Plenarprotokoll 16/111

Deutscher

Stenografischer Bericht

111. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Inhalt:

Begrüßung der Parlamentarischen Bundes- Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) ...... 11512 C heer-Beschwerdekommission des österreichi- Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... schen Nationalrats ...... 11539 D 11513 A Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . 11513 D

Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung): (SPD) ...... 11515 A a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- DIE GRÜNEN) ...... 11517 A zes über die Feststellung des Bundes- Wolfgang Börnsen (Bönstrup) haushaltsplans für das Haushaltsjahr (CDU/CSU) ...... 11518 C 2008 (Haushaltsgesetz 2008) (Drucksache 16/6000) ...... 11477 A Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP) ...... 11519 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Steffen Kampeter (CDU/CSU) ...... 11520 A Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/6001) ...... 11477 B DIE GRÜNEN) ...... 11520 B

Einzelplan 04 Einzelplan 05 Bundeskanzleramt Auswärtiges Amt Rainer Brüderle (FDP) ...... 11477 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Dr. , Bundeskanzlerin ...... 11478 C Bundesminister AA ...... 11520 C (DIE LINKE) ...... 11484 C Dr. (FDP) ...... 11522 D Dr. Peter Struck (SPD) ...... 11488 D (CDU/CSU) ...... 11523 C Dr. (DIE LINKE) ...... 11493 C (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11526 C DIE GRÜNEN) ...... 11493 D Monika Knoche (DIE LINKE) ...... 11527 A (CDU/CSU) ...... 11497 C Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Dr. (FDP) ...... 11500 D DIE GRÜNEN) ...... 11528 C (SPD) ...... 11505 B Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 11530 A (CDU/CSU) ...... 11508 A Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11530 C Klaas Hübner (SPD) ...... 11509 A (SPD) ...... 11531 B , Staatsminister BK ...... 11511 C Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11533 C II Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Herbert Frankenhauser (CDU/CSU) ...... 11534 B Dr. , Bundesminister BMVg ...... 11561 A (DIE LINKE) ...... 11535 D Dr. (DIE LINKE) ...... 11562 A Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11536 D Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11562 C Axel Schäfer (Bochum) (SPD) ...... 11537 D (BÜNDNIS 90/ (CDU/CSU) ...... 11538 C DIE GRÜNEN) ...... 11563 A Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Einzelplan 14 DIE GRÜNEN) ...... 11563 D Bundesministerium der Verteidigung (SPD) ...... 11565 A Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 11566 C BMVg ...... 11540 A (FDP) ...... 11542 A Namentliche Abstimmung ...... 11567 C Ulrike Merten (SPD) ...... 11544 B Ergebnis ...... 11570 C Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) ...... 11546 A Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ Einzelplan 23 DIE GRÜNEN) ...... 11547 B Bundesministerium für wirtschaftliche Susanne Jaffke (CDU/CSU) ...... 11549 D Zusammenarbeit und Entwicklung Johannes Kahrs (SPD) ...... 11550 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ ...... 11568 A Inge Höger (DIE LINKE) ...... 11551 C Dr. (FDP) ...... 11572 B (CDU/CSU) ...... 11553 C Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) ...... 11574 B Gert Winkelmeier (fraktionslos) ...... 11555 A Dr. Karl Addicks (FDP) ...... 11575 B Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) ...... 11556 A Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Eckart von Klaeden (CDU/CSU) ...... 11557 B DIE GRÜNEN) ...... 11575 D Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin BMZ ...... 11576 A Tagesordnungspunkt 3: Michael Leutert (DIE LINKE) ...... 11577 B – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Hellmut Königshaus (FDP) ...... 11578 B der Bundesregierung: Fortsetzung des Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ Einsatzes bewaffneter deutscher Streit- DIE GRÜNEN) ...... 11578 D kräfte im Rahmen der „United Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) Dr. Bärbel Kofler (SPD) ...... 11579 C auf Grundlage der Resolutionen 1701 Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11581 A (2006) und 1773 (2007) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom Jürgen Koppelin (FDP) ...... 11582 A 11. August 2006 bzw. 24. August 2007 Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 11582 D (Drucksachen 16/6278, 16/6330) ...... 11557 D Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 11585 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 16/6341) ...... 11558 A DIE GRÜNEN) ...... 11586 B Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA ...... 11558 B Nächste Sitzung ...... 11587 C Birgit Homburger (FDP) ...... 11559 B Anlage Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 11560 B Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11589 A Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11477

(A) (C) Redetext

111. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. : dingt auch bei uns die Arbeitslosenzahlen zurückgehen. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Dafür kann zwar die Regierung wenig – es sind Wind- Sitzung ist eröffnet. fall-Profits anderer –, aber wir freuen uns darüber. Es ist höchste Zeit, diesen Schwung von außen für immer noch Ich begrüße Sie alle herzlich zum zweiten Tag der nötige Strukturreformen zu nutzen. Aber die Regierung Haushaltsberatungen. ist in eine Partylaune verfallen. Seit Monaten macht sie Wir setzen die gestern eröffneten Haushaltsberatun- Politik à la Woodstock: Jeder darf einmal spielen, was er gen – Tagesordnungspunkt 2 – fort: will. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Beifall bei der FDP – Joachim Poß [SPD]: Das gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die muss der Weinkönig gerade sagen!) Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Alle wollen die Welt verbessern, und Geld spielt keine Haushaltsjahr 2008 (Haushaltsgesetz 2008) Rolle. In Woodstock kam aber am Ende der große Re- (B) – Drucksache 16/6000 – gen. (D) b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- Das wichtigste Projekt dieser Regierung scheint der- gierung zeit zu sein, den Bundesadler durch den Eisbären zu er- Finanzplan des Bundes 2007 bis 2011 setzen. Klimaschutz am Nordpol ist ohne Zweifel wich- tig, aber das Reformklima in Deutschland eben auch. – Drucksache 16/6001 – (Beifall bei der FDP) Ich darf daran erinnern, dass wir gestern für die heu- tige Aussprache eine Redezeit von insgesamt siebendrei- Der Aufschwung muss bei den Bürgern ankommen. viertel Stunden beschlossen haben. Ich möchte schon (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar jetzt alle Rednerinnen und Redner dringend bitten, die Lafontaine [DIE LINKE]) möglichst präzise Einhaltung dieser Gesamtredezeit im Auge zu behalten. Das hat zwar auch der Bundeswirtschaftsminister er- kannt, aber ein einzelner Zwischenruf im Kabinett reicht Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit nicht. Von der Teilhabe der Bürger am Aufschwung ist dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Ein- weit und breit nichts zu sehen. zelplan 04. Groß war diese Regierungskoalition in den vergange- Als erstem Kollegen erteile ich das Wort dem Kolle- nen zwei Jahren nur bei den Steuererhöhungen. Die Bür- gen Brüderle für die FDP-Fraktion. ger können aber nur dann am Aufschwung teilhaben, (Beifall bei der FDP) wenn sie bei Steuern und Abgaben entlastet werden. (Beifall bei der FDP) Rainer Brüderle (FDP): Jetzt ist die Zeit für Steuersenkungen. Damit würde das Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst Wachstum gestärkt und der Aufschwung verstetigt. Der möchte ich im Namen der FDP-Bundestagsfraktion Vorsitzende des Sachverständigenrates, Professor Rürup, Herrn Minister Gabriel recht herzlich zum Geburtstag sagt, dass die Binnennachfrage flach wie ein Brett ist. gratulieren. Alles Gute! Das hat mit der großen Mehrwertsteuererhöhung und mit (Beifall) dem Zickzack dieser Regierungskoalition zu tun. Wir alle freuen uns, dass die Weltkonjunktur noch im- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Oskar mer recht stabil ist. Wir alle freuen uns, dass dadurch be- Lafontaine [DIE LINKE]) 11478 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Rainer Brüderle (A) Frau Bundeskanzlerin, wann setzen Sie die Steuersen- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) kung um, die auch Ihr Wirtschaftsminister fordert? Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Angela Merkel. NEN]: Das hätten Sie doch gestern besprechen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) können!) Sie reden davon, den Aufschwung stärken zu wollen. Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Wenn Sie entsprechend handeln wollen, dann sollte sich Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie im- die Bundesregierung die Vorschläge zur Steuersenkung mer die Opposition es dreht und wendet: Deutschland aus dem Wirtschaftsministerium zu Herzen nehmen und hat wieder allen Grund zur Zuversicht. umsetzen. In diesem Fall bedeutet von Glos zu lernen, besser zu werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Wir sind dabei, eine lange Durststrecke zu überwinden. Die Wirtschaft wächst so stark wie seit sechs Jahren Trotz sprudelnder Steuerquellen behauptet der nicht mehr. Seit Regierungsantritt ist die Zahl der Finanzminister, dass es keinen Spielraum für Steuersen- Arbeitslosen um mehr als 1 Million gesunken. Das ist kungen gibt. Dabei führen niedrigere Steuern zu mehr der tiefste Stand seit 1995, das heißt seit nunmehr zwölf Investitionen, mehr Wachstum, mehr Arbeitsplätzen und Jahren. mehr Konsum. All dies bringt auch mehr Steuereinnah- men. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Wir haben 1 Million mehr Erwerbstätige. Das ist der Für neue Ausgabenprogramme hat die Regierung höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Ebenfalls Geld. Die Ausgaben des Bundes sollen um 4,7 Prozent erstmals seit der Wiedervereinigung sind wieder ausge- gesteigert werden. Die Schminkkoffer der Regierung glichene Staatshaushalte ohne neue Schulden in Sicht. werden prall gefüllt. Da müssen sich die Bürger doch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verschaukelt vorkommen. Das Geld für die Entlastung neten der SPD) der Bürger ist nicht da. Aber neue Ausgabenprogramme, das Füllen der Schminkkoffer können Sie finanzieren. Das sind die Fakten; darauf bauen wir auf. Das ist eine Das ist die falsche Politik. großartige Entwicklung. (Beifall bei der FDP) Es geht dabei im Übrigen um mehr als nur um ein paar positive Wirtschaftsdaten. Es geht um etwas ganz (B) Die gute Konjunktur sorgt dafür, dass die Mängel der (D) Regierungspolitik nicht sofort auffallen. Das 50-Punkte- Grundsätzliches – ich spüre das wie viele andere auch Programm der Grillparty von Meseberg verdeckt aber bei meinen Besuchen vor Ort –: Deutschland ist dabei, nur notdürftig, dass die Regierung ihr Pulver verschos- aus eigener Kraft Schritt für Schritt die Lasten und auch sen hat. Ins Schwarze getroffen haben Sie mit Ihrer Poli- manches Versäumnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte tik bisher kaum. aufzuarbeiten. Das ist die Botschaft der Zuversicht an die Menschen. Es ist ein historischer Fehler dieser Koalition, dass sie ihre großen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat Alle Industrieländer waren in den 90er-Jahren einem nicht konsequent nutzt. Dies ist ein Rückfall in die poli- massiv erhöhten Wettbewerbsdruck durch die Globali- tischen Fehler früherer Zeiten. Sie machen wissentlich sierung ausgesetzt. Doch Deutschland war zugleich in große Fehler. Die Fehler werden beschönigt; dem Bürger einer historisch einmaligen Situation. Der Prozess der wird Sand in die Augen gestreut. Sie hätten die Chance, deutschen Einheit gehörte und gehört ohne Zweifel zu notwendige Veränderungen in Deutschland vorzuneh- den glücklichsten Entwicklungen unserer Geschichte. men. Aus unterschiedlichen Motiven in den beiden Par- Allerdings band er auch Ressourcen, Kraft und Auf- teien spielen Sie mit kleiner Münze, statt Ihrer Aufgabe, merksamkeit, wie sie kein anderes Land zu bewältigen große Veränderungen zu schaffen, zu entsprechen. Es ist hatte. Ihre historische Fehlleistung, dass Sie Chancen verpas- sen, statt sie zu ergreifen und umzusetzen. Das Land ist (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gut, die Regierung schwach. In seinem Kern erzählt der Aufschwung, den wir jetzt (Beifall bei der FDP) erleben, eine großartige Erfolgsgeschichte: die Ge- schichte, wie Deutschland gleichzeitig Aufbauleistungen Wir reden unser Land nicht schlecht. Aber als größte für die neuen Bundesländer und die Globalisierung be- Oppositionspartei ist es unsere Aufgabe, die Schwächen wältigen konnte. Meine Damen und Herren, wer das ge- der Regierung aufzuzeigen. schafft hat, dem braucht auch vor den Veränderungen (Zurufe von der SPD: Oh!) des 21. Jahrhunderts nicht bange zu sein. Das ist der Geist, in dem wir Politik machen. Das ist unsere demokratische Pflicht; denn es geht um unser Land. Der Dornröschenschlaf und das Herummo- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) geln um wichtige Entscheidungen können so nicht wei- Jetzt sind wir dabei, die Chancen der Zukunft zu be- tergehen. Nehmen Sie sich das zu Herzen! schreiben und sie zu nutzen. Die Financial Times aus (Beifall bei der FDP) London schrieb von einem neuen Wirtschaftswunder. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11479

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Ich sage: Nein, das ist kein Wunder, sondern der Lohn Erstens. Wir wollen die Grundlagen des Auf- (C) von harter Arbeit und Anstrengung, der Lohn der mit der schwungs stärken. Was heißt das? Der Aufschwung und Agenda 2010 eingeleiteten Reformen seine Fortsetzung beruhen vor allen Dingen auf Ver- trauen. Vertrauen braucht Verlässlichkeit. Deshalb ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) eine solide Finanzpolitik das Fundament, auf dem wir und der Lohn der Reformen dieser Bundesregierung. mit weiteren Maßnahmen aufbauen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Es ist gestern in der allgemeinen Finanzdebatte gesagt worden: Allein der Bund hat über 900 Milliarden Euro Vor allem ist dieser Aufschwung der Lohn der Arbeit der Schulden, und die Zinszahlungen betragen 40 Milliarden Menschen in Deutschland: der Lohn von wagemutigen Euro pro Jahr. Das kann uns nicht zufriedenstellen. Des- Unternehmern und gut ausgebildeten Arbeitnehmern, halb hat die Bundesregierung dem Finanzminister ihre von engagierten Erziehern, Lehrern und liebevollen El- Unterstützung zugesagt, wenn es darum geht, spätestens tern, von international renommierten Wissenschaftlern 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu kön- und kreativen Ingenieuren. Sie alle sind es, die diesen nen. Dann können wir sagen: Endlich leben wir nicht Aufschwung möglich gemacht haben. mehr über unsere Verhältnisse. Das muss dann auch in den Ergebnissen der Föderalismuskommission II veran- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kert werden, damit das dauerhaft so bleibt. Die Aufgabe der Politik ist es dabei, die Weichen richtig (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zu stellen Deshalb beruht die Fortsetzung des Aufschwungs na- (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE türlich auch auf Entlastung dort, wo es möglich ist. Wir LINKE]) haben zum Beispiel gesagt: Wenn es nachhaltig vertret- bar ist, werden wir versuchen, die Beiträge zur Arbeits- und dafür zu sorgen, dass das Land seine Kräfte bündelt. losenversicherung auf unter 3,9 Prozent zu senken. Ver- Genau das macht die Bundesregierung. trauenzerstörend wäre es aber, jetzt irgendetwas zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- versprechen, was man nicht einhalten kann. Der Erfolg neten der SPD) dieser Bundesregierung besteht darin, dass wir nichts versprochen haben, was wir nicht halten konnten, und Meine Damen und Herren, in diesem Sinne haben wir die Dinge so gemacht haben, dass sie am Ende im Zwei- vor zwei Jahren den Kurs „Sanieren, Investieren, fel besser waren. Das ist der Erfolg dieser Regierung. Reformieren“ eingeschlagen und ihn gegen Kritik ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wi- (B) teidigt. Diese Kritik war zum Teil vernichtend, und die (D) Aussichten waren trübsinnig. Aber wir haben uns nicht derspruch bei der FDP – Renate Künast beirren lassen. Die Daten von heute zeigen: Es war rich- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gegen- tig, diesen Kurs einzuschlagen. teil haben Sie gemacht!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir werden alles daransetzen, den Menschen den Zu- gang zum ersten Arbeitsmarkt durch Hinzuverdienstre- Jetzt wird sichtbar: Die Strategie wirkt. Ich sage aus- gelungen und die Bündelung der Arbeitsmarktinstru- drücklich: Das ist kein Grund zu Übermut, wohl aber zu mente möglich zu machen. Wo immer es Spielräume Selbstvertrauen, und zwar zu einem Vertrauen darauf, gibt, werden wir sie nutzen. dass sich Anstrengung lohnt. Wir ruhen uns nicht auf un- seren Lorbeeren aus. Deutschland ist noch nicht überall Wir werden den Aufschwung natürlich auch dadurch so gut, wie wir es uns wünschen. Dass wir heute bei In- fortsetzen, dass wir wettbewerbsfähige Rahmenbedin- vestitionen und Bildung im internationalen Mittelfeld gungen für Investitionen schaffen. Dazu gehört die liegen, ist gut, aber nicht ausreichend. Unternehmensteuerreform, die wir bereits beschlossen haben. Dazu gehört die Arbeit an der Erbschaftsteuer- (Beifall bei Abgeordneten der FDP) reform, die durch das Urteil des Bundesverfassungsge- richts nicht einfacher geworden ist, bei der wir aber nicht Vor allen Dingen: Da wir immer noch 3,7 Millionen Ar- aus dem Auge verlieren, dass wir den mittelständischen beitslose haben, heißt unsere Devise: 3,7 Millionen Ar- Unternehmen, den Familienunternehmen den Übergang beitslose sind 3,7 Millionen zu viel. Es muss unser Ziel im Erbfall erleichtern wollen, um Arbeitsplätze hier in sein, hier voranzukommen. Deutschland zu erhalten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Daraus leitet sich unsere Aufgabe für die kommenden Dazu gehört die Arbeit des Normenkontrollrates, der Jahre ab: nach innen die Grundlagen des Aufschwungs sich dem Bürokratieabbau verschrieben hat. stärken, Teilhabechancen verbessern und Quellen neuen Wohlstands erschließen und nach außen für faire Regeln Zweitens. Wir wollen, dass alle Menschen am Auf- und offene Märkte sorgen. schwung teilhaben können. Der Schlüssel zur Teilhabe ist heute zum einen Arbeit, zum anderen der Zugang zu Auf der Kabinettsklausur in Meseberg haben wir Bildung. Deshalb haben wir eine nationale Qualifizie- beschlossen, in fünf Zukunftsbereichen neue Impulse zu rungsoffensive gestartet, die wir auch weiterführen wer- setzen: den. Wir wissen, dass wir – zum Teil aus dem Aufschwung 11480 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) resultierend – bereits einen Mangel an Fachkräften haben. Bund schafft jetzt seinerseits die Voraussetzungen für ei- (C) Wir sagen: Zuerst müssen wir alles daransetzen, die nen Anteil von 2,8 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Möglichkeiten, die wir hier im Lande durch Qualifizie- Wirtschaft und Länder müssen allerdings nachziehen; rung haben, zu nutzen. Das gilt für alle Bereiche: für die auch darauf werden wir ganz konsequent achten. einfachen genauso wie für die qualifizierten Tätigkeiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben uns Leuchtturmprojekte vorgenommen. Wir sagen dann aber auch: Wenn wir einen erkennba- Eines davon wird im Bereich der Gesundheitsforschung ren Mangel in bestimmten Bereichen haben, wenn zum liegen. Ich glaube, damit wir Menschen für Forschung Beispiel in speziellen Ingenieurbereichen gar keine eige- begeistern können, müssen wir ihnen sagen, was For- nen Arbeitskräfte vorhanden sind, dann ist es doch, ehe schung leisten kann. Deshalb möchte Deutschland das die Betriebe ins Ausland abwandern, vernünftig, zum Land sein, das gerade im Bereich der Gesundheitsfor- Beispiel Menschen aus den mittel- und osteuropäischen schung, zum Beispiel bei der Forschung an Maßnahmen Staaten mit diesen speziellen Qualifizierungen das Ar- gegen die Krankheit Alzheimer, eine Spitzenstellung in beiten bei uns zu erlauben. der Welt einnimmt. Wir wollen dort vorne sein. Das neh- (Beifall bei der CDU/CSU) men wir uns vor, und wenn wir es uns vornehmen, wer- den wir es auch schaffen können. Wir haben dann festgelegt, dass wir ein mittel- und langfristiges Konzept erarbeiten, das auf dem Gedanken (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) beruht, dass es keine Zuwanderung in die sozialen Si- Wir richten unsere Energie- und Klimapolitik neu aus, cherungssysteme von Deutschland geben soll, sondern weil wir glauben, dass hier die Arbeitsplätze der Zukunft dahin, wo die Besten der Welt gebraucht werden. Offen- liegen, dass wir hier unserer globalen Verantwortung ge- heit bei gleichzeitiger Qualifizierung aller Menschen in recht werden und wir gleichzeitig die Voraussetzungen unserem Land – das ist unsere nationale Bildungs- und im Lande schaffen, um unsere Energieversorgung mit Qualifizierungsinitiative, und die ist wichtig. größtmöglicher Unabhängigkeit gewährleisten zu kön- (Zuruf des Abg. [FDP]) nen. Dazu haben wir – der Wirtschafts- und der Umwelt- minister gemeinsam – ein Paket von Maßnahmen entwi- Wir werden neue Wege der Beteiligung der Arbeit- ckelt, die wir jetzt Schritt für Schritt umsetzen. Dazu nehmerinnen und Arbeitnehmer am Investivkapital ge- haben wir unsere Position in Europa eingebracht und hen. Dazu werden wir in den nächsten Wochen Vor- dazu werden wir uns auf der internationalen Bühne na- schläge unterbreiten. Für mich ist dies deshalb so türlich auch für ein Abkommen im Anschluss an das wichtig, weil die Bindung der Arbeitnehmerinnen und (B) Kioto-Protokoll einsetzen. (D) Arbeitnehmer an den Kapitalzuwachs ihres eigenen Un- ternehmens ihnen die Möglichkeit gibt, neben der Lohn- Dabei spüren wir schon: Unser Weg kann nicht sein, entwicklung auch am Wachstum teilzuhaben. Deshalb ist den Ärmeren in dieser Welt Wohlstandsverzicht zu pre- das ein ganz wichtiger Bereich. digen und gleichzeitig in einer Art karitativer Veranstal- tung als reichere Länder etwas beizutragen. Die Zukunft (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wird vielmehr darin liegen, dass wir mit gutem Beispiel Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Koalition vorangehen und damit die Standards für die Zukunft set- durchaus darüber diskutiert haben, in welcher Weise wir zen, gleichzeitig technologische Führer sind und damit einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt, die Erhaltung dann auch Exportchancen für Deutschland eröffnen. von Arbeitsplätzen und gleichzeitig faire Löhne umset- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zen können. Sicherlich gibt es da Unzufriedenheit. Aber ich will darauf hinweisen: Wir haben uns für den Herbst Damit bin ich bei meinem vierten Punkt. Wir wollen Schritte vorgenommen, die genau diesem Ziel dienen der sozialen Marktwirtschaft einen internationalen sollen. Es geht auf der einen Seite um die Erweiterung Ordnungsrahmen geben. Wir alle kennen die Diskussio- des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und dort, wo Tarif- nen dieser Tage. Wir spüren, auf dieser Welt kann na- partner nicht mehr in der Lage sind, Löhne festzulegen, hezu nichts mehr passieren, ohne dass es uns beeinflusst: um das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Auf der ande- Wenn in China mehr Milch getrunken wird, hat das auch ren Seite werden wir immer aufpassen, dass dann, wenn auf unsere Milchpreise Auswirkungen. Wenn es eine Im- Menschen Arbeit haben, diese Arbeitsplätze nicht verlo- mobilienkrise in den Vereinigten Staaten von Amerika ren gehen. Das ist der Weg dieser Bundesregierung. gibt, wirkt sich das auch auf unsere Märkte aus. Deshalb sage ich ganz klar: Deutschland wird niemals protektio- Drittens. Wir wollen die Quellen des Wohlstands von nistisch sein. Wir sind Exportweltmeister. Wir wollen morgen erschließen. Deshalb haben wir uns vorgenom- dafür Sorge tragen, dass unsere Unternehmen überall auf men, 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Wissen- der Welt Chancen haben. Aber ich sage auch: Wir wer- schaft und Forschung auszugeben. Die Bundesregie- den uns schützen – das gilt auch für die Europäische rung leistet hierzu ihren Beitrag. Das wird in den Union –, wenn andere uns keine freien Investitionsbe- Haushaltszahlen deutlich. Denn es ist natürlich klar: dingungen geben, und wir werden dafür Sorge tragen, Wirtschaftswachstum führt dazu, dass auch die Ausga- dass die Finanzmarktregeln international transparent ben für Forschung und Entwicklung steigen müssen. Das sind. findet seine Berücksichtigung im Bundeshaushalt. Der- zeit liegt Deutschland hier bei knapp 2,7 Prozent. Der (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11481

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Denn wir werden den Menschen in unserem Land nicht lassen. Deshalb ist Arbeit für alle der Schlüssel für das (C) erklären können, dass immer wieder Finanzmarktpro- weitere soziale Zusammenleben. dukte entstehen, deren Herkunft man nicht kennt, die man nicht durchschaut, die aber letztlich auf den Einzel- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nen in unserem Land und in vielen anderen Ländern zu- neten der SPD) rückwirken. Die Demokratie kann nur erhalten werden, Wenn wir über den Zusammenhalt unserer Gesell- wenn ein Höchstmaß an Transparenz gegeben ist; das schaft reden, dann hat die Familie natürlich eine Schlüs- gilt heute nicht nur national, das gilt heute auch interna- selbedeutung. Wir stehen vor großen Herausforderun- tional. Dafür wird sich Deutschland einsetzen, der Bun- gen, die wir auch angepackt haben. Wir haben gesagt: desfinanzminister genauso wie ich als Bundeskanzlerin. Wir wollen die Wahlfreiheit für Eltern, Beruf und Fami- lie so zu gestalten, wie sie es möchten. Dabei ist erkenn- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) bar, dass insbesondere bei der Betreuung von unter Drei- Wir wissen, dass wir auf dem Weg, den Herausforde- jährigen heute keine Wahlfreiheit gegeben ist. rungen der Globalisierung zu begegnen, eine Vielzahl (Beifall bei Abgeordneten der SPD) von eigenen Maßnahmen ergreifen müssen, bevor wir uns dem internationalen Rahmen zuwenden können. Deshalb haben wir gesagt: Hier machen wir einen gro- Deshalb haben wir die Lohnzusatzkosten gesenkt; des- ßen Schritt. Wir wollen den Rechtsanspruch bis zum halb haben wir Subventionen abgebaut. Deshalb haben Jahr 2013 umsetzen. Wenn wir das geschafft haben, wir schon zwei Mittelstandsentlastungsgesetze beschlos- dann können wir uns auch wieder mit denen beschäfti- sen; deshalb haben wir uns damit beschäftigt, wie wir gen, die ihre Kinder zu Hause erziehen. Das heißt, prio- das Auslaufen des deutschen Steinkohlenbergbaus ver- ritär bis 2013 ist erst einmal die Betreuung der Kinder nünftig und sozialverträglich regeln können. Wir haben unter drei; das ist die klare Verabredung. Danach ma- mehr Wettbewerb auf dem Strommarkt. Wir werden uns chen wir einen weiteren Schritt und sagen: Auch diejeni- mit der Bahnprivatisierung befassen. gen, die sich anders entscheiden, bekommen ein Betreu- ungsgeld. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben uns bei Airbus für eine marktkonforme Lö- sung eingesetzt. Entscheidender Maßstab für die Menschlichkeit ist auch der Umgang mit den Älteren und Schwächeren. Der wichtigste Indikator ist – daran kommt niemand Deshalb möchte ich an dieser Stelle Folgendes sagen: Es vorbei –: Die Staatsquote ist heute auf dem niedrigsten gibt in diesen Tagen zwar viel Kritik an einzelnen Pfle- (B) Stand seit der Wiedervereinigung. 2005 lag sie bei geheimen und bestimmten Zuständen. Das müssen wir (D) 46,9 Prozent. 2007 sind es 44,5 Prozent. Wenn sich die aufnehmen; das macht die Bundesgesundheitsministerin. Dinge weiter vernünftig entwickeln, können wir 2009 Aber die überwältigende Mehrheit der Menschen, die 42,5 Prozent schaffen. Das heißt, wir haben einen star- von Pflegekräften gepflegt werden, wird gut behandelt. ken, aber auch effizienteren Staat. Das ist es, woran wir Diesen Pflegekräften gilt ein herzliches Dankeschön ge- arbeiten, um den Menschen möglichst viel Freiheit zu nauso wie denen, die ihre Angehörigen zu Hause pfle- geben, sich in der Globalisierung zu entfalten. gen. Das ist eine Leistung der Menschlichkeit für unsere (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Gesellschaft. neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Fünftens. Wir wollen den Zusammenhalt und die So- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- lidarität in Zeiten des Wandels stärken. Wir wissen: NISSES 90/DIE GRÜNEN) Wirtschaftlicher Erfolg ist entscheidend für die Frage, Wir werden unseren Nationalen Integrationsplan wie wir unseren Wohlstand in unserem Land erhalten fortentwickeln. Er ist ein Beispiel für eine sehr gute ge- können. Aber wer Ludwig Erhard gelesen hat, weiß: meinsame Arbeit von Bund, Ländern und Kommunen. Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg sind kein Selbst- Zum ersten Mal ist es gelungen, hier eine Systematik hi- zweck. neinzubringen und zu sagen: Diejenigen, die bei uns le- ben und einen ausländischen Hintergrund haben, sind (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE nicht irgendwelche Gäste auf kurze Zeit. Sie werden län- LINKE]) ger bei uns sein, und deshalb müssen wir sie integrieren. Es geht um ein lebenswertes Deutschland und eine freie Integration ist keine Einbahnstraße; sie erfordert von al- und gerechte Gesellschaft unter den Bedingungen des len in der Gesellschaft etwas. Aber dass wir uns jetzt ei- demografischen Wandels. Aber nur dann – wir haben es nig sind, dass das Beherrschen der Sprache die Voraus- in den letzten zwei Jahren erlebt –, wenn die sozialen Si- setzung für die Integration ist, ist ein großer Fortschritt cherungssysteme besser dastehen, wenn mehr Menschen in Deutschland. Das wird sich in Maßnahmen auf allen Arbeit haben und in diese Systeme einzahlen, kann das Ebenen wiederfinden, und das ist gut so. allen zugutekommen. Es wird oft so getan, als könne die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Teilhabe aller irgendwie vom Staat zentral geregelt wer- der SPD) den. Nein, nur dadurch, dass wir unsere Institutionen und sozialen Sicherungssysteme auf eine gute Basis stel- Wir haben einen klaren Wertekanon für unser Zusam- len, können wir alle Menschen am Wohlstand teilhaben menleben in Deutschland. Das Bekenntnis zu unserer 11482 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) nationalen Identität und Weltoffenheit sind überhaut Städten für ihre tägliche Arbeit zu danken. Das Sicher- (C) keine Gegensätze. Aber wir wissen: Wir leben in einer heitsgefühl, das sie ermöglichen, bedeutet Lebensquali- Welt, in der es neue Bedrohungen gibt. Gestern war der tät für Millionen Deutsche, und zwar täglich rund um die 11. September, der sechste Jahrestag der Anschläge auf Uhr. Dafür ein herzliches Dankeschön. das World Trade Center. Es waren damals am 11. Sep- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie tember 2001 Anschläge von Menschen, die die Art, wie bei Abgeordneten der FDP) wir leben wollen, und unseren Wertekanon, von dem ich gesprochen habe, nicht akzeptieren und ihn vernichten Die rechtzeitigen Festnahmen in der vergangenen Wo- wollen, und zwar mit aller Konsequenz. che haben des Weiteren gezeigt – das ist ganz wichtig –: Bei uns haben die Sicherheitsbehörden gut gehandelt. Wir wissen, dass in dieser Woche vielleicht ein Aber wir haben auch erlebt, dass es eine hervorragende schrecklicher Anschlag in Deutschland hätte stattfinden Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden ver- sollen. Glücklicherweise wurde er verhindert. Das ist ein schiedener Länder gibt. Damit kommen wir auf einen großer Erfolg der Sicherheitsbehörden. Ein herzliches Punkt, der in einer global vernetzten Welt von entschei- Dankeschön an alle, die daran mitgearbeitet haben. dender Bedeutung ist: Wenn wir Hilfe bekommen, muss (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP man sich auf Deutschland verlassen können, dass es auch und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Hilfe leistet. Wenn wir also die Lehren aus dem 11. Sep- bei Abgeordneten der LINKEN) tember und den geplanten Anschlägen ernst nehmen, dann ist der Weg nach Afghanistan nicht weit. Wir müs- Wir können die Augen nicht davor verschließen, dass sen alles tun, damit Afghanistan nie wieder in die Situa- in den letzten Jahren sieben Terroranschläge mit islamis- tion kommt, dass Taliban und al-Qaida von dort aus – so- tischem Hintergrund verhindert worden sind oder ihre zusagen frei und ohne Struktur von staatlicher Stelle – Ausführung gescheitert ist. Das heißt, wir leben in einer agieren können. Afghanistan zeigt uns deutlich, dass Si- gefährdeten Sicherheit. Unsere Demokratie hat bisher cherheit und Entwicklung untrennbar verbunden sind. bewiesen – das ist die gute Botschaft –, dass sie sehr Das ist auch das Credo des Berichts der Bundesregie- wohl handlungsfähig ist, wenn es um den Schutz der Si- rung über die nachhaltige Entwicklung in Afghanistan: cherheit der Bürger geht. Entscheidend ist bei allen keine Sicherheit ohne Entwicklung und keine Entwick- Ängsten und Ungewissheiten, die der 11. September mit lung ohne Sicherheit. sich gebracht hat, dass es uns stets gelungen ist – natür- lich mit kontroverser Diskussion –, die Balance von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Schutzmaßnahmen und Freiheitsrechten zu erhalten. Wir der SPD – Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) haben eben kein Klima der lähmenden Angst zugelas- Der Deutsche Bundestag wird in den nächsten Wo- (B) sen, sondern wir haben Offenheit und Realitätssinn be- (D) chen wieder eine intensive Diskussion über die Fortset- wiesen. Die Befürchtungen oder die Vorwürfe, Deutsch- zung der Bundeswehreinsätze in Afghanistan führen. Ich land werde zu einem Polizei- oder Sicherheitsstaat, sind will dieser Debatte an dieser Stelle nicht vorgreifen, aber offensichtlich Unsinn. genauso wenig will ich heute Morgen mit meiner Mei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nung hinter dem Berg halten. Erinnern wir uns daran, neten der SPD) wie die Situation in Afghanistan vor dem Fall der Tali- ban war. 23 Jahre Bürgerkrieg und Krieg unter der Herr- Ich bin deshalb auch optimistisch, dass es uns gelingt, schaft der Taliban haben das Land an den Abgrund ge- das, was das Bundeskriminalamt an Terrorbekämpfung bracht. Die Menschenrechte wurden mit Füßen getreten. leisten muss, in einem Gesetz zusammenzufassen. Ich Al-Qaida fand in Afghanistan einen Ausbildungs- und verhehle nicht, dass für mich auch die Onlinedurchsu- Rückzugsraum. Nur weil es quasi keine funktionieren- chung dazugehört. den staatlichen Strukturen in Afghanistan gab, waren die (Beifall bei der CDU/CSU) Anschläge vom 11. September mit Tausenden Menschen als Opfer möglich. Ich empfehle uns, die Diskussion in einem Klima zu führen, in dem wir nicht falsche Fronten aufmachen, (Zuruf von der LINKEN: Das glauben Sie sondern in dem wir uns alle gemeinsam – das ist das Be- doch wohl selber nicht!) kenntnis der großen Mehrheit dieses Parlaments – für Gemessen an dieser Ausgangssituation, haben wir Er- Freiheit und Sicherheit gleichermaßen entscheiden. Aber hebliches erreicht. wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass es keine Räume in dieser Gesellschaft geben darf, wo die Sicher- (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr richtig!) heitsbehörden keine Möglichkeit des Zugriffs haben, na- Es gibt wieder staatliche Strukturen. Drei Viertel der türlich immer auf rechtsstaatlicher Basis. Menschen können heute auf eine medizinische Grund- (Beifall bei der CDU/CSU) versorgung zurückgreifen. Die Zahl der Schüler hat sich seit 2001 auf circa 6 Millionen mehr als verfünffacht. Sicherheit ist nicht nur im Zusammenhang mit dem Davon sind ein Drittel Mädchen. Die Infrastruktur hat Terrorismus wichtig, sondern Sicherheit gehört zu dem sich deutlich verbessert. Grundlebensgefühl, das wir brauchen, um überhaupt in Freiheit leben zu können. Deswegen möchte ich heute Aber ich will gar nicht herumreden: Das sind die gu- einmal die Gelegenheit nutzen, den Polizisten auf den ten Fakten. Dennoch bestreitet niemand, dass es trotz ganz normalen Polizeirevieren in den Dörfern und den dieser sichtbaren Erfolge in Afghanistan beträchtliche Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11483

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) Herausforderungen gibt. Die Sicherheitssituation lässt Geiselnahmen unsere Entschlossenheit beim Wiederauf- (C) mancherorts mehr als zu wünschen übrig. Die afghani- bau in Zweifel ziehen, ganz unmissverständlich sagen: schen Sicherheitskräfte – das ist der Punkt – sind noch Wir tun alles Menschenmögliche, um Geiseln zu retten, nicht so weit, ihre Aufgaben allein erfüllen zu können. aber erpressbar ist Deutschland nicht, und erpressbar Der Aufbau der staatlichen Institutionen, insbesondere wird Deutschland nicht sein. in der weiten Fläche des Landes, stockt, und die Ent- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der wicklung der Drogenproduktion ist mehr als unbefriedi- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- gend. SES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Oskar Lafontaine [DIE Unter den gegebenen Umständen halte ich deshalb LINKE]) die anstehende Verlängerung der drei Bundeswehrman- Die Bundesregierung hat deshalb im Rahmen einer date als Komponenten, die wir brauchen, für erforder- hervorragenden Kooperation des Außenministers, des lich. Als drittgrößter Truppensteller für ISAF haben wir Verteidigungsministers, der Entwicklungsministerin und im Norden Afghanistans regionale Führungsverantwor- des Innenministers den Schluss gezogen, dass wir natür- tung übernommen. Der in diesem Haus noch vor sechs lich einen Schwerpunkt auf den zivilen Wiederaufbau Monaten heiß diskutierte Tornado-Aufklärungseinsatz Afghanistans legen müssen. Deshalb werden wir darum hat sich als Erfolg erwiesen. Die NATO und die afghani- bitten, die Mittel für die Wiederaufbauhilfe für dieses sche Regierung schätzen ihn. Er leistet einen wichtigen Land aufzustocken. Beitrag zum Gesamtauftrag. Die Bundeswehr wird auch in Zukunft den Schwerpunkt ihres Einsatzes im Norden (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) haben und nur fallweise, wenn es nach Lage der Dinge Eines der wichtigen politischen Projekte war die Initia- unabweisbar und notwendig ist, in anderen Regionen tä- tive des Bundesaußenministers im Rahmen unserer G-8- tig werden. Allerdings warne ich vor der Vorstellung, Präsidentschaft, Afghanistan und Pakistan an einen wir könnten uns im Norden vom Rest Afghanistans ab- Tisch zu bringen; denn nur wenn diese beiden Länder koppeln. Der Erfolg kann nur die Gesamtoperation ISAF vernünftig zusammenarbeiten, wird es gelingen, die sein, und deshalb stehen wir in voller Solidarität zu die- Quellen des Terrorismus zu bekämpfen. Deshalb gibt es ser Gesamtoperation. Ich weiß, dass über die Antiterror- eine große Unterstützung für diese Initiative. operation OEF in diesem Hause wie auch in der Bevöl- kerung unseres Landes die größten Sorgen bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Diese Sorgen nehme ich sehr ernst. Wir wollen den Aufbau und die Ausbildung der afgha- Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von OEF er- nischen Sicherheitskräfte verstärken. Das gilt sowohl für (B) folgt, wie wir wissen, auf Grundlage von Art. 51 der (D) den militärischen Bereich als auch für den Polizeiaufbau. Charta der Vereinten Nationen und von Art. 5 des Nord- Wir haben wegen der Größe der Aufgabe EUPOL gebe- atlantikvertrages. OEF – auch daran möchte ich erinnern – ten, diese wichtige Aufgabe auf mehr Schultern zu vertei- wurde in mehreren UN-Sicherheitsratsresolutionen be- len. Wie häufig in Europa, sind Anfangsschwierigkeiten stätigt und bekräftigt und wird auch von der afghani- nicht völlig auszuschließen. Aber wir werden mit großem schen Regierung unterstützt. politischen Nachdruck dafür sorgen, dass die Arbeit, die von Deutschland geleistet wurde, jetzt in europäischer Ich bin überzeugt: Solange die Gefahr eines Wieder- Zusammenarbeit stattfindet. Ich muss ganz unumwunden erstarkens von al-Qaida oder der Taliban nicht gebannt sagen: Solange die afghanischen Sicherheitskräfte nicht ist, muss die Stabilisierung des Landes durch ISAF wei- selbst für ein sicheres Umfeld sorgen können, halte ich terhin von OEF flankiert werden. Dass dabei eine Ge- die internationale Truppenpräsenz für weiterhin notwen- fährdung der Zivilbevölkerung so weit wie möglich aus- dig. So lange halte ich auch den Einsatz der Bundeswehr geschlossen werden muss, will ich an dieser Stelle in Afghanistan für notwendig. ausdrücklich betonen. Ich will auch darauf hinweisen, dass wir alles unternehmen, um genau das zu verbessern, Unser erfolgreicher zivil-militärischer Ansatz mit den insbesondere die Kontakte zwischen ISAF und OEF. sogenannten Provincial Reconstruction Teams in Kun- duz und Faizabad im Norden Afghanistans ist allgemein In Afghanistan steht viel auf dem Spiel. Deutschland anerkannt. Damit unterstützen wir eine Vielzahl von hat 2001 auf dem Petersberg richtigerweise versprochen, Aufgaben und Projekten zusammen mit unseren Part- sich langfristig für den Wiederaufbau in Afghanistan zu nern. Ich möchte deshalb heute Morgen die Gelegenheit engagieren. Die Bundesregierung der Großen Koalition nutzen, allen Angehörigen der Bundeswehr, Polizisten, fühlt sich an diese Verpflichtung gebunden. Es ist der Diplomaten und Wiederaufbauhelfern aus Deutschland einzige Weg, zu zeigen, dass wir Terroristen bekämpfen, für die Arbeit ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen. (Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP ist er nicht!) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und zwar entschlossen. Ich möchte die Gelegenheit ebenfalls nutzen, im Rah- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie men dieser Debatte an diejenigen zu erinnern, die ihr Le- bei Abgeordneten der FDP) ben bei der Aufbauarbeit verloren haben. Wir werden sie nicht vergessen, und ihr Einsatz war nicht vergebens. Ich Entschlossenheit und multilaterale Einbindung, das möchte an die Adresse derjenigen, die glauben, durch ist das, was unsere Außenpolitik insgesamt kennzeich- 11484 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (A) net, ob es um die Frage des Atomprogramms des Iran Herzlichen Dank. (C) geht, ob es um die Stabilisierung des Libanon geht, ob es (Langanhaltender Beifall bei der CDU/CSU – um die Weiterentwicklung der zarten Hoffnungsschim- Anhaltender Beifall bei der SPD – Dr. Guido mer im Hinblick auf die Gespräche im Nahen Osten zwi- Westerwelle [FDP]: Ist die Zeit gestoppt wor- schen Premierminister Olmert und dem palästinensi- den?) schen Präsidenten geht.

Ich werde in wenigen Tagen an der Generalversamm- Präsident Dr. Norbert Lammert: lung der UNO in New York teilnehmen. Für uns ist die Ja, selbstverständlich. Frage „Wie können wir die Herausforderungen bewälti- gen?“ immer verknüpft mit einer starken und handlungs- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ist sie auch bei fähigen UN und damit auch mit einem starken und hand- der SPD gestoppt worden? – Heiterkeit) lungsfähigen UN-Sicherheitsrat. Nur gemeinsam können – Herr Kollege Westerwelle, ich versichere Ihnen feier- wir das durchsetzen, was wir versprochen haben, zum lich, dass ich auch Ihre Zeit stoppen werde, Beispiel die Erreichung der Millenniumsziele. Im Haus- halt findet dies durch die Erhöhung der Entwicklungs- (Heiterkeit) hilfeausgaben seinen Niederschlag. Wir gehen damit ei- falls Sie beabsichtigen, im Laufe des Tages das Wort zu nen Schritt in die richtige Richtung. Wir haben ergreifen. internationale Verpflichtungen, und wir sind internatio- nale Verpflichtungen eingegangen. Es ist jetzt unsere ( [Hildesheim] [SPD]: Aufgabe – es geht dabei um unsere Glaubwürdigkeit –, Bei der FDP braucht nicht gestoppt zu wer- die Erfüllung dieser Verpflichtungen auch wirklich den!) durchzusetzen. Zunächst erhält nun aber das Wort der Vorsitzende der (Beifall der Abg. Gabriele Groneberg [SPD]) Fraktion Die Linke, Oskar Lafontaine. Durch unsere G-8-Präsidentschaft weiß ich, dass die (Beifall bei der LINKEN) Menschen auf der Welt genau hinschauen, ob die Ver- sprechen der Industrieländer leere Versprechen sind oder Oskar Lafontaine (DIE LINKE): ob wir das, was wir versprochen haben, auch einhalten. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Dem gerecht zu werden, gehört zur Glaubwürdigkeit ren! „Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuver- und zu unserem Wertekanon. sicht.“ Mit diesem Satz hat die Bundeskanzlerin ihre Er- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) klärung zum Haushalt heute begonnen. (B) (D) Die Gewichte in der Welt verschieben sich. Wir spü- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr zu Recht!) ren das, wenn wir das Wirtschaftswachstum von China Frau Bundeskanzlerin, wir würden diesem Satz gern zu- und Indien sehen, und wir spüren es, wenn wir uns die stimmen, wir können ihm aber nicht zustimmen, weil Bevölkerungsentwicklung der Welt anschauen. Während wir die Frage aufwerfen müssen: Wer ist „Deutschland“? am Anfang des 20. Jahrhunderts jeder Vierte ein Euro- päer war, so wird es am Ende des 21. Jahrhunderts nur (Beifall bei der LINKEN – Bernhard Brinkmann jeder Vierzehnte sein. [Hildesheim] [SPD]: Ihr nicht!) Wenn wir unsere Art, zu leben, wenn wir unsere Vor- Verstehen Sie unter „Deutschland“ auch die Arbeit- stellung von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit in nehmerinnen und Arbeitnehmer, zu denen ich gleich et- der Welt durchsetzen wollen, dann müssen wir ent- was sagen werde? Gehören zu „Deutschland“ auch die schlossen dafür eintreten. Deshalb steht diese Bundesre- Rentnerinnen und Rentner, zu denen ich gleich etwas sa- gierung für eine wertebewusste Politik und für einen gen werde? Gehören zu „Deutschland“ auch die Emp- Kurs der Orientierung am einzelnen Menschen. Wir wol- fänger sozialer Leistungen, zu denen ich gleich etwas sa- len mehr Chancen für alle. Wir betreiben eine zukunfts- gen werde? Und gehören zu „Deutschland“ auch die fähige Politik, indem wir weniger Schulden machen. Wir 2,5 Millionen Kinder, die in Armut leben? Haben die schaffen Raum für Nähe und Geborgenheit in unserer Grund zur Zuversicht? Wen haben Sie denn gemeint, Gesellschaft durch eine Politik für Kinder, Kranke und verehrte Frau Bundeskanzlerin, als Sie hier vollmundig Pflegebedürftige. Wir stärken die soziale Marktwirt- von Zuversicht gesprochen haben? schaft, insbesondere in der internationalen Dimension, (Beifall bei der LINKEN) und wir übernehmen internationale Verantwortung, in- dem wir für unsere Wirtschaft, unsere Umwelt und un- Ich beginne mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeit- sere Sicherheit die neue Verbindung zwischen Innen- nehmern und zitiere die Tageszeitung Die Welt, damit und Außenpolitik erkennen und gestalten. nicht irgendjemand auf die Idee kommt, ich würde hier oppositionelle Texte verbreiten, die böswillig verfasst Dieser Kurs bringt Deutschland voran, nach innen ge- seien, um Ihre tolle Bilanz infrage zu stellen. Sie konn- nauso wie nach außen. Damit schaffen wir die Funda- ten darin vorgestern über die Entwicklung des Arbeits- mente unseres Wohlstands, und damit können wir die markts in Deutschland lesen: Erfolgsgeschichte dieser Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. Wir tun dies im Interesse und zum Wohle der Als „prekäre Beschäftigung“ bezeichnen Soziolo- Menschen in unserem Land. gen unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsverhält- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11485

Oskar Lafontaine (A) nisse. Nach Zahlen des DGB breitet sich die pre- Handlungsunfähigkeit nach wie vor Wirklichkeit ist, (C) käre Beschäftigung immer weiter aus. So hat sich nicht zu beenden. Ein humanes Land, ein Land, in dem die Zahl der Zeitarbeiter seit 2003 auf 650 000 ver- Zuversicht herrschen soll, muss die Ausbeutung von Ar- doppelt; 18 Prozent der Erwerbstätigen sind Mini- beitnehmerinnen und Arbeitnehmern beenden, die für jobber, weitere 600 000 Menschen arbeiten als Ein- unter 2 Euro beschäftigt werden. Wo leben wir eigent- Euro-Jobber, und 440 000 Vollzeitbeschäftigte ver- lich, meine sehr geehrten Damen und Herren? dienen so wenig, dass sie auf Hartz IV angewiesen sind. Mit den Arbeitsmarktreformen sei ein „un- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert erträgliches Maß“ an Deregulierung erreicht wor- Winkelmeier [fraktionslos]) den, kritisiert der DGB. Zum zweiten Punkt, den Rentnerinnen und Rent- Sie haben sich hier hingestellt und die Arbeits- nern. Wenn sie Ihnen zugehört haben, werden sie nicht marktreformen als Grundlage für die Zuversicht unbedingt Ihre Auffassung geteilt haben, dass sie Grund Deutschlands dargestellt. Sie reden völlig über die zur Zuversicht haben. Die Rentnerinnen und Rentner Köpfe der Menschen hier in Deutschland hinweg. mussten in den letzten Jahren Nullrunden verkraften. Sie haben in diesem Jahr eine lächerliche Erhöhung bekom- (Beifall bei der LINKEN) men, die noch nicht einmal die Preissteigerung aus- Millionen sind in prekären Arbeitsverhältnissen. Wir gleicht. Wenn man mit Rentnerinnen und Rentnern haben keinen Grund zur Zuversicht. – Falls die Men- spricht, dann wird man nicht hören, dass sie dies als schen Sie jetzt sehen könnten, Frau Bundeskanzlerin, Grund zur Zuversicht empfinden. hätten sie kein Verständnis dafür, dass Sie an dieser Aber an einer Stelle ist Ihre Bemerkung geradezu Stelle lächeln. obszön, nämlich dann, wenn es um die Zukunftserwar- Ich möchte hier noch einmal sagen, was prekäre Ar- tung derjenigen Menschen in Deutschland geht, die beitsverhältnisse eigentlich bedeuten; ihre Zahl nimmt niedrige Löhne haben. Die OECD hat festgestellt, dass weiter zu. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu diese Menschen – die Zahl nimmt zu; es sind Millionen – hat einmal gesagt: Prekäre Arbeitsverhältnisse rauben die schlechteste Rentenerwartung aller Industriestaaten den Menschen die Zukunftsplanung. – Das müsste jeder haben. Das ist doch kein Grund zur Zuversicht, sondern nachvollziehen können, der sich einmal die Mühe macht, der Nachweis, dass Ihre Rentenpolitik total gescheitert das nachzuempfinden. ist. Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ob man noch genug Geld hat, um Nahrungsmittel einzu- Winkelmeier [fraktionslos]) (B) kaufen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht (D) weiß, ob man Geld hat, um die Miete zu bezahlen? Was Wenn alle seriösen Prognosen nachweisen, dass immer heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man mehr Rentnerinnen und Rentner in Zukunft Armutsren- Geld hat, um die Stromrechnung zu bezahlen? Und wie ten haben werden – das sind nicht 10 Prozent; das sind demütigend ist es für Eltern, wenn sie feststellen müs- nicht 20 Prozent; das sind mehr –, dann ist völlig unvor- sen, dass sie ihrem Kind den Schulausflug nicht bezah- stellbar, wieso Sie sich hier hinstellen und sagen können: len können? Das hat nichts mit Zuversicht zu tun. Deutschland hat Grund zur Zuversicht. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Wir müssen die Rentenformel in Deutschland wieder- Winkelmeier [fraktionslos]) herstellen. Die Dämpfungsfaktoren müssen wieder zu- rückgenommen werden. Der Rückschritt in das vorletzte Diese Menschen haben keine Zukunft. An dieser Stelle Jahrhundert war ein sozialer Kahlschlag ersten Ranges. müssen wir mit Reformen beginnen, meine sehr geehr- Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, haben ten Damen und Herren. einen Anspruch auf armutsfeste Rente. Die Linke wird Ergänzend ist hier noch auszuführen, dass die Arbeit- nicht aufhören, dies hier immer wieder auf die Tagesord- nehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom nung zu setzen. Wohlstandszuwachs abgekoppelt sind. Seit zehn Jahren (Beifall bei der LINKEN) gibt es in Deutschland keinen realen Lohnzuwachs, und auch die relativ guten Tarifabschlüsse in diesem Jahr Nun komme ich zu den Menschen, die arbeitslos sind. können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein anderer Es sind immer noch – hierin stimme ich Ihnen zu – viel Prozess weitergeht, nämlich der Prozess der permanen- zu viele, die in Deutschland arbeitslos sind. Aber wir ten Lohnsenkung. Deswegen wäre es eine wichtige Re- können nicht darüber hinwegsehen, dass die Lebensbe- form, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland dingungen dieser Menschen durch Ihre verfehlte Politik, durchzusetzen, wie in Frankreich 8,44 Euro. Was in die Sie hier auch noch ausdrücklich gelobt haben, erheb- Frankreich geht, geht auch in Deutschland. lich beschädigt worden sind. Sie haben gelobt, dass man (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. beispielsweise die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes [Cottbus] [SPD] und des Abg. erheblich gekürzt hat. Sie haben gelobt, dass man Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Hartz IV durchsetzt und beispielsweise Menschen zwingt, zu Bedingungen zu arbeiten, zu denen sie vorher Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Ausbeutung, die nicht arbeiten mussten. Sie haben gelobt, dass man Men- in Deutschland aufgrund Ihrer Zögerlichkeit und Ihrer schen ihr Vermögen nimmt, das sie fürs Alter gespart ha- 11486 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Oskar Lafontaine (A) ben. Das alles haben Sie hier gesagt. Glauben Sie tat- Die Antwort auf diese Frage bestimmt ja letztendlich die (C) sächlich, diese Menschen hätten Grund zur Zuversicht? Möglichkeiten, was man in Deutschland tun kann, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Wenn jemand Angst hat, arbeitslos zu werden, über Eines ist auf jeden Fall klar: Wenn die Politik der Um- 50 ist und dann gleich nach einem Jahr nach Hartz IV verteilung von unten nach oben – Mehrwertsteuererhö- zurückfällt, hat er keinen Grund zur Zuversicht; dann hat hung plus Unternehmensteuersenkung – fortgesetzt er Angst. Deshalb muss Hartz IV weg, deshalb muss es wird, dann verarmen immer mehr Menschen in Deutsch- überwunden werden, und ein erster Schritt dazu wäre ein land, sehen keine Zukunft mehr in Deutschland und ha- längerer Bezug von Arbeitslosengeld, wie es im Übrigen ben keine Zuversicht. auch viele Kollegen aus den Koalitionsfraktionen öfter gefordert haben. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Wir wollen natürlich auch an die Facharbeiter und die Im Übrigen, um noch ein aktuelles Thema aufzugrei- Kleinbetriebe denken. Deshalb möchte ich hier noch ein- fen: Sie haben die Zahlen hier ausgebreitet, aber zu den mal einen Vorschlag wiederholen, den ich schon in zwei prekären Arbeitsverhältnissen gehört eben auch die früheren Debatten vorgetragen habe: Wir wollen den so- Leiharbeit. Ich sage hier einmal, was Leiharbeit heißt. genannten Bauch im Steuertarif beseitigen; wir wollen Kürzlich hat mir der Betriebsratsvorsitzende eines Me- einen linearen Steuertarif. Dieser lineare Steuertarif tallbetriebes in Saarbrücken gesagt, dass der niedrigste würde Facharbeiter und Kleinbetriebe entlasten. Jedem, Lohn in der Belegschaft 15 Euro pro Stunde ist, dass der wie der Bundesfinanzminister sagt, das könnten wir aber die Leiharbeiter mit der Hälfte dessen entlohnt wer- uns jetzt nicht erlauben, halte ich entgegen: Dann müs- den, nämlich 7,50 Euro pro Stunde. Dies betrifft nicht sen wir eben den Spitzensteuersatz wieder anheben, um nur einen einzelnen Betrieb. Diese Methode, Kosten zu so die Verluste auszugleichen. senken, breitet sich immer weiter aus. Stimmen Sie doch (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert dem Antrag der Linken zu, endlich durchzusetzen, dass Winkelmeier [fraktionslos]) Leiharbeiter genauso wie die Stammbelegschaft bezahlt werden müssen! Dann würden Sie hier einmal eine Re- Auf jeden Fall ist es nicht zulässig, Facharbeiter und form durchführen, die diesen Namen verdient. Kleinbetriebe überproportional zu belasten. (Beifall bei der LINKEN) Dies wäre nun wirklich eine Struktur- bzw. Steuer- reform, die ökonomische Wirkung entfalten und insbe- Nun komme ich zur Kinderarmut. Wie können Sie sondere diejenigen belohnen würde, die in Deutschland (B) bei 2,5 Millionen Kindern, die in Armut leben, sagen, etwas leisten. Leistung lohnt sich in Deutschland schon (D) Deutschland habe Grund zur Zuversicht? Sind Millionen lange nicht mehr. Sie lohnt sich nicht für diejenigen, die Kinder nicht auch Deutschland? Wäre es nicht unsere trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewie- Aufgabe, eben für diese Kinder etwas zu tun? Warum sen sind, und sie lohnt sich nicht für die Facharbeiter, die gab es in der Sommerpause Diskussionen aus den Koali- überproportional zur Kasse gebeten werden. Leistung tionsfraktionen, man solle den Kinderzuschlag erhöhen? soll sich wieder lohnen in Deutschland. Damit würden Wir haben diese Diskussion begrüßt. Aber warum ist wir die Kräfte freisetzen, die den wirtschaftlichen Auf- dem nichts gefolgt? Warum lehnen Sie den Antrag der schwung in Gang bringen können. Linken ständig ab, den Kinderzuschlag zu erhöhen? (Beifall bei der LINKEN) ( [Spandau] [SPD]: Kinder- An ein Zweites möchte ich in diesem Zusammenhang betreuung, Herr Lafontaine!) noch erinnern: Die Unternehmensteuer muss natürlich so Das, was in diesem Antrag enthalten ist, wäre wirklich gestaltet werden, dass Investitionen begünstigt werden. einmal ein Fortschritt für Millionen Kinder, die in Ich fordere hier noch einmal für meine Fraktion, die de- Deutschland in Armut leben. gressive Abschreibung wieder einzuführen. Es ist un- sinnig, mit der Gießkanne Steuergeschenke zu verteilen. (Beifall bei der LINKEN) Sinnvoll wäre es, den investierenden Unternehmer zu Nun haben Sie hier mit viel Stolz verkündet – oder belohnen und beispielsweise den spekulierenden zu be- der Referent hat es Ihnen aufgeschrieben –, strafen und zur Kasse zu bitten. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Pfui! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Schäbig!) Winkelmeier [fraktionslos]) dass wir eine niedrige Staatsquote haben. Ich habe hier Das wäre eine sinnvolle Steuerreform. Deshalb habe ich schon mehrfach an Sie die Frage gestellt, welche Steuer- dies hier noch einmal angesprochen. und Abgabenquote Sie eigentlich für Deutschland Nächster Punkt: Obwohl da und dort etwas getan anstreben. Das ist eine Kernfrage jeder Haushaltsbera- wird, liegt die Quote der öffentlichen Investitionen in tung. Wenn man die nicht beantworten kann, sollte man Deutschland viel zu niedrig. Wir haben es immer wieder eigentlich nicht zum Haushalt sprechen. angemahnt: Wer wirklich für die Zukunft vorsorgen will, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oberlehrer muss die Quote der öffentlichen Investitionen in Napoleon!) Deutschland anheben. Da gibt es ein Maß, an dem sich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11487

Oskar Lafontaine (A) jeder orientieren kann: Das ist das Maß der Euro- Ordnungsrahmen. Ich kann dem nur zustimmen. Wir (C) päischen Gemeinschaft. Deutschland als moderner brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen, der Industriestaat sollte doch den Ehrgeiz haben, bei den öf- der Weltwirtschaft Regeln auferlegt, nach denen sie fentlichen Investitionen in Infrastruktur zumindest den funktioniert. Solche Regeln fordern wir schon seit vielen Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft zu errei- Jahren. Nur genügt es dann nicht, wenn man brav mehr chen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. An dieser Stelle Transparenz fordert. Meinen Sie, irgendein Hedgefonds war das systematische Kürzen von Investitionen aus interessiert sich für solche braven Forderungen? Meinen Spargründen falsch. Mit öffentlichen Investitionen Sie, irgendeine Private-Equity-Gesellschaft interessiert sichert man auch die Zukunft. Wir fordern: Zieht mit sich dafür? dem europäischen Durchschnitt gleich! (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN) Winkelmeier [fraktionslos]) Nächster Punkt: Bei den Bildungsausgaben sollten Nein, wir brauchen Regeln, nach denen die internationa- wir den Ehrgeiz haben, nicht den Durchschnitt der Aus- len Finanztransaktionen abgewickelt werden; sonst wer- gaben in den OECD-Staaten zu erreichen, sondern viel- den wir niemals Ordnung in die Weltfinanzmärkte be- leicht noch etwas mehr. kommen. ( [FDP]: Da dann doch mehr?) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Wir wurden einmal von einer französischen Schriftstel- lerin als Land der Dichter und Denker bezeichnet. Ich Wir hätten von Ihnen gern wenigstens eine Andeu- weiß nicht, ob sie das heute noch so formulieren würde, tung gehört, wie Sie sich das vorstellen. Ich frage Sie: wenn sie denn noch leben würde. Auf jeden Fall können Sind Sie beispielsweise für die Stabilisierung der Wech- wir eines nicht zulassen, nämlich dass die Bildungsaus- selkurse, wie es die Bretton-Woods-Kommission, an der gaben ständig unter dem Durchschnitt der Ausgaben in Leute wie Lambsdorff, Pöhl und andere mitgewirkt ha- den OECD-Staaten liegen. Wir müssen an dieser Stelle ben, schon vor vielen Jahren vorgeschlagen hat? Wenn etwas tun. Hier ist das fröhliche Bekenntnis zu einer ja, wie wollen Sie dies erreichen? Oder wollen Sie wei- niedrigen Staatsquote völlig fehl am Platz. Wir sollten terhin der weltweiten Spekulation Tür und Tor öffnen? mit Blick auf diesen Bereich eine höhere Staatsquote an- Sind Sie bereit, wie es etwa James Tobin vorgeschlagen streben und mehr Ausgaben für Bildung tätigen; dann hat und wie es auch viele Staatsmänner der Welt gefor- würden wir auch bei PISA nicht derartige Ergebnisse er- dert haben, die internationalen Finanztransaktionen zielen. durch eine Steuer einzudämmen? (B) (D) (Beifall bei der LINKEN) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Alles alte Hüte, Herr Lafontaine!) Können Sie sich vorstellen, dass irgendein Regie- rungschef eines nordischen Staates hier einen entspre- Sind Sie bereit, zur Regulierung des internationalen Ka- chenden Vortrag halten würde? Was glauben Sie, warum pitalverkehrs andere Regeln vorzuschlagen? Wir hätten in Dänemark, Schweden und Finnland weitaus bessere gern irgendetwas dazu gehört. Lediglich mehr Transpa- Bildungsergebnisse erreicht wurden? Etwa, weil die eine renz zu fordern, ist angesichts der Zustände auf den in- niedrige Staatsquote haben und wenig Geld für Bildung ternationalen Finanzmärkten schlicht naiv. ausgeben? Auf eine solche Idee käme dort niemand. Ich rate dazu, doch einmal die Schülerweisheit anzuwenden, (Beifall bei der LINKEN – Steffen Kampeter dass man, wenn man selbst nicht weiß, wie es gemacht [CDU/CSU]: Transparenz ist die Grundvo- wird, beim Nachbarn, der es besser weiß, abschreiben raussetzung für die Funktionsfähigkeit von sollte. An dieser Stelle wäre das dringend geboten, Märkten!) meine sehr geehrten Damen und Herren. Das gilt im Übrigen auch für die Europäische (Beifall bei der LINKEN) Gemeinschaft. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, dass die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Nun haben Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, gar Sarkozy besser sind als das, was von Ihrer Regierung ge- nichts dazu gesagt, dass man international nicht mehr äußert wird. Wenn beispielsweise der französische der Auffassung ist, dass die Konjunktur sehr gut läuft. Staatspräsident und viele andere fordern, die Europäi- Vielleicht war das in der Presse heute Morgen noch nicht sche Zentralbank nicht nur auf Preisstabilität zu ver- deutlich genug. Denn international wird mittlerweile pflichten, sondern auch auf Wachstum und Beschäfti- darauf hingewiesen, dass die amerikanische Hypothe- gung, dann hat er recht. Wenn Sie den antiquierten kenkrise Auswirkungen auf die Weltkonjunktur hat. Mitt- Standpunkt der Preisstabilität vertreten, dann haben Sie lerweile beraten andere Staaten bereits Gegenmaßnah- unrecht. Europa hat in den letzten Jahren Wachstumsein- men. Deshalb rate ich dazu, dass auch wir überlegen, bußen gehabt, weil die Europäische Zentralbank es nicht was wir tun können, um solche Krisenentwicklungen zu der amerikanischen Notenbank gleichgetan hat. Es wäre vermeiden. gut, wenn Sie Ihren Standpunkt an dieser Stelle revidie- ren und auf Frankreich zugehen. Nun haben Sie hier gesagt – das ist lobenswert; vor Jahren wurde das von Ihrer Partei noch als völliger Un- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert sinn verworfen –, wir bräuchten einen internationalen Winkelmeier [fraktionslos]) 11488 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Oskar Lafontaine (A) Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise Wenn dies nicht der Fall ist, dann seien Sie Frau ge- (C) fordert, eine europäische Wirtschaftsregierung einzuset- nug, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das stimmt zen, um die Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten nicht; die von diesen Tornados aus aufgenommenen Fo- zu koordinieren, dann findet er unsere Unterstützung. tos werden nicht für die NATO-Bombardierungen ver- Bei immer enger verflochtenen europäischen Volkswirt- wandt. Solange Sie dies aber nicht sagen können, ist die schaften ist das nur logisch. Es wäre sinnvoll, die Inves- Vorgehensweise, die in den letzten Monaten an den Tag titionen und die Finanzpolitik aufeinander abzustimmen, gelegt worden ist, völlig unverantwortlich. ebenso die Lohnpolitik, damit das Lohndumping nicht fortgesetzt wird. Sinnvoll wäre auch, die Steuerpolitik (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert abzustimmen; dazu hätten wir ebenfalls gern etwas Winkelmeier [fraktionslos]) gehört. Wir brauchen eine Steuerharmonisierung in Wir reklamieren nach wie vor eine Außenpolitik, die Europa, damit das Dumping an der Steuerfront nicht ein Kanzler im Deutschen Bundestag einmal mit dem fortgesetzt wird. Wort „Gewaltverzicht“ begründet hat. Das Wort „Ge- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert waltverzicht“ ist in den letzten Jahren aus der öffentli- Winkelmeier [fraktionslos]) chen Diskussion in Deutschland verschwunden; das muss Gründe haben. Für den Fall, dass jemand eine be- Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise grenzte Auslegung des Wortes „Gewaltverzicht“ vortra- etwas zum Stabilitätspakt sagt, dann sollte man ihn nicht gen möchte, sage ich: Dieser Kanzler hat das Wort nicht so abbügeln, wie es laut Presse jetzt geschehen ist. Wir nur auf den Ost-West-Konflikt bezogen. Nein, dieser hatten schon einmal eine Regierung, der man sagen Kanzler hat das Wort „Gewaltverzicht“ für den Frieden musste, dass eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich auf der ganzen Welt formuliert. Es gilt auch für die Lö- vielleicht besser sei als das ständige Schüren von Kon- sung von Konflikten in Afghanistan, im Irak oder sonst flikten; das liegt schon etwas zurück. Irgendwann hat wo. man das gelernt. An dieser Stelle rate ich dringend dazu, einen engeren Schulterschluss mit Frankreich zu suchen. (Beifall bei der LINKEN) Aus Zeitgründen nur noch ein paar Worte zur Außen- Gewaltverzicht sollte die Grundlage der deutschen politik. Wir, die Fraktion Die Linke, befürworten eine Außenpolitik sein. Wir sollten uns an einer Tradition andere Außenpolitik. Wir befürworten eine Außenpoli- orientieren, die nach meiner Auffassung die gebündelte tik, die das Völkerrecht zu ihrer Grundlage macht. Schlussfolgerung aus unserer Geschichte im letzten Jahrhundert ist. Wenn es darum geht, den Frieden in der (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Welt zu erreichen, dann sollte sich Deutschland auf den Winkelmeier [fraktionslos]) (B) Satz verpflichten: Von deutschem Boden darf niemals (D) Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass Deutschland das wieder Krieg ausgehen. Völkerrecht nicht zur Grundlage der Außenpolitik (Anhaltender Beifall bei der LINKEN sowie macht. des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Ich beginne mit dem Irakkrieg. Das Bundesverwal- tungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass Sie am Irak- Präsident Dr. Norbert Lammert: krieg mittelbar beteiligt sind. Das Bundesverwaltungs- Das Wort hat nun der Vorsitzende der SPD-Fraktion, gericht hat Ihnen bescheinigt, dass dies ein Bruch des Dr. Peter Struck. Völkerrechts ist. Sie tun so, als ginge Sie das alles nichts an. Es ist etwas Neues in Deutschland, dass eine Regie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rung von einem höchsten Gericht bescheinigt bekommt, der CDU/CSU) das Völkerrecht zu brechen, und dass sie dafür nur ein Achselzucken übrig hat. Das ist eine Fehlentwicklung, Dr. Peter Struck (SPD): die korrigiert werden muss. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert ren! Lassen Sie uns zu seriöser Politik zurückkehren! Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Dasselbe gilt für Afghanistan. Es genügt nicht, auf bei Abgeordneten der FDP – Lachen bei der ISAF zu verweisen. Wir müssen auch „Enduring LINKEN) Freedom“ und den Tornadoeinsatz in diesem Hause dis- Ein persönliches Wort an meinen Vorredner: Wenn einer kutieren. Daran darf man sich nicht vorbeimogeln. Es ist nicht das Recht hat, sich auf Willy Brandt zu berufen, ja richtig, dass das eine oder andere von den Soldaten in dann sind Sie es, Herr Kollege. Afghanistan positiv auf den Weg gebracht worden ist. Wer wollte das bestreiten? Für meine Fraktion aber ist es (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nicht hinnehmbar – ich sage dies hier noch einmal in al- Der Finanzminister hat einen guten Haushaltsentwurf ler Klarheit –, dass auf der Grundlage von Fotos, die vorgelegt; dazu gratuliere ich der Regierung. Das heißt mithilfe deutscher Tornados aufgenommen werden, un- aber nicht – ich spreche für meine Fraktion, aber wohl schuldige Menschen umgebracht werden. auch für die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/ (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert CSU –, dass wir ihn unverändert beschließen werden. Winkelmeier [fraktionslos]) Ich möchte nur zwei Punkte ansprechen, um gleich klar- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11489

Dr. Peter Struck (A) zumachen, wo wir dem Minister noch helfen wollen, wo Agenda 2010 von Gerhard Schröder die Grundsteine für (C) wir uns beim Finanzminister nicht durchsetzen konnten. den Aufschwung gelegt worden sind, steht doch eigent- lich völlig außer Frage. Das wird doch niemand bestrei- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt kommen ten wollen. sicherlich Sparvorschläge, Herr Kollege!) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Erstens. Wir, jedenfalls die SPD-Fraktion, sind dafür, [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) das BAföG um 10 Prozent zu erhöhen, nicht nur, wie es im Haushaltsentwurf steht, um 5 Prozent. Einen Teil hat die Union mitgetragen, auch über Ver- mittlungsverfahren und dergleichen. Was war denn die (Beifall bei der SPD) Agenda 2010? Sie hat das Startsignal für den Ausbau der Das ist längst überfällig. Es hat lange keine BAföG-Er- Kinderbetreuung gegeben, hat dazu beigetragen, dass die höhung gegeben. Außerdem glaube ich, dass wir den Jugendarbeitslosigkeit zurückgeführt werden konnte, die Studentinnen und Studenten helfen müssen, gerade im Zahl der Existenzgründungen steigt, der Mittelstand ge- Hinblick darauf, dass es leider einige Länder gibt, die fördert und die Kommunen gestärkt wurden. Heute war Studiengebühren eingeführt haben, was wir nicht woll- ein Interview mit dem Oberbürgermeister von Düssel- ten. dorf zu lesen, in dem er darauf verwiesen hat, wann der Aufschwung für die Kommunen begonnen hat. Auch der Das Zweite ist ein eher unwichtiger Punkt, der aber Hinweis darauf, dass die Unternehmensteuerreform die für die Betroffenen von Bedeutung ist. Wir sind auch da- Gewerbesteuereinnahmen der Kommunen stabilisiert für, dass der Wehrsold der Wehrpflichtigen der Bundes- hat, ist im Hinblick auf die Kommunalpolitik in wehr erhöht wird. Sie haben das für die Arbeit, die sie Deutschland sehr wichtig. zur Unterstützung der Bundeswehr zu Hause erbringen, verdient. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die Agenda 2010, die auch in meiner Partei und in meiner Fraktion durchaus umstritten war, hat die Grund- Wir werden im Rahmen der Haushaltsplanberatungen lagen für die Senkung der Arbeitslosigkeit geschaffen; auch über andere Dinge zu reden haben. Manches steht das ist gar keine Frage. Natürlich haben auch viele Men- zur Debatte; manches ist in den Zeitungen zu lesen, zum schen dazu beigetragen, dass wir einen Aufschwung zu Beispiel, was die Finanzierung der Staatsoper in Berlin verzeichnen haben. Mit der Agenda 2010 sind zugleich angeht. Ich sehe der Entwicklung mit Interesse entgegen. die Grundlagen für die Stabilisierung unserer sozialen Es gibt noch weitere Projekte. Wir werden sehen, wie Sicherungssysteme gelegt worden. Wenn wir nichts ge- wir den Haushalt nach der Bereinigungssitzung des (B) Haushaltsausschusses letztlich gestalten. macht hätten, wäre die Stabilisierung der sozialen Siche- (D) rungssysteme angesichts der demografischen Entwick- Ich möchte ein persönliches Wort an die Mitarbeite- lung gegen die Wand gefahren worden. Das kann doch rinnen und Mitarbeiter in den Ministerien richten. Ich niemand bestreiten. Inzwischen bestreitet es auch nie- weiß, dass in den vergangenen Jahren – ich glaube, mand mehr aus den Reihen der Gewerkschaft. schon zu Helmut Kohls Zeiten beginnend – Abschläge beim Personal gemacht worden sind, Stelleneinsparun- Ich will auch ein Thema ansprechen, das uns im Augen- gen in deutlichem Umfang. Ich weiß aus vielen Ministe- blick beschäftigt: die Auswirkungen der Rente mit 67. rien, dass die Grenze der Zumutbarkeit erreicht ist. Jetzt Dass diese Entscheidung richtig war, ist gar keine Frage. muss Schluss sein mit weiteren Stellenkürzungen. Die (Lachen bei der LINKEN) Ministerien müssen in der Lage sein, ihre Arbeit ordent- lich erledigen zu können. Wir stehen an der Seite der Dass die Menschen länger arbeiten müssen, weiß jeder. vielen Personalräte, die sich an uns gewandt haben. Das Angesichts der demografischen Entwicklung kann es wollte ich nur zur Klarstellung sagen. nicht sein, dass man so früh in Rente geht wie heute oder gestern und die gleiche Rente bekommt wie bisher. Wir (Beifall bei der SPD) müssen prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, Alters- Diese Koalition hat eine Menge auf den Weg ge- regelungen wie Teilrente bzw. Altersteilzeit auszugestal- bracht. Mit Interesse habe ich manche Kommentare von ten. Das Ministerium hat Vorschläge dazu vorgelegt, Journalisten gelesen, die vor der Klausurtagung des Ka- über die wir zu diskutieren haben werden. Ich will aber binetts in Meseberg geschrieben haben: Jetzt machen sie klipp und klar sagen: Es war eine schwierige Entschei- einen neuen Koalitionsvertrag, jetzt kommt wieder et- dung, die unser Verhältnis zu den Gewerkschaften nicht was Neues. – Es ist kein neuer Koalitionsvertrag ge- gerade beflügelt hat. Trotzdem stehen wir zu dieser Ent- schlossen worden. Das war auch gar nicht möglich, weil scheidung; da wird nichts rückgängig gemacht, sie war es eine Kabinettssitzung war und die Koalitionsfraktio- richtig. nen gar nicht dabei waren. Wir haben eine Reihe von Be- (Beifall bei der SPD) schlüssen gefasst, die uns schwer gefallen sind. Es war aber notwendig, diese Beschlüsse zu fassen; die Erfolge Der Haushaltsentwurf, über den jetzt im Haushalts- zeigen sich jetzt. Ich will es noch einmal darstellen, ohne ausschuss beraten wird, steht unter dem Dreiklang dass ich wieder die alte Debatte beginnen möchte, wem „Investieren, Sanieren, Reformieren“. Bezüglich des der Erfolg eigentlich zuzurechnen ist oder wer derjenige Themas Reformen will ich auf den Bereich der Fami- ist, der den Aufschwung begründet hat: Dass durch die lien- und Kinderpolitik zurückkommen. Diese Koali- 11490 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Peter Struck (A) tion hat das Elterngeld eingeführt. Die entsprechenden ben sich im Zuge der Liberalisierung, die ab dem (C) Regelungen gelten seit dem 1. Januar dieses Jahres. Wir 1. Januar des nächsten Jahres kommt, erhebliche soziale alle machen leider den Fehler, dass wir zwar zur Kennt- Benachteiligungen für die Briefzusteller in Deutschland. nis nehmen, wenn wir etwas erreicht haben, dass wir Das wollen wir nicht. Deshalb soll das Entsendegesetz aber nicht mehr darüber reden. Das Elterngeld ist ein um den Bereich der Postzustellung erweitert werden. großer Erfolg der Familienpolitik in der Bundesrepublik Zum Thema „innere Sicherheit“. Dass Koalitionsfrak- Deutschland; das ist gar keine Frage. tionen miteinander diskutieren, ist klar; das gab es in jeder (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Regierung. Wir führen eine Debatte über das Recht zur der CDU/CSU) Onlinedurchsuchung durch das Bundeskriminalamt. Kollege Kauder, Kollege Ramsauer, Kollege Schäuble Wir haben jetzt über die Krippenplätze zu entschei- und Kollegin Zypries haben gestern darüber gesprochen. den. Die Bundesregierung wird einen Gesetzentwurf Ich will klipp und klar festhalten: Wenn Onlinedurchsu- vorlegen, über den wir zu beraten haben werden. Ich will chungen für die Bekämpfung der terroristischen Aktivi- es ganz klar sagen: Für die SPD ist entscheidend, dass es täten in Deutschland erforderlich sind, sind wir nicht da- einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gibt. gegen. Ich möchte nur wissen, unter welchen rechtlichen (Beifall bei der SPD) Bedingungen sie stattfinden sollen. Deshalb warte ich auf ein Urteil aus Karlsruhe. Dann weiß ich ganz genau, was Wir reden zwar auch über andere Vorstellungen, zum wir in das Gesetz hineinschreiben müssen. Beispiel über ein Betreuungsgeld – ich lese durchaus, was Kolleginnen und Kollegen dazu sagen –, aber es ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker klar, dass darüber nicht jetzt entschieden wird, sondern Beck [Köln] (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): im Jahre 2013. Jetzt wird über den Rechtsanspruch auf Das war der Rückzug auf Raten!) einen Krippenplatz entschieden. Es bleibt dabei, dass wir nicht generell dagegen sind. Die (Beifall bei der SPD) Kanzlerin hat ihre Meinung dazu gesagt; ich habe meine gesagt. Wir werden dieses Thema in aller Ruhe beraten Ich füge an dieser Stelle als Mitvorsitzender der Föde- und dann im Frühjahr nächsten Jahres darüber entschei- ralismuskommission II, die sich mit den Finanzbezie- den. hungen zwischen Bund und Ländern zu befassen hat, ein: Dass sich der Bund bereit erklärt hat, Personalkos- Was bei der Fahndung nach Terroristen in der letzten ten und Betriebskosten von Krippen zu finanzieren, ist Woche gelungen ist, ist ein großer Erfolg. Das zeigt aber eine Maßnahme, die im Grunde genommen über das hi- auch, dass die Instrumente, die wir haben, um terroristi- sche Aktivitäten in Deutschland aufzuklären, ausrei- (B) nausgeht, was der Bund machen müsste. Inhaltlich gese- (D) hen ist es aber absolut richtig. Wir schaffen mehr Krip- chend vorhanden sind. Das ist ein großer Erfolg der Poli- penplätze, damit der Rechtsanspruch verwirklicht zei. Herzlichen Glückwunsch an die Polizeibeamten, die werden kann. die geplanten Verbrechen aufgedeckt haben! (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Jürgen Koppelin Noch eine kurze Bemerkung zu einigen Themen aus [FDP]) der Innenpolitik. Sie wissen – das ist allgemein bekannt –, dass es zwischen den Koalitionsfraktionen und innerhalb Dass wir in Deutschland bisher von solchen Anschlä- der Regierung eine Debatte über die Frage gibt, ob es in gen verschont geblieben sind, hat nichts mit dem Anse- Deutschland einen Mindestlohn geben muss. Meine hen Deutschlands in der Welt zu tun. Das ist Glück. Die feste Überzeugung ist, dass es einen Mindestlohn geben Kofferbombenattentate in Köln und die jetzt geplanten wird. Daran führt kein Weg vorbei. Wir werden dafür Attentate sind zum Glück aufgedeckt worden. Dass wir kämpfen. im Visier von Terroristen sind, wissen wir. Das muss man hier auch sagen. Unsinn ist die Behauptung des (Beifall bei der SPD) Vorsitzenden der Fraktion der Linken, wir würden uns durch unsere Aktivitäten in Afghanistan den Terrorismus Ich weiß, mit dieser Koalition geht es nicht. Aber wir ha- ins Land holen. Das ist absoluter Quatsch. Wir haben so- ben einige Punkte beschlossen, die vielleicht dahin füh- wieso mit Terrorismus zu rechnen, Herr Kollege. ren. Dazu gehört das Entsendegesetz, das auch die Kanz- lerin in ihrem Debattenbeitrag vorhin angesprochen hat. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich will klipp und klar sagen: Was im Bereich der Post- zustellung zwischen der Post und Verdi vereinbart wor- Wir werden uns in Deutschland damit beschäftigen den ist, ist ein sehr guter Weg. Wir werden in der nächs- müssen, dass wir Gegenstand von terroristischen Aktivi- ten Woche in der Bundestagsfraktion beschließen, dass täten sein werden. diese Regelung jetzt in das Entsendegesetz aufgenom- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sind!) men werden soll, Herr Arbeitsminister. Man kann nicht jeden Bürger der Bundesrepublik (Beifall bei der SPD) Deutschland vor solchen Anschlägen schützen. Das geht nicht. Das muss man wissen. Ich denke, die Kolleginnen und Kollegen der CDU/ CSU-Fraktion werden diesen Weg mitgehen. Es ist ein Wir können auch unsere Soldatinnen und Soldaten großer Erfolg. Wenn wir das nicht machen würden, ergä- nicht vor jedem Anschlag schützen. Ich bin öfter in Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11491

Dr. Peter Struck (A) Afghanistan gewesen als in Amerika oder anderswo. Herr Kollege Lafontaine, wer Soldatinnen und Soldaten (C) Auch dort ist man nicht gegen Selbstmordattentäter ge- der Bundeswehr mit Terroristen gleichstellt, versündigt schützt. Wie denn auch? Das heißt, jeder Soldat und jede sich gegenüber dem, was die Soldatinnen und Soldaten Soldatin, die den Auftrag der Bundeswehr in Afghanis- in Afghanistan tun. Sie sollten sich schämen. tan wahrnehmen, wissen, dass dadurch ihr Leben gefähr- det ist. Deshalb will ich an dieser Stelle allen, die bei (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP diesem Einsatz ihr Leben für ein gutes Ziel in Afghanis- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dirk tan riskieren, meinen Respekt und meinen herzlichen Niebel [FDP]: Das gilt auch für die Gleichstel- Dank aussprechen. lung mit dem Schießbefehl!) – Das greife ich gern auf. Wer so wie Sie auftritt, der (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sollte sich fragen lassen, ob das, was manche Ihrer Leute Ich weiß, dass am Wochenende in Berlin eine De- zum Schießbefehl gesagt haben, wirklich zu verantwor- monstration unter der Überschrift „Raus aus Afghanis- ten ist. tan“ stattfindet. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ (Dr. [DIE LINKE]: Am CSU und der FDP – Hartmut Koschyk [CDU/ Sonnabend!) CSU]: Sehr richtig!) Kollege Bisky, Sie haben gesagt, dass es keinen Schieß- Diejenigen, die zu dieser Demonstration gehen, sollten befehl gab. Das ist doch wohl absurd. Dass geschossen Folgendes wissen: Seit 2001 – ich rede über die Zeit werden musste, das weiß doch wohl jeder. Das weiß so- nach den Taliban – sind 3 500 Schulen in Afghanistan gar ich, und ich war nicht Mitglied der Nationalen errichtet worden. Die Zahl der Schüler hat sich auf Volksarmee. 6,5 Millionen verfünffacht. Es sind 30 000 Lehrer ausge- bildet worden. Allein im Jahr 2005 wurden Ein Kollege der Linkspartei, Landesvorsitzender von 500 000 Mädchen erstmals zum Schulbesuch angemel- Hessen, Altkommunist Peter Metz, hat in der Debatte det. Allein diese Zahlen zeigen, dass unser Engagement über die Leugnung des SED-Schießbefehls gesagt, dass, in Afghanistan richtig ist. Die Menschen danken es uns. wer wirklich etwas gegen den Schießbefehl habe, seinen Einfluss auf Minister Jung geltend machen müsse. Er hat (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie den SED-Tötungsbefehl an der Mauer mit dem Einsatz des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ der Bundeswehr in Afghanistan verglichen. Da sieht DIE GRÜNEN] – Widerspruch der Abg. Dr. man einmal, mit welchen Leuten Sie arbeiten wollen. Er Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]) soll Ihr Spitzenkandidat in Hessen werden. Das ist un- (B) (D) Wie kann man so etwas ignorieren? Was würde es wohl glaublich. bedeuten, wenn wir aus Afghanistan herausgingen? Was, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der glauben Sie, würde passieren? Glauben Sie, die Mäd- FDP) chen dürften in der Schule bleiben, wenn die Taliban wieder an die Macht kommen? Glauben Sie, die Schulen Ich will etwas zu einem Thema sagen, das im Bundes- würden wieder geöffnet? In welcher Welt leben Sie ei- tag und in der Bundesregierung sicherlich nicht ganz un- gentlich? Die Menschen haben ein Recht darauf, dass umstritten ist – ich will meine Meinung dazu aber nicht wir ihnen helfen. verschweigen –: dem NPD-Verbot. Das Verbotsverfah- ren ist auch deswegen gescheitert, weil die zuständigen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Behörden, die vielen Landesämter für Verfassungsschutz FDP sowie des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ und das Bundesamt für Verfassungsschutz, nicht wuss- DIE GRÜNEN]) ten, wie viele V-Leute der anderen Behörden wo tätig waren. Der Senat war zu Recht verärgert darüber, dass In der SPD-Fraktion hatten wir in der letzten Woche jeden Tag eine Meldung kam: Wir haben noch einen! – die afghanische Frauenministerin zu Gast, Frau Wer aber sagt, dass diese Partei verfassungswidrig ist, Dr. Ghazanfar, die uns ihr Leben geschildert hat. Sie ist der muss das in Karlsruhe klären lassen, der kann nicht Professorin für Literatur. Sie wurde von den Taliban ein- einfach sagen: „Die sind verfassungswidrig“, und das gesperrt und gezwungen, im Keller ihres Hauses zu blei- war es. Ich möchte nicht, dass diese Partei weiterhin ben. Sechs Jahre lang durfte sie das Haus und den Keller 1,5 Millionen Euro vom Staat kassiert und damit ihren nicht verlassen. Jetzt ist sie Frauenministerin. Allein Kampf gegen den Staat finanziert. diese Tatsache, so sagt sie, ist ein Beweis dafür, dass die internationale Hilfe dringend erforderlich ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Anna Lührmann (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich denke, dass manche öffentliche Äußerung schon aus- Der Kollege Lafontaine hat in einer ARD-Talkshow reicht, um den Verbotsantrag zu begründen, sodass man am 20. Mai 2007 gesagt: auf V-Leute nicht Bezug nehmen muss. Wir können aber niemals Terror durch Terror be- Natürlich werden sich die Innenminister der Länder kämpfen, also sollten wir dies jetzt einstellen, und mit dem Thema zu beschäftigen haben; aber ich bitte die zwar unverzüglich. Bundesregierung, den zuständigen Innenminister – viel- 11492 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Peter Struck (A) leicht auch die Justizministerin –: Herr Kollege Thilo Sarrazin. Die Frage, wie wir mit den Altschulden (C) Schäuble, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie veranlassen fertig werden, ist schwieriger. Aber wir müssen das könnten, dass innerhalb einer Frist von einem halben Thema angehen. Es ist völlig klar, dass die Schuldenlast Jahr von den 16 Landesämtern für Verfassungsschutz abgebaut werden muss; der Bund muss allein 42 Mil- und dem Bundesamt für Verfassungsschutz ein Bericht liarden Euro an Zinsen zahlen. über diesbezügliche Erkenntnisse an das zuständige Gre- mium des Bundestages, das Parlamentarische Kontroll- Das dritte Thema, das uns beschäftigt, ist die Steuer- gremium, übergeben werden könnte. Dann können wir autonomie der Länder. In der Föderalismuskommis- beraten, ob es Grundlagen für ein Verbotsverfahren gibt. sion vertreten manche Länder die Auffassung: Wir wol- Aber es einfach hinzunehmen, dass die NPD so weiter- len eine eigene Steuerautonomie. Hier stellt sich die Frage, ob Ländersteuern weiterhin vom Bund beschlos- machen kann, bin ich nicht bereit zu akzeptieren. Das sen werden müssen. Beispiel: die Erbschaftsteuer. will ich klar festhalten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des (Beifall bei der SPD) Abg. Dr. [CDU/CSU]) Ich will auch auf das Thema Föderalismusreform, – Vorsicht! – Nehmen wir einmal an, die Länder hätten das Kollege Steinbrück gestern ebenfalls angesprochen das Recht, die Erbschaftsteuer selbst zu bestimmen. hat, eingehen. Wir haben als Große Koalition und ange- Dann würde Bayern sagen: Bei uns gibt es keine Erb- sichts der großen Mehrheit im Bundesrat die enorme schaftsteuer; wir haben genug Geld. Chance – die wird es so schnell nicht wieder geben –, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu zu (Dr. Peter Ramsauer (CDU/CSU): Gutes Bei- ordnen. Kollege Oettinger und ich sind uns als Vorsit- spiel!) zende darin einig. Am Donnerstag und Freitag beginnen Was sagt Bremen? – Wir brauchen Erbschaftsteuer. Mit wir zu beraten. Auch die Obleute aller Fraktionen – das anderen Worten: Jeder, der in die Situation kommt, et- schließt den Kollegen Ramelow ein – sind der Meinung, was zu vererben, geht nach Bayern. Das will ich nicht, dass wir eine Chance haben, etwas zu erreichen. und das geht auch überhaupt nicht. Worum geht es? Wir wollen die Debatte über die Be- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) grenzung der Verschuldung zu einem Ergebnis führen. Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen die Ver- Wir müssten dann klären – das ist eine absurde Debatte –, schuldungsgrenze erreicht ist, wie weit sich ein Staat ob die 16 Bundesländer untereinander Doppelbesteue- verschulden darf. Dass Art. 115 des Grundgesetzes, den rungsabkommen schließen müssten. Dies zeigt schon, wir jetzt haben, nicht ganz geeignet ist, hat uns der Bun- dass das schwierig wird. (B) desrechnungshof bescheinigt; das ist auch durchgängig Ich bin dafür, dass wir die Erbschaftsteuer seitens des (D) politische Meinung. Die weite Auslegung des Investi- Bundes für alle Länder gleich festlegen sollten, damit tionsbegriffs, wie von vielen Regierungen praktiziert, keine Ungleichheiten, kein Wettlauf „Arm gegen Reich“ geht so nicht weiter. Ich bin der Auffassung, dass wir stattfindet. über eine Verschuldungsgrenze à la Schweiz und andere Modelle reden müssen. Der Vorschlag vom Kollegen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Oettinger und mir wird sein, die Frage „Wie begrenzen – Die Experten klatschen; das ist auch richtig. Es gibt wir die Aufnahme von Schulden?“ zu klären, und zwar eine gute Chance, dazu etwas zu schaffen. so rechtzeitig, dass noch in dieser Legislaturperiode in Bundestag und Bundesrat über Grundgesetzänderungen, Insgesamt muss ich sagen: Die Medien in Berlin be- wenn sie erforderlich sein sollten, abgestimmt werden richten darüber, wer sich mit wem in welchem Haus kann. trifft und wer mit wem essen geht. Es ist lächerlich, was für die Presse wichtig ist. Kollege Kauder und ich treffen In diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, uns sehr oft. Wenn wir immer sagen würden, dass wir ob das, was wir für den Bund regeln, auch für die Länder uns irgendwo treffen, würde in der Zeitung stehen: gelten kann. Wir müssen also mit dem Bundesrat klären, Kauder und Struck treffen sich. wie unsere Regelungen in die 16 Landesverfassungen übernommen werden. Ich bin sehr dafür, dass für den (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja! Dann wären Bund und für die Länder die gleichen Regelungen gel- die Seiten voll! – Gegenruf des Abg. ten. Aber dies wird schwierig. Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Allerdings mit nichts! Mit gar nichts! – Dirk Niebel [FDP]: Ein zweites Thema – auch das hat Peer Steinbrück an- Genau! Denn da passiert nichts!) gesprochen – sind die Altschulden. Dass wir eine Ich will klipp und klar sagen: Diese Koalition ist eine Menge Altschulden haben, hat Peer Steinbrück gesagt. große Chance für Deutschland. Die Große Koalition Insgesamt beträgt die staatliche Gesamtverschuldung muss große Aufgaben erledigen. Das hat sie teilweise 1 500 Milliarden Euro. Aber was machen wir damit? Es schon gemacht; das ist gar keine Frage. Wir haben die gibt Debatten darüber zu versuchen, alle Länder auf den sozialen Sicherungssysteme stabilisiert – das war gleichen Stand zu bringen. Kollege Oettinger hat die schwierig genug – und uns mit der Steuerpolitik beschäf- Einrichtung eines Fonds vorgeschlagen, in den die rei- tigt. Aber wir haben in den nächsten zwei Jahren bis chen Länder einzahlen und aus dem die armen Länder 2009 noch eine Menge zu tun. Geld bekommen, wenn sie ihre Schulden abbauen: pro abgebautem Euro Schulden 1 Euro aus dem Fonds. Peter (Dirk Niebel [FDP]: Oh ja! Da hat er aller- Harry Carstensen hat andere Vorschläge gemacht, auch dings recht!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11493

Dr. Peter Struck (A) Dennoch sagen alle, die beteiligt sind – Frau Kanzle- Die Klausurtagung in Meseberg war ein Erfolg. Die (C) rin, ich weiß nicht, ob auch Sie das sagen; ich glaube, Ih- Bundesregierung kann sich auf die SPD-Fraktion verlas- nen geht es momentan ganz gut –: 2009 soll diese Koali- sen. Wir werden diese Regierung stützen. Natürlich wer- tion zu Ende sein. Ich muss dazusagen: nicht aus den wir auch eigene Akzente setzen. Denn wir sind da- inhaltlichen Gründen. Ich jedenfalls sehe keine; denn für, dass im Jahr 2009 das Gleiche passiert wie im über alle Punkte, die strittig sind, können wir diskutie- Jahr 1969. Damals ist im Anschluss an die große Koali- ren, und wir werden Lösungen finden. Vielmehr ist es im tion ein Sozialdemokrat Bundeskanzler geworden. Dass Interesse der parlamentarischen Demokratie, wenn einer das auch 2009 geschieht, dafür werbe ich. starken Regierung eine fast ebenso starke Opposition ge- genübersteht. Große Koalitionen müssen in Deutschland (Anhaltender Beifall bei der SPD – Steffen eine Ausnahme bleiben; dafür bin ich. Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt hat er eine halbe Stunde gearbeitet und mit dem letzten Satz al- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten les abgeräumt! – Dr. Guido Westerwelle der SPD und der CDU/CSU – Dr. Guido [FDP]: Er hat so lange geredet, aber ihr von Westerwelle [FDP]: Sie haben ja so recht! Sie der Union klatscht noch nicht einmal alle! Los sind so klug, Herr Struck!) jetzt, klatschen!) – Herr Westerwelle, dass Sie gerne in die Regierung kommen würden, kann ich verstehen. Irgendwann wird Präsident Dr. Norbert Lammert: es auch für Sie einmal Zeit. Dass auch Sie gerne einmal Zu einer Kurzintervention erhält das Wort der Kollege auf der Regierungsbank sitzen möchten, kann ich nach- Dr. Diether Dehm. vollziehen. (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Oh nein!) (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU – Jürgen Koppelin [FDP]: Genau! Aber ganz vorne! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ja! Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Ganz vorne!) Werter Kollege Struck, ich kann damit leben, wie schnodderig Sie mit Zwischenfragen umgehen. Präsident Dr. Norbert Lammert: ( [CDU/CSU]: Heul doch! – Herr Kollege Struck, gestatten Sie eine Zwischen- Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Genau! An- frage des Kollegen Dehm? dere würden jetzt „Heulsuse“ sagen!) Tun Sie aber bitte nicht so, als ob es in diesem Haus ir- Dr. Peter Struck (SPD): gendjemanden gibt, der nicht mit Empörung auf den Be- (B) Nein, von Dehm nicht. fehl reagiert, auf unschuldige Menschen zu schießen: (D) (Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU) nicht in meiner Fraktion und nicht in irgendeiner ande- ren Fraktion des Deutschen Bundestages. Außerdem Ich will Ihnen sagen: Wir haben noch ein großes Ka- muss ich Ihnen sagen: Es gibt eine Grenze zwischen pitel zu erledigen, ein Kapitel, das auf einige Initiativen Texas und Mexiko, an der viel mehr Menschen erschos- der Bundeskanzlerin zurückzuführen ist. Es geht um das sen worden sind. Auch sie müssen erwähnt werden. Thema Klimaschutz. An dieser Stelle gratuliere ich , der heute Geburtstag hat, herzlich. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Die Mauer nicht vergessen!) (Dirk Niebel [FDP]: Zuhören, Gabriel!) Es muss auch erwähnt werden, dass zum Befehl, auf – Ja. Kollege Gabriel, Sie müssen zuhören. unschuldige Menschen zu schießen, in Afghanistan hin- (Heiterkeit – Jürgen Koppelin [FDP]: Der zukommt, dass, bevor Hochzeitsgesellschaften bombar- bucht gerade seine nächsten Flüge!) diert wurden, Aufklärungsfotos aus den Tornados erstellt worden sind. – Wenn es nicht so ist, dann widersprechen Das, was in Heiligendamm, dann in Brüssel und vor Sie der Aussage des Kollegen Lafontaine. – Deswegen kurzem in Meseberg beschlossen worden ist, ist für die nämlich treffen sich am Samstag um 12 Uhr die De- Bundesrepublik Deutschland ein sehr dicker Brocken. monstranten vor dem Roten Rathaus. Ich weiß schon jetzt, was passieren wird, wenn wir an- fangen, die entsprechenden Gesetzentwürfe zu formulie- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Guido Westerwelle ren und die Maßnahmen umzusetzen. Ich begrüße, dass [FDP]: Jetzt wissen es alle!) die Automobilindustrie mit an der Spitze – das ist der gute Einfluss der Politik – Präsident Dr. Norbert Lammert: (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein! Das ist Nächster Redner ist der Vorsitzende der Fraktion der Einfluss der CDU!) Bündnis 90/Die Grünen, Fritz Kuhn. offenbar bereit ist, diesen Weg mitzugehen. Die Umset- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zung der Klimaschutzziele der Bundesregierung ist aller- dings eine sehr große Aufgabe. Wir werden unseren Teil Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dazu beitragen, dass das gelingt. An der SPD-Fraktion Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! und an Gabriel wird das nicht scheitern. Wenn man nach zwei Jahren – also zur Halbzeit der Le- (Beifall bei der SPD) gislaturperiode – den Bundeskanzlerin-Haushalt be- 11494 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Fritz Kuhn (A) spricht, geht es im Kern um die Frage: Was ist richtig ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) laufen, was muss anders laufen, und wie sieht die politische Führung des Landes durch das Kanzleramt Deswegen sind die 40 Millionen Tonnen CO2-Einspa- aus? Dieser Frage will ich mich widmen, allen anderen rung, die Sie im Hinblick auf die Effizienz von Elektro- Fragen an anderer Stelle. geräten im Haushalt im Acht-Punkte-Programm noch veranschlagt hatten, auf nur noch erreichbare 8 Millio- Wir verfallen nicht in das Schema, nur weil wir ge- nen Tonnen zusammengeschrumpft. Dies wurde in die- rade in der Opposition sind, alles, was gegenwärtig statt- ser Woche im Umweltministerium auch so bilanziert. Sie findet, schlecht zu finden und herunterzureden. Im Na- springen an dieser Stelle zu kurz. Das, was Sie sonntags men meiner Fraktion möchte ich insbesondere sagen, verbal an Klimaschutzzielen formulieren, schaffen Sie dass Deutschland von der Kanzlerin und dem Außenmi- werktags nicht, weil Sie sich den Lobbys – wie sie zum nister in der Welt respektabel repräsentiert wird. Beispiel Herr Glos im Parlament und in der Regierung vertritt – beugen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Bei der Verkehrspolitik herrscht in der Regierung immer noch absolute Funkstille. Wenn Sie, Frau Bun- Ich sage nichts über einzelne Schritte der Außenpolitik, deskanzlerin, morgen zur IAA gehen, müssen Sie dort aber viele Leute – darunter auch unsere Wählerinnen klarmachen, dass jetzt die Stunde der Ordnungspolitik und Wähler – denken so. geschlagen hat und wir verbindliche Verbrauchsober- Zweitens – hören Sie genau zu! – finden wir es gut, grenzen brauchen, und nicht, wie Herr Wiedeking jetzt dass der Klimaschutz inzwischen bei den Regierungs- wieder gefordert hat, eine Verschiebung von 2012 auf fraktionen als Thema angekommen ist. Zu den einzelnen 2015. Wenn Sie das zulassen, wird der Verkehrsbereich Regelungen, die Sie umsetzen, werde ich nachher noch keinen Beitrag zu den Klimaschutzbemühungen leisten etwas sagen. Drittens ist es natürlich positiv, dass der können, und wir werden die Ziele insgesamt nicht errei- Aufschwung da ist – eher vom Export als vom Binnen- chen. markt getragen –, denn dies erleichtert generell das poli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tische Handeln. Auch in Deutschland – ich sage das mit Blick auf die Auf der Basis, dass es Positives gibt, erstaunt mich IAA – müssen alle Fahrzeughersteller neben den einzel- schon, dass Sie, Frau Merkel, mit dem Satz: „Alle Men- nen ökologischen Pilotprojekten in der Breite – bei den schen haben jetzt Grund zur Zuversicht“, alle schwieri- großen wie bei den kleinen Fahrzeugen – systematisch gen und kritischen Fragen sowie die strukturellen Pro- von dem hohen CO2-Ausstoß wegkommen. Dazu brau- (B) bleme unseres Landes nach dem Motto verpackt haben: chen wir Ordnungspolitik und nicht diesen Mist der frei- (D) „Keine Sorge, die Große Koalition wird es schon rich- willigen Vereinbarungen, der offensichtlich gescheitert ten.“ Dies ist ein Fehler, weil die Voraussetzung guten ist. politischen Handelns ist, gerade während einer Verbes- serung der Entwicklung darauf zu achten, was strukturell (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) eigentlich noch schlecht läuft. Frau Merkel, was uns bei Ihrer Rede fast amüsiert hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) war, wie Sie in einem Sätzchen mit dem Thema Bahn umgegangen sind. Sie haben gesagt: Mit dem Börsen- Ich möchte einige Bemerkungen zu den wichtigsten gang der Bahn werden wir uns auch noch beschäftigen. politischen Feldern machen. – Erst einmal – es ist ja ein Gesetzentwurf durch das Ka- binett gegangen –: Ich hoffe schon, dass Sie sich auch Im Hinblick auf das Klima haben Sie erst einmal eini- vorher damit beschäftigt haben. Doch der Satz in Ihrer ges beschlossen, was in die richtige Richtung geht. Aber Rede war auf die Zukunft bezogen. Ihre Klimaschutzpolitik wird die Ziele – auch das 40-Prozent-Ziel – systematisch nicht erreichen, weil die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gesetzliche Umsetzung sowie das, was Sie in Meseberg beschlossen haben, ihnen nicht hinreichend Rechnung Was Sie bisher im Kabinett beschlossen haben, ist nach tragen, sondern einem Slalomlauf zwischen Tabuzonen unserer Überzeugung ordnungspolitischer Wahnsinn: ähneln. Wir reden zwar heute nicht nur über Klima- Sie verschleudern Volksvermögen. Insgesamt sind schutz, aber ich will zwei Bereiche erwähnen. 130 Milliarden Euro in der Bahn, insbesondere im Schienennetz und in den Bahnhöfen, investiert, Geld der Bei der Energieeffizienz – vorgestern hat auch die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Sie haben eine Pri- IEA dargestellt, dass der Stromverbrauch in Deutschland vatisierung vor, bei der Sie vielleicht 8 Milliarden Euro massiv ansteigt – sind Sie in Meseberg eindeutig zu kurz erlösen werden. 4 Milliarden Euro gehen an den Bund, gesprungen. Für Nachtspeicheröfen gibt es kein Kon- der Rest geht an die Bahn. Sie verpflichten sich, 15 Jahre zept. Auch für Elektrogeräte gibt es keinen Top-Runner- lang 2,5 Milliarden Euro in das Schienennetz zu inves- Ansatz. Die Kennzeichnung von Elektrogeräten soll nur tieren, macht 37,5 Milliarden Euro. Nach dem heutigen freiwillig erfolgen, und es gibt keine Einschränkungen Stand müsste der Bund, wenn wir nach 18 Jahren wieder für den Stand-by-Betrieb. Sie vermeiden systematisch wirtschaftlicher Eigentümer des Netzes sein wollten, im- die Ordnungspolitik und setzen weiterhin auf freiwillige merhin 7,5 Milliarden Euro Wertausgleich zahlen. Da Vereinbarungen oder verschieben Entscheidungen, die fragt sich doch jeder, der nur ein bisschen rechnen kann: heute getroffen werden müssten, in die Zukunft. Was soll das Ganze? Was ist eigentlich die Begründung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11495

Fritz Kuhn (A) für diesen ordnungspolitischen Unsinn, mit dem Sie, Wiederholen Sie nicht – ich meine das ernst, nicht ko- (C) Frau Kanzlerin, sich erst in der Zukunft beschäftigen kett – den Fehler von Rot-Grün, die wir 2000 und 2001 wollen, obwohl Sie ihn schon beschlossen haben? eher zu wenig gespart haben und dann, als es dicke kam, versucht haben – das ist am Bundesrat immer gescheitert –, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in die abnehmende Konjunktur hinein zu sparen. Dies sowie bei Abgeordneten der FDP) kann nicht funktionieren. Deswegen sage ich: Politische Es gibt nur ein Argument, warum wir die Schienenin- Führung heißt, dass Sie in der Finanzpolitik mehr Vor- frastruktur aufgeben sollen: weil Herr Mehdorn Geld sorge treffen für die Zeit, wenn es mit der Konjunktur braucht, um als internationaler Player eine internationale wieder schlechter gehen sollte. Bahn AG aufzuziehen. Was wir dagegen in Deutschland An Ihrer Beschönigung der Verhältnisse hat mich ein brauchen, ist eine bessere Bahn, schon aus Klimaschutz- Punkt gestört. Sie haben gesagt, der Aufschwung gründen. Was wir in Deutschland brauchen, ist mehr komme bei allen an. Die Zahlen der Bundesagentur für Bahnbetrieb in der Fläche, auch mehr Güterverkehr auf Arbeit zeigen aber, dass der Aufschwung bei den Dauer- der Schiene, damit die Straßen entlastet werden und die arbeitslosen noch nicht ankommt. Daran können wir in Leute vernünftig reisen können. Doch dann können wir diesem Hause nicht vorbeireden, nur weil es ein schwie- nicht die Infrastruktur verschleudern, wie Sie, Frau riges Thema ist. Merkel, es offensichtlich vorhaben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Welche Aufgabe – das ist die Führungsaufgabe einer Inzwischen gibt es in Deutschland 1,3 Millionen Dauer- Kanzlerin; das können Sie nicht auf einen Tiefensee, der arbeitslose. In keinem anderen Land Europas außer der mit diesem Thema überfordert ist, abschieben – Slowakei hat sich die Dauerarbeitslosigkeit so verfestigt wie bei uns. Jeder zweite Arbeitslose in Deutschland ist (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ länger als ein Jahr arbeitslos. Deswegen halte ich die DIE GRÜNEN und der FDP) Ankündigung eines neuen Programms – sozusagen Hartz Y mit einem neuen Kombilohnmodell für Ziel- soll der Staat denn haben, wenn nicht die, die Infrastruk- gruppen – im Herbst für zu kurz gesprungen, wenn man tur, die alle brauchen, in Schuss zu halten, über sie zu die Situation bilanzieren will. verfügen? Sie darf nicht ohne Sinn und Verstand den In- teressen des Kapitalmarktes preisgegeben werden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie hätten sich auch der Frage der Qualität des Auf- (B) schwungs stellen müssen. (D) Frau Merkel, da treffen wir den Kern Ihrer politischen Überzeugung. Ich finde, dass konservativ sein heißt, Ich finde, dass es an der Zeit ist, Hartz IV zu bilan- dass man bewahrt, was in der Vergangenheit geschaffen zieren. Wir von den Grünen stehen zu den wesentlichen worden ist, dass man es erneuert, aber eben nicht, dass Elementen, vor allem zu der Zusammenlegung von man es verschleudert. Deswegen ist es gut, dass Sie sich Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe; denn sie hat vielen mit diesem Thema noch einmal beschäftigen wollen. Menschen – vor allem Alleinerziehenden mit Kindern – viel genützt. Das vergisst die PDS/Linke gerne, aber an Ich will zum Bereich Wirtschaft, Haushalt, Arbeits- dieser Stelle war die Reform richtig. markt kurz etwas sagen. Die Konjunktur ist gut. Sorgen machen muss, dass sie zu sehr exportgeleitet ist und am Aber das Arbeitslosengeld II ist noch nicht die Binnenmarkt zu wenig zieht. Über die Mehrwertsteuer Grundsicherung, von der wir gesprochen haben. Die will ich mich nicht streiten; darüber kann man insgesamt Menschen im Land – daran können wir nicht vorbeige- lange reden. Sie haben gestern den Finanzminister eine hen, Frau Merkel – haben nicht das Gefühl, dass sie im Haushaltskonsolidierung feiern lassen, die wir für Falle einer länger als ein Jahr dauernden Arbeitslosigkeit unambitioniert halten. Dazu haben Sie heute nichts Ver- durch eine solidarische Grundsicherung aufgefangen nünftiges gesagt, Frau Kanzlerin. Wenn man jetzt, im werden und gute Brücken zurück in die Erwerbsarbeit Jahr 2007, sagt: „2011 kommen wir auf die Nullver- vorfinden. Der Kreis der ALG-II-Empfänger wächst, schuldung“, und man hat massiv Steuern erhöht – es ist weil es keinen Mindestlohn gibt. Das ist der Grund, der ja nicht nur die Mehrwertsteuer: da ist die Versicherung- die Menschen systematisch in die Angst treibt. steuer, und viele Abschreibungsmöglichkeiten wurden abgebaut –, dann kann man sich nicht als Konsolidie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungsregierung feiern. Der entscheidende Punkt ist, dass sowie bei Abgeordneten der SPD) Sie es nicht rechtzeitig schaffen, aus der Neuverschul- dung herauszukommen, weil Sie nicht bereit sind, die Ich finde, dass Sie mit diesen Debatten nach dem notwendigen Investitionen – es gibt notwendige Investi- Muster „Wir machen im Herbst noch etwas“ dem tionen – durch Subventionsabbau zu finanzieren, son- Grundproblem, dass die Menschen Angst davor haben, dern sie aus der Konjunktur heraus schöpfen. Solange zu Arbeitslosengeld-II-Empfängern zu werden, weil das Sie dies tun, ist die ganze Nummer der Konsolidierungs- Fördern nicht klappt und es keine Brücken zurück in die regierung nicht viel wert. Erwerbsarbeit gibt, nicht gerecht werden, Frau Merkel. Ich hätte von Ihnen mehr erwartet als ein allgemeines (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Statement zum Aufschwung. 11496 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Fritz Kuhn (A) Beim Fachkräftemangel haben Sie recht. An dieser (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C) Stelle muss man etwas tun. Was in Meseberg beschlos- Probleme der Gesundheitsreform spielen in Ihrem Den- sen wurde, ist aber zu kurz gesprungen. ken offensichtlich keine Rolle. Ich finde, das muss sich (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ändern. SES 90/DIE GRÜNEN) Dass Sie in Ihrer Rede für die Pflegekräfte im We- Wenn 100 000 Fachkräfte fehlen, dann müssen Sie das sentlichen nur ein Dankeschön übrig hatten, während Zuwanderungsrecht ändern. Dann brauchen wir die offenkundig ist, dass in Deutschland massive Menschen- Punkteregelung und müssen die Grenze beim Jahresein- rechtsverletzungen in der Pflege alter Menschen stattfin- kommen von Hochqualifizierten, die einwandern wol- den, ist, wie ich finde, ein bisschen dürftig. Aber das hat len, von 85 000 auf 40 000 Euro senken. offensichtlich nicht in Ihr Schema gepasst. Beide Fraktionen der Großen Koalition fordere ich auf: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Geben Sie endlich die ideologischen Vorbehalte auf, die es Was wird die Regierung machen, nachdem über die unmöglich machen, dass Hochqualifizierte nach Deutsch- Skandale in der Pflege berichtet wurde? Sie hat gesagt, land einwandern können! Denn die 100 000 Fachkräfte, es werde eine Sachverständigenkommission zur Quali- die uns fehlen, bedeuten auch viele hunderttausend Ar- tätssicherung in der Pflege geben, die erste Berichte bis beitsplätze für Deutsche. Insofern darf man nicht auf der zum 31. Dezember 2008 liefern werde. Erste Ergebnisse ideologischen Bremse stehen. seien Mitte 2009 zu erwarten. Ich frage mich, wo die (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Große Koalition bei der Lösung sozialer Probleme und SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Max der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen ge- Straubinger [CDU/CSU]: Die können ja ein- blieben ist, wenn sie erst 2009 mit einem Bericht zur wandern!) Qualitätssicherung aufwarten will. Gestatten Sie mir eine kurze Bemerkung zum Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) braucherschutz, Frau Merkel. Ich wünsche mir, dass Sie haben die Pflegereform quasi in einem billigen Kon- Sie im Kabinett besser aufpassen. Ich habe den Ein- sens über eine Beitragserhöhung versteckt. Ansonsten druck, dass Herr Seehofer auf alles Mögliche Bock hat, haben Sie sich gegenseitig blockiert, zum Beispiel bei nur nicht auf Verbraucherschutz und Landwirtschaft. Es der Frage, welchen Beitrag die privaten Krankenkassen gibt einen Gammelfleischskandal nach dem anderen leisten müssen. Frau Merkel, unter Ihrer Führung ist kein – alle im Wesentlichen in Bayern –, aber Sie kümmern Schritt zur Verbesserung der Situation Pflegebedürftiger sich nicht um die Frage, ob der Zehn-Punkte-Plan vom in Deutschland gelungen. Davon haben Sie nichts ge- (B) (D) Herbst 2005 umgesetzt wird. Die Große Koalition funk- sagt. Ein Dank an die Pflegekräfte ist für eine Bundes- tioniert an dieser Stelle nicht, weil auch die Länder kanzlerin zu wenig, die sich diesem Thema stellen und bremsen und nicht die notwendigen Maßnahmen ergrei- widmen will. fen wollen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Eine einfache wirtschaftliche Frage aus der Landwirt- schaft, um die sich Herr Seehofer nicht kümmert – viel- Ich will noch etwas zur Außenpolitik und zum Thema leicht kümmern Sie sich als Kanzlerin darum –, betrifft Afghanistan sagen. Es ist unstrittig – hier gibt es einen den Ökolandbau. Im Ökolandbau sind auf der Nachfra- Unterschied nur zur Linkspartei –, dass man das afghani- geseite Zuwächse von 20 Prozent zu verzeichnen. Der sche Volk beim Aufbau, der in einer Kombination aus Zuwachs der Fläche im Ökolandbau beträgt 2 Prozent. Sicherheit und Entwicklung erfolgt, nicht im Stich las- Das heißt, der Nachfragezuwachs in den Läden wird sen darf. Wer fordert: „Raus aus Afghanistan!“, aber vom Ausland abgeschöpft, weil Sie seit Beginn der Gro- nicht sagt, was dort mit den Menschen passieren soll, der ßen Koalition die Umstellung auf die ökologische Land- handelt zynisch und hat nur einen billigen innenpoliti- wirtschaft in den Ländern und beim Bund nicht richtig schen Erfolg im Auge, handelt aber nicht verantwortlich fördern. Auch in diesem Bereich könnte man den einen in Bezug auf die Menschen in diesem geschundenen oder anderen Arbeitsplatz schaffen. Ich bitte Sie, sich Land. darum zu kümmern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der CDU/CSU und der SPD) Dennoch ist die Frage relevant – sie wird zunehmend re- Ich möchte, da wir über über Strukturprobleme reden, levanter –, ob wir hier die richtige Strategie verfolgen. auf das Thema Gesundheit und Pflege zu sprechen kom- Wir stehen als Fraktion zum ISAF-Mandat. Aber es men. Frau Merkel, ich biete Ihnen jede Wette darüber an reicht nicht aus, dieses Mandat zu befürworten und – über den Einsatz können wir noch sprechen –, dass Sie gleichzeitig zu sagen: OEF machen die Amerikaner. Wir den Gesundheitsfonds nicht zum 1. Januar 2009 ein- glauben – durch viele Besuche im Land und Berichte vor richten werden. Darüber reden Sie schon gar nicht mehr, Ort sind wir bestätigt –, dass die Art der Kriegführung, weil Sie es nicht gerne hören, dass Sie da Murks ge- der strategische Aufbau der Luftschläge, systematisch macht haben. Es glaubt doch niemand, dass Sie im die Glaubwürdigkeit der ISAF-Mission untergräbt. Wahljahr noch einmal mit diesem Monster antreten wol- len, das Sie in den ersten zwei Jahren in Ihrer Regie- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- rungszeit beschlossen haben. SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11497

Fritz Kuhn (A) Wir haben Verantwortung und müssen in der Diskussion Präsident Dr. Norbert Lammert: (C) prüfen, ob das stimmt, was ich sage, oder ob Sie mit Ih- Nächster Redner ist der Vorsitzende der CDU/CSU- rer Behauptung recht haben, dass das ein unverzichtba- Fraktion, Volker Kauder. rer Baustein sei. (Beifall bei der CDU/CSU) Frau Merkel, ich kritisiere Sie dafür, dass Sie an der Stelle, wo es um die Strategie von OEF geht – das gilt Volker Kauder (CDU/CSU): auch für Ihren Kabinettsbeschluss zu Afghanistan insge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! samt –, nicht systematisch die kritische Auseinanderset- Deutschland hat – dies zeigt der Bundeshaushalt, der zung mit denjenigen suchen, die OEF so weiterführen jetzt eingebracht wird und der ein Zwischenbericht und wollen wie bisher. Auf dieser Ebene sind keine Verände- ein Ausblick auf die kommenden zwei Jahre dieser Gro- rungen bekannt. Es gibt nur Veränderungen bei der ßen Koalition ist – nach einer längeren schwierigen NATO, was ISAF angeht. Sie sagen weder hier noch im Phase wirtschaftlich wieder Tritt gefasst. Dies ist eine Ausschuss, was Sie vorgetragen haben, was Sie erreicht große Gemeinschaftsleistung, eine Leistung, die auf dem haben und welche Strategieänderungen vorgenommen beruht, was in der letzten Legislaturperiode unter Rot- werden sollen. Grün richtig gemacht worden ist und woran wir beteiligt waren. Lieber Kollege Struck, wir als Union haben kein Sie haben auf die Ausrufung des Verteidigungsfalls Problem damit, die richtigen Punkte der Agenda 2010 zu nach dem 11. 9. hingewiesen. Das ist in völkerrechtli- vertreten, aber Sie in der SPD müssen dafür sorgen, dass cher Hinsicht eine schwierige Frage; denn die damalige man sich zu dem Richtigen bekennt. Dort liegt das Pro- Begründung lautete, dass der Angriff auf die Vereinigten blem, nicht bei uns. Staaten in Afghanistan aufgrund der dort befindlichen (Beifall bei der CDU/CSU) Terrorlager, von den Taliban zugelassen und von al- Qaida betrieben, organisiert werde. Aber das geschieht Wir erleben, dass in Deutschland wieder aus eigener heutzutage nicht in Afghanistan, sondern in vielen Kraft Wachstum geschaffen werden kann. Das durch- Regionen in der Welt, insbesondere in Pakistan. Diese schnittliche Wachstum in den Jahren 2006 bis 2008 wird Begründung können Sie also nicht mehr anführen. ISAF viermal höher sein als in den drei Jahren zuvor. hat dagegen – darauf legen wir Wert – eine andere Be- Dies beruht – das ist das Bemerkenswerte – nicht allein gründung. Diese Mission dient dazu, die zivile Entwick- auf dem Export, vielmehr ist der Beitrag der Binnenwirt- lung und den Aufbau von Sicherheit miteinander zu ver- schaft zum Wachstum im Jahr 2006 zum ersten Mal seit binden. Das zeigt auch die Praxis. längerem wieder größer gewesen als der Beitrag der Au- ßenwirtschaft, und zwar vor allem wegen kräftiger pri- (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vater Investitionen in unserem Land. (D) Frau Merkel, wenn Sie sich hier – das haben Sie in ei- (Beifall bei der CDU/CSU) nem Nebensatz getan – zur multilateralen Perspektive Diesen Kurs gilt es weiterzusteuern. Deshalb sagen wir der deutschen Außenpolitik bekennen, dann müssen Sie in der Regierung und in den Koalitionsfraktionen: Auf- auch da, wo unilateral entschieden wird – dies ist bei schwung stärken, jeder muss mitgenommen werden. Auf OEF im Unterschied zu ISAF der Fall –, ganz deutlich diesem Weg sind wir ein gutes Stück vorangekommen. sagen, welche Wünsche diejenigen haben, die insgesamt ein multilaterales Vorgehen gegen den Terrorismus für Die Bundeskanzlerin hat uns gesagt, wie viele zusätz- richtig und gut halten und dieses begrüßen. liche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze ge- schaffen worden sind. Ich kann nur denjenigen von ganz (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) links außen sagen: Jeder von diesen Hunderttausenden bzw. von der 1 Million Menschen, die in der Regierungs- Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten hier zeit der Großen Koalition einen Arbeitsplatz bekommen im Haus intensiv darüber diskutieren. haben, hat am Aufschwung teilgenommen, hat neue Perspektiven und neue Chancen. Ich komme zum Schluss, weil meine Redezeit abge- laufen ist. Ich will Folgendes sagen, Frau Merkel: Viel- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) leicht muss man als Bundeskanzlerin in der Auf- Herr Kollege Lafontaine, es lohnt sich eigentlich schwungphase die Lage irgendwie positiv darstellen. nicht, sich mit Ihren Aussagen auseinanderzusetzen, Das ist logisch. Selbst wir sagen nicht, dass alles mies aber eines muss ich schon klar sagen: Ich habe Ihre Re- ist. Aber Sie haben es versäumt – das ist ein Element den in den letzten zwei Jahren gehört und mitbekom- politischer Führung –, hart und klar auf die Strukturpro- men, wie Sie polemisiert und gegen alle Perspektiven, bleme dieses Landes hinzuweisen und Vorschläge zu die wir aufgezeigt haben, angeheult haben. Jetzt bringen machen, wie Sie sie beheben wollen, und Sie haben in Sie es nicht einmal fertig – der Kollege Kuhn bringt es Ihrer smoothen Rede darüber hinweggesehen. Das war fertig! –, zu akzeptieren, dass Ihre Prognosen zu hundert zu wenig für die politische Führung, die wir von Ihnen Prozent danebengelegen haben, dass wir neue Perspek- eigentlich verlangen. tiven für die Menschen geschaffen haben. Ausschlag- gebend dafür war nicht Ihr Gerede, sondern das Handeln Vielen Dank. der Großen Koalition. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 11498 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Volker Kauder (A) Wenn ich mir die PISA-Ergebnisse anschaue, bin ich also viel erreicht. Wir sind noch nicht über den Berg. (C) hundertprozentig sicher: Wenn wieder jemand durch Wir müssen mit unseren Reformanstrengungen weiter- Deutschland fährt und sich dieses Land anschaut, wenn machen. Aber wir können auch sagen: Wir haben konso- er vor allem sieht, was wir in Technologie, Wissenschaft lidiert, und damit sind wir auf dem Weg zu politischer und Forschung vorhaben, dann wird er wieder zu dem Stabilität in unserem Land. Ergebnis kommen, dass Deutschland das Land der Dich- ter und Denker ist. Ich kann nur hoffen, Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Lafontaine, dass er nicht auf Sie trifft; denn dann könnte neten der SPD) das Urteil anders ausfallen. In einigen weiteren Punkten werden wir Menschen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- unterstützen – da stimme ich dem Kollegen Struck zu –, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE beispielsweise durch eine BAföG-Erhöhung. Um dem GRÜNEN) Finanzminister entgegenzukommen, soll die 10-prozen- tige BAföG-Erhöhung in zwei Stufen vonstatten gehen. Der auf Wachstum und Stärkung des Aufschwungs Dies ist in Ordnung. Eine solche BAföG-Erhöhung wäre ausgerichtete Kurs – der Aufschwung muss bei jedem schon ein großer Erfolg. ankommen – ist in der nächsten Zeit das zentrale Thema in der Großen Koalition. Ich bin sicher, dass diese Große (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Koalition da noch eine ganze Menge leisten kann. Des- Ich verweise auf die Aufgaben der Bundeswehr. Ich wegen, lieber Kollege Struck, haben wir allen Grund, zu werde den Vorschlag unserer Haushälter, den Wehrsold sagen: Diese Große Koalition ist stark genug, die Aufga- um 2 Euro pro Tag zu erhöhen, unterstützen. Diese Er- ben, die vor ihr liegen, zu erfüllen. Daher rate ich dazu, höhung wäre eine schöne Anerkennung der Arbeit unse- jetzt nicht mit irgendwelchen Spekulationen über das, rer Soldatinnen und Soldaten. was nach 2009 ist, zu kommen. Die Menschen sollen nicht den Eindruck haben, dass wir entsprechend unse- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren Machtperspektiven diskutieren. Ich will den Men- neten der SPD) schen vielmehr zurufen: Uns geht es darum, Ihre Wir werden unseren erfolgreichen Kurs fortsetzen, Lebenschancen zu verbessern. Wir schauen jetzt nicht die Menschen entlasten und dabei helfen, Arbeitsplätze auf 2009, sondern wir schauen auf das, was wir im aufzubauen. Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung Jahr 2008 für unser Land und für die Menschen in die- gesagt hat: Wir wollen den Beitragssatz zur Arbeitslo- sem Land bewegen können. senversicherung auf 3,9 Prozent senken. – Wir in der (Beifall bei der CDU/CSU) Unionsfraktion sehen aber weiteren Spielraum. Wir (B) müssen alles tun, was möglich ist. Wir hoffen deshalb, (D) Was 2009 anbelangt, lieber Kollege Struck, haben wir dass das Ziel, das wir haben, nämlich einen Beitragssatz diametrale, also völlig entgegengesetzte Auffassungen zur Arbeitslosenversicherung von 3,5 Prozent festzule- über die Kanzlerschaft. Ich bin mir sicher, dass wir gute gen, im Rahmen der Haushaltsplanberatungen noch er- Voraussetzungen dafür schaffen können, dass die erfolg- reichbar ist, und bitten die Bundesregierung dabei um reiche Arbeit für unser Land unter einer erfolgreichen Unterstützung. Kanzlerin auch 2009 fortgeführt werden kann. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen dafür sorgen, dass Menschen leichter, Worum geht es in der nächsten Zeit? Aufschwung noch leichter in Arbeit kommen, und wollen deshalb die stärken; jeder muss davon profitieren. Ein großer Teil Vermittlungsarbeit stärken. Dazu gehört für uns, dass hat schon davon profitiert. In unseren Veranstaltungen wir die große Zahl von Instrumenten in der Arbeits- spüren wir es doch. Noch vor einem Jahr war die Sorge marktpolitik – sie ist fast unübersichtlich – überprüfen der Menschen groß, ihre Arbeit zu verlieren. Sie hatten und reduzieren, um die Vermittlung einfacher zu ma- Angst, Verluste zu erleiden. Das hat sich geändert. In chen, damit sie schneller funktioniert. Wir freuen uns vielen Branchen haben wir sogar schon einen Fachkräf- darüber, dass die Bundesregierung in Meseberg eine sol- temangel. Die Menschen spüren doch, dass ihre Arbeits- che Überprüfung beschlossen hat. Aus über 80 Instru- plätze sicherer geworden sind. Aber wir ruhen uns da- menten sollen maximal 10 werden. Das wäre eine große rauf nicht aus. Vereinfachung und würde die Arbeit erleichtern. Eine der Voraussetzungen für das Anhalten dieser (Beifall bei der CDU/CSU) Entwicklung ist natürlich, dass der Haushalt weiter kon- solidiert wird. Deswegen müssen wir den Sparkurs klar Wir wollen Wirtschaft fördern, auch dort, wo im Au- und deutlich fortsetzen. Dabei unterstützt die CDU/ genblick ein kleiner Durchhänger vorhanden ist. Wir se- CSU-Bundestagsfraktion den Bundesfinanzminister. Wir hen, dass im privaten Wohnungs- und Einfamilien- haben klar gesagt – das wird in dem Haushalt deutlich –: hausbau zurzeit eine Art Stillstand eingetreten ist. Wir Der größte Teil der Steuermehreinnahmen wird zur meinen, dass wir da etwas tun sollten. Haushaltskonsolidierung verwandt. Da zu sagen: „Da (Rainer Brüderle [FDP] und Jürgen Koppelin ist nichts erreicht worden“, ist blanker Unsinn. Noch im [FDP]: Mehrwertsteuererhöhung!) Jahr 2005 gab es ein strukturelles Defizit von 60 Milliar- den Euro. In diesem Haushalt ist eine Nettoneuverschul- – Wir meinen, dass wir da etwas tun sollten, nicht mit dung von 13 Milliarden Euro vorgesehen. Wir haben solchem Gerede, sondern mit klaren Botschaften. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11499

Volker Kauder (A) Was erwarten die meisten Menschen? Sie erwarten, und pflegen. Aber selbst wenn die Ergebnisse, wie die (C) dass Wohnungseigentum eine sichere Grundlage auch Studien zeigen, in der letzten Zeit besser geworden sind, für die Altersvorsorge ist. kann es uns nicht ruhen lassen, wenn auch heute noch je- der dritte oder vierte ältere Mensch in den Pflegeheimen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht sachgerecht gepflegt wird. Das dürfen wir nicht zu- neten der FDP) lassen. Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und müssen wir in der Großen Koalition das Thema „Woh- der SPD) nungseigentum in staatlich geförderter Altersvorsorge“ jetzt zu einem guten Abschluss bringen. Deswegen, Frau Schmidt, bin ich Ihnen ausgesprochen (Beifall bei der CDU/CSU) dankbar, wenn Sie sagen, dass wir auf diesem Gebiet zu mehr Kontrollen kommen müssen. Die Hälfte der Menschen in Deutschland wohnt im sogenannten ländlichen Raum. Im ländlichen Raum fin- Eines zeigt die Wirklichkeit aber auch: Allein mit Bü- det ein Großteil der wirtschaftlichen Entwicklung unse- rokratie, mit Überprüfungen, mit Pflichten zur Doku- res Landes statt. Im ländlichen Raum ist ein großer Teil mentation sind wir nicht weitergekommen. Es reicht der neuen Arbeitsplätze aufgebaut worden, weil dort der nicht, Dokumentationen zu überprüfen; vielmehr müs- Mittelstand stark vertreten ist. Deswegen ist es richtig, sen wir auf die Menschen schauen. Das muss das Ergeb- dass wir den Mittelstand fördern. nis der Überprüfungen in der Pflege sein. (Otto Fricke [FDP]: Wo denn?) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD und der FDP) Aber Mittelstandsförderung findet nicht nur über den Arbeitsmarkt, über die Unternehmensteuer und über die Bei einem wichtigen Thema, das sowohl unter dem Erbschaftsteuer – das sind alles wichtige Punkte – statt, Gesichtspunkt der Förderung von Arbeit und Chancen sondern Mittelstandsförderung findet natürlich auch als auch unter dem des Zusammenhalts von Menschen, über Entwicklungsmöglichkeiten statt. von Generationen bedeutsam ist, haben wir miteinander einen wichtigen Schritt getan, nämlich in der Familien- Wir sind für Umweltschutz. Wir sind für Naturschutz. politik. In diesem Bereich hat die Große Koalition einen Wir haben deshalb natürlich die FFH-Richtlinie – die großen Schritt getan, indem sie gesagt hat: Wir wollen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie – umgesetzt. Aber wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf maßgeblich för- brauchen in unseren ländlichen Räumen auch Entwick- dern. lungschancen. Es darf nicht nur die Ballungsgebiete ge- (B) ben. Nicht nur diese dürfen immer fetter werden. Wir Natürlich sehen wir, dass bei der Ganztagsbetreuung (D) brauchen die ländlichen Räume. Deswegen sage ich Ih- von Kindern unter drei Jahren ein erheblicher Bedarf be- nen: Wenn der europäische Vertrag schon voll in Kraft steht. Unabhängig davon, ob der Bund zuständig ist oder wäre, müssten wir eine Subsidiaritätskontrolle mit Sub- nicht, war es eine Notwendigkeit und daher richtig, zu sidiaritätsklage hinsichtlich der sogenannten Boden- sagen: Jawohl, wir machen da etwas. – Wir erwarten schutzrichtlinie erreichen. Mit der Bodenschutzricht- jetzt von Ländern und Kommunen, dass sie ebenfalls linie, die Europa plant, geht Europa ganz klar über seine sehr schnell ihren Beitrag zusagen, damit der Aufbau Möglichkeiten hinaus. Deswegen bitten wir die Bundes- stattfinden kann. regierung, dafür zu sorgen, dass dies nicht geschieht. (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja!) Das ist nicht die Aufgabe Europas. Das ist eine nationale Aufgabe. Diese Betreuung ist wichtig. Wir stehen für Wahlfrei- heit. Wir wollen nicht, dass der Staat Familien vor- (Beifall bei der CDU/CSU) schreibt, wie sie zu leben haben. Weil wir Wahlfreiheit Wir haben das Ziel, die Wirtschaft zu stärken, um wollen, wollen wir jetzt, dass die Ganztagsbetreuung Chancen für die Menschen zu schaffen. Daneben wollen aufgebaut wird. Aber ich sage auch in aller Klarheit: Die wir natürlich auch, dass der Zusammenhalt in unserer große Mehrzahl der Familien erzieht und betreut ihre Gesellschaft und der Zusammenhalt der Generationen Kleinkinder zu Hause, und auch dies hat unseren ganzen erhalten bleiben. Für die junge Generation haben wir Respekt verdient. Möglichkeiten geschaffen, eine Altersvorsorge aufzu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bauen. Aber wir kümmern uns auch um die ältere Gene- neten der SPD) ration. Wenn wir über den Zusammenhalt der Gesellschaft (Dirk Niebel [FDP]: Wie ist das mit der Pfle- sprechen, lieber Kollege Struck, so gehört dazu auch, geversicherung?) dass wir nicht zulassen, dass Rechtsextremismus unsere Deswegen haben wir dafür gesorgt, dass es in der Pfle- Gesellschaft durcheinandertreibt. So sehr ich dafür Ver- geversicherung neue Möglichkeiten gibt, beispiels- ständnis habe, dass man über ein NPD-Verbot reden weise für eine Gruppe von Menschen, die für die Fami- kann, so kann ich nur empfehlen, weniger darüber zu re- lien eine große Herausforderung bedeuten, nämlich für den, aber intern zu prüfen, wie groß die Erfolgschancen die Demenzkranken; auch sie erhalten Leistungen aus sind. Ein zweites Debakel vor dem Bundesverfassungs- der Pflegeversicherung. Wir haben die Leistungen für gericht wäre eine Katastrophe. Deswegen sind vor- diejenigen verbessert, die zu Hause ambulant betreuen schnelle Diskussionen, dass man dies betreiben müsse, 11500 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Volker Kauder (A) mit mir nicht zu machen. Erst muss man prüfen und sich allem, wenn man bedenkt, dass es in den Jahren 2005 (C) vergewissern, ob es geht, um es dann zu tun, aber man und 2006 gar nicht so einfach war, zusammenzufinden. darf nicht leichthin „man sollte“ sagen. Das ist in dieser Ich meine, dass wir eine wirklich gute Arbeit gemacht Situation einfach brandgefährlich. haben. Die in den vergangenen zwei Jahren erzielten Er- gebnisse sollten und müssen Grundlage für das, was jetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kommt, sein. Da haben wir noch einiges Schwere vor neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS- uns. Es wird sich zeigen müssen, ob wir das miteinander SES 90/DIE GRÜNEN) hinbekommen. Ich bin überzeugt, Peter Struck, dass wir Zum Thema Afghanistan ist von der Bundeskanzle- das miteinander hinbekommen, Opposition hin oder her. rin eigentlich alles gesagt worden. Wir stehen zu den Auf die Opposition kommt es bei der Lösung der Pro- drei Mandaten, weil wir wissen, dass sie notwendig sind, bleme jetzt nämlich nicht an, sondern auf uns kommt es weil wir in der Union gelernt haben, dass Menschen- an: bei der Erbschaftsteuer und vielen anderen Fragen, rechte nicht teilbar sind, Herr Lafontaine. Jeder weiß, die anstehen. was passieren würde, wenn wir uns aus Afghanistan zu- Ich sage deshalb an Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- rückzögen. Wir haben noch Bilder aus Vietnam in unse- gen, und an die Menschen in unserem Land draußen an ren Köpfen und davon, was dort alles passiert ist. Das den Bildschirmen gerichtet: Diese Große Koalition haben die Menschen nicht verdient. Was heute hier über denkt in erster Linie daran, was wir tun können, um das die Frauen und Mädchen in den Schulen gesagt worden Land voranzubringen und den Menschen zu helfen, und ist, stimmt alles. Deswegen werden wir als eine Partei, blickt nur aus einem ganz kleinen Augenwinkel auf das die für Menschenrechte eintritt, in unserem Engagement Jahr 2009. Jetzt geht es darum, zu handeln und das Land nicht nachlassen. Wenn es darum geht, Menschenrechte voranzubringen. Man kann sich darauf verlassen: Diese zu verteidigen, dann darf uns Afghanistan nicht egal Große Koalition unter der Führung von Angela Merkel sein, liebe Kolleginnen und Kollegen. – den SPD-Teil der Regierung möchte ich natürlich nicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verschweigen – hat Kraft genug, dieses Land weiter auf neten der SPD) Erfolgskurs zu führen – im Interesse der Menschen in unserem Land. Dazu gehört natürlich auch die Bekämpfung des Terrors. Darin sind wir uns einig. Terrorbekämpfung Vielen Dank. findet auch in Afghanistan statt. Der Terror ist aber mitt- lerweile bei uns in Deutschland angekommen. Wolfgang (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Schäuble hat es immer wieder formuliert. Wir haben Beifall bei der SPD) deshalb aus gutem Grund neue Kompetenzen bei der (B) (D) Terrorbekämpfung auf den Bund übertragen. Dazu muss Vizepräsident Dr. : jetzt ein BKA-Gesetz gemacht werden. Das Bundeskri- Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der FDP-Frak- minalamt muss die zur Terrorbekämpfung notwendigen tion, Dr. Guido Westerwelle. Instrumente an die Hand bekommen. Dazu gehört nach meiner Auffassung und der meiner Fraktion auch die (Beifall bei der FDP) Onlinedurchsuchung in einem ganz klaren rechtlichen Rahmen: Ohne Richter geht nichts, aber mit Richter Dr. Guido Westerwelle (FDP): muss die Onlinedurchsuchung auch in eng begrenzten Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Fällen möglich sein. ren! So wie Herr Kollege Kauder Bilanz gezogen hat über die ersten zwei Jahre dieser Regierung – wir wer- (Beifall bei der CDU/CSU) den sehen, wie viele denen noch folgen werden; jeden- Herr Kollege Struck, wir haben uns gestern nicht einigen falls ist klar, dass mindestens die Hälfte der größten an- können. Wir bleiben aber im Gespräch. zunehmenden Amtszeit dieser Koalition herum ist –, so wollen auch wir Bilanz ziehen. Ich möchte mit dem be- Die Große Koalition muss auf die wirklich dramati- ginnen, was uns in diesem Hause verbindet. sche Sicherheitslage die richtige Antwort finden, damit die Menschen wissen: Sie können sich auf uns auch in Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Sie ha- dieser schwierigen Situation verlassen. Deswegen rate ben in diesen ersten zwei Jahren wirklich große außen- ich dringend dazu, dass wir als Gesetzgeber – auf uns politische Herausforderungen meistern müssen. Das kommt es ja an – nicht ein schlecht gemachtes Gesetz in waren in diesem Jahr die EU-Ratspräsidentschaft und einem Bundesland zur Benchmark unserer Entscheidun- die G-8-Präsidentschaft. Wir möchten ausdrücklich an- gen machen und nicht sagen: Wir warten einmal darauf, erkennen, dass die Regierung Merkel/Steinmeier in der bis in Karlsruhe etwas geschieht. – Nicht Karlsruhe trägt Außen- und Europapolitik klug und überzeugend ge- die Verantwortung für die innere Sicherheit, sondern der arbeitet hat. Wir sind froh darüber, dass diese Regierung Deutsche Bundestag und insbesondere diese Große auch Irrtümer der früheren rot-grünen Regierung korri- Koalition. Ich hoffe, dass wir hier sehr bald zu Ergebnis- giert hat. Wir begrüßen, dass sie das transatlantische sen kommen können. Verhältnis wieder ins Lot gebracht hat. Wir finden es richtig, dass diese Regierung, anders als die Regierung (Beifall bei der CDU/CSU) Schröder/Fischer, beim Thema Menschenrechte, übri- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, diese Große gens auch in Moskau, wieder den aufrechten Gang Koalition hat ein schweres Stück Arbeit hinter sich, vor pflegt. Wir erkennen das an. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11501

Dr. Guido Westerwelle (A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Sie rufen, das sei Demokratie. Aber dieser Deutsche (C) der CDU/CSU) Bundestag hat kein imperatives Mandat. In Fragen unse- res Friedens und unserer Sicherheit, in Fragen des Af- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden ghanistan-Einsatzes erfüllen Sie bitte nicht, quasi als uns darüber einig sein, dass damit die außenpolitischen ausführendes Organ, das, was Parteitage beschließen! Aufgaben dieser Regierung und, sofern es um Sicher- Sie sind Ihrem Gewissen verpflichtet, wenn es in diesem heitsfragen geht, des Deutschen Bundestages nicht ab- Hohen Hause um Krieg und Frieden geht, und nichts an- schließend behandelt sind. Wir haben noch außenpoliti- deres steht hier zur Abstimmung. sche Aufgaben vor uns. Ich will zwei Bemerkungen machen und dann etwas Grundsätzlicheres sagen. (Beifall bei der FDP) Wir wissen, dass in Deutschland immer noch, gewis- Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich da- sermaßen als Überbleibsel des Kalten Krieges, amerika- rauf aufmerksam machen, dass wir als FDP-Fraktion na- nische atomare Waffen stationiert sind. Wir fordern hezu geschlossen – es wird immer abweichende Meinun- auch von dieser Stelle aus die Regierung auf, in Gesprä- gen geben; das wirft ja auch niemand irgendjemandem chen mit unseren Verbündeten auf den vollständigen Ab- vor zug dieser atomaren Waffen hinzuarbeiten. (Lachen bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie – natürlich nicht; aber es ist notwendig, dass wir zu einer bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Entscheidung kommen – unterstützen, dass das Engage- GRÜNEN) ment, auch Deutschlands, in Afghanistan fortgesetzt Diese Atomwaffen könnten von ihrer Reichweite her nur wird. unsere unmittelbaren Nachbarn, die mit uns in einer Man liest gelegentlich, nichts sei gewonnen, nichts Europäischen Union verbunden sind, treffen. Es ist sei gelungen, alles sei verloren. Herr Kollege Kauder, Ihr höchste Zeit, dass diese Waffen abgezogen werden. Vergleich mit Vietnam, den Sie soeben gezogen haben, (Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie ist in meinen Augen sehr unzutreffend. Denn im Falle bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vietnams ging es um eine Konfrontation von Blöcken. Hier geht es darum, dass eine friedliche Völkergemein- Schließlich ist es aus unserer Sicht nach wie vor er- schaft gemeinsam den Terrorismus besiegen will. Das ist forderlich, dass Sie fortsetzen, was Sie begonnen haben: ein fundamentaler Unterschied; der historische Vergleich Die Raketenstationierungspläne im Rahmen der soge- passt in keiner Weise. nannten Raketenabwehr in Tschechien und Polen dür- fen nicht nur als Angelegenheit der NATO, insbesondere (Beifall bei der FDP) (B) (D) nicht nur als Angelegenheit von Prag, Warschau und Umgekehrt muss denjenigen, die schreiben, es sei Washington, behandelt werden, sondern müssen als ge- nichts gewonnen, von dieser Stelle aus noch einmal ge- samteuropäisches Anliegen angegangen werden. Wir sagt werden: In Afghanistan werden keine Menschen Europäer haben kein Interesse daran, dass auf dem euro- mehr aufgehängt, weil sie Fußball spielen. Frauen wer- päischen Kontinent, gewissermaßen vor der Haustür den nicht mehr unterdrückt. Frauen, die vergewaltigt Deutschlands, ein neuer Rüstungswettlauf beginnt. worden sind, werden nicht mehr gesteinigt, nach dem (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Motto: selber schuld. Die Menschen werden nicht mehr der LINKEN) an Kränen hochgezogen, möglichst langsam, damit der Weg zum Tod besonders qualvoll ist. Ich möchte an dieser Stelle auch etwas zu dem Afghanistan-Einsatz sagen. Frau Bundeskanzlerin, Sie Das sind in Wahrheit die Bilder und die Dinge, mit haben sehr klare Worte gefunden. Man hat spüren kön- denen man sich auseinandersetzen muss. Wer heute be- nen, dass diese Worte in Wahrheit nicht an die Opposi- hauptet, in Afghanistan sei nichts gewonnen, alles sei tion gerichtet waren; bei dieser Frage gibt es, jedenfalls verloren, der vergisst, wie viele menschliche Schicksale in weiten Teilen, eine große Übereinstimmung in diesem unter den Taliban grausam zu Ende gekommen sind. Hause. Sie haben Ihr klares Bekenntnis zur Fortsetzung (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem des militärischen Engagements in Afghanistan in Wahr- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- heit vor allen Dingen an die eigenen Reihen gerichtet, an geordneten der SPD) die Damen und Herren der Unions- und der SPD-Frak- tion, insbesondere der SPD-Fraktion. Wir hatten ur- Deswegen bleiben wir dabei: Das ist ein humanitärer sprünglich vor, in der Frage der Afghanistan-Politik im Auftrag der Menschlichkeit, der hier notwendig ist; er Oktober im Rahmen einer großen Debatte hier über alle muss militärisch geschützt werden. Kein Entwicklungs- drei Mandate zu entscheiden. Es ist ein trauriges Ergeb- helfer könnte in Afghanistan wirken und arbeiten, wenn nis, dass, weil die SPD sich selbst nicht einig ist, bei es nicht den Schutz der Soldaten gäbe. Sie alle wären einer so fundamentalen Frage unserer nationalen Sicher- längst umgebracht worden; das gilt gerade für die westli- heit jetzt ein zerstrittener SPD-Parteitag abgewartet wer- chen Entwicklungshelfer. den muss, bevor dieses Hohe Haus entscheiden kann. In diesem Zusammenhang sage ich aber eines ganz Führungskunst sieht anders aus. klar – Herr Verteidigungsminister, ich halte es für not- (Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Das wendig, dass Sie das in Ihren Gesprächen ausdrücklich ist Demokratie!) zum Thema machen –: Wir verbitten uns die wiederhol- 11502 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Guido Westerwelle (A) ten öffentlichen Belehrungen des NATO-Generalsekre- Ich persönlich habe da ein Déjà-vu: Bundeskanzler (C) tärs. Der Deutsche Bundestag ist nicht ausführendes Or- Schröder 1999/2000. Das war genau dasselbe. Heute gan des Generalsekretärs der NATO. Es ist ja wohl noch streiten Sie sich darüber, ob es ein Schröder-Auf- so, dass er ein Angestellter der NATO ist und wir nicht schwung oder ein Merkel-Aufschwung ist. Damals war seine Befehlsempfänger sind. Herr Schröder frisch im Amt, und schon war es sein Aufschwung. Das ist besonders gefährlich, gerade in ei- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ner heiklen weltwirtschaftlichen Situation; wenn das der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNIS- nämlich Ihr Aufschwung ist, Frau Merkel, dann ist der SES 90/DIE GRÜNEN) nächste Abschwung auch Ihr Abschwung. Der nächste Das muss klar zum Ausdruck gebracht werden. Abschwung kommt bestimmt. Es wäre besser, wir wür- den jetzt strukturelle Reformen durchsetzen, damit uns Frau Bundeskanzlerin, so wie die Regierung in der der nächste Abschwung nicht doppelt hart trifft. Außen- und Europapolitik eine überwiegend erfolgrei- che Bilanz vorweisen kann, so ist es erstaunlich, dass Sie (Beifall bei der FDP) sich in der Innenpolitik von dem, was Sie einmal in Ih- rer ersten Regierungserklärung als Motto Ihrer Regie- Wir sind immer noch nicht gut aufgestellt. Wir sind aus rungsarbeit ausgegeben haben, vollständig verabschiedet der konjunkturellen Krise heraus; aus der strukturellen haben. Die erste Regierungserklärung von Bundeskanz- Krise sind wir es noch lange nicht. lerin Angela Merkel in diesem Hohen Hause hatte die Sie haben nicht mehr Freiheit gewagt. Vielmehr ha- Überschrift: Mehr Freiheit wagen. Zwei Jahre später ste- ben Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Bundesregie- hen Sie zur Bilanz an diesem Pult, und das Motto „Mehr rung in Wahrheit mehr Unfreiheit über die Menschen ge- Freiheit wagen“ kommt nicht einmal mehr als rhetori- bracht, und zwar schon allein, was das persönliche sche Floskel bei Ihnen vor, geschweige denn, es würde Verfügen der Bürgerinnen und Bürger über ihr Einkom- mit Inhalt gefüllt. men angeht. Sie verantworten die größte Steuererhö- (Beifall bei der FDP) hung in der Geschichte dieser Republik. Noch keine Regierung vorher hat eine so hohe Steuererhöhung be- Das ist aus unserer Sicht ein Kardinalfehler dieser Re- schlossen: Mehrwertsteuer, Versicherungsteuer, Pendler- gierung. pauschale, Sparerfreibetrag, Eigenheimzulage und vieles Beide Koalitionsfraktionen haben sich in Wahrheit mehr. von dem verabschiedet, was ihnen mittlerweile peinlich Durch Ihre Politik steigen die Rentenbeiträge, die ist. Die SPD verabschiedet sich unter Schmerzen und Beiträge zur Krankenversicherung und die Beiträge zur lautem Getöse von der Agenda 2010. Die Union verab- (B) Pflegeversicherung. Mit anderen Worten: Eine vierköp- (D) schiedet sich von den Beschlüssen ihres Leipziger Re- fige Familie in Deutschland wird in diesem Jahr im formparteitages, leise, aber leider auch konsequent. Bei- Durchschnitt um 1 400 Euro mehr belastet als im Jahr des sind historische Fehler. zuvor. Man kann noch verstehen, dass Sie sagen, der Auf- (Dirk Niebel [FDP]: Pfui!) schwung in Deutschland komme von Ihrer Politik; wenn Sie das ernsthaft glauben, dann hat Deutschland wirklich Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass die Mehr- ein Problem. heit der Deutschen das Gefühl hat, der Aufschwung gehe an ihnen vorbei. Sie müssen endlich einmal diejenigen (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP) entlasten, die dieses Land tragen, die den Karren ziehen. Ihre ganzen guten Zahlen sind das Ergebnis einer fabel- Sie reden über Heuschrecken und über Unterschichten. haften weltwirtschaftlichen Entwicklung. Statt sich mit Aber denken Sie doch einmal an die Mitte dieses Lan- fremden Federn zu schmücken, müsste sich Deutschland des, die als Leistungsträger überhaupt erst dafür sorgt, die Frage stellen: Wie kann es eigentlich sein, dass die dass dieser ganze Wohlstand einschließlich der sozialen Weltwirtschaft seit vier Jahren wächst und der Auf- Gerechtigkeit erwirtschaftet werden kann. Auch diese schwung erst jetzt in Deutschland ankommt? Menschen müssen einmal etwas vom Aufschwung ha- ben. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Die Zeitverzögerung zeigt uns doch, dass wir strukturell immer noch nicht richtig aufgestellt sind. Herr Kollege Lafontaine, intellektuell hat Ihre Rede – das muss Ihnen jetzt nicht peinlich sein – mit den Re- Sie haben hier die Erfolgsbilanz vorgetragen. Sie ha- den der Damen und Herren der Regierungsfraktionen ei- ben in Ihrer Rede ausdrücklich gesagt: Erst einmal war nes gemeinsam: Sie alle setzen soziale Gerechtigkeit mit es die Regierung, dann waren es die arbeitenden Men- staatlicher Umverteilung gleich. Für Sie wächst die so- schen. Das ist eine interessante Reihenfolge. Die Art, ziale Gerechtigkeit eines Landes, wenn die Umvertei- wie Sie das hier vortragen, zeugt von einem interessan- lung durch den Staat wächst. ten Selbstverständnis. Der entscheidende Punkt ist: Sie sagen, das sei Ihr Aufschwung. (Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Nein!) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das hat kei- Deswegen sieht der Haushalt auch so aus. Noch niemals ner gesagt, Herr Kollege Westerwelle! Sie wi- in der Geschichte hat es einen Haushalt mit derart hohen derlegen eine nicht gemachte Behauptung!) Steuereinnahmen gegeben. Übrigens wird immer mehr Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11503

Dr. Guido Westerwelle (A) in den Sozialstaat hineingezahlt, obgleich die Arbeitslo- bis zur Bahre Formulare, Formulare. Wenn das, was Sie (C) sigkeit zurückgeht. Trotzdem kommt bei den tatsächlich beschlossen haben, Realität wird, dass nämlich die Da- Bedürftigen weniger an. Dass die Kinderarmut wächst, ten des Steuerzahlers auch noch 20 Jahre nach dem Tod obwohl die Ausgaben für den Sozialstaat steigen, zeigt gespeichert werden sollen, dann heißt es: Von der Wiege doch eines: Soziale Gerechtigkeit hängt vor allen Dingen bis zur Bahre plus 20 Jahre Formulare, Formulare. Das von der Treffsicherheit der Maßnahmen und nicht von ist es, worüber wir reden. All das ist nicht „mehr Freiheit dem Umverteilungsquotienten in dieser Republik ab. wagen“. Das ist in Wahrheit mehr Unfreiheit. Unter Frei- heit verstehen wir nicht die Freiheit von Politikern, hier (Beifall bei der FDP) ihren Lieblingsprojekten nachgehen zu können. Unter Herr Kollege Lafontaine, ich kann verstehen, dass Sie Freiheit verstehen wir die real existierende Freiheit der dem nicht zustimmen wollen. Es würde mich anderer- Bürgerinnen und Bürger, und zwar einschließlich der so- seits auch einigermaßen schockieren. Wenn Sie die zialen Freiheit vor Not. Aus unserer Sicht ist das völlig Frage stellen: „Wer ist Deutschland?“, so rufe ich Ihnen klar. zu: Auch Sie, Herr Lafontaine, sind Deutschland. (Beifall bei der FDP) (Zuruf von der CDU/CSU: Kuba!) Mehr Freiheit wagen müsste heute bedeuten, For- Das ist manchmal schwierig, aber auch Sie sind schung und neue Technologien zu unterstützen. Darauf Deutschland. – Übrigens nicht Kuba, Herr Lafontaine. gehen Sie aber gar nicht mehr ein. Das ist für eine Natur- Kuba ist es nicht. wissenschaftlerin erstaunlich. Ich weiß ja, dass Sie das anders sehen. Aber so, wie Sie beim Thema Afghanistan (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei mit Ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten, könnten Abgeordneten der CDU/CSU) Sie doch auch einmal beim Thema neue Technologien Meine Damen und Herren, Sie haben eben nicht mehr die Meinungsführerschaft übernehmen. Gerade als Na- Freiheit gewagt, wenn es um die Lebenslage unserer turwissenschaftlerin könnten Sie etwas mehr den Ver- Bürgerinnen und Bürger geht. Sie haben die Steuern er- stand einschalten. höht, die Beiträge steigen, und das nennen Sie Reform. (Beifall bei der FDP) Da ist es kein Wunder, dass das Wort Reform allmählich zu einem Angstbegriff in der Bevölkerung wird. Die Bio- und Gentechnologie werden weiter abgewi- ckelt. Das Gentechnikgesetz könnte genauso gut von Mehr Freiheit wagen bedeutet aber zu Beginn dieser Frau Künast geschrieben worden sein. Es steht jetzt nur mutmaßlich zweiten Hälfte der Legislaturperiode leider Seehofer darunter. auch eine erhebliche Diskussion über den Abbau von (B) Bürgerrechten in Deutschland. Onlinedurchsuchungen (Dirk Niebel [FDP]: Die sehen sich auch im- (D) von privaten Computern, bis hin zu der Tatsache, dass mer ähnlicher!) der Bundesinnenminister öffentlich über die Unschulds- Es hat sich substanziell nichts geändert. vermutung diskutiert, das öffentliche Erörtern des Tö- tens auf Verdacht, all das hat in diesen Monaten stattge- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: funden. Von einem Verfassungsminister erwarten wir Jetzt wird es ungenau!) etwas anderes. Das wollte ich zu den neuen Technologien sagen. Ich Wenn Sie, Frau Bundeskanzlerin, sagen – denn auch kann diesen Bereich leider nur streifen. Auch Sie kennen Sie haben den Protest in Ihren eigenen Reihen gehört –, das Problem mit der kurzen Redezeit. es gebe keine Denkverbote, so ist das in meinen Augen Wir bedauern, dass bei der Kernkraft in Wahrheit ein seltsames Amtsverständnis. Sie tun so, als ob der In- Stellvertreterdiskussionen stattfinden. Ich möchte einmal nenminister ein Philosoph wäre, der ein paar Steine ins zitieren, was der alte Bundeswirtschaftsminister – so alt Wasser werfen könnte, und anschließend darf er sich an ist er noch gar nicht; jedenfalls ist er sehr jung im den Wellen ergötzen. Von einem Innenminister erwarten Kopf –, Wolfgang Clement, in diesem Monat geschrie- wir, dass er Freiheit und Sicherheit sieht. Man kann die ben hat: Freiheit der Bürger nicht schützen, indem man sie auf- gibt, meine Damen und Herren. Das ist ein kardinales Dessen ungeachtet betreibt die Bundesregierung, Missverständnis, das bei Ihnen vorherrscht. namentlich der Umweltminister, einen in Europa einmaligen Kreuzzug gegen die heimischen Ener- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gieunternehmen und eine beispiellose Verteufe- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE lungskampagne gegen die Nutzung der Kernener- GRÜNEN) gie. Wir haben einen dramatischen Abbau von Bürger- Er fügte übrigens hinzu: rechten zu verzeichnen. Mich wundert, dass das in dieser Die gelernte Physikerin im Kanzleramt jedenfalls Debatte überhaupt kein Thema mehr ist. Stichwort glä- lässt die Dinge … treiben. serner Bankkunde: Das Bankgeheimnis ist faktisch auf- gehoben; man muss es so sagen. Wir erleben, dass der Präsident Putin hat in Australien Uranverträge abge- gläserne Patient vorbereitet wird. Die Datenschützer ha- schlossen und kündigt an, er baut zu Hause 30 neue ben sich eindeutig geäußert. Jetzt gibt es auch noch den Kernkraftwerke. China will bis zum Jahre 2020 jedes gläsernen Steuerbürger. Früher hieß es: Von der Wiege Jahr ein Kernkraftwerk bauen. Frankreich fordert uns 11504 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Guido Westerwelle (A) auf, endlich von unserem Ausstiegskurs Abschied zu men. Das genau ist der Grund, warum es in Deutschland (C) nehmen, weil es dem Klimaschutz dient. Wenn man sich falsch läuft. Die Zeche zahlen die Bürger, weil die Steu- diese Tatsachen vor Augen führt, dann ist es schlichtweg ern steigen. Der Staat hat nicht zu wenig Geld, er hat ge- Geisterfahrerei, dass Sie nur noch eines in der Energie- nug Geld. Er verplempert es aber in Bereichen, aus de- politik im Schilde führen, nämlich diese Erfolgstechno- nen er sich besser raushalten sollte. Das ist das logie in Deutschland abzuwickeln. Wir brauchen beides: eigentliche Problem in diesem Lande. regenerative Energien – ja, dafür sind wir – und die (Beifall bei der FDP) friedliche Nutzung der Kernenergie, auf die wir im Inte- resse des Umweltschutzes und der Wirtschaft nicht ver- Das haben wir alles schon einmal gehabt: Hans im zichten können. Glück! Peer im Glück! Wir wissen, wie es kam: Die UMTS-Lizenzen wurden versteigert, und 100 Milliar- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Mark kamen rein. Die Strukturen wurden aber nicht der CDU/CSU) verändert, und ein Jahr später hatten wir 5 Millio- Schließlich geht es um die Frage, ob wir in Deutsch- nen Arbeitslose und die Staatsfinanzen waren völlig ka- land denn wirklich die Kurve gekriegt haben oder ob wir putt. Man müsste jetzt die gute Chance nutzen, jetzt die sie noch kriegen müssen. Sie sprechen von der Transpa- gute Konjunktur nutzen, um die für Deutschland wichti- renz der Finanzmärkte; es ist vernünftig, dass Sie die- gen Hausaufgaben zu erledigen, damit wir, wenn es ses Thema ansprechen. Sie sollten aber nicht so tun, als schlechter läuft, vorgesorgt haben, damit auch dann noch sei es damit getan, ein paar Regeln vorzuschlagen, und die Staatsfinanzen stimmen, damit auch dann noch Ar- das Thema sei damit auf internationaler Ebene erledigt. beitsplätze geschaffen werden, damit auch dann noch in- Das ist unsachlich. Wenn Sie zu Recht anmahnen, dass vestiert wird. die internationalen Finanzmärkte im Sinne von größerer Deswegen ist Ihr Beitrag zur Diskussion über die Transparenz kontrolliert werden müssen – es wird Sie Erbschaftsteuer nur als rückwärtsgewandt zu bezeich- wundern, aber Sie hätten uns auf Ihrer Seite –, dann sage nen. Österreich, Frankreich, alle zeigen uns, wie es geht. ich Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie dort anfangen Sie schaffen die Erbschaftsteuer faktisch ab, und wir ha- müssen, wo Ihre eigene Regierung etwas zu sagen hat, ben nicht einmal den Mut, die Verantwortung für die nämlich bei den Staatsbanken, die im Augenblick auf Erbschaftsteuer denen zu übertragen, die die Steuerein- den Finanzmärkten ein heilloses Durcheinander zulasten nahmen erhalten, nämlich den Ländern. Wo ist eigent- des deutschen Mittelstandes anrichten. lich Ihr föderales Bewusstsein, Männer und Frauen des (Beifall bei der FDP) Deutschen Bundestages? (Beifall bei der FDP) (B) KfW, IKB und Sachsen LB sind die Stichworte, die (D) Sie alle kennen. Wer über Finanztransparenz spricht, Sie sagen: 2011 ausgeglichener Haushalt. Es gibt eine sollte also erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. einfache Regel: Was du heute kannst besorgen, das ver- Da, wo Sie Macht haben, müssen Sie sie einsetzen. Das schiebe nicht auf morgen! Denn wer weiß, wie die Kon- tut der Finanzminister bedauerlicherweise nicht. junktur im Jahr 2011 aussehen wird? Das ist zwar alles (Beifall bei der FDP) wohlfeil, aus unserer Sicht ist die Richtung aber falsch. Man kann festhalten, dass Sie in diesem Bundeshaus- Es ist schon verrückt, wofür diese Regierung Geld halt im Grunde genommen eine weitere Umverteilungs- hat. Wir geben China und Indien Entwicklungshilfe, politik beschließen. Sie steigern die Einnahmen über hö- nennen es nur nicht mehr so. Syrien – ausgerechnet Sy- here Steuern und machen trotzdem noch Schulden. Das rien – werden auf der Reise der Entwicklungshilfeminis- widerlegt übrigens auch Ihre These, es sei eine solide Fi- terin mal eben 44 Millionen Euro zugesagt. Die Stein- nanzpolitik. Die junge Generation kann sich nur grausen, kohlesubventionen steigen, werden nicht etwa abgebaut. wenn sie sieht, dass die Steuern steigen und trotzdem Die Subventionen insgesamt steigen. Denken Sie an die noch mehr Schulden gemacht werden. Der Finanzminis- Wirtschaftszuwendungen! Auch sie werden nicht abge- ter sagt, er gibt uns einen aus, wenn es schon im Jahr baut. Der allergrößte Hammer ist, dass Sie sogar bei den 2010 einen ausgeglichenen Haushalt gibt. Er sagt das Investitionen Ihren Aufgaben nicht nachkommen. Ich nur, weil er weiß, dass er dann nicht mehr Finanzminis- hätte mir nie vorstellen können, dass eine schwarz-rote ter ist. Regierung für Investitionen in den Straßenbau weniger ausgibt als eine rot-grüne zum Schluss ihrer Amtszeit. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Wir wollen es umgekehrt machen: Herr Steinbrück, wir geben Ihnen einen aus, wenn Sie es in dieser Legis- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: laturperiode noch angehen, einen ausgeglichenen Haus- Herr Westerwelle, kommen Sie bitte zum Schluss. halt zu erreichen. Mit etwas mehr Ehrgeiz könnten Sie es schaffen. Dr. Guido Westerwelle (FDP): (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Sofort. Sie schaffen es aber nicht, weil die Devise dieser Regie- Dagegen geben Sie viel Geld für Presse- und Öffent- rung lautet: Bekommt ein schwarzer Minister mehr lichkeitsarbeit aus. Das ist wohl wahr. Da steigern Sie Geld, muss auch ein roter Minister mehr Geld bekom- die Ausgaben. Allein im Auswärtigen Amt steigt die Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11505

Dr. Guido Westerwelle (A) Zahl der Mitarbeiter für Presse- und Öffentlichkeitsar- gesagt, das könne er sich gut vorstellen. Ich bin dafür, (C) beit von 45 auf 113. Und da rätselt die Presse noch, wer dass wir schnell zu einer Vereinbarung über ein solches Kanzlerkandidat wird. Sie brauchen sich doch nur den Vorgehen der Innenminister in Bund und Ländern kom- Haushalt anzusehen. Sie müssen nur schauen, wo Pres- men. sesprecher eingestellt werden, dann wissen Sie schon Bescheid. Fragen Sie mich doch! Ich sage es Ihnen doch. (Beifall bei der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Herr Westerwelle hat zum Thema Afghanistan ange- merkt, dass hier ein gewisses Durcheinander herrsche. Auch der Kollege Struck hat gesagt, dass es darum Das kann ich nicht wahrnehmen. Allerdings sind ein geht, ab 2009 einen sozialdemokratischen Kanzler zu paar Informationen, die er als Ausgang seiner Bemer- haben. kungen genannt hat, falsch. Es handelt sich um die Infor- (Dr. Peter Struck [SPD]: Ich bitte darum!) mation, dass wir alle hier uns verabredet hätten, im Herbst alle drei Mandate auf einmal zu verlängern. Ich Ab sofort wartet Deutschland nur noch gespannt auf die war an einer solchen Verabredung nicht beteiligt. Ich Antwort auf die Frage: Wer soll es denn werden? kenne auch niemanden, der solch eine Verabredung ge- (Dr. Peter Struck [SPD]: Kann ich Ihnen sa- troffen hat. Es ist vielmehr umgekehrt. Wir haben ge- gen, Herr Westerwelle!) sagt: Dann, wenn diese Mandate auslaufen und ihre Ver- längerung ansteht, soll auch darüber entschieden Wir würden es an dieser Stelle gerne einmal hören. Dann werden. Das ist genau der Weg, den man mit großer Be- können wir weiterreden. sonnenheit für die Zukunft dieses Einsatzes gehen muss. Wir müssen alles dann entscheiden, wenn es an der Zeit Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ist, und nicht dann, wenn irgendjemand es auf den Ter- Herr Westerwelle! minplan setzt. (Beifall bei der SPD) Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ein letzter Satz, bitte, Herr Präsident. Große Debatten zu diesem Thema hat es übrigens auch außerhalb dieses Hauses gegeben. Die SPD-Bun- Es ist, wie es immer ist. destagsfraktion hat sich sehr sorgfältig vorbereitet. Wir (Dr. Peter Struck [SPD]: Schau’n wir mal!) haben vor der Sommerpause in mehreren langen Sitzun- gen darüber diskutiert. Viele unserer Abgeordneten – und Das Erstaunliche aber ist, dass es bei Ihnen schon nach nicht nur diejenigen, die in den zuständigen Ausschüs- zwei Jahren so ist. Die Große Koalition ist zwar eine (B) sen Mitglied sind – sind nach Afghanistan gefahren und (D) Zwangsehe, aber schon nach zwei Jahren geht es SPD haben sich dort ein eigenes Bild verschafft. Wir haben und Union in dieser Regierung wie einem alten Ehepaar: jetzt auch noch mit Vertretern der afghanischen Regie- Sie werden sich immer ähnlicher. Es ist ihnen Gott sei rung diskutiert. Das war für uns alle sehr beeindruckend. Dank noch peinlich. Deshalb sind wir auf die Anträge der Bundesregierung Vielen Dank. gut vorbereitet. Wir sind auch sicher, dass es vernünftig ist, diesen Anträgen zuzustimmen. Das ist jedenfalls die (Anhaltender Beifall bei der FDP) Meinung der Führung der Fraktion der SPD und der Bundesregierung. Ich glaube, dass es auch so kommen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wird, wenn die Entscheidungen jeweils anstehen. Das Wort hat der Kollege Olaf Scholz von der SPD- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Fraktion. der CDU/CSU)

Olaf Scholz (SPD): Herr Westerwelle, es macht keinen Sinn, von Füh- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vor- rungsunsicherheit zu sprechen, wenn man selber zum bemerkung: Es ist heute schon mehrfach über die Frage Beispiel in der Frage UNIFIL ein großes Durcheinander gesprochen worden, wie wir mit rechtsextremistischen organisiert hat. Ich jedenfalls erinnere mich an eine Äu- Entwicklungen in diesem Lande umgehen und was wir ßerung von Herrn Niebel, der gesagt hat, die FDP wolle gegen das Wirken der NPD tun können, dagegen, dass dem Mandat zustimmen. eine Partei mit öffentlichen Geldern rechtsextremisti- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Sie erinnern sches Gedankengut verbreiten kann und die Organisa- sich falsch!) tionsstrukturen für rechtsextremistische Tätigkeiten lie- fert. Der Fraktionsvorsitzende der SPD hat heute gesagt, Dann erinnere ich mich an Aufrufe aus China von Herrn was uns alle gemeinsam bewegt: Wir müssen eine gute Hoyer, dass das alles so nicht gehen kann. Jetzt ist es Untersuchung haben. Die Ämter für Verfassungsschutz wieder so, dass Sie sich diesem Mandat nicht unterstüt- in den Ländern und das Bundesamt sollen in den nächs- zend zur Seite stellen können. Das ist ein bisschen symp- ten sechs Monaten einen Bericht vorlegen, aus dem wir tomatisch. ersehen können, was für verfassungswidrige und verfas- (Dr. Peter Struck [SPD]: Durcheinander!) sungsfeindliche Aktivitäten die NPD betreibt, ohne dass auf nachrichtendienstliche Quellen zurückgegriffen wer- Denn es ist so: Einerseits wollen Sie zeigen, dass Sie den muss. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat eine vernünftige außenpolitische Linie haben. Anderer- 11506 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Olaf Scholz (A) seits suchen Sie kleine Punkte, bei denen Sie zeigen kön- Ich bin übrigens dafür, dass wir dieses Vorhaben noch (C) nen, dass Sie auch anderer Meinung sind. Ich finde, das in dieser Legislaturperiode in Angriff nehmen. Wenn wir ist nicht führungsstark, sondern ein Durcheinander. Sie einen geeigneten Weg finden, sollte der Beschluss, den sollten das in Ordnung bringen. wir dann fassen, auch für die nächste Legislaturperiode gelten. Denn das würde dazu führen, dass manche Pläne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Hinblick auf den nächsten Bundestagswahlkampf, der CDU/CSU und des Abg. Volker Beck über die schon jetzt berichtet wurde, gleich wieder in [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) den Schredder wandern könnten. Sanieren, Reformieren und Investieren und dabei die (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja, das stimmt!) Lasten gerecht auf die Schultern verteilen – das ist das Motto des Koalitionsvertrages. Sanieren, Reformieren All die Versprechungen von Steuersenkungen, die und Investieren und dabei die Lasten gerecht auf alle von dem einen oder anderen gemacht worden sind, pas- Schultern verteilen – das ist auch das Thema der Regie- sen nicht zur öffentlichen Debatte über die Einführung rungstätigkeit der Sozialdemokraten seit 1998. Wenn im einer Schuldenbremse. Ich glaube, dass in manch einer nächsten Jahr die Sozialdemokratische Partei die Regie- Parteizentrale – das sage ich insbesondere mit Blick auf rung dieses Landes seit zehn Jahren getragen haben unseren Koalitionspartner – neue Pläne erarbeitet wer- wird, wird man die große Konstanz der sozialdemokrati- den müssten, wenn wir im Rahmen der Föderalismusre- schen Bemühungen feststellen. An der Stelle hat Herr form beschließen, eine Schuldenbremse einzuführen. Westerwelle recht: Was die Kanzlerin heute gesagt hat, (Beifall bei der SPD) hätte sie auf dem Leipziger Parteitag als CDU-Vorsit- zende nicht gesagt; aber heute hat sie recht. Das finden Die Bürgerinnen und Bürger würden dann allerdings ei- wir Sozialdemokraten in Ordnung. nen fairen Wahlkampf erleben. Denn jeder von uns wüsste: Es erwischt ihn, wenn er den Mund zu voll (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nimmt. Sanierend, reformierend und investierend Meine Damen und Herren, wir haben die sozialen Si- cherungssysteme saniert. Wir haben dafür gesorgt, dass (Jürgen Koppelin [FDP]: Und abkassierend!) die Höhe der Einnahmen und die Höhe der Ausgaben wieder zusammenpassen und dass die Beitragssätze, die ist es uns gelungen, unser Land wieder zukunftsfähig zu für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und für Unter- machen. Ich finde, dass man das feststellen darf und nehmen gelten, zwar hoch sind – keine Frage –, aber muss, auch wenn man gleichzeitig erkennen kann, dass doch so erträglich, dass sie bereit sind, bei diesen Schrit- (B) ein großer Teil unserer Menschen von dieser besseren ten mitzumachen, und dass die Leistungen, die davon fi- (D) Entwicklung noch nichts mitbekommen hat. Es ist ab- nanziert werden, so vernünftig sind, dass man sich auf surd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist gut. Aber den Sozialstaat in diesem Lande verlassen kann. es ist genauso absurd, eine Rede zu führen, die lautet: Alles ist schlecht. Keinem, der eine solche Rede hält, (Dr. Peter Struck [SPD]: Richtig!) kann man irgendetwas glauben. Kein Bürger und keine Wir haben – auch das gehört zu den Reformen – die Bürgerin kann auf einen Politiker, der so ein undifferen- Arbeitsvermittlung reformiert. Recht haben all die, die ziertes Zeug erzählt, setzen. Die große Zahl der Bürger sagen: Deutschland hat vor allem deshalb ein Problem, wird das auch nicht tun. weil es so viele Menschen gibt, die lange Zeit arbeitslos (Beifall bei der SPD) sind. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass wir es als unsere wichtigste Aufgabe ansehen, die Bundesagentur Selbstverständlich ist es unsere gemeinsame Aufgabe, für Arbeit zur am besten funktionierenden öffentlichen unsere Erfolge zu beschreiben, weil sie der Ansporn für Institution zu machen, die den Menschen zur Seite steht die nächste Zeit sind, und gleichzeitig zu sagen, dass und ihnen durch die Arbeitsvermittlung hilft, dem noch etwas zu tun ist, damit alle Menschen in diesem Schicksal der Arbeitslosigkeit zu entrinnen. Lande am Aufschwung teilhaben können. Aufschwung für alle, auch das ist eine sozialdemokratische Forde- Zur Politik, die seit 1998 gemacht wurde, gehört unter rung, die viele andere jetzt übernommen haben. der Überschrift „Sanieren, Reformieren, Investieren“ auch, dass wir die Betreuung der Kinder verbessert und (Beifall bei der SPD) den Ländern und Gemeinden beim Aufbau des Systems der Kinderbetreuung geholfen haben. Das ist die Grund- Meine Damen und Herren, zu unserer Tätigkeit seit lage für die Situation, in der wir uns heute befinden. 1998 gehört, dass wir die Haushalte strukturell konsoli- diert haben und damit die Grundlage dafür geschaffen Mir ist wichtig, zu betonen, dass wir dabei so vorge- haben, dass der Staat seine Aufgaben im Interesse unse- gangen sind, wie es auch Unternehmen, die in einer wirt- res Gemeinwesens auch in Zukunft erfüllen kann. Ich schaftlichen Krise sind, tun. Ein Unternehmen, das in ei- glaube, wir sollten bei dieser Haltung bleiben. Deshalb ner wirtschaftlich schwierigen Situation ist, muss saniert begrüße ich sehr, dass sich im Rahmen der Beratungen werden; es muss neu aufgestellt werden – auf unserem der Föderalismuskommission unter dem Stichwort Feld heißt das, dass es Reformen geben muss –, und es Schuldenbremse offenbar ein Konsens abzeichnet. muss in die Zukunft investieren, damit es auch dann gut funktioniert. Genau das haben wir in Bezug auf unser (Joachim Poß [SPD]: Ja!) Land geschafft. Bei einem Unternehmen, das seine Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11507

Olaf Scholz (A) Sanierung erfolgreich bewältigt hat, spricht man davon, Ausbau von Maßnahmen geht. Deshalb hat der Partei- (C) dass ein Turnaround stattgefunden hat. Ziel von Sanie- vorsitzende der SPD völlig recht, wenn er sagt, die Zeit rungen, Neuaufstellungen und Investitionen ist die Um- der Zumutungen sei vorbei. Das eine gehört zum ande- kehr ins Positive, von einer Situation des Abschwungs in ren und bildet damit eine Einheit. Wir Sozialdemokraten eine Situation des Aufschwungs. Das ist auch uns gelun- haben es zustande gebracht, dass wir jetzt wieder über gen. Heute können wir berichten: Der Turnaround ist ge- den Ausbau von Maßnahmen und Investitionen in die schafft. Zukunft, die wir benötigen, diskutieren können. (Dr. Peter Struck [SPD]: Sehr wahr!) (Beifall bei der SPD) Am wichtigsten ist der Abbau der Arbeitslosigkeit. Übrigens passt das Programm von Meseberg gut Wir müssen dafür sorgen, dass noch mehr Menschen ei- dazu. Deshalb macht es auch Sinn, dass wir in dieser nen Arbeitsplatz finden. Es ist aber auch wichtig, dass Haushaltsdebatte noch ein paar Minuten darauf verwen- der Sozialstaat wieder eine Zukunft hat. Die Menschen den, das zu bedenken. Unserer Ansicht nach muss zum können sich auf die Rentenversicherung, die Kranken- Beispiel dafür gesorgt werden, dass Menschen, die hart versicherung, die Pflegeversicherung, die Arbeitslosen- arbeiten und wenig verdienen, nicht auf ergänzendes Ar- versicherung und die Unfallversicherung wieder verlas- beitslosengeld II angewiesen sind. Wir brauchen weitere sen. Branchen, die in das Entsendegesetz aufgenommen Das hat übrigens auch politische Folgen – diesen poli- werden. Nach der Bauwirtschaft und den Gebäudereini- tischen Turnaround vermag wahrscheinlich niemand so gern sollen das in diesem Herbst noch die Erbringer von recht zu ermessen –: Plötzlich will die FDP neosozial Postdienstleistungen sein sowie alle diejenigen, die sich sein. bis zum Frühjahr nächsten Jahres melden. Das wird Mil- lionen Menschen, die es heute schwer haben, ein besse- (Dr. Peter Struck [SPD]: Ja! – Joachim Poß res Leben bescheren. Es ist eine vernünftige Politik, die [SPD]: Nach ihren heutigen Reden wohl nicht wir in diesem Zusammenhang entwickeln. mehr! – Jürgen Koppelin [FDP]: Na, na! – Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Jetzt hör’ aber (Beifall bei der SPD) auf!) Das gilt auch für die Mindestarbeitsbedingungen und Das wird schon irgendwie funktionieren. Unser Koali- den Erwerbstätigenzuschlag. Mit großer Freude habe ich tionspartner möchte herausfinden, inwieweit „konserva- festgestellt, dass diese Idee, die wir vorangebracht ha- tiv“ und „sozial“ zusammenpassen. Die Grünen bleiben ben, nicht nur in Meseberg eine Rolle gespielt hat, son- ungefähr bei dem, was sie mit uns gemeinsam begonnen dern jetzt auch von unserem Koalitionspartner auf seiner (B) haben. Die sogenannte Linke sagt immer nur mehr, Klausurtagung am Wochenende unter einem ähnlichen (D) mehr, mehr. Namen für gut befunden wurde. Es wird also gelingen, weitere Fortschritte zu machen. Das ist nicht nur gut für Wenn man das aber alles zusammenfasst, stellt man die Parteien, sondern vor allem für die Menschen, um fest: Es hat doch eine Änderung des Zeitgeistes gegeben. die es geht; sie haben es bitter nötig. Während die Meinungsführer der Republik vor wenigen Jahren noch gesagt haben, der Sozialstaat habe keine (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Peter Perspektive und man solle ihn abbauen, ist diese Mei- Struck [SPD]: Sehr richtig!) nung heute nicht mehr vorherrschend. Das ist ein Erfolg sozialdemokratischer Regierungspolitik. Wir investieren in die Zukunft, indem wir etwas für die Bildung tun. Darum wollen wir, dass die Menschen (Beifall bei der SPD) besser ausgebildet werden, sodass wir den Fachkräfte- Aber wir sind in einer schwierigen Phase. Politisch ist mangel reduzieren können. Auch die Altbewerber wol- nämlich das, was wohl für jedes Unternehmen gilt, nicht len wir auf dem Berufsausbildungsmarkt besser unter- so selbstverständlich. Während ein Manager, der für sein stützen. Unternehmen einen Sanierungsplan entwickelt und Ferner müssen wir etwas für die Kinder tun, indem durchsetzt, vorher den Moment beschreiben muss, in wir denjenigen Eltern helfen, die ihre Kinder in einer dem der Turnaround gelingen soll, und nachher stolz Einrichtung unterbringen wollen, in der sie nicht einfach über ihn berichten darf, ist ein Politiker, der einen Turn- abgestellt werden, sondern beste Betreuung bekommen. around ankündigt oder als geschafft vermeldet, in der Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab politischen Gefahr, ins Abseits zu geraten. Denn Refor- 2013 ist ein großer politischer Fortschritt, der die Kultur mer zu sein verkommt doch – wenn man die politische des Zusammenlebens in unserem Lande wahrscheinlich Szene beobachtet – bei dem einen oder anderen immer mehr bewegen wird, als mancher sich angesichts dieser mehr zu einem Ritual, bei dem man sich so gibt, als for- Formalie auszudenken vermag. dere man eine scharfe Reform. Aber tatsächlich ist das doch völlig unvernünftig. (Beifall bei der SPD) Wenn wir uns auf den Weg machen, auch mit schwie- Es bedeutet, dass unser Land endlich zu den anderen rigen Maßnahmen dafür zu sorgen, dass der Sozialstaat, Ländern Europas aufschließt, in denen es selbstverständ- auch der Sozialversicherungsstaat, wieder funktioniert, lich ist, dass das, was die Eltern sich für ihre Kinder dann müssen und dürfen wir den Menschen auch sagen, wünschen, zur Verfügung steht. Es wäre ein großer Er- dass der Tournaround gelungen ist und es jetzt um den folg, wenn wir das schaffen. 11508 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Olaf Scholz (A) Wenn in dieser Großen Koalition vollendet werden eine Chance sind, wieder in den Arbeitsprozess einge- (C) kann, was wir 1998 begonnen haben, wäre das ein gro- gliedert zu werden. ßer Themen- und Paradigmenwechsel in dieser Repu- blik, der nicht alle Tage gelingt. Davon kann man als Er- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) folg berichten. Wenn Sie alle diese Arbeitsplätze nicht haben wollen, Schönen Dank. dann berauben Sie die Menschen in Deutschland ihrer Chancen. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: LINKE]) Das Wort hat der Kollege Max Straubinger von der CDU/CSU-Fraktion. Jetzt, zwei Jahre nach Regierungsantritt, haben wir in einigen Bereichen einen Fachkräftemangel. Darüber (Beifall bei der CDU/CSU) hinaus gibt es an mancher Stelle sogar einen Arbeitskräf- temangel: Erst letzten Freitag hat mich ein Unternehmer Max Straubinger (CDU/CSU): angerufen, er braucht für seinen Betrieb unbedingt Ar- Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! beitskräfte, und zwar für leichte Tätigkeiten wie das Ein- Wir, die Bundesregierung und natürlich die sie tragenden packen von Osterhasen bzw. Nikoläusen. Er findet keine Fraktionen, können heute Bilanz ziehen. Es ist schon Arbeitskräfte. Gut, ich komme aus einer Region, in der vielfältig angesprochen worden: Der Aufschwung in die Arbeitslosigkeit bei 3,7 Prozent liegt – auch ein Er- Deutschland hat sich verstetigt, es geht aufwärts in folg dieser Bundesregierung. So ist die Lage sicherlich Deutschland. Damit werden die Zukunftschancen der nicht in allen Gegenden. Ich wünsche aber allen in unse- Menschen natürlich besonders befördert. rem Land, dass sich die Aufschwungskräfte so durchset- zen. Doch wenn, wie der Unternehmer berichtet hat, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 31 Personen angeschrieben werden und sich 27 bei ihm Dies wird mit der Einbringung des Bundeshaushalts überhaupt nicht melden, dann muss man darüber nach- deutlich, mit dem wir unter dem Motto „Sanieren, Refor- denken, ob unsere Instrumentarien funktionieren. mieren, Investieren“ in den verschiedensten Bereichen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Grundlagen für ein zukunftsfähiges Deutschland le- neten der FDP – Dr. Guido Westerwelle gen. [FDP]: Allerdings!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (B) Wir haben morgen Gelegenheit, uns darüber auszutau- (D) Natürlich ist die Einbringung des Haushalts für die schen. Oppositionsparteien Anlass, in einzelnen Bereichen Kri- Ein Zweites: Wir werden in dieser Großen Koalition, tik zu üben. Doch ich wende mich dagegen, dass den die sehr erfolgreich arbeitet, in der es bei einzelnen The- Menschen Zerrbilder gezeichnet werden, wie es heute men natürlich unterschiedliche Ansichten gibt, intensiv wieder die linken Oppositionsfraktionen getan haben, über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, über den Min- insbesondere die Fraktion Die Linke, vor allen Dingen destlohn und über Gesetze, die die Arbeitsbedingungen im Bereich der Sozialpolitik. Aber auch die FDP hat, umfassen, diskutieren. Ich bitte aber, auch hier die was die Wirtschaft angeht, ein Zerrbild gezeichnet: Der Scheuklappen abzunehmen und auf die Realität einzuge- Aufschwung in Deutschland rührt nicht von einem welt- hen. In Freyung in Niederbayern hatten wir im Winter wirtschaftlichen Aufschwung her, sondern daher, dass 1984 eine Arbeitslosigkeit von 42 Prozent. Jetzt haben die Bundesregierung seit ihrem Antritt die Wachstums- wir eine Arbeitslosigkeit von 6 Prozent. Niederbayern kräfte mit den verschiedensten Programmen gestärkt hat: hätte – davon bin ich überzeugt –, wäre unter den dama- mit dem 25-Milliarden-Euro-Programm von Genshagen, ligen Gegebenheiten der hohen Verdienste im Ruhrge- durch verbesserte Abschreibungsbedingungen der Be- biet, in Westdeutschland ein gesetzlicher Mindestlohn triebe – Stichwort „degressive Abschreibung“ –; durch verordnet worden, den Aufstieg nicht so geschafft, wie die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen und der- wir ihn in der Zusammenarbeit mit den Menschen hier in gleichen mehr. Das hat zum Aufschwung in Deutschland Deutschland geschafft haben. beigetragen und damit auch zu mehr Arbeitsplätzen in unserem Land. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Auch dies muss uns zu denken geben. Bei allem, was wir zukünftig an gesetzlichen Initiativen ergreifen, muss Die Linke hat das kleingeredet, hat behauptet, wir gelten: Sie müssen den Menschen dienen und die Chan- hätten prekäre Arbeitsverhältnisse in Deutschland. cen der Menschen vermehren. Sicherlich werden wir die (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die haben Änderungswünsche, die die Fraktionen noch in einzel- wir!) nen Bereichen haben werden, in diesem Bundeshaushalt berücksichtigen. Sie hat kritisiert, dass wir 1-Euro-Jobs haben, dass wir Minijobs haben. Doch gerade wir als Union sind stolz Was die Familienpolitik angeht, wollen wir den El- darauf, dass wir die Möglichkeit der Minijobs geschaf- tern in unserem Land Wahlfreiheit ermöglichen. Wir ha- fen haben, weil diese für die Menschen in Deutschland ben das Elterngeld eingeführt und sind auch für einen Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11509

Max Straubinger (A) Rechtsanspruch auf einen Kinderkrippenplatz. Notwen- Dass Politik durchaus wirtschaftliche Kräfte mobili- (C) dig ist aber gleichermaßen ein Betreuungsgeld für dieje- sieren kann, zeigt sich auch, wenn wir Bilanz ziehen, nigen, die keine staatlichen Betreuungsleistungen in An- was seit der Wiedervereinigung in den neuen Bundeslän- spruch nehmen. dern passiert ist. Dort ist eine sehr große gesamtstaatli- che und gesamtgesellschaftliche Leistung vollbracht (Beifall bei der CDU/CSU) worden. Wir haben in den neuen Bundesländern in kur- Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Dieser zer Zeit die Infrastruktur neu geschaffen und die Wirt- Bundeshaushalt bietet die Grundlage dafür, den starken schaftskraft neu belebt. Dafür gibt es, wie ich glaube, in Aufschwungkräften in Deutschland zukünftig wieder der europäischen Geschichte kein Beispiel. Es ist eine mehr Raum zu geben. Deshalb bitte ich alle in diesem sehr starke Leistung, mit der die Politik bewiesen hat, Hause: Lassen Sie uns intensiv zusammenarbeiten, um dass man mit Entschlossenheit etwas voranbringen kann. die Zukunftsfähigkeit unseres schönen Landes zu stär- Ich weiß, dass manche Kolleginnen und Kollegen aus ken. den alten Bundesländern manchmal etwas neidisch auf Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. die vielen neuen Häuser und Straßen im Osten sind. Ich warne aber vor Neid. Im Gegenteil: Wir sollten stolz da- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rauf sein. Es wäre doch ein Skandal gewesen, wenn das neten der SPD) ausgegebene Geld nicht so gut investiert worden wäre.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Wort hat jetzt der Kollege Klaas Hübner von der Lassen Sie uns gemeinsam stolz auf diese gesamtgesell- SPD-Fraktion. schaftliche Leistung sein, die wir dort vollbracht haben. Es ist auch richtig, dass wir angefangen haben, den Klaas Hübner (SPD): Osten besonders zu fördern, weil in einem Wettbewerb Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- der Regionen derjenige, der wie bei einem Wettlauf erst ren! Ich stimme meinem Vorredner ausdrücklich zu: Der nach den anderen starten kann, unausgleichbare Nach- derzeitige wirtschaftliche Aufschwung hat auch etwas teile hat. Dafür mussten wir einen Ausgleich finden. damit zu tun, dass wir – übrigens schon unter Gerhard Deswegen mussten wir eine Sonderförderung für die Schröder – eine Reformpolitik eingeleitet haben, die er- neuen Bundesländer einführen, damit sie die Chance ha- folgreich war. Ich bin froh, dass wir auch in der Großen ben, im Wettbewerb der Regionen zu bestehen. Koalition das, was wir unter Rot-Grün begonnen und als Agenda 2010 bezeichnet haben, konsequent fortsetzen. Vor diesem Hintergrund ist es unabdingbar, dass wir (B) den von uns beschlossenen Solidarpakt unangetastet (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lassen. Wahr ist auch, dass der Aufschwung nicht allein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) durch die Politik bewirkt wurde. Wir wissen durchaus, dass die Unternehmen und insbesondere die Arbeitneh- Ich weise noch einmal darauf hin, dass der Solidarpakt mer einen starken Beitrag dazu geleistet haben. Die Un- degressiv ausgestaltet ist. Das heißt, ab dem Jahre 2009 ternehmen haben sich in der Zeit der Stagnation so gut werden die Zahlungen aus dem Solidarpakt an die neuen aufgestellt und so stark erneuert, dass sie die neuen Bundesländer nicht wie im Moment ein wenig, sondern Exportmöglichkeiten sofort wahrnehmen konnten. Die massiv zurückgehen. 2019 enden sie. Verschiedentlich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerk- wird schon jetzt eine Diskussion über fast alle Par- schaften haben in den letzten zehn Jahren durch eine teigrenzen hinweg darüber geführt, ob die Zahlungen sehr moderate Lohnpolitik mit dazu beigetragen, dass noch früher eingestellt werden sollten. Wenn das ge- die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen schieht, tun Sie den Finanzministern in den neuen Bun- gestiegen ist. An der Stelle muss man den Arbeitnehme- desländern keinen Gefallen; denn es sind gerade die rinnen und Arbeitnehmern und den Gewerkschaften da- neuen Bundesländer, die erkannt haben, wie schwierig für danken, dass sie daran mitgewirkt haben, dass ihre Lage ist. Wir haben es dort mit Haushalten zu tun Deutschland wirtschaftlich wieder an Stärke gewinnt. – das kennen wir weder im Westen noch im Bund –, de- ren Umfang bis zum Jahre 2019 um 25 Prozent abneh- Ich bin froh, dass wir das tun. Wir haben gemeinsam men wird. Ein Land wie Sachsen-Anhalt, das heute ei- vor, eine Form der Mitarbeiterbeteiligung zu finden, nen Etat von 10 Milliarden Euro hat, wird 2019 wegen um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer am wirt- der ausbleibenden Zahlungen aus dem Solidarpakt wahr- schaftlichen Erfolg ihrer Unternehmungen beteiligen zu scheinlich nur noch über 7,5 Milliarden Euro verfügen. können. Wir haben das Vorhaben Deutschlandfonds ge- Vor diesem Hintergrund sind alle neuen Bundesländer nannt. Sie haben eine ähnliche Vorstellung. Ich bin sehr dabei, ihre Haushalte zu konsolidieren, nicht nur für aus- froh, dass es sich die Bundesregierung und die Große geglichene Haushalte zu sorgen, sondern sogar Über- Koalition auf die Fahne geschrieben haben, die stärkere schüsse zu erwirtschaften, um die Schulden abzubauen; Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer denn sie wissen genau, dass ihnen die gewaltigen Zins- an den Unternehmenserfolgen umzusetzen und voranzu- lasten, die sie momentan zu tragen haben, später jede treiben. Möglichkeit aktiver politischer Gestaltung zunichte ma- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der chen würden. Wir sollten daher keine Debatte über ein CDU/CSU) vorzeitiges Ende des Solidarpaktes führen, sondern die 11510 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Klaas Hübner (A) Finanzminister jeder Couleur in den neuen Bundeslän- Schwache Regionen haben in der Regel kaum eine (C) dern in ihren Bemühungen unterstützen. Die Zahlungen Chance, aus eigener Kraft neue Industrien anzusiedeln 2019 einzustellen, ist richtig. Sie dürfen aber nicht vor- und in Bereiche zu investieren, in denen schon gesättigte her enden. Märkte bestehen. Ein Verdrängungswettbewerb wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Deshalb ist es ent- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten scheidend, dass gerade in den innovativen Bereichen et- der CDU/CSU) was für strukturschwache Regionen – diese liegen mo- Mir ist natürlich durchaus klar, dass viele Programme, mentan noch überwiegend in Ostdeutschland – getan die sich in den neuen Bundesländern bewährt haben, wird. auch in den alten Bundesländern anzuwenden sind. Wir Wir haben aber auch Erfolgsgeschichten zu verzeich- haben begonnen, dort, wo es sinnvoll ist, Programme für nen. Im Bereich der erneuerbaren Energien, insbeson- die alten Bundesländer zu öffnen. Ich erinnere in diesem dere der Solarenergie, haben wir mittlerweile Cluster in Zusammenhang an die Gemeinschaftsaufgabe Ost, in die den neuen Bundesländern gebildet, die eine echte Vor- wir den Westen einbezogen haben. Das war richtig. Das reiterrolle einnehmen. Ein Beispiel: Zehn Jungunterneh- ist in meinen Augen die zielgenaueste Wirtschaftsförde- mer haben sich vor fünf Jahren in meinem Wahlkreis rung, die wir betreiben können; denn dort werden gezielt aufgemacht und ein Solarzellenwerk gegründet. Sie ha- Investitionen gefördert, wo Arbeitsplätze geschaffen ben mit zehn Beschäftigten begonnen. Heute sind es werden. Wir sollten alles daran setzen, diese Förderung 1 500. Mittlerweile sind weitere Investoren aus Kanada aufrechtzuerhalten. und den USA dorthin gezogen, sodass an diesem Stand- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ort 5 000 Arbeitsplätze geschaffen wurden. Wahrschein- CDU/CSU) lich werden es 10 000 bis zum Jahr 2010 sein. Es lohnt sich also, solche Impulse durch staatliche Förderung zu Ich sage an die Adresse der Bundesregierung: Wir ha- geben. Das macht für strukturschwache Regionen Sinn; ben in den letzten Haushaltsberatungen GA-Mittel ent- denn sie können dadurch an eigener Kraft deutlich ge- gegen dem Regierungsentwurf um 50 Millionen Euro winnen. angehoben. Herr Glos hat dies im nun vorliegenden Re- gierungsentwurf leider nicht fortgeschrieben. Ich hätte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mir gewünscht, dass dieses Niveau gehalten worden der CDU/CSU) wäre. Ich hoffe aber – ich habe Vertrauen in die Haushäl- Insgesamt gesehen sind die wirtschaftlichen Rahmen- ter –, dass wir hier zumindest eine Korrektur im Rahmen bedingungen – auch in den neuen Bundesländern – gar der weiteren Haushaltsberatungen vornehmen. nicht schlecht. Man soll auch nicht alles kaputt- und (B) schlechtreden. Durch den Beitritt der osteuropäischen (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Staaten hat die Bevölkerung der Europäischen Union um Das Gleiche gilt auch für den Stadtumbau Ost. Wir 20 Prozent, die Wirtschaftskraft aber nur um 5 Prozent hatten große Schwierigkeiten, weil die Städte Ost- zugenommen. Daran zeigt sich, welch enormes Expan- deutschlands unter einer starken Entvölkerung zu leiden sionspotenzial in der Öffnung der osteuropäischen hatten. Auch dieses Programm haben wir mittlerweile Märkte liegt. Natürlich haben wir alle Möglichkeiten, für Städte in Westdeutschland geöffnet – Stichwort Stadt- dieses Potenzial in den Nachbarländern auszuschöpfen. umbau West –, weil diese vor ähnlichen Problemen ste- Eine Studie der Hypo-Vereinsbank sagt, dass gerade die hen. Uns ist vollkommen bewusst, dass wir nach 2019 neuen Bundesländer davon profitieren werden. Sie pro- nicht mehr über eine Ostförderung oder eine Westförde- gnostiziert einen Anstieg des Exports von 20 Prozent. rung reden werden, sondern dass wir über die Förderung Das ist etwas Gutes, und ich finde, auch das soll man sa- strukturschwacher Regionen reden müssen, damit solche gen. Man muss den Menschen Mut machen und ihnen Regionen möglichst schnell Anschluss an strukturstarke sagen, welche Chancen in der Öffnung Osteuropas lie- Regionen finden. Das gilt für Gesamtdeutschland. gen. Man darf das nicht immer nur schlechtreden und Angst machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund sage ich an die Adresse der Ich will in diesem Zusammenhang auf eine Schwach- Bildungsministerin: Es ist sehr lobenswert, was wir im stelle in der ostdeutschen Gesellschaft eingehen: Das ist Bereich Forschung und Entwicklung machen, auch im die Anfälligkeit für rechtsradikale Handlungen und Hinblick auf die Exzellenzinitiative. Wir müssen aber deren teilweise Verharmlosung. Ich bin für eine deutli- bei den Ausschreibungsbedingungen aufpassen, dass wir che Ansprache an dieser Stelle. Ich weiß und kann ein nicht nur Geld dorthin fließen lassen, wo bereits gewal- bisschen verstehen, dass manche Landesväter dieses tige Stärken da sind. Vielmehr müssen wir diese Mittel Problem lieber schönreden, aber das bringt nichts. Wenn dazu nutzen, schwachen Regionen eine Chance und ei- Probleme da sind, müssen sie benannt werden. Die Be- nen Impuls zu geben, aus eigener Kraft zu wachsen und nennung ist die Grundlage für die Bekämpfung eines sich mit neuen Produkten auf neuen Märkten zu etablie- Problems. Wir gewinnen nichts, wenn wir irgendetwas ren. Hier müssen wir auf Ausgeglichenheit achten. verharmlosen. Ich bin in den letzten drei Wochen vor- wiegend in den neuen Bundesländern viel unterwegs ge- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wesen und habe mit vielen Bürgermeistern und Land- der CDU/CSU) räten gesprochen. Alle sagen, dass in dieser Beziehung Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11511

Klaas Hübner (A) Gefährdungen bestehen, gegen die etwas getan werden Ich danke Ihnen. (C) muss. Wenn wir nichts tun, dann hat das übrigens auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Einfluss auf die Attraktivität für ausländische Investo- ren. Darum sollten wir etwas tun. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das NPD-Verbot ist sehr dezidiert diskutiert worden. Das Wort hat jetzt der Staatsminister Bernd Ich weiß um die Schwierigkeit dieser Thematik, und ich Neumann. weiß auch, dass wir sehr vorsichtig vorgehen müssen. Aber insgesamt ist der Wunsch von fast allen Politikern (Beifall bei der CDU/CSU) auf allen Ebenen gewesen, dass wir ein NPD-Verbot wirklich ernsthaft, wenn auch mit aller Vorsicht, ange- Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- hen; denn es kann nicht sein, dass wir dieser Partei aus kanzlerin: Steuermitteln einen finanziellen Nährboden geben, so- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits dass diese im Osten weiter ihr Unwesen treiben kann. zum dritten Mal legt diese Bundesregierung einen Haus- Dem müssen wir einen Riegel vorschieben. haltsentwurf im Bereich „Kultur und Medien“ vor, der (Beifall bei der SPD) eine Steigerung der Ausgaben vorsieht. Ich bin daher der festen Überzeugung, dass man auf die (Beifall der Abg. Rita Pawelski [CDU/CSU]) Berichte, die man von den Landesverfassungsschutz- Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Das erkennt man, ämtern und vom Bundesverfassungsschutz bekommen wenn man einen Blick auf Länder und Kommunen wirft. kann, zurückgreifen soll, also auf das, was frei erhältlich Seit dem Regierungswechsel wurden die Ausgaben des ist, und dass man sich nicht der V-Leute bedienen sollte. Bundes für die Kultur in Deutschland von 2005 bis 2008 Dann kann man ernsthaft Fakten sammeln und schauen, um insgesamt 6,4 Prozent gesteigert. Ich denke, diese ob man ein Verbotsverfahren anstrengen kann. Es ist Zahlen sagen mehr als schöne Worte etwas darüber aus, übrigens – auch das will ich deutlich sagen – gerade in welche Bedeutung die Bundesregierung der Kultur zu- der jungen Demokratie der neuen Bundesländer wichtig, misst. so etwas zu tun, weil eine solche Partei, wenn sie nicht verboten ist, leider in manchen Köpfen eine Form von (Beifall bei der CDU/CSU) Legalität hat. In meinen Augen hat sie diese nicht; denn Ich habe es bereits mehrfach gesagt – es steht auch in sie arbeitet gegen die Verfassung. Darum noch einmal der Koalitionsvereinbarung –: Kulturförderung ist keine mein Wunsch an das gesamte Haus und an die Bundes- Subvention, sondern Investition in die Zukunft. Dies ist regierung: Lassen Sie uns entschlossen und trotzdem im ideellen wie im finanziellen Sinn gemeint. Das Bei- (B) vorsichtig vorgehen. spiel unseres neuen Deutschen Filmförderfonds zeigt, (D) (Beifall bei der SPD) dass Kulturförderung auch eine handfeste wirtschaftli- che Seite hat. In diesem Zusammenhang will ich Teilen der Links- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Manche partei sagen: Man muss aufpassen, welchen Nährboden sagen, der heiße Neumann-Fonds!) man manchmal mit bestimmten Reden bereitet. Wenn Ihr Fraktionsvorsitzender wie in Chemnitz, vielleicht im Dieser Filmförderfonds hat bereits erhebliches zu- rhetorischen Überschwang, mit Begriffen wie Fremd- sätzliches Kapital nach Deutschland gezogen und eine arbeiter und ähnlichen jongliert, dann ist das nicht pro- beträchtliche Zahl zusätzlicher Arbeitsplätze in den Stu- duktiv. Da sollte man vorsichtig sein und aufpassen. Da- dios geschaffen. Deutschland ist auch für internationale mit wird nicht die demokratische Stimmung gefördert, Produktionen attraktiv geworden. Die deutschen Film- die wir alle wollen. studios erleben derzeit einen beispiellosen Boom. Wenn dadurch beim deutschen Film Aufbruchstimmung (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da macht die herrscht, ist das ein Erfolg, auf den man ruhig hinweisen Linke offenbar rhetorische Anleihen!) darf. Ich warne sehr davor, damit weiterzumachen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der SPD) [SPD] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr! Tue Gutes und rede Insgesamt gesehen, so glaube ich, ist die Koalition darüber!) auf einem guten Weg. Sie steht in der Kontinuität der Reformpolitik, die wir Sozialdemokraten 2003 begon- Die Deutsche Welle war unter der Vorgängerregie- nen haben und die wir gemeinsam mit der Union fortset- rung – man muss es so sagen – eher die Sparbüchse des zen. Der Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Kulturetats. Das war ein Fehler. Gerade in Zeiten der Investieren ist der richtige Dreiklang für die wirtschaftli- Globalisierung brauchen wir einen starken Auslands- che Entwicklung unseres Landes. Ich bin sehr sicher, sender, eine unüberhörbare deutsche Stimme für Freiheit dass wir bis 2009 gemeinsam eine gute Politik für das und Demokratie. Land machen können und machen werden. Ich bin guter (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Hoffnung, dass wir Sozialdemokraten nach einem kna- Das muss sein!) ckigen Wahlkampf gut dastehen werden. Zunächst geht es aber darum, die nächsten zwei Jahre eine gute Arbeit Besonders wichtig ist das im arabischen Raum. Um die zu machen. Wir sind dazu bereit. Präsenz der Deutschen Welle dort auszubauen, wollen 11512 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Staatsminister Bernd Neumann (A) wir dem Sender in 2008 4 Millionen Euro mehr zur Ver- ein Signal, natürlich auch für die neuen Bundesländer, (C) fügung stellen. Dadurch kann die von uns allen ge- die wichtige kulturelle Schätze besitzen. wünschte Kooperation von ARD und ZDF zur weiteren (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Verbesserung des Programms beitragen. der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Börnsen [Bönstrup] Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: [CDU/CSU]: Beides muss sein!) Herr Staatsminister Neumann, erlauben Sie eine Zwi- schenfrage des Kollegen Ilja Seifert? Gedenken und Erinnern sind Aufgaben, die die ge- samte Gesellschaft betreffen. Ich habe im Juli dieses Jahres einen Entwurf vorgelegt, aus dem hervorgeht, wie Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- die erfolgreiche Gedenkstättenarbeit des Bundes fortge- kanzlerin: setzt werden soll. Für die Umsetzung dieses Konzepts Mit der Zusatzbemerkung, dass mir das auf die Rede- wollen wir allein im nächsten Jahr zusätzliche 10 Millio- zeit nicht angerechnet wird. nen Euro ausgeben. Das bedeutet nahezu eine Verdopp- lung der Mittel. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Beantwortung von Zwischenfragen wird nie auf Dem Völkermord an den europäischen Juden, der die Redezeit angerechnet. Singularität des Holocaust, kommt in unserer Erinne- rungspolitik nach wie vor eine unvergleichbare Bedeu- Bitte schön, Herr Seifert. tung zu. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur wollen wir verstärken und verbessern. Es ist nach wie vor unsere Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Aufgabe, an das Unrecht der SED-Diktatur zu erinnern Herr Staatsminister, Sie sprechen gerade von dem na- und so das Gedenken an die Opfer des Kommunismus in tionalen Kulturerbe, dessen Pflege eine gesamtstaatliche Deutschland zu bewahren. Aufgabe ist. Das sehe ich genauso. Gleichzeitig verwei- sen Sie darauf, wie toll es ist, dass Ihr Etat erhöht wer- (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: den soll. Wieso wird gerade bei der Stiftung für das Sehr richtig!) sorbische Volk gekürzt, und zwar nicht unbeträchtlich, Die Verantwortung für unsere Vergangenheit betrifft und gleich noch dazugesagt: „Wir werden aller Voraus- auch den Bereich der Rückgabe der von den National- sicht nach eine Haushaltssperre verhängen“? sozialisten geraubten und beschlagnahmten Kulturgüter (B) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir zahlen (D) aus dem ehemaligen jüdischen Besitz. Hier sehe ich es mehr, als wir müssen, Herr Kollege!) als eine wichtige Aufgabe an, dies – unbeschadet der ei- gentlichen Kompetenz von Ländern und Kommunen für Es geht doch immerhin um eine in Deutschland lebende die Mehrzahl der Museen – zu unterstützen. Wir haben nationale Minderheit. Die Mittel für die Stiftung für das uns vorgenommen, im Rahmen eines Modells beträchtli- sorbische Volk müssten also eher aufgestockt werden. che Hilfen für die notwendige Provenienzrecherche aus- Sehen Sie das nicht genauso, nämlich als nationale Auf- zugeben. Das ist vonnöten, wenn man das einstmals be- gabe des Bundes? schlossene Washingtoner Abkommen ernst nimmt. Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kanzlerin: neten der SPD und des Abg. Hans-Joachim Ja, das ist eine nationale Aufgabe des Bundes, der wir Otto [Frankfurt] [FDP] – Steffen Kampeter auch mit beträchtlichen Mitteln gerecht werden. Wie bei [CDU/CSU]: Eine gute Initiative!) jeder Aufgabe des Bundes prüfen Bundesrechnungshof und Bundesverwaltungsamt jeweils, ob sie vielleicht von Unser nationales Kulturerbe zu bewahren, ist eine der den Ländern oder ob der eine oder andere Teil, ein Pro- drängenden Aufgaben unserer Zeit. Wie wichtig diese jekt vielleicht, vom Bund zu erledigen ist. Hierzu gab es Aufgabe ist, hat der verheerende Brand in der Anna- kritische Fragen. Trotz der Bemerkungen von Bundes- Amalia-Bibliothek gezeigt. An die schrecklichen Bilder rechnungshof und Bundesverwaltungsamt wegen nicht vom September 2004 erinnern wir uns alle. gegebener Totalzuständigkeit für alle diese Aufgaben Ich freue mich sehr, dass diese Bibliothek am haben wir im neuen Haushaltsentwurf den Mittelansatz 24. Oktober wieder eröffnet werden kann. Der Bund hat bei 7 Millionen Euro belassen. Das ist etwas weniger als für die Sanierung insgesamt 8,5 Millionen Euro zur Ver- vorher, aber deutlich mehr, als die uns begleitenden In- fügung gestellt. Die Klassik-Stiftung Weimar steht in der stitutionen gewollt haben. ganzen Welt für unser nationales, also deutsches Kultur- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) erbe. Deshalb steht hier nicht nur Thüringen, sondern Deutschland als Kulturnation in der Mitverantwortung. Von daher stellen wir uns dieser Aufgabe. Daher beabsichtigen wir, ab dem Haushalt 2008 gemein- sam mit Thüringen – die Thüringer motivieren wir – die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Mittel deutlich zu erhöhen. Die institutionelle Förderung Herr Staatsminister Neumann, erlauben Sie noch eine steigt damit schrittweise um mehr als 20 Prozent. Das ist Zwischenfrage, und zwar des Kollegen Kampeter? Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11513

(A) Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- Herr Präsident, ich gehe doch recht in der Annahme, (C) kanzlerin: dass mir diese Zeit nicht angerechnet wurde, aber dass Sie wird sicherlich hilfreich sein, deswegen sage ich meine Redezeit doch irgendwie endlich ist. Ja, obwohl man es bei ihm nie so genau weiß. (Heiterkeit bei der SPD) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Die soll hilfreich sein!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Staatsminister, Ihre Redezeit war nahezu abge- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: laufen. Bitte schön, Herr Kampeter. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) In der Zwischenzeit hatte ich die Uhr angehalten. Jetzt Steffen Kampeter (CDU/CSU): habe ich sie wieder gestartet. Sie können gerne noch eine Herr Staatsminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu Schlussbemerkung machen. nehmen, dass sich die beiden Berichterstatter der Koali- tion für den Kulturetat, die Kollegin Merkel und ich, mit (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Jetzt dem Thema der Sorben bereits intensiv und nicht nur hat er noch fünf Minuten! – Wolfgang Börnsen vordergründig auseinandergesetzt haben und sehr sorg- [Bönstrup] [CDU/CSU]: Schönes kollegiales fältig prüfen werden, ob eine Erhöhung der Finanzmittel Umgehen miteinander!) im Rahmen der Haushaltsplanberatung möglich, finan- zierbar und rechtlich absicherbar ist? Ich möchte Sie fra- Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- gen, ob Sie bestätigen können, dass der Bund im Rah- kanzlerin: men seiner Verantwortung in den letzten Jahren weit Meine Damen und Herren! Mit dem Haushalt 2008 über das hinausgegangen ist, was im Finanzierungs- setzen die Koalitionspartner erneut ein positives Signal abkommen tatsächlich Grundlage war – die zugesagten für Kultur und Medien in Deutschland. Ich danke vor al- Finanzierungsteile für die Stiftung des sorbischen Vol- lem den Berichterstattern im Haushaltsausschuss für ihre kes –, und dass der Eindruck, als würde es sich hier ins- stete Hilfe und ihr Verständnis. Allen Fraktionen im Kul- gesamt um eine Kürzungsstrategie handeln, nicht richtig turausschuss bin ich für ihre grundsätzliche Unterstüt- ist. Vielmehr ist es doch wahrscheinlich richtig – oder zung und Solidarität besonders dankbar. Ich gehe davon würden Sie mir da widersprechen? –, dass wir eine jah- aus, dass wir die fruchtbare Zusammenarbeit fortsetzen. relange Überzahlung aufgrund von Hinweisen von Bun- Einer der wichtigsten Rohstoffe unseres Landes ist desrechnungshof und Bundesverwaltungsamt politisch die Kultur. Deutschland muss sie pflegen, weil in ihr die (B) überprüfen. (D) Grundlagen unserer Gemeinschaft heute und morgen lie- (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sind Sie gen. Ich schlage vor, auch in der Zukunft die Allpar- bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?) teienkoalition für die Kultur fortzusetzen. Die Kultur in Deutschland wird davon den größten Nutzen haben und Bernd Neumann, Staatsminister bei der Bundes- es uns danken. kanzlerin: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Herr Kollege Kampeter, zur Kenntnis nehmen muss (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – ich ohnehin alles, was hier gefragt wird. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine gute (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD – Rede und ein guter Staatsminister!) Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist Schicksal!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihnen hier offiziell zu widersprechen, wäre unklug; denn Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Lukrezia ich brauche Sie im Rahmen der Haushaltsberatungen Jochimsen von der Fraktion Die Linke. noch. (Beifall bei der LINKEN) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unbeschadet davon bestätige ich alles, was Sie gesagt Herr Staatsminister, ich kann Ihnen ein Lob der soge- haben. Ja, es ist richtig: Die Bundesregierung hat immer nannten Linken nicht ersparen, auch wenn das auf mein mehr veranschlagt. Ich muss auch bestätigen, dass in den Redezeitkonto geht. Haushaltsberatungen die Haushälter das immer noch er- höht haben. (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wieso sogenannte?) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das sind vernünftige Kollegen!) – Weil hier im Laufe des heutigen Morgens so sehr viel von „sogenannt“ geredet worden ist. Ich glaube deshalb schon, Kollege Seifert, dass wir da auf einem guten Weg sind. Ja, Sie haben einen vergleichsweise guten Haushalt für die Kultur eingebracht und haben die Bedeutung der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kultur, seit Sie Staatsminister sind, tatsächlich ins Zen- 11514 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Lukrezia Jochimsen (A) trum der Bundespolitik gerückt. Dafür ist Ihnen Achtung wir in der Auseinandersetzung mit den neuen Nazis, den (C) zu zollen. Gewaltbereiten, den Fremdenhassern da an, wo unbe- dingt angesetzt werden muss, Jetzt werde ich allerdings etwas grundsätzlich. Wir reden nämlich heute über die Förderung und den Schutz (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Aber verges- unserer Kultur in einer Zeit, da Unkultur, Gewalt, Roh- sen Sie nicht die SED-Aufarbeitung!) heit, Jagd auf Minderheiten und die offene Verhöhnung nämlich bei dem Bestreben, bei jungen Menschen die der Demokratie Konjunktur haben. Kaum eine Woche Grundlagen für humanitäre und demokratische Hal- vergeht, in der nicht neue Nazis wieder öffentlich durch tung zu legen. Es muss uns gelingen, die Haltung, die unsere Städte marschieren, Brandreden halten und Kon- Unverletzlichkeit der Person des anderen immer und zerte veranstalten, die rattenfängerisch junge Leute in ih- überall zu respektieren, auch dann, wenn es Zivilcou- ren Bann ziehen sollen. Jedes Mal schwören wir dann, rage, ja sogar Mut kosten kann, jetzt in der Jugend zu dass wir uns mehr, kontinuierlicher und intensiver mit verankern, und wenn es noch so viele Anstrengungen den Initiatoren, Anhängern und vor allem den potenziel- kostet. len Sympathisanten auseinandersetzen müssen. Wie, das allerdings wissen wir nicht so recht, und ich gestehe, (Beifall bei der LINKEN) dass auch ich hilflos bin und keine umfassende Strategie kenne. Natürlich kann die Arbeit in den Gedenkstätten die Gesellschaft gegen Rechtsradikalität nicht immunisieren, Eine Forderung allerdings stelle ich hier im Zusam- aber eine kontinuierliche, vertiefende, aufklärerische Ar- menhang mit der Debatte über den Kulturhaushalt zur beit mit der Geschichte an den authentischen Orten der Diskussion: Wir müssen die Gedenkstätten zur natio- Geschichte heißt, jene Verantwortung wahrzunehmen, nalsozialistischen Terrorherrschaft viel mehr und viel die das Gedenkstättenkonzept postuliert. nachhaltiger unterstützen als bisher. Ja, auch die SED-Diktatur muss aufgearbeitet wer- (Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Börnsen den, sehr einverstanden! [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das ist im Konzept (Zustimmung bei der SPD) auch vorgesehen!) Aber die Parallelität, von der hier immer die Rede ist, 10 Millionen Euro sind im Haushalt des Kulturstaats- das Parallelitätsverhältnis zur Aufarbeitung der Ge- ministers für die Fortschreibung des Gedenkstätten- schichte der Nazidiktatur, wie es im Konzept heißt, ist konzepts zusätzlich eingestellt, und die KZ-Gedenkstät- geschichtlich falsch und heute ganz und gar nicht hin- ten Dachau, Flossenbürg, Neuengamme und Bergen- nehmbar. (B) Belsen sollen dauerhaft gefördert werden. Das ist zu be- (D) grüßen. Erstens aber ist nicht klar, ob die Gedenkstätten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten durch diese institutionelle Förderung tatsächlich einen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Euro mehr erhalten, während feststeht, dass die Projekt- förderung zum Beispiel für Neuengamme stark zurück- Die DDR nämlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, gegangen ist. kommt nicht zurück. (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Na, liegt aber an den beantragten Projekten!) na!) Aber die neuen Barbaren, modern verkleidet, vernetzt, Zweitens muss hier einmal beschrieben werden, wie gut finanziert, sind auf dem Weg. der Status quo, wie die Alltagssituation dieser Gedenk- orte aussieht: Dachau hat 800 000 Besucher jährlich, (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Nachfol- aber nur eine einzige pädagogische Stelle für die histori- georganisation sitzt doch hier im Parlament! – sche Aufarbeitung. Neuengamme hatte im letzten Jahr Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sie 1 500 Führungen zu organisieren, Mittelbau-Dora rund sind sehr präsent!) 1 400, und dies mit jeweils einer museumspädagogi- schen Stelle. Ehrenamtliche, Honorarkräfte, selbst Zivil- Dagegen müssen wir etwas tun. Ich bitte Sie, uns dabei dienstleistende, was eigentlich gar nicht erlaubt ist, ma- zu unterstützen. chen dort die Arbeit. Ein Drittel – ich bitte Sie! – der Vielen herzlichen Dank. Anfragen nach Führung und Betreuung muss abgelehnt werden. In Neuengamme kosten die Führungen jetzt für (Beifall bei der LINKEN – Hans-Joachim Otto Schülergruppen 20 Euro und für Erwachsene 40 Euro. [Frankfurt] [FDP]: Die DDR sitzt da drüben! – Das ist der Alltag, und das ist ein Skandal. Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Eine histori- sche Verirrung, die Sie als Vertreterin der (Beifall bei der LINKEN) Nachfolgeorganisation der SED hier vortra- gen!) Dieser Skandal steht im krassen Widerspruch zur Über- schrift der Gedenkstättenkonzeption des Kulturstaats- ministers, die da lautet: „Verantwortung wahrnehmen, Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen“. Wenn Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn von der diese drei Aufgaben ernst genommen werden, setzten SPD-Fraktion. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11515

(A) Monika Griefahn (SPD): (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (C) Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- CDU/CSU) gen! Das Jahr 2010 ist noch eine Weile hin, aber im Ich möchte an dieser Stelle den vielen Ehrenamtli- Ruhrgebiet wirft es schon Schatten voraus: Essen wird chen danken, die vor Ort ihre Arbeit tun. Ich möchte nämlich 2010 europäische Kulturhauptstadt. Der auch den Lehrerinnen und Lehrern danken, die trotz der Bund begleitete diese Initiative bisher schon intensiv begrenzten Mittel immer wieder versuchen, diese Orte und wird das auch weiter tun. Schon jetzt zeigen sich aufzusuchen und wirklich Arbeit in das Gedenken inves- trotz kleinen Inputs enorme Synergieeffekte: So ist die tieren. Love-Parade von Berlin nach Essen gezogen. Das ist zwar nicht gerade ein kulturelles Highlight, aber es zeigt, Im neuen Programm sollen durch eine verbesserte dass so eine Initiative eine ganze Region umgestalten Darstellung die Herrschaftsmechanismen der SED-Dik- und neues Leben hereinbringen kann. Wir müssen, wie tatur und der damalige Alltag deutlich gemacht werden. ich glaube, immer wieder deutlich machen, dass Bundes- Auch das ist, wie ich glaube, ein wichtiger Punkt. Die kulturpolitik, auch wenn für sie nur wenig Geld zur Ver- unterbreiteten Vorschläge bilden dafür eine Grundlage. fügung steht, Impulse setzen kann. Das ist uns bei vielen Wir werden aber noch über das Konzept diskutieren Dingen ganz wichtig. müssen, denn es ist finanziell unzureichend ausgestattet. Der Haushalt wächst um 1,3 Prozent. Das ist auf der (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Na, na!) einen Seite ein ganz gutes Ergebnis; auf der anderen Ein Ort wie die Normannenstraße zum Beispiel ist im Seite sind viele Punkte offen, die noch in Angriff ge- Moment überhaupt nicht berücksichtigt. Er muss zum ei- nommen werden müssen. Vor der Sommerpause hat ja nen baulich instandgesetzt werden, und zum anderen Staatsminister Neumann die Fortentwicklung des Ge- muss ein pädagogisches Konzept erstellt werden. denkstättenkonzeptes vorgelegt. Wir haben dazu heute schon in mehreren Reden etwas gehört. Meine Kollegen (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die Gedenk- Scholz und Hübner haben dabei sehr deutlich gemacht, stättenarbeit bekommt erheblich mehr Geld!) dass der Rechtsextremismus eine echte Bedrohung ist – Im Moment ist Geld für die Mauergedenkstätten vor- und wir etwas tun müssen, und zwar, wie ich glaube, in gesehen, Herr Kampeter. ganz Deutschland, nicht nur in Ostdeutschland. Mir be- gegnet da durchaus auch in meinem Wahlkreis manches. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da haben Sie dem Staatsminister nicht zugehört!) (Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Das ist wichtig, richtig und auch gut; denn in zwei Jah- (B) ren gibt es ja insoweit einen wichtigen Gedenktag. Aber (D) Da ist das Gedenken an die Opfer ebenso wichtig wie das andere brauchen wir auch. das an Opposition und Widerstand in den Diktaturen. Das festigt das Bewusstsein für Freiheit, Recht und Ein weiteres Feld sind die vom Verfall bedrohten Ein- Demokratie. Ich denke, dass es wichtig ist, dieses auf- richtungen der Stiftung Preußische Schlösser und zuarbeiten und voranzubringen. So kann nämlich Schü- Gärten. Schon jetzt sind viele der Gebäude so sehr vom lerinnen und Schülern gezeigt werden, wie es früher war, Einsturz bedroht, dass sie in Teilen für den Besucherver- insbesondere auch während der nationalsozialistischen kehr geschlossen werden müssen. Hier gilt es, etwas zu Diktatur bei uns. Es darf in den Gedenkstätten nicht an tun, bevor sich der Zustand vieler Gebäude noch weiter Möglichkeiten für den Besuch von Schülergruppen feh- verschlechtert und es zu spät ist. len. Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer mit einer Klasse (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ dorthin will, muss er bzw. sie die Möglichkeit dazu ha- CSU und der FDP) ben. Hier müssen wir unterstützend tätig werden. Das gilt übrigens auch für zahlreiche historisch wert- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der volle Gebäude in der ganzen Republik. Ich denke da an CDU/CSU) Kirchen, alte Landhäuser, Museen. Da sollten wir prü- fen, inwieweit wir ein neues Programm für die Hilfe zur Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus Sanierung auflegen können, wie wir es früher schon ein- dürfen wir nicht zulassen. Deshalb müssen wir diesen mal hatten mit „Dach und Fach“ für Ostdeutschland. Erscheinungen auch mit aktiven Angeboten im Bereich Auch in Westdeutschland gibt es genügend Fälle, in de- der kulturellen Arbeit und der politischen Bildung entge- nen Handlungsbedarf besteht. gentreten. Auch das ist ein Teil unserer Arbeit, der sich in dem Konzept widerspiegeln muss. Gedenkstätten ha- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Haben Sie ben dabei als Gedenk- und vor allem Lernorte eine wich- das alles mit Ihrem Finanzminister abge- tige gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Wir brauchen stimmt, was Sie hier versprechen?) aufbereitete pädagogische Angebote. Daneben sind Be- – Darüber werden wir in den parlamentarischen Beratun- richte von Zeitzeugen wichtig, aber die wird es nicht gen diskutieren, Herr Kampeter. mehr lange geben. Jetzt können sie noch in Schulen ge- hen. Ich vermittle viele Zeitzeugen an Schulen. Das ist Nicht nur bei der populären Musik, für die Sie sich immer ein bewegendes Erlebnis. Daneben brauchen wir besonders einsetzen – Sie haben für die „Initiative Mu- aber eben die Gedenkorte als Orte, die deren Erfahrun- sik“, die jetzt ihre Arbeit auf der Popkomm aufnehmen gen bleibend pädagogisch vermitteln. soll, 1 Million Euro zusätzlich erwirkt, worüber wir uns 11516 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Monika Griefahn (A) freuen –, sind wir auf einem guten Weg. Wir haben in Kulturstaatsminister zugesagt hat, möglichst bald einen (C) unserem Antrag für den Bundestag klare Vorstellungen Medien- und Kommunikationsbericht vorzulegen. Da- formuliert, die wir nun in konkrete Projekte umsetzen raus können wir dann auch weitere Tätigkeiten ableiten. müssen. Ich denke da zum Beispiel auch an die stärkere Ich freue mich, dass – der Staatsminister hat es deut- Einbindung von Jazz in die öffentliche Förderung lich gemacht – die Deutsche Welle einen Aufwuchs von (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da sind wir 4 Millionen Euro erfährt. Es ist der Deutschen Welle uns seltsamerweise einig!) gelungen, Kooperationsverträge mit ARD und ZDF ab- zuschließen. Von dem Geld können zum Beispiel oder die praktische Unterstützung von Nachwuchsbands, Weltsenderechte gekauft und das arabische Programm zum Beispiel durch Tourbusverleih. ausgeweitet werden. Das sind beides sehr sinnvolle In- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Ob das eine vestitionen. Bundesaufgabe ist, wage ich allerdings zu be- Damit komme ich zur auswärtigen Politik. Im vorlie- zweifeln!) genden Haushaltsentwurf zeigt sich, dass Kultur nicht – Die vielen zustimmenden Zuschriften, Herr Kampeter, nur im Inland Bedeutung hat, sondern auch im Ausland. die ich in den letzten Wochen bekommen habe, zeigen Wir kommen zwar gleich noch zum Haushalt des Aus- mir, dass wir hier das Richtige tun. Ich bin froh, dass wir wärtigen Amtes, aber es ist wert, auch in der Kulturde- unsere Vorschläge da einbringen können. batte erwähnt zu werden: Die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik erhält zusätzlich 82 Millionen Euro. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sie sollten öf- Das ist ein Aufwuchs von 15 Prozent gegenüber dem ter auf meine Vorschläge hören, Frau letzten Jahr. Das ist ein Erfolg. Griefahn!) Drei wichtige Initiativen aus dem Programm: Das – Sie hören ja auch auf meine; darüber freue ich mich. Goethe-Institut wird in diesen Monaten mit einem Auch im Bereich der Computerspiele geht es voran. neuen Konzept zukunftsfähig gemacht. Wir haben es ge- Nachdem besonders gewalthaltige Computerspiele in schafft, endlich die Budgetierung ab 2008 durchzuset- den letzten Monaten im Fokus der Öffentlichkeit stan- zen. Das war eine Arbeit von zehn Jahren, Lothar Mark. den, wächst nun die Erkenntnis, dass man mit einer För- Außerdem können wir die Programmmittel ab dem derung von wertvollen Inhalten mehr erreichen kann als nächsten Jahr um rund 10 Millionen Euro erhöhen. Das mit Verboten, die in ihrer Wirkung äußerst umstritten bringt die deutsche Kultur ins Ausland, und der Aus- sind und bei denen man sich auch über die Instrumente tausch und Dialog, den wir auf der Welt dringend brau- streitet. chen, kann damit verstärkt werden. Ich finde, das ist ein (B) großer Erfolg. Ich möchte mich beim Außenminister (D) (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Sehr herzlich dafür bedanken, dass er das so unterstützt und richtig!) vorangebracht hat. Mit zwei neuen kulturpolitischen Initiativen wollen wir (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des die Förderung erreichen. Zum einen soll mit dem Projekt Abg. Wolfgang Börnsen [Bönstrup] [CDU/ „Netz für Kinder“ eine sichere Umgebung für Minderjäh- CSU] – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Und rige angeboten werden, die zugleich ungefährliche und die Auslandsschulen!) wertvolle Spiele herausstellt. Zum anderen soll es eine Stiftung geben, in der sich Spieleentwickler, Hersteller, – Dazu komme ich jetzt. Einzelhandel und Politik gemeinsam für eine bessere Ak- Zum zweiten Punkt. Mit über 40 Millionen Euro wer- zeptanz des Mediums, für mehr Medienkompetenz und den wir eine große Schulinitiative durchführen. Das er- Jugendschutz sowie eine bessere Produktionsförderung öffnet die Chance, dass endlich wieder mehr Schülerin- bei hochwertigen Spielen einsetzen. nen und Schüler auf der Welt Deutsch als Fremdsprache Ich denke, es fehlt nur ein Baustein: Wir brauchen ei- lernen und damit eine bessere Beziehung zu unserem nen Spielepreis, so wie den Filmpreis, mit dem wir öf- Land aufbauen. Ich durfte den Ausschuss beim 150-jäh- fentlich deutlich machen können, welche Computer- rigen Jubiläum der Deutschen Schule in Montevideo spiele eine Bereicherung der Medienkultur sind, welche vertreten zu den besten ihrer Art gehören und so von Eltern ohne (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wo Sie über- Bedenken für ihre Kinder gekauft werden können. Das all hinreisen, Frau Kollegin!) gibt gleichzeitig einen wichtigen Impuls für die Branche, noch mehr solcher öffentlich ausgezeichneten Spiele zu und habe gesehen, welch wichtige Arbeit die Schule dort produzieren. seit 150 Jahren leistet, wie wichtig die Anbindung an Deutschland über die deutsche Sprache und damit über (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Deutsche Schule ist. der FDP) Die dritte Initiative heißt „Aktion Afrika“. Hier wer- Ein weiteres positive Element ist, dass wir dringend den wir den deutsch-afrikanischen Dialog mit einen Medien- und Kommunikationsbericht brau- 20 Millionen Euro durch Schüleraustausche, Medienar- chen. Wir führen zwar aktuell keine Diskussion mehr beit, Stipendien, Künstleraustausche oder Kulturprojekte über Pressefusion und Medienkonzentration, aber das verstärken. Damit soll eine stärkere Anbindung des Kon- Thema wird uns weiter verfolgen. Ich bin froh, dass der tinents über Kulturaustausch erreicht werden, also eben Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11517

Monika Griefahn (A) nicht nur über Entwicklungsarbeit. Wir sehen immer Aufarbeitung hinsichtlich des Nationalsozialismus sa- (C) wieder, wie wichtig es ist, nicht nur zu kommen und zu gen; Frau Jochimsen hat hier schon auf einiges hinge- sagen, man müsse jetzt einmal helfen, sondern auch den wiesen. Natürlich ist es gut, wenn auch die westdeut- Reichtum der Länder zu erkennen, sich mit ihnen zu ver- schen KZ-Gedenkstätten in die institutionelle Förderung ständigen und in einen Dialog einzutreten. Das ist etwas aufgenommen werden. Es fällt aber auf, dass im vorlie- anderes, als zu kommen, nur um zu helfen. genden Entwurf die Bedeutung des zivilgesellschaft- lichen Engagements für die Erinnerungskultur nicht Ich bin froh, dass wir mit diesem Haushalt zeigen mehr ausdrücklich erwähnt und gewürdigt wird. können, dass die Themen der Kultur- und Medienpolitik sowohl im Inland als auch im Ausland wichtige Themen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind, Themen mit Zukunft, die wir als solche verstehen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Ich freue mich, dass wir in den Ausschüssen mit allen Fraktionen wirklich gut zusammengearbeitet haben. Da- Das ist ein Problem, weil dann gerade die zivilgesell- für möchte ich mich bedanken. schaftlichen Projekte im Bereich der Erinnerung an den Nationalsozialismus nicht mehr möglich sind. Damit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie entsteht die Gefahr, eine Institutionalisierung der Erinne- bei Abgeordneten der LINKEN) rungskultur in Gang zu setzen, nach dem Motto: Wir, die öffentlichen Institutionen, erledigen das mit der Erinne- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rungsarbeit schon für euch. Das Wort hat die Kollegin Katrin Göring-Eckardt, Ich möchte gern daran erinnern, dass sowohl in der al- Bündnis 90/Die Grünen. ten Bundesrepublik als auch in der Nachwende-DDR die Aufarbeitung der Vergangenheit von der Zivilgesell- Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaft politisch erkämpft werden musste. Auch deswe- NEN): gen ist es dringend notwendig, dies zu würdigen. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na- türlich freuen auch wir uns über den Aufwuchs des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haushalts im Kulturbereich; daran gibt es nichts zu deu- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) teln. Als Thüringerin freue ich mich ganz besonders über Gerade die Projekte, die aus der Mitte der Gesell- die Aufwüchse bei der Klassik-Stiftung Weimar. Es hat schaft kommen – wir alle wissen das –, sind besonders sich gezeigt, dass es hier eine gesamtstaatliche Verant- erfolgreich und tragen viel zur Erinnerungskultur bei. wortung gibt, und das ist gut so. Ich nenne nur das Beispiel des Projekts „Stolpersteine“ (B) (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Jetzt können des Künstlers Gunter Demnig, an dem sich viele hier im (D) Sie Ihre Rede beenden! Ich befürchte Schlim- Hause auf unterschiedliche Art und Weise beteiligt ha- mes!) ben. Es muss freie Töpfe für zivilgesellschaftliche Pro- jekte geben, ohne die wir in der Erinnerungskultur in Weil eine kurze Redezeit für die Opposition natürlich Deutschland nicht auskommen, meine Damen und Her- nicht dazu einlädt, zu langen Lobreden anzuheben, will ren. ich an dieser Stelle auf das Thema Gedenkstättenkon- zept und Erinnerungskultur zu sprechen kommen; (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Neumann, Sie haben es in Ihrer Rede kurz erwähnt. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Der Entwurf nennt sich zwar „Fortschreibung der Ge- Ich glaube übrigens, dass sich die paternalistische Art denkstättenkonzeption“, weist aber doch einige sehr nach dem Motto „Wir regeln das schon für euch“ auch markante Unterschiede zu dem auf, was die rot-grüne darin widerspiegelt, dass die inhaltliche Autonomie Bundesregierung mit ihrer Gedenkstättenkonzeption auf und die politische Unabhängigkeit der KZ-Gedenk- den Tisch gelegt hat. stätten im vorliegenden Entwurf eben nicht mehr aus- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Danke! Es drücklich erwähnt werden. Das klingt ein bisschen da- wird besser mit dem Lob!) nach, als ob man politisch Einfluss nehmen will. Es geht um Unterschiede, die man leicht übersehen Damit komme ich zu den Kriterien bezüglich der kann, insbesondere wenn man weiß, dass es um Förderungswürdigkeit. Natürlich ist es richtig, dass der 10 Millionen Euro mehr für die Gedenkstättenförderung nationale und internationale Stellenwert des Ortes ent- geht. Dennoch: Erstens ist genaues Hinsehen angesagt, scheidend ist. Dann wird aber gleich als Kriterium, zweitens muss natürlich eine öffentliche Diskussion durch das dieser Stellenwert zum Ausdruck kommen stattfinden; denn es geht um politische Gewichtung. An soll, die Besucherzahl genannt. Wenn man sich überlegt, dieser Stelle möchte ich sagen: Ich bin sehr froh, dass was es bedeutet, dass an der Besucherzahl gemessen der Kulturstaatsminister nicht dem Gedenkstättenkon- wird, ob eine Gedenkstätte förderungswürdig ist, dann zept mit der Art von Erinnerungskultur folgt, das die entsteht das Problem, dass aus den ehemaligen KZs und CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor einiger Zeit vorge- den heutigen Gedenkstätten Museen gemacht werden. legt hat und das eine deutliche Verschiebung der Das ist aber nicht angemessen, weil es dort um die Aus- Schwerpunkte vorgesehen hat. einandersetzung mit den Orten unserer eigenen Erinne- rung geht. Dennoch sind ein paar kritische Anmerkungen nötig. Insbesondere möchte ich einiges zum Gedenken und zur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11518 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Katrin Göring-Eckardt (A) Das sind übrigens auch riesige Friedhöfe. Auch mit Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): (C) Rücksicht auf die Opfer sollten wir nicht so tun, als ob Wir haben gerade erst gestern Abend miteinander ge- die Besucherzahl das einzig relevante oder auch nur das sprochen. erste Kriterium sein könnte. (Heiterkeit – Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Wir brauchen Evaluierung. Wir brauchen übrigens Oh! Frau Göring-Eckardt sagt nicht die Wahr- auch eine öffentliche Diskussion. Ich würde mir sehr heit!) wünschen, dass auch mit denjenigen, die in diesen Ge- Sehr angenehm! Es war kein Geheimgespräch zwischen denkstätten arbeiten, über das Gedenkstättenkonzept dis- Christdemokraten und Grünen – noch kein Geheimge- kutiert wird. Das ist bisher nicht geschehen. spräch. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Unstreitig, (Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Wer Frau Kollegin!) hier alles miteinander redet!) Wichtig ist im diesem Zusammenhang übrigens auch, – Tja. dass wir die Rahmenbedingungen für eine qualitativ Frau Vizepräsidentin, ich finde, dass Sie sehr nach- hochstehende wissenschaftliche Arbeit und für eine gute denklich über das Konzept gesprochen haben, dass Sie Bildungsarbeit dauerhaft sichern. Auch hierauf ist hinge- aber, wie es in einer Rede dann eben stattfindet, auch ein wiesen worden. Dies ist offensichtlich auch nötig, wie wenig schwarz-weiß gemalt haben. wir an dem Beispiel der ehemaligen NDR-Journalistin Eva Herman und übrigens auch an den Reaktionen auf Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass das Konzept, ihre Äußerungen gesehen haben. das der Staatsminister vorgelegt hat, sehr wohl zwischen den Diktaturen, die wir erlebt und erlitten haben, diffe- Wir brauchen diese Arbeit auch, wenn wir die neona- renziert und auch sehr wohl deutlich macht, dass wir die zistischen Umtriebe bekämpfen wollen. Beides gehört Erinnerungsüberlegungen hinsichtlich der NS-Herr- zusammen: die Bildungsarbeit in den Gedenkstätten und schaft in ihrer ganzen Brutalität verstetigen und verstär- das, was wir heute tun. ken müssen und dass wir unabhängig davon auch einen Ein letzter Punkt. Ich möchte nicht, dass es zu einer Aufholbedarf in der Frage der DDR-Geschichte haben? Verschiebung und zu einer Parallelisierung kommt, was Würden Sie Folgendes vielleicht noch einmal deut- die Aufarbeitung der DDR-Geschichte, die notwendig lich machen: In keiner Zeile ist erwähnt, dass es einen ist, angeht. Eine solche Verschiebung beziehungsweise politischen Einfluss geben kann. Im Gegenteil: Wir ha- Parallelisierung feiert hier und da fröhliche Urständ, wie ben deutlich gemacht, dass es die Aufgabe der Zivilge- (B) sich an den Äußerungen aus den Reihen insbesondere sellschaft ist, dafür zu sorgen, dass es wie in der Vergan- (D) der Linken zum Schießbefehl sehr deutlich zeigt. genheit eine gemeinsame Aufarbeitung der schlimmen Erbschaften zweier Diktaturen gibt. (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr wahr, Frau Kollegin!) Dritter Punkt. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass man sich im Rahmen der Erinnerung an die Mauer Dennoch sind es zwei unterschiedliche Themen, die und der Erinnerung um das Brandenburger Tor herum wir unterschiedlich behandeln sollten. Wir sollten nicht sehr wohl bemüht, ein Konzept vorzulegen, mit dem auf so tun, als ob wir das, was die Stasi-Unterlagenbehörde die Symbolhaftigkeit der Erinnerung abgestellt wird? heute macht, für verzichtbar erklären könnten. Ich glaube, auch hierfür brauchen wir diesen Ort der Erinne- Letzter Punkt. Würden Sie auch zur Kenntnis neh- rung. Wir brauchen die Fortsetzung dieser Arbeit. men, dass die beiden Koalitionsfraktionen und auch Ihre Fraktion bei den ersten Überlegungen des Staatsminis- ters im Ausschuss für Kultur und Medien gesagt haben: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir benötigen ein großes Anhörungsverfahren mit allen Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben Ihre Rede- Betroffenen und Beteiligten, weil dieses Konzept es ver- zeit schon weit überschritten. Würden Sie trotzdem eine dient, gemeinsam diskutiert und von allen getragen zu Zwischenfrage des Kollegen Börnsen zulassen? Dann werden. könnte ich die Uhr stoppen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Frau Kollegin Göring-Eckardt, würden Sie Ihre Ant- NEN): wort bitte mit den noch ausstehenden Schlussbemerkun- Das kommt mir zugute, Herr Börnsen, in der Hoff- gen verbinden. nung, dass Sie die richtige Frage stellen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: War diese Frage abge- Herr Kollege Börnsen, ich möchte bemerken, dass Sie sprochen?) sich für eine Zwischenfrage gemeldet, aber vier gestellt haben. – Herr Börnsen und ich sprechen eigentlich nicht mitei- nander. Diese Frage war also nicht abgesprochen. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Hans-Joachim Otto [Frankfurt] (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Oh!) [FDP]: So ist er!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11519

(A) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): (C) NEN): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Teil der De- Er hat sozusagen vier Antworten bestellt. batte, der sich auf die Kultur bezog, beinhaltete sicher- lich einen Strauß von Themen. Bemerkenswert ist aller- Ich freue mich sehr, dass wir uns einig sind, was das dings, dass in einer Haushaltsdebatte zu der Position des zivilgesellschaftliche Engagement angeht. Haushalts, die mit Abstand den größten Anteil aufweist, kein Wort gesagt wurde. Die Hauptstadtkulturförde- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Das heißt nicht rung macht mehr als 50 Prozent des Etats von Staatsmi- gleich Schwarz-Grün, Frau Kollegin!) nister Neumann aus. Aber keiner der vier von mir ge- Es kann in der weiteren Diskussion des Konzeptes eine schätzten Vorredner hat hierzu ein Wort verloren. Rolle spielen. Wenn es aufgenommen wird, kommen wir (Monika Griefahn [SPD]: Die Deutsche Welle an diesem Punkt sicherlich weiter. Ich würde mich da- gehört dazu!) rüber sehr freuen. Ich sage noch einmal, dass wir darauf definitiv nicht verzichten können. – Nein, die Hauptstadtkulturförderung hat auch ohne die Deutsche Welle einen Anteil von über 50 Prozent, Frau Ich will auch etwas zu dem Punkt Parallelisierung der Kollegin Griefahn. Aufarbeitung der NS-Diktatur und der Aufarbeitung der DDR-Geschichte sagen. In dem Konzept wird in der Tat Es bestünde durchaus ein aktueller Anlass, zur Haupt- zunächst auf die Unterschiede der beiden Systeme hin- stadtkulturförderung mehr als nur ein Wort zu verlieren. gewiesen. Aber dann wird – auch was die Sprache an- Denn nach Presseberichten, so jüngst im Spiegel, soll es geht – doch eine Parallelisierung vorgenommen. Bei der zwischen dem Berliner Senat und der Bundesregierung Diskussion müssen wir deutlich machen, dass wir diese in Person von Herrn Neumann Verhandlungen darüber zwei sehr unterschiedlichen Weisen, mit der Geschichte geben, dass der Bund seinen Anteil zur Unterstützung umzugehen, brauchen. Wir sollten nicht so tun, als ob der Staatsoper Unter den Linden maßgeblich erhöht. man einfach über zwei deutsche Diktaturen redet. Wenn Nun weiß ich natürlich nicht, ob diese Presseberichte zu- wir uns darüber einig sind, dann kommen wir zusam- treffend sind. Aber es bestünde jedenfalls Anlass, einmal men. darüber zu reden, zumal es sich um haushaltsaktive Posi- tionen handelt. Der Spiegel schreibt, dass der Bund be- Ich bin ganz sicher, dass wir eine öffentliche Diskus- reit sei, erheblich mehr Geld zu geben. Mich würde sion brauchen. Deswegen ist die Anhörung wichtig. Wir schon interessieren, wie das haushaltstechnisch bewäl- brauchen aber nicht nur eine Diskussion in Fachkreisen, tigt werden soll. sondern wir müssen uns selbst darüber klar werden, wie (B) (D) wir mit unserer eigenen Geschichte umgehen. Dafür Ein Weiteres. In Art. 22 des Grundgesetzes steht zur brauchen wir die Zivilgesellschaft. Aber auch die De- Hauptstadtkulturförderung – daran darf ich erinnern –: batte im Ausschuss und im Deutschen Bundestag sowie „Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Kön- die öffentliche Debatte sind wichtig. Dies gilt besonders nen wir es zulassen, dass der Deutsche Bundestag an der angesichts des braunen Mobs, der zurückkehrt. Das ist Hauptstadtkulturförderung allenfalls marginal beteiligt übrigens nicht nur ein ostdeutsches, sondern ein gesamt- wird, dass dieser Bereich durch eine Verwaltungsverein- deutsches Problem, dem wir uns stellen müssen. barung zwischen Berlin und dem Bund geregelt wird? Können wir es uns nicht herausnehmen, zu sagen, dass Wir dürfen die KZ-Gedenkstätten nicht zu Museen hier ein klarer Staatsvertrag zwischen dem Land Berlin machen, sondern wir müssen sie zu Orten lebendiger Er- und dem Bund abgeschlossen werden muss, damit auch innerung machen. Sie müssen unabhängig bleiben, weil die Parlamentarier, und zwar sowohl im Abgeordneten- die wissenschaftliche Aufarbeitung und die Bildungsar- haus von Berlin als auch im Bundestag, beteiligt wer- beit so in einer freien Atmosphäre stattfinden können. den? Das halte ich für einen ganz zentralen Punkt. Auch wenn viele schöne Themen besprochen worden Ich glaube, wenn wir all diese Punkte in unserer Dis- sind, muss ich bemängeln, dass dieses Thema in unserer kussion berücksichtigen, dann werden wir das, was wir heutigen Haushaltsdebatte fehlte. gesellschaftlich so dringend nötig haben, zusammen hin- bekommen. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es wird eine weitere Kurzintervention gewünscht, Vielen Dank. und zwar vom Kollegen Kampeter. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Monika Griefahn [SPD]: Der hat doch die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ganze Zeit interveniert!) Er bezieht sich auf den Redebeitrag der Kollegin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Göring-Eckardt. Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hans-Joachim Otto das Wort. Ich bitte Frau Kollegin Göring-Eckardt, ihm zuzuhö- ren und ihre Aufmerksamkeit von Herrn Trittin abzu- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Die FDP hat wenden, damit sie anschließend auf die Kurzintervention der Kultur keine Redezeit zuerkannt!) reagieren kann. – Bitte schön, Herr Kampeter. 11520 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Steffen Kampeter (CDU/CSU): Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des (C) Auch ich will meine Enttäuschung darüber ausdrü- Auswärtigen: cken, dass die Kollegin Göring-Eckardt es versäumt hat, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und zu diesen wichtigen Fragen der Hauptstadtkulturförde- Herren! Fast bin ich versucht zu sagen: So viel Außen- rung Stellung zu nehmen. Ich will in diesem Zusammen- politik war nie. Das liegt nicht daran, dass wir in diesem hang gerne auf einige Aspekte hinweisen: Jahr zwei geeignete Bühnen, die G-8-Präsidentschaft und die EU-Präsidentschaft, zur Verfügung hatten. Wir Erstens. Der Bund steht zu seiner Verantwortung für haben diese Präsidentschaften – das haben Sie gesehen – Berlin als Hauptstadt und auch für deren kulturelle nicht nur ertragen oder sind dabei, sie zu überstehen. Wir Funktion. haben die kleinen und großen Gipfel in Berlin, Brüssel, Heiligendamm, Bremen, Hamburg, Nürnberg, Potsdam Zweitens. Sowohl bezogen auf Fragen der Kultur als und wo immer sonst nicht nur protokollarisch bewältigt, auch bezogen auf Fragen der inneren Sicherheit gibt es sondern auch versucht, das zu tun, was von uns gefordert sehr intensive Verhandlungen mit dem Land Berlin. wurde: Wir haben die Präsidentschaften für eine kraft- Drittens. Wenn ich den Sachstand richtig interpre- volle politische Gestaltung genutzt. tiere, hat der Regierende Bürgermeister das sehr großzü- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) gige Angebot einer Investitionsförderung zugunsten der Berliner Staatsoper seitens der Regierung – sie hätte es Das hat, wie ich finde, geholfen. Das hat geholfen, dem Parlament wahrscheinlich später vorgelegt – abge- Europa wieder aus der Krise zu führen, und das hat dazu lehnt. beigetragen, dass Europas Stimme in der internationalen Politik wieder wahrnehmbarer geworden ist. Dafür ha- Viertens. Ich gehe davon aus, dass alle Prozesse, die ben in erster Linie nicht wir uns, sondern andere uns ge- als Bundesleistung für Berlin zu verstehen sind, bei den lobt. Auch deshalb stehen wir weiterhin in der Verant- Haushaltsberatungen im Deutschen Bundestag eine wortung, diese Politik auch unabhängig von einer große Rolle spielen werden, sodass keinerlei Beschluss- Präsidentschaft voranzutreiben. fassung am Parlament vorbei zu befürchten ist. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der CDU/CSU) Noch etwas ist uns gelungen – nicht in den letzten Vizepräsident Dr. h. c. : sechs Monaten, aber in den letzten zwei Jahren –: Ohne Frau Kollegin, wollen Sie reagieren? – Sie müssen das deutsche Engagement bei den internationalen Kon- nicht, Sie dürfen. flikten auf dem Balkan, in Afghanistan, im Nahen Osten und in Afrika, wo wir gebraucht wurden, zu vernachläs- (B) sigen, haben wir für ein neues Verständnis von Außen- (D) Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- politik geworben. Wir haben dafür geworben, dass mit NEN): der Globalisierung neue Aufgaben auf die Außenpolitik Ich weiß, dass ich antworten darf. – Ich freue mich zukommen, auf die wir uns jetzt und nicht irgendwann natürlich sehr darüber, dass ausgerechnet ich dafür ver- vorbereiten müssen. antwortlich gemacht werde, dass die Hauptstadtkultur in Ich habe vor zwei Jahren auf der Münchener Sicher- dieser Debatte keine Rolle gespielt hat. heitskonferenz – der eine oder andere von Ihnen war da- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei, wie ich mich erinnere – ein Plädoyer für eine voraus- NEN, bei der CDU/CSU und der FDP) schauende Außenpolitik gehalten: für eine Außenpolitik, die sich bereits jetzt um die zu erwartenden Verteilungs- Herr Kampeter, das finde ich sehr ehrenwert. Möglicher- konflikte um knappe Ressourcen wie Energie, Roh- weise haben Sie immer noch das Gefühl, dass ich einer stoffe, Wasser und Nahrung kümmert, für eine voraus- Regierungsfraktion angehöre. Das wird auch bald wie- schauende Außenpolitik, die Instrumente dafür der so sein, und dann wird man dieses Thema hier ent- entwickelt, dass sich aus solchen Interessensgegensätzen sprechend behandeln können. keine Konflikte entwickeln, für eine Außenpolitik, die die guten Erfahrungen der Entspannungspolitik vergan- Vielen Dank. gener Tage nutzt. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN) Ich erinnere mich auch, dass dieses Plädoyer vor zwei Jahren von den alten NATO-Hasen auf der Münchener Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sicherheitskonferenz noch etwas belächelt wurde. Heute Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen lacht keiner mehr. Nur, die Rezepte, die jetzt vorgelegt nicht vor. werden, sind noch nicht die richtigen. Ich bin fest davon Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Aus- überzeugt, dass der Vorschlag für die Schaffung einer wärtigen Amtes, Einzelplan 05. „Energie-NATO“ nicht die richtige Antwort auf die Fra- gen ist, die sich uns stellen werden. Da müssen wir di- Das Wort hat Bundesaußenminister Frank-Walter ckere Bretter bohren. Seien Sie sicher: Ich jedenfalls Steinmeier. habe keine Scheu davor. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der SPD) der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11521

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Zu den weltweit knappen Gütern gehört – lassen Sie wäre es am einfachsten, darauf mit Verbalattacken und (C) mich das so offen sagen – leider manchmal auch die mit dem Abbruch der Gespräche zu antworten. Würde Vernunft. Ich habe vor einigen Monaten hier im Deut- man das tun, wären einem am nächsten Tag zumindest schen Bundestag bei einer abrüstungspolitischen Debatte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und die Schlag- schon einmal darauf hingewiesen, welche Sorgen hier zeilen in den Zeitungen sicher. angezeigt sind. Ich bin froh – die Entwicklung der jüngs- Nur – das ist meine Herangehensweise –: Zu einer ten Diskussionen zeigt dies –, dass ich mit dieser Auffas- Lösung trägt all dies nicht bei. Deshalb ist es vernünftig, sung nicht ganz allein bin. dass wir neue – sicher mühselige – Gespräche aufneh- Ich weiß nicht, ob der eine oder andere von Ihnen den men, um das ganz offenbar verloren gegangene Ver- Weckruf dreier großer amerikanischer Außenpolitiker trauen wieder aufzubauen. Ich habe für den nächsten gehört hat. Monat zu einer KSE-Konferenz nach Berlin eingeladen, um zu versuchen, das, was schon kaputtgegangen ist, ei- (Zuruf von der FDP: Ja!) nigermaßen zu reparieren. Kissinger, Shultz und Nunn haben darauf hingewiesen, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie dass Abrüstung und Nonproliferation keine Themen von des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/ gestern sind, DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Warum all das? Weil ich nicht einsehen kann, dass an- der CDU/CSU und der FDP) dere über europäische Interessen entscheiden. Wir haben dass sie jetzt vielleicht fast noch brisanter sind als im hier ein gewichtiges Wort mitzureden. Kalten Krieg. Das ist der Grund dafür, warum ich mich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten – ich bekenne das offen – trotz vieler Enttäuschungen der CDU/CSU) und trotz mancher Frustrationen weiter geduldig um eine Lösung des Iran-Konflikts kümmern werde Meine Damen und Herren, die Ansätze der Vernunft und der Nutzung der Dialogmöglichkeiten werden wir (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auch im Rahmen der diversen Regionalkonflikte, über der CDU/CSU) die heute Morgen schon gesprochen worden ist, verfol- und warum wir auch weiterhin – hoffentlich gemeinsam gen. Diesen Ansätzen werden wir treu bleiben. mit den Amerikanern, Russen und Chinesen – versuchen Im Nahen Osten haben wir die Europäische Union werden, den Iran von nuklearen Abenteuern abzuhalten, – das konnten Sie in den ersten sechs Monaten dieses ihn endlich auf den richtigen Weg zu bringen und zu er- Jahres beobachten – als ernstzunehmenden Akteur zu- (B) (D) mutigen, eine konstruktive Rolle bei der Lösung der rück an den Verhandlungstisch gebracht; damit haben Konflikte im Libanon, im Irak und auch in Afghanistan wir viel erreicht, wenn auch noch keine Lösung gefun- zu übernehmen. Entschiedenheit ist eine Voraussetzung den worden ist. Das war nur deshalb möglich, weil wir dafür, und die haben wir. dafür gesorgt haben, dass Europa seine Stellungnahmen Aber auch jenseits des iranischen Nuklearthemas ge- verantwortungsvoll und vor allen Dingen geschlossen hören Abrüstung und Rüstungskontrolle aus meiner abgibt, damit im Nahen Osten nicht fünf, sechs unter- Sicht wieder auf die internationale Agenda. Es geht da- schiedliche Meinungen aus Europa herumgeistern; denn bei nicht nur um Missile Defense oder die Vakuum- das würde keinem helfen. bombe. Wir haben – lassen Sie mich das etwas nach- Ich glaube, wir haben mit dazu beigetragen, dass das drücklicher sagen – ein europäisches Interesse daran, Nahostquartett wieder aktiv geworden ist und in der ara- dass die über Jahrzehnte entwickelte Abrüstungsarchi- bischen Welt Partner gefunden hat. Niemand fragt uns tektur nicht komplett rückabgewickelt wird. Solche Be- heute noch: Was wollt ihr Europäer bzw. ihr Deutschen drohungen bestehen. Deshalb sage ich: Wir können diese eigentlich im Nahen Osten? Vielmehr werden wir von Dinge nicht einfach laufen lassen. Israel und von den Palästinensern aufgefordert, unser Engagement in dieser Region aufrechtzuerhalten bzw. es (Beifall bei der SPD) womöglich noch zu steigern. Vertrauen haben wir jeden- Ich fühle mich in der Pflicht, Vorschläge zu machen. falls auf beiden Seiten gewonnen. Vielleicht sind wir so- Die deutsche Bundesregierung hat dies in Abstimmung gar diejenigen, die auch mit schwierigen, für eine Ge- mit den zuständigen Ministerien etwa bezüglich der Re- samtlösung aber unverzichtbaren Partnern wie zum form des Nichtverbreitungsvertrages gemacht, um den Beispiel Syrien reden können. nationalen Ehrgeiz verschiedener Länder zur Schließung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des Brennstoffkreislaufs zu begrenzen und daraus resul- der CDU/CSU) tierende Gefahren abzuwenden. Dieses europäische Inte- resse ist für mich auch der Grund, weshalb wir es nicht Ich glaube, dass das, was ich zum Nahostkonflikt ge- zulassen dürfen, dass Verträge, über die lange verhandelt sagt habe, trotz aller Unwägbarkeiten auch für den Ver- wurde, wie zum Beispiel das Abkommen über die Be- lauf des Konflikts im Kosovo gilt. In den sechs Monaten grenzung der konventionellen Rüstung, einfach so in die unserer Präsidentschaft haben wir es immerhin ge- Tonne getreten werden. Wie viele andere ärgere auch ich schafft, im Hinblick auf den Kosovo-Konflikt eine ge- mich darüber, dass wir jetzt in einer Situation sind, in der meinsame europäische Haltung zu bewahren – wahrlich das Abkommen leichthin suspendiert wird. Natürlich nicht ohne Mühe, wahrlich nicht ohne Konflikte, am 11522 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Ende aber erfolgreich. Als die Verhandlungen im Sicher- um mich bei all denjenigen ausdrücklich zu bedanken, (C) heitsrat stockten und vorläufig scheiterten, waren es vor die in den letzten Wochen an Vorschlägen gearbeitet ha- allem wir, die gesagt haben: Lasst uns jetzt dafür sorgen, ben, die wir Gott sei Dank in das Papier, das Sie mittler- dass keine Krise ausbricht – das Risiko der Gewaltan- weile kennen, einarbeiten konnten. wendung war nämlich vorhanden –, und lasst uns einen Weg finden, einen neuen Verhandlungsprozess zu begin- Deutlich geworden ist doch eines: Wir erfüllen unsere nen. Mittlerweile läuft dieser Prozess. Er dauert Aufgabe in Afghanistan, wenn wir erfolgreich dafür sor- 120 Tage und findet unter dem Dach einer Troika bzw. gen, dass funktionierende staatliche Strukturen entste- unter dem Dach der VN statt. Dadurch konnte der offene hen. Deshalb brauchen wir nicht nur ein Weiter-so, son- Bruch, der zu befürchten war, vermieden werden. Ich dern mehr Elan bei der Ausbildung der afghanischen hoffe, dass es uns gelingt, auf beiden Seiten die Kräfte Armee, der afghanischen Polizei sowie – das wird gerne zu mobilisieren, die für Mäßigung und für die Verfol- unterschlagen – der Richter und Staatsanwälte. Auch da gung gemeinsamer Interessen stehen. sind wir engagiert. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der CDU/CSU) Wir brauchen ein wirkliches Engagement und nicht nur Lippenbekenntnisse. Deshalb, lieber Fritz Kuhn – ich Zu den zentralen Themen gehört unser Engagement schätze Dich; das weißt Du –, ist „halb rein und halb in Afghanistan – viele von Ihnen haben sich dazu heute raus“ keine Antwort auf die Anforderungen, die dort an bereits geäußert –, über das wir in den nächsten Wochen uns gestellt werden. in diesem Hause noch vielfach miteinander diskutieren werden. Deshalb möchte ich nur einige Sätze zu meinem (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Grundverständnis sagen. Das, worüber wir in diesem FDP sowie der Abg. Monika Knoche [DIE Zusammenhang diskutieren werden, ist für mich keine LINKE]) pure Realpolitik. Unser Engagement in diesem Land ist ein humanes und politisch-moralisches Projekt. Deshalb Ich komme zum Schluss, weil ich aufgrund meiner ärgert es mich ganz gewaltig, dass wir die Diskussion, Redezeit zum Schluss kommen muss. Ich hätte gerne die wir unter den politisch Verantwortlichen führen, im- noch ein paar längere Ausführungen zur auswärtigen mer auf den Streit um Mandatskürzel reduzieren. Kultur- und Bildungspolitik gemacht. Ich will nur, Monika Griefahn, ein kleines Beispiel nennen: Gerade (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten hat der frühere französische Außenminister Hubert der CDU/CSU) Védrine dem französischen Präsidenten, den wir erst diese Woche zu Gast hatten, einen Bericht vorgelegt. (B) Die Weltgemeinschaft hat Afghanistan im Jahr 2001 (D) auf dem Bonner Petersberg und wiederholt auf anderen (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ein enger internationalen Konferenzen versprochen, es aus der Freund des Finanzministers!) Spirale von Willkür, Rechtlosigkeit und Gewalt zu be- freien. Sie, Herr Westerwelle und Herr Struck, haben in Was steht in diesem Bericht? Es finden sich viele kriti- diesem Zusammenhang Beispiele angeführt, die ich sche Bemerkungen über die französische Außenpolitik, nicht wiederholen muss. Wir haben den Menschen in aber auch ein Plädoyer für die Ausweitung der auswärti- Afghanistan versprochen, ihnen ein Leben in Freiheit gen Kultur- und Bildungspolitik mit all den Argumenten, und Würde zu ermöglichen. Mit dieser in ziviler Hin- die Sie von mir aus vergangenen Reden kennen. Das sicht immer stärker und in militärischer vielleicht immer sind Investitionen in unsere eigene Zukunft. Ich bin froh, schwächer werdenden Aufgabe sind wir noch nicht fer- dass der Finanzminister das genauso sieht wie ich. Ich tig. Das ist schlicht und einfach der Punkt. bedanke mich dafür und hoffe auf Ihre Unterstützung. Deshalb plädiere ich nicht für ein bloßes Weiter-so. Vielen Dank. Das war weder in der Vergangenheit meine Position (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) noch ist sie es jetzt. Wir waren diejenigen, die das PRT- Konzept entwickelt haben; das Stichwort ist heute Mor- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gen schon gefallen. Wir waren es, die in den NATO-Gre- mien mit dafür gefochten haben, dass der zivile Wieder- Ich erteile das Wort Kollegen Werner Hoyer, FDP- aufbau einen höheren Stellenwert erhält. Wir haben auch Fraktion. in den NATO-Gremien dafür gefochten, dass die Ein- (Beifall bei der FDP) satzregeln für ISAF angepasst werden, dass der Schutz unschuldiger Zivilisten einen höheren Stellenwert be- Dr. Werner Hoyer (FDP): kommt. Man hat da auch auf uns gehört; das bitte ich nicht kleinzureden. Wir wollen, dass unsere Botschaften Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die auch in Zukunft gehört werden. letzten sechs Monate waren geprägt von Gipfeln, Glanz und roten Teppichen. Jetzt sind die Mühen der Ebene in Natürlich werden wir unser Engagement in Afghanis- der Außenpolitik wieder erreicht. Die Bundesregierung tan immer wieder kritisch überprüfen und dort, wo es hat – mein Fraktionsvorsitzender hat das heute Morgen notwendig ist, anpassen; das haben Sie, glaube ich, bei klargemacht – diese Aufgaben gut bewältigt. Wir gratu- den fortgeschriebenen Konzepten unseres Afghanistan- lieren dazu. Wir schließen in unseren Dank insbesondere Engagements gespürt. Ich will diese Gelegenheit nutzen, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die der an- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11523

Dr. Werner Hoyer (A) deren Häuser ein. Das war eine große Herausforderung, Im Übrigen muss ich sagen: Die Verbindung der von (C) die bewältigt werden musste, und das ist gut gelungen. Ihnen sehr diskret vorverhandelten Freilassung der bul- garischen Krankenschwestern in Libyen mit dem franzö- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der sisch-libyschen Nukleardeal desavouiert nachträglich SPD) Ihre anerkennenswerten Bemühungen. Ich finde, das ist inakzeptabel. Ich hätte mich umso mehr gefreut, wenn Sie gerade unter diesen Gesichtspunkten den Antrag zu Strukturver- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD besserungen im Auswärtigen Amt, den die FDP einge- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bracht hat, nicht abgeschmettert hätten, obwohl die Au- ßenpolitiker der Koalition und auch der Minister selbst Das gilt erst recht, wenn hinterher in geradezu zynischer sehr viele Sympathien dafür gezeigt haben. Wir kommen Weise von einem Spitzenfunktionär der libyschen Seite darauf zurück: Mein Kollege Koppelin wird nachher mit darauf hingewiesen wird, dass alle Vorwürfe, die die eu- einigen ganz konkreten Vorschlägen für die Verbesse- ropäische Seite Libyen gemacht hatte, selbstverständlich rung der Situation des Auswärtigen Amtes aufwarten. zutreffen. Dass der deutsch-französische Motor ins Stottern Wir – nicht nur wir Liberale, sondern, wie ich denke, geraten ist, kann uns nicht fröhlich stimmen. Wenn in die große Mehrheit hier im Hause – hatten uns bei der Frankreich nun schon regierungsamtlich durchgestochen europäischen Verfassung ambitioniertere Ziele gesetzt, wird, Angela Merkel gehe dem französischen Präsiden- als unter deutscher Präsidentschaft erreichbar waren. ten auf die Nerven, dann verheißt das nichts Gutes für Trotzdem ist es gut, dass der Prozess wieder in Gang ge- die Zukunft. Ich finde es ja gut, dass die Marginalisie- kommen ist. Die EU muss demokratischer, transparenter, rung der kleinen und mittleren Staaten in Europa vorbei handlungsfähiger und bescheidener werden. Nicht alles, ist. Ich finde es gut, dass wir zurückkehren zu der Politik was im Juni beschlossen worden ist, geht in die richtige von Genscher und Kohl, für die die Ebenbürtigkeit der Richtung. Deshalb ist es umso wichtiger, jetzt keine wei- Staaten der Europäischen Union – unabhängig von tere Verwässerung zuzulassen. Es erfüllt uns Liberale mit Größe, Wirtschaftskraft, Lage und Zeit der Zugehörig- großer Sorge, dass einige Partner schon wieder bohren keit zur Europäischen Union – immer entscheidend war. und Forderungen erheben, die mit den Ergebnissen vom Trotzdem gilt es immer noch, zu beachten: Ohne Juni nicht vereinbar sind, insbesondere was die Vereinba- deutsch-französischen Konsens läuft in der Europäi- rung in Sachen Grundrechtecharta, aber auch was die schen Union nichts. Übrigens bleibt auch die zweite Abstimmungsprozeduren angeht. Diese Vereinbarungen Lehre gültig: Deutschland darf sich niemals in die Situa- müssen gewahrt werden. tion bringen, zwischen Washington und Paris wählen zu (B) (Beifall bei der FDP) müssen. (D) Der Prozess der Abnabelung von der Außenpolitik Darüber hinaus sage ich als Liberaler: Einem weite- der Regierung Schröder/Fischer ist erfolgreich vollzo- ren Kratzen an der Unabhängigkeit der Europäischen gen; das anerkennen wir. Ich fand im Übrigen den Auf- Zentralbank und an der Verpflichtung auf unverfälsch- tritt der Bundeskanzlerin in Peking herzerfrischend. Das ten, freien Wettbewerb werden wir Liberalen auf keinen war gewissermaßen der Schlusspunkt in einer Reihe von Fall zustimmen. Auftritten: in Moskau zum Thema Menschenrechte, De- (Beifall bei der FDP) mokratie und Rechtsstaatlichkeit, in Washington zum Thema Guantanamo Bay und jetzt in China. Das zeigt, Es wäre im Übrigen fatal, wenn sich die Reform der dass man für die eigenen Werte und Überzeugungen, für Europäischen Union weiter hinzöge und mit den Ver- das, was die ethische Grundlage unseres politischen handlungen über die Zukunft der EU-Finanzen in Zu- Handelns ist, eintreten kann, ja dass man die Achtung sammenhang geriete. Herr Minister, ich habe die große des politischen Gegenübers verliert, wenn man nicht für Befürchtung, das würde für den deutschen Steuerzahler das eintritt, was man für richtig hält. sehr teuer werden. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Ein Wort zur europäischen Außenpolitik. Es ist ja CDU/CSU sowie des Abg. nicht zu übersehen, dass es die immer stärker werdende [Wiesloch] [SPD]) Tendenz gibt, nationale Interessen über das Gemein- Gerade in Menschenrechtsfragen ist der Kotau unange- schaftsinteresse zu stellen. Es kann nicht sein, dass es, messen, wirkt geradezu kontraproduktiv. Allerdings ist wie es im Falle der Verhandlungen Tschechiens und Po- es eher ein Zeichen von Hilflosigkeit und Naivität, zu lens mit den USA über die Stationierung eines Raketen- glauben, mit kräftigen Sprüchen und mit dem Androhen abwehrsystems, wie es bei der Annäherung Spaniens an von Druck könnte man so gewichtige Partner bewegen. das Regime Fidel Castros auf Kuba oder wie es beim jüngsten französisch-libyschen Nuklearabkommen ge- (Lothar Mark [SPD]: Das gilt allgemein in der wesen ist, keine Abstimmung im Kreise der 27 gibt. Für internationalen Politik!) uns sind das elementare Fragen, die in den Rat der Euro- – Das gilt sehr allgemein, Kollege Mark, aber insbeson- päischen Union gehören. dere im Umgang mit China. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir müssen kulturelle, religiöse und philosophische der CDU/CSU) Grundlagen, aufgrund derer unsere Partner Politik ma- 11524 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Werner Hoyer (A) chen, stärker ins Kalkül einbeziehen und uns darauf ein- uns demnächst zu erklären haben, warum Sie den Antrag (C) stellen, wenn wir unsere eigenen Ziele definieren. Das der FDP-Fraktion auf Bemühungen der Bundesregierung gilt auch für ein so komplexes Land wie Afghanistan. um den Abzug der taktischen amerikanischen Atomwaf- Das ist ein Zeichen dafür, dass es hohe Zeit wird, mit fen aus Deutschland neulich abgelehnt haben und mögli- mehr Demut an diese Fragen heranzugehen. Das gilt cherweise demnächst wieder ablehnen werden. Hier er- schon für die Definition von Zielen und erst recht für die warten wir nicht nur Worte – die ich allerdings gerne Definition von Strategien, mit denen wir diese Ziele er- gehört habe –, sondern auch Taten. reichen wollen. Wir werden nicht in kurzer Zeit eine per- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fekte Westminster-Demokratie erreichen, aber wir kön- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen Probleme eindämmen und möglicherweise einen Beitrag zur Problembewältigung über die Zeit leisten. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das setzt voraus, dass wir realistisch werden und nie Das Wort hat nun Kollege Eckart von Klaeden, CDU/ vergessen, warum wir ein solches Engagement begonnen CSU-Fraktion. haben; das haben sowohl die Bundeskanzlerin als auch mein Fraktionsvorsitzender Guido Westerwelle heute (Beifall bei der CDU/CSU) Morgen sehr deutlich herausgearbeitet. Wir dürfen das nicht vergessen. Insofern ist Großes erreicht worden, Eckart von Klaeden (CDU/CSU): aber das muss auch nachhaltig werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! In Afghanistan und Pakistan gibt es nach wie vor die Seit der letzten Haushaltsdebatte Ende des letzten Jahres gefährlichste Basis für den Generalangriff auf unsere Le- können wir auf ein erfolgreiches Dreivierteljahr deut- bensform und die fundamentalen Werte der aufgeklärten scher Außen- und Sicherheitspolitik zurückblicken. Ich rechtsstaatlichen Demokratien des Westens. Deswegen freue mich, dass dieses Urteil nicht nur von der Koalition ist dieses Engagement weiterhin erforderlich, auch wenn geteilt wird – das ist zunächst einmal keine Überra- wir nicht einfach von Siegen oder Niederlagen sprechen schung –, sondern dass auch die Opposition – mit Aus- können. Das heißt aber nicht, dass wir bei den Mandats- nahme der Linkspartei – lobende Worte für die Bundes- vorschlägen keinen Nachsteuerungsbedarf sähen, auch kanzlerin und den Außenminister gefunden hat. wenn wir als Liberale ihnen zustimmen werden. Das gilt Man sollte sich einmal vor Augen führen, wie die für die Vernetzung unserer verschiedenen Politikberei- Ausgangslage vor der Übernahme der EU-Präsident- che und auch für die Vernetzung unserer Partner in der schaft in den Monaten November und Dezember des NATO. letzten Jahres war: Damals wurde gesagt, dass von der (B) Ich halte die Reduzierung der NATO auf die rein mi- deutschen EU-Präsidentschaft aus unterschiedlichen (D) litärische Dimension – wie sie der NATO-Generalsekre- Gründen, der Schwierigkeiten des Verfassungsprozesses tär im Spiegel erneut bekräftigt hat – für falsch. Das ist und der Wahlen in Frankreich, nicht viel zu erwarten sei. nicht akzeptabel, weil wir im Ergebnis nur dann zum Er- Nicht nur gemessen an diesem Maßstab, sondern objek- folg kommen werden, wenn wir unsere militärischen tiv daran, was erreicht worden ist – an dieser Stelle mein und zivilen Aktivitäten stärker bündeln, und zwar im ausdrückliches Kompliment an die Kanzlerin und den Gespräch mit den Partnern in der NATO. Außenminister –, haben wir viel geschafft, und zwar mehr als das, was man im November oder Dezember (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten letzten Jahres hat erhoffen können. der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Der Verweis auf die UNO geht hier völlig ins Leere. neten der SPD) Auch wenn der NATO-Generalsekretär nicht nur uns, Das gilt insbesondere für drei Felder. Der Klima- sondern auch der afghanischen Regierung mangelnde schutz ist ein Markenzeichen dieser Großen Koalition. Bereitschaft vorwirft, erinnert mich das an die Äußerun- Es ist uns gelungen, in der Europäischen Union zu ver- gen des amerikanischen Präsidenten gegenüber den Ira- bindlichen Vorgaben zu kommen, um den CO -Ausstoß kern nach dem Motto: „Wir haben zwar eine große Kata- 2 zu reduzieren, statt nur die Herausforderung des Klima- strophe angerichtet, aber für das, was jetzt zu bewältigen wandels international zu beklagen. Das ist ein Ergebnis ist, seid ihr selber verantwortlich.“ Das funktioniert des von der Bundesregierung vorbereiteten und geführ- nicht. Auch in Afghanistan wird die UNO alleine es ten EU-Gipfels. Das hat der damalige britische Premier- nicht richten. minister Tony Blair zu Recht als historisch bezeichnet. (Beifall bei der FDP) Der von vielen für tot erklärte Verfassungsprozess ist Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung, Herr Präsi- durch die deutsche Präsidentschaft so reanimiert wor- dent. Ich finde es gut, dass sich der Außenminister jetzt den, dass es nun eine Regierungskonferenz gibt, die dem Thema Abrüstung zuwendet. Seit zwei Jahren be- – damit können wir rechnen – zum Erfolg führen wird. ende ich jede Rede zur Außenpolitik mit diesem Aspekt Auch das ist ein Ergebnis, mit dem man vor einigen Mo- der Politik. Ich wünsche mir nur, dass wir demnächst naten noch nicht gerechnet hat. Die Bundesregierung hat entsprechende Zeichen sehen werden. Sie werden den zudem auf europäischer Ebene eine Initiative ergriffen, Vorsitz in der Nuclear Suppliers Group übernehmen und die dazu dient, uns auf die Herausforderungen vorzube- uns wahrscheinlich erklären, dass Sie den amerikanisch- reiten, die mit dem Aufstieg Asiens verbunden sind. Wir indischen Nukleardeal unterstützen werden. Sie werden müssen uns darauf einstellen, dass in den nächsten Jahr- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11525

Eckart von Klaeden (A) zehnten die Weltwirtschaft vor allem vom asiatischen Eine Schlüsselrolle bei der Verbindung von zivilem (C) Wachstum, vom asiatisch-pazifischen Raum bestimmt Aufbau und militärischer Sicherheit nach dem Konzept wird. der vernetzten Sicherheit kommt dem Aufbau der afgha- nischen Sicherheitskräfte zu. Das, was Deutschland vor- Wir müssen auf zwei Herausforderungen reagieren. schlägt, ist konzeptionell beispielgebend, aber die Mit- Zum einen müssen wir uns die Frage stellen, welche Fä- tel, die wir einsetzen, fallen hinter dem von uns selbst higkeiten und welche komparativen Vorteile wir uns an- formulierten Anspruch und vor allem hinter dem, was in eignen und weiterentwickeln sollen, um auch in Zukunft Afghanistan tatsächlich erforderlich ist, nach wie vor wettbewerbsfähig zu sein und das Maß an Wohlstand weit zurück. Wenn wir nicht auch beim Aufbau von Ar- und sozialer Sicherheit zu garantieren, an das wir uns in mee und Polizei unsere Bemühungen erheblich verstär- Europa und insbesondere in Deutschland gewöhnt ha- ken, gilt auch für diesen Bereich das, was ich zum zivi- ben. Das ist vor allem, aber nicht nur eine Aufgabe der len Aufbau gesagt habe: Wir gefährden das, was wir Forschungs- und Wissenschaftspolitik. Zum anderen bisher erreicht haben. Dass dieser Aufbau gar nicht mit müssen wir uns die Frage stellen, welche Strukturen wir so viel mehr finanziellen Mitteln verbunden sein muss, schaffen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Ei- wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass ein nen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Initiative zur NATO-Soldat durchschnittlich 4 000 Euro am Tag kos- Schaffung eines gemeinsamen transatlantischen Markt- tet. Das sind Kosten von 120 000 Euro oder 150 000 platzes, die auf dem europäisch-amerikanischen Gipfel Dollar im Monat. Ich weiß, dass sich die Kosten nicht im April dieses Jahres vereinbart wurde. Globalisierung eins zu eins übertragen lassen, aber mit 150 000 Dollar bedeutet, dass weltweite Entwicklungen unmittelbar im Monat könnte man 1 000 afghanische Soldaten oder Konsequenzen für die Art und Weise haben, wie wir in Polizisten mit einem Sold von 150 Dollar pro Monat ein- unserem Land leben und leben können. Das gilt für die stellen und ausbilden. Dieser Sold würde weit über dem wirtschaftlichen und die klimatischen Herausforderun- liegen, der heutzutage gezahlt wird. gen, aber auch und ganz besonders für die sicherheits- politischen Herausforderungen. (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das wäre das Fünf- fache!) Damit kommt man automatisch zu Afghanistan. Ich will deutlich sagen: Wer nach den glücklicherweise ge- Wenn wir uns jetzt einmal vor Augen führen, welchen scheiterten Attentatsversuchen in den letzten Tagen, Wo- Herausforderungen wir in Bezug auf die Sicherheitslage chen und Monaten nicht begreift, dass der Einsatz der gegenüberstehen, so kann ich bei aller Wertschätzung für Bundeswehr in Afghanistan zusammen mit unseren Ver- das Lob, das Sie, Herr Kollege Kuhn, der Bundesregie- bündeten im Rahmen der NATO zuallererst unseren ele- rung gezollt haben, die Position der Grünen, aus OEF mentaren Sicherheitsinteressen dient, dem ist wirklich (B) auszusteigen, nicht nachvollziehen. (D) nicht mehr zu helfen. (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das ist kein Tauschgeschäft!) neten der SPD) Der Bundeskanzler Gerhard Schröder hat in seiner Dieser Einsatz besteht im Wesentlichen aus zwei Ele- Amtszeit zweimal die Vertrauensfrage gestellt, beide menten. Es geht um den Aufbau ziviler Strukturen. Es Male mit überzeugenden Argumenten, einmal, um sie zu wurde schon zu Recht darauf hingewiesen, dass hier sehr gewinnen, und einmal, um sie zu verlieren. Als er sie viel erreicht wurde. Aber dort muss wesentlich mehr ge- noch gewinnen wollte, schehen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Be- kämpfung der Drogenwirtschaft. Wenn es uns nicht (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ gelingt, für die Bauern in Afghanistan alternative Ein- DIE GRÜNEN]) nahmemöglichkeiten zu schaffen, am 16. November 2001, und sie gewonnen hat, hat er (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: So ist es!) das mit der deutschen Beteiligung an der Operation „Enduring Freedom“ verbunden. Es ist nicht allein dann besteht die Gefahr, dass das, was wir bisher er- Gerhard Schröder, der dafür geworben hatte, sondern es reicht haben, erneut gefährdet wird. Das heißt, wir wür- sind, wenn ich mich recht erinnere, auch Sie persönlich den nicht nur auf dem Status quo verharren, sondern wir gewesen. würden Gefahr laufen, auf den Status quo ante zurückzu- fallen. Deswegen brauchen wir dort ein stärkeres Enga- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gement. Die Erhöhung der Mittel für den zivilen Auf- Natürlich!) bau in Afghanistan um 20 Millionen Euro im Haushalt Jetzt stellt sich die Frage, warum heute der Ausstieg der Bundesentwicklungsministerin ist zwar ein Schritt in aus OEF gerechtfertigt sein könnte. Dafür können drei die richtige Richtung, aber das ist – präziser beschrieben – Gründe ausschlaggebend sein. Der erste Grund wäre nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen uns eine so deutliche Verbesserung der Sicherheitslage, dass darauf einstellen, dass wir gerade für den zivilen Aufbau man auf die Terrorbekämpfung unter OEF verzichten – die Infrastruktur, den Straßenbau, die Wasser- und die kann. Das wird hier niemand ernsthaft behaupten wol- Energieversorgung – deutlich mehr tun müssen, wenn len. Das zweite Argument, das immer wieder angeführt wir die bisherigen Erfolge nicht gefährden wollen. wird, ist, dass die deutsche Beteiligung an OEF nicht an- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gefordert worden sei. Auch dieses Argument ist wenig neten der SPD und der FDP) überzeugend, wenn man sich vor Augen führt, dass deut- 11526 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Eckart von Klaeden (A) sche Truppen seit 2005 nicht mehr unter OEF in Afgha- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) nistan sind. Es ist also nicht so, dass die Truppen abge- Herr Kollege von Klaeden, wir, die Obleute im Ver- zogen wurden, weil sie nicht mehr angefordert wurden, teidigungsausschuss und im Auswärtigen Ausschuss, ha- sondern eher umgekehrt: Sie wurden nicht mehr ange- ben bis dato die Erfahrung gemacht, nie darüber unter- fordert, weil sie nicht mehr vor Ort waren. Das hat mit richtet worden zu sein, was OEF in Afghanistan konkret den begrenzten Kapazitäten unserer KSK-Truppen zu bedeutet. Über den Auftrag sind wir seit sechs Jahren in- tun. Also, auch das Argument, dass eine Beteiligung un- formiert; er ist klar. Können Sie der Erfahrung, die ich ter OEF nicht mehr erforderlich sei, weil es an der ent- seit inzwischen einigen Jahren mache, etwas entgegen- sprechenden Anforderung fehle, stimmt nicht. Schließ- setzen? lich kommen wir zu dem dritten, am meisten vorgetragenen Argument, nämlich zu der sich angeblich von dem ISAF-Mandat so sehr unterscheidenden Opera- Eckart von Klaeden (CDU/CSU): tionsführung unter OEF. Auch dieses Argument ist Herr Kollege Nachtwei, ich kann Ihrer Erfahrung falsch. Dieses Argument ist in erster Linie innenpolitisch nichts entgegensetzen. Informationen durch das deut- motiviert. Es hat nichts mit den Verhältnissen und der sche Verteidigungsministerium für die Mitglieder des Realität in Afghanistan zu tun; Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsaus- schusses konnten vor allem zu der Zeit gegeben werden, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- als deutsche Soldaten im Rahmen von OEF in Afghanis- NEN]: Das sagen selbst britische Soldaten, die tan eingesetzt waren. Dieser Einsatz ist, wie ich gerade im Süden eingesetzt sind! Die verstehen etwas ausgeführt habe, im Oktober 2005, also in der Schluss- davon!) phase Ihrer Regierungszeit, zu Ende gegangen. Deswe- gen hat es danach keine Informationen mehr gegeben. denn zu dem, was man euphemistisch „Kollateralschä- den“ nennt, zu zivilen Opfern, ist es bedauerlicherweise Ich gebe Ihnen aber recht – ich nehme an, Sie wollen sowohl unter ISAF als auch unter OEF gekommen. darauf hinaus –, dass der Informationsaustausch zwi- Nicht umsonst hat es entsprechende Äußerungen des schen ISAF und OEF in Afghanistan deutlich verbessert NATO-Generalsekretärs gegeben. werden muss; das ist für mich überhaupt keine Frage. OEF ist heute vor allem eine Ausbildungsmission. Ich halte es bloß für etwas widersinnig, dass gerade die- Die milliardenschwere Investition, die insbesondere von jenigen, die Wert darauf legen, dass die Weitergabe von den Amerikanern in Afghanistan für den Aufbau der Po- Informationen von OEF an ISAF, zum Beispiel durch die Tornado-Flüge, besonders restriktiv gehandhabt, also (B) lizei und für den Aufbau der Armee geleistet wird, wird (D) über OEF geleistet. Wer also für den Ausstieg aus OEF eingeschränkt wird, sich hinterher darüber beklagen, plädiert und gegen die Mandatsverlängerung stimmt, der dass es Mängel bei der Weitergabe von Informationen stimmt auch gegen diese Ausbildungsmission durch ISAF an OEF gibt. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ Ich finde, wir müssen uns darauf einstellen, dass eine DIE GRÜNEN]) künstliche Trennung in Bezug auf die Kooperation bei- der Operationen in Afghanistan nur ins Verderben führen und müsste dann erklären, wie er diese Aufgabe über- kann. Wir brauchen Kooperation, Abstimmung und ins- nehmen zu können glaubt. Das heißt, es ist in erster besondere Informationsaustausch in beide Richtungen. Linie innenpolitische Augenwischerei, wenn man sagt, Das ist die Konsequenz dessen, was ich gerade gesagt man könne die beiden aufeinander angewiesenen habe: dass beide Operationen aufeinander angewiesen Missionen in Afghanistan voneinander trennen. sind. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: ISAF und das da- Ich darf insbesondere an diejenigen appellieren, die in mit verbundene Mandat, die afghanische Regierung zu der letzten Legislaturperiode Regierungsverantwortung unterstützen, sind auf den Erfolg von OEF angewiesen. getragen und – das will ich deutlich sagen – mit überzeu- Auch OEF wird in Afghanistan nur erfolgreich sein, genden Argumenten die Auffassung vertreten haben, wenn ISAF seinen Auftrag erfüllen kann. Beide militäri- dass für den Erfolg in Afghanistan, für die Unterstützung schen Operationen werden ihr Ziel, für mehr Sicherheit des zivilen Aufbaus beide militärischen Operationen er- zu sorgen, wiederum nur erreichen können, wenn wir forderlich sind: Sie sollten sich heute nicht mit faden- beim zivilen Aufbau wesentlich mehr tun und deutlich scheinigen Ausreden, insbesondere mit der Rücksicht- erfolgreicher sind, als es bisher der Fall gewesen ist. nahme auf die eigene Wählerklientel, auf die innerparteiliche Situation oder auf Umfrageergebnisse aus dieser Verantwortung zu stehlen versuchen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr von Klaeden, gestatten Sie eine Zwischenfrage Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. des Kollegen Nachtwei? (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Westerwelle [FDP]: Das war eine gute Rede, Ja, bitte sehr. Herr von Klaeden!) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11527

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: seitens des Verteidigungsministeriums vertreten wird. (C) Das Wort hat nun Kollegin Monika Knoche, Fraktion Man muss einmal deutlich machen, dass das alles nicht Die Linke. zusammengeht. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Ich bin der Auffassung, dass es ganz wesentlich ist, in Monika Knoche (DIE LINKE): unseren außenpolitischen Debatten und Beratungen end- Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundeskanzlerin! lich das Thema „Klimawandel und Frieden“ in den Mit- Meine sehr geehrten Herren und Damen! Herr von telpunkt zu stellen; denn ich bin zutiefst davon über- Klaeden, in einem stimme ich Ihnen zu: Es ist richtig, zeugt: Nur bei Emanzipation von der Abhängigkeit von die heutige Oppositionsfraktion der Grünen auf ihre Ver- fossilen Energieträgern werden wir eine Friedensdivi- antwortung hinzuweisen, die sie mit dem Stellen der dende bekommen. Das ist die eigentliche friedenspoliti- Vertrauensfrage und dem Erzwingen der Zustimmung sche Aufgabe, die man bis hinauf in die UN-Ebene der Fraktion zum Afghanistan-Krieg hat. Ich möchte er- durchdeklinieren muss, wozu von der Regierung leider gänzen: Das KSK ist während der Regierungszeit von noch gar keine Vorschläge gemacht worden sind. Rot-Grün eingesetzt worden; erst als die CDU an die Re- gierung kam, kam es nicht mehr zum Einsatz. Die dies- Wir stehen jetzt parlamentarisch vor einer ganz we- bezüglichen Daten sind verschwunden. sentlichen Entscheidung der deutschen Außenpolitik. Die Frau Kanzlerin hat in ihrer außenpolitischen Be- (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Da sehen Sie trachtung großen Wert darauf gelegt, eine Einschätzung mal an!) zu Afghanistan abzugeben. Am Samstag, dem Wir sind also gar nicht in der Lage, zu verifizieren, was 15. September, werden hier in Berlin Tausende Men- unter der rot-grünen Regierung in Afghanistan im Rah- schen gegen den deutschen Militäreinsatz demonstrie- men von OEF eigentlich gemacht worden ist. Machen ren. Sie stehen für einen Großteil der Bevölkerung, die Sie von den Grünen hier bitte keine Schönfärberei! der Auffassung ist, dass Deutschland seinen Friedens- auftrag in Afghanistan verfehlt. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Herr von Klaeden, aus Ihrer Rede habe ich deutlich herausgehört, dass Sie jetzt für eine Zusammenlegung Nach sechs Jahren Krieg gegen Terror muss diesem von ISAF und OEF werben. eine Absage erteilt werden, weil es an der Zeit ist, einzu- gestehen, dass es nicht funktioniert, militärische oder zi- (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Quatsch!) vil-militärische Operationen in Afghanistan zu führen. (B) (D) Ich nehme an, ich habe Sie da nicht missverstanden. Das Scheitern dieser Strategie ist offenkundig. Wir sehen Bilder. Wir haben Informationen. Wir wissen es. Obwohl (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Doch! Sie den ganzen Sommer über Werbefeldzüge für die ISAF- haben mich missverstanden!) Mission geführt wurden, ist die Bevölkerung nicht zu überzeugen. Das zeugt von der Aufgeklärtheit der Men- – Okay; dann ist es gut. Uns liegt nämlich ein Verfas- schen. Die Menschen verlangen eine andere außenpoliti- sungsgerichtsurteil vor, in dem größter Wert darauf ge- sche Strategie, nämlich eine, die auf Militärpräsenz ver- legt wird, dass die Trennung dieser Mandate beibehalten zichtet und die Präsenz von Militär nicht zum Ausweis wird. Eines in der Debatte hat mich doch verwundert, für die politische Unterstützung in einem Krisen- oder Herr Hoyer, nämlich dass Sie davon sprechen, Afghanis- Kriegsgebiet macht. Das ist die Haltung, die in der Be- tan greife unsere Lebensform und unsere Lebensweise völkerung vertreten wird. Für alles, was zu weiteren Op- an. Das kann ich nicht teilen. fern in der Zivilbevölkerung Afghanistans und unter den (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Das habe ich auch Soldaten führt, wird die Linke die Hand nicht reichen. nicht gesagt! Insofern ist das auch nicht über- (Beifall bei der LINKEN) raschend! – Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Der Terrorismus, hat er gesagt!) Es ist auch nicht möglich, ISAF zu einem Friedensen- gel zu erklären. Ich will nur anmerken: Ärzte ohne Gren- Oft ist vom Clash of Civilisations die Rede. Es ist gut, zen hat nach 24 Jahren Afghanistan verlassen. Malteser sich von unserer Seite aus daran zu erinnern, dass er et- International sagt: Nur ohne Soldaten ist Hilfe möglich. – was mit dem Ressourcenzugriff in der islamischen Welt De facto wissen alle, die dort waren: ISAF schützt nur zu tun hat, dass es nicht nur um die aufgeklärte westliche sich selber. Die Zivilbevölkerung hat nahezu nichts da- Lebensweise, die der christlichen Kultur entstammende von. Lebensweise geht. Es hat eben auch etwas damit zu tun, wie die Zugriffe auf die Welt zur Sicherung der Ressour- Jetzt müssen die Grünen und die SPD Debatten in den cen erfolgen. eigenen Reihen führen. Man muss sich einmal anschauen: Wie sieht das (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Weißbuch der Bundeswehr aus, was diesen Teil angeht? NEN]: Das ist doch gut! – Fritz Kuhn [BÜND- Die Position von Herrn Steinmeier, die er heute hier be- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind ja nicht auf zogen auf die Frage des Klimaschutzes und der Energie- Kuba! – Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE außenpolitik dargelegt hat, bleibt in einem klaren Wider- GRÜNEN]: Im Unterschied zu euch! Ihr führt spruch zu der Position, die in der Großen Koalition keine!) 11528 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Monika Knoche (A) Dabei ist mir einiges aufgefallen. Sie veranstalten einen Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) Sonderparteitag. Das wurde hier im Haus bereits richtig NEN): kommentiert. Man wolle OEF auslaufen lassen, wird ge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Be- sagt, um ISAF samt Tornado-Einsatz zu stärken. Ich vor ich zu Afghanistan komme – auch ich werde natür- finde das höchst verwunderlich; denn Deutschland hat lich darüber sprechen –, beginne ich mit dem Ausgangs- überhaupt keinen Einfluss auf OEF. OEF machen die punkt für unser Engagement dort: dem schrecklichen Amerikaner. Da ist Deutschland nicht gefragt. Da fragen Terroranschlag auf das World Trade Center am uns die USA doch nicht, auch dann nicht, wenn wir über 11. September 2001. Wir haben erst gestern wieder der KSK Kombattanten bei OEF sind. Das muss man der vielen Toten gedacht, und es gab auch viele Berichte Bevölkerung klar sagen. dazu. Ich weiß gar nicht, welche Debatten Sie auf Ihrem Man muss ganz klar festhalten: Außenpolitisch war Parteitag führen wollen. Hier wird doch offenkundig der 11. September eine Zäsur, in vielerlei Hinsicht. Die eine Schimäre, eine Mär verbreitet. Es geht nicht darum, Vereinten Nationen gestanden den USA zu Recht ein es entweder zu lassen oder mehr zu tun; es geht darum, Recht auf Selbstverteidigung gegen diesen schrecklichen ganz rational und humanitär an diese Probleme Afgha- Terroranschlag zu; die NATO rief auf dieser Grundlage nistans heranzugehen. Da ist vollkommen klar: Man be- erstmals den Bündnisfall aus, und die internationale Ge- kommt keine Perspektive für Frieden und Befriedung in meinschaft intervenierte in Afghanistan. Die USA be- diesem Land, solange das Militär präsent ist. Sie müssen gannen in einer „Koalition der Willigen“ ihren Kampf – es einsehen: Diese Strategie ist gescheitert. sie sprechen heute vom „Krieg“ – gegen den Terror. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Fritz Wenn man dies sechs Jahre nach der Intervention in Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schüt- Afghanistan und vier Jahre nach dem Einmarsch im Irak terer Beifall!) bilanziert, dann muss man eines leider ganz klar feststel- Sie wollen doch eine qualitative Aufwertung der len – und das hat viele Gründe –: Die Welt ist nicht si- ISAF-Mission vornehmen – diese Diskussionen werden cherer geworden. Der internationale Terrorismus ist ja heute schon geführt – und in das ISAF-Mandat OEF- heute stärker als je zuvor. Anteile überführen. Was ist das denn anderes, als in den Herr Kollege von Klaeden, Sie haben recht: Der Gott operativen Krieg gegen den Terror einzusteigen? Es sei Dank am letzten Dienstag vereitelte Terroranschlag muss doch klar gesagt werden, dass hier Irreführung be- hat noch einmal deutlich gezeigt, dass auch wir im Visier trieben wird, wenn öffentlich erklärt wird, mit ISAF nur des Terrorismus sind. Kein Land der westlichen Welt ist noch rein zivil arbeiten zu wollen, aber insgeheim ge- davor geschützt; aber auch auf Teile der arabischen Welt (B) meint wird, den operativen Teil der kriegerischen Ausei- trifft dies zu, wie der Anschlag in Algerien zeigt. (D) nandersetzung mit dem Terror vor Ort in Afghanistan führen zu wollen. Dann wird man zum Beteiligten in Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, da diesem Konflikt, und das wollen wir auf gar keinen Fall. hilft es gar nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und zynisch zu behaupten: Wären wir nicht an den inter- Eines ist mir vollkommen klar: Im Hinblick auf den nationalen Einsätzen gegen den Terrorismus beteiligt, Drogenanbau und den zivilen Aufbau wird man nicht dann gäbe es keine Anschlagsgefahr in Deutschland. – umhinkommen, die bekannten Korruptionslinien in der Das ist ein unverantwortliches Gerede, denn es ist klar: Regierung Karzai zum Thema zu machen. Man kann Wir waren von Anfang an im Visier der Terroristen, Korruptionsbekämpfung in Abmachungen hineinschrei- ben, aber solange der jetzige Drogenanbau nicht in die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Form eines lizenzierten, kontrollierten Drogenanbaus für und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- medizinische Zwecke überführt wird, wird man den ten der SPD und der FDP) Drogensumpf nicht austrocknen können. Schon gar nicht weil der von al-Qaida und anderen erklärte Dschihad wird es gelingen, in Afghanistan neben dem Krieg gegen eben ein Kulturkampf gegen unsere westlichen Werte ist, den Terror nun auch noch den Krieg gegen Drogen zu gegen unsere Lebensweise, gegen unsere offenen Gesell- führen. Dieses Konzept geht nicht auf. Man muss sich schaften insgesamt. Mit dieser Vogel-Strauß-Politik ver- vielmehr mit den Anrainerstaaten um eine Lösung vor unsichern Sie nur die Bevölkerung in Deutschland noch Ort bemühen; denn der westliche Zugriff auf Afghanis- weiter. Das halte ich für unverantwortlich, denn wir tan und das Herbeizwingen von Lösungen haben nicht müssen ja gerade deutlich machen, warum es richtig ist, funktioniert und werden nicht funktionieren. Deshalb dass wir an den multilateralen Einsätzen, etwa in Afgha- muss Deutschland dort als ziviler Friedensdienstleisten- nistan, beteiligt sind. der aktiv werden und sich so seine Unterstützung in der Bevölkerung verdienen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Danke. der SPD) (Beifall bei der LINKEN) Wenn wir hier heute auch über den 11. September und seine Folgen für die Welt diskutieren, dann kommen wir Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gerade angesichts der aktuellen Irak-Diskussion in den Das Wort hat nun Kollegin Kerstin Müller, Fraktion USA nicht umhin, klar festzustellen – das ist jedenfalls Bündnis 90/Die Grünen. meine Bilanz als jemand, Herr von Klaeden, der diese Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11529

Kerstin Müller (Köln) (A) Diskussionen von Anfang an hier mitgeführt hat –, dass meines Erachtens auch in Afghanistan gescheitert. Es ist (C) der War on Terror der USA gescheitert ist; ich sage das vor allen Dingen die Operationsführung – Sie haben sie bewusst so. angesprochen –, die hohe zivile Opfer zur Folge hat. Hier gelten eben nicht die NATO-Rules, gemäß denen – das (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ wurde auch jetzt noch einmal ganz deutlich gesagt – zi- DIE GRÜNEN]) vile Opfer möglichst vermieden werden sollen. Das hat Er ist nämlich leider mitverantwortlich dafür, dass heute Hass und Gewalt vor allen Dingen im Süden und Osten der internationale Terrorismus nicht schwächer, sondern des Landes, wo mehrheitlich paschtunische Bevölkerung stärker geworden ist. Das war eine Befürchtung, die der lebt, geschürt und sie gegen die internationale Gemein- frühere Außenminister immer hatte. Er schaft aufgebracht. Ich sage es nochmals – das ist auch hat mit dieser These leider, leider recht behalten. ganz klar das Fazit von Abgeordneten meiner Fraktion nach der Reise nach Afghanistan –: Das Vorgehen dort (Zuruf von der LINKEN: Trotzdem machen ist unabgestimmt und unsensibel. Es ist derart unsensi- wir mit!) bel, dass es inzwischen kontraproduktiv für den Erfolg der ISAF-Mission ist. Das ist unser Hauptargument. Nach Afghanistan hat der Terrorismus neue Rückzugs- gebiete in Pakistan und vor allem im Irak gefunden. Er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) breitet sich vor allen Dingen in fragilen Staaten aus. Bei- spiele seien genannt: die Flüchtlingslager im Libanon, Der Kollege Trittin hat in einer anderen Debatte den neue Netzwerke in Gaza, Angriffe im Jemen, die An- Vorfall von Shindand geschildert, wo OEF ISAF zu schlagserie im Maghreb und Strukturen in Somalia über Hilfe rufen musste und die Italiener, die für die Region Bangladesch bis Indonesien. verantwortlich waren, erst in dem Moment von der OEF- Operation erfahren hatten. Diese „Hilfe“ führte zu so Mitverantwortlich für die Stärkung ist das Irak-Desas- vielen Opfern, dass es darüber eine riesige Debatte in ter. Vertreter der Demokraten in den USA wie etwa der Afghanistan gegeben hat und das Oberhaus des afghani- Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses sprachen, schen Parlaments, der Senat, beschlossen hat, doch bitte bevor General Petraeus überhaupt mit seinem Bericht schön diese Mission zu beenden und solche Aktionen begann, von einem Fiasko. Die Mehrheit der Amerika- künftig zu unterbinden bzw. mit den afghanischen Si- ner will nur noch den Abzug. Leider bietet die amerika- cherheitskräften abzustimmen. Ich sage noch einmal: nische Regierung nur Durchhalteparolen. Damit kommt Wenn uns das nicht gelingt, wenn wir darüber nicht eine man, wie ich meine, im Irak nicht mehr weiter. Die dort Debatte mit unseren amerikanischen Partnern führen – das angewandte Logik „Mehr Soldaten gleich mehr Sicher- ist unser Hauptargument –, dann gefährden wir die ge- (B) heit“ ist, übrigens wie in Afghanistan, nicht aufgegan- samte ISAF-Mission, auch die zivilen Aufbauprojekte, (D) gen. Die Zahl der zivilen Opfer liegt leider auf demsel- die wir dort durchführen. Deshalb meinen wir: OEF ben tragisch hohen Niveau wie im Januar. Man fragt muss beendet werden. sich, warum etwa so zentrale Empfehlungen wie die des Baker/Hamilton-Reports vom Dezember 2006 einfach in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Wind geschlagen wurden und man nicht ein Stück und bei der LINKEN) weit das umgesetzt hat, was dort gefordert wurde. Dort hieß es, dass ein politischer Prozess zur innerirakischen Wir haben immer wieder eine Unterrichtung über die Versöhnung wichtig ist, dass die Nachbarn des Irak aktiv Gesamtoperation OEF gefordert. Herr von Klaeden, wir eingebunden werden müssen, dass eine konfrontative haben neulich noch darüber gesprochen. Bisher haben Politik gegenüber Syrien und Iran nicht mehr weiter- wir sie nicht bekommen. Dass sie seit zwei Jahren nicht führt. mehr abgerufen worden ist, heißt nicht, dass wir keine Informationen darüber bekommen müssten. Die Ameri- Fest steht jedenfalls das Dilemma, in dem wir ste- kaner führen diese Aktion so, wie sie wollen, und lassen cken: Deutschland war nicht am Krieg gegen den Irak sich nicht in die Karten schauen. Das kann nicht sein. beteiligt, aber wir werden jetzt mit den Folgen konfron- tiert. Solange der Irak nicht befriedet ist, stellt er ein Si- Wir müssen aufpassen, dass nicht eine falsch verstan- cherheitsrisiko für Europa und damit auch für uns dar. dene Bündnistreue dazu führt, dass Afghanistan am Wir müssen uns dringend Gedanken darüber machen, Ende zum Irak der NATO wird. Das kann keiner von uns wie wir eine Stabilisierung im Irak unterstützen können. wollen. Das wollen auch wir Grünen nicht. Wir wollen, Keiner hat dafür den Stein der Weisen. Aber ich will ein dass sowohl die UNO, die im Irak die Federführung hat, Beispiel nennen: Es war eine Delegation von uns im kur- als auch die NATO mit der Mission der ISAF erfolgreich dischen Norden. Ich verstehe nicht – das ist ein ganz sind. Die ISAF-Mission ist inzwischen auf Gesamt- kleiner Baustein –, warum Deutschland dort abstinent ist afghanistan ausgedehnt. Auch das ist ein Argument, wa- und wir nicht wenigstens mithelfen, diese Region zu sta- rum es Zeit wird, die OEF in Afghanistan zu beenden. bilisieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Jetzt komme ich zur OEF, Herr Kollege von Klaeden. Frau Kollegin, Sie müssen Ihre Rede beenden. Sie ha- Der War on Terror ist eben nicht nur im Irak, sondern ben die Zeit bereits deutlich überschritten. 11530 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mehr Bodentruppen hätten, würden diese nicht so (C) NEN): schnell in Bedrängnis geraten – Sie haben ja gerade ein Ein letzter Satz: Natürlich muss der zivile Aufbau ins solches Beispiel geschildert – und müssten keine Luft- Zentrum gestellt werden. Wir müssen vor allen Dingen unterstützung anfordern. Wenn Ihre Argumentation dafür sorgen, dass auch die Menschen im Süden und im schlüssig sein soll, müssten Sie sich für einen stärkeren Osten die Friedensdividende zu spüren bekommen, da- militärischen Einsatz unter ISAF, aber eben auch unter mit sie erkennen, dass wir dort nicht als Besatzer sind, OEF aussprechen. Das tun Sie aber nicht. sondern Hilfe leisten wollen, damit der Aufbau, das Der letzte Punkt. ISAF selber hat in Afghanistan un- große Projekt des Nation-Building in Afghanistan, ein gefähr 800 Spezialkräfte im Einsatz, die nichts anderes Erfolg wird. tun als die Spezialkräfte, die unter OEF eingesetzt wer- Vielen Dank. den. Sie werden erhebliche Schwierigkeiten bekommen, sofern Sie Ihre Linie beibehalten wollen, wenn die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Glaubwürdigkeit Ihrer Argumentation mit den tatsächli- chen Verhältnissen in Afghanistan verglichen wird. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem (Beifall bei der CDU/CSU) Kollegen Eckart von Klaeden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Frau Kollegin, Sie haben Gelegenheit zur Reaktion. Frau Kollegin Müller, Sie haben mich mehrfach auf meine Ausführungen zur OEF angesprochen. Deswegen Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- will ich Folgendes noch einmal klarstellen: Ich teile Ih- NEN): ren Wunsch nach einer besseren Information – und zwar Herr Kollege von Klaeden, ich kann jetzt nicht auf nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern auch der alle Punkte eingehen, die Sie genannt haben. Ich bin aber ISAF-Mission – über die Aktivitäten der OEF. Das setzt froh, dass wir diese Diskussion führen; Sie führen diese aber voraus, dass wir den Informationsaustausch von Diskussion ja nicht nur mit uns, sondern – das muss man ISAF in Richtung OEF nicht beschränken. Deswegen der Ehrlichkeit halber ergänzen – auch in der Koalition. mein Hinweis auf die Beschränkung im Bundestagsman- Es ist gut, dass diese Diskussion durch unsere Beiträge dat, die restriktive Informationsweitergabe, die gerade auch hier einmal thematisiert wird. auf Wunsch derjenigen aufgenommen worden ist, die kritische Anfragen an OEF stellen. Ich möchte auf zwei Argumente eingehen. Erstens zur (B) Operationsführung. Ich halte dies in der Tat für entschei- (D) Der zweite Punkt, den Sie genannt haben, die unter- dend. Wir können gerne unsere Quellen austauschen. schiedlichen Einsatzregeln für OEF und ISAF in Afgha- Wir verfügen über viele Quellen. Es gibt viele wichtige nistan, ist schlicht falsch. Beide Operationen verfügen Leute – sei es der EU-Beauftragte Vendrell in Afghanis- über dieselben Einsatzgrundsätze. tan, seien es hohe ISAF-Offiziere, Briten, die dort unten sind –, die hier eine sehr deutliche Sprache sprechen. Die Der dritte und, wie ich finde, entscheidende politische zuständigen Militärs sagen selbst, dass die OEF-Mission Punkt ist die Analyse, es gebe in Afghanistan zwei Pro- inzwischen kontraproduktiv ist. Ich bin zwar kein Mili- bleme, nämlich zum einen die Taliban und zum anderen tär, aber die zuständigen Militärs haben das berichtet, die Operationsführung der Amerikaner. Diese Analyse und zwar nicht nur unserer Delegation. ist nicht nur falsch, Ich möchte auch auf die Reaktion der Afghanen hin- (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Sie ist unfair!) weisen. Inzwischen hat dort ein Prozess stattgefunden sondern führt auch dazu, dass unserem ISAF-Einsatz in – wir sind eben nicht Besatzer; das wollen wir auch Afghanistan die moralische Grundlage entzogen wird. nicht –: Es gibt einen gewählten Senat, ein gewähltes Das heißt, Sie begeben sich mit dieser Argumentation Parlament, eine gewählte Regierung. Dort häufen sich auf eine Rutschbahn, die nur darin enden kann, dass man Klagen und entsprechende Beschlussfassungen im Senat sich ganz aus Afghanistan zurückzieht, und zwar zu ei- – ihre Zahl nimmt zu –, die sich auch gegen die Opera- nem Zeitpunkt, zu dem die Aufgabe noch nicht erfüllt tionsführung richten. Es wird immer deutlich dazuge- ist. sagt: Wir wollen nicht, dass die internationale Gemein- schaft abzieht. Wir wollen, dass ihr bleibt. Wir wollen Das ist der eigentlich problematische Teil Ihrer Argu- mit euch gemeinsam den Prozess der Schaffung einer mentation. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie in Ihrer selbsttragenden Sicherheit, des Aufbaus des Landes fort- Argumentation deutlich machten, dass der Grund für die führen. Aber das, was da zum Teil passiert, ist so kontra- schrecklich hohe Zahl der zivilen Opfer nicht in erster produktiv, dass es der eigenen Bevölkerung nicht mehr Linie in der Operationsführung der Amerikaner liegt vermittelt werden kann. – auch vonseiten der NATO ist gesagt worden, dass das, was zu verbessern ist, verbessert werden soll –, sondern Wenn wir uns dort einsetzen, handelt es sich immer zuallererst in der Kriegsführung der Taliban, die Zivilis- um eine heikle und schwierige Gratwanderung. Wir ten als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Der müssen die Äußerungen ernst nehmen. Sie haben unter zweite Grund – auch das gehört dazu – ist der Mangel an anderem zu unserem Schluss geführt, dass die Frage der Bodentruppen; denn wenn wir, unter beiden Mandaten, Operationsführung entscheidend ist. Es gibt andere Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11531

Kerstin Müller (Köln) (A) Experten – Sie haben das sicherlich auch gelesen –, etwa deutschen RAF-Herbstes gerade auch durch die Äuße- (C) von der SWP, die ganz klar sagen: Nach der Gesamtaus- rungen von Helmut Schmidt sehr authentisch in den Vor- dehnung der ISAF, die erst 2006 abgeschlossen worden dergrund gerückt sind. Wir wünschen eine glückliche, ist, gibt es noch weniger Argumente, zwei parallel lau- eine menschliche, eine erfolgreiche Hand. fende Missionen in Afghanistan durchzuführen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Natürlich ist die Kriegsführung der Taliban eine der der CDU/CSU und des Abg. Jürgen Koppelin Ursachen für die Eskalation im Süden und Osten. Hinzu [FDP]) kommt, dass sich Taliban- und Al-Qaida-Kräfte in den Ausbildungslagern reorganisiert haben; sie führen – da Sie haben zusammen mit dem Umweltminister und gebe ich Ihnen recht – einen systematischen Kampf. mit Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul die Aber was ist die Antwort darauf? Vorbereitungen für den G-8-Gipfel getroffen, sodass er von unserer Bundeskanzlerin erfolgreich durchgeführt Klar ist jedenfalls – das habe ich auch dem Kabinetts- werden konnte. Wir freuen uns, dass die Klimapolitik als beschluss entnommen –: Wir müssen schauen, dass die wichtige Säule der Innenpolitik und die Problematik der militärische Präsenz im Süden und Osten den zivilen Energiesicherheit nicht mehr von der Tagesordnung Aufbau absichert, dass dieser Aspekt wieder in den Mit- wegzudenken sind. telpunkt gelangt. Wir müssen auch von deutscher Seite die Mittel dafür mindestens verdoppeln, damit auch die Es ist wichtig, in großen, aber auch in kleinen Län- Menschen im Süden und Osten eine Friedensdividende dern die Menschenrechte einzufordern. Es ist richtig, erhalten. Das scheint mir der allerwichtigste Punkt zu die Menschenrechte in China, in Russland, aber auch in sein. Wenn uns das nicht gelingt, dann werden Kräfte den Vereinigten Staaten einzufordern, Erklärungen dazu wie Taliban und andere hier einen fruchtbaren Nähr- abzugeben und sich mit den Partnern, die das möglicher- boden finden und dann sind wir auch mit Militär auf ver- weise anders sehen und andere Entwicklungen zulassen, lorenem Posten. auseinanderzusetzen. Aber ich meine, wir sollten und dürfen nicht die Einzelfälle aus dem Blick lassen. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weise an dieser Stelle darauf hin, dass drei sozialdemo- kratische Bundeskanzler während ihrer jeweiligen Amts- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zeit Menschenrechte immer aktiv eingefordert und Ein- Das Wort hat nun Kollege Walter Kolbow, SPD-Frak- zelfälle auch erfolgreich gelöst haben. tion. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckart (Beifall bei der SPD) von Klaeden [CDU/CSU]) (B) (D) Es ist zu einfach, zu sagen: Jetzt ist es so, früher war es Walter Kolbow (SPD): anders. – Das hat die rot-grüne Regierungskoalition Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es nicht verdient. freut mich, dass der Außenminister auch von der verant- wortungsbewussten Opposition breites Lob für das be- (Beifall bei der SPD) kommen hat, was er in seiner Amtszeit zusammen mit der Großen Koalition außenpolitisch auf den Weg ge- Im Übrigen würde ich mich freuen, wenn bei Regie- bracht hat, nie reaktiv, immer aktiv, nie aufdringlich, an rungsreisen ins Ausland auch die Parlamentsinitiativen den Hotspots dieser Welt, von denen es leider zu viele einbezogen würden, zum Beispiel der vom Deutschen gibt, präsent, mit seinen Lösungsvorschlägen immer auf Bundestag gefasste Laogai-Beschluss. Dies tun wir bei der Höhe der Zeit. Das gilt, wie Sie, Herr Außenminis- jeder unserer Reisen. Sie haben es auch getan, als Sie ter, dargetan haben, für die schwierige Situation im mit Herrn Westerwelle unterwegs waren, ebenso wie die Kosovo, aber auch für die nicht minder komplizierte Kollegen der CDU/CSU oder auch wir im Juni in China. Lage im Nahen Osten. Ich denke, dass Menschenrechtspolitik in einem (Beifall bei der SPD) engen Zusammenhang mit Rüstungs- und Abrüstungs- politik, mit Rüstungskontrollpolitik und mit Nonprolife- Das ist auch Ihrem Team zu verdanken, Ihren Mit- ration steht. Dabei stehen nicht nur die Themen der arbeiterinnen und Mitarbeitern im Hause, in Deutsch- Nuklearwaffen und der Waffensysteme im Mittelpunkt. land, aber auch in der Welt, denen wir von dieser Stelle Weil es heute die sogenannten kleinen Waffen sind, die aus unseren Dank für ihre Arbeit aussprechen. den Menschen in Kriegs- und Krisengebieten Tod und (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Verderben bringen, stehen auch die Bemühungen im Mittelpunkt, die Verbreitung von Kleinwaffen einzu- Dabei möchte ich insbesondere auf den Krisenstab in Ih- schränken. Wir müssen die Überprüfungskonferenz der rem Hause abstellen, der mit uns allen, mit Ihnen in Ihrer Vereinten Nationen, bei der wir im letzten Jahr einen Verantwortung als Außenminister und auch mit der Frau entsprechenden Antrag gestellt haben, dafür gewinnen, Bundeskanzlerin, immer noch um das Leben der im Au- ein globales Waffenhandelsübereinkommen zu erzielen. genblick in Afghanistan gekidnappten Geisel ringt. Wir Dies ist gegenwärtig in der Diskussion, muss aber be- hoffen, dass wir sie gut zurückbekommen. Wir wissen schlossen werden, um die unglückseligen Wirkungen zu um die Verantwortung, die bei diesen Fragen, bei denen beseitigen. es um Menschen geht, vorherrscht, sowie um die Verstri- ckungsprobleme, die bei der 30-jährigen Wiederkehr des (Beifall bei der SPD) 11532 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Walter Kolbow (A) Der Vollständigkeit halber darf ich unterstreichen, immer auch eine wirksame und verifizierbare Verhinde- (C) dass Ihre Initiative und auch unsere aus der Großen rung der Proliferation eingeschlossen. Koalition gespeisten Anstrengungen bezüglich der Wir plädieren hier für einen kooperativen Ansatz, der Streumunition erfolgreich waren. Aber auch dort gilt es sowohl Russland als auch – bei globaler Betrachtung – weiterzuarbeiten. andere Länder wie zum Beispiel China einbeziehen Die Nuklearproblematik im Hinblick auf den Iran muss. Unsere Position ist klar: Wir wollen eine neue treibt uns alle um. Sie haben es erwähnt: Unser politi- Rüstungsspirale verhindern. Wie notwendig das ist, zei- sches Ziel bleibt, den Zusammenhalt der Sechser- gen die Pläne der russischen Seite, eine Vakuumbombe Gruppe zu bewahren und mit einer geschlossenen Hal- zu entwickeln und die Entwicklung im Bereich der Mit- tung gegenüber dem Iran aufzutreten. Der Konflikt mit tel- und Langstreckensysteme voranzutreiben. dem Iran muss politisch gelöst werden. Dass sich militä- (Beifall bei der SPD) rische Lösungen verbieten und diese Einsicht in die Überlegungen in den Hauptstädten dieser Welt Eingang Vor wenigen Minuten ist die russische Regierung zu- gefunden hat, ist auch Ihnen und Ihren Aktivitäten auf rückgetreten. Es kann sein, dass Herr Iwanow neuer den internationalen Konferenzen und hinter den Kulis- Ministerpräsident wird. Wir vertreten unsere Position sen zu verdanken, Herr Außenminister. natürlich auch gegenüber dem neuen Ministerpräsiden- ten, der möglicherweise an diese Position gesetzt wird, (Beifall bei der SPD) um die Putin-Nachfolge anzutreten. Umso wichtiger ist Ich glaube, dass die mittlerweile in greifbare Nähe ge- es, unsere Positionen auch an ihn zu adressieren. rückte politische Lösung der nordkoreanischen Atom- (Beifall bei der SPD) krise dazu beitragen kann, die Weiterverbreitung von Atomwaffen einzudämmen und eine Ursache für das re- Die Debatte hat gezeigt, dass uns alle die Afghanis- gionale Wettrüsten in Südostasien zu beseitigen. Ein Er- tan-Problematik umtreibt. Ich habe Respekt vor den folg in Nordkorea könnte auch Impulse für die festgefah- Argumenten, die von den Kollegen der Grünen vorgetra- renen Gespräche im Zusammenhang mit der iranischen gen worden sind, Frau Kollegin Müller. Wir müssen uns Atomkrise bieten. Davon würden auch die Gespräche nicht nur mit diesen Argumenten, sondern auch mit der der EU-Drei im Rahmen der Drei-plus-Drei-Initiative Haltung unserer Bürgerinnen und Bürger in dieser Frage profitieren. Es gibt Signale, dass unsere diesbezüglichen auseinandersetzen. Wir müssen eine Bestandsaufnahme Forderungen erfüllt werden. machen und eine klare Analyse durchführen. Ich will darauf hinweisen – auch Sie, Herr Kollege Der Anspruch der SPD-Bundestagsfraktion, sich eine verantwortungsbewusste Position zu den drei Mandaten (B) Hoyer, haben das getan; ich kann das nachvollziehen –, (D) dass wir natürlich aus abrüstungs- und rüstungskontroll- zu erarbeiten, wird sich am Ende auszahlen. Wir debat- politischer Sicht die Entwicklung um das indisch-ameri- tieren intensiv nicht nur mit ausländischen Gästen, son- kanische Nuklearabkommen sehr aufmerksam betrach- dern auch unter uns und beziehen die nachteiligen Wir- ten. Wir werden weder Indien noch Pakistan dazu kungen der Mandate in unsere Überlegungen mit ein. bringen können, auf den gerade erlangten Status einer Wir wollen alles in einen Gesamtzusammenhang stellen, Atommacht zu verzichten. Unser Augenmerk muss je- der Afghanistan nützt und der dem zivilen Wiederaufbau doch darauf gerichtet sein, Herr Außenminister, unser Rechnung trägt. Wir wissen, dass das ohne militärische Verhalten in der Nuclear Suppliers Group mit rüstungs- Absicherung nicht geht. Wir müssen aber eine Situation kontrollpolitischen Überlegungen zu vereinbaren. schaffen, in der die Afghanen uns mehr und mehr zu- trauen, mit ihnen ihr Staatsgründungsproblem zu lösen. (Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Es wäre hier sehr hilfreich, wenn sich Indien zu be- Human Rights Watch empfiehlt, den ISAF-Einsatz stimmten rüstungskontrollpolitischen Zusagen und Ver- fortzuführen, weil er gut ist. Das Gleiche wird im Afgha- haltensweisen entschließen könnte. Aber auch wir könn- nistan-Bericht der Bundesregierung empfohlen, in dem ten mit unseren Möglichkeiten zu einer Lösung auf den dankenswerterweise – wir haben das aber auch erwar- Konferenzen beitragen, die unseren Anstrengungen, was tet – zahlreiche Fragen, die die Taskforce der SPD-Bun- den rüstungskontrollpolitischen Ansatz angeht, nicht destagsfraktion erarbeitet und an die Bundesregierung hinderlich sein würde. gestellt hat, beantwortet worden sind. Der ISAF-Einsatz ist, glaube ich, unstrittig. Auf Reisen von Abgeordneten (Beifall bei der SPD) unserer Fraktion hat sich gezeigt, dass die Integration des Tornado-Einsatzes in dieses Mandat kein unüber- Ich will an dieser Stelle auch sagen, dass wir nicht nur windbares Hindernis ist, und zwar aufgrund der Aufklä- wegen der rüstungskontrollpolitischen Aspekte das rungs- und Schutzfunktion. Thema „strategische Raketenabwehr“ nach wie vor auf unserem politischen Schirm haben. Für uns stand Wir wissen aber, dass es bei OEF Probleme gibt. Es immer die Frage im Mittelpunkt, ob Verteidigungs- gibt nicht nur ein Wirkungs- und ein Akzeptanzproblem, anstrengungen im Zusammenhang mit dem Raketen- sondern auch Probleme, die daraus resultieren, dass OEF abwehrsystem vertragliche Rüstungskontroll- und Ab- sich verändert hat. Da 6 000 der 8 000 Soldaten im Be- rüstungsregime tangieren, ob sie erhalten werden reich der Ausbildung eingesetzt werden – darauf ist von können und ob sie ausgebaut werden müssen. Dies hat Herrn von Klaeden hingewiesen worden –, ist OEF quasi Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11533

Walter Kolbow (A) ein Ausbildungsprojekt geworden. In Kabul findet die Jürgen Koppelin (FDP): (C) Grundausbildung der Soldaten der afghanischen Natio- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! nal Force, also der Armee, statt. Die anderen Soldaten, Trotz meiner kurzen Redezeit ist es mir ein Bedürfnis die im Übrigen aus 14 Nationen stammen, sind im Anti- – ich denke, das ist auch in Ihrem Interesse, da ich terrorkampf tätig. Redlicherweise muss man die Frage Hauptberichterstatter für den Einzelplan 05 bin –, den stellen, wie wir die wenigen Soldaten für die Antiterror- Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Am- bekämpfung substituieren können. tes unseren Dank auszusprechen. Ich danke insbeson- dere denjenigen, die in den Botschaften, Auslandsschu- Ich weiß, dass diese Frage schwer zu beantworten ist len und Goethe-Instituten ihren Dienst leisten. Wir alle – das erfahren wir, wenn wir in unseren Wahlkreisen haben unsere Erfahrungen gemacht und wissen, dass wir sind –; denn die Frage, ob Soldatinnen und Soldaten in vor allen Dingen in unseren Botschaften ausgesprochen größerer Zahl nach Afghanistan geschickt werden sol- gute, teilweise sogar sehr gute Leute haben. Ich denke, len, ist nicht nur emotional, sondern auch rational um- zu dieser Debatte gehört auch, ihnen unseren Dank aus- stritten. Das gilt im Übrigen auch für andere westliche zusprechen. Demokratien; diesbezüglich sind die Niederlande nicht (Beifall im ganzen Hause) anders als Kanada. Das ist auch eine Frage der inter- nationalen Solidarität; denn es geht um einen Wert. Des- Herr Bundesaußenminister, als Haushälter achtet man halb sprechen wir mit unseren amerikanischen Freunden natürlich sehr darauf, dass gespart wird. Da dieser Haus- und weisen sie darauf hin, dass die veränderten Einsatz- halt aber – das kann man auch aus der Opposition heraus richtlinien mit der entsprechenden Wirkung nicht nur bei ganz offen eingestehen – immer auf Kante genäht war, ISAF, sondern auch bei OEF zum Tragen kommen müs- ist die Steigerung, die Sie jetzt erreicht haben, durchaus sen. notwendig. Auf uns kommen viele Aufgaben zu, die zu erfüllen sind. Frau Kollegin Müller, Sie haben gesagt – das ist jetzt Ich bleibe beim Thema Personal. Wir alle loben die kein Vorhalt –, dass der Antrag auf Fortsetzung der OEF gute Konjunktur, die wir im Augenblick haben. Ich abgelehnt werden müsste, weil die neuen ISAF-Einsatz- glaube, dass sich das Auswärtige Amt anstrengen muss, regeln nicht für OEF gelten. Im Umkehrschluss würde bei guter Konjunktur nach wie vor gute Leute einstellen das aber bedeuten, dass eine Zustimmung möglich wäre, zu können. Viele gehen in die Wirtschaft, vor allen Din- wenn die Einsatzregeln übertragen würden. Die Übertra- gen angesichts der Belastungen, die es im Auswärtigen gung halte ich im Übrigen für geboten und auch für er- Dienst gibt. Insofern muss dieser Dienst attraktiver ge- reichbar. macht werden. (B) (D) An dieser Stelle möchte ich resümieren – Herr Präsi- Ich will hier einen Punkt aufgreifen. Wir werden uns dent, ich komme zum Schluss – und sagen, dass sich an im Haushaltsausschuss, ebenso wie Sie im Auswärtigen der Wirkung unserer Auslandseinsätze deutlich macht, Ausschuss und im Ministerium selber, überlegen müs- ob wir – ich schließe an die Ausführungen von Frau sen, wie wir zukünftig mit den Ehepartnern von Mit- Müller an – im Kampf gegen den Terrorismus auch in arbeitern, die in die Botschaften gehen, verfahren. Wir Auslandseinsätzen bestehen können. Wenn es uns nicht stellen fest, dass der Anteil der Frauen in den Botschaf- gelingt, die Zustimmung zu unseren Auslandseinsätzen ten überdurchschnittlich hoch ist. Das ist zu begrüßen. in eine Zustimmung der Bevölkerung zu ihrer eigenen Aber wir haben das Problem, dass mitziehende Männer Regierung umzumünzen, dann sind die Auslandsein- im Ausland keinen Job finden. Frauen sind – das haben sätze von großen Mängeln hinsichtlich des politischen wir eigentlich immer gewusst – etwas flexibler, wenn sie Erfolges geprägt. Dann steht insgesamt der Erfolg des mit ihrem Ehepartner ins Ausland ziehen. Einsatzes, in diesem Fall: der Wiederaufbau in Afgha- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Frauen nistan, infrage. sind sowieso flexibler als Männer!) Wir sollten keine Barrieren aufrichten, indem wir – Entschuldigung. Männer sind leider etwas sturer; das schon vor der abschließenden Abstimmung ein absolutes ist nun einmal so. – Wir müssen uns etwas einfallen las- Nein kundtun. Es kommt nämlich sehr darauf an, welche sen, damit der Wechsel ins Ausland attraktiver wird. So Schlussfolgerungen die Bundesregierung in ihrem An- sehr wir jetzt auch schmunzeln: Wenn die Ehefrau in trag an das Parlament aus unserer Debatte zieht. Ich acht Jahren an zwei Botschaften war und der Mann in hoffe, dass wir in diesem Sinne heute einen guten Bei- dieser Zeit keinen Job hatte, dann wird es für ihn sehr trag dazu geleistet haben. schwierig, in Deutschland wieder einen Job zu finden. Für diese Fälle müssen wir uns Programme überlegen. Herzlichen Dank. Ich darf, weil wir immer dafür sind, dass Stellen im (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten öffentlichen Dienst abgebaut werden, den einen oder an- der CDU/CSU) deren an dieser Stelle darauf hinweisen, dass seit 1994 700 Auslandsstellen und im Ministerium selber 200 Stel- len gestrichen wurden. Das sollte man einfach einmal Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zur Kenntnis nehmen. Dabei sind die Belastungen des Ich erteile das Wort Kollegen Jürgen Koppelin, FDP- auswärtigen Dienstes, sowohl im Ministerium als auch Fraktion. in den Botschaften, größer geworden; die Aufgaben sind 11534 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Jürgen Koppelin (A) schwieriger geworden. Das ist so nicht mehr hinzube- ich darauf verständigt, dass ich heute sozusagen in Per- (C) kommen. Insofern müssen wir uns bezüglich des Perso- sonalunion für uns beide rede. Wir wollen das Hohe nals etwas überlegen. Haus nicht zu sehr mit haushälterischen Gesichtspunkten aufhalten. (Beifall des Abg. [SPD]) (Zuruf von der FDP: Das ist eine wahre Große Es kommt noch ein Bereich hinzu, der dem einen oder Koalition!) anderen vielleicht nicht so bewusst ist. Wenn man eine Auslandsreise macht und an der Botschaft ist, sieht man Im Übrigen ist es, wenn einer für jemanden aus der an- es. Viele unserer Botschaften sind in den 50er-Jahren deren Fraktion spricht, natürlich ein untrügerisches Zei- gebaut worden. Der Bauzustand ist teilweise katastro- chen für die durch nichts zu überbietende Harmonie in phal, das gilt bis hin zu den Gardinen und Teppichen. dieser Koalition. Hier besteht mit einem Schlag großer Nachholbedarf. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Hinzu kommt – das will ich nicht vergessen –, dass viele neten der SPD – Zuruf von der FDP: Herz- Botschaften vor Terrorismus geschützt werden müssen. lichen Glückwunsch!) Ich habe eine große Bitte, die ich bei anderer Gelegen- heit schon einmal geäußert habe – dieser Punkt ist mir Ich befinde mich auf gewisse Weise in einer schwieri- als Haushälter sehr wichtig –: Ich bitte unsere Bundes- gen Situation. Denn Haushälter müssen sich quasi be- baugesellschaft aufs Dringendste, kein Spitzenreiter in rufsmäßig und naturgemäß – wenn vielleicht auch nicht Sachen Bürokratie zu sein, sondern flexibel zu sein und angeboren – gegen jede Etaterhöhung wenden. Nach in- gemeinsam mit den Botschaften nach kostengünstigen tensiver Prüfung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, Lösungen zu suchen, die auch schnell durchzuführen dass eine Etaterhöhung, wenn überhaupt, im Einzelplan sind. des Auswärtigen Amtes angemessen ist. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der CDU/CSU und der SPD) bei Abgeordneten der SPD) Es kann nicht sein, dass immer nur blockiert wird. Wir Ich bin des Weiteren zu der Erkenntnis gelangt, dass als Politiker wollen, dass gehandelt wird, aber sie tut wir im Haushaltsverfahren, angelehnt an die ODA- nichts. Sie hat anscheinend nur eine Aufgabe: dorthin zu Quote, eigentlich so etwas wie eine AA-Quote einführen reisen, um sich den Zustand anzusehen, und das Vorha- müssten, ben anschließend abzulehnen oder zu verzögern. Das kann nicht sein. (Heiterkeit bei der FDP) um endlich beurteilen zu können, was eine angemessene (B) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (D) finanzielle Ausstattung ist. Ich muss gleich zum Schluss kommen, möchte aber noch eine andere Bitte aussprechen. Ich glaube, dass die Meine herzliche Gratulation, Herr Außenminister, Zusammenarbeit zwischen dem BMZ und dem Auswär- dass es Ihnen als erstem Amtsinhaber seit – ich weiß tigen Amt dringend einer Verbesserung bedarf. Ich habe nicht, wie vielen – Jahren gelungen ist, nicht den Eindruck, dass BMZ und Auswärtiges Amt (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Seit zehn Jahren!) sehr harmonisch zusammenarbeiten; das muss nicht am Minister liegen. Die Außenpolitik und die Entwick- den Bundesfinanzminister davon zu überzeugen – einer lungshilfepolitik gehören zusammen und müssen abge- Ihrer Vorgänger hat einmal gesagt: „Ohne Moos nix los.“ –, stimmt werden. Es ist meine dringende Bitte, Herr dass mehr Aufgaben mit weniger Geld auf die Dauer Minister, dass dies geschieht. Ich begrüße es, dass Sie ei- nicht zu bewältigen sind. An dieser Stelle sage ich auch nen Teil des Geldes, das dem BMZ zusteht, zur Verwal- dem Bundesfinanzminister für seine Einsicht vielen tung ins Auswärtige Amt bekommen. Bei Ihnen ist es Dank. anscheinend besser aufgehoben. Einsparmöglichkeiten gäbe es zum Beispiel dann, Herzlichen Dank. wenn wir, zumindest was den Bau von Botschaften be- trifft – Kollege Koppelin hat das angesprochen –, die oh- (Beifall bei der FDP) nehin überforderte Bundesbaugesellschaft entlasten (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hartmut Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Koschyk [CDU/CSU]) Ich erteile das Wort Kollegen , CDU/CSU-Fraktion. und eine Gesellschaft gründen würden, die für diese Bauten zuständig ist. Ich hoffe, dass wir nach der ent- sprechenden Beratung in den zuständigen Gremien für Herbert Frankenhauser (CDU/CSU): dieses Vorhaben auch Ihre Unterstützung bekommen Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich werden. kenne die Befindlichkeiten und Schwierigkeiten, wenn Haushälter plötzlich in eine Etatdebatte eingreifen. Das Gesamtvolumen des Haushalts des Auswärtigen Amtes für das Jahr 2008 beträgt 2,816 Milliarden Euro. (Beifall des Abg. Lothar Mark [SPD]) Der Haushalt dieses Ministeriums erreicht damit einen Um dem Rechnung zu tragen, haben sich mein hochge- Anteil von 0,994 Prozent am Gesamthaushalt. Kollege schätzter Mitberichterstatter, Kollege Lothar Mark, und Mark will immer die 1-Prozent-Marke erreichen, aber Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11535

Herbert Frankenhauser (A) ich weiß nicht, ob uns das im Beratungsverfahren gelin- gewählten Präsidenten, Herrn Professor Lehmann, ganz (C) gen wird; wir wollen es zumindest versuchen. herzlich zu seiner Wahl. (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Das (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der wäre doch mal was!) FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, jeder Bundesbürger, ob groß, ob klein, wird für die Tätigkeit des Auswärtigen Amtes mit einem Wir sind oft gescholten worden, wir würden das Goethe- Betrag von 34 Euro belastet. Wenn man dem gegenüber- Institut arm sparen. Der Haushaltsausschuss hat nie ein stellt, dass jeder Bundesbürger für die Bundesschuld Institut geschlossen und wollte auch nie eines schließen. 527 Euro aufbringen muss, so denke ich, dass diese Wenn wir jetzt noch einmal über 27 Millionen Euro da- 34 Euro wirklich gut angelegt sind, nicht zuletzt deshalb, rauflegen und insgesamt 185 Millionen Euro für das weil die große Koalition und somit auch Herr Außenmi- Goethe-Institut aufwenden, dann haben wir das Mögli- nister Steinmeier inhaltlich neue Akzente gesetzt haben. che für eine ordentliche finanzielle Ausstattung und eine Der Stabilitätspakt für Afghanistan und der Stabilitäts- dauerhafte Konsolidierung des Goethe-Instituts getan. pakt für Südosteuropa sind wieder dort etatisiert, wo sie Ich möchte aber schon darauf hinweisen, dass Qualität hingehören. weder allein eine Frage des Geldes noch der Masse ist. Das gilt auch mit Blick auf die Absurdität mancher Pro- (Zustimmung bei Abgeordneten der SPD) gramme, die leider Gottes angeboten werden. Es ist begrüßenswert, dass mit diesen Mitteln schnell, Es gibt einen ganz kleinen Posten, den ich aber für gezielt und sichtbar sehr wichtig halte und deswegen einmal erwähnen (Lothar Mark [SPD]: Und unbürokratisch!) möchte: Im Etat ist die Erhaltung deutscher Kriegsgrä- ber im Ausland und damit die Arbeit des Volksbundes – das betrifft das, was Sie, Herr Kolbow, angesprochen Deutsche Kriegsgräberfürsorge finanziell abgesichert. haben – auf akute Probleme und Bedürfnisse reagiert Es handelt sich um eine relativ kleine Position, die aber werden kann, damit auch die Bevölkerung erkennt, was eine sehr hohe Bedeutung für viele unserer Mitbürger wir unternehmen. und Mitbürgerinnen sowie die Wirkung nach außen hat. (Beifall des Abg. Walter Kolbow [SPD]) Am vergangenen Wochenende haben deutsche und rus- sische Soldaten zum ersten Mal nach dem Zweiten Welt- Völlig neu im Einzelplan 05 ist eine Dotierung in krieg gemeinsam auf einem Soldatenfriedhof in Russ- Höhe von 30 Millionen Euro für die Afrika-Initiative land an deutschen und russischen Gräbern gearbeitet. im Rahmen der deutschen G-8-Präsidentschaft. Im Übri- Das mag zwar eine kleine Aktion gewesen sein, aber es (B) gen, Herr Außenminister, werden 10 Millionen Euro für ist ein sehr ermutigendes Zeichen dafür, dass es sich (D) die African-Standby-Forces bereitgestellt. Wir haben lohnt, geduldig und beharrlich für Verständigung, Ver- uns überzeugen können, welch exzellente Arbeit im söhnung und Frieden zu arbeiten. Deswegen danke ich „Kofi Annan International Peacekeeping Training den vielen ehrenamtlichen Helfern, den Soldaten, die Centre“ geleistet wird. diese Arbeit verrichten. Völlig neu ist auch der Nachbarschaftsinvestitions- Vielen Dank. fonds, NIF, der mit 12 Millionen Euro gespeist wurde. Ich bin der festen Überzeugung, dieser Fonds musste (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der dringend erfunden werden. Bei meiner heutigen Lektüre FDP) habe ich darüber hinaus festgestellt, dass die Bundesre- gierung unbedingt noch einen Beauftragten für die Er- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: forschung der Fonds ernennen sollte, die es bei all diesen Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Leutert Institutionen gibt, damit wir endlich einmal erfahren, wo von der Fraktion Die Linke. unser Geld überall verwendet wird. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- wie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] Michael Leutert (DIE LINKE): [SPD]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Mittel für humanitäre Hilfe haben wir fast ver- Wenn jemand den Eindruck haben sollte, dass sich doppelt. Besonders möchte ich auf die Schulinitiative meine Argumente aus der letzten Haushaltsberatung unter dem Stichwort „Partner der Zukunft“ hinweisen, wiederholen, dann stimmt dieser Eindruck. Das hängt die der Außenminister ins Leben gerufen hat und für die damit zusammen, 41,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Ich (Hartmut Koschyk [CDU/CSU]: Weil Ihnen denke, dass insbesondere die deutschen Auslandsschu- nichts Neues einfällt!) len und die Angebote, die deutsche Sprache zu erlernen, für die deutsche Außenpolitik von ganz herausragender dass die Politik der Großen Koalition heute immer noch Bedeutung sind. so schlecht ist wie im letzten Jahr. Das möchte ich jetzt gern begründen. Auch ist es gelungen, das Goethe-Institut, das in den letzten Jahren große Not gelitten hat, wieder auf die rich- Eigentlich freut sich das Herz des Haushälters, wenn tige Spur zu bringen. Von hier aus gratuliere ich dem neu 12,7 Milliarden Euro mehr zu verteilen sind. Das 11536 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Michael Leutert (A) Auswärtige Amt bekommt davon 300 Millionen Euro nen, und die Menschenrechtssituation ist immer noch (C) ab. Das Problem ist bloß: Diese Mehreinnahmen kom- bedrohlich. men nicht durch eine kluge und gerechte Einnahmen- (Zuruf von der SPD: Wollen Sie da heraus?) politik zustande, sondern es handelt sich dabei letztend- lich um das Geld, das wir den kleinen Leuten aus der – Nein, es geht mir um das Verhältnis der zivilen und der Tasche gezogen haben; ich nenne nur das Stichwort militärischen Instrumente der Außenpolitik: Wenn Mehrwertsteuererhöhung. Das trübt natürlich den Blick 50 Millionen Euro im Rahmen des Stabilitätspaktes zur auf den Haushalt und macht es schwer, sich an dieser Verfügung gestellt werden, dem aber ISAF-Gesamtkos- Debatte zu beteiligen. ten von 2,2 Milliarden Euro gegenüberstehen, muss ich sagen: Ich halte das für einen schwerwiegenden Fehler. Wenn man sich dann noch anschaut, wie das Geld verteilt wird, ist das einfach traurig. Der Haushalt des (Beifall bei der LINKEN) Auswärtigen Amtes umfasst 2,8 Milliarden Euro, das ist Das zeigen uns auch die Ergebnisse, die wir derzeit in nicht einmal 1 Prozent des Gesamthaushaltes. Im Ge- Afghanistan zu verzeichnen haben. gensatz dazu umfasst der Etat des Verteidigungsminis- ters – zweitgrößter Etat – über 29 Milliarden Euro. Auf Die Folgerung, die die Regierung zieht – das kann diesen Etat ist einfach 1 Milliarde Euro daraufgepackt man an den Haushaltszahlen sehen –, ist: Nichts passiert, worden; das ist zehnmal so viel wie beim Auswärtigen es wird weitergemacht. Die Mehreinnahmen werden Amt. nicht dafür verwendet, den zivilen Sektor aufzustocken. Ich habe es vorhin schon erwähnt: Um 1 Milliarde Euro Das muss man sich aber noch genauer anschauen. wird der Verteidigungshaushalt erhöht; übrigens wird Dem Auswärtigen Amt stehen 2,8 Milliarden Euro zur auch dieses Jahr weit über 1 Milliarde Euro für Rüs- Verfügung. Davon müssen 700 Millionen Euro für Bei- tungsforschung und wehrtechnische Erprobung einge- träge an internationale Organisationen einschließlich der stellt. Immer wieder betonen die Vertreter von Regie- VN-Beiträge für Militäreinsätze abgezogen werden. Es rung und Koalition, dass sie den zivilen Aufbau stärken bleiben also 2,1 Milliarden Euro für alle Aufgaben, die wollten, dass sie die Demokratie, die Menschenrechte im Ausland entstehen, übrig. Das sind die Goethe-Insti- und den Frieden in der Welt sichern wollten. Das wird tute, die angesprochene Afrika-Initiative, humanitäre damit nicht erreicht, sondern konterkariert. Hilfe, Demokratisierungshilfe und natürlich die 220 Ver- tretungen im Ausland mit ungefähr 9 000 Bediensteten. (Lothar Mark [SPD]: AA, BMZ, BMI, wir in- vestieren schon!) Im Übrigen haben wir mittlerweile mehr Soldaten im Ausland stehen als Diplomaten. Der Verteidigungs- Mittlerweile, nach Afghanistan, müsste doch jeder ka- (B) minister hat also Ihnen, Herr Außenminister, mittler- piert haben, dass man Demokratie und Menschenrechte (D) weile den Rang abgelaufen. Er hat mehr Truppen im nicht mit militärischen Mitteln erzwingen kann. Ausland stehen. Danke. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN) NEN]: Seit wann hat der Außenminister Trup- pen? Er ist doch Zivilist!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Schon das zeigt, wie die Prioritäten in der deutschen Ich erteile das Wort Kollegen Rainder Steenblock, Außenpolitik gesetzt sind. Es geht in der Außenpolitik Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. nicht in erster Linie um zivile Instrumente, sondern es geht letztendlich um militärische Instrumente in der Au- Rainder Steenblock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ßenpolitik. NEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die (Beifall bei der LINKEN) deutsche Außenpolitik bewegt sich immer stärker in dem Das kann man an dem derzeitigen Projekt der deut- Spannungsfeld zwischen einer eigenständigen, bilateral schen Außenpolitik, Afghanistan, durchexerzieren: In orientierten deutschen Außenpolitik und der Einbindung jedem Bereich muss abgerechnet werden, was welches in die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Instrument gebracht hat, wie effektiv es gewesen ist. Bei Europäischen Union. Wenn wir unsere Ziele, unsere In- Militärmissionen hingegen gibt es eine solche Abrech- teressen, unsere Werte in den außenpolitischen Konflik- nung nicht. ten durchsetzen wollen, dann brauchen wir – davon bin ich überzeugt – eine stärkere Einbindung unserer Wir haben über OEF gesprochen: Bisher gibt es keine Außenpolitik in die Gemeinsame Außen- und Sicher- Auskunft darüber, wie der Auftrag, feindliche Kämpfer heitspolitik der Europäischen Union. Der Außenminis- gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen, ausge- ter unseres Landes ist aktiv dabei, das voranzutreiben. führt worden ist. Der OEF-Einsatz hat bisher über 800 Millionen Euro gekostet. Wenn man sich die Ergebnisse der europäischen Au- ßenpolitik anschaut, muss man sagen: Es gibt Erfolge, es Wir haben auch keine vorzeigbaren Ergebnisse bei gibt eine gute Kooperation, zum Beispiel was den Nah- ISAF. Obwohl dieser Einsatz bisher 2,2 Milliarden Euro ostkonflikt angeht; aber auch Iran ist sicherlich ein Bei- gekostet hat, hat sich die Lage in Afghanistan nicht sta- spiel für eine gute Kooperation. Es gibt aber auch viele bilisiert: Jeden Tag sind massive Anschläge zu verzeich- Schwachstellen in der europäischen Außenpolitik: Ich Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11537

Rainder Steenblock (A) nenne nur Kosovo als Beispiel. Auch in der Energie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) außenpolitik haben wir große Probleme, die wir lösen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der müssen. Wenn EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn und Bul- CDU/CSU und der FDP) garien dabei sind, das Fundament der Ressourcensiche- rung, die ein Teil der Energieaußenpolitik ist – für uns Ich komme zum letzten Punkt. Eines der zentralen Grüne gehört viel mehr dazu –, zu zerstören, indem sie Projekte des Reformvertrages war die Grund- mit immer neuen Pipelines versuchen, die Gasvorkom- rechtecharta, in der viele soziale Grundrechte der Men- men Russlands in ihr Land zu leiten, dann ist das ein schen in Europa verankert sind. Wenn ich jetzt in den Beispiel dafür, wie die EU-Mitgliedstaaten ihre außen- Debatten höre, dass die Grundrechtecharta neu gewich- politischen Interessen durch Vielstimmigkeit kaputtma- tet und in ihrer Bedeutung abgewertet werden soll, dann chen. gehen bei mir alle Warnlampen an. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Zu Recht!) sowie bei Abgeordneten der SPD) Die Menschen in Europa brauchen die Grund- Deshalb ist es wichtig, dass wir bei den zentralen The- rechtecharta als verlässliches Element zur Bildung der men zusammenzukommen versuchen. europäischen Identität. Wir alle sollten ein gemeinsames Interesse daran haben, dieser Grundrechtecharta einen Ein großes Problem, das wir im nächsten Jahr lösen hohen Rang in der europäischen Verfassung oder im Re- müssen, ist, glaube ich, das Verhältnis der Europäi- formvertrag einzuräumen. Das dient unserer demokrati- schen Union zu Russland. Es ist ein Kernpunkt vieler schen Legitimation, aber auch dem Vertrauen in den Konfliktfelder, die wir haben. Der Europäischen Union europäischen Weg zur Lösung von Problemen. muss es gelingen – nicht nur wegen der Konflikte, die wir jetzt mit Polen hatten –, einen eigenen strategischen Vielen Dank. Ansatz, eine eigene Russlandpolitik zu entwickeln. Wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben eine Zentralasienstrategie entwickelt. Wir haben und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der den Außenminister in dieser Frage sehr unterstützt. Aber CDU/CSU, der FDP und der LINKEN) diese Zentralasienstrategie wird so lange zahnlos blei- ben, solange sie nicht durch eine Russlandstrategie kom- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: plementiert ist. Deshalb ist es wichtig, dass in unseren Strategien die Ressourcenpolitik immer mit der Frage Das Wort hat nun Kollege Axel Schäfer, SPD-Frak- nach Demokratie und Menschenrechten verbunden wird. tion. Das gilt gerade auch für Russland. (Beifall bei der SPD) (B) (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Eckart von Klaeden [CDU/CSU]) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast zum Schluss der Debatte über den Haushalt des Wenn wir schon über eine europäische Energiepolitik Auswärtigen Amtes reden wir über Europapolitik. Das sprechen, dann muss ich feststellen, dass mich das letzte ist wichtig und richtig, weil es ein zentraler Teil Ihrer Treffen unserer Bundeskanzlerin mit Herrn Sarkozy Arbeit ist, Herr Bundesaußenminister. nicht besonders erfreut hat. Zentrales Thema war sozu- sagen der Versuch, eine konservative Politik zu gestal- Zwei Punkte sind in diesem Jahr entscheidend. Zum ten, um die europäischen Lobbyinteressen im Atombe- einen brauchen wir in der EU den Zusammenhalt nach reich zu stabilisieren und zu stärken. Das ist hinsichtlich außen, auch um anderen Halt geben zu können. Was mit einer nachhaltigen Energiepolitik im europäischen Rah- der Bremer Erklärung in der Ratspräsidentschaft gelun- men kontraproduktiv. gen ist, was vor allen Dingen die Menschen erwarten – das sage ich nach vielen Reisen auf den westlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Balkan, vor allem auch im Kosovo, auf denen ich eine sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Reihe von Gesprächen geführt habe –, ist in der Europäi- KEN) schen Union insgesamt, aber auch hinsichtlich unserer Gestatten Sie mir noch eine weitere Bemerkung. deutschen Rolle nicht hoch genug einzuschätzen. Des- Auch der sogenannte Rat der Weisen geht dramatisch in wegen wird es wichtig sein, lieber Frank-Walter die falsche Richtung. Wenn man anfängt, wieder über Steinmeier, dass es weiterhin gelingt, dass wir diese Vertrauensbildung bei den Menschen in Europa nachzu- Europäische Union zusammenhalten – selbst wenn die denken, dann braucht man keine Gremien hinter ver- Probleme im Kosovo größer werden –, weil wir im Falle schlossenen Türen, sondern demokratisch legitimierte einer Spaltung in Europa nicht in der Lage wären, für die Strukturen, zum Beispiel einen Konvent, um die Euro- Menschen und die gemeinsame Sache Erfolge zu erzie- päische Union weiterzuentwickeln. Wir brauchen keine len. zusätzlichen Expertengremien, sondern eine offene, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten transparente und demokratische Debatte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Und parlamen- Zum anderen brauchen wir den Zusammenhalt nach tarische Debatte!) innen. Was zurzeit bei der Regierungskonferenz be- um die Zukunft Europas. werkstelligt werden soll – das sollten wir ohne Übertrei- 11538 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Axel Schäfer (Bochum) (A) bung in aller Ruhe deutlich benennen –, ist das wich- mal zu testen, was die Bürgerinnen und Bürger meinen. (C) tigste Reformprojekt im institutionellen Bereich seit Er hat gesagt: Diese Neuverhandlungen haben ein gutes 15 Jahren und die grundlegendste Veränderung in Ergebnis gezeitigt. Sie haben unserem Land etwas ge- 50 Jahren europäischer Verträge. bracht. Ich werbe um Zustimmung. Aber ich sage auch klar: Wir haben die Alternativen, Ja in der EG oder Nein (Beifall bei Abgeordneten der SPD) in der Volksabstimmung zu sagen und dann auszutreten. Wenn wir es schaffen, Europa auch zukünftig hand- Ich appelliere an alle, die wollen, dass wir dieses lungsfähig zu machen, dann brauchen wir Veränderun- Europa zusammenhalten, die zweite Chance mit der nun gen im Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Ak- anstehenden Regierungskonferenz und der Ratifizierung teuren, auch zwischen Europäischem Parlament, der zu nutzen. Denn in Europa ist es anders als im Sport: Wir Kommission und dem Rat. Notwendig für die Stärkung haben keine drei Versuche, also keine zwei Fehlversu- ist auch, dass wir die Handlungsmöglichkeiten verbes- che, um dann das Gewicht im dritten Versuch zu stem- sern – Stichwort „dritter Pfeiler“ – und die Pfeilerstruk- men. Wir müssen es jetzt schaffen. Ich denke, wir wer- tur überwinden und integrieren. den es schaffen. Der Deutsche Bundestag wird dazu Wir brauchen dabei auch mehr direkte Demokratie. einen wichtigen Beitrag leisten. Der Außenminister wird Was Europa ausmacht, ist eben nicht nur eine Kopfge- eine hervorragende Rolle spielen. burt, sondern es ist ein Projekt, das den Menschen zuge- Glück auf! wandt ist. Dafür ist es notwendig, dass wir die Elemente mit in den Verfassungsvertrag aufnehmen und entspre- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten chend mit Leben erfüllen. der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich weise deshalb so eindringlich darauf hin, weil wir Ich erteile das Wort Kollegin Erika Steinbach, CDU/ in einer schwierigen Situation sind. Das muss man trotz CSU-Fraktion. der vielen guten Botschaften über die Vorbereitung zum Abschluss der Regierungskonferenz, die wir zurzeit aus (Beifall bei der CDU/CSU) Brüssel von den Rechtskundigen bekommen, offen be- kennen. Es ist noch nicht geschafft. Wir sind mit der Re- Erika Steinbach (CDU/CSU): gierungskonferenz schon ein Stückchen zurückgegan- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! gen, gemessen an dem von Rainder Steenblock zu Recht Wenn wir heute über den Einzelplan 05 des Auswärtigen erwähnten Konvent im Jahr 2003. Trotz der Ratifizie- Amtes sprechen, können wir das durchaus unter erfreuli- (B) rung des Verfassungsvertrages in 18 Ländern haben wir chen Vorzeichen tun; denn der Gesamtetat des Auswärti- (D) einen Bruch erlebt. Mit den vertraglichen Grundlagen, gen Amtes wurde nach vielen Jahren erstmals wieder an- die wir nun schaffen wollen, bewegen wir uns auf einem gehoben, und das war dringend nötig. Davon profitieren Niveau, das wieder ein Stückchen niedriger ist. Dennoch nicht zuletzt auch die Menschenrechtsanliegen dieses sind diese neuen vertraglichen Grundlagen das Wich- Hauses. So ist zum Beispiel vorgesehen, den Mittel- tigste, was wir gemeinsam zustande bringen müssen. ansatz im Titel „Demokratisierungs- und Ausstattungs- Wenn aber nun einzelne Länder versuchen, noch mehr hilfe, Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte“ infrage zu stellen und Änderungen hin zu weniger Ge- um rund 3 Millionen Euro zu erhöhen. Diese Erhöhung meinschaft zu bewirken, dann müssen wir alle in diesem spiegelt das gewachsene Engagement wider, das Hohen Hause dazu Nein sagen und Ja zu dem, was wir Deutschland in den letzten Jahren bei der Sicherung des gemeinsam erreicht und auf dem EU-Gipfel in Brüssel Friedens und der Wahrung der Menschenrechte gezeigt beschlossen haben. Das muss unser gemeinsames Anlie- hat. gen sein. Die Herausforderungen, denen sich Deutschland auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten im Menschenrechtsbereich gegenübersieht, sind in den der CDU/CSU) letzten Jahren nicht geringer geworden. In vielen Berei- Ich sage das ganz offen als jemand, der bekennender chen prallen heute religiöse, ethnische oder ideologische Anhänger der direkten Demokratie ist: Wenn es Länder Vorstellungen verstärkter und aggressiver aufeinander gibt, in denen nun ein Plebiszit ansteht, nicht nur ver- als in den Jahrzehnten zuvor. Die Geschichte hat uns ge- pflichtend in Irland und wahrscheinlich auch in Däne- lehrt, dass die Menschenrechtsverletzungen von heute mark, oder in denen man nach einem Volksentscheid nicht selten die kriegerischen oder die bürgerkriegsähnli- ruft, um gegen Europa votieren zu können, dann müssen chen Auseinandersetzungen von morgen sind. Beides hat wir uns auf gute Erfahrungen in Europa besinnen, die immer mehr oder weniger Auswirkungen auf unser deutlich machen, wie wir mit solchen Konflikten umge- Land, direkt oder indirekt. Deshalb ist Menschenrechts- hen können. Harold Wilson stand 1975 als Labour- politik neben dem humanitären Anliegen auch immer Premier vor einem ähnlichen Problem. Er musste ein Interessenpolitik unseres eigenen Landes. Stück neu verhandeln, um seiner eigenen Partei sowie (Beifall bei der CDU/CSU) den Wählerinnen und Wählern zu entsprechen, und musste gleichzeitig dazu beitragen, dass Großbritannien Diese Bundesregierung tut in Fragen der Menschen- in der Europäischen Union bleiben konnte. Harold rechte mehr – Herr Kollege Kolbow, das sehe ich ein Wilson hat keine Volksabstimmung ausgerufen, um ein- wenig anders als Sie – als alle Bundesregierungen zuvor. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11539

Erika Steinbach (A) Das gilt nicht nur für die rot-grüne Bundesregierung, die dortige Regierung Unterstützung. Das allgemeine (C) sondern auch für die, die davor waren. Das begrüße ich Ziel, Sicherheit und Menschenrechte in Afghanistan zu ausdrücklich. Förderprogramme zur Durchsetzung von stabilisieren, kann erreicht werden, wenn wir in unseren Demokratie und von Menschenrechten sind wichtig. Da- Bemühungen jetzt nicht nachlassen. Wie sehr sich aber ran besteht überhaupt kein Zweifel. Sie helfen den Men- die Situation seit Beginn des internationalen Hilfseinsat- schen, und sie stabilisieren das globale politische Ge- zes verbessert hat, lässt sich unter anderem daran mes- samtgefüge. Sie können aber nur dann ihre Wirkung sen, wie viele Exilafghanen inzwischen heimgekehrt wirklich entfalten, wenn das Bekenntnis zu den Men- sind. Seit 2002 sind es fast 5 Millionen Vertriebene und schenrechten von oberster Ebene mitgetragen und immer Flüchtlinge, die zurückkehren konnten, davon weit mehr wieder eingefordert wird. Geld alleine reicht nicht, und als tausend aus Deutschland. Das ist ein Zeichen des Geld alleine hilft nicht nachhaltig. Menschenrechtspoli- Vertrauens in die Gegenwart und in die Zukunft dieses tik braucht Politiker, die Missstände im Ausland mutig Landes. und ohne Schnörkel ansprechen. Das tun sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Herr Außenminister. Herz- (Beifall bei der CDU/CSU) lichen Dank dafür. Von ihnen werden Menschenrechts- Deutschland hat in diesem Bereich seinen Beitrag geleis- defizite nicht ausgeklammert, sondern angesprochen. In tet. Auch beim Minenräumen hat Deutschland engagiert der Vergangenheit war auch das nicht immer selbstver- eingegriffen. ständlich. Aber Afghanistan ist nur einer von vielen internatio- Wenn ich anfangs sagte, dass der Haushalt des Aus- nalen Brennpunkten, durch die menschenrechtliche Fra- wärtigen Amtes den höheren Stellenwert von Menschen- gen berührt sind. Zahlreiche andere Länder und ihre rechten widerspiegelt, so trifft dies vor allem auf ein Menschenrechtsdefizite beschäftigen uns tagtäglich. Ich Land zu, das heute in der Debatte schon eine große Rolle nenne stellvertretend Darfur, Simbabwe, Iran, China, gespielt hat, auf Afghanistan. Nirgendwo sonst hat sich Belarus, Kuba, Zentralasien, Russland und nicht zuletzt Deutschland in den letzten Jahren auch unter menschen- den Nahen Osten. Überall dort leistet die Bundesregie- rechtlichen Aspekten so sehr verpflichtet wie in dieser rung in ganz unterschiedlicher Art und Weise ihren Bei- Region. Es gibt heute Erfolge, aber nach wie vor auch trag zur Wahrung der Menschenrechte und der Men- Herausforderungen. Das Beispiel Afghanistan wähle ich schenwürde. deshalb, weil ich und wir alle sehr wohl wissen, dass es vielen Menschen hier im Land am liebsten wäre, wenn All diejenigen, denen das Schicksal anderer Men- Deutschland sein Engagement dort baldmöglichst ein- schen auf diesem Erdball herzlich egal ist, die auch stellen würde. Aber das wäre nicht nur aus der Men- nichts von christlicher Nächstenliebe halten, all diejeni- (B) schenrechtsperspektive, sondern auch aus Gründen der gen, die glauben, deutsche Politik sollte sich aus allem, (D) innenpolitischen Sicherheit ein ganz kardinaler Fehler. was es an Schrecklichem in dieser Welt gibt, heraushal- Ohne Zweifel ist Afghanistan noch sehr weit von Zu- ten und sich selbstgenügsam zurückhalten, müssen sich ständen entfernt, die wir mit unseren eigenen Maßstäben vor Augen führen, dass sie damit ihren zum Teil sehr als rechtsstaatlich oder menschenrechtlich akzeptabel egoistischen Interessen selber mehr schaden als nutzen. empfinden. Dennoch müssen wir uns immer wieder vor Die Weltprobleme enden eben nicht am deutschen Tel- Augen halten, wie verheerend die Menschenrechtsbilanz lerrand. Gewalt, Terror und Unterdrückung bleiben in zu Beginn des multinationalen Engagements in Afgha- unserer globalisierten Welt nicht in den Regionen, in de- nistan ausgesehen hat. Frauen und Mädchen wurden nen sie entstanden sind. Sie schwappen über bis hin zu massiv unterdrückt und sowohl aus dem politischen Pro- uns, ob in Wanderungsströmen oder durch Terrorakte. zess als auch von Bildung, sogar von Schulbildung, aus- Auch deshalb ist es zwingend erforderlich, Demokratien geschlossen. Es gab kein funktionierendes Justizwesen. zu stabilisieren und menschenwürdiges Leben in ande- Genauso wenig wurden die allgemeinen Menschen- ren Teilen der Erde zu ermöglichen. rechte beachtet. All das war in diesem Lande nicht vor- handen. Die Talibanherrschaft hatte die Menschen dort Ich danke Ihnen. im Griff. Ihre Herrschaft konnte inzwischen durch den internationalen Einsatz beendet werden. Die weitver- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zweigten terroristischen Nester, die es heute noch gibt, neten der SPD) dürfen uns gleichwohl nicht gleichgültig sein. Von dort aus werden die zivilisierte Welt und auch die afghani- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: sche Regierung nach wie vor bedroht. Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Zum befriedenden Prozess in Afghanistan hat Deutschland intensiv beigetragen. Erste Erfolge sind Bevor wir zum nächsten Geschäftsbereich kommen, zweifellos sichtbar. 2004 wurden in der afghanischen will ich die Parlamentarische Bundesheer-Beschwer- Verfassung die Menschen- und Bürgerrechte fest veran- dekommission des österreichischen Nationalrats – das kert. Im Zuge des Verfassungsprozesses hat sich insbe- ist eine Institution, die dem Wehrbeauftragten des Deut- sondere die Situation von Frauen durch ihre rechtliche schen Bundestages vergleichbar ist – begrüßen. Seien Gleichstellung gebessert. Zwangsehen und Ehrenmorde Sie herzlich willkommen! sind heute verboten. Wichtig ist jetzt eine konsequente Durchsetzung der vorhandenen Rechte. Dafür braucht (Beifall) 11540 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse (A) Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- auch zur Sicherung der Situation in Deutschland erfüllt. (C) desministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Es ist notwendig, dass eine finanzielle Grundlage ge- schaffen wird, damit dieser Auftrag auch in Zukunft gut Ich erteile dem Bundesminister Franz Josef Jung das erfüllt werden kann. Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- Wenn solche Aufträge wahrgenommen werden, dann gung: – das ist ein wichtiger Punkt – müssen unsere Soldatin- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und nen und Soldaten dafür gut ausgebildet und gut ausge- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der gestrige rüstet sein. Wir haben die Verpflichtung, ihnen den Tag hat der deutschen Öffentlichkeit wieder deutlich ge- Schutz mitzugeben, den wir ihnen bei dieser schwieri- macht, dass sich die Bedrohungslage aufgrund der An- gen Aufgabe mitgeben können; denn gerade die Aus- schläge in New York und in Washington auch für uns landseinsätze sind oft mit unmittelbarem Risiko für Leib sehr konkret verändert hat. Wir haben den Kalten Krieg und Leben verbunden. Wir haben die Verpflichtung, al- zum Glück überwunden. Durch den internationalen Ter- les zu tun, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen und die rorismus, durch Massenvernichtungswaffen, durch Kri- Soldatinnen und Soldaten so vor Angriffen zu schützen. sensituationen und durch Staatsverfall haben wir es Deshalb bin ich froh darüber, dass wir entschieden ha- heute mit einer besonderen Bedrohungslage zu tun. In ben, nur noch mit geschützten Fahrzeugen zu fahren. dieser Hinsicht nimmt die Bundeswehr ihre Aufgaben Deshalb haben wir die Aufklärung verstärkt. wahr. Ich verweise konkret auf Afghanistan: Die An- schläge sind von Afghanistan ausgegangen. Deshalb ist Wir brauchen die finanziellen Grundlagen, um diese es im Interesse von Stabilität, von friedlicher Entwick- Maßnahmen zu ermöglichen – im Interesse des Schutzes lung und von Menschenrechten, aber auch im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten bei diesen wichtigen der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands Einsätzen. richtig und wichtig, dass wir diesen Auftrag auch in Zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) kunft wahrnehmen. Daher bin ich froh darüber, dass wir in diesem Etat eine (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Steigerung um 918 Millionen Euro zu verzeichnen ha- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE ben, was aber auch notwendig ist, um den Modernisie- GRÜNEN) rungsprozess und den Anpassungsprozess – das ist das, Wir stellen in Afghanistan das drittstärkste Kontin- was wir „Transformationsprozess“ nennen – voranzu- treiben. (B) gent. Wir stellen das stärkste Kontingent in Bosnien- (D) Herzegowina. Außerdem stellen wir das stärkste Kontin- Als diese Bundesregierung ins Amt kam, hat noch gent im Kosovo. Wir werden im Kosovo auch weiterhin niemand daran gedacht, dass wir einen Einsatz im Präsenz zeigen. Kongo zu leisten haben würden, wie das im letzten Jahr (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Fall war. Wir haben ihn erfolgreich durchgeführt. NEN]: Na ja!) UNIFIL vor der Küste des Libanon, die Tornados in Af- ghanistan, all das hat auch etwas mit finanziellen Fragen Ich kann nur hoffen und wünschen, dass wir die Status- zu tun. Wir sind noch weit davon entfernt, die Forderung verhandlungen im Hinblick auf Stabilität und Frieden zu der NATO – 2-Prozent-Anteil am Bruttoinlandsprodukt – einem guten Ergebnis führen. zu erfüllen. (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Bernd Auf welcher rechtlichen Grundlage?) Siebert [CDU/CSU]: Wohl wahr!) Ich glaube, dass das nicht nur die Voraussetzung dafür Mit diesem Haushalt legen wir die Grundlage dafür, ist, dass in dieser Region eine europäische Perspektive dass wir den Modernisierungsprozess bzw. den Transfor- entwickelt wird, sondern auch dafür, dass in Zukunft mationsprozess auch in Zukunft positiv gestalten kön- Stabilität und Frieden vorherrschen. nen. Deshalb sind wir auf dem richtigen Weg, auch was die finanzielle Ausstattung für die Bundeswehr angeht. Wir sind im Rahmen von UNIFIL vor der Küste des Libanon im Einsatz; wir debattieren gleich darüber. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) sind im Rahmen des Mandats OEF auf dem Gebiet der Terrorismusbekämpfung aktiv. Außerdem ist die Bun- Unser Ziel ist weiter, die Ausgaben für Investitionen deswehr am Horn von Afrika, Stichwort „Dschibuti“, im zu steigern und die Betriebsausgaben zurückzufahren. Einsatz. Hinzu kommt die Operation „Active Endea- Wir haben mittlerweile eine Situation erreicht, in der ge- vour“ im Mittelmeer. Wir sind auch im Sudan. Wir ha- rade im investiven Bereich Erhebliches geleistet wird. ben Militärbeobachter in Äthiopien und in Eritrea. In Ich denke etwa an die Situation unserer wehrtechnischen Georgien sind wir im Bereich des Sanitätswesens vertre- Industrie und an die Arbeitsplatzsituation. Wer sich vor ten. Ort begibt und sich einmal anschaut, wie sich die Indus- trie dort entwickelt, stellt fest: Die Planung im Hinblick Ich zeige dies nur auf, um deutlich zu machen, in wel- auf die Zukunft der Bundeswehr, die wir vollzogen ha- cher Art und Weise die Bundeswehr heute einen Auftrag ben – im Weißbuch gemeinsam beschlossen –, ist auch zur Stabilität und friedlichen Entwicklung, damit aber eine Grundlage für die Fortentwicklung von Forschung, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11541

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) Entwicklung und wehrtechnischer Industrie. Das ge- Aber auch unserer Verpflichtung unter dem Aspekt (C) währleistet auch Arbeitsplätze in Deutschland. der Wehrgerechtigkeit sind wir ein Stück näher gekom- men. Das Folgende sage ich ganz bewusst, weil ich teil- Die Auslandseinsätze sind mit erheblichen Ansprü- weise zu viele Zahlen in der Öffentlichkeit sehe, die mit chen an unser Material verbunden. Es ist notwendig, die der Wahrheit nicht mehr viel zu tun haben. Tatsache ist, entsprechenden Mittel bereitzustellen. dass von über 400 000 Jugendlichen etwa 80 Prozent als Ich füge allerdings hinzu: Natürlich müssen wir auch tauglich gemustert werden, davon rund 31 Prozent den im Hinblick auf den notwendigen Übungsbetrieb in Wehrdienst verweigern und dann den Zivildienst ableis- Deutschland bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Ich ten und darüber hinaus nicht einzuberufende Wehr- habe von der Verpflichtung gesprochen, die wir im pflichtige zu berücksichtigen sind, beispielsweise bei der Weißbuch beschrieben haben. Wir haben in diesem Jahr Feuerwehr Aktive, dritte Söhne und Verheiratete. Von beschlossen, die zivil-militärische Zusammenarbeit zum den rund 150 000 Jugendlichen, die dann noch zur Ver- Schutz Deutschlands auf eine neue Grundlage zu stellen, fügung stehen, sind 126 000 eingezogen worden, also die die föderalen Strukturen abbildet. Damit schaffen wir 80 Prozent, sodass wir damit meines Erachtens dem Verbindungskommandos, um beispielsweise im Bereich Grundsatz der Einberufungsgerechtigkeit Rechnung tra- des Katastrophenschutzes noch effektiver zu helfen. gen. Auch in dieser Hinsicht erfüllt die Bundeswehr in Zu- Es ist wahr, dass die Zahlen in den letzten Jahres et- kunft ihre Aufgabe, was den Schutz Deutschlands anbe- was zurückgegangen sind. Deshalb haben wir entschie- trifft. den, jährlich 6 500 Wehrpflichtige mehr einzuziehen, Wer hohe Einsatzbereitschaft und Leistungsbereit- um dem Gebot der Wehrgerechtigkeit nachzukommen. schaft von den Soldatinnen und Soldaten verlangt, der Denn ich bin der Auffassung, wir brauchen diese Wehr- muss auch dafür sorgen, dass die sozialen Rahmenbe- pflichtigen in den Auslandseinsätzen, aber wir brauchen dingungen stimmen. Wir berücksichtigen diesen Punkt sie auch im Hinblick auf die Erledigung unseres Auftra- im vorliegenden Haushalt dadurch, dass wir den teil- ges, beispielsweise zum Schutz Deutschlands, und in der weise schlechten Zustand der Kasernen in den alten Katastrophenhilfe. Die Bundeswehr hat sich als Wehr- Bundesländern beseitigen wollen. Wir haben vor, ein pflichtarmee gut entwickelt. Deshalb ist es notwendig, Prioritätenprogramm für die Modernisierung der Kaser- dass die Einberufungsgerechtigkeit auch in Zukunft eine nen aufzulegen; denn ich halte es für teilweise nicht Rolle spielt, um die Wehrpflicht in vollem Umfang in mehr akzeptabel, dass Soldaten in der Art und Weise ge- dieser Legislaturperiode beizubehalten. fordert werden, wie sie gefordert sind, sie sich aber dann (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- in einem sozialen Umfeld befinden, das wirklich nicht neten der SPD) (B) mehr angemessen ist. Deshalb bin ich dankbar, dass wir (D) mit diesem Haushalt das eben genannte Prioritätenpro- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zusammen- gramm einleiten können. fassend sagen: In den unterschiedlichen Einsätzen – sei es für den Frieden in verschiedensten Ländern, sei es zum (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Schutz Deutschlands, den sie unmittelbar ausüben, sei es bei Abgeordneten der FDP) auch in anderem Zusammenhang – zeigen unsere Solda- Ich füge einen Punkt hinzu: Wir haben bereits im tinnen und Soldaten eine hohe Einsatz- und Leistungsbe- Bundeskabinett beschlossen, Rahmenbedingungen zu reitschaft. Sie werden, wie wir gerade wieder bei den verändern, die sich aus der konkreten Situation des Aus- Auslandseinsätzen feststellen konnten, im Ausland landseinsatzes ergeben haben. Ich spreche konkret das durch die Art und Weise, in der sie auftreten, den Grund- Thema Weiterverwendungsgesetz an. Meines Erach- sätzen der inneren Führung gerecht, die ein Merkmal der tens hat ein Staat, der von seinen Soldatinnen und Solda- Bundeswehr darstellt: Dadurch, dass sie unsere Werte im ten verlangt, derartig riskante und auch lebensbedrohli- Ausland vermitteln, tragen sie zum Ansehen der Bun- che Einsätze durchzuführen, auch die Verpflichtung, desrepublik Deutschland bei. Sie haben meines Erach- dafür Sorge zu tragen, dass die Betreffenden dann, wenn tens sowohl unseren Dank als auch die finanzielle sie sich beispielsweise eine erhebliche Verletzung zuge- Grundlage durch diesen von uns zu beschließenden zogen haben, sie jedoch später gesundheitlich so wieder- Haushalt verdient, damit sie auch in Zukunft ihre Auf- hergestellt sind, dass sie einer Beschäftigung nachgehen gabe erfüllen können – im Interesse von Frieden und können, einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung haben Freiheit und im Interesse der Sicherheit der Bundesrepu- und nicht nur als Versorgungsfälle abgeschoben werden. blik Deutschland. Auch dies wollen wir entsprechend umsetzen. Besten Dank. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- neten der SPD) geordneten der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im Weißbuch beschlossen, dass wir die Bundeswehr Die nächste Rednerin ist Elke Hoff für die FDP-Frak- auch weiterhin als Wehrpflichtarmee entwickeln. Des- tion. halb bin ich dankbar, dass die Regierungsfraktionen be- schlossen haben, den Wehrsold um 2 Euro zu erhöhen. (Beifall bei der FDP) 11542 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Elke Hoff (FDP): hat dies nichts mehr zu tun. Statt sich mit solchen Haus- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und haltstricks über Wasser zu halten, fordern wir Sie daher Kollegen! Herr Minister, Sie haben sehr eindrucksvoll auf, das im Verteidigungshaushalt vorhandene Geld in- das zahlreiche Engagement der deutschen Soldatinnen telligenter als bisher auszugeben. Spielräume können in und Soldaten im Ausland dargestellt. Es lässt sich inzwi- der Zukunft nur aus einer nachhaltigen Stückzahlanpas- schen aber nicht mehr leugnen: Die materielle und finan- sung bei Großprojekten wie dem Eurofighter und dem zielle Ausstattung der Bundeswehr beeinträchtigt zuneh- A400M bzw. durch den Verzicht auf Projekte wie mend die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. In wichtigen MEADS erzielt werden. Die FDP fordert dies zu Recht Bereichen – ich denke hier insbesondere an den Bereich seit vielen Jahren. des Lufttransportes – ist die außenpolitische Handlungs- (Beifall bei der FDP) fähigkeit der Bundesrepublik Deutschland durch die nicht mehr zu leugnenden Ausrüstungsdefizite immer Unsere britischen Partner machen uns beim Eurofigh- weiter eingeschränkt. Der Fahrplan der Transformation ter inzwischen vor, wie man intelligent auf neue Bedürf- ist aus dem Ruder gelaufen. Die Unzufriedenheit in der nisse reagiert. Man entscheidet sich in Kooperation mit Bundeswehr nimmt dramatisch zu. der Industrie für geringere Stückzahlen, rüstet diese dann aber mit Fähigkeiten aus, die tatsächlich für den Trotz einer Erhöhung des Verteidigungsetats um Einsatz benötigt werden. Dies führt in der Beschaffung 920 Millionen Euro haben Sie, Herr Minister, keinen zwar nicht unmittelbar zu Einsparungen, aber im Betrieb Euro für die dringend notwendige Sanierung der Kaser- werden die Belastungen deutlich geringer. Das hat zur nen und für wichtige Ausrüstung übrig, obwohl diese im Folge, dass es in Großbritannien bald realistische Ein- Einsatz über Leben und Gesundheit unserer Soldaten satzszenarien für den Eurofighter auch außerhalb von entscheiden kann. Um Ihren entschiedenen Widerspruch Rüstungsmessen geben wird. Spannend ist auch, dass gleich vorwegzunehmen: Ja, wir haben registriert – Sie sich neben den Briten andere Partner wie etwa Italien haben es eben auch ausgeführt –, dass Sie 116 Millionen konditionierte Berechnungen für die dritte Tranche des Euro für das Programm „Sanierung der Kasernen West“ Eurofighters vorlegen lassen, das heißt für die volle bzw. in den Haushaltsentwurf eingestellt haben. Aber Ihr Mi- die halbe Stückzahl oder für einen kompletten Verzicht. nisterium hat erst vor wenigen Wochen eingestanden, dass alleine im Jahr 2007 rund 1,4 Milliarden Euro für Die Bundesregierung scheut sich aber vor Verände- Instandsetzung und Investitionen in Liegenschaften der rungen bei den Stückzahlen, weil damit auch eine Redu- Bundeswehr fehlen. Daher ist Ihr Programm mit dem zierung der fliegenden Verbände und Standortschließun- Volumen, das Sie eben vorgetragen haben, nicht einmal gen verbunden wären. Die Bundeswehr muss aber für ein Tropfen auf den heißen Stein. die Notwendigkeiten des Einsatzes und nicht unter struk- (B) turpolitischen Gesichtspunkten ausgerüstet werden. (D) (Beifall bei der FDP) (Dr. Werner Hoyer [FDP]: Richtig!) Alleine 300 Millionen Euro aus dem Verteidigungs- haushalt kommen durch die erhöhte Mehrwertsteuer Die Bundesregierung darf sich weiterhin nicht hinter Ihrem Kabinettskollegen Steinbrück zugute. Ihre Pro- vertraglichen Bindungen und drohenden Schadenser- gnose, dass die Kosten für die Auslandseinsätze sinken satzansprüchen verstecken. Die Erfahrungen unserer werden, ist ebenso an den Haaren herbeigezogen wie die Partner in der NATO und der EU zeigen doch, dass ge- Annahme, dass man weniger Mittel für weitere Beschaf- rade die Industrie ein Interesse an einem Verteidigungs- fung über den einsatzbedingten Sofortbedarf hinaus haushalt mit finanziellen Spielräumen hat, um auch tech- benötigen werde. Die Bundesregierung ist doch längst nologische Innovationen finanzieren zu können. dazu übergegangen, wichtige Beschaffungsvorhaben zu- Dazu ist diese Bundesregierung jedoch weiterhin nicht nächst in Minimalstückzahlen zu realisieren, um später bereit. Sie passt die Ausrüstungsplanung in keiner Weise den tatsächlichen Bedarf über das Instrument des kurz- an die Einsatzrealität an, führt sinnlose Großprojekte fort, fristigen und einsatzbedingten Sofortbedarfs zu decken. streicht dafür aber eine Vielzahl von Kleinprojekten, die Insofern stellen Ihre Prognosen eine Milchmädchenrech- für die Überlebensfähigkeit und den Schutz unserer Sol- nung dar. Außerdem fressen die notwendigen Maßnah- daten im Einsatz oberste Priorität haben sollten. Ich men zum Materialerhalt mögliche Spielräume auf, die in denke dabei etwa an Geräte zur Freund-Feind-Erken- der Vergangenheit nahezu ausschließlich durch Perso- nung, CSAR- und Aufklärungsfähigkeiten, geschützte nalabbau erzielt werden konnten. In diesem Bereich sind Transportfahrzeuge oder die Triebwerksanpassung für die Einsparpotenziale aber weitgehend ausgeschöpft. den CH-53. Herr Minister, es reicht auch nicht aus, wenn Sie im- Herr Minister, die von Ihnen gefeierten zusätzlichen mer wieder vortragen, dass Sie die Kosten für den Be- Mittel werden den allein seit 2004 entstandenen Sub- trieb weiter reduzieren und die Ausgaben für Investitio- stanzverlust in Höhe von 4,5 Milliarden Euro in keiner nen steigern werden. Das erreichen Sie möglicherweise Weise kompensieren können. Der finanzielle Zugewinn auf dem Papier, weil die Haushaltsabteilung Ihres Hau- entspricht der Finanzlinie des Bundeswehrplanes 2008, ses die Ausgabenbereiche Materialerhalt, Betrieb und in dem sich der Generalinspekteur von der Durchführ- Betreiberverträge voll umfänglich dem Bereich „Militä- barkeit eines transformatorischen Ansatzes verabschie- rische Beschaffungen“ zuschlägt. Damit schaffen Sie det, weil er keinerlei finanzielle Spielräume mehr für sich zwar ein Rüstungsplus von 600 Millionen Euro, Veränderungen im Rahmen der Entwicklung und Be- aber mit Haushaltsklarheit und mit Haushaltswahrheit schaffung sieht. Der Bundeswehrplan 2008 ist das politi- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11543

Elke Hoff (A) sche und militärische Eingeständnis, dass die Bundesre- Dienstpflicht einzuführen, gäbe es im Deutschen Bun- (C) gierung die Zielmarken der Transformation völlig aus destag erstmals eine parlamentarische Mehrheit gegen den Augen verloren hat. In der Fachpresse wird er sogar einen Vollzug der Wehrpflicht. als Insolvenzerklärung bezeichnet. (Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ Seit Jahren können der NATO zugesagte Fähigkeiten DIE GRÜNEN) nicht zertifiziert werden. Ich will nur einige wenige Bei- Die FDP-Bundestagsfraktion beantragt seit dem Jahr spiele der Bundeswehrmängelliste nennen: 2000 alljährlich im Deutschen Bundestag, die Wehr- Bei den Rüstungsinvestitionen reicht das verfügbare pflicht auszusetzen, Finanzvolumen nicht aus, um den Ausrüstungsbedarf (Johannes Kahrs [SPD]: Das war jedes Mal ein der Bundeswehr kurz- oder mittelfristig zu decken. Im Fehler!) Zeitraum zwischen 2008 und 2015 kann ein Volumen von 14,9 Milliarden Euro planerisch nicht abgedeckt da sie sicherheitspolitisch nicht mehr zu begründen ist. werden. Hier im Hause hat nur noch die CDU/CSU-Fraktion et- was gegen die Aussetzung der Wehrpflicht, für die je- Die Beschaffung eines Selbstschutzsystems für den doch nur ein einfacher Mehrheitsbeschluss im Parlament A400M wird erst 2014 eingeleitet. Damit wird der benötigt wird. A400M vier Jahre nach Beginn seiner Einführung für Auslandseinsätze nicht einsatzfähig sein. (Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben es nicht verstanden!) Die Beschaffung von Feldlagerschutzsystemen für Einsatzkontingente wurde gestreckt und verzögert. Erst – Sie sagen, wir hätten es nicht verstanden. Es ist auch ab 2008, 2012 und 2014 wird hier Abhilfe geschaffen. wirklich sehr kompliziert, das nachzuvollziehen. Deswe- Bis dahin muss auf Behelfslösungen zurückgegriffen gen hoffe ich, dass nach Ihrem Parteitag Aufklärung er- werden. Die Infrastrukturinvestitionen berücksichtigen folgt. rund ein Drittel der Maßnahmen nicht, die zur zeitge- (Johannes Kahrs [SPD]: Lesen bildet, Denken rechten Sicherstellung der Kernfähigkeiten der Streit- hilft!) kräfte erforderlich sind. Eine querschnittliche Verbesse- rung der Attraktivität der Liegenschaften ist somit Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, endlich mittelfristig nicht zu erreichen. den Weg für eine zukunftsfähige Bundeswehr freizu- machen. Diese muss dann aber so attraktiv sein, dass Darüber hinaus fehlt es an einer Anpassung der Rüs- sich diejenigen qualifizierten jungen Menschen für einen tungsplanung an die Einsatzrealitäten. Den Anforderun- Dienst in der Bundeswehr gewinnen lassen, die für die (B) (D) gen von ISAF, des über Jahre hinweg umfassendsten immer schwieriger werdenden Aufgaben tatsächlich Auslandseinsatzes der Bundeswehr, wird in keiner benötigt werden. Stehen Sie weder einer neuen Lauf- Weise Rechnung getragen. Jeder, der in der Bundeswehr bahnregelung, die die bestehenden Beförderungs- und mit Ausrüstungs- und Einsatzplanung beschäftigt ist, Verwendungsstaus ausschließt, noch einem eigenen Be- weiß, dass die Bundeswehr in Afghanistan neben einer soldungsrecht, das die Besonderheiten des Soldatenbe- effektiven Schutzausrüstung vor allem moderne Aufklä- rufs berücksichtigt, länger im Wege! rungs- und Lufttransportfähigkeiten benötigt. Herr Minister, ich finde es gut, dass Sie hier die Erhö- (Beifall bei der FDP) hung des Wehrsolds als besonderes Verdienst der Bun- Aber auch so kleine Vorhaben wie der Lastengleitfall- desregierung hervorgehoben haben. Die Erhöhung ist schirm werden nicht realisiert, obwohl dessen Beschaf- eine alte FDP-Forderung, die wir seit vielen Jahren pos- fung dringend notwendig wäre. Denn wenn deutsche tulieren. Soldaten in Afghanistan aufgrund von widrigen Witte- (Beifall bei der FDP) rungsbedingungen oder Angriffen von der Außenwelt abgeschnitten wären, könnte man sie damit punktgenau Endlich haben wir es geschafft, aus der Luft versorgen. Von mehr geschützten Transport- (Johannes Kahrs [SPD]: Wieso Sie?) fahrzeugen oder der Beschaffung von unbemannten Luftfahrzeugen ganz zu schweigen. Die Spielräume für durch eine Erhöhung um 2 Euro pro Tag ein gewisses eine einsatzorientierte Ausrüstung wird die Bundesregie- Mindestmaß an Attraktivität zu erzielen. rung aber nicht mit einer Beibehaltung des Status quo er- Auch das Weiterverwendungsgesetz haben wir von zielen. der FDP immer unterstützt. Ähnlich uneinsichtig wie bei der Ausrüstungsplanung (Johannes Kahrs [SPD]: Als Sie regiert haben, zeigen sich die Bundesregierung und die sie tragenden haben Sie es aber nicht gemacht!) Regierungsfraktionen bei Strukturentscheidungen, von denen die wichtigste ohne Frage die Wehrpflicht ist. Es war eine lange und schwierige Geburt; aber wir sind trotzdem froh, dass dieses wichtige Gesetz jetzt auf dem (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Weg ist. NEN]: Abschaffen!) Herr Minister, Ihre Politik verliert in der Bundeswehr Mit dem halbgaren Antrag, den die SPD auf ihrem Par- immer mehr an Rückhalt. Die Stimmung, mit der ich bei teitag beschließen wird, eine sogenannte freiwillige Truppenbesuchen konfrontiert werde, ist ernüchternd. 11544 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Elke Hoff (A) Beleg dafür sind auch die Ergebnisse der Umfrage des (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (C) Deutschen Bundeswehrverbandes zur Berufszufrieden- bei Abgeordneten der FDP und des BÜND- heit in der Bundeswehr. Die Angehörigen der Bundes- NISSES 90/DIE GRÜNEN) wehr fühlen sich oft nicht mehr mitgenommen, wenn es Wenn wir den vorgelegten Einzelplan 14 mit den Ein- um die Veränderungsprozesse in der Bundeswehr geht. zelplänen der vergangenen Jahre vergleichen, sehen wir, Auf großen Unmut stößt zu Recht auch, dass der zu- dass zwar der Anteil der Investitionen am Plafond ständige Minister die Augen vor den offensichtlichen steigt, aber nur in sehr geringem Maße. Das bleibt unbe- Missständen verschließt. Ich denke hier insbesondere an friedigend; das ist überhaupt keine Frage. Hinzu kommt, den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Immer noch zu leug- dass der Großteil der Investitionen sehr langfristig ange- nen, dass der Sanitätsdienst hinsichtlich seiner Ausrüs- legt ist, wodurch der Spielraum für kurzfristige planeri- tung sowie der Personalausstattung nur bedingt einsatz- sche Vorhaben oder für Reaktionen auf veränderte Be- fähig ist, löst bei den Betroffenen nur noch Kopfschütteln darfe praktisch gegen null geht. Parallel dazu sinkt der aus. Sie handeln getreu dem Motto: Weil nicht sein kann, Ansatz für die einsatzbezogenen Zusatzaufgaben von was nicht sein darf. 642 Millionen Euro auf 600 Millionen Euro in 2008. Der Begriff der Transformation ist in weiten Teilen Sicherlich kommt bei der Verringerung zum Tragen, der Bundeswehr inzwischen zum Reizwort geworden dass sich der Verteidigungshaushalt parallel zum Trans- oder ruft allenfalls ein müdes Lächeln hervor. Sie formu- formationsstand der Bundeswehr doch zunehmend zu ei- lieren zwar immer wieder konkrete Ziele der Transfor- nem „Einsatzhaushalt“ entwickelt hat, in dem die für die mation; aber wenn Sie Gewissheit haben, dass diese Einsätze erforderlichen Mittel für die personelle und ma- nicht zu erreichen sind, passen Sie Ihre Ziele an den er- terielle Befähigung zunehmend aus den originären Titeln reichten Stand an und schieben die Begründung hinter- finanziert werden. Doch ich hoffe, dass sich diese beiden her, dass die Transformation doch ein dynamischer Pro- Momente nicht gegenseitig verstärken, wenn drängende zess sei. Das ist in meinen Augen nichts anderes als Beschaffungen größeren Umfangs anstehen. Dabei setze Beliebigkeit. ich vor allem auf die sehr weit gehende Deckungsfähig- keit im Titel der einsatzbedingten Sofortbeschaffungen. (Beifall bei der FDP) Es ist oft, nicht zuletzt vom Generalinspekteur, darauf Herr Minister, den unseligen Dreiklang „unzufrieden, hingewiesen worden, dass es einer noch konsequenteren unmotiviert und schlecht ausgerüstet“ können Sie nicht Ausrichtung auf die Einsätze bedarf, wenn es um mit Schönheitsreparaturen wie jenen, die Sie gerade in Beschaffungen geht. Hierbei muss der Schutz der Sol- Ihrer Rede angeführt haben, beseitigen. Sie benötigen daten und Soldatinnen ganz oben auf der Prioritätenliste (B) endlich einen deutlichen Kurswechsel in Ihrer Politik. stehen. Es ist gut, dass der GTK Boxer im Zulauf ist und (D) dass die Produktion einer größeren Anzahl von Dingo 2 Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. bewilligt ist. Ich rege aber an, darüber nachzudenken, (Beifall bei der FDP) wie die Versorgung mit geschützten Fahrzeugen noch stärker optimiert werden kann. Nach meinem Kenntnis- stand wird nicht nur der Dingo in Boxbauweise produ- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ziert. Das bedeutet relativ wenige Stückzahlen pro Jahr Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Ulrike dieser bewährten Fahrzeuge. Durch höhere Abnahmen Merten. könnte eine Umstellung auf die Produktion am Fließ- band erfolgen. Auf diese Weise würden die Zulaufzeiten Ulrike Merten (SPD): deutlich verkürzt. Im Übrigen hätte das auch Auswir- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! kungen auf die Preisgestaltung. In dieser Debatte ist schon mehrfach auf die Einsatzrea- Zum anderen hat sich angesichts der infrastrukturel- lität unserer Bundeswehr hingewiesen worden. Wir bli- len und geografischen Gegebenheiten und für die Erfül- cken inzwischen auf 15 Jahre Einsatzerfahrung unserer lung verschiedener Aufgaben der mit unseren zurzeit Streitkräfte zurück. Das heißt, seit eineinhalb Jahrzehn- vorhandenen Transportkapazitäten sehr gut verlegbare ten gibt es ein Bemühen und ein Ringen darum, die Ein- und weniger schwere Typ Wolf bewährt. Diese Fahr- satzrealität nicht immer wieder nur zu beschreiben, son- zeuge besitzen ein eher geringes Schutzniveau, wurden dern sie auch im Haushalt wirklich abzubilden. und werden jedoch bereits in verschiedenen Stufen nach- gerüstet. Ich begrüße die Anstrengungen des BWB, Seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten dauert der nicht diese Umrüstungen zu vollziehen und noch schneller vo- zuletzt durch die deutsche Einheit bedingte Reformpro- ranzutreiben. Sollte der Bedarf dennoch nicht gedeckt zess an; er ist noch lange nicht zu Ende. Der Reformpro- werden können, wären weitere Überlegungen anzustel- zess erfordert von den zivilen Mitarbeitern und den len, wie der Zulauf intensiviert werden könnte. Soldatinnen und Soldaten ständige Veränderungsbereit- schaft. Dieser Umgestaltungsprozess ist für alle Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch ein Wort zum schäftigten der Bundeswehr mit großen Belastungen ver- Schutz und Ausbau von Feldlagern. Besonders natür- bunden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ihnen zu lich in Afghanistan ist es nötig, sowohl den passiven danken und sie unserer breiten parlamentarischen Unter- Schutz als auch den aktiven Schutz über Aufklärung und stützung ihrer Arbeit, nicht zuletzt in den Einsätzen, zu Abwehr schnell und wirkungsvoll weiter zu verbessern. versichern. Der für den Frühling 2008 angekündigte Zulauf des Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11545

Ulrike Merten (A) Flugabwehrsystems Skyshield wird dringend erwartet Die Einsätze im erweiterten Aufgabenspektrum erfor- (C) und darf sich als ein wichtiges Element des aktiven La- dern auch eine Veränderung des Charakters militärischen gerschutzes nicht verzögern. Dienens und des soldatischen Selbstverständnisses. Im Rahmen der Konfliktverhinderung oder Krisenbeherr- In diesem Zusammenhang möchte ich das Thema Un- schung werden Fähigkeiten verlangt werden, die bislang terbringung nicht vergessen. Mein Kollege Kahrs wird nicht gefordert waren. Das Eignungsprofil unserer Sol- darauf noch näher eingehen, aber ich erinnere in diesem datinnen und Soldaten wird künftig gekennzeichnet sein Zusammenhang daran, dass es der Wehrbeauftragte ge- durch Beherrschung handwerklicher militärischer Fähig- wesen ist, der auf den enormen Bedarf an Reparatur hin- keiten, moralisch-ethische Integrität, geistige Flexibilität gewiesen hat, nicht zuletzt auch im Hinblick auf eine at- und lebenslanges Lernen. Sprachenkenntnis, interkultu- traktiv bleibende Bundeswehr. Mir geht es an dieser relle Kompetenz, Innovationsfähigkeit, technisches Ver- Stelle jedoch eher um die Unterbringung im Einsatz in ständnis, soziale Kompetenz, Leistungs- und Einsatzbe- unseren Feldlagern, wo ich Nachbesserungs- und auch reitschaft, Kostenbewusstsein sowie psychische und Erweiterungsbedarf sehe. physische Belastbarkeit sind dabei wichtige Forderun- gen an den Soldaten. Sehr erfahren sind wir inzwischen mit länger dauern- den Missionen. Das Camp Marmal in Mazar-e-Sharif Ich will an dieser Stelle besonders hervorheben, dass oder das Camp Warehouse in Kabul sind Beispiele für sich der seit Anfang der 90er-Jahre vollziehende Gebur- zweckmäßige und sichere Unterbringung. Mit der EU- tenrückgang ab 2008 deutlich auf das Bewerberaufkom- FOR-Mission Kongo haben wir erstmals auch Erfahrun- men für einen Dienst in den Streitkräften niederschlagen gen mit dem Bedarf an Unterkünften in Kurzzeiteinsät- wird. Im Ergebnis wird der demografische Wandel fast zen gesammelt. Erstmals wurde das Feldlagersystem unvermeidlich zu einer Umkehrung der Wettbewerbs- öffentlich und europaweit ausgeschrieben. Das heißt, mit position führen. Qualifizierte Arbeitskräfte werden der Unterbringung, mit der Verpflegung und mit den schon in wenigen Jahren ein knappes Gut sein. Deshalb Serviceleistungen für alle im Kongo und in Gabun ein- sind schon heute erhebliche Anstrengungen und neue gesetzten EUFOR-Truppen war ein ziviles Dienstleis- Konzepte erforderlich, um in Zukunft ausreichend quali- tungsunternehmen betraut. Dabei ist es – auch das hat fizierten Nachwuchs für den Dienst in den Streitkräften der Wehrbeauftragte von einer Reise als Information zu gewinnen. mitgebracht – vor allem in den Anfangswochen zu vie- len Reibungsverlusten gekommen, weil das Unterneh- (Zustimmung bei der SPD) men noch über keine Erfahrungen verfügte und weil die Dafür bleibt die Wehrpflicht eine der Möglichkeiten, Versorgungslage vor Ort anders eingeschätzt wurde. Der (B) die Auswahlkriterien in der Breite zu erhalten und die (D) Vollständigkeit halber weise ich aber auch darauf hin, Soldatinnen und Soldaten für die Bundeswehr zu gewin- dass es in Afghanistan ebenfalls Anfangsschwierigkeiten nen, die wir in den Einsätzen brauchen. Wir brauchen gegeben hat. Das ist keine Besonderheit des Einsatzes nämlich nicht diejenigen, die aufgrund fehlender Le- im Kongo. bensperspektiven keine andere Chance sehen, sondern Warum führe ich den Punkt Feldlager aus? Auch hier wir brauchen diejenigen, die in der Lage sind, die von mir eben beschriebenen komplizierten Aufgaben und kommen wir an der Definition „Armee im Einsatz“ nicht Anforderungen zu erfüllen. vorbei. Wir sollten uns möglichst kurzfristig umfassende Konzepte für unsere Soldaten – Unterbringung, bauli- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) cher und militärischer Schutz, Lagebild, Selbstverteidi- gung, Versorgung, Klima usw. – in kurz und länger dau- Ich habe darauf hingewiesen, dass auch dieser Haus- ernden Einsätzen ohne regionale Begrenzung überlegen halt ein Ringen um das Setzen der richtigen Prioritäten und abrufbare Vorsorge treffen. Ich hege große Sympa- bleibt. thie für ein eigenes Bausteinfeldlagersystem. Ich weiß aber auch, dass wir aus personellen Erwägungen heraus Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mittelfristig auf die Unterstützung erfahrener ziviler Dienstleister nicht verzichten können. Ich meine, dass Bitte kommen Sie zum Schluss. unsere Erfahrungen im Kongo uns nicht dazu bringen dürfen, einseitige Annahmen für die Zukunft zu impli- Ulrike Merten (SPD): zieren. Ja, ich komme zum Schluss. – Ich will noch erwäh- Manchmal sind es aber auch taugliche Kleinigkeiten, nen, dass es uns gelungen ist, den Haushaltsansatz er- die die Stimmung und damit die Motivation verbessern heblich zu erhöhen. Wir konnten gegenüber dem Bun- und so große Wirkung entfalten können. Dazu gehören desfinanzminister deutlich machen, dass wir größere zum Beispiel im Einsatz die standardmäßige Ausstattung Spielräume brauchen, um die Intensität der Einsätze auf- mit Pistolenhalftern, eine neue Generation von Schutz- rechtzuerhalten. Dass dies gelungen ist, ist nicht nur für westen, die es erlaubt, sich bei Patrouillengängen die Soldatinnen und Soldaten gut, sondern es zeigt auch, deutlich besser bewegen zu können, eine stärkere Einbe- welche Schwerpunkte wir setzen. ziehung von mit Sicherheitssoftware ausgestatteten und Vielen Dank. inzwischen vor Ort schon gängigen Handys für die Kommunikation. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) 11546 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der sicherheitspolitischen Philosophie sprechen. Das (C) Der Kollege Paul Schäfer spricht jetzt für die Linke. stellt man beim Lesen von NATO-Dokumenten fest, das kann man aber auch im Weißbuch nachlesen. Die NATO (Beifall bei der LINKEN) will sich auf die Fahne schreiben, als globaler Akteur aufzutreten und global militärische Macht zu entfalten. Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Je mehr man betont, dass man aber trotzdem kein Welt- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- polizist sein wolle, umso mehr hat man das Gefühl, dass ben hier im Oktober vergangenen Jahres eine spannende es genau darum geht. Debatte geführt. Der Bundesaußenminister hat mir da- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert mals beigepflichtet, als ich sagte, dass Abrüstung wie ein Winkelmeier [fraktionslos]) Stichwort aus längst vergangener Zeit klingt. Er hat heute noch einmal bekräftigt, hier müsse etwas gesche- Schauen wir uns die Aufgaben an: globaler Krieg ge- hen und Deutschland müsse eine aktive Abrüstungspoli- gen den Terror, weltumspannende Sicherung unserer tik verfolgen. Das hat mir zwar gut gefallen, aber ich Rohstoffe und Ressourcen – in Klammern: die Formu- frage mich: Waren wir damals in der Abteilung „wohl- lierung „unsere Rohstoffe und Ressourcen“ ist verräte- feile Deklaration“, und sind wir jetzt im richtigen Leben risch und bringt die ganze westliche Arroganz zum gelandet? Ausdruck –, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Winkelmeier [fraktionslos]) Der Rüstungsetat wird um circa 920 Millionen Euro sogenannte gescheiterte Staaten auf den rechten Weg erhöht, das heißt, es wird kräftig draufgesattelt. Es passt bringen – Afghanistan und andere Länder –, die Grenzen doch nicht zusammen, wenn man draußen für Abrüstung der Wohlstandsfestungen gegen Armutsflüchtlinge wirbt und hier drinnen bei den Finanzmitteln kräftig sicher machen; auch das ist heute im Katalog der Streit- draufsattelt. kräfte enthalten. Das ist der abgesteckte Rahmen, und dem dient die Transformation der Bundeswehr. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Es ist natürlich nicht zu bestreiten, dass diese extra breite Auftragsdefinition an die Analyse weltpolitischer 920 Millionen Euro mehr bei gleichzeitig um 670 Mil- Risiken anknüpft und dass auf die offenen Fragen Ant- lionen Euro sinkenden Personal- und Betriebsausgaben; worten gefunden werden müssen. Ihre Antworten sind das heißt, es wird kräftig investiert. Wir kriegen jetzt aber grundfalsch. Ich will nur drei Beispiele herausgrei- (B) schöne, neue Flugzeuge, den A400M und den Eurofigh- fen. (D) ter. Das ist aber noch längst nicht das Ende der Fahnen- stange. Es folgen die schönen, neuen Kriegsschiffe. Des- Gegen die dramatische Verknappung der Energie- halb ist es konsequent, noch viel mehr zu fordern. Eine ressourcen bei stark steigender Nachfrage – wir reden entsprechende Steigerung ist im Haushalt eingeplant. über Öl und Gas – helfen keine militärischen Planspiele Für mich ist interessant, dass Sie die öffentlichen Inves- zur Sicherung der weltweiten Transportwege, zum Bei- titionen zwar insgesamt gesehen auf einen historischen spiel zur Überwachung von Pipelines. Hier helfen erneu- Tiefstand gefahren haben, aber just in diesem Bereich in- erbare Energien, verbesserte Energieeffizienz und vestieren. Das kann doch nicht wahr sein. Energiesparen. Wir brauchen die Energiewende. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Winkelmeier [fraktionslos]) Ein weiterer Punkt muss an dieser Stelle genannt wer- Außerdem brauchen wir eine kooperative Außenpolitik, den. Die vertraglichen Verpflichtungen belaufen sich um die Ressourcen gerecht verteilen zu können. Es passt derzeit auf 51 Milliarden Euro. Durch diese gewaltige nicht zusammen, wenn der Außenminister einerseits für Summe, durch diese Verpflichtungsermächtigungen ist eine Energie-KSZE, also für einen kooperativen Ansatz der Verteidigungshaushalt im Grunde auf Jahre hinaus wirbt, und der Verteidigungsminister andererseits – siehe verpfändet und die parlamentarisch-demokratischen Ge- Weißbuch – die deutsche Marine um den Globus schi- staltungsspielräume gehen gegen null. Ich finde, das ist cken will, um die Transportwege militärisch zu sichern. nicht akzeptabel. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) Gegen die Gefahr der Weiterverbreitung von Massen- vernichtungswaffen helfen keine Raketenabwehrsys- Man könnte es so formulieren – auch wenn das sehr teme, sondern nur die Verschrottung der vorhandenen zugespitzt klingt –: Die Streitkräfte sind auf Expan- Atomwaffen und eine Politik, die die aufstrebenden Re- sionskurs, und zwar sowohl bezogen auf die Ausgaben gionalmächte ernst nimmt. Das bedeutet: Auch bei uns als auch bezogen auf die Aufgaben. Die Expansion hat müssen Atomwaffen abgezogen und muss die nukleare mit der Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs angefan- Teilhabe beendet werden. gen. Die Verteidigung beginnt nicht mehr in Hindelang, sondern am Hindukusch. Die Entgrenzung geht jetzt (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert aber noch viel weiter. Man kann von einer Entgrenzung Winkelmeier [fraktionslos]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11547

Paul Schäfer (Köln) (A) Gegen die Gefahren des Terrorismus hilft kein Ein- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) satz militärischer Gewalt. Man muss vielmehr die Ver- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und hältnisse ändern, aus denen Terroristen immer wieder der SPD) ihre scheinbare Legitimation ziehen und die ihnen im- Natürlich teilen wir an vielen Stellen Ihre skeptischen mer wieder neue Anhänger zutreiben. Das hat nicht zu- Bemerkungen. Aber am Ende muss man in einer verant- letzt der Militäreinsatz in Afghanistan gezeigt. Deshalb wortlichen Außen- und Sicherheitspolitik eine Linie fin- sind wir dafür, das militärische Engagement dort zu den, die tatsächlich Lösungen für die Probleme, die sich beenden. Wir wollen, dass der Truppenabzug eingeleitet stellen, bietet. An dieser Stelle – wir sprechen hier ja zur und die zivilorientierte Aufbauhilfe deutlich verstärkt Halbzeitbilanz des Verteidigungsministers nach zwei wird. Jahren – ist einiges in die Richtung der Regierung zu sa- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert gen. Winkelmeier [fraktionslos]) Wir erleben den Verteidigungsminister seit zwei Jah- Es ist gut, wenn viele Menschen das am Samstag auf der ren als eine Art menschgewordene Durchhalteparole. Straße kundtun. Wir haben hier einen Einzelplan, der in Zahlen gegossen einen Stillstand in vielen Bereichen dokumentiert. Wir Wir bleiben dabei: Der Wehretat ist entschieden über- haben in den Haushaltsverhandlungen erlebt, dass mehr dimensioniert. Geld nicht immer bedeutet, dass der Reformeifer zu- nimmt, und dass für diese Koalition zwischen der Bereit- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert schaft, bestehende Probleme zielführend zu analysieren, Winkelmeier [fraktionslos]) und der Bereitschaft, im Sinne der Effizienz tatsächlich Das Geld wird an der falschen Stelle ausgegeben. Veränderungen herbeizuführen, in sich kein logischer Zusammenhang besteht. Das erleben wir auch bei die- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sem Einzelplan. Wir erleben, dass 918 Millionen Euro mehr in den Einzelplan 14 des Verteidigungsministers Es geht in die überambitionierten Beschaffungsprojekte gesteckt werden. Aber an den entscheidenden Punkten statt an die Soldatinnen und Soldaten, die in den letzten ergeben sich keine Veränderungen. Jahren zum Teil erhebliche Einbußen hinnehmen muss- ten. Das schrecklich späte Programm „Sanierung Kaser- Der Stillstand beginnt bei der Frage der politischen nen West“ wird hinten und vorne nicht ausreichen. Da- Linie. Damit bin ich wieder bei Afghanistan, wo der von bin ich überzeugt. Minister mit großem Beharrungsvermögen Probleme aussitzt, die es aufgrund der dramatischen Veränderun- (B) Das Geld wird für falsche Zwecke verwandt. Statt gen der Situation in Afghanistan gibt, wo die Bundes- (D) sich auf Verteidigung und die Stärkung der UNO zu kon- regierung nicht bereit ist, zu erkennen, dass das Mandat zentrieren, orientiert sich die Regierung auf überlebte „Enduring Freedom“ inzwischen kontraproduktiv wirkt und zudem gefährliche globale Machtpolitik. Wir dage- und dass nach der Ausdehnung von ISAF auf Gesamt- gen wollen Mittel einsparen – bei Militärinterventionen, afghanistan die nicht in den Wiederaufbauprozess einge- bei den Großprojekten – und diese Summen in mehr bundene Antiterrormission mehr Widerstand schürt als Entwicklungszusammenarbeit und in die längerfristige bekämpft. Umstellung vom Militärischen zum Zivilen stecken. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist Schmarrn, was Sie da erzählen!) Die politische Schwäche der Bundesregierung wird auch bei der Frage, wie wir einen Strategiewechsel bei Aktive Abrüstungspolitik ist richtig. Das wäre zu- den Partnern einfordern, deutlich, wenn ich mir ansehe, kunftsorientiert. Ihr Haushalt ist es nicht. wie die Führungsstruktur von ISAF aussieht. Die heraus- gehobene Funktion Deutschlands im Stab von ISAF ge- (Beifall bei der LINKEN) hört bald der Vergangenheit an. Der Minister hat einen glorreichen Coup gelandet, indem Deutschland zukünf- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tig den Pressesprecher von ISAF stellt. Jetzt mag der Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich jetzt das Wort Minister es für richtig halten – so hat er es bisher bei der dem Kollegen Alex Bonde. Bundeswehr getan –, lieber die Presse zu bedienen als die Bundeswehr zu führen, aber in Afghanistan wird Pressearbeit nicht ausreichen, um dem Land eine sinn- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): volle Perspektive zu geben. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ich muss zu Beginn kurz auf Afghanistan zu sprechen SES 90/DIE GRÜNEN) kommen. Denn, Kollege Schäfer, Ihren Ansatz für die Lösung der Situation in Afghanistan konnte ich nicht Ähnliche Betonköpfigkeit zeigen Sie aktuell in der nachvollziehen. Es klingt so, als wollten Sie Ihre hessi- Frage des Bombenabwurfplatzes in Wittstock. Sie ha- sche Lösung vorschlagen: So lange wählen, bis das ben sich vor Gericht eine blutige Nase geholt. Sie haben Ergebnis passt. Aber Außen- und Sicherheitspolitik bisher eine halbe Million Euro in Gerichtsverfahren in- funktioniert anders als die Schauspiele, die Sie innerpar- vestiert. Anstatt der Bevölkerung jetzt die notwendigen teilich veranstalten. Signale für eine wirtschaftliche Perspektive, zum Bei- 11548 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Alexander Bonde (A) spiel für Tourismus in der Region, zu geben, haben Sie Steuerzahlern erklären wollen, welche Struktur der Bun- (C) schon angekündigt, dass auch hier gilt: Durchhalten, deswehr wir in der heutigen sicherheitspolitischen Situa- koste es, was es wolle. Die nächste juristische Instanz ist tion brauchen und welche Elemente wir uns – mit Ver- zuständig, Sie in Ihrem Drängen aufzuhalten. laub – schenken können, weil sie alte militärische Zöpfe sind, die unter Traditionsgesichtspunkten kostenpflichtig (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: am Leben erhalten werden. Das nennt man Prozesshanselei!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Was die Bundeswehrstruktur angeht, kommt nichts sowie bei Abgeordneten der FDP) voran. Interessant war, dass in diesem Sommer auch aus der SPD sehr harsche Kritik an der Struktur der Verwal- Was die Rüstungsbeschaffung angeht, ist die Situa- tung der Bundeswehr und am Bundesamt für Wehrtech- tion noch schlimmer; die Kollegin Hoff hat das sehr nik und Beschaffung geäußert wurde. Daran wurde deut- deutlich angesprochen. Von Bundeswehrsoldaten, die in lich, dass Sie die Reformen Ihres Vorgängers in diesen Einsätzen sind, bekommt man auf die Frage, wie die Bereichen, wenn überhaupt, nur mit gequälter Miene Situation im Hinblick auf ihre Ausrüstung ist, die Ant- durchführen. Etwas Neues gibt es bei Ihnen nicht. Alles wort: Ganz ehrlich, die Abteilung Rüstung/Nutzung und wird so betrieben wie bisher. Insofern haben die das BWB machen doch nur Industriepolitik. Daran wird 918 Millionen Euro, um die dieser Etat aufgestockt wird, deutlich, in welcher Situation wir inzwischen sind. Sie einen faden Beigeschmack. Um es Ihnen als Winzersohn beschaffen nach dem Produktkatalog der Rüstungsindus- noch deutlicher zu sagen: Ihr Wein korkt ordentlich, trie, Sie gehen dabei nach dem Gießkannenprinzip vor, Herr Minister. und Sie beschaffen manchmal zum denkbar höchsten (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Preis. DIE GRÜNEN) Kurz vor dem Sommer dieses Jahres haben Sie noch Die Bundeswehr ist aufgrund ihrer Struktur für die die Fregatte 125 durchgewinkt. Sehen wir uns die Situa- Erfüllung der Aufgabe, die sie hat, nicht fit. Ihre Auf- tion an: kein Wettbewerb, Abnahmegarantie gegenüber gabe, eine Armee im Einsatz zu sein, wird in der Reali- den Werften und letztlich ein Preis, der dreimal so hoch ist tät nicht in der Struktur der Bundeswehr abgebildet. Ins- wie der, den unsere Verbündeten für vergleichbare Schiffe gesamt gibt es knapp 250 000 Soldatinnen und Soldaten. zahlen. Angesichts eines Stückpreises von 656 Millionen Sie haben auf unsere Anfrage geantwortet, dass ungefähr Euro muss man sich wirklich fragen: Geht es Ihnen ei- 23 Prozent von ihnen bisher tatsächlich in Auslandsein- gentlich noch um die Ausrüstung der Bundeswehr zur sätzen waren; davon gehören gerade einmal 2 Prozent Erledigung der Aufträge, die sich heute in sicherheits- zum Zivilpersonal. politischer Hinsicht stellen, oder sind Sie der stellvertre- (B) tende Wirtschaftsminister der Bundesregierung? (D) Auch wenn eine Bundeswehr im Einsatz viele Men- schen braucht, die in der Heimat arbeiten und sie von (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dort aus unterstützen, ist klar, dass die Bürgerinnen und Dieser Eindruck wird dadurch erhärtet, dass Ihre bis- Bürger die Frage stellen: Wenn die Kernaufgabe der herigen Reisen oft genug Handlungsreisen im Interesse Bundeswehr von heute die Stabilisierung im Auftrag der der Rüstungsindustrie waren. Die Exportrate im Rüs- UN ist, was machen dann die 77 Prozent der Soldatinnen tungsbereich hat sich verdoppelt. Sie hatten, was kriti- und Soldaten, die mit dieser Aufgabe offensichtlich sche Länder angeht, eine geringe Hemmschwelle. Sie nichts zu tun haben, die Steuerzahlerinnen und Steuer- wollen Eurofighter nach Indien und U-Boote ins insta- zahler aber einen Großteil der Mittel dieses Einzelplanes bile Pakistan liefern. kosten? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der FDP) NEN]: Das ist wahr!) Damit sind wir bei der Wehrpflicht. In diese Debatte Herr Jung, das Bild, das wir von Ihnen bekommen, ist ein wenig Wind gekommen, als die SPD versucht hat, wird immer deutlicher. Aber es passt nicht zur Ankündi- die beiden unvereinbaren Pole der „freiwilligen Wehr- gung von Außenminister Steinmeier, dass das Thema pflicht“ zusammenzuführen. Insofern besteht dieser Abrüstung wieder ins Zentrum der Politik der Bundes- Wind eher in einem windigen Konzept. regierung rückt. Es passt nicht zusammen, dass der Außenminister herumreist, um sich für die Abrüstung (Johannes Kahrs [SPD]: Na, na!) einzusetzen, und dass Sie herumreisen, um dafür zu sor- Nichtsdestotrotz nehmen wir diesen Debattenanstoß gen, dass genau das geliefert wird, was man abrüsten dankbar an. Das strukturelle Problem lösen Sie mit Ih- könnte. rem Konzept allerdings nicht. Es besteht darin, dass (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- durch die Wehrpflicht in erheblichem Umfang Ressour- NEN]: Genau! Der Verteidigungsminister lie- cen gebunden werden, Großteile der Infrastruktur und fert nämlich die Waffen!) des Materials darauf ausgerichtet werden müssen und in der Ausbildung massiv Personal gebunden wird. Hier muss sich die Regierung irgendwann einmal ent- scheiden. Genau das sind die Punkte, über die wir eigentlich sprechen müssten, wenn wir den Steuerzahlerinnen und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11549

Alexander Bonde (A) Zurück zur Beschaffung. Beim Einsatzgruppenver- könne alles so weiterführen wie immer. Sie müssen an- (C) sorger droht angesichts der monopolartigen Werftenkon- fangen, in den großen Linien umzudenken. Sie müssen sortien, die Sie hier ins Spiel bringen, ein ähnliches sich klar werden, was das, was Sie selbst immer „com- Preisdesaster. Beim Thema Eurofighter fehlt Ihnen der prehensive approach“ nennen, für die Bundeswehr be- Mut, endlich Verhandlungen über die dritte Tranche auf- deutet, was es für ihre Orientierung und Ausrüstung be- zunehmen. Deutschland ist wieder einmal die einzige deutet. Sie müssen diese Fragen im Umgang mit Nation, die sich von der EADS willfährig über den Tisch Entscheidungen ernst nehmen. ziehen lässt. Ich fürchte, dass die 918 Millionen Euro, die der Wirklich eng wird es in Bezug auf geschützten Finanzminister Ihnen jetzt vom Aufschwung abgegeben Transportraum. Wann haben Sie schon einmal die Si- hat, die letzten Reste von Reformbereitschaft bei Ihnen tuation, dass es im Haushaltsausschuss relativ breit, über ersticken werden. Ich fände das dramatisch, weil wir am alle fast Fraktionen hinweg eine Initiative gibt, bei der Ende alle einen außen- und sicherheitspolitischen Preis gefragt wird, ob wir nicht mehr für den Schutz unserer werden zahlen müssen, wenn Sie nicht auf die Reform- Soldatinnen und Soldaten in gefährlichen Einsätzen schiene kommen. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzah- – wie bei der Stabilisierung in Afghanistan – tun kön- ler zahlen schon heute einen hohen Preis dafür, dass Sie nen. Die Antwort Ihres Hauses ist: Das haben wir alles, die zentralen Reformen im sicherheitspolitischen Be- und das, was wir nicht haben, wird schon kommen, reich aussitzen. macht euch keine Sorgen, alles ist da. Die Realität in den Einsatzländern ist eine andere. Wenn Sie mit den Solda- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tinnen und Soldaten sprechen, wenn einmal keine Pres- seoffiziere danebenstehen, dann werden Sie hören, dass Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss. das nicht der Fall ist. Sie müssen endlich anfangen, Prio- ritäten bei der Ausgabe des Geldes zu setzen, und Sie Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): müssen akzeptieren, dass die Einsätze heute andere sind, Ich hoffe, dass Sie die zweite Halbzeit nutzen werden, als es früher der Fall war. um aus dem sicherheitspolitischen Schläfchen aufzuwa- Im Transportbereich gibt es eine andere Fähigkeits- chen. Es gibt viel zu tun. Wir warten darauf, von Ihnen lücke. Der A400M entwickelt sich immer mehr zu einer auch einmal Antworten zu hören. lahmen Ente, die nicht vom Boden wegkommt. Wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie uns heute erzählen, dass es Ihrer Ansicht nach keine Verzögerungen in der Auslieferung geben werde, dann kann ich Ihnen nach oben hin offene Wetten darauf an- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (B) (D) bieten, dass das natürlich der Fall sein wird. Ich gebe jetzt das Wort Susanne Jaffke für die CDU/ CSU-Fraktion. Was die Nachfolgedebatte über den Transporthub- schrauber CH-53 angeht – den Lastesel in allen humani- tären Missionen, zum Beispiel bei der Erdbebenhilfe in Susanne Jaffke (CDU/CSU): Pakistan, aber auch bei Einsätzen der Bundeswehr wie in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afghanistan –, möchte ich nicht wissen, was dabei am Mein Gott, Alex, wenn ich Sie nicht kennen würde, hätte Ende wieder herauskommt. Auch da sind Sie wieder im ich das wirklich alles nicht geglaubt. Wer hat Ihnen diese Begriff, etwas in den Sand zu setzen. Rede aufgeschrieben? Zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren muss (Beifall bei der CDU/CSU – Jürgen Trittin man sich auch noch einmal kurz die Bilanz Ihres Hauses [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht er in Erinnerung rufen. Wir haben beim G-8-Gipfel erlebt, selber!) dass die mecklenburgische Polizei vorübergehend die In diesen Tagen wird aus aktuellem Anlass vielfältig Befehlsgewalt der Luftwaffe übernommen hat. Per an die Geschehnisse des 11. September 2001 erinnert. Handy hat die Polizei vor Ort Einsätze dirigiert, und der Männer und Frauen – nicht nur US-Staatsbürger, sicher Bundesverteidigungsminister wusste nicht, was die ei- Menschen aller Glaubensrichtungen – fanden dabei den gene Luftwaffe macht, denn er war in Indien und Pakis- Tod, auch Deutsche. Mehrfach haben sich ähnliche Er- tan im Zusammenhang mit besagten Rüstungsdeals un- eignisse in Europa wiederholt. Erinnert sei an die An- terwegs. Aber es wird immer offenkundiger, was in schläge von Madrid und London. Vor wenigen Tagen entscheidenden Fragen – im genannten Beispiel handelte konnten unsere Sicherheitsbehörden geplante Anschläge es sich um eine Frage, die Sie selbst zu einer entschei- in Deutschland erfolgreich verhindern. Über Ursachen denden erklärt haben – geschehen ist. Sie haben die und Hintergründe solchen für uns unzivilisatorischen halbe Luftwaffe wegen potenzieller Terrorgefahr beim Handelns gibt es viele Analysen und Interpretationen. G-8-Gipfel in Mobilität versetzt. Aber Sie wussten of- Ich will das nicht vertiefen. Aber eines ist wichtig: Diese fensichtlich nicht, was passiert, weil Sie im Ausland wa- Einsätze bestimmen seither wesentlich unser verteidi- ren. Da frage ich mich schon: Haben Sie den Laden ei- gungspolitisches Handeln. Nicht erst seit dem Fall des gentlich im Griff? Eisernen Vorhangs und nicht erst seit dem Ausbruch der Abschließend möchte ich sagen, dass Sie viele Bau- ethnischen Konflikte auf dem Balkan, sondern seit eben- stellen haben, mit denen Ihr Haus fertig werden muss dieser letztgenannten Zeit haben sich die Anforderungen und bei denen Sie aufhören müssen zu glauben, man an unsere Streitkräfte verändert. 11550 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Susanne Jaffke (A) Gestatten Sie mir deshalb, dass ich mich ganz herz- tionsvertrag für diese Legislaturperiode, sollte aber auch (C) lich bei all den Soldatinnen und Soldaten bedanke, die darüber hinaus gelten. Verbunden mit der Wehrpflicht auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika sind in unserem Land nämlich vielfältige andere soziale oder vor der Küste Libanons ihren Dienst versehen. Sie Dienstleistungen. Selbstverständlich kann ein junger wissen, dass sie in diesen Regionen der Welt unsere ge- Einzuberufender in den vielen Einrichtungen der Sozial- meinsamen Werte – unsere freiheitliche parlamentari- dienste auch Zivildienst leisten, der mit Sicherheit eine sche Demokratie, basierend auf dem christlichen Men- körperliche und mentale Herausforderung darstellt. Aber schenbild – nicht nur verteidigen, sondern dass sie auch Ehrenamtorganisationen wie Technisches Hilfs- zugleich als Botschafter für diese demokratischen Werte, werk, Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst, Johanniter und für Toleranz und Anerkennung des Lebens miteinander andere profitieren von dem bewährten System der Wehr- im Einsatz sind. pflicht. All diese gesellschaftlichen Leistungen durch Hauptamtliche erbringen zu lassen, würde unsere öffent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lichen Haushalte überfordern. So sollten wir uns auch neten der SPD) hier zur allgemeinen Wehrpflicht bekennen. Die Koali- Dafür stehen unsere Soldatinnen und Soldaten ein, dafür tion wird nach Wegen der Finanzierung der Wehrsoldan- üben sie in der Heimat, dafür bringen ihre Familien Ver- passung, die überfällig ist, suchen und sie ermöglichen. ständnis auf. Es lohnt sich, das hier im Parlament immer (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) wieder zu erwähnen. Im Alltagsgeschehen ist das schon ein Stück Routine geworden. So werden meine Fernmel- Allen in diesem Hause, die sich mit der Organisa- der in Neubrandenburg gerade mit einem Appell zu ih- tionsstruktur des Einzelplans 14 auskennen, wissen, dass rem Einsatz auf dem Balkan verabschiedet. Ich bin hier, dieses Zahlenwerk dringend einer organisatorischen kann nicht da sein; ich nehme diese Aufgabe an. Umgestaltung bedarf. Alle Berichterstatter sind in die- sem Zusammenhang aktiv geworden und haben der Ver- Auf diese neuen Herausforderungen werden die Bun- waltung aufgegeben, das Zahlenwerk übersichtlicher, in deswehrplanungen ausgerichtet. Auf diese Herausforde- Kapitel und Titel, zu strukturieren, die Zahl der De- rungen sollen die Strukturanpassungen, genannt ckungsvermerke einzuschränken und damit die Transpa- „Transformation“, zielen, und dem soll auch die auszu- renz zu erhöhen. Dennoch bleibt dieser Etat in gewisser planende und umzusetzende Zielstruktur der zivilen Ver- Weise unparlamentarisch, weil der Verwaltung durch waltung dienen. Die Beschäftigten brauchen diese Struk- Deckungsverbünde große Flexibilität bei Ausgabenan- turen, damit sie endlich wissen, wo ihre zukünftige forderungen gegeben wird. Tätigkeit sein wird. Die Koalition wird auch weiterhin ihr Augenmerk (B) Der Einzelplan 14, den wir hier in erster Lesung bera- darauf richten, dass die parlamentarisch gebilligten Mit- (D) ten, soll dem Anspruch gerecht werden, die Investitionen tel dort eingesetzt werden, wo die Politik die Schwer- in Sicherheit im Einsatz – verbunden mit optimalen punktsetzung vorgenommen hat. Dies dient nicht nur der Übungsmöglichkeiten in der Heimat einerseits und ande- erwähnten Transparenz, sondern sichert den effizienten rerseits natürlich mit der Landesverteidigung – zu ge- Einsatz der Mittel. währleisten. Dass dazu in den letzten Jahren eine Reihe von Beschaffungsvorgängen vorbereitet und auf den Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Haushalts- Weg gebracht wurden, ist bekannt. Dass der Haushalt ausschuss zu den Einzelplanberatungen und danke für eng ist, wissen die Insider. Dass es noch einiger Projekte Ihre Aufmerksamkeit. dringend bedarf – zum Beispiel des geschützten Trans- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- portfahrzeugs Puma und des dritten Einsatzgruppenver- neten der SPD) sorgers –, ist ebenso bekannt und erklärtes strategisches Ziel. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: In der mittelfristigen Finanzplanung des Wehretats ist Jetzt spricht Johannes Kahrs für die SPD-Fraktion. ein Etataufwuchs vorgesehen. Das ist erfreulich, den- noch nicht üppig. Investiven Nachholbedarf gibt es Johannes Kahrs (SPD): ebenso bei der Kasernensanierung West. Die Koalition wird darauf bei den Etatberatungen besonderes Augen- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen merk legen. Geplante Ausgabenaufwüchse ergeben sich und Kollegen! Der vorliegende Verteidigungshaushalt in dem zu beratenden Etat bei der Modernisierung der umfasst 29,3 Milliarden Euro. Das sind 918,5 Millio- IT-Ausstattung – Projekt „Herkules“ – und im Bereich nen Euro mehr als 2007 und entspricht einer Steigerung von Materialerhaltung und -instandsetzung. Sowohl von 3,2 Prozent. Trotzdem sinkt der Anteil des Verteidi- beim Investitionsvorhaben „Herkules“ als auch bei der gungsetats am Gesamthaushalt. Ein genauer Blick in den Erhaltung und Instandsetzung von wehrtechnischem Haushalt zeigt, dass der Anteil der Personalausgaben ge- Material sollen Auftragsausgestaltung und -vergabe in genüber dem letzten Haushalt deutlich sinkt, dass der enger Partnerschaft mit mittelständischen Betrieben or- Abbau der Zahl der Zivilbeschäftigten planmäßig voran- ganisiert werden. Auch darauf wird die Koalition beson- geht und die Betriebsausgaben gesenkt werden. Die deres Augenmerk legen. Ausgaben für Materialerhalt steigen. Dies ist kritisch, weil teilweise auch neues Gerät mit höheren Be- Gestatten Sie mir eine Bemerkung zur Wehrgerech- triebsausgaben verbunden ist als altes. Das betrifft insbe- tigkeit. Ich stehe zur Wehrpflicht. Sie steht im Koali- sondere den Materialhaushalt. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11551

Johannes Kahrs (A) Wir alle wissen, dass der gesamte Bereich der Betrei- Mannschaftsdienstgrade – der Feldwebel mit und ohne (C) berverträge anwächst. Frau Hoff hat es bereits erwähnt. Portepee – bei der Bundeswehr führen. Das ist für uns in Das liegt insbesondere daran, dass das IT-Projekt „Her- dieser Koalition im Verteidigungsbereich nicht akzepta- kules“ zum ersten Mal in vollem Umfang im Haushalt bel. dotiert ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Wir kennen die Zahlen. Der Minister ist vielfach kriti- siert worden. Wir alle kennen das Problem: Der Etat ist, Beim Thema Infrastruktur hat man manchmal das wie er ist. Die Bundeswehr hat Probleme. Diese Koali- Gefühl, dass der Soldat schlecht behandelt wird. Es gibt tion versucht aber, Schwerpunkte zu setzen, um diese insbesondere im Westen Bundeswehrstandorte, in denen Probleme zu beheben. Das wird man nicht sofort hinbe- in den letzten Jahren nichts passiert ist. Darüber kann kommen, aber wir verfolgen eine gute Linie. Der Vertei- man lange diskutieren. Ich habe mir in den letzten Wo- digungsetat wächst, wie gesagt, um 3 Prozent. Im Gro- chen und Monaten unzählige Standorte angesehen. Zum ßen und Ganzen wird die Linie von Peter Struck Beispiel der Standort Schwarzenborn in Hessen und fortgesetzt. An dieser Stelle möchte ich Peer Steinbrück viele andere mehr stehen dafür. Ich glaube, wir alle wer- danken, der es ermöglicht hat, diesen Aufwuchs umzu- den etwas tun müssen, um hier für Verbesserungen zu setzen. sorgen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frau Hoff hat gesagt, dass die 123 Millionen Euro, die die Koalition zusätzlich einstellt, nur ein Tropfen auf Wenn man sich mit diesem Haushalt beschäftigt, dann den heißen Stein seien. Wir könnten noch viel mehr erinnert man sich an mancher Stelle an ein altes Gedicht drauflegen. Aber das änderte im Kern nichts. Das Pro- aus dem Dreißigjährigen Krieg, das folgendermaßen lau- blem, das wir mit den veralteten, teilweise maroden Ka- tet: sernen aus den 60er- und 70er-Jahren haben, besteht da- rin, dass die Strukturen nicht funktionieren. In einer Gott und den Soldaten ehrt man Kaserne ist üblicherweise der S 3 für entsprechende An- in Zeiten der Not – und nur dann! forderungen zuständig. Wenn er nicht gerade im Ausland Denn ist die Not vorüber und die Zeiten gewandelt, ist, wenn er nicht gerade anderweitig überlastet ist und wird Gott schnell vergessen und der Soldat wenn er nicht gerade einer Battle-Group oder anderen schlecht behandelt. zur Verfügung stehen muss, passiert das irgendwann Das gilt in Teilen leider auch für die Bundeswehr. Daran auch. Danach kümmert sich der Infrastrukturstab darum. können das Ministerium und die Koalitionen – wie auch Darauf folgt die Wehrverwaltung mit ihren neu geschaf- immer sie aussehen – arbeiten, aber das Problem wird fenen Servicecentern in der einen oder anderen Variante, (B) weiter fortbestehen. Das ergibt sich schon aus der Größe mit der einen oder anderen Stufe. Darauf folgt die Lan- (D) der Bundeswehr, der planwirtschaftlichen Struktur, die desbauverwaltung. Hier gibt es unterschiedliche Qualitä- wir uns selber auferlegt haben, aus den Verwaltungs- ten. Das sollten wir uns einmal vor Augen führen: Wir strukturen und den Gesetzen und Vorschriften, die wir finanzieren Landesbauverwaltungen, die die Bundeslän- selber beschlossen haben und die es uns manchmal un- der selber nicht mehr nutzen und die uns teilweise nur möglich machen, das zu erreichen, was wir selber wol- mäßig dienen. Ich könnte auch Positives anmerken. Aber len. in letzter Zeit habe ich eher Negatives feststellen müs- sen. Für die Bundeswehr sind drei Bereiche besonders wichtig, um zukunftsfähig zu sein und das Personal an- Im Ergebnis wird dann ausgeschrieben. Wer die Aus- zuwerben, das wir brauchen. Dazu gehören erstens die schreibung gewinnt, kümmert sich um die Infrastruktur. Besoldung der Soldaten, zweitens ihre Unterbringung – Die Landesbauverwaltung kontrolliert das. Die Soldaten das hat etwas mit der Infrastruktur zu tun – und drittens selber haben nicht einmal Zugang zu der Baustelle in ih- die Ausrüstung. Das alles führt im besten Fall zu einer rer eigenen Kaserne. Man darf nicht vergessen, dass gewissen Berufszufriedenheit, die wiederum zur Folge auch das Bundesfinanzministerium eine Rolle spielt. Es hat, dass sich Menschen dafür entscheiden, den Beruf muss jeden Quadratmeter absegnen. Das sind Struktu- des Soldaten zu ergreifen. ren, die es eigentlich unmöglich machen zu bauen. Wir sollten uns also in nächster Zeit um die Strukturen küm- Die Koalition bemüht sich, in diesen Bereichen etwas mern; denn dort versickert das Geld. Hierdurch werden zu tun. Die Anhebung des Wehrsoldes um 2 Euro ist Soldaten frustriert und entstehen Zustände wie beispiels- nicht weltbewegend, aber ein Schritt in die richtige weise in Schwarzenborn und Fritzlar. Das darf nicht Richtung. Gleichzeitig wollen wir uns langfristig bei der sein. Hier muss sich etwas ändern. Besoldung der Soldaten konzeptionell eher an der Bun- despolizei orientieren als an der gegenwärtigen Situation (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ in der Bundeswehr. hat die Bundespolizei DIE GRÜNEN) hervorragend ausgestattet. Angesichts der Gehaltsstruk- turen kann man nur wünschen, dass sie irgendwann auch Schauen wir uns einmal den dritten Bereich an, die auf die Bundeswehr übertragen werden. Ausrüstung. Die Bundeswehr, die Verwaltung und der Minister bemühen sich, die Soldaten bestmöglich auszu- Strukturveränderungen bei den Beamtenbesoldungen statten. Wir haben zu diesem Zweck einmal den Einsatz- – wie sie zum Beispiel derzeit im Bundesinnenministe- bedingten Sofortbedarf geschaffen, ein hervorragendes rium geplant werden – dürfen nicht zu Belastungen der Instrument, von der Verwaltung aber nicht geliebt, weil 11552 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Johannes Kahrs (A) es in großem Maße verwaltungsfrei ist. Die Mittel zur Unsere alten Hubschrauber werden schneller ausge- (C) Deckung des Einsatzbedingten Sofortbedarfs wurden phast, als neue in Dienst gestellt werden. Wenn die aber in den letzten Jahren zunehmend zurückgefahren neuen nicht kommen, dann muss man die Ausphasung oder teilweise nicht ausgeschöpft. Das liegt unter ande- verschieben. rem daran, dass die Verwaltung die Vorschriften für den Ich komme zum Ende und habe noch eine kurze An- Einsatzbedingten Sofortbedarf verschärft hat mit der Be- merkung. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist das gründung, dass man das auch über die normalen Versor- Letzte, was die Bundeswehr braucht. Die SPD steht zur gungswege schaffen könne. Wer im Einsatz war, weiß, Wehrpflicht und zur Wehrpflicht plus, nämlich zur Frei- dass das nicht geht. Man wird also darüber nachdenken willigkeit. Menschen müssen dazu animiert werden, zur müssen, ob es nicht sinnvoll ist, den Mittelansatz zur Bundeswehr zu gehen. Das muss man ihnen leicht ma- Deckung des Einsatzbedingten Sofortbedarfs wieder auf chen. Das wollen wir auch in dieser Koalition. das ursprüngliche Niveau anzuheben und dafür zu sor- gen, dass es in diesem Bereich keine Deckungsfähigkei- Glück auf! ten gibt und die Mittel einzig und allein dafür ausgege- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben werden. Man sollte das Ganze relativ einfach der CDU/CSU) gestalten, damit die Kollegen aus den Ausschüssen, wenn sie im Einsatzgebiet sind, reagieren können, wenn es notwendig ist. Unsere eigene Verwaltungsstruktur Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: darf uns nicht behindern. Für die Linke hat das Wort die Kollegin Inge Höger. Wir haben uns jahrzehntelang – wer die Bundeswehr (Beifall bei der LINKEN) kennt, weiß das – auf den großen vaterländischen Krieg vorbereitet. Er ist nicht gekommen. Nun stimmen die Inge Höger (DIE LINKE): Strukturen nicht. Wir arbeiten an der von der Kollegin Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Jaffke vorbereiteten Transformation. Das ist ausgespro- Politik der Bundesregierung führt unser Land hochge- chen schwierig. Das hängt damit zusammen, dass wir rüstet in die militärische Sackgasse. Wir müssen uns Beschaffungsstrukturen haben, die durch ein Nebenein- klarmachen, worüber wir hier gerade reden. Der Einzel- ander von zivilem und militärischem Bereich gekenn- plan 14 ist kein Verteidigungshaushalt mehr. Nein, es zeichnet sind. Man möge sich in diesem Zusammenhang geht hier in weiten Teilen um einen Rüstungshaushalt. einmal das Grundgesetz anschauen. Art. 87 b ist in gro- (Beifall bei der LINKEN) ßen Teilen verzichtbar. Ich würde mich freuen, wenn der Minister das aufgreifen würde. Die SPD hat das schon Die Bundeswehr wird für Kriege und Besatzung über- (B) (D) einmal gefordert. Im Ergebnis ist es nicht einsichtig, wa- all auf diesem Globus fit gemacht. rum das Nebeneinander von zivilem und militärischem (Zuruf von der SPD: Quatsch!) Strang fortbestehen sollte. So wird oft etwas doppelt produziert. Man sollte die beiden Stränge zusammenfüh- Aus einer Armee, deren größter Erfolg darin bestand, ren. Es ist derzeit so, dass in der Rüstungsabteilung nicht eingesetzt zu werden, aus einer Armee, für die Zivilisten und Soldaten gut zusammenarbeiten. Diese Frieden der Ernstfall war, haben deutsche machtpoliti- Doppelstruktur wird gerade verändert; denn das ist schi- sche Ambitionen eine Armee im Einsatz gemacht. Von zophren. Nutzer und diejenigen, die die Geräte beschaf- einem „Einsatzhaushalt“ war schon die Rede. fen, gehören zusammen, nicht auseinander. Krieg und Besatzung gibt es nicht zum Nulltarif. (Beifall bei der SPD) Viele bezahlen, wenige profitieren. Faktisch sind viele Projekte nichts anderes als Subventionen für die Rüs- Die weiteren Probleme möchte ich hier nur kurz an- tungsindustrie. Allein die Praxis der Preisfortschreibung reißen. Zum Beispiel haben wir selber beschlossen, die sichert den Unternehmen regelmäßig Extragewinne in Zahl der Transporthubschrauber vom Typ CH-53 von Millionenhöhe. Die Zeche für diese haushaltspolitisch über 100 auf 90 bzw. demnächst auf 80 zu reduzieren. und inhaltlich verfehlte Politik zahlen unter anderem die Wer heute in die Einsatzgebiete geht, weiß, dass wir den Menschen in den Einsatzgebieten, nicht zuletzt dadurch, CH-53 brauchen. Dieser wird international immer wie- dass zwar Geld für den Militäreinsatz zur Verfügung der angefordert; denn Hubschraubertransportkapazitäten steht, jedoch nicht in ausreichendem Maße für zivile sind knapp. Wir sollten darüber nachdenken, ob es nicht Entwicklung. sinnvoll ist, den Beschluss, die Zahl auf 80 zu reduzieren, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert zurückzunehmen und den Bestand bei 90 Stück zu hal- Winkelmeier [fraktionslos]) ten. Wenn es drei oder vier mehr sind, ist das auch nicht schlimm; denn das sind wertvolle Maschinen, und neue Die Zeche zahlen die Anwohnerinnen und Anwohner schwere Transporthubschrauber wird es lange nicht von militärisch genutzten Flughäfen und Übungsplätzen mehr geben. Wir alle wissen, dass wir von einer großen wie dem Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlin- europäischen Firma Hubschrauber erwarten, die seit Jah- ger Heide bei Magdeburg. Lärm und Umweltzerstörung ren nicht kommen bzw. zu spät angeliefert werden. sollen zukünftig durch einen weiteren Ausbau des Übungsgeländes noch zunehmen. Die dafür veran- (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Sie haben schlagten 34 Millionen Euro für das Jahr 2008 wären jetzt etwas übertrieben!) sinnvoller in die Renaturierung des Geländes investiert. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11553

Inge Höger (A) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert tungswahnsinn! Stoppen Sie die Auslandseinsätze und (C) Winkelmeier [fraktionslos]) investieren Sie in zivile Alternativen! Die Zeche zahlen aber auch die Steuerzahlerinnen (Beifall bei der LINKEN) und Steuerzahler, und das, obwohl die Mehrheit der Menschen in diesem Lande eindeutig gegen die militäri- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sche Außenpolitik ist. Eine Umfrage des Sozialwissen- Jetzt spricht Thomas Silberhorn für die CDU/CSU- schaftlichen Instituts der Bundeswehr stellt fest: 68 Pro- Fraktion. zent der Menschen in der Bundesrepublik bejahen den Satz – hören Sie jetzt gut zu –: Konflikte innerhalb eines (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Staates oder zwischen Staaten lassen sich immer mit friedlichen Mitteln lösen. Die größte Bedrohung sehen Thomas Silberhorn (CDU/CSU): die Befragten in der Kürzung der Sozialleistungen. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Herren! Zur geänderten Bedrohungslage, in der wir Winkelmeier [fraktionslos]) uns befinden, hat vor wenigen Tagen Walter Laqueur, der als Vater der internationalen Terrorismusforschung Die Erwartungen der Bevölkerungen werden von der gilt, einen bemerkenswerten Beitrag in der Welt geleis- Regierung bewusst ignoriert. Stattdessen wird in gefähr- tet. Er schreibt: liche und teure Rüstungsprojekte investiert, von denen ich hier drei Projekte beispielhaft anführen möchte. Der Terrorismus ist in unserer Zeit … die mehr oder weniger normale Form von Gewalt zwischen und Für 2,6 Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren innerhalb von Staaten. vier Fregatten vom Typ F 125 gebaut werden. Die Fregatte F 125 ist ein Kriegsschiff im gefährlichsten Dazu stellt er fest, dass es im 19. Jahrhundert noch so et- Sinne. Die Fregatte wird zukünftig auch als Aktions- was wie einen terroristischen Ehrenkodex gegeben habe. plattform für Einsätze von Spezialkräften dienen. Die Dieser Kodex von Anarchisten habe festgelegt, dass At- F 125 ist in der Lage, Angriffe und Überfälle auf feindli- tentate nur auf verhasste führende Persönlichkeiten aus- ches fremdes Territorium durchzuführen, zu unterstützen geübt würden und dass man zu vermeiden versuche, dass und aufrechtzuerhalten. Die Anschaffung der Fregatte Unschuldige Opfer werden. Heute herrsche dagegen wird unter Berücksichtigung von Preissteigerungen, zu- wahlloses Morden, das den Fortbestand unserer Zivilisa- sätzlicher Bewaffnung und Infrastruktur schnell weit tion infrage stellt. über 3 Milliarden Euro verschlingen. Die Linke lehnt Damit ist sehr deutlich umschrieben, dass die Ver- (B) dieses und weitere Marinerüstungsprojekte ab. Wir wol- wundbarkeit offener Gesellschaften durch einige we- (D) len keine deutsche Kriegsflotte. nige nationalistisch oder religiös motivierte Fanatiker (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert deutlich gestiegen ist. Die neuen Bedrohungen verlan- Winkelmeier [fraktionslos]) gen auch neue Antworten, und eine dieser Antworten lautet: Wir müssen neue Bedrohungen dort bekämpfen, Auch das unsägliche Eurofighterprojekt für insge- wo sie entstehen. Das ist der Grund dafür, dass wir deut- samt mehr als 20 Milliarden Euro sei hier noch einmal sche Soldatinnen und Soldaten in Krisengebiete schi- genannt. Die gigantische Geldverschwendung und das cken. Sponsoring der Rüstungsindustrie durch dieses Projekt kritisiert die Linke schon seit Jahren. Nun wird durch die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Aufrüstung des Eurofighters für die sogenannte Mehr- In Afghanistan, an einem unserer wichtigsten Ein- rollenfähigkeit der ursprüngliche Abfangjäger zur An- satzorte, wird die Sicherheitspräsenz der internationalen griffswaffe mit Befähigung zu Flächenbombardements. Gemeinschaft sowohl im zivilen als auch im militäri- Dies ist eine Kriegsmethode, die zwangsläufig zu schen Sektor weiterhin erforderlich sein, solange Afgha- Opfern unter der Zivilbevölkerung führen muss und je- nistan nicht selbst in der Lage ist, eigenverantwortlich den Konflikt nur anheizen kann. Wir brauchen den Euro- und ausreichend wirksam gegen Terroristen vorzugehen. fighter nicht. Deshalb befürwortet die CSU-Landesgruppe die Fortset- (Beifall bei der LINKEN) zung der deutschen Beteiligung an OEF wie an der ISAF-Mission. Mit dem Airbus A400M sollen deutsche Soldaten zu- künftig in Auslandseinsätze verfrachtet werden. Wer die Die afghanische Bevölkerung kennt die Differenzie- Bundeswehr nur zur Verteidigung einsetzt, der braucht rung, die in der Diskussion in Deutschland gemacht nicht über 9 Milliarden Euro für strategische Verlegbar- wird, übrigens nicht. Sie nimmt den Einsatz der interna- keit der Soldatinnen und Soldaten ausgeben. Solchen tionalen Gemeinschaft als Ganzes wahr, also ohne zwi- gigantischen Ausgaben für Projekte, die aggressive und schen OEF und ISAF zu unterscheiden. Ich meine, wir gefährliche Out-of-area-Einsätze ermöglichen, kann und sollten keine Zweifel an der Solidarität Deutschlands mit wird die Fraktion Die Linke nicht zustimmen. seinen NATO-Partnern durch eine Diskussion über einen einseitigen Rückzug aus OEF wecken. (Beifall bei der LINKEN) Die Perspektive muss vielmehr sein, die Frage zu be- Die effektivste Sicherheitspolitik nach innen und nach antworten: Was braucht dieses Land, Afghanistan? Ich außen ist Armutsbekämpfung. Stoppen Sie den Rüs- glaube, wir müssen als unser Ziel definieren, die afgha- 11554 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Thomas Silberhorn (A) nische Regierung in die Lage zu versetzen, sobald wie Lassen Sie mich einige Anmerkungen zur Zukunft (C) möglich aus eigener Kraft gegen Aufständische und Ter- der Wehrpflicht machen. Ich meine, dass die Wehr- roristen in ihrem Land vorzugehen. Dazu ist es notwen- pflicht im 50. Jahr ihres Bestehens von zentraler Bedeu- dig, dass wir die afghanischen Sicherheitskräfte stärken tung für unsere Sicherheitsvorsorge bleibt. Sie ist weiter- und dass wir mehr für die Ausbildung und Ausstattung hin die Basis für die Rekrutierung von qualifiziertem der afghanischen Armee und der Polizei tun. Herr Bun- Nachwuchs. Gerade dieses Argument sollte man nicht desverteidigungsminister, ich freue mich, dass es gelun- gering schätzen; ich verweise auf die Probleme unserer gen ist, diese Aspekte im Afghanistan-Konzept der Bun- NATO-Partner bei der Rekrutierung von Nachwuchs für desregierung zu verankern. ihre Berufsarmeen. Wir müssen allerdings auch dafür sorgen, dass die Die Wehrpflicht gewährleistet außerdem, dass die deutschen Soldatinnen und Soldaten, die wir in Auslands- Bundeswehr weiterhin in der Gesellschaft verankert einsätze schicken, optimal ausgebildet und bestmöglich bleibt. Es ist ebendiese Bundeswehr, die mit Wehrpflicht ausgestattet sind, im Übrigen nicht nur im Einsatz, son- organisiert ist, die sich bei ihren Einsätzen im Ausland dern auch bei der Vorbereitung auf Einsätze. Dazu sind höchste Anerkennung erworben hat. ausreichende Finanzmittel notwendig. Die Höhe dieser Finanzmittel müssen wir nach den Erfordernissen der Ich bin schon der Ansicht, dass die Wehrpflicht auch Einsätze bemessen. Wenn der Bundestag Auslandsein- dazu beiträgt, die Verantwortung der Bevölkerung für sätze beschließt, dann ist es auch unsere Verpflichtung, die Wahrung unserer Sicherheit aufrechtzuerhalten. Des- dafür zu sorgen, ausreichende Finanzmittel für ebendiese wegen lehnt die CSU Pläne ab, die de facto auf eine Ab- Einsätze zur Verfügung zu stellen. schaffung der Wehrpflicht hinauslaufen. Insoweit begrüße ich ausdrücklich, dass es gelungen Ich bin allerdings auch der Ansicht, dass wir das ist, den Verteidigungshaushalt zu erhöhen, um 3,2 Pro- Thema Wehrgerechtigkeit sehr ernst nehmen müssen. Es zent auf 29,3 Milliarden Euro. Das setzt ein wichtiges handelt sich nach meinem Dafürhalten nicht nur um eine Signal: Der Deutsche Bundestag unterstützt die Streit- verfassungsrechtliche Frage. Es gibt auch im Rahmen kräfte, damit sie ihren Auftrag erfüllen können. des verfassungsrechtlich noch Zulässigen so etwas wie eine gefühlte Wehrungerechtigkeit, deren wir uns anneh- Der Aufwuchs des Verteidigungsetats wird es er- men. möglichen, die Umsetzung des Vorhabens, geschützte Fahrzeuge zu beschaffen, zu erleichtern und die Moder- Allerdings ist nach meiner Einschätzung der Bedarf nisierung der Kasernen anzugehen. Das ist im Übrigen an Diensten für unsere Sicherheit gewachsen und nicht nicht nur ein Problem der letzten zwei Jahre; vielmehr kleiner geworden. Deswegen rege ich an, darüber nach- (B) (D) werden diese Kasernen seit vielen Jahren vernachlässigt. zudenken, die Wehrpflicht eher zu einer sicherheitspoli- Jetzt endlich gelingt es, hier vorwärtszukommen. tisch begründeten Dienstpflicht weiterzuentwickeln, wenn nur so die Wehrgerechtigkeit aufrechterhalten wer- Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir vonseiten des den kann. Bundestags die Initiative ergriffen haben, den Wehrsold zu erhöhen, der seit 1999 nicht mehr verändert worden Es ist nicht nur der Wehrdienst, der unserer Sicherheit ist. Das ist ein positives Signal an die Bundeswehr und dient; es sind auch Dienste im Zivilschutz und – wenn aus meiner Sicht ein Einstieg in eine verbesserte Finanz- die Bundesländer mitmachen – im Katastrophenschutz; linie für den Verteidigungshaushalt. aber auch die Entwicklungshilfe kann man dazuzählen, wenn man einen weiten Sicherheitsbegriff wie den der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) präventiven Sicherheit zugrunde legt. Lassen Sie mich kurz auf das Thema Einsatz-Weiter- verwendungsgesetz eingehen; der Bundesverteidi- Wenn dazukommt, dass wir Freiwilligendienste groß- gungsminister hat es vorhin angesprochen. Ich möchte zügiger auf eine solche Dienstpflicht anrechnen – das ist es ausdrücklich erwähnen, weil ich denke, dass die bis- das, was heute im Bereich des Zivildienstes schon mög- herige Situation – wir haben Lücken in der Versorgung lich ist –, dann würde ein solches Modell einer sicher- von Soldaten, die in einem Einsatz versehrt worden heitspolitisch motivierten Dienstpflicht mehr Wehrge- sind – untragbar ist. Es ist eine zwingende Folge des rechtigkeit schaffen, und sie wäre ohne eine Wandels der Bundeswehr hin zur Armee im Einsatz, Verfassungsänderung umsetzbar. dass wir diese Versorgungslücken schließen. Deswegen Im Ergebnis möchte ich feststellen: Sicherheitsvor- ist es gerechtfertigt, dass wir einen Anspruch auf unbe- sorge lässt sich jedenfalls nicht outsourcen und nicht pri- fristete Weiterbeschäftigung nicht nur für Soldaten ein- vatisieren; sie geht uns weiterhin alle an. führen, die im Einsatz dauerhaft geschädigt wurden, son- dern ebenso für Zivilpersonal der Bundeswehr und Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. anderer Bundesressorts sowie auch für die Mitglieder des Technischen Hilfswerkes. Dies alles ist ein erhebli- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) cher Fortschritt, den wir in diesem Haus unterstützen sollten. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Gert DIE GRÜNEN]) Winkelmeier. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11555

(A) Gert Winkelmeier (fraktionslos): Das war es aber auch schon mit dem Positiven. (C) Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Schließlich sind diese rund 221 Millionen Euro pro Jahr Sehr geehrter Herr Minister Jung, was macht ein Minis- für Soziales in den nächsten vier Jahren nun wirklich ter, wenn er das Parlament davon überzeugen will, dass Peanuts beim Vergleich mit denjenigen Summen, die Sie sein Ressort unterfinanziert ist? Er appelliert an das Mit- in den kommenden Jahren für neue Rüstungsvorhaben leid der Abgeordneten. ausgeben wollen. In den 1970er-Jahren nahm dies schon einmal ausge- (Beifall bei der LINKEN) sprochen skurrile Züge an. Da wurde allen Ernstes eine Blattobergrenze für Toilettenpapier pro Soldat und Tag Das, was Sie damit vorhaben, passt überhaupt nicht zu erwogen; man musste ja sparen. Sie sehen, Kolleginnen den ständigen Beteuerungen, es gehe der Bundesregie- und Kollegen: Das Jammern des BMVg nach mehr Steu- rung ausschließlich darum, anderen Ländern unter die ergeldern ist überhaupt nichts Neues. Deswegen müssen Arme zu greifen, ihnen Demokratie, Stabilität und Frie- wir genau hinsehen, wofür die öffentlichen Gelder im den zu bringen. Verteidigungshaushalt verwandt werden. Braucht man dazu 180 Eurofighter, dieses Überbleib- Der Verteidigungsetat ist mit 29 Milliarden Euro der sel aus dem Kalten Krieg, für 16 Milliarden Euro plus drittgrößte Haushaltsposten. Man kann es gar nicht oft Entwicklungskosten? Braucht man dazu Fregatten F 125 genug wiederholen: Er umfasst 29 Milliarden Euro, und mit der Möglichkeit, zwei Jahre lang ununterbrochen es gibt nicht eine einzige reale oder sich abzeichnende Seekrieg führen zu können, wofür der Steuerzahler Bedrohung für unser Land, die mit militärischen Mitteln 2,6 Milliarden Euro ausgeben muss? Braucht man dazu abgewendet werden könnte. Dies gilt für den Terroris- U-Boote für 2,8 Milliarden Euro? Braucht man für die mus ebenso wie für das organisierte Verbrechen. Dass Demokratie in anderen Ländern ein paar Korvetten für die Vorgängerregierung der NATO-Strategie zugestimmt 1 Milliarde Euro? Braucht man dazu Panzerhaubitzen hat, die Flüchtlinge als Bedrohung einzustufen, kann für 1 Milliarde Euro, die gegen die Armeen des War- wohl auch kein Mensch mit klarem Verstand verstehen. schauer Vertrages entwickelt wurden, den es seit 1991 überhaupt nicht mehr gibt? Diese Waffen braucht man (Beifall bei der LINKEN) für Demokratie und Frieden nicht. Schlussendlich ist auch die Landesverteidigung auf der Prioritätenliste Ihres Weißbuchs ganz nach unten ge- Ein Blick in Ihr Weißbuch zeigt, worum es Ihnen in rutscht, denn wir sind nur noch von Freunden umzingelt, Wirklichkeit geht. Nach dem Vorbild der US-Marines wie dies schon einer Ihrer Amtsvorgänger sagte. Dieses – Stichwort Marines Expeditionary Force – soll die Ma- rine eine Expeditionsmarine werden; ergänzt um strate- (B) Bonmot gefällt mir übrigens wesentlich besser als das (D) eines anderen Amtsvorgängers, das sich auf die Verteidi- gischen Lufttransport und Einsatzgruppenversorger, gung Deutschlands am Hindukusch bezog. wollen Sie dann weltweite Machtprojektionen im klas- sischen Sinn machen. Das offiziöse Marineforum Nun werden Sie einwenden: Aber wir müssen doch in schwärmt geradezu von der Hochseekriegsführung mit Krisenregionen den Frieden wieder herstellen und für einem Expeditionskorps – früher auf der falschen, heute den Wiederaufbau zerfallener Staaten sorgen. – Nehmen vermeintlich auf der richtigen Seite –, um politisch wir einmal an, dass es Ihnen tatsächlich darum geht, so Druck zu machen und die Rohstoffversorgung der Wirt- kann ich Ihnen nur erwidern: Damit sind Sie schon im schaft notfalls militärisch sicherzustellen, im Schulter- Kosovo und auch in Afghanistan hereingefallen. Wie schluss und technisch kompatibel mit der NATO. viele Versuche und Irrtümer brauchen Sie denn noch? Was die Führungsmacht aus der NATO machen will, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) hat die US-Botschafterin bei der NATO, Frau Nuland, Die Bevölkerung ist da in ihrem friedenspolitischen eine führende Neokonservative, der Financial Times im Denken bereits wesentlich weiter als die Bundesregie- Januar 2006 verraten: Die USA wollen ein völlig rung. Sie hat offenbar keine Lust auf die vom stellvertre- anderes – wörtlich sagte sie: animal, also Tier –, also tenden Chefredakteur der Zeit, Herrn Ulrich, in der eine völlig andere NATO, und zwar unter Einschluss Ja- Nummer 35 empfohlenen „Experimente, auch mit Men- pans, Neuseelands und Australiens. schenleben“. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Nun zum Positiven dieses Haushaltentwurfs: Herr Minister, Sie erhalten in den nächsten vier Jahren rund Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. 2 Milliarden Euro zusätzlich. Ich begrüße ausdrücklich, dass Sie dies zum Anlass nehmen, endlich die teils Gert Winkelmeier (fraktionslos): katastrophalen Zustände in den Kasernen zu beseitigen, Ich komme zum Ende. – Dieser Kurs bringt eine De- die Sie ja nicht zu verantworten hatten, auch wenn mit facto-Marginalisierung der UNO mit sich, und die Ein- den dafür in den kommenden vier Jahren jeweils vorge- kreisung vermeintlicher Rivalen verstößt gegen das Frie- sehenen 175 Millionen Euro der Investitionsstau von densgebot des Grundgesetzes. 2 Milliarden Euro bei der Infrastruktur nicht vollständig aufgelöst werden kann. Auch die Wehrsolderhöhung um Vielen Dank. 2 Euro pro Tag, was circa 46 Millionen Euro pro Jahr ausmacht, war seit Jahren überfällig. (Beifall bei der LINKEN) 11556 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Deutschland lahmgelegt würde, wenn 30 zusätzliche (C) Der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels hat jetzt das Wort Ausbilder nach Afghanistan gingen. Wenn so etwas tat- für die SPD-Fraktion. sächlich eintritt, dann stellt das sicherlich ein Problem dar, aber eines der militärischen Organisation; und das lässt sich abstellen. Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein letztes Wort zum Bereich des Grundsätzlichen: Lassen Sie mich zum Schluss dieser Debatte einige Das Stichwort heißt „Redundanz“. Wir alle gemeinsam grundsätzliche Bemerkungen machen. Die Bundes- betreiben manchmal einen Kult der Betriebswirtschaft. wehr steht unter dreifachem Druck: Wir verabsolutieren das ökonomische Denken und ver- gessen manchmal, dass es auch andere und ganz eigene Erstens. Sie ist im Auslandseinsatz täglich gefordert Kriterien militärischer Rationalität gibt. Redundanz und muss über Jahre durchhaltefähig sein. Das ist heute ist eines davon, das heißt, mehr von dem Gleichen bzw. der Ernstfall. Ersatzvorhaltungen. Betriebswirtschaftlich wäre es ge- Zweitens. Die Bundeswehr wird von Grund auf mo- wiss am kostengünstigsten, alle Transportflugzeuge und dernisiert. Wir nennen das Transformation. Aber auch Hubschrauber der Luftwaffe an einem Ort zu konzentrie- mit solch einem modernen Etikett geschieht das nicht ren, quasi die deutsche Drehscheibe für Lufttransport zu von selbst. Da ist Tag für Tag viel Arbeit und Antiarbeit schaffen. Das wäre ideal, solange nichts passiert. Aber zu leisten. Für die, die den Begriff „Antiarbeit“ nicht die Bundeswehr ist dazu da zu funktionieren, auch wenn kennen: Damit wird die Arbeit bezeichnet, die geleistet etwas passiert. Sie muss auch dann, wenn einzelne Ka- werden muss, um die Folgen der Arbeit anderer Leute zu pazitäten ausfallen, ihren Auftrag erfüllen. Deshalb gibt beseitigen. es ein paar Flugzeuge mehr, ein paar Dienstposten mehr und ein paar Stützpunkte mehr, als es betriebswirtschaft- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) lich ideal wäre. Daran sollten wir festhalten. Die Drittens. Es ginge vieles leichter, wenn mehr Geld da Strukturen sollten und müssen robust sein und Durchhal- wäre. Ist es aber nicht. Wir sind heute froh, dass der tefähigkeit ermöglichen. Das ist der Sinn der Transfor- Finanzminister über die alte Linie hinaus 500 Millionen mation. Wo das in manchen Teilstreitkräften oder Orga- Euro zusätzlich zur Verfügung stellt. Das ist mehr als ein nisationsbereichen noch nicht erreicht wird, muss Tropfen auf den heißen Stein, aber für die Bundeswehr nachgesteuert werden. natürlich zu wenig, um wirklich attraktiv dastehen und Es ist gut, dass das Nachsteuern gegebenenfalls durch ausreichend Ausrüstung beschaffen zu können. Ich will die gleiche Hand erfolgen kann wie das Planen und einen Maßstab nennen, welcher Betrag aus meiner Sicht (B) Durchsetzen. Es ist gut, dass Generalinspekteur (D) ausreichend wäre: Zu Zeiten des Kalten Krieges, als die Schneiderhan bleibt und sein Hauptwerk zu Ende brin- Bundeswehr noch 500 000 Mann stark war, hatte der gen kann. Dabei weiter viel Erfolg! Verteidigungsetat einen Anteil von 20 Prozent am Ge- samthaushalt des Bundes. Heute sind unsere Streitkräfte Ich will einiges zu den Themen Materialerhaltung genau halb so groß, nämlich 250 000 Soldaten, und der und -beschaffungen sagen. Wir wundern uns manchmal Anteil des Verteidigungshaushaltes liegt bei 9 Prozent. bei unseren Besuchen, sei es in Masar-i-Scharif, in Der Bundeswehretat ist also schneller geschrumpft als Limassol oder in Dschibuti, mit wie viel Geschick, Ein- die Bundeswehr selbst. Ich meine, 10 Prozent des Bun- fallsreichtum, Energie und kluger Voraussicht manche deshaushaltes für die Bundeswehr, also genau die Hälfte Einsatzkontingente ihr Material verfügbar halten. Die von früher, stellten eine Größenordnung dar, die okay Klarstände der Transall, der CH-53, der Seakings und wäre. Der vorliegende Haushalt ist ein Schritt in diese der Tornados in den verschiedenen Friedensmissionen Richtung. Herr Minister, Sie kommen voran. Dazu be- sind hart erkämpft und vorbildlich. Aber es ist oft Gerät, glückwünsche ich Sie. Das war nicht selbstverständlich. für das die Nachfolgemuster schon bestellt sind; nur Das musste verhandelt werden. werden sie nicht fertig. Der Hubschrauber NH-90 hat fünf Jahre Verzug, und ob aus der maritimen Variante Noch eine grundsätzliche Bemerkung. Wir hören oft MH-90 für die Bundeswehr überhaupt noch etwas wird, Klagen darüber, auch aus der Generalität, die Bundes- ist inzwischen nicht mehr sicher. Der Kampfhubschrau- wehr sei mit den laufenden Auslandseinsätzen struktu- ber Tiger hat vier Jahre Verspätung. Über die Verzöge- rell überfordert. Die Einsätze störten den ordnungsge- rungen beim Eurofighter, der früher Jäger 90 hieß, weil mäßen Grundbetrieb, sie störten die anspruchsvolle er in den 90er-Jahren zulaufen sollte, ist hier schon gele- Ausbildung, und sie störten die Transformation. Dazu gentlich diskutiert worden. Jetzt verfolgen wir gebannt muss man sagen: Entschuldigung, das war von der Poli- die Wasserstandsmeldungen für den Transall-Nachfolger tik anders gemeint. Der Grundbetrieb, die Ausbildung A400M. Das erste Jahr Zeitverzug ist inzwischen ange- und die Transformation sollten eigentlich dazu dienen, meldet. Schauen wir mal. die Auslandseinsätze zu ermöglichen, statt sie zu behin- dern. Stimmt da vielleicht irgendetwas nicht? Streit- Das alles kann passieren. Internationalität ist ja nicht kräfte, die so sehr mit sich selbst beschäftigt wären, dass gerade ein Beschleunigungsmittel. Auch unsere nationa- sie keine Aufträge entgegennehmen könnten, wären len Bedarfsträger und Beschaffer haben manchmal Zu- falsch organisiert. Das ist ja auch bei der Bundeswehr satzforderungen, die Zeit kosten. Aber es ist eben oft nicht so. Man sollte also auch aufhören, so zu tun, als ob auch die Industrie, die wohlfeile Versprechungen macht, der Ausbildungsbetrieb einer ganzen Brigade in die sie nicht halten kann. Und nicht selten ist es dieselbe Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11557

Dr. Hans-Peter Bartels (A) Industrie, die die Nutzungsdauer unseres alten Geräts für Bundeswehr kommen, total dagegen sind, das nie ge- (C) teures Geld verlängert, das Produkt verbessert oder wollt haben und nur durch Zwang dazu bewegt werden schlicht die immer teureren Wartungsarbeiten durch- können, der Einberufung Folge zu leisten. führt. Ich kann die Fachleute im Ministerium nur ermun- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) tern, diesen Zusammenhang von Verzögerungen auf der einen Seite und lukrativem Zusatzgeschäft auf der ande- Auch heute gibt es viele, die das richtig und gut finden ren Seite in den entsprechenden Industrieverhandlungen und auf der Grundlage der Wehrpflicht freiwillig kom- zu thematisieren. Jedenfalls fällt auch im Parlament men. durchaus auf, dass die Materialerhaltungstitel, insbeson- dere für fliegendes Gerät, immer weiter steigen, obwohl (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber wenn die Stückzahlen drastisch reduziert werden. Das ist die es doch schon so ist, was wollen Sie denn dann falsche Richtung. ändern?) – Ich will die Möglichkeiten, die dadurch entstehen, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wir in Zukunft eine geringere Zahl von Wehrpflichtigen der LINKEN) brauchen, nutzen. Aber ich erkläre es Ihnen gern ein Zum Schluss ein Wort zur Wehrpflicht. Eine freiwil- bisschen genauer; dazu gibt es noch zwei, drei Aspekte. lige Pflicht gibt es nicht; das ist wie ein schwarzer Schimmel ein Widerspruch in sich. Darüber haben sich Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schon viele weise Beobachter lustig gemacht – herzli- In den Koalitionsrunden! chen Glückwunsch! Was es aber gibt, ist ein Vorschlag des SPD-Parteivorstandes, der besagt: Wenn wir in Zu- kunft weniger Wehrpflichtige aus einem Jahrgang brau- Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): chen, dann nehmen wir erst einmal die, die das auch Warum ist es heute möglich, die Wehrpflicht zu refor- wollen. Freiwilligkeit so weit wie möglich, Pflicht so mieren, sie weiterzuentwickeln? Weil wir nicht mehr wie weit wie nötig. Jeder wird erfasst, jeder wird gemustert, zu Zeiten des Kalten Krieges jedes Jahr 250 000 junge und dann wird nach der Motivation gefragt. Wenn genü- Männer neu in die Bundeswehr holen müssen – Herr von gend Wehrpflichtige wollen, dann muss niemand gegen Klaeden, das richtet sich immer noch auch an Sie, aber seinen Willen eingezogen werden. Dafür können und Sie können gern sitzen bleiben –, auch nicht mehr sollten wir zusätzlich den einen oder anderen Anreiz und 120 000 wie noch 2003, sondern künftig nur noch gut Bonus schaffen. Geht die Rechnung nicht auf, müssen 70 000 Grundwehrdienstleistende, freiwillig länger wir nichts neu erfinden; die Wehrpflicht gilt. Dann wird Wehrdienstleistende und Zeitsoldaten benötigen; darun- eingezogen nach Tauglichkeit und Bedarf, wie heute. ter werden übrigens immer auch einige Tausend Frauen (B) sein. (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Unser Modell ist intelligenter als das klassische Downsizen der Zahlen durch die Tauglichkeitskriterien. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: In den ersten sechs Monaten des Jahres 2007 wurden Herr Kollege, der Kollege Eckart von Klaeden hat 46 Prozent der gemusterten Wehrpflichtigen aussortiert. den Wunsch nach einer Zwischenfrage. Würden Sie sie Das ist absurd; so krank ist unsere Gesellschaft nicht. zulassen? Der Vorschlag des Ministers, 6 700 Soldaten außerhalb von Dienstposten zusätzlich einzuberufen, ist gewiss ein Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): Hinweis auf das zu lösende Problem, aber doch wohl Gern. keine Dauerlösung. Gut ist hingegen, dass wir in der Koalition verabredet Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: haben, den Wehrsold nach Jahren der Stagnation end- Bitte schön. lich wieder anzuheben. Dabei geht es gar nicht um ge- waltige Summen, sondern eher um ein Signal. Das Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Signal lautet: Die Wehrpflicht bleibt das Fundament un- serer Bundeswehr. Herr Kollege Bartels, was mich an Ihrem Modell der jetzt doch nicht so freiwilligen Wehrpflicht – vielleicht Vielen Dank. finden Sie ja noch einen eingängigeren Namen dafür – (Beifall bei der SPD) besonders interessiert: Führt der von Ihnen geschilderte Fall, dass sich nicht genügend Freiwillige melden, so- dass dann aus dem Kreis der Gemusterten gezogen wer- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den muss, nicht zu einer wesentlich größeren Wehr- Hier liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. ungerechtigkeit als die, die Sie durch Ihr Modell Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: beseitigen wollen? Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Dr. Hans-Peter Bartels (SPD): richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung In dem Fall hätten wir den Zustand, den wir heute ha- ben. Sie werden ja nicht unterstellen wollen, Herr Kol- Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut- lege Klaeden, dass alle, die über die Wehrpflicht in die scher Streitkräfte im Rahmen der „United 11558 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (A) Nations Interim Force in Lebanon“ (UNIFIL) ren Erwartung getroffen, dass nur auf diese Weise die (C) auf Grundlage der Resolutionen 1701 (2006) äußeren Voraussetzungen für mehr Stabilität im Libanon und 1773 (2007) des Sicherheitsrates der Ver- überhaupt geschaffen werden konnten. einten Nationen vom 11. August 2006 bzw. (Beifall bei der SPD) 24. August 2007 Ein Jahr später dürfen wir einen kleinen Rückblick – Drucksachen 16/6278, 16/6330 – wagen, der mich zu dem Ergebnis bringt – ich habe kei- Berichterstattung: nen Zweifel –: Die damalige Entscheidung war richtig. Abgeordnete Eckart von Klaeden Seit einem Jahr führt die Bundeswehr die Marinekompo- Niels Annen nente der UNIFIL. Die deutschen Soldaten – ich habe Dr. Werner Hoyer mich bei Besuchen im Libanon mehrfach davon über- Wolfgang Gehrcke zeugen können – genießen große Anerkennung; dafür Kerstin Müller (Köln) verdienen die Soldaten unseren Dank. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass uns die Vereinten Nationen im Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Verlauf dieses Jahres gebeten haben, die Führung der gemäß § 96 der Geschäftsordnung maritimen Taskforce auch weiterhin zu übernehmen. – Drucksache 16/6341 – (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Berichterstattung: der CDU/CSU) Abgeordnete Herbert Frankenhauser Unser Auftrag verfolgte von Anfang an zwei Ziele. Es Lothar Mark ging nicht nur darum, im Zusammenwirken mit der liba- Jürgen Koppelin nesischen Marine Waffenschmuggel so weit wie mög- Michael Leutert lich seeseitig zu verhindern, sondern es ging auch immer Alexander Bonde darum, den libanesischen Partner von Anfang an und Es liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion der schrittweise zu befähigen, die Aufgabe, die Seegrenze FDP sowie der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. am Ende in eigener Verantwortung zu sichern, selbst zu Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- übernehmen. Deshalb haben wir nach den Diskussionen mentlich abstimmen. im Kabinett gemeinsam entschieden, dass wir den Einsatz von Anfang an durch bilaterale Ausbildungs- Zwischen den Fraktionen ist verabredet, zu diesem maßnahmen, durch Zurverfügungstellung von Patrouil- Punkt eine Dreiviertelstunde zu debattieren. – Dazu höre lenbooten, durch die Wiederinstandsetzung des libanesi- ich keinen Widerspruch. Das ist also so beschlossen. schen Küstenradars sowie durch weitere Maßnahmen (B) (D) ergänzen. Das lässt schon jetzt deutliche Fortschritte er- Ich erteile das Wort dem Bundesminister Dr. Frank- kennen, die notwendig sind. Sie sind jedenfalls dann not- Walter Steinmeier. wendig, wenn wir in der Perspektive unser jetzt noch er- forderliches Engagement irgendwann einmal reduzieren Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des und es Schritt für Schritt in libanesische Hände überge- Auswärtigen: ben wollen. Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen Meine Damen und Herren, wichtig ist auch, dass die- und Herren! Den meisten von Ihnen wird es am Beginn ser Teil des Engagements nur Teil unseres Gesamt- dieser Debatte nicht anders gehen als mir: Erinnerungen engagements im Libanon ist. Wir beteiligen uns – das sind wieder präsent, Erinnerungen an eine Debatte hier wissen Sie; wir haben es hier diskutiert – aktiv im inter- in diesem Haus im Herbst des vergangenen Jahres, an nationalen Konzert, wenn ich das so ausdrücken darf, am deren Ende wir entschieden haben, zum ersten Mal die Wiederaufbau im Libanon. Wir unterstützen den Liba- Bundeswehr im Libanon zum Einsatz zu bringen. Es non bei der Sicherung nicht nur der Seegrenze, sondern handelte sich, wie ich mich erinnere, um keinen gewöhn- auch der Luft- und Landgrenzen. Wir haben Scanner und lichen Tag und um keine gewöhnliche Debatte; jeder hat Dokumentenprüfgeräte für den Flughafen in Beirut zur das gespürt. Verfügung gestellt, leisten Beratungs- und Ausstattungs- Zum ersten Mal – das war das Ergebnis – erhielten hilfe zur Sicherung der Landgrenze zu Syrien jedenfalls deutsche Soldaten einen Befehl zum Einsatz im Nahen in einem Nordabschnitt, der sich zu einem Modellpro- Osten, um dort Seit’ an Seit’ mit europäischen Kamera- jekt entwickeln könnte. Wenn die Ergebnisse positiv den unter dem Dach der UNIFIL den Frieden zu sichern. sind, werden wir andere europäische Staaten einladen, Ich weiß: Gerade diese Entscheidung ist niemandem in mitzumachen und weitere Grenzabschnitte auf diese diesem Hause leichtgefallen. Alle haben gewusst, dass Weise zu übernehmen. wir politisches Neuland betreten. Ich glaube, am Ende (Beifall des Abg. Gert Weisskirchen hat sich die breite Mehrheit dieses Hauses im vollen Be- [Wiesloch] [SPD]) wusstsein unserer deutschen und unserer europäischen Verantwortung für Frieden im Nahen Osten für diesen Meine Damen und Herren, das alles ist Ziel unseres Einsatz entschieden. Wir haben sie in dem Bewusstsein Bemühens, es dem Libanon zu ermöglichen, selbst die getroffen, dass die Umsetzung der Resolution 1701 ohne Grundlagen für innenpolitische Stabilität zu schaffen. unser Engagement beim Waffenstillstand nicht möglich Wir wissen, wie ich heute Morgen in meiner Rede ange- gewesen wäre. Wir haben die Entscheidung in der siche- deutet habe, dass das langfristig nur möglich sein wird, Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11559

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) wenn wir auch die regionalen Partner einbeziehen. Wir ten der Bundeswehr immer unsere Unterstützung genos- (C) versuchen, dies so weit wie möglich zu tun. Dazu ist der sen haben und ihren Auftrag im Rahmen der ihnen gege- ständige Kontakt zu den Verantwortlichen im Libanon benen Möglichkeiten gut und professionell erfüllt haben. erforderlich. Sie haben gerade in der vergangenen Wo- Die Art und Weise ihres Auftretens findet Respekt und che gesehen, dass der Ministerpräsident des Landes, Anerkennung. Dafür verdienen die Soldatinnen und Sol- Ministerpräsident Siniora, erneut zu politischen Gesprä- daten unser aller Dank. chen mit der Bundeskanzlerin und allen Ministern, die mit dem Libanon zu tun haben, nach Berlin gekommen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist. der CDU/CSU und der SPD) Der Sicherheitsrat hat am 24. August das Mandat von Die große Mehrheit der FDP-Bundestagsfraktion UNIFIL unverändert für ein weiteres Jahr verlängert. wird auch heute dem Mandat nicht zustimmen. Dafür Wir bleiben auf Sicht für die Erfüllung der Umsetzung gibt es vier zentrale Gründe. der Resolution 1701 unentbehrlich. Dies ist die Auffas- Erstens. Die Bundesregierung muss die Priorität end- sung der Vereinten Nationen. Sie sind mit der Bitte um lich wieder auf politische Bemühungen legen. Wir er- unseren Einsatz bei der Leitung der maritimen Taskforce kennen an, dass im Laufe des letzten Jahres das Nahost- auf uns zugekommen. Ich glaube, ich muss in diesem quartett wiederbelebt wurde, Herr Minister Steinmeier. Hause nicht erläutern, warum wir in dieser Region in ei- Aber es ist festzustellen, dass die Initiativen hinter den ner gesteigerten Verantwortung stehen. Die Menschen Erwartungen zurückblieben. Ziel muss ein politischer im Libanon und im Nahen Osten erwarten, dass wir die- Friedensprozess für den Nahen Osten sein, der der mehr- ser gesteigerten Verantwortung entsprechen. dimensionalen Konfliktstruktur gerecht wird. Aber wir Ich darf Sie deshalb nicht nur einfach um Zustim- sind von einer Idee eines Prozesses analog dem KSZE- mung bitten – das tue ich hiermit –, sondern ich drücke Prozess, den wir aus der Vergangenheit kennen, jetzt auch meine Hoffnung aus, dass die Zustimmung noch weiter entfernt als vor einem Jahr. breiter wird, als sie bei den bisherigen UNIFIL-Abstim- (Beifall bei der FDP) mungen war. Wie hat sich die Lage in der Region entwickelt? Für Herzlichen Dank. den Frieden in der Region spielen die Palästinenser eine (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie Schlüsselrolle. Hier hat sich die Situation eher ver- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE schlechtert. Wir beobachten eine Spaltung in Westjor- GRÜNEN) danland und Gaza-Streifen. Es ist festzustellen, dass dies auch das Ergebnis einer falschen Politik im letzten Jahr (B) (D) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ist. Jetzt ist Birgit Homburger für die FDP-Fraktion an Die Anzahl der Anschläge im Libanon hat wieder zu- der Reihe. genommen, und die politische Lage vor der Präsident- (Beifall bei der FDP) schaftswahl ist schwieriger geworden. Es gibt immer noch keine Fortschritte bei der Lösung der Grenzkon- flikte. Über eine Entwaffnung der Hisbollah wird gar Birgit Homburger (FDP): nicht mehr gesprochen. Wir müssen im Gegenteil fest- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! stellen, dass in den vergangenen zwölf Monaten mit ho- Europa hat ein vitales Interesse an Stabilität im Nahen her Wahrscheinlichkeit eine umfangreiche Ergänzung und Mittleren Osten. Seit einem Jahr ist die deutsche oder sogar Aufstockung des Waffenarsenals der Hisbol- Marine im Rahmen der Maritime Taskforce an der Küste lah stattgefunden hat. Das ist nicht hinnehmbar. des Libanon im Einsatz. Als die große Mehrheit der FDP-Bundestagsfraktion vor einem Jahr entschieden (Beifall bei der FDP – Gert Weisskirchen hat, gegen eine militärische deutsche Beteiligung zu [Wiesloch] [SPD]: Und was machen Sie jetzt stimmen, haben wir auch sehr deutlich gemacht, dass die dagegen? Was ist Ihr Vorschlag?) zugrunde liegende UN-Resolution 1701 unsere Unter- Hat dieser militärische Beitrag zu mehr politischem stützung findet. So gilt auch heute, dass die Folgeresolu- Gewicht geführt? Ich möchte an zwei Beispielen deut- tion 1773 der UN von uns begrüßt wird. lich machen, dass das nicht der Fall ist. Schauen Sie sich Die Frage ist also nicht: UNIFIL, ja oder nein? Die zum einen das Verhalten Israels an. Die Israelis führen Frage lautet, ob es richtig und klug ist, den deutschen permanent Überflüge über den Libanon durch, obwohl Beitrag vor allem militärisch zu erbringen. Der Einsatz sie wissen, dass das die Regierung Siniora auf jeden Fall von Militär ist nur das letzte Mittel von Politik, er darf nicht stärkt. Sie lassen sich nicht davon abbringen, ob- aber Politik nie ersetzen. wohl ihr Vorgehen gegen die UN-Resolution verstößt. Nehmen Sie zum anderen die Situation im Libanon. (Beifall bei der FDP) Ohne Zweifel arbeiten wir hervorragend mit der Regie- Ich möchte noch ein Zweites direkt zu Beginn deut- rung Siniora zusammen. Dennoch wird man bei den ent- lich machen. Die deutsche Marine hat einen Auftrag er- scheidenden innerlibanesischen Konfliktpunkten nicht halten, dessen Wirksamkeit aufgrund mangelhafter Rah- weiterkommen, wenn man nicht auch die Hisbollah, die menbedingungen von Beginn an zweifelhaft war. Wir einen Gutteil der libanesischen Bevölkerung repräsen- sagen aber ebenso klar, dass die Soldatinnen und Solda- tiert, dazu bringt, den politischen Prozess konstruktiv zu 11560 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Birgit Homburger (A) begleiten. Hier herrscht nicht Fortschritt, sondern Blo- dass die UNIFIL-Marine, speziell die Bundeswehr, see- (C) ckade. seitig ganz wesentlich zur Stärkung der libanesischen Souveränität beiträgt? Teilen Sie die Einschätzung, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ein Abzug der Bundeswehr aus der UNIFIL-Marine die der LINKEN) seeseitige Absicherung dieser UN-Mission zum Einsturz Zweitens. Wir sehen nicht, dass ein Aufeinandertref- bringen und damit gleichzeitig die für den Waffenstill- fen zwischen israelischen und deutschen Soldaten ausge- stand entscheidende UN-Friedensmission gefährdet schlossen werden kann. Unsere Befürchtungen wurden würde? vor einem Jahr in diesem Parlament harsch zurückge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wiesen. Kurz nach Beginn des Einsatzes gab es die ers- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ten Zwischenfälle. Obwohl es einen sogenannten kurzen der SPD) Draht mit der israelischen Regierung gibt, hat es weitere Zwischenfälle in diesem Jahr gegeben. Dieser kurze Birgit Homburger (FDP): Draht funktioniert nicht. Auch das bestätigt unsere Zweifel. Herr Kollege Nachtwei, die ursprüngliche Entschei- dung liegt jetzt ein Jahr zurück. Ich möchte eines sehr Drittens. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen deutlich zum Ausdruck bringen: Dieser Einsatz hat in hat am 26. Juni einen Bericht einer unabhängigen Exper- der Tat dazu beigetragen, dass die Seeblockade vor der tenkommission vorgestellt, die zu der Einschätzung Küste des Libanon beendet worden ist. Wir müssen uns kommt, „dass der gegenwärtige Stand der Grenzsicher- doch aber fragen, welchen Fortschritt es gibt. Wenn man heit nicht ausreicht, um Schmuggel, insbesondere Waf- militärische Mittel einsetzt, dann muss es immer auch fenschmuggel, auch nur ansatzweise zu verhindern“. auf politischer Ebene intensive Bemühungen geben; Warum sollte also jemand den Versuch machen, auf dem denn nur mithilfe intensiver politischer Bemühungen Seewege Waffen zu schmuggeln, wenn die Landseite of- können in diesem Friedensprozess Fortschritte erreicht fen ist wie ein Scheunentor? werden. Diesbezüglich haben wir im Laufe des vergan- genen Jahres Defizite festgestellt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Kollege Nachtwei, Sie haben gefragt, ob ich der Meinung bin, dass ein Rückzug der Bundeswehr zum Viertens. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie Zusammenbruch der Mission führen würde. Ich teile die Zahl der Fregatten und Schnellboote zwar reduzie- diese Einschätzung nicht. Vor einem Jahr war eine ganze ren, die Aufgabe aber mit diesem modifizierten Kräfte- Reihe von europäischen Partnern bereit, die Sicherung einsatz erfüllen will. Die Einschätzung der Marine vor der Seeseite zu übernehmen. Sie kennen die Gründe (B) Ort ist eindeutig – das wurde bei einem Besuch klar –: ganz genau, die dazu geführt haben, dass die deutsche (D) Damit kann die bisherige Qualität der Sicherung der Seite diese Aufgabe übernommen hat. Das Mandat war Seeseite nicht mehr gewährleistet werden. Zum Scheu- ursprünglich auf zwölf Monate begrenzt, soll jetzt aber nentor auf der Landseite kommen also Lücken auf der fortgesetzt werden. Ich glaube, wir sollten mit unseren Seeseite hinzu. Das ist vollkommen kontraproduktiv. Partnern intensive Gespräche darüber führen und fragen, wer bereit wäre, einen solchen Beitrag zu leisten. Es gibt (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Wollen Partner, die dazu bereit wären. Die Bundesregierung Sie jetzt die Landseite schließen?) muss natürlich einen entsprechenden Versuch unterneh- Wer von uns im Libanon unterwegs ist, erfährt vor al- men. lem Dank für die bilaterale nichtmilitärische Hilfe; der (Beifall bei der FDP) Aufbau einer eigenständigen Grenzsicherung im Liba- non wurde bereits angesprochen. Acht Grenzbeamte und Wir wollen den Aufbau einer eigenständigen Grenz- Polizisten sind zurzeit entsandt. sicherung im Libanon. Die libanesische Regierung soll in die Lage versetzt werden, selbst für Sicherheit und Vizepräsidentin : Ordnung zu sorgen und die Grenzen zu sichern. Hierzu können wir einen ganz hervorragenden Beitrag leisten. Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Wir wollen, dass unser diesbezüglicher Beitrag aufge- stockt bzw. ausgebaut wird. So können wir dazu beitra- Birgit Homburger (FDP): gen, dass eine dauerhafte Friedenslösung gefunden wird. Ja, bitte. (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Und deswegen sagen Sie Nein? Merkwürdige Vizepräsidentin Petra Pau: Logik!) Bitte. Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Ohne ausreichende politische Flankierung wird die UNIFIL- Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mission zu einem Endloseinsatz ohne Perspektive. Des- Frau Kollegin Homburger, teilen Sie, abgesehen von halb muss die Bundesregierung die politischen Anstren- der Kritik und den Bedenken, die Sie richtigerweise ge- gungen forcieren. Das würde auch unserem gemeinsa- äußert haben, unsere Erkenntnis, dass die UNIFIL-Ma- men Ziel dienen, die Existenz Israels in sicheren rine die entscheidende Voraussetzung dafür war, dass die Grenzen zu gewährleisten. israelische Seeblockade vor der libanesischen Küste auf- gehoben werden konnte? Teilen Sie unsere Erfahrung, Vielen Dank. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11561

Birgit Homburger (A) (Beifall bei der FDP sowie des Abg. untersucht worden. Die Zusammenarbeit mit dem Liba- (C) Dr. Norman Paech [DIE LINKE] – Gert non ist hervorragend. Ich kann mich noch erinnern, wel- Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Arme FDP, che Bedenken damals vorgetragen worden sind. Die Zu- Herr Westerwelle! – Gegenruf des Abg. sammenarbeit auch und gerade mit den libanesischen Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Hat Ihnen je- Kräften funktioniert, wie ich finde, in einer hervorragen- mand etwas in den Nachmittagstee getan, oder den Art und Weise. Auch die Ausbildung, die von unse- was ist los?) rer Seite gewährleistet wird, ist auf einem sehr guten Weg, sodass man von einer Stabilisierung der Region Vizepräsidentin Petra Pau: und damit einer Stärkung der Souveränität des Libanon Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, sprechen kann. Dr. Franz Josef Jung. Wir leisten mit unserem Einsatz auch einen aktiven Beitrag für den politischen Friedensprozess. Denn letzt- Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidi- lich muss dieser Prozess, der durch die Frage nach der gung: Qualität und anderem eingeleitet worden ist, abgesichert Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und werden, damit auch in Zukunft die Waffen schweigen. Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 20. Sep- Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat Ende tember des letzten Jahres hat der Deutsche Bundestag August beschlossen, das Mandat um ein Jahr zu verlän- dem Einsatz der Bundeswehr vor der Küste des Libanon gern. Wir haben ebenfalls vor, es um ein Jahr zu verlän- im Rahmen des UNIFIL-Mandates zugestimmt. Dem gern. Es ist zutreffend: Wir haben die Führung der sind kritische Diskussionen vorausgegangen. Dies war Maritime Task Force, die hier sehr erfolgreich operiert. – ich denke, das hat jeder ein Stück so empfunden – eine Es waren die Vereinten Nationen, die an uns die Bitte ge- historische Entscheidung. Wenn man nach einem Jahr richtet haben, die Führung der Maritime Task Force bis Bilanz zieht, kann man sagen, dass dies eine richtige zum 29. Februar des nächsten Jahres zu übernehmen. Entscheidung war. Der Einsatz, den die Bundeswehr vor Wir haben eindeutig signalisiert, dass wir diesen Beitrag der Küste des Libanon zur Gewährleistung und Durch- leisten wollen. setzung des Waffenstillstands geleistet hat, war erfolg- reich. Deshalb ist es sinnvoll, heute der Verlängerung Wir wollen aber auch unsere Unterstützung bei der des Mandats zuzustimmen. Ausbildung und Ausrüstung der libanesischen Kräfte (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- fortsetzen. Sie wissen, wir haben hier geholfen, indem neten der SPD) wir zwei Polizeiboote, Küstenradar und zur Grenzsiche- rung beispielsweise Durchleuchtungstechnik bereitge- (B) Es wurde das Verhältnis zu Israel angesprochen. Ich stellt haben. Im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau (D) will daran erinnern, dass der Staat Israel diesen Einsatz ist eine Unterstützung in Höhe von 105 Millionen Euro sehr begrüßt. Im Übrigen empfinde ich es als sehr posi- geleistet worden. tiv – auch aus historischer Perspektive –, dass 73 Prozent der Bevölkerung Israels den Einsatz der Bundeswehr Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland hat in ver- dort gewünscht haben. Das zeigt meines Erachtens, wel- schiedenster Art und Weise zur Stärkung der Souveräni- ches Vertrauen die Bundeswehr sich dort zwischenzeit- tät des Libanon beigetragen. Davon konnte sich das Par- lich erobert hat. lament letzte Woche überzeugen, als Ministerpräsident Siniora deutlich seinen Dank für die Unterstützung, die Ich habe vor allem an die FDP-Fraktion, die ihre Ar- geleistet wird, aber auch seine Bitte zum Ausdruck ge- gumente gerade vorgetragen hat, die herzliche Bitte, ihre bracht hat, in Zukunft entsprechende Unterstützung, zum Position noch einmal zu überdenken. Denn eines ist Beispiel bei der Ausbildung, zu gewähren. wahr – dabei ist es zutreffend, dass die Streitkräfte nicht diejenigen sind, die eine politische Lösung herbeifüh- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren –: Wenn die Waffen nicht schweigen, gibt es keine neten der SPD) Chance, eine politische Lösung herbeizuführen. Deshalb Meine Damen und Herren, an der Maritime Task ist es im Hinblick auf die Gewährleistung des Waffen- Force sind vier Nationen beteiligt: Deutschland, Grie- stillstandes, im Hinblick auf die Souveränität des Liba- chenland, die Niederlande und die Türkei. Wir haben non und im Hinblick auf die Möglichkeit einer politi- signalisiert, dass wir den Umfang unseres Beitrags aus schen Lösung sinnvoll, dass der UNIFIL-Einsatz unserer Sicht reduzieren könnten. Darüber wird die fortgesetzt wird, um Seesicherheit herzustellen und ei- Truppenstellerkonferenz entscheiden; denn das ist Auf- nen Waffenstillstand auch in Zukunft zu gewährleisten. gabe der Vereinten Nationen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Frau Homburger, ich kann Sie beruhigen: Auch in Zu- kunft wird eine solche Einsatztruppe dort sein, die die Unsere Erfolge sind erstens die nachhaltige Absiche- Sicherheit voll und ganz gewährleistet und keine Lücken rung der Waffenruhe, zweitens die Aufhebung der israe- zulässt; denn sonst hätten wir unseren Auftrag nicht er- lischen Seeblockade, drittens die Unterbindung von füllt. Das wird in Abstimmung mit den Vereinten Natio- Waffenschmuggel über See und damit viertens die Her- nen geschehen. Wir können die Obergrenze des im stellung von Seesicherheit. Wir haben 9 200 Schiffe ab- Rahmen des Gesamtmandats bereitgestellten Personals, gefragt. Durch die libanesischen Kräfte sind 36 Schiffe die auf 2 400 Soldatinnen und Soldaten ausgerichtet war, 11562 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Bundesminister Dr. Franz Josef Jung (A) auf 1 400 Soldatinnen und Soldaten reduzieren. Auch Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir (C) dann können wir unseren Auftrag weiterhin erfüllen. im östlichen Mittelmeer militärisch präsent. Wofür ei- gentlich? Die Waffenlieferungen – das haben Sie selbst Ich bitte das Parlament um Zustimmung zur Fortset- eingeräumt – kommen über das Land und nicht über die zung dieses Mandats. Denn damit leisten wir einen Bei- See. Sie haben inzwischen ein solches Ausmaß ange- trag zur Stabilität und friedlichen Entwicklung im Nahen nommen, dass sich die Führung der Hisbollah heute rüh- Osten. Ich denke, dass unsere Soldatinnen und Soldaten men kann, die gleiche militärische Qualität und Schlag- für den Beitrag, den sie zur Sicherung von Stabilität und kraft erreicht zu haben wie vor dem Krieg. Frieden im Nahen Osten leisten, erstens unseren Dank und zweitens unsere politische Unterstützung verdient Werten Sie es ruhig als Erfolg, dass bisher nichts pas- haben. siert ist. Sollte es aber einmal zu einer Konfrontation mit Besten Dank. israelischen Soldaten kommen – Frau Homburger hat darauf angespielt –, so sind unsere jungen Soldaten völ- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lig damit überfordert, diese schwierige Situation, die neten der SPD) auch bei uns sehr viele Zweifel und Unsicherheiten her- vorgerufen hat, zu meistern. Wir haben nicht das Recht, Vizepräsidentin Petra Pau: sie in eine solche Situation zu bringen. Das Wort hat der Kollege Dr. Norman Paech für die (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Fraktion Die Linke. Winkelmeier [fraktionslos]) (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Derzeit herrscht an der Nordgrenze Israels eine trüge- Winkelmeier [fraktionslos]) rische Ruhe, die jederzeit in eine neue militärische Kon- frontation umschlagen kann. Ich erinnere nur an die Pro- Dr. Norman Paech (DIE LINKE): bleme im Hinblick auf die Scheba-Farmen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für die Abgeordneten der Regierungsfraktio- Vizepräsidentin Petra Pau: nen ist der deutsche Beitrag zum UNIFIL-Mandat, also zum Militäreinsatz, offenbar ein Erfolg. Das kann man Kollege Paech, gestatten Sie eine Zwischenfrage der so sehen, wenn man sich darauf beschränkt, festzustel- Kollegin Müller? len, dass es offensichtlich keinen Waffenschmuggel von der See aus gegeben hat und dass bisher zum Glück auch Dr. Norman Paech (DIE LINKE): keine Toten zu beklagen sind. Gerne. (B) (D) (Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist doch schon mal etwas!) Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Doch wenn man genauer hinsieht, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Sache etwas anders aussieht. Herr Kollege Paech, da eines Ihrer Gegenargumente darin begründet ist, dass Sie angeblich israelische Inte- Wir haben dieses Mandat vor einem Jahr aus zwei ressen vertreten wollen – Sie sagten, dass sich dieses Gründen abgelehnt: Mandat nicht mit unserem Verhältnis zu Israel verträgt –, frage ich Sie: Wie verträgt sich dieses Argument damit, Erstens. Unsere furchtbare Geschichte und unsere dass eine große Mehrheit der israelischen Bevölkerung daraus erwachsende Verantwortung verpflichten uns und vor allen Dingen führende Politiker Israels begrü- zwar, die Existenz Israels zu garantieren und zu sichern. ßen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland – und Gleichzeitig verbieten sie es uns aber, in dieser Region zwar gerade die Bundesrepublik Deutschland – in Anbe- militärisch aufzutreten. tracht ihrer Geschichte und ihrer Verantwortung für die- (Beifall bei der LINKEN) sen Konflikt am UNIFIL-Einsatz beteiligt? Ist Ihnen das überhaupt bekannt? Dieser Ansicht sind wir heute noch.

Zweitens. Wir haben die mangelnde Neutralität des Dr. Norman Paech (DIE LINKE): Mandats kritisiert: Es wird zwar versucht, die Waffenlie- Frau Müller, das ist mir durchaus bekannt. Aber kann ferungen in den Libanon zu unterbinden, aber gleich- das nicht genau an dem liegen, was wir kritisieren? Kann zeitig werden die ungehemmten Waffenlieferungen an es nicht daran liegen, dass das Engagement der Bundes- Israel ignoriert. Das kritisieren wir heute noch. republik sehr einseitig, nur zugunsten Israels, ist? Es gibt (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert zum Beispiel keine Stationierung von Truppen in Israel Winkelmeier [fraktionslos]) so wie im Libanon, was sich letztlich auf die libanesi- sche Grenze auswirkt. Kann es sein, dass man diese Nun kommt ein dritter Punkt hinzu, den wir schon da- Einseitigkeit durchaus begrüßt und es ablehnt, dass ein mals vorhergesagt haben: Der Marineeinsatz ist voll- neutrales Mandat wahrgenommen wird? Das ist offen- kommen überflüssig und nutzlos. Er ist schlichtweg fehl sichtlich der Hintergrund. am Platz; so lautet, wie Sie wissen, auch das Urteil der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dieser Einsatz ist (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert reine Symbolpolitik. Winkelmeier [fraktionslos]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11563

Dr. Norman Paech (A) Ich komme noch einmal auf die Grenzen im Norden schen Volkes repräsentiert wird? Was ist von einer Kon- (C) zurück. Die Probleme mit den Scheba-Farmen und den ferenz zu erwarten, von der Staaten wie Syrien und der Golanhöhen sind überhaupt nicht gelöst. Iran und natürlich die Hamas ausgeschlossen werden sollen? Vizepräsidentin Petra Pau: Historisch gesehen sind jede Verhandlung und jede Kollege Paech, gestatten Sie eine weitere Zwischen- Konferenz, auf der das palästinensische Volk nicht in frage? seiner Gesamtheit und durch seine gewählten Vertreter (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Leute, habt ihr repräsentiert worden ist, gescheitert. Das wird auch dies- kein Zuhause?) mal nicht anders sein. Meines Erachtens verbauen Sie mit dieser Politik nicht nur den Weg zu einem palästi- nensischen Staat, sondern provozieren geradezu eine Dr. Norman Paech (DIE LINKE): humanitäre Katastrophe im Gazastreifen, die nichts an- Bitte sehr. deres als immer mehr Gewalt und Terror hervorrufen kann. Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Kollege Paech, ich habe soeben mit großem Interesse Ich darf Sie daran erinnern, dass im jüngsten Bericht Ihre Einschätzung gehört, dass das Mandat ausschließ- der UNO-Konferenz für Handel und Entwicklung die lich Israel dient und sehr einseitig ist. Wie vereinbaren Boykottpolitik des Nahostquartetts ausdrücklich dafür Sie mit dieser Position die Haltung der libanesischen Re- verantwortlich gemacht worden ist, dass Armut und gierung sowie Aussagen aus dem gesamten politischen Elend in einem ungeheuren Ausmaß in Gaza und unter Spektrum des Libanon – bis hin zur Hisbollah –, die den den Flüchtlingen grassieren. Dafür sind auch Sie verant- Einsatz der Bundeswehr, also den maritimen Teil von wortlich. UNIFIL, ausdrücklich unterstützen, weil er eine positive Deshalb fordern wir zum Schluss: Holen Sie diese Auswirkung auf die Stabilisierung des Einsatzgebiets überflüssigen Schiffe zurück und werden Sie endlich po- hat? Wie passt das mit Ihrer Bewertung eines einseitig litisch aktiv für den Frieden im Nahen Osten! auf Israel ausgerichteten Einsatzes der Bundeswehr zu- sammen? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Konkret heißt das: Beenden Sie den Boykott und die sowie bei Abgeordneten der SPD) Blockade einer gewählten Regierung und verhindern Sie die Eskalation von Armut, Elend und Gewalt in Gaza! (B) Dr. Norman Paech (DIE LINKE): (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) (D) Mit solchen Einschätzungen, die uns von der Presse Sorgen Sie dafür, dass alle Kräfte und alle Staaten dieser übermittelt werden, ist das so eine Sache. Region an den kommenden Gesprächen und Verhand- (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ lungen beteiligt werden! DIE GRÜNEN) Nur eine solche Politik wird die Chance für Frieden Wer sagt uns eigentlich, dass es stimmt, dass die Hisbol- im Nahen Osten eröffnen. Dann werden wir Sie unter- lah damit zufrieden ist? Zweitens könnten auch die abso- stützen – aber bei Anträgen wie den vorliegenden nicht. lute Nutzlosigkeit, Harmlosigkeit und Sinnlosigkeit des Einsatzes der dort kreuzenden und dahindümpelnden Danke sehr. Fregatten zu der Aussage geführt haben, dass sie nicht (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert schaden und deshalb bleiben können. Vielleicht ist das Winkelmeier [fraktionslos] – der Hintergrund. [CDU/CSU]: Könnt ihr nicht ein paar Frie- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert denstauben hinschicken?) Winkelmeier [fraktionslos]) Vizepräsidentin Petra Pau: Ich komme zum Kernproblem zurück, das schon an- Das Wort hat der Kollege Jürgen Trittin für die Frak- gesprochen worden ist. Dieses betrifft nicht nur die tion Bündnis 90/Die Grünen. Nordgrenzen Israels, also die Golanhöhen bzw. Syrien, sondern vor allem den Palästinakonflikt, bei dem es um (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ die Errichtung eines separaten und lebensfähigen palästi- DIE GRÜNEN) nensischen Staates geht. Sie werden jetzt einwenden, dass es Gespräche zwischen Abbas und Olmert geben Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wird Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Nicht kann man nicht machen: Man kann sich nicht zur UN- nur wird! Es gibt sie!) geleiteten multilateralen Außenpolitik bekennen und dann in jedem praktischen Fall sagen: War nicht so ge- und dass dazu demnächst eine internationale Konferenz meint – das ist einseitig. in Washington stattfinden wird. Eine solche Konferenz haben auch wir immer gefordert. Doch was sind Gesprä- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, che wert, bei denen kaum die Hälfte des palästinensi- bei der CDU/CSU und der SPD) 11564 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Jürgen Trittin (A) Man kann auch nicht so tun, als wenn ein UN-Mandat (Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Ich habe recht (C) wie das UNIFIL-Mandat aufgeteilt werden könnte nach behalten!) dem Motto: „Uns interessiert nur der Seeeinsatz, und den kritisieren wir“, und nicht merken, dass man dabei dass Sie sich damals geirrt haben, und Ihr Verhalten zu den UNIFIL-Einsatz als solchen infrage stellt. ändern. Das wäre politische Führung und Politikfähig- keit gewesen. Ich sage an dieser Stelle: Dieser Einsatz war ein Er- folg. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der SPD) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD) Am kommenden Samstag demonstriert die Linke un- ter dem Motto – das sie als links versteht –: „Bundes- Er war ein Erfolg, weil er den Krieg beendet hat. Wenn wehr raus aus Afghanistan“, ich an diesem Einsatz etwas zu kritisieren habe, dann, dass dieses Mandat nicht nach drei Tagen Krieg, sondern (Beifall bei der LINKEN) erst nach drei Wochen Krieg in Kraft getreten ist; aber einer sehr falschen Parole. Aber sind Sie von der FDP das ist zurzeit mein einziger Kritikpunkt an diesem Ein- denn besser mit Ihrer Forderung, dem UNIFIL-Mandat satz. Alles andere ist erst einmal gelungen: Der Krieg ist nicht zuzustimmen und die Bundeswehr von der libane- beendet. Die Seeblockade ist aufgehoben. Zum ersten sischen Küste abzuziehen? Ich finde, nicht. Mal seit über 20 Jahren führen nicht mehr Milizen vom Süden des Libanon aus Krieg gegen Israel, zum ersten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mal seit 20 Jahren steht dort eine reguläre libanesische sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Armee. der SPD) Deswegen sage ich: Dieser Einsatz ist ein Erfolg. Ist An dieser Stelle sind Sie und die Linke genauso wenig es kein Erfolg, wenn wir heute erfahren, dass der Groß- politikfähig. teil der dort verschossenen Streumunition viel schneller Ich sage das auch, weil ich von der Bundesregierung als ursprünglich geplant geräumt wird? All dies ist eines nach wie vor erwarte: Diese förmlich katatonische UNIFIL. Bei allen Problemen – die Geiselnahme ist Lähmung, die die Bundesregierung nach der Verabschie- nicht beendet, der Gefangenenaustausch nicht geklärt; dung des UNIFIL-Mandats überkommen hat, muss über- ich erinnere an die von Frau Homburger zu Recht ange- wunden werden. Es kann doch nicht sein, dass Sie alle sprochenen Überflüge, zu denen sich die Bundesregie- Aktivitäten, die Sie bisher unternommen haben – zum rung, wie ich finde, viel zu leise verhält – muss man un- (B) Beispiel in der Auseinandersetzung um die Gebietsan- (D) ter dem Strich festhalten: Gemessen an dem Mandat, das sprüche und in der Frage, wie die innerlibanesische Ver- der Sicherheitsrat erteilt hat, ist UNIFIL ein Erfolg. fassungskrise überwunden werden kann –, einfach an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Nahostquartett delegieren. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die libanesische Regierung ist eine gewählte Regie- der SPD) rung. Herr Siniora genießt unser aller Respekt auch für Das sollte doch zu denken geben! seinen persönlichen Mut. Wir müssen aber an dieser Stelle auch die Kraft haben, klarzumachen, dass der Ver- Natürlich stimmt es, dass die Milizen wieder aufge- fassungskonsens des Libanon darauf beruht, dass alle rüstet haben – übrigens nicht nur die Hisbollah. Aber ist Volksgruppen an der Gestaltung des Landes zu beteili- das ein Argument, die seeseitige Absicherung aufzuge- gen sind. Dabei erwarte ich von Ihnen – das hätte ich ben? Ist das nicht vielmehr ein Argument, die Bundesre- auch von der EU-Präsidentschaft erwartet – energische gierung dafür zu kritisieren, dass die Durchführung Initiativen, um die bestehende Verfassungsblockade zu dieses hochgelobten Grenzprojektes, Herr Bundesaußen- durchbrechen. Eine Grundvoraussetzung dafür ist, dass minister, leider monatelange Verspätung hat, weil Sie das Ziel der Entwaffnung aller Milizen im Libanon und sich innerhalb der Regierung – zwischen dem Innen- und die Herstellung des politischen Gewaltmonopols tatsäch- dem Finanzministerium – nicht einigen konnten? Ist das lich durchgesetzt werden können. Stattdessen haben Sie nicht eher Anlass dafür, an dieser Stelle Druck auf die sich auf eine mehr oder weniger einseitige Parteinahme Bundesregierung auszuüben, anstatt sich vor der Zustim- konzentriert. mung zur seeseitigen Absicherung zu drücken, wie Sie von der FDP es tun? Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kollege Trittin, Sie müssen bitte zum Schluss kom- sowie bei Abgeordneten der SPD) men. Herr Westerwelle, Sie haben in der letzten Debatte über diesen Einsatz die Befürchtung geäußert, dass ins- Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): besondere die Gefahr einer Konfrontation zwischen Das Militär kann dieses Problem nicht lösen. Wenn deutschen Soldaten und Israelis bestehe. Jetzt, ein Jahr Sie sich von UNIFIL verabschieden, dann werden Sie später, hätten Sie eigentlich die Traute, die Kraft haben keine Sicherheitskonferenz wie die KSZE und keine müssen, einzuräumen, dass Ihre Befürchtungen nicht politische Lösung zustande bringen; vielmehr riskieren eingetreten sind, Sie einen Rückfall in ein erhebliches Sicherheitspro- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11565

Jürgen Trittin (A) blem. Umgekehrt gilt, dass UNIFIL nur dann ein Erfolg Bunker flüchten. Das hat auch etwas mit unserem Enga- (C) werden wird, wenn die Bundesregierung ihre Zurückhal- gement zu tun. Ich finde, dass es der Opposition gut zu tung in der Frage, das Ganze in einem politischen Pro- Gesicht stehen würde, das in aller Klarheit und Konse- zess zu begleiten, endlich überwindet. quenz einzugestehen. Vielen Dank. Ich habe die Anträge gelesen. Für meine sozialdemo- kratische Fraktion ist es ein Grundprinzip der Außen- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN politik, militärische Mittel nur als allerletzte Möglichkeit sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und einzusetzen. der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Das ist eine Selbstverständlichkeit. Der Außenminister Bevor ich dem Kollegen Niels Annen für die SPD- steht dafür. Er hat sich in den vergangenen Monaten in- Fraktion das Wort gebe, bitte ich Sie, liebe Kolleginnen tensiv dafür eingesetzt, dass diese militärischen Mittel und Kollegen, dafür zu sorgen, dass wir auch die letzten immer in ein politisches Gesamtkonzept eingebunden beiden Beiträge in dieser Debatte hören und abwägen werden. können, und Gespräche, die dringend geführt werden müssen, vielleicht nach draußen zu verlegen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Der Kollege Niels Annen hat das Wort. Zu dem vorliegenden Entschließungsantrag der FDP kann ich nur sagen – ich habe für meine Partei häufiger (Beifall bei der SPD) in Antragskommissionen zur Vorbereitung von Bundes- parteitagen gesessen –: Wir haben auf solche Anträge Niels Annen (SPD): immer nur draufgeschrieben: erledigt durch Regierungs- Frau Präsidentin, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen handeln. Ich glaube, das trifft es auch hier ganz gut. und Kollegen! Ich denke, es lohnt sich, sich noch einmal (Beifall bei Abgeordneten der SPD) die Bilder vor Augen zu führen, die zur Zeit der Ent- scheidung über das UNIFIL-Mandat die Öffentlichkeit Die große Mehrheit in der libanesischen und der bewegt haben. Der Krieg zwischen Israel und der israelischen Öffentlichkeit ist der Meinung, dass der Hisbollah-Miliz hat ungefähr 2 000 Tote gefordert. Wer Einsatz im Rahmen von UNIFIL – auch der maritime – wie ich vor Ort war und sich dort umgesehen hat, erin- ein Erfolg ist. Gerade weil wir uns als Parlament mit kri- nert sich nicht nur an die geradezu menschenleeren tischen Fragen auseinandersetzen müssen, was den Ein- Städte im Norden Israels, sondern auch an die zerschos- satz von Bundeswehr und deutschen Soldaten insgesamt (B) senen Vorstädte in Beirut und das unendliche Leid, das angeht, müssen wir für unsere Entscheidungen werben. (D) den Menschen damit zugefügt worden ist. Ich sage ganz Wir tragen auch Verantwortung dafür. In diesem konkre- offen: Angesichts einer solchen historischen Entschei- ten Fall können wir darauf hinweisen, dass nicht nur die dung – der Minister hat das richtig gesagt – waren die Regierungen, sondern auch die oppositionellen Kräfte in Bedenken, kritischen Fragen und auch die streitigen Dis- beiden Ländern der Meinung sind, dass es richtig war, kussionen in diesem Hause absolut berechtigt. sich für diesen Waffenstillstand einzusetzen, und dass man dafür auch etwas tun muss. (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) GRÜNEN]) Deutschland hat einen erheblichen Beitrag geleistet; das Aus meiner Sicht ist es auch in Ordnung – auch wenn wurde bereits gesagt. Der Waffenschmuggel über den ich diese Position nicht teile –, festzustellen, dass sich Seeweg konnte effektiv verhindert werden. Über die Erwartungen, die mit unserem Engagement verbun- 9 000 Schiffe wurden kontrolliert und erfasst. Ich den gewesen sind, vielleicht nicht hundertprozentig er- glaube, das ist eine Erwähnung wert. füllt haben. Das mag sein, aber zu dem Privileg einer (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Parlamentsarmee, das es sonst innerhalb Europas nur noch in den Niederlanden gibt, gehört auch, dass es mit Es ist aber auch richtig, dass wir einen langen Atem Leben erfüllt wird. Wenn sich ein Parlament das zur brauchen, gerade wenn es darum geht, in dieser schwie- Aufgabe macht, dann gehört dazu auch, eine ehrliche Bi- rigen Konfliktsituation stabilisierend zu wirken. Ich lanz zu ziehen. finde, Herr Kollege Paech, es ist ein wenig an den Haa- ren herbeigezogen, wenn Sie im direkten Zusammen- In den internationalen Nachrichten finden wir heute hang mit dem UNIFIL-Einsatz der deutschen Marine keine Bilder mehr von kriegerischen Auseinandersetzun- darauf hinweisen, unsere Politik führe dazu, dass ein le- gen zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Liba- bensfähiger palästinensischer Staat nicht durchgesetzt non. werden könne. Sie sollten die Kirche im Dorf lassen. Die (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Hisbollah-Miliz und die Hisbollah-Bewegung, die Parla- Abg. Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE mentarier in das libanesische Parlament entsandt hat, ha- GRÜNEN]) ben sich nicht gegen diesen Einsatz gewehrt, sondern akzeptiert, dass es im Interesse der libanesischen Bevöl- Wir sehen keine Flüchtlingstrecks, zerstörten Vorstädte kerung liegt, zu einer Stabilisierung zu kommen. Ich und Menschen mehr, die sich im Norden Israels in die finde, Sie sollten das zur Kenntnis nehmen. 11566 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Niels Annen (A) Das Stichwort „Hisbollah“ ist genannt worden. Die stand durchgesetzt worden ist und damit das Töten und (C) innenpolitische Situation im Libanon ist extrem insta- der Krieg zumindest bis heute beendet werden konnten. bil. Das Land steht kurz vor Präsidentschaftswahlen. Je- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. der, der sich mit der dortigen Lage auseinandergesetzt Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hat, weiß, dass das innenpolitische Machtgefüge extrem NEN]) kompliziert ist. Ich glaube, dass es richtig ist, wenn die Europäische Union und Deutschland als ein Land, das Das ist ein Argument, das für sich selbst sprechen sollte. nun Verantwortung übernommen hat, offen aussprechen, Deswegen wird meine Fraktion den Antrag der Bundes- dass wir nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung kom- regierung auf Verlängerung dieses Mandates unterstüt- men werden, wenn wir nicht einen Prozess unterstützen, zen, und auch ich bitte um Ihre Zustimmung. der dafür sorgt, dass die schiitische Bevölkerungsgruppe Ich danke für die Aufmerksamkeit. im Libanon eine akzeptable Repräsentanz in diesem Staatswesen erhält, und dass man darüber auch mit den (Beifall bei der SPD) gewählten Vertreterinnen und Vertretern wird reden müssen, also auch mit der Hisbollah, selbst wenn es Vizepräsidentin Petra Pau: nicht leichtfällt. Das Wort hat der Kollege Eckart von Klaeden für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Unionsfraktion. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Wir müssen alle Akteure einbeziehen. Ich sage das auch deswegen, weil in diesem Hause Kritik daran geübt Eckart von Klaeden (CDU/CSU): wurde, dass es in den letzten Monaten Kontakte zur syri- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- schen Regierung gegeben hat. Ich unterstütze mit Nach- gen! Meine Fraktion wird für die Verlängerung des Man- druck den jüngsten Syrien-Besuch der Bundesentwick- dates für UNIFIL stimmen. Die wesentlichen Argumente lungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. sind hier schon genannt worden, sodass ich sie nicht wiederholen muss. Ich will aber darauf hinweisen, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD) meiner Ansicht nach die Argumentation der FDP zu ei- Wir müssen den in der Tat viel zu schwachen Reform- nem Zirkelschluss führt; denn selbstverständlich ist es kräften in der syrischen Gesellschaft eine Alternative möglich, die Gründe, die einen militärischen Einsatz er- bieten und einen Weg aufzeigen. Eine Ausgrenzung forderlich machen, aufzuführen und sie gleichzeitig ge- treibt Syrien – das zeigt sich in vielen unterschiedlichen gen den Einsatz zu wenden. (B) Bereichen – lediglich in eine zunehmend engere Allianz (Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Genau (D) mit dem Iran. Das kann nicht in unserem Interesse lie- so ist das!) gen. Die Analyse, die von Ihnen, Frau Kollegin Homburger, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) vorgetragen worden ist, ist im Wesentlichen richtig: Die Es gibt in der Tat wenig Grund, daran zu zweifeln, Lage ist fragil. Es sind eine ganze Reihe von politischen dass eine Wiederbewaffnung der Hisbollah und der an- Fragen, die Libanon und Syrien bzw. Libanon und Israel deren Milizen über den Landweg – der Kollege Trittin betreffen, bisher ungeklärt. Aber das ist gerade kein hat das bereits erwähnt – zumindest mit Duldung Grund, sich zurückzuziehen, sondern das ist ein Grund, Syriens geschieht. Das ist ein inakzeptabler Verstoß ge- dort zu bleiben, um in dieser fragilen Situation weiter ein gen die UN-Resolution 1701. Deswegen glaube ich, dass Mindestmaß an Stabilität aufrechtzuerhalten, damit wir den Druck auf die Hisbollah und die anderen Milizen überhaupt eine politische Lösung möglich werden kann. aufrechterhalten müssen. Wir müssen die Forderung (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie nach Entwaffnung in den Mittelpunkt rücken und so- der Abg. Margareta Wolf [Frankfurt] [BÜND- wohl die politischen als auch die praktischen Bemühun- NIS 90/DIE GRÜNEN]) gen um eine Absicherung der dortigen Grenze politisch unterstützen. Aber es sagt sich so leicht: Diese Grenze Wenn die Verhältnisse so stabil wären, dass man nach muss abgesichert werden. – Denn, wie wir alle wissen, Ihren Kriterien die Bundeswehr hinschicken könnte, gibt es noch nicht einmal eine Markierung dieser inter- dann können die Schiffe auch gleich in den Häfen blei- nationalen Grenze. Deswegen unterstütze ich die politi- ben. Dann ist nämlich der Einsatz der Bundeswehr ge- schen Bemühungen des Bundesaußenministers, mit den rade nicht notwendig. regionalen Akteuren ins Gespräch zu kommen; denn wir Natürlich kann es sein, dass eine Lage so schwierig wissen, dass es ohne sie nicht gehen wird. ist, so gefährlich ist und so wenig lösbar erscheint, dass (Beifall bei Abgeordneten der SPD) es unverantwortlich wäre, Soldaten hinzuschicken. Aber von einer solchen Situation kann doch vor der Küste des Unter dem Strich ist zu unserem Engagement zu sa- Libanon jetzt nicht ernsthaft die Rede sein. Wenn man gen: Die seeseitige Absicherung hat maßgeblich dazu sich tatsächlich die Frage stellt, welche Abwägung vor- beigetragen, dass die israelische Seeblockade aufgeho- zunehmen ist, dann, so meine ich, gibt es zwei Aspekte, ben worden ist. Die seeseitige Absicherung durch die die zu berücksichtigen sind, gerade wenn es um die Ver- deutsche Marine hat damit maßgeblich dazu beigetra- längerung eines Mandats geht. Erste Frage: Ist das, was gen, dass ein stabiler, bis heute wirksamer Waffenstill- mit dem Mandat beabsichtigt war, jedenfalls zunächst Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11567

Eckart von Klaeden (A) erfüllt? Das ist hier eindeutig der Fall. Es ist nicht weiter einbarungen, die im Rahmen der Vereinten Nationen ge- (C) zu bewaffneten Einsätzen gekommen, und die Wahr- troffen wurden, zu unterstützen. Solange das nicht der scheinlichkeit des Aufflammens von Auseinanderset- Fall ist und solange Sie sich immer wieder gegen klare zungen zwischen Hisbollah und Israel hat sich reduziert. völkerrechtliche Regeln wenden, werden wir darauf hin- Die zweite Frage, die man sich stellen muss, ist: Was ge- weisen, dass mit Ihnen hier kein Staat zu machen ist. schieht, wenn sich die anderen so verhalten, wie wir es Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zu. empfehlen? Für eine Ablehnung einzutreten, weil die weitere Beteiligung anderer gesichert ist, ist doch keine Vielen Dank. verantwortungsvolle Position. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der SPD) Deswegen müssen wir als ein Land, das sich der Durch- setzung des Völkerrechts verpflichtet hat, auch bereit Vizepräsidentin Petra Pau: sein, unseren Beitrag zu leisten, wenn wir dazu in der Ich schließe die Aussprache. Lage sind. Denn das Dilemma des Völkerrechts, der in- Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- ternationalen Gemeinschaft ist nun einmal, dass es kein empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Gewaltmonopol gibt, sondern dass sich immer wieder Drucksache 16/6330 zu dem Antrag der Bundesregie- die Länder, die bereit sind, das Völkerrecht zu akzeptie- rung zur Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deut- ren, zusammenfinden müssen, um es gegebenenfalls ge- scher Streitkräfte im Rahmen der „United Nations Inte- gen diejenigen durchzusetzen, die nicht bereit sind, ihm rim Force in Lebanon“. Der Ausschuss empfiehlt, den zu folgen. Antrag auf Drucksache 16/6278 anzunehmen. Es ist na- mentliche Abstimmung verlangt. Aus diesem Grund Die Argumentation der PDS oder der Linkspartei bitte ich Sie, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimm- – oder wie immer sie sich gerade nennt – schlägt dem karten, die Sie verwenden, tatsächlich Ihren Namen tra- Fass wirklich den Boden aus. Zunächst einmal, Herr gen. Ich bitte außerdem die Schriftführerinnen und Kollege Paech, ist es wirklich nicht der erste Einsatz der Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Marine im Mittelmeer. Wenn Sie sich erinnern mögen: Dies ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Die erste verfassungsgerichtliche Auseinandersetzung drehte sich um einen Einsatz der Marine im Mittelmeer, Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine als nämlich die Küste des ehemaligen Jugoslawien von Stimme nicht abgeben konnte? einer Fregatte beobachtet werden sollte. Auch die Ope- ration „Active Endeavour“ findet seit vielen Jahren im Ich wiederhole meine Frage: Gibt es noch Mitglieder (B) Mittelmeer statt. Diese Argumentation ist wirklich hane- des Hauses, die ihre Stimme nicht abgeben konnten? – (D) büchen und zeigt, wie sehr Ihre Maßstäbe verrückt sind. Das ist nicht der Fall. Dass Sie Waffenlieferungen an den paramilitärischen Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- Arm der Hisbollah, den man mit guten Gründen als ter- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu roristisch bezeichnen kann, auf eine Stufe mit Waffenlie- beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung ferungen an ein Land wie Israel stellen, das ist geradezu wird Ihnen später bekannt gegeben.1) verrückt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schließungsanträge. Damit wir die Abstimmung durch- der SPD sowie der Abg. Kerstin Müller [Köln] führen und das Ergebnis zweifelsfrei feststellen können, [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, die an den wei- teren Beratungen teilnehmen wollen, ihre Plätze einzu- Es zeigt sich wieder, dass die PDS hier eine im nehmen, und die anderen Kolleginnen und Kollegen, die Grunde völkerrechtsfeindliche Fraktion stellt. unaufschiebbare Dinge zu erledigen haben, dies außer- (Beifall des Abg. Dr. Karl A. Lamers [Heidel- halb des Plenarsaals zu tun. berg] [CDU/CSU] – Widerspruch bei Abge- Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungs- ordneten der LINKEN – Volker Schneider antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6331. Wer [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Dümmer geht’s stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Die Gegen- nimmer!) probe! – Die Enthaltungen! – Der Entschließungsantrag Immer wenn es um die Durchsetzung des Völkerrechts ist gegen die Stimmen der Antragsteller bei Enthaltung geht, sind Sie nicht dabei. Sie behaupten jedes Mal, der Fraktion Die Linke abgelehnt. wenn die völkerrechtliche Grundlage eindeutig ist, dass Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- sie nicht vorliegt. Das gilt für den Afghanistan-Einsatz, ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf das gilt für das OEF-Mandat, und das gilt für das ISAF- Drucksache 16/6332. Wer stimmt für diesen Entschlie- Mandat. Selbst wenn Ihnen hier nichts einfällt, suchen ßungsantrag? – Gegenstimmen? – Gibt es Enthaltungen? – Sie nach hanebüchenen Begründungen, um sich nicht zu Das ist nicht der Fall. Damit ist der Entschließungs- beteiligen. antrag gegen die Stimmen der Antragsteller mit den Ich warte auf den Fall, dass Sie einmal – wenigstens Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses abgelehnt. theoretisch – bereit sind, zu skizzieren, wann Sie in der Lage sind, die internationalen Bestimmungen, die Ver- 1) siehe Seite 11570 C 11568 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Wir setzen die Haushaltsberatungen fort und kommen Das ist in der Geschichte unseres Ministeriums dessen (C) nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für höchster Zuwachs. wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Er ist natürlich für unsere Entwicklungszusammenarbeit wichtig; aber vor allen Dingen ist dies ein Beitrag zur (Beifall bei der SPD – Unruhe) Glaubwürdigkeit und Verantwortung unseres Landes; – Frau Ministerin, einen kleinen Moment bitte. Ich denn das, was auf diesem Gebiet investiert wird, sind In- möchte die Kolleginnen und Kollegen, die unaufschieb- vestitionen in eine friedliche, in eine gerechte und ökolo- bare Dinge zu erledigen haben, bitten, das außerhalb des gisch verantwortungsvolle Welt. Saales zu tun und uns die Möglichkeit zu geben, den Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ratungen wieder zu folgen. – Das ist geschehen. der CDU/CSU) Sie haben das Wort, Frau Ministerin. Mit diesem Haushalt übernehmen wir Globalverant- wortung. Wir leisten einen Beitrag zur Umsetzung der Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für Millenniumsentwicklungsziele, damit endlich die welt- wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: weite Armut bekämpft wird. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute hat die indonesische Insel Sumatra Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in unse- wieder Erschütterungen und Erdbeben erleben müssen, rem Lande umgedacht. Aber in globaler Hinsicht weist die hohe Werte auf der Richterskala erreicht haben. Wir uns zum Beispiel das schwedische Friedensforschungs- wissen noch nichts über die einzelnen Schäden, aber wir institut SIPRI darauf hin, dass nur 20 US-Dollar pro wissen, dass viele Gebäude geräumt werden mussten. Kopf der Bevölkerung weltweit heute ausreichten, um Unser Mitgefühl gilt den betroffenen Menschen in dieser alle Millenniumsentwicklungsziele zu verwirklichen, Region, die beim Tsunami schon so viel erleiden muss- dass aber weltweit heute schon wieder 187 US-Dollar ten. Diese Menschen sollen wissen, dass sie sich auf un- pro Kopf der Bevölkerung für Rüstung ausgegeben wer- sere Solidarität in der Not verlassen können. den. Das macht deutlich: Wir müssen weltweit – so, wie wir es auch mit unserem Etat tun – Schwerpunkte setzen, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP, um der Agitationsbasis für Terrorismus und der Armut der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE den Boden zu entziehen. Das machen wir mit unserem (B) GRÜNEN) Haushalt sehr deutlich. (D) Das wollte ich zu Beginn gerne sagen. (Beifall bei der SPD) Wir haben die heutigen Debatten zum Haushalt im- Wir haben in dieser veränderten Welt auch die Verant- mer unter dem Gesichtspunkt geführt, welche globalen wortung, die Menschen und insbesondere junge Men- Umbrüche unsere Welt erlebt. Wir sehen das am Beispiel schen auf Umbrüche vorzubereiten. Deshalb freue ich des Klimawandels. Wir sehen es an den tektonischen mich, dass es uns gelungen ist, unseren entwicklungs- Veränderungen in der Weltwirtschaft; Stichwort: Indien politischen Freiwilligendienst in diesem Haushalt zu und China. Wir sehen, dass es wirklich eine multipolare verankern und damit die Chance zu bieten, dass junge Welt mit entsprechenden Auswirkungen geben wird. Wir Menschen unabhängig von finanziellen Mitteln und dem sehen es an der Globalisierung der Finanzmärkte und de- Geldbeutel ihrer Eltern die Chance haben, bis zu zwei ren Auswirkungen, und wir sehen es auch an den neuen Jahre lang einen entwicklungspolitischen Freiwilligen- Entwicklungen in Afrika. dienst in Entwicklungsländern zu leisten. Demgemäß hat sich die Entwicklungszusammen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten arbeit auf veränderte Verhältnisse einzustellen, und dies der CDU/CSU) hat sie auch getan. Entwicklungszusammenarbeit be- deutet heute nicht nur Nothilfe und Armutsbekämpfung, Das ist eine wunderbare Aufgabe für diese Jugendlichen, sondern Unterstützung von sozialen Reformprozessen die sehr große Zustimmung findet. Die Nachfrage ist und Technologietransfer zur Rettung des Klimas. Ent- überwältigend. Wir wollen diesen Dienst so ausweiten, wicklungszusammenarbeit steht für den Beitrag zu einer dass er mittelfristig mit einem Finanzvolumen von gerechteren globalen Rahmenordnung in der Weltwirt- 70 Millionen Euro bis zu 10 000 Einsatzplätze pro Jahr schaft, den die Kanzlerin heute angemahnt hat. Sie steht möglich macht. Im Rahmen des Freiwilligenprogramms für verantwortliche Regierungsführung, Krisenpräven- „Weltwärts“ ist eine Gemeinschaftsinitiative mit über tion sowie Förderung von Demokratie und Menschen- 200 Nichtregierungsorganisationen, aber auch mit Kom- rechten. munen und privaten Trägern vorgesehen. Wir gestalten keinen staatlichen Dienst, sondern eine Gemeinschafts- Deshalb ist die Entwicklungszusammenarbeit mit initiative. Ich danke allen, die sich auf diese Art und völlig neuen Herausforderungen konfrontiert, und des- Weise in sie einbringen und eingebracht haben. halb hat sie zu Recht in diesem Haushalt auch mehr zu- sätzliche Mittel erhalten. Entsprechend steigt der Um- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fang des Einzelplans 23 um fast 700 Millionen Euro. der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11569

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) Wer sich als Jugendlicher an einem solchen Dienst Wir tragen auch mit dazu bei, dass der ODA-Stufen- (C) beteiligt, der wird niemals zum Rassisten. Auch deshalb plan Jahr für Jahr entschlossen umgesetzt wird. ist es so wichtig, dass wir diese Arbeit engagiert unter- Gleichzeitig wollen wir Investitionen in Afrika stär- stützen. Ich bedanke mich bei allen, die dies in den jetzi- ken. Neben den finanziellen Mitteln, um die es aber gen Haushaltsberatungen tun. nicht allein gehen darf, sind dazu notwendig Transpa- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) renz und Rechenschaftspflichten im öffentlichen Finanz- wesen sowie Transparenz der Rohstoffmärkte gemäß der Wir haben aber auch andere Schlussfolgerungen ge- EITI-Initiative. zogen, nämlich bei G 8 in Richtung auf den Heiligen- damm-Prozess, wobei zum Beispiel Länder wie Brasi- Darüber hinaus unterstützen wir die Verbesserung der lien, China, Indien, Mexiko und Südafrika in die globale regionalen Kooperation Afrikas und fördern den Zugang Verantwortung einbezogen worden sind, um deutlich zu Afrikas zu erneuerbaren Energien sowie die effizientere machen: Die G 8 sind sich nicht selbst genug. Nutzung von Energie. Ich fand es wichtig und gut, dass wir beim G-8-Gipfel Ich will an der Stelle ausdrücklich noch einmal auf die Chancen, die sich in Afrika bieten, deutlich gemacht unsere Entwicklungszusammenarbeit mit China einge- haben. Ich will heute aber auch einen Punkt ansprechen, hen. Heute Morgen hat ja auch Herr Westerwelle diese von dem ich weiß, dass er viele bei uns im Hause so wie wieder einmal angesprochen. Nicht ohne Grund hat der mich bedrückt. So sage ich an dieser Stelle ausdrücklich: Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Wir müssen gemeinsam – die Europäische Union und Jürgen Thumann, der, wie ich glaube, nicht prinzipiell auch die UN – Druck auf den kongolesischen Präsiden- mit der Sozialdemokratie in Verbindung gebracht wer- ten Kabila ausüben, den kann, unsere Entwicklungszusammenarbeit mit China im Handelsblatt mit großem Lob versehen. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin: der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit leistet dabei einen wichtigen Beitrag. Erstens wird China damit er endlich dazu beiträgt, die Gewalt und das Leid, beim Umwelt- und Klimaschutz unterstützt durch das Frauen im Osten des Kongo durch Vergewaltigun- Umweltpolitikberatung, Verbesserung der Energie- gen zugefügt wird, zu beenden. In der letzten Zeit ist es effizienz oder der nachhaltigen Forstwirtschaft. immer wieder deutlich geworden – man konnte es heute Zweitens leistet die Entwicklungszusammenarbeit wieder lesen –, dass dort von allen beteiligten Mili- einen wichtigen Beitrag bei der Stärkung markt- tärgruppen Vergewaltigungen als ein Mittel im Krieg (B) wirtschaftlicher Elemente in China, etwa beim Aus- eingesetzt werden. Dabei handelt es sich nach dem Sta- (D) bau des Rechtssystems und beim Schutz geistigen tut des Internationalen Strafgerichtshofs, Art. 7 und 8, Eigentums. Drittens trägt der entwicklungspoliti- um Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegs- sche Dialog dazu bei, China stärker in die globale verbrechen. Ich fordere daher die kongolesische Regie- Verantwortung einzubinden, auch im Hinblick auf rung auf, diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit das Engagement Chinas auf den Rohstoffmärkten sowie anderen Kriegsverbrechen ein Ende zu machen Afrikas. und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Ich freue mich über diese mit Lob verbundene Einschät- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem zung des BDI-Präsidenten und würde mir ein ähnlich un- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- parteiisches Lob auch von anderen in diesem Hause, die geordneten der FDP und der LINKEN) stattdessen versuchen, parteipolitische Taktik zu ma- Wenn dies nicht endlich geschieht, so ist gemäß seinem chen, wünschen. Statut der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag verpflichtet, gegen die Verantwortlichen in den beteilig- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ten Militärgruppen vorzugehen, so wie er es auch auf- der CDU/CSU – Walter Kolbow [SPD]: Der grund der Geschehnisse in Darfur in den letzten Wochen Mann hat recht! Genau! – Dr. Karl Addicks und Monaten getan hat. Wir dürfen dabei nicht länger [FDP]: Das ist keine parteipolitische Taktik, zusehen, liebe Kolleginnen und Kollegen. sondern eine Frage der Vernunft!) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Der zweite Punkt in Verbindung mit der Verantwor- tung der G 8 betrifft Afrika. Wir haben bei den G-8- Wir halten unsere Versprechen und Zusagen. Bei dem Treffen einen besonderen Schwerpunkt gesetzt, der sich G-8-Treffen haben die G 8 zugesagt, für die Aidsbe- auch in den Beschlüssen niederschlägt: kämpfung, insbesondere in Afrika, 60 Milliarden US- Dollar bis zum Jahr 2015 – die USA wollen das sogar So stehen wir, wie es auch heute Morgen die Kanzle- schon früher erreichen – zur Verfügung zu stellen. Die rin gesagt hat, zu den Verpflichtungen des Gipfels von Bundesregierung hat zugesagt, bis zum Jahr 2015, wenn Gleneagles, der in Heiligendamm bestätigt worden ist, die Millenniumsziele erreicht sein sollen, 4 Milliar- nämlich dazu beizutragen, dass bis zum Jahr 2010 die den Euro für die Bekämpfung von HIV/Aids, Malaria Mittel für Afrika vonseiten der G 8 verdoppelt werden. und Tuberkulose einzusetzen. Das soll auf zwei Wegen Entsprechende Schritte in diese Richtung können wir mit geschehen: Wir werden den hier in zwei Wochen tagen- dem vorliegenden Haushalt auch umsetzen. den Globalen Fonds finanziell unterstützen und die ent- 11570 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (A) sprechenden Mittel aufstocken. Dabei hoffe ich auf die Beispiele auch in Regionen wirkt, die heute noch nicht (C) Unterstützung des Haushaltsausschusses. Außerdem zu den Demokratien zählen oder erst auf dem Weg dahin wollen wir die bilateralen Mittel in diesem Bereich aus- sind. weiten; denn auch das ist eine Frage unserer eigenen Glaubwürdigkeit. Die Tagung des Globalen Fonds ist Ich hoffe auf Ihre Unterstützung und bedanke mich der erste Test für die G 8, ob sie zu ihren Versprechen für diese. Lassen Sie uns gemeinsam diese Werte zum stehen. Dass wir das tun, können wir mit diesem Haus- Ausdruck bringen und sie umsetzen! halt belegen. Dort sind die größten Einzelsteigerungen Vielen Dank. bei den Mitteln für die Aidsbekämpfung und für die Zu- sammenarbeit mit Afrika vorgesehen. Dafür bin ich be- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) sonders dankbar; denn das sind wichtige Aufgaben für uns. Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem Kol- der CDU/CSU) legen Dr. Addicks das Wort gebe, komme ich zurück zum Tagesordnungspunkt 3 und gebe Ihnen das von den Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Entwicklungs- Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb- politik hat durch die globalen Aufgaben ganz neue Zu- nis der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- ständigkeiten bekommen. Das zeigt sich auch in diesem empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Haushalt. Damit bringen wir unsere europäische Ver- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung des Einsatzes antwortung zum Ausdruck. Ich finde, angesichts der bewaffneter deutscher Streitkräfte im Rahmen der Uni- tektonischen Ereignisse, die ich zu Anfang angespro- ted Nations Interim Force in Lebanon bekannt – es han- chen habe, ist der Beitrag Europas wichtig. Er verbindet delte sich um die Drucksachen 16/6278 und 16/6330 –: wirtschaftlichen Erfolg mit den Werten, für die wir ste- Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben 441 Kollegin- hen, und mit einer gerechteren Gestaltung der Globali- nen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben 126 ge- sierung. In diesem Sinne haben wir viele Aufgaben. Ich stimmt, und es gab 4 Enthaltungen. Die Beschlussemp- bin überzeugt, dass die Kraft des Dialogs und der guten fehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Monika Brüning Josef Göppel Volker Kauder Abgegebene Stimmen: 571; Peter Götz Eckart von Klaeden (B) (D) davon Cajus Caesar Dr. Wolfgang Götzer Jürgen Klimke Julia Klöckner ja: 441 Hermann Gröhe nein: 126 Michael Grosse-Brömer Kristina Köhler (Wiesbaden) enthalten: 4 Markus Grübel Manfred Kolbe Thomas Dörflinger Manfred Grund Norbert Königshofen Ja Marie-Luise Dött Monika Grütters Dr. Maria Eichhorn Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Hartmut Koschyk CDU/CSU Dr. Stephan Eisel Guttenberg Thomas Kossendey (Lübeck) Ursula Heinen Dr. Günter Krings Dr. Hans Georg Faust Uda Carmen Freia Heller Dr. Martina Krogmann Jürgen Herrmann Johann-Henrich Dorothee Bär Ingrid Fischbach Krummacher Thomas Bareiß Hartwig Fischer (Göttingen) Ernst Hinsken Dr. Hermann Kues Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Karl A. Lamers Günter Baumann Axel E. Fischer (Karlsruhe- Robert Hochbaum (Heidelberg) Ernst-Reinhard Beck Land) Klaus Hofbauer Andreas G. Lämmel (Reutlingen) Dr. Franz-Josef Holzenkamp Klaus-Peter Flosbach Anette Hübinger Dr. Max Lehmer Dr. Herbert Frankenhauser Hubert Hüppe Dr. Hans-Peter Friedrich Susanne Jaffke (Hof) Dr. Erich G. Fritz Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Michael Luther Jochen-Konrad Fromme Dr. Franz Josef Jung (Altötting) Dr. Maria Böhmer Dr. Michael Fuchs (Konstanz) Wolfgang Meckelburg Hans-Joachim Fuchtel Bartholomäus Kalb Dr. Wolfgang Börnsen Dr. Hans-Werner Kammer Dr. Angela Merkel (Bönstrup) Dr. Jürgen Gehb Steffen Kampeter Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Bernhard Kaster Philipp Mißfelder Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Eva Möllring Dr. Ralf Göbel Schwenningen) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11571

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Dr. Gerd Müller Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Rolf Mützenich (C) Hildegard Müller Dieter Grasedieck Carsten Müller Peter Weiß (Emmendingen) Monika Griefahn (Braunschweig) Gerald Weiß (Groß-Gerau) Heinz Paula Stefan Müller (Erlangen) Gabriele Groneberg Johannes Pflug Bernd Neumann (Bremen) Karl-Georg Wellmann Achim Großmann Joachim Poß Annette Widmann-Mauz Wolfgang Grotthaus Christoph Pries Dr. Georg Nüßlein Klaus-Peter Willsch Wolfgang Gunkel Dr. Wilhelm Priesmeier Franz Obermeier Willy Wimmer (Neuss) Hans-Joachim Hacker Elisabeth Winkelmeier- Dr. Becker Klaus Hagemann Rita Pawelski Dagmar Wöhrl Michael Hartmann Steffen Reiche (Cottbus) Ulrich Petzold Wolfgang Zöller (Wackernheim) Gerold Reichenbach Dr. Willi Zylajew Nina Hauer Dr. Carola Reimann Sibylle Pfeiffer Reinhold Hemker Christel Riemann- SPD Rolf Hempelmann Hanewinckel Dr. Lale Akgün Dr. Barbara Hendricks Niels Annen René Röspel Daniela Raab Ingrid Arndt-Brauer Petra Heß Dr. Stephan Hilsberg Karin Roth (Esslingen) Hans Raidel (Neuruppin) Gerd Höfer Michael Roth (Heringen) Dr. Peter Ramsauer Doris Barnett (Wismar) Marlene Rupprecht Peter Rauen Dr. Hans-Peter Bartels Frank Hofmann (Volkach) (Tuchenbach) (Potsdam) Sören Bartol Eike Hovermann Anton Schaaf Klaus Riegert Sabine Bätzing Klaas Hübner Axel Schäfer (Bochum) Dr. Christel Humme Dr. Franz Romer Lothar Ibrügger Kurt J. Rossmanith Brunhilde Irber (Aachen) Dr. Norbert Röttgen Dr. Johannes Jung (Karlsruhe) Silvia Schmidt (Eisleben) Dr. Christian Ruck (Nürnberg) (Weiden) Johannes Kahrs Heinz Schmitt (Landau) Peter Rzepka Ulrich Kasparick (Erfurt) Anita Schäfer (Saalstadt) Dr. h. c. Susanne Kastner Olaf Scholz Hermann-Josef Scharf (B) Dr. Wolfgang Schäuble Christian Kleiminger Reinhard Schultz (D) Hartmut Schauerte Dr. Hans-Ulrich Klose (Everswinkel) Dr. Klaus Brandner Astrid Klug Swen Schulz (Spandau) Dr. Bernhard Brinkmann Dr. Bärbel Kofler Karl Schiewerling (Hildesheim) Walter Kolbow Dr. Angelica Schwall-Düren Georg Schirmbeck Fritz Rudolf Körper Dr. Martin Schwanholz Marco Bülow Karin Kortmann Christian Schmidt (Fürth) Rolf Kramer Rita Schwarzelühr-Sutter Andreas Schmidt (Mülheim) Dr. Margrit Spielmann (Berlin) Dr. Michael Bürsch Nicolette Kressl Jörg-Otto Spiller Dr. Volker Kröning Dr. Ditmar Staffelt Dr. Ole Schröder Marion Caspers-Merk Dr. Hans-Ulrich Krüger Dieter Steinecke Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Herta Däubler-Gmelin Angelika Krüger-Leißner Andreas Steppuhn Jürgen Kucharczyk Wilhelm Josef Sebastian Martin Dörmann Helga Kühn-Mengel Rolf Stöckel Dr. Carl-Christian Dressel Ute Kumpf Christoph Strässer Kurt Segner Elvira Drobinski-Weiß Dr. Uwe Küster Dr. Peter Struck Bernd Siebert Joachim Stünker Thomas Silberhorn Detlef Dzembritzki Christian Lange (Backnang) Dr. Rainer Tabillion Dr. Jörg Tauss Erika Steinbach Siegmund Ehrmann Waltraud Lehn Jella Teuchner Christian Freiherr von Stetten Helga Lopez Dr. h. c. Wolfgang Thierse Gabriele Lösekrug-Möller Jörn Thießen Andreas Storm Petra Ernstberger Lothar Mark Franz Thönnes Max Straubinger Annette Faße Simone Violka Michael Stübgen Markus Meckel Jörg Vogelsänger Hans Peter Thul Rainer Fornahl Petra Merkel (Berlin) Dr. Marlies Volkmer Gabriele Frechen Ulrike Merten Hedi Wegener Dr. Hans-Peter Uhl Dr. Andreas Weigel Peter Friedrich Ursula Mogg Petra Weis Volkmar Uwe Vogel Sigmar Gabriel Marko Mühlstein Gunter Weißgerber Andrea Astrid Voßhoff Michael Müller (Düsseldorf) Gert Weisskirchen Gerhard Wächter Iris Gleicke Gesine Multhaupt (Wiesloch) Günter Gloser Franz Müntefering Dr. 11572 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Vizepräsidentin Petra Pau (A) Lydia Westrich Rainder Steenblock Heinz-Peter Haustein (C) Dr. Elke Hoff Katrin Kunert Andrea Wicklein Jürgen Trittin Birgit Homburger Oskar Lafontaine Heidemarie Wieczorek-Zeul Wolfgang Wieland Dr. Werner Hoyer Michael Leutert Dr. Dieter Wiefelspütz Josef Philip Winkler Dr. Heinrich L. Kolb Ulla Lötzer Engelbert Wistuba Margareta Wolf (Frankfurt) Hellmut Königshaus Dr. Gesine Lötzsch Heidi Wright Jürgen Koppelin Ulrich Maurer Heinz Lanfermann Nein Dorothée Menzner Manfred Zöllmer Kersten Naumann Harald Leibrecht CDU/CSU Wolfgang Nešković Ina Lenke Dr. Norman Paech FDP Michael Link (Heilbronn) Horst Meierhofer Petra Pau Hans-Michael Goldmann SPD Patrick Meinhardt Gudrun Kopp Jan Mücke Elke Reinke Sabine Leutheusser- Burkhardt Müller-Sönksen Paul Schäfer (Köln) Schnarrenberger Dirk Niebel Volker Schneider (Heidelberg) Markus Löning Detlef Parr (Saarbrücken) Hans-Joachim Otto Dr. Herbert Schui (Frankfurt) Dr. Gisela Piltz Dr. Ilja Seifert Renate Gradistanac Jörg Rohde Dr. BÜNDNIS 90/ Gabriele Hiller-Ohm Frank Schäffler Frank Spieth (Essen) DIE GRÜNEN Dr. Dr. Ernst Kranz Dr. Hermann Otto Solms Dr. Dirk Manzewski Volker Beck (Köln) Carl-Ludwig Thiele Detlef Müller (Chemnitz) Jörn Wunderlich Christoph Waitz Maik Reichel Grietje Bettin Dr. Guido Westerwelle Sönke Rix BÜNDNIS 90/ Alexander Bonde Dr. Claudia Winterstein DIE GRÜNEN Ekin Deligöz Dr. Dr. Frank Schmidt Dr. Thea Dückert Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Peter Hettlich Rüdiger Veit Dr. Uschi Eid Dr. Dr. Sylvia Kotting-Uhl Waltraud Wolff Katrin Göring-Eckardt DIE LINKE (Wolmirstedt) Hans-Christian Ströbele (B) Hüseyin-Kenan Aydin (D) Britta Haßelmann FDP Dr. Fraktionslose Abgeordnete Priska Hinz (Herborn) Dr. Henry Nitzsche Thilo Hoppe Dr. Karl Addicks Dr. Gert Winkelmeier Ute Koczy Fritz Kuhn (Münster) Sevim Dağdelen Renate Künast Dr. Diether Dehm Enthalten Markus Kurth Rainer Brüderle Werner Dreibus Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Dagmar Enkelmann CDU/CSU Anna Lührmann Norbert Schindler Nicole Maisch Patrick Döring Wolfgang Gehrcke Mechthild Dyckmans Diana Golze SPD Kerstin Müller (Köln) Jörg van Essen Dr. Winfried Nachtwei Ulrike Flach Heike Hänsel Otto Fricke Lutz Heilmann Brigitte Pothmer Paul K. Friedhoff Hans-Kurt Hill FDP (Augsburg) (Bayreuth) Inge Höger Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Barbara Höll Elisabeth Scharfenberg Dr. BÜNDNIS 90/ Christine Scheel Miriam Gruß Dr. Lukrezia Jochimsen DIE GRÜNEN Irmingard Schewe-Gerigk Joachim Günther (Plauen) Dr. Hakki Keskin Dr. Dr. Christel Happach-Kasan Monika Knoche Dr. Harald Terpe

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kol- Für den Etat des BMZ im Haushalt 2008 sind in der Tat lege Dr. Karl Addicks für die FDP-Fraktion. 700 Millionen Euro mehr vorgesehen. Das bedeutet eine Steigerung auf insgesamt 5,1 Milliarden Euro. Deutsch- (Beifall bei der FDP) land ist damit auf dem Weg, seine internationalen Zusa- gen einzuhalten. Das müssen wir begrüßen; das ist gut Dr. Karl Addicks (FDP): so. Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen Frau Ministerin, Sie haben auf dem G-8-Gipfel ver- und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! sprochen, Gesundheit und Wirtschaft in Afrika be- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11573

Dr. Karl Addicks (A) sonders zu fördern. Zum Thema Gesundheit möchte ich – Das ist ein Tribut an Sie. – Wir haben leider viel zu (C) nur sagen, dass der Unterausschuss, den wir geplant hat- viele schlechte Erfahrungen gemacht. ten einzuführen und der sich insbesondere mit Gesund- heit in Entwicklungsländern beschäftigen sollte, leider Gerade heute erreichen uns Mitteilungen aus Kame- abgelehnt wurde. Ihre Unterstützung habe ich da ver- run, dass der Gesundheitsminister und der Finanzminis- misst. ter zurückgetreten sind. Wo liegen unsere Schwerpunkte in der Entwicklungszusammenarbeit mit Kamerun? In Für die Wirtschaftsförderung in Afrika sind in Ihrem den Bereichen Gesundheit und Finanzen. Wann werden Entwurf ganze 2 Millionen Euro mehr vorgesehen. Das wir endlich lernen, dass wir mit solchen Regierungen halten wir für ein Armutszeugnis. Man fragt sich, warum keine Budgetzusammenarbeit aufnehmen können? das BMZ in seinem Namen das Attribut „wirtschaftlich“ (Beifall bei Abgeordneten der FDP) führt; wir könnten es eigentlich streichen. Ich nenne auch das Beispiel Mosambik. Die (Beifall bei Abgeordneten der FDP) FRELIMO-Regierung hat offenbar noch nicht so ganz Sie haben offenbar noch immer nicht verstanden, dass begriffen, was Demokratie ist; das haben sie noch nicht Entwicklung zuallererst wirtschaftliche Entwicklung ist. gelernt. Okay, nach Bürgerkrieg und langer Diktatur Armutsbekämpfung ist gut, aber Armutsursachenbe- braucht das ein bisschen Zeit. Aber mit einer solchen kämpfung ist besser. Regierung die Budgetzusammenarbeit auszudehnen, ist nicht das richtige Zeichen; denn die Regierung miss- (Beifall bei der FDP) braucht die Budgetmittel – das haben wir feststellen kön- Die Ursache der Armut liegt nun einmal in der Unter- nen –, um die eigene Partei voranzubringen. Wir haben entwicklung vor allem der Privatwirtschaft auf dem afri- den Herren in Mosambik sehr deutlich gesagt, dass uns kanischen Kontinent. Diesen Wirtschaftsbereich müssen der Umgang mit der dortigen Opposition überhaupt nicht wir voranbringen. Da gibt es gute Ansätze. Ich erwähne gefällt. Wir können diesen Umgang nicht auch noch mit nur die Mikrofinanzierung. In diesem Bereich sollten Budgethilfe honorieren. Ich frage Sie: Hat die Bundesre- wir viel mehr tun. Das ist sinnvoll eingesetztes Geld; da gierung eigentlich jemals einem Land die Budgethilfe wird die Wirtschaft von unten nach oben entwickelt. entzogen? Möglichkeiten dazu gäbe es; Frau Ministerin Kleine Unternehmen können zur Entwicklung beitragen hat gerade selbst den Kongo angesprochen. Zumindest – wir haben das auf unseren Reisen gesehen –: hier eine im Falle von Mosambik ist die Ausweitung das falsche Müllerei, dort eine Schreinerei, dort ein kleiner Markt- Signal. stand. Mithilfe von Mikrofinanzmitteln fangen sie an, Frau Ministerin, Sie haben gerade die Good Gover- sich zu etablieren. Das sind die Leute, die die Wirtschaft (B) nance angesprochen. Leider verkommt dieser Begriff (D) auf dem afrikanischen Kontinent voranbringen, die die immer mehr zu einem Schlagwort. Wir müssen Good Basis für eine positive Entwicklung schaffen. Governance einfordern und überprüfen. Aber dort, wo es (Beifall bei Abgeordneten der FDP – keine Good Governance gibt, ist die Budgethilfe fehl am Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]: Das sind doch Platz. genau die, die wir unterstützen!) (Beifall bei der FDP) Ganz anders verhält es sich leider mit der Budget- Ich habe hier die Bundesregierung gefragt, ob sie ir- hilfe. Hier wird das Geld in den Haushalt eines Landes gendwelche Fälle kenne, in denen Geld versickert ist. gekippt, ohne Kontrollen und mit fragwürdiger Effi- Darauf wurde mir geantwortet, davon sei der Bundesre- zienz. gierung nichts bekannt. Aber überall pfeifen es die Spat- zen von den Dächern. Ich frage Sie: Wie trotzig muss (Heike Hänsel [DIE LINKE]: Parlamentari- sche Kontrolle!) man eigentlich sein, wenn man das nicht zur Kenntnis nehmen will? Wie unbelehrbar muss man sein, wenn Wir haben schon öfter gesagt, dass wir Budgethilfe man daraus keine Konsequenz ziehen will? nicht prinzipiell ablehnen. Sie kann ein wirksames In- Schauen Sie einmal, was in Südafrika bei der Aids- strument der Entwicklungszusammenarbeit sein, aller- bekämpfung passiert – Frau Ministerin, Sie haben dieses dings nur, wenn sie gezielt und vernünftig angewendet Beispiel erwähnt –: Die unsägliche Gesundheitsministe- wird, und genau das vermissen wir leider. rin ist dort immer noch im Amt, und wir trauen uns Budgethilfe kann man nur mit handverlesenen, ver- nicht, dazu ein deutliches Wort zu sagen. trauenswürdigen Partnern vereinbaren. Wir müssen im- Diese Frau, die im Nachbarland Botswana rechtskräf- mer wieder im Nachhinein feststellen, dass das Ver- tig verurteilt wurde, weil sie Patienteneigentum und trauen, das wir in unsere Partnerregierungen gesetzt Krankenhauseigentum gestohlen hat, verfügt mit über haben, nicht gerechtfertigt war. Nur ist das Geld dann Entwicklungszusammenarbeitsgelder in Millionenhöhe. leider weg. Wenn wir schon Budgethilfe leisten, müssen Es tut mir leid, aber das ist für mich keine EZ auf Au- wir mehr als bisher darauf achten, dass das Geld korrekt genhöhe, wie wir sie so oft einfordern. verwendet wird; wir müssen das auch kontrollieren. Ich halte es da mit Herrn Lenin – gerade wenn es um Geld (Beifall bei der FDP) geht –: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Zu einer EZ auf Augenhöhe gehört, dass wir dem (Zurufe von der LINKEN: Oh!) Partner die Meinung richtig ins Gesicht sagen können. 11574 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Karl Addicks (A) Warum machen Sie das eigentlich nicht, Frau Ministe- 15 Prozent gegenüber dem Entwurf vom letzten Jahr. (C) rin? Das wären ganz neue Töne, die einige aufschrecken Bei einem Gesamtwachstum des Haushalts von dürften. Stattdessen höre ich auf den Fluren des BMZ, 4,7 Prozent ist das ein Erfolg für die Entwicklungspoli- die Entwicklungsländer müssten lernen, mit Geld umzu- tik. Nach Jahren der Stagnation ist der Haushaltsansatz gehen. Dazu bräuchten sie wie Kinder, die lernen müs- seit 2005 nun insgesamt um ein Drittel angehoben wor- sen, mit dem Taschengeld umzugehen, eine Budgethilfe. den. Das ist ein Erfolg für uns. Das ist auch ein Erfolg, Dafür haben wir überhaupt kein Verständnis; denn dafür zu dem ich Ihnen, Frau Bundesministerin, Ihrem Hause ist das Geld von unseren Steuerzahlern doch etwas zu und Ihrer Führungscrew gratuliere. hart erarbeitet worden. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (Beifall bei der FDP) Damit demonstriert die Große Koalition Entschlossen- Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss heit, einem Bekenntnis zum verantwortlichen Handeln meiner Rede. Wenn Minister angeklagt werden, schauen in einer globalen Welt auch Taten folgen zu lassen. Ich wir ganz betroffen. Wenn sie entlassen werden, wegen möchte an die beeindruckenden Worte der Bundeskanz- Korruption gehen müssen, sagen wir uns: Da ist ja wohl lerin von heute Vormittag erinnern, die sich noch einmal etwas nicht in Ordnung. – Ich erinnere nur an die ganz klar und deutlich zu dieser Verantwortung bekannt Tschad-Kamerun-Pipeline, zu der Frau Kollegin Koczy hat und in diesem Zusammenhang auch das Stichwort von den Grünen festgestellt hat, dass dort sehr viel versi- Glaubwürdigkeit genannt hat. ckert. Das alles sind Dinge, die wir nicht länger hinneh- men können. Dort muss unsere Blauäugigkeit aufhören. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Bitte lassen Sie uns auch da in ganz klaren Tönen spre- international zugesagt, dass wir mehr für unseren Nach- chen. barkontinent Afrika tun wollen. Darauf wird mein Kol- lege Hartwig Fischer noch eingehen. Wir haben zuge- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. sagt, dass wir mehr für die Bekämpfung von HIV/Aids, (Beifall bei der FDP) für den Klimaschutz und für die Erhaltung der Schöp- fung tun wollen. Vizepräsidentin Petra Pau: Die Entwicklungsländer sind gerade in Bezug auf den Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck für die Klimawandel Opfer und Täter. Es muss hier gelingen, Unionsfraktion. mit klugem Transfer von Know-how, aber auch mit klu- ger Reformberatung gerade in aufstrebenden Entwick- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lungsländern das Wirtschaftswachstum vom Ansteigen neten der SPD) (B) des Energiebedarfs zu entkoppeln. (D) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): In China – das wurde schon angesprochen – ist der Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- Klimaschutz besonders wichtig. Dort ist es beispiels- legen! Nach dieser sehr engagierten, aber für meine Be- weise gelungen – das wird die meisten in diesem Hause griffe etwas undifferenzierten Rede von Ihnen, Herr freuen –, über eine Einspeiseverordnung, die sich an Addicks, möchte ich zunächst festhalten, dass das dem orientiert, was wir in Deutschland machen, einen Jahr 2007 ein für die deutsche Entwicklungspolitik großen Schritt bei der Beratung voranzukommen. Was wichtiges und, wie sich abzeichnet, gutes Jahr werden die Technologie betrifft, ist es natürlich entscheidend, wird. Die deutsche G-8- und EU-Präsidentschaft hat die dass wir mit unserer Kohlekraftwerkstechnologie in strategische Bedeutung der Entwicklungspolitik für die China Fuß fassen können. friedliche und nachhaltige Entwicklung unserer Erde un- Wichtig ist auch – die Bali-Konferenz zum Klima- terstrichen. Ich glaube, dass noch nie ein deutscher Bun- schutz steht vor der Tür –, dass der Schutz des Waldes, deskanzler globale und entwicklungspolitische Themen der als CO2-Senke und als Schatzkammer für die Arten- so ins Zentrum eines G-8-Gipfels gerückt hat, wie es vielfalt auf unserer Erde dient, in der Entwicklungspoli- Frau Merkel getan hat, und dass entwicklungspolitische tik mehr Beachtung findet. Auch hier hat der vorlie- Themen überhaupt noch nie so in den Fokus der Weltöf- gende Haushaltsentwurf wichtige Impulse für die fentlichkeit gerückt wurden wie in Heiligendamm. Weltkonferenz zum Schutz der Artenvielfalt im nächsten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Jahr in Deutschland gesetzt. neten der SPD) Zum erklärten Ziel der Koalition gehört auch, dass Ich glaube aber auch, dass noch nie so große entwick- wir die Bereiche Bildung und Ausbildung einerseits und lungspolitische Herausforderungen im Kampf um die ländliche Entwicklung andererseits stärken. Das eine ist Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, im Kampf ein zentrales Element für die Hilfe zur Selbsthilfe, und gegen Hunger, Elend und Perspektivlosigkeit, im Kampf das andere ist die Grundlage der Armutsbekämpfung. auch gegen eine zunehmend gefährliche Ungleichge- Armut spielt sich noch immer vorwiegend auf dem Land wichtung in der Welt und im Kampf für mehr Sicherheit ab. Aber auch die Erhaltung der natürlichen Lebens- und gegen Terrorismus zu bewältigen waren. grundlagen und eine wirksamere Drogenbekämpfung können zur Verringerung der Armut beitragen. Mit dem Haushaltsentwurf 2008 wird die schwarz- rote Koalition den Entwicklungshaushalt nun zum drit- Herr Addicks, auch eine vernünftige wirtschaftliche ten Mal in Folge signifikant anheben, und zwar um Entwicklung ist im Kampf gegen die Armut entschei- Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11575

Dr. Christian Ruck (A) dend. Auch wir sind der Meinung – da gebe ich Ihnen Ich verweise in diesem Zusammenhang auf meinen (C) vollkommen recht; damit rennen Sie bei uns offene Tü- Schlusssatz, den ich jetzt natürlich noch nicht sagen ren ein –, dass der Bereich der Mikrofinanzierung in al- möchte, weil er erst, wie gesagt, zum Schluss kommt. len Bereichen, also auch im Bereich der ländlichen Ent- (Heiterkeit bei der CDU/CSU) wicklung, sozusagen als Querschnittsaufgabe gestärkt werden muss. Das ist ein wichtiger Faktor, um die Lage Unsere größte und gefährlichste entwicklungspoliti- der Armen erfolgreich zu verbessern. Ihn gilt es weiter- sche Baustelle ist Afghanistan. Auch hier gibt es zuentwickeln. eindrucksvolle Erfolge; diese sollten wir immer wieder nennen. Aber es gibt natürlich auch große Herausforde- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rungen. Das kam in einigen Debatten vorher schon zum neten der SPD – Dr. Karl Addicks [FDP]: Sie Ausdruck. In der nächsten Woche haben wir Gelegenheit, müssen die Mittel für die Förderung der Pri- über diese Herausforderungen im Paket zu sprechen. Nir- vatwirtschaft erhöhen!) gendwo ist die Notwendigkeit einer gemeinsamen Ant- – Da haben Sie mich auf Ihrer Seite. wort von Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik größer als hier. Ein vielfach entscheidendes entwicklungspolitisches Ziel – auch das wurde zu Recht angesprochen – ist die Uns Entwicklungspolitikern ist klar geworden, dass Überwindung entwicklungshemmender politischer Struk- wir unsere Anliegen nicht verfolgen können und dass turen und Entscheidungsmechanismen in Entwicklungs- wir mit unseren Instrumenten nicht weiterkommen, ländern. Herr Addicks, wir halten Good Governance für wenn es keine Sicherheit gibt. Uns ist klar geworden, den zentralen Begriff in unserem Instrumentarium und in dass es keine Drogenbekämpfung, dass es keine Alterna- unserer Zielsetzung. Wir müssen aber alles das, was zur tive zum Drogenanbau auf dem Land gibt, wenn dort Demokratie, zur Gewaltenteilung und auch zum Entste- keine Sicherheit vorherrscht. Deswegen ist gerade aus hen handlungsfähiger politischer Parteien mit einem ent- Sicht von uns Entwicklungspolitikern ein erfolgreicher sprechenden Parteiprogramm führt, stärker als bisher un- Aufbau der Polizei unabdingbar. Das Gleiche gilt für ein terstützen. Dazu gehört auch der Aufbau einer funktionierendes Justizwesen. In diesen Bereichen gibt Zivilgesellschaft, die auf allen Ebenen kontrollierend es noch immer große Defizite. Weitere Defizite sind, einwirken kann. dass zu viel Geld in Kabul hängen bleibt und zu wenig in die Provinzen geht und nicht alle, die Beiträge zugesagt Wir möchten auch heute wieder das Bekenntnis abge- haben, diese auch erbracht haben. ben, dass es zu unseren Aufgaben und zu unserer Politik gehört, so wichtige Einrichtungen wie unsere politischen Ich begrüße ausdrücklich, dass ein stärkeres entwick- (B) Stiftungen, aber auch NGOs und vor allem die Kirchen lungspolitisches Engagement im Süden von Afghanistan (D) weiterhin konsequent und beharrlich zu unterstützen. vorgesehen ist. Wir müssen die internationale Arbeit in Auch das wollen wir in diesem Haushalt als Signal ver- Afghanistan insbesondere im entwicklungspolitischen wirklicht sehen. Bereich noch besser koordinieren.

Vizepräsidentin Petra Pau: Vizepräsidentin Petra Pau: Herr Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage Kollege Ruck, gestatten Sie eine weitere Zwischen- des Kollegen Addicks? frage, diesmal vom Kollegen Trittin?

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Ja. Ja, nachdem ich das Kapitel Afghanistan mit folgen- dem Satz beendet habe: Aus den genannten Gründen bin ich hocherfreut, dass im Haushaltsentwurf mehr Geld für Dr. Karl Addicks (FDP): die Entwicklungshilfe in Afghanistan vorgesehen ist. Herr Kollege Ruck, ich gebe Ihnen gerne die Mög- Das ist vielleicht immer noch zu wenig, aber in unseren lichkeit, Ihre Redezeit zu verlängern. Sie sprachen ge- Augen ist es ein weiterer wichtiger Schritt. rade die politischen Stiftungen an. Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass im Haushalt des AA und des Herr Trittin, bitte. BMZ gegenläufige Maßnahmen zur Förderung von poli- tischen Stiftungen getätigt werden, was per saldo darauf Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hinausläuft, dass die politischen Stiftungen insgesamt Herr Kollege Ruck, Sie haben – ich glaube, diesbe- 7 Millionen Euro weniger bekommen? züglich stimmen wir überein – die Notwendigkeit eines verstärkten, schnelleren und besseren entwicklungspoli- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): tischen Engagements in Afghanistan unterstrichen. Wie Ich sage es noch einmal: Für uns ist es wichtig, dass erklären Sie es sich, dass die Umsetzung eines GTZ-Pro- die Stiftungen insgesamt, was ihre Arbeit betrifft, ge- jekts im Süden von Afghanistan, im PRT der Niederlän- stärkt werden. Sie haben vollkommen recht, dass es per der, trotz der Bereitschaft der GTZ, dort hinzugehen, von saldo keine Verbesserung ist, wenn die eine Hand März bis heute auf sich warten ließ? Jetzt liegt die Zu- nimmt, was die andere Hand gibt. sage des BMZ vor, sodass die Entwicklungshelfer, die darauf drängen, dort hingehen zu können, nun endlich (Dr. Karl Addicks [FDP]: Danke!) gehen können. 11576 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Damit komme ich zur Diskussion über die Zahl und (C) Herr Trittin, ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass Art der Länder, mit denen wir in Zukunft eine volle bila- ich zu diesem Einzelfall aus dem Stand heraus nichts sa- terale Kooperation eingehen wollen. Wir haben im gen kann. Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir die Anzahl die- ser Länder reduzieren wollen, um dem Gießkannenprin- (Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministe- zip entgegenzuwirken. Wir befinden uns in einer sehr rin: Aber ich kann es!) fruchtbaren Diskussion darüber. Bei der Auswahl der Ich gehe der Sache natürlich nach. Lassen Sie mich aber Länder legen wir Wert darauf, dass es nicht nur um die klarstellen, dass ich schon vor einem Vierteljahr ange- Bedürftigkeit der Länder geht, sondern auch um die stra- regt habe, uns im Süden entwicklungspolitisch stärker zu tegische Bedeutung, die diese Länder für uns haben, um engagieren. Daran halte ich fest. Alle Einzelprojekte in die Fragen, welchen politischen Spielraum wir in diesen Afghanistan habe ich leider nicht im Kopf. Ich glaube Ländern haben und wie stark die Tradition ist, die uns aber, es gibt jemanden, der Ihnen Ihre Frage sofort be- mit diesen Ländern verbindet, zum Beispiel mit Latein- antworten kann. amerika und der arabischen Welt. All das spielt in unse- rer Diskussion über die Länderauswahl, die wir in den Vizepräsidentin Petra Pau: nächsten Monaten zu einem konstruktiven Abschluss führen wollen, eine Rolle. Wenn die Frage des Kollegen Trittin damit beantwor- tet ist, stellt sich die Frage, ob die Kollegin Bundesmi- Über die Bedeutung der Schwellenländer in der nisterin Ihnen gleich eine weitere Zwischenfrage stellen Entwicklungszusammenarbeit ist schon gesprochen wor- darf. den. Auch das ist sicherlich eine viel diskutierte Angele- genheit. Es würde hier zu weit führen, das ganze Für und (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, Wider zu beleuchten. Für uns war in der Debatte über die der SPD, der FDP, der LINKEN und des Zusammenarbeit mit den Schwellenländern ein Argu- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ment, das uns auch die Kirchen immer wieder ans Herz gelegt haben, ganz wichtig. Sie sagen, dass wir die Zu- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): sammenarbeit mit Ländern wie Brasilien, Indien, aber Bitte. auch Mexiko und China, mit Schwellenländern, die sehr erfolgreich sind, nicht aufgeben dürfen, weil wir sonst Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin für die andere Hälfte der Menschen in diesen Ländern, die wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: zum Teil bitterarmen, aus dem Blick verlieren. Das ist Herr Kollege Ruck, stimmen Sie mit mir in der Auf- ein Argument, das uns sehr stark beeinflusst und das ich (B) fassung überein, dass das Ministerium bis August ge- in diesem Zusammenhang zu bedenken geben möchte. (D) wartet hat, weil es die Bestätigung der niederländischen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Regierung abwarten wollte, dass das PRT aufrechterhal- ten wird, damit die Sicherheit der Mitarbeiter von GTZ Ein Punkt, den ich noch anschneiden möchte, ist ein International Services gewährleistet ist, und dass das un- Dauerbrenner, nämlich die internationale Arbeitstei- serer Fürsorgepflicht entspricht? Alles andere wäre vom lung. Hier agiert die EU als 27. Geber. Das ist nach wie Kollegen Trittin sicherlich kritisiert worden. vor unsinnig. Man weiß gar nicht, ob man es begrüßen soll, dass der Mittelabfluss in der EU plötzlich viel schneller vonstatten geht als früher. Aber ich glaube, Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Ministerin, dass im Rahmen der deutschen EU- Einen kleinen Moment, bitte. – Wir müssen erst ein- Ratspräsidentschaft Pflöcke eingerammt, Positionen be- mal einen kleinen Fehler von mir korrigieren. Ich hätte zogen wurden, auf denen man aufbauen kann. Jetzt muss die Ministerin auffordern müssen, die Regierungsbank es darum gehen, dass die EPAs entwicklungsorientiert zu verlassen. Von der Regierungsbank aus kann sie keine ausgebaut werden. Da gibt es, glaube ich, noch viele Zwischenfragen stellen. Widerstände zu überwinden. Im Zusammenhang mit der (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Diskussion über diesen Reformvertrag muss die Arbeits- teilung in der Entwicklungszusammenarbeit geregelt Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): werden. Dabei geht es um viel Geld. Wir alle müssen ein Ich bin für Entbürokratisierung. Interesse daran haben, dass deutsche Steuergelder an dieser Stelle nicht verschwendet werden. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Norbert Königshofen [CDU/CSU]: Genau! Festschreiben!) Herr Trittin, ich bin mit der Ministerin einig. Es ist so, wie sie es beschrieben hat. Das Spannungsverhältnis zwischen bilateraler Hilfe und multilateraler Hilfe ist ebenfalls ein Dauerbrenner. Nun zum Ernst der Lage. Die Entwicklung in Afgha- Darüber gibt es eine Diskussion unter uns Koalitionären. nistan hängt natürlich damit zusammen, was in den Hier geht es darum, die richtige Balance zu finden. Die Nachbarländern passiert. Pakistan ist inzwischen allge- richtige Balance muss sich an zwei Dingen ausrichten, mein als entscheidender Schlüsselfaktor für die Entwick- nämlich an der Effizienz der internationalen Organisa- lung in Afghanistan anerkannt. tionen und an der Sichtbarkeit unseres Beitrags dort. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11577

Dr. Christian Ruck (A) Deswegen sagen wir: Wir wollen im internationalen Ge- auch das zu sagen, und ich vermute, dem stimmt auch (C) schehen mehr Einfluss. Wir wollen – dazu gibt es in der die FDP zu. Wir haben schließlich nicht aus populisti- nächsten Sitzungswoche einen Antrag von uns Koalitio- schen Gründen gegen die Mehrwertsteuererhöhung ge- nären – aus deutscher Sicht mehr Personal, vor allem kämpft, sondern weil wir davon überzeugt sind, dass sie qualifiziertes Personal, in internationalen Organisatio- falsch ist. nen. (Ute Kumpf [SPD]: Es geht um Entwicklungs- (Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]) zusammenarbeit!) Wir wollen auch, dass das BMZ für die Aufgaben der – Man muss das im Gesamtzusammenhang betrachten. Zukunft besser aufgestellt ist, indem die unsinnige Per- Es geht nicht immer um einzelne Politikbereiche, son- sonalspirale nach unten aufgehoben wird. Der jetzige dern manchmal auch um größere Zusammenhänge. Personalbestand im BMZ entspricht dem von 1975, je- doch gibt es jetzt ganz andere Aufgaben und Herausfor- Jetzt stehen uns 5,2 Milliarden Euro zur Verfügung. derungen. Deswegen muss die Frage, wie das BMZ in Es geht nun darum, nach welchen Prioritäten dieses Geld Zukunft ausgestaltet wird, auf die Tagesordnung. Hier- angelegt wird. Der Kollege Westerwelle hat in der De- bei bitte ich um Unterstützung des ganzen Hauses. batte am heutigen Vormittag mit Bezug auf China ge- sagt, wir würden im Bereich der Entwicklungshilfe Geld Vizepräsidentin Petra Pau: verplempern. Kollege Ruck, es ist jetzt Zeit für den angekündigten Dazu möchte ich ganz klar und deutlich sagen: Ich Schlusssatz. glaube, fraktionsübergreifend sind wir hier anderer Mei- nung. Die Runde der Berichterstatter des Haushaltsaus- Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): schusses war in diesem Sommer in China – die FDP war Ich bin gleich fertig. dort nicht vertreten –, um sich dort verschiedene Pro- jekte in den Bereichen Klimaschutz, Aufforstung und Mein Schlusssatz: Entwicklungspolitik ist nicht nur Gesundheit, unter anderem zu präventiven Maßnahmen ein humanitärer Auftrag, sondern dient auch der Sicher- gegen Epidemien, Krankheiten usw., anzusehen. heit unserer eigenen Bevölkerung. Dieser Etat ist ein zu- tiefst investiver Haushalt, mit dem über 200 000 Arbeits- Wir sind der Auffassung, dass eine Unterstützung sol- plätze in Deutschland gesichert werden. cher Projekte eine sinnvolle Investition in eine sichere Zukunft ist. Denn in einem Wachstumsmarkt wie (Zuruf von der FDP: Sehr gut!) China mit 1,3 Milliarden Menschen werden wir in Zu- Ich zitiere noch meinen Freund und Fußballkollegen kunft nur dann Sicherheit und eine stetige Entwicklung (B) (D) Carsten Schneider, der diese Woche gesagt hat: Der gewährleisten können, wenn dort auch eine soziale und Haushaltsentwurf des BMZ ist gut. Wir wollen dafür ökologisch nachhaltige Entwicklung stattfindet. sorgen, dass er noch besser wird. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Danke. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Leutert, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Vizepräsidentin Petra Pau: Das war ein ganzes Schlusskapitel. – Das Wort hat Michael Leutert (DIE LINKE): der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. Mittlerweile stellt sich nicht mehr die Frage, ob China (Beifall bei der LINKEN) uns in Zukunft braucht, sondern die Frage, ob wir in Zu- kunft China brauchen. Daher müssen wir in sinnvolle Michael Leutert (DIE LINKE): Projekte investieren. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Dr. Karl Addicks [FDP]: Typisch! Sie wollen Auch die Linke begrüßt und unterstützt, dass von den im natürlich wieder bei Ihren kommunistischen Gesamtetat neu zu verteilenden 12,7 Milliarden Euro Freunden investieren! Das ist klar!) 660 Millionen Euro in den Haushalt des BMZ fließen. Wir sind froh, dass nicht auch diese 660 Millionen Euro Wenn es darum geht, in welchem Bereich Geld ver- im Etat des Verteidigungsministers gelandet sind. plempert wird, dann sollten wir über das Thema reden, über das wir gerade namentlich abgestimmt haben. Ich Weil ein Argument, das ich in der Debatte über den meine die 95 Millionen Euro, die für den UNIFIL-Ein- Haushalt des Auswärtigen Amtes angeführt habe, sehr satz bereitgestellt werden. In der Begründung des An- gut angekommen ist, möchte ich es gerne wiederholen: trags der Bundesregierung steht, dass der Waffen- Die Freude auf unserer Seite wird sehr stark dadurch ge- schmuggel auf dem Seeweg effektiv unterbunden wurde. trübt, dass die Mehreinnahmen, die wir verteilen, nicht dadurch zustandegekommen sind, dass eine kluge und (Dr. Karl Addicks [FDP]: Was da steht, brau- gerechte Einnahmepolitik betrieben wurde, sondern da- chen Sie mir nicht zu erzählen! – Hellmut durch, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern dieses Königshaus [FDP]: Die Präsidentin hat Ihnen Geld durch die Mehrwertsteuererhöhung abgenommen eben gerade übrigens eine Frage gestellt, Herr haben. Es gehört zur Haushaltswahrheit und -klarheit, Kollege!) 11578 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Michael Leutert (A) Als ich heute im Haushalts- und im Menschenrechtsaus- gen nach – sehr offen gegenüber Problemen und sehr an (C) schuss gefragt habe, wie viele Boote aufgebracht und Know-how- und Technologietransfer interessiert. wie viele Waffen sichergestellt worden sind, lautete die Antwort: 9 008 Schiffe wurden registriert, 36 wurden an (Hellmut Königshaus [FDP]: Sie könnten bei die libanesischen Streitkräfte gemeldet, und die Zahl der Herrn Glos arbeiten!) gefundenen Waffen ist 0. – Wir arbeiten da gut zusammen. Niemand fragt nach, wofür diese 95 Millionen Euro (Karl Addicks [FDP]: Warum dann über das verwendet werden. Dieses Geld wird einfach rausge- BMZ? Dann machen Sie das doch über die schmissen. In China investieren wir im Rahmen von TZ Außenwirtschaftsförderung!) und FZ in jedem Jahr insgesamt 167 Millionen Euro. Auch hier frage ich nach dem Verhältnis zwischen zivi- – Das ist eine Strukturfrage, die wir in den nächsten Be- len und militärischen außenpolitischen Instrumenten. Ich ratungen klären können. glaube, es liegt auf der Hand, welches Instrument besser Entwicklungshilfe und wirtschaftliche Zusammenar- geeignet ist. beit gehören nach Auffassung meiner Fraktion zu den (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Addicks wichtigsten außenpolitischen Instrumenten im zivilen [FDP]: Ein abenteuerlicher Zusammenhang ist Sektor. Es tut mir leid, wenn ich den Vergleich noch ein- das, was Sie da konstruieren!) mal anstellen muss, aber das wird durch die Haushalts- struktur provoziert: Unserer Meinung nach wäre die – Das sind keine abenteuerlichen Zusammenhänge. Es 1 Milliarde Euro, die auf den zweitgrößten Etat – den geht darum, wie man die verschiedenen Instrumente der des Verteidigungsministeriums – daraufgelegt wird, we- Außenpolitik einsetzt. sentlich sinnvoller im BMZ angelegt. Vielen Dank. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Leutert, gestatten Sie jetzt eine Zwischen- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. frage, und nehmen Sie damit das Angebot aus der FDP- Dr. Wolfgang Wodarg [SPD]) Fraktion an, Ihre Redezeit noch ein wenig zu verlän- gern? Vizepräsidentin Petra Pau: Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Michael Leutert (DIE LINKE): Kollege Thilo Hoppe das Wort. Bitte. (B) Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D) Hellmut Königshaus (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege, es gibt gute Projekte, die auch die FDP Die Herausforderung bleibt riesengroß. Trotz aller Er- kennt. Auch wir wollen diese Projekte nicht einstellen. folge, die es ohne Zweifel gibt, kommen wir an der Tat- Niemand hat jemals gesagt, wir sollten dort keine techni- sache nicht vorbei, dass wir von der Erreichung der sche oder sonstige Unterstützung leisten. Vor diesem Millenniumsentwicklungsziele noch sehr weit entfernt Hintergrund frage ich Sie: Stimmen Sie mit mir überein, sind. Es wurde vor kurzem Zwischenbilanz gezogen. Es dass wir von Ländern, die über eine Wirtschafts- und gibt Teilerfolge in einigen Bereichen, aber nach wie vor Finanzkraft wie China verfügen, die Kosten solcher Pro- eine erschreckend hohe Zahl von Hungernden, eine jekte also selbst tragen können, einen ordentlichen Zahl, die sogar noch steigt. 854 Millionen Menschen Eigenbeitrag verlangen sollten, anstatt sie obendrein da- sind bedrohlich chronisch unterernährt. Der Kampf ge- durch zu erniedrigen, dass wir so tun und sogar öffent- gen den Hunger wird durch die vom Menschen verur- lich erklären, wir könnten diese Länder quasi kaufen, in- sachte Klimaveränderung enorm erschwert. Gelingt es dem wir ihnen ein paar Millionen Euro an die Hand uns nicht, die Erderwärmung auf zusätzliche 2 Grad geben und damit Einfluss auf ihre Politik nehmen? Celsius zu begrenzen, so drohen in Afrika je nach Szena- rio Ernteausfälle von 25 Prozent bis 40 Prozent. Michael Leutert (DIE LINKE): Da die Herausforderung riesengroß ist, müssen wir Herr Kollege, ich bin mit Ihnen dieser Meinung. Aber angemessen darauf antworten. Um die Millenniumsent- erstens geschieht das meiner Kenntnis nach im Fall wicklungsziele doch noch zu erreichen sowie die Erd- China. Zweitens ist Entwicklungshilfe natürlich immer erwärmung auf zusätzliche 2 Grad Celsius zu begrenzen, auch eine Hilfe für das Geberland. Mindestens 2 Euro sind allergrößte Anstrengungen erforderlich. Da reicht fließen für 1 Euro, der in Wirtschaftshilfe investiert nicht der Schritt in die richtige Richtung, den die Kanz- wird, zurück. lerin heute angekündigt hat. Es ist ein ganzes Bündel an (Widerspruch bei der FDP) Maßnahmen, die gleichzeitig ergriffen werden müssen, notwendig. Dazu gehören verschärfte Reformanstren- – Ich kann Ihnen die Studien gern zusenden. Drittens gungen in den Entwicklungsländern selbst, der Abbau habe ich davon gesprochen, dass es für uns aus sicher- von ungerechten, klima- und entwicklungsschädlichen heitspolitischen Gründen relevant ist, wie wir in der Au- Subventionspraktiken in den Industrienationen, bessere ßenpolitik mit China in diesen Bereichen umgehen. Rahmenbedingungen für einen gerechten und fairen China ist – zumindest meiner Erfahrung aus Begegnun- Welthandel, neue Finanzierungsinstrumente, besonders Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11579

Thilo Hoppe (A) für den Klima- und Tropenwaldschutz, und nicht zuletzt Uns geht es aber nicht allein um mehr Geld, sondern (C) mehr und bessere Entwicklungszusammenarbeit. auch um die Reformen, die notwendig sind. Uns wurde eine große Reform der Institutionen angekündigt. Wir So grundsätzlich formuliert werden das wohl alle Grünen sind die einzige Fraktion, die ohne Wenn und Kolleginnen und Kollegen hier unterschreiben können. Aber für eine umfangreiche Reform der Institutionen Die Unterschiede werden deutlicher, wenn wir ins Detail eintritt, für die Zusammenführung von finanzieller und gehen. Ich möchte sowohl Qualität als auch Quantität technischer Zusammenarbeit. unserer Entwicklungszusammenarbeit kritisch beleuch- ten. Ich fange aber mit einem Kompliment an: Auch wir (Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE]: Die begrüßen ausdrücklich, dass im Bundeshaushalt rund Linke auch!) 750 Millionen Euro mehr als im Vorjahr auf verschie- Da wurde eine Menge angekündigt. Jetzt zeichnet sich dene Ressorts verteilt für Entwicklungszusammenarbeit nur ein ganz kleines Reförmchen ab, das vielleicht nur zur Verfügung gestellt werden. Um Ihrem Zwischenruf der Gesichtswahrung dient. Da muss noch nachgebessert zuvorzukommen, gebe ich zu, dass wir uns das unter werden. Wir brauchen eine bessere Entwicklungszusam- Rot-Grün auch gewünscht hätten. Aber weder an den menarbeit und natürlich auch mehr Geld. Grünen noch am BMZ sind vergleichbare Zuwächse ge- scheitert, sondern am Finanzminister und an gewissen Danke schön. Kabinettsentscheidungen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wie gesagt, verdient der Zuwachs um 750 Millionen sowie des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE Euro Lob. Es muss aber der Hinweis erlaubt sein, dass LINKE]) noch etwas fehlt, und zwar mindestens 250 Millionen Euro. Damit man all das, was auf den roten Teppichen Vizepräsidentin Petra Pau: der Gipfelkonferenzen versprochen wurde, ernst nehmen Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die kann, hätte es – da gibt es sehr konkrete Berechnungen – SPD-Fraktion. ein Aufwuchs um 1 Milliarde Euro sein müssen. Außer- (Beifall bei der SPD) dem hätte es einen deutlicheren Anstieg bei den Ver- pflichtungsermächtigungen, die ja die weiteren Stufen andeuten, geben müssen. Mit der Einführung einer Flug- Dr. Bärbel Kofler (SPD): ticket-Tax wäre dies auch finanzierbar gewesen, zumin- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen dest der für den Haushalt 2008 notwendige Schritt. und Kollegen! An den letzten Satz kann man wohl an- knüpfen: Wir brauchen für die Entwicklungszusammen- Wir legen für den Haushalt 2008 ein ressortübergrei- (B) arbeit mehr Geld, wie immer. Ich freue mich, dass der (D) fendes Konzept vor, das die Versprechen ernst nimmt, Haushalt, den wir vorgelegt haben, hier einen deutlichen gegenfinanziert ist und einen Aufwuchs um weitere Aufwuchs aufweist. Es ist von allen Fraktionen aner- 250 Millionen Euro vorsieht. Inhaltlich gibt es für uns kannt worden, dass der Haushalt in diesem Bereich um drei Schwerpunkte: knapp 670 Millionen Euro wächst. Besonders freut mich, dass man – auch an den Verpflichtungsermächti- Erstens: der zivile Aufbau in Afghanistan. Für diesen gungen, Herr Kollege Hoppe – sehr wohl einen Trend ist zwar eine Erhöhung um 25 Millionen Euro einge- für die Zukunft ablesen kann, insbesondere an der Zu- plant; aber diese stehen zum militärischen Engagement, sage, in diesem Jahr und in den nächsten drei Jahren zu den Kosten für den umstrittenen Tornadoeinsatz, 750 Millionen Euro zur Armutsbekämpfung einzuset- doch in einem krassen Missverhältnis. Wir fordern, die zen. Ausgaben für den zivilen Aufbau um 100 Millionen Euro zu erhöhen, also zu verdoppeln. Da sind wir mit unseren Gemeinsamkeiten in vielen Bereichen schon am Ende. Kollege Addicks, Sie haben Zweitens: die konsequente Verbindung von Armuts- sich zum Thema Budgethilfe geäußert. Wissen Sie, ich bekämpfung und Klimaschutz. Wir Grünen werben und habe manchmal den Eindruck, Sie unterstellen den Frak- streiten für einen Klimaschutzhaushalt. Deshalb werden tionen bzw. den Parlamentariern, die daran interessiert wir insbesondere für den Tropenwaldschutz, aber auch sind, mit dem Instrumentarium der Budgethilfe vernünf- für die Verbreitung der Nutzung erneuerbarer Energien tige Arbeit zu leisten, sie hätten Spaß daran, Steuern zu und für den Erhalt der biologischen Vielfalt zusätzliche verschwenden; das kommt bei Ihnen immer so herüber. Gelder beantragen. Wir hoffen auf Unterstützung aus den anderen Fraktionen. Wir wollen auch mehr Geld für (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Karl eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft als Beitrag Addicks [FDP]: Das habe ich nicht behaup- zur Wüstenbekämpfung und als Beitrag zur Förderung tet!) der ländlichen Entwicklung. Ich kann Ihnen eine Studie der SWP empfehlen, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Dr. Karl Addicks [FDP]: Habe ich gelesen! SES 90/DIE GRÜNEN) Sehr interessant!) Drittens. Wir brauchen mehr Geld für den Ausbau der eine sehr differenzierte Ausarbeitung zum Thema „Kon- Gesundheitssysteme der Entwicklungsländer, damit die ditionalität in der europäischen Entwicklungszusammen- Mittel des Global Funds sinnvoll eingesetzt werden kön- arbeit“, in der die Budgethilfe eingehend behandelt wird. nen. Doch mit Ihrem Beitrag in der Märkischen Allgemeinen 11580 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Dr. Bärbel Kofler (A) wollen Sie und der Kollege Königshaus das Thema Bud- les, was wir in diesem Bereich machen. Das ist mitnich- (C) gethilfe in der Öffentlichkeit diskreditieren. Sie arbeiten ten der Fall. mit völlig falschen Zahlen. Ich möchte aber noch auf einige andere Punkte einge- Sie behaupten, wir verschleudern im Zusammenhang hen, die im Vorfeld angesprochen worden sind und die mit internationalen Gremien und direkter Budgethilfe uns als SPD-Fraktion inhaltlich wichtig sind. Es geht da- Steuergelder. Sie führen als Beispiel an, Syrien würden rum, wie wir die Haushaltsmittel und den Aufwuchs für 44 Millionen Euro zur Betreuung der irakischen Flücht- die Zukunft sinnvoll einsetzen wollen, sollen und kön- linge bereitgestellt. Ich würde Sie bitten, die Zahlen ge- nen. nau zu lesen. Was Syrien angeht – das Engagement der Frau Ministerin möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich Erlauben Sie mir einige Sätze noch zum Thema unterstützen –, sind 4 Millionen Euro zusätzlich für ei- China. Es kommt in jeder Debatte wieder zur Sprache. nen bestimmten Bereich, nämlich den Schulbau für Insbesondere nach unserer Chinareise habe ich geglaubt, Flüchtlingskinder aus dem Irak, zugesagt worden. Syrien Sie hätten etwas dazugelernt, Herr Königshaus. Armuts- nimmt bekanntermaßen einen Großteil der Flüchtlinge bekämpfung und Entwicklungspolitik gehen Hand in aus dem Irak auf. Die Kinder dieser Flüchtlinge müssen Hand. Entwicklungspolitik ist aber mehr als nur die Be- in Schulen betreut werden. Es geht nicht an, dass in die- kämpfung von rein physischer Not; dazu gehört auch die sen Schulen ein Zweischichtenbetrieb gefahren werden Begleitung von Transformationsprozessen. Daran betei- muss und Kinder von dem wichtigen Zugang zu Bildung ligen wir uns, insbesondere im Bereich des Klimaschut- ferngehalten werden, weil hierfür nicht genügend Mittel zes, in China. Ich kann nicht verstehen, dass Sie zum zur Verfügung stehen. Ich finde die Zusage hervorra- Beispiel die Tatsache ignorieren, dass in Zukunft welt- gend, für diesen Bereich mehr Mittel einzusetzen. weit jedes zweite Haus in China gebaut werden wird und man sich Gedanken darüber machen muss, wie man zum (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Thema Gebäudeenergieeffizienz Aussagen trifft und mit Dr. Karl Addicks [FDP]: Stellen Sie das doch den chinesischen Partnern ins Gespräch kommen kann. in den Haushalt ein! Ziehen Sie nicht immer einfach so die Spendierhosen an! Damit sind (Beifall bei der SPD – Dr. Karl Addicks wir nicht einverstanden!) [FDP]: Da rennen Sie bei uns offene Türen ein! Das ist kein Streitpunkt!) Zum nächsten Beispiel, das Sie angeführt haben, Herr Addicks, habe ich extra recherchiert, weil kein Mensch Im Übrigen finde ich manches auch amüsant. Kollege daraus schlau wird. Sie haben von 30 Millionen Euro für Westerwelle war in China, und ich habe gehört, dass Moskitonetze in Kamerun gesprochen, die nicht ausge- auch die Naumann-Stiftung gerne wieder in China tätig (B) zahlt werden. sein möchte. (D) (Dr. Karl Addicks [FDP]: Da hat jemand of- (Hellmut Königshaus [FDP]: Sie hat das ange- fenbar etwas nicht richtig verstanden! Das boten!) muss ich Ihnen zugestehen!) Ich begrüße das. Stiftungen leisten ordentliche Arbeit. – Sie geben zu, da hat die Presse offenbar etwas nicht Ich begrüße es, wenn auch die Naumann-Stiftung wieder richtig verstanden. Es ist immer einfach, etwas so hinzu- in China tätig wird. Aber aus welchen Mitteln wird das stellen. Aber es gibt eine Stringenz in Ihrer Argumenta- denn finanziert? tion, mit solchen Beispielen zu versuchen, Instrumenta- (Detlef Dzembritzki [SPD]: Sehr gut!) rien zu diskreditieren. Aber dass ich das mit Ihrer Zustimmung als Zeitungsente bezeichnen kann, ist Auch diese Stiftungen werden selbstverständlich über schön. den Einzelplan 23 finanziert. (Dr. Karl Addicks [FDP]: Die 30 Millionen (Beifall bei der SPD und der LINKEN) sind eine Ente! Das ist richtig!) Also leistet auch die FDP über den Einzelplan 23 Ent- Ich halte das Instrumentarium der Budgethilfe durch- wicklungshilfe in China. aus für überprüfbar, und es wird auch überprüft. Wir (Lachen bei der SPD – Jürgen Koppelin [FDP]: werden uns im Ausschuss damit auseinandersetzen und die einzelnen Kriterien in diesem Bereich diskutieren. Das ist doch gaga, was Sie erzählen!) Selbstverständlich haben wir ein Interesse an der Über- – Jetzt möchte ich aber zu anderen Punkten kommen. prüfbarkeit und Effizienz von Projekten. Tun Sie doch Stellen Sie eine ordentliche Zwischenfrage, oder lassen nicht so, als wäre das nicht auch Ihr Anliegen! Sie mich weiterreden! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Karl Addicks [FDP]: Vizepräsidentin Petra Pau: Dann sagen Sie doch einmal etwas zu Süd- Ihr Wunsch wird sofort erfüllt, Kollegin Kofler. Las- afrika! Die kriegen jedes Jahr 20 Millionen sen Sie die Zwischenfrage des Kollegen Koppelin zu? Euro von uns!) – Genau das ist wieder der Punkt: Sie greifen eine Dr. Bärbel Kofler (SPD): Summe aus dem Etat heraus und tun so, als wäre das al- Aber ja. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11581

(A) Jürgen Koppelin (FDP): auch auf allen anderen Ebenen darüber zu diskutieren, (C) Frau Kollegin, ich bin etwas erstaunt über Ihre Un- wie man im Gesundheitswesen, in der Gesundheitsvor- kenntnis. Sie wissen doch, dass es bei der Arbeit der sorge und bei der Altersvorsorge weiterkommen und Naumann-Stiftung in China nicht um die finanziellen vernünftige Systeme aufbauen kann. Mittel geht, sondern dass sie nicht mehr in China tätig In Indonesien zum Beispiel ist die GTZ in diesem Be- sein kann, weil sie den Dalai Lama unterstützt hat. Das reich tätig. Sie berät im Bereich nationale Gesundheits- war der Grund. versicherung und stößt Reformen an, die dazu dienen, Menschen sozial abzusichern. Im Osten Afrikas werden Dr. Bärbel Kofler (SPD): sogenannte Prepaid Vouchers verteilt, die gerade den Herr Koppelin, ich weiß das sehr wohl. Aber die Stif- Ärmsten der Armen einen Zugang zur Gesundheitsvor- tungen generell werden aus dem Einzelplan 23 finan- sorge ermöglichen sollen, insbesondere schwangeren ziert. Frauen in Slumgegenden, die sonst nie eine ordentliche medizinische Versorgung gehabt hätten. (Dr. Karl Addicks [FDP]: Zum Teil!) Das sind nur kleine Beispiele. Nun geht es darum, – Gut, zum Teil. – Aber wenn die Naumann-Stiftung mithilfe dieser Beispiele ein umfassendes Konzept zu wieder in China tätig sein möchte, dann muss sie dafür entwickeln und es zum zentralen Aspekt von Regie- auch Mittel aus dem Einzelplan 23 nutzen. rungshandeln zu machen. (Dr. Karl Addicks [FDP]: Per Saldo ist es we- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten niger! Lesen Sie es doch einmal nach!) der CDU/CSU) Jenseits der Aufregung der FDP möchte ich die ver- Deshalb ist uns dieser Bereich ein besonderes Anliegen. bleibende Redezeit nutzen, einen entscheidenden Punkt in die Diskussion einzubringen, der uns, der SPD-Ar- Ich könnte noch über viele andere Bereiche sprechen. beitsgruppe, ganz besonders wichtig ist. Das eine ist der (Jürgen Koppelin [FDP]: Lieber nicht!) Mittelaufwuchs. Das andere ist die Verwendung der Mit- tel. Ein Thema wurde heute noch gar nicht angespro- Wichtig ist zweifellos das Thema Bildung. Der Klima- chen, obwohl es von eminenter Bedeutung für die Zu- schutz wurde bereits angesprochen, leider viel zu wenig. kunft ist, nämlich die sozialen Sicherungssysteme in Wir müssen diesem Thema noch wesentlich mehr Auf- der Entwicklungszusammenarbeit. Wir werden das zu merksamkeit widmen. Ich begrüße es ganz besonders, einem wesentlichen Thema in unserer Arbeitsgruppe dass die Mittel für den Aktionsplan in diesem Bereich (B) machen. Wir möchten dies als thematische Zielgröße in von 520 Millionen Euro auf 710 Millionen Euro deutlich (D) der Entwicklungszusammenarbeit bewertet und unter aufgestockt werden. Hier geht es um erneuerbare Ener- verschiedenen Punkten zusammengeführt wissen. Es gien, Energieeffizienz, den Tropenwaldschutz, die Bio- muss deutlich gemacht werden, in welchen Bereichen diversität und insbesondere um erneuerbare Energien für wir hier tätig sein können. Aus welchem Grund uns die- Afrika, um diesen Kontinent voranzubringen, genauso ses Thema wichtig ist, belegt eine Zahl: Wenn wie um neue Fazilitäten für eine umweltfreundliche Ge- 100 Millionen Menschen in Armut gestürzt werden, weil staltung der Stadtinfrastruktur; das ist ein ganz beson- sie nicht genügend finanzielle Mittel haben, um Medika- ders wichtiges Thema. mente zu kaufen und sich behandeln zu lassen, dann ist dies das beste Argument dafür, dass wir uns dem Thema Vizepräsidentin Petra Pau: soziale Sicherungssysteme verstärkt zuwenden. Liebe Kollegin Kofler, das müssen wir alles verschie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ben. Bitte kommen Sie zum Schluss. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Uns ist sehr wohl klar, dass dieses Thema komplex ist Leider. und dass die Voraussetzungen in den Ländern sehr unter- Daran sieht man – damit bin ich wieder beim Aus- schiedlich sind. Es ist ein Unterschied, ob man mit Ver- gangspunkt –: Es gibt noch viel zu tun. Wir haben noch tretern eines Landes wie China diskutiert, wo Menschen viele Aufgaben in der Entwicklungszusammenarbeit vor nicht nur im informellen Bereich, sondern auch in regu- uns. Ich freue mich darauf, einen Teil in den weiteren lären Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, aber nur Haushaltsberatungen zu erledigen. die entsprechende soziale Absicherung fehlt, oder ob man – wie wir es in einer Anhörung zum Thema soziale Danke. Sicherungssysteme getan haben – mit einer Vertreterin von SEWA, einer indischen Frauenorganisation, spricht, (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) die vor allem Menschen vertritt, die im informellen Sek- tor tätig sind und die in die sozialen Sicherungssysteme Vizepräsidentin Petra Pau: einbezogen werden müssen. Das sind natürlich unter- Das Wort hat der Kollege Jürgen Koppelin für die schiedliche Ansätze und Probleme, vor denen wir ste- FDP-Fraktion. hen. Aber gerade deshalb ist es wichtig, mit den betref- fenden Ländern nicht nur auf Regierungsebene, sondern (Beifall bei der FDP) 11582 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

(A) Jürgen Koppelin (FDP): siedelt. Was geschieht jetzt mit diesen Projekten? Keine (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Antwort. Wer die Rede der Ministerin gehört hat, der hat keine Ich sage Ihnen sehr deutlich: Ihr Haus heißt Ministe- klare Linie in unserer Entwicklungspolitik erkennen rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- können, sondern hat sich eher an einen Lyrikkongress er- lung. Hier – auch eben in dem Beitrag – wird nur von innert gefühlt. So kam es jedenfalls mir vor. Die Rede Entwicklungszusammenarbeit gesprochen. Die wirt- war wie eine große Vorlesung, aber inhaltlich war wenig schaftliche Zusammenarbeit – Herr Kollege Addicks vorhanden. Frau Ministerin, Sie haben in der Vergangen- hat darauf hingewiesen – kommt bei Ihnen überhaupt heit bestimmte Aktivitäten entfaltet, zu denen Sie heute nicht mehr vor. Ich ahne natürlich, warum. Sie haben die überhaupt nichts mehr gesagt haben. Im Koalitionsver- Auffassung vertreten, Entwicklungspolitik sollte Folgen- trag steht zum Beispiel, dass die Entwicklungshilfe kon- des sein – ich habe es mir aufgeschrieben –: friedlich, zentriert werden soll. Das werden wir unterstützen; denn gerecht, ökologisch, verantwortlich. Ich frage Sie, ob wir finden in vielen Ministerien Aktivitäten, nicht nur in nicht ein Eisenbahnbau in Saigon wunderbar dazu passt. Ihrem Hause. Die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik Damit tun Sie doch etwas für die Menschen. Sie wehren Deutschland wird nicht nur von Ihrem Hause geleistet. sich mit Händen und Füßen dagegen, sodass wir vom Die Aktivitäten kann man durchaus konzentrieren. Haushaltsausschuss vielleicht den Wirtschaftsminister Aber welche Idee haben Sie gehabt? Sie wollten die bitten müssen, dieses Projekt zu übernehmen. Warum GTZ, einen wichtigen Träger der Entwicklungshilfe, zer- wehren Sie sich gegen solche Projekte? Weil Sie einfach schlagen und der KfW zuordnen. Dazu haben Sie ein nicht wollen und das einfach nicht in Ihren Kopf passt, teures Gutachten in Auftrag gegeben. Der Rechnungshof obwohl das die Aufgabe Ihres Hause wäre. hat Ihnen dank eines Beschlusses des Haushaltsaus- (Widerspruch bei der SPD) schusses, den wir einstimmig gefasst haben, alles ausei- nandergepflückt. Jetzt ist bei Ihnen plötzlich Schweigen – Herr Kollege Raabe, ich will Ihnen einmal etwas sa- im Walde. Es kommt nichts mehr zum Thema Konzen- gen: Nicht ohne Grund lässt man Sie heute nicht reden. tration. Ich will Ihnen ein Beispiel sagen, wie dringend Ich begrüße ausdrücklich, dass ein Teil der Mittel, die notwendig diese ist. Sie zusätzlich bekommen haben, nicht in Ihrem Hause Ich engagiere mich, wie andere Abgeordnete auch, bleibt, sondern in das Außenministerium wandern wird. zum Teil in Vietnam. Die vietnamesische Regierung Dort erfolgt eine bessere Planung. Das stellen wir immer möchte gern die Berufsschulausbildung verstärken. Man wieder fest. Auch dieses ist sozialdemokratisch regiert. versucht, das mit der GTZ und Ihrem Hause zu machen. Insofern brauchen Sie sich nicht aufzuregen. Dort wird eindeutig eine bessere Politik mit diesen Mitteln betrie- (B) Das klappt nicht, weil in Ihrem Hause alles blockiert (D) wird. Dann stellt man aber fest, andere Häuser der Bun- ben. Die Verzahnung zwischen dem Auswärtigen Amt desregierung können das. Der Wirtschaftsminister ist so- und Ihrem Haus funktioniert nicht. Da kracht es an allen fort dazu in der Lage. Dort läuft das unbürokratisch. Ecken. Ständig wird von Ihnen Sand ins Getriebe ge- Auch das Familienministerium unterstützt das Projekt. streut. Sorgen Sie dafür, dass Sie mit Ihrem Außenminis- Nur das Ministerium, das dafür zuständig ist, ist nicht in ter, der dasselbe Parteibuch wie Sie hat, besser zusam- der Lage zu handeln. Ich habe den Eindruck, dass bei der menarbeiten! Ich glaube, das täte der Entwicklungshilfe GTZ unglaublich gute Leute arbeiten, die wirklich etwas gut. machen wollen, aber in Ihrem Hause die Blockierer sit- (Beifall bei der FDP) zen, die jedes Projekt blockieren und eine Riesenbüro- kratie aufbauen. Darum sollten Sie sich kümmern, damit Vizepräsidentin Petra Pau: unsere Entwicklungshilfe effektiver wird. Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die (Beifall bei der FDP) Unionsfraktion. Ich nenne ein anderes Beispiel. Sie haben sich plötz- (Beifall bei der CDU/CSU) lich ein freiwilliges Jahr für Jugendliche mit einem Volu- men von 25 Millionen Euro einfallen lassen. Ich frage Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): erst einmal: Wo ist die gesetzliche Grundlage? Dann: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie je mit dem Parlament darüber gesprochen? Der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan hat im (Beifall bei der FDP) letzten Jahr gesagt: Ob es Afrika gelingt, dem Ziel der Halbierung der extremen Armut näher zu kommen, wird Es wäre doch gut, das Parlament zu beteiligen. Es ist üb- in hohem Maße von der Führungsrolle Deutschlands im rigens eine Ihrer größten Schwächen, dass Sie nie in der Jahr 2007 abhängig sein. – Ich glaube wirklich, dass Lage sind, das Parlament einzubinden, selbst wenn Sie man von hier aus der Bundeskanzlerin, dem Finanz- gute Ideen haben. Sie machen in Ihren kleinen Zirkeln minister und der Entwicklungsministerin dafür Dank sa- im Ministerium alles alleine. Die Konzentration der Ent- gen kann, dass sie gemeinsam mit dem Parlament und wicklungshilfe steht im Koalitionsvertrag. Wir haben insbesondere den Fachausschüssen engagiert das Treffen das freiwillige ökologische Jahr, das man auch im Aus- in Heiligendamm vorbereitet und dieses umgesetzt ha- land ableisten kann. Dafür ist das Familienministerium ben, wobei die Umsetzung nicht nur mit der EU und den zuständig. Dann haben wir den zivilen Friedensdienst G-8-Partnern erfolgt ist, sondern auch mit Schwellenlän- – das war eine Idee auch von mir – in Ihrem Hause ange- dern wie Brasilien, Indien, China, Mexiko und Südafrika Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11583

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) und im Dialog mit den Afrikanern. So etwas hat es vor- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem (C) her noch nicht gegeben. Es ist ein deutliches Signal der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Einbeziehung gewesen, ein Signal dafür, dass die Ent- wicklung im globalen Bereich eine gemeinsame Auf- Afrika weiter voranzubringen, wird uns nur gelingen, gabe ist. wenn Frieden und Sicherheit auf dem afrikanischen Kontinent mitgestaltet werden. Zu viele Krisen mit Tau- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) senden von Toten und Vertriebenen erschüttern derzeit noch den afrikanischen Kontinent. Ich erinnere an dieser Frau Wieczorek-Zeul hat direkt nach dem Gipfel noch Stelle nur an Somalia und an Darfur. einmal eine Bewertung vorgenommen. Ich will nur ei- nige wenige Punkte vortragen. Frau Ministerin, ich unterstütze Sie ausdrücklich in der Frage Nord-Kivu. Die Weltgemeinschaft hat erhebli- Grundbildung wird eines der zentralen Themen in den che Mittel investiert – Stichwort „MONUC“ –, jedes nächsten Wochen sein, auch bei der Auffüllung des Jahr über 1 Milliarde Euro. Wir waren daran mit einem Fonds; denn 500 Millionen Dollar haben gefehlt. Die jährlichen Beitrag von etwa 90 Millionen Euro beteiligt. G 8 hat sich darauf verständigt, die Mittel für die Be- Wir haben im Kongo unglaubliche Entwicklungsleistun- kämpfung von HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose auf gen erbracht. Wir haben den Aufbau mitgestaltet, und 44 Milliarden Euro aufzustocken. Das heißt, dass wir, wir haben die Verfassungsreform unterstützt. Die Bun- Deutschland, dafür in den kommenden acht Jahren zu- deswehr hat geholfen, die Wahlen abzusichern. sätzlich 4 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Für die Armutsbekämpfung werden wir in den nächsten vier Zwischen Ihnen und mir gibt es nur eine Differenz. Jahren, also bis 2011, 750 Millionen Euro zur Verfügung Wir sollten wirklich immer „Nord-Kivu“ sagen; denn es stellen. handelt sich nicht mehr um den gesamten Ostkongo. Ituri entwickelt sich wirtschaftlich positiv. In Ituri gibt es Wer im Herbst letzten Jahres hier im Parlament über keine Flüchtlingslager mehr. Durch Aufbauhilfe ist dort solche Summen, solche Zielsetzungen und deren Umset- eine Menge geleistet worden: Dörfer sind wieder aufge- zung gesprochen hätte, der wäre verlacht worden. Das baut worden, die Kinder dort werden beschult, und es hätte keiner dieser Koalition zugetraut. Ich sage ganz of- gibt dort keine Kindersoldaten mehr. Mit der Ausgabe fen: Ich ärgere mich darüber, dass jetzt plötzlich Organi- von 100 Euro für ein Construction-Kit kann eine ganze sationen, zum Beispiel VENRO, das, was stattfindet, kri- Familie ihr Haus wieder aufbauen und sich mit 25 Kilo tisieren. Man muss in bestimmten Situationen deutlich Saatgut versorgen, und das in mehreren Vegetationspe- machen, was erreichbar ist. Was hier erreicht worden ist, rioden. Das ist der richtige entwicklungspolitische An- (B) ist mehr, als viele – damit meine ich auch Organisatio- satz. Er wird von Deutschland entscheidend mitgestaltet. (D) nen wie diese – vor einem Jahr erwartet haben. Für den Kivu ist jetzt die Regierung im Kongo verant- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) wortlich. Die MONUC ist mitverantwortlich. Dort muss durchgegriffen werden. Sie haben recht: Wenn man Zusätzlich sind aber auch neue Schwerpunkte und Lauren Nkunda und andere zu fassen bekommt, dann Kriterien für die Zusammenarbeit mit Entwicklungslän- müssen sie natürlich vor den Internationalen Gerichtshof dern beschlossen worden. So werden gute Regierungs- gebracht werden. Jetzt geht es aber auch darum, dass Ka- führung und der Ausbau der institutionellen Kapazitäten bila sich gemeinsam mit MONUC auf die Entwaffnung in den verschiedenen Ländern weiter gestärkt. Es gibt dort konzentriert. Man kann in dieser Region auch stär- aber auch eine Förderung von Investitionen in ein nach- kere Truppen zusammenziehen. haltiges Wirtschaftswachstum. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang etwas bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ zum kommenden Lissabon-Gipfel sagen. Ich möchte auf DIE GRÜNEN) die Frage der Teilnahme Mugabes eingehen. Die Teil- nahme Mugabes wird für den Ablauf dieses Gipfels ent- Wir sehen im Augenblick einen kleinen Hoffnungs- scheidend sein. Ich möchte hier auf das verweisen, was schimmer für Darfur. Diesen Punkt müssen wir nach einige von uns vor kurzem in Afrika bei Gesprächen mit meiner Überzeugung in den nächsten Wochen auch in Parlamentariern, aber auch bei Gesprächen mit Parla- den Haushaltsberatungen diskutieren. mentarierdelegationen, die hierher gekommen sind, er- lebt haben. Diese afrikanischen Parlamentarier haben Ich habe nach den Diskussionen den Eindruck, dass gesagt: Schert euch nicht drum; wenn er kommt, dann Deutschland sich nicht an einem Kampfeinsatz beteili- kommt er und dann konfrontiert ihr ihn – auch vor den gen wird. Aber ich bin der festen Überzeugung, dass anderen afrikanischen Regierungschefs – mit dem, was Deutschland sich in verschiedenen anderen Bereichen im Rahmen eines solchen Mandats und beim zivilen er in seinem Land angerichtet hat; dann erfährt die Welt- Wiederaufbau sehr stark engagieren wird. öffentlichkeit mehr über das, was dort in Afrika passiert; sonst wird die Situation in Afrika immer verschwiegen. (Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ Ich hoffe, dass der britische Premierminister Brown DIE GRÜNEN]) seine Teilnahme nicht vom Kommen Mugabes abhängig macht. Ich glaube, wir können es aushalten, uns mit die- Das bedeutet, dass wir Mittel zur Verfügung stellen müs- sem Mann auseinanderzusetzen. sen. 11584 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) Die Kosten des Einsatzes der UN-Truppen dort wer- (Dr. Karl Addicks [FDP]: Ja!) (C) den derzeit auf 2,7 Milliarden Euro geschätzt. Ich meine, wir alle in diesem Parlament stehen gemeinsam in der die eine besondere Affinität zu Deutschland haben und Verantwortung dafür, dass diese Mittel nicht an irgendei- die mit uns zusammenarbeiten. Ich bin der festen Über- ner Stelle aus dem normalen Entwicklungshaushalt und zeugung, dass es eine Aufgabe von Entwicklungspolitik aus den anderen Haushalten genommen werden. Wir ist, unter Umständen auch mit einem runden Tisch ge- müssen beraten, wie wir zur Absicherung entsprechende meinsam mit den Wissenschaftsministern der Länder Summen zur Verfügung stellen, und zwar nicht erst in ei- Regelungen zu finden, die dazu führen, dass wir wieder nem Nachtrag. Denn die Truppenstellerkonferenz und mehr Studenten aus Entwicklungsländern hier Bil- andere Konsultationen werden im Herbst stattfinden. Es dungschancen geben, die dann in ihren Ländern die Elite ist schon viel zu lange so, dass dem Leiden dort kein bilden. Ende bereitet wird. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Ich glaube, dass DAAD, Alexander-von-Humboldt-Stif- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tung und andere hierbei eine hervorragende Arbeit leis- ten. Im Einzelplan 23 des Haushaltsentwurfs 2008 – zu den Zahlen wird Jochen Borchert nach den Beratungen (Dr. Karl Addicks [FDP]: Genau! Gut!) in der zweiten und dritten Lesung entsprechend Stellung Deshalb glaube ich, dass wir da einen Konsens finden nehmen – ist die Fortsetzung einer stetigen Aufstockung können. durch die Koalition gelungen. Diejenigen, die sich damit befasst haben, wissen, dass in den sieben Jahren, in de- Ich will wegen der beschränkten Redezeit nur noch nen wir nicht in der Regierung waren, das Volumen des auf einen Punkt eingehen, weil er von einigen Kollegen Einzelplans gesunken ist. In diesem Jahr steigt es noch kritisch angesprochen wurde: die erneuerbaren Ener- einmal um 14,6 Prozent. Damit schaffen wir die Grund- gien. Was in diesem Bereich von unseren Durchfüh- lagen, um die Ziele der Millenniumserklärung sowie die rungsorganisationen inzwischen geleistet wird, ist un- Development-Goals zu einem großen Teil zu erreichen. glaublich. Das bedeutet natürlich, dass wir damit auch einen Beitrag zur Erreichung der gemeinsamen Klima- Dass wir das nicht bis zum letzten Punkt schaffen ziele leisten. werden, der Überzeugung bin ich auch. Deshalb glaube ich, dass in einer der nächsten Legislaturperioden über Man muss zur Kenntnis nehmen, dass am 7. Juni alternative Finanzierungsinstrumente nachzudenken sein 2007 die größte netzgekoppelte Solaranlage Afrikas in (B) wird, die man nach meiner Überzeugung den Bürge- Ruanda eingeweiht worden ist und die Stadtwerke (D) rinnen und Bürgern dann aber vor den Wahlen nennen Mainz vom Partnerland 1 Million Euro zur Verfügung muss, damit die Bürgerinnen und Bürger wissen, was auf gestellt haben. Mithilfe der GTZ bilden die ruandischen sie zukommt. Stadtwerke nun ruandische Solartechniker aus. Das ist ein hervorragender Ansatz, um Entwicklungspolitik Bei der Umsetzung der G-8-Beschlüsse in Bezug auf dann auch in wirtschaftliche Entwicklung in dem jewei- Klimaschutz und Gesundheit kommt der Förderung re- ligen Land umzusetzen. Deshalb kann ich nur sagen: gionaler Kooperationsansätze zwischen Entwicklungs- Prima Programm! ländern sowie der Unterstützung von Regionalorganisa- tionen in den verschiedenen Kontinenten, insbesondere Lassen Sie mich am Schluss noch kurz das Thema in Afrika, besondere Bedeutung zu. Auf Afrika entfällt Budgethilfe ansprechen. Ich bin der Überzeugung, dass mit einem Fördervolumen von 774 Millionen Euro es richtig ist, Budgethilfe auf den Prüfstand zu stellen. 40 Prozent des Gesamtvolumens. In der thematischen Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf man Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenar- nicht so undifferenziert tun. beit kommt vor allen Dingen den Bereichen Grundbil- (Gabriele Groneberg [SPD]: Das ist eine Pau- dung, Gesundheit, erneuerbare Energien und Energie- schalierung!) effizienz, Tropenwald, Wasser und Mikrofinanzen eine besondere Bedeutung zu. Wir müssen uns die Zeit nehmen, uns jedes einzelne Land vorzunehmen, für das es Budgethilfe gibt, und je- Frau Ministerin, ich bin der Auffassung, dass es rich- des einzelne Land zu überprüfen. tig ist, im Bereich Grundbildung Schwerpunkte zu set- zen. Aber ich sage auch: Wir müssen in den nächsten (Dr. Karl Addicks [FDP]: Das habe ich gesagt! Wochen über einen ganz besonderen Punkt diskutieren. Genau! Meine Rede!) Ich habe bei meinen Besuchen in den letzten zwei, drei Ich bin der Überzeugung, dass es bestimmte Grund- Jahren festgestellt, dass es durch den Kalten Krieg eine prinzipien geben muss, und diese Grundprinzipien hei- Auseinandersetzung zwischen West und Ost über die ßen: Erstens. Es muss eine deutliche Entwicklung zu gu- Fragen gab: „Wer bildet in welchem Land Studenten ter Regierungsführung vorhanden sein. Zweitens. Das aus?“, „Wer holt Studenten in die Bundesrepublik Parlament in dem Land muss beteiligt werden. Man darf Deutschland oder in die DDR und unterstützt Ausbil- dadurch nicht eine Richtung stabilisieren. dung?“, und wir heute in diesen Ländern auf die Eliten treffen, die in der Bundesrepublik Deutschland ausgebil- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des det worden sind, Abg. Dr. Karl Addicks [FDP]) Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11585

Hartwig Fischer (Göttingen) (A) Das können wir sicherlich gemeinsam schaffen. (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Wirtschaftspartner- (C) schaftsabkommen!) (Gabriele Groneberg [SPD]: Das ist immer schon gefordert worden!) das natürlich schwerwiegende Folgen haben und vielen Menschen die Existenzgrundlage rauben wird, unter an- Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Ministerin sich derem den von Ihnen, Herr Addicks, angesprochenen einem solchen Thema entzogen hat. Ich habe mit der Kleinunternehmern, zum Beispiel Kleinbauern, Landar- Staatssekretärin, Frau Kortmann, dazu hervorragende beiterinnen und Fischern. Sie werden von den Folgen Gespräche geführt. Ich habe nicht erlebt, dass die Minis- solcher Abkommen betroffen sein, weil sie mit den sub- terin anderer Auffassung war. Ich glaube, diesen Dialog ventionierten Produkten der EU nicht konkurrieren kön- sollten wir führen. nen. Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich und hoffe, (Beifall bei der LINKEN) dass wir in Zukunft die Themen im Ausschuss ernsthaft diskutieren, nicht aber in diesen Debatten Kritiken zu einzelnen Punkten vortragen, weil wir damit die Vorur- Vizepräsidentin Petra Pau: teile gegenüber Entwicklungspolitik nur verstärken. Kollegin Hänsel, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Heike Hänsel (DIE LINKE): Vizepräsidentin Petra Pau: Nein, jetzt nicht. Ich will den Aspekt der EPAs noch abschließen; das ist nämlich entscheidend. Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel für die Frak- tion Die Linke. (Gabriele Groneberg [SPD]: Eben darum!) (Beifall bei der LINKEN) Wir sind der Auffassung, dass der Entwicklungsfonds in diesem Zusammenhang als Marktöffnungsinstrument Heike Hänsel (DIE LINKE): missbraucht wird. Dementsprechend wehren sich zuneh- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! mend mehr Menschen in afrikanischen Ländern gerade Fast am Schluss werde auch ich jetzt noch einiges zur gegen diese Abkommen. Es wird am 27. September ei- Entwicklungszusammenarbeit ergänzen. – Selbstver- nen weltweiten Aktionstag dagegen geben, an dem die ständlich begrüßt die Linksfraktion, dass es mehr Geld Menschen weltweit auf die Straße gehen werden. Wir für Entwicklungszusammenarbeit gibt. Wir können aber werden uns an ihm übrigens beteiligen. (B) auch die Kritik nachvollziehen, Herr Fischer, die einige (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Addicks (D) Organisationen geübt haben, weil im Vorfeld des G-8- [FDP]: Das ist üble Nachrede!) Gipfels höhere Erwartungen geweckt wurden. Beispiels- weise war das Aktionsbündnis „Deine Stimme gegen Frau Merkel hat heute Morgen im Zusammenhang Armut“ sehr enttäuscht; sie haben nach dem G-8-Gipfel mit einem anderen wichtigen Thema, das mit Entwick- eine große Anzeige in mehreren Zeitungen geschaltet, lung zusammenhängt, die Aussage getroffen: Entwick- aus der ich zwei, drei Sätze zitiere: lung braucht Sicherheit, Sicherheit braucht Entwicklung. Ich frage Sie: Welche Sicherheit meint sie eigentlich? Liebe Angela Merkel, für Sie war der G-8-Gipfel Meint sie soziale Sicherheit für die Bevölkerung, oder von Heiligendamm ein Erfolg. Für Menschen in meint sie militärische Sicherheit in Kriegsregionen, wie Armut war er ein Trauerspiel. Zur öffentlichen Ent- zum Beispiel in Afghanistan? Dort erleben wir nämlich, wicklungshilfe haben Sie nur Versprechungen von dass Entwicklungszusammenarbeit zunehmend auch Gleneagles wiederholt, aber keinen verbindlichen strategisch eingesetzt wird, um eine Akzeptanz von Be- Umsetzungsplan verabschiedet. satzung, um Sicherheit für Soldaten zu organisieren. Das Ich halte diese Kritik für absolut legitim. sehen wir als Missbrauch von Entwicklungshilfe an. Das ist eine gefährliche Entwicklung, die wir strikt ablehnen. Der zweite Aspekt der Entwicklungshilfe sind neben ihrer Höhe die Rahmenbedingungen, die für sie gesetzt (Gabriele Groneberg [SPD]: Das haben Sie al- werden, um nachhaltig Entwicklung zu fördern. Wir set- les in den völlig falschen Hals bekommen!) zen uns ganz klar für andere Weichenstellungen inner- Für uns ist ganz klar, dass Entwicklungspolitik Teil halb der Welthandelsordnung ein. In unseren Augen einer Friedenspolitik sein muss, nicht aber Teil einer Si- reicht es nicht aus, mehr Geld in den Global Funds zu cherheitspolitik und vor allem nicht Teil von Kriegspoli- investieren, wenn sich Angela Merkel parallel dazu auf tik. dem G-8-Gipfel für den Patentschutz stark macht, der mit dazu führt, dass der Zugang zu billigen Medikamen- In diesem Zusammenhang möchte ich an Sie, Frau ten für Menschen in Entwicklungsländern erschwert Wieczorek-Zeul, eine Frage richten, weil ausgerechnet wird. Sie als Entwicklungsministerin sich für dieses OEF- Mandat stark gemacht haben mit der Begründung, wir Es reicht auch nicht aus, mehr Geld in den europäi- könnten nur so unseren Einfluss bei diesem OEF-Man- schen Entwicklungsfonds zu investieren, wenn gleich- dat weiterhin geltend machen. zeitig die Europäische Union ein Freihandelsabkommen mit 78 Ländern der AKP-Staaten abschließen will, (Beifall des Abg. Hellmut Königshaus [FDP]) 11586 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007

Heike Hänsel (A) Dieses Mandat ist ja ein reiner Kampfeinsatz, der nichts schon, wie die Bundesregierung eigentlich das hier pro- (C) mit Entwicklung zu tun hat. Da frage ich mich, wie es klamierte Millenniumsziel erreichen will. kommt, dass Sie, wo doch diese Politik eindeutig in eine (Beifall der Abg. Ute Koczy [BÜNDNIS 90/ Sackgasse führt, mit in diese Sackgasse gehen, anstatt ei- DIE GRÜNEN]) nen anderen Weg aufzuzeigen. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Seit sechs Jahren ist die Bundes- Der Aufwuchs der Barmittel allein reicht natürlich nicht wehr an diesem OEF-Mandat beteiligt. Wir sehen doch, aus. Aus den derzeit üblichen Verschiebungen von Mo- wie viele Zivilisten im Rahmen dieses Kampfeinsatzes nat zu Monat sollen jetzt, so hören wir, Verschiebungen bereits getötet wurden. über Jahre werden. Das, was Sie hier in einer Randnote verkündet haben, ist eine schlechte Nachricht für die (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Und 6 Millionen Entwicklungszusammenarbeit. Menschen gehen wieder zur Schule! Wollen Sie die Taliban als Entwicklungshelfer be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zeichnen?) Frau Ministerin, am Beginn Ihrer Rede haben Sie von – Hat der Kampfeinsatz für Schulbesuche gesorgt? Wäh- neuen Herausforderungen und am Schluss von neuen rend des Kampfeinsatzes wurden Zivilisten getötet, und Zuständigkeiten für die Entwicklungszusammenarbeit die daran beteiligten KSK-Soldaten stehen unter ande- gesprochen. Wir sehen dabei die Schwierigkeit, dass Sie rem im Verdacht, Murat Kurnaz misshandelt zu haben. versuchen, neuen Herausforderungen mit alten Struktu- Diese Palette könnte ich erweitern. Insofern handelt es ren und auf der Basis bestehender Abläufe gerecht zu sich um eine absolute Sackgasse, in die wir da gehen. werden. Es stellt sich also die Frage, wie Ihr Haus mit Ich kann es nicht nachvollziehen, dass sich die Entwick- den Aufwüchsen, die in diesem Haushalt vorgesehen lungsministerin dafür einsetzt. sind – wir begrüßen diese und unterstützen Sie dabei, wenn Sie Ihr Herzblut da hingeben –, umgeht. Wenn wir (Beifall bei der LINKEN) einmal hinter die entwicklungsbewegten Reden schauen, Herr Steinmeier hat von einem politisch-moralischen dann stellen wir fest – das haben wir alle erlebt –, dass in Projekt bezüglich Afghanistans gesprochen. Dagegen diesem Bereich schon seit Jahren eine mangelnde Koor- möchte ich zum Abschluss eine authentische Stimme aus dination zwischen den verschiedenen Bundesministerien Afghanistan setzen. Es handelt sich um eine engagierte zu beklagen ist. Es spricht Bände, dass sich während die- Frauenrechtlerin und Parlamentarierin, Malalai Joya, die ser Debatte die Vertreter des Auswärtigen Amtes diplo- wir übrigens für nächste Woche eingeladen haben. Sie matisch verdrückt haben, die Vertreter des Verteidi- sagt unter anderem – ich zitiere –: gungsministeriums schon lange den Rückzug eingeläutet haben und nur ein Vertreter des Finanzministeriums da (B) (D) Mittlerweile hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass ist und aufpasst, dass nicht zu viel Geld ausgegeben der Westen nur für seine eigenen strategischen und wird. Sonst sind nur Vertreter Ihres Ministeriums noch politischen Interessen in Afghanistan eintritt und auf der Regierungsbank zu sehen. Auch das weist auf das Leid der Menschen die internationale Gemein- das von mir angesprochene Problem hin. schaft nicht wirklich tangiert. Nachdem Afghanistan hier schon eine wichtige Ich finde, zu dieser Einschätzung muss die Bundesre- Rolle gespielt hat, sollten wir einmal darüber reden, ob gierung Position beziehen. Vor allem aber muss sie sich wir mit den Strukturen, mit denen wir bisher arbeiten, dem Protest der Mehrheit der Bevölkerung in diesem bei den wirklich dringenden Fällen nicht manchmal zu Lande stellen. Viele davon werden jetzt am Samstag träge reagieren. nämlich auf die Straße gehen und dagegen demonstrie- ren. (Beifall des Abg. Winfried Nachtwei [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]) Danke. Auch ich weiß, dass Entwicklungszusammenarbeit an (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Addicks manchen Orten seine Zeit braucht. Ich verstehe, dass Re- [FDP]: Dann können Sie ja gleich mit den Ta- gierungsverhandlungen bestimmten Prozessen unterwor- liban zusammen demonstrieren!) fen sind, und ich verstehe die Frage von Afghan Owner- ship und anderem. Aber ich frage mich, warum andere Vizepräsidentin Petra Pau: Partner es hinbekommen, aus diesem schon fast rituali- sierten Prozess der Regierungsverhandlungen bei eiligen Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde für die Projekten auch einmal auszubrechen, während wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Einzige starr am Terminkalender bleiben. Wie gesagt, ich kann das in der Sache nachvollziehen; aber wenn ich Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mir anschaue, wie Entwicklungshelferinnen und Ent- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! wicklungshelfer, Polizistinnen und Polizisten sowie An- Diese Debatte über einen Haushalt, der eine erfreuliche gehörige der Bundeswehr in Afghanistan im Sinne der Entwicklung nimmt, hat auf eine Schwierigkeit auf- zivilen Entwicklung, die wir als das Wichtigste ansehen, merksam gemacht. Herr Fischer, Sie haben gerade für ihren Kopf hinhalten, dann frage ich mich schon, ob die CDU die Fragen zu neuen Finanzierungsmechanis- nicht doch manches schneller ginge und ob wir nicht den men bis 2009 en passant abgehandelt. Wenn man sich einen oder anderen Ablauf optimieren könnten, um der einmal klarmacht, was das bedeutet, dann fragt man sich Dringlichkeit gerecht zu werden. Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11587

Alexander Bonde (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Prozess im Februar mithilfe des Rechnungshofes voran- (C) sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und geht; aber wir warten bis heute auf eine Richtungsent- der FDP) scheidung. Das Gleiche erleben wir bei dem vorhin vom Kolle- Wir unterstützen Sie mit Herzblut in der Sache. Wir gen Trittin angesprochenen Einsatz der Abteilung „Inter- freuen uns, dass Ihr Bereich in der Regierung wichtiger national Services“ der GTZ auf Anfrage der Holländer. genommen wird. Machen Sie da weiter. Aber wir for- Ich finde Ihre Position natürlich plausibel, dass Sie erst dern mehr Präzision und Konzentration, wenn es um die die Garantie der Holländer wollen, um sicher operieren Kärrnerarbeit bei den Verwaltungsaufgaben geht. Ich zu können. Aber nichtsdestotrotz ist dann wieder ein hal- glaube, da sind in Ihrem Hause noch einige Hausaufga- bes Jahr ins Land gegangen, bevor in der Kombination ben zu erledigen. Wenn Sie dann noch die Koordination von holländischem Geld und deutschem Know-how mit mit anderen Ministerien hinbekommen und wir nicht der Hilfe auch nur begonnen wurde. Ich finde, wir müs- dasselbe Gezerre erleben wie bei den Mitteln für Afgha- sen genau überlegen, ob wir nicht an bestimmten Stellen nistan, dann können Sie unserer Zustimmung noch si- die Handbremse lösen sollten. Es macht mir große cherer sein. Aber da ist noch einiges an Arbeit zu bewäl- Sorge, dass unser wichtigstes Instrument immer am tigen, bis wir als Opposition zufrieden sind. längsten Zeit benötigt. Herzlichen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ebenfalls macht mir Sorge, dass Sie in der Großen sowie der Abg. Dr. Bärbel Kofler [SPD]) Koalition in der Frage, wie wir die Entwicklungsinstitu- tionen verbessern können, den gesamten Prozess an die Vizepräsidentin Petra Pau: Wand gefahren haben. Als wir das letzte Mal hier über den Haushalt Ihres Hauses diskutiert haben, hatten wir Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen als Haushaltsausschuss gerade die Notbremse ziehen nicht vor. müssen, weil Sie ein Projekt auf den Weg gebracht ha- Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Sitzung. ben, bei dem Sie zentrale vergaberechtliche Fragen nicht geklärt hatten, bankenrechtliche Fragen sowie Fragen Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- der Besoldungsstruktur nicht im Griff hatten und noch destages auf morgen, Donnerstag, den 13. September nicht einmal realisiert hatten, dass wir als Parlament bei 2007, 9 Uhr, ein. einer so zentralen Frage wie der Übertragung von Bun- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch desvermögen das letzte Wort haben müssten. Dieses Pro- einen erfolgreichen Abend. (B) jekt haben Sie handwerklich ziemlich in den Sand ge- (D) setzt. Wir haben dann eigentlich erwartet, dass der (Schluss: 19.23 Uhr)

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 111. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. September 2007 11589

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bluhm, Heidrun DIE LINKE 12.09.2007 Hörster, Joachim CDU/CSU 12.09.2007*

Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 12.09.2007 Lintner, Eduard CDU/CSU 12.09.2007*

Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 12.09.2007 Meckel, Markus SPD 12.09.2007 DIE GRÜNEN Müller (Gera), Bernward CDU/CSU 12.09.2007 Fell, Hans-Josef BÜNDNIS 90/ 12.09.2007 DIE GRÜNEN Ortel, Holger SPD 12.09.2007

Ferner, Elke SPD 12.09.2007 Röring, Johannes CDU/CSU 12.09.2007

Haibach, Holger CDU/CSU 12.09.2007 Schily, Otto SPD 12.09.2007

Hermann, Winfried BÜNDNIS 90/ 12.09.2007 Dr. Stadler, Max FDP 12.09.2007 DIE GRÜNEN Dr. Stinner, Rainer FDP 12.09.2007 Höfken, Ulrike BÜNDNIS 90/ 12.09.2007 DIE GRÜNEN Strothmann, Lena CDU/CSU 12.09.2007

Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 12.09.2007 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- DIE GRÜNEN sammlung des Europarates (B) (D) Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44 ISSN 0722-7980