Ministerin Schmidt“, „Nur noch das Nötigste von der Kasse?“, „Der – Drucksache 14/5956 – Druck auf die Gesundheitsministerin Schmidt wächst“, (Erste Beratung 167. Sitzung) „Arbeitspapier scheucht Gesundheitspolitiker auf“. 17596 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (A) Das Arbeitspapier stammt aus dem Bundeskanzleramt; Sie haben erstens von 1993 bis 1998 – sogar bis in das (C) der Kanzler droht jetzt anscheinend damit, dieses Thema Jahr 1999 hinein – eine Beitragssatzstabilität von 13,4 zur Chefsache zu machen. Prozent übernommen. (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Dann (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wi- wird es ja noch schlimmer!) derspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bisher war die Drohung, etwas zur Chefsache zu machen, DIE GRÜNEN – Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist mehr an die Beteiligten gerichtet; denn dann gab es meis- doch lächerlich!) tens nichts. Jetzt habe ich die Befürchtung, Frau Ministe- Zweitens haben Sie von 1997 und 1998 einen Überschuss rin, dass die Drohung mehr gegen Sie gerichtet ist; denn in der gesetzlichen Krankenversicherung von jeweils über offensichtlich sind Sie nicht mehr in der Lage, das Ganze 1 Milliarde DM übernommen. im Griff zu behalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wi- Ich lese Ihnen weitere Überschriften vor: derspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ „Uns droht der Kollaps der Krankenkassen“, „Stück- DIE GRÜNEN) werk“. Und Sie haben versprochen: Wir werden nicht alles an- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Herr Lohmann, ders, aber vieles besser machen. Was bei dem Vieles-bes- fragen Sie einmal nach Ihrem damaligen Kanz- ser-Machen herausgekommen ist, sehen wir jetzt. ler!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) – Frau Schmidt-Zadel, Sie hören das nicht gern; das ist klar. Wodurch ist das gekommen? Sie haben sich bemüßigt Aber da Sie gerne lachen, möchte ich noch die „Frankfurter gefühlt, nach der Wahl erst einmal Wahlgeschenke zu ver- Rundschau“ zitieren. Dort steht unter der Überschrift „Aus- teilen. gelacht“: „Die Offensive des Lächelns ... ist gescheitert.“ (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Wir halten Zu- Meine Damen und Herren, allen Ablenkungsmanövern sagen ein!) zum Trotz: Die aktuellen Beitragssatzerhöhungen gehen einzig und allein auf Ihren rot-grünen Murks zurück. Damit haben Sie der gesetzlichen Krankenversicherung Entlastungen, die sie hatte, genommen. Sie haben der ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) setzlichen Krankenversicherung durch das Solidaritäts- Es stellt sich wirklich die Frage, ob man diese Dreistigkeit stärkungsgesetz neue Lasten aufgebürdet. – Ich könnte sie bewundern, die Ignoranz beklagen oder – man muss es alle aufzählen, aber die fünf Minuten Redezeit, die man in einfach sagen – die Dummheit aufseiten der Koalition be- einer Aktuellen Stunde bekanntlich hat, reichen dafür (B) dauern soll, nicht aus. – Und Sie haben es verstanden, den Wählern (D) – und vor allen Dingen den Versicherten – einzureden, (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das ist jenseits jeder man könne weiterhin alles haben, ohne dabei einmal das Seriosität!) Wort Eigenverantwortung in den Mund nehmen zu müs- nun auch noch herzugehen und den ehemaligen Gesund- sen. heitsminister Seehofer für den heutigen Zustand verant- Nun sind wir in folgender Situation: Plötzlich war ges- wortlich zu machen. tern in der „Süddeutschen Zeitung“ von einem Papier die (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wen sonst?) Rede, das die Ministerin anscheinend nicht kennt. Zunächst hat das Kanzleramt dies dementiert, dass es Sagen Sie jetzt bitte nicht, das hätte die Frau Ministe- überhaupt ein Papier gebe. – Ähnliche Informationen sind rin nicht getan. Noch am Montag dieser Woche sagte sie übrigens schon einmal vor einigen Wochen in einer Zei- im „Focus“ – das müssen Sie nachlesen; das ist sehr in- tung erschienen; dies wurde damals ebenfalls dementiert. – teressant –: Vor dieser Debatte aber habe ich gelesen: Das Kanzleramt ... aber ich habe die Probleme auch nicht geschaffen, bestätigt, sondern von der Vorgängerregierung übernommen. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee!) (Zuruf von der SPD: Richtig! – Beifall der Abg. dass es dieses Papier gibt. Heute morgen um 8.45 Uhr wa- Dr. Thea Dückert [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren Frau Wester, Ihre stellvertretende Fraktionsvorsit- NEN]) zende, und ich noch zusammen bei einem „Phoenix“-In- Wissen Sie, was Sie 1998 von der Vorgängerregierung terview, in dem sie danach gefragt wurde. Sie hat gesagt: übernommen haben? Ich kenne das Papier nicht. (Zurufe von der SPD: Schulden!) (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Präsident, die Koalition versucht jetzt, mich diese Ich kann ihr helfen; ich kenne das Papier natürlich und wichtige Nachricht nicht übermitteln zu lassen. Ich habe es. Sie können es gern von mir haben. Aber, man möchte darum bitten, das nicht zuzulassen. kennt ja kein Papier. Wissen Sie, was Sie übernommen haben? (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist ein Sau- haufen!) (Zurufe von der SPD: Schulden! – Weiterer Zu- ruf von der SPD: Das Spielchen können wir Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Frak- noch länger machen!) tion, Herr Schmidt, sagte gestern, die Frau Ministerin oder Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17597

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (A) das Ministerium arbeite an einer grundlegenden Reform Wir haben die Zuzahlungen zurückgenommen, mit de- (C) – hört, hört! –, es sei nur noch nicht klar, wann Details be- nen Sie ganz einseitig nur eines getan haben, nämlich kannt würden, ob vor oder nach der Wahl. So haben wir chronisch Kranke drangsaliert. nicht gewettet, meine Damen und Herren! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Sie waren diejenigen, die den jungen Menschen nicht ein- Frau Ministerin, ich muss Sie jetzt einmal ganz per- mal mehr Zahnersatz zugestehen wollten. Wir haben dies sönlich ansprechen: Sie haben am 7. Mai den ersten Run- wieder eingeführt. Es ist kein Fehler, wenn man Men- den Tisch veranstaltet. Danach haben Sie beim Ärztetag, schen in gesundheitlicher Bedrängnis hilft. Wir haben das wo ich mich auf der Seite der Zuhörer befand, ein freund- alles durch die Mehreinnahmen aus den 630-DM-Be- liches Grußwort ausgesprochen. Darin haben Sie unter an- schäftigungsverhältnissen finanziert. derem – auch so ein bisschen mit Blick auf mich – gesagt: Entgegen allen anders lautenden Meldungen sage ich hier (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ noch einmal, dass im Ministerium nicht an einem „Konzept DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüden- 2003“ gearbeitet wird. Na klar, das mussten Sie ja sagen; scheid] [CDU/CSU]: Und jetzt ist das Geld was sollen die Teilnehmer sonst am Runden Tisch, wenn im alle!) Ministerium ohnehin etwas anderes erarbeitet wird. Was haben wir von Ihnen übernommen? Nun wird im Kanzleramt noch etwas anderes erarbei- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ein Plus!) tet, was hinsichtlich der möglichen Eingriffe teilweise die Vorstellungskraft übersteigt. Da wird dann natürlich über Wir haben von Ihnen Ostkrankenkassen mit einer un- Einkaufsmodelle gefaselt – glaublichen Verschuldungssumme übernommen. Mit den Schulden hätten die Kassen, wenn sie sie hätten abtragen wollen, die Versorgung im Osten nicht mehr gewährleis- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- ten können. Weil Sie uns das überlassen haben, haben wir lege Lohmann, Sie haben Ihre Redezeit schon überschrit- den Risikostrukturausgleich so angepasst, dass wir nach ten. zehn Jahren endlich einen gemeinsamen Rechtskreis ha- ben Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ – mein letzter Satz! –, da wird den Leuten höchstwahr- CSU]: Ja, ja! Immer Geld schaufeln!) scheinlich das Recht der freien Arztwahl genommen. und dass von den Westkrankenkassen Mittel an die Ost- Machen Sie sich Gedanken! Wir werden es Ihnen nicht krankenkassen transferiert werden, (B) durchgehen lassen, dass Sie zwischen Runden Tischen (D) und lächelnden Grußworten Friede, Freude, Eierkuchen (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ verbreiten nach dem Motto: Wir werden es schon hinkrie- CSU]: Und die AOK Sachsen weiß nicht mehr, gen. Nein, wir wollen ein Konzept sehen – und zwar vor wohin mit dem Geld!) der Wahl, meine Damen und Herren. was, wie uns klar ist, für die jeweilige Kasse nicht unbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) dingt einfach ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Das Wort des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hat nunmehr die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Sie sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Bundesministerin für Gesundheit, Kollegin Gudrun einzelnen Kassen eine unterschiedliche Politik betreiben. Schaich-Walch. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach nee! – Zu- rufe von der CDU/CSU) Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Gesundheit: Herr Präsident! Es gibt Kassen, die so kalkuliert haben, dass sie ihre Bei- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege tragssätze nicht erhöhen müssen. Es gibt aber auch Kas- Lohmann, ich bin doch beruhigt, dass Sie noch so viel Zeit sen, die die Beitragserhöhungen, die sie eigentlich hätten zum Zeitunglesen haben und es immer wieder schaffen, vornehmen müssen, nicht vorgenommen haben und sich einige Dinge zu diesem Thema zu sammeln und zusam- jetzt in der Situation sehen, die Beiträge drastisch erhöhen menzustellen. Ich bin hierher gekommen, um Ihnen ein zu müssen. Damit müssen wir uns auseinander setzen. paar Fakten ins Gedächtnis zu rufen. Aber eine drastische Beitragserhöhung aller Kassen wird es nicht geben. Unter unserer Regierung sind die Beitragssätze bislang seit 1998 bei im Durchschnitt 13,6 Prozent geblieben. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Sie werden sich wundern! Sie werden (Detlef Parr [F.D.P.]: Und die Leistungen?) nicht über 14 Prozent kommen! Wollen wir das – Die Leistungen haben wir verbessert. festhalten?) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Das aktuelle Problem der Entwicklung der Beitrags- DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: sätze ist die Arzneimittelversorgung. Sie waren es doch Schön wär’s! – Detlef Parr [F.D.P.]: Wo denn?) immer, die sich gewünscht haben, der Selbstverwaltung 17598 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch (A) Vorfahrt zu gewähren. Wir gehen dies jetzt an, während Das, was jetzt kurzfristig an Maßnahmen ergriffen (C) sie mit Ihrem Wunsch nach mehr Vorfahrt für die Selbst- werden kann, ist in Vorbereitung; das ist geplant. Dazu verwaltung nicht einmal aus der Garage herausgekom- gehören die Neuordnung im Arzneimittelbereich, die men sind; Sie sind am Garagentor geendet. Festbeträge, aber auch der Risikostrukturausgleich, der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dazu beitragen wird, dass Patienten besser versorgt und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Lasten zwischen den Kassen besser ausgeglichen werden. Es gibt in diesem System durchaus Wirtschaftlich- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ keitsreserven. – Die gibt es in allen Bereichen und ganz CSU]: Bisher haben Sie denen die Leistungen besonders im Arzneimittelbereich. – Wir werden adäquat vorenthalten und sie müssen trotzdem mehr be- damit umgehen. zahlen!) Wir werden mit dem neuen Gesetz erreichen, dass auf Langfristige Konzepte, wie wir sie haben, müssen aus- der jeweiligen Ebene die Menschen sehen können, wel- gewogen sein und die Beteiligten einbeziehen. Es wird cher Versorgungsbedarf tatsächlich besteht und womit auch sehr wichtig sein, das in einem Gesamtkonsens zu dieser Bedarf gedeckt wird. sehen: die Versorgung kranker Menschen, aber auch die Kalkulierbarkeit der im Gesundheitswesen vorhandenen (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Und wann ist der Arbeitsplätze. Blick zu Ende?) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Wenn man das gut macht, nämlich durch eine ordentliche CSU]: Sie haben doch angeblich eine großar- Beratung von Ärztinnen und Ärzten, werden wir alleine tige Reform gemacht! Das verstehe ich gar im Bereich der Me-too-Präparate ein Einsparvolumen in nicht!) Höhe von 1 Milliarde DM erzielen. Das haben mir erst diese Woche einige KV-Vorsitzende bestätigt. Was Sie uns damals vorgemacht haben, war uns eine absolute Lehre. Wir werden nicht mit Schnellschüssen Ar- Wir sorgen ferner mit dem Gesetzentwurf über die beitslosigkeit produzieren, wie Sie es getan haben, son- Festbeträge im Arzneimittelbereich, der sich auch in der dern wir werden sehr konsequent arbeiten. Auf dem Bo- Beratung befindet, dafür, dass die Preise nicht überborden den der solidarischen Krankenversicherung wird es in und die Krankenversicherungen durch die Reduzierung Zukunft um mehr Qualität – denn daran mangelt es uns – der Preise auch einen Teil bekommen. Wir haben es und um mehr Effizienz in dem gesamten Bereich gehen. durchgesetzt; es wird die Festbeträge geben. Es werden Wenn wir das hinbekommen haben, dann haben wir ein verloren geglaubte Mittel eingestellt. Letztendlich wird auch die Positivliste, die Sie nicht mögen, was uns be- ganzes Stück Wirtschaftlichkeit erzielt und die Zukunfts- (B) kannt ist, vor allem die Qualität verbessern. Wenn Sie auf- sicherung unseres Systems gestärkt. (D) merksam lesen, wie sich die Ärzteschaft dazu verhält, (Beifall bei der SPD) dann wissen Sie, dass die Ärzte darauf warten, dieses qua- litätssichernde Instrument für ihre Arbeit zur Verfügung zu bekommen. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Dr. Dieter Thomae. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Qualität be- komme ich über die Zulassung und nicht über eine zusätzliche Liste!) Dr. Dieter Thomae (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Sie von der Regierungs- Angesichts der gegenwärtigen Entwicklung ist es mei- koalition so hört, hat man den Eindruck, sie machen eine ner Meinung nach absolut unangemessen, nun mit Hektik tolle Politik. Eigentlich hätte die Ministerin heute eine Re- zu reagieren. gierungserklärung abgeben müssen (Lachen bei der CDU/CSU – Aribert Wolf [CDU/ (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) CSU]: Panik wäre der bessere Begriff!) angesichts der Tatsache, dass die Beiträge nicht nur von Was dabei herauskommt, wenn man mit Hektik reagiert, der einen oder anderen Krankenkasse, sondern – wie wir sollten Sie doch noch wissen. Sie haben im Reha-Bereich sehen werden – in den nächsten Wochen und Monaten ge- von heute auf morgen Kürzungen in Milliardenhöhe vor- nerell erhöht werden. Die Ankündigungen stehen im genommen und damit ganze Ortschaften im Kur- und Raum. Also: Die Charmeoffensive der Ministerin ist zu- Reha-Bereich ruiniert. Sie haben damals Menschen in die sammengebrochen. Arbeitslosigkeit getrieben. Man muss eindeutig feststellen: Man kann ihr nicht al- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ les ankreiden; vieles muss man der Vorgängerin, den Grü- CSU]: Wir sind ja in die Nachkriegszeit zurück- nen, geworfen worden!) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Aber das war Was Sie damals nicht erreicht haben, ist Folgendes: Sie nicht die Vorgängerregierung!) haben keine Verbesserung der Struktur erzielt. Aber die strukturellen Veränderungen sind doch das Problem. ankreiden, weil sie keine vernünftige Reform eingeleitet haben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17599

Dr. Dieter Thomae (A) Wenn ich jetzt, in dieser aktuellen Situation, die Vor- Schauen Sie sich einmal an, wie schizophren das mit Ih- (C) schläge der Grünen höre, dann kann ich nur staunen, dass rer Gesetzgebung ist. Wir sind alle für ein vernünftiges Di- sie dies nicht organisiert haben, als sie die Ministerin ge- sease Management. Meinen Sie tatsächlich, das sei ein stellt haben. vernünftig organisiertes System, wenn der Präsident des Bundesversicherungsamtes sagt, er brauche mindestens 70 Auch jetzt wird nur hier und da an den Schrauben ge- bis 90 neue Mitarbeiter, um allein das Disease-Manage- dreht und das hilft unserem Gesundheitssystem nicht. Die ment-Programm für die bundesweiten Kassen zu überwa- Ministerin müsste eigentlich eine echte Reform auf den chen? Weg bringen. Das aber, meine Damen und Herren, kön- nen Sie nicht, dafür sind Sie viel zu kraftlos, und das wol- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja, so werden len Sie anscheinend auch nicht. Arbeitsplätze bei ihnen geschaffen!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Das ist Bürokratie hoch zwei. Detlef Parr [F.D.P.]: Feige! – Widerspruch bei (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) der SPD) Ich rede doch gar nicht davon, was Sie in den einzelnen Sie sollten sich einmal Folgendes anhören: Wenn das Ländern machen. Sie müssen den Apparat weiter aus- Kanzleramt jetzt eine Konzeption erarbeitet, in der zwi- bauen, um solche Disease-Management-Programme or- schen Regel- und Wahlleistungen unterschieden wird, er- ganisieren zu können. Sagen Sie einmal: Warum wollen tönt ein großer Aufschrei: „Da tut sich nichts!“ Wir in Sie immer stärker zur Bürokratie, zur Planwirtschaft über- Rheinland-Pfalz dagegen haben mit der SPD in der Koa- gehen? Geben Sie doch den Versicherungen die Chance litionsvereinbarung für den Bereich der Gesundheitspoli- einer vernünftigen Vertragsfreiheit, um Wettbewerb dort tik definiert – ich war dabei! –: zu etablieren, wo es sinnvoll ist! (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Da kann man (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten einmal sehen, was daraus geworden ist!) der CDU/CSU) In Zukunft wird es gewisse Bereiche geben, die solida- Ich füge hinzu: Die sozial Schwachen müssen geschützt risch finanziert werden. werden. Darüber kann es überhaupt keine Diskussion ge- (Detlef Parr [F.D.P.]: Richtig!) ben. Aber dort, wo es sinnvoll ist, muss Wettbewerb ein- geführt werden. Das tun Sie nicht! Daneben aber wird es auch einen Bereich geben, der vom Arbeitnehmer allein finanziert wird. (Beifall bei der F.D.P.) (Detlef Parr [F.D.P.]: Auch richtig!) Von daher stelle ich fest: Wir werden Ihre Gesetzge- (B) bung, die jetzt auf den Weg gebracht wird, nicht unter- (D) Eine solche Regelung unterschreibt in Rheinland-Pfalz stützen können. Legen Sie noch in dieser Wahlperiode ein Ministerpräsident Beck. Gesamtkonzept auf den Tisch! Dann können wir mitei- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Können Sie nander diskutieren. Dann wissen wir, was Sie wirklich das einmal wiederholen, Herr Thomae?) wollen. Sie selber wissen es bisher nicht. Wenn Sie kein Konzept auf den Weg bringen und wenn Sie den Bürgern Und angesichts dessen wollen Sie uns erzählen, das sei nicht die Wahrheit sagen, werden Sie mit Ihrer Gesund- kein Thema, eine solche Diskussion gebe es nicht? Nein, heitspolitik scheitern. Heute stehen wir vor dem Chaos Sie sind zu feige, dem Bürger zu sagen, wohin der Zug geht. Ihrer Politik. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Das ist unangenehm, aber es wird so kommen. Ich sage für die F.D.P.: Wir wollen in diese Richtung gehen, aber Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- wir wollen gleichzeitig – das betone ich – eine vernünf- lege Thomae, Sie haben Ihr Redemanuskript vergessen. tige Steuerreform, durch die der Bürger entlastet wird, da- Oder wollten Sie es für Ihre Nachfolgerin liegen lassen? mit er auch finanziell in der Lage ist, sich für diese Wahl- oder Zusatztarife zu entscheiden. Das sind zwei Punkte, (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ die zusammengehören. CSU]: Wir haben die Rede nicht vergessen! Die war gut!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich gebe jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Dann hören wir, die Ministerin wolle einiges verän- der Kollegin Katrin Göring-Eckardt das Wort. dern, der Traum vom Mindestbeitrag werde nicht Realität – und dennoch geht das Gesetz zum Risokostrukturaus- gleich auf den Weg. Wenn dies der Fall sein sollte, wer- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den die Ausgleichsmechanismen dafür sorgen, dass wir NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! fast bei der Einheitsversicherung landen. Herr Thomae, es hätte keine Gefahr bestanden; ich hätte Ihr Redemanuskript nicht verwendet. (Detlef Parr [F.D.P.]: So ist es!) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Von einem Wettbewerb kann überhaupt nicht mehr die CSU]: Das wäre ein Highlight gewesen! – Rede sein. Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das wäre die (Beifall bei der F.D.P.) Steigerung gewesen!) 17600 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Katrin Göring-Eckardt (A) Dies hätte ich auch deshalb nicht getan, weil ich glaube, dererseits beispielsweise im Bereich der Krebs- und der (C) dass der Charme, den Sie in Richtung Wettbewerb ausge- Diabetestherapie Unterversorgung besteht, dann bedarf es streut haben, vor allen Dingen eines ist: das Aus für die natürlich weiterer Strukturänderungen des Gesundheits- Solidarität, und zwar zulasten der sozial Schwachen. systems. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Ach, hören Sie Bei der Beantwortung der Frage, wie wir weitere Än- doch auf!) derungen des Systems erzielen können, möchte ich Sie bitten, sich einmal an die eigene Nase zu packen. Wer hat Denn die F.D.P.-Position ist nichts anderes als Freiheit denn die Gesundheitsreform 2000 im Bundesrat ge- ohne Verantwortung. Das wird mit dieser Bundesregie- stoppt? Das waren die unionsregierten Länder. rung nicht zu machen sein. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN CSU]: Wollen Sie behaupten, beim Globalbud- sowie bei Abgeordneten der SPD) get wäre es anders gewesen?) Schauen wir uns die Situation einmal realistisch an: Die haben verhindert, dass gerade im Krankenhausbereich (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Hören Sie auf!) entsprechende Reformen angegangen werden können. Wenn wir schon über die Lohnnebenkosten sprechen – Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wissen, dass das für uns und für die Bundesregierung nach sowie bei Abgeordneten der SPD) wie vor ein zentrales Thema ist –, dann würde ich gerne Die haben eine vernünftige Verzahnung des ambulanten einmal in das Jahr 1998 und in die Jahre davor zurück- mit dem stationären Sektor verhindert. Die haben verhin- schauen. dert, dass eine ganze Reihe von Vorschlägen, deren Um- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ setzung wir für eine umfassende Strukturreform dringend CSU]: Vor allen Dingen 1993 bis 1998!) gebraucht hätten, umgesetzt worden ist. Wenn Sie sich die Kurven der Beitragsentwicklung in der (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nennen Sie ein gesetzlichen Krankenversicherung ansehen, dann stellen Beispiel!) Sie fest, dass die Beiträge bis zum Jahr 1998 angestiegen Dafür tragen Sie die Verantwortung und sonst niemand! sind So! (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Eindeutig (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P. – falsch! Gedächtnislücke! – Dr. Dieter Thomae Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: „So!“ Das ist gut [F.D.P.]: Das ist ein Witz! – Weitere Zurufe von so!) (B) der CDU/CSU und der F.D.P.) – Ich glaube nicht, dass das gut so ist. Vielleicht gefällt Ih- (D) und dass erst durch die Übernahme der Regierung durch nen das. Ich denke aber, das wird die Qualität der Versor- Rot-Grün Stabilität erreicht werden konnte. Die Stabilität gung in Deutschland nicht verbessern und vor allem wei- der Beitragssätze ab dem Jahr 1998 ist für die Politik, die tere Auswirkungen auf die Beitragshöhe haben. wir in dieser Regierung gemacht haben, ganz zentral ge- Was brauchen wir an weiteren Reformschritten und wesen. Das ist ein Erfolg für Rot-Grün und ein Erfolg der was ist möglich, um die auf den Weg gebrachte Gesund- damaligen Ministerin Fischer. Herr Lohmann, wir können heitsreform umzusetzen? uns gut daran erinnern, wie Sie die Budgetpolitik der rot- grünen Bundesregierung gegeißelt haben und wie Sie (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die Grünen ha- dafür angegangen sind. Angesichts dessen ben doch gar keine Position!) kann ich nicht verstehen, dass Sie, wenn wir einen ande- Ich sage Ja – und zwar ein ganz klares Ja – zur Wahlfrei- ren Weg einzuschlagen versuchen, diese Politik genauso heit für die Versicherten. Auf der anderen Seite aber muss geißeln. Sie sollten sich einmal ernsthaft entscheiden, wo die medizinisch notwendige Versorgung solidarisch fi- Sie überhaupt hinwollen. nanziert bleiben. Wir haben in dieser Woche im Ausschuss (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ über den Armutsbericht der Bundesregierung diskutiert CSU]: Es müssen doch Sinn und Ziel da sein! und übereinstimmend festgestellt, dass Arme in Deutsch- Nicht jeden Tag an einem neuen Schräubchen land kränker sind. drehen!) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] Schauen wir uns einmal die Situation in Deutschland [CDU/CSU]: Nicht ablenken!) an: Wir haben weltweit die zweithöchsten Ausgaben im Ergebnis einer Reform, die wir in weiteren Schritten an- Gesundheitssystem. Im Hinblick auf die Versorgung ha- gehen müssen, darf nicht sein, dass Armut zu Krankheit ben wir bei weitem noch nicht einen Standard erreicht, der führt. Dafür steht, Herr Kollege Thomae, diese Koalition dies vermuten ließe. 10 Prozent des Bruttoinlandspro- nicht; dafür stehen Sie vielleicht mit Ihren Vorschlägen duktes fließen in die Gesundheitskosten. für eine Grundversorgung, bei der das medizinisch Not- wendige nicht für alle zur Verfügung steht. Sie sollten den Menschen nichts vormachen. Natürlich gibt es im Gesundheitssystem Einsparmöglichkeiten. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Wenn wir doppelt so oft geröntgt werden wie die anderen CSU]: Die Armen müssen aber nichts dazuzah- Europäer, wenn wir einerseits viel mehr Pillen schlucken len! Die Armen bekommen alles, ohne eine und die Menschen trotzdem nicht gesünder sind und an- müde Mark!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17601

Katrin Göring-Eckardt (A) Was brauchen wir weiter? Wir brauchen eine Positiv- dass Regierung und Mehrheitsfraktionen dieses Hauses (C) liste, die zur Transparenz in der Versorgung führt. Wir die Einnahmen, die einzig und allein der gesetzlichen brauchen eine Stärkung des Hausarztsystems, was Sie Krankenversicherung zustehen, nicht ständig zweckent- gerne blockieren wollen, und wir brauchen ein ganzheit- fremden, liche Versorgung, die ihre Schwerpunkte auf Zusammen- (Beifall bei der PDS) arbeit im System – Vorsorge, Behandlung und Reha – legt. Dafür sind Sie – gerade in den Ländern – in der Verant- um unter eklatantem Missbrauch der Gesetzgebungskom- wortung. Wir brauchen ein System, das die Patienten zum petenz den Bundeshaushalt zu entlasten. Mittelpunkt der Versorgung macht und auf Augenhöhe Am stärksten wirken sich die Folgen der Rentenreform mit den Leistungserbringern hebt. von 1993 aus. Damals wurden die Krankenversicherungs- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Die halten zu beiträge aus Lohnersatzleistungen auf 80 Prozent des jedem Thema die gleiche Rede!) bisherigen Arbeitsentgeltes gesenkt. Die Kassen wiederum müssen höhere Beiträge aus Krankengeld an andere Sozial- Wenn Sie sich hier hinstellen und nach Ihrem Kon- versicherungsträger bezahlen. Seit 1996 belastet das die junkturprogramm im Umfang von 92 Milliarden DM, das GKV jährlich – ich betone: jährlich – mit rund 6 Milliar- Sie nicht gegenfinanziert haben, auch noch Vorschläge den DM. Gegen diese Politik der so genannten Verschiebe- machen, die die Kosten im Gesundheitswesen weiter in bahnhöfe haben SPD und Grüne bis 1998 gekämpft und für die Höhe treiben, ohne einen einzigen Beitrag zu Struk- jedermann hörbar eine Änderung gefordert. Kaum an der turveränderungen zu leisten, Regierung, hatte auch Rot-Grün alles vergessen, und wir (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ erleben die gleichen Taschenspielertricks. CSU]: Sie regieren doch! Jedenfalls noch!) So mussten 1999 zunächst die Pflegekassen durch die muss ich Ihnen sagen: Sie machen es sich zu einfach, und gesetzliche Begrenzung der Beiträge aus Arbeitslosen- zwar auf Kosten der Versicherten und Patienten. Das wer- hilfe Einnahmeausfälle von rund 400 Millionen DM hin- den wir nicht mitmachen. nehmen. Nur ein Jahr später erfolgte der Zugriff auf die Versichertenbeiträge der GKV. Seitdem fehlen bei der Vielen Dank. GKV weitere 1,2 Milliarden DM jährlich. Dafür haben Fi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nanzminister Eichel und Arbeitsminister Riester ihre und bei der SPD – Birgit Schnieber-Jastram Haushalte erfolgreich entlastet. Es gibt noch weitere Ent- [CDU/CSU]: Sie machen es sich zu einfach!) scheidungen von Regierung und Koalition mit ähnlicher Wirkung, auf die ich aus Zeitgründen hier nicht eingehen kann. (B) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die (D) Fraktion der PDS spricht die Kollegin Dr. Ruth Fuchs. Meine Damen und Herren – und hiermit meine ich alle in diesem Hohen Hause –, eines finde ich unglaublich mies: Auf der einen Seite wird der Öffentlichkeit eine Dr. Ruth Fuchs (PDS): Herr Präsident! Meine Damen Kostenexplosion im Gesundheitswesen vorgegaukelt, die und Herren! Werter Kollege Lohmann, wer so tut, als es so eigentlich gar nicht gibt, und auf der anderen Seite seien die Ursachen für die heutigen Beitragserhöhungen redet kaum jemand davon, dass dieser Beitragsklau seit erst in den letzten Monaten entstanden, belügt die Öffent- Mitte der 90er-Jahre in der Summe den geradezu un- lichkeit. glaublichen Umfang von über 50 Milliarden DM ange- (Beifall bei der PDS, der SPD und dem BÜND- nommen hat. NIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann (Beifall bei der PDS) [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Seit 1998!) Wir fordern, endlich diese verantwortungslose Politik Zur Wahrheit gehört: Sie sind das Ergebnis der Politik zu beenden und der Versichertengemeinschaft das will- von Jahren, und zwar einschließlich Ihrer Regierungszeit. kürlich abgezweigte Geld Schritt für Schritt zurückzuge- Es ist eigentlich völlig egal, wer regiert. ben. Denn sein legitimer Verwendungszweck besteht ein- (Lachen bei der CDU/CSU – Wolfgang Zöller zig und allein in der gesundheitlichen Versorgung der [CDU/CSU]: Das könnte Ihnen so passen!) Versicherten. Aufgabe einer vorausschauenden Gesundheitspolitik ist Meine Damen und Herren von der Koalition, niemand es immer, solche Erhöhungen möglichst zu vermeiden, von uns leugnet, dass der Abbau bestehender Unwirt- denn sie treffen die Arbeitnehmer und Rentner ebenso wie schaftlichkeiten im Gesundheitswesen eine ständige und wichtige Aufgabe ist. Auch wir sagen: Niemand hat das die Arbeitgeber. Recht, die Versichertengelder unnötig auszugeben oder Allerdings – das vergessen alle – darf man die Ge- gar zu verschwenden. Allerdings hat die Gesundheitsre- sundheitspolitik nicht isoliert betrachten. Gesundheitspo- form 2000 erneut gezeigt, dass ein solches Vorhaben Zeit litik ist auch auf eine entsprechende Haushalts- und Fi- benötigt und nicht im ständigen Konflikt bewältigt wer- nanzpolitik angewiesen. Beitragserhöhungen können den kann. schon dadurch vermieden werden, Das Bestreben, die Einnahmeseite der GKV zu stärken, (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ dürfen Sie aus Ihrer Politik nicht herauslassen. Dafür gibt CSU]: Indem man die Ökosteuer einführt!) es noch weitere Instrumente, und zwar außerhalb von 17602 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Ruth Fuchs (A) Zuzahlung oder Wahlleistung. Dies nämlich sind Instru- kann ich nur feststellen: falsche Diagnose und falsches (C) mente, die beide zusätzlich privat, ohne Arbeitgeberan- Rezept. Man könnte fast meinen, es wäre ganz gut, Ihnen teil, von den Versicherten getragen werden müssen. einmal ein Qualitätssicherungsprogramm zu empfehlen. Vorschläge, wie das strikt am Solidargedanken orien- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tiert geschehen kann, liegen seit langem auf dem Tisch; BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wider- von uns genauso wie von Ihnen seinerzeit in der Oppo- spruch bei der CDU/CSU) sition. Die Onkel-Dagobert-Methode, nämlich immer mehr Jetzt sind Sie als Regierung gefordert, nicht nur verbale Geld ins Gesundheitssystem zu stecken, führt nicht zu Versprechen abzugeben. Notwendig ist eine gezielte Stär- dem gewünschten Erfolg. Es ist das falsche Konzept. kung der Solidargemeinschaft. Damit würde auch den Denn mehr Geld macht nicht gesünder. Dies sieht man da- Oppositionsparteien auf der rechten Seite des Hauses ran, dass wir mit unseren Gesamtausgaben, gemessen am eine – wie die heutige Debatte zeigt – äußerst demago- Bruttosozialprodukt, in Europa an der Spitze stehen. Ich gisch gehandhabte Angriffsmöglichkeit genommen. denke, wir können den Menschen in Deutschland nicht Eines muss noch gesagt werden: Das Auftreten der mehr zumuten, noch mehr Geld auszugeben, aber weni- Union ist unverfroren, um nicht zu sagen: heuchlerisch. ger Leistungen dafür zu erhalten. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang CSU]: Frau Dr. Fuchs, jetzt aber Vorsicht! – Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Und das von der doch das Thema heute!) PDS!) Wir müssen umgekehrt Verantwortung für das Versi- Erstens ist sie für die heutige Situation mitverantwortlich chertengeld und die Beiträge übernehmen. und zweitens werden ihre Rezepte für ein zunehmend (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das habt ihr doch marktgesteuertes Gesundheitswesen noch viel teurer – seit drei Jahren!) siehe USA. Wir müssen sorgfältig und erfolgsorientiert damit umge- (Beifall bei der PDS) hen. Die Gesamtbelastung der Menschen, die dann aus gesetz- Wie eine solche Erfolgsorientierung aussehen kann, lichen und privaten Beiträgen besteht, würde noch viel wird doch am besten anhand der Feststellungen des Sach- größer werden. verständigenrats sichtbar. Professor Wille hat das ja sehr (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ schön bildlich dargestellt: Wir bezahlen in Deutschland (B) (D) CSU]: Also Enteignung! Vergesellschaf- im Gesundheitswesen für einen 500er-Mercedes und be- tung!) kommen als Gegenleistung einen 200er. Ich denke, die jetzigen Beitragserhöhungen sind für die (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Union nicht mehr und nicht weniger als ein gefundener CSU]: Das war nicht Wille, sondern Lauterbach! Anlass, um davon abzulenken, dass sie eigentlich über Das war euer Berater!) keine eigene und schon gar nicht über eine an den Inte- – Nein! ressen der Menschen orientierte Gesundheitspolitik ver- fügt. Genau diese Diskrepanz werden wir angehen müssen; denn das ist das Problem, das uns letztlich herausfordert. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. Wo wir stehen, sehen wir doch an den Leistungen: Dies- (Beifall bei der PDS – Wolfgang Zöller [CDU/ bezüglich sind wir in Europa überall Mittelfeld, sei es ge- CSU]: Doch! Wir haben ein Konzept!) messen an der Lebenserwartung, den Sterblichkeitsraten, den Krebserkrankungen, den Herzinfarkten, den Kreis- lauferkrankungen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich erteile dem Kollegen Horst Schmidbauer für die Fraktion der Es geht also nicht mehr darum, mehr Geld in das Sys- SPD das Wort. tem zu geben, sondern es geht darum, dafür zu sorgen, dass wir über ein entsprechendes Qualitätsmanagement die entscheidende Leistungsverbesserung erreichen. Horst Schmidbauer (Nürnberg) (SPD): Herr Präsi- dent! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung punk- Wir müssen auch deutlich sehen: Wenn wir Grund- und tueller Beitragssatzerhöhungen Wahlleistungen vornehmen und den Menschen mehr Geld abnehmen, so bedeutet dies eine Zementierung der über- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Punktuell?) kommenen Strukturen, aber keine echte Reform. fordert uns als Sozialdemokraten natürlich auch heraus. (Beifall bei der SPD) Es ist nicht so, dass wir diese Herausforderung nicht se- Ich will an einem Beispiel darlegen, dass es momentan hen. Wenn ich mir aber die Behandlungskonzepte der Op- nicht an den Maßnahmen hängt, sondern an der Ge- position, und zwar vor allem der CDU/CSU und der schwindigkeit. Sie von der Opposition könnten natürlich F.D.P., anschaue, sehr viel dazu beitragen, die Geschwindigkeit der Re- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Gut, oder?) formgesetze und deren Umsetzung zu erhöhen, sodass die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17603

Horst Schmidbauer (Nürnberg) (A) Krankenkassen die Entlastungsmomente zeitnah erfah- Der Versicherungsbeitrag in der gesetzlichen Kranken- (C) ren, und damit eine Erhöhung der Beträge vermieden versicherung ist zwischen dem 1. Januar 1993 und dem wird. Ende unserer Regierungszeit im September 1998 unver- ändert geblieben. (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Gucken wir uns das am Beispiel der Arzneimittel an: In Widerspruch bei der SPD) dieser Woche haben wir in der Anhörung zu Zielverein- barungen neuer Lösungen anstelle von Budgets die Vor- Wenn Sie nicht unsere Gesundheitsreform zunächst im stellungen der Wissenschaftler gehört: Wir könnten in Wahlkampf attackiert und dann nach der Wahl in ihren Deutschland durch den Einsatz von Analogpräparaten Kernelementen zurückgenommen hätten, hätten Sie jetzt selbst unter Berücksichtigung des Substitutionseffektes nicht die Probleme im deutschen Gesundheitswesen. 1,8 Milliarden DM einsparen. Die Ärzteschaft will – so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben wir es gehört – entschlossen daran mitwirken, dass wir diesen Einsparungseffekt erzielen. Zweiter Kardinalfehler: Mit großem Pomp wurde die Gesundheitsreform 2000 angekündigt – im einen Teil Wir haben mit dem Gesetzentwurf zu den Festbeträgen rückwärts gewandt, im anderen Teil wirkungslos. Die Re- für Arzneimittel die Chance, mindestens 650 Milli- form war rückwärts gewandt, weil Sie wieder auf die Bud- onen DM zu sparen und das Ganze effektiver zu gestalten. gets gesetzt haben. Sie müssen jetzt unter dem Druck der Mit der Positivliste werden wir nicht nur nachhaltig die Verhältnisse – weil die chronisch Kranken die notwendige Qualität in Deutschland verbessern, medizinische Versorgung nicht mehr bekommen – diese (Zuruf von der CDU/CSU) Budgets Stück für Stück aufgeben. Sie sind mit dieser Budgetpolitik völlig gescheitert. sondern auch wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wenn man das zusammen nimmt, stehen rund 4 Milli- arden DM zusätzlich zur Verfügung, Alle anderen Kernelemente der Gesundheitsreform 2000 – das war die Reform mit Pleiten, Pech und Pannen, (Zuruf von der F.D.P.: Warte mal ab!) über die wir hier im Deutschen Bundestag in einer Fas- sung abgestimmt haben, die gar nicht dem Willen der Re- die, wirtschaftlich eingesetzt, zu einer Versorgung führen, gierung entsprach, die dem Patienten ein Mehr an Qualität und Effizienz ga- rantiert. Das ist, glaube ich, der Weg, auf den wir uns be- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Weil die Seiten geben müssen. Da halte ich es mit Professor Schwartz, fehlten!) (B) dem Vorsitzenden des Sachverständigenrats: „Das deut- (D) weil die Seiten in der Nacht ausgewechselt wurden – sche Gesundheitswesen kann mehr, als es leistet.“ Wir müssen auf Leistung achten, auf Leistung im gesamten (Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Murks Gesundheitswesen. war das!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sind wirkungslos geblieben, waren Makulatur. DIE GRÜNEN) Das Einzige, was jetzt noch in der Selbstverwaltung vollzogen wird, sind die Fallpauschalen bei den Kranken- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die häusern. CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Horst Seehofer das (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das geht auch Wort. daneben!) Frau Schmidt, ich prophezeie Ihnen, dass das Datum Horst Seehofer (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine 1. Januar 2003 für die Einführung der Fallpauschalen sehr verehrten Damen und Herren! Das deutsche Gesund- nicht zu halten sein wird und dass Sie noch in dieser Le- heitswesen befindet sich in einer Krise und die Verant- gislaturperiode den Termin verändern werden. wortung dafür trägt allein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zuruf von der SPD: Herr Seehofer!) Den dritten Kardinalfehler haben Sie, Frau Schmidt, die Bundesregierung. persönlich zu verantworten, weil Sie ihn gemacht haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- Sie haben sich zu Beginn Ihrer Amtszeit in völliger Ver- ruf von der SPD: Das sagt ausgerechnet der kennung der realen Lage entschieden, eine Gesundheits- Seehofer!) reform erst nach der Bundestagswahl zu machen. Auch heute haben Sie wieder geäußert, man brauche Zeit. Man Drei Kardinalfehler haben zu dieser Lage geführt. Ers- brauche Zeit bis zum Jahre 2003. ter Kardinalfehler: Sie haben die gesetzliche Krankenver- sicherung 1998 in einer guten Verfassung übernommen, Man muss sich einmal vorstellen, wie ein Mittelständ- ler, ein Handwerker, ein Arbeitnehmer darauf reagiert, mit Milliardenüberschüssen in den Jahren 1997 und 1998. wenn jemand fast drei Jahre an der Regierung ist und (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – nichts getan hat, sondern nur Schaden angerichtet hat und Widerspruch bei der SPD) dann zur Reparatur des Schadens sagt: Ich brauche noch 17604 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Horst Seehofer (A) zwei Jahre. Meine Damen und Herren, das ist der Inbe- Beiträge und über den Leistungsumfang entscheiden kön- (C) griff der Unfähigkeit. nen. Nicht die Funktionäre im Gesundheitswesen müssen gestärkt werden, sondern die Patienten und die Versicher- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – ten. Dr. Uwe Küster [SPD]: Herr Seehofer, Sie wa- ren für dieses Chaos verantwortlich! Totengrä- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ber des Gesundheitswesens! – Regina Schmidt- Sie, die Sie das alles noch weit wegschieben, werden Zadel [SPD]: Er hat dieses Chaos hinterlassen!) erleben, dass die Realität Sie überholt. Nicht Frau Schmidt, die ein halbes Jahr im Amt ist, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie werden es sondern Sie, Rot-Grün, sind in Ihrer Gesundheitspolitik machen müssen!) auf der ganzen Linie gescheitert. Ich prophezeie Ihnen: (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Sie sind (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Jetzt gescheitert – bei der Bundestagswahl!) kommt’s!) Was wir brauchen, ist ein völliger Neuanfang in der Ge- Spätestens nach dem Befehl aus dem Kanzleramt fallen sundheitspolitik. Sie wie Dominosteine um. (Horst Schmidbauer [Nürnberg] [SPD]: Aus- (Susanne Kastner [SPD]: Machen Sie sich mal gerechnet Sie! Gescheiterter Minister!) über uns keine Gedanken!) Ich fordere Sie auf, noch vor der Sommerpause ein So- Sie werden schweigend – wie SPD und Grüne in den letz- fortprogramm vorzulegen, ten Jahren in vielen Fällen ihre Seele verkauft haben – die Befehle des Kanzleramtes erfüllen. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Sie sind doch zu schwach!) Frau Schmidt, handeln Sie jetzt! Sonst werden Sie per- sönlich verantwortlich für das, was in den nächsten Mo- weil sonst die Flut von Beitragserhöhungen nicht zu stop- naten in der Krankenversicherung geschieht. pen ist. Wir stehen auch für Sondersitzungen in der Som- merpause zur Verfügung, wenn das Zeitargument kom- (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der men sollte. Dieses Sofortprogramm muss drei Elemente F.D.P.) beinhalten: Erstens. Wir brauchen in der Tat mehr Qualität im deut- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteile (B) schen Gesundheitswesen. Das heißt, wir müssen die Me- das Wort nunmehr der Bundesministerin für Gesundheit, (D) dizinerausbildung reformieren. Frau Schmidt, sorgen Sie der Kollegin Ulla Schmidt. deshalb dafür, dass die von uns bereits erarbeitete Appro- bationsordnung für Ärzte, die im Bundesrat liegt, verab- Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit: Herr schiedet wird! Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kol- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lege Seehofer, ich habe den Vorteil, dass ich ein Ministe- rium übernommen habe, das Sie einmal geleitet haben, In dieser Angelegenheit ist in den zweieinhalb Jahren und daher stehen mir alle Zahlen aus Ihrer Amtszeit zur nichts geschehen. Sie hat im Bundesrat geschlummert. Verfügung. Sie und Herr Kollege Lohmann haben gerade Qualität ist nicht nur für die Patienten von Nutzen. Viel- behauptet, dass die Krankenkassen Milliardenüber- mehr führt Qualität im Gesundheitswesen auch zu mehr schüsse aufgewiesen hätten Wirtschaftlichkeit. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] Zweitens. Befreien Sie die Beteiligten im Gesund- [CDU/CSU]: 1,1 Milliarden DM!) heitswesen von all den Fesseln der Reglementierung und der Listenmedizin! Die Positivliste, von der wir hier jah- und dass Beitragsstabilität geherrscht hätte. relang gehört haben, hat keinen positiven Effekt. Jetzt (Beifall des Abg. Wolfgang Zöller wird sie als Mittel zur Lösung der Probleme in der ge- [CDU/CSU]) setzlichen Krankenversicherung angeboten. Ich möchte Sie einmal mit folgenden Zahlen konfrontie- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Schwachsinn!) ren: In der Zeit von Horst Seehofer stieg der durch- Befreien Sie die Beteiligten von den Budgets! Geben schnittliche allgemeine Beitragssatz von 12,3 Prozent auf Sie Ärzten, Krankenkassen, Selbsthilfegruppen und Pati- 13,6 Prozent. enten die Freiheit, vor Ort mit Verträgen, mit Organisati- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ onsmodellen die bestmögliche Form der Versorgung un- CSU]: 1993, da ging es um die Reform, die wir serer Patienten zu finden! Nicht Budgets, sondern Freiheit gemeinsam gemacht haben! Statistikmanipula- ist die Antwort. tion!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die jetzige Bundesregierung hat seit 1998, als wir die Re- Drittens: mehr Selbstbestimmungsrecht für die Patien- gierung übernommen haben, dafür gesorgt, dass sich der ten. Sie sollen in Zukunft selber über die Höhe ihrer durchschnittliche Beitragssatz bei 13,6 Prozent stabili- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17605

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) siert hat. Herr Kollege Seehofer, die Erhöhungen bis 1998 Präparate bezahlen müssen. Die AOK Berlin, die große (C) gehen zu Ihren Lasten. Probleme im Arznei- und Heilmittelbereich hat, hat heute mit der KV Berlin den ersten Vertrag auf der Grundlage (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf dieser Vereinbarung geschlossen und hat versprochen: von der SPD: Weitere Zuzahlungen!) Wir werden die Ärztinnen und Ärzte schon in diesem Jahr Zu Ihrer Behauptung, dass die Krankenkassen Milliar- – im Vorgriff auf das im nächsten Jahr geltende Gesetz – denüberschüsse aufgewiesen hätten, bevor wir die Regie- beraten. Wir werden die Ärzte persönlich haftbar machen, rung übernommen haben, möchte ich Folgendes sagen: wenn sie die Wirtschaftlichkeitsreserven nicht ausschöp- Die AOK Hessen oder die AOK Baden-Württemberg zum fen. Wir wollen allgemein über Arzneimittel und darüber Beispiel befinden sich schon seit 1996/97 in einer informieren, welche Analogpräparate und gleichwertigen prekären Finanzsituation. Sie haben immer wieder ver- Billigprodukte es gibt. Wir informieren über wirkliche In- sucht, die Aufsichtsbehörden hinzuhalten, und zwar er- novationen. folgreich; denn die Aufsichtsbehörden sind selbst dann nicht eingeschritten, als diese Krankenkassen ein Minus (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann müssen aufwiesen und nicht mehr über die gesetzlich festgelegte die Beiträge sinken statt steigen!) Mindestreserve verfügten. Es wird folgendes Anreizsystem geschaffen: Diejeni- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen, denen es gelingt, die Kosten der verschriebenen Arz- neimittel unter Einhaltung der Versorgungsziele Wirt- Jetzt ist der Punkt erreicht, an dem Beitragserhöhungen schaftlichkeit und Qualität zu reduzieren, erhalten einen unumgänglich sind. Damit die Zahlen, über die wir reden, Bonus. relativiert werden, möchte ich Folgendes sagen: Selbst- verständlich muss es uns Sorgen machen, wenn die Bei- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ tragssätze der Krankenkassen ansteigen. Aber alles, was CSU]: Das wurde bisher als „unethisch“ be- derzeit angekündigt ist bzw. bereits beschlossen worden zeichnet! Auf einmal!) ist, macht bundesweit nicht einmal 0,09 Prozent aus. Des- – Das ist nicht unethisch, Herr Kollege. halb bitte ich, die Zahlen genau anzuschauen, über die wir hier reden, und nicht so zu tun, wie es einer Ihrer Kolle- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn ihr es gen gemacht hat, als würden die Beitragssätze der Kran- vorschlagt, ist es nicht unethisch!) kenkassen um 5 Prozent in den nächsten Jahren ansteigen. – Herr Kollege, schreien Sie nicht so! Die bisherigen Planungen würden nicht einmal einen An- stieg der Beitragssätze um 0,1 Prozent rechtfertigen. Ur- Der sozialmedizinische Berater der AOK, Dr. Peter sache ist also nicht, dass man mit der Gesundheitsreform Schwoerer, (B) bis 2003 wartet. Sie wissen doch ganz genau, dass eine (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (D) Menge an Schritten notwendig ist, um eine Gesundheits- CSU]: Er war früher mal bei der Kassenärztli- reform durchzuführen. chen Vereinigung!) Ich möchte jetzt auf das Arznei- und Heilmittelbudget er hat entsprechende Beratungen bereits durchgeführt zu sprechen kommen. Die Ausgaben im Arzneimittelbe- – jeder weiß, was er im Arzneimittelbereich in Südbaden reich sind von 1993 bis 1999 – das betrifft noch Ihre Re- gemacht hat –, hat gesagt, die Patienten könnten ohne gierungszeit – um 41 Prozent gestiegen, und zwar trotz Einbußen und bei gleicher oder sogar besserer Therapie- Budget und Kollektivregress. qualität versorgt werden. Wir werden Einsparungen vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nehmen und wir werden die Einsparpotenziale in Milliar- denhöhe, die auf dem Gebiet der Analogpräparate Wir wissen doch, dass es dort Einsparpotenziale gibt. Ich vorhanden sind, nutzen. habe deswegen in der vorigen Woche eine Neuordnung des Arznei- und Heilmittelbudgets auf den Weg gebracht; Ich weiß, dass derzeit Pressekonferenzen stattfinden, denn ich bin der Meinung, dass eine Deckelung allein auf denen die Ärzte zum Ausdruck bringen, dass sie die nichts bringt. Freiheit der Verhandlung wollen und dass sie selbst mit dafür sorgen werden, dass die Ärztinnen und Ärzte in die (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Pflicht genommen werden, damit es zu Fortschritten CSU]: Das war doch die ganze Politik!) kommt. – Das war Ihre Politik und wir haben sie fortgesetzt. Aber (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hätte schon man muss auch aus Fehlern lernen. früher geschehen können! – Wolfgang Zöller Es stimmt zwar, dass die Zahl der Verschreibungen [CDU/CSU]: Unser Gesetz hat das alles ge- zurückgeht. Aber offensichtlich sind die Ärztinnen und währleistet!) Ärzte falsch beraten, weil sie viel zu wenig Analogpro- Herr Kollege Seehofer hat die chronisch Kranken an- dukte verschreiben. Ich bin ja dafür, dass die Patientinnen gesprochen. Wir werden nachher den Risikostrukturaus- und Patienten wirklich innovative Arzneimittel erhalten gleich beraten. Das Kernstück unserer Änderung des Ri- und dass diese dann bezahlt werden. Aber immer dann, sikostrukturausgleichs ist, dass endlich ein Wettbewerb wenn es analoge Präparate gibt, die wirkstoff- und wir- um die bestmögliche Versorgung der Patienten stattfinden kungsgleich sind, müssen die Patientinnen und Patienten kann – das kann man verlangen – die günstigeren Medikamente nehmen. Die Krankenkassen werden dann keine anderen (Beifall bei der SPD) 17606 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Bundesministerin Ulla Schmidt (A) und dass die bestmögliche Versorgung von chronisch Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe (C) kranken Menschen Einsparpotenziale in der gesetzlichen nunmehr dem Kollegen Ulf Fink für die Fraktion der Krankenkasse mit sich bringt. Durch den von uns be- CDU/CSU das Wort. schrittenen Weg fühlen sich die Menschen nicht nur bes- ser, weil wir die Versorgung Multimorbider verbessern, Ulf Fink (CDU/CSU) (von Abgeordneten der vielmehr sinken auch die Kosten um bis zu 30 Prozent. CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine (Beifall bei Abgeordneten der SPD) sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, an den Tatsachen führt kein Weg vorbei: Die Menschen müs- Diesen Weg können Sie mitgehen. Das, was wir machen, sen für das Gesundheitswesen heute drastisch mehr be- ist etwas anderes als das, was Sie gemacht haben, Herr zahlen und bekommen weniger Leistung. Kollege Seehofer. Sie haben die gesetzliche Krankenkasse (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – dadurch zu sanieren versucht, dass Sie den chronisch Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!) Kranken immer mehr Belastungen und Zuzahlungen auf- gebürdet haben, anstatt ihre Versorgung zu verbessern. Das Schlimme daran ist, dass kein Konzept der Regierung erkennbar ist, wie dem Einhalt geboten werden soll. (Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ CSU]: Stimmt doch gar nicht! – Wolfgang (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: So ist es!) Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Zurück- Wahr ist auch, dass es entgegen den Aussagen, die Sie gegangen sind sie!) im Wahlkampf 1998 gemacht haben – Sie sagten, dass Sie sich für eine sozialgerechte Gesundheitspolitik einsetzen Ich komme – Sie haben das angesprochen – zur Medi- wollen –, dazu gekommen ist, dass unter Ihrer Verant- zinerausbildung. Sie haben Recht: Die Elemente für mehr wortung zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre- Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sind mehr Steue- publik Deutschland für die Menschen der Begriff „Zwei- rung, Transparenz, mehr Freiheit in der Verhandlung – da klassenmedizin“ grausame Wirklichkeit geworden ist. gebe ich Ihnen Recht – und eine Steigerung der Qualität. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist ja ein neten der F.D.P.) F.D.P.-Programm!) Krebskranke Menschen haben wegen des Arzneimit- Um das Ziel der Qualitätssteigerung zu erreichen, brauchen telbudgets die notwendigen Lymphdrainagen nicht be- wir auch eine neue Approbationsordnung. Herr Kollege kommen. Diabeteskranke haben die Teststreifen nicht Seehofer, Sie sind nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. mehr bekommen. (B) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Widerspruch bei der SPD) (D) CSU]: Die SPD-Länder haben es verhindert!) Menschen, die aus dem Krankenhaus entlassen worden – Nein. – Die Vorlage zur Änderung der Approbations- sind und auf ein bestimmtes Medikament eingestellt wa- ordnung liegt beim Bundesrat. Ich habe mit den Vertretern ren, sind in ambulanter Praxis diese Medikamente ver- der Bundesländer, auch mit denen, die von Ihnen regiert weigert worden. Wahrheit ist weiterhin, dass moderne werden, verhandelt. Ich habe mit den Kultusministern der Medikamente nicht mehr verschrieben worden sind, weil Länder zusammengesessen sie teurer als konventionelle Medikamente waren. Dies gilt insbesondere für Medikamente bei Schizophrenie, (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Epilepsie und Herz-Kreislauf-Krankheiten. Dazu ist es CSU]: Die waren ja dafür!) unter Ihrer Regierungsverantwortung gekommen. – nein, die Kultusminister waren nicht dafür, sondern die (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Haben Sie Gesundheitsminister; das ist der Unterschied – und wir ha- gehört, was die Krankenkassen dazu gesagt ha- ben einen Kompromiss gefunden, den wir auf der Gesund- ben? Gerade bei psychisch Kranken!) heitsministerkonferenz letzte Woche beschlossen haben. Wenn Sie gegen die maßvollen Selbstbeteiligungsele- Dieser Kompromiss – ihm haben sich auch die mente, die wir eingeführt haben, polemisieren, dann sage Vertreter der Kultusministerien der B-Länder angeschlos- ich Ihnen: Die von Ihnen eingeführte Budgetierung ist die sen – wird dazu führen, dass die Änderung der Approbati- brutalste Form der Selbstbeteiligung, die man sich über- onsordnung auf den Weg kommt. Ich lade Sie zu unserer haupt vorstellen kann. großen Veranstaltung am Montag in Berlin ein. Wir werden (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- unser Ziel hoffentlich bis zum Ende der Legislaturperiode ruf von der SPD: Von der CDU/CSU einge- erreicht haben. Es geht darum, dass diejenigen Ärzte, die führt!) die Wirtschaftlichkeitsreserven in zehn Jahren erschließen sollen, heute dementsprechend ausgebildet werden. Es gibt keine Härtefallklausel und keine Überforderungs- klausel, sondern die Menschen müssen unabhängig von Vielen Dank. der Höhe ihres Einkommens die gesamten Kosten für Me- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dikamente übernehmen, weil es keine entsprechende DIE GRÜNEN – Wolfgang Lohmann [Lüden- Regelung gibt. Das ist soziale Ungerechtigkeit bis zum scheid] [CDU/CSU]: Der Kanzler wird sich geht nicht mehr. Dafür sind Sie verantwortlich. freuen, was Sie alles versprochen haben!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17607

Ulf Fink (A) Ich sage Ihnen noch ein Weiteres: Das deutsche Ge- Wettbewerb und mehr Transparenz gehen. Das ist der ein- (C) sundheitswesen, das in der Welt einen guten Klang hat, ist zig richtige Weg. ein Weg zwischen Staat und Markt. Die Frage ist: In wel- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) che Richtung soll man ein solches Gesundheitswesen weiterentwickeln, in Richtung auf mehr Markt oder in Richtung auf mehr Staat? – Wir haben im Jahre 1998 Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die maßvolle zusätzliche Wettbewerbs- und Marktelemente SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Professor eingeführt. Sie hatten jedoch nichts Eiligeres zu tun ge- Dr. Martin Pfaff. habt, als diese maßvollen Wettbewerbs- und Marktele- mente, zum Beispiel Beitragsrückgewähr und Selbstbe- Dr. Martin Pfaff (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolle- teiligung, einzukassieren. Sie sind den Weg in Richtung ginnen und Kollegen! Herr Seehofer, ich kann ja – das mehr Bürokratie, mehr Staat muss ich zugestehen – nachvollziehen, dass Sie eine Ak- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ tuelle Stunde zu einem Themenbereich anberaumen wol- CSU]: Und weniger Leistung!) len, von dem Sie meinen mehr zu wissen. Ich gestehe neidlos ein: Wenn es um die Anhebung von Beitragssät- und weniger Leistung gegangen. zen geht, haben Sie mehr Erfahrung als wir, da wissen Sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und mehr. Raten Sie einmal, wie oft in Ihrer Regierungszeit der F.D.P.) die durchschnittlichen Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung eines Jahres gegenüber dem Vor- Das ist der falsche Weg. Es hat aber gar keinen Sinn jahr angehoben worden sind! – das sage ich auch in Richtung meines geschätzten Kol- legen Professor Pfaff –, wenn man nicht Elemente ein- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Meinst du die setzt, die den Versicherten, die Versicherung und die letzten 50 Jahre?) Anbieter von Leistungen dazu drängen, mit den Leis- Zweimal, dreimal, viermal? Nein, zwölfmal in 16 Jahren tungen sparsam umzugehen und auf möglichst hohe hat die vorherige Bundesregierung erleben müssen, dass Qualität zu setzen. Auf einen brodelnden Kessel können die Beitragssätze gestiegen sind. Sie keinen Deckel, kein Budget, mehr setzen. Nein, Sie müssen das Feuer wegnehmen. Sie müssen dafür sorgen, (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ dass die Menschen an mehr Qualität, mehr Wettbewerb CSU]: Seit 1993 nicht mehr!) und mehr Eigenverantwortung interessiert sind. Dann Nach Ihrer eigenen Diktion, Herr Seehofer, war das Ge- brodelt der Kessel nicht so sehr. In diese Richtung muss sundheitswesen während Ihrer Zeit in der Dauerkrise. man gehen. (B) (Beifall bei der SPD) (D) (Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Wettbewerb um die billigste Krankheit, oder was? Demnach sind Sie in keiner Weise eine moralische Auto- rität, wenn es um Beitragssatzanhebungen in der GKV – Frau Fuchs, es ist unverständlich, dass Sie es wagen, der geht. Christlich Demokratischen Union irgendwelche Vorhal- tungen zu machen. Sie haben in der DDR ein System ge- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ganz genau!) habt, bei dem insbesondere die Allerärmsten, also dieje- Wie war es denn mit den Beiträgen? Sie mussten die nigen, die sich selber nicht helfen konnten, nicht die Beiträge in einer Zeit, die weniger schwierig war als nötigen Medikamente bekommen haben. Das lag in Ihrer heute, um zwei Beitragssatzpunkte anheben. Und was ha- Verantwortung, und Sie wagen es, uns Vorhaltungen zu ben Sie getan? Sie haben immer wieder die Zuzahlungen machen. erhöht. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber die Patien- Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Jetzt erzählen Sie doch ten haben die Leistung bekommen!) Stuss! Keine Ahnung!) Allein in den letzten Jahren Ihrer Regierungsverantwor- Frau Fuchs, das lassen wir uns wirklich nicht bieten. tung haben Sie die Zuzahlungen bei Arzneimitteln von Ich war in Berlin Gesundheitssenator und weiß, dass wir 3 DM, 5 DM und 7 DM je nach Packungsgröße erhöht. Medikamente am Tempelhofer Flughafen für Ostdeutsche ausgegeben haben. Die Menschen waren froh, wenn sie (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Jetzt bezahlen sie älter als 65 Jahre waren, weil sie dann in den Westen kom- teilweise 100 Prozent! – Wolfgang Zöller men konnten und ordentliche Medikamente bekommen [CDU/CSU]: Sie waren mit dabei!) haben. Für diesen Zustand hatten Sie doch die Verant- – Am Anfang waren wir dabei. Sie haben aber die Zuzah- wortung! lungen im Jahr 1997 auf 4 DM, 6 DM und 8 DM und dann nochmals auf 9 DM, 11 DM und 13 DM angehoben! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Genau! Die haben nur (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber sie bekamen Wasser und Brot gekriegt!) die Leistung!) Wir brauchen ein Konzept für eine umfassende Ge- Und Sie haben die Erhöhung der Zuzahlungen dann noch sundheitsreform. Auf der Grundlage der Solidarität müs- an Beitragssatzerhöhungen gekoppelt. Wenn es nach Ih- sen wir den Weg hin zu mehr Eigenverantwortung, mehr nen gegangen wäre, liebe Kolleginnen und Kollegen von 17608 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Martin Pfaff (A) der CDU/CSU und F.D.P., lägen die Zuzahlungen der reformgesetz von Norbert Blüm war die Beitragssatzsta- (C) AOK Hessen heute bei 14 DM, 16 DM und 18 DM und bilität, im Gesundheitsstrukturgesetz, Herr Seehofer, wären nicht so, wie sie heute sind. Deshalb sage ich: Wer ebenfalls. Wie erreichen Sie denn, um Himmels willen, versucht, den Druck aus dem Kessel zu nehmen, indem er Beitragssatzstabilität, wenn Sie nicht sichern können, Leistungen kürzt oder Zuzahlungen erhöht, liefert kein dass die Gesamtausgaben nicht stärker steigen dürfen als Beispiel für Regierungskunst im Bereich der Gesund- die Einnahmen und die Grundlöhne? heitspolitik. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Dann darf man (Beifall bei der SPD – Dr. Dieter Thomae aber auch die Einnahmeseite nicht verschlech- [F.D.P.]: Und was sagt ihr?) tern!) Sie waren Weltmeister, wenn es um Verschiebebahn- Das ist exakt dasselbe in einem anderen Gewand. Deshalb höfe ging. Allein seit 1995 haben Sie Maßnahmen auf den ist es wirklich heuchlerisch, wenn Sie die Budgetierung Weg gebracht, die in ihrer Summe 49 Milliarden DM Zu- als Maßstab nehmen. satzbelastungen bis zum Jahr 2000 verursacht haben. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Herr Professor, jetzt aber Vorsicht!) CSU]: Gehen Sie doch bis 1933 zurück, dann Wir haben eine Reihe von Ansatzpunkten zur Verbes- haben Sie noch mehr!) serung der Situation begonnen, über eine weitere Reihe Deshalb sage ich: Wer im Glashaus sitzt, der sollte wahr- gilt es zu diskutieren. Es gibt die Garantie der Bundes- lich nicht mit Steinen werfen. regierung zur Entlastung der GKV als Ausgleich für Belastungen durch das Rentengesetz über 250 Milli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang onen DM. Es gibt auch die Zusage, dass Belastungen der Zöller [CDU/CSU]: Trotz dieser Mehrbelas- GKV, die durch die jüngsten Entscheidungen der Gerichte tung hatten wir aber einen Überschuss! Das ist entstehen, aufgefangen werden. ein gravierender Unterschied!) Sicher wird man auch über die Frage der Halbierung Sie haben uns einen Schuldenberg von 1,5 Billio- des Mehrwertsteuersatzes diskutieren müssen. nen DM hinterlassen. Sie haben Defizite bei den Ostkas- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ sen hinterlassen, das wurde schon gesagt. Die Situation CSU]: Da sind wir aber gespannt!) war keineswegs so, wie Sie sie geschildert haben. Ich sage das, wir haben es noch nicht getan. Sicher wird Wenn sich die Absenkung der Zuzahlungen und die man auch darüber diskutieren müssen, ob gesamtgesell- Entlastung der chronisch kranken Menschen schaftliche Leistungen der gesetzlichen Krankenversi- (B) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die chronisch cherung nicht über Steuern finanziert werden. (D) Kranken sind ja gar nicht entlastet worden!) (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ auf die Beiträge auswirken, hat das eine ganz andere so- CSU]: Für Fremdleistungen!) ziale und gesundheitspolitische Qualität, als wenn feh- Das sind weitere Möglichkeiten, die es aber sorgfältig ab- lende Strukturreformen und fehlende Steuerungsmaß- zuwägen gilt. nahmen dies tun. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Alles gute Ansätze, Herr Professor! – CSU]: Also dann darf der Beitrag erhöht wer- Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das können wir den!) gemeinsam machen!) Sie, Herr Kollege Seehofer, haben zeitliche Verzöge- Sicher wird man darüber diskutieren müssen, ob nicht die rungen moniert. Ich erinnere: 1992 haben wir in Lahnstein Beitragsbemessungsgrenze und/oder die Versicherungs- die Fallpauschalen im Krankenhaus beschlossen. Das Ge- pflichtgrenzen an die Rentenversicherung angepasst wer- setz trat am 1. Januar 1993 in Kraft. Jahre danach wurden den müssen. in Ihrer Regierungszeit die Fallpauschalen auf nur 25 Pro- zent des Leistungsgeschehens angewandt, Sonderentgelte (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Alte Kamellen!) auf 5 Prozent. Es ist für mich in keiner Weise einsichtig, warum die- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Aber vernünftig jenigen, die breite Schultern haben, diese Zusatzbelastun- und wohl überlegt!) gen nicht tragen sollten, wohingegen die Kranken immer höhere Zuzahlungen zu tragen haben. Wer solche Verzögerungen zu verantworten hat, darf wahrlich nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Das (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Herr Professor, Kreativität ist gefragt! – Wolfgang Lohmann müssen Sie wissen. [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Das ist Sozialis- Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ mus, was Sie jetzt sagen! – Gegenruf der Abg. CSU]: Das ist doch selbstverständlich! – Birgit Dr. Ruth Fuchs [PDS]: Steht in Ihrem Grundge- Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Sie wollten setz!) doch alles besser machen!) Im Übrigen: Natürlich wird die Frage der Finanzie- Dass Sie die Budgetierung hier immer kritisieren, finde rungsreform ein Thema sein. Wir werden es diskutieren. ich wirklich erstaunlich. Eine Forderung im Gesundheits- Schon im Herbst diesen Jahres wird es öffentliche Veran- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17609

Dr. Martin Pfaff (A) staltungen geben, in denen unter maßgeblicher Beteili- Sie ist aber kläglich gescheitert. Frau Schmidt, der Sturm (C) gung aller hier über die Perspektiven der Weiterentwick- lässt sich nicht dadurch verhindern, dass man einfach nur lung diskutiert wird. Ein Thema wird dabei die Finanzie- auf das Barometer starrt und es beschwört. Ihre Politik ist rung sein. Hier wird man eine Evaluation vornehmen so wechselhaft wie das Wetter: Gestern war ein Mindest- müssen. beitrag von 12,5 Prozent im Gespräch, heute sagen Sie, das sei das Geschwätz von gestern. Die Beiträge sollen Ich komme zum Schluss: Für mich ist es nicht einsichtig, nicht steigen und das Sonderkündigungsrecht bei Bei- (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wo ist das Kon- tragserhöhungen soll, wie wir hören, ersatzlos gestrichen zept?) werden. Die Beiträge steigen aber doch und die Kassen- wechsler sollen im schlimmsten Fall 18 Monate lang an warum wir uns, als wir arm waren, also in den 50er- und die höheren Beiträge gebunden sein. 60er-Jahren, die Solidarität in Deutschland leisten konn- ten, jetzt aber, da unsere Gesellschaft reicher wird, diese (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist Freiheit!) Solidarität nicht mehr möglich sein sollte. Frau Schmidt, letzte Woche sagten Sie, dass es eine (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Differenzierung in Grund- und Wahlleistungen mit Ihnen CSU]: Da gingen die Wachstumsraten rasant nicht gebe. Gestern lesen wir in dem Strategiepapier aus nach oben!) dem Kanzleramt, dass eine radikale Gesundheitsreform Einsparpotenziale von 30 bis 33 Prozent biete, heute soll Ich sage deshalb: Ein solidarisches Gesundheitswesen ist dieses nur noch ein unverbindliches Arbeitspapier sein. allemal kosteneffektiver und verteilungsgerechter. Die Fallen die Dementis zu heftig aus, wachsen die Zweifel an Privatisierung ist keine Perspektive für die Zukunft der der Glaubwürdigkeit Ihrer Aussagen. gesetzlichen Krankenversicherung. (Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten [SPD]: Was bauen Sie für einen Popanz auf!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS) Wie wir aus New York vernehmen konnten, sprechen Sie mittlerweile auch von dynamischen Leistungskatalo- gen. Wir erleben eine Politik aus dem Tollhaus. Die Ge- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich gebe das schwister Chaos und Murks herrschen in dieser Regie- Wort der Kollegin Annette Widmann-Mauz für die Frak- rung. All das, was sich auch in dieser Debatte abspielt, tion der CDU/CSU. sind panische Reaktionen auf das gesundheitspolitische Chaos und der Beweis für eine von Anfang an falsche Po- litik. Ob die Beitragssätze steigen, interessiert die Men- (B) Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Herr Präsi- (D) dent! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Professor schen heute; daran entscheidet sich, ob sie im nächsten Pfaff, wenn all das, was Sie gerade geschildert haben, zu- Jahr die Möglichkeit haben, Ausgaben tätigen zu können. träfe, müssten am heutigen Tag, an dem eindeutige Über- Diese Möglichkeit haben Sie beschnitten. schriften in den großen Medien zu lesen sind, draußen vor (Susanne Kastner [SPD]: Was Sie nicht der Tür Hunderttausende von Menschen stehen, die Solida- sagen!) ritätsbekundungen für diese Bundesregierung abgeben, weil sich die Versorgung der chronisch Kranken in unserem Land Die AOK Hessen erhöht ihre Beiträge um 1 Prozent. in den letzten zweieinhalb Jahren so dramatisch verbessert Selbst die AOK Baden-Württemberg muss ihre Beiträge habe. Ich vermisse diese. Das, was Sie hier beschreiben, um 0,7 Prozent erhöhen. Die anderen Kassen werden kann also nicht die Folge Ihrer Politik gewesen sein. nachlegen. Auch bei den Ersatz- und Betriebskrankenkas- sen wird es zu Erhöhungen kommen. Es ist nicht der An- (Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner fang, sondern die Fortsetzung der chaotischen rot-grünen [SPD]: Was soll denn der Quatsch hier!) Gesundheitspolitik, die zur Folge hat, dass der GKV das Rot-Grün ist sich über den Kurs in der Regierungspo- Wasser bis zum Hals steht. litik, was die Gesundheitsfragen angeht, uneins. (Beifall bei der CDU/CSU) (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das ist das Pro- Sie haben von uns stabile Beitragssätze und Über- blem von Rot-Grün!) schüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung durch Von Ihren eigenen Beratern wird Ihnen mittlerweile Ori- Horst Seehofer übernommen. Jetzt, in 2001 und in den entierungslosigkeit, Ratlosigkeit und Konzeptlosigkeit at- kommenden Jahren, gibt es Milliardenverluste. Diese testiert. Sie haben kein Gesamtkonzept. Sie tun so, als sei sind nicht vom Himmel gefallen, sondern haben hausge- alles wunderbar. Warum haben Sie denn dann Frau machte Gründe. Die Verschiebebahnhöfe hat selbst die Fischer aus dem Amt gejagt? Kollegin von der PDS genannt. Der gesamtdeutsche Finanzausgleich kommt hinzu. Nachdem Frau Schmidt Gesundheitsministerin wurde, Es ist interessant, Sie einmal an dem zu messen, was begann eine Hypnosephase. Sie startete mit einer Sie in der Koalitionsvereinbarung geschrieben haben. Charme-Offensive, bunten Trostpflästerchen und Beruhi- Diese Vereinbarung ist mittlerweile ein Katalog der ge- gungspillen. brochenen Versprechen geworden: Arbeitsplätze wurden (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Das hat Sie versprochen, Beitragssatzstabilität wurde versprochen, aber geärgert!) Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent wurden 17610 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Annette Widmann-Mauz (A) versprochen. Aber Ihre Versprechen haben kurze Beine. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich erteile (C) Die Konjunktur schwächelt, die Arbeitslosigkeit sinkt das Wort der Kollegin Dr. Thea Dückert für die Fraktion nicht, die Inflation beträgt 3,5 Prozent, Bündnis 90/Die Grünen. (Susanne Kastner [SPD]: Ein Glück, dass Sie (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Uns fehlt die nicht mehr an der Regierung sind!) Frau Knoche!) die Lohnnebenkosten steigen auf über 40 Prozent, Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Susanne Kastner [SPD]: Ach, Unsinn!) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich die Menschen haben Monat für Monat weniger Geld und finde es schon richtig, dass hier immer wieder angemerkt bekommen schlechtere oder weniger Leistungen. Das ist wird, dass wir über weitere Schritte einer qualifizierten die logische Folge politischer Fehlentscheidungen in Ih- Form des Gesundheitswesens diskutieren müssen und insbesondere darüber, wie es uns gelingt, auch weiterhin rer Regierungszeit. den Trend der sinkenden Beiträge (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Susanne Kastner [SPD]: In welcher Zeit leben CSU]: „Den Trend der sinkenden Beiträge“?) Sie eigentlich?) für die Sozialversicherung, das heißt für die Lohnneben- Ich sage Ihnen eines: Wirtschaftliche Zwänge kennen kosten insgesamt, abzusichern. nicht die Opportunität von politischen Terminen. Bis zur Bundestagswahl 2002 kann in der gesetzlichen Kranken- Aber ich finde, Herr Kollege Fink, Herr Kollege versicherung nicht mehr gewartet werden. Deshalb kom- Seehofer oder Herr Kollege Lohmann, das sollten wir men Sie doch heraus mit Ihren Vorstellungen! dann doch auf der Basis der Tatsachen tun. Dann sollten Sie zum Beispiel nicht, wie Sie das hier getan haben, (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Die haben doch verschweigen, dass Sie die Gesundheitsreform 2000 in keine!) ganz wesentlichen Punkten gekippt haben, Herr Pfaff, Sie waren doch schon recht konkret. Warum (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ bringen Sie Ihre Vorstellungen nicht hier in diesem Hause CSU]: Nur Stichwort Globalbudget! Alles an- ein? Es ist notwendig. Täuschen Sie die Menschen nicht dere ist durchgelaufen! Jetzt nicht rausreden!) vor der Bundestagswahl, die notwendig gewesen wären, um weitere Reform- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schritte im Gesundheitswesen voranzubringen. (B) (D) um ihnen nach der Bundestagswahl noch tiefer in die Ta- Sie sollten sich auch nicht hier hinstellen und davon re- schen zu greifen, ohne ein schlüssiges Konzept zu haben. den, dass Sie das Gesundheitswesen und insbesondere die Beiträge in einer stabilen Situation hinterlassen haben. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Wie bei der Das ist definitiv die Unwahrheit; das ist falsch. Rente!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Wenn Sie sagen, mit den Maßnahmen, die Sie jetzt auf SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – den Weg bringen, würde die finanzielle Krise bewältigt, Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ kann ich nur feststellen: Nein, Sie verschärfen sie sogar CSU]: Das ist wahr! Das ist doch nicht zu fas- teilweise noch. Sie erzählen uns immer nur, wie Sie die sen!) Arzneimittelausgaben beschränken, aber Sie erzählen den Weil das falsch ist, möchte ich Ihnen doch die nüchternen Menschen nicht, dass Sie auch den Kollektivregress Zahlen noch einmal nennen. zurücknehmen und damit wieder Mindereinnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung haben. In den 90er-Jahren So kann man mit den Menschen in unserem Land nicht (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ umgehen. Die Situation ist ernst. Sie haben die Dinge CSU]: Nein! Ich habe gesagt, 1993 bis 1998!) schleifen lassen und versäumt, rechtzeitig schlüssige Re- formen auf den Weg zu bringen. sind die Beiträge zu den Sozialversicherungen galoppie- rend gestiegen. Wir haben diesen Galopp beendet. Wir (Susanne Kastner [SPD]: Nun ist aber die Kla- haben eine Trendwende eingeleitet. gerei zu Ende!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die wirklichen Probleme werden weder angepackt noch und bei der SPD – Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: gelöst. Dies ist für unsere Versicherten, die Menschen in Wann?) unserem Land, eine Zumutung. Ändern Sie endlich radi- kal den Kurs; es ist notwendig! Wir hatten in den Jahren 1990 bis 1998 eine Steigerung der Lohnnebenkosten, der Sozialversicherungsbeiträge, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – von 35,8 Prozent auf 42,1 Prozent. Wir hatten in dieser Susanne Kastner [SPD]: Fünf Minuten können Zeit eine Steigerung der Krankenversicherungsbeiträge sehr lang sein, wenn Sie sprechen, Frau von 12,8 Prozent auf 13,6 Prozent. Auch im letzten Jahr Widmann-Mauz!) vor der Regierungsübernahme, von 1997 auf 1998, gab es Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17611

Dr. Thea Dückert (A) noch einmal eine Steigerung der Krankenversiche- an beschäftigungspolitischer Entspannung schon erreicht (C) rungsbeiträge um 0,3 Prozentpunkte. haben. Und da stellen Sie sich hier hin und behaupten im Danke schön. Ernst, Sie hätten eine stabile Beitragsentwicklung hinter- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lassen. Das ist definitiv nicht richtig! und bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der SPD: Dummes Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die Gemauschel war das!) CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Wolfgang Zöller. Wir haben heute ein Niveau der Nebenkosten von 40,8 Prozent. Sie haben 42,1 Prozent hinterlassen. Der Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe größte Beitrag zu dieser Senkung ist durch die Renten- Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lassen Sie mich kurz auf reform, einen einmaligen Vorgang von gestern zurückkommen, (Zuruf von der F.D.P.: Ökosteuer!) damit man die Art und Weise des Umgangs mit dem Par- lament erkennt. ist durch die Beiträge zur Rentenversicherung – Sie haben Recht, durch die Ökosteuer – erzielt worden. Wir haben (Zuruf von der F.D.P.: Das war ein starkes im gleichen Zeitraum die Beiträge zur gesetzlichen Kran- Stück!) kenversicherung stabil gehalten. Das ist vor dem Hinter- 40 Minuten vor der Regierungsbefragung teilt man uns grund der schwierigen Situation gerade in der Kranken- mit, dass man das Thema wechseln möchte. Es sollte statt versicherung eine wirklich gute Leistung gewesen. Und über den Länderfinanzausgleich über die gesetzliche wir haben die Beiträge in der Arbeitslosenversicherung Krankenversicherung gesprochen werden, obwohl das stabil gehalten. Bundeskanzleramt eigentlich wissen musste, dass a) die Ministerin zu diesem Zeitpunkt in Amerika war und Meine Damen und Herren, was die Ernsthaftigkeit, den b) zum gleichen Zeitpunkt der Gesundheitsausschuss im Willen, die Beitragsentwicklung zu stabilisieren, und Roten Rathaus tagte. Da bedurfte es einer Geschäftsord- zwar in allen Sozialversicherungssystemen, in der Kran- nungsdebatte, um dieses unsinnige Vorgehen zu verhin- kenversicherung, in der Rentenversicherung, in der Ar- dern. beitslosenversicherung, anbelangt, können Sie uns nun wirklich nichts vormachen. Wir haben nicht geredet, son- Meine Damen und Herren, wenn sich dann noch Ihr dern in diesen Bereichen gehandelt. Ich sage Ihnen: Wir Parlamentarischer Geschäftsführer hier hinstellt und sagt, (B) werden diese Politik fortsetzen! warum regt ihr euch überhaupt auf, ihr wolltet doch schon (D) immer über Gesundheit reden, erkennt man: Die Macht- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN arroganz ist wirklich nicht mehr zu überbieten! und bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lüden- scheid] [CDU/CSU]: Jetzt aber keine Dro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) hung!) Nun zu Ihnen, Frau Ministerin: Sie versuchen, sich im- In der aktuellen Situation ist es ganz sicher so, dass die mer wieder mit der Behauptung herauszureden, dass die notwendigen Reformschritte auch im Gesundheitswesen jetzige kritische Situation der gesetzlichen Krankenver- die Beitragsstabilisierung garantieren müssen und garan- sicherung eine Erblast von Horst Seehofer sei. Dass diese Äußerung falsch ist, kann Ihnen jeder seriöse Fachkenner tieren können. beweisen und vorrechnen. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Was hat Ihre Rot-Grün bekam ein Gesundheitssystem übergeben, in Ministerin gemacht?) dem die Beitragssätze über sechs Jahre stabil waren. Es ist In der aktuellen Situation ist es so, dass ein zusätzlicher doch unredlich, wie Sie mit Zahlen umgehen. Wir haben Beitrag zur Senkung der Lohnnebenkosten allerdings 1992 gemeinsam mit der SPD eine Reform beschlossen, über die Arbeitslosenversicherung erbracht werden kann und 1993, 1994, 1995, 1996, 1997 und 1998 waren die und erbracht werden muss. Wir haben in den letzten Jah- Beiträge stabil. Das ist nachzulesen! ren mit dieser Politik der Beitragssenkung, der Senkung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Sozialabgaben und der Steuern positive Beiträge zur Beschäftigungsentwicklung geleistet. Diese Beiträge Man sollte wenigstens die Zahlen zur Kenntnis nehmen. werden sich in den nächsten Jahren weiter auszahlen. Wir Hinzu kommt – das sage ich, wenn Sie uns vorhalten, haben aufgrund der Arbeitsmarktentwicklung – sinkende auch wir hätten Fehler gemacht, weil wir Umschichtun- Arbeitslosenzahlen, steigende Beschäftigtenzahlen – Luft. gen mit versicherungsfremden Leistungen vorgenommen Auch wenn sich der Trend abschwächt, haben wir diese haben –: Trotz dieser Umschichtungen gab es in der ge- positiven Daten. setzlichen Krankenversicherung, als sie übergeben wur- Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: In der Kran- de, einen Überschuss. Mit anderen Worten: Trotz dieser kenversicherung können wir die Beiträge stabilisieren. Maßnahmen gab es einen Überschuss und über sechs, sie- Das ist unser politischer Beitrag. In der Arbeitslosenver- ben Jahre hinweg stabile Beiträge. sicherung können wir im nächsten Jahr mit den Beiträgen (Klaus Kirschner [SPD]: Aber nur durch heruntergehen. Das wäre die Umsetzung dessen, was wir Selbstbeteiligungserhöhungen!) 17612 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Wolfgang Zöller (A) Meine sehr geehrten Damen und Herren, Pläne für eine „radikale“ Gesundheitsreform (zu- (C) lasten der Patienten) und dann ist das wieder nur ein (Zuruf von der SPD: Sie haben nach 16 Jahren zusätzlicher Belastung 2 Milliarden DM Über- „unverbindliches Arbeitspapier“. Dann spricht die schuss gehabt!) Ministerin von „dynamischen Leistungskatalogen“, die immer wieder überprüft werden sollen. Alles po- es wäre wesentlich sinnvoller gewesen, diese finanziell litische Leerformeln. Keiner blickt mehr durch. So, stabile Zeit zu nutzen, um mit allen Beteiligten an einer Frau Ministerin, verspielt man Vertrauen in die wirksamen Reform zu arbeiten. Rot-Grün hat diese große Gesundheitspolitik. Chance vertan. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Zu- Sie haben sich anscheinend auch viel mehr damit ruf von der F.D.P.: Die Gesundheitslüge!) beschäftigen müssen, ständig neue Ministerinnen einzu- arbeiten, neue Staatssekretäre und Abteilungsleiter zu be- nennen, statt sich um die tatsächlichen Probleme zu küm- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Als letzter mern. Rednerin in dieser Aktuellen Stunde gebe ich der Kolle- gin Marga Elser für die SPD-Fraktion das Wort. (Dr. Dieter Thomae [F.D.P.]: Das hat eine Menge gekostet!) Marga Elser (SPD): Herr Präsident! Meine Kollegin- Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass Kran- nen und Kollegen! Es ist eben nicht richtig, was Sie sagen, kenkassen jetzt gezwungen sind, die Beiträge sehr dras- denn wir hatten an Beitragssätzen in der Krankenver- tisch zu erhöhen – zum Teil um 7,25 Prozent –, ist aus- sicherung – wir brauchen uns nur die Zahlen genau anzu- schließlich auf Fehlleistungen und Fehlentscheidungen gucken – 1995 13,15 Prozent, 1996 13,48 Prozent, 1997 von Rot-Grün zurückzuführen. Ich nenne jetzt nur einige Beispiele, die Rot-Grün allein zu verantworten hat. 13,58 Prozent und 1998 13,62 Prozent. Erstens. Sie haben den Krankenkassen zusätzlich die (Widerspruch bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Instandhaltungskosten für die Krankenhäuser aufgebür- Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ det. CSU]: Was war 1993? Sie müssen einmal 1993 dazu nehmen! – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: (Zuruf von der F.D.P.: Das sollte man einmal Sie müssen mit 1993 und 1994 anfangen!) schriftlich festhalten!) Im Gegensatz dazu senkt diese Koalition die Lohnneben- Zweitens. Sie haben die Beitragsbemessungsgrundla- kosten (B) gen für Arbeitslose gesenkt – Geschenk an Riester zulas- (D) ten der Versicherten! (Beifall bei der SPD – Zuruf von der F.D.P.: Ja, ja! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Drittens. Sie haben die Beiträge für den Bezug von Ar- CSU]: Und kassiert an den Tankstellen!) beitslosenhilfe gesenkt – Geschenk an Riester zulasten der Versicherten! und das ist nach wie vor richtig. Im Gesundheitsbereich haben wir ja – das ist etwas anders als bei der Rentenver- Viertens. Die Minderung der Beiträge für Rentner sicherung; das ist völlig richtig – ein Zusammenspiel von durch Ihre willkürliche Absenkung des Rentenniveaus vielen Kräften. geht wiederum zulasten der gesetzlichen Krankenver- sicherung. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Sie verschlechtern massiv die Einnahmeseite und wun- CSU]: Ja, es wogt hin und her, vor und zu- dern sich dann, dass die Beiträge steigen. rück!) Ihr Meisterstück, sehr geehrte Frau Ministerin, war Das sind alles Leute, die auch mit entscheiden. Es gibt aber die Ankündigung der Arzneimittelbudgetaufhebung, die Krankenversicherung, die Patienten, die Selbstver- ohne vorher wirksame Alternativen festzulegen, die eine waltung, die Ärzte, die Krankenhäuser, die Pharmain- Kostensteigerung verhindert hätten. dustrie und die Beschäftigten. Insofern muss man schon sehen, dass Sie hier etwas verbreiten, das einfach nicht Neuerdings kann man in der Presse von Plänen des stimmt. Kanzleramts lesen, dass die Bürger für ihre Gesundheit mehr zahlen müssten – allerdings erst nach der Bundes- Natürlich ist es so, dass uns die Situation steigender tagswahl 2002. Ich habe eine ganz große Bitte: Seien Sie Beitragszahlungen nicht passt. Dass wir für die Senkung ehrlich und sagen Sie endlich der Bevölkerung vor der der Lohnnebenkosten eigentlich eher eine Minderung ge- Wahl, was Sie vorhaben. Sonst müsste man wie der „Köl- wollt hätten, ist auch richtig. Aber auf der anderen Seite ner Express“ zu der Meinung kommen – mit diesem Zitat sage ich Ihnen, dass Sie keinen Grund haben, uns diese möchte ich schließen –: Beitragssatzerhöhung anzukreiden. Mal spricht Gesundheitsministerin Schmidt von (Beifall bei der SPD) Mindestbeitrag. Dann ist das wieder „Geschwätz von Wir liegen mit den Lohnnebenkosten immer noch besser gestern“. Nein, die Beiträge sollen nicht steigen. als Sie, Dann steigen sie doch, weil die Arzneimittelbudgets kippen sollen. Mal gibt’s bei der Bundesregierung (Zuruf von der SPD: Wir sind sowieso besser!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17613

Marga Elser (A) und gleichzeitig werden wir natürlich alles dafür tun, Medikamente kosten. Hier erwarten wir auch ein Handeln (C) diese Beitragssatzerhöhung so bald wie möglich obsolet der Selbstverwaltung. Da muss etwas kommen! zu machen. (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Marga, da hast du Ich meine, dass wir eine Medizin brauchen, die für die Recht!) Patienten das ausgibt, was diese brauchen, aber nicht für Ich möchte nur noch einmal daran erinnern – dabei umstrittene Arzneimittel. Ich appelliere in diesem Zusam- gehe ich gar nicht vor das Jahr 1998 zurück, weil ich da- menhang natürlich auch an die Krankenkassen, aber auch mals noch nicht hier war –, was Sie beispielsweise in an die Kassenärztliche Vereinigung, dass wir auf diesem Ihrem Antrag zum Pflege-Leistungsverbesserungsgesetz Sektor zusammenarbeiten. Dann können wir auch diese vorgeschlagen haben. Sie wollten 1,5 Milliarden DM aus Einsparungen erzielen. der gesetzlichen Krankenversicherung für die Pflege De- (Beifall bei der SPD) menzkranker verwenden. Die Wirtschaftlichkeit ist gerade in diesem großen Ge- (Zuruf von der SPD: Hört! Hört! – Wolfgang sundheitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Behand- unendlich wichtig. Man kann nicht so, wie Sie es machen, lungspflege, das gehört da rein!) auf der einen Seite alles fordern, was lieb und teuer ist, – Ja, gut. Aber die Krankenkassen haben es natürlich ab- und auf der anderen Seite versuchen, uns vorzuführen, gelehnt, dass die Behandlungspflege durch die GKV be- weil die Krankenversicherungsbeiträge erhöht werden zahlt werden soll. sollen. Dies ist kein fairer Wettbewerb. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CSU]: Wir haben einen Finanzierungsvor- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlag gemacht!) – Sie haben mit ungedeckten Schecks etwas Gutes tun Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Die Aktuelle wollen. Stunde ist beendet. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungs- punkte 5 a bis 5 e sowie den Zusatzpunkt 7 auf: (Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Nein!) 5 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag Alles, was Sie bisher an GKV-relevanten Maßnahmen von Nizza vom 26. Februar 2001 vorschlagen, würde grundsätzlich zur Erhöhung der (B) Beiträge führen. – Drucksache 14/6146 – (D) (Ulf Fink [CDU/CSU]: Ich werde Ihnen das Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union (f) noch einmal zeigen beim Finanzierungsvor- Auswärtiger Ausschuss schlag!) Innenausschuss Rechtsausschuss Was gesundheitspolitisch Ihre einzige große Leistung Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ist, ist der Vorschlag der Grundversorgung, bei der die Pa- Verteidigungsausschuss tienten tief in die eigene Tasche greifen müssten. b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Siehe Kanzler- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu amt! – Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] dem Beschluss des Rates vom 29. September [CDU/CSU]: Ist ja unmöglich, was der Herr 2000 über das System der Eigenmittel der Eu- Schröder alles vorhat! Den würde ich ab- ropäischen Gemeinschaft wählen! – Lachen bei der SPD!) – Drucksache 14/6142 – Wir wollen, dass es eine gute medizinische Versorgung aller Patienten in Deutschland gibt. Wir sind auch der (Erste Beratung 173. Sitzung) Meinung, dass die Krankenkassenbeiträge insgesamt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- nicht steigen werden. Dafür tun wir auch einiges; das ist ses für die Angelegenheiten der Europäischen schon mehrmals gesagt worden. Union (22. Ausschuss) Aber wir wollen natürlich auch die Positivliste. Wir brauchen auch mehr Kontrolle und eine gesicherte Daten- – Drucksache 14/6464 – lage. Erhebliche Einsparmöglichkeiten gibt es bei den Berichterstattung: Medikamenten. Gerade bei den Medikamenten, die Abgeordnete Rainer Fornahl schließlich ein Grund dafür sind, dass die Kosten so stark Ursula Heinen gestiegen sind, müssen wir genau nachschauen, was ver- Christian Sterzing ordnet wurde. Ich meine, dass es sich oft um Pseudoinno- Dr. Helmut Haussmann vationen oder um umstrittene Arzneimittel handelt, für die Uwe Hiksch sehr viel Geld ausgegeben wird. Wir merken eben, dass es Präparate gibt, die nicht besser sind als andere, die aber c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- beispielsweise 70-mal mehr als andere, gleich viel werte gierung Bericht der Bundesregierung über die 17614 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Bemühungen zur Stärkung der gesetzgeberi- – zu dem Antrag der Abgeordneten Wolfgang (C) schen Befugnisse des Europäischen Parlaments Gehrcke, Dr. Gregor Gysi, Uwe Hiksch, wei- 2000 terer Abgeordneter und der Fraktion der PDS – Drucksache 14/5221 (neu) – Die Europäische Union als Zivilmacht aus- bauen Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union (f) – Drucksachen 14/4733, 14/4732, 14/4666, Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäfts- 14/4653, 14/5386 – ordnung Auswärtiger Ausschuss Berichterstattung: Innenausschuss Abgeordnete Michael Roth (Heringen) Rechtsausschuss Peter Hintze Christian Sterzing d) Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht Ernst Burgbacher des Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu- Uwe Hiksch ropäischen Union (22. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Klaus Grehn, Uwe Hiksch, ZP 7 Beratung des Antrag der Abgeordneten Uwe Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Roland Claus und der Fraktion der PDS Fraktion der PDS Für eine verbindliche und erweiterbare Eu- Vertrag von Nizza nachverhandeln ropäische Charta der Grundrechte – Drucksache 14/6443 – – Drucksachen 14/4654, 14/5379 – Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union (f) Berichterstattung: Auswärtiger Ausschuss Abgeordnete Dr. Jürgen Meyer (Ulm) Rechtsausschuss Peter Altmaier Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Claudia Roth (Augsburg) Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Uwe Hiksch Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst das Wort e) Beratung der Beschlussempfehlung und Bericht für die SPD-Fraktion dem Kollegen Günter Gloser. (B) des Ausschusses für die Angelegenheiten der Eu- (D) ropäischen Union (22. Ausschuss) Günter Gloser (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was ist nicht alles über die – zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- Regierungskonferenz von Nizza und deren Ergebnisse neten Günter Gloser, Hans-Werner Bertl, geschrieben worden! Was ist nicht alles kritisiert worden! Hans Büttner (Ingolstadt), weiterer Abgeord- In einer Reihe von Debatten haben wir deutlich gemacht: neter und der Fraktion der SPD sowie der Ab- Wir haben uns mehr erwartet. In einigen Punkten wären geordneten Christian Sterzing, Claudia Roth in der Tat weiter gehende Änderungen notwendig gewe- (Augsburg), Ulrike Höfken, weiterer Abge- sen. ordneter und der Fraktion des BÜNDIS- SES 90/DIE GRÜNEN (Zuruf von der F.D.P.: Ja!) Aber bei aller Kritik dürfen wir doch nicht das große Ziel zur Abgabe einer Erklärung der Bundesre- aus den Augen verlieren. Es geht um die Einigung unse- gierung zum bevorstehenden Europäischen res Kontinents in Frieden und Demokratie. Welche Rat in Nizza am 7./8. Dezember 2000 Perspektive für diesen Kontinent! Welche Perspektive für seine Menschen! Welche Perspektive aber auch für unser – zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Land! Hintze, Peter Altmaier, Rente Blank, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Der Europäische Rat von Nizza muss zum Erfolg für Europa werden Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Maas- tricht und in Amsterdam standen die institutionellen Re- – zu dem Entschließungsantrag der Abgeord- formen bereits auf der Tagesordnung. Diese Regierungs- neten Uwe Hiksch, Dr. Klaus Grehn, Dr. Gregor konferenzen haben darauf keine Antworten gefunden; sie Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion sind daran gescheitert. In Nizza haben die Staats- und Re- der PDS gierungschefs eine Lösung gefunden. Schon deshalb ist Nizza bei aller sicher berechtigten Kritik ein Erfolg. Sechs zur Abgabe einer Erklärung der Bundesre- Monate nach Nizza ist es an der Zeit, eine nüchterne Bi- gierung zum bevorstehenden Europäischen lanz zu ziehen. Dies wird offensichtlich auch dem Euro- Rat in Nizza vom 7. bis 9. Dezember 2000 päischen Parlament immer bewusster und wenn ich das Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17615

Günter Gloser (A) richtig verstanden habe, ist sogar die F.D.P. dabei, ihre kleineren Mitgliedstaaten nicht auf einen eigenen Kom- (C) bislang ablehnende Haltung zu überdenken. Grundsätz- missar verzichten. lich gilt: Wir brauchen den Vertrag. Ohne ihn können wir Aus deutscher Sicht bleibt festzuhalten, dass die de- die Erweiterung nicht vollziehen. mokratische Legitimation der Ratsbeschlüsse in Nizza In Berlin hat die Europäische Union unter deutscher gestärkt wurde. Das gilt vor allem für das Prinzip der dop- Ratspräsidentschaft den finanziellen Rahmen für die Er- pelten Mehrheit. weiterung beschlossen. Der Vertrag von Nizza darf insgesamt nicht als ein (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nicht beschlos- Rückschritt betrachtet werden. Er ist vielmehr ein wichti- sen!) ger Schritt auf dem Wege zu einem vereinten Europa. In Nizza wurden die institutionellen Voraussetzungen für (Zuruf von der CDU/CSU: Eine Seitwärts- die Erweiterung geschaffen. bewegung!) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Nicht geschaf- Wir dürfen auch nicht übersehen, dass mit dem Vertrag fen!) von Nizza trotz allem die Integrationsqualität gestiegen ist: Die Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit im Damit hat die Europäische Union die beiden zentralen Be- Rat wurden auf weitere Bereiche ausgedehnt. Die ver- dingungen für ihre Erweiterungsfähigkeit erfüllt. stärkte Zusammenarbeit ist entschlackt worden. Die euro- (Weitere Zurufe des Abg. Dr. Gerd Müller päische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nimmt [CDU/CSU]) deutliche Konturen an. Die Verabschiedung der Grund- rechtecharta ist ein Fundament auf dem Weg zu einer Ver- – Herr Müller, ich weiß, an der Stelle sind Sie nicht lern- fassung der Europäischen Union. fähig. Deshalb sind Ihre Zwischenrufe ohne Belang. Unsere Aufgabe ist es nun, den Vertrag von Nizza zu (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ratifizieren. Bundesregierung und Bundesrat haben be- DIE GRÜNEN) reits ihre Standpunkte bezogen. Die Stellungnahmen zei- Das sehen die Beitrittsländer genauso. Deren Reak- gen, dass beide Verfassungsorgane an ihren unterschied- tion auf Nizza, Herr Müller, sollten Sie entsprechend be- lichen Rechtsstandpunkten festhalten. Der Bundesrat werten. Deshalb fällt deren Bewertung der Ergebnisse besteht auf einer Ratifizierung des Vertrages von Nizza von Nizza uneingeschränkt positiv aus. Im Unterschied mit verfassungsändernder Mehrheit. zur umfassenden Medienkritik an den Ergebnissen von (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Recht hat er!) Nizza haben unsere Partner aus den Beitrittsländern die (B) Botschaft von Nizza sehr wohl verstanden. Die Bundesregierung hält eine Ratifizierung mit einfa- (D) cher Mehrheit für ausreichend. (Zuruf von der F.D.P.: Sind Sie aber beschei- den!) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Jede Minute denken die anders!) In Nizza haben die Staats- und Regierungschefs auch einen Fahrplan für den Verhandlungsprozess vereinbart. Unser politisches Ziel sollte es sein, die Ratifizierung In Göteborg haben sie den Fahrplan präzisiert. Sie wollen rechtlich unanfechtbar und rechtzeitig vor dem Europä- die Verhandlungen mit den am besten vorbereiteten Bei- ischen Rat in Laeken im Dezember 2001 abzuschließen. trittskandidaten bis Ende 2002 abschließen. Wohl wahr, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ das ist eine ehrgeizige Zielvorgabe, aber wir wollen es ge- DIE GRÜNEN – Dr. Gerd Müller [CDU/ meinsam schaffen. CSU]: Wovor hat man denn Angst, wenn man Aber auch für die europäische Integration bringt der nicht einmal eine breite Mehrheit im Parlament Vertrag Fortschritte. Dies darf nicht darüber hinwegtäu- will? Diese Geheimdiplomaten!) schen, dass der Vertrag die Handlungsfähigkeit der Euro- – Für uns steht die politische Bedeutung des Vertrages, päischen Union nicht so weit gestärkt hat, wie wir – ich lieber Herr Kollege Müller, im Vordergrund. denke, fraktionsübergreifend – bis vor Nizza gefordert hatten. Der Übergang zur qualifizierten Mehrheit konnte (Uwe Hiksch [PDS]: Dann müssen Sie sich in vielen politischen, sensiblen Bereichen nicht erreicht anders verhalten!) werden. Dafür muss man Gründe nennen: Ausschlagge- Deshalb sind wir der Auffassung, dass sich der Bun- bend war das Beharren auf nationalen Interessen. Wenn destag im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens par- Europa vorankommen will, muss hier ein Umdenken teiübergreifend auf die Ratifizierung des Vertrages von Niz- stattfinden. Wer für mehr Integration eintritt, muss bei za mit verfassungsändernder Mehrheit verständigen sollte. sich zu Hause – also auch wir bei uns hier – dafür die Voraussetzungen schaffen. Die Regierungskonferenz in (Peter Hintze [CDU/CSU]: Sehr gut! – Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Gut! – Uwe Hiksch Nizza war deshalb so schwierig, weil es auch um die Neu- [PDS]: Das müssen Sie aber Ihrer Regierung verteilung institutioneller Macht ging. Daraus müssen wir noch beibringen!) die Lehre ziehen, dass das Machtgleichgewicht zwischen großen und kleineren Mitgliedstaaten eine elementare Vo- Damit wäre eine zügige Ratifizierung des Vertrages raussetzung für das Funktionieren der Europäischen von Nizza gewährleistet und damit erreichen wir Union ist. Deshalb konnten und wollten zum Beispiel die Rechtssicherheit in Bezug auf den Bundesrat. Diese 17616 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Günter Gloser (A) Rechtssicherheit im Hinblick auf den Vertrag von Nizza Die Aufgabenverteilung zwischen der nationalen und der (C) ist von deutschem, aber auch von europäischem Interesse. europäischen Ebene muss deshalb auf den Prüfstand. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Richtig!) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Drittens. Die demokratische Legitimation auf der eu- CDU/CSU) ropäischen Ebene kann auf absehbare Zeit nicht auf die Bei einer umfassenden Würdigung der Ergebnisse von Art und Weise erfolgen, wie dies in den Mitgliedstaaten Nizza darf die Erklärung zur Zukunft der Europä- möglich ist. Deshalb ist es richtig, dass wir uns während ischen Union nicht fehlen. Mit dieser Erklärung haben des Reformprozesses auf dem Weg zur Regierungskonfe- die Staats- und Regierungschefs den Beginn eines verfas- renz 2004 mit der Frage befassen, wie die Rolle der na- sunggebenden Prozesses für die Europäische Union ein- tionalen Parlamente gestärkt werden kann. geleitet. Ich will hier ganz deutlich sagen: Diese zu- kunftsweisende Erklärung hätte es ohne die intensive (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Überzeugungsarbeit von Bundeskanzler Schröder und Viertens. Wir müssen klären – da gibt es für uns ei- Außenminister Fischer bei unseren Partnern und ohne die gentlich gar keinen großen Klärungszwang –, wie die intensive Zusammenarbeit mit der damaligen ita- Grundrechtecharta in die Verträge integriert und rechts- lienischen Regierung nicht gegeben. Deshalb sollten wir verbindlich werden kann. dem Bundeskanzler und auch Ihnen, sehr geehrter Herr Außenminister, ganz herzlich dafür danken. Ich will eine weitere Aufgabe nennen: Wir müssen uns der Frage stellen, wie das Verhältnis der europäischen In- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ stitutionen zueinander weiterentwickelt werden soll. Wol- DIE GRÜNEN) len wir einen immer stärker werdenden Rat auf Kosten der Wo stünden wir denn heute, wenn wir diese Erklärung Europäischen Kommission, das heißt, wollen wir in Rich- nicht hätten? Wo stünden wir heute, wenn wir keine De- tung auf eine Zusammenarbeit der Regierungen gehen, batten über die besten Konzepte für Europa, keine Debatte oder wollen wir mehr einen Integrationsansatz, das heißt, über eine Verfassung hätten? Die Erklärung zur Zukunft die Vergemeinschaftung stärken und damit neben dem Rat der Europäischen Union ist ein schlagender Beweis dafür, das Gewicht der Europäischen Kommission und des Eu- dass die Bundesregierung ihr europapolitisches Hand- ropäischen Parlaments ausbauen? Dies ist sicherlich von werk versteht. unserer Seite zu befürworten. Besonders wichtig ist, dass es vor der nächsten Regie- Parlamentarisierung heißt aber auch, dass wir die eu- rungskonferenz eine breite öffentliche Debatte über die ropäischen Verträge nicht mehr so wie bisher reformieren können. Das Instrument der Regierungskonferenz ist an (B) Reform der Europäischen Union gibt. Wir stellen uns (D) damit dem Befund, dass die Zustimmung der Bürgerinnen seine Grenze gestoßen. Deshalb treten wir mit Nachdruck und Bürger zum europäischen Projekt in den letzten Jah- dafür ein, für die Reform 2004 ein Gremium, ähnlich dem ren ziemlich stetig gesunken ist. Europa ist in die Schlag- Konvent für die Formulierung der Grundrechtecharta, zeilen geraten – und das nicht nur, seit es BSE oder MKS, einzusetzen. In Anlehnung an die Aussage von Willy sprich: die Maul- und Klauenseuche, gibt. Brandt „Mehr Demokratie wagen“ sage ich: Wir müssen in Europa mehr Parlament wagen. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Seit Österreich und Berlusconi!) Aber ich muss dazu sagen: Der Konvent wird kein All- heilmittel für all die vielen Schwierigkeiten sein, die es auf Viele Bürgerinnen und Bürger verstehen Europa nicht dem Weg zu einer europäischen Integration immer noch mehr. – Manche verstehen davon aber vielleicht mehr als gibt und auch künftig geben wird. Wer Europa voranbrin- Sie, Herr Müller. – Sie haben eben nicht das Gefühl, dass gen will, muss im Zweifel nationale Interessen hintanstel- es auf ihre Stimme ankommt. Brüssel, die europäischen len und für das europäische Interesse eintreten. Das ist die Institutionen haben für sie kein Gesicht. wichtigste Lehre, die wir aus Nizza ziehen müssen. Wenn Mit der Regierungskonferenz 2004 haben wir die wir diese Lehre verstanden hätten, wäre mir um die Zu- Chance, Europa den Bürgerinnen und Bürgern zurückzu- kunft Europas nicht bange. geben. Kurz: Wir wollen die demokratische Legitimation Vielen Dank. in der Europäischen Union stärken. Darum brauchen wir eine Parlamentarisierung und Demokratisierung der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ europäischen Institutionen. DIE GRÜNEN) Worum muss es also im Jahre 2004 und vor allem da- vor gehen? Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Peter Hintze. Erstens. Wenn jeder Bürger im Prinzip verstehen soll, wie die Europäische Union funktioniert, müssen die eu- ropäischen Verträge lesbarer werden. Peter Hintze (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Vertrag von Nizza ist Zweitens. Verständlich kann die Europäische Union durch das Nein der irischen Bevölkerung neu in den für die Bürgerinnen und Bürger aber nur dann werden, Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Viele Bürger in wenn klar ist, wer wofür verantwortlich ist. Europa empfinden angesichts der Kompliziertheit und (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Richtig!) Undurchschaubarkeit der Brüsseler Entscheidungs- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17617

Peter Hintze (A) prozesse Unbehagen. Herr Außenminister, der Vertrag sagen: Ich freue mich, dass sich der Kollege Gloser eben (C) von Nizza hat dieses Problem leider eher verschärft. Sie hier hingestellt und gesagt hat, dass diese Überzeugung präsentieren uns heute ein ausgesprochen schwaches Er- auch weiterhin gilt. Ich finde es sehr anständig, dass er das gebnis zur Ratifizierung. getan hat. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem neten der F.D.P. und der PDS) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS so- Europa in der Hand der Regierungen ist weit weg von wie bei Abgeordneten der F.D.P.) den Menschen. Deswegen müssen wir Europa den Bür- In Kenntnis der Stellungnahme des Bundesrates, von gern wieder zurückgeben. Das ist die zentrale Aufgabe, 15 Ministerpräsidenten, 15 Justizministern und 15 Europa- die im europäischen Verfassungsprozess gelöst werden ministern und in Kenntnis der Stellungnahme der Frak- muss. Wir wollen die Europäische Union so weiterent- tionen des Deutschen Bundestages sagt die Bundesregie- wickeln, dass sich die Bürger beteiligt fühlen, sie ein ech- rung trotzig: Einfache Mehrheit soll es sein. – Was ist das? tes Wahlrecht bekommen, das faktisch auch ein Recht zur Ist das Angst vor dem Parlament oder Ignoranz? Wahl und Abwahl der Kommission, der europäischen Exekutive, beinhaltet. Das Europäische Parlament soll (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Arroganz!) der zentrale Ort für wichtige Entscheidungen werden. Eu- Was steckt dahinter? Der Bundeskanzler sagt: Basta, ein- ropa käme dann den Bürgern viel näher. Nicht zuletzt eine fache Mehrheit, und das ist gut so. klar gegliederte Kompetenzabgrenzung trägt dazu bei, dass Europäische Union und Bürgernähe keine Ge- (V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss) gensätze mehr sind. Ich erinnere mich noch an die Ratifizierung des Ams- (Beifall bei der CDU/CSU) terdamer Vertrages. Hier im Haus sitzen einige, die das auch noch in Erinnerung haben. Die damalige Bundes- Der Vertrag von Nizza muss in allen 15 Mitgliedstaa- regierung unter Bundeskanzler hatte ur- ten ratifiziert werden. Nun haben die Iren Nein gesagt. Es sprünglich die Absicht, den Amsterdamer Vertrag nach stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Ist der Vertrag Art. 23 Abs. 1 Satz 2 hier zur Ratifizierung vorzulegen. Es von Nizza mit dem irischen Nein tot? Ich sehe für Europa waren die Vertreter der Grünen – ich glaube, Herr Fischer noch eine gute Chance, die Ratifikation auch in Irland zu war damals Sprecher der Grünen – schaffen, wenn die Art und Weise, wie der Vertrag von Nizza in den anderen europäischen Mitgliedstaaten bera- (Dirk Niebel [F.D.P.]: Er war auch einmal ten wird, wie die Ratifizierung dort abläuft und wie die Parlamentarier!) (B) Perspektiven für die Zukunft sind, die irische Bevölke- und die Vertreter der SPD, die an die Regierung herange- (D) rung überzeugt. treten sind und gesagt haben: Lasst uns alle juristischen Ich will eines sagen – Herr Kollege Gloser hat es zag- Fallstricke und Unsicherheiten ausräumen und dies als haft angesprochen –: Deutschland ist jetzt an der Reihe. eine gemeinsame Aufgabe verstehen. Die Bundesregie- Unverständlicherweise hat sich die Bundesregierung dazu rung hat das damals aufgegriffen und das Ganze entspre- entschlossen, die Ratifizierung auf einer Art „low-level“ chend eingebracht. Es gab dann eine Zweidrittelmehrheit durchzuführen, das heißt, auf der niedrigst möglichen für die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages. Ebene, nach dem Motto, es reiche, wenn Parlament und (Dirk Niebel [F.D.P.]: Das hat er vergessen!) Bundesrat mit einfacher Mehrheit zustimmten. Deshalb finde ich es einerseits schön, dass sich die Re- Nun kann man im Hinblick auf die dürftigen Ergeb- gierungsfraktionen daran erinnern – das erleben wir hier nisse von Nizza politisch zu dem Schluss kommen, dass im Parlament nicht immer; dies ist endlich einmal ein eine einfache Mehrheit vielleicht reicht. Integrationspoli- Fortschritt –, andererseits aber schade, dass der Bundes- tisch, Herr Außenminister, halte ich es aber für einen kanzler, der die Ratifizierung des Vertrages von Nizza für schweren Fehler der Regierung, so zu verfahren. Die iri- nicht wichtig genug hält, um hier im Parlament zu sein, sche Regierung hört auf ihre Bevölkerung, unser Bundes- anders entschieden hat. Auch wenn wir das Angebot der kanzler Schröder dagegen hört nicht einmal auf seine ei- Sozialdemokraten aufgreifen, die Sache zu heilen, wäre gene Fraktion. es korrekter und sicherer, die Bundesregierung würde die- (Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner sen falschen Gesetzentwurf zurückziehen und dem Parla- [SPD]: Was Sie alles wissen!) ment einen neuen Gesetzentwurf mit einer geänderten Eingangsformel zuleiten. Ich bedaure, dass er heute nicht hier ist. Ausnahmsweise müssen wir den Außenminister für etwas kritisieren, für (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- das er zwar als Regierungsmitglied Verantwortung trägt, wie bei Abgeordneten der PDS) das aber nicht aus der Tiefe seines Herzens gekommen ist. Ich möchte noch etwas sagen: Trotz der in der Sache (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Im Gegenteil!) unbefriedigenden Ergebnisse besteht eine breite Überein- stimmung, diesen Vertrag wegen der grundlegenden Wir- Im Europaausschuss herrscht unter allen Abgeordneten kung für die Osterweiterung, die wir als die große histo- eine breite Übereinstimmung darüber, dass das Ratifizie- rische und politische Aufgabe verstehen, zu ratifizieren. rungsgesetz zum Nizza-Vertrag mit einer Zweidrittel- mehrheit ausgestattet werden sollte. Ich stehe nicht an zu (Beifall bei der CDU/CSU) 17618 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Peter Hintze (A) Es ist mir ein völliges Rätsel, wie es eine Regierung Ein ganz bedauerliches Ergebnis dieser Regierungs- (C) schafft, eine im Parlament vorhandene Zweidrittelmehr- konferenz ist, dass wir die neuen Partner Tschechien und heit, die bereit ist, einen solchen Vertrag zu tragen, durch Ungarn bei der Sitzverteilung im Europäischen Parlament reine Rechthaberei in Gefahr zu bringen. diskriminieren und ihnen weniger Sitze geben als Belgien und Portugal, obwohl sie mehr Einwohner haben. So kann (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Partnerschaft in Europa nicht aussehen. Deswegen fordern Wenn die Opposition gebeten wird, europapolitisch be- wir als CDU/CSU-Fraktion, dass das in den Beitrittsver- deutsame Dinge mitzutragen und nicht aus taktischen trägen mit Tschechien und Ungarn korrigiert wird und die Gründen Schwierigkeiten zu schaffen, wie wir das in un- Europäischen Verträge entsprechend geändert werden. serer Regierungszeit mit Ihnen bei manchen Themen er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lebt haben, muss man mit ihr fair umgehen. neten der SPD, der F.D.P. und der PDS) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion F.D.P. und der PDS) wird dem Nizza-Vertrag zustimmen, weil er der Schlüssel Es spricht für das Funktionieren des Parlamentarismus, für die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union ist. dass der Kollege Gloser von der SPD erklärt hat, dass Sie (Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger die Auffassung, die Sie im Europaausschuss vertreten ha- [CDU/CSU]) ben, trotz des gegenteiligen Votums der Bundesregierung auch hier im Parlament vertreten. Dies ist ein Zeichen für Das ist eine große und bedeutende Aufgabe, der wir uns die Unabhängigkeit des Parlaments; dies wird unserem selbstverständlich stellen wollen. Wir weisen dabei darauf Auftrag gerecht. Insofern halte ich das für eine positive hin, dass auch der Kommissionspräsident, Herr Prodi, un- Sache. sere Unterstützung hat, der gesagt hat, dass die Dinge, die mit der Erweiterung verbunden sind, notfalls im Rahmen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. sowie der Beitrittsverträge geregelt werden müssten, und die an- bei Abgeordneten der SPD und der PDS) deren Dinge im Rahmen des Verfassungsvertrages, wenn Der Nizza-Vertrag selbst ist leider ein Beitrag zur Stei- es beim irischen Nein bleibt. Wir können die historische gerung der Unübersichtlichkeit und zur Absenkung der Aufgabe der Osterweiterung nicht auf Gedeih und Verderb demokratischen Kontrolle in Europa. Die Verträge sind allein an den Vertrag von Nizza binden. Sie muss auch po- litisch weitergeführt werden, notfalls über den Weg der unübersichtlicher geworden. Wir hatten uns eine Verein- Beitrittsverträge mit den Einzelregelungen oder des Ver- fachung gewünscht und es ist eine Komplizierung he- fassungsvertrags mit den grundlegenden Regelungen. rausgekommen. Ich bitte den Außenminister, nicht nur (B) kräftig zu gähnen, was möglicherweise auf Sauerstoff- Eines ist allerdings deutlich geworden – dafür hat die (D) mangel beruht, sondern uns auch dazu ein Wort zu sagen. Konferenz in Nizza ein eindrucksvolles Beispiel gelie- fert –: Die Methode Regierungskonferenz hat sich er- (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Er gähnt schöpft. Wir brauchen ein neues, kreatives Verfahren. Für immer, wenn es unangenehm wird!) die Erarbeitung des Verfassungsvertrags brauchen wir Die parlamentarische Demokratie und die Gewalten- eine vorbereitende Versammlung aus Mitgliedern der na- teilung sind auf ziemlich niedrigem Niveau stecken ge- tionalen Parlamente und des Europäischen Parlaments, blieben. Es ist sogar geschafft worden, im Rat für viele der nationalen Regierungen und der Europäischen Kom- Dinge eine Mehrheitsentscheidung zu beschließen und mission, die gleichberechtigt einen Entwurf erarbeiten, gleichwohl das Europäische Parlament an einer Mit- der dann im Rahmen der üblichen Vertragsabwicklung entscheidung zu hindern. Dies gilt selbst für ein Kern- durch eine Regierungskonferenz beschlossen und in den element des Parlamentarismus wie das der Haushaltsord- Nationalstaaten ratifiziert wird. Dadurch ist man in der nung. Ich habe das Gefühl, dass manche Regierungen das Lage, für die Erarbeitung mehr Kreativität aufzubringen Parlament als Störenfried ansehen. Insofern wollen wir und mehr Konsens herzustellen, als das mit der üblichen unsererseits als Parlament etwas stören, weil wir der Auf- Methode der Regierungskonferenz bisher der Fall war. fassung sind, dass die zentralen Entscheidungen in den Ich wünsche mir, dass wir dieses umfassende Projekt, Parlamenten getroffen werden sollten. Das gilt für die na- die Weiterentwicklung der Europäischen Union, die Ge- tionalen Parlamente wie auch für das Europäische Parla- staltung eines Verfassungsvertrages mit einer horizon- ment. talen und einer vertikalen Kompetenzabgrenzung und die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Erweiterung der Europäischen Union, als die große Auf- neten der SPD, der F.D.P. und der PDS) gabe im beginnenden 21. Jahrhundert angehen. Die CDU/ CSU bietet der Regierung an, sie in den Grundfragen zu Das Treffen von Entscheidungen im Ministerrat wird unterstützen. Wir bitten aber die Regierung, ihrerseits das schwieriger und komplizierter. Man hat es geschafft, dass Parlament und auch uns zu würdigen und diese Themen in Zukunft, wenn die Erweiterung durchgeführt ist, selbst in einem fairen Verfahren zu besprechen und auf den Weg bei einfachsten Fragen 74 Prozent der gewichteten Stim- zu bringen, damit der europapolitische Konsens auch in- men nötig sind, um überhaupt zu einer Entscheidung zu tegrationspolitisch von der Regierung gestützt wird. kommen. Zusätzlich zu den zwei Hürden hat man eine Schönen Dank. dritte Hürde errichtet. Entscheidungen zu treffen wird noch schwieriger, gerade wenn wir im größeren Kreis (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beieinander sind. neten der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17619

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Fraktion des hat gesagt, es wäre ein Treppenwitz, wenn jene Partei, die (C) Bündnisses 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege sich immer für eine Politik der kleinen Schritte ausge- Christian Sterzing. sprochen habe, jetzt sagte, die in Nizza erreichten Schritte seien nicht groß genug. Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Die Schritte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich dürfen nicht zu klein werden!) glaube, wir müssen zunächst ein Missverständnis ausräu- Insofern stellt sich doch die Frage: Sind in Nizza Fort- men. Herr Kollege Hintze, ob der Nizza-Vertrag mit einer schritte gemacht worden? Das ist zweifellos der Fall. In Zweidrittelmehrheit oder einer einfachen Mehrheit verab- vielen Bereichen sind Fortschritte gemacht worden. Die schiedet wird, hat nichts mit der politischen Bedeutung Schritte sind nicht groß genug. dieses Vertrags als solchem zu tun. Es gibt, wie beim Amsterdamer Vertrag, eine juristische Auseinander- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Sehen Sie!) setzung über die Frage, ob eine Zweidrittelmehrheit not- Wir konnten uns immer vorstellen, in Nizza größere wendig ist oder nicht; das hängt mit unklaren Artikeln im Schritte zu machen, mit größerer Entschlossenheit das Grundgesetz zusammen. Darüber kann man juristisch eine oder andere Reformvorhaben anzupacken. Das hat streiten. Aber die Tatsache, dass die Bundesregierung hier auch die Regierung nie verschwiegen. den Vorschlag macht, das Gesetz mit einer einfachen Mehrheit durch das Parlament und den Bundesrat zu brin- Die Tatsache, dass einige der Schritte sehr klein ge- gen, lässt nun wirklich nicht den Rückschluss zu, dass die blieben sind, Bundesregierung oder irgendeine der Regierungsfrak- (Dr. Helmut Haussmann [F.D.P.]: Mini!) tionen der Meinung ist, dass der Vertrag von Nizza ohne europa- oder integrationspolitische Bedeutung sei. Ich führt nicht dazu, dass der Vertrag in Gänze abgelehnt wer- glaube, es steht vollkommen außer Zweifel, dass Nizza den sollte. Denn eine solche Ablehnung wäre nur ge- ein wichtiger Schritt im europäischen Integrationsprozess rechtfertigt, wenn Schritte unternommen worden wären, ist. die in die falsche Richtung gehen. Das kann ich wirklich nicht sehen. Insofern müsste sich jeder, der diesen Vertrag Wenn Sie jetzt auf die Notwendigkeit einer Zweidrit- ablehnt, fragen lassen, was er damit auslöst, welche Steine telmehrheit hinweisen, für die vieles spricht, dann trifft er damit dem Integrationsprozess in den Weg legt. das deutsche Sprichwort zu, das heute schon einmal er- wähnt worden ist: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Diese Steine sind, glaube ich, offensichtlich. Ihr Kol- Steinen werfen. Vor ein paar Monaten hat auch die CDU- lege Möllemann spricht das sehr deutlich aus. Er klagt Opposition hier im Hause noch die Meinung vertreten, eine eindeutigere Position Ihrer Partei zur geplanten EU- (B) eine Zweidrittelmehrheit sei nicht erforderlich. Dann gab Osterweiterung ein. Er erinnert damit an ein ganz ent- (D) es Briefe aus dem Süden der Republik, die bestimmte scheidendes, wenn nicht das entscheidende politische Überlegungsprozesse beschleunigten. Das kann ganz hilf- Signal von Nizza, nämlich das grüne Signal für die Ost- reich sein. Insofern sollte man mit Häme vorsichtig sein. erweiterung. Sie und auch die PDS müssen sich klar wer- den: Wer Nizza ablehnt, wer hier Nachbesserungen ver- Wir haben hier einen Dissens zwischen großen Teilen langt, der zerstört dieses Signal, der setzt den Fahrplan für des Parlaments und der Bundesregierung. Das haben wir die Osterweiterung aufs Spiel. Das können wir uns poli- in den letzten Tagen deutlich besprochen. Da wir uns hier tisch auf keinen Fall leisten. aber in einer ganz großen Mehrheit einig sind, dass Nizza ratifiziert werden soll, gerade auch aufgrund seiner inte- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN grationspolitischen Bedeutung, bin ich davon überzeugt, und bei der SPD) dass wir einen Weg aus dem augenblicklichen Dilemma Der zweite Punkt: Nizza ist – dies wurde schon er- finden wähnt – ein wichtiger Schritt auf dem Reformweg der (Dr. Friedbert Pflüger [CDU/CSU]: Das Europäischen Union. Wir sprechen heute fast schon mehr müssen wir!) über den Post-Nizza-Prozess als über Nizza. und den Nizza-Vertrag politisch und juristisch sattelfest ratifizieren werden. Vizepräsidentin Petra Bläss: Kollege Sterzing, ge- statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Leutheusser- Die Frage, ob Nizza es angesichts der Kritik, die in den Schnarrenberger? letzten Monaten an diesem Vertrag immer wieder geübt worden ist, wert ist, ratifiziert zu werden, sollte nicht zu parteipolitischen Spielchen verführen. Insofern hoffe ich Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sehr, dass sich gerade die F.D.P. noch bewegt und von ih- Ja. rer ursprünglich ablehnenden Haltung Abstand nimmt. Das ist nicht ganz einfach. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Ich erinnere daran, dass gerade die F.D.P. in der Euro- Herr Sterzing, können Sie sich noch an Ihren Antrag erin- papolitik in den letzten Jahren immer das Hohelied auf die nern, den Sie am 4. März 1998 zu den Beratungen des Notwendigkeit der kleinen Schritte gesungen hat. Ich er- Vertrages von Amsterdam in den Bundestag eingebracht innere daran, dass gerade gestern Herr Möllemann sich haben? Ich sage nicht, dass ich die darin vertretene Auf- sehr besorgt über die Position der F.D.P. geäußert hat. Er fassung teile. Aber Sie sagen dort: 17620 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (A) Angesichts der unzureichenden Ergebnisse der Sicherlich gibt es gute Gründe, den Vertrag von Nizza (C) Regierungskonferenz, die nicht zuletzt auf die zu kritisieren. Aber es gibt bei allen Unzulänglichkeiten falschen politischen Zielsetzungen zurückzuführen auch gute Gründe, den Vertrag von Nizza zu ratifizieren; sind, ist die Ratifizierung des Amsterdamer Vertrages denn damit fördert man sowohl den Erweiterungsprozess politisch abzulehnen. als auch den weiteren Integrations- und Reformprozess in der EU. Weil es aber immerhin integrationspolitische Fortschritte in Teilbereichen gebe, wollten Sie sich damals – das ha- Vielen Dank. ben Sie dann auch getan – bei der Abstimmung über den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Amsterdamer Vertrag enthalten. Das war Ihre Position zu und bei der SPD) einem Vertrag, der eindeutig einen größeren Schritt für die Integration der Europäischen Union bedeutet hat als der Vertrag von Nizza. Wie bewerten Sie, Herr Sterzing, Ihre Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort für die damalige Position aus heutiger Sicht? Ich finde Ihr Ver- F.D.P.-Fraktion hat der Kollege Dr. Wolfgang Gerhardt. halten, Herr Sterzing, widersprüchlich. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es hat schon größere europäische Vertragswerke gegeben als den Vertrag Christian Sterzing (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): von Nizza, an denen Redner hätten festmachen können, Ich empfehle Ihnen, meine ganze Rede zu lesen, die ich ob man ein Bewusstsein für Europa hat oder nicht. damals gehalten habe. Amsterdam war jedenfalls ein größerer qualitativer (Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.]: Sprung als Nizza. Damit hat meine Kollegin Leutheusser- Das war ein Antrag Ihrer Fraktion!) Schnarrenberger wirklich Recht. Es muss, glaube ich, zwischen der Frage, ob es große oder Meine Fraktion möchte zwar aus ganz grundsätzlichen kleine Schritte in die richtige Richtung sind – das ist die Erwägungen heraus dem Nizza-Prozess keine Steine in Frage, ob das Glas halb voll oder halb leer ist; darüber den Weg legen. Aber der Vertrag von Nizza ist im Ver- kann man politisch streiten –, und der Frage, ob Schritte gleich zu anderen europäischen Verträgen nun wirklich überhaupt in die richtige Richtung gemacht werden, un- kein großer Wurf. Niemand kann allen Ernstes das Ge- terschieden werden. Damals waren wir der Meinung, dass genteil behaupten. Es hat sicherlich schon stärkere und einige der in Amsterdam beschlossenen Schritte – das schwächere Gipfel gegeben. Aber die letzten europä- habe ich in meiner damaligen Rede auch ausgeführt – in ischen Gipfel – die einzige Ausnahme ist der couragierte (B) die falsche Richtung gehen. Diese Beurteilung des Ams- Beschluss von Göteborg, die Osterweiterung bis zur (D) terdamer Vertrages hat damals zu unserer Enthaltung ge- nächsten Wahl des Europaparlaments voranzubringen – führt. haben keine wirklichen Spitzenleistungen hervorge- bracht. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Der Unter- schied ist, dass Fischer jetzt Minister ist!) (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Kläglich! Das sagt auch !) Nun müssten Sie mir erklären, ob in Nizza ein Schritt in die falsche Richtung gemacht worden ist, der eine voll- Das muss hier auch gesagt werden. Es begann mit dem ständige Ablehnung des Vertrages rechtfertigt. Dazu habe Berliner Gipfel, auf dem die finanziellen Voraussetzun- ich von Ihnen bislang nichts gehört. Sie beklagen zwar, gen für die Aufnahme der osteuropäischen Staaten ge- dass zu wenige Reformschritte auf den Weg gebracht wor- schaffen werden sollten. Tatsächlich wurden auf diesem den seien. Aber Sie haben nicht gesagt, dass diese voll- Gipfel die alte Agrarpolitik fortgesetzt und die Erhöhung kommen falsch seien oder in die falsche Richtung gingen. der Mittel aus den Kohäsions- und Strukturfonds für Ich glaube, wir müssen uns schon der Mühe unterziehen, Westeuropa beschlossen, sodass nur noch 30 Prozent der die einzelnen Vertragswerke, zu denen das Parlament lei- Mittel für die Osterweiterung zur Verfügung standen. Das der nur Ja oder Nein sagen kann, tatsächlich in ihrer Kom- war unter dem Gesichtspunkt der Nachbarschaft mit den plexität zu beurteilen und daraus politische Schlüsse zu osteuropäischen Staaten nicht fair. Das war das Ergebnis ziehen. des Berliner Gipfels. Wenn man den Vertrag von Nizza ablehnt, dann signa- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) lisiert man auch, dass man die Osterweiterung ablehnt. Danach fanden weitere Treffen auf europäischer Ebene Das darf auf keinen Fall geschehen. Des Weiteren ist mit statt. In Porto hat sich die Europäische Union aufge- dem, was man als Post-Nizza-Prozess bezeichnet, eine macht, zu erklären, sie sei einer der größten Globalplay- neue Reforminitiative angestoßen worden, gerade auch ers, sie gehe jetzt entschieden nach vorne, sie privatisiere durch die Bundesregierung. Wer gegen den Vertrag von die Märkte, sie bringe die Forschung und die Entwicklung Nizza stimmt, muss auch erklären, was aus der Reform- nach vorne, man müsse sie ernst nehmen, sie sei ein star- initiative, die gerade durch den Gipfel von Nizza auf den ker Wettbewerber. Als man sich in Stockholm traf, ist es Weg gebracht worden ist, werden soll. Darüber debattie- trotz vieler vorbereitender deutsch-französischer Essen ren wir bereits. Ich glaube, die Ablehnung des Vertrages nicht dazu gekommen, dass Märkte wirklich geöffnet von Nizza wäre für den Reformprozess schädlich und worden sind, dass die Energieversorgung privatisiert wor- würde die Debatte über Reformen behindern. den ist und dass die Verbraucher als die entscheidende Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17621

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) wirtschaftliche Macht gesehen worden sind. Man blieb Herr Bundesaußenminister, mir ist erst jetzt klar gewor- (C) genau da stecken, wo wirtschaftliche Dynamik hätte ent- den, warum Sie eine Übergangsfrist von sieben Jahren faltet werden können. brauchen: weil Ihre Anhänger tatenlos zusehen, wie bei VW 5 000 Stellen – diese Stellen wären ein Erfolg der Be- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten schäftigungspolitik in Deutschland – nicht zustande kom- der CDU/CSU) men. Dann folgte Nizza. Jeder in diesem Hause weiß, dass (Beifall bei der F.D.P.) Nizza gemessen an dem, was es hätte leisten sollen, ein Fehlschlag war. Alle, die von Nizza zurückkamen, sagten: Daran wird deutlich, welch krasses Missverhältnis zwi- Wir mussten zwar verhandeln, es blieb uns nichts anderes schen Ihrer Beschwörung Europas und Ihrer Politik be- übrig – solche Stimmen gab es auch aus der deutschen De- steht. Die Übergangsfristen im Hinblick auf die Erweite- legation –; aber es war nicht mehr herauszuholen. Wenn rung der Europäischen Union nach Osteuropa in dieser man ein solches, etwas schwächliches Verhandlungser- Dimension sind überhaupt nicht motivierend. Diese Fris- gebnis zu kommentieren hat, dann muss man an diesem ten sind schlicht der Ausfluss mangelnder innenpoliti- Rednerpult aber nicht dreimal Halleluja schreien. Nizza scher Reformfähigkeit dieser Bundesregierung im Hin- und Berlin sind, gemessen an dem notwendigerweise ehr- blick auf den deutschen Arbeitsmarkt. geizigen Ziel der Osterweiterung der Europäischen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU sowie Union, Fehlschläge gewesen. bei Abgeordneten der PDS – Widerspruch bei (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Wir haben in diesen Fragen keinen Nachhilfeunterricht Man kann uns gerne fragen, ob man hätte ratifizieren nötig. müssen oder ob es eine Alternative gab. Herr Bundes- Kern des Problems ist, ob wir überhaupt wieder die außenminister, ich wäre schon dankbar, wenn der Ratifi- Fähigkeit entwickeln, den Menschen zu vermitteln, worin zierungsprozess in diesem Hause mit ruhiger Hand, wie die Dimension und die Notwendigkeit europäischer Auf- es beim Bundeskanzler Mode geworden ist, durchgeführt gaben besteht. Mir erscheint es so, dass die Menschen würde. Das gäbe uns vielleicht ein Stück mehr Hoffnung nach der Katastrophe der deutschen Geschichte davon auf die belgische Präsidentschaft. Der belgische Premier- noch wussten. Eine solche Kette von Gipfelveranstaltun- minister, unser liberaler Kollege, hat in diesen Tagen völ- gen hat allmählich dazu beigetragen, dass die Menschen lig zu Recht die Bezeichnung „Identitätskrise“ benutzt. das völlig vergessen haben. Dem irischen Votum liegt für Zwar haben Sie, Herr Bundesaußenminister – ich erinnere mich keine Beliebigkeit zugrunde; vielmehr ist es ein an Ihren Vortrag in der Humboldt-Universität –, der Bun- ganz ernsthafter Hinweis, dass die Fortsetzung dieser Art (B) deskanzler und auch Herr Jospin wichtige Reden gehalten; von Gipfelpolitik ein Bewusstsein für Europa überhaupt (D) aber zusammen haben Sie das Entscheidende nicht gesagt. nicht mehr wecken kann. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Die Führung (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten fehlt! – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE der CDU/CSU und der PDS) GRÜNEN]: Sollen sie im Chor singen, oder was?) Vor der Herausforderung, dieses Bewusstsein erneut zu schaffen, stehen wir. So sollte Europa nicht enden. Die Kette der Gipfel der letz- ten Jahre war hinsichtlich der Erweiterung nicht erfolg- Es wäre gut, wenn wir uns anlässlich der Beratungen reich. über die in Nizza gefassten Beschlüsse darüber klar wür- den, dass dort etwas mehr verlangt worden ist, als nur zu Dem Kollegen von den Grünen, der gesagt hat, dass fragen, ob derjenige, der Nizza schon heute zustimmt und sich an der Haltung gegenüber Nizza festmachen lasse, ob Erklärungen abgibt, ein guter Europäer ist und ob derje- man entschieden für die Erweiterung sei, entgegne ich: nige, der heute sagt: „So kann es einfach nicht weiterge- Wenn es nach dem Willen aller Abgeordneten der F.D.P.- hen“, ein schlechter Europäer ist. Jedes Mitglied unserer Fraktion gegangen wäre, dann hätten wir die Erweiterung Fraktion weiß, dass es zur Politik gehört, manchmal Ent- schon haben können, bedenkt man, mit welcher Zöger- scheidungen hinzunehmen, die etwas kümmerlich sind, lichkeit die Bundesregierung in die Erweiterungsver- um überhaupt weiterzukommen. Wenn Sie Nizza in diese handlungen gestartet ist. Rubrik einordnen, dann können Sie mit unserer Fraktion (Beifall bei der F.D.P.) reden; denn auch wir wissen, was geschichtliche Verant- wortung gegenüber europäischen Vertragswerken ist. Dieser Vorhalt erscheint besonders witzig, wenn man Aber unterlassen Sie es, uns Nizza glorios wie ein bedenkt, dass dieselbe Bundesregierung die Auffassung Gemälde zu beschreiben. vertritt, man müsse doch die Erweiterung wollen. Das müssen Sie uns gar nicht vorhalten; denn es ist für uns eu- Die Gipfelveranstaltungen der vergangenen Jahre, ropäische Verpflichtung und ein Stück Inhalt unserer auch die in der Verantwortung dieser Bundesregierung durchgeführten, verdienen diese Bezeichnung nicht. Politik, es ist unser Credo. Es ist ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass diese Bundesregierung, ohne ihre (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hausaufgaben zu machen, über Übergangsfristen von NEN]: Seit Sie nicht mehr dabei sind!) sieben Jahren verhandelt. – Herr Kollege, ich muss mich fragen, ob der Euro (Beifall bei der F.D.P.) – das war eine der psychologisch bedeutsamsten 17622 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Wolfgang Gerhardt (A) Entscheidungen – überhaupt zustande gekommen wäre, fordere ich Sie im Namen der PDS-Bundestagsfraktion (C) wenn die Gipfelvorbereitungen so ausgesehen hätten wie ausdrücklich auf, alles dafür zu tun, dass nicht nachträg- die dieser Bundesregierung, die die letzten Gipfelveran- lich Menschen, die Probleme mit dem Nizza-Vertrag ha- staltungen vorbereitet hat. ben, die Möglichkeit bekommen, verfassungsrechtlich (Beifall bei der F.D.P. – Widerspruch bei der gegen die jetzige von der Bundesregierung an den Tag SPD – Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE gelegte Art und Weise vorzugehen, sodass eventuell Sie GRÜNEN]: Blick zurück in Nostalgie!) die Schuld daran tragen, dass Deutschland zu einem Bremser bei der Ratifizierung des Vertrages von Nizza Meine Damen und Herren, für meine Fraktion lege ich wird. Wert auf ein klares, zeitlich nicht beschränktes, jedenfalls nicht zu schnelles Ratifizierungsverfahren, das auch die (Beifall bei der PDS) Hürde der Mehrheiten klärt. Wir möchten einen weiteren Wir fordern Sie auf: Legen Sie einen neuen Gesetzent- Fortgang im Rahmen der belgischen Präsidentschaft. Es wurf vor. Nehmen Sie die Bedenken von Bundesrat und wäre gut, wenn Signale über Nizza hinausgingen. Das Bundestag auf und machen Sie deutlich, dass die Zwei- macht eine Ratifizierung einfacher. Ich habe die Hoff- drittelmehrheit eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass nung, dass, wenn im Herbst eine Entscheidung über Niz- alle Bedenken ausgeräumt sind. za gefällt wird, wir sagen können: Wir nehmen das hin. Es war nicht einer der glanzvollsten Gipfel. Aber wir sind Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein Eu- froh, dass es in der belgischen Präsidentschaft weitergeht. ropa, das sich weiterentwickelt. Wir brauchen ein Europa, – Es obliegt der Bundesregierung, das Ratifizierungsver- das deutlich macht, dass die Demokratisierung aller eu- fahren mit Offenheit und strategischer Klugheit zu führen. ropäischen Strukturen im Zentrum weiterer europäischer Dann stellen sich auch hier ausreichende Mehrheiten he- Politik stehen muss und dass Transparenz von Entschei- raus. Das gehört auch dazu. dungen und dass Mitbekommenkönnen, warum Gesetz- entwürfe und Richtlinien verabschiedet werden, zum Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zentrum aller politischen Entwicklungen werden müssen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Wir alle müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass die Eu- Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ropamüdigkeit – zum Teil ist es sogar Europafeindlichkeit – NEN]: Darauf einen Irish Coffee!) in immer mehr Staaten zunimmt. Auf der einen Seite treten wir für die Durchsetzung plebiszitärer Elemente und für direkte Demokratie und Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die PDS-Fraktion Volksabstimmungen ein. Auf der anderen Seite können spricht jetzt der Kollege Uwe Hiksch. wir aber doch nicht über eine in Irland durchgeführte (B) Volksabstimmung über ein Europa der Regierungen, ein (D) Uwe Hiksch (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kol- Europa, das die soziale Dimension vergisst und ein rei- leginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Diskussion nes Binnenmarktprojekt werden kann, ein Europa, das zu einem Gesetzentwurf zum Vertrag von Nizza, die nicht die demokratische Dimension in den Mittelpunkt eigentlich nur unter Vorbehalt stattfindet. stellt, sondern Regierungsgemauschel in internen Gre- mien für wichtiger hält, hinweggehen und so tun, als (Beifall bei der PDS) hätte es sie nicht gegeben. Deshalb bitte ich Sie alle: Denn zwei Verfassungsorgane haben eindeutig klarge- Nehmen Sie das irische Votum ernst. Nehmen Sie ernst, macht, dass sie der festen Überzeugung sind, dass dieser dass die Menschen ein anderes Europa wollen, und set- Gesetzentwurf mit Zweidrittelmehrheit verabschiedet zen Sie sich dafür ein. werden muss. Sowohl der Bundesrat als auch alle Ich sage Ihnen, Herr Sterzing: Wenn die PDS-Bundes- Fraktionen im Deutschen Bundestag haben dies deutlich tagsfraktion dafür eintritt, dass der Nizza-Vertrag nach- ausgesprochen. Die Bundesregierung, das dritte Verfas- verhandelt werden muss, tut sie das im europapolitischen sungsorgan, tut jedoch so, als ob sie das nicht interessie- Interesse. Wir wissen, dass ein Europa der 28, das sich ren muss. Herr Außenminister, dieses verfassungsrecht- weiterentwickelt als heute, ein Europa, das zu einem lich äußerst bedenkliche Vorgehen ist zum einen Binnenmarktprojekt werden wird ohne jegliche poli- europaschädlich und zum anderen vor allem ein Zeichen tische, demokratische Legitimierung, ein Europa, das sich dafür, dass Sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben. Strukturen schafft, die nicht mehr in der Lage sind, über- Haben Sie nicht zur Kenntnis genommen, dass das Eu- haupt noch für die Menschen nachvollziehbar zu handeln, ropa, so wie es heute dargestellt wird, nämlich ein Europa, ein Europa sein wird, in dem die Gefahr des Scheiterns das nur von den Regierungen diskutiert wird, das für die und übrigens auch des Nationalismus wesentlich größer Menschen nicht mehr fassbar ist und in dem nicht mehr sein wird, wenn wir uns heute nicht gemeinsam dazu ent- die zentralen Themen, zum Beispiel Arbeitslosigkeit, schließen, deutlich zu machen, dass wir Europa weiter- Strukturpolitik und Entwicklung der Sozialpolitik, im entwickeln müssen. Der Deutsche Bundestag muss deut- Mittelpunkt stehen, von den Menschen – wie jetzt in Ir- lich machen: Nizza muss nachgebessert werden. land – nicht akzeptiert wird? (Beifall bei der PDS) Wir erleben in der Bundesrepublik, dass die Bundesre- gierung verfassungsrechtliche Bedenken zur Seite Deshalb ist die Forderung der PDS-Bundestagsfraktion schiebt, weil sie von innenpolitischen Problemen ablen- nach einer Weiterentwicklung des Nizza-Vertrages nicht ken möchte. Deshalb, sehr geehrter Herr Außenminister, europafeindlich. Das kann man nur behaupten, wenn man Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17623

Uwe Hiksch (A) sich nur noch im Regierungseuropa bewegt. Wir fordern, Fehlschläge bezeichnen, Kollege Gerhardt, kann ich Ih- (C) dass wir gemeinsam wieder dafür eintreten, dass Europa nen nun weiß Gott nicht folgen. die zivilgesellschaftliche Gegenmacht gegen das reine (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Damit habe Binnenmarktprojekt werden muss, dass Europa die zivil- ich auch nicht gerechnet!) gesellschaftliche Gegenmacht gegen ein Europa werden muss, in dem Finanz- und Kapitalströme undemokratisch Sie haben wirklich kein Argument gebracht, warum die fließen können, in dem sich die demokratisch legitimier- Erweiterung etwa durch die Finanzvereinbarung der ten Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Europä- Agenda 2000, die wir hier in Berlin geschlossen haben, ischen Parlament, im Deutschen Bundestag und auch in behindert würde. den Landtagen für Entscheidungen rechtfertigen müssen, (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Das ist nicht die sie teilweise selbst nicht mehr vertreten können. fair!) Deshalb lautet die Forderung der PDS-Bundestags- Ich kann Ihnen nur sagen: Bis 2006 – der Finanz- fraktion: Lasst uns Nizza nachverhandeln. Sie ist ein Auf- rahmen reicht von 2000 bis 2006 – steht die Erweiterung ruf, Europa für die Menschen demokratischer zu gestalten. auf einer soliden Finanzierungsgrundlage. Danke schön. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Mär- chenstunde! Das glaubt Ihnen niemand!) (Beifall bei der PDS) Für die Zeit ab 2006 hat diese Bundesregierung in der Auseinandersetzung mit einem anderen wichtigen Mit- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Herr gliedsland Festlegungen abgewehrt, damit nicht der Fall Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer. eintritt, den wir alle nicht wollen, dass nämlich in einer (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Jetzt wollen wir vergrößerten, erweiterten Union die Strukturmittel noch mal hören!) an die kleine, an die alte Union gebunden werden. Das ge- nau hat diese Bundesregierung abgewehrt. Insofern ver- dienen wir hier nicht Ihren Tadel, sondern müssten ei- Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: gentlich Ihr Lob bekommen. Aber das wäre wohl zu viel Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Rati- der Erwartung. fizierung des Nizza-Vertrages ist von überaus großer Be- deutung. Zu Recht haben wir in verschiedenen Debatten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – mit „wir“ meine ich die Rednerinnen und Redner na- und bei der SPD) hezu aller Fraktionen im Haus – immer wieder darauf hin- Uns zu unterstellen, Kollege Gerhardt, wir seien schuld (B) gewiesen, dass es sich nach dem Ende des Kalten Krieges daran, dass die Erweiterung noch nicht weiter sei, finde (D) bei der Osterweiterung der Europäischen Union – jetzt ich angesichts dessen, was wir vorgefunden haben, ein über zehn Jahre nach dem Fall der Mauer – in der Tat um starkes Stück. ein historisches Projekt des Zusammenwachsens Europas (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich kenne Ihr handelt. Die Voraussetzungen dafür, dass die EU beitritts- zögerliches Verhalten am Anfang!) fähig ist, wurden in Nizza gelegt. Deswegen hat die Rati- fizierung eine überaus große Bedeutung. Da kann ich Ihnen nur sagen: Wir haben von der vorhe- rigen Bundesregierung die Verantwortung für Verspre- Wenn all diejenigen, die – aus welchen Gründen auch chungen übernehmen müssen, nach denen Polen bereits im immer – verlangen, der Nizza-Vertrag solle nachverhan- Jahre 2000 Mitglied der Europäischen Union sein sollte. delt werden, diese Forderung nicht als rein innenpoli- tische und letztendlich unter den Gesichtspunkten prak- (Günter Gloser [SPD]: Hören Sie zu, Herr tischer Veränderungen belanglose Forderung aufstellen, Gerhardt!) sondern das ernst meinen, bedeutet dies im Klartext eine Das Jahr 2000 ist herum. Es lag nicht an der rot-grünen Verschiebung der Osterweiterung der Europäischen Bundesregierung und Bundeskanzler Schröder, dass die- Union. Dies hielte ich für grundfalsch. ses nicht realisiert werden konnte, da erst unter der öster- reichischen Präsidentschaft, ein halbes Jahr vor der von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- uns dann auszufüllenden Präsidentschaft nach der Bun- wie bei Abgeordneten der SPD – Uwe Hiksch destagswahl, der konkrete Verhandlungsprozess begann. [PDS]: Das stimmt doch nicht! Sie haben doch Prodi gehört, Herr Außenminister!) (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Stimmt so nicht!) Insofern möchte ich mich bei allen Rednerinnen und Red- nern, vor allem auch bei denen der Oppositionsfraktionen, Das heißt, acht Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges bedanken, die signalisiert haben, dass sie zustimmen. ging es erst konkret voran, vorher gab es nur visionäre Ganz besonders möchte ich mich bei dem Redner der Versprechungen. Dafür müssen Sie, Herr Kollege F.D.P.-Fraktion bedanken, in der es eine beeindruckende Gerhardt, schon selbst die Verantwortung übernehmen. Fortentwicklung der Position hin zu einer Ratifizierung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gibt. Ich finde das eine überaus vernünftige Position. und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Nein!) Allerdings möchte ich einige Anmerkungen zum Kol- legen Gerhardt machen. Wenn Sie Nizza und Berlin als – Weiß Gott, doch. 17624 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Bundesminister Joseph Fischer (A) Ich kann Ihnen versichern – im Europaausschuss sind Gestatten Sie mir noch einen Satz zur Verfahrens- (C) wir uns darin ja völlig einig –, dass wir alles tun, um diese frage. Aus den Äußerungen der PDS bin ich nicht ganz Erweiterung möglichst schnell Wirklichkeit werden zu schlau geworden. Sie wollen ablehnen, fordern aber zu- lassen. Ich verstehe zwar, dass die Liberalen in Fragen der gleich eine Zweidrittelmehrheit für die Annahme. Marktöffnung eine andere Position vertreten, aber die Regelungen, die die Kommission jetzt in ihren Vorschlag (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Haben wir nicht übernommen hat, hindern niemand daran, seinen Arbeits- gesagt!) markt sofort zu öffnen. Sie tun ja gerade so, als wenn die einfache Mehrheit im (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Ich weiß es ja! Parlament antidemokratisch oder undemokratisch wäre Aber warum brauchen Sie denn so lange?) und die Bundesregierung das Ratifikationsverfahren ab- schaffen wollte. Sie tun ja gerade so – das halte ich in der – Ich will Ihnen sagen, warum: weil wir die Zustimmung Tat für bedenklich –, als wäre Europa ein Europa der Re- der Menschen brauchen und es Sorgen in den Grenz- gierungen. Dazu kann ich Ihnen nur sagen: Der Europä- regionen gibt. Ich habe mittlerweile an vier oder fünf ische Rat ist eine demokratisch legitimierte Institution, Bürgerversammlungen in den Grenzregionen teilgenom- dessen Fortentwicklung wir uns wünschen. Ihn aber des- men; deswegen kann ich Ihnen sagen: Es geht ganz ent- wegen populistisch in die Ecke zu stellen und zu sagen, er scheidend darum, dass wir die Menschen mitnehmen. sei demokratisch nicht legitimiert, geht nicht. Bundeskanzler Schröder hat in seiner Weidener Rede zu Recht vorgeschlagen, eine Übergangsfrist von sieben Man muss wissen, was man tut. Hierbei handelt es sich Jahren einzurichten, diese aber flexibel zu gestalten: Nach um einen entscheidenden Anker des europäischen Inte- zwei Jahren wird es die erste Überprüfung geben, nach grationsprozesses. Das trifft genauso auf das Europäische fünf Jahren kann die Frist verlängert werden. Parlament, die Kommission und die nationalen Parla- mente zu. In diesem institutionellen Quadrat wird sich die (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Er hat an- institutionelle Zukunft der europäischen Entwicklung gekündigt: nach der Bundestagswahl!) vollziehen müssen. Hier liegt die entscheidende Frage für Das heißt im Klartext, dass wir die Erfahrungen, die wir die horizontale Kompetenzklärung. Ebenso müssen wir bei der Süderweiterung der Europäischen Union gemacht eine vertikale Kompetenzklärung bezüglich der inhalt- haben, aufgreifen. Die luxemburgische Kollegin – übri- lichen Frage vornehmen, wer, was, wo zu entscheiden hat. gens eine Liberale – hat das dargestellt: Zehn Jahre Über- Ich möchte noch einmal klar darauf zu sprechen kom- gangsfrist wurden damals beim Beitritt Portugals bean- men: Bezüglich einer verfassungsrechtlichen Prüfung tragt, nach fünf Jahren hat Luxemburg darauf verzichtet mag man höchst unterschiedlicher Meinung sein und zu und gesagt, diese sei nicht mehr notwendig. Ich gehe (B) höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Hier ist (D) heute fest davon aus, dass wir mit dieser flexiblen Rege- lung ähnliche Erfahrungen machen werden. aber keine Kulanz angebracht. Das wäre falsch. Die Frage ist, ob eine Zweidrittelmehrheit für Souveränitätsübertra- (Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Übergang gungen da, wo sie unverzichtbar sind, notwendig ist. reicht nicht!) Wenn dieses nicht der Fall ist, bitte ich gerade die Kolle- Nur dieser Bundesregierung vorzuwerfen, sie würde nicht gen, von denen ich weiß, dass sie nachdrücklich für mehr alles tun, um die Osterweiterung Realität werden zu las- Integration eintreten, doch sehr sorgsam darauf zu achten, sen, geht an der Wirklichkeit nun weiß Gott vorbei. dass nicht an falscher Stelle Präjudize geschaffen werden, die uns an anderer Stelle große Probleme bereiten werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Wolfgang Gerhardt (Uwe Hiksch [PDS]: Sie haben Angst vor dem [F.D.P.]: Sie bereiten die Menschen im Inland Parlament, Herr Außenminister!) nicht vor!) – Das ist doch keine Angst vor dem Parlament; das hat Der Vertrag von Nizza wird die Osterweiterung er- doch mit dem Parlament nichts zu tun! Mir geht es darum, möglichen. Ich halte überhaupt nichts davon, wie es hier dass wir hier meines Erachtens eine klare Stellungnahme teilweise getan wird, ihn herunterzureden. Im Gegenteil: der Bundesregierung haben. Auch das Parlament hat sich Es waren sehr schwierige Verhandlungen, aber es sind heute geäußert. Ich denke, es wird ein vernünftiges Ver- entscheidende Überbleibsel der Amsterdamer Verhand- fahren geben, sodass wir, ohne dass es hier zu einer Blo- lungsrunde beseitigt worden. Dieser Vertrag beinhaltet ckade kommt – das ist das Interesse des Außenministers –, vor allen Dingen – das hat diese Bundesregierung durch- zügig und auf breiter Grundlage – ich würde mir wün- gesetzt –, dass wir mit der Perspektive 2004 bei der Ver- schen, weit über die Zweidrittelmehrheit hinaus – die Ra- tiefung vorangehen, das heißt Demokratisierung, Schaf- tifizierung vollziehen können. fung von Transparenz und verfassungsmäßige Gestaltung einer sich erweiternden Europäischen Union. Das ist ei- Ich bedanke mich. nes der Ergebnisse von Nizza und für die Zukunft der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäischen Union von zentraler Bedeutung. und bei der SPD – Wolfgang Gehrcke [PDS]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- Dann können Sie es ja mit einer Zweidrittel- wie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gerd mehrheit machen! – Dr. Gerd Müller [CDU/ Müller [CDU/CSU]: Die Länder wurden dazu CSU]: Bei diesem Pfusch wissen wir, warum gezwungen!) Sie in Europa nichts erreichen!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17625

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner ist fassungsgericht. Es war notwendig, verfassungsrechtlich (C) der Kollege Michael Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion. zu klären, ob der damals eingeschlagene Weg der europä- ischen Integration verfassungskonform war. Dieses Ver- fahren hat dazu geführt, dass die Bundesrepublik Deutsch- Michael Stübgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! land das letzte Land war, das die Ratifizierungsurkunde in Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Fischer, Brüssel hinterlegen konnte. Jetzt wird völlig ohne Not ich würde es Ihnen gerne noch einmal erklären und wäre – denn die verfassungsrechtliche Klärung ist vollzogen – dankbar, wenn Sie zuhörten. riskiert, dass dieses Gesetz wieder vor dem Verfas- (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das macht er doch sungsgericht landet und im günstigsten Fall die Hinterle- nie!) gung unserer Urkunde erneut lang verzögert wird. Wir befinden uns jetzt in der Phase der Ratifizierung des Beim Vertrag von Amsterdam war es in der Tat so, dass Nizza-Vertrages vom Februar dieses Jahres. Wir haben die alte Bundesregierung zunächst der Meinung war, dass diesen Vertrag in diesem Haus schon beraten und wir ken- eine Ratifizierung mit einfacher Mehrheit ausreicht. Wir nen die inhaltlichen Mängel dieses Vertrages. Wir kennen haben uns damals – ich erinnere an die nachhaltige For- das gescheiterte Referendum in Irland. Als ob dies nicht derung der Grünen mit ihrem damaligen Fraktions- schon genug Probleme im Zusammenhang mit diesem sprecher, Herrn Fischer, und der SPD – darauf geeinigt, wichtigen Vertrag wären – der ratifiziert werden muss und dass es, wenn nicht eindeutig ausgeräumt werden kann, dem wir natürlich zustimmen werden, wie ich hier wie- dass eine Zweidrittelmehrheit notwendig sein könnte, das derholen will –, machen die Bundesregierung und das ein- Unschädlichste ist, den Vertrag mit Zweidrittelmehrheit bringende Ministerium, Herr Fischer, völlig ohne Not ein umzusetzen; denn mit einer größeren Mehrheit darf man neues Problemfeld auf. Dies ist nicht so nebenbei zu be- es machen, eine geringere könnte zum Scheitern der Ra- handeln, weil es nämlich im schlimmsten Fall zum Schei- tifizierung führen. tern der Ratifizierung und zum Scheitern des rechtzeiti- Jetzt haben wir folgende Situation – da sind wir uns mit gen In-Kraft-Tretens dieses Vertrags führen kann. den Fraktionen dieses Hauses wieder einig –: Wir werden (Beifall bei der PDS) als Parlament versuchen, diesen Fehler zu beheben und den Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheit zu be- Deshalb müssen wir über das Thema hier in diesem Haus schließen. Nur ist im Moment juristisch nicht eindeutig reden. feststellbar, ob dieses Verfahren überhaupt möglich ist. (Beifall bei der CDU/CSU) Ich sage voraus – das ist so sicher wie das Amen in der Kirche –: Irgendjemand wird sich finden und diese Frage Ich möchte daran erinnern: Der Bundesrat hat einstim- in Karlsruhe stellen. Dann kann es im schlimmsten Fall (B) mig, einschließlich aller SPD-Ministerpräsidenten, in- passieren, dass Sie mit der gesamten Nizza-Ratifizierung (D) haltlich und politisch seine Auffassung dargetan, dass an die Wand klatschen. Dann haben wir ein solches The- dieser Vertrag mit Zweidrittelmehrheit, also mit ver- ater, dass sich kein Mensch mehr an das gescheiterte fassungsändernder Mehrheit, umgesetzt werden muss. irische Referendum erinnern wird. Dies steht in der Ver- Auch der Bundestag ist mit allen Fraktionen der Meinung, antwortung von Ihnen, Herr Fischer. Ich wäre Ihnen wirk- dass dieser Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheit lich dankbar, wenn Sie meinen Ausführungen, auch wenn umgesetzt werden muss. Aber Sie, Herr Bundesminister, sie Ihnen nicht gefallen, ein bisschen genauer folgen wür- kratzt das überhaupt nicht. Sie fahren in einfältiger Stur- den. Ich habe Ihnen vorhin auch zugehört. heit Ihren Stiefel weiter Das dritte fatale Signal ist auch ganz eindeutig; ich (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- möchte nur kurz darauf hinweisen. Wir haben mit der so NIS 90/DIE GRÜNEN) genannten Europamüdigkeit, Europaskepsis in der Bevöl- und beschwören im Wesentlichen drei problematische kerung zu kämpfen. Es wird immer lauter gesagt: Wir ha- Auswirkungen herauf, auf die ich jetzt eingehen möchte. ben über die Europawahl hinaus nicht genug Einfluss auf die europäische Politik. Dort wird Politik gemacht von Sie missachten den Bundestag, einschließlich Ihrer Regierungschefs und Beamten. In dieser Zeit signalisie- Koalitionsfraktionen, als Verfassungsorgan. Ich könnte ren Sie, dass Sie in dieser Frage nicht einmal Rücksicht als Abgeordneter der Opposition notfalls damit leben, auf den Bundesrat und auf den Bundestag nehmen – ein dass die Bundesregierung die Koalitionsfraktionen zur fatales Signal, das nicht zur Verbesserung des Vertrauens Opposition macht. Aber in diesem sensiblen Bereich der der Bevölkerung führen wird. Europapolitik, die für die Zukunft unserer Kinder und (Beifall bei der CDU/CSU) Kindeskinder entscheidend sein wird, ist das ein falsches Signal. Noch eine Anmerkung zum Vertrag selber. Herr Fischer, Sie haben behauptet, mit dem Nizza-Vertrag hät- (Beifall bei der CDU/CSU und der PDS) ten Sie die Finanzierungssicherheit auch für die Ost- Das wirklich gravierendste Problem in dieser Ange- erweiterung geschaffen. legenheit: Durch diese Art der Einbringung durch die (Joseph Fischer, Bundesminister: Nein, mit Bundesregierung, die juristisch nicht klar ist, wird die Berlin, nicht mit dem Nizza-Vertrag!) Ratifizierung des Vertrages möglicherweise endgültig gefährdet. Ich erinnere daran: Die Ratifizierung des – Mit Berlin – das gebe ich zu – haben wir die Finanzie- Maastrichter Vertrages 1991 landete vor dem Bundesver- rungssicherheit geschaffen. Aber mit Nizza gefährden Sie 17626 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Michael Stübgen (A) diese wieder. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Fak- Ich fordere Sie, Herr Fischer, und die Bundesregierung (C) tisch ist es so, dass die Entscheidung über die finanzielle auf, sich dafür einzusetzen, dass dieses Grenzgürtelför- Vorausschau bis einschließlich 2013 einstimmig getroffen derprogramm ein substanzielles Programm mit zusätz- werden muss. Herr Fischer, Sie wissen doch ganz genau, lichen Finanzmitteln wird. was 2005 passieren wird, wenn die nächste finanzielle (Beifall bei der CDU/CSU und der PDS) Vorausschau 2006 bis 2013 beraten werden wird und ein- stimmig verabschiedet werden muss. Da wir natürlich die Es muss ein Programm werden, das Planungssicherheit Erweiterungspolitik nicht scheitern lassen können, wird über einen längeren Zeitraum schafft, zum Beispiel sechs es zwangsläufig so kommen, dass die EU-Finanzmittel Jahre, und es muss mit ausreichenden zusätzlichen Finanz- massiv ausgeweitet werden müssen. Da Sie es – im Ge- mitteln umgesetzt werden. Mein Vorschlag ist, einen Ver- gensatz zur Vorbereitung der Erweiterung – in Berlin gleich mit den realen Mitteln anzustellen, die in den 80er- 1999 nicht geschafft haben, die deutsche Nettozahlerpo- Jahren für das integrierte Mittelmeerprogramm eingesetzt sition substanziell abzubauen, wird die Bundesrepublik worden sind, etwa in der Größenordnung von 1 Milliarde Deutschland in diesem Prozess, der dann notwendig sein Euro. Wenn die Kommission nicht den Schneid hat, dies in wird, weil anders die Einstimmigkeit nicht zu erreichen wenigen Wochen vorzulegen, dann muss – diesmal aus- ist, wieder das meiste Geld zahlen müssen, was zu einer nahmsweise erfolgreich – die Bundesregierung dieses Pro- weiteren Verstärkung der Unpopularität der – auch für gramm auf europäischer Ebene umsetzen. Denn unsere Deutschland – wichtigen Europapolitik führen wird. Dies Grenzregionen brauchen dringend diese Unterstützung. ist eine gefährliche Zeitbombe, die da tickt. Ich sehe im Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Moment überhaupt nicht, wie Sie versuchen wollen, dies in irgendeiner Weise zu verändern. (Beifall bei der CDU/CSU und der PDS) Auf einen Punkt will ich noch kurz hinweisen. Alle Fraktionen dieses Hauses hatten für Nizza gefordert, dass Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzinter- die Politikbereiche der Mehrheitsabstimmung deutlich vention erteile ich jetzt der Kollegin Sabine Leutheusser- ausgeweitet werden, also der Politikbereiche, in denen Schnarrenberger das Wort. mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird. Dies ist passiert. Aber ich weiß nicht, ob das unserem Bundes- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): kanzler in den Nachtstunden der Verhandlungen über den Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Anläss- Vertrag nicht aufgefallen ist. Auf der einen Seite werden lich der Ausführungen des Außenministers und auch der die Politikbereiche mit qualifizierter Zustimmung ausge- von Herrn Stübgen möchte ich in meiner Kurzintervention weitet, auf der anderen Seite wird die Sperrminorität dras- eine Bemerkung zu den verfassungsrechtlichen Fragen (B) tisch gesenkt, sodass mit In-Kraft-Treten dieses Vertrages machen, nämlich zu der Frage, welche Mehrheit bei der (D) die Blockadewahrscheinlichkeit in der Europäischen Ratifizierung des Vertrags von Nizza zu wünschen wäre. Union bei qualifizierten Mehrheitsabstimmungen zuneh- In derselben Situation, in der sich Bundesregierung men wird. Ich sehe auch hier die Gefahr, dass wir mit die- und Bundestag jetzt befinden, befand sich die Bundes- ser eigentlich substanziellen Verbesserung – durch Ent- regierung auch 1997. scheidungen mit qualifizierten Mehrheiten mehr Flexibilität in der europäischen Politik zu erreichen – nicht vorankommen, weil sich die Wahrscheinlichkeit der Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Blockade durch wenige Länder in der erweiterten Euro- Leutheusser-Schnarrenberger, könnten Sie Ihre Ausfüh- päischen Union verstärken wird. rungen kurz unterbrechen? – Herr Außenminister, diese Kurzintervention bezieht sich auf Ihre Rede. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf einen Punkt eingehen, der in Nizza (Joseph Fischer, Bundesminister: Ja, ich ver- wirklich hervorragend geregelt worden ist, wo aber im stehe!) Moment die Gefahr besteht, dass die Europäische Kom- mission ihn vermasselt. Die Staats- und Regierungschefs Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): haben sich in Nizza geeinigt, die Kommission aufzu- Bei der Ratifizierung des Vertrages von Amsterdam be- fordern, ein so genanntes Grenzgürtelförderprogramm fanden wir uns in der vergleichbaren Situation. Damals aufzulegen. Wir haben in den letzten Monaten viel davon wurde im Zusammenhang mit der Einleitungsformel des gehört – vollmundige Erklärungen von Herrn Verheugen – Gesetzentwurfs zur Ratifizierung im Bundestag gemein- und wir wissen jetzt, dass das Programm der Kommission sam darum gerungen, wie man es am besten macht. Ich am 25. Juli dieses Jahres vorgelegt werden soll. Frau habe mir die damalige Einlassung der heutigen Ministerin Schreyer, die deutsche Kommissarin, erklärt allerdings, es für wirtschaftliche Zusammenarbeit und damaligen Spre- werde auf gar keinen Fall zusätzliche Finanzmittel für die- cherin im Europaausschuss, Frau Wieczorek-Zeul, heraus- ses Programm geben, sodass wir leider jetzt schon davon gesucht, die in ihrer Rede im Bundestag nach Einbringung ausgehen können, dass dieses Programm nicht mit zusätz- des Gesetzentwurfs zur Ratifizierung des Vertrags sagte: lichen Finanzmitteln zur Lösung der ernsthaften, gravie- renden Probleme der Grenzregionen Deutschlands und Wir freuen uns, dass die Bundesregierung endlich akzeptiert hat ... , dass die Ratifizierung dieses Ver- Österreichs, aber auch Italiens und Griechenlands ausge- trages stattet wird. Wenn das so ist, dann wird dieses Programm weiße Salbe. Es wird überhaupt nichts bringen. – von Amsterdam – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17627

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (A) in Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit lichkeit von Mehrheitsentscheidungen ein Stück Souverä- (C) erfolgen muss. nitätsverzicht ist. Dies und das Ziel, die Ratifikation mit großer Mehrheit durchzuführen, sprechen dafür – wie mein (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Hört! Hört!) Kollege Günter Gloser schon ausgeführt hat –, das Zustim- Die Begründung dafür war damals , dass es um Fragen der mungsgesetz als verfassungsänderndes Gesetz zu behan- Mitentscheidung des Parlamentes und um Fragen der qua- deln und zu verabschieden. lifizierten Mehrheitsentscheidung gehe. Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus dem „Hand- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der buch der Rechtsförmlichkeit“, das im Jahr 1999 in zwei- CDU/CSU und der PDS) ter Auflage vom Bundesministerium der Justiz herausge- geben worden ist. Darin heißt es: Beide Elemente spielen heute auch im Vertrag von Niz- za eine Rolle. Wir kritisieren ja, dass das nicht genug ist, Die Eingangsformel gibt, obwohl Bundestag und aber es hat in einigen Punkten entsprechende Verände- Bundesrat darüber nicht mit Gesetzeskraft be- rungen gegeben. Bei allen notwendigen politischen Über- schließen, die Möglichkeit, im Laufe des Gesetz- legungen, wie man den Ratifizierungsprozess von Nizza gebungsverfahrens zu erörtern, ob das Gesetz einer bei allen beteiligten Verfassungsorganen zu einem Erfolg besonderen Mehrheit ... bedarf. machen kann, ist es sehr schade und in meinen Augen Ich gehe davon aus, dass wir Parlamentarier diese Mög- auch ein Mangel des Verfahrensprozesses zur Ratifizie- lichkeit nutzen und eine klare Stellungnahme zur verfas- rung des Vertrages, wenn wir in diesem Prozess mit mög- sungsrechtlichen Qualität des Zustimmungsgesetzes ab- lichen offenen verfassungsrechtlichen Fragen rechnen geben werden. müssen, durch die dann, falls sich nachher die Zweidrit- telmehrheit als notwendig herausstellt, möglicherweise (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der denjenigen Vorschub geleistet wird, die vielleicht aus PDS) ganz anderen Gründen ebenfalls Rechtsmittel ergreifen Gestatten Sie mir eine Bemerkung zu dem so genann- wollen, um den Integrationsprozess in Europa insgesamt ten Post-Nizza-Verfahren. Es ist ein großes Verdienst der zu stoppen. Bundesregierung, dass auf ihre Initiative hin in Nizza die Ich denke, dass wir uns in dieser Frage sehr wohl be- Erklärung der Staats- und Regierungschefs zur Zukunft sinnen sollten. Ich hätte es gut gefunden, wenn man das der Europäischen Union vereinbart worden ist. Das be- noch vor der heutigen Debatte versucht hätte und die De- deutet, dass sich die Staats- und Regierungschefs darauf batte selbst erst in der nächsten Woche hätte stattfinden festgelegt haben, im Rahmen einer weiteren Re- lassen. Hier geht es nicht um Rechthaberei, sondern es gierungskonferenz im Jahre 2004 Grundsatzfragen der (B) kommt darauf an, den klarsten und besten Weg zu finden, europäischen Integration, ihrer Institutionen und ihrer de- (D) sodass es nachher nur noch um die Inhalte des Vertrages mokratischen Legitimation zu behandeln. von Nizza und nicht auch noch um verfassungsrechtliche Lassen Sie mich dazu feststellen: Ohne die Ratifikation Verfahrensfragen geht. des Vertrags von Nizza wird es kein Post-Nizza-Verfahren Vielen Dank. geben. Das eine baut auf dem anderen auf. Die Ratifika- tion des Nizza-Vertrages ist – wenn nicht die rechtliche, so (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und der doch ohne jeden Zweifel – die politische Voraussetzung PDS) für die von uns allen gewollte Regierungskonferenz 2004. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Petra Bläss: Das war wieder eine des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Punktlandung von drei Minuten. Die Fragen, um die es dabei geht, sind Verfassungsfra- Herr Außenminister, möchten Sie erwidern? – Das ist gen. Ich benutze den Begriff der Verfassung in diesem nicht der Fall. Zusammenhang ohne Einschränkung. Es geht zum Bei- (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Er möchte schon, spiel um die Frage, wie die Verteilung der Zuständigkei- aber er kann nicht!) ten zwischen der Europäischen Union und ihren Mit- gliedstaaten zukünftig geregelt werden soll, also um das, Dann erteile ich jetzt dem letzten Redner in dieser was der Herr Außenminister zutreffend als vertikale Ge- Runde das Wort. Es ist der Kollege Jürgen Meyer von der waltenteilung bezeichnet hat. Es geht auch um die hori- SPD-Fraktion. zontale Gewaltenteilung auf der Ebene der EU. Dies nennt man nun einmal Verfassung. Nach der inzwischen fast übereinstimmenden Auffassung der Staatsrechtslehre Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (SPD): Frau Präsidentin! Liebe setzt Verfassung keinen Staat voraus und schon gar keinen Kolleginnen und Kollegen! Die Kollegin Leutheusser- Superstaat. Schnarrenberger hat sich wie alle vorangegangenen Redner zur verfassungsrechtlichen Qualität des Zustimmungsgeset- Ob man das Gebilde, von dem wir reden, mit dem zes zum Nizza-Vertrag geäußert. Dazu möchte ich noch ein- Bundesverfassungsgericht als Staatenverbund oder mit mal feststellen: Wir werden diese Frage in den bevorstehen- der immer stärker im Vordringen begriffenen Auffassung den Beratungen sehr gründlich prüfen. Dabei wird eine als Föderation von Nationalstaaten bezeichnet, spielt da- besondere Rolle spielen, ob der Verzicht auf das so genannte bei keine Rolle. Es geht um die künftige Verfassung der Vetorecht im Rat durch die von uns allen gewollte Mög- Europäischen Union und diese verdient eine öffentliche 17628 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (A) Diskussion. Deshalb finde ich es sehr gut, dass die Bun- Aber, verehrter Kollege, es ist das Verdienst der Bundes- (C) desregierung – mit unterschiedlichen Vorschlägen des regierung, den Konvent auf der Regierungskonferenz im Außenministers und des Bundeskanzlers – und auch Bun- Juni 1999 unter deutscher Präsidentschaft durchgesetzt zu despräsident Johannes Rau diese Debatte angeregt haben. haben. Das sollten wir einmal lobend erwähnen. Wir sollten diese Debatte mit Engagement führen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN) Aber man kann da einiges verbessern. Zum Beispiel Diese Debatte, die zu einer Verfassung der EU führt, – das ist in Nizza vorgeschlagen worden – brauchen wir sollte eine besondere Qualität haben. Eine Verfassung eine intensivere öffentliche Debatte. Ich finde es groß- kann nicht von Regierungen entworfen und verabschiedet artig, dass unsere französischen Nachbarn mit dem, was werden. Das würde der europäischen Rechtsgeschichte sie „grand débat“ nennen, unter Leitung von Guy zuwiderlaufen. Es geht also darum – darüber wird die bel- Braibant, dem Vizepräsidenten des ersten Konvents, be- gische Präsidentschaft befinden –, wie wir der bekannten reits begonnen haben. Eine solche öffentliche Debatte, die Europaverdrossenheit und dem Menetekel des Volksent- mehr Verständnis für Europa weckt, müssten doch auch wir hinbekommen. scheides von Irland Rechnung tragen und mehr Demo- kratie und damit mehr Europabegeisterung in der Europä- (Beifall bei der PDS) ischen Union wecken können. Auch die Behandlung der Beitrittskandidaten sollte (Beifall bei der PDS) besser sein als im ersten Konvent. Ich finde es nicht gut, dass die Kandidatenländer, in denen die Verfassung ja ein- In Nizza gab es zwei konkurrierende Verfahren: zum mal gelten soll, nur Beobachterstatus haben. Ich halte es einen das alte Verfahren, das schließlich zum Vertrag von auch für unzureichend, wenn sie nur eine beratende Stimme Nizza mit allen seinen Stärken, aber auch Schwächen ge- haben; denn der Konvent wäre ja nur ein Beratungsgre- führt hat, das aber auch Befremden und Verdrossenheit mium. Und in einem Beratungsgremium eine beratende hervorgerufen hat. Es gab bürgerferne Vorverhandlungen Stimme zu haben ist schlechterdings unzureichend hinter verschlossenen Türen durch hoch qualifizierte Bürokraten, die kein Mensch kennt. Am Ende standen (Beifall bei der SPD und der PDS) Texte in einer schwer verständlichen Sprache. Dann gab und respektiert nicht genug das, was die Beitrittskandida- es die bei solchen Konferenzen so genannte Nacht der lan- ten, mit denen Verhandlungen aufgenommen worden gen Messer, in der sich der durchsetzt, der die beste Kon- sind, wollen. Man sollte ihnen Gelegenheit geben, sich zu dition hat, wenn auch nicht unbedingt die besten Argu- äußern. (B) (D) mente, Ich möchte einen weiteren Vorschlag machen, der nach (Joseph Fischer, Bundesminister: Wir haben dieser Sitzung hoffentlich ein Vorschlag aller Fraktionen beides!) sein und in einen Beschluss münden wird, der dann auch die Bundesregierung über Art. 23 binden wird. der aber vielleicht auch die größte Hartnäckigkeit hat. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Die Parlamente bleiben (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das halte ich dabei außen vor. für unwahrscheinlich!) Zum anderen gab es mit dem Verfahren zur Erarbei- Der Vorschlag geht dahin, den Wunsch des ersten Kon- tung der in Nizza verkündeten EU-Grundrechtecharta ein vents, auch über alternative Lösungen abzustimmen, zu konkurrierendes Verfahren, das nun allseits gelobt wird. berücksichtigen. Es sollte abgestimmt werden können, damit klar ist, für welche Alternative eine Mehrheit, für (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS]) welche aber auch eine – vielleicht beachtliche – Minder- Die Erarbeitung der EU-Grundrechtecharta erfolgte durch heit ist. Dieser Vorschlag würde dem Wunsch der Regie- rung, den der Herr Außenminister gelegentlich vorgetra- ein Gremium, das zu drei Vierteln aus gewählten Parla- gen hat, Rechnung tragen, dass nämlich die Regierungen mentariern bestand, in dem öffentlich verhandelt wurde, nicht nur ein Gesamtwerk nach dem Motto „Friss, Vogel, in dem jede Initiative über das Internet bekannt gemacht oder stirb!“ vorgelegt bekommen – was offenbar gewisse wurde mit der Möglichkeit, jedem Delegierten auch über Frustrationen hervorgerufen hat –, sondern dass den Re- das Internet Anträge mitzuteilen, und in dem die Zivilge- gierungen ein Entwurf mit alternativen Lösungsvorschlä- sellschaft, die Nichtregierungsorganisationen in Brüssel gen präsentiert wird. Aber es muss klar sein: Das sind und auf nationaler Ebene ausführlich angehört und deren keine Optionen, die unverbindlich und gleichrangig ne- Vorstellungen auch berücksichtigt worden sind. beneinander stehen; (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Dann können (Beifall des Abg. Dr. Friedbert Pflüger wir aber den Fischer abschaffen! Das ist die Al- [CDU/CSU]) ternative, dass wir die Regierung abschaffen!) sondern: für den einen Vorschlag ist eine – sogar große – Ich sage ja nicht, dass der Konvent schon die ideale Lö- Mehrheit des Konvents und für den Gegenvorschlag nur sung sei. eine Minderheit. – Das müsste den Regierungen dann auch mitgeteilt werden. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist die Alternative!) (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17629

Dr. Jürgen Meyer (Ulm) (A) Ich halte das für ganz wichtig. Ich halte es für völlig in- Irland, dass ein Referendum den ganzen Vertrag von Niz- (C) diskutabel, dass vonseiten der – so will ich einmal pole- za infrage stellen kann. Sie haben große Angst, wenn sie misch formulieren – alten Strippenzieher, die die früheren hören, dass wir uns hier mit einem Verfahrensstreit abge- Regierungskonferenzen vorbereitet haben, der Vorschlag ben, anstatt uns mit den großen historischen Aufgaben zu gemacht wird, den Konvent durch eine „steering com- beschäftigen. mission“ zu bevormunden, also ein Gremium, das dem Ich glaube, es ist ganz wichtig, festzuhalten, dass wir in Konvent sagt: „Jetzt prüft ihr das einmal“, „Der Vorschlag diesem Haus einen breiten europapolitischen Konsens ha- ist inakzeptabel“ und „Hier bekommt ihr eure Schulauf- ben. Wir haben ihn unter Helmut Kohl gehabt und wir ha- gaben zurück“. Das darf es nicht geben. ben ihn jetzt. Es gibt zwar in vielen Einzelthemen Streit; (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE aber in den Grundfragen sind wir uns einig. Selbst die GRÜNEN und der CDU/CSU) F.D.P., die sich mit dem Vertrag von Nizza am schwersten tut, hat heute signalisiert, dass sie mit sich reden lässt. Das entspricht nicht dem Selbstbewusstsein und dem Selbstverständnis von Parlamentariern. Die Lenkung des Es wäre sehr schade, wenn das deutliche Signal des Konvents darf nur durch das aus seiner Mitte gebildete Parlaments, den Vertrag von Nizza trotz mancher Beden- Leitungsgremium, das heißt: das Präsidium, erfolgen. ken zu unterstützen, unbeantwortet bliebe und Verfah- Dies ist für uns Voraussetzung dafür, dass man das neue rensfragen fortgesetzt im Mittelpunkt unserer Debatten Gremium, das nun allenthalben schon Konvent heißt, stünden. Deshalb meine Bitte an den Herrn Außenminis- überhaupt so nennen kann. Ein bevormundeter Konvent ter, den Bundeskanzler zu überzeugen, eine andere Posi- würde schon von seiner Zusammensetzung her tion einzunehmen. (Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Welche Rolle Ich möchte dem Kollegen Professor Meyer und dem soll denn der Außenminister dort spielen?) Kollegen Gloser für ihre couragierten Reden herzlich danken. und der Bereitschaft, darin mitzuarbeiten, ein drittklassi- ges Gremium sein. Das kann niemand wollen. (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen) Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Änderungen gegenüber dem ersten Konvent werden, so denke ich, in Vizepräsidentin Petra Bläss: Zur Erwiderung der einer gemeinsamen Entschließung des Europaausschus- Bundesaußenminister Fischer, bitte. ses mit Zustimmung der anderen, mitberatenden Aus- schüsse ohne Befassung des Plenums in den nächsten Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Tagen festgelegt werden. Ich wünsche, dass sich die Bun- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (B) desregierung in dieser Richtung engagiert. Sie hat sich ja Das ist heute die erste Lesung. Damit wird das Vertrags- (D) bisher um die Einsetzung des Konvents und um mehr De- werk an die Ausschüsse überwiesen. Es liegt jetzt in den mokratie in Europa Verdienste erworben. Deshalb kann Händen des Bundestages. nicht nur die Koalition, sondern können alle Fraktionen der Bundesregierung für die Fortsetzung ihrer Initiativen Die Bundesregierung hat nach mehrfacher sorgfältigs- für mehr Demokratie in Europa allen Erfolg wünschen. ter Prüfung – das hat auch die letzte Erörterung im Kabi- nett ergeben – ihre Position gefunden. Diese stößt auf den Danke schön. Widerspruch eines anderen Verfassungsorgans, auf den (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ des Bundesgesetzgebers, und zwar quer durch alle Frak- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der tionen. Dies werde ich dem Bundeskanzler übermitteln. Aber ich denke, was zählt, ist die breite Bereitschaft zu ra- CDU/CSU) tifizieren. Unbeschadet der verfassungsrechtlichen Posi- tion, die die Verfassungsorgane haben, können Wege ge- Vizepräsidentin Petra Bläss: Bevor wir zu den Ab- funden werden, um dem Begehr Rechnung zu tragen. stimmungen kommen, erteile ich jetzt noch dem Kollegen Als Mitglied der Bundesregierung habe ich selbstver- Friedbert Pflüger das Wort zu einer Kurzintervention. ständlich dem Bundesgesetzgeber und dessen Ausschüs- sen weder Vorschriften zu machen noch Hinweise zu ge- Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Frau Präsidentin! ben. Ich möchte mich für die breite Bekundung zu Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Vorsitzen- ratifizieren recht herzlich bedanken. Ich denke, dass der der des Europaausschusses möchte ich noch einmal an die Bundesgesetzgeber mit seiner wirklich sehr weit gehen- Bundesregierung den Appell richten – ich glaube, im Na- den Erfahrung und umfassenden Kompetenz und getra- men aller Kollegen –, den Verfahrensstreit, den wir der- gen von der breiten Unterstützung der Fraktionen einen zeit haben, durch eine entsprechende, dem Parlament Weg finden wird. Die Bundesregierung hält an ihrer Rechnung tragende Entscheidung schnell zu beenden, Rechtsauffassung fest und wird sich ansonsten sehr ko- und zwar aus folgendem Grund: Wir müssen uns der his- operativ verhalten. torischen Bedeutung bewusst sein, welche gerade die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staaten Mittel- und Osteuropas diesem Vertrag und dem, sowie bei Abgeordneten der SPD) was daraus folgt, nämlich der Vereinigung Europas, bei- messen. Die Staaten in Mittel- und Osteuropa haben in den letzten Jahren ungeheuer viel geleistet, um ihre Ge- Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- sellschaften zu verändern. Sie sehen zum Beispiel jetzt in sprache. 17630 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Rat in Nizza auf Drucksache 14/4666. Wer stimmt für (C) wurfes auf Drucksache 14/6146 an die in der Tagesord- diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es an- gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen derweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist der PDS-Fraktion angenommen. die Überweisung so beschlossen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 seiner Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Fraktion der PDS auf Drucksache 14/4653 mit dem Titel Beschluss des Rates vom 29. September 2000 über das „Die Europäische Union als Zivilmacht ausbauen“. Wer System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaf- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – ten auf Drucksache 14/6142. Der Ausschuss für die An- Enthaltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist ge- gelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt auf gen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Drucksache 14/6464, den Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Drucksache 14/6443 an die in der Tagesordnung aufge- Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Beratung bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ist bei Enthaltung der PDS-Fraktion angenommen. richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- schuss) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf – zu dem Entschließungsantrag der Abgeordne- Drucksache 14/5221 (neu) an die in der Tagesordnung ten Paul Breuer, , Sylvia Bonitz, aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich höre kei- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der nen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlos- sen. CDU/CSU zu der Abgabe einer Erklärung der Bundes- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- regierung ses für die Angelegenheiten der Europäischen Union auf Die Bundeswehr der Zukunft, Feinauspla- Drucksache 14/5379 zu dem Antrag der Fraktion der PDS nung und Stationierung (B) mit dem Titel „Für eine verbindliche und erweiterbare Eu- (D) ropäische Charta der Grundrechte“. Der Ausschuss emp- – zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der fiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/4654 abzulehnen. PDS Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen- zu der Abgabe einer Erklärung der Bundes- probe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist regierung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion angenommen. Die Bundeswehr der Zukunft, Feinauspla- Als Nächstes kommen wir zur Beschlussempfehlung nung und Stationierung des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europä- – Drucksachen 14/5220, 14/5236, 14/6396 – ischen Union auf Drucksache 14/5386. Der Ausschuss Berichterstattung: empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die An- Abgeordnete Peter Zumkley nahme des Entschließungsantrags der Fraktionen der SPD Paul Breuer und des Bündnisses 90/Die Grünen zur Abgabe einer Er- klärung der Bundesregierung zum Europäischen Rat in b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Nizza auf Drucksache 14/4733. Wer stimmt für diese Be- richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus- schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Günther Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Friedrich Nolting, Ina Albowitz, Hildebrecht Fraktionen der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS ange- Braun (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der nommen. Fraktion der F.D.P. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Hilfe durch den Bund für die von Reduzierung Antrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksa- und Schließung betroffenen Bundeswehrstand- che 14/4732 mit dem Titel „Der Europäische Rat von Niz- orte ist unverzichtbar za muss zum Erfolg für Europa werden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun- – Drucksachen 14/5467, 14/6397 – gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen Berichterstattung: der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. angenom- Abgeordnete Kurt Palis men. Kurt J. Rossmanith Unter Nr. 3 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Entschließungsantrags der Fraktion der PDS zur Abgabe Debatte eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Wi- einer Erklärung der Bundesregierung zum Europäischen derspruch. Dann ist das so beschlossen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17631

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Ich eröffne die Aussprache. Erste Rednerin für die Die Koalition setzt Prioritäten. Einige der wichtigsten (C) SPD-Fraktion ist die Kollegin Ursula Mogg. sind die Sozialverträglichkeit der Verkleinerung und die Investitionen in Menschen und ihre Fähigkeiten. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen wollen, dieses möglichst schnell zu tun, damit (Walter Hirche [F.D.P.]: Sie machen Standorte die Rednerin der SPD-Fraktion entsprechende Aufmerk- zu leeren Hüllen!) samkeit erhält. Wir wollen, dass die Bundeswehr der Zukunft für Solda- tinnen und Soldaten sowie für die zivilen Mitarbeiterin- Ursula Mogg (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- nen und Mitarbeiter attraktiv ist. ginnen und Kollegen! Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Deshalb ist es sicher hilfreich, in einer Debatte wie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der heutigen einen kurzen Blick darauf zu werfen, wel- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) chen Herausforderungen sich die Regierung Schröder seit Der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bei ihrem Regierungsantritt vor drei Jahren im Verteidi- den Modernisierungsmaßnahmen unterstreicht in einzig- gungsbereich gestellt hat und mit welcher Systematik, artiger Weise, wie ernst die Bundesregierung ihre Verant- Konsequenz und Zielgenauigkeit der Verteidigungsminis- wortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nimmt. ter eine Reform angepackt hat, die in ihrer Dimension für Darauf sind wir als Sozialdemokratinnen und Sozialde- die Bundeswehr ohne Beispiel ist. mokraten sehr stolz. Verdi bewertet den Tarifvertrag für (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Negativ- die zivilen Beschäftigten als – Originalzitat – beispiel! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Anders- wesentlichen Schritt zur sozialverträglichen Bewäl- herum!) tigung der anstehenden, politisch gewollten Struk- – Sie werden sehen, wie gut das wird. turveränderungen in der Bundeswehr. Die von niemandem bestrittene Notwendigkeit der Re- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Und was sagt die form, der Umbau der Bundeswehr zu einer Armee, die NATO?) sich im Rahmen internationaler Verpflichtungen der Bun- desrepublik Deutschland neuen Aufgaben stellt, wurde Die Angebote alternativer Arbeitsplätze und kosten- zügig angepackt. Stichworte sind: Bestandsaufnahme, freier Qualifizierung, Einkommenssicherung sowie die Rahmenvertrag „Innovation, Investition und Wirtschaft- Gewährung von Altersteilzeit und Vorruhestand sind lichkeit in der Bundeswehr“, Bericht der Weizsäcker- Ausdruck des Willens, die Reform mit den Mitarbeite- Kommission, Eckwertepapier, Grobausplanung und Fein- rinnen und Mitarbeitern und nicht gegen sie zu verwirk- (B) ausplanung, um nur einige wichtige Schritte darzustellen. lichen. (D) (Heidi Lippmann [PDS]: Ein Bock nach dem (Beifall bei der SPD – Paul Breuer anderen!) [CDU/ CSU]: Die sind aber alle anderer Mei- nung!) – Wir haben in diesem Punkt sehr unterschiedliche Auf- fassungen, Frau Kollegin. – Das weiß ich besser, Herr Kollege. Diese Vorgehensweise und die damit verbundenen Re- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Reisen Sie formansätze finden die volle Unterstützung der SPD- doch mal zu den Standorten!) Fraktion. Wir wissen: Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir wissen, dass die Bundeswehr der Zukunft im in- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kurt J. ternationalen Wettbewerb nur erfolgreich sein kann, wenn Rossmanith [CDU/CSU]: Worte, nichts als sie in die Qualifikation des Zivilpersonals und der Solda- Worte!) tinnen und Soldaten investiert. Nur der moderne, attrak- tive Arbeitsplatz ruft das Interesse junger Menschen bei Ein Blick auf die Diskussionen der Opposition, Herr Kol- lege, zeigt zudem überdeutlich, dass die Reform alternativ- ihrer Berufsorientierung hervor. Wir wollen die Besten für los ist. Wer sich mit den vorliegenden Anträgen befasst, die Bundeswehr. Ein Netzwerk von Aus-, Fort- und Wei- stellt fest: Offensichtlich ist die Opposition bemüht, eine terbildungskooperationen wird länger dienenden Zeitsol- Reihe von Interessen hundertprozentig zu vertreten, obwohl daten den Erwerb zivilberuflicher Qualifikation ermögli- sie zum Teil in direktem Widerspruch zueinander stehen. chen. Beispielhaft dafür sind die Vereinbarungen mit den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerks- (Beifall bei der SPD – Kurt J. Rossmanith kammern. [CDU/CSU]: Fakten, Frau Kollegin Mogg!) Die Handwerkskammer Koblenz verweist stolz darauf, Nicht nur die Lebenserfahrung lehrt, dass dies nicht ge- dass im Rahmen ihres Pilotprojekts „Beratungszen- lingen kann. Ein Beispiel dafür ist, Herr Kollege, dass Sie trum Bundeswehr-Handwerk“ seit Beginn des Projek- einerseits wissen, dass die Bundeswehr verkleinert wer- tes vor knapp zwei Jahren 60 Prozent der Auszubildenden den muss, andererseits aber die Erhaltung von Standorten das Beratungsangebot der Bundeswehr angenommen ha- fordern. Das passt nicht zusammen. ben, 350 individuelle Beratungen von Zeitsoldaten statt- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie waren gefunden haben und zwölf Existenzgründer gefunden gegen die Verkleinerung, wenn ich Sie erinnern worden sind. Das Angebot ist seit dem 1. Mai 2001 auch darf!) im Internet abrufbar. 17632 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Ursula Mogg (A) Die SPD-Fraktion wird diese Aktivitäten strategisch Denen, die gerne etwas schneller zum Ziel gelangen (C) und politisch unterstützen sowie die aus dem Pilotprojekt möchten, sage ich: Der Zug wird weiter deutlich an Fahrt erwachsenen Vorschläge positiv aufnehmen. aufnehmen. Ich werbe ein wenig, wenn es Verzögerungen gibt: Die besonderen Herausforderungen der Reform be- ( [CDU/CSU]: Gibt es stehen auch darin, dass die Bundeswehr zeitgleich im auch Geld?) Umbau und im Einsatz ist. Denjenigen, die mit großem – Vielleicht. Engagement und Einsatz an der einzigartigen Aufgabe speziell im Verteidigungsministerium, aber auch in vielen (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der anderen Dienststellen arbeiten, sage ich von dieser Stelle CDU/CSU und der F.D.P.) ein aufrichtiges Dankeschön. – Es ist schön, wenn wir über die Pilotprojekte sprechen. (Beifall bei der SPD und dem BÜND- Diese Pilotprojekte, wie etwa die Existenzgründungspro- NIS 90/DIE GRÜNEN) gramme, sind gute Ansätze der Bundesregierung.

An dieser Stelle wird auch deutlich, dass die Bundes- Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die CDU/CSU- wehrreform im Kontext der Modernisierung unserer Ge- Fraktion spricht jetzt der Kollege Paul Breuer. sellschaft insgesamt und speziell des Bildungssystems zu sehen ist. Wir wissen: Ein attraktiver Arbeitsplatz defi- niert sich nicht nur über solide Ausbildung und interes- Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sante berufliche Perspektiven, sondern auch über die Ent- Damen und Herren! Frau Kollegin Mogg, ich stimme mit lohnung. Wir wissen, dass die Kritik an der Regierung in Ihnen überein, dass die Bundeswehr ein wichtiger Arbeit- diesem Punkt nachvollziehbar ist. Deshalb werden wir als geber ist und dass die Sicherheit der Arbeitsplätze und die Fraktion alles tun, damit wir die entsprechenden Geset- Qualität der Arbeitsbedingungen sehr wesentlich sind. Es zesvorhaben sehr bald parlamentarisch beraten können. wird Ihnen aber nicht gelingen, bei diesem Thema über- Wir sind sehr optimistisch. zeugend zu argumentieren, wenn es Ihnen nicht gelingt, deutlich zu machen, dass die Bundeswehr ein wichtiger (Werner Siemann [CDU/CSU]: Da sind Sie Faktor der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist, aber die Einzigen, die optimistisch sind!) den man nicht verludern lassen kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu- (Ursula Mogg [SPD]: Wer hat sie denn verlu- sammenfassend feststellen: Wir haben uns der Verant- dern lassen?) wortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Allerdings besteht in der Bundeswehr selbst, aber auch Bundeswehr und für die Infrastruktur der Regionen ge- bei unseren Bündnispartnern der Eindruck, dass genau (B) stellt. (D) dieses geschieht. (Werner Siemann [CDU/CSU]: Was ist denn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mit der Konversion?) neten der F.D.P.) Wir haben gleichzeitig ein Modernisierungskonzept auf Wir sollten uns vergegenwärtigen, in welcher histori- den Weg gebracht, das eine deutliche Effektivierung der schen Phase das passiert: In den letzten zehn Jahren hat Strukturen und Abläufe bewirkt. Der Fortbestand der Deutschland eine Zeit der Umorientierung in der Sicher- Bundeswehr in der Fläche und der Erhalt der Wehrpflicht heits- und Verteidigungspolitik hinter sich gebracht. machen deutlich, dass die Bundeswehr auch in Zukunft eine Armee bleibt, die in der Mitte der Gesellschaft steht. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir wissen: Wir sind auf dem richtigen Weg. NEN]: Die Union muss es ja wissen!) (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist aber eine Kon- Deutschland war 1990 ein geteilter Frontstaat mitten in version vom Realismus zum Illusionismus!) unserem geteilten Kontinent. Heute sind wir das wieder- vereinigte Deutschland, das wirtschaftlich stärkste und – Herr Kollege, wenn Sie sich mit dem Thema beschäftigt bevölkerungsreichste Land in der Mitte Europas. Verbun- haben, dann wissen Sie doch, dass die Bundeswehr mit den mit diesen Veränderungen haben wir Deutsche einen den vorliegenden Papieren auf eine halbe Milliarde DM großen Sicherheitsgewinn erhalten, den wir im Wesentli- an Effizienzgewinnen zugunsten der Konversion und der chen auch der Solidarität unserer Partner in NATO und Standorte verzichtet hat. Das ist doch bekannt! Europäischer Union verdanken. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Wir könnten ja ab- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt J. rüsten, wenn das so ist!) Rossmanith [CDU/CSU]: Das kennen aber nur Sie!) Parallel zu dieser Entwicklung – Herr Kollege, ich gehe damit auf Ihren Zuruf ein – haben wir allerdings – Nein, das kenne nicht nur ich; das kennen wir alle im mehr Verantwortung für den Frieden in Europa überneh- Parlament, die wir uns ausführlich mit diesem Thema be- men müssen, weil nicht nur Europa selbst – das sehen wir schäftigen. aktuell auf dem Balkan –, sondern die Peripherie Europas und diese Welt voller Gefahren sind. Ihr Vorschlag, dann Wir werden die Herausforderungen meistern. könnten wir ja abrüsten, ist sehr kurzsichtig. Wir müssen (Beifall bei der SPD) heute darauf achten, dass wir Deutschen entsprechend un- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17633

Paul Breuer (A) serer ökonomischen Potenz für die Sicherheit Europas lege Zumkley, weil es Ihnen nicht gelungen ist, Ihre ei- (C) und des nordatlantischen Raumes einen angemessenen gene Fraktion und Ihren Koalitionspartner, die Grünen, und geschätzten Beitrag leisten. von der Notwendigkeit dieser Investitionen und ihrer Be- rechenbarkeit zu überzeugen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Peter Zumkley [SPD]: Die CDU/CSU- und F.D.P.-geführte Bundesregierung Das ist doch nicht der Fall! Das entspricht doch hatte schon begonnen, sich dem neuen Szenario durch den nicht der Realität!) Aufbau der Krisenreaktionskräfte anzupassen. Damals musste diese Aufgabe der Krisenreaktionskräfte, die Be- Wenn Sie sagen, dies entspreche nicht der Realität, teiligung Deutschlands an Auslandseinsätzen, im deut- dann halte ich Ihnen entgegen, Herr Kollege Zumkley: schen Parlament in einer tiefen Auseinandersetzung ins- Die Bundeswehr ist dramatisch unterfinanziert. Dem wer- besondere gegen große Teile der Sozialdemokratie und den Sie nicht widersprechen können. Wenn Sie dem je- der Grünen durchgefochten werden. Dass uns dieser Bei- doch widersprechen wollen, dann trag zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik gelun- ( [CDU/CSU]: ... kennt die gen ist, darauf sind wir stolz. SPD eine andere Bundeswehr als wir!) (Beifall bei der CDU/CSU – Peter Zumkley erinnere ich Sie an eine Aussage von Herrn Scharping aus [SPD]: Den verlasst ihr doch jetzt!) dem Jahre 1999, also aus der Zeit, als ihm deutlich wurde, Meine Damen und Herren, wir müssen heute einen we- dass er innerhalb der mittelfristigen Finanzplanung etwa sentlichen Beitrag zur multilateralen Krisenvorsorge 20 Milliarden DM für die Bundeswehr verlieren würde. und Konfliktbewältigung leisten. Dabei muss auch ge- Zum damaligen Zeitpunkt hat Herr Scharping laut „Stutt- sagt werden, dass wir dies vor dem Hintergrund unserer garter Zeitung“ vom 27. Juni 1999 ausgeführt: Verfassung tun, die uns zunächst einmal dazu verpflich- Kritik der Union, die Bundeswehr sei bereits unter- tet – das ist nach wie vor das vorrangige Ziel –, die Lan- finanziert, sei keine oppositionelle Attitüde, sondern desverteidigung im Rahmen der Bündnisverteidigung zu die schlichte Wahrheit. sichern. Wir wollen bündnissolidarisch sein. Seitdem hat die Bundeswehr mehrere Milliarden verlo- Herr Kollege Zumkley, ich nehme Ihren Zwischenruf ren. Wenn sie heute dramatisch unterfinanziert ist, dann auf, wir verließen das Ziel, das wir gehabt haben. Bünd- ist das wohl auch die Meinung von Herrn Scharping, so- nissolidarität und Bündnisfähigkeit erweisen sich nicht fern er das, was er damals sagte, heute noch ernst nimmt. darin, bei allen möglichen Einsätzen im Deutschen Bun- (B) destag Mehrheiten zu gewährleisten, sondern darin, die (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (D) Bundeswehr im Alltag im Hinblick auf Ausrüstung, psy- Walter Hirche [F.D.P.]) chische Stabilität und Nachwuchsgewinnung ordentlich Meine Damen und Herren, die Forderung nach mehr auszustatten. Sie aber machen derzeit aus der Bundeswehr Geld für die Bundeswehr ist also kein Selbstzweck, son- ein Abbruchunternehmen. dern eine sicherheits- und verteidigungspolitische Not- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – wendigkeit. Deutschland darf nicht zum Unsicherheits- Peter Zumkley [SPD]: Das stimmt nicht! Genau faktor in der europäischen und nordatlantischen Ver- das Gegenteil ist der Fall!) teidigung werden. Grundlage muss eine solide Finanzierung sein. Nur so Wir sind uns alle einig, dass es jetzt an der Zeit ist, mit können die von der Bundesregierung beim NATO-Gipfel der Umstrukturierung der Bundeswehr zu beginnen in Washington und im Rahmen der europäischen Zielset- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zungen, der so genannten European Headline Goals, Wir tun das seit zweieinhalb Jahren!) eingegangenen Verpflichtungen erfüllt werden. Bündnis- treue und Verlässlichkeit bei den Partnern ist gerade uns und mit ihr fortzufahren. Aber wir müssen uns darin einig von der CDU/CSU nicht nur bei Einsatzbeschlüssen im sein, dass wir nicht nur große Sprüche klopfen und begeis- Deutschen Bundestag, wie ich gerade sagte, sondern vor tert davon reden dürfen, wie weit man gekommen sei, son- allem im Alltag der Bundeswehr unverzichtbar. dern die Realität zur Kenntnis nehmen und endlich etwas tun müssen, damit die Reformen ordentlich angegangen Wegen unserer Verpflichtungen gegenüber dem Bünd- werden, die wir von den Grundzielen her teilen, die aller- nis und den Partnern muss Deutschland in der nahen Zu- dings so, wie sie umgesetzt werden, in einer Katastrophe kunft erhebliche Investitionen in Personal und Material enden und die Bundeswehr zu einer Reformruine führen innerhalb der Bundeswehr vornehmen. werden. Der Reformprozess muss an Dynamik gewinnen. (Beifall bei der CDU/CSU – Kurt J. Rossmanith Das aber schaffen Sie nicht. Scharping führt die Bundes- [CDU/CSU]: Leider wahr!) wehr in die schlimmste Krise, die diese deutsche Armee je- mals erlebt hat. Umfangreiche Kapazitäten beim Lufttransport müssen neu geschaffen werden. Neue Präzisions- und Abstands- (Beifall bei der CDU/CSU – waffen, Kommunikations- und Aufklärungstechnologie [SPD]: Ohne Begeisterung läuft gar nichts, werden benötigt. Darüber gibt es eigentlich keinen Dis- Herr Kollege! – Kurt J. Rossmanith [CDU/ sens. Der Konsens ist aber deshalb gefährdet, Herr Kol- CSU]: Leider Gottes ist das wahr!) 17634 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Paul Breuer (A) Nach dem Beschluss des Bundeskabinetts vom ver- versucht hat – es ist zu bezweifeln, ob sie überhaupt (C) gangenen Jahr zur Bundeswehrreform musste Herrn kommt –, reichen bei Licht betrachtet noch nicht einmal Scharping in der Woche darauf bei der Feststellung des aus, um künftige Tarifsteigerungen zu finanzieren. Eine Haushaltsentwurfs durch das Kabinett eigentlich schon „normale“ Tarifsteigerung kostet die Bundeswehr etwa klar geworden sein, dass das, was er 1999 vorausgesagt 500 Millionen DM. Bisher hat der Bundesfinanzminister hatte, Wirklichkeit würde. keinen einzigen Beitrag zur Finanzierung solcher Tarif- steigerungen geleistet. Folge: Die Bundeswehr zehrt sich (Wolfgang Gehrcke [PDS]: So weit denkt er von Tag zu Tag mehr aus. Die Situation ist dramatisch. nicht!) Bundespräsident Rau hat vor wenigen Tagen erklärt, Er hat in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ am dass sich die Deutschen der internationalen Verantwor- 25. Juli 1999 Folgendes gesagt: tung der Bundeswehr zu wenig bewusst seien. Ich bin da- Niemand sollte übersehen: Deutschland liegt heute von überzeugt, dass der Bundespräsident Recht hat. auf dem 17. Platz, wenn wir unsere Verteidigungs- (Gernot Erler [SPD]: Er hat immer Recht!) aufwendungen in Relation zum Bruttoinlandspro- dukt der NATO-Mitglieder betrachten. Man kann Aber man sollte noch hinzufügen: Insbesondere sind sich nicht dauerhaft außenpolitisch Weltliga spielen, die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitions- wenn man sicherheitspolitisch in Richtung zweite fraktionen der Verantwortung der Bundeswehr und damit Liga rutscht. der Verantwortung Deutschlands zu wenig bewusst. Seitdem weist der Verteidigungsetat ein Minus von meh- (Beifall bei der CDU/CSU) reren Milliarden DM auf. Es stellt sich also die Frage: In Ändern Sie dies; sonst ist der Schaden erheblich. welcher Liga spielen wir eigentlich? Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (Zuruf von der CDU/CSU: Regionalliga!) (Beifall bei der CDU/CSU) Das sollten Sie ernst nehmen, meine Damen und Herren Kollegen von der SPD-Fraktion, aber auch von der Frak- tion der Grünen. Innerhalb der NATO – das ist außeror- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort für die Frak- dentlich bedauernswert; glauben Sie nicht, dass uns das tion des Bündnisses 90/Die Grünen hat die Kollegin freut – ist der Stellenwert Deutschlands in den letzten Jah- Angelika Beer. ren dramatisch gesunken. (Gernot Erler [SPD]: Das kann ich nicht be- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau (B) stätigen!) Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch in (D) der heutigen Debatte, die ja nicht die erste über die Re- Minister Scharping hat es nicht geschafft, die SPD- form der Bundeswehr ist, Fraktion und den Koalitionspartner, die Grünen, für seine Ziele zu gewinnen. Er hat die Vorschläge der von ihm (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Auch selbst eingesetzten Weizsäcker-Kommission genau wie nicht die letzte!) die Planungen des ehemaligen Generalinspekteurs Gene- ist wieder deutlich geworden – das sage ich im Hinblick ral von Kirchbach in den Wind geschlagen und stattdes- auf den Beitrag des Kollegen Breuer von der CDU/CSU- sen ein eigenes Konzept vorgelegt. Er muss jetzt für die- Fraktion –, dass Sie sich jenseits jedes Reformansatzes ses Konzept geradestehen und seine Ansprüche an der bewegen, das heißt, Sie klagen im Grunde ein, dass unsere Realität messen lassen. Koalition die defizitäre Politik der Vergangenheit weiter- (Gernot Erler [SPD]: Das machen wir!) betreiben soll. Herr Kollege Breuer, dafür werden Sie keinerlei Zustimmung von den Grünen oder der SPD be- Die Realität, Frau Kollegin Mogg, sieht nicht so aus, wie kommen. Sie sie vorhin in Ihrer Rede dargestellt haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Minister Scharping wollte der Öffentlichkeit, aber bei der SPD – Günther Friedrich Nolting auch diesem Parlament weismachen, dass ihm die so ge- [F.D.P.]: Angelikas Märchenstunde!) nannte Reform der Bundeswehr insbesondere deshalb ge- lingen könnte, weil durch Veräußerungen, Einsparungen Ihrem Antrag fehlt jegliche zeitgemäße und zukunfts- und Steigerung der Effizienz zusätzliche Einnahmen in weisende politische Einbettung. In Ihrem Antrag befindet Höhe von – das hat er in diesem Hohen Hause verspro- sich keinerlei Reformperspektive; Ihre einzige Schluss- chen – 1 Milliarde DM für die Bundeswehr zu folgerung ist: Wir brauchen mehr Geld. Ihr grundlegender erwirtschaften seien. Der Bundesfinanzminister quittiert Fehler ist meines Erachtens auch dadurch zu erklären, dieses Versprechen mit einem Vorschuss von 100 Milli- dass Sie Sicherheitspolitik primär militärisch begründen onen DM. So groß ist das Vertrauen des Bundes- und die Einbindung von Sicherheitspolitik in ein außen- finanzministers in die Ankündigungen des Bundesvertei- politisches Konzept nicht nur außen vor lassen, sondern digungsministers. Das ist dramatisch. Sie sollten das zur offensichtlich noch nicht einmal in Erwägung gezogen Kenntnis nehmen. haben. Die Finanzen der Bundeswehr, deren Verstetigung (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das glauben Sie Herr Scharping nach der Bundestagswahl einzuleiten selbst nicht!) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17635

Angelika Beer (A) Das Ziel unserer Regierung ist die Verhinderung von gin Mogg hat das ausgeführt –, bedeutet, dass wir die An- (C) Gewalt; deswegen versuchen wir, die Sicherheitspolitik in zahl der Standorte verringern müssen. eine präventive Außen- und Sicherheitspolitik einzubin- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist die den. Wir wissen, dass man mit militärischen Mitteln allein Reform die Abbruchbirne!) nicht in der Lage ist, schwierige politische Konflikte zu lösen. Sicherheitspolitik ist nun einmal nicht nur Strukturpolitik, wiewohl sie strukturpolitische Folgen hat. Wir sind natür- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das gelingt lich für die Sorgen, die Nöte und die Diskussionen in den Ihnen bis Mazedonien hervorragend! – Walter Kommunen – ich denke an die Familien, die schon wie- Hirche [F.D.P.]: Deswegen die Ausweitung auf der umziehen müssen – offen. Mazedonien!) (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ihr macht doch gar Wir haben uns mit unseren Partnern im Rahmen interna- nichts!) tionaler Bündnisse abgestimmt, die diplomatischen Mit- tel verstärkt und den Umbau der Bundeswehr begonnen. In Bezug auf die Eckwerte wollen wir Planungssicherheit Einige NATO-Partner sind ähnlich vorgegangen. Wenn schaffen. Wir setzen uns in den Ländern mit den Betrof- Sie noch an der Regierung wären, dann wäre die Perso- fenen zusammen, um unsere Vorstellungen von Verant- nalstärke der Bundeswehr wahrscheinlich unverändert wortung auch im Bereich der Konversion umzusetzen. und die Kannibalisierung würde andauern. Wir gestehen zu, dass das ein schwieriger Prozess ist. Während wir diesen Prozess vorantreiben, wollen Sie ste- (Zuruf von der SPD: Und weniger Geld!) hen bleiben. Wir sehen die Reform der Bundeswehr als einen sehr Verehrte Kolleginnen und Kollegen – nach Ihrer Rede komplexen Prozess in diesem Umfeld an. möchte ich das ansprechen, Herr Breuer –, es ist weder im (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Das hört sich im- Hinblick auf die Außenpolitik noch auf die innenpoliti- mer gut an!) sche Bedeutung der Bundeswehr hilfreich, Themen, die wenig miteinander zu tun haben, beliebig zu vermischen. Weil dieser Prozess so komplex ist, kann er nicht statisch Wenn Sie in jeder Debatte über einen Einsatz der Bun- sein und bedarf der Nachsteuerung und keiner platten Pa- deswehr die Erhöhung des Bundeswehretats um 3 Milli- rolen. arden DM bis 5 Milliarden DM fordern, dann behindern (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist verdächtig!) Sie eine rationale Diskussion über schwierige außenpoli- tische Fragestellungen und über notwendige Entschei- Im Namen der Grünen sage ich: Unsere Reformvorstel- dungen unseres Parlaments. (B) lungen reichen weiter. Wir glauben nach wie vor, dass der (D) Vorschlag der Weizsäcker-Kommission eine in dieser (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ärgert Sie, Gesellschaft konsensfähige Orientierung für die zukünf- oder?) tige Entwicklung liefern wird. Vonseiten der Opposition Natürlich müssen Sie uns kritisieren. Ich wünsche mir bedarf es zumindest der Bereitschaft, sich dem Gedanken nur, dass Ihre Kritik sachbezogen und logisch ist. der Reform zu öffnen. Kritisieren Sie doch einzelne Re- formschritte, statt immer nur Nein zu sagen! Diese Hal- (Peter Zumkley [SPD]: Ja, das wünsche ich tung ist eine Art Sackgasse, die es so schwierig macht, mir auch!) hier produktive Debatten zu führen. Dennoch werden wir Wir sind kritik- und konfliktfähig. die Reform der Bundeswehr voranbringen. (Werner Siemann [CDU/CSU]: Das habe ich (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Machen Sie aber noch nicht gemerkt!) mal eine Reform und nicht nur eine Zusammen- stutzung!) Kritik und Konflikt bringen einen weiter. Ihre Kritik be- steht allerdings darin, einen Popanz aufzubauen und uns Herr Kollege Breuer, Herr Kossendey – ich kann ihn zu unterstellen, Auffassungen zu vertreten, die keiner von im Moment nicht sehen –, erzählen Sie uns doch einmal, uns jemals geteilt hat. wie Sie Ihre Vorstellungen von der zukünftigen Bundes- wehr – ich erinnere an die von Ihnen geforderte Personal- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und stärke von 300 000 – zeitgleich mit der durchaus zuge- bei der SPD – Walter Hirche [F.D.P.]: Die man- standenen notwendigen Modernisierung finanzieren gelnde Finanzierung ist doch kein Popanz! – wollen. Peter Zumkley [SPD]: Es wird nur noch skandiert! – Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: (Paul Breuer [CDU/CSU]: Lesen Sie doch ein- Aushungern lassen Sie die Soldaten!) mal das Konzept!) An dem von Ihnen aufgebauten Popanz arbeiten Sie sich – Ihr Konzept besteht aus Wunschvorstellungen und Träu- dann ab. mereien. Das ist keine Grundlage für eine solide Außen- Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzierung sagen. und Sicherheitspolitik. Die Bundeswehr hat eine Anschubfinanzierung bekom- Ihre Kritik an den Standortschließungen ist zwar Ih- men. Sie hat aus dem Einzelplan 60 Mittel bekommen, die rer Logik immanent; aber dadurch wird sie nicht richtiger. auch in die Reform einfließen. Wir nehmen zur Kenntnis Jede Reform, die eine Reduzierung anstrebt – die Kolle- – Sie können das nicht –, dass durch die Gründung der 17636 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Angelika Beer (A) GEBB – der Reformprozess ist zum Teil auch Wirt- Wenn Sie bereit sind, über gesellschaftliche Verände- (C) schaftspolitik – Rationalisierungsgewinne, Verkaufs- rungen in unserem Land zu diskutieren, werden wir mit erlöse usw. wirklich eine neue Bundeswehrstruktur ge- Freude auch mit der Opposition eine sachgerechte und stalten. Die Bundesregierung hat uns im Hinblick auf die zukunftsgerichtete Diskussion führen. Dann sind wir an GEBB zugesagt, dass sie sich innerhalb des verfassungs- einem Punkt, an dem wir sagen können, dass das Parla- rechtlichen Rahmens bewegt. Dieser Zusage der Regie- ment im Interesse der Gesellschaft, der Soldaten und in rung vertrauen wir. der Verantwortung, die Soldaten für internationale Aufga- ben, die sie im Moment hervorragend erfüllen, entspre- (Zuruf von der F.D.P.: Das wird Sie noch ein- chend auszustatten, die Dinge weiter vorantreibt. holen! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Briefkasten- firma! Außer Spesen nichts gewesen! – Weiterer (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Eine Blase nach Zuruf von der CDU/CSU: Aber Geld ver- der anderen!) spekulieren!) Sie verbreiten Panik, stellen infrage und fahren die Stra- Zu den Finanzen möchte ich noch etwas anderes sagen. tegie der Verunsicherung auf dem Rücken von Leuten, die Wir stellen heute eine weit geöffnete Schere zwischen den wohl mehr davon hätten, wenn dieses Parlament zu einer Mitteln, die wir für Präventionen und Krisenmoderation gemeinsamen Positionierung käme. Dazu müssten Sie sich zur Verfügung stellen, und dem Ansatz für das Militär aber bewegen. Deswegen lehnen wir Ihre Anträge heute ab. fest. Wir wollen den Abstand der Scherenflügel verklei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nern, indem wir sicherheitspolitische Grundsätze, einge- und bei der SPD) bettet in die präventive Außenpolitik, so verlagern, dass wir zukünftig sagen können: Wir können Konflikte früh- zeitig moderieren, ohne Militär einzusetzen. Damit kön- Vizepräsidentin Petra Bläss: Der nächste Redner ist nen wir die Ansätze in den Haushalten ein Stück weit zu- der Kollege Günther Friedrich Nolting von der F.D.P.- sammenführen. Dies ist auch im Interesse unserer Fraktion. Soldaten, die nicht unnötigerweise in den Einsatz ge- schickt werden sollen. Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Frau Präsiden- (Wolfgang Gehrcke [PDS]: Und was ist mit tin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Beer, die Mazedonien?) F.D.P. hat rechtzeitig ein Konzept zur Bundeswehrreform vorgelegt. Ich möchte jetzt noch etwas zu einer Aussage des Ge- neralinspekteurs hinsichtlich des Reformprozesses und (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Beschleunigung sagen. Der Generalinspekteur hat NEN]: Nach dem Beschluss des Kabinetts!) (B) neulich gesagt, dass er sich aufgrund der jetzigen finanzi- (D) Diese rot-grüne Regierung peitscht jedoch ihre Vorstel- ellen Situation – auch er hat deutlich mehr Geld verlangt – lungen durch, ohne auf die F.D.P. zuzugehen. Die rot- eine lineare zeitliche Verschiebung des Reformprozesses grüne Regierung handelt am Parlament vorbei. Das Par- vorstellen könnte. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, lament ist ihr lästig. ich sage ganz ehrlich: Ein Schieben, Strecken und Strei- chen halten wir für falsch. (Ursula Mogg [SPD]: Was? Das ist mir neu!) (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das geschieht doch Gerade in der vergangenen Woche haben wir die Äuße- massiv!) rungen von Bundesaußenminister Fischer vor dem Bun- desverfassungsgericht zur Kenntnis nehmen müssen. Wir haben eine andere Vorstellung von Nachsteuerun- gen. Wir sind davon überzeugt, dass die Bundeswehr in (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist dem Prozess der Modernisierung weiter reduziert werden es!) kann. Frau Kollegin Beer, vielleicht sollten Sie dies an Ihren (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sie sind nicht von Außenminister weiterleiten dieser Welt! – Heiterkeit) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Natürlich werden wir sehr sachlich und politisch verant- NEN]: Vielleicht hört er Ihnen ja zu!) wortlich die personelle Reduzierung weiter diskutieren. – ich hoffe, dass er zuhört –: Die Bundeswehr ist nach wie Es wird Ihnen nicht gelingen, Rot und Grün ge- vor eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee. geneinander aufzuhetzen. Wir werden die gesellschaftli- Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass es dabei che Debatte über die Wehrpflicht, die zurzeit stattfindet, bleibt. insbesondere vor dem Hintergrund, dass jetzt die Frauen freiwillig ihren Dienst verrichten können, produktiv wei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) terführen. Dies werden wir im Hinblick auf die zu erwar- Ein Minister ist nämlich schnell zurückgetreten und gibt tende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes damit die Verantwortung ab. Das Parlament aber bleibt tun; das weiß unser Koalitionspartner. und trägt auch weiterhin die Verantwortung. (Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist aber eine Dro- Frau Kollegin Beer, das, was Sie zur Reform der Bun- hung!) deswehr gesagt haben, und die Tatsache, dass Sie sich als – Nein, das ist die Berücksichtigung von gesellschaftli- Retterin der Bundeswehr aufspielen, ist doch nahezu un- chen und politischen Prozessen. glaubwürdig. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17637

Günther Friedrich Nolting (A) Reden, die Sie bis September 1998 gehalten haben, als Sie Mit einem nominal sinkenden Verteidigungsetat ist (C) noch in der Opposition waren. die Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr gefährdet. Mit ei- nem nominal sinkenden Verteidigungsetat kann keine (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Sie offensichtlich auswendig gelernt Liegenschaft der Bundeswehr so zurückgebaut oder sa- haben! Sie zitieren jetzt einige Sätze daraus!) niert werden, dass sie verkauft werden kann. Personal- maßnahmen können nicht sozialverträglich umgesetzt Frau Kollegin Mogg, zu Ihrem Beitrag zur Bundes- werden, geschweige denn, dass etwa ein Sonderpro- wehrreform kann ich für die F.D.P.-Bundestagsfraktion gramm für die von Schließungen und Verkleinerungen be- nur feststellen: Wir haben eine schlecht laufende Bundes- sonders betroffenen Kommunen eingeleitet werden kann. wehrreform. Das, was Sie heute gemacht haben, war Schönreden wider besseres Wissen. Es gibt einen Ort in Mecklenburg-Vorpommern, der besonders hart betroffen ist. (Ursula Mogg [SPD]: Das ist falsch!) (Paul Breuer [CDU/CSU]: Eggesin?) Ich sage Ihnen: Die Bundeswehrreform wird den nächs- ten Wahltag nicht überleben. – Nein, ich will jetzt auf Stavenhagen eingehen, Kollege Breuer. Hier werden 1 240 Dienstposten ersatzlos gestri- (Beifall des Abg. Walter Hirche [F.D.P.] – Zu- chen. Der Bürgermeister der Stadt sagt dazu: Es gibt eine ruf von der SPD: Wollen wir wetten?) Reihe von Ideen und Vorschlägen, aber wir brauchen zu- Wir haben eine unausgewogene Personalstruktur, wir nächst eine Machbarkeitsstudie. Die kostet etwa haben eine unbefriedigende Nachwuchslage, wir haben 150 000 DM, die wir mit Unterstützung des Verteidi- eine den neuen Aufträgen nicht mehr gerechte Material- gungsministeriums auftreiben wollen. – Jetzt kommt der lage und wir haben unmittelbar bevorstehende Kon- entscheidende Satz: Leider versuchen wir seit Monaten versionsmaßnahmen. Das ist die Realität, aber darauf sind erfolglos, einen Kontakt zum Büro von Herrn Scharping Sie nicht eingegangen. herzustellen. (Ursula Mogg [SPD]: Dann arbeiten Sie doch (Walter Hirche [F.D.P.]: Hört, hört!) konstruktiv an der Lösung dieser Probleme Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Bundesregierung mit!) aus ihrer Verantwortung für die rund 100 Standorte stiehlt, Zur Konversion haben Sie heute nicht ein einziges Wort (Peter Zumkley [SPD]: Hat er die richtige Te- gesagt. lefonnummer gehabt?) (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die von einer Schließung oder einer Reduzierung be- Aber das stimmt doch nicht! Sie hat dazu aus- (B) troffen sind. Deshalb, Herr Kollege Zumkley, sollten (D) führlich Stellung genommen!) Sie mit dafür Sorge tragen, dass für Reorganisations- Ich denke, die betroffenen Kommunen haben ein Recht maßnahmen im Bundeshaushalt entsprechend viel Geld darauf, hierzu etwas zu hören. vorgesehen wird. Das ist auch Ihre Aufgabe als Regie- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten rungskoalition. der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Sie haben (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nicht zugehört!) Es ist festzustellen – und hier frage ich den Staatssekre- Ich sage für die F.D.P.-Bundestagsfraktion, dass der Um- tär –, ob es für die betroffenen Kommunen klare finanzi- bau der Bundeswehr und die damit einhergehende Um- elle Hilfen zur Konversion geben wird. strukturierung von Standorten eine Bundesaufgabe ist und Geld kostet. (Zuruf von der CDU/CSU: Die Antwort lautet Nein! Das wissen wir schon!) (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS]) Herr Staatssekretär, die F.D.P.-Fraktion appelliert an Umso unglaubwürdiger ist die Politik dieser Bundesregie- Sie: Fordern Sie beim Bundeskanzler die für die Bundes- rung, da sie diesen Zusammenhang zwar sieht und einge- wehr überlebenswichtige deutliche Erhöhung des Vertei- steht – ich hoffe, dass der Staatssekretär darauf gleich noch digungshaushaltes ein und setzen Sie beim Bundeskanz- eingeht –, in der Ausstattung des Haushalts aber nicht um- ler eine Anschubfinanzierung und ein Konversions- setzt. Der vorgelegte Haushaltsentwurf mit 23,6 Milliar- programm durch, damit viele der von Schließung und Re- den Euro für die Verteidigung ist unzureichend. Herr Kol- duzierung betroffenen Bundeswehrstandorte überhaupt lege Zumkley, das wissen Sie auch; Sie haben sich in der eine Überlebenschance haben. Öffentlichkeit entsprechend geäußert. Ich kann für die F.D.P.-Bundestagsfraktion deshalb nur feststellen: Die (Zuruf von der SPD: Haben Sie einen Bundesregierung misst der Bundeswehr und ihrem Umbau Deckungsvorschlag?) und damit der Sicherheitspolitik insgesamt ganz offen- Wir brauchen ein Sonderprogramm. Wir brauchen ein sichtlich einen äußerst geringen Stellenwert bei. überregionales Ausgleichskonzept. Wir brauchen einen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Härtefallfonds. Es gibt ständig neue Aufgaben für die Bundeswehr, aber (Ilse Janz [SPD]: Ausweitung, Ausweitung, immer weniger Geld. Das müssen Sie einmal der stau- Ausweitung! – Peter Zumkley [SPD]: Immer nenden Öffentlichkeit erklären. mehr Schulden machen!) 17638 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Günther Friedrich Nolting (A) Frau Mogg, hier sind die Verträge bezüglich des Ab- Dies betrifft insbesondere Standortschließungen in den (C) baus der Stellen von zivilen Mitarbeitern angesprochen neuen Bundesländern, wie zum Beispiel in Eggesin, einer worden. Diese Verträge kommen sehr spät, aber sie sind der strukturschwächsten Regionen in diesem Land. Wir immerhin da. Eines fehlt aber noch: Diese Verträge müs- dürfen die von Standortschließungen betroffenen Men- sen jetzt auch mit Leben erfüllt werden und die Betroffe- schen, Gemeinden und Regionen nicht alleine lassen, son- nen müssen endlich wissen, was auf sie zukommt. Wir dern müssen ihnen wirtschaftliche Perspektiven bieten. müssen mit dafür Sorge tragen, dass den betroffenen zivi- Herr Zumkley, dazu bedarf es Strukturfördermittel des len Mitarbeitern Ängste und Sorgen genommen werden. Bundes, die in einen Konversionsfonds eingebettet sein Auch da sind Sie und die Regierung gefordert. Herr müssen, der im kommenden Haushaltsjahr mindestens Staatssekretär, ich hoffe, dass Sie auch dazu Stellung neh- 500 Millionen DM umfassen sollte. men werden. Sie fragten, wie das finanziert werden soll. Wir haben einen Antrag zur Konversion vorgelegt. Ich bitte Sie um Unterstützung, damit die betroffenen Regio- (Peter Zumkley [SPD]: Ihre Antwort kenne nen und Kommunen endlich Hilfe bekommen. Darauf ha- ich!) ben sie Anspruch. Sie sind bereit, in den nächsten zehn bis 15 Jahren für die Vielen Dank. Aufrüstung und den Umbau der Bundeswehr zur Inter- ventionsarmee rund 210 bis 220 Milliarden DM zu inve- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) stieren. (Peter Zumkley [SPD]: Herr Breuer, hören Sie Vizepräsidentin Petra Bläss: Die Kollegin Heidi das?) Lippmann spricht jetzt für die PDS-Fraktion. Sie sind aber nicht bereit, die 500 Millionen DM, die für den Bereich der Konversionsplanung erforderlich sind, zu Heidi Lippmann (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- finanzieren. ginnen und Kollegen! Die vorliegenden drei Anträge der Oppositionsfraktionen sind Ausdruck der fehlenden Mitbe- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das könnt stimmung des Parlaments bei der so genannten Bundes- ihr in Berlin mit dem Wowereit machen!) wehrreform. Der Antrag der PDS unterscheidet sich von der Die Freigabe von Liegenschaften und die Aufgabe mi- Stationierungsplanung der Regierung und den Positionen litärischer Flächennutzung können aber auch neue Ent- von CDU/CSU und F.D.P. allerdings in einem ganz zentra- wicklungschancen eröffnen. So können Liegenschaften len Punkt: Im Gegensatz zu Ihnen lehnen wir den Umbau im Rahmen regionaler und lokaler Beschäftigungs- und (B) der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee strikt ab. Qualifizierungsprogramme genutzt werden. Bisher durch (D) (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: Der Lärm- und Umweltbeeinträchtigungen gebeutelte Regio- Begriff ist doch völlig falsch!) nen können für Tourismus- und Freizeitangebote er- schlossen werden. Ich erinnere nur einmal an das Ver- Ihre Planung hat mit Abrüstung und Rüstungskonversion sprechen von Herrn Scharping, der 1994 in Wittstock nichts zu tun, sondern ist Ausdruck von Umrüstung und gesagt hat, dass das Bombodrom geschlossen werden Rüstungsmodernisierung. solle. Was glauben Sie, wie dankbar Ihnen die Wittstocker Die PDS tritt dafür ein, die Bundeswehr drastisch zu und die Leute in der Region wären, wenn Sie dort endlich reduzieren. Daran halten wir auch fest. Die damit einher- Konversion betreiben würden? gehenden Einschnitte für die betroffenen Soldaten und Zi- (Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS]) vilbeschäftigten müssen sozialverträglich ausgestaltet werden. Natürlich muss es entsprechende Unterstützun- In Ballungsräumen kann auf freien Liegenschaften gen für die betroffenen Regionen geben. Wir fordern da- neuer Wohnraum geschaffen werden und es können Ge- her die Einrichtung eines Amtes für Abrüstung und werbeflächen-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen ent- Konversion, um die institutionellen Bedingungen eines stehen, alles natürlich unter der Voraussetzung, dass der wirtschafts- und sozialverträglichen Umstellungsprozes- Bund die Länder und die rund 100 von den Standortredu- ses zu gewährleisten. zierungen bzw. -schließungen betroffenen Gemeinden nicht im Regen stehen lässt, sondern sie hinsichtlich der Ausgehend von diesem grundlegenden Unterschied ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen und fordern wir in unserem Antrag, die Pläne zur Feinauspla- der Nachnutzungsoptionen unterstützt. nung und Stationierung der Bundeswehr abzulehnen und stattdessen ein Abrüstungs- und Konversionskonzept Wir haben in unserem Antrag diverse konkrete Ange- vorzulegen, das den notwendigen Abbau der Streitkräfte bote gemacht. Immerhin hat er das Lob der Grünen ge- mit Maßnahmen gezielter regionaler Wirtschaftsförde- funden. rung verbindet. In diesem Punkt hat die F.D.P. unseren Wie unseriös die gesamte Planung um den so genann- Antrag abgeschrieben, sodass wir uns bei eurem Antrag ten Umbau der Bundeswehr ist, wird am Beispiel der enthalten werden. GEBB deutlich, die Herr Scharping eingerichtet hat. Insi- (Lachen bei der F.D.P. – Hildebrecht Braun der gehen sogar so weit, die GEBB als größte Luftnum- [Augsburg] [F.D.P.]: Was haben wir gemacht? – mer zu bezeichnen, die ein Verteidigungsminister jemals Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Die F.D.P. zur Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit erfun- schreibt bei den Kommunisten ab!) den hat. Das ist ein Zitat von der Hardthöhe. Sollte es sich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17639

Heidi Lippmann (A) bewahrheiten, dass die GEBB, wie die „Welt“ gestern be- Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie in Ihrer Oppo- (C) richtet hat, tatsächlich Haushaltsmittel in Wertpapieren sitionsnot mit Wortschöpfungen überzeichnen. Aber Sie angelegt hat, so sollte dies nicht nur rechtliche, sondern sollten, Herr Kollege Breuer, sehr vorsichtig sein, wenn auch politische Konsequenzen haben. Sie unsere ausländischen Partner hier im deutschen Parla- ment als Zeugen anrufen und sagen, dass auch diese sich Abschließend möchte ich noch einmal deutlich ma- äußerten, wir würden mit der Bundeswehr Schindluder chen: Jetzt und auf absehbare Zeit gibt es keine militäri- treiben oder sie, wie Sie sich hier ausgedrückt haben, ver- sche Bedrohung für Deutschland und Europa. Selbst im ludern lassen. Rahmen der Vorsorge in Bezug auf Landesverteidigung und den Eventualfall Bündnisverteidigung reicht eine ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- drastisch reduzierte Bundeswehr aus. Keine internatio- NEN]: Das ist die Sprache der „Bild“-Zeitung!) nale Verpflichtung zwingt die Bundesrepublik, die Bun- Wir waren gestern mit den niederländischen Kollegin- deswehr zu einer Interventionsarmee umzubauen. Dazu, nen und Kollegen zusammen. Ich hatte heute noch einmal wie unverbindlich die neue NATO-Strategie hinsichtlich Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen. Von solchen Vorwür- Bündnisverpflichtungen ist, haben der Außen- und der fen war keine Rede; stattdessen gab es Aufmerksamkeit für Verteidigungsminister sich letzte Woche wortreich vor unseren Weg, Aufmerksamkeit natürlich auch für die dem Bundesverfassungsgericht verteidigt. Schwierigkeiten einer so grundlegenden Reform. Wer Nehmen Sie Ihre eigenen Kriterien zur nicht militäri- wollte das leugnen? Wir packen es an; Sie konnten es nicht. schen Friedenssicherung, Frau Beer, als Maßstab! Ver- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zichten Sie auf fragwürdige, rechtswidrige Interventionen DIE GRÜNEN) und entsprechende strukturelle Maßnahmen! Wir fordern Sie auf: Schaffen Sie ein Amt für Abrüstung und Konver- Sie sollten auch bei der Wahl Ihrer Worte darüber, in sion, gehen Sie ernsthaft mit den Problemen in den Re- welcher Liga wir nun spielen, wenn Sie die Soldatinnen gionen um und nehmen Sie Abstand von dem Umbau zur und Soldaten und ihre Leistungsfähigkeit mit einbezie- Interventionsarmee! Dann gewinnen Sie nicht nur das hen, Vertrauen der Bundeswehrangehörigen zurück, sondern (Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich habe Herrn auch das Vertrauen der betroffenen Menschen in den Re- Scharping zitiert!) gionen und Gemeinden. sehr vorsichtig sein. Danke. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der PDS) DIE GRÜNEN – Peter Zumkley [SPD]: Sehr (B) richtig! Das war eine Beleidigung!) (D) Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Par- Überzeugen Sie sich davon, was unsere Marine jüngst lamentarische Staatssekretär Walter Kolbow. in belgischen Gewässern bei einem NATO-Wettbewerb geleistet hat: erster Platz! Überzeugen Sie sich davon, was Walter Kolbow, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- unser Heer nach wie vor leistet, nicht nur im Einsatz, son- nister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Liebe Kolle- dern auch bei den internationalen Übungen, zum Beispiel ginnen und Kollegen! Die bisherigen Einlassungen der bei „Partnerschaft für den Frieden“: Opposition in dieser Debatte können nichts daran ändern, (Peter Zumkley [SPD]: Oder im Kosovo! – dass wir mit der Neuausrichtung der Bundeswehr die seit Heidi Lippmann [PDS]: Militärolympiade oder Jahren überfälligen und richtigen Antworten auf die was?) neuen internationalen Anforderungen geben und Ver- säumnisse Ihrer Regierungszeit in den Jahren 1990 bis immer erste Plätze, immer im ersten Drittel! Das wird 1998 wieder gutmachen. nicht verhindert durch unsere Politik, nein, es wird geför- dert, weil wir die Soldaten unterstützen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist doch DIE GRÜNEN) eine alte Leier! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Die Ich sage Ihnen in dieser Auseinandersetzung auf Ihre Abrechnung kommt!) Anträge hin, die Anspruch haben, sorgfältig gelesen und Ihre bisherigen Einlassungen können nichts daran än- bewertet zu werden – keine Frage –, auch, dass wir diese dern, dass wir durch den bislang tiefgehendsten Umbau Reform unter nicht einfachen Bedingungen der Konsoli- der Bundeswehr mit bündnis- und partnerfähigen Streit- dierung der Staatsfinanzen ermöglichen. Sie haben uns kräften einen gewichtigen Beitrag zu einem Deutschland Berge an Schulden in Billionenhöhe überlassen, die uns leisten, das in einem handlungsfähigen Europa Verant- Zinslasten pro Jahr in fast doppelter Höhe des Verteidi- wortung trägt. Ihre Einlassungen konnten und können gungshaushaltes beschert haben. auch nichts daran ändern, dass wir durch unsere politi- (Beifall bei der SPD – Peter Zumkley [SPD]: schen Entscheidungen mit unseren transatlantischen Das ist die Wahrheit!) Freunden Frieden und Freiheit in einer Welt der Globali- sierung mit ihren neuen Herausforderungen und Chancen Sie wissen genau, was in Ihrer Regierungszeit – auch stärken. daran haben Sie zu tragen; das muss ich Ihnen immer 17640 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Parl. Staatssekretär Walter Kolbow (A) wieder vorhalten – dem Verteidigungsetat an Mitteln und rium an der regionalen Entwicklung mit, um die Folgen (C) damit an Investitionskraft und Betriebsfähigkeit entzogen struktureller Probleme zu mildern. So wirken zum Bei- worden ist. spiel die Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsauf- gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, Wir haben die Entscheidungen für diese neue Bundes- aber auch die Programme der Städtebauförderung, der wehr, für einsatzfähige und für ihre Aufgaben optimierte Agrarpolitik, der Arbeitsmarktförderung, die Mittel- Streitkräfte trotz des hohen Entscheidungstempos mit ge- botener Sorgfalt getroffen. Dies gilt auch und gerade für standsförderprogramme sowie natürlich auch – das ist zu die in den Anträgen immer wieder angesprochene Statio- konstatieren – entsprechende Landesprogramme unter- nierungsfrage. stützend. Wir sind mit den Ländern im Dialog. Mit Bay- ern haben schon – Herr Kollege Rossmanith, Sie kommen (V o r s i t z: Vizepräsidentin Dr. Antje ja gleich dran, nehmen Sie es bitte auf und würdigen Sie Vollmer) es – Gespräche stattgefunden. Der Wirtschaftsminister Die Beurteilung von Standorten erfolgte auf der und die politische Leitung des Bundesministeriums der Grundlage eines ausgewogenen Kriterienkataloges und Verteidigung sind im Gespräch. Es sind ruhige, es sind eines inneren militärischen Strukturzusammenhangs. sachliche, es sind konstruktive Gespräche, an denen auch Überdies haben wir, Herr Kollege Nolting, bei den Sta- der Städtebund und der Landkreisbund beteiligt sind. Mit- tionierungsentscheidungen den Belangen der Länder und hilfe der Bundes- und der Länderprogramme werden wir der Kommunen sehr stark Rechnung getragen. Wie ernst zu vernünftigen Lösungen kommen. Wir werden auch be- es uns damit war, ergibt sich schon allein daraus, dass in lastbare Zeitpläne mitteilen. der neuen Struktur mehr als 93 Prozent aller Standorte (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Was – Frau Kollegin Mogg hat darauf hingewiesen – erhalten sagen Sie denn dem Bürgermeister von geblieben sind. Das ist deutlich mehr – ich muss es noch Stavenhagen?) einmal herausstellen –, als allein nach militärischen und wirtschaftlichen Aspekten vorgeschlagen wurde. Dies ist Ich darf darauf hinweisen, dass diese Bundeswehr- unser volkswirtschaftlicher Beitrag – wenn Sie so wollen: reform von spürbaren Maßnahmen zur Steigerung der das Sonderprogramm des Bundesministers der Verteidi- Attraktivität begleitet wird. Hierzu zählen die Besol- gung für die Regionen jenseits des militärischen Optimie- dungsverbesserungen, die in den Entwurf des sechsten rens. Besoldungsänderungsgesetzes aufgenommen werden. Sie wissen von den Neuordnungen der Laufbahnen sowie (Beifall bei der SPD – Günther Friedrich dem Bestreben, den einvernehmlichen Abbau von Perso- Nolting [F.D.P.]: Das ist wirklich abenteuer- nalüberhängen bei den Soldaten durch ein Personalan- lich! – Zuruf von der CDU/CSU: Aber mit wel- (B) passungsgesetz zu ermöglichen. Wir wollen diese Re- (D) chen Geldern?) form mit den Soldatinnen und Soldaten, mit den zivilen So leisten wir einen Beitrag zur Erhaltung der Wirt- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen, nicht gegen schaftskraft in strukturschwachen Gebieten und so halten sie. wir die Bundeswehr auch künftig in der Fläche umfassend (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Die mer- präsent. ken das aber gar nicht!) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Da muss Sie werden nach der Sommerpause Gelegenheit haben, man ja viel Fantasie haben!) sich hier parlamentarisch mit dem diesbezüglichen Ge- Erinnern Sie sich doch daran, was Sie bei Ihren Refor- setzesvorhaben zu befassen. Auf weitere wegweisende men 1994/95 gemacht haben: auf Teufel komm raus in der Änderungen wie die Öffnung der Bundeswehr für Frauen Fläche geschlossen! Und jetzt halten Sie uns vor, dass wir in allen Laufbahnen und Laufbahngruppen sowie die Ein- auf der Basis der von Ihnen getroffenen Entscheidungen führung eines abschnittsweisen Grundwehrdienstes darf zu wenig täten. Sehen Sie diese Reformen auch einmal im ich im Zusammenhang mit der Vollständigkeit der Re- Zusammenhang, berücksichtigen Sie, welche Standorte form hinweisen. geschlossen worden sind und fassen Sie sich unter Wür- Es ist hier auch darauf hingewiesen worden, dass der digung der Texte Ihrer Anträge an Ihre eigene politische Tarifvertrag möglicherweise unzulänglich und nicht zu fi- Nase, meine Damen und Herren! nanzieren sei. Das wird nicht der Fall sein. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren von der DIE GRÜNEN) Opposition, sollten vor Ort und hier im Hause aber auch Auch wenn die Bewältigung des durch die Standort- nicht mit gespaltener Zunge auftreten. Ich habe – der Kol- konversion ausgelösten Strukturwandels in erster Linie in lege Laumann ist leider gegangen – mit großer Betroffen- der Verantwortung der Länder und Regionen liegt, was heit davon gelesen, dass trotz richtiger Information im ja auch anhand des F.D.P.-Antrages schon diskutiert wor- Verteidigungsausschuss, bei dem der Partner der Presse- den ist konferenz von Herrn Laumann, Herr Breuer, offensicht- lich dabei gewesen sein muss, gesagt worden ist, man (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der ist könne den Tarifvertrag noch nicht rechtsverbindlich un- gut!) terzeichnen, weil der Bundesminister der Verteidigung – es ist gut, Herr Nolting! –, wirkt der Bund gleichwohl nicht so weit sei. Es ist ganz anders: Verdi ist noch nicht über ein breit gefächertes strukturpolitisches Instrumenta- aufgestellt, noch nicht rechtsfähig; deswegen können wir Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17641

Parl. Staatssekretär Walter Kolbow (A) erst am 18. Juli den Tarifvertrag zugunsten der Mitarbei- dem besten Weg dahin. Das Geleistete ist doch nur noch (C) terinnen und Mitarbeiter unterzeichnen. möglich, weil man Material zusammensammelt und die Soldaten mit den letzten Gerätschaften, die einigermaßen (Beifall bei der SPD – Peter Zumkley [SPD]: So funktionieren, ausstattet. Deshalb können Sie momentan ist das! Aber das sind die Tricks der Opposi- noch so erfolgreich sein. tion!) Nein, Herr Staatssekretär, die von Ihnen immer wieder Ich rufe Sie zu Redlichkeit in der politischen Auseinan- dersetzung auf, meine Damen und Herren. beschworene Bundeswehrreform verdient diese Bezeich- nung schlicht und einfach nicht; denn es ist keine Reform, (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie Schau- sondern ein reines Finanzdiktat des Bundesministers der spieler! – Weiterer Zuruf des Abg. Werner Finanzen und des Bundeskanzlers zulasten unserer Solda- Siemann [CDU/CSU]) ten, unserer Bundeswehr und unserer Sicherheitspolitik. – An mich jederzeit, das wissen Sie. So ein Zwischenruf, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Herr Kollege Siemann, trifft mich in diesem Zusammen- neten der F.D.P.) hang überhaupt nicht. Wir können das auch vor Ort aus- tragen. Leider Gottes hat sich dieses sicherheitspolitische Fiasko schneller eingestellt, als wir selbst dies zunächst Somit darf ich sagen: Diese Reform ist auf dem Weg. befürchtet hatten. Knapp ein Jahr nach dem Kabinettsbe- Der Zug fährt; er wird an Geschwindigkeit aufnehmen schluss zur so genannten Bundeswehrreform hat der (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Und ent- Generalinspekteur der Bundeswehr erklären müssen, dass gleisen!) die Bundeswehr ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO und der Europäischen Union wegen der fehlenden und er wird trotz Ihrer Unkenrufe am Ziel angelangen – Finanzmittel kaum mehr erfüllen kann. im Interesse unserer Bundeswehr als innenpolitisch und außenpolitisch wichtiges konstitutives Element unseres Knapp ein Jahr nach dem Beginn der so genannten Landes. Ich kann Sie nur einladen, hier nicht nur – aber Bundeswehrreform sind unsere Streitkräfte nicht mehr in das ist Ihre Farbe – schwarz zu malen, sondern der Re- der Lage, sich an einem begrenzten Einsatz der NATO zur form auch politische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Entwaffnung albanischer Rebellen in Mazedonien zu beteiligen. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das überfordert die Kollegen!) (Peter Zumkley [SPD]: Das stimmt doch nicht!) Ich danke für Ihre Geduld. – Ich komme noch darauf zu sprechen. (B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D) DIE GRÜNEN) Bereits bei der Verlängerung des KFOR-Mandats ha- ben wir klargestellt, dass wir einer weiteren Ausweitung des Mandats auf dem Balkan nur dann zustimmen kön- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat nen, wenn die Bundeswehr hierfür auch die zusätzlich jetzt der Abgeordnete Kurt Rossmanith. erforderlichen Finanzmittel erhält. Wir werden – damit Sie sich keinen falschen Hoffnungen hingeben – an dieser Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU) (von der CDU/ Vorgabe auch festhalten. Wir sind das unseren Soldaten CSU mit Beifall begrüßt): Frau Präsidentin! Meine sehr schlicht und einfach schuldig, die in diesen Krisenregio- verehrten Damen und Herren! Geschätzter Kollege nen ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren, um den si- Walter Kolbow, sie haben hier ein Bild gemalt. Das ein- cherheitspolitischen Auftrag, den wir ihnen erteilt haben, zige, was Sie dabei konstruktiv rübergebracht haben, war, zu erfüllen und um einen Beitrag zu Frieden und Stabilität dass Sie wieder versucht haben, auf die Vergangenheit zu in dieser Region zu leisten. kommen und vermeintliche Sünden der damaligen Regie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rung aus CDU/CSU und F.D.P. im Bereich der Sicher- neten der F.D.P.) heitspolitik und unserer Streitkräfte anzuprangern. Nur, da sind Sie, wie Sie das seit 1998 schon machen, wieder Es kann nicht angehen, dass unsere Soldaten immer in die gleiche Falle gerannt; denn die Zahlen – ich könnte neue Aufgaben von dieser Bundesregierung und den sie Sie Ihnen jetzt vorlegen, aber Sie kennen sie ja – sprechen tragenden Parteien erhalten und der Finanzminister eine ganz andere Sprache. Leider Gottes ist es eine Tatsa- gleichzeitig diesen Streitkräften die Mittel entzieht. Es che, dass die Lage der Bundeswehr in der Zwischenzeit ehrt zwar den Staatssekretär , dass er an dieser dramatisch geworden ist. Debatte teilnimmt, aber, lieber Staatssekretär Diller, hören Sie auch zu: Geben Sie sich im Finanzministerium Die sich zuspitzende Lage in Mazedonien zeigt endlich einen Ruck und geben Sie Ihrem Kollegen, Ver- schließlich – nicht, dass wir sagen, unsere Soldaten seien teidigungsminister Scharping – sprich: unseren Streit- schlecht ausgebildet oder ausgerüstet –, kräften –, das, was nötig ist, um unsere gemeinsame Si- (Peter Zumkley [SPD]: Aha!) cherheitspolitik, zu der wir immer gestanden haben, auch umsetzen zu können! dass wir auf dem Weg dahin sind. Im internationalen Ver- gleich sind wir natürlich stolz auf unsere Soldaten. Aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fragen Sie doch die Soldaten selbst: Wir sind doch auf neten der F.D.P.) 17642 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Kurt J. Rossmanith (A) Bundeskanzler Schröder erklärt nun, dass er sich die- berührt und berührt mich immer noch, lieber Herr Staats- (C) sem NATO-Einsatz in Mazedonien nicht entziehen will. sekretär Kolbow – in Garmisch-Partenkirchen die dortige Ich will ihn aber schon darauf hinweisen, dass die inter- Gebirgsdivision im wahrsten Sinne des Wortes zu Grabe nationalen Verpflichtungen Deutschlands auch haushalts- getragen. Das Gebirgsmusikkorps musste seinen eigenen politisch abgesichert sein müssen. Er hat heute gesagt, Trauermarsch spielen. Eine leistungsfähige, hoch moti- natürlich werde er dafür zusätzliche Mittel bereitstellen. vierte und traditionsreiche Division, die nicht nur eine Wörtlich ist heute der Presse zu entnehmen: „Darauf kann enorme sicherheitspolitische Bedeutung hatte, sondern sich der Verteidigungsminister verlassen.“ Bundesminis- darüber hinaus in der Bevölkerung fest verwurzelt war, ter Scharping wird diese Zusicherung sicherlich mit ge- wird mit einem Federstrich ausgelöscht. mischten Gefühlen und großer Skepsis zur Kenntnis ge- nommen haben. Dafür hätte ich auch volles Verständnis; (Hildebrecht Braun [Augsburg] [F.D.P.]: So ist denn der Verteidigungsminister hat schließlich in der Ver- es! Und die Bayern haben sich nicht genügend gangenheit seine eigenen negativen Erfahrungen mit den dagegen gewehrt, lieber Kollege!) Zusagen des Kanzlers machen müssen. Wir erleben hier die schmerzhafte Konsequenz einer sinn- Ich erinnere daran, dass Bundeskanzler Schröder noch losen Kahlschlagpolitik, die auch auf gewachsene Struk- sehr lange nach Beginn seiner Amtszeit vollmundige Ver- turen, die traditionelle Verankerung der Bundeswehr in sprechungen zur finanziellen Ausstattung der Bundes- den Regionen, keinerlei Rücksicht nimmt. Deshalb kön- wehr abgegeben hat. Ich finde es schon erstaunlich, meine nen Sie, die Bundesregierung und die sie tragenden Par- sehr verehrten Damen und Herren, mit welcher Gleich- teien, sich nicht aus der Verantwortung stehlen. gültigkeit und Ignoranz der Bundeskanzler heute auf die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Hilferufe der Bundeswehr reagiert und dass er dem Fi- nanzminister bei seinen Streichungen, Kürzungen und Zu den Standortschließungen: Es ist ja gut, dass Sie Reduzierungen auch weiterhin tatenlos zusieht und ihn jetzt endlich, nachdem Sie bisher alle unsere Anträge ab- gewähren lässt. Es ist ganz sicher, dass die Sicherheitspo- gelehnt haben, einmal Gespräche führen wollen. Nur, wir litik bei diesem Bundeskanzler keinen allzu hohen Stel- wollen Fakten sehen. Der Kollege Nolting und der Kol- lenwert besitzt lege Breuer haben ja Beispiele gebracht – ich sage nur: Stavenhagen –, wo Handeln geboten ist: Ich erinnere an (Zuruf von der SPD: Na, na!) die vielen Frauen, die in den Küchen der Bundeswehr ar- und die Probleme der Bundeswehr ihn im Endeffekt völ- beiten, die nicht die Möglichkeit haben, von diesem Pro- lig kalt lassen. zess, den Sie angesprochen haben, zu profitieren, weil sie auf ihre Region angewiesen sind. Diese wird es besonders Ich bin der Meinung, es ist allerhöchste Zeit, dass bei (B) treffen. (D) der gesamten Bundesregierung ein grundsätzliches Um- denken einsetzt. Wir stehen nämlich in der Gefahr – wie Auf das Argument, das die Bundesregierung immer es der Kollege Breuer schon gesagt hat –, unsere Glaub- wieder geltend macht, dass die Länder seit 1993 einen um würdigkeit auf internationaler Ebene, insbesondere im si- 2 Prozent höheren Anteil an der Mehrwertsteuer erhalten, cherheitspolitischen Bereich, zu verlieren. Gerade heute will ich nicht weiter eingehen. Das wird zwar von Ihnen, – um auch das einmal mit anzusprechen – hat der ameri- Herr Staatssekretär Kolbow, landauf, landab verkündet, kanische Präsident Bush erklärt, der amerikanische Ver- aber das ist völliger Unfug. Sie wissen, wie es sich seiner- teidigungshaushalt werde im nächsten Jahr um 18,6 Mil- zeit damit verhielt: dass hier ein Gesamtpaket geschnürt liarden US-Dollar ansteigen. Das ist ein Anstieg von rund wurde, dass die Konversion in dem Zusammenhang nur 6 Prozent. Wir hingegen rangieren mit unserem Wehretat ein nebensächliches Faktum war und dass der damalige inzwischen an letzter Stelle der NATO-Partner, das heißt, Ministerpräsident von Niedersachsen, Gerhard Schröder, noch hinter Luxemburg. das Gesamtpaket aus diesem Grunde mit abgelehnt hat. Lassen Sie mich einen weiteren Punkt mit ansprechen, Damals ging es um die Kosten für die deutsche Einheit der in den Anträgen enthalten ist: Der Bundesverteidi- oder, besser gesagt, um die Kosten für die Überwindung gungsminister und auch Sie, Herr Staatssekretär Kolbow, der Hinterlassenschaft des Sozialismus. haben in der Vergangenheit – wider besseres Wissen, Es ist noch nicht zu spät. Wir werden im Herbst mit den muss ich heute sagen – erklärt, dass die Bundeswehr auch Beratungen für den Bundeshaushalt 2002 beginnen. Be- nach der Reduzierung in der Fläche präsent bleiben sinnen Sie sich wieder! Der Bundeskanzler, die Bundes- werde. Das Gegenteil dessen ist eingetreten: Weite Land- regierung und die sie tragenden Parteien, die ab Septem- striche, vor allem in Bayern, muss man heute bedauer- ber die Haushaltsberatungen anführen, weil sie sowohl im licherweise als „bundeswehrfrei“ bezeichnen. Haushaltsausschuss als auch im Parlament mehrheitlich (Heidi Lippmann [PDS]: Bravo!) vertreten sind, sollten diese Korrektur aufgrund der Hin- terlassenschaft, die der Finanzminister in Bezug auf den Und dabei wird es ja nicht bleiben: Sollte es bei der der- Bundeshaushalt angerichtet hat, wirklich vornehmen. zeitigen Finanzplanung bleiben, so ist – schon aus reiner Geldnot – die Schließung weiterer Standorte so gut wie si- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) cher. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang mit aller Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Emotion sagen: Wir haben vorgestern – das hat mich sehr jetzt der Abgeordnete Rainer Arnold. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17643

(A) Rainer Arnold (SPD): Frau Präsidentin! Werte Kolle- Wenn es die Bundeswehr aber nur mit großer Anstren- (C) ginnen! Werte Kollegen! Es waren schon ziemlich starke gung und großer Mühe schafft, von diesen 320 000 Sol- Worte, die Sie, Herr Breuer, heute hier gewählt haben: daten 7 500 für einen Auslandseinsatz bereitzustellen, zum Beispiel „verludern“ und „Abbruchunternehmen dann merken wir doch, wie überfällig eine Reform Bundeswehr“. Glauben Sie eigentlich, dass Ihr Heiligen- tatsächlich ist. schein umso heller leuchtet, je scheinheiliger Ihre Argu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mente sind? Sie kennen sich beim Thema Bundeswehr gut des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kurt J. aus; auch Herr Rühe, der sich in den letzten Wochen ge- Rossmanith [CDU/CSU]: Wenn es nur eine Re- legentlich wieder zu Wort meldet. Zu Ihrer Zeit ist doch form wäre!) die Bundeswehr ausgeblutet! Sie haben die Investitionen auf 21,1 Prozent der Gesamtinvestitionen herunterge- Alle Experten, auch der von Ihnen zitierte Richard von fahren. Sie wissen, dass wir wieder Richtung 25 Prozent Weizsäcker, sind der Meinung: Wir werden in Zukunft kommen. – um den Aufgaben gerecht zu werden – 150 000 einsatz- fähige Soldaten und einen entsprechenden logistischen (Paul Breuer [CDU/CSU]: Nennen Sie einmal Unterbau brauchen. Genau dies werden wir im Laufe der die Bezugsgrößen!) nächsten Jahre aufgrund der jetzt vorgesehenen Reform Sie wissen auch, dass wir gerade in den nächsten Wochen erreichen. eine ganze Reihe von wichtigen Investitionsvorhaben im Wo bleiben Sie? Die CDU/CSU sagt nach wie vor: IT- und Kommunikationsbereich auf den Tisch legen und 330 000 Soldaten sind notwendig. – Wo ist Ihre sicher- positiv entscheiden werden. Dies werden wir im Gegen- heitspolitische Analyse, um zu solch einer Zahl zu kom- satz zu Ihnen umsetzen. men? Ich habe auch angesichts der von Ihnen geführten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diskussion im Rahmen der Schließung von Standorten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den Eindruck: Teile von Ihnen haben überhaupt noch nicht kapiert, dass die Bundeswehr kein Selbstzweck ist, Die Bugwelle an Mängeln, die wir bei der Material- sondern dass sie den politischen Rahmen ausfüllt, den wir unterhaltung vor uns herschieben, ist natürlich 1994 auf- ihr in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der Landes- gebaut worden und nicht in den letzten Jahren. Auch das und Bündnisverteidigung, im Hinblick auf unsere europä- Wort „Kannibalisierung“ haben nicht wir erfunden. Das ischen Aufgaben und unsere Zusagen gegenüber den Ver- stammt vielmehr aus der Zeit, in der Sie Verantwortung einten Nationen geben. tragen. Dies scheint bei Ihnen noch nicht angekommen zu (Peter Zumkley [SPD]: Richtig! – Zuruf des sein. Sie sprechen stattdessen fast immer nur – egal, wel- (B) Abg. Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]) che Vorlage wir zurzeit haben – über das Geld. (D) – Herr Rossmanith, bevor Sie hier dazwischenschreien, (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Weil es nicht ist festzustellen: Sie haben von einer Parlamentsarmee da ist!) gesprochen. Dann verhalten Sie sich doch bitte in Zukunft – Sie sagen genau das Richtige: weil es nicht da ist. Sie entsprechend! haben nicht Unrecht. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Lachen und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Übernehmen Sie als Parlamentarier Mitverantwortung für Angesichts unserer leeren Kassen ist eine Reform der die Reform dieser Parlamentsarmee! Bundeswehr – das wissen wir natürlich – in der Tat nicht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einfach. Doch auch die Bundeswehr muss ihren Beitrag DIE GRÜNEN) zur Konsolidierung der Staatsfinanzen leisten. Glauben Sie wirklich – ich bitte Sie, einmal darüber nachzuden- Es ist schon spannend: Herr Rossmanith sagt, er wisse ken –, dass eine Bundeswehrreform, die auf neuen Schul- gar nicht, was das solle, das sei gar keine Reform. den aufgebaut wird, unserer Bundeswehr bzw. den Solda- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist ein Bluff!) tinnen und Soldaten langfristig hilft? Herr Breuer sagte vorhin – ich zitiere –: „Die Eckpunkte Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, dieser Reform sind eigentlich richtig.“ gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen (Peter Zumkley [SPD]: Da hat er etwas Vernünf- Rossmanith? tiges gesagt! – Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich habe gesagt: die Hauptziele!) Rainer Arnold (SPD): Ich möchte meinen Gedanken Was ist nun Sache? Sprechen Sie sich zwischen CDU und kurz zu Ende bringen. – Die großen Investitionsvorhaben CSU doch einmal ab, wie Sie sich eine Reform überhaupt bei den Streitkräften standen exakt Ende der 90er-Jahre vorstellen! an. Wenn wir es nicht schaffen, den Trend im Bundes- haushalt umzukehren, das heißt, weniger Schulden zu ma- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) chen und am Ende zu einem ausgeglichenen Haushalt zu Das Dilemma ist doch jedem aufmerksamen Beobach- kommen, muss ich mich fragen: Wie soll die uns nachfol- ter offenkundig: Wir haben derzeit 320 000 Soldaten. gende Politikergeneration die Weichen richtig stellen und 17644 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Rainer Arnold (A) die neuen Herausforderungen für die Bundeswehr bewäl- den in den nächsten Tagen, vielleicht sogar Stunden, (C) tigen können? Letztlich versündigen Sie sich nicht nur an deutlich ausgeräumt. der Zukunft der jungen Generation, sondern auch an der (Beifall bei der SPD – Paul Breuer [CDU/ Zukunft der Bundeswehr, wenn Sie sagen: Wir geben CSU]: Sind Sie ganz sicher?) mehr Geld aus und nehmen dabei eine höhere Verschul- dung in Kauf. Sie haben das viele Jahre so gemacht, aber Wir sollten den Weg der GEBB konsequent zu Ende das ist völlig unsolide. denken. Ich bin sehr dafür, dass wir diese Gesellschaft zukünftig von unnötigen Fesseln befreien. Ich wünsche (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mir diese Eigentümergesellschaft und ich wünsche mir, DIE GRÜNEN) dass die GEBB am Kapitalmarkt aktiv werden kann, um eine Brücke für nötige Neuinvestitionen und Sanierungen Kurt J. Rossmanith (CDU/CSU): Herr Kollege, sind der Liegenschaften zu bauen. Sie der Meinung, dass wir eine Sicherheitspolitik nur nach (Paul Breuer [CDU/CSU]: Was ist mit dem Kassenlage machen können? Sind Sie weiter der Mei- Bundesrechnungshof?) nung, dass Anhebungen in anderen Bereichen des Bun- deshaushalts durchaus ihre Berechtigung haben, wir aber Dies ist vor allem für den Zeitraum wichtig, bis wir die Er- den Haushalt des Bundesministers der Verteidigung, zu- löse aus der Veräußerung der Liegenschaften haben. Al- leine in Bayern werden sich – Sie wissen das doch – aus lasten unserer Streitkräfte, überproportional kürzen müs- Grundstücksverkäufen 300 Millionen DM erzielen las- sen? sen; aber das braucht Zeit. Die GEBB kommt voran, die Ausschreibungen sind Rainer Arnold (SPD): Herr Kollege, Ihr Reden von vorbereitet, die GEBB hat in den Bereichen Flottenma- einer „Sicherheitspolitik nach Kassenlage“ ist – auf gut nagement, Bekleidung, Liegenschaften und Kommunika- bayerisch – ein richtiger Schmarren. Die Sicherheitspo- tionstechnik Prioritäten gesetzt. Wir werden nächste Wo- litik dieser Koalition orientiert sich an den neu erkann- che im Ausschuss feststellen können: Schritt für Schritt ten Aufgaben sowie an dem, was der Außenminister und wird dieses Projekt erfolgreich. der Bundeskanzler den Partnern unseres Landes zugesi- chert haben. Mit einem Betrag von 46,2 Milliarden DM (Paul Breuer [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zum im Haushalt und den zusätzlichen Effizienz- und Ver- Bundesrechnungshof! – Günther Friedrich äußerungsgewinnen können wir in den nächsten Jahren Nolting [F.D.P.]: Was sagt der Bundesrechnungs- auf einen Gesamtbetrag von 48 Milliarden DM kom- hof?) (B) men. Alles in allem: Die Reform ist auf einem guten Weg. Sie (D) umzusetzen ist ziemlich schwer, das ist klar. Aber deshalb (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Da reden sind wir gewählt worden, weil Sie mit derart schweren wir noch drüber!) Herausforderungen in der Vergangenheit eben nicht fertig Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass wir von geworden sind. Am Ende dieses Prozesses steht eine neu Ihrer Forderung gar nicht mehr so weit weg sind. ausgerichtete Bundeswehr. Sie wird mobil und im gesam- ten Einsatzspektrum durchhaltefähiger sein. Sie wird über (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Geben Sie eine technisch aktuelle Ausrüstung sowie ein qualifiziertes uns das schriftlich? – Günther Friedrich Nolting und weiterhin hoch motiviertes Personal verfügen. [F.D.P.]: Das steht ja im Protokoll! Das können wir nachlesen!) Meine Beobachtung bei meinen gelegentlichen Stand- ortbesuchen ist: Die Soldatinnen und Soldaten sind im – Ich weiß natürlich, dass Sie permanent Zweifel daran Prinzip viel ideenreicher, viel mutiger und sehen die schüren, ob wir es tatsächlich schaffen, die Erträge aus ei- Neuausrichtung der Bundeswehr – im Gegensatz zu Ihnen ner Effizienzsteigerung in die Scheuer zu fahren. von der CDU/CSU – eher als Chance. Natürlich ist es nicht einfach, einen so großen Appa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ rat wie die Bundeswehr zu modernisieren. Es gibt viele, DIE GRÜNEN – Kurt J. Rossmanith [CDU/ die diesem Vorhaben Steine in den Weg legen. Es ist CSU]: Waren Sie schon mal in einer Kaserne?) aber richtig: Die Kooperation mit der Wirtschaft, die Vielleicht sollten Sie bei Ihren Standortbesuchen in Gründung der Gesellschaft für Entwicklung, Be- den nächsten Wochen ein bisschen sorgfältiger zuhören, schaffung und Betrieb, ist ein neuer und wichtiger An- anstatt immer wieder zu versuchen, die betroffenen Sol- satz. Gelegentliche Widerstände sind für mich eher daten und auch die Zivilbeschäftigten in Ihrem ganz of- normal. Ich versuche, sie mit guten Argumenten aus- fensichtlich vordergründigen parteipolitischen Interesse zuräumen, sage allerdings dazu: Wenn das Beharrungs- in Stellung zu bringen. vermögen von Kollegen bzw. des einen oder anderen in der Beamtenschaft gelegentlich zu stark ist, muss es (Paul Breuer [CDU/CSU]: Ich wünsche Ihnen durchbrochen werden. Deshalb ist es sehr gut und ein drei Tage Telefondienst!) deutliches Zeichen, dass sich mit dieser Frage in den Das ist nicht gut für die Bundeswehr und es ist nicht gut vergangenen Wochen nicht nur der Verteidigungs- und für ein gedeihliches Zusammenführen der gemeinsamen der Finanzminister, sondern auch der Bundeskanzler Verantwortung in der Außen- und Sicherheitspolitik, die befasst hat. Sie werden sehen: Auch Ihre Zweifel wer- ein Stück Markenzeichen in den letzten 40 Jahren in die- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17645

Rainer Arnold (A) ser Republik war. Sie sind dabei, diesen wichtigen Kon- Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem (C) sens – das wiegt angesichts der kommenden schwierigen Parlamentarischen Staatssekretär Siegmar Mosdorf das Debatten besonders schwer – Stück für Stück zu zerstören. Wort. Herzlichen Dank. (Unruhe) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister für Wirtschaft und Technologie: Frau Präsiden- tin! Meine Damen und Herren! Es passiert mir ganz sel- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- ten, dass, wenn ich aufgerufen werde, der Saal sich leert. mit die Aussprache. Dieses Mal ist es offensichtlich der Fall. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi- gungsausschusses auf Drucksache 14/6396. Der Aus- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Nehmen Sie es schuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung nicht persönlich. Ich glaube, es war nicht so gemeint. die Ablehnung des Entschließungsantrags der Fraktion der CDU/CSU auf Drucksache 14/5220 zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung mit dem Titel „Die Bun- Siegmar Mosdorf, Parl. Staatssekretär beim Bundes- deswehr der Zukunft, Feinausplanung und Stationie- minister für Wirtschaft und Technologie: Danke schön, rung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung des Frau Präsidentin, Sie machen mir Mut. Ausschusses? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- Gelegenheit nutzen, den Prozess noch einmal darzustel- tionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von len, den wir seit der Privatisierung der Deutschen Post im CDU/CSU bei Enthaltung der F.D.P. angenommen wor- Jahre 1995 durchlaufen haben. Es war ein schwieriger, ein den. wichtiger Weg, der uns gleichzeitig in die Lage versetzt Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der hat, diesen wichtigen Sektor, der in vielen Ländern noch Ausschuss die Ablehnung des Entschließungsantrages der staatlich organisiert ist, in Deutschland in eine moderne Fraktion der PDS auf Drucksache 14/5236 zu der oben ge- Form zu bringen. nannten Regierungserklärung. Wer stimmt für diese Be- Lassen Sie mich zu Beginn ein herzliches Dankeschön schlussempfehlung des Ausschusses? – Gegenstimmen? – an die Arbeitnehmer sagen, die diesen Prozess des aktiven Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Strukturwandels mitgetragen haben. Stimmen des ganzen Hauses gegen die Stimmen der PDS (Beifall bei der SPD) (B) angenommen worden. (D) Meine Damen und Herren, ich glaube, dass es wichtig Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi- ist, dass wir jetzt versuchen, diesen Prozess weiter zu be- gungsausschusses auf Drucksache 14/6397 zu dem An- gleiten. Wenn wir uns die Globalisierung, die sich auf trag der Fraktion der F.D.P. mit dem Titel „Hilfe durch den dem Postmarkt, auf dem Logistikmarkt abspielt, einiger- Bund für die von Reduzierung und Schließung betroffe- maßen realistisch betrachten, dann wissen wir, dass dieser nen Bundeswehrstandorte ist unverzichtbar“. Der Aus- Markt schwer umkämpft ist und einem massiven Wettbe- schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 14/5467 ab- werb unterliegt. Deshalb müssen die Unternehmen auch zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – stark sein, um in diesem Wettbewerb bestehen und sich Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- entsprechend behaupten zu können. Ich glaube, dass der empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Sektor, den man klassisch Post nennt, in Zukunft der ent- gegen die Stimmen von CDU/CSU und F.D.P. bei Enthal- scheidende Transport- und Logistikmarkt sein wird. Es tung der PDS angenommen worden. wird für moderne Volkswirtschaften eine Schlüsselfrage sein, wie sie auf diesem Markt weltweit aufgestellt sind. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Ich danke sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen, Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- die sich im Unterausschuss mit diesem Thema sehr inten- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten siv beschäftigen. Gesetzes zur Änderung des Postgesetzes Die Bundesregierung hat, wie Sie wissen, im Tele- – Drucksachen 14/6121, 14/6261 – kommunikationsministerrat den Kurs der weiteren Libe- (Erste Beratung 174. Sitzung) ralisierung auch in Europa unterstützt und nachdrücklich darauf gedrängt; ich selber habe das bei mehreren Tele- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- kommunikationsministerräten für die Bundesregierung ses für Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) tun dürfen. Die einhellige Antwort der südeuropäischen – Drucksache 14/6325 – Länder darauf war immer – das wissen natürlich auch Sie, Berichterstattung: Herr Müller –, dass sie dargestellt haben, dass sie große Abgeordneter Elmar Müller (Kirchheim) Probleme damit haben, und gesagt haben: Wenn ihr einen gleichmäßigen Liberalisierungsfortschritt in Europa und Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die eine Öffnung der Märkte erreichen wollt, dann sprecht mit Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei- uns im Jahr 2010, 2011 oder später. Andere Länder, nen Widerspruch. Dann ist auch so beschlossen. wie Griechenland oder Frankreich, hatten noch andere 17646 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Parl. Staatssekretär Siegmar Mosdorf (A) Vorstellungen. Wir haben intensive Diskussionen darüber wurf der Bundesregierung und die Beschlussempfehlung (C) geführt. des Ausschusses zu unterstützen, weil das die Vorausset- zung dafür schafft, dass wir auf diesem wichtigen Zu- Am 22. Dezember 2000 hatten wir, auch das wissen Sie, eine Pattsituation im Ministerrat und kamen bei die- kunftsmarkt auch in Zukunft erfolgreich sein werden. ser Entscheidung deshalb nicht voran. Meine persönliche Vielen Dank. Einschätzung ist – ich selbst war gestern im Telekommu- nikationsministerrat –, dass das ein langwieriger Prozess (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sein wird. Es gibt viele Länder, die nach wie vor auf eine DIE GRÜNEN) staatliche Post Wert legen und nicht bereit sind, diesen Weg, den wir gegangen sind, jetzt schnell nachzuvollzie- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat hen. Da wir aber dafür eintreten, die Strategie der Markt- jetzt der Abgeordnete Elmar Müller. öffnung in Europa gemeinsam umzusetzen und nicht nur bei uns durchzuführen, müssen wir in Europa weiter auf die Liberalisierung drängen. Zugleich müssen wir aber Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Frau Präsi- alles tun, um uns selbst auf dem Markt stark zu positio- dentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Kolleginnen nieren. und Kollegen! In diesen Tagen erlebt die Bundesrepublik Deutschland einen Pleiterekord ganz besonderer Art: Die Das geschieht gegenwärtig. Für weitere Marktöff- Arbeitslosenzahlen steigen saisonbereinigt und die Ver- nungsschritte brauchen wir in Europa eine Mehrheit von braucherpreise steigen in einem Maße, dass es dem Bür- 62 Stimmen von insgesamt 87 Stimmen. Diese Mehrheit ger schwindlig wird, wenn er in seinen Geldbeutel schaut. haben wir nicht, und sie ist auch nicht absehbar. Deshalb Man sollte meinen, dass die rot-grüne Bundesregierung in haben wir uns dazu entschlossen, jetzt die Exklusivlizenz einer solchen Zeit Entscheidungen trifft, die der wirt- bis zum 31. Dezember 2007 zu verlängern. Damit geben schaftspolitischen Vernunft entsprechen. Aber sie tut das wir der Deutschen Post AG die Möglichkeit, aktiv inter- Gegenteil, indem sie zum gleichen Zeitpunkt das Be- national zu agieren, aber gleichzeitig nicht in die Situation triebsverfassungsgesetz verschärft, unverdrossen weiter zu kommen, wie wir sie von manchen anderen Branchen an der Erhöhung der Ökosteuer festhält und jetzt den Bür- kennen, wo wir uns bereits in einem liberalisierten Markt gern sogar beichten muss, dass trotz höherer Steuern nicht befinden und andere aus Monopolsituationen heraus ver- mit einer Senkung der Abgabenquote im sozialen System suchen, sich bei uns die Rosinen herauszupicken. Das gerechnet werden dürfe und nicht einmal mit einem Still- geht nicht. Wir wollen eine Marktöffnung und wollen stand, sondern sogar mit einer Abgabenerhöhung zu rech- gleichzeitig einen fairen Wettbewerb. Deshalb haben wir nen sei. jetzt diese Lösung vorgeschlagen. (B) In dieser wirtschafts- und arbeitsmarktspolitisch kriti- (D) Ich möchte mich herzlich bei den Kollegen bedanken, schen Zeit wird mit an den Haaren herbeigezogenen Ar- die daran mitgewirkt haben, dass wir bei den parlamenta- rischen Beratungen so zügig vorangekommen sind und gumenten das Postgesetz geändert, das bisher das Aus- dass wir im Wirtschafts- und im Rechtsausschuss eine laufen des Postmonopols zum Ende des nächsten Jahres schnelle Entscheidung getroffen haben, um die zweite vorsieht. Dieses von uns beschlossene Ende des Postmo- und dritte Lesung vorzubereiten. nopols sollte dem Verbraucher günstigere Posttarife brin- gen; der Markt sollte mit mehr und qualitativ höherwer- Die Entscheidung der Bundesregierung ist auch des- tigen Produkten ähnlich wie in der Telekommunikation halb so wichtig, weil damit Klarheit und Sicherheit für die eine neue Dynamik erhalten und es sollten vor allem neue Wettbewerber herrscht. Wer sich ein bisschen in der Bran- Arbeitsplätze geschaffen werden. che auskennt, der weiß, dass es eine Reihe von Wettbe- werbern und Lizenznehmer gibt, für die der Punkt der Ex- (Beifall bei der CDU/CSU) klusivlizenz gar nicht so wichtig ist. Sie haben sich sehr Meine Damen und Herren, in den vergangenen drei genau Marktnischen herausgesucht. In diesen Markt- Jahren haben sich mehr als 800 Firmen auf diese Chance nischen sind sie zum Teil sehr erfolgreich. Weil sie dort vorbereitet. Obwohl sie nur in einem engen Bereich re- erfolgreich sind, wollen sie auch weiterhin dort agieren. servierter Postdienste arbeiten durften, haben sie bei ei- Die Deutsche Post AG hat 240 000 Arbeitsplätze. Das nem Marktanteil von nur 1,5 Prozent 30 000 Arbeitsplätze sind wichtige Arbeitsplätze. Was den Transport- und Lo- geschaffen. gistikbereich angeht, ist das eine der wichtigsten Zu- Die Verlängerung des Postmonopols um weitere fünf kunftsunternehmungen überhaupt für Deutschland. Ich Jahre, die die Regierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Än- glaube, das Unternehmen Post hat sich gut aufgestellt und derung des Postgesetzes beabsichtigt, muss man zumin- organisiert sich gut. Wenn wir unseren Gesetzentwurf um- dest einen gravierenden Vertrauensbruch nennen. Et- setzen und gleichzeitig auf eine signifikante Marktöff- liche der betroffenen Firmen und vor allem viele nung in Europa drängen, dann haben wir eine gute Arbeitnehmer in diesen Firmen nennen es inzwischen so- Chance, diesen Weg weiterzugehen. Wir gehen aber nicht gar einen Betrug. naiv in ein Rennen, bei dem andere aus Monopolsitua- tionen heraus versuchen, uns in eine schwierige Situation (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zu bringen. In den vergangenen Jahren hat die Regulierungs- Wir werden deshalb die Verlängerung der Exklusiv- behörde für Telekommunikation und Post insgesamt lizenz vornehmen. Ich bitte Sie deshalb, den Gesetzent- 906 Unternehmen Lizenzen für die Beförderung von Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17647

Elmar Müller (Kirchheim) (A) Briefsendungen erteilt. Rund 600 Unternehmen davon Schwanitz, der sich eigentlich aufregen müsste, dass rund (C) sind heute am Markt tätig, der überwiegende Teil im Be- 5 000 Arbeitsplätze allein in den neuen Bundesländern, reich qualitativ höherwertiger Dienstleistungen, also in für die er zuständig ist, in den nächsten Monaten verloren den Bereichen, in denen es Produkte ohne diese Unter- gehen werden. nehmen gar nicht gäbe, weil sie von der Post überhaupt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht oder nur unzureichend angeboten werden. Es ist offensichtlich etwas anderes, ob IBM nach Ar- Der Kurs der Postaktie ist seit der Erstausgabe um beitskräften aus dem Ausland ruft, die Firma Holzmann 20 Prozent gefallen, wie wir nach der gestrigen ersten vor dem Konkurs steht oder ob kleine und mittelständi- Hauptversammlung heute den Zeitungen entnehmen sche Unternehmen Arbeitsplätze abbauen müssen. Diese können. Der erste Grund dafür ist, dass, wie die Deut- Regierung mag die Worte „Wettbewerb“ und „Mittel- sche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sagt, die stand“ noch so oft als Propagandaworte in ihren Sonn- politische Situation über das Briefmonopol der Aktie tagsreden in den Mund nehmen: Am praktischen Beispiel, schade. Der zweite Grund ist die Absicht des Bundes, wenn es darum geht, konkret etwas für den Mittelstand zu im nächsten Jahr weitere Aktienanteile der Post zu ver- tun, versagt das Wirtschaftsministerium und nicken die kaufen. Dann wurde in der gestrigen Hauptversamm- Abgeordneten der rot-grünen Koalition ergebenst und lung die Frage gestellt, wer denn diese Aktie überhaupt huldvoll das nur noch ab, was die Regierung ihnen abver- noch kaufen solle. Das schlechte wirtschaftspolitische langt. Image, das diese Regierung inzwischen hat, wird sogar auf die Post übertragen. Das hat die Post wirklich nicht (Beifall bei der CDU/CSU) verdient. Wo sind denn Ihr Abgeordnetenverständnis und Ihre Sor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen um die Arbeitsplätze geblieben? Meine Damen und Herren, auch die ständig vorgetra- Die Beiträge der Grünen in dieser Frage kann man im gene Kritik der SPD und der Gewerkschaften, wonach die Übrigen nur noch als humoristische Einlagen bezeichnen. neuen Wettbewerber der Post Arbeitnehmer beschäftig- Frau Hustedt, ich bin überzeugt, Sie meinen es ernst, ten, die völlig ohne Arbeitnehmerrechte seien, ist ledig- wenn Sie sagen, dass Sie gegen die Verlängerung des lich bösartig und durch die Praxis längst widerlegt. Die Postmonopols oder gegen die verhinderte Senkung der Regulierungsbehörde hat bei bisher 450 der insgesamt Beförderungspreise seien. Aber irgendwann müssen Sie 600 am Markt tätigen Unternehmen Überprüfungen vor doch einmal beweisen, dass Ihr Wort in der Koalition et- Ort durchgeführt. Diese Regelüberprüfungen haben ins- was gilt und dass Sie etwas bewegen können. Wenn dem gesamt ein positives Bild ergeben. Offensichtliche Ver- nicht so ist, dann sollten Sie Ihre gut gemeinten Beiträge (B) stöße gegen die Lizenzbestimmungen wurden in diesem künftig einfach bleiben lassen. (D) Bereich bisher nicht festgestellt. Bei den 450 bisher über- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) prüften Lizenznehmern sind rund 19 000 Arbeitskräfte be- schäftigt, davon 2 550 im Vollzeitbereich und 4 500 Teil- Sie wissen es doch selbst: Opfer der Entscheidung, die zeitkräfte; von den rund 10 500 geringfügig Beschäftigten Sie jetzt zu treffen beabsichtigen, wären zudem die neu stehen immerhin 9 000 in einem sozialversicherungs- gegründeten mittelständischen Firmen im Briefmarkt, die pflichtigen Arbeitsverhältnis. Damit werden – gemessen Sie in Existenznöte bringen werden. Diese hatten im Ver- an der Gesamtarbeitszeit – 95 Prozent der lizenz- trauen auf die im Postgesetz für Ende nächsten Jahres vor- pflichtigen Tätigkeiten in sozialpflichtigen Arbeitsver- gesehene Beendigung des Briefmonopols in den privaten hältnissen erbracht. Zustellmarkt investiert. Alle privaten Zustellunternehmen müssen als Folge der Verlängerung des Briefmonopols Noch immer gibt es – auch das muss gesagt werden – um ihre wirtschaftliche Basis fürchten. Für sie stellt sich rund 500 Klagen der Post AG gegen die Erteilung von Li- die Änderung des Postgesetzes als enteignungsgleicher zenzen an Unternehmen für höherwertige Dienstleistun- Eingriff dar. Ohne Wettbewerbsalternative sind Wirt- gen, wobei ein Großteil der verklagten Firmen inzwischen schaft und Handel dem Preisdiktat der Deutschen Post vom Markt verschwunden ist, weil sie wegen der hohen ausgesetzt. Anwaltskosten die Segel gestrichen haben. Es handelt sich um Lizenznehmer, die in der taggleichen Zustellung Das Briefmonopol wurde der Post für einen Über- eine Rolle gespielt haben, also die Post wirklich nicht tan- gangszeitraum verliehen, in der sich das Unternehmen auf giert hätten. Das klingt zwar salopp. Aber dahinter steht den Wettbewerb vorbereiten sollte. Das hat die Post, eine ganze Reihe von Entlassungen in die Arbeitslosig- denke ich, in ausreichendem Maße getan. Im Vertrauen keit. auf das gesetzlich festgelegte Enddatum des Briefmono- pols haben die privaten Briefdienste erhebliche Vorleis- Der AZD, der Alternative Zustelldienst, rechnet damit, tungen erbracht, Strukturen aufgebaut und ein neues Qua- dass ihm durch die Verlängerung des Briefmonopols, wie litätsbewusstsein im Briefdienst geschaffen. Vollends sie im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen unverständlich ist daher die dafür gegebene Begründung ist, allein in den neuen Bundesländern 5 000 Arbeitsplätze – die auch der Herr Staatssekretär vorhin angeführt hat –, verloren gehen. Das alles interessiert diese Regierung aus dass es – angeblich – Liberalisierungsdefizite auf europä- rot-grünen Genossen nicht im Geringsten. Zumindest ischer Ebene gäbe. habe ich bisher keinerlei Proteste gehört, weder vom Ar- beitsminister noch vom Beauftragten der Bundesregie- Sie, Herr Staatssekretär, mögen sich ja in einigen Run- rung für die neuen Bundesländer, Herrn Staatsminister den um die Liberalisierung der europäischen Postmärkte 17648 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Elmar Müller (Kirchheim) (A) bemüht haben. Aber die Tatsache, dass der Wirtschafts- einheitlicher Wettbewerbsrahmen geschaffen wird. Sie (C) minister sein Engagement darauf beschränkt hat, dem wissen sehr wohl, dass sich die Bundesregierung trotz ih- EU-Kommissar Bolkenstein einen Brief zu schreiben, rer Bemühungen auf europäischer Ebene nicht hat durch- diesen darin zu bitten, er möge in dieser Frage tätig wer- setzen können. Die Bundesregierung hat sich entschie- den, und ihm mitzuteilen, er stünde hinter allem, ist das den, nicht einseitig vorzupreschen, sondern zu versuchen, Eingeständnis, dass der Wirtschaftsminister nichts tun dafür zu sorgen, dass Europa zumindest ein Stück weit im wollte. Ich erinnere daran, dass der ehemalige Postminis- Gleichschritt vorangeht. ter Bötsch – die Situation war so, dass wir vor den letzten Dazu, dass die Opposition als Reaktion darauf sozusa- EU-Verhandlungen über eine einheitliche Regelung stan- gen die Backen aufbläst, sage ich Folgendes: Als wir über den – innerhalb von zehn Tagen alle Hauptstädte der Eu- diese Frage hier das letzte Mal debattiert haben, habe ich ropäischen Union abgefahren hat. Er erzielte am Ende sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich die Ent- eine Lösung – 350 Gramm –, die keiner für möglich ge- scheidung im Bundesrat sehr genau beobachten werde. halten hätte. Ein ähnliches Engagement hätte ich von die- Das habe ich getan. Der Bundesrat hat keinen Beschluss sem Bundesminister erwartet. gegen die Verlängerung des Briefmonopols gefasst. Ob- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wohl Sie im Bundesrat über eine Mehrheit verfügen, ha- ben Sie sich anscheinend nicht durchsetzen können. Das Ich möchte daran erinnern, dass der EU-Kommissar heißt, Sie haben für die Position, die Sie hier vertreten, bei für Wettbewerb, Monti, einen Tag, bevor der Minister den Ländern keine Mehrheit finden können. Ende Mai in der „Welt am Sonntag“ seine Begründung für die Monopolverlängerung gegeben hat, in der „Welt“ ge- (Elmar Müller [Kirchheim] [CDU/CSU]: Es schrieben hat: gab ein Patt im Bundesrat!) Sich dafür zu rächen – dass es keine einheitliche eu- Vor diesem Hintergrund sollten Sie hier nicht so die ropäische Lösung gibt – ist aber kein guter Weg in die Backen aufblasen, sondern zumindest versuchen, die Ar- Zukunft. Ich warne davor. gumente, die die Bundesregierung zu diesem Schritt be- wogen haben, zu verstehen. Wenn dieser Minister dieses Gesetz nun großzügig ver- ändern will, dann nimmt er den Mittelständlern und vor (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN allem den Arbeitnehmern eine Chance, die wir ihnen sowie bei Abgeordneten der SPD) eröffnen wollten. Ich möchte in diesem Zusammenhang Bedenken Sie, dass auch ich persönlich in dieser Angele- abschließend sagen, dass die Unionsfraktionen wegen der genheit eine eher skeptische Haltung habe. schlecht vorbereiteten Gesetzesberatungen und auch we- Wir haben uns mit der SPD-Fraktion zusammengesetzt (B) gen der wirklich schlampig vorbereiteten Anhörung letzte (D) Woche für Montag nächster Woche nochmals diejenigen und einen gemeinsamen Entschließungsantrag erarbeitet, Firmen eingeladen haben, die jetzt wahrscheinlich vor in dem wir auf bestimmte Begleitumstände der Verlänge- dem Konkurs stehen, um ihnen die Gelegenheit zu geben, rung des Monopols besonders hingewiesen haben. ihre Sorgen vorzutragen. In der letzten Sitzung des Wirt- (Rainer Funke [F.D.P.]: Sie sind voll einge- schaftsausschusses haben wir einige Anträge eingebracht, knickt!) die im Hinblick auf die Folgegesetzgebung ein Vermitt- lungsverfahren vorbereiten. Das Gleiche hat die hessische Wir bringen in diesem Antrag zum Beispiel sehr deutlich Landesregierung getan. zum Ausdruck – dazu haben Sie eben nichts gesagt –, dass wir durchaus Spielräume für Portosenkungen in diesem Bereich sehen. Wie wir alle wissen, sind Portosenkungen Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, eine Aufgabe der Regulierungsbehörde und nicht des denken Sie jetzt bitte an die Zeit. Staates. Nach Angaben der Post entfällt zwar nur rund ein Drittel des Umsatzes auf den Briefbereich, er trägt aber zu Elmar Müller (Kirchheim) (CDU/CSU): Deshalb drei Vierteln des Betriebsergebnisses bei. stimmen wir gegen die Verlängerung des Postmonopols. Im Briefbereich wurden im vergangenen Jahr Ge- Ich denke, dass ich ausreichend begründet habe, weshalb winne erzielt. Die Gewinne haben sich innerhalb eines wir das tun. Jahres verdoppelt. Das wird unter anderem mit den nicht Danke schön. mehr notwendigen Pensionszahlungen begründet. Es ist aber auch egal, warum. Es gibt eine Verdopplung der Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) triebsrendite. Deswegen sehe ich sehr wohl – auch wenn Herr Zumwinkel dazu öffentlich eine andere Position ver- tritt –, dass Spielräume für Portosenkungen gegeben sind. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Das wird auch in unserem Entschließungsantrag sehr jetzt die Kollegin Michaele Hustedt. deutlich zum Ausdruck gebracht. (Rainer Funke [F.D.P.]: Aber der Wirtschafts- Michaele Hustedt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): minister findet auch, dass das nicht geht! – Zu- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun- ruf von der CDU/CSU: Von welchem Ent- desregierung hat sich auf europäischer Ebene sehr inten- schließungsantrag reden Sie?) siv darum bemüht, dass im Postbereich weiter liberalisiert und auch im Hinblick auf die Postdienstleistungen ein – Ich rede von dem Entschließungsantrag der Fraktionen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17649

Michaele Hustedt (A) Ein Weiteres ist – auch dies wird im Entschließungs- – Natürlich glaube ich das, Herr Kollege. – Denn es wa- (C) antrag der Fraktionen sehr deutlich zum Ausdruck ge- ren ausschließlich die Gewerkschaften, die das Postmo- bracht –: Wenn man auf der einen Seite Monopolberei- nopol verlängert haben wollten. Selbst Ihr Wirt- che – wie wir sie in den nächsten Jahren noch vorfinden schaftsminister wollte – im Übrigen im Einvernehmen werden – und auf der anderen Seite Bereiche hat, die im mit seinem Staatssekretär Mosdorf – diese Änderungen Wettbewerb stehen, dann muss man verhindern, dass es zu nicht. Auch Sie und Ihre Bundestagsfraktion – genauso einer Quersubventionierung kommt und dass die Post wie Frau Hustedt – sind noch lange herumgeeiert. im Monopolbereich Gewinne einfährt, die sie dafür ein- setzt, mit Dumpingpreisen in anderen Bereichen die wei- (Klaus Barthel [Starnberg] [SPD]: Eiern tun teren Wettbewerbsteilnehmer kaputtzumachen. Im Post- wir nicht! Eiern tut die F.D.P. und nicht die gesetz gibt es hiergegen schon gute Vorkehrungen. Auch SPD!) die EU hat entsprechende Beschlüsse gefasst. Die EU Anschließend haben Sie sich auf Druck der Gewerkschaf- wird also sehr stark darauf achten. Wir sagen nunmehr ten dazu entschieden. Das ist doch überhaupt keine Frage. sehr deutlich, dass für die Regulierungsbehörde und für das Wirtschaftsministerium eine große Aufgabe darin be- Eine Verlängerung des Postmonopols über das steht, die buchhalterische Trennung von Wettbewerbs- Jahr 2000 hinaus ist nicht nur aus wettbewerbspolitischen und Monopolbereichen durchzusetzen. Gründen inakzeptabel. Auch ordnungspolitisch ist eine Zum Schluss möchte ich etwas aufgreifen, von dem ich solche Entscheidung nicht tragbar. Das hat – das ist auch glaube, dass ich hierzu Ihre Zustimmung bekommen in der Anhörung sehr deutlich geworden – überhaupt werde. Der Bundesrat hat in seinem kleinen Beschlüsslein nichts mit Europa zu tun. Sowohl aus europarechtlichen angemahnt – das finde ich richtig –, dass einige Bereiche, als auch aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ist eine die mit der Verlängerung der Lizenzen zusammenhängen, Verlängerung der Exklusivlizenz nicht notwendig. zum Beispiel die Postdienstleistungsverordnung, nach- (Beifall bei der F.D.P.) träglich geändert werden müssen. Ich meine, es ist den Bürgern nicht zu vermitteln, dass man einerseits das Mo- Ich möchte in Erinnerung rufen, dass es die SPD ge- nopol verlängert und andererseits – das hört man vonsei- wesen ist, die die Postreform II mit Art. 87 f in Verbindung ten der Post – den Service verringern will. Dies ist wohl mit Art. 143 b des Grundgesetzes auf den Weg gebracht nicht zu akzeptieren. Ich hoffe, hierfür werden wir im hat, wo ausdrücklich steht, dass die Postdienstleistungen nachfolgenden Verfahren Ihre Zustimmung bekommen. im Wettbewerb zu erbringen sind. Die SPD hat dem mit zu- gestimmt, und bei der Beratung des Postgesetzes im Ver- Ich danke Ihnen. mittlungsausschuss haben Sie unter Federführung von (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Bury diesem Datum 2002 zugestimmt. Was soll man (D) und bei der SPD) da noch sagen? Wenn man für die Post ist – und diese Post agiert gut am Markt, das ist überhaupt keine Frage –, aber Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat gleichzeitig auch die Verbraucherinteressen vertritt, muss jetzt der Abgeordnete Rainer Funke. man sagen: Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten! (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Rainer Funke (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- Peter Dreßen [SPD]: So trifft sich KPD mit men und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung F.D.P.!) zur Änderung des Postgesetzes wird von uns entschieden abgelehnt. Ich garantiere Ihnen: Nach der nächsten Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Bundestagswahl wird die Zahl 2007 unverzüglich in 2003 jetzt der Abgeordnete Gerhard Jüttemann. geändert werden.

(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Gerhard Jüttemann (PDS): Frau Präsidentin! Meine Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Damen und Herren! Lassen Sie mich die Gelegenheit nut- NEN]: Nur wenn Sie dran sind!) zen, meine Besuchergruppe auf der Tribüne zu begrüßen. – Uns wird nicht passieren, was Ihnen passiert ist, näm- Man erlebt die Situation hier im Plenum ja selten. Sie ha- lich voll einzuknicken. Das sage ich Ihnen schon jetzt. ben in Nordthüringen sicher auch schon gehört, wie stark (Beifall bei der F.D.P.) das Plenum bei solchen Spitzenthemen besetzt ist. Sie wollen ja eine andere Regelung haben, aber viel Unter- Allein die Vorgehensweise der Bundesregierung, näm- stützung haben Sie in diesem Bundestag nicht. lich den Gesetzentwurf im Hauruckverfahren vor der Sommerpause durchzupeitschen, ist in unseren Augen un- (Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Mein Gott, akzeptabel und bestätigt wieder einmal mehr, dass sich Sie Pharisäer!) unser Wirtschaftsminister nicht von ausgewogener Sach- Die PDS-Fraktion wird dem Gesetzentwurf der Bun- kompetenz, sondern vielmehr von einseitigen Gewerk- desregierung zur Verlängerung der Exklusivlizenz zu- schaftsinteressen leiten, ich sollte vielleicht besser sagen: stimmen. Wenn wir trotzdem einige Bauchschmerzen da- verleiten lässt. bei haben, dann deshalb, weil die Motive unserer (Dr. Peter Danckert [SPD]: Aber Herr Funke, Zustimmung völlig andere sind als die von der Bundesre- das glauben Sie doch selber nicht!) gierung mit dem Gesetzentwurf verfolgte Absicht. 17650 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Gerhard Jüttemann (A) Der Bundesregierung geht es vor allem um Standort- Wenn der Bund nun aber seine Einflussmöglichkeiten (C) gründe. Sie will Wettbewerbsvorteile einiger großer Kon- als Eigentümer der Deutschen Post AG verliert, die er kurrenten der Deutschen Post in Ländern, die es mit der zwar schon heute bei der Beantwortung Kleiner Anfragen Liberalisierung nicht so eilig haben, verhindern. Was sich regelmäßig bestreitet, aber dennoch hat, würde das den in dieser Debatte als großer Konflikt zwischen CDU/CSU Abbau bei den postalischen Leistungen und bei der Qua- und F.D.P einerseits und der Regierungskoalition ande- lität der Arbeitsplätze im Postbereich, den wir mit der heu- rerseits darstellt, sind in Wirklichkeit marginale Mei- tigen Entscheidung ein wenig abbremsen können, erneut nungsverschiedenheiten. beschleunigen. Einig sind und waren Sie sich Mitte der 90er-Jahre da- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. rüber, dass das Dienstleistungsprinzip der Post, also ein (Beifall bei der PDS) von Angestellten des Bundes in geschützten Arbeitsver- hältnissen zu erbringendes breites Leistungsangebot, schnellstmöglich durch das Verwertungsprinzip zu erset- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat zen ist. jetzt der Abgeordnete Klaus Barthel. Auf der Strecke blieben bei dieser konzertierten Aktion 150 000 Arbeitsplätze, sozialverträglich abgebaut, wie es Klaus Barthel (Starnberg) (SPD): Sehr geehrte Frau heißt, weil niemand betriebsbedingt entlassen wurde. Das Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist zwar richtig, aber die Arbeitsplätze sind trotzdem ein vollziehen wir einen entscheidenden Schritt für alle Mal vernichtet. Zehntausende weitere Arbeits- (Rainer Funke [F.D.P.]: Einen Schritt zurück!) plätze wurden in ungeschützte Arbeitsverhältnisse umge- wandelt, teils bei den Konkurrenten der Post, teils auch zu mehr Berechenbarkeit und Klarheit auf dem deutschen bei den posteigenen Tochterfirmen. Übrigens sind von Postmarkt. Wir beenden damit das unverantwortliche Ge- den 30 000 bei den Konkurrenten entstandenen Arbeits- tue von Union und F.D.P., dass es nicht sinnvoll, nicht not- plätzen weit mehr als die Hälfte lediglich Arbeitsplätze wendig und nicht möglich wäre, die Exklusivlizenz für für geringfügig Beschäftigte ohne Sozialversicherungs- die Deutsche Post AG zu verlängern. Seit einigen Wochen pflicht; das nur zur Richtigstellung, weil dazu ja beson- tun Sie so, als wollten oder könnten Sie diesen Schritt ders bei der CDU/CSU ganz abenteuerliche Zahlen kur- tatsächlich noch aufhalten oder verhindern. Sie machen sieren. das aber nicht mit Argumenten, sondern mit gezielter Desinformation über die vorher im Ausschuss verabrede- (Zuruf von der CDU/CSU: Das sind die ten parlamentarischen Vorgehensweisen. Sie haben sich offiziellen!) in einen Widerspruch verwickelt: Sie reden von Vertrau- (B) Auf der Strecke blieb aber nicht nur das Beschäfti- ensschutz und Planungssicherheit für die Unternehmen, (D) gungsniveau, sondern auch das Leistungsniveau der Post. aber gleichzeitig sprechen sich führende Vertreter der Zehntausende Filialen wurden geschlossen und durch so Union auch in der Sache für und gegen die Verlängerung genannte Postagenturen ersetzt, bei denen jetzt auch der Exklusivlizenz aus. Sie desinformieren die Medien schon wieder das Massensterben einsetzt, weil sie sich an- über das Beratungsverfahren. geblich nicht rechnen. Jetzt legt auch noch das Land Hessen ein so genanntes Diese Probleme werden sich naturgemäß mit zuneh- Kompromissangebot vor. All dies dient nur dem Zweck mender Liberalisierung, auch wenn sie heute ein bisschen der Verzögerung und der eigenen Profilierung in der Öf- gebremst werden, weiter verschärfen. Der Brief von der fentlichkeit. Sie tun damit nichts anderes, als die, die Sie Hallig ins Alpendorf rechnet sich natürlich auch nicht und zu schützen vorgeben, an der Nase herumzuführen. Hören wird irgendwann deshalb so teuer sein, dass ihn niemand Sie endlich auf, der Öffentlichkeit und den Marktteilneh- mehr abschickt. mern vorzugaukeln, Sie könnten in der Sache noch etwas ändern! Wir werden heute Klarheit schaffen. Das tun wir Schon heute ist absehbar, dass der Universaldienst, der ja auch, um die den Ländern gegebene Zusage, die Folgeän- schon heute nur einen ganz und gar unzureichenden Kata- derungen zeitnah auf den Weg zu bringen, einzuhalten. log postalischer Mindestleistungen darstellt, nach 2007 weiter ausgedünnt werden wird. Wir werden das konse- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten quent bekämpfen und wenden uns deshalb schon heute des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des mit aller Entschiedenheit gegen die Ankündigung der Abg. Gerhard Jüttemann [PDS]) Bundesregierung, noch in diesem Jahr ein Gesetz auf den Im Übrigen lohnt sich die Debatte über den hessischen Weg zu bringen, das die Aufgabe der Kapitalmehrheit an Vorschlag schon deswegen nicht, weil er per se einen wei- der Deutschen Post AG ermöglicht. teren Kahlschlag bei den Filialstandorten und einen wei- Solange dieses Unternehmen den Universaldienst zu teren Arbeitsplatzabbau beinhaltet. Er bezieht sich außer- erbringen hat, so lange muss nach unserer Auffassung dem auf Vorschläge der EU-Kommission, die eindeutig, auch der Bund die Kapitalmehrheit behalten, schon des- sowohl im Ministerrat als auch im EU-Parlament, keine halb, weil er nach Art. 87 f des Grundgesetzes verpflich- Chance auf eine Mehrheit hatten und deswegen abgelehnt tet ist, flächendeckend angemessene und ausreichende wurden. Wir begrüßen es ausdrücklich, dass der Bundes- Dienstleistungen im Bereich des Postwesens zu gewähr- rat im Interesse der Klarheit den Weg für ein verkürztes leisten. Schon heute funktioniert das nicht mehr; ich habe Verfahren und für die notwendigen Folgeänderungen dazu einiges gesagt. noch vor der Sommerpause freigemacht hat. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17651

Klaus Barthel (Starnberg) (A) Wir halten fest: Die Verfassungsrechtler haben in der drücken sich konsequent um die Frage, wer das bezahlen (C) Anhörung gesagt, dass sowohl bei der Verfassungsände- soll. In nahezu allen Ländern der Welt geschieht das über re- rung 1994 als auch beim Vermittlungsverfahren zum Post- servierte Bereiche. Andere Modelle funktionieren nicht; das gesetz 1997 gezielt und bewusst offen gelassen wurde, hat auch unsere Anhörung gezeigt. Aber vielleicht gilt hier wann die Exklusivlizenz endgültig ausläuft. Außerdem ja ebenfalls das Merz-Merkel-Modell des Zehnpunktepro- geht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gramms: heute bestellen, die Rechnung jetzt offen lassen dahin, dass Vertrauensschutz schon ab der Ankündigung und die Nachfolger beschimpfen, wenn sie das bezahlen einer Gesetzesänderung durch einen Minister nicht mehr müssen. reklamiert werden kann. Von daher ist es aberwitzig, zu be- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ haupten, die Arbeitsplätze und Existenzen von Lizenzneh- DIE GRÜNEN) mern auf dem Postmarkt seien gefährdet. Die Lizenzen be- ziehen sich doch ausdrücklich nicht auf den reservierten Dann sind wir beim nächsten Widerspruch der Union, den Bereich. Sie wurden an Nischenunternehmen vergeben, Arbeitsplätzen. Elmar Müller hat auch heute wieder zu Pro- die niemals vorhatten und niemals die Kapitalkraft hatten, tokoll gegeben, dass durch unser Vorhaben 30000 sozialver- sich in einem total liberalisierten Markt zu behaupten. sicherungspflichtige Arbeitsplätze bei den Post-Wettbewer- bern zerstört würden. Diese sozialversicherungspflichtigen Es gibt auch Unternehmer, die das ganz offen ausspre- Arbeitsplätze sind eben nicht von der Exklusivlizenzverlän- chen, indem sie sagen, dass ihre Existenz bei einer sofor- gerung bedroht, sondern vom Zehnpunkteprogramm der tigen Marktöffnung gefährdet ist. Es gibt auch Unterneh- CDU/CSU. Dort wird nämlich ausdrücklich die Abschaf- mer, die ganz offen sagen, dass sie aufgegeben haben, fung der 630-Mark-Regelung gefordert. Wenn das geschähe, weil sie, als sie eigentlich auf ein Nischenprodukt setzten, fiele die Sozialversicherungspflicht für über 20 000 dieser von der Nachfrage überrollt wurden und gar nicht genug Arbeitsplätze auf einen Schlag weg, weil nämlich nur Kapital hatten, um entsprechend zu investieren. Deswe- 8 000 dieser 30 000 Arbeitsplätze normale Teilzeit- oder gen sollten sich alle, die Post von der Aktion „Mehr Farbe Vollzeitstellen sind. im Postmarkt“ bekommen oder von deren Veranstaltun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen hören, einmal erkundigen, wer diese Aktion steuert und finanziert. Man wird dann sehr schnell bei einer ein- Das bedeutet also 22 000 ungeschützte Arbeitsverhält- zigen Farbe landen. nisse nach dem Zehnpunkteprogramm der Union. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Gerhard Dann profilieren Sie sich als Panikmacher. Das Schei- Jüttemann [PDS]) tern von einzelnen Unternehmen wird zur Branchenkrise umstilisiert. Die Zahlen und Fakten belegen aber eine Ich möchte auch noch einmal festhalten: Wir haben ganz andere Rechnung. In den letzten drei Jahren haben (B) überhaupt nichts gegen starke ausländische Wettbewerber sich die Umsätze der Lizenznehmer im Briefbereich von (D) auf dem Postmarkt. Diese belegen genauso wie auch die 151 Millionen DM auf 385 Millionen DM mehr als ver- Direktinvestitionen anderer die Attraktivität des von doppelt. Die Zahl der Lizenzanträge und Lizenzvergaben Union und F.D.P. ständig schlecht geredeten Standort steigt kontinuierlich an. Deutschland. Ich frage mich nur, warum sie nicht den Mut Auch in der Postpolitik stimmen also bei der Union und haben, offen aufzutreten und zu sagen, wer sie sind und bei der F.D.P. Realität und Wahrnehmung nicht überein. was sie wollen. Klar, emotional gefärbtes, verquastes Dem stellen wir ein Gesamtkonzept gegenüber, das Sie in Mittelstandsgerede mag sich besser anhören, unserem Entschließungsantrag nachlesen können. Wir sa- (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) gen auch ganz klar, wo unsere Sorgen liegen. Wir schauen es uns nicht mehr an, dass wieder eine Welle von Agen- aber man wird doch schon einmal fragen dürfen, warum turschließungen durchs Land rollt und die Leistungen die kleinen und mittleren Unternehmen mehr Angst vor Qualitätsverschlechterungen erfahren, der Post AG als vor den Globalplayern mit Quasimono- polen im Stammland und ihren Töchtern in Deutschland (Beifall bei der SPD) haben sollen. sondern wir werden, auch mit einer Verlängerung der Uni- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) versaldienstauflagen, Sorge dafür tragen, dass die Qua- lität gesichert wird und die Folgeänderungen auf den Weg Ihre Beispiele Schweden und Finnland sprechen die- gebracht werden. selbe Sprache, nicht nur, weil die Exmonopolisten dort noch 95 oder sogar 100 Prozent Marktanteil haben. Der All dies steht in unserem Entschließungsantrag. Es schwedische Hauptkonkurrent City Mail zum Beispiel lohnt sich, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Dann kann auch gehört mehrheitlich der britischen Post und teilt sich die nicht hinterher wieder irgendjemand sagen, er habe nichts Aktivitäten schiedlich-friedlich mit der schwedischen davon gewusst und irgendeine Entwicklung komme völ- Staatspost. In Finnland müssen die Wettbewerber 20 Pro- lig überraschend und breche den Vertrauensschutz. zent ihres Umsatzes als Universaldienstabgabe bezahlen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich bin gespannt, ob die Propagandisten des finnischen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Vorbildes auch diesen Teil des Modells in der Bundesre- PDS) publik übernehmen wollen. Damit sind wir beim Universaldienst. Den fordern die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Union und die CDU- und CSU-Länder zwar, aber sie mit die Aussprache. 17652 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- einmal der Ausbau der Prävention, das ist zum anderen die (C) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung Steigerung der Qualität der Versorgung, und das ist des Postgesetzes, Drucksachen 14/6121, 14/6261 und schließlich der effiziente Mitteleinsatz durch mehr Wett- 14/6325. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie bewerb, das aber bei Beibehaltung des Prinzips der Soli- empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung, den darität. Deshalb muss die Devise auch lauten: Wettbe- Gesetzentwurf anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem werb zwischen den Krankenkassen: Ja, aber nur unter Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – fairen Bedingungen. Das heißt Wettbewerb um die besten Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist Versorgungskonzepte. Das heißt nicht Wettbewerb aus- damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti- schließlich um gesunde Versicherte. Deshalb müssen wir onsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von den Wettbewerb neu regeln. CDU/CSU und F.D.P. angenommen worden. Wir haben den Risikostrukturausgleich, um den es Dritte Beratung heute geht, 1992 fraktionsübergreifend geschaffen. Wir und Schlussabstimmung. Ich bitte Sie, sich zu erheben, haben es damals gemacht, um Risikoselektion zu vermei- wenn Sie dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Ge- den. Jetzt müssen wir feststellen, dass das, was wir uns genstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damals vorgenommen hatten, so nicht hinreichend funk- damit in dritter Lesung mit dem eben festgestellten tioniert hat. Deshalb müssen wir den Risikostrukturaus- Stimmverhältnis angenommen worden. gleich um weitere Elemente ergänzen. Ich glaube, wir sind uns ziemlich einig darüber, dass das notwendig ist. Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ich hoffe sehr, dass es uns im Laufe der Beratungen ge- Ausschuss die Annahme einer Entschließung. Wer stimmt lingt, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, die, wie für diese Beschlussempfehlung des Ausschusses? – Wer damals 1992 beim Risikostrukturausgleich, auch diesmal stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss- die Opposition mittragen kann. empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und der PDS gegen die Stimmen von CDU/CSU und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des F.D.P. angenommen worden. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf: Es kann doch einfach nicht sein, dass Marketingpro- a) Erste Beratung des von den Fraktionen der SPD gramme für Gesunde finanziert werden und ein hoch qua- und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN einge- litatives Versorgungsmanagement nicht zu dem Bereich brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des gehört, der für die Kassen ohne Risiko einsetzbar ist. Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Wir haben als Grundlage die Wechsler-Analysen und Krankenversicherung wissen, dass unter den 1,2 Millionen Kassenwechslern im (B) (D) – Drucksache 14/6432 – letzten Jahr nur etwa 800 chronisch kranke Menschen wa- ren. Das ist der Punkt, von dem ich einfach glaube, dass Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit wir ihn verändern müssen. Solidarität zwischen Kran- ken und Gesunden lebt – davon bin ich fest überzeugt – b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- vom Ausgleich. Es kann nicht funktionieren, wenn in ei- regierung nem Teil der Kassen immer mehr Alte und Kranke und in einem anderen Kassenbereich immer mehr Junge und Ge- Bericht der Bundesregierung über die Untersu- sunde sind. chung zu den Wirkungen des Risikostruktur- ausgleiches in der gesetzlichen Krankenver- Deshalb werden wir den Wettbewerb verändern. Wir sicherung werden kurzfristige, mittelfristige und langfristige Ele- – Drucksache 14/5681 – mente einführen. Zu den kurzfristigen Elementen gehört, dass wir in 2002 mit Disease-Management-Program- Überweisungsvorschlag: men starten wollen. Bei diesen Disease-Management- Ausschuss für Gesundheit (f) Rechtsausschuss Programmen ist vorgesehen, dass man sich auf sie einigt, Ausschuss für Wirtschaft und Technologie dass sie inhaltlich ausgefüllt werden – dabei wird uns der Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung neu eingerichtete Koordinierungsausschuss hilfreich sein – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dass die Kassen dann, wenn sie diese Programme Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder durchführen, einen Ausgleich von anderen Kassen für Nach interfraktioneller Vereinbarung ist für die Aus- diese Programme bekommen. sprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es gibt kei- Ein zweiter Punkt, um wieder zu mehr Solidarität im nen Widerspruch; dann haben wir so beschlossen. Wettbewerb zu kommen, ist die Einrichtung des Risiko- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst die pools. Bei dem Risikopool haben wir vorgesehen, dass Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Schaich- die Kassen das Krankheitsrisiko bei einzelnen Versicher- Walch. Bitte, Sie haben das Wort. ten bis 40 000 DM bezahlen, dass dann aber, wenn die Kosten darüber liegen, die Versichertengemeinschaft ei- nen Ausgleich zahlt, und zwar in Höhe von 60 Prozent der Gudrun Schaich-Walch, Parl. Staatssekretärin bei Kosten, die entstehen. der Bundesministerin für Gesundheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung Ich bin überzeugt, dass wir mit dem Einsatz dieser Ele- orientiert ihre Gesundheitspolitik an drei Zielen. Das ist mente – es kann durchaus sein, dass im Laufe der An- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17653

Parl. Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch (A) hörung noch ein weiteres Element hinzukommt – kurz- ner Überzeugung macht auch die Tatsache, dass wir die- (C) und mittelfristig die Weichen gut stellen können. ses Element für den Gesetzentwurf nicht beibehalten ha- ben, sehr deutlich, dass wir gemeinsam die anderen Ele- Auf dieser Basis werden wir dann das Ziel in den Blick mente, die wir in den Gesetzentwurf aufgenommen nehmen können. Das Ziel, das wir ansteuern müssen, ist haben, kurz- und mittelfristig sehr schnell und sehr kon- – das haben auch alle Gutachten der Wissenschaftler ge- sequent zur Anwendung bringen müssen, um mit Hilfe sagt – die Morbiditätsorientierung im Risikostruktur- dieser Elemente den Ausgleich zwischen den Kassen her- ausgleich. Das heißt, die Verteilung der Mittel muss sich beizuführen. daran ausrichten, wie viele kranke und gesunde Patientin- nen und Patienten eine Kasse hat und wie sie diese zu ver- Es ist schwierig, einen solchen Konsens zu finden. Die sorgen hat. Wenn wir dieses Ziel dann im Jahre 2007 er- Ministerin hat versucht, diesen Konsens zu finden, um reicht haben, werden wir das eine Instrument, den auch die Kassengemeinschaft beieinander zu halten und Risikopool in Höhe von 40 000 DM, wohl in einen Hoch- die verschiedenen Ausgangssituationen und Problem- risikopool umwandeln können – das wird vertretbar sein –, situationen der einzelnen Kassen zu würdigen. Wir stehen wovon die Krankenkassen und ebenso die Kranken mit jetzt mit dem Ergebnis: Disease-Management, Risiko- Krankheiten, die sehr viel teurer sind, profitieren. pool, Morbiditätsausgleich in der Debatte; wir sind bereit, Anregungen, die in der Debatte gemacht werden – wie das In dieser Woche und in der vorigen Woche hat es eine üblich ist –, aufzunehmen und sie gemeinsam zu disku- heftige Debatte darum gegeben, wie es mit dem einen tieren. Ich hoffe sehr, dass wir auch für diesen Bereich Element aussieht, das weggefallen ist. Herr Lohmann, ich eine gemeinsame und tragfähige Lösung finden, wie es habe bei Ihnen noch einmal nachgeschaut – auch bei der uns 1992 gelungen ist. F.D.P. –: Es war eine unglaubliche Kritik. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] DIE GRÜNEN) [CDU/CSU]: Ja, sicher!)

Es wurde behauptet, es seien 12,5 Prozent Mindest- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat beitrag. Dabei war dieser Beitrag als Solidarbeitrag von jetzt der Abgeordnete Wolfgang Lohmann. Anfang an auf zwei Jahre festgelegt und nicht als ein Dau- ersatz geplant. Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (CDU/CSU): (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wenn das so toll Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her- ist, warum schaffen Sie es dann ab?) ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, – Nun, das sage ich Ihnen jetzt gleich. Sie sollten sich Frau Schaich-Walch, hier heute schon wieder stehen und (B) doch einfach einmal freuen. den Versuch machen zu können, einen Teil Ihrer Gesund- (D) heitspolitik zu würdigen. Wenn ich das tue, sage ich zu- (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Ich freue mich täg- nächst einmal: Die Wirkung der von mir etwas flapsig so lich über Ihre Gesundheitspolitik; darauf kön- genannten „Beruhigungspille Ulla Schmidt“ ist verpufft. nen Sie Gift nehmen!) Bürgerinnen und Bürger, Journalisten, Ärzte, Kranken- – Sehen Sie, da bin ich Ihnen richtig dankbar, Herr Wolf. kassen sprechen auf diese Beruhigungspille nicht mehr an. Die Krankenkassen haben in der vergangenen Woche (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das bringt uns po- begonnen, ihre Beiträge auf breiter Front zu erhöhen. litisch wirklich Punkte!) Viele werden in den nächsten Monaten – vor allen Dingen Sie wissen doch genau, dass Freude, Gelassenheit und ein auch im Wahljahr 2002 – folgen. befreiendes Lachen sehr zur Gesunderhaltung beitragen. Auch in der Ärzteschaft, die die Ministerin unmittelbar (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nach ihrem Amtsantritt in die Arme geschlossen hatte, DIE GRÜNEN – Detlef Parr [F.D.P.]: Das ist wächst das Misstrauen. Ursache für das Abrücken von der wahr! Das ist rote Solidaritätsbekundung!) Ministerin ist die Konzeptionslosigkeit ihrer Gesund- heitspolitik. Ich möchte von Ihnen gern einmal wissen, mit wie vielen Gesetzentwürfen Sie in Ihrer Zeit gestartet sind, die dann Frau Ministerin Schmidt – es ist gut, dass es zeitlich ge- am Ende nicht so aussahen, wie Sie sie ursprünglich an- rade so passte, dass Sie dazugekommen sind –, es sind gedacht hatten. eben kein Konzept und keine klare Linie zu erkennen. Da- ran liegt es. (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Da müssen Sie den Herrn Lafontaine fragen, im Bundesrat!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der F.D.P.) Wir haben kein Gesetz geändert; wir haben nicht einmal Sie lassen, um das heutige Thema zu nehmen, von Be- einen Gesetzentwurf geändert. Wir haben die Überlegun- teiligten Konzepte erarbeiten und übernehmen diese dann gen zu einem Entwurf geändert, und die haben wir nach als eigenes Konzept. Das gilt für die Festsetzung der Fest- eingehender und reiflicher Debatte innerhalb unserer beträge, bei der die pharmazeutische Industrie und die Fraktion und mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Krankenkassen den Kompromiss geschmiedet haben, und Koalition geändert. es gilt auch heute für die Neuregelung des Finanzaus- Wenn man jetzt die Entwicklungen betrachtet, sieht gleichs – so kann man ihn auch nennen – der Kranken- man, dass das ein vertretbarer Schritt ist. Aber nach mei- kassen, nämlich den Risikostrukturausgleich. 17654 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (A) Statt nun mit einem eigenen Konzept aufzuwarten, Das heißt, wenn ich Erscheinungen beobachte, deren (C) übernehmen Sie den Kompromiss, den die Krankenkassen Wirkungen in der gesetzlichen Krankenversicherung unter Ihrer Beteiligung geschlossen haben – einige würden nicht so sind, wie ich mir das wünsche, und die mögli- sagen: zu dem Sie sie gezwungen haben; ich würde zurück- cherweise bald neutralisiert werden müssen, um den haltender sagen: zu dem Sie die Krankenkassen überredet Wettbewerb auch fair zu gestalten, dann muss ich den Ri- haben. Nun holen Sie, Frau Schmidt, Ihr mangelnder Ge- sikostrukturausgleich entsprechend regeln, aber ich darf staltungswille und die Substanzlosigkeit rot-grüner Politik nicht den Versicherten Rechte absprechen, wie Sie es ge- – jedenfalls in diesem Bereich – ein. Der von Ihnen einge- tan haben. Das haben Sie, Frau Staatssekretärin, ja vor- brachte Gesetzentwurf zur Abschaffung des Arzneimittel- hin außer Acht gelassen; das haben Sie nicht erwähnt. Zu budgets wird von der Bundesregierung infrage gestellt, be- diesem RSA-Paket gehört im Grunde genommen auch vor er überhaupt verabschiedet worden ist. das Paket hinsichtlich der Veränderung der Kassenwahl- Patienten, vor allem die chronisch Kranken, die in den rechte, das Sie ja bereits eingebracht haben. Das gehört vergangenen zwei Jahren die Folgen der Rationierung der ja mit dazu. Insofern nehmen Sie den Versicherten nun medizinischen Leistungen doch wirklich zu spüren beka- die Möglichkeit, zum 30. September zu kündigen. Sie men, verstehen die Welt nicht mehr. Auch die Ärzte wis- nehmen den Versicherten auch das Sonderkündigungs- sen nicht mehr, woran sie bei Ulla Schmidt sind. recht. Das alles gehört mit hier hinein. Das Einzige, was dann noch bleibt, ist im Bereich der Kassenwahlrechte Der Risikostrukturausgleich und vor allem der Min- der Vorschlag, dafür häufiger als bisher, beispielsweise destbeitragssatz – den Sie, Frau Staatssekretärin, eben sechs Wochen zum Quartalsschluss, eine Kündigung aus- noch einmal genannt haben – sollten zur Finanzierung der sprechen zu können. Disease-Management-Programme, also der Versorgungs- und Managementprogramme für chronische Erkrankun- Wir sehen – das habe ich heute Nachmittag in einem gen, dienen. Er ist noch vor einer guten Woche als Kern- anderen Zusammenhang schon gesagt; ich will die Zitate stück bezeichnet worden. Da darf man sich – zumal wir jetzt nicht noch einmal bringen –, es ist offensichtlich von Anfang an gegen die Lösung eines Mindestbeitrags in Feuer unter dem Dach des „Hauses der GKV“, aber auch Höhe von 12,5 Prozent waren – wohl einerseits darüber im Ministerium. Sie sind dazu da, diesen Brand zu lö- freuen, dass er nun weggefallen ist, aber man kann sich schen. Wenn sogar Professor Rürup, der Berater der andererseits nicht darüber freuen, dass nun der Rest ohne Bundesregierung, heute in der „Berliner Zeitung“ sagt: das Kernstück – ich fühle mich fast an die Gentechnik- „Jede Woche, die die Reform früher beginnt, ist eine ge- Diskussion mit der Frage, was ist Anfang und was ist wonnene Woche“, dann hat er nicht den RSA, die Kas- Ende, erinnert – alles zum Guten richten soll. senwahlrechte oder andere Kleinigkeiten, wie das Wohn- ortprinzip und viele andere Dinge, mit denen die (B) Um nicht missverstanden zu werden: Wir halten den Öffentlichkeit nichts anfangen kann, gemeint, sondern er (D) Wegfall des Mindestbeitrags, der letztlich wettbewerbs- bringt zum Ausdruck: Bringen Sie endlich ein in sich ge- widrig ist, für richtig, aber mit dem übrigen Teil können schlossenes und mit Perspektiven versehenes Konzept. – wir uns nur sehr schwer anfreunden. Es ist deswegen auch An diesem Konzept könnte man sich dann mit unseren Ar- nicht verwunderlich, dass nun auch die Kassen wieder im gumenten messen. Clinch liegen; denn auch sie – das war schließlich nicht unsere Feststellung – haben in dem Kompromiss, den Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) in Gesetzessprache umgesetzt haben, geschrieben: Dies Der Präsident des Bundesversicherungsamtes – also ist ein Gesamtkonzept, und wenn nur ein Element heraus- jener Herr, der der durchführenden Behörde für die Wei- genommen oder hinzugefügt wird, dann wird das Ge- terentwicklung dieses Monstrums vorsteht – äußert, der samtkonzept von uns nicht mehr mitgetragen. – So genau Risikostrukturausgleich werde mit der Verbindung von ist das dort beschrieben. Chroniker-Bonus und Einschreibung in ein akkreditiertes Nun haben Sie – nicht Sie persönlich, sondern die Re- Programm mit gesundheitspolitischen Steuerungsaufga- gierung – offensichtlich inzwischen die Orientierung in- ben überfrachtet. Das haben wir bei anderer Gelegenheit sofern verloren, als Sie nicht mehr genau wissen, was der auch gesagt. Selbstverständlich ist es richtig, wenn sich Risikostrukturausgleich eigentlich soll und welche Auf- – möglichst mehr als weniger – Krankenkassen mit der gaben er von Anfang an hatte, die ihm eigentlich auch Frage der Disease-Management-Programme, also der wieder zuerkannt werden müssten, wenn man ihn ent- Sonderregelungen und umfänglicher qualitätsorientierter sprechend reformiert. Regelungen für chronisch Kranke, befassen und diese be- sondere Leistung ihren Mitgliedern anbieten. Aber dies Besinnen Sie sich doch bitte darauf, dass der Risiko- gehört eben nicht in den Risikostrukturausgleich, sondern strukturausgleich, dieser Finanzausgleich, unter allen das ist eine Aufgabe, die die Kassen wahrzunehmen ha- Umständen nachrangig zu Versichertenwahlrechten ge- ben und die man durchaus fördern kann, auch über Son- ordnet werden muss. Er dient dazu, bei der Inanspruch- derregelungen oder Modellvorhaben. nahme des Versichertenwahlrechts unerwünschte Er- scheinungen zu neutralisieren, aber nicht dazu, die Wir sind der Auffassung, dass es beim Risikostruktur- Wahlrechte abzusprechen, um damit die Unzulänglichkeit ausgleich – in dem schon heute sage und schreibe 23 Mil- des Risikostrukturausgleichs zu kaschieren. Das ist nicht liarden DM umverteilt werden, und etwa 20 Milliar- der Sinn der Sache. Das haben Ihnen auch hochmögende den DM, also der größte Teil davon, entfallen auf die Professoren in der öffentlichen Anhörung gesagt. Darauf AOK – nicht verwunderlich ist, dass die AOK in beson- müsste das Ganze wieder zurückgeführt werden. derem Maße daran interessiert ist – Sie sagten: darauf an- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17655

Wolfgang Lohmann (Lüdenscheid) (A) gewiesen ist –, diese Beträge noch weiter zu erhöhen. Wir sollten das noch einmal im Protokoll nachlesen. Ich (C) meinen, das ist nicht der richtige Weg für uns alle. glaube, der Risikostrukturausgleich ist keine Kleinigkeit. Aber wenn Sie mir da zustimmen, dann brauchen wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) nicht weiter darüber zu streiten. Denn der Risikostrukturausgleich droht im Grunde ge- „Was lange währt, wird endlich gut“, könnte man fast nommen einer weit zurückliegenden, noch vor 1992 gel- sagen. tenden Regelung wieder nahe zu kommen: dass er nicht mehr und nicht weniger als ein primitiver Ausgabenaus- (Ina Albowitz [F.D.P.]: Das meinen Sie doch gleich ist. Genau das sollte der Risikostrukturausgleich nicht im Ernst!) nach den Erfahrungen der Jahre 1992/1993, also nach der Beim RSA kann man das aus meiner Sicht mit Fug und Einführung, seinerzeit gemeinsam mit der SPD-Fraktion, Recht sagen, insbesondere deswegen, weil wir jetzt eine nicht sein und nicht wieder werden. Langzeitperspektive haben, aufgrund derer der Finanz- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ausgleich zwischen den Kassen bis zum Jahr 2007 tatsäch- lich geregelt wird. Sie haben darauf verwiesen, dass auch Meine Damen und Herren, nun soll bald – am nächsten die Union hier Änderungsbedarf sieht. Ich hoffe, dass wir Mittwoch – die Sachverständigenanhörung sein, nach- diesen im Laufe des parlamentarischen Verfahrens in Form dem man eineinhalb Jahre nichts getan hat, die Vorschläge von Vorlagen konkret auf den Tisch bekommen und wir von Herrn Seehofer nicht akzeptiert und die Auftragsver- tatsächlich, so wie das die Staatssekretärin hier angeboten gabe an die Sachverständigen wieder zurückgenommen hat, zu einer gemeinsamen Lösung kommen. hat. Jetzt wird es plötzlich unheimlich eilig, wie wir auch an der Entwicklung des Beitragssatzes und Ähnlichem Die Situation innerhalb der Krankenkassen, vor der wir sehen. Ich prophezeie Ihnen bereits jetzt, dass die Sach- heute stehen, ist ja alles andere als erfreulich. Besonders verständigenanhörung zeigen wird, dass Ihr Vorhaben die großen Kassen sind es, die darunter zu leiden haben, nicht durchführbar ist. Das politische Kalkül von Rot- dass sie einerseits viele Versicherte haben, die wegen ge- Grün, diese Neuregelung des Finanzausgleiches der Kas- ringer Verdienste nur niedrige Beiträge leisten können, sen als Verbesserung für chronisch Kranke zu verkaufen, und dass sie andererseits viele ältere Menschen und Men- wird nach meiner Auffassung nicht aufgehen. schen mit hohen Risiken, zum Beispiel chronisch Kranke, die hohe Kosten verursachen, versichern. Nun fragen sich Krebskranke, Alzheimerpatienten, Nun ist es aus meiner Sicht richtig, dass Kassen unter- MS-Kranke, Diabetiker usw., was das eigentlich soll. Sie schiedliche Angebote machen können, was Service, Ge- sollten aufhören, den Leuten insofern etwas vorzuma- schäftsstellen und Beratung angeht. Ich glaube, dass es den chen, als Sie beispielsweise die Abschaffung der Budge- Versicherten überlassen bleiben muss, ob sie sich persön- (B) tierung der Arznei- und Heilmittelausgaben ankündigen, lich in einer Geschäftsstelle beraten lassen oder ob sie sich (D) aber die Abschaffung gleichzeitig wieder infrage stellen. im Zweifelsfalle über das Internet informieren. Den Kassen Sie glauben doch nicht im Ernst, dass Schwerstkranke, muss es ebenfalls in bestimmten Grenzen überlassen blei- Patienten und Versicherte Ihnen bei Ihrem Schlingerkurs ben, wie sie ihre Verwaltung organisieren. Auch auf dieser noch abnehmen, dass ausgerechnet die Neugestaltung des Ebene sollte aus meiner Sicht Wettbewerb stattfinden. Finanzausgleiches der Kassen chronisch Kranken und Pa- tienten eine Wohltat bringen soll. Das wird nicht der Fall (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- sein. SES 90/DIE GRÜNEN) Wir fordern noch einmal von Ihnen – wie heute schon Wettbewerb ist es auch, die Versorgung der Versicher- bei anderer Gelegenheit – eine konsequente Politik, wir ten – hier gerade im präventiven Bereich – und die der Pa- fordern, vom Lächeln und Überspielen Abstand zu neh- tienten optimal zu gewährleisten. Der Wettbewerb um die men, ein Konzept vorzulegen und dann weiter zu disku- beste Versorgung muss das Ziel eines fairen Finanzaus- tieren und mit dem Kurieren an Symptomen aufzuhören. gleichs zwischen den Kassen sein. Ich glaube, wir können gemeinsam unterschreiben: Es geht nicht um den Wettbe- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werb um die niedrigsten Beiträge. Genau das ist es, was wir mit dem vorliegenden Ge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat setzentwurf auf den Weg bringen wollen. Dort, wo Pro- jetzt die Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt. gramme der Qualitätssicherung durchgeführt werden sol- len, wie das im Gesetzentwurf vorgesehen ist, geht es um Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- echte Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten. NEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kol- Der Ausgleich zwischen den Kassen muss auch dafür sor- legen! Herr Lohmann, Sie haben gerade den Risi- gen, dass es sich nicht mehr lohnt, um die Patienten mit kostrukturausgleich als Kleinigkeit bezeichnet. den niedrigsten Risiken zu werben. Auch das soll mit die- sem Gesetzentwurf der Koalition auf den Weg gebracht (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ werden. Ich kann nur hoffen, dass wir dieses Problem ge- CSU]: Nein! – Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das meinsam lösen werden. werden wir im Protokoll nachlesen! Dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und entschuldigen Sie sich bitte!) bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/CSU]: – Doch, Herr Lohmann, Sie haben vom „Risikostruktur- Darüber unterhalten wir uns noch einmal in drei ausgleich und anderen Kleinigkeiten“ gesprochen. Sie Jahren!) 17656 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Katrin Göring-Eckardt (A) Ein erster Schritt ist die Einrichtung eines Risikopools der Zielstellung waren wir uns in der Fraktion von Anfang (C) für solche Versicherten, die bei den Kosten mit mehr als an einig. Natürlich ist es so, dass der Abstand zwischen 40 000 DM zu Buche schlagen. Mit der Regelung, 40 vom Kassen mit hohen Beiträgen und dem beabsichtigten Hundert durch die Krankenkassen tragen zu lassen und Mindestbeitrag so groß geblieben wäre, dass Versicherte 60 vom Hundert durch den gemeinsamen Risikopool, be- aus meiner Sicht nicht von einem Kassenwechsel abge- steht, so glaube ich, auch hier eine gute Chance für einen halten worden wären. Auch aus dem Blickwinkel der Bei- echten Ausgleich. Ich bin auf die entsprechenden An- tragszahler ist es richtig, auf die Einführung eines Min- hörungen und Diskussionen gerade über diese Frage im destbeitrags zu verzichten. Gesundheitsausschuss gespannt. Nicht verzichten können wir aber – dabei bleibt es – Dennoch bleibt langfristig die Notwendigkeit, verwert- auf das grundlegende Ziel, zu einem Ausgleich zu kom- bare Daten zur Morbidität zu erheben. Die Staatssekretä- men, der den Wettbewerb um junge, gesunde Versicherte rin hat dazu, wie sich die Auswertung dieser Daten auf den beendet. Es geht um die beste Versorgung und um Wirt- Ausgleich zwischen den Kassen auswirken soll, Ausfüh- schaftlichkeit, auch bei den Krankenkassen. Herr rungen gemacht. Ich persönlich glaube, dass solche Daten- Lohmann, ich hoffe, dass es auch um Ihre konkreten Vor- erhebungen dazu beitragen können, tatsächlich zu einer schläge geht, um den Risikostrukturausgleich miteinan- umfassenden Gesundheitsberichterstattung zu kommen, der zu beraten und auf den Weg zu bringen. Ich hoffe, dass die ganz neue Möglichkeiten der Vorsorge und der Ge- wir in dieser Frage die Unterstützung des ganzen Hauses sundheitsförderung eröffnet. Gerade in Regionen, in denen haben. Dieses Projekt ist für die solidarische Versorgung wir es zum Beispiel mit hoher Arbeitslosigkeit oder an- in der Krankenversicherung langfristig zu wichtig, als deren Faktoren, die die Gesundheit beeinträchtigen, zu tun dass wir uns mit parteipolitischem Geplänkel aufhalten haben, kann das Grundlage für Handlungsoptionen sein, sollten. bei denen es tatsächlich um die Erhaltung von Gesundheit und nicht erst um die Bewältigung von Krankheit geht. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Das kann ein sinnvoller und guter Nebeneffekt der Erhe- CSU]: So wie am Freitag zwischen Rot-Grün!) bung solcher Daten sein, den ich für sehr wünschenswert Vielen Dank. halte. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Natürlich wollen wir in den Anhörungen für weitere und bei der SPD) Optionen eines kurzfristigen Ausgleiches offen bleiben, zum Beispiel was die Verpflichtung kleiner Kassen, auch die der BKKen, angeht, Disease-Management-Pro- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat gramme aufzulegen. jetzt der Abgeordnete Detlef Parr. (B) (D) Wir halten und hielten – Sie wissen das – den Min- destbeitrag nicht für ein wirksames Instrument. Herr Detlef Parr (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen Lohmann, Sie haben sich darüber ausgelassen, dass – – und Herren! Frau Ministerin, ich habe Ihrer grünen Vor- gängerin zweimal ein Zitat Robert Musils vorgehalten, (Aribert Wolf [CDU/CSU]: „Ausgelassen“ ist das die damalige gesundheitspolitische Einstellung der nicht der passende Ausdruck!) Bundesregierung zutreffend beschrieb: „Wir irren vor- – Nein, so meine ich das nicht. wärts“. Sie haben darüber gesprochen, die Regierung wandle Mit Ihrem Amtsantritt verband sich die Hoffnung auf nur noch Papiere externer Experten in Gesetzestext um. ein Ende dieses Irrwegs. Sie war trügerisch. Auch Sie ha- Ich halte das für eine Unterstellung, die in keiner Weise ben trotz manch akzeptabler Ansätze den konsequent gerechtfertigt ist. Ich glaube, wir haben sowohl an dieser richtigen Weg noch nicht gefunden. Auch Sie irren weiter Stelle als auch anderswo deutlich gemacht: Es ist Aufgabe vorwärts – orientierungslos und ohne ein schlüssiges Ge- der Fraktionen, Gesetzentwürfe miteinander zu beraten. samtkonzept. Dabei ist es sehr sinnvoll, sich mit allen Beteiligten vor- Ihre Staatssekretärin hat heute Morgen das Bild einer her an den Tisch zu setzen und abzuwägen, welche Mög- Garage bemüht und uns vorgeworfen, wir seien bei unse- lichkeiten bestehen. ren Bemühungen nur bis zum Garagentor gekommen, (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Sind Sie mit Frau während Sie herausgefahren seien. Wer aber beim Vor- Knoche wieder versöhnt? Auch in der eigenen wärtsfahren immer wieder den Rückwärtsgang einlegt, Fraktion?) darf sich nicht wundern, dass Getriebeschäden eintreten. Sie bleiben auf der Strecke liegen, und genau das ist – Auch in der eigenen Fraktion, Herr Kollege. Ihnen heute passiert. Ich kann Ihnen von diesem Pult aus mitteilen: Der Ge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) setzentwurf ist in der Form, wie er jetzt vorliegt, einstim- mig in meiner Fraktion verabschiedet worden. Wie können wir das Gefährt wieder flott machen? Wir Liberalen predigen es seit Jahr und Tag: Wir müssen das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) System wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Wir brau- Ich will an dieser Stelle auch betonen, dass es bei der chen mehr Eigenverantwortung, mehr Wahlfreiheiten, Frage des Mindestbeitrags darum ging, ein Instrument zu mehr Transparenz und mehr Wettbewerb. Die Bundesre- finden; es ging nicht um die Zielstellung. Bei der Frage gierung tut sich mit diesen Grundregeln schwer. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17657

Detlef Parr (A) Stichwort „Wettbewerb“: Über Wochen hinweg hieß Ein Diabetes-Patient, der frühzeitig zum Arzt geht und (C) es, die großen so genannten Versorgerkassen könnten eine große Bereitschaft zur Mitarbeit mitbringt, verur- ohne einen Mindestbeitrag in der gesetzlichen Kranken- sacht wesentlich weniger Kosten als der Diabetiker, der versicherung nicht leben. Dieser Teil des Kompromisses seine Krankheit verschleppt und nicht einsieht, dass auch sei deshalb unverzichtbar. Nun soll es doch ohne den Min- er zur Stabilisierung seiner Gesundheit beitragen muss. destbeitrag gehen. Es ist gut, dass er gestrichen worden Das, was Sie sich von dieser höchst aufwendigen Maß- ist; er war von Anfang an ein Missgriff und war mit dem nahme versprechen, indem Sie die standardisierten Aus- Gedanken des Wettbewerbs unvereinbar. gaben erstatten, wird also nicht eintreten oder nur dann, Frau Schmidt-Zadel, wenn Sie sich zu einer Neudefinition Frau Schmidt-Zadel, ich frage mich, ob jetzt wirklich von solidarisch finanzierten Kernleistungen wie diesen das eintritt, wovor Sie vor ein paar Tagen gewarnt haben, durchringen und Wahlleistungen zulassen. nämlich, dass dieser Schritt das Ansehen der Koalition be- schädigt. Ist das eigentlich Ihre einzige Sorge? Die Kon- Ich appelliere deshalb an Sie: Geben Sie den Gedanken zeptionslosigkeit dieser Koalition beschädigt ganz andere auf, eine Optimierung der Versorgung mit dem Risiko- Dinge, zum Beispiel das Ziel der Bundesregierung, die strukturausgleich verknüpfen zu wollen. Das wird nicht Sozialversicherungsbeiträge unter 40 Prozent zu drücken. gelingen. Den Gesundheitsmarkt mit seinem großen Arbeitsmarkt- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der potenzial in Schwung zu bringen, davon sind wir weit ent- CDU/CSU) fernt. Oder es wird nur um den Preis eines gigantischen Ver- Meine Damen und Herren, das, was von der Reform des waltungsapparates gelingen. Risikostrukturausgleichs übrig geblieben ist und was im Zusammenhang mit dem bereits eingebrachten Gesetzent- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ach, Herr Parr, wurf zur Neuordnung der Kassenwahlrechte zu sehen ist, lesen Sie das Gesetz doch einmal! Vielleicht ist aus unserer Sicht ein buntes Sammelsurium unter- verstehen Sie es dann, denn das ist Ihr Pro- schiedlichster Ideen zur Eindämmung des Wettbewerbs blem!) und der Wahlfreiheit. Das Geld, das wir dafür ausgeben müssten, können wir Sie haben zwar die Möglichkeit der Kündigung auf das anderswo sinnvoller einsetzen. Unsere Meinung ist: Wir laufende Jahr erweitert, legen aber gleichzeitig eine Bin- brauchen nicht mehr, sondern weniger Risikostrukturaus- dung an eine solche Entscheidung auf eineinhalb Jahre gleich. fest. Sie lassen das besondere Kündigungsrecht bei Bei- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie brauchen tragssatzerhöhungen wegfallen. Eine solche Möglichkeit weniger Risiko!) (B) ist in allen anderen Bereichen der Versicherungswirt- (D) schaft selbstverständlich. Irgendwann muss Schluss damit sein, dass ein immer größeres Geldvolumen umverteilt wird. Einige Kranken- Die erhöhte Zuschreibung standardisierter Ausgaben kassen müssen bereits jetzt spürbar mehr als die Hälfte ih- für Krankenkassen mit speziellen Programmen für chro- rer Beitragseinnahmen zur Subventionierung anderer nisch Kranke gehört ebenfalls zu dieser Aufzählung. In Kassen – ihrer Mitbewerber nämlich! – abführen. Stellen der Begründung dazu heißt es: Sie sich einmal vor, BMW müsste von jeder verdienten Damit wird erstmals Sorge dafür getragen, dass den Mark 50 Pfennig an Daimler-Chrysler abführen. Krankenkassen, die sich um eine gezielte Verbesse- (Zuruf von der CDU/CSU: Das würden wir in rung der Versorgung ihrer chronisch Kranken Bayern schon zu verhindern wissen!) bemühen, kein finanzieller Nachteil entsteht, son- dern sie im Vergleich zum Status quo deutlich besser Das würde jeder für völlig absurd halten. Bei den Kran- gestellt werden. kenkassen ist es Realität. (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Sie können ja (Dr. Ruth Fuchs [PDS]:Wir sprechen hier nicht sogar lesen!) von Autos! Wir sprechen von Krankheitsrisi- ken!) Das ist doch nur dann, Frau Schmidt-Zadel, der Fall, wenn die standardisierten Ausgaben, die für chronisch Zu schützen sind unserer Meinung nach, Frau Fuchs, Kranke gezahlt werden, den tatsächlichen Ausgaben ent- nicht die Krankenkassen, sondern die Versicherten. Es ist sprechen. Anderenfalls ist es für die Krankenkasse immer nachvollziehbar, dass die Manager der von Abwanderung noch von Vorteil, sich um gesunde Versicherte zu küm- betroffenen Krankenkassen das anders sehen. Gleichwohl mern und diese aufzunehmen. Es ist richtig, wenn man bleibt festzuhalten: Die Versicherten sind durch Wahlfrei- den Risikostrukturausgleich will, auch Anreize zu schaf- heit und Kontrahierungszwang ausreichend geschützt. fen, zum Beispiel chronisch kranke Menschen zu versi- Niemand ist gezwungen, bei einer Krankenkasse mit höherem Beitragssatz versichert zu bleiben. Niemand chern. Wenn jedoch der bürokratische Aufwand so groß – auch nicht die schwer und chronisch Kranken – ist ge- wird, dass die Kosten in keiner Relation mehr zum zu er- hindert, sich schlau zu machen und andere Angebote zu zielenden Nutzen stehen – so sehen wir es –, ist dieses Ziel nutzen. schwerlich zu erreichen. Sie müssten nämlich, wenn Sie in dieser Richtung konsequent weiterdenken, bei der Er- (Regina Schmidt-Zadel [SPD]: Ich erkläre es fassung der Erkrankungen immer stärker differenzieren. Ihnen noch einmal!) 17658 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Detlef Parr (A) Glauben diejenigen, die einer Ausweitung des RSA das Härtefällen und chronisch Kranken anstelle der Zuzah- (C) Wort reden, im Ernst, in unserer Gesellschaft könnte sich lung der Versicherten aufbringen müssen. der Versuch auszahlen, kranke Versicherte an den Pforten Aber auch die Härtefälle sind in hohem Maße ungleich einer gesetzlichen Krankenversicherung abzuweisen? verteilt, was wiederum die AOKn in Ostdeutschland be- Das wäre doch am nächsten Tag eine Seite-Eins-Meldung sonders trifft. Wir halten es für richtig, dass die entspre- in Boulevardzeitungen. Das wird sich niemand erlauben chenden Mehraufwendungen dieser Kassen von ihren können. Ich bin davon überzeugt: Bewusste und aktive Beitragseinnahmen abgezogen werden. Risikoselektion hat auch ohne RSA keine Chance. Eine letzte Bemerkung zum ab 1. Januar 2003 vorge- Ein weiterer Kritikpunkt. Richtig ist, die so genannten sehenen Risikopool: Die dahinter stehende Idee ist an Risikofälle gesondert auszugleichen. Aber die Schwel- sich sinnvoll. Ob ein solcher Ausgleich allerdings tatsäch- lenwerte der Aufwendungen für die Versicherten und die lich kassenartenübergreifend erfolgen muss oder ob es Selbstbehalte der Kassen dürfen auf keinen Fall zu hoch nicht sinnvoller wäre, den schon heute existierenden kas- sein, wenn die gewünschten finanziellen Qualitätswir- senarteninternen Finanzausgleich verbindlicher zu gestal- kungen eintreten sollen. ten, wird in der Anhörung und den weiteren Beratungen Sehr geehrte Frau Ministerin Schmidt, das Gesetz folgt zu klären sein. Wir freuen uns auf diese Beratungen. einer richtigen Grundidee und es ist dringend notwendig. Ich danke Ihnen fürs Zuhören. Vieles ist aber noch nicht zu Ende gedacht und die Debatte über die sachgerechtesten Lösungen muss noch gründlich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) geführt werden. Leider haben die Grünen mit der Streichung des Min- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat destbeitrages kräftig dazu beigetragen, das ganze Paket jetzt die Abgeordnete Ruth Fuchs. infrage zu stellen. Verheerend ist, dass sie diese Strei- chung deshalb verlangt haben, um den Kassenwettbewerb Dr. Ruth Fuchs (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen nicht zu behindern. und Herren! Das Kassenwahlrecht 1992 für alle Mitglie- Werte Kollegin Göring-Eckardt, Sie sagen zwar, es der – freiwillig Versicherte, Angestellte und Arbeiter – ein- handele sich nur um ein Instrument, aber anscheinend se- zuführen war ein politischer Fortschritt. Der damit verbun- hen Sie nicht mehr – oder Sie wollen es einfach nicht mehr dene Wettbewerb um Mitglieder sollte die Kassen zu mehr sehen –, dass Sie damit den Vorteil und die Freiheit der Wirtschaftlichkeit und besserem Service anregen. Ein guter Starken auf Kosten der Schwachen verteidigen. Sie mer- (B) Vorsatz, aber klar war, dass dieser Wettbewerb auch zu Ri- ken nicht einmal, dass der Beifall von der verkehrten Seite (D) sikoentmischung und Entsolidarisierung führen könnte. kommt und Sie das Solidarsystem damit zum Abbau frei- Um das zu verhindern, wurde der Risikostrukturaus- geben. Mit uns jedenfalls wird das nicht zu machen sein. gleich eingeführt. Er sollte Nachteile beseitigen, die sich (Beifall bei der PDS) für die Kassen aus unterdurchschnittlichen Einnahmen und ungleicher Risikostruktur ergeben. Das ist aber nicht Wir vertreten die Auffassung, dass bei allen Entschei- erreicht worden. Obwohl über den RSA etwa 25 Milliar- dungen zum Risikostrukturausgleich dem Schutz und der den DM jährlich umverteilt werden, ist es für eine Kasse Stärkung des Solidargedankens höchste Priorität zukom- vorteilhaft, möglichst viele junge, gesunde und gut ver- men muss. dienende Mitglieder zu gewinnen. Siehe die so genannten Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. virtuellen Betriebskrankenkassen. Die sich so ergebenden Beitragsunterschiede haben nichts mit wirtschaftlichem (Beifall bei der PDS) Handeln zu tun. Sie gehen in erster Linie zulasten der vie- len AOKn und großer Ersatzkassen. Besonders benach- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat teiligt sind die AOKn in Ostdeutschland, weil sie eine ex- jetzt die Abgeordnete Hildegard Wester. trem ungünstige Risikostruktur aufweisen.

Im Ergebnis eines solchen Wettbewerbs können Kas- Hildegard Wester (SPD): Frau Präsidentin! Meine sen mit niedrigen Beiträgen diese sogar weiter absenken Damen und Herren! Seit der Einführung des RSA 1992 und Kassen mit hohen Beitragssätzen müssen noch mehr haben eine Reihe von Beteiligten immer wieder die Auf- zulegen. Zugleich werden dem Gesundheitssystem zu- fassung vertreten, dass der Risikostrukturausgleich nur nehmend Mittel entzogen. Das kann keiner wollen. Ein ein Übergangsinstrument für einige Jahre sei und dann sozial gerechtes Gesundheitswesen ist so nicht aufrecht zurückgeführt werden könne oder gar ganz abgeschafft zu erhalten. gehöre. Diese Stimmen sind jetzt, nach zehn Jahren, fast Wir begrüßen es, dass die Regierung mit der Reform ganz verstummt. des RSA dieser Entwicklung Einhalt gebieten will. Der (Detlef Parr [F.D.P.]: Mit einigen vorliegende Gesetzentwurf ist aber nicht überzeugend. So Ausnahmen!) ist auf der Einnahmenseite noch immer kein vollständiger Risikoausgleich vorgesehen. Unberücksichtigt bleiben – Bis auf Herrn Parr. Ja, ich habe das zur Kenntnis ge- die erheblichen Aufwendungen der Kassen, die diese bei nommen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17659

Hildegard Wester (A) Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Es war auch nicht so gedacht, dass diese Programme (C) Seehofer hat einmal gesagt, es gebe nur wenige, die den durch den Mindestbeitrag finanziert werden sollen, son- Risikostrukturausgleich in Gänze und mit seinen ganzen dern sie sollten aus dem RSA finanziert werden. Das wird Wirkmechanismen verstünden. in Zukunft auch so geschehen. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] (Beifall bei der SPD) [CDU/CSU]: Das stimmt!) Weiterhin halte ich Ihre fundamentale Kritik und Ihre Das hat auch immer wieder dazu geführt, dass man in Rufe nach einer Gesamtkonzeption in dieser Debatte für ihm ein reines Subventionsinstrument für Not leidende verfehlt. Eine Weiterentwicklung des RSA macht die Dis- Kassen gesehen hat oder sogar ein gnädiges Brot reicher kussion um die Weiterentwicklung der Gesundheitspoli- Kassen für arme Kassen. tik nicht überflüssig. Aber, meine Damen und Herren, gerade die zahlrei- (Detlef Parr [F.D.P.]: Weiß Gott!) chen Gutachten und Stellungnahmen vieler Akteure im Aber, meine Damen und Herren von der Opposition, eine Gesundheitswesen der letzten Monate, aber auch der letz- Diskussion um die Weiterentwicklung der Gesundheits- ten zwei Jahre haben gezeigt, dass dem nicht so ist. Sämt- politik ohne eine zeitnahe Weiterentwicklung des RSA liche Gutachten, sämtliche Experten – auch diejenigen, macht erstere vielleicht überflüssig; denn dann wollen Sie die vor Jahren noch die Abschaffung des Risikostruktur- den radikalen Weg der Marktwirtschaft gehen und die Pri- ausgleichs gefordert haben – sind sich heute einig, dass er vatisierung von Risiken in der gesetzlichen Krankenver- in einer wettbewerblich ausgerichteten Krankenversiche- sicherung zulassen. Diesen Weg gehen wir Sozialdemo- rung zwingend notwendig ist. kraten nicht mit. (Zustimmung bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lü- Diese Einschätzungen nehmen wir sehr ernst und legen denscheid] [CDU/CSU]: Erkundigen Sie sich nun – nach zehn Jahren – einen Gesetzentwurf vor, der die doch mal im Kanzleramt, was man dort vorhat!) veränderten Bedingungen berücksichtigt. Wir haben ge- – Sie bemühen jetzt wieder das Papier aus dem Kanzler- sehen, dass der heutige Risikostrukturausgleich immer amt. Solange ich es offiziell noch nicht gesehen habe, ist noch zu viele Anreize bietet, sich nicht um die Versorgung es für mich ein nicht existentes Papier. der kranken Menschen zu kümmern. Es ist für eine Kran- kenkasse einfacher und finanziell attraktiver, gesunde und (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wir können es Ih- junge Mitglieder anzuwerben, als in die bessere Versorgung nen geben, keine Sorge! Wenn Ihre Leute es Ih- der kranken Versicherten zu investieren. Genau hier müssen nen nicht geben, können Sie es von uns haben! (B) wir ansetzen und haben das im vorliegenden Entwurf auch Geben Sie mir Ihre Faxnummer!) (D) getan. Wir richten den Risikostrukturausgleich zukünftig so – Ich spreche für die SPD-Fraktion. Die Haltung der SPD- aus, dass die jeweilige Krankheit mit dem entsprechenden Fraktion habe ich gerade dargestellt. Schweregrad genauer im RSA abgebildet wird. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das wurde Gegen diesen Weg, die so genannte Morbidität stärker gestern im Deutschlandfunk aber anders darge- zu berücksichtigen, sehe ich keinen ernst zu nehmenden stellt!) Widerstand. Wenn alle Beteiligten die Notwendigkeit se- hen, die Versorgung und auch die Vergütung im ärztlichen Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch mit ei- Bereich und im Krankenhaus viel stärker an den tatsäch- ner Mär aufräumen: Es wird immer wieder gesagt, dass lichen Krankheitsbildern auszurichten, dann ist nicht nur das so genannte Transfervolumen, also die Summe, die folgerichtig, sondern geradezu zwingend, auch den RSA im RSA bewegt wird, ständig steige und der RSA damit zukünftig darauf auszurichten. Deshalb haben wir klare seine Steuerungswirkung verfehle. Genau das Gegenteil Schritte im Gesetz definiert, bis zum Jahre 2007 einen ist der Fall: Die gestiegenen Transferzahlungen zeigen ge- morbiditätsorientierten RSA zu erreichen. Bis dahin ha- rade, dass eine Weiterentwicklung zwingend notwendig ben wir vorgesehen – das wurde schon mehrfach ange- ist; denn je höher das Volumen ist, desto ungleicher ist die sprochen –, einen Ausgleich besonders teurer Behand- Verteilung der Risiken auf die Krankenkassen. Das ist ei- gentlich eine ganz einfache Rechnung, die auch Sie ver- lungsfälle zwischen den Krankenkassen durch einen stehen müssten. Risikopool vorzunehmen. (Beifall bei der SPD – Wolfgang Lohmann [Lü- Mit dem dritten Instrument im Gesetzentwurf, den Di- denscheid] [CDU/CSU]: Frau Wester, Vorsicht!) sease-Management-Programmen, schaffen wir Anreize für die Krankenkassen, sich mehr als bisher um die Qua- Um es noch einmal klar zu sagen: Unser Ziel ist nicht die lität und Effizienz der Versorgung chronisch Kranker zu Erhöhung der Transferzahlungen. Unser Ziel ist es, sinnvolle kümmern. Bisher wurden Kassen für dieses Engagement Anreize im RSA zu setzen, sich um die bessere Versorgung oft bestraft, jetzt setzen wir Anreize, dass Qualität auch der chronisch und schwerkranken Menschen zu kümmern. belohnt wird. Mit den in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgeschla- genen Instrumenten sind wir auf dem richtigen Weg. Das sind die drei Kernelemente des neuen RSA und nicht der Mindestbeitrag, Herr Lohmann. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CSU]: Neuerdings, seit Freitag!) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 17660 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Für die Übergangsfrist muss eine Lösungsmöglich- (C) jetzt der Abgeordnete Aribert Wolf. keit geschaffen werden. Dies ist der Solidarbeitrag von 12,5 Prozent. (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ CSU]: Erkläre es ihnen noch einmal, Aribert!) Wenn dieser nicht käme, so haben Sie, Frau Ministerin, weiter ausgeführt, Aribert Wolf (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine können wir uns über vieles unterhalten, aber nicht sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Rot-Grün in mehr darüber, wie dieses Gesundheitswesen zu an- der Gesundheitspolitik vorzuweisen hat, ist insgesamt nehmbaren Preisen funktioniert. kläglich, dürftig und bedauerlich. Ich bräuchte das an die- Auf den Tag genau zwei Monate später, am 27. Juni ser Stelle auch gar nicht weiter auszuführen; 2001, zitiert dieselbe Zeitung das Bundesgesundheits- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] ministerium mit folgenden Ausführungen: Für dieses Ziel [CDU/CSU]: Wissen alle!) sei die Einführung eines Mindestbeitragssatzes, der am Widerstand der Bündnisgrünen gescheitert sei, „völlig un- denn die Menschen draußen im Land können das Tag für wichtig“. Wer so Politik betreibt, verspielt Glaubwürdig- Tag in den Zeitungen lesen. Sie spüren, wenn sie sich in keit und macht deutlich – das ist noch viel schockieren- den Arztpraxen und Krankenhäusern behandeln lassen, der –, dass diese Regierung kein Konzept und keinen was Ihre Gesundheitspolitik angerichtet hat. Künftig kön- Kompass hat, nach dem gesegelt wird. nen sie auf ihren Lohnzetteln schwarz auf weiß nachlesen, was Ihre Gesundheitspolitik bewirkt hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Zustimmung bei der CDU/CSU) Das Schiff „Gesundheitswesen“ ist in stürmische See geraten und beginnt zu schlingern. Die Beitragssatzwel- Vor diesem Hintergrund kann ich verstehen, dass Sie eine len klatschen nur so aufs Deck. solche Minireform wie die Neuregelung des Finanzaus- gleichs zwischen den Krankenkassen als rettenden Stroh- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die Ladung halm feiern wollen, wenngleich ich ehrlicherweise sagen ist verrutscht!) muss: Ein bisschen mehr Leidenschaft wäre bei diesem Ich verweise nur auf Bayern, Hamburg, Hessen und Ba- Thema auch nicht schlecht gewesen. den-Württemberg. Ich sage Ihnen, meine Damen und Her- (Susanne Kastner [SPD]: Diese vermisse ich ren von Rot-Grün, voraus, dass trotz Ihres Gesetzes zur bei Ihnen auch!) Neuregelung des Risikostrukturausgleichs noch kräfti- gere Wellen an Bord aufschlagen werden, wenn erst die – Sie vermissen bei mir Leidenschaft? Keine Sorge, die (B) großen Ersatzkrankenkassen ihre Beitragssätze erhöhen. (D) kommt noch. Diese haben schon lauthals mitgeteilt, dass ihnen das Sie glauben doch nicht im Ernst, dass die von Ihnen Wasser bis zum Hals stehe. Ihre Politik stößt ja bei diesen jetzt vorgelegte Reform des Finanzausgleichs etwas an Kassen auf heftige Kritik. Dieser Bundesregierung fehlt der Versorgungslage chronisch Kranker, der schlechten es an Orientierung. Ihr fehlt ein Plan, wie das Schiff Ge- Finanzlage der großen Versorgerkassen und der Jagd der sundheitswesen an das rettende Ufer gebracht werden Krankenkassen vorwiegend nach Jungen und Gesunden kann. in den nächsten ein bis zwei Jahren ändern wird. Ich rate Es mag sein, dass das Kippen des Mindestbeitragssat- Ihnen: Haben Sie einmal den Mut, den Realitäten ins zes nur ein Racheakt der Grünen war – manche munkeln Auge zu sehen! Dann werden Sie feststellen, dass Ihre Re- das –, weil der Kanzler die grüne Ministerin nicht gerade form den großen Versorgerkassen in den nächsten Jahren gentlemanlike entlassen hat. gar nichts bringen wird. Man wird feststellen – das sage ich voraus und gebe ich gerne zu Protokoll –, dass nach (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] wie vor fast nur Junge und Gesunde trotz Ihres neuen Ge- [CDU/CSU]: So war das!) setzes im nächsten und im übernächsten Jahr die Mög- Das mag glauben, wer will. Ich glaube, das Hauptproblem lichkeit nutzen werden, die Krankenkasse zu wechseln. ist, dass Sie keinen Plan haben, wie das Gesundheitswe- Ich gebe zwar zu, dass ich dem inzwischen von Ihnen sen wieder auf die wesentlichen gesundheitspolitischen aufgegebenen Vorhaben, einen Mindestbeitragssatz von Ziele hin ausgerichtet werden kann. Sie wissen überhaupt 12,5 Prozent einzuführen, in keiner Weise nachtrauere; nicht, wie Sie die Finanzierung, die angesichts der demo- denn ein solcher Mindestbeitragssatz hätte nur dazu ge- graphischen Probleme in unserem Land eine immer dra- führt, dass junge Leute scharenweise zu den privaten matischere Herausforderung darstellt, sichern und wie Sie Krankenversicherungen abgewandert wären und dass der breiten Bevölkerungsschichten den medizinischen Fort- solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung dadurch schritt noch zugänglich machen wollen. Allein eine Re- Milliarden an Einnahmen verloren gegangen wären. Aber form des Risikostrukturausgleichs wird diese Probleme in mich erstaunt schon ein bisschen das Tempo, in dem die keiner Weise lösen. Ministerin den noch gestern so hoch und heilig beschwo- (Susanne Kastner [SPD]: Etwas leidenschaft- renen Mindestbeitragssatz plötzlich gekippt hat. Darauf licher, Herr Wolf!) möchte ich näher eingehen. Das Gebäude Gesundheitswesen wird immer baufäl- Frau Ministerin, Sie haben in einem Interview mit der liger; seine Risse werden immer größer und immer deut- „Ärztezeitung“ am 27. April 2001 Folgendes gesagt: licher. Wenn Sie jetzt nicht darangehen, die dringend nöti- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17661

Aribert Wolf (A) gen Reparaturarbeiten durchzuführen, dann werden Sie Es ist wichtig, einiges über die Funktionsweise, die (C) erkennen: Sie werden das Gebäude nicht retten, indem Sie Instrumente und die Wirkungen des Risikostrukturaus- die Fassade immer wieder mit neuer Farbe anstreichen. gleichs zu sagen. Herr Kollege Lohmann, Sie haben ein Die Ministerin hat trotz aller Freundlichkeiten und trotz Konzept, eine klare Linie vermisst. Wir verfolgen meh- aller Beruhigungspillen vergessen, ihren Job zu machen. rere Ziele gleichzeitig. Wenn man mehrere Ziele gleich- Auf Geheiß des Kanzlers lässt sie die Dinge treiben. Die zeitig verfolgt, dann braucht man mindestens so viele von Rot-Grün vertändelte Zeit kommt die Bundesbürger Instrumente wie Ziele. Dass das Gesetz ein Bündel von damit teuer zu stehen; das kann jeder am eigenen Geld- Maßnahmen enthält, ist die logische Konsequenz dessen, beutel nachprüfen. was wir wollen. Wer die Verwerfungen im Gesundheitswesen nicht Es gibt mehrere Missverständnisse. Das erste Missver- rechtzeitig und tatkräftig anpackt, der wird nicht für Ruhe ständnis besteht darin, dass man glaubt, der Risikostruk- sorgen, sondern er produziert täglich neue Hiobsbot- turausgleich habe allein die Funktion, Chancengleich- schaften für Patienten, Beitragszahler und für Leistungs- heit im Wettbewerb herzustellen. erbringer. Deswegen sage ich Ihnen: Hören Sie endlich auf, mit Minireformen an die Probleme im Gesundheits- (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] wesen heranzugehen! [CDU/CSU]: Ja, so ist das!) Frau Ministerin, machen Sie endlich Ihren Job, damit Das ist in der Tat eine Zielsetzung. Es ist richtig, dass wir unser Gesundheitswesen wieder auf die richtige Bahn ursprünglich nicht angetreten sind, um den Risikostruk- kommt! Dazu brauchen Sie aber als Erstes ein Konzept. turausgleich zu reformieren oder für Chancengleichheit Wir sind gespannt, ob Sie den Mut haben, ein solches im Wettbewerb zu sorgen, sondern um den Arbeitern und Konzept den Menschen noch vor der Wahl zu präsentie- den Angestellten gleiche Chancen bei der Kassenwahl zu ren, oder ob Sie glauben, Sie könnten sich bis nach der verschaffen. Wahl mit internen Diskussionen, mit Strategiepapieren (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wolfgang – der eine erzählt etwas, der andere widerspricht und der Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/CSU]: Ge- Nächste erzählt das Gegenteil – über die Runden retten. nauso ist das!) (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Die SPD ist völ- Wir wollten endlich die Situation beenden, dass Arbeiter lig konzeptlos!) in Kassen mit geringeren Grundlöhnen mit demselben Lesen Sie nur einmal, was alle rot-grünen Gesundheits- Versicherungsanspruch wie Angestellte versichert waren politiker der Reihe nach erzählt haben. Sie werden sich – sie hatten weniger Kassenwahlchancen –, gleichzeitig wundern und Sie werden keine gemeinsame Linie fest- aber höhere Beiträge zahlen mussten. Das war ungerecht (B) stellen. Das ist schade. und entsprach nicht einem modernen gesellschaftspoliti- (D) schen Leitbild. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Susanne Kastner [SPD]: So leidenschaftlich (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Herr Kollege Pfaff, war das auch nicht! – Gegenruf des Abg. Aribert wie hieß denn der Minister, der das auf den Weg Wolf [CDU/CSU]: Mehr als Ihre Leute schon!) gebracht hat?) Diese Ungerechtigkeit zu beseitigen war unsere ge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat der Ab- sellschaftspolitische Zielsetzung. Die Ausweitung der geordnete Martin Pfaff das Wort. Kassenwahlrechte war eine Konsequenz. Der Risiko- strukturausgleich war ein Ergebnis der Ausweitung des Wettbewerbs. Dr. Martin Pfaff (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Herr Kollege Wolf, ich kann mir Unser zweites Ziel – das möchte ich ganz deutlich be- nicht verkneifen, Folgendes zu sagen: Sie haben unserer tonen – war und ist die Ausweitung der Solidarität der Ministerin doch gerade in beredten Worten Lernfähigkeit Starken gegenüber den Schwachen. Der Risikostruktur- bescheinigt. Ich denke, man kann Schlimmeres über Men- ausgleich hat den Effekt, dass Gesunde für Kranke, Junge schen sagen, vor allen Dingen dann, wenn sie für einen so für Alte, Männer für Frauen und, sofern Frauen erwerbs- schwierigen Bereich wie das Gesundheitswesen Verant- tätig sind, umgekehrt, Kinderlose für Paare mit Kindern wortung tragen. Ich kann nur sagen: Danke, machen Sie und Menschen mit breiteren wirtschaftlichen Schultern weiter so! Wir jedenfalls sind mit unserer Ministerin sehr für solche mit schmaleren Schultern einstehen. zufrieden und wir sind gerne bereit, sie zu verteidigen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD – Aribert Wolf [CDU/ DIE GRÜNEN) CSU]: Wir sind auch zufrieden, weil sie uns in Das ist das Herzstück dessen, was man als Sozialstaat be- erster Linie politische Punkte bringt!) zeichnet. Das ist das Herzstück dessen, was soziale Die Wellen, die Sie angesprochen haben, schrecken Marktwirtschaft ist. uns nicht. Als langjähriger passionierter Segler weiß ich: Das zweite Missverständnis lautet, dass der Risiko- Die Wellen tun dem Schiff nichts, solange der Kurs strukturausgleich nur auf Zeit und übergangsweise erfor- stimmt. Wir wissen, dass der Kurs in der Gesundheits- derlich ist. Mit Ihren eigenen Worten haben Sie gesagt, politik stimmt. dass dieser Ausgleich Faktoren neutralisieren soll, die die (Beifall bei der SPD) einzelne Kasse mit eigener Kraft nicht verändern kann, 17662 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Martin Pfaff (A) nämlich zum Beispiel die Altersstruktur, die Geschlechts- chronisch Kranken und zum anderen die Entsolidarisie- (C) struktur, die Zahl der Mitversicherten und die Grund- rung durch Polarisierung, nämlich Kassen für Junge und löhne. Vor dem Hintergrund, dass man diese nicht kurz- Gesunde mit niedrigen Beitragssätzen und Versorgungs- fristig verändern kann, kann man auch nicht fordern, dass kassen für Alte und Kranke mit höheren Beitragssätzen. der Risikostrukturausgleich nur übergangsweise stattfin- Ich frage Sie: Wie lange könnte eine solche Entwicklung det. Stellen wir uns doch einmal vor, wir hätten in den dauern, bis das System zusammenbricht? Was ist gewon- vergangenen Jahren keinen Risikostrukturausgleich ge- nen, wenn das System zusammenbricht? Die Menschen habt. Die Gutachter haben gesagt, dass dann die Beitrags- bleiben doch. satzspanne zwischen 7 Prozent und 21 Prozent liegen (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Warum brauchen würde. Wir hätten eine Risikoentmischung in einem Um- Sie dann bis 2007, bis Sie etwas verändern?) fang, die das ganze System gefährden würde. Ich komme nun zum dritten Missverständnis. Herr Parr, Wir haben in Lahnstein den Risikostrukturausgleich Sie sagen, wir brauchen nicht mehr, sondern weniger Risi- gemeinsam eingeführt. kostrukturausgleich. Andere sagen wiederum, dass die (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Da haben wir vor- durch den Risikostrukturausgleich bewegte Summe in her zusammengesessen!) Höhe von 23 Milliarden DM zu hoch sei. Hier handelt es sich um eine klassische Verwechslung von Ursache und Auch das GKV-Finanzstärkungsgesetz zugunsten der Wirkung. Wenn Sie eine perfekte Risikomischung haben Ostkassen haben wir gemeinsam durchgesetzt. Wir tragen und keine private Krankenversicherung – – gemeinsam die Verantwortung für die Fehlentwicklun- gen. Deshalb appelliere ich an Sie: Lassen Sie uns in den (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] [CDU/ Anhörungen Anregungen aufnehmen und diese umsetzen. CSU]: Dann haben Sie eine Einheitsversiche- rung!) (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Wir würden uns freuen, wenn Sie das täten!) – Nein, ich rede über Risikomischung und nicht über Strukturen. Ich bin fest davon überzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition: Die großen Stunden des Par- (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Darin sind wir uns laments kommen nicht dann, wenn man sich in Parteien- doch einig! Das ist nicht das Problem!) streit ergeht. Die großen Stunden des Parlaments kommen Selbst eine private Krankenversicherung könnte niemals dann, wenn zugunsten der Menschen in unserem Lande überleben, wenn sie nicht gute und schlechte Risiken eine Gemeinsamkeit über Parteien hinweg stattfindet. (B) hätte. Wie hoch ist denn das Finanzvolumen des Risiko- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (D) strukturausgleichs, wenn man eine perfekte Risikomi- GRÜNEN und der PDS) schung hat? (Wolfgang Lohmann [Lüdenscheid] Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- [CDU/CSU]: Müsste null sein!) mit die Aussprache zu diesem Tagungsordnungspunkt. – Das beträgt null, genau. Deshalb ist der Anstieg der Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Transferzahlungen ein Reflex der Tatsache, dass eine Ent- den Drucksachen 14/6432 und 14/5681 an die in der Ta- solidarisierungswelle und eine Risikoentmischung statt- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. finden. Der Risikostrukturausgleich funktioniert wie ein Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Damit Stabilisator, ein Stoßdämpfer. sind die Überweisungen so beschlossen. (Aribert Wolf [CDU/CSU]: Das ist ein guter wissenschaftlicher Vortrag, aber sonst nichts!) Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf: Je unebener die Straße ist, desto mehr bewegt er sich. Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- richtes des Ausschusses für Wahlprüfung, Immu- Herr Parr, die Forderung, den Risikostrukturausgleich nität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zu dem zurückzuführen oder abzuschaffen, ist ungefähr genauso Antrag der Fraktion der CDU/CSU intelligent – Entschuldigung, das ist nicht persönlich, Änderung der Geschäftsordnung des Deut- sondern fachlich gemeint – wie der Ausbau der schen Bundestages Stoßdämpfer, wenn man in eine Region mit schlechten Straßen kommt, um diese zu schonen. (betr. Regierungsbefragung) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – Drucksachen 14/542, 14/2007 – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Berichterstattung: Abgeordnete Jörg van Essen Das vierte Missverständnis lautet: Die bestehenden Joachim Hörster Ausgleichsfaktoren wie zum Beispiel Alter und Ge- Dr. Uwe Küster schlecht reichen aus, um einen für alle Gruppen chancen- gleichen Wettbewerb zu sichern. Wir haben festgestellt, Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die dass dies eben nicht ausreicht. Es gab zwei Fehlentwick- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es hier- lungen, und zwar zum einen die Diskriminierung der gegen Widerspruch? – Nein. Dann ist das so beschlossen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17663

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer (A) Sind Sie damit einverstanden, dass wir die Rede der ich als Parlamentarier selbstkritisch anmerken – auch ein (C) Abgeordneten Heidi Knake-Werner zu Protokoll neh- Tribut an ein schnelllebiges Medienzeitalter. Auch das men? – Das ist der Fall.1) Parlament muss auf aktuelle gesellschaftliche Themen schnell reagieren können. Sonst bestünde die Gefahr, dass Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der sich zu wichtigen Themen zwar die Bundesregierung, die Abgeordnete Uwe Küster. Parteien, Fachleute aller Art und letztlich auch noch die Feuilletonisten äußern, aber nicht die demokratisch legi- Dr. Uwe Küster (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr timierte Vertretung des Volkes. verehrten Damen und Herren! Es geht um einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion aus dem Frühjahr 1999. Der An- Wird ein wichtiges Thema in der Öffentlichkeit kon- trag ist somit über zwei Jahre alt. Das ist für den politi- trovers behandelt, muss das Parlament zeitnah hierzu schen Bereich eine sehr lange Zeit. Ich glaube daher, dass Stellung beziehen können. Dass von diesem Instrument ich den wesentlichen Inhalt kurz darstellen sollte. naturgemäß die Oppositionsfraktionen mehr Gebrauch machen als die Regierungsfraktionen, ist nur allzu ver- Die CDU/CSU möchte zusätzlich zu den bestehenden ständlich. Schließlich hat die Opposition keine Regie- drei Möglichkeiten zur Durchführung einer Aktuellen rungsmitglieder, die ihre Politik erläutern könnten. In Be- Stunde eine vierte einführen. Nach ihrem Willen soll es zug auf die Union möchte ich sagen: Und das ist auch gut möglich sein, im Anschluss an die 30-minütige Befragung so. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die von Ihnen be- der Bundesregierung in eine allgemeine Aussprache des antragten Aktuellen Stunden regelmäßig zu einem zusätz- Deutschen Bundestages nach den Regeln für eine Aktu- lichen Forum für die überzeugende Darstellung unserer elle Stunde einzutreten. Damit wäre einer Fraktion die Regierungspolitik werden. Möglichkeit gegeben, aus der zeitlich und thematisch in der Regel sehr eng begrenzten Regierungsbefragung un- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Deswegen sind bei mittelbar eine zeitlich und thematisch ausufernde Debatte Ihnen so viele Minister zurückgetreten?) zu entwickeln. Ich bin ganz und gar nicht gegen eine Vielzahl von Aktu- Es wird sofort klar: Dieser Antrag ist ein typischer Op- ellen Stunden. positionsantrag. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herr (Jörg van Essen [F.D.P.]: Deswegen hat die Küster, Sie müssen ja lachen!) SPD ihn auch früher immer eingebracht, Sie nützen schließlich unserer und nicht Ihrer Politik. nicht?) Ich wende mich nicht gegen das Instrument der Aktu- Grund des Antrags ist nicht etwa die Erweiterung des (B) ellen Stunde. Ich wende mich aber ganz entschieden ge- (D) Rechts der Opposition und der Öffentlichkeit auf Infor- gen den Versuch, diese gute parlamentarische Einrichtung mation und Transparenz. Nein, das Gegenteil ist der Fall. zu einem Exerzierfeld von taktischen Spielchen zu ma- Hier wird versucht, das Parlament zu einem schon in der chen. Sache fragwürdigen Schlagabtausch über den Regie- rungsalltag zu nutzen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Ohne dass man die Sache kennt!) Genau dies ist die Stoßrichtung Ihres Antrags. Der Parlamentsablauf würde hierdurch unberechenbar. Es besteht keine Notwendigkeit für eine Aktuelle Ich vermag in diesem Versuch keinen konstruktiven par- Stunde im Anschluss an die Befragung der Bundesregie- lamentarischen Gedanken zu erkennen. Im Gegenteil: Mit rung. Sie wäre auch nicht sinnvoll. Die gegenwärtig in diesem Antrag leistet die Union einem transparenten und Anlage 5 der Geschäftsordnung geregelten Tatbestände offenen Parlamentarismus einen Bärendienst. über Aktuelle Stunden sind völlig ausreichend. Dass Sie das auch so sehen, Herr von Klaeden, zeigt sich bereits da- Lassen Sie mich dies begründen. Bereits jetzt stellt die ran, dass Sie die Beratung Ihres Antrags zwei Jahre lang Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages drei Mög- nicht vermisst haben. lichkeiten bereit, Aktuelle Stunden herbeizuführen. Aktu- elle Stunden dienen dazu, den notwendigerweise langfris- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist über- tig geplanten Plenarablauf sehr kurzfristig aktuell gestalten haupt nicht wahr! Ihre Rede habe ich allerdings zu können. Die Debatte soll hierdurch lebhafter und inte- bisher nicht vermisst, Herr Küster!) ressanter werden. Der Öffentlichkeit soll deutlich gemacht Die Entbehrlichkeit Ihres Antrags wird augenfällig, wenn werden, dass die Themen, die sie beschäftigen, auch von man sieht, wie oft überhaupt von der Möglichkeit einer der Volksvertretung beraten werden. Aktuellen Stunde im Anschluss an eine Fragestunde Eine Aktuelle Stunde ist notwendig. Andernfalls Gebrauch gemacht wird. Das ist nämlich nur sehr selten könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass der Fall. In der gesamten bisherigen Wahlperiode wurden das Parlament seine Debatten unbeeinflusst von den aktu- bisher insgesamt nur zehn Aktuelle Stunden aus der Fra- ellen Themen der unmittelbaren Gegenwart führt. Das gestunde heraus entwickelt. Instrument der Aktuellen Stunde ist daher – dies möchte (Jörg van Essen [F.D.P.]: Da sehen Sie mal, wie gering die Gefahr ist, wenn wir das än- 1) Anlage 2 dern!) 17664 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Uwe Küster (A) Eine Dringliche Frage war sogar – darauf komme ich Der von Ihnen vorgeschlagene Weg ist aufgrund seiner (C) noch zurück – in nur einem einzigen Fall Anlass; und dies Anknüpfung an die Befragung der Bundesregierung bei bisher insgesamt 57 Sitzungswochen mit insgesamt bedenklich. Die Befragung der Bundesregierung ist vor- 108 Aktuellen Stunden. rangig dazu da, Erkenntnisse aus der vorangegangenen Kabinettssitzung zu gewinnen. So soll der Opposition (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Haben Sie zum Beispiel die Möglichkeit gegeben werden, Einzel- so viel Angst davor?) heiten über Kabinettsbeschlüsse zu erfahren. Im Regelfall – Im Gegenteil. Diese Zahlen belegen nicht gerade das ist der hierfür vorgesehene Zeitraum von 30 Minuten völ- dringende Bedürfnis nach der Einführung neuer Tat- lig ausreichend. Bei Bedarf kann der amtierende Präsident bestände. Vielmehr zeigen sie, dass die Entwicklung einer die Debattenzeit über diese Zeit hinaus verlängern. Aktuellen Stunde aus der Fragestunde heraus nicht gerade Sie argumentieren nun, dass es aufgrund der mündlich der Regelfall ist. Es handelt sich hierbei um Ausnahme- gegebenen Antworten der Bundesregierung oftmals „das fälle. dringende und unaufschiebbare Bedürfnis“ gebe, die er- Wieso wird nur so selten eine Aktuelle Stunde auf die- teilten Auskünfte zu debattieren. Weitere Sachaufklärung sem Wege beantragt? Die Antwort ist sehr einfach: Wir kann dies aber nicht bringen. Aber das wollen Sie auch gar alle wollen unsere Themen aktuell, aber auch fundiert be- nicht. Sie wollen in der Sache gar keine Aktuelle Stunde raten sehen. Dies gilt für uns ebenso wie für die mit dem Ziel der Information der Öffentlichkeit. Sie wol- Oppositionsfraktionen. Daher ist es Vorschrift, die The- len die Bundesregierung aus rein taktischen Gründen in men der gewünschten Aktuellen Stunde einen Tag zuvor formale Schwierigkeiten bringen. beim Präsidenten einzureichen. Nach guter parlamenta- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des rischer Übung hat jede Fraktion Gelegenheit, ein von ihr BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jörg van gewünschtes Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Essen [F.D.P.]: Oh, oh!) Die wirklich bedeutenden Themen – ich nenne hier als Inhaltlich möchten Sie nicht diskutieren. Auch Sie Beispiel die Rentenreform – sind keine Eintagsfliegen. bräuchten ja eine Vorbereitungszeit für Ihre inhaltlichen Sie behalten für eine längere Zeit ihre Aktualität. Möchte Anliegen. Oder wissen Sie die richtigen Antworten bereits eine Fraktion ein solches Thema in herausgehobener Art im Voraus? und Weise angesprochen haben, kann sie dies zumindest einen Tag vorher wissen. Ich glaube nicht, dass die Frist (Jörg van Essen [F.D.P.]: Ja, wir haben von einem Tag unzumutbar ist. vortrefflich gearbeitet!) Diese Regelung hat aus meiner Sicht einen entschei- Das ist natürlich nicht so. Sie wollen vielmehr die Mög- lichkeit haben, gleichsam ein bisschen aus der Hüfte zu denden Vorteil: Die Fraktionen und die Bundesregierung (B) schießen. (D) können die Debatte seriös vorbereiten. Die Öffentlichkeit bekommt ein präzises Bild der politischen Standpunkte (Susanne Kastner [SPD]: Jawohl!) vermittelt. Dies ist nach meinem Verständnis ein wesent- Sie suchen den kurzfristigen, schnellen Erfolg im For- licher Sinn von Plenardebatten. Das können Spontan- malen. Das Parlament soll in eine unvorbereitete Debatte debatten – so lebhaft und notwendig sie auch sind – nicht über offensichtlich herbeigeredete Themen hineingehetzt leisten. werden. Die Analyse trifft, wenn auch eingeschränkt, auch auf (Jörg van Essen [F.D.P.]: Mehr Mut, Herr die Aktuellen Stunden zu, die sich aus der Fragestunde Kollege!) entwickeln. Sie werden naturgemäß von der Opposition beantragt. Die Opposition macht dies, um ein Thema aus Ein Bezug zu einer öffentlichen Diskussion erscheint ent- der Fragestunde heraus aufzublähen. Meine Damen und behrlich. Seriöse parlamentarische Arbeit kann so nicht Herren von der Opposition, die Erfahrung zeigt, dass Ihre geleistet werden. Ich kann nicht ausschließen, dass Sie Bemühungen an dieser Stelle vergeblich sind. Ich habe das auch so wollen. Ich jedenfalls erkenne in Ihrem An- von den bisher von Ihnen beantragten Aktuellen Stunden trag keine inhaltlichen Anliegen. Sie wollen nur taktieren. im Anschluss an eine Fragestunde keine einzige mehr als (Beifall bei der SPD) wesentlich in Erinnerung. Auch dies zeigt, dass kurz- fristig und inhaltlich eng angelegte Debatten nicht das Sie wollen Opposition um des Opponierens willen betrei- leisten können, was eine Aktuelle Stunde leisten soll: ak- ben. Dies lehnen wir ab. tuelle Themen in einem transparenten Verfahren umfas- (Susanne Kastner [SPD]: Sie üben ja auch send zu beraten. noch!) Im Übrigen: Das Verfahren garantiert bereits ein Lassen Sie mich zuletzt noch auf einen weiteren Grund Höchstmaß an Aktualität. Ein bis 12 Uhr am Vortag ein- eingehen, der die Ablehnung Ihres Antrags schon für sich gereichtes Verlangen auf Aufsetzung einer Aktuellen genommen nötig macht. Wir müssen uns bei jeder Ände- Stunde auf die Tagesordnung des Folgetages reicht bereits rung der Geschäftsordnung fragen, welche Auswirkung aus. Darüber hinaus kann sich eine Aktuelle Stunde auch sie für die Arbeit des gesamten Parlamentes hat. Die aus einer Dringlichen Frage im Anschluss an die Frage- hier vorgeschlagene Änderung würde bei ihrer Verwirk- stunde ergeben. Man sieht hier die verschiedenen ge- lichung zu einer Zerfaserung der Sitzungswoche führen; schäftsordnungsrechtlichen Möglichkeiten, flexibel auf denn die Durchführung einer Aktuellen Stunde im direk- aktuelle Fragestellungen zu reagieren. ten Anschluss an die Befragung der Bundesregierung Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17665

Dr. Uwe Küster (A) hätte eine Verlegung der meist an die Fragestunde an- die freie Rede und die Debattenkultur hochhalten. Ich bin (C) schließenden Aktuellen Stunde zur Folge. erstaunt, welch gestörtes Verhältnis zur politischen Aus- einandersetzung und zur parlamentarischen Debatte und (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das kann doch auch welche Angst Sie letztlich vor der freien Rede und der nach der Fragestunde sein!) offenen Auseinandersetzung hier zum Ausdruck bringen. Diese Notwendigkeit ist zwar schon heute manchmal (Dr. Uwe Küster [SPD]: Ist das Ihre Schuh- gegeben, doch wäre die Ausweitung dieser Konfliktfälle größe? – Susanne Kastner [SPD]: Wenn Ihr An- der Öffentlichkeit wenig vermittelbar. Es könnten dann liegen so groß wäre, wären mehr Leute von gleich drei Aktuelle Stunden miteinander konkurrieren, Ihnen da! Es gibt nur drei Zuhörende! – Weitere wobei die eine die andere verdrängen würde. Zurufe von der SPD) (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das wäre wirklich – Ich kann nicht gegen Sie anschreien, meine Damen und schlimm! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Herren von der SPD; ich bin etwas erkältet. Deswegen Das Land wird unregierbar!) bitte ich Sie, ein bisschen Rücksicht zu nehmen. Die nachfolgende Aktuelle Stunde soll dann weniger ak- (Dr. Ditmar Staffelt [SPD]: Dann reden Sie tuell sein? Sie müssten erklären, warum durch diesen Me- nicht solch einen Unsinn!) chanismus plötzlich etwas Aktuelles verdrängt wird. Das kann so nicht richtig sein. Wenn Sie zum Beispiel meinen, Herr Kollege Küster, der Regierung sei es nicht möglich, sich auf eine Aktuelle Die Aktuellen Stunden würden im Übrigen die Pla- Stunde, die sich aus der Regierungsbefragung entwickle, nungen hinsichtlich der weiteren Debatten zusätzlich be- seriös vorzubereiten lasten. Der ohnehin übervolle Plenardonnerstag wäre dann weniger planbar. Sie würden die Qualität der Debat- (Renate Rennebach [SPD]: Das hat doch damit ten mindern und die Belastung der Parlamentarier er- überhaupt nichts zu tun!) höhen. Das alles wollen wir nicht. – das hat doch der Kollege Küster gerade ausgeführt –, so Ich möchte jedoch keinen falschen Eindruck aufkom- will ich Sie doch wenigstens darauf hinweisen, dass das men lassen. Meine Fraktion hat sich in der Vergangenheit Thema der Regierungsbefragung von der Regierung sel- niemals dem Wunsch verschlossen – das wissen Sie, Herr ber festgelegt wird. Die Vorstellung, dass die Regierung van Essen, Herr von Klaeden –, vereinbarte Debatten zu unvorbereitet in eine Aktuelle Stunde hineingehen müsste aktuellen Themen durchzuführen. Wir haben uns auch bei einem Thema, das sie selber für die Regierungsbefra- und gerade gegenüber den Wünschen der Minderheiten gung ausgewählt hat, finde ich doch reichlich absurd. immer aufgeschlossen gezeigt. Wir werden das auch in (B) Wir alle führen immer wieder Klage über den angeb- (D) Zukunft so kooperativ handhaben. lichen oder tatsächlichen Verlust der Bedeutung des Par- Aber wir wollen hochwertige und aktuelle Debatten. laments. Wir haben im aktuellen „Focus“ auf dem Foto Wir begrüßen die Durchführung von Aktuellen Stunden der Woche einen kaum besetzten Plenarsaal bei der ganz ausdrücklich. Wir wollen die Debattenkultur stärken Regierungsbefragung gesehen. Ihnen, Herr Küster, will und die Plenardebatten lebhaft gestalten. Der Vorschlag ich wenigstens zugestehen, dass Sie einer von den beiden der CDU/CSU-Fraktion zur Änderung der Geschäftsord- Abgeordneten der SPD waren, die bei den Ausführungen nung widerspricht unseren Bemühungen. Er ist nicht hilf- des Bundesfinanzministers anwesend waren. Allein die- reich, er ist unnötig und stellt für die Debattenkultur in ses Foto zeigt doch, dass wir uns alle darüber Gedanken diesem Hohen Hause einen Rückschritt dar. machen müssen, wie wir die Regierungsbefragung inte- ressanter und abwechslungsreicher gestalten können; Wir teilen das ablehnende Votum des Geschäftsord- denn dass von Ihrer Seite nur zwei Kollegen anwesend nungsausschusses zu diesem Antrag. Meine Fraktion waren, zeigt doch, dass das auch für Sie kein Ort der ver- lehnt den Antrag daher ab. nünftigen politischen Auseinandersetzung ist. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Deswegen wollen wir in einer ganz dezenten Art und DIE GRÜNEN) Weise die Möglichkeit der politischen Auseinanderset- zung erweitern. Ich wünschte mir, dass Sie sich als Abge- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat ordnete der Mehrheit und nicht nur als Erfüllungsgehilfen jetzt der Abgeordnete Eckart von Klaeden. der Regierung verstehen, und sich auch der Frage widme- ten, ob nicht auch ab und zu mit der Regierung eine Frage im Parlament kontrovers diskutiert werden kann. Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Lieber Herr Küster, (Zuruf von der SPD: Kann in diesem Haus ei- dass Sie unseren Antrag ablehnen, erstaunt mich nicht. gentlich jeder jeden Blödsinn reden?) Mich enttäuscht allerdings ein wenig, dass Sie das nicht Wenn Sie weiterhin die Sorge haben, dass die politi- wenigstens mit einem kleinen Augenzwinkern tun; denn sche Auseinandersetzung im Wesentlichen nur den Zweck einerseits malen Sie hier das Szenario an die Wand, dass hat, unsachlich zu sein, die Bevölkerung zu verwirren die parlamentarischen Beratungen durch die Ausei- nandersetzung in der Aktuellen Stunde unberechenbar ( Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie sind Zeitdiebe! – werden würden, und andererseits wollen Sie gleichzeitig Weitere Zurufe von der SPD) 17666 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Eckart von Klaeden (A) und die sachliche Auseinandersetzung zu vernebeln, dann Schließlich müssen wir doch mit Sorge die Entwicklung (C) sagt das mehr über Ihr Parlamentarismusverständnis als beobachten, dass die aktuellen politischen Auseinander- über unseren Antrag aus. setzungen immer weiter weg vom Parlament und immer mehr hinein in Fernsehtalkrunden verlegt werden. (V o r s i t z: Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters) (Dr. Uwe Küster [SPD]: Dann brauchen wir eine Aktuelle Stunde über Talkrunden! – Zuruf Meine Damen und Herren, wir wollen die Möglichkeit der Abg. Renate Rennebach [SPD]) schaffen, aus der Regierungsbefragung eine Aktuelle Stunde zu entwickeln. Die Aktuelle Stunde wurde einmal Das Bedürfnis nach Aktuellen Stunden aus den Reihen eingeführt, um den Abgeordneten, die mit einer Antwort der Abgeordneten wird übrigens immer größer. Aus den der Regierung in der Fragestunde nicht zufrieden waren, 25 Fragestunden im ersten Halbjahr 2001 wurden vier Ak- die Gelegenheit zur weiteren Bewertung und Diskussion tuelle Stunden entwickelt. 1999 gab es – auf das ganze eines politischen Sachverhalts zu geben. Schließlich Jahr gerechnet – nur zwei Aktuelle Stunden aus Frage- kommt es häufig vor, dass die Bundesregierung auf An- stunden. Wäre es möglich, eine Aktuelle Stunde aus der fragen erkennbar nicht vollständig und nicht zutreffend Regierungsbefragung zu verlangen, gäbe es – so meine antwortet. Prognose – einige Aktuelle Stunden mehr. Zudem könnte das Verlangen zur Durchführung einer Aktuellen Stunde (Susanne Kastner [SPD]: Es kommt auch häufig auch auf unzureichende Antworten der Regierung in der vor, dass die Opposition dumme Fragen stellt! – Regierungsbefragung gestützt werden. Zuruf der Abg. Renate Rennebach [SPD]) Ich will für diese unzureichende Beantwortung von Bislang kann eine Aktuelle Stunde nur zu einer münd- Fragen bzw. die unzureichende Vorbereitung darauf nur lichen Antwort der Bundesregierung in der Fragestunde ein Beispiel nennen – eines von vielen –, nämlich den verlangt werden, nicht jedoch zu der mündlichen Antwort Auftritt der Staatssekretärin Hendricks am 5. Juli 2000 in auf eine Frage in der Regierungsbefragung. Die Parla- der Regierungsbefragung im Bundestag, zu der sie von mentspraxis zeigt, dass es immer häufiger vorkommt, Herrn Bundesminister Eichel geschickt wurde, um von dass sich aus der Regierungsbefragung ein Bedarf nach der vorangegangenen Kabinettssitzung zu berichten. einer Aussprache ergibt, der dringend und nicht auf- Durch unsere Frage an sie kam heraus, dass sie an der Be- schiebbar ist. Es ist schlicht nicht einzusehen, dass der ratung des Kabinetts zu dem in der Regierungsbefragung Antragsteller für eine Aktuelle Stunde nach der geltenden genannten Thema überhaupt nicht teilgenommen hatte. Rechtslage auf das allgemeine Antragsrecht verwiesen Es ist nicht nur peinlich, wenn man zugeben muss, über werden muss, was zur Folge hat, dass die Aktuelle Stunde eine Kabinettssitzung zu berichten, bei der man nicht ein- zu diesem Thema dann, wenn überhaupt, erst am (B) mal zugegen war. Dies zeigt auch, wie ernst die Bundes- (D) übernächsten Tag stattfinden könnte, sofern nicht der An- regierung ihre parlamentarischen Pflichten nimmt. trag einer anderen Fraktion vorgeht. – Dies als erster Punkt zur Begründung unseres Antrages. Zu beklagen ist auch immer wieder, dass die Bundes- regierung auf schriftliche Fragen nicht in der vorge- Der zweite Punkt: Die Einreichung einer mündlichen schriebenen Wochenfrist antwortet und häufig nicht ein- Anfrage liegt zeitlich immer viel weiter zurück als die mal den Grund mitteilt, warum die Frist immer wieder aktuelle Kabinettssitzung vom Vormittag oder andere und immer mehr nach hinten gezogen wird. Besonders aktuelle Meldungen über Beratungen der Bundesregie- krass fallen da das Auswärtige Amt und das Verteidi- rung, zu denen dann auch nachgefragt werden kann. Die gungsministerium auf. Die krassesten Fälle, die wir in Themen der Regierungsbefragung sind also mindestens so diesen Wochen haben erleben müssen, betreffen Frist- aktuell, häufig noch aktueller als die mündlichen Anfragen, überschreitungen um fünf, vier und drei Wochen. Ich zu denen nach der Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde meine, dass das nicht sein darf und wir uns Gedanken da- beantragt werden kann. Deshalb wäre es doch nur folge- rüber machen müssen, wie wir auch zu aktuellen Themen richtig, dem allgemeinen aktuellen Interesse an einer Aus- die Debatte erleichtern und bereichern können. sprache im Anschluss an eine Regierungsbefragung noch (Beifall bei der CDU/CSU) am selben Tag, am Mittag oder Nachmittag, zu folgen und die Gelegenheit zu geben, dazu eine Aktuelle Stunde zu be- Deswegen darf ich Sie herzlich bitten, diesem Antrag antragen. Die Regierung selber betont ja die Wichtigkeit zuzustimmen. Wenn Sie schon Ihr Kritikvermögen be- und die Aktualität des Themas dadurch, dass sie dieses züglich der Regierungspolitik an der Mehrheitspforte ab- Thema für die Regierungsbefragung ausgesucht hat. gegeben haben, so will ich doch wenigstens den einen oder anderen von Ihnen – insbesondere die Kollegin (Beifall bei der CDU/CSU – Susanne Kastner Rennebach, die sich ja gerade durch außerordentlich qua- [SPD]: Herr von Klaeden, erklären Sie das doch lifizierte Zwischenrufe ausgezeichnet hat, mal den Zuhörern da oben!) (Renate Rennebach [SPD]: Zum Schluss keine Wenn wir als Parlament aktuell und zeitnah zu den Ent- solchen Beleidigungen, Herr von Klaeden! Das scheidungen der Bundesregierung handeln und unsere regt uns auf! So können Sie mit der SPD-Frak- Kontrollfunktion auch wahrnehmen wollen, halte ich es tion nicht umgehen!) geradezu für zwingend, dass wir unsere Möglichkeiten, aktuell zu sein, auch wirklich wahrnehmen und sie dort er- von denen ich hoffe, dass sie alle ins Protokoll gelangt weitern, wo es nötig ist. Deshalb möchte ich alle Fraktio- sind –, an die Initiativen Ihrer Fraktion zur Änderung der nen ausdrücklich auffordern, unserem Antrag zu folgen. Geschäftsordnung in der letzten Legislaturperiode erin- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17667

Eckart von Klaeden (A) nern. Vielleicht wahren Sie ja in diesem Falle – wenn Sie Meine zweite Begründung für die Ablehnung dieses (C) sich schon bei den großen Themen nicht an Ihre eigenen Antrages beruht auf meiner Befürchtung, dass wir durch Anträge erinnern – eine gewisse Kontinuität und tun das, diese Möglichkeit eine Verschlechterung der Qualität was Sie vor der Wahl versprochen haben. der Debatten bewirken. Wenn ich mir anschaue, wie sich die Fragestunden hier im Parlament – und teilweise auch In diesem Sinne darf ich Sie bitten: Stimmen Sie unse- die Aktuellen Stunden – in der Vergangenheit entwickelt rem Antrag zu! haben, dann glaube ich nicht, dass es gerade dies ist, was (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Bürger manchmal an der politischen Arbeit stört, näm- lich dass zu wenig Debatten dieser Art geführt werden, die einen kurzfristigen aktuellen Schlagabtausch ermögli- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Gehen Sie chen. Mein Eindruck bei der Arbeit vor Ort, wenn ich mit milde mit dem Kollegen von Klaeden um; er hat zweiein- den Bürgern darüber diskutiere, ist vielmehr, dass sie sich halb Stunden Redezeit eingespart. mehr vertiefende, grundsätzliche Debatten, die manchmal (Renate Rennebach [SPD]: Zweieinhalb Stun- auch von ein bisschen mehr Nachdenklichkeit geprägt den? – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Zwei- sind – wie beispielsweise beim Thema Gentechnik –, und einhalb Minuten!) nicht das oftmals doch etwas stark auf den politischen Schlagabtausch zielende Debattieren in den Aktuellen – Was habe ich gesagt? Stunden wünschen. (Zurufe: Zweieinhalb Stunden! – Heiterkeit) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zweieinhalb Stunden? Nein, das wäre wirklich zu viel. und bei der SPD – Eckart von Klaeden Aber immerhin zweieinhalb Minuten! [CDU/CSU]: Das gehört aber ebenfalls zum Parlamentarismus!) Nächste Rednerin ist die Kollegin Steffi Lemke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Kurzfristigkeit, die mit der Debattenform, die Sie hier vorschlagen, verbunden ist, impliziert, dass sich die Abgeordneten auf diese Art von Debatten nicht ausrei- Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr chend vorbereiten können. Das unterscheidet die Möglich- Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Ich hoffe, da- keit, eine Aktuelle Stunde aus der Regierungsbefragung he- raus wird dann nicht der nächste Geschäftsordnungsantrag, raus zu entwickeln, von der Möglichkeit, eine Aktuelle die Redezeit der CDU generell auf zweieinhalb Stunden Stunde aus der Fragestunde heraus zu entwickeln. In den auszudehnen. Fällen ist natürlich die Vorbereitungszeit für die Abgeord- Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lehnt den Ge- neten vorhanden. Man führt in der Regel eine Recherche (B) schäftsordnungsantrag der CDU/CSU-Fraktion ab. Ich durch, um eine Frage einzubringen. Auch bei dringlichen (D) möchte diese Ablehnung auch begründen: Fragen habe zumindest ich das bisher immer getan. Sie haben vorgetragen, dass es ein dringendes Bedürf- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Sie haben nis Ihrer Abgeodneten für eine Erweiterung der Möglich- Angst vor der freien Rede!) keit, Aktuellen Stunden im Deutschen Bundestag durch- Hierfür ist eine Vorbereitung notwendig, die die Abge- zuführen, gibt. Nun möchte ich nicht in Abrede stellen, ordneten bei der Form, die Sie vorschlagen, nicht mehr dass wir im Parlament gemeinsam immer wieder disku- leisten müssten. Diese mangelnden Recherchen und Vor- tieren und nach Möglichkeiten suchen sollten, unsere ei- bereitungen würden zu einem relativ flachen Niveau in gene Arbeit hinsichtlich Transparenz, Bürgerfreundlich- diesen Debatten führen. keit, auch der Herstellung von Öffentlichkeit von Debatten und natürlich auch von Aktualität zu verbessern. Ein weiterer Grund, den ich anführen möchte, ist, dass Aber wenn Ihr Antrag, Herr von Klaeden, bereits vor zwei die Möglichkeit der Entwicklung von Aktuellen Stunden Jahren hier im Plenum in das Verfahren eingebracht wor- aus der Fragestunde heraus bisher überhaupt nicht ausge- den ist – und dies auch noch auf den dringenden Wunsch schöpft worden ist. Der Kollege Küster hat Ihnen die ent- der Abgeordneten Ihrer Fraktion hin –, dann frage ich sprechenden Zahlen genannt; ich möchte sie nicht wie- mich, worin die Aktualität des Themas besteht. derholen. Es gab sehr wenige Aktuelle Stunden zum einen aus der Fragestunde und zum anderen aus den dringlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Anfragen heraus. und bei der SPD – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es geht um die Geschäftsord- Das ging sogar so weit, Herr von Klaeden, dass Sie bei nung! – Zuruf von der F.D.P.: Sie haben nicht einem Thema, bei dem Ihre Fraktion sehr viele Fragen für die Fragestunde eingereicht hatte und bei dem Sie auch in zugehört!) der Fragestunde immer wieder insistiert hatten, die Regie- – Nein, nein; es geht auch um die Aktualität von Anträ- rung würde nicht ausreichend oder ausweichend antwor- gen, die wir hier im Plenum behandeln, und ich frage ten und Ihnen würden die Antworten nicht gefallen, mit mich, ob dieser Antrag Ihrer Fraktion auf Änderung der dieser Begründung sehr wohl die Möglichkeit gehabt hät- Geschäftsordnung dadurch eine neue Aktualität bekom- ten, eine Aktuelle Stunde anzuschließen. Ihre Geschäfts- men hat, dass der Wahlkampf für den nächsten Bundestag führung hat aber bewusst auf diese Möglichkeit verzichtet, vor der Tür steht. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Wir werden (Zuruf von der SPD: Herr von Klaeden hat in diesen Wünschen in Zukunft nachkommen, der Mottenkiste gewühlt!) Frau Kollegin!) 17668 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Steffi Lemke (A) weil Ihnen gar nicht an einer Aktuellen Stunde zu diesem nach meiner Auffassung vernünftig: Es hat sich im Bun- (C) Thema gelegen war. destag immer wieder bewährt, dass wir neue Formen ein- fach einmal ausprobiert haben. Von daher meine ich, dass die Geschäftsordnung aus- reichend Möglichkeiten vorsieht, solche Debatten zu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – führen. Ich plädiere dafür, dass wir unser Augenmerk bei Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Genau!) der Weiterentwicklung der parlamentarischen Arbeit da- Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir das machen, rauf richten, die Debatten in der Qualität und nicht unbe- was wir bei vielen anderen Änderungen auch gemacht ha- dingt in der Quantität zu verbessern. ben, nämlich eine Erprobungsphase, einen Zeitraum von Danke. einem halben oder ganzen Jahr, festzulegen und anschlie- ßend zu entscheiden; ob das gut war bzw. sich nicht be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN währt hat. und bei der SPD) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Jörg van Essen. Sie alle wissen, dass es Dinge wie die Kurzintervention gegeben hat, bei denen wir nachher alle der Auffassung waren, dass sie gut waren, und sie deshalb fortgesetzt ha- Jörg van Essen (F.D.P.): Herr Präsident! Liebe Kol- leginnen und Kollegen! Ich habe gerade aufmerksam zu- ben. gehört Es ist interessant, dass es gerade Kollegen von der (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das haben wir unter- SPD-Fraktion waren, zum Beispiel der Kollege Conradi, stellt! – Zuruf von der SPD: Das erste Mal die immer wieder für diese Möglichkeit gefochten und heute!) beispielsweise auf die guten Erfahrungen damit in Groß- britannien hingewiesen haben. und überlegt, ob es irgendein Argument gegen den Vor- schlag der CDU/CSU-Fraktion gegeben hat, das wirklich Ich bin dafür, dass wir es auch probieren. Deshalb wer- überzeugt hat. Wenn man das Ganze wertet, muss man den wir gegen die Beschlussempfehlung stimmen, die das feststellen: Dieses gibt es nicht. Ganze ablehnt. Wir sind für eine Erprobung neuer Formen im Deutschen Bundestag. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Dann ändern Sie doch Ihr Denn all die Gefahren, die aufgezeigt worden sind Abstimmungsverhalten! – Zuruf von der F.D.P.: (B) – Missbrauch oder man könne sich nicht vorbereiten –, Wir sind nicht nur für neue Formen! Wir sind (D) sind doch Argumente, die nicht wirklich überzeugen. auch für neue Mehrheiten!) (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Genau!) Es kann uns nur dienen, wenn wir aktuelle Themen auf- Denn die Bundesregierung bestimmt Themen für die Re- greifen und die Bevölkerung das Gefühl hat, wir diskutie- gierungsbefragung, die in der öffentlichen Diskussion ste- ren aktuelle und nicht nur solche Themen, die mögli- hen. Deshalb gibt die Bundesregierung schließlich be- cherweise schon ein paar Mal durchgekaut worden sind. stimmte Themen in die Kabinettsberatungen und legt dann Es tut uns und vor allen Dingen auch unserem Ansehen auch Wert darauf, darüber intensiver zu informieren. Daher gut, dass wir etwas ausprobieren. erwarte ich von jedem Regierungsmitglied, dass es in der Vielen Dank. Lage ist, frei dazu zu reden, wie wir es als Abgeordnete nach unserer Geschäftsordnung schließlich auch tun müssen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe NEN]: Das hat Herr von Klaeden aber nicht die Aussprache. gemacht!) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Deshalb erwarte ich auch, dass die Abgeordneten den ses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung Stoff beherrschen und dazu etwas sagen können. Ich zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Änderung meine auch nicht, dass die Gefahr eines Missbrauchs der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages auf wirklich besteht. Drucksache 14/2007. Der Ausschuss empfiehlt, den An- trag auf Drucksache 14/542 abzulehnen. Wer stimmt für Alle Fraktionen überlegen sich zu Beginn der Woche, diese Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun- welches Thema sie gegebenenfalls zum Gegenstand einer gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen Aktuellen Stunde machen. Deshalb wird sehr sorgfältig von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen überlegt, aus einer Regierungsbefragung eine neue Aktu- von CDU/CSU, F.D.P. und PDS angenommen. elle Stunde zu entwickeln, die nicht vorgeplant ist. Das wird nur in Ausnahmefällen geschehen. Das heißt also, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: dass für ein solches Vorgehen schon eine vernünftige Be- Beratung des Antrags der Abgeordneten Heide gründung dafür vorliegen muss. Mattischeck, Reinhard Weis (Stendal), Hans- Deshalb ist das, was ich als Vertreter der F.D.P.-Frak- Günter Bruckmann, weiterer Abgeordneter und tion im Geschäftsordnungsausschuss vorgeschlagen habe, der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17669

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Winfried Hermann, Marieluise Beck (Bremen), – Herr Goldmann, das können Sie alles nachher erzählen. (C) Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Ich höre Ihre Stimme ausgesprochen gern, aber vielleicht Fraktion des BÜNDNISSES 90 /DIE GRÜNEN kann ich Sie besser verstehen, wenn Sie nachher von hier Fahr Rad – für ein fahrradfreundliches vorn sprechen. Deutschland Es nützt – wir waren vorhin gerade bei dem wichtigen – Drucksache 14/6441 – Thema Gesundheit – der Gesundheit, weil es ein Mittel gegen den Bewegungsmangel ist. Ich denke mir, das ist Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (f) ein Problem, das gerade uns als Abgeordnete besonders Innenausschuss betrifft, die wir den ganzen Tag sitzen. Das Fahrrad ent- Sportausschuss lastet damit auch die Krankenkassen. Es nützt im Übrigen Ausschuss für Wirtschaft und Technologie – das wird viel zu selten beachtet – auch der Wirtschaft; Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit denn Fahrradherstellung und -handel sind wachsende Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen- Branchen mit überwiegend mittelständischen Strukturen. abschätzung Nicht zuletzt profitiert vom Radfahren auch noch der Tou- Ausschuss für Tourismus rismus in Deutschland, weil ganz Deutschland ein attrak- Haushaltsausschuss tives Gebiet für den Radtourismus ist. Für die Aussprache ist eine halbe Stunde vorgesehen. – (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlos- GRÜNEN und der F.D.P. – Jörg van Essen sen. [F.D.P.]: Ich fahre zu Hause immer Fahrrad!) Ich eröffne die Aussprache und gebe zunächst der Kol- legin Heide Mattischeck für die Fraktion der SPD das Wort. – Genau, da sind wir uns ja alle einig. Das finde ich ganz prima.

Heide Mattischeck (SPD): Herr Präsident! Liebe Alle dieses Vorteile sind in der Vergangenheit durch die Kollegen! Liebe Kolleginnen! Meine Herren und Damen! Politik bedauerlicherweise sträflich vernachlässigt wor- Ich möchte ganz kurz auf den Aufruf des Tagesordnungs- den, gerade weil sich die Aufmerksamkeit so stark auf das punktes durch den Herrn Präsidenten eingehen. Der Titel Auto konzentrierte. des Antrags heißt bewusst nicht „Fahrrad – für ein fahr- Seit dem Regierungswechsel im Jahre 1998 hat es hier radfreundliches Deutschland“, sondern „Fahr Rad – für einen deutlichen Wandel hin zu einer Verkehrspolitik ge- ein fahrradfreundliches Deutschland“. Das hat einen geben, das Potenzial des Fahrrades stärker auszuschöp- Grund. Das soll keine Kritik an Ihnen sein, Herr Präsi- fen. Ein erster Schritt auf diesem Weg war der noch in der (B) dent. Ich wollte nur darauf hinweisen. alten Legislaturperiode beschlossene und dann nach dem (D) Die Entwicklung des Fahrrades von dem hölzernen Amtsantritt der rot-grünen Bundesregierung bereits im Laufrad des Karl Friedrich Drais Freiherr von Sauerbronn März 1999 veröffentlichte 1. Fahrradbericht einer deut- aus dem Jahre 1817 über den normalen Drahtesel hin zu schen Regierung. Im Mai 2000 wurde dieser Bericht im einem Hightechverkehrsmittel ist gerade in den letzten Kabinett verabschiedet und hier im Plenum beraten. Jahren und Jahrzehnten rasant vorangegangen. Wir haben Ebenfalls eine Premiere in diesem Zusammenhang war leider nicht entdecken können, dass dem Fahrrad als Ver- die am 24. Januar dieses Jahres durchgeführte Anhörung kehrsmittel und gerade als Alltagsverkehrsmittel die im Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages. Ge- Anerkennung zuteil wird, die es eigentlich verdient. Seit rade auf dieser Anhörung haben wir von den Fachleuten der Durchsetzung des Autos als Massenverkehrsmittel und von den Verbänden wichtige Informationen erhalten. stand das Fahrrad immer weiter in dessen Schatten. An dieser Stelle möchte ich mich besonders herzlich beim Während der Autoverkehr unsere Städte immer mehr ADFC bedanken, der sich sehr stark daran beteiligt und verstopfte und die Atmosphäre durch die Abgase schä- sehr viele Anregungen gegeben hat, die wir künftig um- digte, hat es die Politik auf allen Ebenen, jedenfalls zum setzen werden. größten Teil, viel zu lange vernachlässigt, das Fahrrad als (Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜND- Alternative zum Auto entsprechend zu fördern. Dabei NISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und stellt das Fahrrad, wie wir alle aus Statistiken und zum der F.D.P.) Teil aus eigener Erfahrung wissen, in vielerlei Hinsicht auf kurzen Strecken ein ideales Verkehrsmittel dar. Es Im Zentrum der Forderungen praktisch aller anwesen- schützt die Umwelt und das Klima, weil es keine Abgase den Expertinnen und Experten stand die Verabschiedung und kein CO2 freisetzt. Außerdem stinkt es nicht, wie dies eines nationalen Radverkehrsplanes. Auch unser Bun- die Autos immer noch tun. desminister hat sich inzwischen sehr stark hinter diese Sa- che gestellt. Ich denke, dass wir zusammen eine ganze (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Menge in diesem Bereich erreichen werden. DIE GRÜNEN) Wir haben das Anliegen der Experten aufgegriffen und Es schützt die Menschen, weil es keinen Lärm macht. Es in unserem Antrag konkretisiert. Er stellt damit einen ers- macht unsere Städte lebenswerter, weil es unnötigen ten – und nicht den letzten – Höhepunkt – das kann ich Ih- Flächenverbrauch durch parkende Autos verhindert. nen versprechen – in den Bemühungen der Koalition zur (Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann Stärkung des Verkehrsmittels Fahrrad dar. Ich will in die- [F.D.P.]) sem Zusammenhang erwähnen, dass auch die CDU/CSU 17670 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Heide Mattischeck (A) einen Antrag vorgelegt hat; allerdings leider schon vor der Es ist auch viel kommunikativer als jede andere Art der (C) Anhörung, Herr Börnsen. Aber nach nochmaligem Fortbewegung. Durchlesen habe ich festgestellt, dass es sehr viele Ge- Aber ich muss das einschränken: Fahrrad fahren macht meinsamkeiten und Berührungspunkte gibt, sodass wir nur dann Spaß, wenn auf allen politischen Ebenen Maß- hier sicherlich gemeinsam weiterarbeiten können. nahmen ergriffen werden, die das Fahrradfahren sicher, Im Fahrradverkehr stecken sehr große Wachstumspo- bequem und unkompliziert machen, was man beispiels- tenziale. Diese sind unübersehbar. Wir müssen gar nicht weise von der Umgebung des Reichstages nun wahrlich weit über unsere Grenzen blicken, um zu sehen, was nicht behaupten kann. Trotzdem sehe ich hier immer wie- schon heute in unseren Nachbarländern möglich ist: Zum der eine ganze Menge Kolleginnen und Kollegen mit dem Beispiel in den Niederlanden deckt das Fahrrad mehr als Fahrrad. Es ist nicht ganz ohne Abenteuer, was sich hier ein Viertel des gesamten Verkehrsaufkommens ab. In manchmal abspielt. Deutschland sind es gerade einmal 12 Prozent. Während Um die Attraktivität des Fahrradfahrens in Deutsch- die Fahrradhochburgen Münster und Borken mit einem land zu steigern, braucht es einen Qualitätssprung – so Fahrradanteil von etwa 40 Prozent mit den fahrradfreund- will ich das nennen – im Hinblick auf die Infrastruktur. lichen niederländischen Städten beinahe mithalten kön- Eine funktionstüchtige Fahrradinfrastruktur muss die nen, liegt der Fahrradanteil in vielen deutschen Großstäd- Sicherheit und die Mobilität der Fahrradfahrerinnen und ten zwischen 5 und 10 Prozent. Ich meine, das ist in einem Fahrradfahrer gewährleisten und unnötige Umwege ver- sehr starken Maße ausbaufähig. meiden. Vor allem im Vergleich mit anderen Verkehrs- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) mitteln erfordert die Infrastruktur für das Fahrrad keine großen Investitionen; auch das sollte man betonen. Man Selbst eine ausgewiesene Fahrradstadt wie die Stadt kann hier mit sehr wenig Geld eine Menge tun. In vielen Erlangen, aus der ich komme, hat mit einem Fahrradanteil Fällen ist es mit einigen Linien auf der Straße und einer von 28 Prozent – für die man allerdings auch etwas tun besseren Ausschilderung getan. Eine generelle Trennung musste – noch deutliche Entwicklungsspielräume, vor al- des Fahrradverkehrs vom motorisierten Verkehr ist häufig lem wenn man bedenkt, dass dort im Berufsverkehr noch nicht notwendig. Das gilt zum Beispiel für Tempo-30-Zo- mehr als die Hälfte aller Fahrten unter vier Kilometern mit nen oder auf wenig befahrenen Straßen. Überhaupt ist ein dem PKW zurückgelegt wird. Mischverkehr sinnvoll. (Jörg van Essen [F.D.P.]: Welche Partei stellt Wer gestern die „Berliner Zeitung“ gelesen hat, konnte denn den Oberbürgermeister?) darin einen Artikel über die Sicherheit des Fahrradver- – Ich kann Ihren Zuruf leider nicht beantworten. Melden kehrs finden. Durch vielerlei Untersuchungen ist statis- (B) Sie sich zu einer Zwischenfrage! Dann antworte ich Ihnen tisch erwiesen, dass gerade Radwege unter Umständen (D) gerne. eine Sicherheit vortäuschen, die nicht besteht. Gerade beim Abbiegen von den Radwegen auf die Straße passie- (Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]: Das haben ren eine Menge Unfälle, die vermeidbar sind, wenn der Sie doch verstanden! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Radfahrer auf der Straße fährt und er dabei mit den Auto- Welcher Partei gehört der Oberbürgermeister fahrern kommunizieren kann. an?) Ein wesentlicher Punkt ist für uns eine Änderung des Wir haben also ein ideales Verkehrsmittel, das nicht Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes. Es geht hier nur emissionsfrei, sondern auf kurzen Strecken im Stadt- nicht um mehr Geld, sondern darum, die vorhandenen verkehr auch noch wesentlich schneller ist als die Kon- Mittel anders zu verteilen. Das Gesetz müsste in Bezug kurrenz, das Auto. Das zeigt die Erfahrung. Es bestehen auf die Bedürfnisse der Fahrradfahrer einfacher handhab- in Bezug auf dieses Verkehrsmittel unübersehbare Poten- bar werden. Heute werden sinnvolle Verkehrsinfrastruk- ziale und auch ein steigendes Gesundheitsbewusstsein der turprojekte häufig durch Bagatellgrenzen und die Ver- Bürgerinnen und Bürger, das wir nutzen und an dem wir knüpfung von Radwegebau und Straßenbau blockiert. ansetzen sollten. Grundlage jeder Förderung durch das Gemeindever- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) kehrsfinanzierungsgesetz müssen nach unseren Vorstel- Jetzt muss die Politik in diesem Bereich einen Durch- lungen künftig aktuelle Radverkehrsbedarfspläne sein. bruch schaffen und alle gesetzlichen, technischen, stadt- Die Förderung darf auch nicht bei den Radwegen Halt planerischen und nicht zuletzt auch psychologischen Hin- machen, denn zur Radinfrastruktur gehören auch Fahr- dernisse aus dem Weg räumen, die uns von einer besseren radstationen, sichere Fahrradabstellplätze und Ähnliches Nutzung dieses Verkehrsmittels trennen. Genau das soll mehr. Diese Aufzählung könnte ich beliebig fortsetzen. unser Antrag und vor allem der darin geforderte „Master- Gemeinsam – der Bund kann und will bei diesem plan Fahr Rad“ erreichen. Thema nicht alleine handeln – mit den Ländern und Kom- Einen Vorzug des Fahrradfahrens habe ich in meiner munen wollen wir darüber hinaus die Möglichkeiten eines Aufzählung vorhin noch nicht erwähnt; denn er ist ei- Sonderprogramms im Rahmen des „Masterplans Fahr gentlich gar kein gesellschaftlicher, sondern ein indivi- Rad“ prüfen. Auch dieses sollte über das Gemeindever- dueller. Wer es noch nicht entdeckt haben sollte: Fahrrad kehrsfinanzierungsgesetz finanziert werden. fahren macht ausgesprochen Spaß. Neben diesen wichtigen Maßnahmen, die im Wesentli- (Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen) chen die Kommunen umsetzen müssen, gibt es auch über- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17671

Heide Mattischeck (A) regionale Aufgaben, die sich dem Bund stellen. Als tou- Eines will ich noch erwähnen: Was ich im Moment be- (C) ristisches Fernverkehrsmittel hat das Fahrrad eine sehr sonders ärgerlich finde, ist das Verhalten der Bahn, was große Bedeutung gewonnen; diese Tatsache bestätigt uns den Transport von Fahrrädern im Fernverkehr angeht. Im immer wieder der Tourismusausschuss. In diesem Punkt Nahverkehr kommt man einigermaßen zurecht, aber was ist der Bund gefragt: Er muss für ein nationales Radrou- die Fernverkehrsstrecken betrifft, ist die Situation ganz tennetz sorgen, das an entsprechende Vorarbeiten des miserabel. ADFC für ein Radfernwegenetz Deutschland anknüpft. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Frau Kolle- PDS) gin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Auch hierzu haben wir uns in unserem Antrag geäußert. Schmidt? Wir wissen, dass wir diesbezüglich auf Gespräche und anderes angewiesen sind. So könnte man beispielsweise Heide Mattischeck (SPD): Ja. über eine Ausdehnung der Beförderungspflicht von Per- sonen und Reisegepäck auf Fahrräder reden. Ich hoffe, Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE dass die Bahn durch diesen Hinweis zu einer vernünftigen GRÜNEN): Frau Kollegin Mattischeck, würden Sie mir Lösung zu bewegen ist; denn auch sie müsste langsam er- darin zustimmen, dass es nicht schaden könnte, wenn vor kennen, dass Personen, die ihr Fahrrad in den Urlaub mit- dem Deutschen Bundestag ein paar Fahrradständer mehr nehmen – auch dies kann man statistisch belegen –, häu- stehen würden? figer Bahn fahren als andere und auch die potenteren Geldausgeber sind. Das haben inzwischen auch Hotels (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Gasthäuser zur Kenntnis genommen, die früher nicht gern Radler aufnahmen, inzwischen jedoch wissen, dass Heide Mattischeck (SPD): Herr Kollege Schmidt, ich diese Menschen auch ganz gern Geld ausgeben. stimme Ihnen voll und ganz zu. Diese Sache ist eines von Wir haben auch etwas zur Imagepflege gesagt und auf- den schlechten Dingen, die ich vorhin nannte. Ich möchte gezeigt, wo wir noch eine ganze Menge tun müssen. In Zu- daran erinnern – ich setze große Hoffnungen auf das, was sammenarbeit von Bund, Land und Kommunen sowie al- jetzt in Berlin passieren soll –: Wir haben uns vor fünf Jah- len beteiligten Verbänden werden wir in den nächsten ren gemeinsam für ein fahrradfreundliches Regierungs- Jahren einen ganz großen Schritt im Sinne der Gesundheit, viertel eingesetzt und sehr viele Vorschläge gemacht, wie der Umwelt und auch des Spaßhabens vorankommen. (B) man den so genannten Binnenverkehr im Regierungsvier- (D) tel fahrradfreundlicher gestalten kann. Leider sind wir da- Herzlichen Dank. mals weder beim Bund noch bei der Landesregierung auf (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ offene Ohren gestoßen. DIE GRÜNEN) (Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich dachte, die SPD sei überall dabei gewesen!) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Nun kommt ein Radfahrer von der Küste. Ich gebe dem Kollegen Ich gehe davon aus, dass wir die Situation in den nächs- Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. ten Monaten – ich habe vorhin schon entsprechende Ge- spräche geführt – stark verbessern können. Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) (von der (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie beim CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsident! Meine BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe etwas Aribert Wolf [CDU/CSU]) mitgebracht, was der jetzige Verkehrsminister, Kurt Es geht bei dem Radfernwegenetz Deutschland um Bodewig, und der frühere Verkehrsminister, Matthias die Verknüpfung bestehender regionaler und touristischer Wissmann, in der Öffentlichkeit zu tragen propagiert ha- Radrouten. Wenn man im Urlaub mit dem Fahrrad unter- ben, was ich anerkennenswert finde, nämlich einen Fahr- wegs ist, erlebt man es oft, dass es in einem Landkreis radhelm. wunderbare Fahrradwege gibt, aber keine entsprechenden (Albert Schmidt [Hitzhofen] [BÜNDNIS 90/ Verbindungen mit dem Netz anderer Landkreise vorhan- DIE GRÜNEN]: Aufsetzen!) den sind. Oft fehlen auch nur entsprechende Hinweise. Hier ist großer Handlungsbedarf vorhanden. Unser Ziel Dies sollte vor allen Dingen den Radrennfahrern einmal ist der Ausbau von mindestens zwölf nationalen Fahr- unter die Haut gehen – sie sind für die Kids oft Vorbil- radrouten mit etwa 8 000 Kilometern Streckenlänge bis der –, die bei den Rennen nicht den Helm benutzen. Wir zum Jahre 2010. alle sollten dazu beitragen, bei allen Radfahrern stärker für die Helmpflicht zu werben. Weitere Schritte sind bei der Erhöhung der Sicherheit des Radverkehrs zu gehen. Hier gibt es noch eine ganze (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Menge zu tun wie zum Beispiel die bestehende Straßen- verkehrsordnung anzupassen. Auch das ist Bestandteil Meine charmante Kollegin Heide Mattischeck hat auf- unseres Antrags. gezeigt, wie viele Gemeinsamkeiten es im Radverkehr 17672 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) gibt. Das ist richtig; nur, diese Politik, auf die sie mit der lastet werden. Aber mit der Mehrheit von Sozialdemokra- (C) Frage des Radverkehrs abgestellt hat, ist nicht 1998 er- ten und Grünen ist dieser wirklich fundierte Antrag vor funden worden. Den Drahtesel gab es vorher schon. zwölf Monaten abgelehnt worden. (Beifall des Abg. Klaus Brähmig [CDU/CSU]) (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ja, sehr schade!) Heute geht es ums Rad, aber auch – nun wird es erns- Man hat die Diskussion einer Thematik verhindert, die zu ter – um die Produktpiraterie. Vor genau zwölf Monaten forcieren wichtig ist. Die Mehrheit beider Fraktionen hat haben wir von der Union einen Antrag mit dem Titel „Für dazu beigetragen, dass ein Jahr für die Arbeit, zu mehr ein fahrradfreundliches Deutschland“ gestellt. Dessen Fahrradförderung zu kommen, verstrichen ist. Eckpunkte waren: Realisierung eines nationalen Radver- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kehrswegeplanes, Schaffung eines Fahrradforums in NEN]: Und das nach 16 Jahren CDU/CSU-Re- Deutschland, Verbesserung der Steuergesetzgebung zur gierung!) Beförderung des Umsteigens auf das Fahrrad, Anhebung der Mittel nach dem Bundesfernstraßengesetz auf den Man war Bremser, aber nicht Forcierer. Stand von 1999, um mehr Radwege bauen zu können, An- Zwölf Monate später legen beide Fraktionen selbst ei- hebung der GVFG-Mittel auf die Höhe der 90er-Jahre, um nen Antrag vor; er war zwar noch nicht in einem Aus- mehr Ländern und Gemeinden zu mehr Radwegen zu ver- schuss, aber dafür in der Presse. Die Parlamentsprozedur helfen, Verdoppelung der Bundesradtouren, Erweiterung interessiert wenig, allein die öffentliche Wirkung. Der der Fahrradmitnahme bei der Bahn auch bei Schnellzü- Titel des Antrages ist besonders bemerkenswert: „Fahr gen, Optimierung der Verkehrssicherheitsmaßnahmen für Rad – für ein fahrradfreundliches Deutschland“. Die Radfahrer, Vernetzung von Radwegen und ein besseres Überschrift unseres Antrages vor zwölf Monaten lautete: Dienstleistungsangebot der DB auf den Bahnhöfen mit ei- „Für ein fahrradfreundliches Deutschland“. nem gesonderten Service fürs Rad. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das ist Produkt- (Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- piraterie!) NEN]: Gar nicht so schlecht für die CDU/ CSU!) Aber nicht nur die Schlagzeile wurde kopiert, auch die In- halte sind fast wortwörtlich übernommen. Das nennt man Produktpiraterie. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- lege Börnsen, geben Sie Ihrer niedersächsischen Kollegin (Beifall bei der CDU/CSU) die Chance zu einer Zwischenfrage? Doch es ist hier wie in der Schule: Abgeschrieben wird (B) stets bei Besseren. Wenn es der Sache dient, okay. Wir las- (D) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Gerne. sen mit uns reden. Aber ich muss mich korrigieren: Nicht alles ist abge- Annette Faße (SPD): Herr Kollege Börnsen, wäre es schrieben. Von unseren zehn Punkten fehlen die, bei de- nicht möglich, da auch Abgeordnete leicht stürzen kön- nen es konkret wird, die Geld kosten. Da beugt man sich nen, dass Sie Ihre Rede heute mit dem Helm auf dem Kopf dem Diktat des Finanzministers. halten? (Beifall bei der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem Für Radfahrer wird seit der Regierungsübernahme durch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) SPD und Grüne weniger Geld ausgegeben als in den 90er- Jahren. Es werden auch weniger Radwege gebaut. Da- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ver- mals wurden 350 Kilometer Fahrradwege an Bundes- ehrte Kollegin, ich bedanke mich für die Frage. Aber wir straßen gebaut, heute nur noch 300 Kilometer. Damals haben hier kein Kabarett. Bei Kopfverletzungen hört der wurden die GVFG-Mittel für den Radverkehr in Gemein- Spaß auf. Der Helm ist nicht dazu da, etwas zu karikieren. den und Ländern konstant bei 3,28 Milliarden DM stabi- Mir wäre lieber, wenn Sie als Vertreterin der früheren Op- lisiert. Dieses Niveau ist seit dem Regierungswechsel position, die die Helmpflicht gefordert hat, jetzt auch dazu nicht mehr erreicht worden. stehen würden. Von der Helmpflicht findet sich in Ihrem (Beifall bei der CDU/CSU) Konzept überhaupt nichts mehr. Man fordert Vernetzung, aber kürzt die Mittel. Das nenne (Beifall bei der CDU/CSU) ich Bürgertäuschung. Ich habe Ihnen eben das Zehn-Punkte-Konzept der Auch aus den UMTS-Milliarden ist kein Sonderfonds Union vorgetragen. für den Radwegebau geschaffen worden, obwohl die Rad- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Ein sehr gutes fahrverbände dafür plädierten. Auch hier Fehlanzeige bei Programm!) mehr Radförderung. Dadurch sollte die Attraktivität des Fahrradverkehrs ge- Das gilt auch für die Entfernungspauschale. Auf un- fördert, die Renaissance des Rades verstärkt, zu einem serer von Heide Mattischeck vorgestellten öffentlichen Umstieg auf das Fahrrad beigetragen, die Umwelt ge- Anhörung zum Fahrradverkehr rechnete ein Repräsentant schont, die Gesundheit gefördert und der Nahverkehr ent- der Fahrradklubs unwidersprochen vor, dass man täglich Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17673

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) 43 Kilometer Rad fahren muss, um in den Genuss der fürchteten „Kuhfänger“. Doch die Bundesregierung lehnt (C) Segnungen der Entfernungspauschale zu kommen. es derzeit ab zu handeln: National soll nichts getan wer- den; man will auf die EU warten. Das nenne ich unver- (Beifall bei der CDU/CSU) antwortlich. 12 Prozent beträgt der Anteil des Radverkehrs am Ver- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- lege Börnsen, die Kollegin Iwersen möchte eine Frage kehrsaufkommen bei uns in Deutschland. Das ist eine stellen. gute Zahl; gemessen aber an den Niederlanden, wo der Anteil bei 27 Prozent liegt, ist es immer noch zu wenig.

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Ich Seit der Zeit der unionsgeführten Bundesregierung gilt möchte jetzt erst einmal im Zusammenhang vortragen. für die DB AG die Regelmitnahme für Fahrräder. Das ha- ben wir erreicht. Auch die Forderung des ADFC, statt 300 Kilometer jährlich 600 Kilometer Radwege zu bauen und 3 Prozent (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der Mittel des Verkehrshaushalts für den Radverkehr vor- Gut 2,5 Millionen Fahrgäste haben im vergangenen Jahr zusehen, findet im Haushalt keinen Niederschlag. Nicht das Angebot angenommen. Es sollte aber auch auf ein Boom für mehr Fahrrad wird angestoßen, sondern es Schnellzüge ausgedehnt werden. wird ein Bluff produziert. Völlig unberücksichtigt bleibt bei der Regierung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Sachverhalt, dass es circa 420 000 Fahrraddiebstähle Hans-Michael Goldmann [F.D.P.]) pro Jahr in unserem Land gibt. Als Radfahrer würde ich anmerken: Plattfuß prägt derzeit (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Das sind zu die Fahrradpolitik der Bundesregierung. Wir erwarten, viele!) dass man mit den Bürgern ehrlich umgeht. Die Aufklärungsquote beträgt 9 Prozent, der Versiche- Neue Radstreifen obligatorisch auf den Fahrbahnen zu rungsschaden, den wir alle zu tragen haben, etwa 130 Mil- schaffen stellt sich wie eine Strafaktion gegen Autofahrer lionen DM, legt man einen Wert von nur 300 DM pro dar. Eine Fahrbahnverengung presst den Verkehr durch Fahrrad zugrunde. ein Nadelöhr und dient weder der Sicherheit der Rad- fahrer noch dem Verkehrsfluss. Mehr Stress für alle ent- (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Wahnsinn!) steht. Wenn Jahr für Jahr fast eine halbe Million Menschen bit- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tere Erfahrungen mit dem Fahrradklau macht, fördert das (B) nicht die Attraktivität dieses Verkehrsmittels. Wir brau- (D) Wir müssen das Verkehrsrisiko für Radfahrer weiter sen- chen eine verbesserte Diebstahlsicherheit fürs Fahrrad. ken, so wie es in den 90er-Jahren praktiziert wurde. Die Zahl der Unfälle ist von 74 000 am Anfang des Jahrzehnts (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auf 68 000 gesunken – trotz einer Zunahme des Radver- neten der F.D.P.) kehrs. Das war eine richtige und vernünftige Radver- Aufwärts geht es nicht nur mit den Fahrraddiebstählen, kehrspolitik. sondern auch, was erfreulicher ist, mit dem Fahrradtou- Radfahrer haben keine Knautschzone. Ihre Sicherheit rismus. Ernst Hinsken und andere engagieren sich stark muss unser oberstes Gebot sein. Dennoch haben Sozial- auf diesem Gebiet. Schleswig-Holstein, mein Heimat- demokraten und Grüne die Mittel für die Verkehrssicher- land, hat beim Fahrradtourismus einen Marktanteil von heit gegenüber 1999 um 4 Millionen DM gekürzt. Das 11 Prozent. Es führt damit in Europa noch vor den Nie- nenne ich unverantwortlich. derlanden mit 10 Prozent und Spanien mit 7,5 Prozent. Es tut uns allen gut und es ist prima, dass so etwas passiert. (Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Eine große Saue- Wenn mehr als 2 Millionen Deutsche im vergangenen rei ist das! – Jörg van Essen [F.D.P.]: Unglaub- Jahr Radurlaub gemacht haben, ist das unterstützenswert lich!) und förderungswürdig; denn das hat zu einem Umsatz von Zu wenig berücksichtigt bleibt auch der Tatbestand, 8 Milliarden DM und zur Schaffung vieler neuer Arbeits- dass das Unfallrisiko von Radfahrern mehr als doppelt so plätze geführt. hoch ist wie das von PKW-Fahrern und Fußgängern. Je Arbeitsplätze werden auch in der Industrie geschaf- mehr wir die Sicherheit verbessern, umso größer ist die fen; das wird immer wieder ignoriert. Die Radproduktion Bereitschaft, auf das Rad umzusteigen. Deshalb benöti- in Deutschland stieg von 2,82 Millionen im Jahr 1997 auf gen wir nicht weniger, sondern mehr Mittel für die Ver- 3,4 Millionen im Jahr 2000 an. 30 000 Arbeitsplätze gibt kehrssicherheit. es allein in der Fahrradindustrie. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Die Bundesregierung trägt dieser Entwicklung noch zu Doch auch die passive Sicherheit von Radfahrern wenig Rechnung. Selbst nach der jüngsten Steuerreform muss gewährleistet sein. Bei der Konstruktion von PKW- lohnt sich das Umsteigen auf das Rad nicht. Trotz und LKW-Karosserien ist dem Schutz der schwächeren Angleichung des Freibetrages muss ein Radfahrer Verkehrsteilnehmer, insbesondere dem von Kindern, nach Berechnungen von Steuerexperten täglich mindes- mehr Gewicht zu geben. Das gilt vor allem für die ge- tens 15,65 Kilometer zur Arbeit zurücklegen, um den 17674 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (A) Freibetrag überhaupt geltend machen zu können – eine schauen, dann werden Sie feststellen, dass diese schon (C) Entfernung, die die Ausnahme, aber nicht die Regel ist. viele Ihrer Ideen, die angeblich so originell sind, enthal- Das ist kein Anstoß zum Umstieg aufs Rad. ten haben. Doch gerade mehr Radnutzung sollte unser gemeinsa- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mes Ziel sein; da stimme ich meiner Vorrednerin zu. In der sowie bei Abgeordneten der SPD) Praxis haben wir, die Union, eine Pro-Fahrrad-Politik an Das wird uns nicht weiter führen. den Tag gelegt. Sie fing nicht erst 1998 an, sondern sie konnte sich schon die ganzen 90er-Jahre über sehen las- Ich bin froh, dass heute alle Fraktionen sagen: Das sen. Der erste – viel gelobte – Fahrradbericht der Bun- Fördern des Radfahrens ist wichtig. Es muss mehr getan desregierung war kein sozialdemokratischer und kein werden; bisher war es zu wenig. – Keine Frage, das ist gut grüner Bericht, sondern ist in der Zeit der Union und der so. Alle Fraktionen fordern ein ambitioniertes politisches F.D.P. entstanden. Dieses Erstgeburtsrecht werden wir Programm für das Fahrrad, einen Masterplan „Fahr Rad“. uns auch nicht wegnehmen lassen. Aus meiner Sicht sind bei einem solchen Masterplan fol- gende Eckpunkte von absoluter Bedeutung: Wenn wir das (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Radfahren nach vorne bringen wollen, dann dürfen wir Das gilt auch für den Ausbau von 15 000 Kilometern Rad- nicht nur vom Radfahren reden, sondern müssen die In- wegen an Bundesstraßen. Diese Leistung der früheren frastruktur entsprechend verbessern. Keine Frage, wir Koalition kann sich wirklich sehen lassen. Das gilt ferner brauchen mehr, bessere und vor allen Dingen breitere für eine fahrradfreundliche Straßenverkehrsordnung und Radwege. Das ist wichtig, damit mehr Menschen Rad fah- auch für die Vernetzung von Schiene und Rad. ren können. Alle Fraktionen haben in den 90er-Jahren mächtig (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Druck für mehr Radpolitik gemacht. Wir, die Union, blei- SES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU – ben dieser Ausrichtung treu. Wir erwarten, dass die Bun- Klaus Brähmig [CDU/CSU]: Dann müssen Sie desregierung das weiterführt, was in den 90er-Jahren ver- auch Geld zur Verfügung stellen! Nicht nur nünftig, reell und seriös begonnen wurde. Doch dazu sind reden, sondern auch handeln!) mehr Mittel notwendig. Deshalb appellieren wir von die- Die Kommunen, die Länder und auch der Bund müssen ser Stelle aus noch einmal an die Bundesregierung, die Radwege bauen. Alle müssen mehr tun. UMTS-Milliarden auch für einen Sonderfonds für die Förderung des Radverkehrs zu verwenden. 60 Millionen (Beifall bei Abgeordneten des BÜND- Radfahrer in Deutschland wollen Taten und keine Trug- NISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/ (B) bilder. CSU) (D) Danke schön. Wir brauchen keine teuren Radwege auf schmalen Gehwegen, wodurch womöglich Konflikte mit den (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fußgängern geschaffen werden. An den Stellen, wo es auf dem Gehweg zu eng ist, um einen Radweg einzurichten, Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Jetzt spricht muss auf die Straße ausgewichen werden. Ich bin der der Kollege Winfried Hermann für die Fraktion des Meinung, dass am einfachsten durch einen Pinselstrich Bündnisses 90/Die Grünen. auf der Straße eine Spur für die Radfahrer geschaffen wer- den kann, wie man es aus der Schweiz und anderen Län- dern kennt. Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Börnsen, herzlichen Dank für Ihre Rede. Sie werden Essen [F.D.P.]: Nein, das ist zu gefährlich!) jetzt von mir sicherlich keinen Schlagabtausch erwarten. Das sind preiswerte und schnelle Lösungen, die dem Rad- Ich finde, Sie haben mit Ihrer Rede deutlich gemacht, fahren dienen. dass es in diesem Hause eigentlich keine Parteien gibt, sondern nur noch Radfahrer und Nichtradfahrer. Wir In Tempo-30-Zonen, in denen der Verkehr langsam ist, sind uns einig, dass Radfahren lange Zeit politisch, und ist ein Mischverkehr ohne weiteres möglich. Dort müssen zwar von allen Parteien, in seinen Möglichkeiten unter- gar keine Radwege eingerichtet werden. Aber das gilt nur schätzt wurde. – das sage ich ganz klar – für den langsamen Verkehr. Überall dort, wo der Verkehr schnell ist, sind Radwege (Jörg van Essen [F.D.P.]: Ich bin ein Radfahrer notwendig. und das ist gut so! – Ernst Hinsken [CDU/ Wir müssen natürlich auch durch geeignete Maßnah- CSU]: Wir nicht!) men die Infrastruktur für das Fahrrad verbessern. Mein – Auch Sie haben das Radfahren unterschätzt. Sie haben Kollege aus Münster sagt mir immer: Schau dir unsere Ihren ambitionierten Antrag in der Opposition gestellt Radstationen am Bahnhof an, dann weißt du, warum bei und ihn jetzt wieder hervorgeholt, weil Sie stolz darauf uns so viele Menschen Rad fahren. Das ist wahr: Je bes- sind, die Ersten zu sein, die einen solchen Antrag einge- ser die Infrastruktur ist und je besser zum Beispiel die bracht haben. Aber wenn Sie sich die Anträge der Oppo- Möglichkeiten sind, Fahrräder sicher abzustellen, umso sitionsfraktionen aus der letzten Legislaturperiode an- mehr Menschen fahren Rad, weil sie keine Angst mehr Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17675

Winfried Hermann (A) haben müssen, dass ihr Fahrrad gestohlen wird. Das soll- Unser Antrag heißt: „Fahr Rad – für ein fahrradfreund- (C) ten wir politisch unterstützen. liches Deutschland“. An alle Politiker ist die Auffor- derung gerichtet, regelmäßig Rad zu fahren. Das haben (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- heute circa 50 Abgeordnete getan, um damit deutlich zu SES 90/DIE GRÜNEN) machen: Wir fahren Rad, auch hierhin, durch das Regie- Wenn wir fordern, dass der Bund eine Initiative für rungsviertel auf dem Weg zum Bundestag. Ich hoffe, Sie das Fahrrad starten soll, dann ist uns völlig klar, dass der tun das Gleiche und fahren in Ihrem Wahlkreis bzw. an- Bund keine zentrale Radfahrpolitik machen kann. Aber derswo mit dem Rad. In diesem Punkt sind wir auch als der Bund soll initiieren, koordinieren und moderieren, da- Vorbilder gefragt. Es ist wichtig, dass Menschen, die An- mit die verschiedenen Ebenen zusammenarbeiten, sodass zug und Krawatte tragen und von denen man daher nicht zum Beispiel Lücken im Fahrradwegenetz geschlossen glaubt, dass sie Rad fahren, im Alltag das Fahrrad benut- werden können. Oft werden die schönsten Fahrradwege zen, damit auf diese Art und Weise deutlich gemacht wird: auf einer Strecke von zehn Kilometern unterbrochen. Das Das Rad ist nicht nur ein Freizeit-, sondern auch ein All- verhindert, dass mehr Menschen Fahrrad fahren. Es wäre tagstransportmittel. wichtig, die bestehenden Lücken im Fahrradwegenetz zu schließen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD – Jörg van Essen Außerdem müssen Verbindungen zu anderen Ver- [F.D.P.]: Herr Kollege, fangen Sie doch einfach kehrsmitteln hergestellt werden. Es ist einfach ärgerlich mal mit der Krawatte an!) – meine Kollegin hat es schon angesprochen –, wenn die Bahn das Fahrrad im Fernverkehr im Prinzip „hinaus- schmeißt“. Das ist nicht akzeptabel. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die F.D.P.-Fraktion spricht der Kollege Hans-Michael (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Goldmann, Emsland. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Heiterkeit) Die Bahn und alle anderen Träger der öffentlichen Ver- kehrsmittel müssen dafür sorgen, dass Räder genauso wie Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Herr Präsident! Kinderwagen problemlos mitgenommen werden können Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit das klar ist: Ich und dass man ungehindert einsteigen kann. Alle Fahrrad- rede von etwas, wovon ich richtig Ahnung habe. Ich bin zuwege der Bahn, die ich kenne, sind so, dass man nur eigentlich an jedem Wochenende mit dem Fahrrad unter- schlecht mit dem Fahrrad einsteigen kann. wegs. Spätestens sonnabends zeige ich mich damit dem Volk. (B) Wir brauchen auch solche Einrichtungen wie „Call a (D) bike“ an den Bahnhöfen, damit man Bahn- und Radfahren (Heiterkeit) miteinander kombinieren kann. Es gibt also schon gute – Jawohl. – Es geht mir zwar nicht ganz so wie dem Kol- Ideen und Konzepte. legen von der PDS; aber auch ich bin mit der Resonanz Sie haben zu Recht gesagt: Ohne Moos nix los; man durchaus zufrieden. muss mehr tun! Wir sagen klipp und klar: Wir wollen in (Susanne Kastner [SPD]: Jetzt hofft die F.D.P. den nächsten Jahren den Radwegeausbau nicht nur for- auf grandiose Wahlergebnisse!) dern, sondern auch fördern. Die Mittel dafür sollen in re- lativ kurzer Zeit prozentual verdoppelt werden, nämlich – Sie haben Recht: Die haben wir. Wenn Sie wüssten, wel- von 1,2 auf 2,4 Prozent. Wir wollen, dass der Bau von che Wahlergebnisse ich vor Ort erzielt habe, dann würden Radwegen zukünftig unabhängig vom Vorhandensein ei- Sie blass werden. ner Bundesstraße möglich ist. Endlose Diskussionen über den – am Ende oft nicht stattfindenden – Bau von Straßen Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Herr Kol- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Meistens der lege Goldmann, Sie haben etwas mehr Redezeit als Pro- Grünen!) zente. sind für die Schaffung von Radwegen häufig eine (Heiterkeit) Blockade. (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) Hans-Michael Goldmann (F.D.P.): Nein, das stimmt nicht, Herr Präsident; da sind Sie im Irrtum. Im Übrigen Auch wenn Sie immer dazwischenreden: Ich erkenne, finde ich das nicht besonders witzig; aber jeder kann hier dass Sie zumindest eine gewisse Sympathie für eine rad- seinen eigenen Beitrag leisten. freundliche Politik haben. Rot-Grün nimmt das Rad- fahren ernst. Ich hoffe auch, dass die rot-grüne Regierung Keine Frage: Fahrradfahren ist eine sehr intelligente in Berlin die Defizite im Regierungsviertel der letzten und gesunde Art des Sichfortbewegens. Hier ist auch Jahre endlich beseitigt. schon davon gesprochen worden, dass Fahrradfahren richtig Spaß macht. Ich hatte schon deutlich gemacht, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dass ich mir diesen Spaß am Wochenende gönne. Ich halte Mit dem Rad in Berlin-Mitte unterwegs zu sein ist näm- es für besonders bemerkenswert, dass sich unheimlich lich wirklich grauenhaft. viele Menschen in unserer Region diesen Spaß aus touris- 17676 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Hans-Michael Goldmann (A) tischen Gründen verschaffen und dass wir damit einen ter diesem Gesichtspunkt die damals führenden Persön- (C) enormen wirtschaftlichen Erfolg erzielen. lichkeiten und Parteien abgewählt worden. Auf einer ernst zu nehmenden Fahrradkarte von (Zuruf von der F.D.P.: Sehr richtig!) Deutschland kann man feststellen, dass unsere Region da- Das Modell, das Sie vorschlagen, taugt nicht; das wis- rauf mit vier Fernradwegen vertreten ist. Liebe Kollegen, sen Sie ganz genau. Deswegen sind die Forderungen, die diese Wege sind nicht von Ihnen gebaut worden; sie sind Sie in Ihrem Antrag stellen, für mich – das habe ich schon vielmehr den Anstrengungen der Kommunen vor Ort zu gesagt – ein geistiger bzw. ein fahrradpolitischer Plattfuß. verdanken. Die alte Bundesregierung hat die Bereitstel- Es steht nichts Inhaltliches drin. Die Hinweise auf die Fi- lung der Mittel auf den Weg gebracht. nanzausstattung sind mit heißer Nadel gestrickt. Das ist (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten klar; denn in Hamburg und Berlin stehen Wahlen an. Sie der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Gabriele fahren – es waren weniger als 50Abgeordnete; ich war da- Iwersen [SPD]) bei – klingelnd durch die Gegend und erklären: Hurra, endlich haben wir eine fahrradpolitische Botschaft. Das – Frau Iwersen, Sie wissen es besser; deswegen gehe ich ist nicht der Fall. auf Ihre Zwischenbemerkung nicht ein. Bei der Anhörung – das war eine gute Anhörung – ha- Sie wissen ganz genau, dass die alte Bundesregierung ben Sie von allen Beteiligten gehört, dass wir uns auf den in diesem Bereich hervorragende Weichenstellungen vor- Weg zum Masterplan „Fahr Rad“ machen müssen. Das ist genommen hat. überhaupt keine Frage; ich kenne diese Idee. Sie ist abge- (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) leitet von dem Masterplan „Fiets“ aus den Niederlanden. Ich bin dafür. Aber dafür braucht man ein ganzheitliches Die Straßenverkehrsordnung ist 1997 novelliert worden. Konzept. Es reicht nicht aus, ein bisschen in der Gegend Die Radfahrstraßen sind geschaffen worden. Außerdem herumzupinseln. Dafür muss man Geld bereitstellen und sind die Einbahnstraßenregelung und die Radwegebenut- man sollte nicht den Kommunen vor das Schienbein tre- zungspflicht eingeführt worden. Wir haben für den Rad- ten; denn sie sind die entscheidenden Weichensteller für wegebau wirklich etwas getan, was man von Ihnen die besseren Verkehre, nämlich für Radfahrer in den In- schlicht und ergreifend nicht sagen kann. nenstädten. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten Ich finde, wir sollten über diesen Antrag ausführlich der CDU/CSU) reden und ihn in den Fachberatungen gründlich über- Herr Hermann, es stimmt nicht, dass der Allgemeine arbeiten. Dazu sind wir bereit. In der jetzigen Form leh- Deutsche Fahrrad-Club – auch ich schätze diesen Verband nen wir ihn entschieden ab. (B) sehr – Sie lobt. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (D) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) hat in einer Presseerklärung, die sicherlich auch Ihnen vorliegt, erklärt, dass Sie 1,5 Milliarden DM fordern. Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Der nächste (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kollege ist besonders dafür prädestiniert, zu diesem NEN]: Das gilt für alle politischen Ebenen Thema zu sprechen. Ich gebe das Wort dem Kollegen zusammen!) Gustav-Adolf Schur von der PDS-Fraktion. – Herr Hermann, es ist eher witzig, wenn Sie erst im Deut- schen Bundestag einen entsprechenden Antrag stellen und Gustav-Adolf Schur (PDS): Herr Präsident! Liebe dann im Hinblick auf alle politischen Ebenen 1,5 Milli- Kolleginnen und Kollegen! Bei mir kommt auch ein freu- arden DM fordern, wobei Sie mit 50 Millionen DM oder diges Gefühl auf, insbesondere in diesem Hause, wenn ich mit 20 Millionen DM – wie viel wollen Sie zur Verfügung ans Radfahren denke. Ich muss Ihnen sagen: Bei diesem stellen? – dabei sind. Diese Bemerkung kann doch nicht Thema ist Ernst wirklich angesagt. Stellen wir uns einmal Ihr Ernst sein. vor, wir fahren wie Hunderttausende unserer Bürger tag- Außerdem fordern Sie, nehme ich an, zusätzlich die täglich bei jedem Wetter herum, rumpeln über Uneben- Unterstützung der Kommunen. Sie versuchen, in die heiten, uns stehen Abfalltonnen im Weg und uns laufen Kommunen hineinzuregieren, indem Sie den Kommunen Leute über den Weg. Beim Fahrradfahren werden Leis- vorschreiben, auf der Straße einen Strich zu ziehen, tungen vollbracht, die gleichzeitig der Gesundheit unse- res Volkes zugute kommen. Wenn hier über Autos disku- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tiert würde, wären alle mucksmäuschenstill. Es ist ein NEN]: Können!) Unterschied, in einem Auto zu sitzen und in Sicherheit zu um den Autoverkehr vom Fahrradverkehr zu trennen. sein oder auf einem Fahrrad zu sitzen und aufgrund der Herr Hermann, ich als Verkehrsteilnehmer halte das, was Autos mit breiten Reifen Angst um sein Leben zu haben. Sie hier fordern, für aberwitzig, für brandgefährlich und Aus diesem Grunde sage ich: Wir müssen uns wirklich für überhaupt nicht erfolgreich. ernste Sorgen machen und uns ernsthaft für den Fahrrad- sport einsetzen, (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS) Sie kennen doch die Ergebnisse: In Bonn sind diese Dinge aber nicht im Sinne von „nach oben buckeln und nach un- auf den Weg gebracht worden und in Bonn sind auch un- ten treten“, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17677

Gustav-Adolf Schur (A) Vor acht Monaten habe ich hier schon einmal für ein Vorlage auf Drucksache 14/6441 an die in der Tagesord- (C) fahrradfreundliches Deutschland plädiert. Ich bekräftige nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Das heute, was ich das letzte Mal gesagt habe. Wir sind selbst- Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlossen. verständlich für alle Anträge, die den Benutzern von Fahrrädern Vorteile sichern. Ich konnte sogar schon in ei- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf: nigen ICEs erleben, dass Fahrräder mitgeführt werden dürfen, aber – wie gesagt – nur in einigen. Viel Neues hat a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- sich also nicht getan, abgesehen von zwei Fakten. richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie (9. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch Den ersten Fakt lieferte der Kölner Mediziner die Bundesregierung Professor Uhlenbruck, der nachwies, dass Fahrradfahren – wie alle Langzeitausdauersportarten – das Risiko von Bericht der Bundesregierung über ihre Export- Herzinfarkten, Schlaganfällen, Diabetes und – so die politik für konventionelle Rüstungsgüter im neuesten Erkenntnisse – sogar Krebs reduziert. Ich habe Jahr 1999 (Rüstungsexportbericht 1999) schon als Student an der legendären, aber leider abge- – Drucksachen 14/4179, 14/5671 – wickelten Deutschen Hochschule für Körperkultur in Berichterstattung: Leipzig vor Jahrzehnten von den Sportmedizinern in Vor- Abgeordneter Erich G. Fritz lesungen und Seminaren erfahren, wie wertvoll es für die allgemeine Volksgesundheit ist, möglichst viele Men- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schen für das Fahrradfahren zu begeistern, bei dem be- richts des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- kanntlich auch die Überlastung des Stützapparates ver- logie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord- mieden wird. neten Heidi Lippmann, Wolfgang Gehrcke, (Zuruf von der CDU/CSU: Da hat er Recht!) Dr. Gregor Gysi, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS Der zweite Fakt, der mir diskutabel erscheint, sind die Finanzierungsvorschläge der Antragsteller, deren Um- Transparenz und parlamentarische Kontrolle setzung zu wünschen ist. Ich befürchte aber, der Finanz- bei Rüstungsexporten minister wird die 100 Millionen DM für den Radwegebau – Drucksachen 14/4349, 14/5810 – wohl nicht mehr erhöhen, höchstens reduzieren können. Berichterstattung: Ich bitte um Nachsicht, wenn ich hier auf persönliche Abgeordneter Dr. Ditmar Staffelt Erfahrungen verweise, die man prinzipiell ablehnen kann, Ursprünglich war eine halbe Stunde für die Aussprache (B) die aber unglaublicherweise hin und wieder sehr nützlich vorgesehen. Die Kolleginnen und Kollegen Dr. Ditmar (D) sind. Damals hat man die Kommunen mobilisiert und Staffelt, SPD, Erich G. Fritz, CDU/CSU, Angelika Beer, nicht unbedingt darauf bestanden, dass die Fahrradwege Bündnis 90/Die Grünen, Hildebrecht Braun, F.D.P. und nach der jetzt gültigen Norm installiert werden. der Parlamentarische Staatssekretär Siegmar Mosdorf aus (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) dem Ministerium für Wirtschaft und Technologie geben ihre Reden zu Protokoll.1) Ein Fahrrad ist robust und auf Sandwegen wird der Kreis- lauf noch intensiver belastet als auf Asphalt- oder Pflas- Ich gebe das Wort der Kollegin Heidi Lippmann für die terwegen. Fraktion der PDS. Mein Vorschlag: Nicht unbedingt eine Norm, das eine tun und das andere nicht lassen. Die berühmtesten Profi- Heidi Lippmann (PDS): Herr Präsident! Kollegen rennfahrer der Welt stampfen jedes Jahr in Frankreich und Kolleginnen! Dass Sie in einer so wichtigen Debatte durch die „Hölle des Nordens“ über hartes Kopfstein- über Rüstungsexporte jetzt alle Ihre Reden zu Protokoll pflaster. Das ist für sie eine Herausforderung. Ich plädiere geben, spricht für sich. nicht für Kopfsteinpflasterstraßen für die Rad- und Renn- (Susanne Kastner [SPD]: 1999, Frau fahrer, aber für Einfallsreichtum. Lieber einmal ein kur- Lippmann!) zes Stück Knüppelweg fahren, wo notwendig und Natur und Umwelt zuliebe, als absteigen und schieben müssen. Der letzte Rüstungsexportbericht wurde für das Jahr 1999 herausgegeben. Der Bericht für das Jahr 2000 liegt (Beifall bei der PDS) noch nicht vor. Von daher können wir nicht darüber Übrigens: Als fahrradfreundliche Städte mit hohem verhandeln. Der letzte Bericht wurde im September des Radverkehrsanteil werden im Antrag die Städte Münster, vergangenen Jahres vorgelegt, ist also noch gar nicht so Borken, Erlangen, Freiburg und Troisdorf genannt. alt. Unser Antrag zur Transparenz und für eine demokra- Dessau im Land Sachsen-Anhalt ist auch eine. tische Beteiligung bei Rüstungsexportentscheidungen stammt aus dem Herbst vergangenen Jahres, liebe Frau Ich bedanke mich. Kollegin. (Beifall bei der PDS) Wenn Sie aber überfordert sind, zum Thema Rüstungsex- porte überhaupt etwas zu sagen, ist das ein Armutszeugnis Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der 1) Anlage 3 17678 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Heidi Lippmann (A) und ein Beweis dafür, wie unwichtig der rot-grünen Bun- Kollegen und Kolleginnen, Rüstungsexporte finden (C) desregierung der Bereich der Rüstungsexporte ist. nach wie vor statt, (Zuruf von der SPD: Hören Sie mal! Wir reden (Zuruf von der CDU/CSU: Ihre Zeit ist aber über den 99er-Bericht!) um!) In Karlsruhe hat der Bundesaußenminister in der ver- zum Beispiel in die Vereinigten Arabischen Emirate. Ato- gangenen Woche das Bundesverfassungsgericht ganz mar bestückbare Boote werden nach Israel geliefert, nachdrücklich gewarnt, der PDS-Klage wegen der fehlen- Kleinwaffen in nahezu alle Länder und bürgerkriegs- den parlamentarischen Mitbestimmung bei der neu- gefährdeten Regionen dieser Welt, Munitionsfabriken in en NATO-Strategie stattzugeben. Die Begründung des die Türkei und vieles mehr. Wenn Sie weiterhin daran Außenministers lautete, ein zu großes Mitspracherecht des festhalten, dass Sie davon nichts wissen wollen, und le- Parlaments in der Außen- und Sicherheitspolitik schränke diglich im Nachhinein durch den nächsten Rüstungsex- die Handlungsspielräume auf internationaler Ebene ein. portbericht dokumentieren, dass das Volumen der Rüs- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das war sehr bemer- tungsexporte unter Rot-Grün wieder gestiegen ist – wie kenswert!) das wahrscheinlich der Fall sein wird –, dann, muss ich sa- gen, entmachten und entmündigen Sie sich als Parlamen- Herr ging als Vertreter der vier Bundes- tarier und kommen dem vom Wähler erteilten Auftrag tagsfraktionen sogar noch einen Schritt weiter und erklärte, das Parlament sei hemmungslos überfordert, wenn es in nicht mehr nach. solche weit reichenden Entscheidungen einbezogen würde. (Beifall bei der PDS) (Jörg van Essen [F.D.P.]: Diese Meinung teilen wir nicht! – Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Ich schließe [CDU/CSU]: Rupert Scholz ist von Ihnen gar die Aussprache. nicht zu beleidigen!) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Ihre heutige Entscheidung, sich zu weigern, über Rüs- ses für Wirtschaft und Technologie zum Rüstungsexport- tungsexportentscheidungen und eine parlamentarische bericht 1999 der Bundesregierung auf Drucksache Beteiligung daran überhaupt zu diskutieren 14/5671. Der Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Be- (Susanne Kastner [SPD]: Ist genug! Wir haben richts auf Drucksache 14/4179, eine Entschließung verstanden! – Michaele Hustedt [BÜNDNIS 90/ anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- DIE GRÜNEN]: Jetzt langt’s aber! – Zuruf von lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- (B) der CDU/CSU: So ein Käse!) schlussempfehlung ist mit den Stimmen von SPD, Bünd- (D) nis 90/Die Grünen und PDS gegen die Stimmen von – ich danke Ihnen, Frau Kollegin, für Ihre verbalen Aus- CDU/CSU und F.D.P. angenommen. fälle –, zeigt ganz deutlich, dass Sie sich scheinbar über- fordert fühlen, über dieses Thema zu sprechen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- Wir haben lediglich beantragt, die Ausschüsse, die sich ses für Wirtschaft und Technologie auf Drucksache mit zentralen Fragen von Krieg und Frieden, Außen- und 14/5810 zu dem Antrag der Fraktion der PDS zu Transpa- Sicherheitspolitik, Menschenrechten und Entwicklungs- renz und parlamentarischer Kontrolle bei Rüstungsexpor- politik befassen, an der Debatte zu beteiligen. Wir fordern ten. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache lediglich eine Mitberatung, eine Information in den Aus- 14/4349 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussemp- schüssen, noch nicht einmal ein Entscheidungsrecht. fehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Be- schlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten die Stimmen der PDS angenommen. [CDU/CSU]: Nun reicht es!) Damit sind Sie überfordert. Das zeigt, welchen Stellen- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: wert demokratische Beteiligung und parlamentarische Kontrolle für Sie haben. – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Wir halten an unserem Antrag fest und appellieren an zur Änderung der Insolvenzordnung und ande- Sie, ihn zu unterstützen, unabhängig von Ihrer Fraktions- rer Gesetze zugehörigkeit, – Drucksache 14/5680 – (Susanne Kastner [SPD]: Nein, das wollen wir (Erste Beratung 164. Sitzung) nicht! Sie haben uns beschimpft!) weil Sie dadurch die Chance haben, die Regierung zu kon- – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- trollieren, Entscheidungen herbeizuführen bzw. Entschei- neten Dr. Evelyn Kenzler, Rolf Kutzmutz, dungen zu überprüfen, die im Zusammenhang mit dem Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS einge- Kriegswaffenkontrollgesetz stehen, und insbesondere der brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Friedenspflicht, die im Grundgesetz verankert ist, den der Insolvenzordnung (InsOÄndG) entsprechenden Nachdruck zu verleihen. – Drucksache 14/2496 – (Beifall bei der PDS) (Erste Beratung 88. Sitzung) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17679

Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters (A) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus- tene Überschuldung als Ausdruck einer Armutskrise (C) schusses (6. Ausschuss) aktiv überwinden zu helfen. – Drucksache 14/6468 – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Berichterstattung: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Abgeordnete Alfred Hartenbach Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat die Bundes- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten regierung diesem Handlungsbedarf Rechnung getragen. Volker Beck (Köln) Ich darf hinzufügen, dass Überschuldung sicher eine Rainer Funke rechtliche Seite hat, mit der wir uns heute beschäftigen. Dr. Evelyn Kenzler Überschuldung hat unterschiedliche Ursachen und auch Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein Ent- zum Teil sehr einschneidende Auswirkungen im subjekti- schließungsantrag der Fraktionen der SPD und des ven, personellen Bereich, in der Familie und im Kontakt Bündnisses 90/Die Grünen vor. mit anderen Menschen. Insofern ist hier ein genereller An- satz notwendig. Die Möglichkeit, diesem Phänomen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die rechtlich entgegenzutreten, ist zwar eine wichtige, aber si- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe, cher nicht die einzige oder wesentlichste. Vor diesem Hin- das Haus ist damit einverstanden. Dann ist so beschlos- tergrund sollten wir auch diese Debatte führen. sen. Aus justizpolitischer Sicht sind das Verbraucherinsol- Bevor ich die Aussprache eröffne, erteile ich dem Be- venzverfahren und die Restschuldbefreiung wesentliche richterstatter, dem Kollegen Alfred Hartenbach, das Wort. Ansätze, um eingetretene Überschuldungen zu beseitigen. Insofern war es ein erster wichtiger Schritt, dass der Alfred Hartenbach (SPD): Sehr geehrter Herr Prä- Gesetzgeber mit der im Jahre 1999 in Kraft getretenen In- sident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der solvenzordnung die rechtlichen Rahmenbedingungen für Rechtsausschuss hat in seiner 90. Sitzung am 27. Juni einen wirtschaftlichen Neuanfang geschaffen hat. Aller- 2001 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der In- dings ist in der Zwischenzeit eine ganz entscheidende solvenzordnung beschlossen. Bestandteil dieser Ab- Frage aufgetreten: Was nützt das ausgefeilteste Verfahren, stimmung war eine Synopse, die in der richtigen Fas- wenn es denjenigen, für die es eigentlich bestimmt ist, sung vorlag. Bei Umsetzung dieser Synopse in verschlossen bleibt, weil sie die Verfahrenskosten nicht Beschlussempfehlung und Bericht ist ein Kopierfehler aufbringen können? Erst mit der im vorliegenden Gesetz- aufgetreten. In Art. 1 ist zwischen den Ziffern 18 und 20 entwurf geregelten Stundung der Insolvenzkosten werden die Ziffer 19 entfallen. Ich bitte daher, bei den Beratun- die Vorschriften über die Restschuldbefreiung abge- (B) gen zu berücksichtigen, dass es auf der linken Seite, schlossen und das Verfahren praktikabel ausgestaltet. (D) Entwurf, heißt: „19. § 300 Abs. 3 Satz 2 wird aufgeho- Ich bedaure es, dass gegen die im Gesetzentwurf kon- ben“. Auf der rechten Seite der Synopse bitte ich aufzu- zipierte Stundungslösung polemisiert wird und man be- nehmen: „19. unverändert“. hauptet, sie sei rein fiskalisch begründet. Ich weiß, dass Dies war eine offensichtliche Unrichtigkeit, ein Fehler. wir bei der Verabschiedung der Insolvenzordnung alle ge- Ich bitte, dies heute mit zu berücksichtigen. Ich darf Ih- meinsam von der Vorstellung ausgegangen sind, dass im nen, dem Präsidium, den Wortlaut vorlegen. Insolvenzverfahren selbstverständlich Prozesskostenhilfe gewährt werden kann, da das Verfahren eigentlich für die- jenigen gedacht ist, die die wenigsten Mittel zur Verfü- Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Danke gung haben. Wir haben uns geirrt. Die Rechtsprechung schön, Herr Kollege Hartenbach. hat die einzelnen Verfahrensabschnitte sehr unterschied- Wir treten in die Aussprache ein. Ich gebe zunächst lich beurteilt. Deswegen muss der Gesetzgeber korrigie- dem Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Profes- rend eingreifen. sor Dr. Eckhart Pick, das Wort. Ich wiederhole noch einmal das, was ich im Rechts- ausschuss gesagt habe: Die Insolvenzordnung erfüllt, so Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- glaube ich, ansonsten durchaus die Erwartungen, die man ministerin der Justiz: Herr Präsident! Meine Damen und an sie setzt bzw. gesetzt hat. Wir korrigieren hier in einem Herren! Vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung Teilbereich. Deswegen bitte ich, dass wir gerade diese den ersten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Zum Stundungslösung mit entsprechender Aufmerksamkeit Thema Überschuldung finden Sie dort die folgende zen- begleiten. trale Aussage: Mit der Stundungslösung wird eine Maßnahme zulas- In dem Maße, in dem private Haushalte durch Über- ten der Länder durchgeführt; das ist klar. Das wäre aber schuldung an wirtschaftlicher und personaler Hand- auch bei der Prozesskostenhilfe in ihrer reinen Form so lungsfähigkeit einbüßen und Prozesse einer zuneh- gewesen. Der Unterschied besteht darin, dass der Staat menden Verarmung erleben, ergibt sich politischer – ich sage: theoretisch – die Chance hat, die gestundeten Handlungsbedarf. Vor dem Hintergrund von knapp Prozesskosten eines Tages zurückzubekommen. Natür- 2,8 Millionen überschuldeten Haushalten liegt es da- lich sind die Berechnungen, wie hoch der Rückfluss bei her im gesellschaftlichen Interesse, Überschuldungs- den Ländern ist, ausgesprochen unsicher; sie sind nur ge- prozessen präventiv entgegenzuwirken und eingetre- griffen. Aber es ist auch nicht auszuschließen, dass die 17680 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick (A) Länder auf einem Großteil dieser gestundeten Kosten sit- Aktuell in diese Debatte über die Änderung der Insolvenz- (C) zen bleiben. Deswegen ist es uns natürlich darum gegan- ordnung fiel in dieser Woche die Meldung, dass im ersten gen, mit den Ländern zu einem Kompromiss zu kommen. Quartal dieses Jahres ein Negativrekord an Insolvenzen Ich gebe zu, dass die gefundene Lösung möglicherweise aufgestellt wurde, der höchste Stand seit sieben Jahren. nur die zweitbeste ist. Im Interesse der Länder ist sie aber Zehntausende von Arbeitsplätzen wurden dadurch ver- zu vertreten. nichtet. Mit dieser Insolvenzkostenhilfe steht nun ein effekti- Das war natürlich nicht der Grund für die Regierung, ves Instrument zur Verfügung, das nahtlos in das Ver- einen Gesetzentwurf zur Änderung der Insolvenzordnung braucherinsolvenzverfahren und die Restschuldbefreiung vorzulegen, aber es zeigt – ich will das einmal so deutlich eingepasst wurde. Mit einer bloßen Verweisung auf die sagen –, wie leichtsinnig diese Regierung mit Wirtschaft §§ 114 ff. ZPO wären mit Sicherheit zahlreiche Zweifels- und Preisstabilität umgeht und wie schnell die guten Rah- fragen geblieben, wie sie zum Beispiel die Rechtspre- menbedingungen, die die Regierung aus CDU/CSU und chung aufgeworfen hat: Für welche Verfahrensabschnitte F.D.P. hinterlassen hat, ins Negative gekehrt werden. wird die Prozesskostenhilfe gewährt? Wann besteht hin- (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der reichende Aussicht auf Erfolg? Welche Obliegenheiten SPD: Solch ein Blödsinn!) hat der Schuldner zu erfüllen? Es gibt also eine ganze Reihe von Fragen, die nicht durch eine bloße Verweisung Wir werden im Jahr 2001 nicht nur die höchste Zahl an auf die Prozesskostenhilfevorschriften hätten beantwortet Insolvenzfällen haben, sondern wir werden auch die werden können. Insofern wären wir wahrscheinlich jahre- höchsten Inflationsraten seit Anfang der 90er-Jahre und lang in einer Phase der Rechtsunsicherheit geblieben. die niedrigsten Wachstumswerte der letzten Jahre haben. Dies sollte nicht verschwiegen werden bei einem Gesetz, (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ durch das man wirtschaftlich gestrandete Menschen wie- CSU]: Das glaube ich nicht!) der in den normalen Wirtschaftskreislauf zurückholen Ich bin sicher! Zudem begrüße ich es, dass es im Ge- will. setzgebungsverfahren gelungen ist, auch bezüglich der Die Insolvenzordnung, die wir in diesem Hohen Hause Wohlverhaltensperiode zu einer Verbesserung zu kom- gemeinsam verabschiedet haben, hatte eine lange Vor- men. Ich finde, wir haben durch die Verkürzung um ein laufzeit und dennoch ist die Restschuldbefreiung von Jahr dem entsprochen, was uns insbesondere auch die Privatpersonen nicht so richtig ins Laufen gekommen. Schuldnerberatungsstellen gesagt haben, nämlich dass Insbesondere fiel die von den Ländern befürchtete Rest- diese siebenjährige Wohlverhaltensperiode allzu lang ist. schuldbefreiungslawine aus. Die Schuldnerberatungsstel- Wir haben auch eine durchaus fundierte Grundlage; denn len haben uns wertvolle Anregungen gegeben. Die Kos- durch das Gutachten, das das Ministerium eingeholt hat, (B) ten, die durch das neue Gesetz auf die Länder zukamen, (D) ist klar, dass die ökonomischen Folgekosten doch erheb- sind wesentlich geringer als prognostiziert; wir hätten das lich geringer sind, als man das annehmen konnte. Deswe- Gesetz viel früher in Kraft treten lassen können. gen halten wir eine Verkürzung der Wohlverhaltenspe- riode für möglich und im Sinne der Betroffenen. Wir tun Ein Mangel des bisherigen Gesetzes war, dass mittel- ein Übriges, indem wir die Dauer dieser Periode zuguns- lose Schuldner nicht die Verfahrenskosten aufbringen ten der Schuldnerinnen und Schuldner dadurch verkür- konnten und deshalb sehr häufig die Verfahrenseröff- zen, dass wir den Beginn der Laufzeit auf den Termin der nung wegen fehlender Kostendeckung abgelehnt wurde. Verfahrenseröffnung vorverlegen. Einige Oberlandesgerichte haben diesen Mangel pragma- tisch behoben und die in der ZPO vorgesehene, wohl Natürlich mussten wir auch die Lohnabtretungsfrage durchdachte Prozesskostenhilfe gewährt. Andere haben entsprechend regeln; denn es kann nicht sein, dass der un- dies, wie Herr Staatssekretär Pick ausführte, nicht getan, gesicherte Gläubiger künftig noch weniger zu erwarten meiner Ansicht nach aus nicht überzeugenden Gründen, hätte als bei der jetzigen Regelung. nämlich mit Hinweis auf die Dogmatik. In diesem Sinne, so meine ich, haben wir einen guten Nun wäre es trotz Ihrer Bedenken, Herr Staatssekretär, Schritt nach vorne getan und im Interesse der überschul- das Einfachste gewesen, die unterschiedliche Handha- deten Menschen eine Möglichkeit eröffnet, tatsächlich bung zu beseitigen, indem wir einen Satz in das Ände- in das Verbraucherinsolvenzverfahren hineinzukommen rungsgesetz eingefügt hätten: „Es gelten die Bestimmun- und sich letztlich ihrer Schulden zu entledigen. gen der Prozesskostenhilfe.“ Gegebenenfalls auftretende Vielen Dank. Zweifelsfragen hätten wir einfach mit einem weiteren Ab- satz beseitigen können. Dies ist keine Polemik; ich finde, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wir hätten dies wahrlich tun sollen. DIE GRÜNEN) Dies war, wie ich in der Diskussion festgestellt habe, eigentlich Konsens, aber die Kostenlamentiererei der Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die Länder hat diese vernünftige Lösung verhindert. So CDU/CSU-Fraktion spricht der Kollege Dr. Freiherr von kommt es zu einer verkrampften Lösung der Stundung der Stetten. Verfahrenskosten, die allein wegen ihrer neuen Bestim- mungen durchführende Gerichte und Rechtspfleger und Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): damit Beauftragte unnötig belastet. Genauso wenig wie Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! die Kostenlawine wegen befürchteter zehntausendfacher Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17681

Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (A) Verbraucherinsolvenzen auf die Länder zukam, wäre es der SPD und der Grünen ein bisschen – lassen Sie es mich (C) zu einer Kostenlawine gekommen, wenn wir die vernünf- so ausdrücken – das schlechte Gewissen der Koalition: tige Lösung der Prozesskostenhilfe übernommen hätten. Man fordert die Regierung auf, zu prüfen, zu eruieren und Vorschläge zu machen. Es ist in gewissem Sinne schon ein Man kann über die Verbraucherinsolvenz streiten, da- Armutszeugnis, heute ein Gesetz zu verabschieden und rüber, ob sie sinnvoll ist oder nicht, aber der Gesetzgeber sogleich einen Entschließungsantrag hinterherzujagen, hat meines Erachtens zu Recht beschlossen, jedem, der damit dieses Gesetz möglichst bald wieder korrigiert überschuldet ist – ob verschuldet oder unverschuldet; es gibt relativ wenige, die nicht zumindest ein Mitverschul- wird. den trifft –, die Chance zu geben, erneut von vorn anzu- (Beifall des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/ fangen. Wenn dieser Weg aufgezeigt wird, sollte er nicht CSU] – Alfred Hartenbach [SPD]: Der hat keine zu steinig sein, damit er auch beschritten werden kann. Ahnung!) Ausgenommen sind richtigerweise Verschuldungen we- gen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlungen, wo- – Doch, er hat Ahnung, lieber Kollege Hartenbach, er hat bei die Hinweispflicht des Gerichts, die neu aufgenom- viel Ahnung. men wurde, sicherlich sehr nützlich sein kann. Ich teile auch nicht die Sorge, dass nach Beendigung Wir hatten seinerzeit eine Wohlverhaltensperiode eines Insolvenzverfahrens die Daten nicht rechtzeitig von sieben Jahren für richtig gehalten, die sich aber durch gelöscht werden können, genauso wenig wie die Sorge die Länge der Verfahrensdauer bis zur Eröffnung des Ver- um den Missbrauch von im Internet bereitgestellten Da- fahrens auf acht, neun oder sogar zehn Jahre verlängerte ten. Denn ebenso wäre es jederzeit möglich, das Register und sich nunmehr durch die vorgesehene Stundungslö- einzusehen oder Zeitungsveröffentlichungen zu kopieren, sung sogar auf zehn bis zwölf Jahre hätte verlängern kön- aufzuheben und später zu verschicken. nen. Dies ist eine finanzielle Bevormundung über eine zu Auch die übertriebene Sorge um den Datenschutz teile lange Zeit, als dass jemand motiviert würde, in ein solches ich nicht; denn wenn wir dieses Gesetz schon mit der Verfahren einzutreten und es letztlich auch durchzuhalten. Maßgabe verabschiedet hätten, dass nur im Internet ver- Über die Fälle des Durchhaltens haben wir noch keine öffentlicht wird, wären wir frühestens in sechs oder sie- Zahlen, weil die Zeit dafür bisher zu kurz ist. Aber es wird ben Jahren gefordert gewesen, die notwendigen Lö- interessant sein, zu erfahren, wie viele Schuldner diese schungssicherungen erreicht zu haben, gegebenenfalls lange Zeit letztlich durchhalten. auch mit gesetzlichen Vorschriften. Bei der jetzigen Rege- Deswegen bin ich froh, dass unsere Anträge, sozusagen lung werden wir jahrelang an Lösungen arbeiten, auf Be- fast in letzter Minute, noch die Zustimmung der Koali- denkenträger aller Art hören, aber die Schuldner weiter- hin einer Prangerwirkung aussetzen. (B) tionsparteien gefunden haben (D) (Alfred Hartenbach [SPD]: So sind wir eben!) Ich denke natürlich auch an die Gläubiger, die ihr Geld – oder Teile ihres Geldes – endgültig verlieren. Aber bei und die Wohlverhaltensfrist ab Antragstellung und nicht der derzeitigen, regelmäßig fast 30-jährigen Lösung mit erst ab Verfahrenseröffnung gilt – das ist schon ganz wich- einem gerichtlichen Titel haben die Gläubiger durchweg tig; das sind ein Jahr oder zwei Jahre – und zudem auf nicht mehr bekommen; denn nur relativ selten hat ein sechs Jahre verkürzt wird. So dauert in Zukunft ein Schuldner nachträglich so viel Geld verdient, dass er die Verfahren ohne Stundungsmodell etwas über sechs Jahre, Verbindlichkeiten zahlen konnte. mit Stundung acht, maximal neun Jahre. Dadurch ist mei- nes Erachtens ein Anreiz geschaffen worden, in das per- Einem Schuldner mit früher selbstständiger Tätigkeit sönlich unangenehme Verfahren einzutreten. wird das Schuldnerbefreiungsverfahren dann ermöglicht, wenn er bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens weniger Für einen Schuldner ist es ja nicht gerade angenehm, als 20 Gläubiger hat und keine Forderungen aus Arbeits- sich der Öffentlichkeit zu stellen. Deswegen ist es bedau- verhältnissen bestehen. Hier ist der Gesetzentwurf wohl erlich, dass sich die Koalitionsmehrheit nicht dazu durch- zu kurz gesprungen, denn 20 Gläubiger sind schon im Be- ringen konnte, die Veröffentlichung ausschließlich ins reich des täglichen Lebens nicht übermäßig viel. Internet zu verlegen, weil für viele Schuldner die Veröf- fentlichung des Insolvenz- und Schuldnerbefreiungsver- Wir werden die Entwicklung abwarten und die Schuld- fahrens in der örtlichen Presse eine gesellschaftlich tödli- nerberatungsstellen um Informationen bitten; gegebenen- che Wirkung haben kann und der Schuldner gelegentlich falls müsste hier eine andere Lösung gefunden werden. deswegen nicht in ein solches Verfahren eintritt. Lieber Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, auch lässt man geschäftliche Tätigkeiten weiterhin über Frau, weil wir der Meinung sind, dass er eine partielle Verbes- Kinder oder Freunde laufen, um nach außen nicht als Plei- serung bedeutet. Aber der ganz große Wurf ist ausgeblie- tier dazustehen. ben, Herr Hartenbach. Es gibt im Übrigen nur wenige – deswegen teile ich Auch Ihrem Entschließungsantrag werden wir zustim- diese Sorge nicht –, die im Internet surfen, um Konkurs- men. Wir hätten die Regelung zwar lieber gleich mit die- und Insolvenzverfahren zu erkunden. Dagegen werden sem Gesetzentwurf verabschiedet, aber wir hoffen, dass die Veröffentlichungen in der Ortspresse über Insolven- eine vernünftige Lösung dabei herauskommt. zen höchst fleißig gelesen und bilden das Tagesgespräch. Danke schön. Deswegen reicht die Änderung des § 9 nicht aus und zeigt der heute hier eingebrachte Entschließungsantrag (Beifall bei der CDU/CSU) 17682 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Rudolf Seiters: Für die Vor allem für den letzten Punkt hat meine Fraktion von (C) Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht der Kollege den Schuldnerberatungsstellen Lob erfahren. Wir haben Volker Beck. darauf gedrängt, in puncto Verfahrensdauer nachzubes- sern. Ich bin auch sehr zufrieden darüber, dass es gelun- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gen ist, so eine erhebliche Verbesserung des einge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den heu- brachten Gesetzentwurfs zu erreichen. tigen Tag haben viele überschuldete Menschen in unse- In den alten Bundesländern sind konstant etwa 1,9 Mil- rem Land gewartet. Mit der rot-grünen Reform der lionen Privathaushalte überschuldet. In den neuen Län- Insolvenzordnung erleichtern wir ihnen endlich den Weg dern sind es rund 800 000; dort ist die Tendenz steigend. aus der Schuldenfalle. Diese Zahlen sind umso alarmierender, wenn man be- Wir schaffen die gesetzlichen Bedingungen dafür, dass denkt, dass jeder dritte überschuldete Haushalt sogar mit viele der rund 2,8 Millionen verschuldeten Haushalte in mehr als 50 000 DM in der Kreide steht. Für viele Men- Deutschland auf einen Neuanfang hoffen können. Wir er- schen sind solche Beträge keine Peanuts. leichtern ihnen den Einstieg in das Verbraucherinsolvenz- Überschuldung kann die unterschiedlichsten Ursachen verfahren. Zugleich verkürzen wir die Dauer des Verfah- haben: Arbeitslosigkeit, aber auch plötzliche Schicksals- rens erheblich. Die Reparatur des Insolvenzrechtes war schläge wie Unfälle, Krankheit, Tod eines Partners, das dringend erforderlich. Das ursprüngliche Ziel des Gesetz- Scheitern einer Beziehung und auch – darauf haben die gebers, den Betroffenen nach rund sieben Jahren einen Schuldnerberatungsverbände vor einigen Tagen zu Recht schuldenfreien Neuanfang über eine Restschuldbefreiung hingewiesen – die Unerfahrenheit und Naivität der Ver- zu ermöglichen, ließ sich mit der alten Regelung nicht er- braucher gegenüber so manchen verlockenden unverant- reichen. wortlichen Kredit- und Konsumangeboten. Für viele Schuldner scheiterte der Weg aus der Schul- Wenn in der Nachbarschaft ein großes Versandhaus denfalle schon an der Hürde der hohen Verfahrenskosten. wöchentlich anliefert und dieselben Mieter eines Tages Die Gerichte bewilligten in der Mehrzahl keine Prozess- ausziehen müssen, weil sie nicht mehr in der Lage sind, kostenhilfe. Es entstand eine absurde Situation: Das Ver- ihre Wohnungsmiete zu bezahlen, dann hat der bunte Ka- braucherinsolvenzverfahren, das gerade den Menschen, talog den Geldbeutel gesprengt. Mit anderen Worten: die über keine Mittel verfügen, helfen sollte, blieb diesen Nicht nur bei den Essgewohnheiten müssen wir anschei- Menschen deshalb versperrt, weil sie über keine Mittel nend viele Bürgerinnen und Bürger noch von einem an- verfügen. Das war, meine Damen und Herren, die Qua- deren Konsumverhalten überzeugen. dratur des Kreises. (V o r s i t z: Vizepräsidentin Petra Bläss) (B) Wir haben diesen Missstand, wie ich meine, jetzt mit (D) dem Stundungsmodell gut gelöst, obwohl – daraus ma- Verantwortlich für ihre Misere sind aber keineswegs che ich keinen Hehl – auch meiner Fraktion eine klarstel- immer die Betroffenen selbst. Auch Kredithaie, die die lende Regelung über die Gewährung von Prozesskosten- Notlage der Betroffenen ausnutzen, um über horrende hilfe lieber gewesen wäre. In diesem Punkt aber war, wie Zinsen abzukassieren, sind oft Ursache der Verschuldung. wir alle wissen, Herr Kollege von Stetten, der Widerstand der Länder – und zwar der A- wie der B-Länder – zu groß. Und auch die Banken müssen sich einmal fragen, ob sie Mit ihnen war das schlichtweg nicht zu machen. nicht vielleicht künftig weniger aggressiv mit vermeint- lich problemlosen Konsumentenkrediten werben sollten, (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten wenn doch der Verdacht nahe liegt, dass viele der Kredit- [CDU/CSU]: Bedauerlich!) nehmer das Geld später nicht zurückzahlen können. Ich bedauere das. Aber wer hier die Backen aufbläst, muss Meine Damen und Herren, die Arbeitsgemeinschaft erst einmal seine Länderstimmen auf den Tisch des Hau- der Schuldnerberatungsverbände hat die Koalition von ses legen, bevor er hier so tun kann, als ob Rot-Grün nicht Anfang an in ihrem Vorhaben bestärkt und hat diese Re- gekämpft hätte. form der Insolvenzordnung begrüßt. Zu Recht: Für viele (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschen bietet diese Reform eine wirkliche Chance und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von zum Neuanfang: Sie ermöglicht ihnen eine Rückkehr ins Stetten [CDU/CSU]: Entschuldigung, was nicht Wirtschafts- und Arbeitsleben. Das ist ein enormer gesell- gut ist, ist nicht gut!) schaftlicher und sozialer Gewinn; denn Überschuldung ist für Menschen nicht nur eine erhebliche psychische Belas- Ein weiteres Dilemma der alten Rechtslage war die tung. Sie verhindert auch die Wiedereingliederung in das tatsächliche Dauer bis zur Entschuldung. De facto waren Erwerbsleben und zementiert den Bezug von Sozialleis- es nicht sieben, sondern manchmal sogar mehr als zehn tungen. Jahre, die es bis zur Schuldenfreiheit gebraucht hätte. Auch in diesem Punkt haben wir Abhilfe geschaffen. Wir Herr Kollege von Stetten, Sie haben die Internetveröf- haben die bislang siebenjährige Wohlverhaltensperiode, fentlichung angesprochen. Dies ist zu Recht ein großes in der verpfändbares Einkommen abgetreten werden Problem. Deshalb haben wir gesagt, wir wollen diesen Ent- muss, auf sechs Jahre verkürzt. Wir haben auch den Be- schließungsantrag einbringen. Aber das ist ein Problem, ginn dieser Periode vorverlegt. Allein dies kann zu einer dem nicht nur im Zusammenhang mit der Veröffentlichung Verkürzung des Gesamtverfahrens um zwei bis drei Jahre dieser Daten im Internet eine Bedeutung zukommt. Wir ha- führen. ben es auch in vergleichbaren Bereichen durch die Mög- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17683

Volker Beck (Köln) (A) lichkeit des Internets oftmals erlebt, dass solche Daten all- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) gemein verfügbar sind, dass sie eine Prangerfunktion haben NEN]: Wie ist das denn mit den Ländern Ba- und dass sich bei Spiegelung oder Einscannung dieser Da- den-Württemberg, Hessen und Rheinland- ten aus den gedruckten Exemplaren der Veröffentlichungen Pfalz?) das Problem ergibt, dass sie in den gespiegelten Dateien – Herr Kollege Beck, ich weiß nicht, ob es Ihrer Auf- nicht gelöscht werden, auch wenn sie im Verzeichnis gelöscht worden sind. merksamkeit entgangen ist: Wir sind hier im Deutschen Bundestag und der Deutsche Bundestag hat immer wieder (Jörg van Essen [F.D.P.]: Sie haben eine neue großen Wert darauf gelegt, seine Meinung eigenständig zu Rede begonnen! – Dr. Wolfgang Freiherr von äußern. Stetten [CDU/CSU]: Das ist jetzt eine Zusatz- rede!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU – Zu- ruf von der F.D.P.: Aus guten Gründen!) Nach Ansicht unserer Fraktion brauchen wir – Wir haben das Prozesskostenhilfeverfahren damals, 1993, (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) als richtig angesehen. Später sind die Urteile einiger – lassen Sie mich meinen Satz bitte beenden – Oberlandesgerichte nicht zu demselben Ergebnis gekom- men, aber einige haben dieser Auffassung des Bundesta- ges Rechnung getragen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Beck, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen. Jetzt aber dafür ein Stundungsverfahren einzuführen, das viel komplizierter ist als das Prozesskostenhilfever- fahren, vermag ich nicht als Fortschritt zu erkennen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): – eine Bußgeldvorschrift, die untersagt, dass diese Daten (Beifall bei der F.D.P.) nach der Löschung in der Quelldatei von Dritten weiter- Hier werden wir neue Schwierigkeiten haben, insbeson- verwendet werden dürfen, damit diese Prangerfunktion dere in der Umsetzung. Der Kollege von Stetten hat da- entfällt, weil diese verhindert, dass diese Menschen einen rauf aufmerksam gemacht. wirtschaftlichen und sozialen Neustart bekommen. Eines der Prinzipien – das ist der zweite Grund, aus (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem wir nicht zustimmen können – der neuen Insolvenz- und bei der SPD – Dr. Wolfgang Freiherr von ordnung war die verstärkte Gläubigerautonomie. Stetten [CDU/CSU]: Das hätten die gleich ver- suchen können!) Die nunmehr gefundene Lösung bei der Abwahl eines In- (B) solvenzverwalters durchbricht dieses Prinzip der Gläubi- (D) gerautonomie. Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Kol- lege Rainer Funke für die F.D.P.-Fraktion. Meine Damen und Herren, ich will betonen, dass ich für die sachliche und vernünftige Art der Beratung im Rechtsausschuss und auch im Rahmen der Berichterstat- Rainer Funke (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- men und Herren! Die zugrunde liegende Insolvenzord- tergespräche dankbar bin. Aber ich will eines deutlich nung ist 1993 mit den Stimmen aller Mitglieder dieses machen: Nach Abschluss der Beratungen unter den Be- Hauses – ich glaube, mit einer Ausnahme – beschlossen richterstattern und nach den Anhörungen sind zwei grund- worden. Ich bin froh darüber gewesen, dass wir diese Ein- legende Änderungen vorgenommen worden, ohne dass helligkeit haben feststellen können; denn bei der Insol- diese mit Sachverständigen oder mit den Berichterstattern venzordnung – darauf hat der Kollege Beck hingewie- in Ruhe und Gelassenheit hätten beraten werden können. sen – handelt es sich um eine wesentliche gesellschafts- Es handelt sich dabei erstens um die Verkürzung der in politische Tat, die wir 1993, damals allerdings noch, § 114 Abs. 1 ZPO enthaltenen Frist, wonach Dienstbe- glaube ich, inAbwesenheit der Grünen, beschlossen haben. züge bislang für drei Jahre abgetreten werden können. (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Jetzt wird eine Verkürzung auf zwei Jahre vorgenommen. GRÜNEN]: Nein, wir waren mit acht Kollegen Das klingt ganz harmlos. Herr Beck hat das zwar sehr nett, da!) aber, wie ich meine, aus wirtschaftlicher Sicht völlig ver- dreht dargestellt. Denn beispielsweise junge Eheleute, die Wir hätten gern auch der Novellierung der Insolvenzord- für die Haushaltsgründung ein Darlehen aufnehmen wol- nung zugestimmt. Hierzu sehen wir uns leider nicht in der len, oder junge Start-up-Unternehmer, die von einer Bank Lage. Ich will das kurz begründen. Wir werden uns der bzw. der Sparkasse ein Darlehen benötigen, müssen Kre- Stimme enthalten. ditsicherheiten geben. Diese sind nun einmal gerade in (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ jungen Jahren die Dienstbezüge. Indem ich die Abtretbar- CSU]: Also nicht Fisch und nicht Fleisch!) keit von drei Jahren auf zwei Jahre senke, senke ich gleichzeitig das Kreditvolumen auf zwei Drittel – und das Die F.D.P.-Fraktion lehnt das neu erfundene Stun- kann doch nicht im Sinne zum Beispiel junger Eheleute dungsverfahren für die Kosten des Insolvenzverfahrens sein, die einen Kredit aufnehmen wollen. statt des üblichen Prozesskostenhilfeverfahrens ab. Es war stets Auffassung aller Bundestagsfraktionen, auch (Beifall bei der F.D.P. – Dirk Niebel [F.D.P.]: 1993, dass das bewährte – – Das ist familienunfreundlich!) 17684 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Rainer Funke (A) Ich verstehe, ehrlich gesagt, nicht, was hieran sozial oder Absenkung der Wohlverhaltensperiode von sieben auf (C) gar sozialdemokratisch sein soll. sechs Jahre. Wir hatten eine Absenkung von sieben auf fünf Jahre vorgeschlagen. Das betrifft zum anderen die (Beifall bei der F.D.P. – Dr. Wolfgang Freiherr Ausdehnung des Vollstreckungsschutzes auf das Verfah- von Stetten [CDU/CSU]: Jetzt ist die Zeit um, ren der außergerichtlichen Einigung, das heißt die Rück- lieber Herr Kollege!) schlagsperre für drei Monate. Wir hatten hier eine ausgie- bigere Regelung vorgeschlagen, die sich leider nicht in Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Funke, auch Sie diesem Umfang wiederfindet. Aber immerhin, im vorge- muss ich jetzt ermahnen, was die Redezeit betrifft. schlagenen § 765 a Abs. 4 ZPO sind sogar einige Formu- lierungen zu finden, die unseren Vorschlägen zumindest nahe kommen. Das freut mich ebenfalls. Rainer Funke (F.D.P.): Wenn ich noch zwei Sätze sa- gen darf? (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie müssen aber auch zustimmen, wenn es Sie so freut!) Vizepräsidentin Petra Bläss: Die dürfen nur nicht von Thomas Mann sein. – Sie loben uns ja nicht; dann muss ich es selber tun. (Heiterkeit) (Beifall bei der PDS) Der Regierungsentwurf enthält weitere begrüßens- Rainer Funke (F.D.P.): Mit Sicherheit nicht! Das ist werte Vorschläge: so zum einen die Einführung eines fa- auch nicht meine Art. kultativen gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens und zum anderen die Senkung der Kosten, beispielsweise Die zweite Änderung betrifft die Verkürzung der die für die Internetnutzung, die Verringerung der Zahl der Wohlverhaltensperiode von sieben auf sechs Jahre. Wir zuzustellenden Unterlagen oder auch die Einführung hätten dieser Änderung zugestimmt. Das ist gar keine einer Notfrist von einem Monat für Gläubigerstellung- Frage; das habe ich immer erklärt. Aber diese Änderung nahmen. erst in der Nacht vor der endgültigen Beratung nachzu- schieben, halte ich für einen schlechten parlamentari- Aber bei zwei Punkten haben wir ernsthafte Probleme. schen Stil, und dafür sind Sie, Herr Beck, verantwortlich. Das betrifft zum einen die Finanzierung der Kosten des Insolvenzverfahrens über das Stundungsmodell. In die- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten sem Fall favorisieren wir das von uns vorgeschlagene der CDU/CSU) PKH-Modell, so wie es im ursprünglichen Insolvenzver- (B) fahren vorgesehen ist. Unbestritten ist, dass die Stundung (D) Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol- möglich ist. Das erweiterte Berichterstattergespräch hat legin Dr. Evelyn Kenzler für die PDS-Fraktion. aber gezeigt, dass im Grunde genommen alle Fraktionen die Finanzierung über die Prozesskostenhilfe für besser und einfacher als das jetzt vorgeschlagene kompliziertere Dr. Evelyn Kenzler (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Stundungsmodell halten. Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der in den letzten zehn Jahren dramatisch ansteigenden Zahl von über- (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE schuldeten Haushalten und der massiven Probleme bei GRÜNEN]: Was sagt Mecklenburg-Vorpom- der praktischen Handhabung der Verbraucherinsolvenz in mern?) den letzten zweieinhalb Jahren ist es höchste Zeit, dass Lediglich die Länder sind leider aus Kostengründen wir uns heute in zweiter und dritter Lesung mit der Ände- dagegen. Ob es tatsächlich eine Ersparnis geben wird, rung der Insolvenzordnung befassen. wage ich in Anbetracht der vielen mittellosen Schuldner Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die PDS- zu bezweifeln. Auf jeden Fall wird es bei nicht wenigen Fraktion bereits vor anderthalb Jahren einen Entwurf ei- Schuldnern zu einer Verlängerung der Phase bis zur ent- nes Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung einge- gültigen Entschuldung auf mehr als zehn Jahre kommen. bracht hat, Zum anderen haben wir Probleme hinsichtlich des An- (Dr. Barbara Höll [PDS]: Genau!) wendungsbereichs des § 304 der Insolvenzordnung. Die beabsichtigte Änderung hat zur Folge, dass viele wirt- unter anderem mit klarstellenden Regelungen zur Prozess- schaftlich Selbstständige, das heißt Kleinunternehmer, kostenhilfe, zur Absenkung der Wohlverhaltensperiode durch die engeren Anwendungsgrenzen weitgehend aus und zur Aufnahme des Vollstreckungsschutzes für das der Verbraucherinsolvenz herausfallen und mit deutlich Verfahren der außergerichtlichen Einigung. höheren Kosten konfrontiert werden. Mit Befriedigung habe ich deshalb festgestellt, dass ei- (Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/ nige unserer Vorschläge auf durchaus fruchtbaren Boden CSU]: Frau Präsidentin, die Redezeit ist doch gefallen sind, schon um!) (Beifall bei der PDS) – Ich komme auch zum Schluss. denn die Bundesregierung geht mit ihrem Entwurf zum Wir werden uns deshalb enthalten. Wir lehnen den Ent- Teil in die gleiche Richtung. Das betrifft zum einen die wurf nicht ab, da er in die Richtung geht, in die wir eben- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17685

Dr. Evelyn Kenzler (A) falls gehen wollen. Eine Zustimmung ist aber aus den bei- Umsetzung dieses Entwurfs vielen Menschen die Mög- (C) den genannten Gründen leider nicht möglich. lichkeit, nach einer kurzen Zeit wieder in das Wirt- schaftsleben zurückzukehren, anstatt zu wissen, dass sie, (Beifall bei der PDS) wie bisher, alles, was sie über den pfändungsfreien Betrag hinaus verdienen, über einen Zeitraum von 30 Jahren an Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner für die ihre Gläubiger abführen müssen. SPD-Fraktion ist der Kollege Alfred Hartenbach. Wir wissen auch – Herr von Stetten und Herr Funke haben es erwähnt –, dass die Gläubiger in aller Regel Alfred Hartenbach (SPD): Frau Präsidentin! Liebe keine Befriedigung gefunden haben. Wir wissen alle, dass Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe von 1985 bis 1994 die meisten Menschen, die überschuldet waren, die ge- als Amtsrichter die Aufgabe gehabt, Konkursverfahren pfändet wurden, die Konkurs anmelden mussten, kein In- durchzuführen und war dabei auch für die Fragen der teresse mehr daran hatten, wieder am Wirtschaftsleben Zwangsvollstreckung zuständig. Verehrter Kollege von teilzunehmen. Dies ist einer der wesentlichen Punkte: bei Stetten, diejenigen, die damals die politischen Rahmen- diesen Menschen wieder Interesse zu wecken, am Wirt- bedingungen gesetzt haben, haben in meinem Register schaftsleben teilzunehmen. immer dafür gesorgt, dass sowohl die Anzahl der Zwangs- Davon haben die Menschen etwas; denn es steigert ihr vollstreckungsverfahren – Steigerungsraten von 10 Pro- Selbstwertgefühl. Die Kinder dieser Menschen haben et- zent pro Jahr – als auch die Anzahl der Konkursverfahren, was davon; denn es ist, glaube ich, eine der schlimmsten die heute „Insolvenzverfahren“ heißen, von Jahr zu Jahr Erfahrungen, wenn man als Kind in Armut, in einem über- zunahmen. schuldeten Haushalt aufwachsen muss. Die Städte und Ich finde es daher ein bisschen billig, wenn Sie meinen Kommunen haben etwas davon, weil sie weniger Sozial- in Ihrem Entrée zu Ihrer Rede sagen zu müssen, die wirt- hilfe zahlen müssen. Die Länder und der Bund haben auch schaftlichen Rahmenbedingungen seien Schuld daran, etwas davon, weil wieder Steuern eingenommen werden. dass wir 2,8 Millionen überschuldete Haushalte haben. Also haben wir hier ein rundherum vernünftiges Gesetz Ich finde es dramatisch, dass wir so viele überschuldete geschaffen. Haushalte haben, und wir sollten uns alle als politisch Ver- ( [CDU/CSU]: Nicht Sie! Schon antwortliche an die Nase fassen und erkennen, dass hier vor sieben Jahren!) etwas geändert werden muss. Wir kommen den Menschen noch weiter entgegen, in- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE dem wir – ich bin froh, dass sich das aus den Beratungen, GRÜNEN und der PDS – Norbert Geis [CDU/ die wir mit Experten geführt haben, ergeben hat – die (B) CSU]: Die Bundesregierung zuallererst!) Wohlverhaltensphase abkürzen und einen festen Zeit- (D) punkt festsetzen, der sicher bestimmbar ist, ab dem die – Mensch, Norbert, halte doch einmal den Mund! Wohlverhaltensphase beginnt. (Heiterkeit) Nun haben wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, neben Ich will mit aller Deutlichkeit sagen: Nachdem Sie in anderen Problemen auch das der so genannten Kleinge- der 12. Legislaturperiode mit dem Insolvenzverfahren werbetreibenden. Sicherlich ist die Zahl – ob 10, 20 oder und der Möglichkeit der Verbraucherinsolvenz ein wirk- 30 Gläubiger – gegriffen, aber wir wissen, dass wir eine lich gutes Gesetz gemacht haben, haben wir heute die Ge- Zahl greifen mussten; denn das Verbraucherinsolvenzver- legenheit, dieses Gesetz zu verbessern. Sie selbst haben fahren soll – insbesondere für die zuständigen Stellen, die gesehen, dass das Gesetz unvollständig ist und nicht so Schuldnerberatungsstellen – überschaubar sein. Es soll gegriffen hat, wie Sie sich das vorgestellt haben. Wenn Sie schnell gehen. Die Menschen sollen schnell in die Wohl- damals der Meinung gewesen sind, dass es besser ist, das verhaltensphase kommen. Je höher die Zahl der Gläubi- Insolvenzverfahren mit den Vorschriften der Prozesskos- ger wird, desto geringer ist die Chance, dass es zu einer tenhilfe zu koppeln, dann hätten Sie das ja tun können. Einigung kommt, desto geringer ist die Chance, dass die Restschuldbefreiung erteilt wird. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Geis [CDU/CSU]: Sie haben es ja auch nicht Wir haben auch – und das ist richtig so – die modernen getan!) Medien für Veröffentlichungen genutzt. Aber wir mussten auch erkennen – ich bin dem Bundesbeauftragten für den Dann würden wir heute dieses Thema nicht angehen müs- Datenschutz dankbar dafür, dass er uns darauf hingewie- sen. sen hat –, dass die neuen Medien datenschutzrechtliche (Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum machen Probleme in sich bergen. Wir alle wissen, wie schwer man wir es dann nicht heute?) sich immer wieder tut, vernünftige, griffige und vor allen Dingen verständliche datenschutzrechtliche Regelungen – Ich habe dich doch eben um etwas gebeten. zu finden. Uns ging es – darum finde ich die Kritik nicht (Heiterkeit) angebracht – darum, über das Thema „Stundungsmodell“ und das Thema „Verkürzung der Restschuldbefreiung“ Nun müssen wir das heute korrigieren und ich denke, so schnell wie möglich das Verfahren der Verbraucher- dass dies fast unbemerkt von der Öffentlichkeit geschieht. insolvenz für viele Menschen zu eröffnen. Daher ging es Wir beraten heute über einen Entwurf, den ich zu den nicht an, noch lange darüber reden, wie man dies daten- wirklich guten Entwürfen zähle, denn wir geben durch die schutzrechtlich abklären kann. Daher haben wir die 17686 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Alfred Hartenbach (A) Verordnungsermächtigung in den Gesetzentwurf aufge- hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera- (C) nommen und unseren Entschließungsantrag eingebracht. tung gegen die Stimmen der PDS-Fraktion abgelehnt. Wir bitten, hier eine vernünftige Regelung zu finden. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei- Ich denke, kurz vor der Sommerpause sollte man hier tere Beratung. versöhnliche Töne finden, nachdem wir gerade bei die- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: sem – ich sage es noch einmal – so wichtigen Gesetz gut zusammengearbeitet haben. Lassen Sie mich Ihnen für die Erste Beratung des von den Abgeordneten Alfred Art der Beratung, für den Umgang miteinander danken. Hartenbach, Hermann Bachmaier, Doris Barnett, Wir haben gemeinsam etwas Gutes geschaffen und ich weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD würde mich freuen, wenn Sie alle zustimmen würden. sowie der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen, Herr Profes- Grietje Bettin, Rita Grießhaber, weiteren Abgeord- sor Pick, und Ihrem Hause, dem Bundesjustizministe- neten und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE rium, bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes guten Beratungen. Ich darf hier die Länder mit ein- zur Stärkung der vertraglichen Stellung von schließen, von denen einige sicherlich über ihren Schat- Urhebern und ausübenden Künstlern ten gesprungen sind. – Drucksache 14/6433 - Bei Ihnen, Frau Präsidentin, bedanke ich mich für die Überweisungsvorschlag: Großmut hinsichtlich der Überziehung. Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (Beifall bei der SPD) Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Vizepräsidentin Petra Bläss: Die galt in dieser De- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei- batte nun wirklich allen. Da war ich sehr neutral. nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich ver- künde aber jetzt schon, dass die Kolleginnen und Kolle- Ich schließe die Aussprache. gen Dirk Manzewski, Dr. Antje Vollmer1), Rainer Funke Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- und die Bundesministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin1) desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung ihre Reden zu Protokoll gegeben haben. der Insolvenzverordnung und anderer Gesetze auf Druck- Ich eröffne die Aussprache für die restlichen Rednerin- sache 14/5680. Der Rechtsausschuss empfiehlt unter nen und Redner und erteile zunächst dem Kollegen Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Dr. Norbert Röttgen das Wort. (B) che 14/6468 die Annahme des Gesetzentwurfs in der Aus- (D) schussfassung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent- wurf in der Ausschussfassung mit der vom Bericht- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! erstatter vorgetragenen Korrektur zustimmen wollen, um Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU- das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Fraktion hat sich in dem letzten halben Jahr, in den ver- gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung gangenen Monaten intensiv mit dem Urheberrecht und bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und der PDS an- der Reform des Urhebervertragsrechts beschäftigt. Wir genommen. haben das getan, weil das Urheberrecht eine entschei- dende Rahmenbedingung für das kulturelle Leben in un- Wir kommen zur serem Land bildet, für seine Vielfalt, für die Chancen, für dritten Beratung die Entfaltungsmöglichkeiten, die Künstler in unserem Land haben, für seine internationale Ausstrahlung, aber und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem auch für die Chancen der Kulturwirtschaft in Deutsch- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer land. stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit bei Enthaltung der Fraktionen der F.D.P. und der (Beifall bei der CDU/CSU) PDS angenommen. Auch die Bundesregierung und die Bundesjustizminis- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktio- terin weisen diesem Vorhaben einen hohen Stellenwert zu. nen der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen auf Darum bitte ich Sie, es mir nicht übel zu nehmen, wenn ich Drucksache 14/6473. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- mein Unverständnis darüber äußere, dass die Bundesju- gegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist stizministerin dieses Projekt in der Öffentlichkeit propa- gegen die Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der giert, hier im Plenum des Deutschen Bundestages aber we- F.D.P. angenommen. der die Bundesregierung noch die Bundesjustizministerin noch der Parlamentarische Staatssekretär noch ein Abge- Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzentwurf ordneter oder eine Abgeordnete der Koalition zu diesem der Fraktion der PDS zur Änderung der Insolvenzordnung Projekt das Wort ergreift, meine Damen und Herren. auf Drucksache 14/2496. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- (Zuruf von der SPD: Das ist eine richtige che 14/6468, den Gesetzentwurf abzulehnen. Ich bitte Sauerei, was Sie hier machen!) diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- 1) Anlage 6 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17687

Dr. Norbert Röttgen (A) Ich finde es einen unmöglichen Stil, in der Öffentlichkeit – Herr Kollege Bachmaier, wenn Sie dieses Stilempfinden (C) wichtige Projekte zu propagieren und jetzt im Bundes- nicht teilen, sagt das mehr über Sie als über mich aus. tag – auch wenn es spät ist, verehrte Kolleginnen und Kol- Die Fraktion der CDU/CSU ist der Auffassung, dass es legen von den Koalitionsfraktionen und auch von den an- im Bereich des Urheberrechts einen punktuellen Hand- deren Fraktionen – nicht mehr Stellung zu beziehen. lungsbedarf gibt: dass es Einzelbereiche gibt, bei denen Unsere Fraktion hat nicht dafür plädiert, dass wir die- wir durch die Verbesserung der Rechtsstellung die wirt- ses wichtige Projekt noch in letzter Minute in dieser vor- schaftliche Situation von Künstlern verbessern müssen. letzten Sitzungswoche platzieren. Wir sind nicht dafür Aber es gibt eben nur punktuellen Handlungsbedarf. Der und halten es dem Stellenwert dieses Themas nicht für an- grundlegende Strickfehler Ihres Gesetzentwurfs liegt gemessen, dass wir es um halb zehn in einer halbstündi- darin, dass Sie diesem punktuellen Handlungsbedarf nicht gen Debatte mehr oder weniger abhaken. Das entspricht mit punktuellen Regelungen entsprechen, sondern dass auch nicht dem Stellenwert, den Sie diesem Thema öf- Sie alles reglementieren wollen, jedenfalls mehr, als re- fentlich einräumen. guliert werden muss. Das führt zwangsläufig dazu, dass Ich komme gerade von einer Veranstaltung des Börsen- Sie mit diesem Gesetzentwurf viel mehr Probleme schaf- vereins des Deutschen Buchhandels. Wir erkennen in die- fen – selbst dort, wo es noch gar keine gibt –, als Sie über- sem Thema leider auch ein Muster rot-grüner Rechtspoli- haupt lösen können. tik. Wie bei der Schuldrechtsreform, die bei dem größten Der rote Faden, der sich durch diesen Gesetzentwurf Teil der Rechtswissenschaft wie der Wirtschaft auf große zieht, ist die konsequente Beschneidung der Vertrags- Ablehnung stößt, wie bei der Ziviljustizreform, die auf er- freiheit als Ausdruck privater und gesellschaftlicher Le- bitterten Widerstand der Richterschaft, der Anwaltschaft bensgestaltung. Es ist ein freiheitsfeindlicher Gesetzent- gestoßen ist, die am Ende auch erfolgreich Widerstand ge- wurf; Sie setzen auf staatliche oder kollektive Regle- leistet hat, findet auch dieses Vorhaben absolut geschlos- mentierung von Vertragsverhältnissen. Das ist verfas- senen Widerstand bei der betroffenen Kulturwirtschaft. sungsrechtlich hoch problematisch. Die Instrumente sind Die Verlage – ob es Zeitungsverlage sind, Zeitschrif- altmodisch. Für die Vielzahl der kleinen und mittleren Be- tenverlage, Buchverlage, Musikverlage –, Filmwirtschaft, triebe, die die deutsche Kulturwirtschaft prägen, ist es Fernsehen: Alle sind geschlossen gegen dieses Projekt, wirtschaftlich existenzbedrohend und es ist international meine Damen und Herren. Und Sie – ich begrüße Ihre jetzt nicht wettbewerbsfähig. laufenden Konsultationen – halten es nicht für nötig, hier Ich komme zu einigen wenigen Einzelbestimmungen, im Bundestag dieses Projekt, das die betroffene Wirtschaft die im Zentrum der Kritik stehen. An erster Stelle ist der mit Empörung ablehnt, zu verteidigen. Diesen Stil emp- vorgeschlagene § 32 des Urheberrechtsgesetzes zu nen- finde ich als nicht in Ordnung. Das ist der Grund, warum (B) nen, der gesetzliche Anspruch auf angemessene Vergü- (D) ich hier das Wort ergreife, meine Damen und Herren. tung. Das ist staatliche Preisfestsetzung: Nicht der Markt, (Beifall bei der CDU/CSU) nicht Angebot und Nachfrage sollen entscheiden, es soll Bevor ich zur Sachkritik im Einzelnen komme, betone auch nicht nur eine Preisaufsicht, eine Missbrauchskon- ich, dass die CDU/CSU-Fraktion selbstverständlich auch trolle geben, sondern Gerichte sollen den Preis festsetzen. in dieser rechtspolitischen Frage zur konstruktiven Mit- Das ist unserer Auffassung nach ordnungspolitisch ver- arbeit bereit ist und diese anbietet. Ich sehe den Sinn die- fehlt und beruht auf einer Fiktion: Was ist denn der ange- ser Debatte am heutigen – etwas späteren – Abend im We- messene Preis für ein Drehbuch, für einen Beitrag in einer sentlichen in der Bitte, uns mitzuteilen, ob dieses Angebot Zeitung? Wie soll das Gericht das erkennen und diesen von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen Preis festsetzen, wenn es sich um einen kleinen Verlag angenommen wird. Sind Sie zu einem konstruktiven Dia- handelt, der in zehn junge, noch unbekannte Autoren in- log mit uns und den Beteiligten in dieser Sache bereit, um vestiert, von denen neun keinen Erfolg haben, während am Ende zu einem gemeinsamen Vorschlag zu kommen? der zehnte erfolgreich ist? Also muss doch aus den Ge- Wenn Sie unser Angebot annehmen, dann können wir winnen dieses zehnten Autors die Investition in die neun nicht hopplahopp nach der Sommerpause zur zweiten und anderen Autoren, denen eine Chance gegeben wurde, be- dritten Lesung kommen und dieses Gesetz verabschieden, zahlt werden. Diese Mischkalkulation muss ein Verlags- sondern dann müssen wir miteinander intensiv beraten. unternehmen anstellen können. Ich komme zum Gesetzentwurf. Wie sollen Gerichte also den angemessenen Preis fest- legen? (Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär: Das wird auch Zeit!) Die gesetzliche Festlegung eines Anspruchs auf ange- messene Vergütung führt zu einer existenzbedrohenden – Die Bemerkungen zuvor waren angemessen. Im Übri- Rechtsunsicherheit. Das ist ein Damoklesschwert, das gen bitte ich Sie, wenn Sie zu meinen Ausführungen Stel- über jedem Vertrag schwebt. Es sollen sogar rückwirkend, lung nehmen wollen, sich auf die Abgeordnetenbank zu bis zu 20 Jahre vor In-Kraft-Treten des jetzt vorliegenden begeben. Auch das ist eine Stilfrage, wie sich die Mitglie- Gesetzes, Verträge erfasst werden. Damit besteht auch der der Bundesregierung gegenüber dem Parlament be- Rechtsunsicherheit für jeden Werknutzer, also für jeden nehmen. Lizenznehmer. Sie bringen eine totale Rechtsunsicherheit (Hermann Bachmaier [SPD]: Sagt der Zere- in die gesamte Kulturbranche, insbesondere in die Ver- monienmeister Röttgen!) lagsbranche, hinein, die gerade für kleinere und mittlere 17688 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Dr. Norbert Röttgen (A) Betriebe existenzbedrohend sein kann, weil sie ihre kal- Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): – ich komme zum (C) kulatorische Basis für Investitionen verlieren. Schluss –, ist nicht nur zum Schaden der Kulturwirtschaft sowie der kleinen und mittleren Verlage, sondern auch der (Beifall bei der CDU/CSU) Urheber. Ich möchte zuletzt den Börsenverein des Deut- Sie wollen in § 32 Abs. 5 des Urheberrechtsgesetzes schen Buchhandels zitieren: beiden vertragsschließenden Seiten das Recht einräumen, Auch den Urhebern ist nicht damit gedient, wenn die nach mehr als 30 Jahren zu kündigen. Die Verleger der Entwertung geschlossener Verträge bewerkstelligt Musikbranche, insbesondere diejenigen, die ernste Musik wird. Der vorliegende Entwurf verbessert die Situ- verlegen, sagen, dass ihre Investitionszyklen 30 bis ation der Urheber nicht, sondern er gefährdet sie 60 Jahre umfassen; denn so lange kann es dauern, bis ein durch die von ihm ausgelöste rechtliche und wirt- Stück der ernsten Musik erfolgreich ist. Aber Sie haben schaftliche Erosion der Arbeitsbasis der Verlage. vorgeschlagen, dass der Urheber schon nach 30 Jahren Seine Umsetzung würde gravierende negative Fol- kündigen kann. Das wird dazu führen, dass kleinere Ver- gen für den Medienstandort Deutschland haben. lage investieren, dass aber dann, wenn sich ein Erfolg Das ist die Dimension, um die es geht. nach 30 oder 40 Jahren einstellt, große Verlage die erfolg- reichen Produkte kaufen werden und die kleinen Verlage Wir appellieren an Sie, zu einem konstruktiven Dialog auf ihren nicht erfolgreichen Investitionen sitzen bleiben in dieser Sache zurückzukehren, damit ein vernünftiger werden. Das, was Sie betreiben, ist mittelstandsfeindlich. Gesetzentwurf zustande kommt. Das wird von den kleinen Verlagen ganz nüchtern auch so Herzlichen Dank. vorgetragen. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Die in § 39 Abs. 3 vorgesehene Gestattungsbedürftig- Vizepräsidentin Petra Bläss: Liebe Kolleginnen keit jeder Änderung und die Widerruflichkeit von Ände- und Kollegen, in der Zwischenzeit haben sich alle Kolle- rungen bringen Rechtsunsicherheit mit sich, die insbe- ginnen und Kollegen, die ursprünglich ihre Reden zu Pro- sondere für die Filmwirtschaft, aber auch für die Verlage tokoll gegeben hatten, entschieden, von ihrem parlamen- sehr problematisch ist. Ein Film zum Beispiel setzt sich tarischen Rederecht Gebrauch zu machen. aus vielen Werken zusammen. Wenn jede Änderung ge- Ich erteile zunächst das Wort zu einer Kurzintervention stattungsbedürftig und widerruflich ist, dann können der Kollegin Steffi Lemke. Filme praktisch gar nicht mehr hergestellt werden. (B) Ich möchte auf einen letzten sehr problematischen Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr (D) Punkt eingehen, nämlich § 36, der verbindliche Vergü- Kollege Röttgen, Sie haben intensiv darauf Bezug ge- tungsregeln vorsieht. Das sind kollektivistische Rege- nommen, dass sich einige Redner entschlossen haben, lungen. Das ist schon im Ansatz falsch, weil allgemeine, ihre Reden zu Protokoll zu geben. abstrakte Regelungen der die deutsche Kulturlandschaft Erstens. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die De- prägenden Vielfalt nicht gerecht werden können. Eine battenzeiten an den Freitagen und auch an den Donners- kollektive Regelung ist das falsche Instrument, weil sie tagen zurzeit in der Regel sehr lang sind und dass heute nicht einzelfallgerecht sein kann. Besonders abstrus ist, – außer den von Ihnen genannten – noch andere wichtige dass die Verbände der Verwerter nicht gezwungen sind, Punkte auf der Tagesordnung stehen, zu denen ebenfalls Vergütungsregeln miteinander zu vereinbaren, zugleich Reden zu Protokoll gegeben werden. Es besteht unter den aber die Verbände der Urheber einzelne Unternehmen zur Fraktionen – auch mit der Ihren – die Vereinbarung, die- Annahme solcher Vergütungsregeln zwingen können. ses parlamentarische Verfahren anzuwenden. Dieses Wenn die Unternehmen dazu nicht bereit sind, muss eine Verfahren ist also üblich und nichts Außergewöhnliches. Schiedsstelle, also wieder eine staatliche Einrichtung, Es sagt nichts darüber aus, ob eine Debattenrednerin, ein entscheiden. Sollte keine Einigung möglich sein, dann Debattenredner oder eine Fraktion ein Thema hoch geht der Fall an die Oberlandesgerichte. Die von Ihnen schätzt oder nicht. vorgeschlagene kollektive Reglementierung endet also in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gerichtlicher Festsetzung von vertraglichen Inhalten, die bei der SPD und der F.D.P. – Jörg van Essen eigentlich individuell geregelt werden müssten. Das kann [F.D.P.]: Völlig unsolidarisch! Unglaublich!) nur schief gehen. Zweitens. Ich möchte Ihnen sagen, dass ich Sie im Ple- (Alfred Hartenbach [SPD]: Sie haben das nicht num nicht sehr oft sehe; das gilt insbesondere für die verstanden!) Abendstunden. Ich finde deshalb, dass es gegenüber den Kollegen absolut unkollegial ist, wie Sie Ihren Debatten- Eine solche Regelung ist auch verfassungsrechtlich sehr beitrag strukturiert haben. problematisch. Drittens. Wenn Sie sich damit nicht so lange aufgehal- Das, was Sie vorhaben – ten hätten, dann hätten Sie Ihre Redezeit vielleicht einge- halten und nicht überzogen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Röttgen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie müssen bitte zum Schluss kommen. bei der SPD und der F.D.P.) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17689

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Röttgen, Aufgrund Ihrer Philippika müsste man eigentlich den (C) Sie haben das Wort zur Erwiderung. Eindruck haben, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf überhaupt nichts anfangen können. Es stellt sich daher die (Karl Diller, Parl. Staatssekretär: Jetzt kommt eine Entschuldigung! – Gegenruf des Abg. Frage, ob Sie Ihr Angebot, mit der Bundesregierung und Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Regie- mit den Koalitionsfraktionen über dieses Projekt zu reden, rung hat den Mund zu halten!) überhaupt ernst gemeint haben. Es wäre in der Tat wich- tig, dass sich alle Fraktionen mit diesem Thema beschäf- tigen. Herr Röttgen, es genügt nicht, in Sonntagsreden Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Frau Präsidentin! von der Bedeutung der Kreativen in diesem Land zu spre- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die CDU/ chen, ohne dass man bereit ist, ihnen eine angemessene CSU-Fraktion hat nicht darauf gedrängt, dass dieses Thema Vergütung zuzubilligen. noch in der vorletzten Sitzungswoche vor der Sommerpau- se debattiert wird. Auch halte ich dieses Thema nicht für das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wichtigste, das es auf der politischen Agenda gibt. DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Der Vorlauf sieht aus meiner Sicht folgendermaßen aus: Die Bundesregierung will ein – nach ihrer eigenen Mit diesem Entwurf geschieht nichts anderes, als dass Einschätzung – wichtiges Thema unbedingt noch in das zum ersten Mal festgehalten wird, dass Urheberinnen und parlamentarische Verfahren einbringen und die Koali- Urheber einen Anspruch auf eine angemessene Vergü- tionsfraktionen haben deshalb den Gesetzentwurf der tung haben. Ich kann nichts finden, was die Angemessen- Bundesregierung unverändert übernommen, damit er heit irgendwie infrage stellt. Eine angemessene Vergütung noch im Plenum diskutiert werden kann. Wenn die Bun- ist doch das Minimum, was man für ein Werk fordern desregierung, um deren Vorhaben es sich schließlich han- kann. Sie wissen auch, dass mit diesem Gesetzentwurf delt, vor diesem Hintergrund nicht dazu bereit ist – ich nicht der Versuch unternommen wird, den Begriff der An- verweise darauf, dass nur der Parlamentarische Staats- gemessenheit zu definieren. Es ist nämlich das, was man sekretär, aber nicht die Bundesjustizministerin anwesend unter Angemessenheit versteht, je nach Branche und Si- ist –, dieses Vorhaben – zunächst hat man darauf gedrängt, tuation äußerst unterschiedlich. Deshalb haben wir die dass es behandelt wird – im Parlament mündlich zu ver- Flexibilität dieses Begriffs auch in diesem Gesetzentwurf treten, dann finde ich das enttäuschend. Wenn nicht nur durchweg gewahrt. kein Vertreter der Bundesregierung, sondern auch kein Vertreter der Koalitionsfraktionen dazu Stellung nimmt, Sie haben von kollektivistischen Vereinbarungen ge- dann finde ich das ebenfalls enttäuschend. sprochen. Es gibt solche Vereinbarungen bereits, zum Beispiel bei den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. (B) Das habe ich zum Ausdruck gebracht. Meine Erwar- Dort werden die ständigen freien Mitarbeiter durchaus in (D) tung ist, dass Sie, wenn Sie Wert auf eine parlamenta- die Tarifverträge einbezogen. Das kann ein Muster sein rische Debatte legen, diese auch führen. Das und nichts und die Vermutung erhärten, dass es sich um angemessene weiter war mein Petitum. Regeln handelt. Im Übrigen nimmt der Gesetzentwurf auf (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jörg die Besonderheiten, zum Beispiel der kleinen Verlage, van Essen [F.D.P.]: Auch wenn Reden zu Proto- durchaus Rücksicht. koll gegeben werden, ist das eine parlamenta- Herr Röttgen, es ist normal, dass in einem Bereich, in rische Beratung! – Zuruf von der SPD: Das war dem auch wirtschaftliche Interessen verfolgt werden, die arrogant und unkollegial!) Betroffenen gegebenenfalls Einbußen haben. Wieso soll es aber eine Einbuße sein, wenn jemand eine angemes- Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Bundesregie- sene Vergütung zu zahlen hat? Wo ist denn da prima facie rung erteile ich nun dem Parlamentarischen Staatssekre- ein Eingriff zum Beispiel in den Gewerbebetrieb? Ich tär Dr. Eckhart Pick das Wort. finde, hier wird eine Selbstverständlichkeit ausgedrückt, ohne dass sich der Staat anmaßt, etwa die Frage der Dr. Eckhart Pick, Parl. Staatssekretär bei der Bundes- Angemessenheit zu konkretisieren. ministerin der Justiz: Frau Präsidentin! Meine Damen und Ich möchte Ihnen, Herr Röttgen, noch etwas sagen. Es Herren! Herr Röttgen, ich finde es in der Tat ausgespro- ist doch blauäugig, zu glauben, dass wir hier auf beiden chen ungewöhnlich, sich ohne Kenntnis der Fakten über Seiten in jeder Situation strukturell gleichwertige Partner die Nichtanwesenheit der Bundesministerin der Justiz hätten. Denken Sie an den Verlag, dem ein Autor ein Ma- zu mokieren. Sie ist davon ausgegangen, dass die Reden nuskript anbietet. Insbesondere dann, wenn der Autor un- – auch die der Ministerin – zu Protokoll gegeben werden. bekannt ist, ist er doch völlig dem ausgeliefert, was dieser In einem solchen Fall ist es nicht üblich, dass der Verlag ihm anbietet. Wir wissen, wie schwierig es ist, ab- Parlamentarische Staatssekretär im Plenum spricht. Das gesehen vom Fall des selten vorkommenden Bestsellers erklärt, warum nur ich anwesend bin. Ihr Angriff geht ins – diese Vorschrift gibt es ja –, später zu einer angemes- Leere. Auch Ihre Kurzintervention hat die Angelegenheit senen Vergütung zu kommen, wenn sich die Publikation nicht besser gemacht. als Erfolg herausstellt. Hier besteht also eine – das kennen (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE wir auch sonst im bürgerlichen Leben – in vielen Be- GRÜNEN und der F.D.P. sowie des Abg. reichen gestörte Vertragsparität. Ich meine, dass dies Gustav-Adolf Schur [PDS]) der Gesetzgeber berücksichtigen muss. 17690 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Parl. Staatssekretär Dr. Eckhart Pick (A) Meine Damen und Herren, ich lade Sie alle, insbeson- und hier einmal von der üblichen Art des Durchpeitschens (C) dere die CDU/CSU-Fraktion, ein, sich an diesem wich- von Gesetzen Abstand zu nehmen. tigen Thema zu beteiligen. Wir werden noch genügend Wir sollten versuchen, eine sachgerechte Lösung zu Zeit haben, uns mit diesen Fragen zu beschäftigen. Wir finden. Die F.D.P. wird daran mitwirken, weil wir Urhe- haben übrigens bereits mit den Verbänden gesprochen. All berrechte eben auch als Eigentumsrechte empfinden. denjenigen, die das heute nicht mehr so ganz wahrhaben Diese Rechte der Urheber müssen natürlich geschützt wollen, sage ich: Die Ministerin hat sogar in Gegenwart werden. des Kanzlers mit den Verbänden gesprochen. Insofern sind die Verbände ausführlich und umfassend beteiligt Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. worden. Wir wollen eine flexible Regelung treffen, die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordneten alle Bereiche umfasst, den Urhebern aber genügend Raum der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ lässt, eigenverantwortlich entsprechende Regelungen zu DIE GRÜNEN) treffen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die SPD-Fraktion DIE GRÜNEN) spricht jetzt der Kollege Dirk Manzewski.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die F.D.P.-Frak- Dirk Manzewski (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- tion spricht jetzt der Kollege Rainer Funke. men und Herren! Kollege Röttgen, Sie haben mich am Anfang Ihrer Rede angegriffen. Das finde ich ziemlich Rainer Funke (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da- unkollegial. Wie Sie sehen, bin ich mit meinem Rede- men und Herren! Die Ministerin hat vor gut einem Jahr zu manuskript hier. Mir zumindest ist suggeriert worden, die dem so genannten Professorenentwurf Ja und Amen ge- Geschäftsführer hätten sich darauf geeinigt, dass wir die sagt. Sie hat gesagt: Wir können den Entwurf der Profes- Reden zu Protokoll geben. soren eigentlich wortgleich übernehmen und unterschrei- (Jörg van Essen [F.D.P.]: So ist es! Genauso war ben. Anschließend hat sie aber doch ein gutes Jahr es! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Nein, benötigt, um zu erkennen, dass das, was sie so gelobt das ist nicht wahr!) hatte, doch nicht das Gelbe vom Ei war. Daraufhin hat sie den Entwurf für die Novelle des Urhebervertragsrechts Es kann durchaus sein – das bleibt Ihnen völlig unbe- ins Kabinett eingebracht. Damit das Vorhaben etwas be- nommen –, dass Sie als Berichterstatter der Union sagen: schleunigt wird und es nicht so auffällt, dass man im Mi- Mit mir ist nicht gesprochen worden und ich rede. Damit (B) nisterium relativ lange benötigt hatte, um dieses Urheber- habe ich keine Probleme. Aber die anderen Kollegen, die (D) vertragsrecht zu gestalten, hat sie den Gesetzentwurf über sich auf diese Vereinbarung verlassen haben, hier öffent- die Fraktion eingebracht. Das ist ihr gutes Recht. Aber lich anzugreifen, ist eine Schweinerei. man sollte dann auch ganz offen sagen, dass es sich hier (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE um komplexe Materien handelt, die nicht ganz einfach GRÜNEN und der F.D.P. – Jörg van Essen sind. [F.D.P.]: So ist es!) Wir sind froh, dass die Ministerin mit dem vorlie- Wir beide, Herr Kollege, sind doch bislang immer ganz genden Gesetzentwurf dem Professorenentwurf die we- gut klar gekommen. Ich habe Sie ziemlich hoch geschätzt. sentlichen Giftzähne gezogen hat. Die F.D.P. ist als Partei des privaten Eigentums bekannt und freut sich natürlich, (Zuruf von der SPD: Das war eine Fehlein- dass auch die Interessenlagen der Urheber, deren Situ- schätzung! So schnell geht das!) ation nicht mit der Situation der Verlage vergleichbar ist Aber ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Was Sie heute und die nicht auf gleicher Augenhöhe verhandeln, ge- hier gebracht haben, hat mich ziemlich enttäuscht. Ei- schützt werden sollen. Über den Begriff der Ange- gentlich erwarte ich von Ihnen intern noch eine Entschul- messenheit der Vergütung, wie er in § 32 aufgeführt ist, digung. Ich hoffe, dass sie kommt. kann man aber in der Tat diskutieren. Warum nimmt man zum Beispiel nicht die Formulierung der üblichen Ver- (Jörg van Essen [F.D.P.]: Das sind wirklich gütung aus dem BGB? Darüber müssen wir diskutieren. Sachen, die nicht akzeptabel sind!) Wir müssen auch über § 36 diskutieren, über die Frage, Zur Sache: Meine Damen und Herren, es geht – und ob kollektivrechtliche Lösungen, wie Sie sie vorgeschla- das ist längst überfällig – um die Stärkung der vertragli- gen haben, das Gelbe vom Ei sind. Wir sollten dort eher chen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern. eine vertragliche Lösung vorsehen. Genauso haben wir Es handelt sich hierbei um ein seit langem gefordertes Ge- darüber nachzudenken, ob die Kündigungsfrist nach § 30 setzesvorhaben. Bereits bei der amtlichen Begründung richtig ist. des Urheberrechtsgesetzes im Jahre 1965 wurde auf die Notwendigkeit eines ergänzenden Urhebervertrags- Darüber müssen wir wirklich noch sehr intensiv mitei- gesetzes hingewiesen, und dies nicht ohne Grund. nander diskutieren. Wir müssen Anhörungen durch- führen. Ich möchte die Bundesregierung und die Koaliti- Das Schaffen der Kreativen ist sowohl für die Kultur onsfraktionen bitten, uns Gelegenheit zu geben, dieses selbst wie auch für die daraus resultierende Kulturwirt- Urhebervertragsrecht gründlich miteinander zu beraten, schaft in unserem Land unverzichtbar. Die Kulturwirt- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17691

Dirk Manzewski (A) schaft hat in den letzten Jahren – nicht nur aufgrund des Stärkung der Rechtsstellung der Urheber und ausübenden (C) digitalen Zeitalters – immer mehr Bedeutung erlangt. Ins- Künstler als regelmäßig schwächere Parteien soll vor al- besondere Medienunternehmen haben sich zu einem be- lem durch die Verankerung des gesetzlichen Anspruchs deutenden und zukunftsträchtigen Wirtschaftsfaktor ent- auf angemessene Vergütung und eben – das ist wichtig – wickelt. Ich halte es daher nur für recht und billig, liebe der Regelung gemeinsamer Vergütungsregeln erfolgen. Kolleginnen und Kollegen, wenn die Urheber entspre- chend ihrer Leistung auch an deren finanzieller Ver- Damit soll ein Ordnungsrahmen geschaffen werden wertung gerecht partizipieren. Nichts anderes will der Ge- – mehr nicht –, der es den Parteien erlaubt, eigenverant- setzentwurf. wortlich zu angemessenen Vereinbarungen zu kommen, wobei selbstverständlich insbesondere in Bezug auf die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Kleinverlage die unterschiedlichen Strukturen – da will Abg. Dr. Heinrich Fink [PDS]) ich Ihnen völlig Recht geben – berücksichtigt werden Urheber und ausübende Künstler sollen künftig ange- müssen. messen am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit beteiligt Wer solche Vergütungsregelungen vereinbart, erhöht werden. Leider ist dies in der Praxis, Kollege Röttgen, im Übrigen die eigene Rechtssicherheit. Die Belastungen heutzutage häufig noch nicht der Fall. Dies gilt vor allem dieser Unternehmen werden sich nämlich zukünftig nicht für den Bereich der Freiberufler. Freiberufler sind zwar rechtlich gesehen selbstständige Unternehmer, tatsächlich erhöhen. Da sich solche Regelungen zwischen Verbänden sind sie aber eher mit lohnabhängigen Arbeitnehmern von Autoren und Künstlern einerseits und den Verwertern vergleichbar. Das liegt vor allem daran, dass den Kreati- andererseits bewährt haben, dienen sie vielmehr der Be- ven bei Vertragsschluss immer stärker werdende Unter- stimmung der Angemessenheit als Vorbild. Das, Kollege nehmen der Kultur- und Medienwirtschaft gegenüber- Röttgen, ist das Entscheidende. Dadurch, dass wir dies so stehen. Von gleich starken Vertragspartnern, die Verträge festgelegt haben, dass wir also ganz klar sagen, dass das, noch aushandeln, wie wir es verstehen, kann da keine was momentan im Bereich der Tarifverträge gezahlt wird, Rede mehr sein. Ganz im Gegenteil: Die Unternehmen von uns als angemessen angesehen wird, haben die Ge- nutzen vielmehr oft die schlechte rechtliche Stellung der richte – ganz anders als Sie es hier dargelegt haben – Urheber aus, um Vergütungen und Kosten zu drücken. überhaupt keine Probleme, im Einzelfall eine gerechte Diese sind dann vielfach aus ihrer finanziellen Situation Entscheidung zu treffen. heraus geradezu gezwungen, sich und ihr Werk unter Wert Deshalb handelt es sich hier um einen relativ schlan- zu verkaufen. ken Gesetzentwurf, über den wir hier heute diskutieren, Dies geht in der Regel sogar so weit, meine Damen der den Parteien in einem vorgegebenen Rahmen Spiel- (B) und Herren, dass nicht nur das Werk an sich, sondern räume lässt. (D) auch dessen mehrstufige Vermarktung gleich mit übertragen wird. Das heißt, dem Roman im Original (Zuruf von der F.D.P.: Das stimmt ja nun folgt die Übersetzung, dann kommt die Auswertung als nicht!) Drehbuch. Der Kinoauswertung folgt die Fernsehaus- Mit minimalem gesetzgeberischen Einsatz, liebe Kolle- wertung, danach der Verkauf oder die Vermietung als Vi- ginnen und Kollegen, wird meiner Auffassung nach ein deo usw. Den Vermarktungsmöglichkeiten stehen heut- Höchstmaß an ausgleichender Wirkung und an Hand- zutage in unserer globalisierten Welt Tür und Tor offen. lungsspielraum zwischen Urheber und Verwerter erreicht. Viele profitieren davon. Die Urheber gehören leider nur Allein durch eine geringfügige Umgestaltung des so ge- selten dazu. nannten Bestsellerparagraphen und unverbindliche Ver- Natürlich gibt es auch Künstler – da gebe ich Ihnen bandsempfehlungen wäre dieses Bestreben dieses Ge- vollkommen Recht –, die aufgrund ihrer Stellung gut ver- setzentwurfes nicht zu erreichen gewesen. Hierdurch dienen und Bedingungen stellen können. Hierauf wird ließe sich nur in wenigen Fällen eine Korrektur vorneh- von Verwerterseite auch immer hingewiesen. Der Kreis men. Insbesondere dem so genannten Bestsellerparagra- dieser Branchenstars ist aber nur sehr klein. Es heißen phen fehlt es insoweit an Durchschlagskraft. Die große eben nicht alle Kreativen Grass oder Walser. Dabei finde Anzahl der in der alltäglichen Praxis vorkommenden ich es im Übrigen anerkennenswert, dass sich gerade viele Fälle von unangemessener Vergütung würde hiervon von denjenigen, denen es gut geht, für ihre Kolleginnen nicht erfasst. und Kollegen engagieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Handeln tut also Not. (Beifall bei der SPD) Mit der heutigen ersten Lesung des Gesetzentwurfes hier Ich will auch nicht verkennen, dass es Teilbereiche im Deutschen Bundestag ist der erste Schritt hierzu getan. gibt, in denen eine zufrieden stellende Vergütung gewährt In den folgenden Wochen nach der Sommerpause erwarte wird. Dies ist vor allem dort der Fall, wo zwischen den ich zu diesem Thema eine interessante Diskussion. Ich Vertragspartnern Tarifverträge bestehen oder Vergütun- würde mich freuen, wenn Sie das Gesetzesvorhaben kon- gen bezahlt werden, die auf so genannten urheberrecht- struktiv begleiten würden. lichen Normverträgen oder Vergütungsregelungen der Ich danke Ihnen. Verbände aufbauen. Für diese Fälle, Kollege Röttgen, wird der Gesetzentwurf überhaupt nichts Neues bringen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Genau hier setzt vielmehr die angedachte Reform an. Die DIE GRÜNEN) 17692 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Vizepräsidentin Petra Bläss: Zu einer Kurzinter- in einer prekären sozialen Situation. Besonderer Hand- (C) vention erteile ich dem Kollegen Eckart von Klaeden das lungsbedarf besteht in den neuen Bundesländern. Die Wort. PDS wird sich also schon aus Gründen der sozialen Ge- rechtigkeit für diesen Entwurf einsetzen. (Zurufe von der SPD: Oh nein! Muss das sein?) Dies ist aber nicht der alleinige Grund. Entscheidender ist wohl, dass damit Regularien geschaffen werden, die kreatives Schaffen befördern. Kreativität muss sich in die- Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Kollege Manzewski, ich will der guten Ordnung halber nur darauf sem Lande wieder lohnen. Der Legende, dass Armut krea- hinweisen, dass sowohl Ihre Fraktion als auch die ande- tiv macht, wird hier wohl keiner aufsitzen. Insofern han- ren Fraktionen zu keinem Zeitpunkt Anlass hatten, anzu- delt es sich nicht primär um eine Sozialmaßnahme, nehmen, dass der Kollege Röttgen nicht reden würde. sondern um eine wesentliche kulturelle Frage. Ich teile die geäußerten Befürchtungen jener nicht, welche die kultu- (Hans-Peter Kemper [SPD]: Es ist wohl Mist relle Vielfalt und den Kulturwirtschaftsstandort gemacht worden!) Deutschland bedroht sehen. Ich denke vielmehr, dass – Nein, es ist kein Mist gemacht worden, sondern die Ge- dieses Gesetz auch zur Stärkung der Kulturwirtschaft im schäftsführer der Union haben gegenüber dem Präsi- internationalen Wettbewerb beitragen kann. dium – das ist dieser Kopie ja auch zu entnehmen – im- In einzelnen Punkten halten wir Nachbesserungen mer wieder festgestellt, dass der Kollege Röttgen reden durchaus für notwendig. In der Kürze der Zeit kann ich wird. Ich möchte das nur der guten Ordnung halber hier hier nur einen Kritikpunkt nennen: Im Entwurf ist eine gesagt haben, damit nicht der Eindruck entsteht, wir hät- Befristung der Rückwirkung vorgesehen. Die Frist von ten die anderen Kollegen getäuscht. 20 Jahren vor In-Kraft-Treten des Gesetzes erscheint uns willkürlich gewählt und sachlich nicht gerechtfertigt. Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner dieser (Beifall bei der PDS) Debatte ist der Kollege Dr. Heinrich Fink für die PDS- Fraktion. Im Filmbereich, im Fotojournalismus, im Rundfunk, vor allem aber im Fernsehen finden in großem Umfang (Hermann Bachmaier [SPD]: Kein bisschen Nutzungen von Werken statt, deren vertragliche Grund- Führungsqualitäten bei euch!) lagen vor mehr als 20 Jahren gelegt wurden. Wir plä- dieren deshalb dafür, diesen Passus aus dem Gesetz zu Dr. Heinrich Fink (PDS): Sehr verehrte Frau Präsi- streichen. (B) dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Nach jahr- Dennoch: Unsere Bewertung ist grundsätzlich positiv. (D) zehntelanger Debatte um die Reform des Urheberver- Es ist zwar nicht die so genannte große Lösung im Urhe- tragsrechtes liegt nun endlich ein Gesetzentwurf vor. Das berrecht, aber ein wichtiger Reformschritt zugunsten der Reformwerk war lange überfällig. Den Entwurf halte ich Kreativen. Sicherlich sollte man noch darüber reden; aber in den Grundzügen für gelungen. Er sollte nach den not- es muss gerade im Urhebervertragsrecht endlich zu einer wendigen Beratungen so bald wie möglich verabschiedet Lösung kommen. werden. (Beifall bei der PDS) Ziel der Neuregelung ist, die Rechte der Kreativen zu stärken. Insbesondere der nunmehr festgelegte gesetz- liche Anspruch auf angemessene Vergütung und die Er- Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- stellung gemeinsamer Vergütungsregeln sind geeignete sprache. Wege, diese Zielstellung auch zu erreichen. Dass die Be- Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- teiligten in einem konsensorientierten Verfahren selbst wurfs auf Drucksache 14/6433 an die in der Tagesordnung darüber bestimmen können, was in ihrer Branche jeweils aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe keinen angemessen ist, halte ich für sinnvoll. Damit kann den Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Unterschieden in der Größe und Art der Unternehmen und der Verlage Rechnung getragen werden. Die Vorschläge Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: können zu mehr Transparenz und Rechtssicherheit für alle Beteiligten beitragen. Sie helfen, gerechtere Verwer- Erste Beratung des von Bundesregierung einge- tungsbedingungen im Interesse der Urheber, der in der brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- Regel schwächeren Partner, durchzusetzen. Erstmals rung der Besoldungsstruktur (Besoldungsstruk- eröffnet sich die Möglichkeit, dass alle Urheber, also auch turgesetz – BesStruktG) die Freischaffenden und die ausübenden Künstler, in den – Drucksache 14/6390 – Genuss schützender und auf Ausgleich bedachter Rege- Überweisungsvorschlag: lungen kommen. Innenausschuss (f) Die Umsetzung dieses Gesetzentwurfes bietet eine Verteidigungsausschuss Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Möglichkeit, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Kreativen zu verbessern. Fazit der Anhörung unserer Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Fraktion im Dezember vergangenen Jahres zur Situation Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre kei- der freiberuflich Tätigen ist: Die Mehrzahl befindet sich nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17693

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Der Kollege Max Stadler, F.D.P., hat seine Rede zu rerseits. Es entspricht nach unserer Auffassung dem Leit- (C) Protokoll gegeben.1) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bild des aktivierenden Staates, dass diejenigen, die Perso- hoffe, dass die vorherige Aussprache diesbezüglich eine nalverantwortung tragen – übrigens auch die Gemeinden Ausnahme war, wir respektieren, dass ein solches Instru- und die Gemeindeverbände –, nicht unnötig durch bun- ment hier im Parlament, insbesondere zu später Stunde, des- oder auch landeseinheitliche Vorschriften gegängelt genutzt wird, und es keinerlei Diffamierungen der ent- werden. Es gilt vielmehr, eine individuell richtige und sprechenden Kolleginnen und Kollegen gibt. leistungsorientierte Bewertung auch im Interesse der Mit- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ arbeiterinnen und Mitarbeiter möglich zu machen. Dies DIE GRÜNEN) haben auch die kommunalen Spitzenverbände im Vorfeld der parlamentarischen Beratung zu Recht deutlich ge- Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung macht. spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Fritz Rudolf Körper. Ich bedaure es, dass der Bundesrat zu dieser zentralen Regelung des Entwurfs mit knapper Mehrheit ablehnend Stellung genommen hat. Hinter der ablehnenden Haltung Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär beim Bun- des Bundesrates verbirgt sich offensichtlich die Furcht desminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine Damen vor einem Wettlauf unter den einzelnen Dienstherren um und Herren! Dieser Gesetzentwurf ist eines der Leitpro- die besten Bewerber. Ich meine, dass wir dies noch ein- jekte dieser Bundesregierung zum Thema „Moderner mal aufgreifen müssen. Ich meinerseits teile diese Furcht Staat – Moderne Verwaltung“. Es ist ein wichtiges Geset- nicht. Die vorhandenen Ressourcen, also die für die zesvorhaben, das wir in dieser Legislaturperiode auf den Besoldung der Beamtinnen und Beamten vorhandenen Weg bringen. Der Staat muss sich ebenso wie die Wirt- Haushaltsmittel und Planstellen, werden nämlich durch schaft wettbewerbsfähig machen und einen entsprechen- das Besoldungsstrukturgesetz überhaupt nicht angetastet. den Beitrag leisten. Dazu ist es notwendig, die Verwal- Der Kuchen wird weder größer noch kleiner. Durch das tung zu modernisieren. Dazu gehört auch die Gestaltung Instrumentarium des Besoldungsstrukturgesetzes erhal- der Bezahlungssysteme und deren leistungsorientierte ten die Dienstherren jedoch die Möglichkeit an die Hand, Ausrichtung; denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die vorhandenen Mittel sinnvoller und gerechter zu ver- des öffentlichen Dienstes sind die wichtigste Ressource teilen. zur Erfüllung staatlicher Aufgaben. Ohne die Förderung Ein weiteres Anliegen dieses Gesetzentwurfs ist die der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitar- Modernisierung des Familienzuschlags. Zwingender ge- beiter kann eine wirklich zukunftsfähige Reform der öf- setzgeberischer Handlungsbedarf besteht bei den kinder- fentlichen Verwaltung nicht gelingen. (B) bezogenen Anteilen für die dritten und weiteren Kinder (D) Bereits 1997 gab es im Zuge des Dienstrechtsreform- von Beamtinnen und Beamten. Es ist erforderlich – das gesetzes eine vorsichtige Lockerung der bis dahin starren will ich mit Nachdruck sagen –, die Entscheidung des Besoldungsstrukturen. Wir hatten Leistungsstufen und Bundesverfassungsgerichts vom November 1998 nun- Leistungszulagen eingeführt, und ich sage ausdrücklich, mehr dauerhaft umzusetzen. Die Erhöhungsbeträge neh- auch wir in der Opposition haben dies damals mitgetra- men damit zukünftig auch an allen Dynamisierungen der gen. Mit dem vorliegenden Entwurf will die Bundesre- Besoldung teil. Hierüber besteht zwischen Bund und Län- gierung diese Leistungsausrichtung der Bezahlung im öf- dern Einvernehmen. fentlichen Dienst fortsetzen. Deswegen enthält dieser Die Bundesregierung ist jedoch der Auffassung, dass Entwurf ein Bündel von Regelungen zur Flexibilisierung die Regelungen zum Familienzuschlag vor dem Hinter- des Besoldungsrechts. grund veränderter gesellschaftlicher Verhältnisse insge- Ich möchte mich jetzt auf zwei Elemente des Gesetz- samt auf den Prüfstand gehören. Dies gilt insbesondere entwurfs konzentrieren, nämlich die Einführung von Be- für den so genannten Verheiratetenzuschlag, den bisher zahlungsbandbreiten im gehobenen und höheren Dienst alle verheirateten Beamten, Richter und Soldaten erhal- sowie die Regelungen zur Modernisierung des Familien- ten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass Sie, Herr Belle, zuschlags. 1997 in der Union dazu auch Vorschläge gemacht haben, die Sie aber offensichtlich innerhalb Ihrer Koalition nicht Es ist vorgesehen, Bezahlungsbandbreiten über drei durchsetzen konnten. Die Frage ist erlaubt, welchen Sinn Besoldungsgruppen im Eingangsamt und im ersten es machen soll, diese Förderung in einem besonderen Be- Beförderungsamt des gehobenen und höheren Dienstes zahlungssystem vorzunehmen, das nur eine bestimmte einzuführen. Dies bedeutet eine vorsichtige Öffnung der gesellschaftliche Gruppe begünstigt. Die Förderung von Einstiegsebenen dieser Laufbahngruppen für variable Ehe und vor allem von Familien mit Kindern ist vielmehr Bewertungen und Einstufungen. Künftig soll die Ein- eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Mit der Steuer- gangsbezahlung nach Aufgabe und nach Anforderung dif- reform 2000 haben wir das größte Steuersenkungspro- ferenziert werden können. Damit schaffen diese Bezah- gramm der deutschen Nachkriegsgeschichte umgesetzt lungsbandbreiten Gestaltungsspielräume für individuelle und, wie ich meine, insbesondere auch Familien mit Kin- Leistungsprofile einerseits und die Berücksichtigung all- dern ganz entscheidend geholfen. gemeiner arbeitsmarktpolitischer Gesichtspunkte ande- Der Antrag Sachsens im Bundesrat – alles kann beim Alten bleiben – vertritt keine Haltung und weist auch 1) Anlage 4 nicht in die Zukunft; denn wir müssen wissen, dass dann 17694 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Parl. Staatssekretär Fritz Rudolf Körper (A) die Erhöhungsbeträge für das dritte Kind und weitere Kin- spruch nehmen – noch auf einige bedeutsame inhaltliche (C) der in Höhe von fast 300 Millionen DM jährlich ohne Ge- Einzelheiten eingehen. genfinanzierung blieben. Im Klartext bedeutet dies: Auf Zur beabsichtigten Einführung von Bandbreiten im die öffentlichen Haushalte vor allem in den Ländern kä- höheren und gehobenen Dienst sollen die Eingangsämter men erhebliche Zusatzkosten zu. um je eine Stufe nach oben und nach unten gespreizt wer- Ich möchte aber deutlich machen, dass die Bundesre- den. Kriterien für diese Bandbreiteneinstufung sollen gierung gern bereit ist, noch während des Gesetzge- Funktionsanforderung, fachliche Qualifikation, aber auch bungsverfahrens konkrete Festlegungen zur Verwendung – jetzt kommt es – die Haushaltslage sein, Herr Staatsse- dieser Mittel im Besoldungssystem vorzulegen. Deswe- kretär. Das haben Sie vorhin nicht erwähnt. Wir wissen gen beraten wir, und ich denke, dass wir in dieser Hinsicht aber, dass die Haushaltslage überall bei Bund und Län- eine gute Entscheidung finden können. dern ziemlich klamm ist. Dies wird sich also nach unserer Meinung fast ausschließlich als reine Sparmaßnahme aus- Schönen Dank. wirken, die von uns so nicht mitgetragen werden kann. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Außerdem ist die Zersplitterung des Besoldungsrechts DIE GRÜNEN) zu befürchten; der Wechsel von Beamten zwischen reichen und armen Bundesländern wird erschwert. Eine Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Kol- derartige Regelung ist natürlich auch politisch miss- lege Meinrad Belle für die CDU/CSU-Fraktion. brauchsanfällig; die Patronage politisch genehmer Beam- ter ist nicht ausgeschlossen. Die Einheitlichkeit der Be- soldung im Bundesgebiet und auch innerhalb einzelner Meinrad Belle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Länder ist damit nicht mehr gewährleistet. Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und liebe Kol- legen! Ich habe mir eigentlich vorgenommen, nach Übrigens ist die Bundesregierung in ihrer Gegenäuße- 21 Uhr nicht mehr im Plenum des Bundestages zu reden, rung auf die insoweit vorgebrachten verfassungsrechtli- weil zu dieser Zeit die Aufmerksamkeit doch generell sehr chen Bedenken des Bundesrates nicht eingegangen. zu wünschen übrig lässt. Darum haben wir als Besol- Zur Streichung des Verheiratetenzuschlages. Künftig dungs- und Dienstrechtspolitiker in den letzten beiden sollen verheiratete Beamte keinen Familienzuschlag mehr Runden zum Dienstrecht und zum Besoldungsrecht un- erhalten. An heute bereits Verheiratete wird er „eingefro- sere Reden alle zu Protokoll gegeben. Aber, meine Damen ren“ weitergezahlt. und Herren, als Opposition kann man und darf man die- Meine Damen und Herren, da ist mir heute zufällig eine sen Gesetzentwurf auch nach 21 Uhr in erster Lesung Presseerklärung, ein Zitat auf den Tisch geflattert, in dem nicht unkommentiert durchgehen lassen, Herr Staatsse- (B) es so schön heißt – wenn ich das einmal zitieren darf –: (D) kretär Körper. Wer den Verheiratetenzuschlag streicht, um den (Beifall bei der CDU/CSU) Kinderzuschlag aufzustocken, nimmt den Beamten- „Mit dem Kopf durch die Wand!“ An diese Redewen- familien aus der linken Tasche, was er in die rechte dung musste ich unwillkürlich denken, als ich das erste Tasche steckt. Mal diesen Gesetzentwurf nebst Stellungnahme des Bun- Zitat eines DGB-Vorstandsmitglieds – hier in Berlin heute desrates und Gegenäußerung der Bundesregierung über- am Donnerstag veröffentlicht. Dem ist eigentlich nichts flogen hatte. Da werden die wesentlichen Bestimmungen mehr hinzuzufügen. dieses Entwurfs von einer nicht zu knappen Mehrheit der Bundesländer – gleichgültig, ob SPD- oder CDU- bzw. (Beifall bei der CDU/CSU) CSU-geführt – generell abgelehnt. Auch dieser Vorschlag wird daher von uns abgelehnt. (Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär: Es Die Streichung ist sozial unausgewogen und kleine war knapp!) Beamte werden relativ stark belastet. Diese Streichung ist aber auch deshalb unvertretbar, weil – das ist das Zum Teil werden verfassungsrechtliche Bedenken erho- Entscheidende – im Tarifbereich weiterhin ein solcher Zu- ben. Aber dieses Gesetz bedarf – wie Sie sehr wohl wis- schlag gezahlt wird. Das war auch der Grund, Herr Staats- sen – der Zustimmung des Bundesrates. Trotzdem wird sekretär, warum wir damals die Sache nicht weiterverfolgt dieser Gesetzentwurf eingebracht und soll heute in erster haben. Aber auch hier ist die Bundesregierung in ihrer Ge- Lesung beraten werden. Da frage ich mich: Was soll das? genäußerung nicht auf die verfassungsrechtlichen Beden- Am Rande sei noch vermerkt, dass der Entwurf natür- ken des Bundesrats eingegangen. lich auch vom Beamtenbund und von den Beamtenge- Des Weiteren wird eine Zulage für Wahrnehmungen werkschaften des DGB in den wichtigsten Bestimmungen befristeter Funktionen vorgesehen. Die oberste Dienst- abgelehnt wird. Unter diesen Umständen und bei dieser behörde soll also entscheiden können, dass für herausge- Ausgangslage können wir als CDU/CSU-Fraktion diesem hobene Funktionen eine Zulage gezahlt werden kann. Wir Gesetzentwurf nicht zustimmen; denn ohne die Zustim- lehnen diese neue Zulage ab, weil Zulagen abgebaut und mung des Bundesrates fehlt es an einer wesentlichen nicht neu eingeführt werden sollten – wie wir es im Übri- Grundvoraussetzung. gen auch im Dienstrechtsreformgesetz in der vorherigen Legislaturperiode realisiert haben –, Ich will aber ganz kurz – ich werde meine Redezeit heute Abend sicherlich nicht in vollem Umfange in An- (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17695

Meinrad Belle (A) weil bereits jetzt nach § 46 Zulagen für die Wahrnehmung Dienstherren zufallen. Regional-, berufsgruppen-, aufga- (C) eines höherwertigen Amtes gezahlt werden können, weil ben- oder dienstherrenspezifische Differenzierungen sol- das Budgetrecht des Parlaments zugunsten der personal- len damit zukünftig möglich sein. verwaltenden Stellen unterhöhlt wird und weil diese Zu- Meine Damen und Herren, diese Art der flexiblen Be- lage bereits heute als „Pressesprecherzulage“ betitelt soldung beinhaltet auch eine Öffnung nach oben. Die wird, weil sie zwangsläufig missbraucht werden kann. Dienstherren können ihren Mitarbeitern und Mitarbeite- Meine Damen und Herren, wie mit diesem Gesetz den rinnen Perspektiven bieten und dadurch deren Motiva- Mitarbeitern neue Perspektiven eröffnet und ihr Leis- tion, leistungsorientiert, kreativ und eigenverantwortlich tungswille gefördert werden soll – so ist es in den Ziel- tätig zu sein, enorm fördern. Als Anreiz kommt der Be- vorstellungen des Gesetzentwurfs formuliert –, muss der soldungsgruppenaufstieg ohne Funktionswechsel und das Fantasie der Verfasser überlassen bleiben. Ich kann Ihnen Überspringen von Besoldungsgruppen in Betracht. Dies auf jeden Fall bereits heute prophezeien: Sie werden mit trägt den Geist „Moderner Staat – Moderne Verwaltung“ diesem Gesetz eher das Gegenteil erreichen. Mit solchen direkt in den Beamtenapparat hinein. Das wiederum wird Entwürfen werden Sie Ihr Programm „Moderner Staat – der Schlüssel zur Verwirklichung dieses Programms sein. Moderne Verwaltung“ mit Sicherheit nicht realisieren Die Motivation der Beschäftigten muss mit allen Mitteln können. Wir werden den Gesetzentwurf daher ablehnen. gestärkt werden. Danke. Ein weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung ist die zeitgemäße Anpassung der Besoldung an die veränderten (Beifall bei der CDU/CSU) gesellschaftlichen Bedingungen und Verhältnisse. Darum wird auch der Familienzuschlag modernisiert. Vizepräsidentin Petra Bläss: Für die Fraktion des Meine Damen und Herren, dies haben wir Grüne schon Bündnisses 90/Die Grünen spricht der Kollege Helmut immer gefordert. Dem modernen Familienbegriff, der Wilhelm. sich an der Existenz von Kindern und nicht etwa an der standesamtlichen Trauung orientiert, wird zukünftig Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE durch die entsprechende Verbesserung der kinderbezoge- GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und nen Leistungen Rechnung getragen. Der so genannte Ver- Kollegen! Heute wird ein weiteres Mosaikstück auf dem heiratetenanteil wird zurückgedrängt und zur Finanzie- Weg zur Verwirklichung des Programms „Moderner Staat rung für die Erhöhung des Familienzuschlages für dritte – Moderne Verwaltung“ auf seinen parlamentarischen und weitere Kinder verwendet. Langfristig führt das sogar Weg gebracht. zu einer Überkompensierung und damit zu Einsparungen. (B) Hier sollte man allerdings vielleicht nochmals nachden- (D) ken, ob nicht eine weitere Stärkung der Familienkompo- Dem Anliegen, unseren Staat effizienter und bürger- nente sinnvoll wäre. freundlicher zu gestalten und damit von einem rein ver- waltenden zu einem aktivierenden Staatsleitbild zu gelan- Mit der Erhöhung des kinderbezogenen Anteils im Fa- gen, kommen wir durch das Anpacken der herrschenden milienzuschlag für dritte und weitere Kinder um jeweils starren Besoldungsstruktur einen großen Schritt näher. 200 DM monatlich werden auch die Forderungen des Be- Damit wird der entsprechenden Koalitionsvereinbarung schlusses des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. No- Rechnung getragen. Denn der vorliegende Gesetzent- vember 1998 umgesetzt. wurf, mit dem der Einrichtung variabler Besol- Ich meine, der Entwurf der Bundesregierung mit sei- dungsbandbreiten – im ersten Schritt für die Einstiegs- nen durchaus zukunftsweisenden Regelungen kann sich ebenen im gehobenen und höheren Dienst – der Weg sehen lassen. bereitet wird, schafft für die jeweiligen Dienstherren in Bund und Ländern Gestaltungsspielräume, um gezielter, Danke. marktgerechter und flexibler auf arbeitsmarkt- und be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schäftigungspolitische Situationen reagieren zu können. und bei der SPD)

Durch diesen entscheidenden Beitrag zur Flexibilisie- Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat die Kol- rung wird für diesen Bereich ein zentralistisches Einstu- legin Heidemarie Ehlert für die PDS-Fraktion. fungssystem abgelöst, das nicht mehr in die von Rot-Grün geplante moderne und aktivierende Verwaltung hinein- passt. Denn die grundsätzlich bundeseinheitliche Zu- Heidemarie Ehlert (PDS): Frau Präsidentin! Meine ordnung der Ämter zu einer einzigen Besoldungsgruppe Damen und Herren! Es ist ganz erstaunlich, wie Gesetz- lässt für aufgaben- und anforderungsbezogene Diffe- entwürfe Chamäleons gleichen. Ziel des vorliegenden Entwurfes soll sein, das Programm „Moderner Staat renzierungen keinen Raum. – Moderne Verwaltung“ umzusetzen. Was immer man Zu viele unterschiedliche Kriterien werden in einer Be- auch darunter versteht – es klingt zunächst gut. Eine soldungsgruppe angeglichen und damit nivelliert. Darum Dienstrechtsreform steht schon lange ins Haus, die Büro- soll zukünftig die Einstufungskompetenz innerhalb einer kratie muss entrümpelt und dringend bürgernäher gestal- vorgegebenen Bandbreite von drei Besoldungsgruppen tet werden. Das Anliegen der Schaffung einer modernen für den gehobenen und höheren Dienst dem jeweiligen Verwaltung ist begrüßenswert. 17696 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Heidemarie Ehlert (A) Schaut man sich den Entwurf dann aber näher an, so Hans-Peter Kemper (SPD): Frau Präsidentin! Meine (C) muss man feststellen: Der Regierung geht es erst in zwei- Damen und Herren! Der Gesetzentwurf zur Modernisie- ter Linie um eine moderne Verwaltung, in erster Linie rung der Besoldungsstruktur ist richtig und wichtig. Er geht es knallhart ums Geld, das gespart werden soll. musste vorgelegt werden. Im Übrigen, Herr Belle, wir wollen nicht mit dem Kopf durch die Wand. Die Regie- Nehmen wir nur den geplanten § 24 a, das Bandbrei- rung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen greifen tenmodell. Mit diesem Modell will die Bundesregierung vielmehr Dinge auf, die Ihre Regierung, die Vorgängerre- eine Flexibilisierung der Bezahlung im Eingangs- und im gierung, in Details bereits in Angriff genommen hat und ersten Beförderungsamt des gehobenen und höheren die richtig waren, die aber in Ansätzen stecken geblieben Dienstes erzielen. Das individuelle Leistungsprinzip soll sind. Das damalige Vorhaben setzen wir fort und verbes- stärker berücksichtigt werden. Das klingt alles ganz toll; sern es. damit könnte ich umgehen. Aber auch die Arbeitsmarkt- lage und die finanzielle Situation der jeweiligen Dienst- Im Rahmen des Programms „Aktivierender Staat“ soll das Besoldungsrecht flexibler gestaltet und mit deutlichen herren könnten für eine entsprechende Einstufung in die Anreizen versehen werden. Das fehlt jetzt. Der Grundsatz jeweilige Besoldungsgruppe ausschlaggebend sein. Bei „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist zwar richtig; aber den gegenwärtigen Arbeitslosenzahlen könnte – der Weg im öffentlichen Dienst wird nicht die gleiche Arbeit ge- ist frei – diesbezüglich ein „Niedriglohnsektor“ im öf- leistet. Diejenigen, die sich der Verantwortung stellen und fentlichen Dienst vorprogrammiert sein. die besonderen Belastungen unterworfen sind, sollen (Beifall bei der PDS) auch besonders bezahlt werden. Fachspezialisten – ich nenne nur das Stichwort IT –, die (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in einer modernen Verwaltung gebraucht würden, werden DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der PDS) gleich in die Wirtschaft gehen. Einige Länder könnten Das muss in engem Einvernehmen mit den Ländern und also aufgrund der Arbeitsmarktlage oder aufgrund ihrer den Kommunen erfolgen. Denn das sind diejenigen, die leeren Kassen dann versuchen, die Gehälter abzubauen. die meisten Beamten beschäftigen. Reiche Länder könnten sich dann hoch qualifiziertes Per- sonal leisten, andere nicht. Nicht umsonst plädiert Hessen Ich will nun auf die Hauptpunkte eingehen, die hier mehrfach angesprochen worden sind: Das ist zum einen im Bundesrat für die genannte Bandbreitenregelung. Ge- die Einführung von Bezahlungsbandbreiten. Das jetzige rade die Auseinandersetzungen um die Abwerbung der Bezahlungssystem wird überwiegend durch Ämter, durch Lehrer und Lehrerinnen hat doch gezeigt, dass es eben Beförderungen und Besoldungsordnungen, bestimmt. Die nicht egal ist, wie viel verdient wird. Ausgehend davon Eingangsämter sind im Regelfall einer einzigen Besol- (B) hat die Bundesregierung nun die Lehrer und Lehrerinnen dungsgruppe zugeordnet. Herr Belle, Sie haben im Übri- (D) des gehobenen Dienstes aus dem Bandbreitenmodell her- gen schon einmal im Jahre 1997 damit begonnen, Leis- ausgenommen. Aber was machen wir mit den Gymnasial- tungsanreize und Leistungskomponenten im Rahmen der und Berufsschullehrern und -lehrerinnen? Dienstaltersstufen einzuführen. Wir stimmen mit dem Bundesrat und den Gewerk- (Meinrad Belle [CDU/CSU]: Das war gut so!) schaften völlig überein: Das Bandbreitenmodell sollte er- satzlos gestrichen werden. Das war vernünftig, wenngleich die Zulagen und die Leis- tungsprämien einige Webfehler hatten, sodass das einige (Beifall bei der PDS) Länder nicht umgesetzt haben. Da bestanden sehr große Der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, der Ungerechtigkeiten. schon durch die unterschiedliche Vergütung Ost/West ge- Die Besoldung der Eingangsämter im gehobenen brochen ist, sollte nicht mit einer Einteilung in arme und Dienst und im höheren Dienst soll über drei Gruppen ge- reiche Länder endgültig aufgehoben werden. spreizt werden. Das eröffnet den Behörden die Möglich- keit, aus einer Vielzahl von qualifizierten Bewerbern den (Beifall bei der PDS) Besten herauszusuchen und ihm im Hinblick auf die Ein- Neben dem Bandbreitenmodell gibt es noch eine ganze stufung entsprechende Angebote zu machen. Das war Reihe weiterer Streitpunkte, die darzulegen ich im Mo- vorher nicht möglich. ment keine Zeit mehr habe. Ich kenne allerdings die Sorgen und Ängste, die mit Ob mögliche Kompromisslösungen, Herr Staatssekre- diesem Verfahren einhergehen; ich will dies gar nicht be- tär, aber den vorliegenden Gesetzentwurf besser machen streiten. Die Berufsvertretungen befürchten, dass dieses würden, stelle ich hiermit in Frage. Eine grundlegende Instrument als Sparinstrument missbraucht wird. Die Dienstrechtsreform wird gebraucht und die liegt leider neuen Bundesländer befürchten, dass ihnen die alten Bun- nicht vor. desländer aufgrund des neuen Angebotes, das dann mög- lich ist, die qualifiziertesten Mitarbeiter abwerben und (Beifall bei der PDS) dass nur die mittelmäßig und die gering qualifizierten in den neuen Bundesländern bleiben. Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner in die- Der Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Bundeslän- ser Debatte ist der Kollege Peter Kemper für die SPD- dern um die Lehrer, den wir in letzter Zeit erlebt haben, Fraktion. war ein ungutes Beispiel. Ich denke, über diese Einzel- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17697

Hans-Peter Kemper (A) heiten muss noch einmal gesprochen werden. Verände- handelt wurden. Es muss daher Differenzierungsmöglich- (C) rungen im Detail hat der Staatssekretär angekündigt; keiten geben. Der öffentliche Dienst muss leistungsorien- Kompromisse sind möglich. Darüber werden wir noch tierter ausgerichtet werden; darüber sind wir uns völlig ei- einmal sprechen. Vielleicht kann man bestimmte Berufs- nig. Das muss unter Beachtung sozialer Aspekte gruppen aus dieser Regelung herausnehmen. geschehen; auch darüber sind wir uns einig. Der Wegfall des Verheiratetenzuschlags ist proble- Im Hinblick auf diesen Gesetzentwurf spreche ich mit matisch – das zu bestreiten wäre völlig unehrlich –, wenn- meinem Fraktionsvorsitzenden, Peter Struck: Nur in den gleich es überhaupt keinen Zweifel daran gibt, dass das seltensten Fällen ist ein Gesetzentwurf so aus dem Ver- gesamte Zulagenwesen oder -unwesen einmal durchfors- fahren herausgekommen, wie er hineingegangen ist. tet und durchschaubarer, vergleichbarer und schlanker ge- Möglicherweise gilt das auch für diesen Entwurf. macht werden muss. (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Eine gute (Beifall des Abg. Rainer Funke [F.D.P.]) Regierung hofft das nicht!) Außerdem soll nicht in erster Linie das Verheiratetsein un- Ich bin aber auch sicher, dass es unsere Regierung und terstützt werden, sondern das Kinderhaben, die Familie. unsere Koalitionsfraktionen nicht zulassen werden, dass der öffentliche Dienst das Sparschwein der Nation wird (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ und die Beamten die Prügelknaben der Gesellschaft wer- DIE GRÜNEN) den. Darauf werden wir achten, wir werden das nicht zu- Das ist aber nur ein Grund. Zur Ehrlichkeit gehört: Die lassen. Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils für das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dritte und folgende Kind eines Beamten kostet Geld. Das DIE GRÜNEN) muss innerhalb des Systems erwirtschaftet werden. Auch deswegen kommt es zu dieser Regelung. Ich bin mir aber auch sicher, dass sich der öffentliche Dienst in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche den Der Wegfall des Verheiratetenzuschlags führt bei den notwendigen Veränderungen nicht verschließen wird. Von Beamten im Endergebnis zu Gehaltseinbußen von rund daher ist mein Vertrauen in den öffentlichen Dienst rela- 180 DM pro Monat. Selbst eine großzügige Vertrauens- tiv groß. Ich denke, wir werden zu einer vernünftigen Lö- schutzregelung, die den Ländern im Übrigen viel zu weit sung kommen. geht – über die muss man sicherlich auch noch sprechen –, ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Man muss sich vor Vielen Dank. Augen führen – ich bleibe einmal in meinem Bereich –, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (B) dass bei Polizisten, die nach A 7 besoldet werden, die in DIE GRÜNEN) (D) Ballungszentren versetzt werden und deren Ehefrau aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist zu arbeiten, fast das gesamte Gehalt für die Miete gebraucht wird. Ich Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- denke, wir werden sehr darauf achten müssen, dass es ge- sprache. rade im Bereich des einfachen und mittleren Dienstes zu Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- sozialen Abfederungen kommt und dass das Alimenta- wurfs auf Drucksache 14/6390 an die in der Tagesordnung tionsprinzip, das grundgesetzlich geschützt ist, nicht aus- aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe Ein- gehebelt wird. verständnis im gesamten Hause. Dann ist die Überwei- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sung so beschlossen. DIE GRÜNEN) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 sowie den Zu- Ich will zu den Planstellenobergrenzen noch ein paar satzpunkt 8 auf: Worte verlieren: Es ist richtig, die Entscheidungskompe- tenzen über die Planstellenobergrenzen dorthin zu verla- 16. Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten gern, wo die Entscheidungen konkret getroffen werden. Dr. Barbara Höll, Rosel Neuhäuser, Dr. Ruth Das ist eine vernünftige Geschichte; denn je weiter man Fuchs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der vom Geschehen entfernt ist, desto schwieriger wird die PDS Einschätzung. Reform des Familienlastenausgleichs Auf die Fragen der Zulagenregelung will ich nur kurz – Drucksachen 14/4983, 14/6230 – eingehen: Ich denke, es ist richtig, von entsprechenden Leistungsbreiten auszugehen, das heißt, Zulagen bis zur ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten dritten folgenden Besoldungsgruppe zu gewähren. Auch Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Heidema- im öffentlichen Dienst muss gelten: Wer sich besonders rie Ehlert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion einsetzt und viel Verantwortung trägt, muss eine entspre- der PDS chende Vergütung erhalten. Existenzminimum realitätsnah ermitteln Ich kenne es aus eigener Erfahrung: Von den Kollegin- nen und Kollegen auf der Dienststelle haben sich einige – Drucksache 14/6444 – aufgerieben, während andere faul waren. Es gab nichts Überweisungsvorschlag: Schlimmeres für die Motivation, als wenn alle gleich be- Finanzausschuss (f) 17698 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

Vizepräsidentin Petra Bläss (A) Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung Existenzminimum und was ist der – vom Bundesverfas- (C) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sungsgericht festgestellte – darüber hinaus bestehende Haushaltsausschuss existenzielle Betreuungs- und Erziehungsbedarf? Es ist Die Kolleginnen Ingrid Arndt-Brauer, Elke Wülfing, natürlich schwierig, den vom Bundesverfassungsgericht Christine Scheel und Ina Lenke haben ihre Reden zu Pro- richtig erkannten Bedarf – wobei nicht zu leugnen ist, dass tokoll gegeben.1) er auch Kosten verursacht – im Einkommensteuerrecht zu verankern; denn ein imaginärer Bedarf lässt sich schwer Ich erteile der Kollegin Dr. Barbara Höll für die PDS- in Zahlen ausdrücken. Fraktion das Wort. (Beifall bei der PDS) Dr. Barbara Höll (PDS): Sehr geehrte Frau Präsiden- Es sind eben kaum konkret bezifferbare Aufwendungen. tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass Das Bundesverfassungsgericht nennt eine Zahl von Sie so lange ausgeharrt haben und ich die Möglichkeit er- 5 000 DM. Die Bundesregierung spricht von 3 000 oder halte, zur Beantwortung der Großen Anfrage der PDS zur 4 000 DM. Warum diese Beträge vorgeschlagen werden, Reform des Familienlastenausgleichs zu sprechen. ist nirgends zu erfahren. Auf unsere konkreten Fragen ge- Wir befinden uns in einer langen Diskussion über die ben Sie keine Antwort. Der Hintergrund ist wahrschein- Neugestaltung des Familienlastenausgleichs. Die PDS- lich, dass genau dieser Freibetrag eine der Hauptursachen Fraktion hat deshalb der Regierung einen Fragenkatalog für die völlig ungerechte, unsoziale Ausgestaltung des Fa- mit 76 Fragen vorgelegt. Wir dachten, dass es möglich milienlastenausgleichs – leider auch vonseiten der rot-grü- wird, eine bessere Datenbasis und eine gesichertere nen Regierung – ist. Grundlage zu gewinnen, um uns, aber auch den anderen (Beifall bei der PDS) Kolleginnen und Kollegen des Hauses, mehr Möglichkei- ten für eine politische Antwort geben zu können. Denn zusammen mit dem Kinderfreibetrag beträgt die Steuererstattung für Familien mit sehr hohem Einkom- Allerdings lässt sich die Antwort der Bundesregierung men monatlich 459 DM pro Kind, während sie bei Fami- auf unsere Große Anfrage sehr ernüchternd in einem Satz lien mit mittlerem und niedrigem Einkommen dadurch, zusammenfassen: Sie ist flach, feige, widersprüchlich und dass diese beiden Freibeträge oftmals gar nicht greifen, konzeptionslos. Um das zu verdeutlichen, greife ich die nur 300 DM betragen wird – so wir in der nächsten Wo- Frage 27 auf: che die Erhöhung des Kindergeldes für das erste und Inwieweit zweite Kind um je 30 DM beschließen werden. – ein deutsches Wort mit einem sehr konkreten Inhalt – Sie sagen selbst, dass sich die Bestimmung der Min- (B) desthöhe des Betreuungsfreibetrages nicht aus der (D) deckt der Betreuungsfreibetrag einen „erwerbsbe- Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt. dingten“ Betreuungsbedarf und inwieweit deckt er Was außer ihrer eigenen Feigheit, frage ich mich, hindert einen „allgemeinen“ – nicht durch die Erwerbsarbeit die Bundesregierung nun daran, den Betreuungsfreibe- veranlassten – Betreuungsbedarf ab? trag, der ohnehin nur einigen Spitzenverdienern nutzt, Es war sogar eine zweigeteilte Frage. Die Antwort lautet: abzusenken und dafür das Kindergeld um 10, 20 oder 30 DM zu erhöhen und die Kinderbetreuungskosten stär- Der Betreuungsfreibetrag deckt den Betreuungsbe- ker als geplant unter anderem dadurch zu berücksich- darf eines Kindes ab. tigen, Ich denke, diese oberflächliche Antwort sagt schon sehr (Beifall bei der PDS) viel aus. dass man bereits die erste Mark der Kinderbetreuungskos- Wir haben mit dem Urteil des Bundesverfassungsge- ten wieder steuerlich geltend machen kann? Damit wäre richts zur Regelung des Familienlastenausgleichs von das Gesetz zur Förderung von Familien zwar noch immer 1998 eine Entscheidung bekommen, bei der sich alle da- keine Familienförderung, aber zumindest um eine Unge- rüber einig sind, dass sie – um es vorsichtig zu formulie- rechtigkeit ärmer. ren – im Vergleich zu früheren Entscheidungen nicht ganz widerspruchsfrei ist und dass sie auslegungsbedürf- Dieser Freibetrag, der ja nun in Betreuungs-, Erzie- tig und auslegungsfähig ist. Ich denke aber, der konkrete hungs- und Ausbildungsfreibetrag umbenannt werden Gesetzentwurf der Bundesregierung zeigt: Für einen kri- soll, soll den Kinderfreibetrag ergänzen. Der Kinderfrei- tischen und konstruktiven Umgang mit diesen Beschlüs- betrag soll das sächliche Existenzminimum sicherstel- sen fehlt der Bundesregierung der Mut. Vor allem fehlen len. Dieses – Essen, Kleidung, Wohnen – lässt sich in Kor- ihr eigene Vorstellungen über die Richtung ihrer Famili- relation zur Sozialhilfe bestimmen. Ihr Vorschlag jedoch, enpolitik. den wir nächste Woche hier annehmen sollen, ihn auf 7 135 DM zu erhöhen, ist meines Erachtens etwas sehr Da die Freistellung des Existenzminimums von Kin- voreilig. Die Bundesregierung muss alle zwei Jahre einen dern von der Besteuerung vonseiten des Staates Zielstel- Bericht über das Existenzminimum vorlegen. lung ist, muss man sehr konkret darüber sprechen, was das Existenzminimum eines Kindes ist. Was ist das sächliche (Beifall bei der PDS) Auf diesen Bericht warten wir jetzt; wir haben ihn noch 1) Anlage 5 nicht. Trotzdem müssen Sie Ihr Gesetz zur so genannten Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17699

Dr. Barbara Höll (A) Familienförderung – was es eben nicht ist – schnell im lage auf Drucksache 14/6444 an die in der Tagesordnung (C) Bundestag durchbringen. Warum wohl? – Weil sich dann aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich sehe im zeigen wird, dass Ihre Zahlen viel zu niedrig sind. Das Saal keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so will ich noch einmal deutlich sagen. beschlossen. SPD, Grüne und PDS sind sich einig darüber, dass das, Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf: was die alte Bundesregierung getan hat, auch weit hinter den Erfordernissen zurückgeblieben ist. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. R. (Zuruf von der CDU/CSU: Früher war alles Werner Schuster, Reinhold Hemker, Horst besser!) Kubatschka, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Vergleichen wir einmal die Zahlen: 1994 hatte diese Re- gierung noch ein Existenzminimum von monatlich Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian 613 DM pro Kind ermittelt. Im Jahre 2001 kommt die ge- Ströbele, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch genwärtige Bundesregierung zu einen Betrag von und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE 564 DM, und das, obwohl wir inzwischen eine Steigerung GRÜNEN der Lebenshaltungskosten um 8,6 Prozent haben. Da zeigt Sonderprogramm zur breitenwirksamen Nut- sich schon ganz klar, dass Sie uns die Zahlen bewusst ver- zung angepasster, erneuerbarer Energien in schweigen, weil Sie sonst handeln müssten. Das würde den Entwicklungsländern Geld kosten, – Drucksache 14/5486 – (Beifall bei der PDS) Überweisungsvorschlag: welches Sie nur für ertragsstarke Unternehmen, für die Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (f) großen Monopole haben, aber nicht für Kinder und Fami- Auswärtiger Ausschuss lien. Das ist ein großer Nachteil Ihrer Familienpolitik. Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verbraucherschutz, Ernährung und Land- Es ist erschreckend, dass Sie sich immer weiter von der wirtschaft Zielstellung, von der vom Bundesverfassungsgericht ge- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit forderten steuerlichen Freistellung des Existenzmini- Haushaltsausschuss mums – sie ist ohnehin notwendig – entfernen und versu- Die Kolleginnen und Kollegen Brigitte Adler, Dr. Ralf chen, der Öffentlichkeit etwas anderes darzubringen. Von Brauksiepe, Dr. Angelika Köster-Loßack, Joachim Familienförderung allerdings kann erst dann gesprochen Günther und Carsten Hübner haben ihre Reden zu Proto- werden, wenn man über die Freistellung des Existenzmi- (B) koll gegeben1). – Ich sehe Einverständnis im gesamten (D) nimums hinausgeht. Hause. Wir fordern Sie auf: Legen Sie endlich einen Bericht Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf über das tatsächliche Existenzminimum vor. Darüber Drucksache 14/5486 an die in der Tagesordnung aufge- werden wir dann im Rahmen der Erörterung unseres Ent- führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Auch hier sehe ich schließungsantrages im Ausschuss beraten. Ich hoffe, Einverständnis im Hause. Dann ist die Überweisung so dass Sie dann auf dieser Grundlage doch bereit sind, die beschlossen. Realitäten wahrzunehmen und auch entsprechend in der Familienpolitik umzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun ist es so weit: Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich bedanke mich. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- (Beifall bei der PDS) tages ein auf morgen, Freitag, den 29. Juni 2001, 9 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen. Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe die Aus- sprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vor- (Schluss: 22.36 Uhr)

1) Anlage 7

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17701

(A) Anlagen zum Stenographischen Bericht (C) Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Adam, Ulrich CDU/CSU 28.06.2001* von Renesse, Margot SPD 28.06.2001 Behrendt, Wolfgang SPD 28.06.2001* Sauer, Thomas SPD 28.06.2001 Schlee, Dietmar CDU/CSU 28.06.2001 Bierling, Hans-Dirk CDU/CSU 28.06.2001** Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 28.06.2001* Bindig, Rudolf SPD 28.06.2001* Hans Peter Prof. Dr. Blank, CDU/CSU 28.06.2001** von Schmude, Michael CDU/CSU 28.06.2001* Joseph-Theodor Schultz (Everswinkel), SPD 28.06.2001 Bodewig, Kurt SPD 28.06.2001 Reinhard Brudlewsky, Monika CDU/CSU 28.06.2001 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 28.06.2001 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 28.06.2001* Christian Catenhusen, SPD 28.06.2001 Uldall, Gunnar CDU/CSU 28.06.2001 Wolf-Michael Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 28.06.2001 Friedrich (Altenburg), SPD 28.06.2001 Wilhelm (Mainz), CDU/CSU 28.06.2001 Peter Hans-Otto Griefahn, Monika SPD 28.06.2001 Dr. Wodarg, Wolfgang SPD 28.06.2001 Haack (Extertal), SPD 28.06.2001* Zierer, Benno CDU/CSU 28.06.2001* Karl-Hermann * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Hempel, Frank SPD 28.06.2001 (B) sammlung des Europarates (D) Heyne, Kristin BÜNDNIS 90/ 28.06.2001 ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- DIE GRÜNEN sammlung der NATO Hoffmann (Chemnitz), SPD 28.06.2001 Jelena Anlage 2 Dr. Hornhues, CDU/CSU 28.06.2001* Karl-Heinz Zu Protokoll gegebene Rede Jäger, Renate SPD 28.06.2001* zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Janssen, Jann-Peter SPD 28.06.2001 Berichtes: Änderung der Geschäftsordnung des Kasparick, Ulrich SPD 28.06.2001 Deutschen Bundestages (betr. Regierungsanfra- gen) (Tagesordnungspunkt 9) Klappert, Marianne SPD 28.06.2001 Dr. Leonhard, Elke SPD 28.06.2001 Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Mehr Spontanität Lintner, Eduard CDU/CSU 28.06.2001* und mehr Aktualität täte uns Abgeordneten und dem Dr. Lippelt, Helmut BÜNDNIS 90/ 28.06.2001* Parlament sicher gut. Insofern lohnt es sich, jeden Vor- DIE GRÜNEN schlag zu prüfen, der dazu was Sinnvolles beitragen kann. Dr. Lippold (Offenbach), CDU/CSU 28.06.2001 Klaus W. Wir finden die Überlegung der CDU, auch aus der Re- gierungsbefragung eine Aktuelle Stunde entwickeln zu Lörcher, Christa SPD 28.06.2001* können, interessant und werden deshalb zustimmen. Maaß (Wilhelmshaven), CDU/CSU 28.06.2001* Ich will ein paar Argumente nennen, die unsere Zu- Erich stimmung unterstreichen. Ich denke, mit einer weiteren aktuellen Debatte gerade auch etwa zeitgleich mit Kabi- Michels, Meinolf CDU/CSU 28.06.2001* nettsbeschlüssen werden die Aktivitäten des Parlaments Moosbauer, Christoph SPD 28.06.2001 erweitert und seine Handlungsmöglichkeiten gegenüber der Bundesregierung erhöht. Wie oft ist es uns in der Ver- Neumann (Gotha), SPD 28.06.2001* gangenheit passiert, dass wir uns hier im Parlament mit Gerhard ein paar dürftigen Antworten zu Entscheidungen der 17702 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Regierung abspeisen lassen mussten, während gleichzei- In diesen neuen Grundsätzen hat die Bundesregierung (C) tig dieselben Entscheidungen breit in den Medien disku- klar und eindeutig zusätzliche Richtlinien festgelegt, die tiert werden und Kabinettsmitglieder jedem Journalisten nicht nur restriktiver sind, sondern auch zu wesentlich mehr erzählen als dem Parlament. Wenn wir das Thema mehr Transparenz führen. Ich will der PDS daher an die- dann endlich im Parlament haben, ist nicht selten die Ak- ser Stelle noch einmal kurz die wichtigsten Punkte nen- tualität und das öffentliche Interesse mindestens stark ein- nen: Erstens. Die Beachtung der Menschenrechte ist für geschränkt. jede Exportentscheidung von besonderer Bedeutung, un- Noch häufiger haben wir mit dem Fakt zu tun, dass es abhängig davon, um welches Empfängerland es sich han- zu wichtigen Regierungsvorhaben gar nicht in Parla- delt. mentsdebatten kommt, sondern diese gleich in Konsens- Die Grundsätze gehen weit über diejenigen des EU- runden verschwinden und dort unter Ausschluss der Öf- Verhaltenskodex hinaus, der besagt, dass erst bei einem fentlichkeit und des Parlaments abstimmungsreif ausge- eindeutigen Risiko keine Ausfuhrgenehmigung erteilt kungelt werden. Das alles schränkt die Möglichkeiten be- werden soll. Neben dem Menschenrechtskriterium wer- sonders der Opposition ein – das wollen wir nicht. Der den ausdrücklich weitere Kriterien wie die „nachhaltige heutige Antrag kann dazu beitragen, das zu ändern. Entwicklung“ sowie das Verhalten gegenüber der interna- tionalen Gemeinschaft berücksichtigt.

Anlage 3 Zweitens. Es wird klargestellt, dass bei NATO-, EU- und diesen gleichgestellten Ländern wie Schweiz oder Zu Protokoll gegebene Reden Australien, Genehmigungen die Regel sind und Ableh- nung die Ausnahme. Bei Drittstaaten sollen Genehmigun- zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gen wie bisher zurückhaltend erteilt werden. richts Drittens. Die Sicherstellung des Endverbleibs erhält – zu der Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- ein größeres Gewicht als bisher. rung über ihre Exportpolitik für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 1999 (Rüstungsexportbe- Viertens. Der EU-Verhaltenskodex wird zum integra- richt 1999) len Bestandteil der Grundsätze. – zu dem Antrag: Transparenz und parlamentarische Fünftens. Die Bundesregierung verpflichtet sich, jähr- Kontrolle bei Rüstungsexporten lich dem Bundestag einen Rüstungsexportbericht über die Entwicklungen des jeweils abgelaufenen Kalenderjahres (Tagesordnungspunkt 11 a und b) vorzulegen. (B) (D) Nach einem Beschluss des Wirtschaftsausschusses Dr. Ditmar Staffelt (SPD): Ich freue mich über das vom 7. Februar 2001 sollen folgende Rüstungsexportbe- große Interesse der Opposition, den Rüstungsexportbe- richte noch weiter gehende Informationen haben: richt 1999 der Bundesregierung ein zweites Mal im Ple- num zu debattieren. Wir hätten uns auch vorstellen kön- Wir prüfen, inwieweit auch mehr Informationen über nen, auf den aktuellen Bericht für das Jahr 2000 im den Export von Dual-use-Gütern aufgenommen werden Sommer zu warten und dann auf der Basis der aktuellen können. Daten hier zu diskutieren. Aber wir respektieren den Auf- Wir werden auch militärische Ausrüstungsbeihilfen setzungswunsch. Schließlich ist es wirklich erstmalig, aufnehmen und die Strafverfolgungsstatistik. Der zukünf- dass eine Bundesregierung eine detaillierte Aufschlüsse- tige Bericht wird eine Übersicht über neu abgeschlossene lung der Rüstungsexporte vorlegt. Und diese Debatte internationale Rüstungskooperationsprogramme mit kann ja der Transparenz ebenfalls dienen. Ich will nicht deutscher Beteiligung aufzeigen und zum Thema Her- auf die einzelnen Daten des Berichtes eingehen, er liegt mes-Deckungsentscheidungen für Rüstungsgüter wird ihnen vor und wir haben die Einzelheiten schon bei der zukünftig zusätzlich auch der Wirtschaftsausschuss infor- letzten Debatte im November besprochen. In dem Bericht miert werden. werden in aller Offenheit das deutsche Kontrollsystem für Rüstungsgüter, die Auswirkungen von Abrüstungsverein- Mit diesen Informationspflichten stehen wir weltweit barungen auf die Exportkontrolle, die deutsche Rüstungs- an der Spitze. Wir haben gleichzeitig auch Verantwortung exportkontrollpolitik im multilateralen Rahmen sowie die für die deutsche Exportindustrie bewiesen. Wer noch Exporte von Rüstungsgütern im Jahr 1999 dargestellt. mehr Transparenz will, gefährdet damit Arbeitsplätze in der Wirtschaft. Ich will mich daher schwerpunktmäßig mit dem PDS-Antragbeschäftigen.Geradeangesichtsdeserstmali- Ich will der PDS einmal aufzeigen, welche Konse- gen Vorlegens eines Rüstungsexportberichtes ist es schon quenzen ihre Forderungen hätten. Sie fordern eine Rege- merkwürdig, dass die PDS mehr Transparenz und parla- lung, wonach vor jeder Entscheidung der Bundesregie- mentarische Kontrolle bei Rüstungsexporten fordert. Of- rung bzw. des Bundessicherheitsrates über die Ausfuhr fensichtlichhatdiePDSnichtmitbekommen,dassdieBun- von Rüstungsgütern die Auffassungen bestimmter Parla- desregierung mit der Verabschiedung der „Politischen mentsausschüsse einzuholen und zu berücksichtigen sind. Grundsätze über den Export von Kriegswaffen und sonsti- Sie können doch wohl nicht im Ernst fordern, vor jeder gen Rüstungsgütern“ erheblich zu einer verbesserten Entscheidung ein derart langwieriges Verfahren in Gang Transparenz der Rüstungsexportpolitik beigetragen hat. zu setzen. Wer auch nur etwas von Wirtschaft versteht, der Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17703

(A) weiß, dass es bei internationalen Ausschreibungen um zeigt, dass Deutschland mit einem Weltmarktanteil von (C) Fristen, Verlässlichkeit und Vertraulichkeit geht. Diese 5 Prozent der viertgrößte Waffenexporteur der Welt ist. wichtigen Voraussetzungen wären bei dem von ihnen Auf diesem Platz stehen wir gemeinsam mit Großbritan- vorgeschlagenen Verfahren nicht gegeben. Im Gegenteil, nien. Die USA haben 50 Prozent, Russland und Frank- ein solches Verfahren würde die deutschen Anbieter zu reich je 10 Prozent. einer völligen Offenlegung ihrer Geschäftsvorhaben Der Rüstungsexportbericht zeigt, dass sich die Zahl der zwingen, wovon andere Wettbewerber aus dem In- und Genehmigungen unter der rot-grünen Bundesregierung Ausland profitieren würden. Betriebs- und Geschäftsge- mehr als verdoppelt hat. 1999 wurden Rüstungsgüter für heimnisse der beteiligten Unternehmen kommen bei dem Antrag der PDS überhaupt nicht zu Worte. Unter den von 6,6 Milliarden DM exportiert. Das entsprach einem Zu- der PDS vorgeschlagenen Bedingungen braucht sich ein wachs von 1,2 Milliarden DM im Vergleich zu 1998. Bei deutsches Unternehmen wegen Aussichtslosigkeit erst gar 9 373 Einzelanträgen, ohne die Sammelgenehmigungen nicht mehr an internationalen Rüstungsexportausschrei- also, die mit einer Genehmigung mehrere Ausfuhren er- bungen beteiligen. Von daher sollte die PDS doch besser möglichen, gab es 85 abgelehnte Anträge. gleich sagen, was sie wirklich will, nämlich die Verhin- Das wichtigste Empfängerland im Jahr 1999 war die derung deutscher Rüstungsexporte und damit die Ab- Türkei mit einem Exportumfang von circa 2 Milliar- schaffung der deutschen Rüstungswirtschaft schlechthin. den DM und da reibt man sich doch die Augen. Die Tür- Die Bundesregierung hat mit den neuen Richtlinien kei an der ersten Stelle mit 288 Genehmigungen für fast eine optimale Balance in diesem sicher nicht einfachen 2 Milliarden DM! Ist die Türkei jetzt für Rot-Grün doch Thema gefunden. Mit den neuen Richtlinien ist es gelun- einfach nur NATO-Partner? Stimmt alles, was Sie in den gen, das Verfahren bei den Rüstungsexporten an zusätzli- vergangenen Jahren gesagt haben, seit dem Regierungs- che politische Kriterien anzupassen und dabei die Wett- wechsel nicht mehr? Da erinnern wir uns doch an die Dis- bewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft aufrecht- kussion über die Lieferung eines Leopard-Panzers zu zuhalten. Die Richtlinien haben sich schon jetzt bewährt: Probezwecken und eine eventuelle Lieferung im größeren Mehr Transparenz und klare Kriterien sind ein guter Ver- Umfange auf der einen Seite und die Zustimmung zur Lie- trauensschutz für die deutsche Wirtschaft auch hinsicht- ferung einer Munitionsfabrik auf der anderen Seite. War lich der Kooperationsfähigkeit der deutschen Unterneh- das alles nur Show und liefert in Wirklichkeit diese Bun- men in einer stark zusammenwachsenden internationalen desregierung Waffen jeder Art an die Türkei? Für Frau Rüstungswirtschaft. Kollegin Beer ist das grüne Dialektik. Es gehe nicht nur um Qualität, sagt sie, sondern um Quantität. Immerhin Die Entscheidungen über Exportvorhaben werden habe man ja die Richtlinien geändert. Dass sich da in (B) maßgeblich unter außen-, sicherheits- und bündnispoliti- Deutschland mancher, der große Hoffnungen in die neue (D) schen Interessen, unter Beachtung der Menschenrechte Regierung gesetzt hatte, enttäuscht sieht, ist nur zu ver- aber auch unter Beachtung der ökonomischen Interessen ständlich. getroffen. Bei Ausfuhrvorhaben, die im Hinblick auf das Empfängerland oder das Rüstungsgut von besonderer Be- Tatsächlich hatte zu Oppositionszeiten unter anderem deutung sind, wird sich der Bundessicherheitsrat befas- unmissverständlich erklärt, er verstehe sen. Zusätzlich zu den bisher in diesem Gremium vertre- nicht, dass die Bundesregierung Waffen in die Türkei lie- tenen Ressorts nimmt nun auch das Bundesministerium fere, von denen man ja nicht ausschließen könne, dass mit für wirtschaftliche Zusammenarbeit hieran teil, um be- ihrer Hilfe Frauen und Kinder zusammengeschossen wür- sonderen entwicklungspolitischen Aspekten Rechnung zu den. Er sagte damals: Das ist eine gottserbärmliche Poli- tragen. Ich will es noch einmal sagen: Mit den neuen Leit- tik. Wir sind der Auffassung, dass die Waffenexporte ein- linien aus diesem Jahr lässt es sich gut arbeiten. Für wei- gestellt werden sollten und dass es eine absolut restriktive tere Verfahrensänderungen sehe ich keinen Handlungsbe- Handhabung geben muss. – Ist im Rüstungsexportbericht darf. Wir lehnen daher den Antrag der PDS ab. etwa die Fortsetzung einer „gottserbärmlichen Politik“ do- kumentiert oder ist der Umgang mit Rüstungsexporten einfach viel schwieriger und komplexer, als Sie das früher Erich G. Fritz (CDU/CSU): Mehr Transparenz, noch im Wolkenkuckucksheim geglaubt haben? mehr Berichte sind die Forderungen der vorliegenden An- träge. Tatsächlich ist aber nicht ein Mangel an Informa- Jürgen Grässlin, der Bundessprecher der Deutschen tion das entscheidende Problem, sondern die Unfähigkeit Friedensgesellschaft, der inzwischen unter Protest aus der der Bundesregierung zu einer schlüssigen und kohärenten grünen Partei ausgetreten ist, sagt zu dieser Politik: Heute Rüstungsexportpolitik. Die Frage, wie der Bericht zu- stehen die Grünen auf der Seite derer, die ihrerseits mit künftig aussehen soll, steht auch nicht im Mittelpunkt der Rüstungsexporten in die Türkei aktive Beihilfe zum Völ- öffentlichen Debatte, sondern vielmehr gibt es Anfragen kermord leisten. Verlogener kann Menschenrechtspolitik an Regierung und Koalitionsfraktionen zum Umgehen nicht sein. mit diesem Thema unter außen- und sicherheitspoliti- Ich stimme ihm in seiner Beurteilung nicht zu, ich er- schen wie europa- und bündnispolitischen, entwicklungs- wähne das nur, um zu zeigen, welchen Weg Grüne und SPD und menschenrechtspolitischen, vor allem aber auch wirt- gegangen sind. Da erinnern wir uns doch daran, dass es noch schafts- und technologiepolitischen Aspekten. nicht lange her ist, dass SPD- und Grünen-Politiker Völker- Die Bundesregierung hat ihren Rüstungsexportbericht mordanzeigen gegen die damalige CDU/F.D.P.-Regierung 1999 vorgelegt. Das darin verzeichnete Exportvolumen unterstützt haben, um Exporte in die Türkei zu stoppen. 17704 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Ich kann an dem Exportbericht der Bundesregierung vor anderen Überlegungen haben. Sonderwege sind für (C) gar nicht viel Skandalöses finden – damit Sie das nicht Deutschland nicht sinnvoll. Auch der Eindruck von Son- falsch verstehen –: Das Schwergewicht der Exporte liegt derwegen ist schädlich. Sagen Sie ja und stehen Sie zu ei- im NATO-Bereich oder im Bereich von Staaten, die wir nem gemeinsamen Rüstungsmarkt in Europa und im mit gutem Recht der NATO gleichstellen können. Aber Bündnis. Sagen Sie ja zu transnationalen wirtschaftlichen der Kammerton, mit dem Sie früher das Hohelied gegen Strukturen in der Rüstungswirtschaft, zur Anpassung der Rüstungsexporte gesungen haben, ist doch mittlerweile Kapazitäten an die neuen Verhältnisse in Europa und sor- zum Krächzen verkommen. Die Koalitionsvereinbarung gen Sie dafür, den Exportdruck in Entwicklungsländer und viele Äußerungen aus Koalitionskreisen haben Er- und Partnerländer zu verringern. Sorgen Sie aber genauso wartungen bei den Bürgern geweckt, die jetzt enttäuscht gut dafür, dass in diesem gemeinsamen Rüstungsmarkt werden. Das klang ja nach Exportstopp. Sie haben völlig die deutsche Rüstungswirtschaft eine bedeutende Rolle falsche Erwartungen geweckt. Diese Erwartungen haben spielen kann und dass nicht etwa durch die verschärften Sie bei der Änderung der Exportrichtlinien noch einmal Endverbleibsregelungen Zusammenarbeit mit den Unter- erhöht. Jetzt weiß man, dass die „taz“ zu Recht schreibt, nehmen anderer Länder gar nicht mehr infrage kommt. es handele sich bei den rüstungsexportpolitischen Richt- Reden und Handeln sind bei dieser Regierung nicht das linien um ein Placebo für die grüne Seele, das im Härte- Gleiche. Ihre Rüstungsexportpolitik ist auf kurzfristige test der Koalition nicht greife. öffentliche Effekte aus. Sie ist kaum europatauglich, in- Jetzt höre ich öfter, die Richtlinien seien noch zu frisch, dustriepolitisch falsch und nimmt keine Rücksicht auf die aber das kann ja kein wirkliches Argument sein. Sie hät- Bündnisfähigkeit Deutschlands. Wir dürfen auf den Be- ten sich schon vor deren Verabschiedung an den europä- richt des Exportjahres 2000 gespannt sein, der eigentlich ischen Verhaltenskodex halten können, von dem Sie ja schon vorgelegt sein sollte. Dann werden wir von behaupten, dass er durch die Grundsätze in deutsches Frau Beer wieder zirkusreife Verrenkungen geboten be- Recht übertragen werden soll. kommen. Sie haben mit Ihrer bisherigen Rüstungsexportpolitik nur Flurschaden angerichtet. Diejenigen, die gegen Waf- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit fenexporte per se oder für Waffenexporte nur in sehr en- dem Rüstungsexportbericht 1999 ist uns ein erster Schritt gen Grenzen sind, sind enttäuscht. Unsere Partner in Eu- in Richtung Transparenz gelungen. Wir haben damit eine ropa und in den USA betrachten Ihre Politik mit großem alte Forderung der Grünen, die wir mit unserem Partner in Misstrauen. Sie erzeugen Probleme für die Bündnisfähig- der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben haben, um- keit und die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in gesetzt. Sicher ist der Bericht noch nicht perfekt. Deshalb Europa. Andererseits gibt es klammheimliche Freude wollen wir ihn von Ausgabe zu Ausgabe verbessern. In (B) über die schwindende Kooperationsfähigkeit der deut- der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses (D) schen Rüstungswirtschaft. Das wiederum bringt den deut- werden bereits einige Verbesserungen vorgeschlagen. Wir schen Unternehmen und Beschäftigten Probleme. Vor werden überprüfen, wie sich dies im in Kürze zu erwar- allem aber verringert diese Entwicklung die außenpoliti- tenden Bericht für das Jahr 2000 niederschlägt. schen und sicherheitspolitischen Spielräume der Bundes- Aus grüner Sicht muss ich feststellen, dass wir mit den regierung. Zahlen des Berichtes für 1999 nicht zufrieden sind, auch Die SPD-Verteidigungspolitikerin Frau Wohlleben hat wenn es sich bei den Exporten zum Teil noch um Altlas- vor einigen Monaten in der „Welt“ einen Gastkommentar ten der konservativliberalen Koalition handelt. Die Stei- mit der Überschrift: „Rüstungsexport ist gut“ veröffent- gerung der Exporte sind insgesamt ernüchternd und be- licht. So weit würde ich nicht gehen, aber Frau Wohlleben stätigen die Notwendigkeit des Berichtes, um mehr hat Recht, wenn sie darauf hinweist, dass die wehrtechni- Transparenz sowie die Umsteuerung der deutschen Rüs- sche Industrie in einem klassischen Sinne eine strategi- tungsexportpolitik zu erreichen. Allerdings muss man die sche Industriesparte ist und dass man sorgsam damit um- Ergebnisse im Einzelnen auch ausgewogen betrachten. Es gehen muss, wenn man auf Dauer im Konzert der ist sicher ein Fortschritt, dass die Exporte in Nicht-NATO- europäischen Länder und innerhalb der NATO seinen Länder zurückgegangen sind. Dies ist gut so, ich will aber technologischen und politischen Einfluss nicht verlieren noch keine Entwarnung geben. will. Mit den Rüstungsexportrichtlinien hat die rot-grüne Was rüstungsexportpolitisch richtig ist, sieht aus Sicht Koalition ein brauchbares Instrument geschaffen, um eine der CDU/CSU-Fraktion so aus: Es muss eine verantwor- restriktive Rüstungsexportpolitik durchzuführen. Wir ha- tungsvolle Politik sein. Deshalb haben wir immer eine res- ben die Bedeutung der Menschenrechte betont. Als wei- triktive Exportpolitik mit Kriegswaffen betrieben. Wenn tere Kriterien haben wir im Sinne präventiver Politik Sta- jetzt seit 1999 die Exporte steigen und in 2000 vermutlich bilität und nachhaltige Entwicklung mit aufgenommen. noch einmal explosionsartig zulegen, dann muss und wird Darüber hinaus hat das Problem des Endverbleibs eine von uns genau hingesehen werden, ob das verantwortlich herausgehobene Stellung erhalten. ist. Die Umsetzung der Exportrichtlinien allerdings lässt Rüstungsexportpolitik muss sich einem differenzier- zu wünschen übrig. Wir erinnern uns noch an den Bau ei- ten, tatsächlich nicht einfachen Abwägungsprozess stel- ner Munitionsfabrik in der Türkei durch die Firma Fritz len. Dabei muss die gemeinsame europäische Politik und Werner. Der Abschluss der Vereinbarung ging letzten die gemeinsame Politik im Bündnis absoluten Vorrang Sommer durch die Medien. Dies war ein Signal in die Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17705

(A) falsche Richtung. Ich will auf das Problem der Kleinwaf- Ein zentraler Punkt für die weitere Entwicklung ist die (C) fen hinweisen. Vom Wert her klingt das auf den ersten Transparenz, denn nur wenn es ausreichende Transparenz Blick nicht so dramatisch. Dass Kleinwaffen schwer kon- gibt, kann die parlamentarische und die öffentliche Kon- trollierbar sind und in Bürgerkriegen und innerstaatlichen trolle funktionieren. Insofern unterstütze ich das Anliegen Auseinandersetzungen zum Einsatz mit grausamen Fol- des Antrages der PDS. Er schießt aber weit über das Ziel gen kommen können, ist aber bekannt. hinaus; deswegen kann ich ihm nicht zustimmen. Im Mo- ment kommt es darauf an, sich die nächsten, praktischen Ich bin mir nicht sicher, ob der Geist der Richtlinien Schritte zu überlegen. Damit befasst sich gegenwärtig wie auch die Notwendigkeit einer öffentlichen Transpa- meine Fraktion. Wir wollen die Praxis unserer Partner im renz auf allen Arbeitsebenen der zuständigen Behörden Hinblick auf Brauchbarkeit für uns überprüfen. und Ministerien schon angekommen ist. Rüstungsexporte sind keine nationale Angelegenheit mehr. Auf der inter- nationalen Ebene geschieht sehr viel, sowohl im Bereich Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Vor einem der Rüstungskooperation wie bei der Rüstungsexportkon- Jahr hat die Bundesregierung neue Richtlinien für den Ex- trolle. Wir haben den europäischen Verhaltenskodex zu port von Rüstungsgütern beschlossen. Sie hat eine eigent- Rüstungsexporten, es gibt Kontrollregime. Zugegebener- lich ziemlich klare Rechtslage, die durch die Rüstungsex- maßen sind die internationalen Regularien noch nicht portrichtlinien von 1982, durch die Richtlinien der OSZE wirksam genug. Aber in einzelnen Staaten, gerade auch von 1993 und den EU-Verhaltenskodex von 1998 gege- bei unseren Partnern, entwickeln sich Praktiken, die sich ben war, um ein weiteres Dokument angereichert. Der da- gut gegenseitig ergänzen können. Daher sollten wir ver- malige Beschluss war in der Sache nicht nötig. Hierauf suchen, orientiert an der Auswertung von Berichten in an- komme ich später zu sprechen. Allerdings enthält er eine deren Ländern, unseren Exportbericht weiterzuent- Bestimmung, die wir begrüßen, nämlich dass jährlich ein wickeln. Rüstungsexportbericht durch die Bundesregierung vorzu- legen sei. Es gibt aber auch das Rahmenabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Großbritan- Wir diskutieren heute über den ersten Bericht. Er zeigt, nien, Italien, Spanien und Schweden über Rüstungsko- dass hier nichts zu verstecken ist. Transparenz muss gerade operation, in dem auch die Frage des Exportes angespro- in den besonders sensiblen Bereichen der Wirtschaft und chen ist. Meine Fraktion wird sehr genau beobachten, der Politik oberstes Gebot sein. Jedermann kann sich die- welche Auswirkungen die Umsetzung dieses Abkommens sen Bericht aus dem Internet holen. Er wird dann zu ähn- auf Rüstungsexporte aus Deutschland haben wird. lichen Feststellungen kommen wie ich: Der Bericht be- steht zum größten Teil aus einer Aneinanderreihung von Ich möchte eines feststellen, gerade wenn Ex-Regie- (B) Rechtsgrundlagen – aus der Ausfuhrliste, die einen ge- (D) rungsparteien sich hier plötzlich als Sachwalter der Moral nauen Überblick über all das gibt, was für kriegsführende hinstellen: Ich kann mich nicht erinnern, dass sich die Parteien von Interesse sein könnte, – aus der Kriegswaf- frühere Regierungsparteien, insbesondere die F.D.P., in fenliste und – besonders interessant – aus der Liste der be- vergleichbarer Weise der öffentlichen Kritik gestellt ha- stehenden Waffenembargos, die in großer Zahl durch die ben, wie unsere Regierung das gerade auch mit der Vor- Vereinten Nationen angeordnet wurden. Der größte Teil lage dieses Rüstungsexportberichtes macht. wiederum enthält stichwortartig die Information, was in Die Bundeswehr wird aufgrund der Reform einiges an welche Länder für welchen Wert geliefert wurde. Materialien ausmustern. Wir dürfen hier nicht die Fehler Ich wünschte mir, dass der eigentliche Bericht, der nur der Vorgängerregierung wiederholen. Insbesondere das fünf Seiten erfasst, davon wieder zwei Seiten als Tabellen, Problem des Endverbleibs spielt hier eine wesentliche ausführlicher wäre. Insbesondere fehlt mir eine Einord- Rolle. Es darf nicht passieren, dass Länder, die Altmate- nung der verschiedenen Fakten in die Entwicklung der rialien der Bundeswehr bekommen, diese wiederum an letzten Jahre. Nur diese Information würde den Leser unsichere Staaten weitergeben. Darüber hinaus sollte auf dazu befähigen, auch zu zutreffenden Bewertungen zu jeden Fall überprüft werden, welche Materialien der EU kommen. Ich wüsste schon gern, ob wirklich unter Rot- im Rahmen der zivilen und polizeilichen Präventionspo- Grün mehr Rüstungsgüter exportiert wurden als früher. litik zur Verfügung gestellt werden können. Dies wäre ein positives Signal vonseiten der Bundesrepublik für die Ich will einige Aspekte herausstellten: Die Rüstungs- Stärkung der Prävention. exporte machen nur einen sehr geringen Anteil des deut- schen Exports aus, nämlich 0,7 Prozent. Auf Kriegswaf- Rüstungsexportpolitik ist Außenpolitik. Auch wenn die fen entfallen 0,3 Prozent. Der wirtschaftspolitische Exekutive dafür zuständig ist, so leitet sich daraus unser Aspekt des Rüstungsexports ist daher nicht groß. Sehr viel Anspruch ab, dass Rüstungsexporte die ganze Gesell- wichtiger sind die Aspekte der Außen- und Sicherheitspo- schaft und das Parlament angehen. Es handelt sich dabei litik, auch der Entwicklungspolitik und der Menschen- zu Recht um hochpolitisierte Fragen, denn es betrifft mo- rechtspolitik. Wichtig ist die Information, dass Kriegs- ralische Probleme wie die Menschenrechte, sicherheits- waffen sowohl eine Genehmigung nach dem politische Fragen wie Gewaltverhinderung und Stabilität Kriegswaffen-Kontrollgesetz, sowie eine Ausfuhrgeneh- und entwicklungspolitische Fragen wie das Verhältnis migung nach dem Außenwirtschaftsgesetz benötigen. Al- von Militärausgaben zum Haushalt. Sie betreffen sowohl les muss genehmigt werden, die Herstellung, der Erwerb, unsere Wertvorstellungen wie unsere Interessen an Frie- die Überlassung, die Beförderung, ja sogar die Vermitt- den und Stabilität. lung derartiger Geräte. 17706 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Das neu aufgenommene Kriterium, dass die Men- sein. Kriegswaffen sind eben nicht normale Güter. Sie (C) schenrechtssituation im Empfängerland in jedem Einzel- können Menschen töten. Sie können aber auch Menschen fall zu prüfen sei, gibt zum einen nur die Praxis wieder, retten. Sie können den Frieden beschädigen. Sie können die auch die früheren Bundesregierungen angewandt ha- aber auch Frieden möglich machen. Wer Kriegsgerät pro- ben; denn der zuständige Bundessicherheitsrat, der bis duziert, vermittelt und exportiert trägt auch Verantwor- 1999 immer einstimmig abgestimmt hat, hat in den vielen tung für das, was mit dem Gerät passiert. Es muss daher Jahrzehnten, in denen die F.D.P. über den Außenminister bei den Kontrollmechanismen verbleiben, die aber nur und den Wirtschaftsminister bestimmenden Einfluss auf wirksam sind, wenn sie zumindest europaweit in gleicher die Entscheidungen genommen hat, durchwegs für eine Weise gelten. äußerst zurückhaltende Rüstungsexportpolitik gesorgt. Alle Waffen können töten. Eine Waffengattung ist ganz Die Türkei ist mit großem Abstand der größte Abneh- besonders heimtückisch und problematisch. Ich spreche mer von Rüstungsgütern. Die USA liegen an zweiter von den Minen. Mit dem Vertrag von Ottawa haben sich Stelle. Dort wird die Menschenrechtslage offensichtlich die meisten Staaten dieser Erde verpflichtet, Anti-Perso- gar nicht geprüft, obwohl wir große Bedenken gegen die nen-Minen weder herzustellen noch zu verkaufen noch zu indiskutablen Todesurteile haben, die ja sogar gegen Ju- verwenden. Nur: Die Vertragsstaaten verfügten nur über gendliche und psychisch Kranke ausgesprochen und voll- 10 Prozent der Bestände an Minen insgesamt. Wir müssen streckt werden. Nichts anderes kann für Japan gelten. alles tun, damit Produzenten und Lieferanten wie Russ- Bei Kriegswaffen steht Israel an der Spitze, ein Land, land, Nordkorea, China, Vietnam, Indien, Pakistan die- das ebenfalls Probleme mit der Einhaltung der Men- sem Vertrag beitreten. Wir müssen aber auch dafür sorgen, schenrechte hat. Dennoch ist es richtig, wenn Deutsch- dass Panzerminen, die sich nicht selbst zerstören oder ab- land zum Schutz Israels auch durch die Lieferung von schalten, weltweit verboten werden. Es steht der Bundes- Kriegswaffen beiträgt. republik Deutschland gut an, wenn sie in solchen Fragen an der Spitze der Bewegung steht und nicht auf die Initia- In den neuen Richtlinien der Bundesregierung heißt es tive anderer Länder wartet. Wir von der F.D.P. haben eine in Abschnitt 3 Ziffer 5, dass Ausfuhren nicht genehmigt entsprechende Initiative ergriffen. Ich hoffe sehr, dass der werden in Länder, die in bewaffnete Auseinandersetzun- Bundestag sich diesem Vorhaben bald anschließen wird. gen verwickelt sind oder wo solche drohen. Ich weiß nicht, ob die Mütter und Väter dieser Richtlinien diesen Punkt ausreichend bedacht haben. Sollen wir wirklich Siegmar Mosdorf, Parlamentarischer Staatssekretär wieder – wie vor sechs und sieben Jahren in Bosnien ge- beim Bundesminister für Wirtschaft und Technologie: Mit schehen – abseits stehen, wenn eine Bevölkerungsgruppe dem Rüstungsexportbericht 1999 ist von der Bundesre- (B) von einer anderen übermächtigen überfallen wird, wenn gierung dem Deutschen Bundestag erstmalig eine detail- (D) Frauen zu Tausenden vergewaltigt und Männer ermordet lierte Aufschlüsselung der Rüstungsexporte des Vorjahres werden, weil sich Völker gegen andere mangels geeigne- vorgelegt worden. Der Rüstungsexportbericht 1999 be- ter Waffen nicht verteidigen können. Erinnern sie sich ruhte auf einer Zusage in der Koalitionsvereinbarung und noch daran, wie eine sehr gut ausgerüstete serbische der Selbstverpflichtung der Bundesregierung in Abschnitt Streitmacht über Städte und Dörfer von moslemischen V der im Januar 2000 verabschiedeten neuen rüstungs- Bosniern hergefallen ist, die zum Teil keine Schusswaffen exportpolitischen Grundsätze. zur Verteidigung hatten, sondern mit Sensen, Beilen und Ziel dieses Berichts und des in Vorbereitung befindli- Spaten ihre Familien und Dörfer verteidigt haben? Wenn chen Berichts über das Jahr 2000 ist die Verbesserung der Deutschland und die NATO damals schon glaubten, nicht Transparenz unserer Rüstungsexportpolitik. mit militärischen Mitteln helfen zu müssen, wäre es nicht wenigstens richtig gewesen, der geschundenen überfalle- Die Berichte gehen hierbei so weit, wie wir unter Wah- nen Bevölkerung die Waffen zur nötigen Selbstverteidi- rung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betei- gung zur Verfügung zu stellen? ligten Unternehmen gehen können. Dabei müssen wir auch die Kooperationsfähigkeit unserer Unternehmen in Ich will heute nicht über die Inkonsequenz der rot-grü- einer immer stärker zusammenwachsenden europäischen nen Bundesregierung sprechen, die den Ersatz der türki- Rüstungswirtschaft beachten. schen Leoparden 1 durch den Leo 2 nicht genehmigen will, aber die Lieferung einer Munitionsfabrik an die Tür- Die Bundesregierung hat – wie ich meine – mit dem kei ermöglicht hat. Ich will aber festhalten, dass die F.D.P. Rüstungsexportbericht 1999 einen guten Ausgleich zwi- nach wie vor für eine restriktive Rüstungsexportpolitik schen dem Transparenzinteresse einerseits und den Ver- eintritt, dass die F.D.P. aber großen Wert darauf legt, dass traulichkeitsgebot andererseits gefunden. Bei der Trans- die Kernfähigkeiten der deutschen Rüstungsindustrie im parenz von Rüstungsexporten stehen wir damit auch im Interesse unserer Sicherheit, aber auch im Interesse des internationalen Vergleich sicherlich mit in der ersten Wissenschaftsstandorts Deutschland erhalten werden, Reihe. und dass der deutschen wehrtechnischen Industrie Ko- Der Bericht ist auch außerhalb des Parlaments in der operationsfähigkeit und Vertragsfähigkeit erhalten wer- interessierten Öffentlichkeit auf lebhaftes Interesse und den müssen. – wie ich glaube – ganz überwiegende positive Resonanz Natürlich ist die Frage des Erhalts von Arbeitsplätzen gestoßen. Auch vonseiten der in diesem Bereich enga- auch in diesem Zusammenhang ein wichtiges Argument; gierten Nichtregierungsorganisationen ist grundsätzlich es kann aber nicht das allein entscheidende Argument nicht infrage gestellt worden, dass der Rüstungsexportbe- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17707

(A) richt 1999 ein entscheidender Durchbruch bei den Trans- rum, das Beamtenrecht weiter zu modernisieren. Was uns (C) parenzbemühungen in diesem sensiblen Bereich darstellt. hier vorgelegt wird, ist ein reines Spargesetz: nicht eine Spur von Innovation, nur weitere Kürzungen im Besol- Trotzdem können weitere Verbesserungen an den Rüs- dungssystem. tungsexportberichten vorgenommen werden. Die Be- schlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses ist inso- Wir lehnen den Entwurf insbesondere aus folgenden weit begrüßenswert. Die Bundesregierung wird die Emp- Gründen ab: fehlungen schon im Rüstungsexportbericht 2000 soweit Erstens. Die Einführung einer Bezahlungsbandbreite wie möglich berücksichtigen. im Eingangsamt wird de facto zu einer Absenkung der Be- Hierzu im Einzelnen folgende Bemerkungen: soldung im Bereich des gehobenen und höheren Dienstes führen. Dual-use-Güter: Wie für 1999 wird das Bundeswirt- schaftsministerium den Ausschüssen für Wirtschaft und Zweitens. Die Umwandlung des Verheiratetenzu- Technologie, Auswärtiges und Haushalt Exportzahlen zur schlags in den Familienzuschlag ist zwar eine „alte“ Ausfuhr von Dual-use-Gütern vorlegen. Weiter wird dem F.D.P.-Forderung. Nach unseren Vorstellungen muss der Wirtschaftsausschuss ein Bericht zum Ergebnis der Prü- Familienzuschlag aber bereits ab dem ersten Kind ge- fung vorgelegt, ob Dual-use-Güter künftig in Rüstungs- währt werden, insbesondere dann, wenn die Ehefrau nicht exportberichte aufgenommen werden. Hierbei wird ins- berufstätig ist. Der von der Bundesregierung vorgeschla- besondere die Frage zu beantworten sein, ob dies wegen gene Weg, den „modernisierten“ Familienzuschlag erst ab des unterschiedlichen Warencharakters sinnvoll ist. dem dritten Kind zu gewähren, ist eine Mogelpackung. Denn angesichts der Bevölkerungsentwicklung – 1,3 Kin- Künftig wird im Rüstungsexportbericht auf gewährte der pro Familie – wird der Änderungsvorschlag in der militärische Ausrüstungshilfen eingegangen. Außerdem Praxis kaum zum Tragen kommen. werden die Strafverfolgungsstatistik sowie Ermittlungs- verfahren nach AWG/KWKG berücksichtigt. Drittens. Mit dem Gesetz soll außerdem die Rege- lungskompetenz für Stellenobergrenzen auf die Länder Weiter wird über neu abgeschlossene regierungsamtli- verlagert werden. Nachdem diese bereits in der vergange- che Kooperationen im Berichtsjahr nach Unterrichtung nen Legislaturperiode einen entsprechenden Vorstoß der der Partnerländer berichtet werden. damaligen Bundesregierung abgelehnt haben, bleibt de- Schließlich werden künftig auch die Mitglieder des ren jetzige Reaktion abzuwarten. Aus unserer Sicht ist da- Ausschusses für Wirtschaft und Technologie über Her- gegen wenig einzuwenden. mes-Deckungsentscheidungen für Rüstungsgüter vertrau- Viertens. Im Rahmen der Gesetzesänderung soll zu- lich unterrichtet. Damit wird der Wirtschaftsausschuss dem eine neuer § 36 a Bundesbeamtengesetz eingeführt (B) über sensible Hermes-Deckungsentscheidungen so gut (D) werden. Die Bundesregierung will sich damit die Mög- unterrichtet wie bisher schon der Haushaltsausschuss. lichkeit verschaffen, parteipolitisch missliebige Beamte Die Bundesregierung geht in ihren Berichten über die der Besoldungsgruppe B 3, die zwar keine politischen Be- Rüstungsexporte so weit, wie sie unter Wahrung der Be- amten sind, aber wichtige Positionen innehaben, aus ihren triebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Unter- Ämtern entfernen und durch eigene Leute ersetzen zu nehmen gehen kann. Eine Vorabunterrichtung des Parla- können. Die Bundesregierung will damit gezielt Perso- ments oder seiner Ausschüsse über aktuelle, zur Ent- nalpolitik zu ihren Gunsten betreiben – aus unserer Sicht scheidung anstehende Einzelfälle des Rüstungsexports ein Skandal. würde die bestehenden rechtlichen Grenzen überschrei- Ich habe hier nur unsere Hauptkritikpunkte angespro- ten. Eine wie auch immer geartete Bindung der Bundes- chen. Aus Sicht der Liberalen genügen allein diese, den regierung an Voten von Parlamentsausschüssen zu einzel- Gesetzentwurf insgesamt abzulehnen. nen Rüstungsexportfällen würde darüber hinaus auch auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen. Der PDS-Antrag ,,Transparenz und parlamentarische Kontrolle bei Rüs- Anlage 5 tungsexporten“ ist deswegen in allen zuständigen Aus- schüssen abgelehnt worden. Ich schließe mich der Emp- Zu Protokoll gegebene Reden fehlung auf Ablehnung an. zur Beratung – der Großen Anfrage: Reform des Familienlasten- Anlage 4 ausgleichs Zu Protokoll gegebene Rede – des Antrags: Existenzminimum realitätsnah ermit- teln zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Besoldungsstruktur (Besol- (Tagesordnungspunkt 16 und Zusatztagesord- dungsstrukturgesetz – BesStruktG) (Tagesord- nungspunkt 8) nungspunkt 15) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Seit der Amtsübernahme Dr. Max Stadler (F.D.P.): Die F.D.P. lehnt den vorlie- der rot-grünen Koalition ist Familienpolitik ein wesentli- genden Gesetzentwurf ab. Rot-Grün geht es hier nicht da- cher Schwerpunkt unserer Arbeit. Vor allen Dingen galt 17708 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) es, die höchstrichterlich festgestellten Versäumnisse der sem Jahr wegen der Steuerentlastung 1 730 DM mehr im (C) Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Aufgabe, ein familien- Portemonnaie haben. Das sind rund 145 DM, die jeden freundlicheres Steuersystem zu schaffen, war angesichts Monat zusätzlich zur Verfügung stehen. Die „Schere“ der Staatsverschuldung mit enormen Schwierigkeiten zwischen der Entlastung durch den Kinderfreibetrag und verbunden. Umso stolzer können wir nun auf das Er- durch das Kindergeld wird sich bis zum Jahr 2005 durch reichte zurückblicken. Das geplante Gesetz stellt zwei- den sinkenden Spitzensteuersatz deutlich verringern. felsohne einen Meilenstein auf diesem langen Weg dar. Diese – noch nicht einmal vollständige – Aufzählung Die reinen Zahlen verdeutlichen das: So hat das Volu- familienpolitischer Maßnahmen kann sich durchaus se- men familienpolitischer Leistungen, an denen der Bund hen lassen! Unsere Regierung hat erkannt, dass sich Fa- finanziell beteiligt ist, seit 1998 von 78,6 Milliarden DM milienförderung nicht ausschließlich auf die finanzielle, um 20 Prozent auf 95 Milliarden DM zugenommen. sprich steuerliche Unterstützung der Familien beschrän- Hinzu kommen noch die Leistungen von Ländern und ken darf. Es gehört schon eine gehörige Portion Naivität Kommunen. Angesichts der Haushaltslage beim Bund dazu zu glauben, dass eine alleinige Erhöhung des Kin- und den übrigen Gebietskörperschaften haben wir den dergeldes Menschen dazu bewegen kann, mehr Kinder zu vorhandenen Spielraum bis auf das Äußerste ausgenutzt. bekommen! Vorschläge zur Zahlung eines Familiengel- Mehr ist zurzeit nicht möglich! des – wie sie von der CDU/CSU vorgebracht wurden – greifen daher viel zu kurz und werden den Bedürfnissen Diese Tatsache sollten Sie sich, meine verehrten Kol- der meisten Menschen nicht gerecht. Nicht bezahlbare leginnen und Kollegen von der PDS, vergegenwärtigen. Transfer-/Kindergeldzahlungen von mehr als 1 000 DM Finanziellen Spielraum für weitergehende Forderungen führen nur dazu, Frauen vom Arbeitsmarkt fernzuhalten. gibt es derzeit leider nicht – auch wenn das durchaus wün- Die Lebenswirklichkeit einer wachsenden Zahl von El- schenswert wäre. Sie können sich sicher sein, dass wir in ternpaaren und Alleinerziehenden sieht anders aus. Zukunft weitere Verbesserungen bei der Familienförde- rung anstreben. Ich bin der Überzeugung, dass der fi- Um Missverständnissen vorzubeugen: Familien brau- nanzpolitische Kurs von dafür die Grundla- chen eine bessere finanzielle Unterstützung des Staates. gen schaffen wird. Der Denkansatz unserer Regierung geht aber über die fi- nanziellen Bedingungen hinaus. Familienpolitik kann nur Die Experten-Anhörung ergab eine breite Zustimmung erfolgreich sein, wenn sich die Rahmenbedingungen für zu dem Gesetzentwurf. Mit diesem hat die Regierungsko- Familien insgesamt verbessern. Hierzu haben wir bereits alition von SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Vorga- erste viel versprechende Schritte eingeleitet. Ich darf in ben des Bundesverfassungsgerichts zur Familienbesteue- Erinnerung rufen: rung zugunsten der Familien – insbesondere derer mit (B) kleinen und mittleren Einkommen – wirkungsvoll umge- Die Ausbildung von Kindern wird besser finanziell ge- (D) setzt. Die Sachverständigen lobten vor allem, dass erst- fördert. Durch die Reform des BAföG beziehen mehr malig im deutschen Steuerrecht der Abzug von Kinderbe- Schüler und Studenten finanzielle Unterstützung. Denn treuungskosten zugelassen wird, die wegen Erwerbs- die Einkommensgrenzen sind deutlich angehoben wor- tätigkeit der Eltern entstehen. Von der neuen Abzugsmög- den. Gleichzeitig. wurde der Förderhöchstbetrag auf lichkeit werden insbesondere Frauen profitieren, denen 1 140 DM erhöht. Die durchschnittliche Förderung liegt die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermög- jetzt bei 730 DM pro Kind im Monat und ist damit um licht wird. circa 90 DM pro Monat gestiegen. Als weitere Verbesserungen sind vorgesehen: Das Kin- Deutliche Entlastungen für Familien bringt auch die dergeld für erste und zweite Kinder wird nochmals spür- zum 1. Januar 2001 in Kraft getretene Reform des Wohn- bar um 30 DM auf 300 DM je Kind und Monat angeho- geldes. 400 000 zusätzliche Haushalte können aufgrund ben. Von vielen Sachverständigen wurde anerkannt, dass der Anhebung der Einkommensgrenzen Wohngeld bezie- die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung mit der hen, viele davon Familienhaushalte. Daneben wird das Kindergelderhöhung zu vereinbaren sein muss. Im Jahr Wohngeld erhöht. Für Haushalte mit vier und mehr Per- 1998 betrug das Kindergeld noch 220 DM. sonen gibt es durchschnittlich 118 DM mehr im Monat. Der Freibetrag für das sächliche Existenzminimum ei- All diese Maßnahmen haben zu einer spürbaren finan- nes Kindes wird aufgrund der Steigerung der Lebenshal- ziellen Entlastung der Familien geführt. Doch Familien- tungskosten von 6 912 Mark auf 7 128 Mark angehoben. politik bedeutet für die rot-grüne Koalition weit mehr, als nur die finanzielle Situation von Familien zu verbessern. Der bisherige Betreuungsfreibetrag von 3 024 DM wird zur Berücksichtigung der Kosten für Erziehung und Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und Ausbildung auf insgesamt 4 212 DM erhöht. Die Alters- ein gewaltfreies Zuhause. Deshalb haben wir durch eine grenze wird von 16 auf 27 Jahre angehoben. Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs die gewaltfreie Kindererziehung zum Leitbild erhoben. Gleichzeitig ha- Bei volljährigen Kindern, die sich in Berufsausbildung ben wir den Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt ge- befinden und auswärtig untergebracht sind, kann ein zu- gen Frauen beschlossen. sätzlicher Freibetrag von 1 800 Mark abgezogen werden. Zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ha- Auch die Steuerreform entlastet Familien und Bezieher ben wir die Elternzeit, früher Erziehungsurlaub, flexibili- kleiner und mittlerer Einkommen. So wird eine Familie siert. Seit dem 1. Januar 2001 können Väter und Mütter mit zwei Kindern und Durchschnittseinkommen in die- gleichzeitig Elternzeit nehmen. Außerdem können sie Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17709

(A) schon während der Elternzeit bis zu 30 Stunden arbeiten 18. bis zum 27. Lebensjahr 350 DM. Die CDU/CSU-re- (C) und gleichzeitig Erziehungsgeld beziehen. Darüber hi- gierten Bundesländer halten dies für möglich und wir naus haben alle Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf ebenfalls, weil wir uns in Politik und Gesellschaft wirk- Teilzeitarbeit, sofern sie in Betrieben mit mehr als 15 Be- lich ernsthaft um eine dringend erforderliche Prioritäten- schäftigten arbeiten. setzung zugunsten von Familien mit Kindern bemühen müssen. Alle, sowohl Bund, Länder wie auch Gemeinden Die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist eines und Arbeitgeber, sind aufgefordert, den politischen Wil- unserer wesentlichen politischen Ziele. Durch das Sofort- len und die politische Kraft zur Gestaltung einer wirklich programm gegen Jugendarbeitslosigkeit JUMP konnte kinderfreundlichen Gesellschaft aufzubringen. die Jugendarbeitslosigkeit deutlich gesenkt werden. Wenn ein Drittel aller Frauen und die Hälfte aller Aka- Diese bereits realisierten Projekte zeigen eines ganz demikerinnen heute schon kinderlos bleiben, dann ist dies klar: Mit unserer Familienpolitik sorgen wir für Gerech- eine gesellschaftliche Herausforderung erstes Ranges. tigkeit und Bildungsbeteiligung für Familien mit niedri- Diese demographische Entwicklung, die sich auf die So- gem und mittlerem Einkommen sowie für Chancen- zialversicherungen ebenso negativ auswirkt wie auf das gleichheit von Frauen und Männern. Arbeitskräftepotenzial und die Steuerkraft, muss uns alle Wir haben in der relativ kurzen Zeit unserer Regie- aufrütteln. Deswegen bin ich der Meinung, dass sich die rungsverantwortung schon viel geschafft. Doch wir haben finanzielle Situation der Familien mit Kindern verbessern noch ehrgeizige Ziele und werden deshalb weitere Maß- muss, dass aber zur besseren Vereinbarkeit von Familie nahmen zur Entlastung von Familien verabschieden, so- und Beruf gerade die Länder und Gemeinden gefordert bald die notwendigen Finanzen verfügbar sind. Bis dahin sind, bessere Betreuungsmöglichkeiten für Kinder im möchte ich Sie um etwas Geduld bitten und Sie auffor- Vorschulalter wie auch im Schulalter zu schaffen. Es ist dern, uns bei der Bewältigung der zukünftigen Aufgaben eindeutig feststellbar, dass es in Ländern wie Frankreich, konstruktiv zu unterstützen. England, Italien, Spanien, USA, wo mehr Ganztagsbe- treuungsmöglichkeiten für Kinder existieren, mehr Kin- der gibt, dass Kinder früher geboren werden und die Er- Elke Wülfing (CDU/CSU): „Armutsrisiko Kinder“, werbstätigkeit von Frauen eine wesentlich höhere Quote so titelt die Rheinische Post gestern und fügt hinzu: „Kin- aufweist als in Deutschland. Deshalb kann ich die Initia- der sind für viele Familien in Deutschland das Armutsri- tive der CDU-Landtagsfraktion NRW nur nachdrücklich siko Nummer eins.“ Die Kinderarmut wächst dramatisch. unterstützen, die in der vorigen Woche einen Antrag auf Das zeigt der Bericht der Nationalen Armutskonferenz. Ganztagsbetreuung an den Schulen in den einge- Heute leben rund 1,1 Millionen Kinder von der Sozial- bracht hat. Derartige Aktivitäten wünsche ich mir in allen hilfe, 1994 waren es „nur“ etwa 700 000. Die stellvertre- (B) Bundesländern. (D) tende Vorsitzende der Nationalen Armutskonferenz, Erika Biehn, stellte sogar fest, die Situation der Kinder hat sich Kommen wir aber zurück zur Bundesebene. Ein paar unter Rot-Grün verschlechtert. Gerade Familien mit drei Bemerkungen zur derzeitigen Diskussion um das so ge- und mehr Kindern sowie Alleinerziehende seien gefähr- nannte zweite Familienförderungsgesetz werden Sie mir det. Vor diesem Hintergrund nimmt sich das zurzeit im Fi- gestatten. Wie schon das erste Gesetz zur Familienförde- nanzausschuss in der Beratung befindliche so genannte rung vom 22. Dezember 1999 trägt auch der vorliegende Familienförderungsgesetz ziemlich mickerig aus. Entwurf diese Bezeichnung zu Unrecht. In der Sprachre- gelung des Einkommensteuergesetzes wird bekanntlich Familien sind das Fundament und Kinder sind die Zu- nur jener Teil des Kindergeldes als der Familienförderung kunft unserer Gesellschaft. Ohne sie ist im wahrsten Sinne dienend bezeichnet, der die Steuererstattung übersteigt. des Wortes kein Staat zu machen. Deshalb gehören Fami- Deshalb wäre wohl der Begriff „Steuerrückerstattungs- lien mit Kindern ins Zentrum einer modernen zukunfts- gesetz“ eher sachgerecht. orientierten Gesellschaftspolitik. Dazu gehört vor allem, dass unsere Gesellschaft die Leistungen von Familien mit Aber nicht nur die Bezeichnung ist aus familienpoliti- Kindern stärker als bisher anerkennt und honoriert. Ich zi- scher Sicht unzutreffend. Vor dem Hintergrund der eben tiere dazu die Rede der Ministerpräsidentin von Schles- dargestellten demographischen Entwicklung ist vor allem wig-Holstein, , im Bundesrat am Freitag sein Inhalt unzureichend und sozial unausgewogen. Die voriger Woche: „Auf Dauer werden wir nicht daran vor- Chance auf eine konzeptionelle Neugestaltung oder we- beikommen, stärker als bisher zugunsten von Familien nigstens auf eine deutliche Erweiterung der familienpoli- mit Kindern umzuschichten. Das 4,6-Milliarden-DM-Pa- tischen Leistungen ist leider ungenutzt geblieben. ket, das zum 1. Januar 2002 in Kraft treten soll, ist nur ein Die Erhöhung des Kindergeldes um 30 DM für das erster Schritt auf einem sehr langen Weg.“ erste und zweite Kind ist fraglos besser als nichts, aber Ich kann dazu nur sagen, Frau Ministerpräsidentin: leider werden 40 Prozent des Entlastungsvolumens von Nehmen Sie sich ein Beispiel an der Beschlussfassung des 7,5 Milliarden DM durch familienpolitische Einsparun- CDU-Bundesvorstandes sowie der CDU-Bundestags- gen in Höhe von 2,9 Milliarden DM gegenfinanziert. Da- fraktion, die zum Ziel hat, die derzeitige Förderung mit ist das Hauptziel des Gesetzentwurfes gekennzeich- Schritt für Schritt zu einem echten Familiengeld aufzu- net: eine möglichst billige Umsetzung der Urteile des werten.Alle Familien sollen pro Kind monatlich 1 200 DM Verfassungsgerichts. Die Anhebung des Kindergeldes bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres erhalten, bis von 270 auf 300 DM bedeutet de facto nicht mehr als den zum 18. Lebensjahr dann 600 DM monatlich und vom Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten bei 17710 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) einer Inflationsrate von 3,5 Prozent, die Ihre Regierung Begabungen vom Geldbeutel der Eltern abhängig sind. (C) durch schlechte Wirtschaftspolitik und Ökosteuer inzwi- Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, nehmen Sie sich selber schen verursacht hat. ernst. Nehmen Sie Ihre Richtlinienkompetenzen wahr und tun Sie das, was der SPD-Bundesvorsitzende Ihnen ins Außerdem beschränkt sich das rot-grüne Trippel- Stammbuch geschrieben hat. schritte-Gesetz zum zweiten Mal nur auf die Kindergeld- erhöhung für die ersten beiden Kinder. Familien mit drei oder mehr Kindern sind also erneut benachteiligt. Dabei Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die hat die Nationale Armutskonferenz festgestellt, dass es Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der gerade kinderreiche Familien mit einem Normaleinkom- PDS zur Reform des Familienlastenausgleichs dokumen- men sind, die an den Rand der Existenzkrise oder unter tiert die Notwendigkeit, das Kindergeld und die Freibe- die Sozialhilferichtsätze geraten. Deshalb kann ich nur an träge für das sachliche Existenzminimum weiter zu er- Sie appellieren: Stimmen Sie unserem Antrag auf Er- höhen sowie die Freibeträge für Betreuung, Erziehung höhung des Kindergeldes für dritte und weitere Kinder um und Ausbildung zusammenzufassen. 30 DM zu. Die CDU/CSU-regierten Bundesländer haben im Bundesrat diesen Antrag auch schon gestellt. Die rot-grüne Koalition hat in dieser Legislaturperiode schon viel getan, um Familien besser zu fördern. So ha- Ich möchte auch gern noch einmal die Gelegenheit nut- ben wir das Kindergeld für das erste und zweite Kind um zen, zum Sonderausgabenabzug für Haushaltshilfen Stel- jeweils 50 DM von 220 DM auf 270 DM im Monat er- lung zu nehmen. Da Frau Kressl mich im Finanzausschuss höht. verkürzt zitiert hat, möchte ich hier doch noch einmal da- rauf hinweisen, für wie wichtig ich den Erhalt dieses Son- Aktuell haben wir in dieser Woche das zweite Gesetz derausgabenabzugs aus arbeitsmarktpolitischen Gründen zur Familienförderung im Finanzausschuss weiter bera- wie auch aus Familienfördergründen halte. Die eben ten. Mit diesem Gesetz wird das Kindergeld noch einmal schon zitierte Ministerpräsidentin Heide Simonis, SPD, um rund 30 DM pro erstem und zweitem Kind angehoben. hat im Bundesrat ja sehr deutlich festgestellt, dass auch sie Mit den rund 300 DM Kindergeld im Monat ist dann ein der Meinung ist, dass die Bundesregierung einen Fehler wichtiges Wahlversprechen von Bündnis 90/Die Grünen macht, wenn sie die knapp 40 000 versicherungspflichti- eingelöst. gen Beschäftigungsverhältnisse in privaten Haushalten Insgesamt haben Familien dann pro Kind im Jahr mit der Streichung des Sonderausgabenabzugs vernichtet. 960 DM allein an Kindergeld mehr zur Verfügung. Für Ich habe in meiner letzten Rede dazu ausgeführt, dass das Kindergeld werden im Jahr 2002 dann rund 66 Milli- nicht die Streichung, sondern die Ausdehnung auf Dienst- arden DM ausgegeben. Davon verursacht die für 2002 (B) leistungszentren und Dienstleistungsagenturen notwen- vorgesehene Erhöhung um rund 16 Euro (31,20 DM), von (D) dig ist. Fast 94 Prozent aller Erwerbstätigen in privaten 138 Euro auf 154 Euro, allein Ausgaben in Höhe von Haushalten sind Frauen. In der Anhörung zum so genann- 6 Milliarden DM. ten zweiten Familienfördergesetz haben uns die Dienst- Für alle familienpolitischen Leistungen zusammen ge- leistungszentren und Dienstleistungsagenturen dringend nommen – neben Kindergeld und Freibeträgen zählen davor gewarnt, diese steuerliche Förderung auszusetzen dazu Erziehungsgeld, BAföG, die Kinderkomponente in und damit Beschäftigung in privaten Haushalten wieder der Eigenheimförderung und die Erziehungskomponente in die Schwarzarbeit abzudrängen. Im Interesse dieser in der Rentenversicherung – werden im Jahr 2001 rund Frauen, bei denen es sich oft um Langzeitarbeitslose oder 98 Milliarden DM für familienpolitische Leistungen aus- um Sozialhilfeempfängerinnen handelt, kann ich Sie nur gegeben. Dies sind rund 20 Milliarden DM mehr als zu dringend bitten, die Streichung des Sonderausgabenab- Anfang der Legislaturperiode im Jahr 1998. Damit hat die zugs in Ihrem Gesetz wieder rückgängig zu machen. Nur rot-grüne Koalition den Hauptteil ihrer finanzpolitischen durch die Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit mit Reformen in der Kinder- und Ausbildungspolitik in dieser Schwarzarbeitsentgelten durch steuerliche Förderung Legislaturperiode erfolgreich verwirklicht. können Sie verhindern, dass diese Frauen im Alter statt Rente Sozialhilfe beziehen müssen. Trotz dieser erheblichen Anstrengungen, die negativen Hinterlassenschaften der Regierung Kohl abzuräumen Die von Ihnen im Gesetz vorgesehene Absetzbarkeit und den Vorgaben von Urteilen des Bundesverfassungs- von Kinderbetreuungskosten von 3 000 DM im Monat ist gerichts nachzukommen, bleibt aber noch viel zu tun. Wie im Vergleich absolut lächerlich, denn bei einem Stunden- sich aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große satz von 20 DM – und das ist noch nicht allzu viel – kom- Anfrage ergibt, ist die Zahl von Kindern und Jugendli- men genau drei Stunden pro Woche dabei heraus. Weitere chen, die von Sozialhilfe leben, ständig gestiegen. Heute drei Stunden dürfen dann nur berufstätige Eltern geltend leben mehr als 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche von machen. Dies halten wir für zu wenig und zu einseitig auf Sozialhilfe. Besonders gravierend ist die Entwicklung bei Berufstätige ausgerichtet und deswegen kleinkariert. Kindern unter sieben Jahren bei Alleinerziehenden. Noch Ich wäre sehr zufrieden, wenn Sie nicht nur unsere Än- 1994 lebten 218 000 dieser Kinder von der Sozialhilfe. Im derungsanträge annähmen, sondern wenn Sie sich auch Jahr 1999 waren es bereits 263 558 Kinder. Die Zahlen daran halten würden, was der Bundesvorsitzende der SPD sprechen für sich: Das Armutsrisiko trifft immer häufiger Schröder vor einigen Tagen in der „Welt“ veröffentlicht Frauen mit Kindern. Und das nicht ohne Grund: Häufig ist hat. Er wollte doch den Zustand überwinden, dass die Zu- es ihnen unmöglich, Berufstätigkeit und Kinderbetreuung kunftschancen unserer Kinder und die Entfaltung ihrer miteinander zu vereinbaren. Denn fehlende oder unzurei- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17711

(A) chende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, zu geringe Aus- beim „Fallbeileffekt“ der Sozialhilfe, ein wirksamer An- (C) bildungsförderung und mangelnde Weiterbildungsange- reiz eine Tätigkeit aufzunehmen. bote sind die Realität für viele Alleinerziehende. Keine Familie soll mehr von Sozialhilfe abhängig wer- Aus diesem Grunde kommt der steuerlichen Absetz- den, nur weil Kinder dort leben. Dieses Ziel ist es uns auch barkeit von Kinderbetreuungskosten im laufenden Ge- wert, an den Grundfesten der „Alleinverdiener-Ehe“ zu setzgebungsverfahren des zweiten Familienlastenaus- rütteln. Wir wollen zur Finanzierung der Kindergrundsi- gleichsgesetzes eine besondere Bedeutung zu. Wie kann cherung das Ehegattensplitting im oberen Einkommens- ein Anreiz geschaffen werden bzw. wie können die Chan- bereich kappen. In der Konsequenz würde dann ein Spit- cen verbessert werden, auch mit Kind erwerbstätig zu zenverdiener vom Ehegattensplitting nicht mehr stärker werden oder zu bleiben, wenn gewährleistet ist, dass mein profitieren als ein Durchschnittsverdiener. Für die Allein- Kind qualifiziert entsprechend meinen zeitlichen Not- verdiener-Ehe bis 90 000 DM Jahreseinkommen ändert wendigkeiten betreut wird? sich nichts. Dieses Projekt wollen wir in der nächsten Le- gislaturperiode angehen. Die Kosten für erwerbsbedingte Kinderbetreuung müssen deshalb ab der ersten Mark absetzbar werden. Nur Die Zahlen sind vom DIW durchgerechnet und sie so wird gewährleistet, dass Alleinerziehende mit geringen sprechen für sich: Unser Kindergrundsicherungsmodell bis mittleren Erwerbseinkünften überhaupt einen Steuer- schafft mehr soziale Gerechtigkeit. vorteil bekommen. So, wie es bislang im Gesetzentwurf steht, bekommen gerade diese nämlich keinen Anreiz zur Ina Lenke (F.D.P.): Die Große Anfrage zur Reform Aufnahme einer Berufstätigkeit. Laut Entwurf können die des Familienlastenausgleichs beinhaltet erstens Aussagen Betreuungskosten erst abgesetzt werden, wenn sie bei zum Zusammenleben von Familien und Alleinerziehen- Verheirateten 3 024 DM im Jahr übersteigen und sind den mit Kindern und die Entwicklung der letzten Jahre, dann auf 3 000 DM begrenzt. Alleinerziehende könnten zweitens die Steuerbelastung bzw. -entlastung in Abhän- Kosten erst oberhalb von 1 512 DM und dann bis zu gigkeit vom Familienstand und der Steuerprogression bei 1 500 DM absetzen. Diese Steuerentlastung erreicht höhere der Einkommensteuer und drittens die derzeitige steuerli- Einkommensschichten und nicht den Personenkreis, der che Belastung von Lebenspartnerschaften – also gleich- sich aus der Sozialhilfeabhängigkeit heraus bewegen will. geschlechtlichen Partnerschaften bei der Einkommen- Hinzu kommt, dass durch die Vorgabe des Bundesver- und Erbschaftsteuer. fassungsgerichts der Abbau des Haushaltsfreibetrages im Die Vielfalt von Verantwortungsgemeinschaften, die Familienförderungsgesetz steht. Durch das allmähliche sich in den vergangenen Jahrzehnten aus unterschiedlich- Abschmelzen werden die Auswirkungen zwar gemildert, sten Gründen neben der Ehe entwickelt hat, zwingen den (B) trotzdem kann es in den Jahren 2003 und 2005 zu finan- (D) Gesetzgeber, seine Steuergesetze einer Prüfung zu unter- ziellen Belastungen für Alleinerziehende, insbesondere ziehen. Maßstab ist dabei die Gleichheit der Besteuerung. im unteren und mittleren Einkommensbereich, kommen. Die Antwort der Bundesregierung zeigt, dass zum Bei- Dies können wir als Bündnis 90/Die Grünen nicht vertre- spiel bei der Sozialhilfe im Rahmen der laufenden Hilfe ten, da gerade dieser Personenkreis häufig armutsbetrof- zum Lebensunterhalt die Gruppe der Menschen, die staat- fen ist. liche Hilfe benötigen, gestiegen ist. Die Zahl der Allein- Wir wollen mit der Absetzbarkeit der erwerbsbeding- erziehenden mit Kindern unter 18 Jahren, die im Rahmen ten Kinderbetreuungskosten ab der ersten Mark erreichen, dieser Hilfe einen Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 2 dass diesen verteilungspolitisch problematischen Effek- BSHG erhalten, hat sich zwischen 1994 und 1999, also in- ten entgegengewirkt wird. Dies wollen wir jetzt stufen- nerhalb von 5 Jahren, von 163 000 auf 249 000 Personen weise umsetzen, sodass dieser wichtige Punkt für eine erhöht – also um ein Drittel! bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht aus Ich will zwei Punkte herausgreifen: haushaltspolitischen Gründen scheitert. Erstens. Die Regierung schafft den Haushaltsfreibetrag Für die nächste Legislaturperiode werden die Armuts- für Alleinerziehende ab. 2005 wird er auf 0,00 DM ge- bekämpfung und die besseren Rahmenbedingungen für setzt. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter Gegen- stand der politischen Gestaltung bleiben. Bündnis 90/Die Zweitens. Die Bundesregierung beachtet zu wenig, Grünen haben mit ihrem Konzept der Kindergrundsiche- dass für Alleinerziehende staatliche Rahmenbedingun- rung eine realisierbare Vision der aktiven Armuts- gen, wie zum Beispiel ein zeitlich breiteres Angebot von bekämpfung vorgelegt und finanzpolitisch durch das Kinderbetreuungseinrichtungen und eine deutliche steu- Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung begutachten erliche Entlastung für entstehende Kinderbetreuungskos- lassen. ten, äußerst wichtig sind. Sie zitiert lediglich das Bundes- verfassungsgericht, das sich dafür ausgesprochen hat, den Wir wollen Familien mit niedrigen Einkommen durch Betreuungsbedarf eines Kindes bei der Steuerbelastung einen Zuschlag zum Kindergeld von 200 DM pro Kind stets zu verschonen. Hier drückt sich die Bundesregierung aus der „Sozialhilfe von Kindes wegen“ heraus holen. vor einer klaren Aussage, wie die Entlastung der Familien Unsere Grundsicherung würde etwa 5 Millionen Kindern konkret aussehen soll. und ihren Eltern helfen, aus der Sozialhilfe herauszukom- men. Denn durch die nur teilweise Berücksichtigung von Die F.D.P. will Kinderbetreuungskosten als Werbungs- selbst erarbeitetem Mehreinkommen entsteht, anders als kosten oder Betriebsausgaben bei Berufstätigkeit des 17712 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) erziehenden Elternteils von der Einkommen- und Lohn- ist bis heute bei Vertragsverhandlungen mit den Verwer- (C) steuer abzugsfähig machen. Nun ist Rot-Grün recht zö- tern seiner Werke in einer extrem schlechten Position. gerlich der F.D.P.-Forderung gefolgt. Es wurde ein Frei- Denn die Konkurrenz ist groß und die Verwerter sind betrag von 3 000 DM im Jahr eingeführt. Das ist wirklich mächtig. Für freie Berufe wie den des Anwalts oder Ar- nicht genug! Ein Freibetrag, begrenzt auf 3 000 DM jähr- chitekten gibt es Honorar- und Gebührenordnungen, die lich, bedeutet bei einem Steuersatz von 30 Prozent eine eine bodenlose gegenseitige Unterbietung im Preis ver- jährliche Entlastung für die Eltern von real nur 900 DM, hindern. Für 98,5 Prozent der freien Kulturschaffenden also monatlich 75 DM. Bei Kosten für einen Kitaplatz von aber, die nicht zu den Branchenstars zählen, bleibt kein monatlich 500 bis 700 DM also nur eine Entlastung von großer Spielraum für finanzielle Forderungen. 75 DM. Die F.D.P. will Kinderbetreuungskosten, wie zum Spektakuläre Beispiele illustrieren diese unzumutbare Beispiel Kitagebühren oder Kosten für eine Tagesmutter, Lage. Man denke nur an den Fall der Übersetzerin der grundsätzlich steuerfrei stellen denn ohne Kinderbetreu- Asterix-Comics, die – wie üblich – eine Pauschale von ung ist eine Berufstätigkeit nicht möglich! 1 500 DM pro Band erhalten hat. Später, als sich heraus- Die ausführlichen Steuertabellen in der Großen An- stellte, dass der Verlag mit den übersetzten Exemplaren frage zeigen deutlich die gravierenden unterschiedlichen Umsätze von rund einer halben Milliarde machte, ver- Steuerbelastungen, unterteilt nach den verschiedenen For- suchte sie auf dem bisher üblichen Weg über den Bestsel- men des Zusammenlebens. Das hängt natürlich auch am lerparagraphen eine Beteiligung des Gewinns zu erreichen. Ehegattensplitting-Vorteil von Ehepaaren. Ein Vorteil er- Aber die Prozesskosten fraßen die gerichtlich erstrittenen gibt sich jedoch nur, wenn die Ehefrau nicht arbeitet. Beträge auf. Ich kritisiere, dass die PDS immer wieder beim Ein- Oder die Übersetzerin der Werke des italienischen kommensteuerrecht eine Neidkampagne führt. Die PDS Schriftstellers Alessandro Baricco, dessen Roman „Novi- verkennt, dass bei hoher Steuerbelastung des Einkom- cento“ in Deutschland zum Bestseller wurde: Ihre Über- mens durch Freibeträge auch eine entsprechende Steuer- setzungen wurden bei ihrer Nachforderung schlicht vom entlastung erfolgen muss. Hierin ähnelt sie den Gewerk- Markt genommen und durch billigere ersetzt. Bisher also schaften, deren Funktionäre – von Sachkenntnis unge- haben sich Urheber bei Forderungen nach angemessener trübt – fälschlicherweise die Abschaffung des Kindergel- Vergütung nur selbst schaden können. des für Leistungsträger in unserer Gesellschaft fordern. Als der Gesetzgeber 1965 das Urheberrecht erließ, Noch eine Bemerkung zur Erbschaftsteuer im Ver- wies er in der Begründung darauf hin, dass die vertragli- gleich von Verheirateten und Lebenspartnerschaften. Die che Stellung der Urheber noch weiterer Regelung bedarf. F.D.P. fordert bei auf Dauer angelegten gleichgeschlecht- Erst der vorliegende Gesetzentwurf kommt dieser Forde- (B) lichen Lebenspartnerschaften auch angemessene Steuer- rung endlich nach. Erstmalig soll den Urhebern und aus- (D) freibeträge bei der Erbschaftsteuer. Wir haben dazu im übenden Künstlern gesetzlich eine angemessene Min- Bundestag unsere Vorschläge vorgelegt. destvergütung zugesichert werden. Die Reaktionen der Verwerter auf diesen Kernpunkt des Gesetzentwurfes Ich komme zum Schluss. Die Antworten der Bundes- zeigt, wie wenig angemessen die Vergütung bisher gewe- regierung auf die Große Anfrage zeigen, dass sie ihre sen sein muss. Denn die großen Verbände warnen vor dem Hausaufgaben beim Familienlastenausgleich nicht befrie- Ruin durch die erwarteten immensen Nachforderungen. digend erledigt hat. Besonders deutlich wird es, wenn wir In der Praxis wird es aber wohl kaum zu einer unüber- sie an ihren Wahlkampfforderungen und Wahlkampfver- schaubaren Zahl von solchen Forderungen kommen, denn sprechungen messen. die angemessenen Beträge werden Mindestbeträge sein. Der Antrag der PDS zu einer realistischen Berechnung Die Differenz zur tatsächlichen Entlohnung wird in den des Existenzminimums kam zu spät, um hier noch darauf meisten Fällen zu gering für eine neue Aushandlung oder eingehen zu können. Die F.D.P.-Bundestagsfraktion hat gar einen Rechtsstreit sein. aber bereits im Deutschen Bundestag beantragt, dass bei Auch die zweite Säule des Urhebervertragsgesetzes der Berechnung des Existenzminimums für Kinder – ana- löst bei den Interessengruppen der Verwerter starke Re- log zum Existenzminimum für Erwachsene – eine dyna- aktionen aus. Was „angemessen“ heißt, sollen sie nämlich mische Anpassung erfolgt. selbst bestimmen, und zwar in direkter Verhandlung mit den Verbänden der Urheber. Auf diese Weise ist gewähr- leistet, dass die Betroffenen, die sich in ihren diversen Anlage 6 Branchen am besten auskennen, das Maß der Vergütung selbst bestimmen. Durch diese zwei Regelungen allein Zu Protokoll gegebene Reden wird die vertragliche Stellung der freien Urheber und aus- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur übenden Künstler erstmals echt gestärkt. In seinen Ent- Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhe- scheidungen hat das Bundesverfassungsgericht bereits bern und ausübenden Künstlern (Tagesord- wiederholt darauf hingewiesen, dass die Stellung von Ver- nungspunkt 17) tragspartnern nicht zu ungleichgewichtig sein darf, denn die Vertragsfreiheit setzt Freiheit auf beiden Seiten des Verhandlungstisches voraus. Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass Kreative bisher sehr oft nicht von ihrer Kunst leben Die Regelung über die gemeinsamen Vereinbarungen konnten, nahm man einfach hin. Der Autor oder Künstler zur angemessenen Vergütung darüber hinaus – und dies Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17713

(A) war ein besonderes Anliegen von Bündnis 90/Die Grü- grafen und aller anderen Kreativen für die Kultur unseres (C) nen – dafür, dass das Gleichgewicht in den Verhandlun- Landes, aber auch für die Kulturwirtschaft unverzichtbar gen nicht in der Form umkippt, dass kleine Verwerter ist. Sie ist längst zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor ihren Platz am Markt verlieren. Im Gegenteil heißt es aus- geworden. drücklich, dass bei der Vereinbarung der Vergütungsre- Es ist klar: Den Urhebern und ausübenden Künstlern geln Interessen und Gesamtumstände der beteiligten Par- steht selbstverständlich ein angemessener Anteil an der teien berücksichtigt werden müssen. Verwertung ihrer Werke zu. Dieser Grundsatz findet sich Das Gesetz wird hier auch dem Anspruch gerecht, die längst in zahlreichen Gerichtsurteilen. Auch die neue EU- Anliegen aller Urheber und ausübenden Künstler berück- Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“, sichtigen zu können. Denn die unterschiedlichen Gruppen die jetzt veröffentlicht wurde und die wir zügig in deutsches von Urhebern können individuelle Vereinbarungen mit Recht umsetzen müssen, geht ausdrücklich davon aus. ihren Verwertern treffen. Die oft geäußerten Bedenken, Gesetzlich verankert allerdings ist dieser selbstver- dass mit einem Gesetz unmöglich allen Urhebern – vom ständliche Anspruch bisher nicht. Deshalb räumt der vor- Schriftsteller über den Übersetzer bis hin zum Filmschau- liegende Gesetzentwurf den Kreativen jetzt diesen ge- spieler – gerecht werden könne, sind also ganz unbegrün- setzlichen Anspruch auf angemessene Vergütung det. ausdrücklich ein. Gemeinsam – durch die Branche zu ver- Können oder wollen sich die Parteien gar nicht einigen, einbarende Vergütungsregeln sollen selbst festlegen, was wird die Entscheidung über eine angemessene Vergütung redlicherweise branchenüblich, also angemessen ist; in einem unabhängigen Schiedsgerichtsverfahren getrof- diese Festlegung gilt dann als gesetzliche Vermutung. fen, das dann die angemessene Vergütung festsetzt. Der Mit dieser Festlegung verwirklichen wir den Auftrag Anreiz, die Vereinbarungen in den Verhandlungen der unseres Grundgesetzes, Kunst und Kultur und auch das beiden Parteien außergerichtlich zu führen, ist somit sehr geistige Eigentum angemessen zu schützen. hoch. Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus auch vor, dass Autoren bereits nach 30 Jahren, statt der bisher 70, Schon seit Jahrzehnten ist gerade den freiberuflichen ihr Verhältnis zum Verleger aufkündigen können, wenn Urhebern in unserem Land diese Verbesserung ihrer die Bedingungen stark unangemessen sind. Das ist ein rechtlichen Stellung versprochen worden. Allerdings ist weiteres Gewicht auf der Waagschale der Urheber. die Reform des Urhebervertragsrechts von den früheren Regierungen nie angepackt worden. Unter anderem we- Grundsätzlich ausgeschlossen wird mit dem Urheber- gen dieser Versäumnisse finden wir im Bereich der gerade vertragsgesetz die bisherige Praxis der Buy-out-Verträge. in den letzten Jahren sehr viel größer und mächtiger ge- Es ist danach nicht mehr möglich, seine Rechte komplett wordenen Kultur- und Medienwirtschaft ein außerordent- an einen Verwerter zu überschreiben, ohne an Folgever- (B) lich unterschiedliches Bild. (D) wertungen beteiligt zu werden. Weder der Verzicht auf sämtliche Rechte an einem Werk noch auf die finanzielle Zum einen gibt es Verlage oder auch andere Medien- Beteiligung an Folgenutzungen kann nunmehr im Vertrag unternehmen, die längst verstanden haben, dass sie mit festgeschrieben werden. Dieser Punkt ist besonders im den kreativ Schaffenden in Kultur und Medien kooperie- Hinblick auf die Möglichkeiten des Internets und anderer ren müssen, wenn sie weiter erfolgreich sein wollen. In Multimediaanwendungen interessant. Bisher wurden so diesen Bereichen werden angemessene Vertragsbedin- zum Beispiel freie Journalisten selten extra vergütet, gungen auch für die freien Urheber meist auf der Grund- wenn ihre Beiträge zusätzlich zur Nutzung in den kon- lage von Normvereinbarungen längst verwirklicht. Auch ventionellen Medien auch noch ins Netz gestellt oder in die Verwertung der Werke in zusätzlichen Bereichen wie Form einer CD-ROM auf den Markt gebracht wurden. Internet, CD oder sonstigen Möglichkeiten wird vergütet. Der Gesetzentwurf hat schon eine eigene Geschichte Solche Bereiche sind vorbildlich und damit auch Vor- der Entwicklung und Veränderungen hinter sich. Der Pro- bild für den Gesetzgeber. Daneben aber stehen Bereiche, zess der Verbesserung ist sicherlich noch nicht abge- in denen die strukturelle Ungleichgewichtigkeit zwischen schlossen, denn manche Einwände gegen ihn müssen dem einzelnen freien Kreativen und dem Verwerter noch überprüft werden. Wir unterstützen das Urheberver- – durch die zunehmende Konzentration in der letzten Zeit tragsrecht aber schon in dieser vorliegenden Fassung, sind das meist immer größere Unternehmen mit immer denn es schafft es, eine schon historische Ungerechtigkeit größerer Wirtschaftsmacht – zu regelrechten Ausnut- mit wenigen, aber sehr klugen Regelungen auszuräumen. zungsverhältnissen führt. Gerade für diese Bereiche Mit dem Urhebervertragsgesetz kann die Bundesrepublik drängt die Reform. zu einem Kreativstandort werden. Einige Beispiele: Fotograf X ist ein anerkannter, re- nommierter Theaterfotograf und liefert regelmäßig Bilder Dr. Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der als freier Mitarbeiter für eine große Tageszeitung, für ein Justiz: Der vorgelegte Gesetzentwurf „zur Stärkung der bescheidenes Honorar von 100,- DM pro Bild. Der Verlag vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden verwertet die Fotos seit einiger Zeit auch über das Inter- Künstlern“ soll die Lage vor allem der selbstständigen net. Als unser freier Fotograf über eine angemessene Kreativen verbessern. Wir sind davon überzeugt, dass das Vergütung für diese neue Nutzungsart sprechen will, setzt Schaffen der Schriftsteller, Journalisten und Übersetzer, ihn der Verlag sofort auf die „schwarze Liste“: Es gibt der Komponisten und Musiker, der Schauspieler, Regis- keine Aufträge mehr, Fotograf X kann seinen Beruf als seure und Kameraleute, der bildenden Künstler und Foto- Theaterfotograf nicht mehr ausüben. 17714 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) Ein zweites Beispiel wirft ein Schlaglicht auf die Zu- Und, meine Damen und Herren: Mit unserem Gesetz- (C) stände im Bereich der Bedingungen für freiberufliche entwurf sagen wir Ja zur Vertragsfreiheit, die im Zivil- Übersetzerinnen und Übersetzer. Selbst literarische Über- recht einen hohen Stellenwert hat. Vertragsfreiheit ist setzer und ausgewiesene Könner ihres Fachs können als wichtig, aber nur dann wirklich vorhanden, wenn ver- Einzelne angemessene Honorare nicht durchsetzen. Ihre gleichbar Starke miteinander verhandeln. Sie führt nur Arbeit wird letztlich gerade mit ein paar Pfennigen ver- dann zu angemessenen Ergebnissen, wenn die Parteien gütet, wenn es für eine Buchseite nur fünfundzwanzig bis auf gleicher Augenhöhe verhandeln können. Dafür sorgen vierzig Mark gibt. wir mit der Reform des Urhebervertragsrechts. Sie ruht auf zwei Eckpfeilern: Drittes Beispiel: Die Zeilenhonorare gerade der freien Journalisten stagnieren seit Jahren oder sind sogar rück- Wir schaffen einerseits einen unverzichtbaren gesetzli- läufig. Gleichzeitig werden Texte mehrfach verwertet, chen Anspruch auf angemessene Vergütung für die Ur- insbesondere über die neuen Medien und das Internet. Kos- heber, das steht in dem neuen § 32. Der gesetzliche An- tenpflichtige Datenbanken der Wirtschaftsverlage zum spruch ist unverzichtbar, weil ansonsten die Gefahr Beispiel nehmen erkleckliche Beträge ein, ohne die Ur- bestünde, dass er über das Kleingedruckte im diktierten heber hieran zu beteiligen. Vertrag gleich wieder entwertet werden würde. Er ist ge- setzlich, weil er ergänzend zur Anwendung kommt, wenn Das liest sich dann etwa in Nutzungsverträgen mit die vertragliche Honorarvereinbarung nicht angemessen freien Journalisten wie folgt: ausgestaltet ist. Der Verlag hat das einfache, zeitlich, räumlich und Der Anspruch auf angemessene Vergütung ist bei vie- inhaltlich unbeschränkte Recht, die Beiträge im In- len anderen Freiberuflern selbstverständlich. Teilweise ist und Ausland in körperlicher und unkörperlicher er sogar gesetzlich geregelt, wie etwa bei Rechtsanwälten, Form digital und analog zu nutzen, und zwar insbe- Ärzten oder Architekten. Wir meinen, dass im Bereich der sondere in Printmedien, Tele- und Mediendiensten, Kulturwirtschaft ein staatliches Tarifsystem nicht passt; Internet, Film, Rundfunk, Video, in und aus Daten- dafür ist die kulturelle Produktion zu vielfältig. Deshalb banken, Telekommunikations-, Mobilfunk-, Breit- überlassen wir es den Verbänden der Urheber einerseits band- und Datennetzen sowie auf und von Datenträ- und der Verwerter andererseits, sich in gemeinsamen Ver- gern, ungeachtet der Übertragungs-, Träger- und gütungsregeln auf das zu einigen, was redlicherweise Speichertechniken. branchenüblich, also angemessen sein soll. Mit anderen Worten: in solchen „Buyout-Verträgen“ Übrigens wollen wir gerade die kleinen und mittleren überträgt der Kreative für eine einmalige, meist geringe Unternehmen in der Kultur- und Medienwirtschaft beson- (B) Pauschale sämtliche denkbaren Rechte. ders schützen und auf ihre Interessen Bedacht nehmen. (D) Lassen Sie mich wiederholen: Natürlich gibt es auch Deshalb haben wir den neuen § 36, der an die Stelle des heute schon viele Branchen der Kulturwirtschaft, wo Ur- wirkungslosgebliebenen„Bestsellerparagraphen“trittund heber und Kreative zu angemessenen Verträgen kommen. die zweite Säule der Reform bildet, bewusst mit Rück- sicht auf die kleinen und mittleren Unternehmen gefasst. Das gilt besonders für viele angestellte Journalisten und andere Kreative, die tarifvertraglich abgesichert sind. Nochmals: Mit den gemeinsamen Vergütungsregeln Hier verhandeln die Gewerkschaften einerseits und vor machen wir uns die Erfahrungen zunutze, die in der Kul- allem Verlage und Sender andererseits auf gleicher Au- turwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt genhöhe. worden sind. So kennen wir schon heute die Tarifverträge für Arbeitnehmerurheber und arbeitnehmerähnliche freie Diesen Bereich tasten wir nicht an. Und jene Bereiche, Mitarbeiter. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Norm- in denen Verträge zwischen Verwertern und freien Urhe- verträgen, die zum Beispiel der Börsenverein des Deut- bern auf der Grundlage von gemeinsamen Normverein- schen Buchhandels und die IG Medien ausgehandelt ha- barungen geschlossen werden, die sehen wir als Vorbild ben. Wir geben den beteiligten Kreisen mit den an. Vergütungsregeln einen Handlungsrahmen, in dem sie zu Wie nötig die gesetzlichen Regelungen für die selbst- für beide Seiten akzeptablen Ergebnissen kommen. ständigen Urheber sind, zeigt ein Blick auf die Wirklich- Die Vergütungsregeln werden zweierlei bewirken: keit in unserem Land: Heute arbeiten circa 250 000 Krea- Zum einen prägen sie künftig die Vergütungspraxis der je- tive selbstständig. Und bis auf die vorbildlichen Bereiche weiligen Branche und werden so mittelfristig dafür sor- und einige Spitzenstars sind sie von der existierenden gen, dass die schwarzen Schafe auf Verwerterseite keine strukturellen Übermacht der Verwerter betroffen. Chance mehr haben. Wenn im Einzelfall dennoch ein un- Deshalb ist der Gesetzgeber gefordert. Deshalb setzen angemessen niedriges Honorar gezahlt wird, kann sich sich auch großartige Künstler und Dichter, Autoren oder der Kreative auf die einschlägige Vergütungsregel beru- Kamera-Spitzenleute wie Günter Grass, Martin Walser, fen. Wir geben dieser Regel ebenso wie tarifvertraglichen Bernhard Schlinck, Felix Huby oder Fred Breinersdorfer Entgeltvereinbarungen die Wirkung einer gesetzlichen und Jost Vacano oder auch viele andere, die selbst solche Vermutung. Im Streitfall wird der Richter hiervon nur in Ausnahmefällen abweichen. Regelungen nicht nötig haben, für ihre weniger bekann- ten Kolleginnen und Kollegen und für diese Regelung Damit das Gesetz nicht zum Papiertiger wird, haben ein. wir das Verfahren zur Aufstellung der Vergütungsregeln Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17715

(A) genau geregelt. Kommt es nicht zur Einigung, so gibt es die Verlage, Sender, Produktionsfirmen und die anderen (C) ein Schiedsverfahren, notfalls entscheidet das Gericht. Medienunternehmen. Um es noch einmal zu betonen: Un- Wir trauen den Verbänden der Urheber einerseits und der ternehmen, die schon heute angemessen bezahlen, werden Verwerter andererseits aber zu, sehr zielgenau gemein- von der Reform nicht berührt. same Vergütungsregeln für die unterschiedlichsten kreati- Meine Damen und Herren, es besteht kein Anlass, an- ven Leistungen und ihre jeweilige Verwertung aufzustel- gesichts Globalisierung, Digitalisierung und Internet das len. Das Schiedsverfahren wird also in der Regel nicht Totenlied für das geistige Eigentum anzustimmen. Un- benötigt werden. verändert bleibt es die Aufgabe des Urheberrechts, den Neben diesen zentralen Reformansätzen sieht der Ge- Urheber an den Früchten teilhaben zu lassen, die andere setzentwurf einige punktuelle Modernisierungen vor: So aus der Verwertung seiner Werke ziehen. Cyberspace be- werden die allgemeinen Vorschriften über die Nutzungs- deutet nicht den Tod des Urheberrechts, sondern im Ge- rechte neu geordnet und das Filmrecht behutsam ange- genteil die Chance, kreative Inhalte verstärkt zu nutzen. passt. Ausübende Künstler und Arbeitnehmerurheber Hierzu gehört zweierlei: Das Urheberrecht muss fit ge- werden weitgehend dem allgemeinen Schutz des Urhe- macht werden für das digitale Zeitalter. Das leistet die berrechts unterstellt. In Ausnahmefällen gibt es nach EU-Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesell- 30 Jahren ein Kündigungsrecht für die Kreativen. schaft“, die im April 2001 beschlossen worden ist und die Der Gesetzentwurf übernimmt Anregungen des so ge- wir bis Ende Dezember 2002 in das deutsche Recht um- nannten „Professorenentwurfs“, den eine Gruppe von un- zusetzen haben. Das Bundesministerium der Justiz ist der- abhängigen Urheberrechtsexperten aus Max-Planck-In- zeit mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs befasst. stituten, Wissenschaft und Praxis im Mai 2000 vorgelegt Und in diesem Zusammenhang wird es auch darum gehen hat. müssen, die urheberrechtlichen Interessen der Medien- wirtschaft im Auge zu behalten. Dieser verdienstvolle Entwurf ist im Laufe des letzten Jahres intensiv mit Verbänden und in der Öffentlichkeit Aber es geht auch um den Schutz der Kreativen im di- diskutiert worden: Insbesondere die Bundesministerin der gitalen Informationszeitalter. Den stärken wir durch den Justiz hat eine Vielzahl von Gesprächen mit Vertretern der vorliegenden Gesetzentwurf. Medienwirtschaft und Verbänden der Kreativen geführt. Meine Damen und Herren, die Aufgabe des Urheber- Die Ergebnisse dieser Gespräche und die Stellungnahmen rechts ist es, die Interessen aller Beteiligten zu einem ver- der Verbände und der Wissenschaft sind bei der Überar- nünftigen Ausgleich zu bringen: Das Publikum verlangt beitung des Entwurfs berücksichtigt worden. Die Bun- immer mehr nach hochwertigen, interessanten Inhalten. desregierung hat den inhaltsgleichen Gesetzentwurf am Die Verwerter werden auf Dauer nur mit qualitativ guten (B) 30. Mai 2001 beschlossen; gegenwärtig ist der Bundesrat Werken Geld verdienen. Respekt und Schutz verdienen (D) mit den Beratungen des Regierungsentwurfs befasst. aber vor allem die Kreativen, die diese Leistungen erst Es war zu erwarten, dass die gesetzliche Verankerung hervorbringen und denen deshalb ein angemessener An- des Anspruchs auf angemessene Vergütung gerade die In- teil an den Früchten gebührt, die andere aus ihren Schöp- teressengruppen auf den Plan ruft. Wer akzeptiert schon fungen ziehen. gern, jedenfalls wenn er rechtlich und ökonomisch über- Der „Arme Poet“ von Spitzweg – Sie alle kennen das legen ist, dass die bisher Schwächeren und Unterlegenen Bild – ist, nein, kann und darf keine korrekte Beschrei- in ihrer Rechtsstellung gestärkt werden. bung der Lebensumstände der Kreativen im 21. Jahrhun- Ich meine jedoch, dass gerade die Kultur- und Me- dert sein. Die überfällige Reform des Urhebervertrags- dienunternehmen sich mit ihren Kreativen kooperierend rechts ist deshalb ein wichtiger Schritt, um die Bedeutung selbst auf die Festlegung der angemessenen Vergütung des geistigen Eigentums auch im 21. Jahrhundert zu si- einlassen sollten. Den Nutzen werden alle haben, die chern. Kreativen, die Kultur- und Medienlandschaft in unserem Land und gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die anständige und angemessene Vertragsbedingungen Anlage 7 vorweisen können: Sie werden künftig nicht mehr von je- ner Konkurrenz bedrängt, die heute die strukturelle Zu Protokoll gegebene Reden Schwäche der einzelnen freiberuflichen Kreativen aus- zur Beratung des Antrags: Sonderprogramm zur nutzt, um die Preise zu drücken. Gerade für diese Unter- breitenwirksamen Nutzung angepasster,erneuer- nehmen wird die größere Rechtssicherheit auch positiv zu barer Energien in den Entwicklungsländern (Ta- Buche schlagen. gesordnungspunkt 18) Hinzu kommt: Ein überzeugendes Alternativkonzept zum jetzt vorgelegten Gesetzentwurf gibt es nicht: Mit Brigitte Adler (SPD): Der Strom kommt doch aus der einer nur punktuellen Korrektur des Urhebervertrags- Steckdose. Nur wie kommt er dahin und wo kommt er rechts – etwa über die Kontrolle von Vertragsklauseln – her? Ohne Elektrizität können wir uns unser Leben nicht können wir uns nicht zufrieden geben. Wir brauchen den mehr vorstellen. Die Frage aber, um die es uns und welt- Anspruch auf angemessene Vergütung, um das kreative weit dabei geht, heißt: Welche Primärenergie setzen wir Potenzial unseres Landes zur Blüte zu bringen. Davon dafür ein? Holz, Kohle, Öl, Gas, Wasser, angereichertes wird die Kulturwirtschaft insgesamt profitieren, also auch Uran, Biomasse waren zu Beginn der Industrialisierung 17716 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) bis heute die vorherrschenden Energiearten. Windkraft struktur in den Entwicklungsländern wäre dadurch mög- (C) – Windmühlen sind sicher auch von früher bekannt, aber lich. Dabei könnten „Insellösungen“ für die ländlichen sehr begrenzt einsetzbar – und die Sonne für Solarenergie Räume endlich Entwicklungschancen bringen. Städtische kommen als technische Neuerungen unter anderem hinzu. Gebiete haben oft die vorhandenen Ressourcen für sich Speicherkapazität in Form von Batterien wurde erfunden. aufgebraucht. Für die Langzeitspeicherung ist dies aber noch nicht aus- Konferenzen, Forschungsergebnisse, Evaluierungen gereift. Methangas und anderes mehr sind auf dem Markt, sind nun genug vorhanden. Jetzt muss der Schritt zur Um- aber oft noch anfällig, das heißt nicht stabil und dauerhaft setzung getan werden. Handeln ist angesagt. Werben für einsatzfähig. Konzepte für Biomasse, Windkraft, Solar- und Photovol- Heftiger Streit bei uns um die beste Energieart zeigt, taik, Geothermie und Umgebungswärme ist nun nötig. dass man sich für verschiedene Primärenergiearten wegen Weltbank, Entwicklungsbanken, bilaterale Finanzhil- wirtschaftlicher Interessen stark macht. Dabei sollte be- fen könnten gezielt Programme auflegen, damit in den dacht werden, dass der Energiemix die sicherste Form ist. Entwicklungsländern mit den Betroffenen für sie zu leis- Elektrizität ist heute aus unserem Leben nicht mehr weg- tende Schritte getan werden können. Strom muss aber zudenken. Licht, Radio, Fernseher, Telefon, Internet, in- auch bezahlbar sein für die Abnehmer. dustrielle Entwicklung überhaupt sind ohne Strom nicht vorstellbar. Dass aus Deutschland Hilfe im Auf- und Ausbau ge- leistet werden kann, ist klar. Die mittelständische Indus- Wie aber sieht es mit erneuerbaren Energieträgern aus. trie ist für alternative Konzepte sehr gut gerüstet. Know- Sind sie nur für einen Bruchteil des benötigten Stromes how steht hier zur Verfügung, das auch für den Süden in- verfügbar? Bei uns und weltweit? Noch führen einige da- teressant wäre. von ein Schattendasein. Aber immer lauter wird der Ruf nach ihnen. Vernünftige Gründe jedoch sprechen dafür: Energie ist für die wirtschaftliche Entwicklung unver- Verfügbarkeit, effizienter Einsatz durch Forschung ist zichtbar. Aber die Fehler der Industrieländer sollten ver- heute möglich, wirtschaftliche Bedeutung für die Land- mieden werden, auf zum Beispiel Primärenergiearten wie wirtschaft, einfache Handhabung und vor allem Umwelt- Kernkraft zu setzen, die in die Sackgasse führen. Ange- und Klimaschutz. Wer die Rio-Konferenz von 1992 und passte Technologien, die „altes“ Wissen der Menschen ihre Folgekonferenzen ernst nimmt, wird sich dafür ein- vor Ort nutzt, wird auf Akzeptanz stoßen und Fortschritt setzen, dass erneuerbare Energien gegenüber Energieträ- ermöglichen. Der Handwerker, der im ländlichen Raum gern, die „verbraucht“ werden, wie Kohle, Öl, Uran – mit jetzt eine Maschine einsetzen kann, wird einen wirt- seiner Entsorgungsproblematik – eingesetzt werden soll- schaftlich höheren Wert seines Produktes und seiner ten. Probleme der Abhängigkeit von wenigen Energieträ- Dienstleistung erreichen. Die Landwirtschaft wird profi- (B) gern könnten so gemindert werden. tieren, da sie durch Anbau und Abfallentsorgung mit da- (D) bei sein wird. Was für uns gilt, gilt erst recht für die Länder des Sü- dens. Die Kostenexplosion bei der Beschaffung von Sonnenenergie ist die Zauberformel für den Süden. Rohöl als Primärenergie ist ein Beispiel dafür. Bis 2010 Unerschöpfliche Energie wäre somit vorhanden. Noch ist werde der weltweite Energieverbrauch um 50 Prozent sie aber leider zu teuer und ihr Auslastungsgrad noch nicht steigen, so eine Prognose der Internationalen Energie- voll ausgeschöpft. Wenn wir aber für uns und die Ent- Agentur. Damit verbunden wären Emissionssteigerungen, wicklungsländer auch 7 Milliarden US-Dollar wie für den die ebenso hoch wären und somit zum Problem für unser Schnellen Brüter und den Hochtemperaturreaktor ausge- Klima würden. War doch in Kyoto die Reduzierung ein- ben könnten, so könnte die Forschung und Entwicklung gefordert worden. Für Deutschland bedeutet dies, dass viel erreichen. Internationale Prognosen gehen davon aus,

25 Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2005 auf der Basis von dass bereits auf mittlere Sicht – 2010/2015 – eine kosten- 1990 gerechnet abgesenkt werden muss. günstige Alternative zu herkömmlichen fossilen Brenn- stoffen die Solarzellen sind. Wie aber können die Schwellenländer des Südens und die armen und ärmsten Länder mit dieser Problematik fer- Das Sonderprogramm für erneuerbare Energien in den tig werden? Entwicklungsländern kann mithelfen, einen wichtigen Schritt für vernünftiges Handeln in der Energieversor- Unser Antrag „Sonderprogramm zur breitenwirksa- gung zu tun. Zwei Effekte könnte dies haben: zum einen, men Nutzung angepasster, erneuerbarer Energien in den dass mehr geforscht und auf die Umsetzung der Ergeb- Entwicklungsländern“ will hier hilfreiche Vorschläge ma- nisse gesetzt wird und, zum anderen, dass die Länder des chen. Dies war ein besonderes Anliegen unseres verstor- Südens teilhaben am wirtschaftlichen Aufschwung durch benen Kollegen Werner Schuster. Strom aus der Steckdose. In den kommenden Jahren wird das BMZE circa 200 Millionen DM zur Förderung von erneuerbaren Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Wir diskutieren Energien bereitstellen. Dies begrüßen wir ausdrücklich heute über ein wichtiges, aber keineswegs neues Thema und unterstützen mit diesem Antrag dieses Anliegen. in der Entwicklungs- und Energiepolitik. Schon die uni- So verweisen wir auf die länderspezifischen Poten- onsgeführte Bundesregierung hat wichtige Initiativen zur ziale, die eine effizientere Nutzung vor Ort ermöglichen. Förderung der Nutzung angepasster und erneuerbarer Teure Rohstoffimporte könnten damit reduziert werden. Energien in den Entwicklungsländern gegeben. Wir be- Eine eigenständige und dezentrale Energieversorgungs- wegen uns hier ja an der Nahtstelle zwischen verschiede- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17717

(A) nen Interessen und den Ländergruppen, die diese Interes- beschlusses aus der C02-freien Kernenergie nationale und (C) sen artikulieren. Verständlicherweise legen die Entwick- internationale Klimaschutzziele tatsächlich erreichen lungsländer besonderen Wert auf die entwicklungspoliti- wollen. Wer sich wie die rot-grüne Bundesregierung auf schen Ziele, während viele Industrieländer auch einen diesem Gebiet in einer Vorreiterrolle sieht und diese Vor- wichtigen Akzent bei den umweltpolitischen Interessen reiterrolle auch auf internationalen Konferenzen gern be- setzen. Gerade auch was die Umweltpolitik angeht, ist für tont, der darf sich nicht selbst aus ideologischen Gründen uns als CDU/CSU-Fraktion entscheidend, dass wir einen ständig Knüppel zwischen die Beine werfen. globalen Ansatz zur Lösung globaler Umweltprobleme Auch unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten wählen. sind alle Maßnahmen, die die Nutzung erneuerbarer Insofern können wir den Antrag der Koalitionsfraktio- Energien in den Entwicklungsländern fördern, grundsätz- nen im Grundsatz unterstützen, weil er auch von einem lich zu begrüßen. Es gibt unbestreitbar eine besondere solchen globalen Ansatz ausgeht. Wichtig ist allerdings; Verantwortung der Industrieländer, die Entwicklungslän- dass man aus diesem Ansatz auch die richtigen Konse- der bei einer den internationalen Vereinbarungen entspre- quenzen zieht. In der nationalen Politik vermissen wir chenden Bewältigung ihres sich in den nächsten 30 Jah- diese Konsequenzen häufig, denn rot-grüne Umweltpoli- ren voraussichtlich verdoppelnden Energiebedarfs zu tik zeichnet sich doch in der Regel durch den Versuch na- unterstützen. Vor diesem Hintergrund waren schon die tionaler Alleingänge aus, während auf internationaler Angebote der früheren unionsgeführten Bundesregierung Ebene das Motto vertreten wird: „Am deutschen Wesen zu sehen, die im Bereich der finanziellen Zusammenarbeit soll die Welt genesen“. Ein Anspruch, den natürlich an- der Nutzung der Wasserkraft, aber auch der Windkraft ei- dere Länder nicht akzeptieren. nen hohen Stellenwert eingeräumt haben. Wenn die rot- grüne Bundesregierung an diesem Konzept anknüpft, hat Ein globaler Ansatz bezogen auf die Energiepolitik be- sie dabei unsere grundsätzliche Unterstützung. lm Rah- deutet deshalb beispielsweise, den Einsatz CO -reduzie- 2 men einer vernünftigen weltwirtschaftlichen Arbeitstei- render Technologien bei der Nutzung fossiler Energieträ- lung, die die Importabhängigkeit vieler Entwicklungslän- ger weltweit zu fördern und regionale Schwerpunkte beim der von fossilen Energieträgern, insbesondere vom Erdöl, Einsatz fossiler Energieträger dort zu setzen, wo bereits reduziert und ihr wirtschaftliches Entwicklungspotenzial wie bei uns in Deutschland die effizientesten Technolo- ausschöpft, sind solche Maßnahmen notwendig. gien verfügbar sind. Ebenso bedeutet ein solcher Ansatz in der Tat, die Nutzung erneuerbarer Energieträger dort Bei aller grundsätzlichen Übereinstimmung haben wir besonders zu fördern, wo im globalen Maßstab die größ- aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen ten Potenziale für ihre Nutzung sind. Ein 100 000-Dächer- von fast drei Jahren rot-grüner Entwicklungspolitik auch (B) Programm mit hohem Subventionsvolumen in Deutsch- allen Grund zum Misstrauen gegenüber Initiativen, wie (D) land erscheint gerade vor diesem globalen Hintergrund sie von Rot-Grün jetzt erneut in diesem Antrag angekün- äußerst fragwürdig. Wichtig ist vielmehr, dass wir die digt werden. Leider sind verbale entwicklungspolitische Nutzung insbesondere von Sonnen-, Wind- und Wasser- Initiativen in der Vergangenheit regelmäßig einhergegan- energie in den Entwicklungsländern fördern und auch fi- gen mit Mittelkürzungen im Bereich der Entwicklungs- nanziell unterstützen, wo die entsprechenden natürlichen politik. So hat sich der BMZ-Haushalt seit dem Amtsan- Voraussetzungen gegeben sind. tritt von Rot-Grün schon im Allgemeinen kontinuierlich nach unten entwickelt, und auch im Bereich der Energie- CDU und CSU bekennen sich uneingeschränkt zu den erzeugung und -versorgung im Besonderen sind die Mit- Zielen von Rio und Kyoto. Das wird niemanden überra- tel der finanziellen und technischen Zusammenarbeit von schen, denn schließlich haben diese Konferenzen nicht 316,5 Millionen DM im Jahr 1999 auf 188 Millionen DM nur während unserer Regierungszeit stattgefunden, son- im Jahr 2001 drastisch gesunken. Rot-Grün entfernt sich dern sie sind in ihren Inhalten und Beschlüssen auch maß- damit immer weiter von den eigenen Ansprüchen und hat geblich durch die unionsgeführte Bundesregierung ge- auch die energiepolitische Entwicklungszusammenarbeit prägt worden. Wir stehen auch zu den darüber hinaus vom Volumen her an den Rand der Bedeutungslosigkeit gehenden ehrgeizigen nationalen Zielen, die wir uns ge- geführt. Dies steht im eklatanten Widerspruch zu verba- meinsam in der Klimapolitik gesetzt haben. Wir bedauern len Bekenntnissen zu globaler Verantwortung. es in diesem Zusammenhang, dass das 25-Prozent Re- duktionsziel im Bereich von CO2 aller Voraussicht nach Wir werden als CDU/CSU nicht die Hand für Versuche bis zum Jahr 2005 nicht erreicht werden wird, weil der reichen, mit thematischem Aktionismus in Form einer rot-grünen Bundesregierung auf diesem Feld leider nichts Vielzahl von neuen Aktionsprogrammen und Anträgen mehr einfällt, nachdem die unionsgeführte Vorgängerre- die durch drastische Finanzkürzungen hervorgerufene gierung durch eine Vielzahl nicht ideologisch geprägter, Krise der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu sondern problemorientierter Maßnahmen bereits beacht- verschleiern. Rücktrittsdrohungen der verantwortlichen liche Erfolge bei der C02-Reduktion erzielt hatte. Ministerin allein, die mancher im rot-grünen Lager viel- leicht eher als Versprechen denn als Drohung empfindet, Bekanntermaßen dürfen Sie ja beispielsweise nicht auf helfen nicht weiter. eine Reduzierung des Mineralölverbrauchs hoffen, weil Sie die Einnahmen aus der so genannten Ökosteuer bei Die rot-grünen Entwicklungspolitiker müssen endlich der Rentenfinanzierung bereits voll eingeplant haben. innerhalb der eigenen Reihen dafür sorgen, dass die Ent- Auch für den mittel- und langfristigen Zeitraum ist nicht wicklungspolitik aus der Bedeutungslosigkeit wieder erkennbar, wie Sie vor dem Hintergrund Ihres Ausstiegs- herausgeführt wird. Wenn dies gelingt, kann auch die 17718 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) gemeinsame Suche nach Wegen für eine sinnvolle Ver- cher gefördert. Vor allem die ländliche Elektrifizierung (C) knüpfung von Entwicklungs- und Energiepolitik gelin- stellt im Rahmen der Armutsbekämpfung eine große He- gen. Dazu werden wir unseren Beitrag leisten. rausforderung dar. Mit ihr kann der Raubbau an Feuer- holz, die Verwüstung und die Abwanderung in die Städte bekämpft werden. Für die ländliche Entwicklung sind vor Dr. Angelika Köster-Loßack (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die breitenwirksame Nutzung erneuerbarer allem dezentrale, nicht netzgebundene Anlagen von Be- Energien in Entwicklungsländern und vor allem in den deutung. Sie kommen in Schulen, Krankenstationen und Schwellenländern ist die große umweltpolitische Heraus- in den Privathaushalten zum Einsatz. Die Verfügbarkeit forderung der nächsten Jahre. Die Wirkung einer nach- von Solarstrom leistet einen enormen Beitrag zur Stär- haltigen Energiepolitik für Milliarden Menschen des Sü- kung der ländlichen Wirtschaftsräume und zur Entwick- dens reicht über die jeweiligen Landesgrenzen hinaus und lung lokaler und kommunaler Strukturen. Dezentralisie- stellt einen unerlässlichen Beitrag zum Klimaschutz dar. rung zu unterstützen heißt, die Kompetenzen der Der prognostizierte Energiebedarf für China, Indien oder Kommunen zu stärken und die Partizipation der Bevölke- Brasilien kann das Klimaproblem in extremer Weise ver- rung – etwa in energiepolitischen Gruppen oder energie- schärfen. Deshalb gilt es, den Trampelpfad der Nutzung politischen Beiräten – zu fördern. Gerade dieser breite regenerativer Energien schnellstens zu verlassen und ins energiepolitische Ansatz spielt bei der Ausweitung der Solarzeitalter einzutreten. Gerade in den Entwicklungs- nachhaltigen Nutzung erneuerbarer Energien eine zen- ländern bieten sich dafür günstige natürliche Bedingun- trale Rolle und sollte deshalb im Zentrum der EZ stehen. gen. Die breitenwirksame Nutzung erneuerbarer Energien Eine breitenwirksame Förderung regenerativer Energien bietet zurzeit die einzige Alternative zu den klimaschädli- benötigt entschiedenes Handeln; dafür ist mehr Geld aber chen fossilen Brennstoffen und zur hochriskanten Atom- auch eine bedachte Vorgehensweise notwendig. Die EZ energie. kann hier sowohl im Bereich der technischen als auch im Deutschland kann bei der Verbreitung erneuerbarer Bereich der finanziellen Zusammenarbeit Großes leisten. In Energien eine wirklich herausragende Rolle spielen. Wir enger Abstimmung mit der Außenwirtschaftsförderung in können dies, weil wir unsere Hausaufgaben gemacht ha- Form von Investitionsgarantien und Hermesbürgschaften ben: Wir haben ein Erneuerbare-Energien-Gesetz verab- können parallel dazu deutsche Unternehmen in neuen schiedet, wir haben uns auf die verstärkte Förderung der Märkten unterstützt werden. Kraft-Wärme-Kopplung verständigt und wir haben den Investition in erneuerbare Energien ist eine Investition Atomausstieg beschlossen. Wir haben in Deutschland zu- in die Zukunft – selten hat eine doch recht abgegriffene kunftsfähige Technologien und wir haben innovative und Formulierung so viel Gehalt. Die Verbreitung dieser Tech- konkurrenzfähige Unternehmen vor allem im Bereich der (B) nologien ist für Fortschritte im Klimaschutz und für die (D) Klein- und Mittelindustrie. Gleichzeitig haben wir vor- Entwicklung von höchstem Range. exerziert, welche institutionellen und rechtlichen Rah- menbedingungen tragfähig sind. Wir haben uns einen Ruf als Standort für regenerative Energien erworben, der eine Joachim Günther (Plauen) (F.D.P.): Von etwa enorme Außenwirkung hat und eine gute Grundlage bie- 3,5 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern können tet, um im Ausland tätig zu werden. nur etwa 1 Milliarde ihren Grundbedarf an Energie durch zentrale Energieversorgungssysteme decken. Die Mehr- Wie können wir dazu beitragen, dass erneuerbare Ener- heit der Menschen in Entwicklungsländern ist auf tradi- gien breiter in den Entwicklungsländern eingesetzt wer- tionelle Energiequellen angewiesen, insbesondere auf den? Die technische und technologische Seite ist für den Brennholz sowie auf tierische und pflanzliche Abfälle. Je Erfolg neuer Energieoptionen sicher nur eine, aus meiner nach Entwicklungsstand macht das bis zu 95 Prozent des Sicht gar nicht die entscheidende Seite. Wir brauchen in Energieverbrauches aus. Der jährliche Waldverlust wird den Entwicklungsländern vor allem die Stärkung der ins- auf 10 bis 20 Millionen Hektar beziffert; das entspricht titutionellen Strukturen, in denen alternative Energiesys- etwa der halben Fläche der Bundesrepublik. Lediglich teme zum Einsatz kommen. Wir brauchen entsprechend 10 Prozent davon werden wieder aufgeforstet. ausgebildete Techniker und wir brauchen tragfähige rechtliche, administrative und politische Rahmenbedin- Trotz Rückgangs der natürlichen Waldreserven steigt gungen vor Ort. der Brennholzbedarf ungefähr parallel zum Bevölke- rungswachstum. Um allein das Energiewachstum an Genau hier kommt die Entwicklungszusammenarbeit Brennstoff von umgerechnet 1 Kilogramm Steinkohle pro ins Spiel. Die EZ verfügt über ausgefeilte Instrumente, die Kopf und Tag für 2,5 Milliarden Menschen zu sichern, einen effizienten Politikdialog, die Beratung und Ausbil- werden circa 900 Kilogramm Brennholz benötigt. dung, aber auch die Finanzierung von Demonstrations- projekten erlauben. Über Public Private Partnership kann Darüber hinaus verbrauchen Entwicklungsländer jähr- der Wirkungskreis der traditionellen Instrumente gerade lich 1,6 Milliarden Tonnen konventionelle Energie aus Öl, in Schwellenländern noch ausgeweitet werden. Gas, Kohle und Wasserkraft. Das entspricht etwa 26 Pro- zent des kommerziellen Weltenergieverbrauchs. Das BMZ wird in diesem Jahr circa 200 Millionen DM für erneuerbare Energien zur Verfügung stellen. Im nächs- Über die Hälfte des Energieverbrauchs der Entwick- ten Jahr wird es nach dem jetzigen Stand der Planung lungsländer entfällt auf Öl. Die meisten der rund 100 Öl noch mehr Geld dafür geben. Es werden Erdwärmekraft- importierenden Entwicklungsländer sind zu mehr als werke, kleine Wasserkraftwerke, Windparks und Solarko- Dreiviertel auf Ölimporte zur Deckung ihrer binnenwirt- Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001 17719

(A) schaftlichen Energienachfrage angewiesen. Jede auch nur Europa nach wie vor Unstimmigkeit über den richtigen (C) leichte Erhöhung des Ölpreises führt zum Teil dramati- Weg zu einer erfolgreichen Klimaschutzpolitik besteht schen makroökonomischen Verwerfungen. und sowohl für die staatlich gesteuerte Umsetzung von Klimaschutzzielen im eigenen Land als auch für die welt- Das Energieversorgungsproblem der Entwicklungs- weite Einführung von Energiehandelszertifikaten man- länder wird durch die Bevölkerungsentwicklung weiter ches spricht, dürfte die Nutzung regenerativer Energie- verschärft. quellen in jedem Falle ein wichtiger Bestandteil eines Angesichts der enormen Bedeutung des Energiesektors Lösungsansatzes sein. für die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer und an- Es ist jedoch bedauerlich, dass sich auch hier wieder zu gesichts der verheerenden ökologischen Auswirkungen bestätigen scheint, dass auf das Heilmittel PPP zumeist der Nutzung konventioneller Energieträger liegt es auf der immer nur dann zurückgegriffen wird, wenn die öffentli- Hand, dass sich die deutsche Umwelt- und Entwicklungs- chen Kassen leer sind. Die Zusammenarbeit mit der Wirt- politik vorrangig der Aufgabe einer besseren Nutzung er- schaft darf jedoch genauso wenig wie die in letzter Zeit neuerbarer Energiequellen in der Entwicklungspolitik aus Haushaltsnot propagierte Schwerpunktbildung in der widmen muss. Von daher ist der Antrag der Koalitions- Entwicklungspolitik als Notlösung zum Stopfen von fraktionen ausdrücklich zu begrüßen. Er zeigt anderer- Haushaltslöchern gesehen werden. Bei beiden Ansätzen seits aber auch, dass es hier ein erhebliches Handlungsde- handelt es sich um zukunftsweisende Konzepte, für deren fizit der Bundesregierung gibt. Umsetzung in einer Anfangsphase auch erhebliches Ka- Wenn die Bundesministerin im Zusammenhang mit pital zur Verfügung gestellt werden muss. Hierauf werden der so genannten „Impulskonferenz für die Errichtung ei- wir in den Haushaltsberatungen besonders achten. ner internationalen Agentur für erneuerbare Energien“ Anfang Juni in Berlin verkündet, das BMZ stelle jährlich Carsten Hübner (PDS): Um es gleich vorweg zu sa- 200 Millionen DM für den Ausbau erneuerbarer Energien gen: Die PDS-Bundestagsfraktion unterstützt den vorge- in den Entwicklungsländern zur Verfügung und Deutsch- legten Antrag. Wir sind der festen Überzeugung, dass ein land habe sich bisher mit 140 Millionen DM an der För- alternatives und zukunftsfähiges globales Entwicklungsmo- derung erneuerbarer Energien durch die so genannte glo- dell – und nicht allein im Bereich Umwelt und Energie – nur bale Umweltfazilität beteiligt, so muss sie sich fragen dann eine wirklich Chance haben wird, wenn wir bereits lassen, wie sie derartige Programme angesichts des an- jetzt alle uns zur Verfügung stehenden Potenziale nutzen, gekündigten weiteren radikalen Kahlschlages in ihrem um mit unseren Partnern in den Ländern der so genannten Haushalt zukünftig finanzieren will. Bei den bevorste- Dritten Welt eine Weichenstellung in Richtung einer re- henden Haushaltsberatungen werden wir jedenfalls pein- generativen und nachhaltigen Energieversorgung zu be- (B) lich darauf achten, dass die großen Ankündigungen mit fördern. Ökonomie und Infrastruktur sind dort in vielen (D) der haushaltspolitischen Realität in Einklang gebracht Bereichen erst im Entstehen, könnten somit von Anbeginn werden und nicht ein weiteres Mal entwicklungspoliti- an auf ein nachhaltiges Fundament gestellt werden. sche Dichtung und Wahrheit zum Schaden der deutschen Glaubwürdigkeit in der Welt auseinander klafft. Darüber hinaus ermöglichen es regenerative und de- zentrale Energieversorgungskonzepte, sich aus der Ab- Aber selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass es hängigkeit – und nicht selten aus dem Würgegriff – inter- gelingen sollte, die angekündigten Mittel zur Verfügung nationaler Energiekonzerne schrittweise zu befreien und zu stellen, so wäre dies noch nicht einmal ein Tropfen auf damit Potenziale für eine eigenständige Entwicklung zu den heißen Stein der Weltenergieprobleme. Die in dem eröffnen. Gleiches gilt für die Einsparungspotenziale, die Koalitionsantrag vollmundig geforderte Verbesserung der in diesem Bereich mittel- und langfristig zu erzielen sind Lebensbedingungen in Entwicklungsländern lässt sich und die den Entwicklungsländern die dringend benötigten hiermit auch nicht nur ansatzweise finanzieren. Handlungsspielräume für eine soziale, gesellschaftliche Auch die ebenfalls geforderte Steigerung der Energie- und ökonomische Entwicklung verschaffen können. In effizienz in Entwicklungsländern setzt massive Investi- diesem Sinne ist der Antrag ein begrüßenswerter Versuch, tionen voraus, die nur in einer konzertierten Aktion mul- das Tor für Entwicklung an einer Stelle aufzustoßen, die tilateraler und bilateraler Geberinstitutionen in Angriff Schlüsselcharakter hat. genommen werden kann. Deswegen ist es schade, dass Worauf es jetzt aber ankommt, ist, dem Antrag auch ein dieser Aspekt von dem Antrag vollkommen vernachläs- angemessenes technologisches und finanzielles Engage- sigt wird. Dabei wäre gerade der Energiebereich gut ge- ment folgen zu lassen. Der vorgeschlagene Mix aus eignet für eine gemeinsame entwicklungspolitische Ini- technischer Zusammenarbeit – und hier halte ich die PPP- tiative der Europäischen Union. Variante durchaus für sinnvoll – und aus finanzieller Zu- Stattdessen greift der Antrag erneut die noch vor Jah- sammenarbeit legt hier einen sinnvollen Grundstein. ren von Rot-Grün verpönte Wunderwaffe der Public Pri- Doch der konzeptionellen Qualität muss eben auch die fi- nanzielle Quantität folgen. Denn hier geht es nicht um Ni- vate Partnerships auf. In der Tat bietet gerade der weltweit schenprojekte, hier geht es um elementare Strukturfragen. wachsende Markt für regenerative Energien eine hervor- Und da bleiben mit Blick auf den Etatentwurf des BMZ ragende Basis für das Zusammenwirken zwischen Ent- doch erhebliche Zweifel. wicklungspolitik und Privatwirtschaft. Vor allem der glo- bale Wind- und Solarmarkt weist hohe jährliche Wenn wir den Blick auf die weltweite Klimakatastro- Steigerungsraten auf. Auch wenn zwischen den USA und phe richten, auf die übergroße Verantwortung des reichen 17720 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 179. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. Juni 2001

(A) und entwickelten Nordens für die globalen Emissionen, dell wird von hier aus exportiert, welche Logik, welche (C) dann wird allerdings eins deutlich: So wichtig, so unter- Produkte erhalten politische und finanzielle Protektion stützenswert die Förderung regenerativer Energien in den durch Politik und öffentliche Hand – und welche eben Entwicklungsländern ist, so unbestreitbar ist auch, dass nicht. Ich bin gespannt, wie und ob die Bundesregierung dieses Engagement nur dann glaubwürdig sein kann, hier die Kohärenz zwischen diesem Antrag und der bis- wenn auch der Norden, sowohl im Bereich der Industrie herigen Wirtschaftspolitik herstellen wird. Zweifel blei- als auch des privaten Lebens, ein radikales Umsteuern ben mehr als angebracht, wie die unsägliche Praxis der einleitet. Und das gilt natürlich auch für die Frage der Hermesbürgschaften und die diesbezügliche Reformun- Außenwirtschaftsförderung. Welches Entwicklungsmo- willigkeit zeigen.

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