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Die Geschichte des modernen Körperyogas

Reto Zbinden

Die Studie „ Body - The Origins of mo- dass - abgesehen von einigen Sitzhal- dern Posture Practice“ von Mark Singleton tungen für die Meditation - in irgendeinem der gibt neue Aufschlüsse über die Entwicklung traditionellen Yogasysteme von Bedeutung ge- des Yoga im 20. Jahrhundert wesen wären, gibt es keinerlei Beweise.

Moderne Yogaschulen reklamieren für ihre An- gebote gerne eine Tradition von Hunderten wenn nicht gar Tausenden von Jahren. Wer sich jedoch objektiv mit den einschlägigen Textquellen befasst, wird sehr schnell finden, dass diese Behauptungen bestenfalls ansatz- weise zutreffen, denn es gibt keinerlei Belege dafür, dass die Mainstream-Praktiken, die heu- te unter dem Namen „Yoga“ segeln, mehr als etwa hundert Jahre alt sind.

Die interessante Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Wenn die Körpertechniken des moder- nen Asanayoga nicht aus dem alten Indien stammen, von wo stammen sie dann und wie kommt es, dass sie heute als Yoga bezeichnet werden.

Mit dieser Frage hat sich auch unsere Zeitschrift bereits mehrmals auf der Grundlage von publi- zierten wissenschaftlichen Forschungen zur Entwicklungs- und Rezeptionsgeschichte des Yoga befasst. Eine kleine Zusammenstellung der relevanten Beiträge findet sich im neben- - The Origins of Modern Posture stehenden Kasten. Nun konnte der Amerika- Practise ner Mark Singleton mit einer weiteren gut re- Mark Singelton cherchierten Studie, teilweise basierend auf 2010 Oxford University Press ISBN: 978-0-19-539535-8 seiner Doktorarbeit, einige der bisher offenen Lücken schliessen. Mosaiksteinchen um Mo- Als Ergänzung zum Text über die Forschungen von saiksteinchen trägt er die Einflussfaktoren zu- Mark Singleton seien folgende älteren Beiträge aus dem empfohlen: sammen, die schliesslich ein Bild davon geben, wie es zum modernen länderübergreifenden  The Wrestler’s Body: Yoga Journal Textbuch Yoga gekommen ist. Dabei identifiziert er als Seiten Kapitel 4 kreativen Höhepunkt der Formgebung die er-  Yoga im modernen Indien: Yoga Journal Text- sten fünfzig Jahre des zwanzigsten Jahrhun- buch Kapitel 4 derts.  Swami Sivananda und seine Bewegung: Yoga Journal Textbuch Kapitel 4 Ausgangspunkt der Fragestellung bilden die  Yoga auf dem Weg nach Westen: Yoga Jour- „Asanas“, die im modernen Yoga ganz ent- nal Textbuch Kapitel 4 schieden im Vordergrund, wenn nicht über-  Die Anfänge des Yoga in der Schweiz: Yoga Journal Textbuch Kapitel 4 haupt alleine dastehen. Und gerade dafür,

Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch 1 Vivekananda als Ausgangspunkt Obwohl gewisse Banden dunkler Hatha Yogis bis ins zwanzigste Jahrhundert bestehen blie- für den modernen länderübergrei- ben, konnten die meisten im Zug der Stärkung fenden Yoga der englischen Verwaltung entmilitarisiert wer- den, womit ihren Mitgliedern die Möglichkeit Als Ausgangspunkt bzw. Geburtsstunde des eines Einkommens aus Wegelagerei genom- modernen transnationalen Yoga sieht Single- men wurde, was dazu führte, dass viele sich ton, wie andere Autoren vor ihm, das Wirken der Schaustellung und Gaukelei zuwandten. Vivekanandas (1863-1902), insbesondere sei- ne Reise in die USA im Jahr 1893 und das Er- scheinen seines Buches „“. Weitge- hend durch ihn kam es in dieser Zeit zu einer Übersetzung der Quellentexte Renaissance des Yoga, mit einer neuen Syn- these von Theorie und Praxis. Allerdings, und des Hatha Yoga das wurde in früheren Studien kaum gebüh- rend berücksichtigt, hatte es in den Yogaprä- Halbwegs salonfähig wurde der Hatha Yoga sentationen von Vivekananda und anderen erst, als erste Autoren den Blick weg von den Autoren seiner Zeit keinen Platz für Körper- Yogis und hin zu den Hatha Yoga Texten lenk- übungen. Sie meinten, die eigentliche Arbeit ten, die ab 1884 auf englisch übersetzt wur- sei geistiger Natur und der übertriebene Auf- den. Aber auch hier gibt es noch Ambivalenz: wand für den Körper eine Abirrung. Sie waren S.C. Vasu, der einflussreichste Übersetzer, führ- auch dezidiert gegen körperliche „Verrenkun- te die Hatha Yoga Texte noch explizit ein, gen“, die sie als einen in das Fakirmilieu gehö- indem er erklärte, diese zeigten den Hatha Yo- rienden Aberglauben ansahen. ga, wie er eigentlich gemeint sei, und eine scharfen Trennungsstrich zu den sichtbaren Yogis der Strasse zog, nämlich den unheim- lichen Gestalten, die die Kinder erschreckten und sich an verängstigten Leuten schadlos hiel- Die unheimlichen Hatha Yogis ten.

Der Abneigung von Vivekananda und eben- Auf diese Art gelang es ihm, den Hatha Yoga falls der geistig einflussreichen Helena Blavat- bis zu einem gewissen Grad mit der geistigen sky und ihrer Theosophischen Gesellschaft Elite Indiens und den Orientalisten des Westens gegenüber Körpertechniken geht Singleton zu versöhnen. Er hat auch, wie viele der Über- weiter nach und findet, dass der Hatha Yoga setzer nach ihm, anstössige bzw. obszöne Stel- damals sowohl in Indien als auch bei den len der Hatha Yoga Texte weggelassen, das westlichen Orientalisten allgemein im Verruf heisst sich auf das beschränkt, was Swami stand. Dies wegen ihren Vertretern, den Hatha Vishnudevananda viel später einmal „sattvi- Yogis, die kaum von Fakiren zu unterscheiden sche Sadhana“ nennen sollte. In seinem Spät- waren und denen schwarze Magie, sexuelle werk, welches er 1915 veröffentlichte, kon- Perversionen und weiteres unreines Verhalten zentrierte sich Vasu dann nur noch auf die po- sowie bizarre asketische Praktiken zugeschrie- sitiven Seiten des Hatha und gab ihm ben wurden. Viele waren Vagabunden unter bereits den fortan wichtigen Rahmen von Wis- einem religiösen Deckmantel und ihr aggressi- senschaftlichkeit, Gesundheitsförderung etc. ves Betteln schürte Angst bei den Leuten. Es war vor allem er, der so als Wegbereiter für die Präsentation des Asanayoga durch Swami Es gab auch militärisch organisierte Banden Kuvalayananda, Sri Yogendra etc. diente. von Yogis, die Handelswege in Nordindien kontrollierten, was natürlich ebenfalls zu ihrer Vasus Bruder, Major Vasu, war es, der 1889 Unbeliebtheit beitrug. Die ersten solchen wur- einen Artikel veröffentlichte, in dem er eine den übrigens von Nath Yogis gebildet, die tra- wissenschaftliche Verbindung zwischen der ditionellerweise Hatha Yoga praktizierten. Chakralehre der Hindu Yogis und dem Nerven- Auch konnten gewalttätige Asketen kaum von system, wie es von der westlichen Wissen- anderen Yogis unterschieden werden. Oftmals schaft beschrieben wird, herstellte. Ein Thema, verkleideten sie sich, um der Strafe zu entge- das fortan für viele Jahrzehnte Stoff für Yoga- hen. literatur abgab. Andere Autoren beschäftigten

2 Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch sich in dieser Zeit mit Körperfähigkeiten der Zur Zeit von Yogi Bava Lachmann Dass gab Yogis, wie z.B. dem langen Atemrückhalt, die es bereits seit mehreren hundert Jahren im sie ebenfalls wissenschaftlich erklären wollten Westen Schauauftritte von Schlangenmen- und so auf eine neue Art ins Gespräch brach- schen und Bilder davon waren immer wieder ten. in Zeitungen zu finden. Der Yogi wurde damit

als weiteres Exemplar dieser Spezies einge- Karneval Yogis als Schlangen- stuft wurde mit dem einzigen Unterschied, dass er durch seine Kleidung etc. der Show menschen einen zusätzlich orientalischen Touch verlieh.

Seit dem 17. Jahrhundert gab es bereits Tex- Die Ähnlichkeit zwischen den Kunststücken te von Europäern (teils bebildert) über „Yogis“, westlicher Schlangenmenschen und indischen deren körperlichen Askeseübungen allerdings oder indisch inspirierten Hathayoga-Darstellern unisono als abstossend und morbid angesehen ist in der Tat bis zum heutigen Tag frappant wurden. Diese Haltung gegenüber den „Yogis“ geblieben. Dies mag teilweise daran liegen, findet sich sowohl bei indischen als auch west- dass der menschliche Körper entsprechend lichen Autoren und zwar bis etwa zum Ende seiner Struktur nur ganz bestimmte Formen des 19. Jahrhunderts. zulässt und diese somit zwangsläufig hier und dort auftreten. Sie führte aber auch dazu, In dieser Zeit etwa treten dann die ersten dass die Demonstrationen des „Asanayoga“ Jahrmarktyogis im Westen auf, also Yogis, bei ihrem ersten Auftreten und wohl auch die ihre Kunststücke zur Schau stellen. Exem- später durch unbefangene Betrachter ohne plarisch schildert Singleton die Geschichte von weiteres in den bereits bestehenden Katego- Yogi Bava Lachmann Dass, der 1897 nach Lon- rien von Verrenkungen, wie sie im Zirkus zu be- don kam, um in einer Jahrmarktsbude dem staunen waren, untergebracht werden konnten. neugierigen Publikum 48 Yoga-Posturen vor- zuführen. Über die Show wurde im weitver- Die genannte Ähnlichkeit macht der Autor deut- breiteten „Strand-Magazin“ in einem langen lich, indem er Bilder eines westlichen Schlan- illustrierten Artikel berichtet. Es handelt sich genmenschen aus dem Jahr 1889 neben Auf- hierbei wohl um das erste photographische nahmen aus dem Buch „Licht auf Yoga“ von Zeugnis einer Hatha Yoga Performance im B.K.S. Iyengar stellt. Westen. Die Kommentatoren äusserten sich aber, dem Zeitgeist entsprechend vor allem bissig über den Hatha Yogi, dessen Auftritte sie als reine Geschäftemacherei ansahen, was sie wohl auch waren.

Yogi Bava Lachmann Dass

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B.K.S.Iyengar, ein zentraler Vertreter des modernen -Yoga, vollführt praktische identische Körper- übungen wie ein westlicher Schlangenmensch sechzig Jahre vorher.

Yogis als Magier magier Aleister Crowely, der ab 1913 über Yo- ga geschrieben und einige der Übungen in sein

okkultes Training eingebaut hat. Die Yogis des neunzehnten Jahrhunderts gaben mit ihren Schaustellungen viel Stoff für Ethno- Aus all diesen Gründen wurde um die Jahrhun- graphen und Zeitungen her. Ein anderer Yogi- dertwende Yoga weniger als ein Erlösungsweg, typ, der die Faszination des westlichen Men- sondern viel mehr als eine Methode gesehen, schen und besonders der Okkultisten der Jahr- okkulte Ambitionen zu befriedigen. Ein entspre- hundertwende beflügelte, war der mit magi- chendes Bild geben auch die aufkommenden schen Kräften ausgestattete Fakir-Yogi. Viele ersten Filme. So hiess z.B. der erste amerika- Bücher erschienen zu diesem Thema, die den nische über Indien „Hindu Fakir“ (1902). Durst nach Wundergeschichten stillen sollten. Diesem folgten viele weitere, in denen Fakir- Sie waren wissenschaftlich nicht verlässlich Yogis vorkamen. und positionierten den Yogi ebenfalls im Jahr- marktsbuden-Milieu. Eines der damals verbrei- teten Bücher über die Tricks der Yogis und Fakire wurde bei seiner Neuauflage mit einer Der Entwicklungsstrang im Abhandlung über Handschellentricks und Tier- Westen hin zum Asanayoga tricks zu einem Band zusammengelegt. Im 19. Jahrhundert kam es in ganz Europa zu Als weiterer Beleg für die Vereinnahmung des einer Welle der Begeisterung für gymnasti- Yoga durch den westlichen Okkultismus nennt sche, athletische und sportliche Disziplinen. Singleton den berüchtigten britischen Schwarz- Es kam zur Einführung von Turnunterricht in

Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch 5 den Schulen sowie in den militärischen Ausbil- murthy der sowohl in Indien als auch in Eng- dungen, zu landesweiten Wettkämpfen, ersten land (1911) mit Kunststücken auftrat, wie Fachzeitschriften zum Thema Körperkultur und z.B. Eisenketten mit dem Genick zu zerschla- schliesslich im Jahr 1896 zu den ersten olym- gen oder einen ausgewachsenen Elefanten auf pischen Spielen seit der Antike. der Brust zu tragen. Obwohl er immer wieder betonte, er verdanke seine Kraft nur Asana Die Körperertüchtigung hatte in dieser ganzen und , ist es der Forschung heute Entwicklung immer auch eine ideologische Di- ziemlich klar, dass er sich, obwohl er sich mension. Sie wurde auch als ein Mittel ange- dessen vielleicht nicht immer bewusst war, sehen, die Moral der Nation zu stärken und genauso auf westliche Trainingsformen ab- einen „perfekten Menschen“ zu schaffen. In stützte, die damals in Indien schon längstens England wurde das Wort „Muscular Christia- zum Allgemeingut geworden waren. nity“ geprägt. Damit war eine physisch und moralisch starke Christenheit gemeint, die ge- gen Sündhaftigkeit und Angriffe von aussen aufsteht.

Die im 19. Jahrhundert aufkommende - nastik war vor allem von der sogenannten „Schwedischen Gymnastik“ des geprägt, mit der der Mensch als ganzes, also nicht nur seine intellektuelle Seite, ent- wickelt werden sollte. Hauptsächlich diente dieses System als Grundlage für die Ausbil- dung in der britischen Armee und beeinflusste auch die Trainingsprogramme der 1844 ge- gründeten YMCA (Young Men’s Christian As- sociation), welche in Indien eine grosse Brei- tenwirkung entfaltete.

Durch das englische Schulsystem und das englische militärische System in Indien, kam es dort zu einer enormen Verbreitung dieser Art von Gymnastik. In diesem Zug erkannte man in Indien Berührungspunkte zu Hatha Yoga und die Asanas wurden wieder vermehrt losgelöst von den unheimlichen Erscheinungen der Hatha Yogis betrachtet. Yoga gewann zu- sätzlich an Attraktivität soweit es als Alter- native zu den von den Engändern ins Land gebrachten Körperetüchtigungsformen aufge- Der Kraftyogi Professor K. Ramanmurthy trägt fasst werden konnte. einen Elefanten auf der Brust

Yoga, Körperkraft und Body- Die heute weitherum bekannte Disziplin des Bo- building dybuilding, der Begriff wurde 1881 geprägt, entstand im Zuge der bereits erwähnten Sport- Einen interessanten Berührungspunkt gab es renaissance der zweiten Hälfte des neunzehn- im frühen zwanzigsten Jahrhundert zwischen ten Jahrhunderts im Westen. Die mit Abstand Yoga und Körperkraft vor allem in Form von berühmteste Persönlichkeit und treibende Kraft Demonstrationen, mit denen gewissermassen hinter dem , war an die übernatürlichen Fähigkeiten mittelalter- (1867-1925), ein Deutscher mit bürgerlichem licher Yogis angeknüpft und gezeigt werden Namen Friedrich Wilhelm Müller. Er veranstal- sollte, dass östliche Trainingsmethoden den tete in Europa, Amerika und Indien Vorführun- westlichen überlegen seien. Einer der bekann- gen, organisierte Wettkämpfe und gab eine testen „Kraftyogis“ war Professor K. Raman- Zeitschrift heraus.

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In Indien wurde das Bodybuilding enthusias- tisch aufgenommen. Sein wohl bekanntester Vertreter in der ersten Hälfte des 20. Jahr- hunderts war K.V. Iyer aus Bangalore, der sich den Titel „India’s most perfectly deve- loped man“ gab. Interessanterweise war er gleichzeitig ein Verfechter des Hatha Yoga. In Von Iyers Hauptschüler, Yogacarya Sundaram, einem seiner Bücher schrieb er, er verdanke stammt eines der ersten Yogabücher, die im seinen prachtvollen Körper viel mehr dem Yo- Stile einer Anleitung für den Selbstgebrauch ga als dem Krafttraining. Er stellte sich gegen verfasst wurden. Es heisst „Yogic Physical die Schwedische Gymnastik in indischen Schu- Culture or the Secret of Happiness“ (1928). len und wollte mit seinem System aus Body- Sein Inhalt war eine Mischung aus Gymnastik, building und Hatha Yoga eine nationale Re- hygienischen Ratschlägen und Body Building. volution in der Körperertüchtigung auslösen. Sundaram meinte, es sei jetzt die Zeit einer Mit seinen Methoden, Iyer hatte auch eine Verschmelzung von Asanas mit Body Building Bauchmassage entwickelt, behandelte er Techniken gekommen, damit die Söhne Indiens etliche Berühmtheiten wie z.B. Ravi Shankar Superkräfte erhielten und ihre Mutter wieder und den Maharaja von Mysore, den er bei der zu einer gleichwertigen Schwester unter den Rehabilitation nach einem Schlaganfall unter- Nationen machen würden. Bei ihm kommt stützte. Dieser war ihm so dankbar, dass er in auch eine gewaltige Dosis Narzissmus mit ins seinem Palast in Mysore eine Zweignieder- Spiel, wenn er z.B. schreibt, die Muskelübun- lassung der Schule von Iyer einrichten liess. gen seien notwendig, da ein untrainierter Kör- Dies hat insofern noch eine besondere Bedeu- per nicht schön anzusehen wäre. tung als der Maharaja später am genau glei- chen Ort ebenfalls eine Yogaschule ansie- Interessant ist auch, dass Pratinidhi Pant, der delte, in der, wie weiter unten geschildert Raja von Aundt, der als derjenige gilt, der den wird, der sogenannte Ashtanga Vinyasa Stil sogenannten Sonnengruss popularisierte, selbst entstand. ein Bodybuilder war. Nachdem er mehr als zehn

Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch 7 Jahre nach dem System von Eugen Sandow ches Beispiel wird der New Yorker Anwalt gearbeitet hatte, entwickelte er das moderne und New Thought Guru William Walker At- Surya Namaskar als ein System des Bodybuil- kinson genannt, der unter dem Pseudonym ding, nicht des Yoga. Erst später wurde Surya Yogi Ramacharaka ab 1903 zahlreiche Schrif- Namaskar in den Yogaunterricht integriert und ten zu Yoga und New Thought publizierte, die bildete dann auch eine der Grundlagen des so- einen reissenden Absatz fanden, das ganze genannten „Mysore Yoga“ (sh. unten). Genre prägten und bis zum heutigen Tag gelesen und neu aufgelegt werden. Viele Ideen übernimmt Atkinson von Swami Vive- kananda, der seinerseits sein Buch „Raja Yo- ga“ bereits mit „Neugeistigem“ angereichert hatte. Weiterhin bringt er die Arbeit mit Auto- suggestionen in Spiel und fordert, bei den Übungen die Lebenskraft immer in die betref- fenden Körperglieder zu lenken.

Yogananda und B.C.Gosh

In seiner Nachfolge ist auch Paramahamsa Yo- gananda (1893 - 1952) zu sehen, der in sei- nen frühen Jahren in Amerika ein System der Muskelkontrolle unterrichtete, welches sehr stark durch die Neugeist-Bewegung, die schwe- dische Gymnastik und das europäische Body- building beeinflusst war. In seinen ersten Bü- chern präsentierte er eine Methode der Auto- suggestion als gerätefreie Gymnastik. Mit Hilfe der Willenskraft sollten die Muskeln mit Energie aufgeladen werden. In einem Artikel der „Boston Post“ erhielt er daraufhin den Übernamen, er sei der Coué der Gymnastik.

Der Raja von Aundt

Yoga und die Neugeistbewegung

Als breitenwirksame parareligiöse Bewegung entstand im protestantischen Milieu der USA ab 1880 die sogenannte „New Thought“-Be- wegung, welche bis heute als Facette der spe- ziellen US-amerikanische Religiosität weiter- wirkt und tief in die moderne Yogaszene ein- gedrungen ist. Die Kernidee der Neugeistbe- wegung besteht darin, durch positives Denken könne der Mensch die ihm innewohnende gött- liche Energie wecken und für persönliche Ziele wie Gesundheit, Erfolg, Wohlstand etc. wir- ken lassen.

Die frühen Yoga Bücher, besonders diejeni- gen, die sich an ein westliches Publikum richteten, waren stark von den volkstümlichen esoterischen Lehren der New Thought-Bewe- gung durchzogen. Als besonders eindrückli- Paramahamsa Yogananda 1919

8 Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch Es war jedoch nicht nur das Coué-System, B.C.Gosh, der für sich die Ehre in Anspruch das in seiner Methode sichtbar wurde, son- nehmen darf, der erste und einzige indische dern auch „Maxalding“, eine berühmte Body- Juror bei einer Mr. Universum Wahl gewesen building Methode, die anfangs des zwan- zu sein, wird von einem Hagiographen auch zigsten Jahrhunderts vom deutschen Kraft- gleich noch zum ersten Inder hochgelobt, der, mann (1882-1961) zusammen mit „ein Genie sowohl auf dem Gebiet der Körper- einem Schüler des bereits erwähnten Eugen ertüchtigung als auch des Hatha Yoga, in mo- Sandow entwickelt wurde. Max Sick versetz- dernen Zeiten ein System des Hatha Yoga für te das Publikum vor allem dadurch in Erstau- das grosse Publikum entwickelt hätte“. Bis nen, dass er fast jeden Muskel seines Körpers heute ist B.C.Gosh insofern bekannt, als dass einzeln bewegen konnte. Das Spezielle am sein Schüler in der moder- Maxalding System, welches bis heute in der nen Yogaszene vor allem in den USA Furore Bodybuilder-Szene benutzt wird, ist, dass es macht. Dabei positioniert er Yoga als eine Art ohne Gewichte und Apparate arbeitet. sportliche Disziplin, das heisst er hält zum Beispiel dem Bodybuilding nicht unähnliche Yogaturniere bzw. Küren ab und bemüht sich Yoga als Disziplin für die olympischen Spiele zu akkreditieren.

Bishnu Charan Gosh, indischer Kraftmann und Vater der Bikram-Reihe

Der Deutsche Max Sick inspirierte das Muskeltrai- ning von Yogananda und seinem Bruder B.C.Gosh

Der jüngere Bruder von Yogananda, B.C.Gosh, war ein internationl bekannter Bodybuilder. 1930 publizierte er das Buch „Muscle Con- trol“, welches er der nationalistischen Bewe- gung „Young Bengal“ widmete und in wel- chem er die Übungen aus einem Buch glei- chen Titels aus dem Jahr 1913 darstellte, welches das bereits erwähnte Maxalding-Sy- Bikram Choudhury will Yoga zu einer olympischen stem präsentierte. Wettkampfdisziplin machen

Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch 9 Auf B.C. Gosh geht die Bikram-Reihe, eine Ausdrucksweisen aus der westlichen Gym- durch Bikram Choudhury verbreitete Serie des nastik ausleiht, die damals in Indien weit ver- Asanayoga zurück. Möglicherweise, dies ist breitet war und die er natürlich auch bei sei- jedoch historisch nicht ganz geklärt, hat er nem Aufenthalt in den USA kennengelernt auch bei der Entwicklung der „Sivananda- hatte. Reihe“ mitgewirkt, welche gelegentlich auch als „Rishikesh-Reihe“ bezeichnet wird. Yogendra war auch vom Sozialdarvinismus beeinflusst und glaubte daran, dass mit Yoga die Genaustattung des Individuums, seiner und Sri Nachfahren und schliesslich der ganzen Rasse Yogendra „verbessert“ werden könnte. Eine Ansicht, die zwar wissenschaftlich nicht als haltbar gilt, die

jedoch damals viele Anhänger hatte. Er wollte Swami Kuvalayananda ist ebenfalls eine der Hatha Yoga und die biologische Vererbungs- wichtigen Figuren der modernen Yoga Renais- lehre zusammenbringen was ihn zu einer Vision sance. Ab 1907 hatte er Kampfkunst, Gym- der selbstgesteuerten Genmutation führte. nastik und später auch Yoga studiert. 1921 gründete er das Kaivalyadhama Institut in Lo- navla. Er war ein Pionier der physiologischen Yogaforschung und sein Ziel war es, einen „Harmonische Gymnastik“ und Turnunterricht mit Yogaelementen für die all- der feminine Asanayoga gemeinen Schulen zu entwickeln. Durch seine Tätigkeit und seine Publikationen hatte er einen Ein Kapitel widmet Singleton dem femininen enormen Einfluss darauf, dass Yoga national Yoga, welches teilweise auf den Franzosen und international fortan als ein System der François Delsarte (1811-1871) zurückgeht. Körperertüchtigung und der Therapie aufge- Dieser hatte eine Trainingsmethode für Thea- fasst wurde. ter und Oper entwickelt, bei der Atmung, Stim- me, Bewegung und Gestik zu einem harmo- Auch Sri Yogendra, der Gründer des noch nischen Ganzen verbunden wird. Die Desarte heute bestehenden Yogainstituts von Santa Methode wurde in den USA sehr gut aufge- Cruz bei Mumbai, begann seinen Weg in Yoga nommen und mit der Neugeist-Praxis sowie mit erst nachdem er sich viele Jahre mit Gymnas- esoterischen und orientalischen Tänzen ver- tik und Wrestling beschäftigt hatte. In dieser bunden. In den „Desarte-Studios“, von denen Zeit trug er den Übernamen „Mr Muscle- es anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts in man“. 1919 ging er für vier Jahre in die USA jedem Örtchen eines gegeben haben soll, und wollte sich eigentlich dort als Yogalehrer wurden Entspannungsübungen, Haltungsübun- niederlassen, wurde aber aufgrund eines Ras- gen, Atmungen und Beweglichkeitsübungen sengesetzes wieder ausgewiesen. für Rücken und Gelenke unterrichtet, also etwa das gleiche, was einem auch heute in Wie Kuvalayananda - die beiden hatten übri- einer landläufigen Yogaklasse erwartet. gens eine zeitlang den gleichen Lehrer – ver- fasste auch er viele Publikationen wie z.B. Die wichtigste Vertreterin der Delsarte Metho- „Yoga Asana Simplified“ (1928). Mit Viveka- de in den USA, , brachte nanda teilte er aufgrund persönlicher Erlebnis- im Jahr 1898 das Buch „Genevieve Stebbins se, er war als Kind fast von kinderstehlenden System of Physical Training“ heraus, in wel- Yogis entführt worden, eine grosse Skepsis chem sie vollständig auf Bewegungsflüsse gegenüber dem Hatha Yoga, besonders des- fokussiert. Es enthält tanzähnliche Bewegungs- sen mysteriösen Seite. Während aber Vive- abfolgen und Übergänge zwischen den einzel- kanda aus diesem Grund Hatha Yoga als Gan- nen Haltungen. Sie kann wohl als die Erfin- zes ablehnte, wollte Yogendra Teile davon derin dessen bezeichnet werden, was man in neu aufmachen und zwar „entmystifiziert“, der modernen Szene „Flow-Yoga“ nennt und wissenschaftlich und im Dienste von Gesund- was sich noch immer grosser Beliebtheit er- heit und Körperertüchtigung. freut.

Obwohl er es nirgends direkt eingesteht, ist Diese eher femininen Ansätze - neben der ge- es auch bei Yogendra mehr als klar, dass er in nannten Autorin, gibt es auch etliche andere seinem System noch und noch Übungen und mit ähnlichen Methoden - wurden als „harmo-

10 Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch nische Gymnastik“ bezeichnet. Sie bilden so- Auch eine Analyse von Fachzeitschriften för- wohl einen Gegenpunkt zu den Praktiken, die derte zu Tage, dass Frauen in den dreissiger im Bodybuilding wurzeln als auch zu den the- Jahren etwa die gleiche Körperpraxis ausüb- rapeutischen Ansätzen: Es sind sanfte Metho- ten, die heute unter dem Namen „Yoga“ figu- den, bei denen vor allem Dehnungen ausge- riert und dass „Stretching“ im Westen über führt und diese mit Atmungen kombiniert eine von Yoga unabhängige Tradition verfügt. werden. Schönheit (in diesem Fall weibliche) Es war ein integraler Bestandteil der Körperer- und Ästhetik spielen eine zentrale Rolle. Zu- tüchtigungswelle des 19. Jahrhunderts und dem sollen einem die Übungen für die spiritu- wurde ab dem frühen zwanzigsten Jahrhun- elle Wahrnehmung öffnen und natürlich sind dert mehr und mehr mit weiblicher Gymnastik in allen Systemen auch die Grundannahmen assoziiert. der oben erwähnten Neugeist-Bewegung ir- gendwie wiederzufinden.

Aus einer Gymnastikzeitschrift 1935

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In der europäischen Gymnastik hat sich eine ausbreiten, das heisst, er war in einem ganz an- Geschlechteraufteilung ergeben, wonach Män- deren Ausmass als z.B. eine phiolosophische ner vor allem für Kraft und männliche Attrak- Yogalehre auf eine „visuelle Gesellschaft“ an- tivität und Frauen eher für Bewegungsanmut gewiesen. Die visuelle Gesellschaft ihrerseits und weibliche Attraktivität trainieren. Soweit hat das Verlangen nach immer neuen Bildern, diese sich in die populären Asanapraktiken welches im Falle des Yoga durch immer neue übertragen hat, stammen die maskulinen For- Posen und in späterer Zeit durch immer neue men eher aus dem Muskelchristentum sowie graphische Aufmachungen befriedigt wurde. dem nationalistischen und dem Kampfsport- umfeld. Die femininen Formen mit Stretching Mit dem Siegeszug des „Asanayogas“, welcher und Entspannung stammen eher aus der har- im Wesentlichen ein photographischer war, ging monischen Frauengymnastik und dem para- endlich noch Folgendes einher: Im traditionel- christlichen Mystizismus. len Hatha Yoga stand eigentlich eher der fein- stoffliche Körper im Vordergrund. Die abgebil- dete Darstellung aus einem Hatha Yoga Manu- Photographie – das Medium des skript von 1830 zeigt deutlich den Körper als Träger von Symbolden. So ist z.B. das Chakra- Asanayoga system eingezeichnet. Die photograhisch illu- strierten Manuale bedeuteten eine Hinwendung Durch das Subsumieren aller möglicher Trai- zum grobstofflichen Körper. ningsmethoden unter das modern-populäre Yoga ist auch die Zahl der Übungen ins Ufer- Asanaillustrationen sollten jetzt so naturalis- lose angeschwollen und ständig am Weiter- tisch wie möglich sein. Damit wurden die wachsen. Um nur ein Beispiel zu nennen, Asanas, sofern es sich um traditionelle han- werden in den mittelalterlichen Anleitungstex- delte, von ihrem symbolisch-energetischen ten zum Hatha Yoga keine stehenden Haltun- Gehalt losgelöst, was natürlich durch die me- gen beschrieben, das heisst, alle derartigen dizinisch-physiologische Perspektive der „mo- „Asanas“ sind entweder aus der Gymnastik dernen Zeit“ auf die Übungen noch zusätzlich entlehnt oder ad hoc erfunden worden. gefördert wurde.

Die Verbreitung der Yogaposen wurde durch die Druck- und Phototechnik beschleunigt. Die Phototechnik gab aber auch erst die Möglich- keit Yogaposen naturalistisch im Bewusstsein der Gesellschaft zu verankern. Weiter brachte die Möglichkeit, fremde oder auch eigene Kör- perphotos zu sehen, eine neue körperbewuss- te Mittelschicht hervor. Der Körper wurde wie nie zuvor in den Mittelpunkt öffentlicher Auf- merksamkeit gerückt und somit die Körperkul- tivierung zu einem wichtigen Anliegen gemacht. Zusätzlich kam in den kolonialisierten Ländern wie Indien noch dazu, dass durch eindrucks- volle Körperphotos die von den Kolonisatoren vertretene These, eine unterentwickelte Rasse zu sein, widerlegt werden konnte.

Es war in den 1920er Jahren, als durch die weite Verbreitung von illustrierten Yogaartikeln in Zeitschriften und später in Büchern, die Er- findung von Asanas langsam anfing. Genau genommen ist auch hier das Medium die Bot- schaft. Asanayoga konnte sich eigentlich nur durch die damals neuen Medien der photogra- phisch illustriereten Zeitschriften und Bücher Illustration eines Hatha Yoga Manuskripts von 1830

12 Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch Der „Yoga Körper“ erlebte in seiner Interaktion trainingsformen ausgeübt. Auch der Unter- mit den modernen Reproduktionstechniken eine richt von Krishnamacharya - er unterrichtete Transformation hin zu einer Verdinglichung. Das am Anfang 32 Knaben, die meisten davon zur bedeutete auch eine Verschiebung weg vom königlichen Familie gehörend - wurde dazuge- tantrischen Körperverständnis, hin zum empi- zählt und zwar unter den zwei Rubriken: Yoga risch-objektiven Körper des heutigen Asanayo- Asana und Surya Namaskar, wobei damals ga. Surya Namaskar nicht als zum Yoga dazuge- hörig aufgefasst wurde. Unter den wenigen nicht königlichen Schülern befanden sich die Tirumalai Krishnamacharya beiden später berühmten Yogalehrer B.K.S. Iyengar und Pattabhi Jois. Das Wirken von Tirumalai Krishnamacharya (1888-1989), von dessen Übungen ausgehend Der Maharaja nahm regen Anteil an der Ent- mehrere moderne Stile des Asanayoga entwi- wicklung des Yogasala und war die treibende ckelt wurden, wurde von Singleton besonders Kraft und die letzte Autorität hinter allen Akti- ausführlich recherchiert. Krishnamacharya hat vitäten. Er sah es als ein Experimentierfeld etwa 70 Jahre lang gewirkt, doch die ein- und tatsächlich hatte Krishnamacharya ge- flussreichste Zeit war in Mysore von anfangs mäss Zeitzeugen einen sehr innovativen Un- der 1930er Jahre bis anfangs der 50er Jahre, terrichtsstil. wo er einen feurigen, aerobicartigen Übungs- stil entwickelte. Am direktesten weitergeg- eben wurde dieser von Patthabi Jois (zu ihm ist ein Nachruf im Yoga Journal Nr. 29 erschienen) und ist heute zudem in Varianten wie „“ oder „vinyasa flow“ weit- herum bekannt. Auch B.K.S. Iyengar, der wohl derjenige war, der am meisten zur Populari- sierung des Asanayoga im 20 Jahrhundert beigetragen hat, hat seine Methode ausge- hend vom Krishnamacharya’s Unterricht ent- wickelt.

Zur Zeit als Krishnamacharya sich in Mysore niederliess, war dieses dank dem Mäzenaten- tum des Maharaja Krishnaraja Wodiyar IV ein gesamtindisches Zentrum für die Revitalisie- rung von Körperertüchtigungsbestrebungen ge- worden. Ab 1919 hatte der Maharaja die Turnschulen des YMCA unterstützt. Beson- ders war ihm an der Integration von Yogaasa- nas in moderne Körperertüchtigungssysteme gelegen.

Krishnamacharya wurde vom Maharaja 1931 beauftragt, unter dessen direkten Führung die

Praxis von Yoga zu popularisieren. Zu diesem Zweck konnte er zwei Jahre später einen Raum T. Krishnamacharya trainiert die Knaben im Palast im Palast als Yogaschule (yogasala) benützen. von Mysore Kurz nach der indischen Unabhängigkeit wur- den die Aktivitäten im Palast aufgelöst und Krishnamacharya zog nach Madras (heute Chennai), wo er bis zu seinem Tod blieb. Ashtanga Vinyasa

Im Palast von Mysore wurden unter den Be- Krishnamacharya nannte seine gymnastische wohnern und Wachen alle möglichen Sport- Übungsweise, als dann die ersten Westler zu arten und verschiedene militärische Körper- ihm kamen, „Ashtanga Vinyasa“ und wollte

Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch 13 vermutlich auf den alten Text der Yoga Sutras mein bekannt ist, bergen die Serien mit ihren hinweisen, in welchem das Wort Ashtanga Sprüngen etc. auch eine grosse Verletzungsge- (achtgliedrig) prominent vorkommt und den er fahr und viele, die durch den späteren „Jois- selbst verehrte, während er interessanterweise Yogaboom“ angezogen wurden und für die die eher gegen den traditionellen Hatha Yoga ein- Serien wohl nicht geeignet waren, haben sich genommen war. Somit ist wahrscheinlich auch mit ihnen dann auch versehrt. er derjenige, der die Gewohnheit in der moder- nen Yogaszene begründete, sich auf den Yoga Sutra Text zu berufen, obwohl in diesem mys- tischen Traktat von körperlichen Übungen gar Mit Demonstrationen Yoga nicht die Rede ist. propagieren

In den 30er Jahren, bevor es im Westen Furo- re gemacht hatte, stand in Indien das moder- ne Asanayoga noch nicht in einem besonders guten Ruf. Bodybuilding, z.B. nach dem System von K.V.Iyer war auch im Palast von Mysore viel mehr „in“ als das Körperyoga des Krishna- macharya. Und es war genau eine der Aufga- ben, die der Maharaja seinem Yogaprojekt zu- gedacht hatte, mit ihm Yoga als ein in Indien verwurzeltes System der Körperertüchtigung zu propagieren. Deswegen war es ihm auch ein Anliegen, dass es von seiner Yogaschule Demonstrationen und Auftritte gäbe. In ihnen sollten z.B. schwierige Positionen gezeigt wer- den.

Diese Zielsetzung im Auge behaltend wendet sich der Autor besonders der Bedeutung des Wortes „Vinyasa“ beim Ausdruck „“ zu. Die Idee hinter Vinyasa ist

T.R.S.Sharma, einer der Knaben des Yogasala im im Prinzip diejenige, dass Asanas durch über- Jahr 1941 vor dem Palast in Mysore leitende Bewegungen und Sprünge zu einer Abfolge verbunden werden. Von gut geübten Praktizierenden ausgeführt sieht dies ausser- Singleton geht weiter der Frage nach, wer die ordentlich ansprechend aus. Die Schwerkraft fixen Übungsserien entwickelt hat, die später scheint gelegentlich aufgehoben zu werden das Herzstück des Unterrichts von Pathabhi und der menschliche Körper kann sich in sei- Jois bildeten. War es Krishnamacharya, der ner ganzen Grazie zeigen. allerdings sonst recht unsystematisch arbeite- te und bei dem sich die beigezogenen alten Es ist anzunehmen, dass dieses Zusammenfü- Schüler nicht an diese Serien erinnern konnten, gen von Asanas zu photogenen Folgen, also oder wurden sie von Pattabhi Jois erfunden? „Vinyasa“, zumindest teilweise, wenn nicht Der Autor tendiert dabei zur Meinung, dass vollumfänglich zu Demonstrationszwecken ent- die Serien grundsätzlich wohl von Krishnama- wickelt wurde. Im Auftrag des Maharaja gab charya entwickelt worden seien, er aber nie Krishnamacharya mit seiner Truppe weithe- so systematisch nach ihnen unterrichtet rum Vorführungen, sei es um die Zuschauer hätte, wie Pattabhi Jois es später tat. In für Yoga zu erwärmen, sei es aber auch bloss Anbetracht dessen, dass Krishnamarcharya zur Unterhaltung. Übrigens hatte Krishnama- sehr individualisiert vorzugehen pflegte, ist charya selbst, noch vor seiner Zeit in Mysore, durchaus auch möglich, dass er die besagten zu diesem Zweck Demonstrationen gegeben, Serien Patthabhy Jois - dieser war damals 18 wie z.B. den eigenen Puls verlangsamen, Autos Jahre alt - deshalb gab, damit er diese selbst, mit blosser Hand anzuhalten, schwere Gegen- übe und allenfalls gleichaltrige junge Männer stände mit den Zähnen anzuheben und natür- darin unterrichte. Denn wie inzwischen allge- lich schwierige Asanas zu zeigen.

14 Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch Die Krishnamacharya-Industrie, das heisst all Auch wenn Krishnamacharya in kreativer Wei- die modernen Asanayoga-Richtungen, die sich se Anleihen bei verschiedenen Körperertüchti- auf ihn berufen, pflegen diesen als einen ge- gungssystemen seiner Zeit machte, so kann nialen Übermenschen darzustellen und die ver- doch die dänische Gymnastik als eigentliche schiedenen von glühenden Anhängern ver- Grundlage erkannt werden. fassten Biographien, die über ihn erschienen sind, tun das ihrige, dieses stilisierte Bild im Ein weiterer Einfluss war der folgende: Im er- Publikum zu verankern. So kommt denn in der sten Jahr seiner Tätigkeit für den Maharaja Regel auch kaum zum Ausdruck, dass Krish- sandte dieser Krishnamacharya ins Institut namacharya, als der Maharaja ihn engagierte, von Swami Kuvalayananda nach Lonavla, um nicht bereits über einen eigenständigen Ruhm die Arbeit dort kennenzulernen. Das Yoga- verfügte, sondern ganz einfach das zu ma- Institut von Kuvalayananda war zu dieser Zeit chen hatte, was ihm aufgetragen wurde, näm- dasjenige mit der grössten Breitenwirkung in lich die Jugend in Asanas anzuleiten, indem er Indien und damit beauftragt, Körperertüchti- einerseits die Gymnastiktradition des Palastes gungsprogramme für Schulen zu entwickeln. fortführte und andererseits die Körperertüchti- Diese, basierend auf Asanas, definierten einen gungsprogramme der Region integrierte. Standard und es ist nur vernünftig anzuneh- men, dass auch Krishnamacharya sich daran orientierte. Zum Beispiel beschreibt Kuvala- yananda in seinem Buch „Yogic Group Excer- Die Quellen des Ashtanga cises“ von 1936 eine spezielle Drilltechnik, in Vinyasa welcher die Übungen angeleitet werden und die noch heute in Klassen des „Asthanga Yo- Krishnamacharyas athletisches Asanayoga der ga“ angewendet wird. dreissiger und vierziger Jahre, welches heute gelegentlich als „Mysore-Stil“ bezeichnet wird, Es ist klar, dass die Asanas sowohl bei Krish- war im Prinzip eine Variante der gebräuchli- namacharya als auch bei Kuvalayananda grund- chen Körperertüchtigungsübungen im spätko- sätzlich als Mittel der Körperertüchtigung gese- lonialen Indien. hen werden müssen und dass klassische Hal- tungen des Hatha Yoga zwar darin auch vor- Das Körperertüchtigungssystem des Dänen kommen, diese jedoch in einen neuen, stark (1880-1950) war eines der euro- vom westlichen Denken geprägten Kontext päischen Gymnastik-Systeme, das eine zen- gestellt werden und dass sie vermischt sind trale Stellung in der indischen Ausbildungs- mit einer Grosszahl von Übungen, die ausser- landschaft einnahm. Es löste dabei mehr und halb jeglicher älteren Yogatradition stehen. mehr die schwedische Ling-Gymnastik ab. 1906 wurde die dänische Gymnastik Teil des Ausbildungsprogramms der britischen Militärs Fazit in Indien. Das System betonte durchgehende Bewegungen, rhythmische Übungen und Stret- Mark Singleton hat ein hervorragend recher- ching. chiertes Buch verfasst, in welchem er viele neue und plausible Überlegungen anstellt und Das Lehrbuch der dänischen Gymnastik (Pri- welches er mit zum Teil seltenen Bildern, wo- mary , 1925) enthielt einen voll- von etliche für diesen Artikel verwendet wur- ständigen Lehrgang für Stretching und Kraft- den, reich illustriert. aufbau gruppiert in sechs progressive Serien. Die Serien sollen heftig geübt werden, so dass Er zeigt auf, dass das moderne länderübergrei- Hitze im Körper entsteht. Während den Übun- fende Yoga eben nicht, wie so gerne kolportiert gen soll tief geatmet werden. Allein 28 Kör- wird, aus mehrtausendjährigen Quellen stammt, perhaltungen in diesem Buch sind denjenigen sondern in den letzten hundert Jahren in der der „Ashtanga Vinyasa“ Serien extrem ähnlich Begegnungssituation von Ost und West ge- oder identisch. In der zweiten Auflage des schaffen wurde. In ihm finden sich Elemente Buches sind es dann noch mehr. Auch die der amerikanischen Neugeist-Bewegung, der Übergänge zwischen den Übungen sind ent- schwedischen und der dänischen Gymnastik, sprechen denen des Asana Vinyasayoga von des europäischen Bodybuilding, Kunstücke Krishnamacharya. von Schlangenmenschen und anderes mehr.

Yoga Textbuch - Yoga Journal Verlag, CH-2613 Villeret - www.yoga-journal.ch 15 Im Zuge des in Indien erwachenden National- hat, bleibt die Frage, inwieweit es in diesen stolzes wurden aus diesen Elementen in krea- Systemen überhaupt Elemente aus der Hatha tiven Akten die verschiedenen Ansätze des Yoga Tradition gibt. Die Ausbeute ist nicht Asanayoga mit dem Ziel geschaffen, die indi- sehr reich, doch tatsächlich werden zum Teil sche Jugend körperlich zu ertüchtigen. Von Übungen wie z.B. der Lotussitz und der Kopf- da aus hat das Asanayoga dann den Weg in stand geübt, welche eine grosse symbolische den Westen gefunden. Der Autor ist dabei und praktische Bedeutung für den Yoga in In- immer redlich genug, anzuerkennen, dass, ob- dien seit der Antike bzw. dem Mittelalter hat- wohl die Systeme nicht eine derart alte Tradi- ten. Wie Singleton jedoch treffend herausge- tion haben, wie ihre Vertreter meist vorgeben, arbeitet hat, sind die modernen Stile partiell dies nicht gegen sie sprechen muss. oder sogar weitgehend auf das Demonstrative und Demonstrierbare aufgebaut bzw. als In- halte visueller Medien konzipiert. Deshalb geht Schlussgedanken es bei den genannten Stellungen dann eher um das (kurzzeitige) körperliche Gelingen, als Nachdem man sich auf der Grundlage der For- um das, wofür sie ursprünglich entwickelt schungen von Mark Singleton mit den moder- wurden, nämlich in ihnen stundenlang zu ver- nen Stilen des Asanayoga auseinandergesetzt weilen, um tiefe Stadien der Versenkung zu und die verschiedenen Richtungen bis auf ihre erreichen, in denen dann eine bestimmte gei- ursprüngliche Einflüsse aus Gymnastik, Body- stige Arbeit zu verrichten ist. building, Neugeist-Thesen etc. zurückverfolgt

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