D GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE

DGAA Deutschland

BADEN-WÜRTTEMBERG

Regionen und Orte

Heilbronn

AUFSATZSAMMLUNG

14-1 Heilbronnica : Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte / Christhard Schrenk ; Peter Wanner (Hg.). - : Stadtar- chiv. - 23 cm. - (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Heilbronn ; ...) (Jahrbuch für schwäbisch-fränkische Ge- schichte ; ...) [#3445] 5 (2013). - 520 S. : Ill., graph. Darst., Kt. - (... ; 20) (... ; 37). - ISBN 978-3-940646-12-5 : EUR 20.00

Nach fünf Jahren konnte das Stadtarchiv Heilbronn wiederum einen Band der Heilbronnica vorlegen. 1 Die verhältnismäßig lange Spanne seit dem Erscheinen des Vorgängerbandes erklärt sich nicht zuletzt aus umfangrei- chen Veränderungen innerhalb des Stadtarchivs. Dank einer großzügigen Spende eines Heilbronner Unternehmers konnte die stadtgeschichtliche Ausstellung in den Räumen des Archivs neu gestaltet werden. Dementspre- chend wendet sich der neueste Band nach der Widmung an den ehemali- gen stellvertretenden Archivleiter Hubert Weckbach (S. 9 - 11) vor allem der neuen stadtgeschichtlichen Ausstellung zu. Unter dem Schlagwort Heil- bronn historisch! erläutert Peter Wanner die Konzeption der Ausstellung (S. 13 - 34). 2

1 Höchst erfreulich ist die Tatsache, daß das Stadtarchiv Heilbronn nicht nur den Inhalt früherer Bände der Heilbronnica - so den der Bände 3 (2006) und 4 (2008) -, sondern auch den anderer Publikationen des Archivs auf seiner Homepage onli- ne zur Verfügung stellt; man kann also wohl davon ausgehen, daß das nach einer gewissen Verzugszeit auch auf den neuesten Band 5 (2013) zutreffen wird. http://www.stadtarchiv- heilbronn.de/publikationen/publikationsliste/quellenundforschungen/heilbronnica_4 /?i=3 [2014-02-16] [KS]. 2 Heilbronn historisch! Entwicklung einer Stadt am Fluss : die Ausstellungen im Otto Rettenmaier Haus, Haus der Stadtgeschichte und im Museum im Deutschhof / Peter Wanner ... - Heilbronn : Stadtarchiv ; Heilbronn : Städtische Museen, 2013. - 176 S. : zahlr. Ill., Kt. ; 23 cm. - (Kleine Schriftenreihe des Archivs der Stadt Heilbronn ; 62) (Museo ; 26). - ISBN 978-3-940646-11-8 : EUR 10.00. Im folgenden schließt sich ein vielschichtiger Band zur Stadtgeschichte an, in dem der Bogen von der Vor- und Frühgeschichte bis ins 20. Jahrhundert gespannt wird. Dabei lassen sich zwei Schwerpunkte ausmachen: So wird die hochmittelalterliche Stadtgeschichte – besser Regionalgeschichte – in drei Beiträgen zu den Grafen von Lauffen behandelt. Diese sind entstanden aus einer Vortragsreihe aus dem Herbst 2012 zur Geschichte des Landkrei- ses Heilbronn. Dabei gibt Hans-Martin Schwarzmaier auf der Grundlage der Urkunden der Grafen von Lauffen einen Überblick über deren Familienge- schichte (S. 51 - 78), Nikolai Knauer widmet sich den Burgen der Grafen von Lauffen (S. 79 - 112), während Harald Drös deren Wappen vorstellt (S. 113 - 135). Der Themenbereich Mittelalter / Frühe Neuzeit wird ergänzt durch Beiträge von Bernhard Müller und Frank C. P. van der Horst, die sich mit den Reformationsjubiläen in Heilbronn vom 18. bis 20. Jahrhundert (S. 137 - 170) bzw. mit Heinrich August Freiherr von Kinckel (1747 - 1821) be- fassen (S. 171 - 195). Bei letzterem handelt es sich um einen „Heilbronner in Diensten der niederländischen Marine“ (S. 7). Die Aufsätze zur Geschichte Heilbronns im 20. Jahrhundert behandeln u.a. der Hubschrauberpionier Karl Erwin Merckle (von Thomas Seitz, S. 353 - 398) sowie die Gründungsgeschichte der Hochschule Heilbronn (von Christhard Schrenk, S. 399 - 418). Der Schwerpunkt liegt jedoch bei Artikeln zu Heilbronn unter dem Hakenkreuz – exemplarisch sollen hier die beiden Aufsätze der Herausgeber Christhard Schrenk und Peter Wanner vorgestellt werden. Christhard Schrenk wendet dabei den Blick auf die Phase der national- sozialistischen Machtkonsolidierung in Heilbronn während des Jahres 1933 (S. 263 - 285). Der Beitrag ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg sowie das Schicksal der Juden in Heilbronn bereits eingehend in der Forschung thematisiert worden sind. Da- gegen stand bisher eine Darstellung der Phase von „Machtergreifung“ und „Gleichschaltung“ in der schwäbischen-fränkischen Metropole noch aus. Schrenk beleuchtet zunächst die Sozialstruktur Heilbronns und kann dabei zeigen, daß die Stadt aus nationalsozialistischer Sicht ein durchaus schwie- riges Terrain darstellte. Möglicherweise wurde gerade deshalb, so die Über- legung des Autors mit Richard Drauz „ein ungewöhnlich brutaler und rück- sichtsloser Mann zum “ (S. 283) gemacht. - Schwierig war das Terrain für die Nationalsozialisten vor allem deshalb, weil in Heilbronn die Industriearbeiterschaft dominierte und somit vor allem die Arbeiterparteien über ein hohes Wählerpotential verfügten. Zugleich konstatierte Schrenk ein kulturell aufgeschlossenes Bürgertum, so daß auch die liberalen Parteien in Heilbronn verankert waren. Vom konfessionellen Standpunkt her war die Stadt protestantisch geprägt, zugleich bestand eine verhältnismäßig große jüdische Gemeinde. Mit dem Einbrechen der Weltwirtschaftskrise und den damit einhergehen- den Begleiterscheinungen Arbeitslosigkeit und soziale Unruhe waren es vor allem Nichtwähler sowie der Niedergang der liberalen Parteien, die den Auf- stieg der Nationalsozialisten ermöglichten. Bedingt durch die Stärke der Ar- beiterparteien ist es der NSDAP jedoch selbst im März 1933 nicht gelungen, stärkste Partei in Heilbronn zu werden. Für die ersten Tage nach der NS-Machtergreifung kann Schrenk anfänglich starke Widerstände konstatieren. Tatsächlich organisierten am 5. Februar 1933 SPD, KPD und Eiserne Front einen Demonstrationszug mit Kundge- bung auf dem Heilbronner Marktplatz. Auch gelang es einem KPD-Stadtrat noch auf einer Veranstaltung des Kampfbundes gegen den Faschismus En- de Februar 1933 lautstark zu protestieren und den Wählern ins Gewissen zu rufen: „Wer Hitler wählt, wählt auch den Krieg“ (zit. S. 273). In den nächsten Wochen, spätestens mit der Reichstagswahl Anfang März 1933 brach dieser Widerstand zusammen bzw. wurde gebrochen. Einge- hend schildert der Autor die von den Nationalsozialisten inszenierte Abwahl des Oberbürgermeisters und die Gleichschaltung des Gemeinderats. Schrenk zeigt, wie während des Frühjahrs und Sommers 1933 in der Stadt auf der einen Seite eine oberflächliche Normalität herrschte, beispielsweise bei Konzerten, Theateraufführungen oder der Sammlung für ein neues Neckarschwimmbad, während sich gleichzeitig in steigernder Form Übergrif- fe auf Juden und andere Regimegegner häuften. Hinzu traten die öffentliche Zurschaustellung von „Massenveranstaltungen, Fackelzügen, Aufmärschen und öffentlichen Rundfunkveranstaltungen“ (S. 284) sowie die Gleichschal- tung sämtlicher städtischer Institutionen sowie des gesamten Vereinslebens – teils unter Druck, nicht selten aber auch in vorauseilendem Gehorsam. So trifft das abschließend von Schrenk zitierte Diktum des abgesetzten Ober- bürgermeisters Emil Beutinger zu, der resigniert feststellen mußte: „Wie im Reich und den Ländern, so geht nun auch die Entwicklung in der Stadt, es ist traurig mit anzusehen, wie einst so genannte aufrechte Männer nicht nur umschwenken, sondern rabiate Nationalsozialisten werden“ (zit. S. 184). Immerhin, auch dies zeigt der Beitrag, gab es noch Gegner, die sich sowohl in der Bekennenden Kirche als auch unter den Mitgliedern der ehemaligen Arbeiterparteien formierten und in begrenztem Rahmen Widerstand leiste- ten. Schrenk legt somit eine lesenswerte Lokalstudie zum Thema „Machter- greifung“ und „Gleichschaltung“ vor, die auch nach 80 Jahren noch Entset- zen hervorruft. Die Studie Schrenks zur NS-Machtergreifung Heilbronn wird ergänzt durch einen Beitrag des Mitherausgebers Peter Wanner, der sich mit der Rolle Wilhelm Hofmanns in der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt (S. 287 - 324). Wilhelm Hofmann galt lange Jahre als Pionier im Bereich der Sonder- schulentwicklung. In der Zeit nach 1945 war er Rektor der Pestalozzischule in Heilbronn, zudem seit 1952 Vorsitzender des Landesverbandes Baden- Württemberg des Verbandes Deutscher Sonderschulen, 10 Jahre später erfolgte seine Ernennung zum Professor an der Pädagogischen Hochschule . Zudem hatte Hofmann das Bundesverdienstkreuz und die Goldene Münze der Stadt Heilbronn erhalten, zuletzt war zum Schuljahr 1982/83 die Förderschule in Heilbronn-Böckingen nach ihm benannt wor- den. - 2011 hatte jedoch die Gesamtlehrerkonferenz der Förderschule sich darauf geeinigt, zukünftig den Namen Neckartalschule führen zu wollen. Angesichts der Haltung Hofmanns in der Zeit des Nationalsozialismus war eine Identifikation mit dem bisherigen Namensgeber nicht mehr möglich. Peter Wanner geht nun der Tätigkeit Hofmanns in der NS-Zeit nach – unab- hängig von der wissenschaftlichen Einordnung kann man hier nur von er- schreckenden Abgründen sprechen. Wanner zeigt, daß Hofmann in der Weimarer Zeit durchaus als ambitionierte und befähigte Lehrkraft im Sonderschulwesen angesehen werden durfte, sich allerdings ab März bzw. Mai 1933 den Nationalsozialisten anschloß und hier überaus schnell Karriere machte. So definierte Hofmann die Aufgabe der Hilfsschule im Sinne des NS-Regimes: „Die Hilfsschule bleibt das Sam- melbecken, aus dem die Erbgesundheitsgerichte die Erbkranken leichter herausfischen können als aus dem großen See der Volksschule. Darin liegt ihre rassehygienische Bedeutung. Aber das Herausfischen der Schwerbela- steten mögen die dazu Berufenen besorgen“ (S. 291). Diese Ideologisierung der Hilfsschule im Dienste des NS-Regimes brachte Hofmann 1936/1937 die Beförderung zum Rektor der Hilfsschule Heilbronn – ausschlaggebendes Argument für die Beförderung war ausdrücklich sein Engagement in der Partei. In dieser wirkte Hofmann als Zellenleiter an der Basis sowie als aktiver Redner auf lokaler, z.T. regionaler Ebene – eine Funktion, in der Hofmann offenbar sehr gefragt war. Zwar ist keine der Re- den im Wortlaut überliefert, jedoch findet sich eine ausführliche Pressebe- richterstattung. Aus den Beiträgen Hofmanns kann man sowohl auf Durch- halteparolen, Verherrlichung des NS-Regimes, antisemitische Äußerungen wie auch Rechtfertigung der Germanisierungspolitik des Regimes in Lu- xemburg wie auch im „Warthegau“ schließen. Es ist das Verdienst Wanners, daß er nicht nur die Haltung Hofmanns in der NS-Zeit aufarbeitet, sondern diese auch mit dessen späteren Aussagen kontrastiert. Somit leistet der Aufsatz einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Kultur des Verdrängens und Verschweigens wie auch der Selbst- rechtfertigung in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Die Darstellung Wan- ners wird ergänzt durch eine fast ebenso umfangreiche Quellendokumenta- tion. Ähnlich ambivalent wie Hofmann muß inzwischen auch Friedrich Reinöhl betrachtet werden, mit dessen Lebenslauf sich Bernhard Müller befaßt (S. 239 - 262). Reinöhl kam aus überaus kleinen Verhältnissen und durchlief „eine erstaunliche Karriere“ (S. 245) in der Schulverwaltung. Wesentlich ge- prägt hat er als erster Leiter das Heilbronner Lehrerseminar, das zu einem „Platz für zukunftsweisende Ideen und fortschrittliche Konzepte“ (S. 240) werden sollte. So hatte Reinöhl anläßlich der Einweihung des Lehrersemi- nars überaus fortschrittliche pädagogische Ansätze vertreten. Ziel des Un- terrichts sollte es seiner Überzeugung nach sein, die Selbständigkeit der Schüler zu wecken und zu fördern. An die Stelle von einseitigem Dozieren, so die Überzeugung Reinöhls, solle das selbständige Lernen, das Einprä- gen von Fragen, das Suchen und Forschen und schließlich das Zwiege- spräch zwischen Lehrer und Schüler treten. In den zwanziger Jahren ist Reinöhl in die württembergische Kultusverwaltung gewechselt und hier bis zum Präsidenten des evangelischen Oberschulrates aufgestiegen. Auch hier hat Reinöhl fortschrittliche Unterrichtskonzeptionen vertreten. In Aner- kennung dieser Verdienste wurde 1958 die Weststraßenschule in Böckin- gen nur ein Jahr nach dem Tod Reinöhls in Reinöhlschule umbenannt – ei- ne Namensgebung, von der sich die Schule mit Blick auf die mehr als zwei- felhafte Rolle Reinöhls in den Jahren des Dritten Reiches in der Zwischen- zeit ebenfalls distanziert hat. So hat Reinöhl während seiner Zeit als Päd- agoge eine Vielzahl von Forschungen zur Vererbungslehre veröffentlicht und dabei in den Jahren nach 1933 eine erschreckende Affinität zur NS- Rassenlehre bezeugt, ja diese gerechtfertigt. Dies brachte ihm noch 1944 „für seine Verdienste bei der Herausarbeitung und Ausbreitung erb- und rassenbiologischer Fragen“ (zit. S. 256) den Ehrendoktor der Medizinischen Fakultät der Universität Tübingen ein, genauso wie Reinöhl noch als Pen- sionär an der Esslinger Lehrerbildungsanstalt in einer „eindeutig NS- geprägten Einrichtung“ (S. 256) einen Lehrauftrag zum Thema Rassekunde und Vererbung wahrnahm. Nach 1945 hat sich Reinöhl über seine Rolle im Dritten Reich nicht mehrgeäußert, vielmehr war seine damalige Haltung, wie Bernhard Möller zeigt, durch „zeittypische Verdrängung“ (S. 257) geprägt, während gleichzeitig seitens seines Umfeldes eine „kritiklose Verehrung“ (ebd.) einsetzte. Der Themenschwerpunkt „Drittes Reich“ wird abgerundet durch einen, man darf fast schon sagen packend geschriebenen Beitrag zu einem britischen Sabotageakt im Kraichgau wenige Wochen vor Kriegsende (von Hubert Bläsi, S. 325 - 352). Der Band schließt mit einer umfangreichen Bücherschau zu Veröffentli- chungen zur Lokal- und Regionalgeschichte in den Jahren 2008 - 2013. Hin- zu treten kleinere Miszellen und Vereinsnachrichten. Dieses lesenswerte historische Jahrbuch regt zu einer weiteren Auseinan- dersetzung mit der Geschichte Heilbronns im Wandel der Jahrhunderte, auch mit deren Schattenseiten an. Michael Kitzing

QUELLE Informationsmittel (IFB ) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz398121117rez-1.pdf