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Nadsat Original und Übersetzung einer fiktionalen Sprachvarietät

MASTERARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades Master of Arts

eingereicht bei ao. Univ.-Prof. Mag. Mag. Dr. Cornelia Feyrer Institut für Translationswissenschaft Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

von Katrin Kuprian Matrikelnummer: 00817987 Innsbruck, 2019

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angege- benen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht. Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Masterarbeit eingereicht.

______Datum Unterschrift

Inhaltsverzeichnis

Tabellenverzeichnis ...... III Abbildungsverzeichnis ...... IV 1 Einleitung ...... 1 1.1 Forschungsfragen ...... 2 1.2 Methode und Vorgehen ...... 3 2 Theoretischer Rahmen ...... 5 2.1 Übersetzungstheoretisches: Kommunikative Funktion und Äquivalenz ...... 5 2.1.1 Jakobsons Modell der kommunikativen Funktionen ...... 6 2.1.2 Nords Modell der funktionsgerechten Übersetzung ...... 8 2.1.3 Zusammenführung der Modelle ...... 12 2.1.4 Äquivalenz ...... 16 2.2 Sprachtheoretisches: Sprache und Varietät...... 22 2.2.1 Natürliche und künstliche Sprachen ...... 22 2.2.2 Sprachvarietäten ...... 24 3 ’ A Clockwork Orange (1962) ...... 28 3.1 Ausgangstextanalyse anhand Nords W-Fragen ...... 28 3.2 Nadsat ...... 36 3.2.1 Anlass, Intention und Wirkung ...... 36 3.2.2 Kategorisierung, Sprecher und Abgrenzung ...... 39 3.2.3 Nadsat-spezifische textinterne Merkmale ...... 42 3.2.4 Kommunikative Funktionen des englischen Nadsat ...... 53 4 Die deutsche Übersetzung Clockwork Orange von Ulrich Blumenbach (2013) .... 59 4.1 Zieltextanalyse anhand Nords W-Fragen ...... 59 4.2 Nadsat in deutscher Übersetzung ...... 62 4.2.1 Intention und Wirkung ...... 63 4.2.2 Nadsat-spezifische textinterne Merkmale ...... 64 4.2.3 Kommunikative Funktionen des deutschen Nadsat ...... 71 5 Die französische Übersetzung L’Orange mécanique von Georges Belmont und Hortense Chabrier (1972) ...... 74 5.1 Zieltextanalyse anhand Nords W-Fragen ...... 74 5.2 Nadsat in französischer Übersetzung ...... 78 5.2.1 Intention und Wirkung ...... 78

I 5.2.2 Nadsat-spezifische sprachinterne Merkmale ...... 79 5.2.3 Kommunikative Funktionen des französischen Nadsat ...... 86 5.3 Zusammenfassung der Analysen ...... 89 6 Beispielanalyse ...... 91 6.1 Lexik ...... 92 6.1.1 Russizismen ...... 92 6.1.2 Wortneubildung ...... 95 6.1.3 Onomatopoetika ...... 96 6.1.4 Kindersprache ...... 97 6.2 Syntax/Grammatik ...... 98 6.2.1 Satzlänge ...... 98 6.2.2 Einfacher Satzbau ...... 99 6.2.3 Grammatikalisch fehlerhafte Verwendung von like ...... 102 6.3 Stilfiguren ...... 103 6.3.1 Archaisierende Rede ...... 103 6.3.2 Wortspiele, Metaphern ...... 105 6.3.3 Wiederholungen von Konstruktionen und Worten ...... 106 6.3.4 Reim/Rhythmus ...... 107 6.3.5 Direkte Leseransprache ...... 109 7 Ergebnisse und Schlussfolgerungen ...... 110 7.1 Abweichungen ...... 110 7.2 Invarianzen ...... 113 7.3 Hierarchisierung der Merkmale und Funktionen ...... 115 7.4 Hauptfunktionen von Nadsat und ihre Umsetzung ...... 118 8 Fazit ...... 120 9 Diskussion/Evaluation ...... 123 Literaturverzeichnis ...... 125 Anhang ...... i Nadsat-Glossar ...... i Textstellen Beispielanalyse ...... x ACO (19–26) ...... x ACO-D (24–32) ...... xiii ACO-F (28–40) ...... xvii

II Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Textexterne und textinterne Faktoren (nach Nord 2003: 41)...... 9 Tabelle 2: Funktionen, Subfunktionen und ihre linguistischen Markierungen (nach Nord 1997: 51f.)...... 11 Tabelle 3: Zusätzliche Funktionen, ihre Subfunktionen und linguistische Markierungen (basierend auf Jakobson 2007)...... 14 Tabelle 4: Funktionsmodell dieser Arbeit, basierend auf Tabelle 2 und Tabelle 3 (nach Jakobson 2007 und Nord 1997)...... 16 Tabelle 5: Texttyp, Invarianz und Übersetzungsmethode nach Reiß (aus Siever 2015: 67)...... 18 Tabelle 6: Sprachliche Besonderheiten des englischen Nadsat...... 43 Tabelle 7: Keywords in ACO (in Anlehnung an Clarke/Vincent o. D.)...... 44 Tabelle 8: Die zehn häufigsten Russizismen in ACO. Keyword-Analyse erstellt mit Sketch Engine, Referenzkorpus enTenTen15...... 45 Tabelle 9: Häufigkeit von Lemmata in enTenTen15 und ACO pro einer Million Wörter. Errechnet mit Sketch Engine...... 48 Tabelle 10: Besonderheiten des deutschen Nadsat...... 64 Tabelle 11: Keywords in ACO-D. Referenzkorpus: deTenTen2013. Erstellt mit Sketch Engine...... 65 Tabelle 12: Die zehn häufigsten Russizismen in ACO-D. Keyword-Analyse mit Sketch Engine, Referenzkorpus enTenTen13...... 65 Tabelle 13: Häufigkeit von Lemmata in deTenTen13 und ACO-D pro einer Million Wörter. Errechnet mit Sketch Engine...... 68 Tabelle 14: Besonderheiten des französischen Nadsat...... 80 Tabelle 16: Russizismen in der Textstelle aus ACO, ACO-D und ACO-F. Keywords mit den Vergleichskorpora enTenTen15, deTenTen13 und frTenTen12. Erstellt mit Sketch Engine...... 92 Tabelle 17: Durchschnittliche Satzlänge Textauszug; ACO, ACO-D und ACO-F...... 98 Tabelle 18: Häufigkeiten ausgewählter Lemmata in ACO, ACO-D und ACO-F. Jeweils im Vergleichskorpus, im gesamten Werk und im Textauszug. Errechnet mit Sketch Engine...... 101 Tabelle 19: Direkte Leseransprache in den Textauszügen von ACO, ACO-D, ACO- F sowie in den Vergleichskorpora. Errechnet mit Sketch Engine...... 109 Tabelle 20: Linguistische Merkmale von Nadsat in ACO, ACO-D und ACO-F. Legende: K = Kompensation, R = Reproduktion, V = Verzicht...... 120

III Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Organonmodell der Sprache nach Bühler (Bühler 1982: 28)...... 6 Abbildung 2: Buchcover von ACO...... 28 Abbildung 3: Buchcover von ACO-D...... 59 Abbildung 4: Buchcover von ACO-F...... 74

IV

1 Einleitung Anthony Burgess‘ Buch A Clockwork Orange, das 1962 erstmals erschien, gehört zu jenen Büchern, die Kultstatus erlangt haben – spätestens seit der Verfilmung von Stan- ley Kubrick im Jahre 1971 (Stiftel 2014). Dank der Verfilmung hat das Werk ein noch breiteres Publikum erreicht und sowohl Befürworter als auch Gegner auf den Plan geru- fen (Evans 1971: 410). Die Besonderheit von A Clockwork Orange liegt zu einem großen Teil in seiner sprach- lichen Konzeption. Burgess lässt seinen Protagonisten Alex eine von ihm als nadsat (russisch -надцать ist die Endung für -zehn, also das Äquivalent zu teen) bezeichnete Sprache verwenden. Am auffälligsten dabei sind in erster Linie die russisch anmutenden oder ans Russische angelehnten Wörter sowie das teilweise veraltete Englisch. Während es drei Übersetzungen ins Deutsche gibt, entstand bis heute nur eine französi- sche Übertragung des Werks. Die erste deutsche Übersetzung von Walter Brumm er- schien 1972 bei Heyne (Uhrwerk Orange), die zweite von Walter Krege 1993 bei Klett- Cotta (Die Uhrwerk-Orange) und überarbeitet und mit neuem Titel 1997 erneut bei Klett-Cotta (Clockwork Orange). Schließlich wurde 2013 eine neue Übersetzung von Ulrich Blumenbach, wiederum bei Klett-Cotta, publiziert (A Clockwork Orange; im Folgenden ACO-D). Die französische Übersetzung von Georges Belmont und Hortense Chabrier stammt aus dem Jahr 1972 (L’Orange mécanique; im Folgenden ACO-F) und wurde 2012 (ACO-Fe) neu aufgelegt. Sie ist noch immer die einzige publizierte Über- setzung in französischer Sprache. Wegen der Berühmtheit und Beliebtheit des Buchs, die in den letzten fast sechzig Jah- ren nicht abebbten, entstand eine Vielzahl von Untersuchungen und Artikeln zu diesem Werk (z. B. Evans 1971, Müller 1999, Goh 2000, Vincent/Clarke 2017 etc.). Dies liegt nicht zuletzt auch an der philosophischen Dimension, die in Form der Frage nach Gut und Böse und der Entscheidungsfreiheit des Menschen im Buch behandelt wird. Und obwohl durchaus Arbeiten zum Thema Nadsat existieren, wurde eine Untersuchung der Sprache mit dem Fokus der Funktionsanalyse, wie sie in dieser Arbeit angestrebt wird, noch nicht durchgeführt. Außerdem gibt es bis zur Entstehungszeit der vorliegenden Arbeit keine wissenschaftliche Publikation zur neuen, 2013 erschienenen deutschen Übersetzung von Blumenbach.

1.1 Forschungsfragen Obwohl ein innersprachlicher Übersetzungsvergleich der drei deutschen Übersetzungen äußerst interessant wäre, soll dieser nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Die Gründe dafür sind einerseits die bereits existierenden Analysen der ersten beiden Über- setzungen und andererseits die notwendige Themenbegrenzung. Da bereits zahlreiche Publikationen zu philosophischen Aspekten von A Clockwork Orange erschienen sind und auch die Verwendung von Russizismen (im Deutschen) eingehend behandelt wurde, soll weder das eine noch das andere das zentrale Thema der hier vorliegenden Arbeit sein. Stattdessen soll einerseits festgestellt werden, aus wel- chen linguistischen Markern Nadsat besteht, andererseits soll anhand von Jakobsons Funktionsmodell (2007) sowie Nords Modell des funktionsgerechten Übersetzens (u. a. 1993, 2003) ermittelt werden, welche Funktionen das Original erfüllt und ob die neue deutsche und die französische Übersetzung nach dem Prinzip der Funktionsäquivalenz erstellt wurden. Die hier behandelte Forschungsfrage lautet folglich: Wodurch zeichnet sich das vom Protagonisten in Anthony Burgess‘ Roman A Clockwork Orange gesprochene Nadsat aus, welche Funktionen erfüllt es, und wie wird es ins Deutsche und ins Französische übertragen? Diese Hauptfrage kann in die folgenden Unterfragen aufgeteilt werden. So soll eine systematische und verständliche Aufarbeitung der Thematik ermöglicht werden. • Welche linguistischen Merkmale zeichnen Nadsat im Original und in den Übersetzungen aus? • Welche Funktionen erfüllt Nadsat im Original? • Wurde Nadsat funktionsäquivalent in die deutsche und französische Spra- che übersetzt? • Können eventuelle Abweichungen mit der Übertragung der einzelnen Merkmale erklärt werden? Ziel ist es also erstens, diejenigen linguistischen Merkmale zu identifizieren, die die fiktionale Sprachvarietät Nadsat ausmachen. Zweitens sollen die von dieser Sprache erfüllten Funktionen identifiziert und die entsprechenden Merkmale zugeteilt werden. Schließlich werden diese Aspekte auch in den Übersetzungen herausgearbeitet und es wird festgestellt, ob funktionsäquivalent übersetzt wurde bzw. welche Veränderungen warum in der Funktionshierarchie vorgenommen wurden.

2 1.2 Methode und Vorgehen Für eine Untersuchung der Sprachfunktionen in einem literarischen Werk und seiner Übersetzung bietet sich Christiane Nords funktionsgerechtes Übersetzungsmodell an (Nord u. a. 1997, 2003, 2011). Es gehört mittlerweile zum Standardrepertoire in der Übersetzungswissenschaft und insbesondere der Übersetzungsdidaktik. Dieses Modell wird in verschiedenen Aufsätzen und Büchern vorgestellt, darunter Nord 1997, 2003 und 2011. In diesen Werken beschreibt Nord ihre Theorie der funktionsgerechten Über- setzung, insbesondere in Bezug auf literarische (und religiöse) Texte. An dieser Stelle ist besonders Nord 1997 hervorzuheben, da die Autorin darin die Funktionen im literari- schen Kontext vorstellt und ihre linguistischen Markierungen darlegt. Da Nords Modell der funktionsgerechten Übersetzung auf Jakobsons berühmtem Funk- tionsmodell (Jakobson 2007) aufbaut, spielt auch dieses in der Arbeit eine Rolle. Au- ßerdem wird Nords Kategorisierung der metasprachlichen und der poetischen Funktionen als Subfunktionen der referentiellen bzw. der appellativen Funktion nicht übernommen, stattdessen stellt Jakobson in diesen Belangen die Basis dar, weil insbe- sondere im Hinblick auf die hier untersuchte Sprache die ‚Abwertung‘ dieser Funktio- nen zu Subfunktionen nicht sinnvoll ist (siehe dazu Kapitel 1.1.2 bzw. 1.1.3). Für die allgemeine Analyse der Texte dient Nords Modell der W-Fragen (Nord 2003) als Grundlage. Einige Aspekte werden nur kurz gestreift und nicht ausführlich dargelegt, weil sie in Hinblick auf die Funktionsanalyse nur beschränkt relevant sind. Zur konkre- ten Analyse von Textstellen werden lediglich einzelne Fragen herangezogen. Diese Ein- schränkung wird vorgenommen, weil einzig die Zusammensetzung, die Funktion sowie die Übertragung von Nadsat untersucht werden sollen und andere textinterne und text- externe Faktoren dabei nur bedingt eine Rolle spielen. Wo eine solche Bedeutung für die Funktion von Nadsat gegeben ist, wird sie auch dargestellt. Die Anwendung der beiden Funktionsmodelle auf die fiktionale Sprache Nadsat und ihre Übersetzungen ermöglicht eine objektive bzw. objektivierbare Beschreibung dieser Sprache. Darauf aufbauend soll anhand der übersetzungsrelevanten W-Fragen sowie des angepassten Funktionsmodells (das unter 2.1.3 vorgestellt wird) und schließlich anhand einer Gegenüberstellung einer exemplarischen Textstelle ein möglichst neutraler Zu- gang zur Untersuchung des englischen Originals sowie der deutschen und französischen Übersetzungen gefunden werden. Außerdem werden einige relevante sprachtheoretische Begriffe geklärt. Die Einteilung bzw. die Anlehnung an bestimmte sprachtheoretische Konzepte und Begriffe (wie die

3 im Titel enthaltene fiktionale Sprachvarietät) werden eingeführt. Die Begrifflichkeiten sollen helfen, die Funktionen von Nadsat zu erörtern. Die eruierten Besonderheiten der untersuchten Sprache werden zur Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit in Kategorien eingeteilt. Das für die englische Sprachwissen- schaft und Stilistik bedeutende Werk Style in Fiction (Leech/Short 1981) und die darin vorgenommene Einteilung in Lexik, Grammatik/Syntax sowie Stilfiguren (ebd.: 75–79) erweisen sich als sinnvolle Methode zur Kategorisierung1. Anschließend wird anhand eines möglichst exemplarischen Textauszugs2 veranschau- licht, welche linguistischen Merkmale Nadsat ausmachen, welche Funktionen die Sprachvarietät erfüllt und wie sie in die deutsche und französische Sprache übertragen wurde. Dabei wird untersucht, inwiefern und auf welcher Ebene das Postulat der Äqui- valenz eingehalten wurde. Zu diesem Zweck wird im theoretischen Teil eruiert, was unter Äquivalenz in der Übersetzungswissenschaft zu verstehen ist. Um die Ergebnisse der Analyse anhand der W-Fragen mit Zahlen zu unterfüttern, wird in diesem Kapitel zum Teil die Methode der Korpusanalyse angewendet. Diese erfolgt mit Sketch Engine, einem kostenpflichtigen Onlinetool zur Analyse von Sprache und Texten anhand be- stimmter Algorithmen (Lexical Computing CZ s.r.o. o. D.: s. v. What is Sketch Engine?). In dieser Arbeit wird die Sprachverwendung des Protagonisten Alex in A Clockwork Orange untersucht. Konkret werden dabei nicht seine direkten Aussagen im Dialog mit anderen Figuren im Buch, sondern seine Sprache als Erzähler den LeserInnen gegen- über analysiert. Diese Perspektive wurde in bisherigen Untersuchungen noch nicht ein- genommen. Im Zentrum stehen die Funktionen, die diese Sprachverwendungen in Hinblick auf die (intendierte) Leserschaft erfüllen. Die Tatsache, dass jedes Verstehen, jede Lektüre, jede Textproduktion und jede Übersetzungsarbeit mit Interpretation und somit mit einer subjektiven Größe verbunden ist, wird in der Arbeit nicht ausgeblendet. Die Einteilung in Funktionen und die Kategorisierung in linguistische Merkmale sollen aber zu einer möglichst objektiven Untersuchung führen.

1 Die vierte Kategorie Kontext und Kohäsion wird dabei ausgeblendet. Relevante linguistische Merkmale, die unter diese Kategorie fallen würden, werden je nach Beschaffenheit einer anderen zugeordnet. 2 Als ‚exemplarisch‘ gilt die ausgewählte Stelle, weil sie relativ wenig fremde Rede beinhaltet und daher die Eigenheiten der vom Protagonisten und Erzähler verwendeten Sprache leichter erkannt werden kön- nen.

4 2 Theoretischer Rahmen Zur Objektivierung der vorgenommenen Untersuchungen und zur Beantwortung der Forschungsfrage bedarf es eines theoretischen Rahmens. Dieser besteht bei der vorlie- genden Arbeit aus Jakobsons Funktionsmodell der Sprache (Jakobson 2007) und aus Nords Modell funktionsgerechten Übersetzens (v. a. Nord 1997 u. 2003), das auf erste- rem aufbaut. Im Folgenden sollen beide Ansätze vorgestellt und anschließend solcher- maßen zusammengeführt werden, dass sie als Grundlage zur Funktionsidentifikation und -kategorisierung der im Text verwendeten Sprache und ihrer Übersetzungen fungie- ren können. Da es sich beim Untersuchungsgegenstand um (eine fiktive) Sprache handelt, soll ver- sucht werden, diese mit sprachtheoretischen Begriffen zu beschreiben. Um die Beschaf- fenheit und ihre Funktionen wissenschaftlich zu beleuchten, ist eine Übersicht über die verschiedenen Ausformungen von Sprache sinnvoll und angebracht. Eine kurze Einfüh- rung der für die vorliegende Arbeit relevanten Aspekte, das heißt Grundlegendes zu fiktiven Sprachen und zu Varietäten, muss jedoch genügen, um den Untersuchungsge- genstand vorzustellen. Für die Beschreibung der Übersetzungen wird im Anschluss der Äquivalenzbegriff her- angezogen. Dabei handelt es sich um einen vieldiskutierten Begriff – nicht nur in der Translationswissenschaft. Daher ist eine Festlegung auf ein Verständnis von Äquivalenz nötig. Ein kurzer Überblick über die wichtigsten Äquivalenzmodelle soll zusätzlich ge- geben werden.

2.1 Übersetzungstheoretisches: Kommunikative Funktion und Äquivalenz Zur Untersuchung von Übersetzungen ist ein übersetzungstheoretisches Modell nötig, das die vorliegende Arbeit objektivierbar macht. Obwohl sie ein eher junges Fach ist, existiert in der Translationswissenschaft eine Vielzahl an Theorien und Ansätzen. Da Christiane Nords (u. a. 1997 u. 2003) Modell der übersetzungsrelevanten Textanalyse und die damit zusammenhängende Funktionsanalyse derzeit im deutschsprachigen Raum weit verbreitet und anerkannt sind, wird diese Theorie als Grundlage für die Iden- tifizierung der relevanten Sprachmerkmale herangezogen. Sie eignet sich vor dem Hin- tergrund dieser Arbeit nicht nur zur grundlegenden Analyse des Ausgangstexts, sondern insbesondere auch zur Identifikation der relevanten sprachlichen Elemente, die diesen

5 ausmachen. Die auf diese Weise festgestellten Funktionen des Texts bzw. der Sprach- verwendung bieten außerdem eine neutrale und nüchterne Charakterisierung. Der Be- griff der Äquivalenz zwischen Ausgangstext (AT) und Zieltext (ZT) soll darüber hinaus eine wertfreie Beschreibung der Übersetzungen ermöglichen.

2.1.1 Jakobsons Modell der kommunikativen Funktionen Jakobsons 1960 erschienener Aufsatz Linguistik und Poetik markiert einen bedeutenden Einschnitt für die Literaturtheorie (Hendrik Birus im Kommentar in Jakobson 2007: 155). Sein Modell baut auf Bühlers Organon-Modell der Kommunikation auf. Dieses unterscheidet drei Sprachfunktionen: den Ausdruck (geht vom Sender aus), den Appell (bezieht sich auf den Empfänger) und die Darstellung (eines Gegenstands oder Sach- verhalts), wie Abbildung 1 zeigt.

Abbildung 1: Organonmodell der Sprache nach Bühler (Bühler 1982: 28).

Darauf aufbauend erstellt Jakobson sein Modell, das sechs Elemente der Kommunikati- on (Adressant, Adressat, Kontext, Botschaft, Kontakt und Code) und ebenso viele Funk- tionen (emotive, konative, referentielle, poetische, phatische und metasprachliche Funktion) umfasst. Jakobson behandelt in seinem Aufsatz in erster Linie lyrische Texte, da ihn vor allem die poetische Funktion der Sprache und ihr Aufbau interessiert. Im Anschluss an die Erklärung seines Funktionsmodells führt er eine strukturale Gedicht- analyse durch und untersucht die klangliche Ebene in Gedichten semiotisch. Trotz sei- ner eigenen Konzentration auf die poetische Funktion hält er fest, dass ein Text nicht nur eine einzige Funktion erfüllt: In jeder sprachlichen Äußerung sind grundsätzlich alle Funktionen vorhanden, meist dominiert eine über die anderen Funktionen. Geht es hauptsächlich um die Haltung des Senders, steht die emotive Funktion im Vordergrund (Oh Schreck!); ist der Empfänger zentral, so dominiert die konative Funktion (Komm herein.). Die referentielle Funktion dominiert häufig in der Alltagskommunikation, in

6 der der Kontext eine übergeordnete Rolle spielt, während in literarischen Texten, be- sonders in Gedichten, meist die poetische Funktion im Vordergrund steht (eine detail- liertere Erklärung folgt im nächsten Absatz). Die phatische dominiert, wenn der Kontakt hergestellt, aufrechterhalten oder beendet werden soll (Hallo! Kannst du mich hören?) und die metasprachliche Funktion, wenn es um den Code selbst geht (Verstehst du, was ich damit sagen will?). Jakobson beschäftigt sich in seinem Aufsatz wie erwähnt hauptsächlich mit der poeti- schen Funktion. Diese bezeichnet er als „[d]ie Einstellung auf die BOTSCHAFT als solche, die auf die Botschaft um ihrer selbst willen zentriert ist“ (Jakobson 2007: 168; Hervorhebungen im Original). Jakobson betont, dass die poetische Funktion nicht auf Wortkunst beschränkt ist, dass sie jedoch in anderen Sprachverwendungen beispielswei- se die „Eindrücklichkeit und Wirksamkeit“ (ebd.: 169) der Botschaft verstärken kann. Laut Jakobson bildet die poetische Funktion „das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination ab“ (ebd.: 170). Auf der Achse der Äqui- valenz befinden sich verschiedene Worte, die (mehr oder weniger) dasselbe bezeichnen – also Synonyme (Kind: Balg, Heranwachsender, Nachkömmling etc.; schlafen: schlummern, dösen, ruhen etc.). Für jedes Bezeichnete, also für jedes Wort, gibt es eine solche Äquivalenzachse. Die ausgewählten Worte werden anschließend zu einer Se- quenz kombiniert (das Kind schläft). Bei einer dominierenden poetischen Funktion wird auch aus der Kombinationsachse auf Grundlage von Ähnlichkeit und Äquivalenz aus- gewählt (horrible Harry statt awful Harry bzw. auf das vorherige Beispiel bezogen: der Spross schlummert). Jakobson meint vor allem die poetische Funktion in Gedichten, bei denen sich Äquivalenz und Selektion auch auf Zeitabstände, Silbenzählung usw. bezie- hen. Sie ist jedoch auch in kleineren Einheiten zu finden: Alliterationen in einem litera- rischen (oder auch in einem anderen) Text können ebenfalls eine in erster Linie poetische Funktion erfüllen. Aufgrund von phonetischer, lexikalischer oder anders gear- teter Ähnlichkeit mitschwingende Bedeutungen, die nicht direkt angesprochen werden, zählen ebenfalls zu jenen Merkmalen, die eine poetische Sprachfunktion erfüllen. Eine Aussage oder ein Text kann also mehrere Funktionen erfüllen, jedoch dominiert meist eine. Daraus lässt sich schließen, dass eine bestimmte Hierarchie von Funktionen in einem Text vorhanden ist. Die dominierende Funktion eines Gedichts ist vermutlich die poetische, handelt es sich auch um ein politisches Gedicht, das zum Widerstand auf- ruft, steht vermutlich die konative Funktion an zweiter Stelle der Hierarchie. Darauf kann möglicherweise die emotive Funktion als Ausdruck der Haltung des Autors folgen.

7 Auf der untersten Hierarchiestufe steht womöglich die metasprachliche Funktion – auch wenn sie nicht gänzlich außer Acht gelassen werden kann. Eine eindeutige Einteilung und exakte Abgrenzung der kommunikativen Funktionen voneinander ist schwer zu erreichen, doch sollte versucht werden, möglichst objektiv anhand verschiedener sprachlicher Markierungen festzustellen, welche Funktion in wel- chem Fall im Vordergrund steht. Anhand dieser Analyse soll im Anschluss untersucht werden, ob die ÜbersetzerInnen die im Ausgangstext vorhandene Hierarchie der Funk- tionen übertragen konnten und ob sie dies anhand derselben sprachlichen Mittel taten.

2.1.2 Nords Modell der funktionsgerechten Übersetzung Christiane Nord ist seit fast fünfzig Jahren als Übersetzerin, Übersetzungslehrerin und Übersetzungswissenschaftlerin tätig und hat als solche an verschiedenen deutschspra- chigen und internationalen Hochschulen gelehrt und geforscht. Ihr Forschungsschwer- punkt ist Funktionalismus in Übersetzungstheorie, -methode und -didaktik. Die Funktionen, die ein Text erfüllt, sind dabei ein zentraler Teil der von ihr konzipierten Übersetzungsanalyse. Stimmen die Funktionen mit der Intention des Autors und der tatsächlichen Wirkung des Texts überein, so handelt es sich um eine geglückte Kom- munikation. Je nach Übersetzungsauftrag und intendiertem Ziel der Übersetzung müs- sen die Funktionen unterschiedlich gestaltet werden. Die Frage nach der Funktion ist bei Nord (2003) Teil der Textanalyse, die anhand der (von ihr erweiterten) Lasswell-Formel3 durchgeführt wird. Dabei werden textexterne und textinterne Faktoren mittels verschiedener W-Fragen identifiziert, die in der folgen- den Tabelle dargestellt sind.

3 Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Harold Dwight Lasswell entwickelte das als Lasswell- Formel bekannte folgende Frageschema: Wer sagt was, in welchem Kanal (Medium), zu wem, mit wel- cher Wirkung? (Brockhaus 1990: s. v. Lasswell-Formel).

8 Textexterne Faktoren Textinterne Faktoren Wer übermittelt Worüber wozu sagt er was wem (was nicht) über welches Medium in welcher Reihenfolge unter Einsatz welcher nonverbalen Ele- wo mente wann in welchen Worten warum einen Text in was für Sätzen mit welcher Funktion in welchem Ton mit welcher Wirkung? Tabelle 1: Textexterne und textinterne Faktoren (nach Nord 2003: 41).

Die Frage nach der Textfunktion wird bei Nord den textexternen Faktoren zugeordnet. Sie schreibt auch, dass die Funktion „keine Eigenschaft des Textes selbst“ (Nord 2010: 77) ist, sondern dem Text erst bei der Rezeption von den LeserInnen zugeschrieben wird. Dabei spielten die „persönlichen kommunikativen Bedürfnisse“ (ebda.) eine ent- scheidende Rolle. Sie räumt jedoch selbst ein, dass der Sender bzw. der Textproduzent den Text mit ‚Funktionssignalen‘ versehen [kann], die dem Empfänger anzeigen, für welche Funktion der Text eigentlich bestimmt ist, so dass er sich nicht beklagen kann, wenn der Text für eine andere Funktion, die er selbst für sich fordert, nicht geeignet ist. (Ebda.) Damit impliziert Nord, dass es durchaus eine objektive, textinterne Funktion gibt, die jedoch von den EmpfängerInnen nicht unbedingt erkannt bzw. korrekt eingestuft wer- den muss (das heißt, die Funktion muss nicht der tatsächlichen Wirkung entsprechen). Da die Funktionen allerdings nicht willkürlich zugeschrieben werden, sondern durchaus linguistisch im Text selbst verankert und aus ihm heraus analysierbar sind, sind sie auch zu einem gewissen Grad objektiv erkennbar. Während dem Text eine Funktion (auch) von den LeserInnen selbst zugeschrieben wird und daher die Interpretation und die diese begleitenden Faktoren nicht ignoriert werden dürfen, ist das Erkennen der (intendierten) Funktion aus dem Text durchaus möglich. Spielraum für Interpretation gibt es immer, eine eindeutige und zu hundert Prozent ‚richtige‘ Aussage kann nicht getroffen werden, doch es kann möglichst objektiv auf eine Funktion hingewiesen werden. Außerdem wird im Falle dieser Arbeit die Sprache Nadsat untersucht, während Nord auf eine allgemeine Beurteilung der Funktion eines ganzen Texts abzielt. Im Rahmen dieser Arbeit wird also das literarische Werk an sich in den Hintergrund und die spezifi-

9 sche Sprachverwendung des Protagonisten in den Mittelpunkt gerückt. Dabei soll einer- seits ermittelt werden, welche Funktionen diese Sprache erfüllt, und andererseits, durch welche sprachlichen Elemente diese Funktionen realisiert werden. Schließlich soll über- prüft werden, ob die Übersetzungen mit ähnlichen oder denselben Mitteln dieselben Funktionen (bzw. dieselbe Hierarchie der Funktionen) erfüllen. Nord unterscheidet in Anlehnung an Bühler und Jakobson vier Funktionen: die phatische (die sie von Jakobson übernimmt), die referentielle, die expressive und die appellative Funktion (emotiv und konativ bei Jakobson). All diese Funktionen werden in einem Text – unabhängig davon, ob es sich um einen literarischen Text handelt oder nicht – durch linguistische Markierungen mehr oder weniger deutlich gemacht. Das ist insofern von Bedeutung, als sich dieses Modell nicht nur auf Fachtexte, sondern auch auf literarische Texte anwenden lässt. Zusätzlich unterteilt Nord die vier Hauptfunktio- nen in Subfunktionen und nennt auch die dazugehörigen linguistischen Markierungen, wie in der folgenden Tabelle zu sehen ist.

LINGUISTISCHE FUNKTION SUBFUNKTION MARKIERUNG Kontaktaufnahme Titel, Rahmenbeginn Kontakterhalt Kapitelüberschriften Rahmenfortführung Metakommunikative Erzähler- paranthese mit 1./2. Pers. Phatische Funktion Wiederholung von Epitheta Wiederholung von Interjekti- onen Kontaktbeendigung ‚The End‘ Rahmenende Metakommunikation Erzählerkommentare Metasprache Wortspiele, Sprachreferenz Objektreferenz Kulturmarkierung Referentielle Funktion Personendarstellung (Idiolekt/ Soziolekt) Situationsdarstellung Emotive Fkt. Konnotationen Interjektionen 1. Pers. Diminutiva Expressive Funktion Evaluative Fkt. Suggestivfrage Superlative/Elative Identifizierung Erzählperspektive Distanzierung Ironie

10 LINGUISTISCHE FUNKTION SUBFUNKTION MARKIERUNG Persuasive Fkt. Rhythmus im Titel Suggestive Fkt. Lautmalerei ‚Sinnlichkeit‘ Appellative Funktion Illustrative Fkt. Metaphern Vergleiche Interpretationssteuerung Expressivität Referentialität Tabelle 2: Funktionen, Subfunktionen und ihre linguistischen Markierungen (nach Nord 1997: 51f.).

Obwohl Idiolekte und Soziolekte grundsätzlich eine referentielle Funktion erfüllen (wenn sie auf real existierende Sprachvarietäten verweisen), ist die Charakterisierung nicht auf diese Funktion beschränkt: Bei der Beurteilung muss unterschieden werden, ob es sich primär um eine (einigermaßen) wertfreie Darstellung handelt, die hauptsäch- lich der Information dient (= referentielle Funktion), oder um eine mehr oder weniger bewusste und zielgerichtete Darstellung/Charakterisierung, entweder als Ausdruck oder als Aufruf zu einer bestimmten Interpretation, bspw. als arrogant (= expressive/emotive bzw. appellative/konative Funktion). Ob die Charakterisierung eher der expressiven bzw. der appellativen Funktion zugeordnet werden kann, hängt davon ab, wer sie vor- nimmt: Handelt es sich um eine Selbstdarstellung, kann sie eher expressiv verstanden werden, während die Charakterisierung durch Interpretation und Lektüre seitens der LeserInnen als tendenziell konativ (appellativ) zu verstehen ist. Die Darstellung anderer Personen, die vordergründig ihre Präsentation, den Verweis auf sie, verfolgt, ist als pri- mär referentiell einzustufen. Auch Nord selbst weist auf eine solche Einteilung hin, wenn sie schreibt: Dementsprechend müssen wir uns natürlich fragen, ob die emotional oder wertend gefärbte Darstellung fiktiver Personen den Lesern tat- sächlich die gefühlsmäßige Einstellung des Autors zu seinen Ge- schöpfen kundgibt und damit diesen bestimmten Rollen in der Geschichte zuweist oder ob sie vielmehr appellativ gemeint ist in dem Sinne, daß sie die Leser zu der entsprechenden Parteinahme für oder gegen die Figuren bewegen soll. (Nord 1997: 41) Nord schreibt weiter, dass die im Zuge der Analyse festgestellten Merkmale des Aus- gangstexts nicht isoliert betrachtet und übersetzt werden dürfen, sondern den kommuni- kativen Funktionen zugeteilt werden und anschließend diese Funktionselemente übertragen werden sollen (ebda.: 40). Die ÜbersetzerInnen sollten also eine überset- zungsrelevante Analyse durchführen (siehe W-Fragen weiter oben in diesem Kapitel), die Funktionen erkennen und die sie erfüllenden linguistischen Merkmale ausarbeiten.

11 Anhand dieser Analyse und Feststellungen kann entschieden werden, wie die Funktio- nen jeweils übertragen werden. Vorher ist jedoch eine grundlegende Entscheidung zu treffen. Wie nämlich bereits Jakobson erkannte, weist Nord ebenfalls darauf hin, dass es (mit Ausnahmen) keine Texte gebe, die nur eine einzige Funktion erfüllen, sondern dass mehrere Funktionen in unterschiedlichem Maße vorhanden sind, meist jedoch eine do- miniert (ebda.). Außerdem gelte es, nicht nur einzelne Funktionsträger zu übersetzen (damit ist gemeint, dass eine Metapher nicht die gesamte appellative Funktion aus- macht), da „erst die Gesamtmenge der einer Funktion zugeschriebenen Erscheinungen sowie ihre Verteilung über den Text“ (ebda.) die gewünschte Wirkung ergeben. Daher spielen die Häufigkeit und die Verteilung bei der wahrgenommenen Funktionsintensität zwar eine Rolle, die einzelnen Merkmale verlieren dabei jedoch nicht an Bedeutung. Nord (2003: 82f.) führt zudem eine eigene Einteilung von Übersetzungstypen an. Sie unterscheidet zwischen der dokumentarischen und der instrumentellen Übersetzung. Während der erste Typ als ursprünglich in einer anderen Situation einer anderen Kultur und Sprache verwendeter Text deutlich gemacht wird, ist dieses Bewusstsein für den instrumentellen Typ nicht nötig. Unter die instrumentelle Übersetzung fallen die funkti- onskonstante (AT hat die gleiche Funktion wie ZT; Gebrauchstexte), die funktionsvari- ierende (AT kann nicht dieselbe Funktion wie ZT haben, weil die Voraussetzungen in der ZK [= Zielkultur] nicht vorhanden sind, die ZT-Funktion ist aber mit der AT- Funktion kompatibel; Übersetzung eines englischen literarischen Werks als Kinderbuch ins Deutsche) und die korrespondierende Übersetzung (‚ZT‘ nimmt eigenen Wert in der ZK ein, homolog zum AT in der AK [= Ausgangskultur]; Nachdichtungen, Übertra- gungen). Voraussetzung für eine instrumentelle Übersetzung ist, dass der AT nicht aus- schließlich an AK-RezipientInnen adressiert ist, sondern auch andere EmpfängerInnen ansprechen kann. Ist dies nicht der Fall, muss dokumentarisch übersetzt werden. Das schließt mit ein, dass der Leserschaft die Ausgangssituation in der AK deutlich gemacht werden muss.

2.1.3 Zusammenführung der Modelle Für eine möglichst differenzierte und objektive Analyse der Sprache in A Clockwork Orange (sowie der deutschen und französischen Übersetzung) werden Jakobsons und Nords Kommunikationsmodelle zusammengeführt und auf die Anforderungen der hier unternommenen Untersuchung zugeschnitten. Die Grundlagen der beiden Modelle wur- den bereits erklärt. In diesem Kapitel folgt eine kurze Darstellung der voneinander ab-

12 weichenden Aspekte und anschließend das in dieser Arbeit verwendete Funktionsmo- dell, das auch begründet wird. Da sich auch die Begrifflichkeiten teilweise unterschei- den, werden im Folgenden Jakobsons Bezeichnungen verwendet. Nord übernimmt Jakobsons Hinzufügung der phatischen Funktion zum Kommunikati- onsmodell von Bühler. Die metasprachliche Funktion versteht sie dagegen als eine Sub- funktion der referentiellen: Metasprache, also die Bezugnahme auf die Form des Textes oder be- stimmter sprachlicher Erscheinungen, wird im allgemeinen als indi- rektes Mittel etwa zur Charakterisierung von Personen (im Hinblick auf ihre regionale oder soziale Herkunft, bestimmte Eigenheiten oder ähnliches) eingesetzt. (Nord 1997: 47) Während Sprachverwendung im Grunde immer auch zur Charakterisierung der Person dient, ist die Anspielung auf Herkunft etc. im Fall von Nadsat nicht gegeben. Die Tatsa- che, dass es sich um eine fiktionale Sprache ohne konkretes Vorbild handelt (mit Aus- nahme der Russizismen und einiger Rhyming--Ausdrücke4, die zwar für sich auf etwas Bestimmtes verweisen, im Ganzen aber – abgesehen vom Englischen – kein tat- sächlich existierendes Vorbild haben), macht die Bezugnahme auf eine Referenz zweit- rangig (wenn auch nicht bedeutungslos). Stattdessen wird die metasprachliche Funktion in dieser Arbeit dazu eingesetzt, die Aufmerksamkeit auf die Sprache selbst zu richten. Dabei können auch Mechanismen der Sprache deutlich werden und eine Beschäftigung mit denselben kann angeregt werden. Die poetische Funktion, wie sie Jakobson besonders herausstreicht, sieht Nord eher in der appellativen (= konativen) Funktion realisiert. Dort verortet sie linguistische Mar- kierungen wie Lautmalerei, Sinnlichkeit oder Rhythmus im Titel, die persuasiv, illustra- tiv oder suggestiv wirken sollen (ebd.: 50; siehe auch Tabelle 2). Die poetische Funktion im Kommunikationsmodell zeichnet sich dadurch aus, dass die denotative, das heißt die referentielle Funktion hinter die ästhetische zurücktritt. Wie Jakobson bereits beschrieben hat, werden von der Achse der Selektion aus Gründen der Ästhetik be- stimmte Worte ausgewählt, während die Bedeutung nicht ‚ausgeschalten‘, sondern in den Hintergrund gerückt wird. Dabei trägt die ästhetische Komponente häufig noch wei- tere Bedeutungen mit, die über das reine Denotativ, das Bezeichnende, hinausgehen. Gleichzeitig kann die poetische Funktion auch eine verstärkende Funktion erfüllen, im

4 Rhyming Slang bezeichnet „a way of talking in which you replace the normal word for something with a word or phrase that rhymes with it. An example is ‘dog and bone’ instead of ‘phone’. Rhyming slang is used especially by Cockneys (= people from East London)“ (Macmillan Dictionary 2009–2018: s. v. rhyming slang). Ein Beispiel für Rhyming Slang in ACO ist luscious glory, abgeleitet von upper story für Haare oder Frisur (Blumenbach 2013: 332).

13 Sinne einer höheren Überzeugungskraft aufgrund einer ästhetisch oder rhythmisch un- termalten Aussage. Wie bereits angemerkt ist Nords Bestimmung der poetischen und der metasprachlichen Funktion als Subfunktionen für den Zweck dieser Arbeit nicht sinnvoll. Hauptgrund dafür ist, dass nicht nur die übergeordnete Funktion untersucht wird, sondern vor allem die Funktionen en détail, das heißt in kleineren Einheiten. Daher werden die beiden Subfunktionen wieder im Sinne Jakobsons als eigenständige Funktionen angeführt. Grundsätzlich ist es zwar durchaus nachvollziehbar, dass Nord die poetische Funktion der appellativen zuordnet, jedoch gibt es auch poetische Elemente, deren Funktion es nicht ist, suggestiv oder persuasiv und somit appellativ zu wirken. Ihre Funktion ist überwiegend poetisch, stellt die Ästhetik bzw. den Klang über die Bedeutung und er- schöpft sich nicht in einer den Empfänger betreffenden Ebene, sondern dient auch der Wiedergabe von Mehrdeutigkeit, der Intensivierung sowie der Ästhetik. Auch die von Nord der referentiellen zugeordnete metasprachliche Funktion wird wieder eigens ange- führt, da sie Aufmerksamkeit auf den Code selbst, also die Sprache, lenkt. Besonders in der kreativen Sprachverwendung ist dies eine zentrale Funktion. An die oben dargestell- te Tabelle 2 können also folgende Punkte angefügt werden: LINGUISTISCHE FUNKTION SUBFUNKTION MARKIERUNG Rhythmus Ästhetik über Denotation Lautmalerei Reim Poetische Funktion Mehrdeutigkeit (Polysemie)

Intensivierende Fkt. Alliteration Mündlichkeit Wortspiele Metasprachliche (auffallende) Abweichung Lenkung der Aufmerksam- von Sprachnorm Funktion keit auf den Code explizite Thematisierung der Sprache Tabelle 3: Zusätzliche Funktionen, ihre Subfunktionen und linguistischen Markierungen (basierend auf Jakobson 2007).

Die von Nord als zur appellativen Funktion gehörende linguistische Markierung Laut- malerei wird wieder der poetischen Funktion zugeordnet, ohne dabei (zwangsläufig) als suggestiv verstanden zu werden. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass Onomato- poetika und ähnliche Phänomene durchaus auch eine rein poetische Funktion innehaben können, dass sie also nicht unbedingt suggestiv wirken müssen, sondern auch (vorder-

14 gründig) ästhetische Gründe haben können. Das bedeutet nicht, dass keine suggestive Wirkung von Onomatopoetika ausgeht, sondern dass das nicht zwangsläufig der Fall sein muss. Zudem wird davon ausgegangen, dass sie Unmittelbarkeit ausdrücken und somit intensivierend fungieren. Gleichermaßen wird die von Nord zur referentiellen Funktion gezählte Metakommuni- kation und die dazugehörende linguistische Markierung der Wortspiele als eigene Funk- tion verstanden. Angenommen wird, dass die metasprachliche Kommunikation die Aufmerksamkeit der LeserInnen auf den Code selbst lenkt und weniger auf Referenzen verweisen soll. Dabei wird das Verständnis der Funktion etwas breiter gefasst, als dies bei Nord der Fall ist: Nicht nur die explizite Thematisierung der Sprache ist zu dieser Funktion zu zählen, sondern bereits das implizite In-den-Vordergrund-Rücken des Codes. Wie sich im Analyseteil noch herausstellen wird, ist es insbesondere für den hier unter- suchten Text konsequent und sinnvoll, die metasprachliche sowie die poetische Funkti- on als eigenständige Aspekte anzusehen. A Clockwork Orange beinhaltet einige Merkmale, die diesen beiden Funktionen zuzuordnen sind und als reine Subfunktionen der appellativen bzw. der referentiellen Funktionen nicht ausreichend anerkannt wür- den. Zudem sei erneut darauf hingewiesen, dass die linguistischen Markierungen nicht im- mer eindeutig eine Funktion erfüllen, denn (fast) jede sprachliche Äußerung folgt dem Prinzip der Polyfunktionalität (siehe dazu auch die Kapitel 2.1.1 und 2.1.2). So können beispielsweise Alliterationen sowohl eine poetische als auch eine konative Funktion (Wecken der Aufmerksamkeit) erfüllen. LINGUISTISCHE FUNKTION SUBFUNKTION MARKIERUNG Leseransprache Phatische Funktion Kontakterhalt Aufmerksamkeit generierende Auffälligkeiten Sprachreferenz Informationsübertragung/ Kulturmarkierung Referentielle Funktion Objektreferenz Personendarstellung (Idiolekt/ Soziolekt) Situationsdarstellung

15 LINGUISTISCHE FUNKTION SUBFUNKTION MARKIERUNG Ausdruck der eigenen Konnotationen Haltung Interjektionen 1. Pers. Diminutiva Emotive Funktion Evaluative Fkt. Suggestivfrage Superlative/Elative Identifizierung Erzählperspektive Distanzierung Ironie Suggestive Fkt. ‚Sinnlichkeit‘ Metaphern Konative Funktion Illustrative Fkt. Vergleiche Expressivität Interpretationssteuerung Referentialität Ästhetik über Denotation Rhythmus Lautmalerei Poetische Funktion Mehrdeutigkeit (Polyse- Reim mie) Intensivierende Fkt. Alliteration Mündlichkeit Lenkung der Aufmerk- Wortspiele samkeit auf den Code (auffallende) Abweichung von Metasprachliche Sprachnorm Funktion explizite Thematisierung der Sprache

Tabelle 4: Funktionsmodell dieser Arbeit, basierend auf Tabelle 2 und Tabelle 3 (nach Jakobson 2007 und Nord 1997).

Nachdem nun das in dieser Arbeit verwendete Funktionsmodell, das sich auf Jakobson (2007) und Nord (1997) stützt, eingeführt und zusammengefasst in Tabelle 4 dargestellt wurde, wird im nächsten Kapitel ein weiteres übersetzungstheoretisches Konzept vorge- stellt. Der Begriff der Äquivalenz soll dazu dienen, die Funktionsübertragung möglichst objektiv zu beschreiben.

2.1.4 Äquivalenz Obwohl der Begriff Äquivalenz in der Translationswissenschaft eine bedeutsame Rolle einnimmt und intensiv diskutiert wurde, besteht noch immer keine Einigkeit darüber, was genau der Begriff bezeichnet. Stolze (2011: 104) hält fest, dass der Begriff ‚Äquivalenz‘ in zahlreichen unterschiedlichen Bedeu- tungen verwendet wird. Angemessen lässt er sich allenfalls zur Be- zeichnung einer Gleichwertigkeit bestimmter Aspekte in Text und Übersetzung verwenden, die in der Übersetzungskritik festgestellt werden kann.

16 Eine einheitliche Verwendung des Begriffs und seiner Bedeutung in der Überset- zung(swissenschaft) ist nach wie vor nicht Realität. Das liegt unter anderem daran, dass sich mehrere Theoretiker, die verschiedenen Zweigen der Translationswissenschaft zu- zurechnen sind (Siever 2010), mit dem Begriff und einer damit einhergehenden Theorie beschäftigt haben. Die Modelle weisen prägnante Unterschiede auf. Im Folgenden sol- len diese kurz vorgestellt werden. Der Ausgangspunkt der Äquivalenztheorie liegt in der sogenannten Leipziger Schule, die auch den Grundstein für die deutsche Translationswissenschaft legte. Gemeinsam ist den Modellen der Leipziger Schule, dass sie dem linguistischen Paradigma zuzurechnen sind und das literarische Übersetzen nicht berücksichtigen. Für diesen Ausschluss füh- ren ihre Vertreter folgende Begründung an: „Bei literarischen Texten können keine ein- fachen Äquivalenzbeziehungen hergestellt und die üblichen Invarianzforderungen demnach nicht aufrechterhalten werden“ (Siever 2010: 50). Auch innerhalb des linguis- tischen Paradigmas bleibt eine weitere Gemeinsamkeit über die verschiedenen Phasen der Veränderung des Äquivalenzbegriffs hinweg bestehen, nämlich die Annahme, dass zwischen Ausgangstext und Zieltext eine Funktionsgleichheit vorliegen soll (ebd.: 51). Die Unterschiede zwischen den Modellen, die im Folgenden skizziert werden, überwie- gen jedoch. Werner Koller geht von einer doppelten Bindung von Übersetzungen aus: einer Bin- dung an den Ausgangstext und einer Bindung an die kommunikative Situation auf der Empfängerseite (Siever 2010: 57). Zwischen Ausgangstext und Zieltext bestehe eine Äquivalenzbeziehung, die in ihrer Art erst eingeordnet werden müsse. Die verschiede- nen Bezugsrahmen gliedert er in folgende Äquivalenzen auf: denotative, konnotative, textnormative, pragmatische und formal-ästhetische Äquivalenz (Koller 2011: 219). Eine hundertprozentige Übereinstimmung auf allen Ebenen zwischen AT und ZT ist schon allein aufgrund des Sprachwechsels quasi nicht möglich (Stolze 2011: 103). Da- her müssen die ÜbersetzerInnen entscheiden, welche Hierarchie zwischen den Äquiva- lenzen herrscht (Koller 2011: 269). Da in literarischen Texten ästhetische, formale und individualistische Merkmale in der Regel konstitutiv sind, ist diese Äquivalenzbezie- hung auch in der Übersetzung einzuhalten, da ihre Literarizität ansonsten verloren geht5 (ebd.: 256).

5 Hier ist anzumerken, dass Koller unter literarischen Texten meist poetische versteht, also Gedichte, die stark formal geprägt sind. Wird bei der Übersetzung eines solchen Texts der Reim oder ein bestimmtes Versmaß ignoriert, geht tatsächlich ein großer Teil der poetischen Funktion verloren. In der Regel ist aber die Form im strengen Sinne nicht der alleinige konstituierende Faktor von Literatur, sondern ein Zusam- menspiel zwischen den Funktionen. Die Form allein macht noch keinen Text aus.

17 Neubert wiederum stellt die funktionelle Äquivalenz von Ausgangstext und Zieltext in den Mittelpunkt. „Funktionelle Äquivalenz liegt dann vor, wenn der Zieltext in einer konkreten Kommunikationssituation und bei Berücksichtigung der Textsortenkonven- tionen denselben kommunikativen Effekt erzielt wie der Ausgangstext unter denselben Bedingungen“ (Siever 2015: 68). Die Einheiten der Äquivalenz stellen für ihn die Texte dar, nicht Wörter oder Sätze. Zu vergleichen ist diese Orientierung am Text bzw. an der Textsorte mit der Texttypologie von Katharina Reiß. Sie formuliert in Anlehnung an Bühlers Kommunikationsmodell eine Texttypologie, die „jedem Texttyp eine bestimmte Invarianzforderung und eine spezifische Übersetzungsmethode“ (ebd.: 67) zuordnet. In Tabelle 5 wird dieser Vorschlag von Reiß dargestellt.

ÜBERSETZUNGS- TEXTTYP KENNZEICHEN INVARIANZ METHODE informativ sachorientiert Inhalt sachgerecht

expressiv senderorientiert ästhetische Wir- autorengerecht kung textimmanenter operativ verhaltensorientiert adaptierend Appell Tabelle 5: Texttyp, Invarianz und Übersetzungsmethode nach Reiß (aus Siever 2015: 67).

In dieser Arbeit wird – wie bereits weiter oben angesprochen – zwar davon ausgegan- gen, dass die poetische Funktion durchaus eine Rolle spielt, da es sich um einen literari- schen Text handelt. Allerdings ist der Untersuchungsgegenstand die spezifische Sprachverwendung des Protagonisten, die nicht in erster Linie ästhetischer Natur ist. Daher ist der Ausgangstext auch nicht (ausschließlich) dem expressiven Texttyp zuzu- ordnen. Jakobsons und Nords Funktionsmodelle basieren, wie unter 2.1.1 dargelegt wurde, ebenfalls auf Bühler. Aus diesem Grund sind die hier angeführten Texttypen auch teilweise mit den in dieser Arbeit relevanten Funktionen zu vergleichen (informa- tiv ~ referentielle Funktion, expressiv ~ poetische Funktion, operativ ~ appellative Funktion). Für Reiß würde der Text als expressiv gelten und die Invarianz müsste in der ästhetischen Wirkung liegen. Diese Einteilung geht für die Untersuchung dieser Arbeit jedoch nicht weit genug in die Tiefe. Daher wird nun ein weiteres Modell angeführt. Während die bisher vorgestellten Ansätze von einem linguistischen Standpunkt aus be- trachtet wurden, folgt nun das Verständnis von Äquivalenz auf Basis des handlungstheo- retischen Paradigmas. Vor dem Hintergrund dieser Arbeit stellt dieser Äquivalenzbegriff, wie er von Reiß und Vermeer vorgestellt wird, eine sinnvolle Basis dar.

18 Nach einer kurzen Einführung in einige relevante Äquivalenzmodelle beschreiben Reiß und Vermeer (1991) ihr Verständnis von Äquivalenz und Adäquatheit (da die beiden Begriffe teilweise als Synonyme verwendet wurden). Adäquatheit sei dabei immer prozessorientiert, die Auswahl des ‚richtigen‘ Worts fällt in diese Kategorie: „Adä- quatheit bei der Übersetzung eines Ausgangstextes (bzw. -elements) bezeichne die Re- lation eines Zweckes (Skopos), den man mit dem Translationsprozeß verfolgt“ (Reiß/Vermeer 1991: 139). Äquivalent könne währenddessen nur das Resultat der Wahl sein: „Äquivalenz bezeichne eine Relation zwischen einem Ziel- und einem Aus- gangstext, die in der jeweiligen Kultur auf ranggleicher Ebene die gleiche kommunika- tive Funktion erfüllen (können)“ (ebd.: 139f.). Das heißt „Äquivalenz ist in unserer Definition Sondersorte von Adäquatheit, nämlich Adäquatheit bei Funktionskonstanz zwischen Ausgangs- und Zieltext“ (ebd.: 140). Die Einschätzung dessen, welche kom- munikative Funktion ein Text erfüllt, liegt bei den ÜbersetzerInnen. Wie Äquivalenz erreicht werden kann, müsse für jeden Text immer neu festgestellt werden, und zwar in terms of function and communicative effect. For them [= Reiß und Vermeer], there are no particular features of ST [= source text] which automatically need to be preserved in the translation process; however, they reserve the term equivalence for those instances in which ST and TT [= target text] fulfil the same communicative function (Moira Dictionary of Translation Studies 1997: s. v. Equivalence (or Translation Equivalence), Hervorhebungen von K. K.). Bei der Übertragung liegt es an dem/der ÜbersetzerIn, zuerst dem Prinzip der Selektion folgend festzulegen, welche Merkmale für die Funktionserfüllung relevant sind. Darauf aufbauend muss er/sie die identifizierten Funktionen hierarchisieren und entscheiden, wie bei der Übersetzung vorgegangen werden muss: Dann stellt der Übersetzer fest, welche Elemente des Ausgangstextes er für den konkret vorliegenden Text als ‚merkmalhaft‘, d. h. funkti- onal relevant, auswählt (Prinzip der Selektion) und in welcher Rei- henfolge er die Beachtung dieser Merkmale für vordringlich hält (Prinzip der Hierarchisierung), in welchen Fällen er sich für einen völligen Verzicht auf äquivalente Wiedergabe eines jeweiligen Merkmals entscheiden muß […] und in welchen Fällen er sich für Kompensation (‚versetzte Äquivalente‘) oder für die Reproduktion des Elements entscheiden muß, um für den Zieltext insgesamt Äqui- valenz, d. h. Gleichwertigkeit in bezug auf die Funktion des Textes im Kommunikationsgeschehen innerhalb der Zielkultur zu erreichen (Reiß/Vermeer 1991: 169; Hervorhebungen von K. K.). Was als „merkmalhaft“ bzw. „funktional relevant“ (ebda.) gilt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, dazu gehören etwa „der jeweilige sprachliche Kontext“, „der Situations-

19 kontext“, „die soziokulturelle Einbettung des jeweiligen Textes“ u. a. m. (ebd.: 169– 170). Das Wissen um all diese Faktoren muss bei der übersetzenden Person vorhanden sein. Darüber hinaus müssen auch die im Zitat genannten Entscheidungen auf Basis der translatorischen Kompetenzen getroffen werden. Dabei reichen reine Sprachkenntnisse nicht aus; soziokulturelle Kompetenzen spielen eine ebenso bedeutende Rolle bei der adäquaten Übertragung bzw. bei der Erreichung von Äquivalenz zwischen Ausgangs- text und Zieltext, denn: „Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext besteht in der je funktional gleichwertigen Relationierung von Inhalt(en) und Form(en) eines Textes in ihren Funktionen zur Erreichung des Textsinns“ (ebd.: 170). Ähnlich wie Reiß und Vermeer (1991) vertritt Nord (laut Siever 2010: 165) den Stand- punkt, dass Äquivalenz (also die Invarianz bestimmter Faktoren) beim Übersetzen nicht immer im Vordergrund steht: Sie geht davon aus, dass die Rahmenbedingungen für Ausgangstext und Zieltext so ver- schieden sind, dass eine angemessene Übersetzung sich stets durch Veränderungen (Varianzen) auszeichnen muss. Dies gilt nicht nur bei der Forderung nach Funktionsänderung, sondern auch und gerade bei der Forderung nach Funktionskonstanz (Siever 2010: 165). Um die referentielle Funktion zu erfüllen, kann es beispielsweise nötig sein, die Refe- renz zu verändern. Dabei sei vor allem an bestimmte kulturelle Referenzen in nicht vor- dergründig von diesen Referenzen handelnden Texten gedacht, die im französischen Kulturkreis zum Beispiel nicht aus dem Deutschen übernommen werden können, weil sie schlicht unbekannt sind. Als Beispiel kann eine Wallfahrtskirche angeführt werden. Möglicherweise ist diese außerhalb des französischen Sprachraums/außerhalb von Frankreich kaum bekannt. Steht im Text nicht diese spezifische Kirche im Zentrum – und ist auch die Verortung in Frankreich nicht nötig oder nicht erwünscht –, sondern die Tatsache, dass es sich um einen Wallfahrtsort handelt, kann eine im deutschsprachigen Raum bekannte Referenz gewählt werden. Die eigentliche inhaltliche Bedeutung rückt hinter die Aussage zurück: Um den Sinn zu übermitteln, muss eine andere, adäquate Referenz gewählt werden (oder je nach Textsorte erläutert werden). Auch Roman Jakobson, dessen Funktionsmodell in dieser Arbeit Anwendung findet, bedient sich in seinen übersetzungstheoretischen Überlegungen des Begriffs Äquivalenz. Er spricht von „equivalence in difference“ (Jakobson 1981: 191), die das größte Prob- lem der Übersetzung darstelle.6 Anknüpfend an die eben vorgestellten Modelle kann

6 Siever (2015: 52) merkt an, dass diese Äußerung fälschlicherweise häufig als „Äquivalenz in Differenz“ übersetzt wurde, während die korrekte Übersetzung „Gleichwertigkeit in Verschiedenheit“ laute. In der

20 Jakobson auch ähnlich wie Reiß und Vermeer (1991) sowie Nord (u. a. 1993) verstan- den werden: Um Äquivalenz bzw. Gleichwertigkeit zu erreichen, muss unter Umstän- den eine Veränderung vorgenommen werden. Mit einem zusammenfassenden Zitat von Stolze (2011) wird nochmals deutlich ge- macht, dass in der Translationswissenschaft zwar unterschiedliche Modelle von Äquiva- lenz bestanden und immer noch bestehen, dass aber mittlerweile ein Konsens erreicht ist, der in der Wissenschaft weitgehend verbreitet ist: Abschließend ist festzuhalten, dass ‚Äquivalenz‘ eine Relation zwi- schen AS- und ZS-Text bezeichnet, die nur übersetzungskritisch, d. h. am konkreten Textbeispiel festgestellt werden kann. Man kann nicht ‚äquivalent übersetzen‘, sondern ein Zieltext kann (jeweils nur hin- sichtlich bestimmter Textebenen!) als einem Ausgangstext äquivalent gelten. Die einzelnen Elemente auf den verschiedenen Ebenen können aufgrund der Verschiedenheiten der Sprachen und Kulturen in den meisten Fällen nicht invariant und nicht alle zugleich äquivalent ge- halten werden. (Ebd.: 103) Für die vorliegende Arbeit und somit für die Analysen der hier vorgestellten Texte spielt Äquivalenz in dem von Nord (u. a. 1993) sowie von Reiß und Vermeer (1991) vorgestellten Sinne trotz des noch immer nicht gänzlich einheitlichen Verständnisses in der Translationswissenschaft eine Rolle. Äquivalenz lässt sich also, wie bereits aufgezeigt wurde, laut Reiß und Vermeer (1991: 140) erst im Nachhinein feststellen. Da im vorliegenden Fall sowohl Ausgangs- als auch Zieltext vorhanden sind, kann untersucht werden, ob der Zieltext dieselben kommunika- tiven Funktionen erfüllt wie im Ausgangstext festgestellt wurden oder nicht. Zudem kann die Realisierung oder die Nichtrealisierung der jeweiligen Funktionen eventuell auf die Festlegung einer bestimmten Hierarchie zurückgeführt werden. Dem von Reiß und Vermeer (1991) beschriebenen Prinzip der Selektion folgend werden in den Kapi- teln 3.2.3, 4.2.2 und 5.2.2 die merkmalhaften Elemente (gemeint sind, wie auch bei Reiß und Vermeer (1991: 169), funktional relevante sprachliche Markierungen) des Ausgangstexts sowie der Zieltexte identifiziert.

für diese Arbeit konsultierten Übersetzung von Jakobsons Aufsatz (1981: 191) wird die Aussage als „Äquivalenz in der Verschiedenheit“ übertragen und die englische Originalaussage in Klammern hinzu- gefügt. Diese Unterschiede in der Übersetzung des Begriffs zeigen bereits deutlich, wie umstritten und vielseitig dieser verstanden werden kann und wird.

21 2.2 Sprachtheoretisches: Sprache und Varietät Um der Natur des Untersuchungsgegenstandes, das heißt der Sprache des Protagonisten im Buch A Clockwork Orange, nachzugehen, ist die Klärung einiger grundlegender lin- guistischer Begriffe von Vorteil. Zur Einordnung und Abgrenzung von Nadsat spielen vor allem Begriffe wie Sprachvarietät und die im Titel vorkommende fiktionale Spra- che eine Rolle. So soll die Bezeichnung als erfundene Sprachvarietät argumentiert und nachvollziehbar gemacht werden.

2.2.1 Natürliche und künstliche Sprachen Bevor näher auf spezifische Begrifflichkeiten eingegangen werden kann, müssen die Grundlagen geklärt werden. Eine wesentliche Unterscheidung, die zu treffen ist, ist jene zwischen natürlichen und künstlichen Sprachen. Laut Bußmann (2002: s. v. natürliche Sprache) ist natürliche Sprache die „Bezeichnung für historisch entwickelte, regional und sozial geschichtete Sprachen im Unterschied zu [k]ünstlichen Sprachsystemen“. Beispiele sind das Deutsche oder das Englische, also Sprachen, die von Menschen aktiv als Muttersprache gesprochen werden. Im Gegensatz dazu ist eine künstliche Sprache (auch erfundene oder konstruierte Sprache genannt) eine Sprache, die nicht gewachsen ist, sondern geschaffen wurde. Sie wird nicht als Muttersprache gesprochen, sondern erworben. Eine künstliche Sprache kann jedoch eine Sprechergemeinschaft aufweisen. In deutschsprachigen Lexika zur Sprachwissenschaft (Metzler Lexikon Sprachwissen- schaft 2016: s. v. konstruierte Sprache; Bußman 2002: s. v. künstliche Sprache) wird in diesem Zusammenhang auf Programmiersprachen und Welthilfssprachen (Planspra- chen) hingewiesen. Sprachen, die spezifisch für die Verwendung in Medien (Literatur, Film etc.) erfunden wurden, werden nicht erwähnt. In englischsprachigen Nachschlage- werken dagegen wird unter artificial languages auch auf fictional languages verwiesen, die zum Zweck der Verwendung in einem fiktionalen Werk geschaffen werden (Bartlett 2006: s. v. Artificial Languages; Fettes 2005: s. v. Artificial Languages). Artificial language entspricht der deutschen künstlichen Sprache und kann noch weiter unterteilt werden in Plansprache, Geheimsprache und schließlich fiktionale Sprache. Eine Plansprache (auch Welthilfssprache genannt) bezeichnet eine gezielt konstruierte Sprache, meist zum Zweck der internationalen Verständigung (Metzler Lexikon Sprachwissenschaft 2016: s. v. Plansprache). Sie verfügt in der Regel auch über eine eigene Grammatik und einen eigenen Wortschatz. Dabei wird zwischen apriorischen und aposteriorischen Sprachen unterschieden. Erstere werden von Grund auf neu erfun-

22 den, während die zweite Kategorie auf bereits existierenden Sprachen aufbaut. Beispiele sind etwa das durchaus bekannte und verbreitete oder auch weniger erfolgrei- che Modelle wie . Ihnen ist gemeinsam, dass sie ein vollständiges Sprachsystem mit eigenen Regeln aufweisen und meist relativ einfach aufgebaut sind, um die Erlern- barkeit zu fördern. Zu Plansprachen zählen außerdem die Programmiersprachen. Geheimsprachen sind Sondersprachen, die der nur für Eingeweihte verständlichen Kommunikation dienen. Außenstehende sind in der Regel nicht in der Lage, das Gesag- te zu verstehen (vgl. Metzler Lexikon Sprachwissenschaft 2016: s. v. Geheimsprache). Die letzte Kategorie der konstruierten Sprachen sind die fiktionalen Sprachen. Sie sind in der Regel auf das Vorkommen in einem bestimmten Medium beschränkt. Manche (wenige) fiktionale Sprachen werden von einer größeren Sprechergemeinschaft über- nommen und zeigen teilweise Entwicklungen auf, wie sie auch für Plansprachen bzw. natürliche Sprachen zu erkennen sind, nämlich Originalliteratur, Übersetzungen oder Norminstitutionen (Fiedler 2011: 13). Ein entsprechendes Beispiel ist das vom Sprach- wissenschaftler Marc Okrand erfundene Klingon aus Star Trek, das eine beachtliche Sprechergemeinschaft, eine Norminstitution und organisierte Zusammenkünfte auf- weist. Diese fiktionale Sprache hat mittlerweile so viele Anhänger, dass auch Sprach- kurse angeboten und Kongresse veranstaltet werden (beispielsweise auf https://www.kli.org). Fiktionale Sprachen werden im Gegensatz zu Plansprachen, die aufgrund des Anspruchs der Universalität möglichst einfach erlernbar sein sollen, meist zu ästhetischen Zwecken kreiert (Fiedler 2011: 11). Häufig sollen sie einen besonderen, exotischen Eindruck machen oder zur Charakterisierung der Sprechergruppe beitragen. Merkmal aller konstruierten Sprachen ist ihre ‚Künstlichkeit‘, also ihre geplante und bewusste Schaffung. Die Einteilung in apriorische und aposteriorische Sprachen kann auf alle Kategorien angewendet werden. Bei fiktionalen Sprachen – vor allem in der Science-Fiction – wird meist eine apriorische bevorzugt, besonders wenn ein fremdes Volk oder Außerirdische charakterisiert werden sollen. Doch auch aposteriorische Spra- chen finden in der Literatur Anwendung. Besonders bekannte Beispiele sind Orwells Newspeak aus seinem Buch 1984 (auf Deutsch Neusprech) und das hier behandelte Nadsat von Burgess. Auch Nadsat basiert auf einer natürlichen Sprache, dem Englischen. Jedoch ist es nicht zum Zweck einer eindeutigen oder internationalen Verständigung entstanden und stellt daher keine klassische Kunst- oder Plansprache dar. Stattdessen ist sie auf das Medium Buch (bzw. später auch auf andere Medien) beschränkt und entspricht daher tendenziell

23 einer aposteriorischen fiktionalen Sprache. Da die Grundregeln von Nadsat aber durchaus dem Englischen entsprechen (mit wenigen Ausnahmen), wird in dieser Arbeit Nadsat nicht als eigene Sprache per se verstanden. Wie sie genauer kategorisiert werden kann, soll das nächste Kapitel zeigen.

2.2.2 Sprachvarietäten Varietäten beschreiben Sprach(gebrauchs)formen [innerhalb einer Sprache], die sich durch bestimmte außersprachliche Faktoren bedingen und die durch die Summe ihrer spezifischen sprachlichen Charakteristika (aus den Be- reichen Phonetik/Phonologie, Wortschatz, Satzbau usw.) beschrieben werden können. (Kessel/Reimann 2010: 138) Eine Möglichkeit der Kategorisierung dieser „Sprach(gebrauchs)formen“ (ebda.) bzw. Varietäten sind Dimensionen. Diese Einteilung, die der rumänische Sprachwissenschaft- ler Eugenio Coseriu in den 70er-Jahren eingeführt hat, besitzt in der Sprachwissenschaft noch heute Gültigkeit. Unterschieden werden Varietäten der diatopischen, der diastrati- schen und der diaphasischen Dimension. Die diatopische Dimension beschreibt räumli- che (geographische Abhängigkeit: Dialekte, Regiolekte), die diastratische Dimension gesellschaftliche (Abhängigkeit von der Gesellschaftsschicht und der Gruppe: Soziolek- te) und die diaphasische Dimension kommunikative (Abhängigkeit vom kommunikati- ven Kontext: Fachsprachen, Umgangssprachen) Varietäten (nach Albrecht 2013: 232). Manchmal wird diesen drei Dimensionen noch eine vierte, die diachronische Varietät hinzugefügt, die auf zeitliche Varianten einer Sprache hinweist. Die Abgrenzung zwi- schen verschiedenen Varietäten ist dabei nicht immer eindeutig zu ziehen, da sie sich teilweise überschneiden. Zudem ist nicht geklärt, ob es sich um eigene Subsysteme von Sprache handelt und ab wann eine Varietät als eine solche gilt (Kessel/Reimann 2010: 138). Die Existenz von Idiolekten dagegen ist relativ unbestritten, obwohl auch hier die Ab- grenzung zu anderen Größen uneindeutig ist. Grundsätzlich bezeichnet ein Idiolekt die für ein Individuum typische Sprache: Er „umfasst den Sprachbesitz (aktiv und passiv) sowie die typischen sprachlichen Verhaltensweisen zu einem bestimmten Zeitpunkt“ (Kessel/Reimann 2010: 138). Dazu gehören sowohl die Sprechweise (also Stimmhöhe, Sprechtempo etc.) als auch die Verwendung von bestimmten Wörtern, Satzkonstruktio- nen usw. Der Idiolekt selbst stellt also eine individuelle Sprachvarietät dar (Dittmar 1997: 181). Außerdem ist der Idiolekt „abhängig von Sozialisierung, Bildung und Zu-

24 gehörigkeit zu verschiedenen Sprechergruppen“ (Kessel/Reimann 2010: 138). Insofern kann er auch als mit der diastratischen Varietät und somit mit dem Soziolekt eng ver- flochten angesehen werden. Einer präziseren Einteilung in die genannten Typen müsste eine genaue Analyse der Sprachgewohnheiten von Alex und seiner Peergroup bzw. der restlichen Charaktere vorausgehen, die in dieser Arbeit jedoch weder Platz noch Rele- vanz haben. Die Einordnung von Jugendsprache in eine bestimmten Dimension ist nicht ohne Ein- schränkungen möglich. „Die meisten Autoren betrachten Jugendsprache als ein grup- penspezifisches Phänomen in Abhängigkeit von situativen Kontexten. […] Überlappt wird die soziologische Kategorie Jugend von Geschlecht, Schicht und Region“ (Dittmar 1997: 230). Es handelt sich folglich um eine Größe, die grundsätzlich der diastratischen Dimension zuzuordnen ist, die aber auch von der diaphasischen abhängig ist und nicht losgelöst von dieser betrachtet werden kann. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe (in diesem Fall einer Altersgruppe) steht dabei im Zentrum, die spezifische Kommunikationssituation spielt jedoch auch eine bedeutende Rolle. In einigen englischsprachigen Artikeln wird Nadsat als slang bezeichnet (Adams 2011b: 242, Beauchamp 1974: 475, Jackson 2011: 71, Okrent 2010: 284). Sprachwissenschaft- lich ist Slang nicht eindeutig definiert. Häufig wird er als eng verwandt mit Argot7 und anderen Gruppensprachen angesehen: „Slang, argot and ingroup codes are sets of words and expressions that are motivated by the social and interpersonal functions of langu- age“ (Eble 2006: 412). Bußmann (2002: s. v. Slang) definiert Slang als „[l]ässig gebrauchte Umgangssprache […], die durch gruppenspezifische, neuartige Verwendung des vorhandenen Vokabu- lars, sowie neue Wortneubildungen gekennzeichnet ist.“ Hier wird bereits deutlich, dass die gruppenspezifische Orientierung eine zentrale Rolle bei der Sprachverwendung spielt. Der Zweck von Slang sei es, über gemeinsames Wissen der Verwender eine sozi- ale Bindung herzustellen, die häufig auch mit der Abgrenzung von anderen einhergehe (ebda.). Gleichzeitig wird es aber immer schwieriger, Slang von Umgangssprache zu

7 Zu unterscheiden ist zwischen dem allgemeinen Begriff von Argot, wie er meist im Englischen und Deutschen verstanden und wie er auch hier beschrieben wird und im Besonderen dem ursprünglich fran- zösischen argot. Die Definition des ersten Verständnisses lautet: „Form von Sondersprache (Geheimspra- che) einer sozial abgegrenzten (häufig als asozial abgestempelten) Gruppe, die vor allem durch ihren spezifischen Wortschatz von der Standardsprache abweicht“ und für andere nicht verstehbar sein soll (Bußmann 2002: s. v. Argot). Der spezifischere Begriff meint eine dem „Rotwelsch entsprechende Son- dersprache der französischen Bettler und Gauner des Mittelalters“ (ebda.) (zu Rotwelsch siehe weiter unten).

25 unterscheiden (ebd.: 414). Dittmar (1997: 221) ordnet Slang in der deutschsprachigen Wissenschaft ähnlich ein: [D]ie im Slang konnotierte gruppenspezifische Routinesprache (mit der Funktion, fachspezifischen Kräften Distanz zu ihren Rollen und zu ihren Tätigkeiten zu verschaffen) gehör[t] zu der diastratischen Dimension ‚Gruppensprachen‘. Wiederum ist die Nä- he zu Umgangssprache/Soziolekt wie auch zu Registern (diaphasische Variation) manifest. Von besonderer Bedeutung dürfte der Bezug zur Situation sein. (Hervorhebungen von K. K.) Slang ist zudem eine kurzlebige Sprachvarietät (Eble 2006: 412). Verwendetes Vokabu- lar wird häufig ausgetauscht und durch neues ersetzt (ebd.: 413). Ein Grund dafür liegt darin, dass die Gruppensprache der Abgrenzung von anderen dient. Wenn die Sprach- verwendung zu weit verbreitet ist, müssen daher neue Ausdrücke gefunden werden. Dasselbe gilt im Übrigen auch für Jugendsprache (Bußmann 2002: s. v. Jugendspra- che). Insgesamt sind Jugendsprache und Slang eng miteinander verbunden. Der deut- lichste Unterschied liegt in der altersspezifischen Sprachverwendung. Im Grunde kann Jugendsprache aber auch Slang sein. Der Unterschied zum Argot liegt auch in der Funktion: Während Slang (und Jugend- sprache) zur Festigung der Verbindung unter den SprecherInnen dient (und meist auch zur Abgrenzung von anderen), wird Argot eher zur Geheimhaltung eingesetzt. Da es sich oft um ‚Gaunersprachen‘ handelt, ist die Verschleierung der Gesprächsinhalte eine zentrale Funktion des Argots. Eine ebenfalls eng mit Slang und besonders Argot in Verbindung stehende Varietät ist der Jargon. Dabei handelt es sich erneut um eine gruppenspezifische Varietät, die auf beruflicher oder außerberuflicher gemeinsamer Betätigung basiert und daher sachge- bunden ist (Dittmar 1997: 219). So gibt es beispielsweise Fußball-, Anwalts- oder Jour- nalistenjargon.

Die bisher vorgestellten Begriffe stammen aus der Sprachwissenschaft und werden in der Regel für die Kategorisierung realer Sprechweisen verwendet. Wie bereits deutlich wurde, sind diese Begriffe auch bei der Beschreibung von Nadsat nützlich und wurden häufig (aber uneinheitlich) verwendet. Zudem zeigte sich, dass eine Abgrenzung manchmal nur bedingt vorgenommen werden kann und sich die Kategorien häufig über- schneiden. Es ist durchaus anzunehmen, dass einige Merkmale von Nadsat auf Alex selbst be- schränkt sind, während andere (etwa die Russizismen) von mehreren (oder allen) Ju-

26 gendlichen verwendet werden. Daher kann eine präzise Unterscheidung zwischen Idio- lekt und Soziolekt nicht getroffen werden. Stattdessen wird Nadsat in dieser Arbeit als fiktionale Sprachvarietät des Englischen definiert. Weil vor allem die Funktionen der Sprachverwendung für die Leserschaft untersucht werden sollen (im Gegensatz zu den Funktionen, die innerhalb der Fiktion, also in der konkreten Kommunikationssituation erfüllt werden), ist eine weitere, präzisere Eintei- lung der Sprachverwendung in eine bestimmte und eindeutige Varietät für diese Arbeit nicht essenziell. Aus diesem Grund kann auf eine zweifelsfreie Kategorisierung verzich- tet werden. Grundsätzlich steht hier Alex‘ Sprache und ihre Abweichung von der inner- bzw. außertextlichen Sprachnorm8 im Zentrum.

Nachdem nun die grundlegenden theoretischen Begriffe Varietät, fiktionale Sprache und Äquivalenz geklärt wurden, kann im Folgenden auf das Werk selbst eingegangen werden. In den folgenden Kapiteln soll Anthony Burgess‘ Buch A Clockwork Orange vorgestellt und die wichtigsten Informationen zur Entstehung sollen dargelegt werden. Anschließend werden auch die Übersetzungen und gegebenenfalls von der Originalver- sion abweichende Entstehungsinformationen präsentiert und schließlich folgt die Analy- se einer exemplarischen Textstelle. Dafür wurde ein aussagekräftiger Textauszug, der möglichst viele der in den folgenden Kapiteln angeführten Besonderheiten enthält, aus- gewählt. Anschließend an die übersetzungsrelevante Textanalyse nach Nord werden die Erkenntnisse mit Zahlen unterfüttert, die computergestützt festgestellt wurden. Auf die- se Weise soll möglichst neutral und objektiv festgestellt werden, welche Funktionen die Sprachverwendung im Ausgangstext und in den beiden Zieltexten erfüllt und welche Merkmale dafür ausschlaggebend sind.

8 Als Sprachnorm (bzw. Normalsprache oder ‚normaler‘ Sprachgebrauch u. Ä.) wird in der vorliegenden Arbeit die von außertextlichen SprecherInnen als korrekt eingestufte Norm verstanden: Sprachnormen „sind explizit festgesetzt und legitimiert durch Kriterien wie Verbreitung, Alter, Strukturgemäßheit und Zweckmäßigkeit (‚präskriptive Norm‘)“ (Bußmann 2002: s. v. Sprachnorm).

27 3 Anthony Burgess’ A Clockwork Orange (1962)

Dieses Kapitel soll einen Überblick über das in dieser Arbeit behandelte Buch geben. Um dies zu erreichen, werden die externen und einige interne Textfaktoren anhand Nords W- Fragen (siehe 2.1.2) dargelegt. Anschließend wird die im Buch verwendete Sprache näher beleuchtet und ihre Besonderheiten, das heißt ihre merkmalhaften Elemente, – erneut mittels der W-Fragen – werden selektiert und ange- führt. Anschließend sollen die im Text erfüll- ten Funktionen dargelegt werden und schließlich wird gezeigt, welche linguistischen Merkmale zur Erfüllung welcher Funktionen beitragen.

Abbildung 2: Buchcover von ACO.

3.1 Ausgangstextanalyse anhand Nords W-Fragen Die W-Fragen von Nord, wie sie in Kapitel 2.1.2 vorgestellt wurden, werden hier be- antwortet, um den Ausgangstext (zumindest oberflächlich) in seiner Gesamtheit darzu- stellen. Dies dient dazu, ein grundsätzliches Verständnis des Buchs zu erlangen. Eine ausführliche Textanalyse sollte jedem Übersetzungsprozess vorausgehen.

Senderpragmatik Anthony Burgess (eigentlich John Anthony Burgess Wilson), wurde 1917 in Manches- ter geboren und starb 1993 in London. Er war neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller unter anderem Englischlehrer und in dieser Funktion in vielen Regionen der Welt un- terwegs (darunter auch Russland und Malaysia). Im Zuge seiner zahlreichen Auslands- aufenthalte lernte er auch die Sprache des jeweiligen Landes und befasste sich grundsätzlich mit dem Konzept von Sprache. Sein „sich durch Wortwitz und Sozialsati-

28 re auszeichnendes Werk“ (Arens/Thies 2014) umfasst unter anderem dreißig Romane, Studien zu verschiedenen Themen sowie Kritiken. Burgess‘ literarische Arbeiten sind geprägt von Form- und Stoffvielfalt.

Textthematik und Textinhalt Die dieser Untersuchung zugrundeliegende Ausgabe erschien 2013 mit dem Untertitel The Restored Edition bei Penguin Books. Dieser 1935 in Großbritannien gegründete Verlag ist mittlerweile in allen englischsprachigen Ländern vertreten. Die Ausgabe ent- hält einige Begleittexte, darunter ein Vorwort, ein Glossar, weitere Anmerkungen zum Text und verschiedene kurze Artikel zum Buch und zu den Bearbeitungen (Film, Thea- ter, Musical). Außerdem sind ein Prolog und ein Epilog, von Burgess selbst in den 80er- Jahren geschrieben, erstmals mit dem Buch abgedruckt (Biswell 2013a: xxix). Zudem enthält diese Version im Anschluss an den eigentlichen Text auch ein begleitendes Glossar. Dem widersetzte sich der Autor selbst ursprünglich, da das langsame und vor allem unbemerkt vor sich gehende Erlernen von einzelnen Vokabeln als linguistische Programmierung die im Buch thematisierte ‚Gehirnwäsche‘ nachzeichnen sollte: „A glossary would disrupt the programme and nullify the brainwashing“ (Burgess 1990: 38). Das Buch handelt von dem etwa 15-jährigen Alex, der zu einer unbestimmten Zeit in der Zukunft lebt, und seiner Gang (seinen droogs). Gemeinsam stehlen, verprügeln, vergewaltigen sie, ohne dabei die Konsequenzen zu fürchten – bis bei einem Überfall eine Frau stirbt und Alex, verraten von seinen droogs, festgenommen wird. Nachdem auch im Gefängnis ein neuer Zellengenosse von Alex und seinen Mitinsassen zu Tode geprügelt wird, wird er für ein besonderes Programm ausgewählt, das ihm im Anschluss auch die Freilassung garantiert: Durch die Ludovico-Technik soll es ihm unmöglich gemacht werden, Verbrechen zu begehen. Dabei werden ihm Substanzen verabreicht, die zu Übelkeit und generellem Unwohlsein führen. In diesem Zustand wird er gezwun- gen, sich explizite Gewalt zeigende Filme anzusehen. Am Ende der Behandlung kann Alex nicht mehr an Gewalt denken, ohne eine unerträgliche Übelkeit zu verspüren. So wird Alex zu einem ‚besseren‘ Menschen, ohne eine Wahl zu haben. Aufgrund der Hin- tergrundmusik während der gezeigten Filme kann Alex auch seinen geliebten Kompo- nisten Beethoven (Ludwig van, wie er ihn nennt), nicht mehr hören, ohne von überwältigender Übelkeit erfasst zu werden (Dieses Zusammenspiel von Ästhe- tik/Kultur und Gewalt war und ist ebenfalls Auslöser vieler Diskussionen.).

29 Ein Mann, dessen Frau Alex vor seiner Verhaftung vergewaltigt hatte und die an den Folgen dieser Brutalitäten starb, nimmt Alex auf, nachdem dieser von der Polizei miss- handelt wurde. Er soll als politisches Mittel im Kampf gegen die herrschende Regierung dienen. Allerdings erfährt der Mann (übrigens der Autor eines Romans mit dem Titel A Clockwork Orange), welche Rolle Alex in seinem Leben bereits gespielt hatte und bringt ihn dazu, einen Selbstmordversuch zu begehen. Den darauf folgenden Sprung aus dem Fenster eines Hochhauses überlebt Alex jedoch. Seine Konditionierung wird rück- gängig gemacht und er kann wieder nach Lust und Laune Gewalt ausüben. Im letzten Kapitel des letzten Teils (das in der US-amerikanischen Ausgabe nicht abgedruckt ist; siehe dazu weiter unten) wird Alex dieses Leben aber zu unerfüllt und er ertappt sich bei dem Gefühl, eine Familie gründen zu wollen. So wird aus Alex ohne Beeinflussung von außen ein rechtschaffender und ‚normaler‘ Mann. Die gesamte Geschichte wird von Alex selbst erzählt: Er ist mittlerweile 19 Jahre alt und blickt in die Vergangenheit, auf sein etwa 15-jähriges Ich, zurück. Es handelt sich also um eine personelle Erzählweise aus zukünftiger Perspektive; Sichtweisen anderer Charaktere werden damit nicht bzw. nur durch die Stimme von Alex kommuniziert. Eine mögliche Erklärung für die Auslassung des letzten Kapitels in der US- amerikanischen Ausgabe ist die Notiz, die Burgess selbst im Manuskript nach dem sechsten Kapitel des dritten Teils einfügte: „Should we end here? An optional ‚epilogue‘ follows“ (zit. n. Biswell 2013a: xxii). Diese Verkürzung verändert das ge- samte Verständnis des Texts, da in diesem letzten Kapitel noch eine große Veränderung stattfindet. Alex wurde wieder ‚rekonditioniert‘, kann sich also frei für die Gewalt ent- scheiden, doch er entwickelt sich ohne Zutun von außen in eine andere Richtung: Aus einem eigenartigen inneren Gefühl heraus begeht er nicht mit seiner neuen Gang eine weitere Straftat, sondern setzt sich allein in ein Café. Dort trifft er auf seinen alten droog Pete und dessen Frau. Da wird Alex klar, dass er sich nach einer eigenen Familie sehnt – nach einer Frau und einem Kind. Dieses Ende erweckt den Eindruck, als handel- te es sich bei seiner gewalttätigen Vergangenheit bloß um eine jugendliche Phase, die er mit dem Erwachsenwerden überwunden hat: „And all it was was that I was young. But now as I end this story, brothers, I am not young, not no longer, oh no. Alex like groweth up, oh yes“ (ACO: 204). Burgess war über die beiden Versionen nicht glücklich. In einem Interview sagte er: I hate having two different versions of the same book. The U.S. edition has a chapter short, and hence the arithmological plan is messed up. Also, the implied view of juvenile violence as something

30 to go through and then grow out of is missing in the American edition; and this reduces the book to a mere parable, whereas it was intended to be a novel. (Cullinhan 1986: 34f.) Dabei wird also klar, dass Burgess selbst im Nachhinein die Version mit dem letzten Kapitel bevorzugt. Das ist – wie aus dem Interview hervorgeht – auch im Hinblick auf die Aufteilung sinnvoller. Burgess teilt das Buch nämlich in drei Teile mit jeweils sie- ben Kapiteln ein. Im selben Interview relativiert er diese Wertung jedoch wieder: „[T]hey’re both [beide Versionen] relevant. They seem to me to express in a sense the difference between the British approach to life and the American approach to life“ (ebd.: 37). Die Existenz zweier Versionen ist zwar inhaltlich überaus relevant, für die Zwecke die- ser Untersuchung jedoch vernachlässigbar. Die Sprache des Protagonisten verändert sich dadurch nicht, wenn auch ein ganzes Kapitel seiner Verwendung untergeht.

Medium, Orts- und Zeitpragmatik, Aufbau und Gliederung Das Buch A Clockwork Orange erscheint erstmals 1962 in England beim Verlag William Heinemann. Die Welt ist politisch aufgeteilt in Ost und West, in Kommunis- mus und Kapitalismus. Die amerikanische Ausgabe wird im selben Jahr veröffentlicht, jedoch ohne das letzte Kapitel. Die Originalversion besteht aus drei Teilen zu je sieben Kapiteln. Die dieser Untersuchung zugrundeliegende Version trägt den Untertitel The Restored Edition und erscheint 2012 bei William Heinemann und schließlich 2013 bei Penguin Books. Die Handlung wird chronologisch nacherzählt, jeder Teil beginnt mit dem Satz „What’s it going to be then, eh?“ und seiner Wiederholung.

Empfängerpragmatik Unter dem Punkt Textthematik und Textinhalt wird darauf hingewiesen, dass die hier konsultierte Ausgabe mit zahlreichen Begleittexten erschienen ist. Daraus kann gefol- gert werden, dass sich diese neue Ausgabe an englischsprachige LeserInnen richtet (mit Muttersprache Englisch oder mit fortgeschrittenen Englischkenntnissen), die sich auch für den Hintergrund und für weiterführende Informationen interessieren. Die erste briti- sche Ausgabe richtete sich an allgemein Literaturinteressierte, möglicherweise an Burgess-KennerInnen. Die Thematik lässt auch annehmen, dass insbesondere Menschen mit Interesse für philosophische Fragen angesprochen werden. Nähere Informationen zu einer bestimmten Zielgruppe sind nicht bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass

31 junge, lesende Erwachsene mit einem eventuell etwas überdurchschnittlichen Allge- meinwissen und einem regen Interesse für Philosophie und/oder Sprache erreicht wer- den sollten. Burgess selbst beschreibt in einem Interview seinen idealen Leser folgendermaßen: „The ideal reader of my novels is a lapsed Catholic and failed musician, short-sighted, color-blind, auditorily biased, who has read the books that I have read. He should also be about my age“ (Cullinhan 1986: 34).

Autorintention Burgess selbst erklärte, er wolle auf die Gefahr hinweisen, die von den damals herrschenden Ambitionen des Staates, immer weiter in die individuellen Bereiche des Menschen vorzudringen, ausgingen: „I was merely trying to point out the very real danger, an imminent danger, that is, that the State is taking on more and more control, a tentative try on the part of the State in Britain to intrude into all regions of the individual life“ (Burgess/Bunting 1973: 511). Dabei spricht er auch davon, dass dieses Eindringen in das Private und die weitgehende Kontrolle durch den Staat und vor allem die Idee, Kriminalität durch neue Techniken auszulöschen, eine sozialistische Idee wäre, die es zurückzudrängen gelte (ebd.: 512). Gleichzeitig betont Burgess (2010: 250f.) jedoch, dass es nicht um die Sowjetunion gehe: But the lesson of the Orange has nothing to do with the ideology or repressive techniques of Soviet Russia: it is wholly concerned with what can happen to any of us in the West if we do not keep on our guard. If Orange, like Nineteen Eighty-Four, takes its place as one of the salutary literary warnings – or cinematic warnings – against flabbiness, sloppy thinking, and overmuch trust in the state, then it will have done something of value. Des Weiteren stellt auch die Garantie der freien Wahl für das Gute oder das Böse ein zentrales Thema dar, das in A Clockwork Orange (wie auch in anderen Romanen des Autors) behandelt wird. Der Autor macht deutlich, dass ein Mensch, der zum Guten gezwungen wird, nicht wirklich gut ist. Erst die Wahlfreiheit macht den Menschen zum Menschen und zum wirklich guten Menschen. Folglich kann nach Nord in Bezug auf die Autorintention in erster Linie die Appellin- tention als ausschlaggebend angesehen werden: Burgess will die Leserschaft auf die Gefahren bestimmter Entwicklungen aufmerksam machen und sie zur Achtsamkeit be- wegen. Gleichzeitig spielt zweifelsohne auch die ästhetische Komponente (bei Nord

32 Teil eines Appells) eine Rolle, da es sich um Literatur handelt sowie um den Ausdruck seiner Befürchtungen und Sorgen (Ausdrucksintention).

Kommunikationsanlass Burgess selbst erklärt in seiner Autobiographie, wie es dazu kam, dass er A Clockwork Orange schrieb: Als er ohne Erfolg an zwei Büchern arbeitete, verzweifelte er. In despair I typed a new title – A Clockwork Orange – and wondered what story might match it. I had always liked the Cockney expression9 and felt there might be a meaning in it deeper than a bizarre metaphor for, not necessarily sexual, queerness. Then a story began to stir. (Burgess 1990: 26) Die schließlich zum Titel passende Idee begann bereits in den 50er-Jahren, in ihm zu reifen. Zu jener Zeit traten gehäuft Jugendbanden auf, darunter die Teddy Boys und die Mods und Rockers. Erstere zeichneten sich durch ihren eigentümlichen Mode- und Fri- surstil und durch ihre teilweise Gewaltbereitschaft aus (Burgess 1990: 26). Kurz bevor er mit der Arbeit an A Clockwork Orange begann, wurde bei Burgess ein Hirntumor diagnostiziert. Die Ärzte gaben ihm noch etwa ein Jahr zu leben – es sollte einem überaus produktives werden: Neben fünf Romanen schrieb er auch zahlreiche andere, kürzere Texte. Mit dieser Periode wurde Burgess zu einem Autor (vorher war er als Lehrer tätig, unter anderem im Militärdienst). Diese Tatsache allein stellt bereits einen Anlass zum Schreiben und Veröffentlichen eines Romans dar. Teilweise wird auch darauf hingewiesen, dass der Überfall auf seine Frau 1944 mit der Entstehung des Romans zusammenhängt: Während eines Blackouts (Abschalten von Lichtquellen, damit im Falle eines Luftangriffs Ziele nur schwer identifiziert werden können) wurde seine Frau in London von einer Gruppe amerikanischer Deserteure zu- sammengeschlagen und vergewaltigt (The International Anthony Burgess Foundation 2018: s. v. A Clockwork Orange). Der Anlass, eine neue Version zu publizieren, war wahrscheinlich das 2012 stattfinden- de fünfzigste Jubiläum der Veröffentlichung von A Clockwork Orange. In diesem Jahr erschien auch die vorliegende Ausgabe beim Verlag William Heinemann. Das deutet darauf hin, dass das Jubiläum für eine Vermarktung genutzt werden sollte.

9 Burgess selbst erklärt, was es mit diesem Ausdruck auf sich hat: „‚A clockwork orange’ is a venerable Cockney expression applied to anything queer, with ‚queer’ not necessarily carrying any homosexual denotation. Nothing, in fact, could be queerer than a clockwork orange“ (Burgess 2013: 259). Cockney bezeichnet hier „The dialect or accent of the London cockney or of those from the East End of London generally“ (OED online 2018: s. v. cockney).

33 Textfunktion Bei A Clockwork Orange handelt es sich um ein literarisches Werk, genauer um einen Roman. Anders als beispielsweise Gebrauchsanweisungen stellen literarische Texte laut Nord keine Textsorte dar, die eindeutig auf eine Funktion verweist (Nord 2003: 80). Äquivalent zur Autorintention kann auch die Funktion verstanden werden: „Seine [des Autors] Intention ist nicht eine verbindliche Darstellung der ‚Realität‘, sondern er will dem Empfänger durch die Darstellung einer fiktiven Welt (indirekt) persönliche Ein- sichten über die Realität vermitteln“ (ebda.). Daraus lässt sich ableiten, dass zwar Inhalt vermittelt wird, die Äußerung eigener Haltungen oder Ansichten jedoch einen höheren Stellenwert einnimmt. Zudem drückt Burgess (wie unter dem Punkt Autorintention in diesem Kapitel dargelegt wurde) seine Haltung zu der Frage des freien Willens aus. Dementsprechend würde die expressive Funktion erfüllt. Wie aus der Frage nach dem Wozu (also aus dem Punkt der Autorintention) in diesem Kapitel hervorging, wollte Burgess auch die aus der Einmischung des Staates in die Entscheidungsfreiheit sowie aus dem Mangel an freiem und klarem Denken resultieren- de Gefahr aufzeigen. Da seit dem Erscheinen des englischen Originals allerdings fünf- zig Jahre vergangen sind und sich dementsprechend nicht nur die Sprache, sondern auch die politische und gesellschaftliche Situation in England, Deutschland, ganz Europa und auf der ganzen Welt verändert hat, ist Burgess‘ ursprünglicher Appell, die sozialistische Ideologie nicht die Überhand gewinnen zu lassen, nicht mehr aktuell. Trotzdem ist – insbesondere vor dem Hintergrund der Datenflut im Internet und des vielbeschworenen ‚gläsernen Menschen‘ – seine Warnung vor der Einmischung in die Entscheidungsfrei- heit und in das Private ein auch 2013 (und bis heute) relevantes Thema. Auch oder ins- besondere die Ermahnung, die eigene Freiheit im Denken zu bewahren, bleibt und wird immer aktuell bleiben. Welche Folgen der Entzug des freien Willens haben kann, wird im Buch thematisiert und aufgezeigt. Dementsprechend regt die Lektüre auch zum Nachdenken über diese Thematik an und der Text erfüllt folglich eine konative (bzw. appellative) Funktion. Der Einteilung von Reiß folgend gehören literarische Texte dem expressiven Texttyp an. Wie in Kapitel 2.1.4 kurz angemerkt wurde, entspricht der expressive Texttyp bei Reiß in etwa der poetischen Funktion. Bei der Übersetzung sollte die ästhetische Wir- kung als Invarianz bestehen bleiben. Wie aber ebenfalls angedeutet wurde, ist die Ein- teilung in drei Texttypen und somit drei Funktionen für die vorliegende Untersuchung

34 zu oberflächlich. Der Einteilung nach Reiß soll hier nicht widersprochen werden, aller- dings ist sie in diesem Fall nicht von großer Relevanz. Auf Basis der bisherigen Analyse nach Nord können die expressive sowie die appellati- ve Funktion (bzw. emotiv und konativ nach Jakobson) als die Hauptfunktionen des Texts bestimmt werden: Wie aus dem Punkt Autorintention in diesem Kapitel hervor- geht, möchte Burgess die Leserschaft vor einer Einmischung des Staates in das Private bzw. in das Denken warnen. Gleichzeitig drückt er damit seine Haltung zu bestimmten Dingen aus. Das ist allerdings in literarischen Texten eine besonders problematische Aussage – der Autor ist bekanntlich nicht der Erzähler und kann mit diesem auch nicht gleichgesetzt werden. Wie der Autor also genau zu den Aussagen seines Werks steht, ist für die Textfunktion kaum von Relevanz.

Wirkung Burgess (1990: 59) selbst schreibt, dass A Clockwork Orange in seiner Heimat England weder bei der Kritik noch bei der Leserschaft besonders gut ankam. Tatsächlich fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Während andere Schriftsteller beeindruckt waren (etwa Roald Dahl: „a terrifying and marvellous book“; zit. n. The International Anthony Burgess Foundation 2018: s. v.: A Clockwork Orange and the Critics), zeigten sich Kri- tiker uneins: Most of the reviews praised the inventiveness of the language, while at the same time stressing unease at the violent subject matter. While The Spectator praised Burgess’s ‘extraordinary technical feat’ it also was uncomfortable with ‘a certain arbitrariness about the plot which is slightly irritating’. New Statesman called the book a ‘great strain to read’, though it praises Burgess for addressing ‘acutely and savagely the tendencies of our time’. The Times Literary Supplement was more critical, accusing Burgess of being ‘content to use a serious social challenge for frivolous purposes, but himself to stay neutral’. (Ebda.) In den USA währenddessen, wo der Roman ohne das letzte Kapitel veröffentlicht wur- de, fielen die Reaktionen positiver aus und die Gewalt wurde weniger negativ hervorge- hoben (ebda.). Die Verkaufszahlen waren anfangs recht niedrig; erst im Laufe der Jahre stiegen sie – möglicherweise auch dank Kubricks Verfilmung im Jahr 1972 (ebda.). A Clockwork Orange ist bis heute ein bekanntes und vieldiskutiertes Werk, das – darauf lassen die verschiedenen Übersetzungen schließen – besonders im deutschsprachigen Raum noch Erfolg hat. Auch die konstante wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Roman weist darauf hin, dass das Werk nicht an Aktualität verloren hat.

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Da nun die externen und ein Teil der internen Textfaktoren mittels Nords W-Fragen ermittelt wurden, ist ein ausreichender Überblick über das Werk und seine Hintergründe gegeben. Im Folgenden wird spezifisch auf textinterne Faktoren, die sich mit der Spra- che befassen, eingegangen.

3.2 Nadsat Bevor die eigentliche Analyse der Sprachbesonderheiten und ihrer Funktionen beginnt, wird die fiktionale Sprachvarietät Nadsat näher beleuchtet. Auch hier sollen Nords W- Fragen als Leitfaden dienen. Zudem wird unter anderem ermittelt, wie Nadsat linguis- tisch eingeordnet werden kann.

3.2.1 Anlass, Intention und Wirkung Unter diesem Punkt werden anhand Nords übersetzungsrelevanter Textanalyse jene außertextlichen Faktoren von Nadsat angeführt, die feststellbar sind.

Kommunikationsanlass Das Konzept des Romans war bereits ausgearbeitet, doch Burgess stand vor einem bis dahin unlösbaren Problem: „The story had to be told by a young thug of the future, and it had to be told in his own version of English. This would be partly the slang of his group, partly his personal idiolect“ (Burgess 1990: 27). Wegen der zeitlichen Verortung in einer unbestimmten Zukunft konnte Burgess keine zu seiner Zeit üblichen Sprach- phänomene verwenden, da diese schnell veraltet wären (vgl. 2.2.2). Stattdessen be- schloss er, eine Kunstsprache zu schaffen, die zwar Konnotationen hervorruft, aber keine eindeutige Zuordnung zulässt. Wie in Kapitel 2.2.1 aufgezeigt wurde, dienen fik- tionale Sprachen häufig auch der Charakterisierung der Figur bzw. der ganzen Sprach- gruppe. Auf Russisch als Grundlage für diese neue Sprache kam er bei der Vorbereitung auf eine Reise nach St. Petersburg (damals Leningrad) mit seiner Frau. Als er die Vokabeln auf einem Blatt Papier betrachtete, fiel die Entscheidung: „The vocabulary of my space- age hooligans would be a mixture of Russian and demotic English, seasoned with rhyming slang and the gipsy’s bolo“10 (Burgess 1990: 37). Die Verortung bleibt dabei

10 Burgess bleibt dabei eine Erklärung schuldig, was gipsy’s bolo genau sein sollte. Wörter solchen Ur- sprungs (also der Sprache der Roma) konnten nicht gefunden werden. Bolo hat auch keine Bedeutung wie

36 ungenau; die Handlung könnte überall so stattfinden, der Autor selbst dachte an eine Mischung zwischen Manchester, Leningrad und New York (Biswell 2013a: xxi).

Autorintention Obwohl Burgess durch Zufall auf Russisch als Basis für die Kunstsprache kam, zeigte sich, dass es für seine Zwecke ideale Voraussetzungen bot: Ihm kam die Ironie gerade recht, die in der politisch konnotierten Sprache steckt, während die beschriebene Gang und Alex völlig unpolitisch sind; außerdem füge sich das Russische einfach besser ins Englische als beispielsweise das Deutsche oder das Französische (Burgess 1990: 38). Zudem spricht Burgess (2010: 250) auch davon, dass der Text – wie auch sein Inhalt – als ‚Gehirnwäsche‘ funktionieren könne: The language […] is no mere decoration, nor is it a sinister indication of the subliminal power that a Communist super-state may already be exerting on then young. It was meant to turn A Clockwork Orange into, among other things, a brainwashing primer. Die bisher völlig unbekannten Vokabeln könnten unbemerkt gelernt werden. Diese un- bewusste Beeinflussung kann als konative (bzw. nach Nord als appellative) Funktion bezeichnet werden. Weiters wollte Burgess trotz der übermäßigen Gewalttätigkeit des Protagonisten eine (zumindest annähernde) Identifikation mit Alex ermöglichen. Daher bediente sich Burgess eines eigenen Vokabulars (Russizismen und andere Umschreibungen), sodass Alex seine Gewaltverbrechen nicht direkt benennen muss. Trotzdem verbirgt er nicht, welche Grausamkeiten im Laufe des Buchs von Alex begangen werden. Diese doppelte Funktion umschreibt Burgess als „half-hiding the mayhem and protecting the reader from his own baser instincts“ (ebda.). Diese Art zu sprechen intendiert einerseits eine Abschwächung der Gräuel bzw. eine weniger eindeutige Schilderung derselben, damit eine Identifikation mit dem Protagonisten grundsätzlich möglich ist. Andererseits wird eine gewisse Distanz zwischen Protagonist und Leserschaft anvisiert, die vor allem mit- tels Russizismen erreicht wird. Burgess selbst habe einschlägige Passagen nur unter Alkoholeinfluss schreiben können (Heller 1986: 248) und hatte insgesamt Probleme mit dieser Gewalt: „I indulged in excess, in caricature, even in an invented dialect with the purpose of making the violence more symbolic than realistic“ (Burgess 2010: 249).

Slang o. Ä. Möglicherweise wollte Burgess eher auf die subkulturelle, tendenziell gegen die soziale Ord- nung gerichtete Sprachverwendung hinweisen. Ein Hinweis darauf gibt eine weitere Bedeutung von Bolo: „One who pursues antipatriotic ‘underground’ activities like those of Paul Bolo“ (OED online 2018: s. v. Bolo).

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Wirkung auf Leserschaft Welche Wirkung die Verwendung von Nadsat genau hat, ist kaum festzustellen, da sie „rezipientenbezogen“ (Nord 2003: 149) ist. Folglich ist für Nord die Wirkung keine Größe der linguistischen Beschreibung, sondern der Interpretation. Einen Hinweis auf (mögliche) Wirkung geben meist Kritiken. Aggeler (1986: 8) zitiert den Rezensenten Daniel Talbot: A Clockwork Orange is a gruesome fable. Its poisonous culture has obvious roots in our own. It is a nightmare world, made terrifyingly real through Burgess’ extraordinary use of language. … Burgess combines an acute ear for the onomatopoeic aspects of language with an intuitive sense of the ambiguity of words, and his artificial slang has an emotional impact which transcends specific word meanings. Like the music which rouses Alex to passion, Burgess’ language echoes deeply within the reader’s psyche to stir the mind, the eye and the ear with profound impact. Der österreichische Amerikanist Arno Heller (1986: 246f.) fasst die Wirkung der Spra- che folgendermaßen zusammen: Insgesamt vermittelt nadsat den Eindruck einer sehr konkreten, vor- dergründige Details genau realisierenden sowie stark emotiven Spra- che, deren repetitive Diktion auf den Leser eine unterschwellige kumulative Wirkung ausübt. Die Fremdartigkeit dieser Sprache zwingt ihn zu erhöhter Aufmerksamkeit, zur Aktivierung seiner deno- tativen Phantasie. Darüber hinaus vermittelt sie auf Grund ihrer ono- matopoetischen Züge, ihrer Assonanzen, Alliterationen und eigenwilligen Sprachrhythmik eine stark ästhetisierende, musikalische und poetische Qualität.

Die fiktionale Sprachvarietät hat zweifelsohne eine Wirkung auf die Leserschaft. Zum einen geschieht das unbewusste Lernen der fremden Wörter tatsächlich unbewusst, zum anderen generiert die eigentümliche Sprechweise ein bestimmtes Bild von Alex und seinen Taten. Zudem ist die Ästhetik eine besondere, die sich auch im Rhythmus des Leseflusses äußert. Der Wechsel zwischen langen und sehr kurzen Sätzen trägt zu ei- nem bestimmten Rhythmus bei. Auch die Wiederholungen sowie die teilweise Lautwie- derholung kreiert einen ästhetischen Eindruck. A Clockwork Orange und vor allem die darin vorkommende Sprachverwendung sind nicht zufällig auch über fünfzig Jahre nach dem ersten Erscheinen noch immer ein Thema – sowohl in der Wissenschaft als auch im Feuilleton und besonders in der Pop- kultur.

38 3.2.2 Kategorisierung, Sprecher und Abgrenzung Wie in den vorangehenden Kapiteln dargelegt wurde, ist Nadsat die Bezeichnung für Jugendliche und ihre Sprache im Roman. Zur Abgrenzung der Alex eigenen Sprechwei- se wird davon ausgegangen, dass er von anderen getätigte Aussagen wahrheitsgemäß wiedergibt. Diese Fremdaussagen weisen darauf hin, dass die innerfiktionale Norm auch der außerfiktionalen entspricht (ausgenommen einige Bezeichnungen von Realia, die in der beschriebenen Zukunft existieren, bspw. „worldcast“ (ACO: 23), eine weltweit aus- gestrahlte Sendung). In der Fiktion stellt Nadsat – laut dem Erzähler und den Aussagen anderer Personen – eine durchaus bekannte Varietät dar. An manchen Stellen wird deutlich, dass Außenstehende die Verwendung von Nadsat nicht beherrschen. Im dritten Teil des Buchs sitzt Alex mit seinem ehemaligen Opfer F. Alexander11 (dessen Frau Alex und seine Droogs bei einem Überfall vergewaltigten und die an den Folgen starb) am Küchentisch, bedient sich seiner üblichen Sprechweise und muss auf die Frage des Gastgebers hin erklären, was seine Aussage überhaupt bedeutet: ‘Very good,‘ I said. ‘Real horrorshow. Written well thou hast, O sir.‘ And then he looked at me very narrow and said: ‘What?’ ‘Oh that,’ I said, ‘is what we call nadsat talk. All the teens use that, sir.‘ (ACO: 175) An dieser Stelle erklärt Alex selbst Nadsat zu einer Jugendsprache, also zu einer diastra- tischen Varietät (mit starker Verknüpfung mit der diaphasischen Dimension – siehe auch Kapitel 2.2.2). Dabei wird nicht ganz klar, ob lediglich die Jugendlichen in Alex‘ Umfeld sich dieser Sprache bedienen, oder ob sich auch ‚normale‘, nichtkriminelle An- gehörige der entsprechenden Altersklasse mit Nadsat ausdrücken. In verschiedenen Ar- tikeln und sonstigen Publikationen zu dem Thema wird Nadsat unterschiedlich kategorisiert. So behandeln z. B. Cheyne (2008) und Müller (1999) Nadsat als Jugend- jargon, Amis (2013: viii) schreibt im Vorwort zur neuen Ausgabe von A Clockwork Orange von einem Idiolekt bzw. Argot, auch Evans (1971) betitelt Nadsat als Argot und in neueren englischsprachigen Artikeln wird auch von einer anti-language (Vincent 2017: 247) gesprochen (siehe zu den Begriffen Kapitel 2.2.2). Burgess selbst schreibt ebenso von einer Mischung aus Idiolekt und „slang of his group“ (Burgess 1990: 37). Bis zu einem gewissen Grad ist die Sprachvarietät verständlich, doch bleibt die aktive Verwendung Jugendlichen vorbehalten. Im Gespräch mit einer Art Sozialarbeiter na-

11 Es sei einerseits auf die Namensähnlichkeit hingewiesen (F. Alexander und Alex DeLarge) und ande- rerseits auf die Tatsache, dass ersterer der Autor eines Werks mit dem Titel A Clockwork Orange ist. Alex und seine Droogs zerreißen bei ihrem Überfall das Manuskript zum Buch.

39 mens P. R. Deltoid scheinen Nadsat-Begriffe kaum ein Hindernis für das Verständnis zu sein. Als Alex das Wort millicents (Polizei/Polizisten) verwendet, greift der Besucher das Wort gar auf: „Cut out this clever talk about millicents“ (ACO: 44). Manchmal er- klärt Alex selbst seinem Gesprächspartner, was seine Aussagen und bestimmte Worte bedeuten. So bietet er Deltoid einen Tee an: „A cup of the old chai, sir? Tea, I mean“ (ACO: 43). Auffällig ist auch, dass sich die Sprachäußerungen von noch jüngeren Charakteren im Buch deutlich von Alex‘ Ausdrucksweise unterscheiden. Bei einem Besuch in einem Plattenladen trifft Alex auf zwei jüngere Mädchen, deren Sprachgebrauch ebenfalls Abweichungen von der Sprachnorm aufweist, sich von Nadsat jedoch stark unterschei- det: „Who you getten, bratty? What biggy, what only?“ (ACO: 49) oder „Oh, but we’re so hungry. Oh, but we could so eat […]. Yah, she can say that, can’t she just“ (ACO: 50) stellen scheinbar für noch jüngere Jugendliche typische Aussagen dar. Alex selbst kommentiert diese Sprechweise als Erzähler mit „These young devotchkas had their own like way of govoreeting.“ (= Diese jungen Mädchen hatten ihre eigene Art zu spre- chen. Sinngemäße Übersetzung von K. K.; ACO: 49). Daraus lässt sich schließen, dass Nadsat nicht nur auf Jugendliche, sondern auch auf eine enge Altersgruppe beschränkt ist. Dafür spricht des Weiteren, dass auch Alex‘ Erzfeind, den er nach seiner Entlassung trifft, Nadsat kennt und verwendet: „Naughty little malchicks handy with cut-throat britvas – these must be kept under“ (= Ungezogene kleine Jungs, geschickt mit kehlen- schlitzenden Rasiermessern – die müssen kleingehalten werden. Sinngemäße Überset- zung von K. K.; ACO: 161) und später „Be viddying you some more sometime, Alex“ (= Ich werd‘ dich noch öfter mal sehen, Alex. Sinngemäße Übersetzung von K. K.; ACO: 162). Billy ist kein Teil der Gruppe um Alex, sondern gehört einer verfeindeten Bande an, er ist aber etwa im selben Alter wie Alex (der der Jüngste seiner Gruppe ist) und seine Droogs. Auch von einem anderen Charakter wird über Nadsat gesprochen. Dr. Branom, der bei Alex‘ Konditionierung mithilft, beschreibt seinem Kollegen Dr. Brodsky die Sprach- verwendung des Patienten folgendermaßen: „Odd bits of rhyming slang […]. A bit of gipsy talk, too. But most of the roots are Slav. Propaganda. Subliminal penetration“ (ACO: 125). Hier wird nicht auf eine bestimmte Altersgruppe oder soziale Schicht ein- gegangen, sondern auf die Zusammensetzung und die Natur dieser Sprache. Der Spre- cher zieht gleichzeitig eine Parallele zu dem, was mit Alex geschieht und was mit dem

40 Leser geschieht: Alex wird sozusagen einer ‚Gehirnwäsche‘ unterzogen, er wird darauf konditioniert, beim bloßen Gedanken an Gewalt körperliche Abwehrreaktionen zu ver- spüren, die ihn schlussendlich davon abhalten, Böses zu tun. Gleichzeitig wird die Le- serschaft tatsächlich allmählich und unbewusst mit dem unbekannten Vokabular vertraut gemacht. Ohne sich aktiv damit auseinanderzusetzen, lernen die LeserInnen die Bedeutung der aus dem Russischen abgeleiteten Wörter. Wie aufgezeigt wurde, ist nicht eindeutig, wie groß die Gruppe der Nadsat- SprecherInnen tatsächlich ist bzw. welche Gruppe genau dazugehört. Sicher ist, dass Alex selbst und auch seine Droogs sich ähnlich ausdrücken und sich gegenseitig verste- hen, während die meisten Erwachsenen bestimmte Wörter nicht verstehen. Alex wiede- rum versteht die Sprechweise der jüngeren Jugendlichen nicht mehr. Dieser Umstand würde jedenfalls auf eine Jugendsprache hindeuten. In Kapitel 1.2.1 wurde bereits da- rauf hingewiesen, dass die Jugendsprache nicht eindeutig als zur diastratischen oder zur diaphasischen Dimension zugehörig definiert werden kann. Eine Kategorisierung als reiner Soziolekt dagegen ist eher auszuschließen, da vermutlich weniger die soziale Schicht der Sprecher (alle im Buch vorkommenden Personen, die Nadsat sprechen, sind tatsächlich männlich) als ihr Alter ausschlaggebend ist. Gleichzeitig handelt es sich bei Nadsats aber um Jugendliche in einem bestimmten Alter (vermutlich zwischen 14 und 18; wie weiter oben angeführt wurde, unterscheidet sich die Sprachverwendung sowohl von Jüngeren als auch von Erwachsenen von jener der dargestellten Bande). Daher ist die Einteilung als Slang ebenfalls möglich. Greiner (2004: 905), der sich mit der Übersetzung von Stil und Varietäten beschäftigt, nimmt eine konkrete Kategorisierung vor: Die von Anthony Burgess in A Clockwork Orange entwickelte nicht- empirische Varietät des Nadsat – der private Jargon einer sich abgren- zenden jugendlichen Bande – liegt an der Grenze zwischen engli- schem Slang und künstlicher Varietät mit russischen Lexemen und daran gebundener Morphologie. Obwohl – wie in diesem Kapitel dargelegt wurde – von einer begrenzten Sprechergrup- pe ausgegangen werden kann, ist anhand des Buchs jedoch nicht feststellbar, wie genau die Sprachverwendung begrenzt ist. Da aber auch die verfeindete Bande Nadsat spricht (wie gegen Ende des Buchs klar wird), ist die Einteilung als Jargon zu eng gefasst. Aufgrund der Tatsache, dass Alex selbst der Erzähler der Geschichte ist und nur wenige längere Passagen von Fremdaussagen vorkommen, ist eine Abgrenzung von Alex‘ eige- nem Idiolekt und einer möglichen gruppensprachlichen Dimension kaum möglich. Da aber auch die Menschen in seinem unmittelbaren Umfeld sich zumindest ähnlich aus-

41 drücken, können einige Merkmale als eindeutig nicht nur dem Idiolekt zuzurechnen eingestuft werden. Einige, besonders stilistische Eigenheiten – die im folgenden Kapi- tel 3.2.3 angeführt werden –, sind wohl typisch für Alex; diese Vermutung kann aber weder bestätigt noch widerlegt werden, wie in diesem Kapitel gezeigt wurde. Aus die- sem Grund werden möglichst alle sprachlichen Eigenheiten in dieser Arbeit berücksich- tigt. Das Verständnis von Nadsat als fiktionale Sprachvarietät des Englischen erweist sich am Ende dieses Kapitels erneut als sinnvoll: Die zweifelsfreie Kategorisierung als eine bestimmte Varietät steht weder im Zentrum des Interesses der vorliegenden Arbeit, noch wäre eine solche für die weitere Untersuchung hilfreich. Diese Kategorisierung deutet bereits darauf hin, dass Nadsat Besonderheiten aufweist, teilweise von der Sprachnorm abweicht und nicht von allen Englischsprechenden gesprochen und/oder verstanden wird.

3.2.3 Nadsat-spezifische textinterne Merkmale In diesem Kapitel werden die merkmalhaften bzw. funktional relevanten Elemente12 angeführt. Identifiziert bzw. selektiert werden sie mittels Nords übersetzungsrelevanter Textanalyse (2003). Während die meisten Publikationen zu diesem Thema sich hauptsächlich mit den Russi- zismen in Alex‘ Sprachverwendung, teilweise unter Einbeziehung der Kindersprache und der Onomatopoetika, beschäftigen, wird in dieser Arbeit die Sprachverwendung des Protagonisten als Ganzes in den Fokus genommen. Denn Nadsat besteht nicht nur aus eingestreuten Russizismen und Onomatopoetika, sondern weist eine Reihe von Charak- teristika auf, die in wissenschaftlichen Untersuchungen bisher kaum oder gar keine Be- achtung fanden. Unbekannte oder neue Wörter sind besonders auffällig und daher wohl ein naheliegender Untersuchungsgegenstand, doch beschränken sich die Besonderheiten nicht darauf. Im Zuge eines 2015 ins Leben gerufenen Projekts einer Gruppe von (Translations-)Wissenschaftlern namens Ponying the Slovos13 wurde die Untersuchung auch auf andere Aspekte ausgedehnt. Sie identifizierten mittels korpusbasierter Analyse des Texts sieben Kategorien, die Nadsat auszeichnen: ‚Core Nadsat‘, Creative Morpho-

12 Gemeint sind sprachliche Elemente, die für die Erfüllung einer Funktion relevant sind. Auch die Ein- schätzung der Relevanz kann mit der korpusbasierten Analyse bis zu einem gewissen Grad objektiviert werden, gänzlich neutral ist aber auch sie nicht. Siehe zum Begriff bei Reiß und Vermeer (1991) auch Kapitel 2.1.4. 13 Die Benennung ist aus Nadsat-Wörtern abgewandelt: pony steht für понять [ponjat] – russisch für verstehen, slovos ist der Plural von slovo, von russisch слово [slowo] – Wort. Die Bezeichnung kann also als die Worte verstehen übersetzt werden.

42 logy, Compounds, Archaisms, Rhyming Slang, Truncations, Baby Talk (Vincent/Clarke 2017: 255). Diese Aufzählung schließt mehr sprachliche Merkmale mit ein und geht dabei systematischer vor als alle anderen Untersuchungen. Da das Projekt aber auf die Identifikation von Besonderheiten auf lexikalischer Ebene beschränkt ist, werden auch in diesem Fall stilistische und grammatikalische Merkmale nicht miteinbezogen. Diese stellen aber – so die Grundthese dieser Arbeit (siehe Einlei- tung) – ein bedeutendes Charakteristikum von Nadsat dar. Die stilistischen Besonderheiten wurden, angelehnt an Leech und Short (1981: 75–79), unter dem Begriff Stilfiguren zusammengefasst. Überlappungen der einzelnen Katego- rien sind dabei unvermeidbar: Stilfiguren können nur mit lexikalischen und grammati- kalischen Bausteinen realisiert werden. Aus diesem Grund ist weder Vollständigkeit noch Eindeutigkeit der Einteilung möglich. Eine grobe Kategorisierung der Sprachbe- sonderheiten, die der Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit dienen soll, kann der folgenden Tabelle entnommen werden.

Lexik Syntax/Grammatik Stilfiguren • Archaisierende Rede • Wortspiele, Meta- • Satzlänge phern • Russizismen • Einfacher Satzbau • Wiederholung von • Wortneubildung • Grammatikalisch Konstruktionen und • Onomatopoetika fehlerhafte Verwen- Worten • Kindersprache dung von like • Reim/Rhythmus • Direkte Leseranspra- che Tabelle 6: Sprachliche Besonderheiten des englischen Nadsat.

Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den linguistischen Merkmalen teilweise um Punkte, die beispielsweise sowohl zur Kategorie Lexik als auch zu den Stilfiguren ge- zählt werden können. Der Übergang zwischen den Kategorien ist fließend. Die Merk- male wurden derjenigen Kategorie zugeteilt, der sie primär entsprechen. Zur weiteren Veranschaulichung soll im Folgenden zu jedem Punkt kurz eine Erklärung gegeben und zumindest ein Beispiel angeführt werden. An dieser Stelle wird weder auf Vollständigkeit noch auf Endgültigkeit beharrt. In einem bestimmten Kontext kann ein Merkmal tendenziell eher einer anderen Kategorie entsprechen. Die hier vorgenommene Einteilung erfüllt den Zweck der vorliegenden Untersuchung. Bevor genauer auf die einzelnen Merkmale eingegangen wird, soll eine korpusbasierte Analyse Anhaltspunkte für die im Folgenden angeführten Besonderheiten geben. Die

43 folgende Liste enthält die Keywords14, die Clarke und Vincent (o. D.) anhand einer kor- pusbasierten Analyse identifizierten. Dabei wurde festgestellt, welche Worte im Ver- gleich zum LOB Corpus15 am häufigsten im Text vorkommen. 1 like 13 very 2 I 14 horrorshow 3 my 15 real 4 brothers 16 you 5 then 17 starry 6 said 18 malenky 7 veck 19 old 8 Dim 20 bit 9 viddy 21 viddied 10 all 22 goloss 11 and 23 litso 12 me 24 glassies Tabelle 7: Keywords in ACO (in Anlehnung an Clarke/Vincent o. D.).

Welche Schlüsse daraus gezogen werden können, wird auf den nächsten Seiten deutlich gemacht.

Lexik Als erste Kategorie wird die Lexik behandelt. Darin werden in erster Linie auf lexikali- schen Elementen aufbauende Merkmale dargestellt. Überschneidungen mit anderen Kategorien sind nicht zu vermeiden und werden nicht jedes Mal einzeln angeführt.

• Russizismen16 Die wohl auffälligste Besonderheit des englischen Nadsat sind die aus dem Russischen stammenden Wörter. Burgess selbst spricht von etwa 200 Begriffen (Burgess 1990: 38), dem Buch beigefügten Glossar zufolge sind es 173 Russizismen (einige Begriffe stam- men nicht aus dem Russischen, sondern aus anderen Sprachen oder sind Rhyming- Slang-Begriffe).

14 „Keywords are single words (tokens) which appear in the focus corpus more frequently than they would in general language. The general language is represented by the reference corpus“ (Lexical Computing CZ s. r. o. o. D.: s. v. Keyword and term extraction). Das heißt, es handelt es sich um Wörter, die im Vergleich zur ‚Normalsprache‘ (die mit dem Referenzkorpus dargestellt wird) häufiger vorkom- men. 15 Das LOB Corpus (Lancaster-Oslo/Bergen Corpus) ist ein britisches Korpus, das 500 Texte à ca. 2 000 Wörter enthält. Die Texte aus 15 Textsorten wurden alle 1961 geschrieben und veröffentlicht (vgl. Johansson/Leech 2008). 16 Es handelt sich im strengen Sinn nicht um Russizismen, da damit für gewöhnlich Wörter bezeichnet werden, die im Sprachgebrauch ‚angekommen‘ sind, die also in die fremde Sprache übernommen wurden (vgl. Metzler Lexikon Sprache 2016: s. v. Russizismus). Trotzdem soll der Begriff hier verwendet werden. Dabei ist aber zu beachten, dass es sich eben nicht um etablierte Lexeme handelt (jedenfalls nicht in der außertextlichen Welt und zur Zeit der Veröffentlichung des Werks).

44 Russizismus Übersetzung Russisch Transkription17 1 veck Mensch/Typ человек [tschelowjeck] 2 viddy sehen видеть [widjet] 3 horrorshow gut хорошо [choroscho] 4 malenky klein маленький [maljenki] 5 rooker Hand рука [ruka] 6 litso Gesicht лицо [lizo] 7 goloss Stimme голос [golos] 8 glazzie Auge глаз [glas] 9 droog Freund друг [drug] 10 starry alt старый [ctari] Tabelle 8: Die zehn häufigsten Russizismen in ACO. Keyword-Analyse erstellt mit Sketch Engine, Refe- renzkorpus enTenTen1518.

Wie aus der Tabelle hervorgeht, sind die drei häufigsten Russizismen veck, viddy und horrorshow. Dabei passt Burgess die Begriffe solchermaßen an das Englische an, dass sie nicht als übermäßig fremd erscheinen, sondern sich in das System der englischen Sprache einfügen, und zwar sowohl lautlich als auch grammatikalisch (Jackson 2011: 68): Verben werden mit -ed als past tense gekennzeichnet, beim Plural wird am Ende ein -s hinzugefügt, Adjektive enden meist auf -y. Die fremden Wörter werden in der Regel so eingeführt, dass sie auch für Lesende ohne Russischkenntnisse verständlich werden. Dafür wird entweder direkt erklärt, was ge- meint ist („Dim had a real horrorshow length of oozy or chain round his waist“; ACO: 22) oder der Kontext macht die Bedeutung klar („so we rang the collocoll“; ACO: 17).

• Wortneubildung Die im Zuge des Projekts Ponying the Slovos angeführten Kategorien Compounds, Cre- ative Morphology und Truncations wurden in der Kategorie Wortneubildung zusam- mengefasst. Diese stellt somit nach den Russizismen die größte Kategorie dar (laut Vincent und Clarke (2017) umfasst sie 87 verschiedene Begriffe). Die häufigsten Stra- tegien der Wortneubildung in A Clockwork Orange sind Wortartwechsel und Komposi- tabildung. Zudem kommen auch Kürzungen vor. Beispiele für diese Kategorie sind Wörter wie boot-crush (von crush und boot: mit dem Stiefel zerquetschen) oder sleepglue (wörtlich Schlafkleber: Sekrete, die sich während des Schlafens in den Augenwinkeln sammeln; umgangssprachlich Schlafsand), clowny

17 Die Transkriptionen folgen den Duden-Regeln. 18 Das Korpus enTenTen15 wurde aus 37 Millionen verschiedenen Websites mit den Endungen com, org, net, uk, edu, au, info, ca u. a. m. zusammengesetzt; insgesamt enthält es über 15 Milliarden Wörter (Lexical Computing CZ s.r.o. o. D.: s. v.: enTenTen: English corpus from the web). Somit stellt das enTenTen15-Korpus eine geeignete Referenz dar, weil auch in A Clockwork Orange Mündlichkeit darge- stellt werden soll.

45 (Adjektiv zu clown: clownig/clownhaft) und egging (von egg: Ei essend) sowie pee und em (Verkürzung von Pa und Ma: Papa und Mama).

• Onomatopoetika Onomatopoetika werden häufig als Verben eingesetzt. Dazu zählen beispielsweise boohoohooing (Laute des Weinens) oder jinglejangling (Münzen in der Tasche klim- pern lassen; von jingle: to shake things to make sound (Macmillan Dictionary 2009– 2018: s. v. jingle)). Ebenfalls verwendet wird die Konstruktion going + Onomatopo- etikon, häufig folgt eine doppelte oder dreimalige Nennung des lautmalerischen Worts: going haw haw haw, going bap bap bap, going lurch lurch etc. Neben der ästhetischen Komponente dieser Lautmalereien wird auch Unmittelbarkeit ausgedrückt. Die Tatsa- che, dass Burgess das Weinen oder Lachen nicht mit den Verben cry und laugh aus- drückt, macht die Emotion unmittelbarer.

• Kindersprache Zur Kindersprache zählen Ausdrücke wie skolliwoll (Schule), eggiweg (Ei) oder tickle- wickle (leicht berühren, kitzeln) und baddiwad (böse). Charakteristisch ist hierbei die Reduplikation, also die Wiederholung, von Lauten, Silben, Wortteilen oder Worten, wie auch die Beispiele zeigen. Typisch sind auch Verkleinerungsformen von Nomen, wie maskies, malchickies (von мальчик – Junge), stoolies, cubie etc. Zudem kann auch die einfache Sprache (vgl. vor allem die Kategorie Einfacher Satzbau) als Annäherung an einen kindlichen Sprachgebrauch gedeutet werden (die wiederum von besonders ab- wechslungsreichen und kreativen sowie im Register hoch anzusiedelnden Passagen bzw. Wörtern unterbrochen werden).

Bereits zwischen den einzelnen Punkten innerhalb der Kategorie Lexik sind die Gren- zen nicht immer eindeutig. Der Ausdruck ticktocker (für Herz) beispielsweise kann als Kindersprache oder Onomatopoetikon angesehen werden, wie die Definition in The New Partridge Dictionary of Slang and Unconventional English (2006: s. v. tick-tock) zeigt: „A children’s colloquialism, from the conventional imitation of the ticking of a clock“. Gleichzeitig liegt auch eine Metapher sowie aufgrund der phonetischen Merk- male eine Art von Reim vor.

46 Syntax/Grammatik Diese Kategorie bezieht sich auf syntaktische Merkmale. Darunter ist sowohl der Satz- bau als auch die korrekte Verbindung von Wortgruppen gemeint.

• Satzlänge Die durchschnittliche Satzlänge in ACO beträgt 17,5 Wörter19. Der längste Satz besteht aus 130 Wörtern. Alex beschreibt darin die Situation, als eine Frau in der Korova Milkbar zu singen beginnt und er davon tief ergriffen ist20. Verstärkend wirkt der an- schließende, aus sechs Wörtern bestehende Satz „Because I knew what she sang“ (ACO: 33). Die kürzesten Sätze bestehen aus nur einem Wort (etwa eine direkte Frage Yes?), auch Sätze aus zwei Wörtern sind häufiger vertreten. Als Beispiel hierfür können die diversen Einführungssätze für direkte Rede gelten (Subjekt + said) oder auch einfa- che Sätze wie „Very strange“ (ACO: 56). Als Besonderheit ist hier allerdings weniger die durchschnittliche Satzlänge zu nennen, sondern vielmehr der Kontrast zwischen überdurchschnittlich langen und kurzen Sätzen. Auf diese Weise wird eher natürliche Sprachverwendung nachgezeichnet und Münd- lichkeit ausgedrückt.

• Einfacher Satzbau Obwohl die Sätze teilweise relativ lang sind, ist der Satzbau meist einfach. Einleitend wird häufig There was verwendet (101-mal), Hauptsätze werden oft nur mit Kommata, mit and, then oder and then getrennt. Andere, elaboriertere Konjunktionen kommen

19 Die Berechnung erfolgte manuell. Zuerst wurde anhand des Wörter-Zähl-Tools von Word festgestellt, wie viele Wörter das Original beinhaltet (58 625). Anschließend wurde die Anzahl der Punkte (2 988), der Fragezeichen (348) sowie der Ausrufezeichen (8) zusammengezählt. Daraufhin wurde die Wortanzahl durch die 3 344 Satzendzeichen dividiert, was eine durchschnittliche Satzlänge von 17,53 Wörtern ergab. So wurde auch für die anderen beiden Texte vorgegangen. Obwohl es keine eindeutigen Angaben zu durchschnittlichen Satzlängen im Englischen gibt, kann die ausgerechnete Länge von 17,5 Wörtern pro Satz als eher lang oder zumindest relativ schwierig angesehen werden. Eine Studie (zit. n. Wylie 2009) zeigte etwa, dass ein Text mit einer Satzlänge von etwa vierzehn Wörtern von neunzig Prozent der LeserInnen verstanden wurde, während bei 43 Wörtern nur mehr zehn Prozent der Menschen den Inhalt verstanden. Zwar wird hier keine Angabe zur durchschnittlichen Satz- länge gegeben, aber zumindest die Grenze der Verständlichkeit aufgezeigt. 20 „And then the disc on the stereo twanged off and out (it was Johnny Zhivago, a Russky koshka, singing ‘Only Every Other Day’), and in the like interval, the short silence before the next one came on, one of these devotchkas – very fair and with a big smiling red rot and in her late thirties I’d say – suddenly came with a burst of singing, only a bar and a half and as though she was like giving an example of something they’d all been govoreeting about, and it was like for a moment, O my brothers, some great bird had flown into the milkbar, and I felt all the little malenky hairs on my plott standing endwise and the shivers crawling up like slow malenky lizards and then down again.“ (ACO: 33)

47 kaum vor. Verstärkend wird meist very verwendet, Komparative oder Superlative sind selten. Zur Einleitung von fremder Rede wird meist said eingesetzt. Wie aus Tabelle 7 hervorgeht, steht then an fünfter Stelle der Keywords. Das bedeutet, dass die Häufigkeit der Verwendung im Vergleich zum LOB Corpus häufig ist. Das an sechster Stelle gelegene said bestätigt ebenfalls die häufige Verwendung einfacher Wör- ter und Sätze. Selbst and schafft es auf den elften Platz, was wiederum die einfache Syntax unterstreicht, ebenso wie very. Die folgende Tabelle zeigt die Häufigkeit der entsprechenden Wörter in A Clockwork Orange und im Korpus enTenTen15. Dabei handelt es sich um ein Webkorpus aus 15 Milliarden Wörtern, das sowohl schriftliche als auch eher mündliche/legere Sprachver- wendung abbildet (Lexical Computing CZ s.r.o. o. D.: s. v.: enTenTen: English corpus from the web; siehe auch Fußnote 18).

Korpus enTenTen15 ACO Lemma there was 88,30 1 591,10 and then 153,90 2 022,79 said 828,00 7 671,81 very 752,00 5 069,32 Tabelle 9: Häufigkeit von Lemmata in enTenTen15 und ACO pro einer Million Wörter. Errechnet mit Sketch Engine21.

Die Zahlen zeigen eindeutig, dass die jeweiligen Worte bzw. Wortverbindungen auch im Vergleich zu einem großen Korpus häufig vorkommen. Dabei handelt es sich jedoch nicht um im Alltag ungebräuchliche Verbindungen oder Einleitungen bzw. Verstärkun- gen, sondern ganz im Gegenteil um häufig verwendete. Dass die Häufigkeit in A Clockwork Orange trotzdem so signifikant über derjenigen der Normalsprache oder zumindest des Korpus liegt, unterstreicht die Besonderheit dieses Merkmals. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch der Kontrast zwischen dem hier dar- gestellten einfachen Satzbau und der teilweise eingesetzten – unter Stilfiguren angeführ- ten – archaisierenden Rede (die durchaus als bildungssprachlich gelten kann).

21 Bei Sketch Engine handelt es sich um ein Online-Programm für die Textanalyse. Neben zur Verfügung gestellten Korpora verschiedener Art und Größe können auch eigene Texte (Korpora) eingespeist und analysiert werden. Vor dem Hintergrund dieser Arbeit wird einerseits das ‚einfache Zählen‘ von Wörtern bzw. Lemmata oder Konstruktionen sowie der Vergleich mit ‚Normalsprache‘ relevant sein. Dadurch soll mit Zahlen unterstrichen werden, was die durchgeführte Textanalyse anhand der W-Fragen ergeben hat und auch verdeutlicht werden, dass die ‚Besonderheiten‘ auch tatsächlich vom ‚gewöhnlichen‘ Sprachge- brauch abweichen.

48 • Grammatikalisch fehlerhafte Verwendung von like Die Keyword-Analyse zeigt, dass like das im Vergleich mit dem LOB Corpus am häu- figsten verwendete Wort in A Clockwork Orange ist. Neben der Verwendung als Präpo- sition (he looks like his father), als Konjunktion (she looked like she was about to cry), als Adjektiv (of like mind) und als Adverb (I said, like, you can’t do this to me), wird like auch falsch verwendet. So etwa in folgendem Satz: „[T]his Dr Brodsky said, in a very yawny and bored like goloss“ (ACO: 117). Die Platzierung von like zwischen Artikel und Adjektiv ist keine typische Konstruktion. Das zeigt auch die Korpusanalyse: Bei der Betrachtung der Verwendung dieser Kon- struktion in A Clockwork Orange zeigt sich, dass sie 2 281,8-mal häufiger im Buch vor- zufinden ist als im normalsprachlichen Korpus (errechnet mit Sketch Engine, Vergleichskorpus: enTenTen15; ‚normalsprachlich‘ wird hier verwendet als Gegensatz zum Textauszug, der Nadsat enthält). Zwar kann der redundante Einsatz von like als Füller vor allem im informellen Sprach- gebrauch als gängig angesehen werden, jedoch unterliegt diese Verwendung auch in mündlicher Rede gewissen (weniger strengen) Regeln. Die im Partridge Dictionary angeführten Beispiele für die Verwendung von like als Slang im Vereinigten Königreich lauten „The long coot was puzzled at first, Nora being so good to him like“, „Is ‘er speakin’ voice nice like?“, „Even though, like, Tiffany’s the spittin’ image of him“, „They like own this big bridge construction company type of fing“ (The New Partridge Dictionary of Slang and Unconventional English 2006: s. v. like; die Beispiele stammen aus den Jahren 1954 bis 1987). Zu erkennen ist, dass es sich dabei hauptsächlich um einen Einschub handelt, der mehr oder weniger für sich steht. Die von Alex verwendete Sprechweise dagegen weicht auch davon ab. Bei der Beschreibung der Masken, die sie beim Eindringen in ein Haus tragen, erklärt Alex „they were a real like disguise“ (ACO: 15).

Stilfiguren Die dritte Kategorie umfasst am meisten Merkmale. Sie ist auch am weitesten gefasst. Versammelt sind hier all jene sprachlichen Merkmale, die nicht auf lexikalische oder syntaktische Aspekte beschränkt sind.

49 • Archaisierende Rede Die bei Vincent und Clarke (Vincent/Clarke 2017: 255) als Archaisms bezeichnete Ka- tegorie wird in dieser Arbeit weiter gefasst: Archaisierende Rede beinhaltet demnach nicht nur einzelne Wörter (archaisierende Pronomen: thee, thine, thou etc.; mounch – mampfen; darkmans – Dunkelheit, Nacht), sondern alle archaisierenden Wortformen (Flexion von Verben: etwa canst) sowie ganze Sätze, ihre Stellung etc. Auffällig bei dieser Kategorie ist, dass sie großteils dann vorkommt, wenn Alex seine eigene direkte Rede wiedergibt. Das heißt, er verwendet eine archaische Redeweise in erster Linie im Kontakt mit anderen, nicht gegenüber der Leserschaft. Die folgende Pas- sage stammt aus einer Unterhaltung mit seinem Vater: „‚Never worry about thine only son and heir, O my father,‘ I said. ‚Fear not. He canst take care of himself, verily‘“ (ACO: 54). Hier fallen die archaischen Formen thine und canst besonders auf, doch auch verily ist ein veralteter Begriff. Auch die Interjektion O my father sowie die Verneinung ohne do weisen auf eine veraltete Form des Englischen hin – das Early Modern English22, wie es hauptsächlich in Werken von Shakespeare (und anderer Autoren dieser Zeit) typisch ist. Auch die King James Bible23 gehört zu den heute noch bekannten Werken, die in dieser ‚Sprache‘ verfasst sind. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere Pro- nomen und veraltete Verbformen. Auch abgewandelte Zitate aus der Bibel sind im Werk vorhanden, so etwa „sore athirst“ (ACO: 17), eine Abwandlung von „and they were sore afraid“ (KJB Luke 2:9) oder auch das vorher bereits angeführte „Fear not“ (ACO: 54), das an vielen Stellen in der Bibel vorkommt.

• Wortspiele, Metaphern Metaphern (lip-music: Geräusche mit den Lippen machen, cancer: Zigarette) und Wort- spiele (Billyboy in poison statt in person) werden in einem Punkt zusammengefasst. Ebenfalls zu diesem Punkt zu zählen ist Rhyming Slang24, wie luscious glory für Haar,

22 Early Modern English (Frühneuenglisch) stellt den Übergang zwischen Old English und Modern English dar und ist geprägt von einer Welle der Standardisierung, die bereits 1430 mit dem geschriebenen Englisch und vor allem 1476 mit dem Buchdruck begann. Es zeichnet sich durch starke Veränderungen auf verschiedenen Ebenen aus. Ein besonders bekanntes Werk dieser Zeit ist die King James Bible. Sie erschien 1611 und war weitverbreitet, da sie die von der Kirche autorisierte Übersetzung war. Der eindeu- tig bekannteste Schriftsteller der Zeit und somit auch der bekannteste ‚Sprecher‘ des Early Modern English ist Shakespeare (vgl. Gramley 2012: 123–154). 23 Bei der King James Bible handelt es sich um eine 1611 veröffentlichte englische Bibelübersetzung. Da sie teilweise noch heute verwendet wird (OED online 2018: s. v. Authorized Version), ist sie auch in un- serer Zeit überaus bekannt und daher eine durchaus übliche und eindeutige Referenz. 24 Dabei handelt es sich um eine ursprünglich in einem Stadtteil Londons entstandene Form des Spra- chwitzes: „a way of talking in which you replace the normal word for something with a word or phrase

50 twenty-to-one für fun/Spaß (Blumenbach 2013: 331) oder pretty polly für Geld von lolly, das wiederum vom Rhyming-Slang-Ausdruck lollipop für drop a bribe kommt (ebda.; The New Partridge Dictionary of Slang and Unconventional English 2006: s. v. lolly). Sie stehen für einen spielerischen und kreativen Umgang mit Sprache und haben oft eine ironische oder komische Komponente.

• Wiederholungen von Konstruktionen und Worten Eine des Öfteren angewandte Stilfigur ist die Epizeuxis, also die dreimalige Wiederho- lung eines Worts direkt hintereinander. Häufig handelt es sich um Verben, die eine Be- wegung oder ein Geräusch bezeichnen. Dabei wird auf die Kontinuität aufmerksam gemacht: „and then bang bang banging on the wall“ (ACO: 180) oder „[I] went hammer hammer hammer on the wall“ (ebda.). Diese dreimalige Nennung trägt auch zu einem bestimmten Rhythmus bei (siehe weiter unten). Zusätzlich zu der Strategie der Epizeuxis kommen auch gehäufte Verwendungen von bestimmten Konstruktionen vor, die ebenfalls dieser Kategorie zugeordnet werden. Wie auch aus der Keyword-Analyse hervorgeht, ist der Einschub (O) my brothers eine be- sonders häufig vorkommende Wendung. Ebenfalls überdurchschnittlich oft kommt well vor, meist als Epizeuxis, also mehrmals hintereinander wiederholt. Auch very wird nicht nur häufig, sondern auffällig oft auch zweifach angewendet (etwa very very gromky). Ebenfalls aus der Keyword-Analyse erkennbar ist die häufige Verwendung von old: the old + Substantiv ist eine konstant wiederkehrende Konstruktion. Laut dem Macmillian Dictionary (2009–2018: s. v. old) wird old im informellen Sprachgebrauch „used for showing that you like someone and care about them“. Auch die Wendung the heighth of fashion – zusätzlich auffallend wegen der ungewöhnlichen bzw. veralteten Schreibweise (heute: height; Biswell 2013b: 207) – wird zur Kategorie Wiederholungen gezählt.

• Reim/Rhythmus Insgesamt sind Reime und besonders der Rhythmus unauffällig, doch vorhanden und bemerkbar, und zwar so ausgeprägt, dass sie auch bei einer stillen Lektüre auffallen. Heller (1986: 247) bemerkt die „eigenwillige Sprachrhythmik“ und auch Booker (1994: 98) schreibt, dass unter anderem die „musical rhythms of this language [..] probably the

that rhymes with it. An example is ‘dog and bone’ instead of ‘phone’“ (Macmillan Dictionary 2009–2018, s. v. Rhyming Slang). In A Clockwork Orange wird das Spiel teilweise noch weiter getrieben und das reimende Wort wird weggelassen, etwa bei der Verwendung von sharp . Der Ausdruck kommt von sharp and blunt, das sich auf cunt reimt (Clarke et al. 2017: s. v. Breaking down Nadsat into categories, Rhy- ming Slang).

51 most interesting features of Burgess’s book“ sind. Dieser Rhythmus wird häufig durch die Dopplung eines Adjektivs oder eines Verbs begünstigt. Zudem kann der Einschub der Leseransprache (siehe weiter unten) eine rhythmische Komponente darstellen und den Satz insgesamt musikalischer wirken lassen. Reimformen überschneiden sich teilweise auch mit der Kindesprache (eggiwegg, jammiwamm) oder mit Russizismen (lubbilubbing von любить – люблю [ljubit] – [ljublju]: lieben/mögen – ich liebe/mag). In „the old cold moloko“ (ACO: 38) ist eine Anhäufung von o-Lauten zu erkennen, die ebenfalls zu dieser Kategorie gezählt werden kann.

• Direkte Leseransprache Aus der Keyword-Analyse von Clarke und Vincent (o. D.; siehe Tabelle 7) geht eben- falls hervor, dass brothers an vierter Stelle rangiert (bei einer Korpusanalyse im Ver- gleich zum BNC (1960–1974) gar an dritter Stelle25). Das weist auf die häufige Leseransprache (bzw. die Ansprache des jeweiligen Gegenübers) hin. Häufig geschieht dies auch in Form von O my brothers und Abwandlungen (O brothers, my brothers etc.) als Einschub (my steht an dritter Stelle der Keyword-Analyse; alle Varianten kommen insgesamt 238-mal vor). Zudem wird die Leserschaft auch direkt mit you adressiert. Teilweise geht die Ansprache auch darüber hinaus und die Adressaten werden weiter eingebunden, etwa im folgenden Beispiel: „What was actually done that afternoon there is no need to describe, brothers, as you may easily guess all“ (ACO: 7).

Abgesehen von eindeutig erfundenen bzw. aus anderen Sprachen abgeleiteten Begriffen und etwa Archaismen verwendet der Protagonist also eine für ihn und vermutlich seine Gruppe charakteristische Redeweise. Auf die archaisierenden Elemente in seinem Sprachgebrauch (etwa veraltete Pronominalformen) wurde auch in verschiedenen Pub- likationen zum Thema hingewiesen, Satzbau sowie Wortwiederholungen oder stilisti- sche Merkmale fanden jedoch kaum Beachtung. Dazu gehört auch die teilweise abwechslungsarme Sprache. So kreativ Alex in seiner sonstigen Sprachverwendung ist, so gleichförmig kann er seine Aussagen ab und an gestalten. Die Wörter very als Ver- stärkung oder like als Füller werden auffallend häufig verwendet. Letzterer Ausdruck

25 Analysiert mit Sketch Engine. Das British National Corpus besteht aus schriftlichen (neunzig Prozent) und mündlichen (zehn Prozent) Texten und enthält fast hundert Millionen Wörter. Aus der Zeitspanne zwischen 1960 und 1974 stammt nur ein kleiner Teil der Texte (etwa zwei Prozent). (Vgl. Lexical Computing CZ s.r.o. o. D.: s. v. British National Corpus).

52 wird von Alex beinahe inflationär eingesetzt. Auch grammatikalisch falsche Konstruk- tionen mit like sind immer wieder zu lesen. Das nähert ihn wiederum an die kindliche Sprachverwendung an, die durch eindeutig an Kindersprache erinnernde Worte bereits zu seiner Charakterisierung herangezogen wurde. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die fiktionale Sprachvarietät Nadsat auf allen Sprachebenen Besonderheiten aufweist. Dazu gehören neben lexikalischen auch grammatikalische und stilistische Eigenheiten. Nachdem diese nun vorgestellt wurden, folgt die Beantwortung der Forschungsfrage, welche Funktion(en) diese Spra- che erfüllt.

3.2.4 Kommunikative Funktionen des englischen Nadsat Die unter 3.2.3 aufgezählten, für Nadsat charakteristischen linguistischen Merkmale werden in diesem Kapitel den kommunikativen Funktionen nach Jakobson bzw. Nord zugeordnet (siehe Kapitel 2.1.3). Die daraus resultierenden Ergebnisse stellen die Grundlage für die weitergehenden Untersuchungen der Übersetzungen dar. Eine genau- ere Analyse erfolgt im praktischen Teil, in dem ein Textauszug in Hinblick auf die se- lektierten Merkmale des Ausgangs- und der Zieltexte verglichen wird (siehe dazu Kapitel 6). Die einzelnen Merkmale werden hier nur kurz benannt. Sie sind im vorangehenden Ka- pitel 3.2.3 angeführt und mit Erklärungen sowie Beispielen versehen.

Emotive Funktion Insgesamt dient die Etablierung einer neuen Sprache der Charakterisierung des Prota- gonisten. Seine Sprachverwendung, sein Idiolekt, zeichnet ein Bild seines Charakters. Dabei ist Alex sowohl der Protagonist als auch der Erzähler in A Clockwork Orange. Das heißt, dass die LeserInnen jegliche Informationen über ihn von ihm selbst erhalten. Seine Ausdrucksweise – die Wahl der Wörter, die Satzstellung etc. – enthalten Informa- tionen, die nicht explizit ausgedrückt werden. Die vorzustellende Figur wird von ihm selbst vorgestellt – teilweise bewusst (absichtliche Selbstdarstellung durch Zurechtlegen der Erzählung, gewählte Ausdrucksweise u. Ä. m.) und teilweise unbewusst (implizite Selbstdarstellung durch ‚normales‘, unkontrolliertes Redeverhalten – vom Autor kon- trolliert und intendiert). Diese Selbstdarstellung erfüllt eine emotive Funktion. Wie be- reits Pfister (1994) für das Drama festhält, ist diese immer von Bedeutung, „da die

53 Konkretisierung einer Figur durch die Wahl ihrer Redegegenstände, durch ihr sprachli- ches Verhalten und durch ihren Sprachstil zu den wichtigsten Techniken der Figu- rencharakterisierung im Drama gehört“ (ebd.: 156). Diese Aussage kann auch auf den hier behandelten Roman ausgeweitet werden, da der Protagonist gleichzeitig der Erzäh- ler ist. Äußerungen von anderen Charakteren werden von ihm wiedergegeben. Somit ist seine Sprachverwendung die zentrale Methode der Charakterisierung. Alle Besonder- heiten tragen zur Erfüllung dieser Funktion bei, da die Gesamtheit seiner Sprachver- wendung die Charakterisierung ausmacht. Zwar sind manche Aspekte ungewöhnlicher und daher auffälliger als andere, insgesamt spielen sie jedoch alle bei der Charakterisie- rung und somit bei der Erfüllung der emotiven Funktion eine Rolle. Konkreter kann etwa bemerkt werden, dass die archaisierende Rede einerseits ein Ausdruck seiner Intelligenz bzw. seiner Bildung und seiner Überlegenheit ist, was wie- derum die emotive Funktion erfüllt. Darauf weist insbesondere die Tatsache hin, dass Alex vor allem im Dialog mit anderen auf archaisierende Sprechweisen zurückgreift. Wortneubildung, Metaphern und Wortspiele drücken seine Fantasie und Kreativität aus. Mittels Russizismen und Umschreibungen distanziert Alex sich von seinen Taten, ohne sie tatsächlich zu verschleiern (so wird gleichzeitig garantiert, dass die Leserschaft eine Verbindung zu bzw. Sympathie für den Protagonisten Alex aufbaut; siehe dazu Konati- ve Funktion). An Kindersprache erinnernde Äußerungen drücken eine verharmlosen- de Haltung zu Dingen aus und können somit als emotiv angesehen werden.

Konative Funktion Gleichzeitig können die eben genannten Merkmale (Russizismen, Kindersprache) als konativ verstanden werden: Nicht nur Alex distanziert sich von seinen Taten, sondern auch die RezipientInnen. Zudem wird es diesen somit möglich, Alex nicht als reinen Gewalttäter abzutun. Sie sollen ihn nicht nur als Täter, sondern (später) auch als Opfer der Ludovico-Technik, der Politik, der Gesellschaft sehen. Dafür ist ein gewisser Grad an Identifikation mit dem Protagonisten nötig. Einfacher Satzbau und Fehler tragen ebenfalls dazu bei, indem sie gesprochene bzw. Umgangssprache abbilden und teilweise an kindliche Sprachverwendung erinnern. So stellen sie Alex als nahbaren Menschen dar. Der übermäßige Gebrauch von like, die ständige Verwendung von said als Einfüh- rung für Sprechakte sowie die wiederholte Verknüpfung von Sätzen mit and, there was oder then stehen im Gegensatz zur oben bereits erwähnten archaisierenden Rede. Seine

54 Erzählung wird dadurch leichter nachvollziehbar, die LeserInnen sollen sich nicht zu weit von Alex distanzieren, sondern sich ihm gegenüber noch empathisch verhalten können. Dieser indirekte Aufruf an die LeserInnen, sich in Alex einzufühlen, bis zu einem gewissen Grad auch Mitleid mit ihm zu haben, erfüllt auch eine verdeckte kona- tive Funktion. Auch die direkte Leseransprache kann als Aufforderung verstanden werden: Eine Aufforderung zur Verbrüderung, eine Aufforderung zur Aufmerksamkeit. Ebenfalls als konativ können Wortspiele und Metaphern fungieren: Sie dienen unter anderem der Illustration. Die ungewohnte Sprachverwendung im Allgemeinen führt zu einer erhöh- ten Aufmerksamkeit der Lesenden („Die Fremdartigkeit dieser Sprache zwingt ihn [= den Leser] zu erhöhter Aufmerksamkeit, zur Aktivierung seiner denotativen Phanta- sie.“ (Heller 1986: 247)). Gleichzeitig lernen die Lesenden unbewusst neue Vokabeln: Die häufige Wiederholung gewisser Worte (hauptsächlich Russizismen) führt dazu, dass sie langsam in den Wort- schatz der RezipientInnen übergehen. Dieser Prozess kann als eine Art ‚Gehirnwäsche‘ oder unbewusstes Lernen gesehen werden. Zwar liegt hier kein Appell vor, aber die langsame Indoktrinierung mit russischstämmigen Begriffen betrifft die Lesenden.

Referentielle Funktion Weil Nadsat eine fiktive gruppensprachliche Varietät ist, verweist sie auf keine tatsäch- lich existierende Sprachform. Eine außertextliche Referenz ist daher nicht (bzw. nur in Einzelfällen) gegeben. Ausnahmen sind eindeutige Referenzen auf die Sprachverwen- dung einer konkreten Gruppe o. Ä. Dazu zählen etwa Ausdrücke, die eindeutig dem Slang zugeordnet werden können. Solche eindeutigen Verweise sind jedoch erstens eher selten und zweitens nicht eindeutig, sondern widersprüchlich, und somit spielen sie hier eine untergeordnete Rolle. Gerade die fehlenden außertextlichen Referenzen sind jedoch für die fiktionale Sprachvarietät von besonderer Bedeutung: Nur so kann der Autor eine nicht zu fremde, aber vor allem nicht eindeutig geographisch oder zeitlich verortbare Welt darstellen. Zu beachten sind weiters die Assoziationen, die von den aus dem Russischen abgelei- teten Begriffen hervorgerufen werden. Wie Burgess (1990: 38) selbst auch anmerkte, wohnt der russischen Sprache (besonders zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, als sich die Welt mitten im Kalten Krieg befand) immer auch eine politische Dimension inne (siehe weiter oben unter dem Punkt Autorintention in Kapitel 3.2.1). Der Verweis auf

55 die damals existierende Sowjetunion und ihr politisches System ist daher als eine refe- rentielle Funktion erfüllend zu verstehen. Inwiefern heutigen LeserInnen die Verbin- dung zum Sozialismus und zu einem repressiven System bei der Lektüre von A Clockwork Orange bewusst ist, kann nicht festgestellt werden. Besonders bei jüngeren LeserInnen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Russisch nicht in erster Linie mit politischer Gleichschaltung im Sinne des Sozialismus assoziiert wird. Damit ist die- se Funktion bei heutigen jüngeren LeserInnen abgeschwächt. Die Kindersprache (oder englisch Baby Talk) verweist auf eine recht eindeutige außer- sprachliche Gruppe – nämlich Kinder. Diese Funktion ist zweitrangig, da eher die Fol- gen dieser Referenz relevant sind (also die weiter oben beschriebene Charakterisierung und mögliche Identifizierung mit dem Protagonisten). Ebenso zur referentiellen Funktion zu zählen sind Archaismen, die Alex teilweise in seine Rede einfließen lässt. Durch die archaisierende Rede – das Early Modern English – werden die Bibel (auf die im Buch auch mittels indirekter Zitate und anderer, inhaltlicher Verweise angespielt wird) und die Werke von Shakespeare in Erinnerung gerufen, da sie die bekanntesten und bedeutendsten Werke dieser Sprachperiode sind.

Poetische Funktion Eines der zentralen Merkmale von Nadsat, die eine poetische Funktion erfüllen, ist die Polysemie, also Mehrdeutigkeit. Nicht eindeutig benannte, aber mitschwingende Bedeu- tungen gehören also in diese Kategorie. Hier sind einige Russizismen zu nennen (im Unterschied zu den Assoziationen der referentiellen Funktion geht es hier jedoch nicht um eine Referenz, sondern um eine Mitbedeutung), insbesondere horrorshow. Dasselbe gilt auch für Wortspiele sowie Onomatopoetika. Letztere tragen außerdem zur Unmit- telbarkeit der Aussage bei. Eine neutrale Beschreibung (laughed) unterscheidet sich stark von einer lautlichen Darstellung (going haw haw haw). Der erweckte Eindruck ist unmittelbarer und aufgeladener. Ebenfalls hierzu zu zählen sind die Satzlänge und der Satzbau, die durch ihre Mündlichkeit ebenfalls eine Unmittelbarkeit generieren. Auch Reime und Rhythmus sowie Wiederholungen erfüllen eine poetische Funktion. Sie können Aussagen intensivieren. Hierzu zu zählen sind außerdem die Merkmale, die eine Mündlichkeit generieren, also die Satzlänge, der Satzbau sowie Fehler. Wo die Bedeutung hinter den ästhetischen Wert zurücktritt, steht ebenfalls die poetische Funk- tion im Vordergrund. Das gilt für Kunstsprachen im Allgemeinen (siehe dazu auch Kapitel 2.2.1), bei Nadsat vor allem für Russizismen und Wortneubildungen.

56

Metasprachliche Funktion Der Code, also die Sprache, wird indirekt thematisiert, sobald von der Sprachnorm ab- gewichen wird. Daher erfüllen Russizismen, fehlerhafte Verwendung von like, un- gewöhnliche Wortneubildungen, Wiederholungen alle (auch) eine metasprachliche Funktion. Besonders deutlich tritt sie bei Wortspielen hervor. Als LeserIn stolpert man über ungewöhnliche Sprachverwendung und wird plötzlich wieder auf den Code auf- merksam gemacht. Russizismen erfüllen besonders zu Beginn des Romans eine ausge- prägte metasprachliche Funktion, die mit fortschreitender Lektüre aber abnimmt, da die Wörter nicht mehr fremd und neu wirken, sondern mittlerweile verstanden und daher nicht mehr als besonders empfunden werden. Auch die explizite Thematisierung der Sprache wird zu dieser Funktion gezählt. Bei- spiele hierfür treten meist in Verbindung mit Russizismen auf, deren Bedeutung Alex anhand ihrer englischen Entsprechung erläutert: „rooker, a hand that is“ (ACO: 8).

Phatische Funktion Die Leseransprache mit dem Einschub O my brothers und ihre direkte Miteinbezie- hung sind als phatisch einzustufen. Der Kontakt wird dabei erhalten bzw. wieder ver- stärkt. Werden AdressatInnen direkt angesprochen, steigt auch die Aufmerksamkeit, sie werden in die Geschichte integriert. Aufmerksamkeit seitens der Lesenden und somit Kontakterhalt wird außerdem durch jede ungewöhnliche Sprachverwendung erreicht. Dazu zählen insbesondere anfangs Russizismen, aber auch etwa Wortneubildungen und unerwartete Wortspiele.

Die Ausgangstextanalyse anhand Nords W-Fragen und von Nadsat sowie dieses Kapitel haben gezeigt, dass drei Funktionen dominieren: die emotive (Charakterisierung), die konative (unbewusstes Lernen) und die referentielle (uneindeutige zeitliche und geogra- phische Verortung). Obwohl die Sprachverwendung (Idiolekt, Soziolekt etc.) immer zur Charakterisierung einer Person – ob fiktional oder real – beiträgt, ist diese Funktion hier trotzdem zu nennen: Dies ist insofern eine Besonderheit, als dass Nadsat nicht einfach eine Varietät des Englischen mit bestimmtem Stil ist, sondern eine fiktionale Sprachva- rietät, die von verschiedenen Merkmalen geprägt ist. Zwar tragen alle in Kapitel 3.2.3 angeführten Merkmale zur Charakterisierung bei, jedoch sind die relevantesten in die- sem Fall die archaisierende Rede, Russizismen und Kindersprache. Sie sind auch die

57 auffälligsten Elemente des Nadsat. Insbesondere Russizismen sind auch für die anderen beiden zentralen Funktionen ‚hauptverantwortlich‘: Sie werden unbewusst gelernt und tragen zu einer unklaren Verortung bei. Die konative und die referentielle Funktion, wie sie hier beschrieben werden, sind auch nur durch die Einführung einer fiktionalen Sprachvarietät möglich. Obwohl drei Funktionen und drei Merkmale als dominant und ausschlaggebend erkannt wurden, bedeutet das keineswegs, dass die anderen Funktionen und Merkmale zu ver- nachlässigen wären. Erst die Gesamtheit und das Zusammenspiel der verschiedenen Funktionen und Merkmale machen die Besonderheit des Nadsat aus.

58 4 Die deutsche Übersetzung Clockwork Orange von Ulrich Blumenbach (2013)

Der Struktur des vorherigen Kapitels folgend wird zu Beginn die übersetzungsrelevante Analyse nach Nord durchgeführt. Anschließend wird der Fokus auf die deutsche Version von Nadsat gelegt und eruiert, welche Besonderheiten auftreten und wel- che Funktionen diese erfüllen.

Abbildung 3: Buchcover von ACO-D.

4.1 Zieltextanalyse anhand Nords W-Fragen Wie im vorherigen Kapitel sollen hier grundlegende textinterne und einige textexterne Faktoren der Übersetzung dargelegt werden. Diejenigen Faktoren, die unverändert blei- ben, werden nicht erneut beschrieben.

Senderpragmatik Neben dem Autor-Sender Anthony Burgess gibt es auch den Übersetzer-Sender Ulrich Blumenbach. Dieser wurde 1964 in Hannover geboren, studierte Germanistik und Ang- listik und lebt heute in Basel, wo er als Übersetzer, Literaturkritiker und Lektor tätig ist. In seiner Funktion als Übersetzer wurden ihm unter anderem folgende Auszeichnungen verliehen: Hieronymus-Ring 2009, Übersetzerpreis der Heinrich Maria Ledig-Rowohlt- Stiftung 2009, Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse 2010. Als Spezialgebiet gibt er unter anderem Slang, Wortspiele und Stilparodien an (VdÜ o. D.). Andere von ihm übersetzte Werke sind beispielsweise On The Road – Die Urfassung von Jack Kerouac, Wo die Welt anfängt von Truman Capote und mehrere Werke von David Foster Wallace (ebda.).

59 Thematik und Textinhalt Die Antworten auf die Fragen Worüber?, Was?, Was nicht? haben sich nicht verändert. Ausgangstext ist The Restored Edition von 2013 (Burgess 2013a = ACO), weshalb auch das letzte Kapitel ein Teil der Übersetzung ist. Die Begleittexte wurden ebenfalls in die deutsche Fassung aufgenommen und Blumenbach formuliert noch einige Bemerkungen zu seiner Übersetzung bzw. zu seiner Herangehensweise an dieselbe.

Medium, Ort- und Zeitpragmatik, Gliederung Die Übersetzung erschien 2013 im Verlag Klett-Cotta als Hardcover-Band. Über die Dauer und den Ort des Übersetzungsprozesses ist nichts bekannt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Blumenbach die Übersetzung an seinem Wohnort in Basel angefertigt hat. Wie auch das Original besteht die Übersetzung aus drei Teilen zu je sieben Kapiteln. Das letzte Kapitel, das in früheren Versionen nicht übersetzt wurde, ist ebenfalls enthal- ten.

Empfängerpragmatik Wie auch die englische Ausgabe der Urfassung richtet sich die deutsche Übersetzung an interessierte LeserInnen, die eventuell auch mehr über das Buch und die Hintergründe erfahren wollen. Angesprochen wird mit der Übersetzung ein deutschsprachiges Publi- kum, und zwar sowohl Personen, die bereits eine Übersetzung von A Clockwork Orange kennen, als auch Personen, die das Buch noch nicht gelesen haben.

Übersetzerintention Die Intention des Autors verändert sich nicht. Der Verlag möchte vermutlich, wie weiter oben bereits erwähnt, die Verkaufszahlen steigern. Blumenbach macht bei der Überset- zung seine Arbeit, doch hat er dabei ebenfalls Ziele: „Denn verändert hat sich nicht nur die Welt, verändert haben sich auch die Sprache (sowohl die englische als auch die deutsche) und die Kriterien literarischen Übersetzens, und alle diese Veränderungen wollte ich in der Neuübersetzung berücksichtigen“ (Blumenbach 2013: 329). Er zielt darauf ab, die Neuübersetzung auf den Ebenen Sprache, Übersetzungsstandards und Verständnis aktuell zu gestalten. Ob der ‚aktuelle‘ Übersetzungsstandard auch bedeutet, die Autorintention zu übertra- gen, darüber spricht Blumenbach nicht. Es ist aber davon auszugehen, dass er sich –

60 diesem modernen Verständnis von Übersetzung folgend – umfangreich informiert hat und sich daher zumindest der Intention des Autors bewusst ist.

Kommunikationsanlass Wer die Neuübersetzung initiiert hat, ist nicht klar. Naheliegend ist eine vom Verlag geplante Neuauflage (und Neuübersetzung) zum fünfzigsten Jahrestag der Erscheinung von A Clockwork Orange, wie dies auch für die englische sowie die französische Versi- on wahrscheinlich zutrifft (siehe dazu 3.1 und 5.1).

Textfunktion Blumenbach (2013: 329) gibt an, in der Neuübersetzung sowohl neue Erkenntnisse in der Übersetzungspraxis als auch Veränderungen in der Sprache miteinzubeziehen (siehe unter dem Punkt Übersetzerintention in diesem Kapitel). Aus seinen Aussagen wird jedoch nicht weiter ersichtlich, ob der Translator die Intention des Autors, wie sie in dieser Arbeit identifiziert wurde, erkannt hat oder ob seine Ergebnisse abweichen bzw. ob er sich überhaupt mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat (seine Aussage zur Weiterentwicklung der Translationspraxis – siehe unter dem Punkt Übersetzerintention in diesem Kapitel – spricht jedoch dafür). Blumenbachs Intention, die Übersetzung zu aktualisieren, weist darauf hin, dass er eine instrumentelle Übersetzung anfertigen wollte, die durch Veränderung insbesondere der Referenzen insgesamt dieselbe(n) Funktion(en) erfüllen soll wie das Original. Er möch- te folglich Burgess‘ ursprünglichen Appell aufrechterhalten und gleichzeitig die Hal- tung des Autors ausdrücken und für heutige LeserInnen verständlich machen (siehe auch 3.1: Textfunktion). Aus Blumenbachs Aussagen geht zudem hervor, dass er beson- ders auf literarische und sprachliche Elemente achten möchte, was auf die Erhaltung der poetischen Funktion hindeutet.

Wirkung auf Leserschaft Als ein Mittel zur Identifizierung der Wirkung können Rezensionen herangezogen wer- den. Sie basieren zwar hauptsächlich auf subjektiven (Einzel-)Meinungen, jedoch stel- len sie eine geeignete Möglichkeit dar, um die Wirkung auf LeserInnen festzuhalten. Eine Gesellschaft, die auf allen erdenklichen Ebenen nicht zwischen ‚Gut‘ und ‚Böse‘ unterscheiden kann oder will, weil sie nur durch Kalkül, durch Nutzen und Benutzbarkeit zusammengehalten wird, wird auch ihren einzelnen Gliedern keine entsprechenden Massstäbe an die Hand geben – das ist der bis heute glühende Kern dieses Ro-

61 mans, den Burgess seinerzeit in einem vage futuristischen Szenario angesiedelt hat, unterfüttert mit Ängsten des Kalten Krieges, mit der aufkommenden Jugendkultur, aber auch mit theologischen und kunst- philosophischen Erwägungen. (Schmitt 2014) Wie auch Schmitt in seinem Artikel bemerkt (ebda.), ist und bleibt die moralphilosophi- sche bzw. -theologische Frage nach Gut und Böse ein zentrales Thema in A Clockwork Orange, unabhängig von Sprache und Zeit. Während Schmitt (2014) in seinem Artikel allerdings die Ängste des Kalten Krieges quasi als Nebensache abtut und die drohende Übermacht des Staates gänzlich außen vor lässt – und somit statt der politischen die soziale Dimension unterstreicht –, wurde in der Analyse des Originals deutlich, dass dies nicht zutreffend ist und Burgess die staatliche Einmischung bzw. die ideologische Komponente und vor allem den Appell zum Nachdenken über ebendiese Aspekte als zentrale Thematik ansieht (vgl. Autorintention und Textfunktion in Kapitel 3.1). Die Gewalt, die in zeitgenössischen Rezensionen häufig negativ bemerkt wurde, wie in Kapitel 3.1 unter Wirkung gezeigt wurde, spielt in den jüngeren deutschsprachigen Ar- tikeln keine Rolle mehr. Darin wird meist hauptsächlich die Sprache gelobt (vgl. Stiftel 2014, Schmitt 2014). Davon abgesehen wird fast immer die Verfilmung von Kubrick erwähnt und die theologisch relevante Thematik von Gut und Böse angesprochen. Diese Thematik bleibt also in der Wirkung scheinbar erhalten, während die Aufforderung zu mehr und eigenständigerem Denken gar nicht vorkommt und die drohende staatliche Einmischung und Überwachung lediglich in einem der für diese Arbeit gefundenen und rezipierten Artikel erwähnt wird (Rutschky 2013). Spezifisch die Übersetzung betreffend schreibt Schmitt (2014): Der Roman „prägt nicht nur seinerseits die Gesten der Alltagskultur, sondern nimmt auch auf, was populäre Kul- tur neu hervorgebracht hat, um als Übersetzung in der Gegenwart ein Text für die Ge- genwart zu bleiben“ und Blumenbach „löst mit seiner Übersetzung auch ein, was er als Ziele verspricht“ (ebda.).

4.2 Nadsat in deutscher Übersetzung Wie bereits bei der Analyse von Nadsat im Original (Kapitel 3.2) vorgegangen wurde, sollen auch hier zu Beginn die W-Fragen geklärt werden. Die Frage nach der Kategori- sierung der Sprache, ihrer Sprecher und Abgrenzung wurde bereits in Kapitel 3.2.2 be- antwortet, diese Aspekte sollten in der Übersetzung keiner Veränderung unterliegen

62 (insbesondere, da Blumenbach angibt, sich besonders auf diesen Punkt konzentriert zu haben, wie im vorangegangenen Kapitel aufgezeigt wurde).

4.2.1 Intention und Wirkung Entsprechend der Analyse des englischen Nadsat werden übersetzungsspezifische As- pekte, die von jenen des Originals abweichen, angeführt. Im Fokus steht das deutsche Nadsat, nicht der Roman an sich.

Übersetzerintention Blumenbach (2013: 333) erklärt im Begleittext zu Clockwork Orange: „Oberstes Ziel meiner Übersetzung war die Wiederherstellung von Alex‘ verschiedenen Selbstpositio- nierungen gegenüber seinen jeweiligen Gesprächspartnern“. Daraus lässt sich schließen, dass Blumenbach in dieser Einordnung über die Sprache auch eine der zentralen Funk- tionen von Nadsat sieht. Diese Selbstpositionierung innerhalb der Fiktion, die eine emo- tive Funktion erfüllt, wird in der vorliegenden Arbeit nicht im Detail untersucht und wird daher weitestgehend ausgeklammert. Von Relevanz ist die Funktion von Nadsat in Hinblick auf die Leserschaft. Alex‘ ‚Stellung‘ gegenüber den anderen Charakteren im Buch spielt auch für die RezipientInnen eine Rolle, jedoch ist dieser Aspekt nur teilwei- se mit Nadsat in Verbindung zu setzen. Zudem erklärt der Übersetzer selbst (Blumenbach 2013: 331f.), dass er „halbwegs aktu- ellen deutschen Slang […], aber auch ältere, unter anderem aus dem Rotwelsch stam- mende Wörter […] und regionalspezifische Wendungen [..] in der Übersetzung untergebracht“ hat. „Der Roman erhält dadurch eine zeitliche Unbestimmtheit oder überzeitliche Gültigkeit“ (ebd.: 332), fährt er fort. Die sprachliche Komponente und eine Einschätzung, ob Blumenbach sein Ziel der zeitlichen Unbestimmtheit erreicht hat, wird auf den folgenden Seiten näher beleuchtet.

Wirkung Wie bereits erläutert wurde, ist die Wirkung nicht zweifelsfrei festzustellen, sondern ist immer Teil von Interpretation. Hinweise auf die Wirkung können Rezensionen oder wissenschaftliche Untersuchungen zur Übersetzung geben. Schmitt (2014), der offen- sichtlich auch die englische Version, die Verfilmung und frühere Übersetzungen kennt, meint: „Der Übersetzer spricht von ‚virtuoser Polyfonie‘, erläutert, wie Alex sprachliche Muster nutzt, um ‚Selbstpositionierungen‘ auszuleben“ und er sieht diese Punkte als

63 eingelöst und somit die expressive Funktion als erfüllt an. Die oben angesprochene In- tention der Aktualisierung sieht Schmitt (2014) ebenfalls eingehalten. Auch Stiftel (2014) bestätigt die Aktualität und Adäquatheit der Übersetzung: Blumenbach findet einen flüssigen Erzählstil, schon beim ersten Satz trifft er den Ton der Jugend: ‚Was läuft denn jetzt, ey?‘ Und auch sonst vermittelt er dem deutschen Leser den großen Reichtum an Ton- fällen, über die der Erzähler verfügt, vom hohen Bibelton über unter- würfige Anpasserei bis zu eben dem kruden Jargon. Rutschky (2013) schlägt in dieselbe Kerbe wie die beiden eben Zitierten, wenn er schreibt, dass der Jugendslang, der die zentrale Erfindung des Romans sei, von Krege „kursorisch“ übersetzt wurde (Wolfgang Krege fertigte 1993 die zweite Übersetzung ins Deutsche an), „während Ulrich Blumenbach jetzt alle literarische Arbeit darauf verwen- det“ (ebda.). Wie aus den vorangegangenen Ausführungen hervorgeht, besteht unter den Rezensenten Konsens darüber, dass die neue Übersetzung von Blumenbach besonders auf sprachli- cher Ebene aktuell und gelungen ist. Die Übertragung von Nadsat in eine fiktionale Sprachvarietät des Deutschen scheint also erfolgreich gewesen zu sein.

Welche Besonderheiten die deutsche Nadsat-Version aufweist, wird im folgenden Kapi- tel geklärt. Eventuelle Unterschiede im Aufbau sagen noch nichts darüber aus, welche Funktionen erfüllt werden.

4.2.2 Nadsat-spezifische textinterne Merkmale In diesem Kapitel werden die für das deutsche Nadsat typischen Merkmale angeführt. Die Einteilung der einzelnen Merkmale erfolgt wie auch für die englische Version nach Leech und Short (1981: 75–79; siehe dazu auch Punkt 3.2.3). Wo die Einteilung sinn- voll und möglich ist, wurden die Kategorien beibehalten. Lexik Syntax Stilfiguren • Archaismen • Wortspiele, Meta- • Russizismen phern • Wortneubildungen • Satzlänge • Wiederholungen von • Onomatopoetika • Einfacher Satzbau Konstruktionen und • Kindersprache Worten • Reim/Rhythmus • Direkte Leseranspra- che Tabelle 10: Besonderheiten des deutschen Nadsat.

64 Auch an dieser Stelle sollen die identifizierten Keywords der Veranschaulichung einiger Besonderheiten dienen. Diese Analyse wurde anhand des Tools Sketch Engine erstellt. Als Referenz diente das Korpus deTenTen201326. Die Russizismen wurden aus der Lis- te bereits herausgenommen. 1 Brüder 10 tätscheln 2 Untertänigst 11 prahlerisch 3 dreckig 12 festschnallen 4 drauflos 13 Erzähler 5 kuck 14 Arschloch 6 ey 15 Bruder 7 reihern 16 scheußlich 8 hopsgehen 17 stinkend 9 Freundchen Tabelle 11: Keywords in ACO-D. Referenzkorpus: deTenTen2013. Erstellt mit Sketch Engine.27

Lexik • Russizismen Auch in der Übersetzung liegt die Zahl der Russizismen bei etwa 200 (das Glossar ent- hält mit 226 mehr Einträge als das englische, von denen jedoch nicht alle dieser Katego- rie zugeordnet werden können). Die zehn häufigsten werden in der folgenden Tabelle angeführt. Russizismus Übersetzung Russisch Transkription 1 viddieren sehen видеть [widjet] 2 horrorshow gut хорошо [choroscho] 3 starig alt старый [stari] 4 malenkig klein маленький [maljenki] 5 Weck Mensch/Typ человек [tscheloweck] 6 Glasi Auge глаз [glas] 7 Litso Gesicht лицо [lizo] 8 krischen schreien кричать [kritschat] 9 Gulliver Kopf голова [golowa] смех [smjech] 10 smeckern lachen смеяться [smejatsja] Tabelle 12: Die zehn häufigsten Russizismen in ACO-D. Keyword-Analyse mit Sketch Engine, Refe- renzkorpus enTenTen13.

26 deTenTen ist die deutsche Entsprechung von enTenTen (siehe dazu Fußnote 18). Dabei handelt es sich um ein ca. 16,5 Milliarden Wörter umfassendes Korpus, das aus etwa 50 Millionen Websites, hauptsäch- lich mit der Endung de, gebildet wurde (Lexical Computing CZ s.r.o. o. D.: s. v. deTenTen: German corpus from the web). Daher kann dieses Korpus die ‚Normalsprache‘ mit mündlichem Einschlag abbil- den. 27 Als Referenzkorpus wurde ein Korpus gewählt, der mit der Zeit der Übersetzung übereinstimmt. Au- ßerdem handelt es sich nicht um ein rein schriftliches Korpus, sondern es schließt auch Internettexte mit ein. Da im Internet erscheinende Texte auch Foren und Ähnliches einschließen, ist der Sprachgebrauch dementsprechend ‚legerer‘ bzw. mündlicher, was sich wiederum auf die Keywords auswirkt.

65 Im Vergleich zu den häufigsten Russizismen im Original (siehe 3.2.3 unter Russizis- men) ergeben sich einige Änderungen. Droog und Golosse wurden gänzlich aus der Liste gedrängt, stattdessen setzen sich krischen und smeckern durch. Das kann unter anderem daran liegen, dass im Deutschen auch mit den Russizismen Komposita gebildet werden, beispielsweise Gentlemangolosse. Diese werden bei der Keyword-Analyse nicht als Lemma eines Teilworts gezählt (in diesem Fall etwa Golosse), sondern als ei- genes Lemma. An der Tabelle wird außerdem deutlich, dass der Übersetzer die aus dem Russischen stammenden Wörter in die deutsche Sprache und ihr System einfügt, wie es auch Burgess getan hat. Das bedeutet, dass er die Aussprache ein wenig anpasst und sie in das deutsche Flexionssystem einbettet. Adjektive werden mit der Endung -ig, Verben im Infinitiv mit -en versehen und die Flexion folgt den Regeln der deutschen Gramma- tik. So entsteht eine natürlich wirkende Symbiose zwischen deutschem und russischem Vokabular, die nicht den Eindruck von Künstlichkeit erweckt.

• Wortneubildungen Auch Blumenbach nutzt verschiedene Strategien der Wortneubildung (mit Abstand am häufigsten Kompositabildung), um Alex eine eigene Art zu sprechen zu verleihen. Ob- wohl Komposition im Deutschen nicht ungewöhnlich ist und häufig vorkommt, stellt sie in Clockwork Orange ein merkmalhaftes Element dar. Dieses Mittel wird so häufig und in Kombination so ungewöhnlicher Wörter eingesetzt, dass hier eine Besonderheit fest- gestellt werden kann. Beispiele für diese Kategorie sind zahlreich, im Folgenden sollen einige wenige aufgezählt werden: „Schnörkelgeträller“, „buschbrauig und grolldräuend“ „Tränendrüsenteil“, „Obertaschasso“, „Unterweck“, (ACO-D: 58, ebd., 97, 117, 141).

• Onomatopoetika Die in der deutschen Übersetzung vorkommenden Onomatopoetika werden in allen Wortformen verwendet. Sie beschreiben eine Handlung, bzw. die auditive Ebene dieser Handlung, näher: „die Spritze fiel klirrschepper auf den Boden […] ätschibätschende Japsen-Folterknechte […] den Gulliver gegen die Wand wummwummwummerte“ (ACO-D: 145). Die im letzten Beispiel aufgezeigte ‚Verdreifachung‘ des Lautes ist nicht nur eine bei Onomatopoetika geläufige Strategie.

66 • Kindersprache Kindersprachliche Elemente kommen in der deutschen Übersetzung ebenfalls vor. So wird aus eggiwegg Eimatsch, aus jammiwam Mammilade und aus ticklewickled ge- kitzelwitzelt. Luckilucki machen (ACO-D: 15) hat keine Entsprechung im Englischen. Das dreimal vorkommende, nichtexistierende skolliwoll für Schule wird durch einen laut Duden (2018) aus der Schülersprache stammenden Begriff ersetzt: Penne. In einer anderen Bedeutung wird auch das aus der Gaunersprache oder Romani stammende Wort für ein „behelfsmäßiges Nachtquartier“ (ebda.) angegeben, was im Kontext aber nicht sinnvoll erscheint. Dass Penne für Schule jedenfalls nicht im kompletten deutsch- sprachigen Raum bekannt ist, scheint eher nebensächlich zu sein. Die Beispiele vermitteln deutlich, dass Ausdrücke der Kindersprache in erster Linie durch Reduplikation und einfachen, oft ‚sinnlosen‘ Silbenaneinanderreihungen charak- terisiert sind. Allerdings ist auch die Verkleinerungsform ein Merkmal der Kinderspra- che: Beinchen, Häuschen, Beißerchen, Tänzchen, Witzchen etc., um nur einige Beispiele zu nennen. Neben diesen eindeutigen lexikalischen Aspekten ist auch der unter Gram- matik weiter unten besprochene einfache Satzbau ein Kennzeichen von Kindersprache.

Syntax • Satzlänge Der Vorgehensweise bei der Analyse des Originals folgend wird die durchschnittliche Satzlänge mit 16,21 Wörtern festgehalten (55 051 Wörter durch 3 397 das Satzende anzeigende Zeichen).28 Der im Original 130 Wörter zählende und somit längste Satz besteht in der deutschen Version aus 110 Wörtern.29 Der darauffolgende Satz ist auch in der deutschen Übersetzung besonders kurz (sechs Wörter): „Denn ich hatte ihren Song erkannt“ (ACO-D: 40). Unterbrochen werden die relativ langen Sätze außerdem immer wieder durch kurze Einleitungen direkter oder indirekter Rede (Subjekt + sagte).

28 Braun (1993: 106–109) trägt verschiedene Daten zusammen und gibt an, dass die mittlere Satzlänge der Bild-Zeitung bei 11,7 Wörtern liegt, während die ZEIT einen Mittelwert von 20,4 aufweist. Auch die Satzlänge verschiedener Autoren gibt er an: Die statistisch häufigste Satzlänge umfasse demnach 17 bis 20 Wörter (ebda.). Ein Vergleich ist aber mit Vorsicht vorzunehmen, weil es sich um unterschiedliche Textsorten handelt. 29 „Dann lief die Platte auf der Anlage aus (das war Jonny Schiwago, eine Russki-Koschka, die ‚Nur jeden zweiten Tag‘ sang), und in der Pause, der kurzen Stille, bevor der nächste Song anfing, sang eine von den Dewuschkas – platinblond, großer roter Lächelrott und Ende dreißig, schätzte ich – plötzlich laut anderthalb Takte, als wollte sie ein Beispiel für das geben, worüber alle goworitzt hatten, und einen Au- genblick war mir, o meine Brüder, als käme ein großer Vogel in die Milchbar geflattert, und ich hatte das Gefühl, mir sträubten sich all die malenkigen kleinen Haare auf dem Plott, und eine Gänsehaut kroch mir wie malenkig träge Eidechsen kreuz und quer über den Rücken.“ (ACO-D: 39f.).

67 Der Durchschnittswert ist an dieser Stelle also weniger interessant als der Kontrast von überaus langen und besonders kurzen Sätzen. Erreicht wird dadurch der Eindruck von Mündlichkeit.

• Einfacher Satzbau Obwohl die Sätze im Durchschnitt lang sind, bleiben die Verbindungen zwischen den Haupt- und Nebensätzen einfach: und sowie dann (414) bzw. und dann (143) werden am häufigsten als Konjunktoren verwendet, sei es am Beginn eines Satzes oder zur Ver- bindung von Hauptsätzen. Eine Verstärkung wird 110-mal mit sehr ausgedrückt (einige Male auch mit voll, super oder total), direkte oder indirekte Rede 616-mal mit sagte eingeleitet. Diese einge- schränkte Wortwahl unterstreicht den einfachen Satzbau. Besonders im Vergleich zur ‚Normalsprache‘ zeigt sich die Fixierung auf einige Aus- drücke. Anhand eines Vergleichs der Häufigkeit einiger Verbindungssätze u. Ä. soll dieser Aspekt in der folgenden Tabelle verdeutlicht werden.

Korpus deTenTen13 ACO-D Lemma es gab 37,40 252,80 und dann 172,40 2 126,52 sehr 1 350,00 1 635,79 sagte 176,80 8 773,76 Tabelle 13: Häufigkeit von Lemmata in deTenTen13 und ACO-D pro einer Million Wörter. Errech- net mit Sketch Engine.

Die Verstärkung mit sehr wird in ACO-D nicht signifikant häufiger verwendet als in der Normalsprache. Zwar zeigt sich auch hier eine höhere Häufigkeit, allerdings stellt der Unterschied im Vergleich zu den anderen Phrasen/Worten keine übermäßige Steigerung dar.

Stilfiguren • Archaismen Im Kontrast zur häufig auffällig einfachen Sprachverwendung nutzt Alex auch Archa- ismen. Besonders im Dialog mit anderen kommt dieses Stilmittel zum Einsatz. Dabei sind vor allem einzelne archaisierende Wörter (wahrlich, fürwahr) sowie die Satzstruk- tur zu nennen. Ein besonders exemplarisches Beispiel ist der folgende Satz, den Alex an Dim richtet:

68 Komm, o glupiger Sohn einer räudigen Hündin. Daran zu denken, ge- ziemt sich deiner nicht. Wahrscheinlich gibt es dort Leben wie hier auch; die einen werden abgestochen, und die anderen stechen. Und jetzt, wo die Notschi noch molodoj ist, lasst wacker uns fürbass schreiten, o meine Brüder. (ACO-D: 30) Die Anrufung mit O macht meist einen literarischen/veraltenden Eindruck. Auch die Wortwahl (sich geziemen, wacker, fürbass) in Verbindung mit dem Genitiv (deiner) ist eindeutig veraltend. In einem weiteren Beispiel, in dem Alex nach seiner Entlassung mit seinem Vater spricht, wird besonders die biblisch-archaisierende Sprache erkennbar: „‚Gräm dich nicht um deinen einzigen Sohn und Erben, o mein Vater‘, sagte ich. ‚Fürchte dich nicht. Er kann fürwahr für sich selbst sorgen.‘“ (ACO-D: 64) Neben den veraltenden Einzel- wörtern (grämen, fürwahr) ist hier auch eine Anspielung auf die Bibel enthalten: Der Ausspruch fürchte dich nicht kommt mehrmals in verschiedenen Büchern der Bibel vor. Zudem können Archaismen auf das Frühneuhochdeutsche verweisen, das vor allem auch durch Luther und seine Bibelübersetzung geprägt wurde (Bußmann 2002: s. v. Deutsch). Somit besteht ebenfalls eine Verbindung zwischen dem altertümlichen Sprachgebrauch und der Bibel.

• Wortspiele, Metaphern Der deutschsprachige Alex bedient sich außerdem einer kreativen Sprache, gespickt mit Wortspielen und Metaphern: Zigaretten werden zu Lungendübeln, die Toilette zu Weh- zeh (ACO-D: 138), Vergewaltigung zu Vergewohltätigung und der Innenminister zum Innenspinnen etc.

• Wiederholungen von Konstruktionen und Worten Die doppelte oder dreimalige Wiederholung eines Worts (Geminatio bzw. Epizeuxis) stellt ebenfalls ein Charakteristikum von Nadsat dar. Ausgedrückt wird häufig eine Be- wegung oder ein Geräusch: kaschl kaschl kaschl (für Husten), „wummwummwummer- te“ (ACO-D: 145), „pochpochpoch“ (ACO-D: 164). Aber auch Adjektive werden direkt hintereinander zweimal genannt: „das lange lange Fenster“ (ACO-D: 224), die rote rote Krow (= Blut), u. Ä. m. Die Wiederholung steigert die Intensität und trägt gleichzeitig zur Etablierung eines Rhythmus bei. Einige Nadsat-typische Konstruktionen kommen immer wieder im Text vor (Wiederho- lung also im Sinne einer erhöhten Häufigkeit, nicht einer Epizeuxis). Sieh mal einer

69 kuck ist eine Wendung, die nicht nur von Alex selbst, sondern auch von seinen Droogs, aber auch von einem Polizisten verwendet wird. Ebenfalls häufig verwendet wird der/die gute alte + Subjekt und nach dem Dernier Krieh (vom französischen le dernier cri – der letzte Schrei).

• Reim/Rhythmus In der Sendung Literaturclub (2013) wird angemerkt, dass die Sprache der deutschen Übersetzung auch den Rhythmus des originalen Nadsat nachahmt. Die rhythmische Sprache, die im Original zu erkennen ist, wird an Sätzen wie dem folgenden deutlich: „So klein noch deiner Lenze Zahl und schon im Joch der Ehe?“ (ACO-D: 226). Der regelmäßige Jambus (eine unbetonte wechselt regelmäßig mit einer betonten Silbe) er- weckt beinahe den Eindruck zweier Verszeilen. In solch ausgeprägter Form ist der Rhythmus zwar nicht immer vorhanden, (Wort-)Wiederholungen und Einschübe legen aber eine rhythmische Lesart nahe bzw. erleichtern eine solche. Ein Beispiel für eine nicht übertriebene, aber durchaus rhythmische Lesart ist folgender Satz: „Die Filme waren jeden Tag gleich, meine Brüder, es wurde getreten und getol- schockt, und rote rote Krow tropfte von den Litsos und Plotts und spritzte auf die Kame- raobjektive.“ (ACO-D: 145). Die zu Beginn ein- und zweisilbigen Wörter mit Schwa- Lauten ermöglichen eine passende Betonung, „getreten und getolschockt“ passt sich durch Klangähnlichkeit und ähnlichen Aufbau aneinander an, es folgt eine Häufung von o- und t-Lauten. Solche und ähnliche Merkmale sind im Verlauf des Texts immer wie- der zu erkennen. Auf diese Weise ist der Rhythmus zwar nicht aufdringlich, aber auch bei stiller Lektüre durchaus zu bemerken. Bei genauerer Betrachtung sind schließlich die hier vorgeführten Regelmäßigkeiten eindeutig zu erkennen.

• Direkte Leseransprache Die direkte Ansprache der Leser bzw. der innertextlichen Figuren wird wie auch im Original mit Bruder bzw. Brüder und mit oder ohne der einleitenden Interjektion O mein/O meine realisiert. Insgesamt kommen diese und ähnliche Konstruktionen 240-mal im Text vor (zu 238-mal im Englischen). Darüber hinaus wird die Leserschaft auch direkt angesprochen. Beispielsweise bezieht Alex das Publikum mit ein und zieht es auf seine Seite, wenn er nach der ersten Filmsit- zung sagt: „Ihr könnt euch vorstellen, dass ich tierisch erleichtert war“ (ACO-D: 132).

70 Die nun festgehaltenen Besonderheiten des deutschsprachigen Nadsat werden im Fol- genden den verschiedenen kommunikativen Funktionen zugeteilt. Die Gegenüberstel- lung der deutschen Übersetzung von Nadast mit dem englischen Original folgt in Kapitel 6.

4.2.3 Kommunikative Funktionen des deutschen Nadsat Auf Grundlage der beiden vorherigen Kapitel 4.2.1 und 4.2.2 wird im Folgenden ausge- arbeitet, welche der sechs Kommunikationsfunktionen nach Jakobson und Nord jeweils erfüllt werden. Die im vorangehenden Kapitel 4.2.2 vorgestellten und mit Beispielen versehenen Besonderheiten werden dabei bestimmten Funktionen zugeordnet. Ein sprachliches Merkmal kann verschiedene kommunikative Funktionen erfüllen.

Emotive Funktion Wie bereits für die englische Nadsat-Version festgestellt wurde, spielt die emotive Funktion eine zentrale Rolle im Buch. Jede Äußerung lässt auf den Charakter von Alex schließen und sein Idiolekt trägt damit zur Charakterisierung des Protagonisten bei. Die Archaismen zeugen von Alex‘ Intelligenz und drücken seine Überlegenheit aus. Wortspiele und Metaphern sowie Wortneubildungen sind Zeichen seiner Fantasie und Kreativität. Während Russizismen eine Distanz zu seinen Verbrechen aufbauen, dient die kindliche Sprachverwendung der Verharmlosung.

Konative Funktion Eine Distanz wird nicht nur zwischen Alex und seiner Gewalt, sondern auch zwischen seinen Gewalttaten und den LeserInnen aufgebaut. Dies wird mittels Russizismen und Kindersprache erreicht. Zusammen mit einfachem Satzbau ermöglicht diese Distanz auch Empathie seitens der LeserInnen, die schließlich auch zu einer ansatzweisen Iden- tifikation mit dem Protagonisten führen kann. Zusätzlich wirkt die direkte Leseran- sprache verbindend. Die zahlreichen ungewöhnlichen Wortneubildungen fungieren illustrierend und ansprechend und sind daher ebenso als konativ zu verstehen. Wortspiele und Metaphern sprechen die Leserschaft an, während die Fremdartigkeit der Sprachverwendung insgesamt zu einer erhöhten Aufmerksamkeit seitens der Re- zipientInnen führt.

71 Als zentral kann außerdem das unbemerkte Lernen von russischstämmigen Wörtern betrachtet werden. Trotz dieses unbewussten Charakters ist darin eine konative Funkti- on zu sehen.

Referentielle Funktion Die Referenz eines politischen Systems tritt in den Hintergrund, da die Entstehungszeit der Übersetzung nach Ende des Kalten Krieges und der Sowjetunion liegt. Assoziatio- nen werden wahrscheinlich trotzdem geweckt, allerdings hat sich das Bild Russlands in den letzten fünfzig Jahren gewandelt. Starke Referenzen auf die Bibel weisen Archaismen auf und mehr oder weniger ein- deutige Zitate. Auch die Kindersprache verweist auf eine bestimmte Gruppe und ist somit zu dieser Funktion zu zählen, wenn die Relevanz derselben nicht in dieser Funkti- on liegt.

Poetische Funktion Eine poetische Funktion erfüllen Russizismen sowie Wortspiele und Metaphern, die mehrere Bedeutungen in sich tragen und ausdrücken (Polysemie). Bei den Russizismen stechen insbesondere horrorshow und bspw. robotern (von работать [rabotat]– ar- beiten) hervor. Rhythmus, Reim und Wortwiederholungen dienen der Intensivierung und gehören somit ebenfalls zu dieser Kategorie. Schließlich ist die fiktionale Sprachvarietät an sich eine auf Ästhetik konzentrierte Komponente. In diesem Zusammenhang sind erneut vor allem die Russizismen zu nen- nen. Aber auch Onomatopoetika sind dieser Funktion zuzuordnen, da der Klang/die Ästhetik die Bedeutung dominiert und diese für sich unbedeutenden Lautmalereien mit Bedeutungen aufgeladen werden können. Die Unmittelbarkeit, die durch die Anwen- dung von Onomatopoetika erreicht wird, fungiert ebenfalls poetisch. Bestimmte Eindrü- cke und Gefühle werden auf diese Weise direkter vermittelt, anstatt möglichst wertfreie Beschreibungen zu liefern. Ebenfalls die Unmittelbarkeit unterstützend sind die Kon- traste in der Satzlänge sowie der (meist) einfache Satzbau.

Metasprachliche Funktion Quasi alle ungewöhnlichen oder von der Norm bzw. den Erwartungen abweichenden sprachlichen Merkmale lenken die Aufmerksamkeit auf den Kode und sind somit der metasprachlichen Funktion zuzuordnen. Daher gehören auch Wortspiele,

72 (Wort-)Wiederholungen und besonders ungewöhnliche Wortneubildungen zu dieser Funktion. Besonders zu Beginn von Clockwork Orange erfüllen Russizismen eine me- tasprachliche Funktion, die aber mit dem Verlauf der ‚Gehirnwäsche‘ abnimmt, weil die Fremdheit nachlässt.

Phatische Funktion Die direkte Leseransprache dient dem Kontakterhalt und erfüllt daher eine phatische Funktion. Auch die insgesamt ungewöhnliche Sprachverwendung zielt unter anderem darauf ab, den Kontakt zu den LeserInnen aufrechtzuerhalten. Dazu sind ungewöhnliche Wortspiele sowie Russizismen zu zählen.

Festzuhalten bleibt, dass die deutsche Übersetzung von Nadsat auch eine für das kon- krete Werk geschaffene fiktionale Sprachvarietät des Deutschen darstellt. Nadsat er- scheint in erster Linie als Alex‘ Idiolekt, der seiner Charakterisierung, das heißt der emotiven Funktion, dient. Diese Funktion wird von allen in Kapitel 4.2.2 angeführten Besonderheiten des Nadsat erfüllt. Am auffälligsten und am relevantesten für die Erfül- lung der Funktion der Charakterisierung sind Russizismen (Distanzierung), Archaismen (Überlegenheit) und Kindersprache (Nahbarkeit). Als zweite zentrale Funktion kann die konative im Sinne einer unbewussten ‚Gehirnwä- sche‘ genannt werden: Das fremde Vokabular wird unbemerkt von den Lesenden auf- genommen und gelernt. Auch hier sind die Russizismen das bedeutsamste Merkmal. Schließlich ist die referentielle Funktion im Sinne einer überzeitlichen bzw. fehlenden zeitlichen und geographischen Verortung zu nennen. Auch hier sind vor allem Russi- zismen und Kindersprache als relevant zu bezeichnen. Zwar wurde in den Kapiteln 4.1 und 4.2.1 mehrmals darauf hingewiesen, dass Blumenbach aktuelle Sprache verwenden wollte und verwendet hat, allerdings konnte ein spezifischer Einsatz von Jugendsprache nicht festgestellt werden. Umgangssprache, wie sie in Clockwork Orange gebraucht wird, ist zwar grundsätzlich auch zeitlichen Veränderungen unterworfen, jedoch nicht in demselben Maße wie etwa Jugendsprache (siehe 2.2.2). Einzelne Begriffe oder Wen- dungen, die von der Kritik oder von Blumenbach selbst wohl als Slang, Jugendsprache oder aktueller Sprachgebrauch bezeichnet würden, sind entweder bereits nicht mehr ganz so aktuell (etwa Tschüssikowski) und/oder können eher der Umgangssprache, aber nicht (mehr) der Jugendsprache zugeordnet werden (ey, was läuft, raffen).

73 5 Die französische Übersetzung L’Orange mécanique von Georges Belmont und Hortense Chabrier (1972) Wie auch in den vorherigen Kapiteln soll hier erst die französische Übersetzung anhand Nords W-Fragen kurz vorgestellt und anschließend auf die Besonder- heiten und Funktionen der französischen Nadsat- Variante eingegangen werden. Nichtangeführte W- Fragen weisen darauf hin, dass sie nicht von jenen des englischen Originals abweichen.

Abbildung 4: Buchcover von ACO-F.

5.1 Zieltextanalyse anhand Nords W-Fragen Senderpragmatik Der Autor bleibt derselbe, als Sender tritt das Übersetzerpaar Georges Belmont und Hortense Chabrier auf. Georges Belmont (auch bekannt als Georges Pelorson oder Georges Belmont-Pelorson) wurde 1909 in Belley im Osten Frankreichs geboren und starb 2008. Er war Verleger, Journalist und Übersetzer. Unter anderem übersetzte er Werke von Henry Miller, Henry James und Erica Jong (Universalis o. D.). Über Hortense Chabrier sind kaum Informationen zu finden, außer dass sie aus dem Englischen ins Französische übersetzt. Zu den bekanntesten von ihr ins Französische übertragenen AutorInnen gehören Toni Morrisson und Graham Greene. Häufig über- setzte sie auch in Zusammenarbeit mit Belmont (bspw. Henry Miller und andere Werke von Anthony Burgess) (Universalis o. D.).

Thematik und Textinhalt Die Thematik und der Inhalt bleiben dieselben. Jedoch fehlt in den im Zuge dieser Ar- beit konsultierten Versionen von 1972 (bzw. 1979)30 das letzte Kapitel. Die Neuausgabe

30 Da lediglich Nachdrucke und keine Ausgabe von 1972 gefunden werden konnten, kann nicht eindeutig festgestellt werden, ob die konsultierten Ausgaben mit jener von 1972 übereinstimmen und wann diese

74 von 2012 (ACO-Fe) enthält dagegen das abschließende Kapitel. Zwar wird nirgendwo erwähnt, dass es sich um eine Hinzufügung oder Neuübersetzung handelt, das Jahr der Übersetzung wird zu Beginn des Buchs, quasi in der Titelei, allerdings mit „1972, 2010“ angegeben. Möglicherweise wurde der neu hinzugefügte Text Marmelade mécanique (= die Übersetzung von Burgess 2010) 2010 übersetzt. In dieser Jubiläumsausgabe wird dieser Text zum ersten Mal in einer französischen Übersetzung von A Clockwork Orange zusätzlich zu Glossar und Note des traducteurs abgedruckt. Des Weiteren werden erstmals einige Seiten aus dem Manuskript des Buchs in einer französischen Ausgabe gezeigt.

Medium, Ort- und Zeitpragmatik, Gliederung Die französische Übersetzung erschien erstmals 1972 bei Robert Laffont, wo Belmont auch als Verleger tätig war. Seitdem wurden weitere Auflagen veröffentlicht, zuletzt die zum fünfzigsten Jahrestag ebenfalls bei Robert Laffont erschienene Neuauflage (erst- mals mit einem Nachwort von Burgess). Bis heute gibt es jedoch nur diese eine Über- setzung. Belmont und Chabrier arbeiteten bereits mehrmals zusammen und übersetzten A Clockwork Orange innerhalb weniger Monate gemeinsam ins Französische (Bogic 2017). Für die Übersetzung von Earthly Powers (Les Puissances des ténèbres) erhielt das Duo 1981 den Prix Baudelaire, einen seit 1980 jährlich verliehenen Preis für eine Übersetzung aus dem Englischen (SGDL 2017).

Empfängerpragmatik Abgesehen von dem kurzen Übersetzerkommentar (Belmont/Chabrier 1972) und einem in der neueren Version erschienenen Aufsatz von Burgess (in ACO-Fe; hier in der eng- lischen Version Burgess 2010) werden in den Veröffentlichungen der französischen Übersetzung keine Hintergrundinformationen zum Text gegeben. Das steht im Gegen- satz zur englischen und deutschen Ausgabe und lässt darauf schließen, dass sich die Ausgabe an allgemein Literaturinteressierte richtet, an LeserInnen, die Burgess als Schriftsteller bereits kennen oder die sich für die Thematik interessieren. Die Überset- zung wurde im Jahr nach Erscheinen der Verfilmung publiziert. Möglicherweise sollte auch das Publikum des Films angesprochen werden.

tatsächlich veröffentlicht wurden. Beide zugänglichen Versionen zeigten auf dem Buchumschlag eine Szene aus der Verfilmung von A Clockwork Orange und tragen den Vermerk „1er trimestre 1979“ (ACO- F: Umschlag.

75

Kommunikationsanlass Die französische Übersetzung wurde ein Jahr nach dem Erscheinen der Verfilmung von Stanley Kubrick veröffentlicht. Möglicherweise war der Erfolg dieses Films auch der Anlass für eine Übertragung ins Französische. Der Klappentext verstärkt diese Vermu- tung: „L’Orange mécanique restera sûrement l’un des romans les plus marquants de ce temps, parce qu’il est notre époque, comme le film tiré de cet ouvrage, déjà classé parmi les chefs-d’œuvre des cinémathèques“ (ACO-F: Klappentext). Auch der Einband zeigt eine Szene aus dem Film.

Übersetzerintention Belmont und Burgess kannten sich persönlich und der Übersetzer schätzte das Werk des Autors sehr (Belmont 1994: 149). Daher war es ihm auch ein Anliegen, Burgess, der bisher kaum beachtet wurde, in Frankreich bekannter zu machen (Burgess 1990: 262). Belmont war zu der Zeit nicht nur Übersetzer, sondern auch Verleger bei Robert Laf- font; er hatte also vermutlich auch Einfluss auf die Auswahl der Neuerscheinungen. In der dem Roman vorausgehenden Note des traducteurs schreiben Belmont und Chabrier (1972: 5): „Cette traduction surprendra peut-être d’abord le lecteur par certaines curiosités du vocabulaire. Il faut y voir le souci de respecter la volonté originale de l’auteur“. Sie betonen also, dem Wunsch des Autors folgen zu wollen. Zu- gleich drückt sich in dieser Erwähnung auch ihre Sorge darüber aus, dass die Leser- schaft die ungewöhnliche Sprachverwendung nicht ohne vorherige Warnung verarbeiten kann. Die Intention, dem Autor und seiner Originalität zu folgen, dürfte neben dem Vo- kabular auch auf andere Aspekte zutreffen.

Textfunktion Die im vorherigen Absatz angesprochene Loyalität gegenüber den Wünschen des Au- tors weist darauf hin, dass die Übersetzung dieselbe Funktion erfüllen sollte wie das Original. Das würde bedeuten, dass sowohl der Aufruf zur Achtsamkeit gegenüber der staatlichen Einmischung in die Lebenswelt des Individuums als auch der Ausdruck der Gefühle und Ideen des Autors eingehalten werden. Die Tatsache, dass das letzte Kapitel nicht abgedruckt wurde, widerspricht dieser Annahme jedoch. Der Respekt gegenüber der Integrität des Werks bleibt nicht aufrecht. Allerdings kann nicht eindeutig festge- stellt werden, ob die Ausgabe von 1972 das letzte Kapitel enthielt oder nicht (siehe un-

76 ter dem Punkt Textthematik und Textinhalt in diesem Kapitel). Zudem würde die Ent- scheidung wohl in der Hand des Verlegers liegen, nicht in der des Übersetzerpaares. Die Intention von Belmont und Chabrier, den Autor Burgess in Frankreich bekannter zu machen, erfüllt im weiteren Sinne eine referentielle (da direkt auf eine Referenz in der Realität verwiesen wird) und eine konative Funktion (als Aufruf, eventuell weitere Werke von Burgess zu lesen). Um mit Reiß zu sprechen (siehe Tabelle 5 in Kapitel 2.1.4), soll autorengerecht übersetzt werden. Auch die Aussage, dass die ‚Eigenarten‘ der Sprache besondere Beachtung finden, weist darauf hin. In Jakobsons Funktionen ausgedrückt wollen sie also auch die poetische Funktion beachten. Aus den bisherigen Informationen gehen keine klaren Hinweise auf den Typ der Über- setzung nach Nord (instrumentell oder dokumentarisch; siehe dazu 2.1.2) hervor: L’Orange mécanique ist weder eindeutig dokumentarisch noch eindeutig instrumentell. Zwar thematisieren sie die Eigenheiten der Sprache, meinen dabei aber nicht das Engli- sche, sondern Nadsat. Dass es sich um eine Übersetzung handelt, wird zwar deutlich (Note des traducteurs), aber die ursprüngliche Kommunikationssituation wird nicht wei- ter dargestellt.

Wirkung auf die Leserschaft Rezensionen zur französischen Übersetzung konnten nicht gefunden werden. Lediglich ein wissenschaftlicher Aufsatz (Bogic 2017) und eine unveröffentlichte Masterarbeit (Pochon 2010) können Aufschluss über eine mögliche Wirkung geben. „And finally, the French translation proves that even novels like A Clockwork Orange are not untranslatable“ (Bogic 2017: 13). Diese Aussage lässt darauf schließen, dass die Über- setzung insgesamt als gut eingestuft wurde. Auch die Tatsache, dass 2012 eine Jubilä- umsausgabe veröffentlicht wurde (ACO-Fe), weist darauf hin, dass ein Markt für die Neuauflage vorhanden war. Insbesondere die Tatsache, dass trotz der Neuauflage bis heute keine Neuübersetzung in Auftrag gegeben wurde, spricht dafür, dass die Überset- zung positiv aufgenommen und als gelungen wahrgenommen wurde und wird. Spezifisch zur Übersetzerintention, den Autor in Frankreich bekannter zu machen, wur- den keine Angaben gefunden. Aufgrund der zahlreichen Neuauflagen und auch folgen- der Übersetzungen ist jedoch davon auszugehen, dass diese Funktion von der Übersetzung erfüllt wurde. In Bezug auf die Senderintention (Warnung vor der Einmi- schung eines übermächtigen Staates und Appell zum Nachdenken, siehe 3.1) schreibt Bogic (2017: 13): „the linguistic adventure of demotic English and Russian translitera-

77 tions becomes much more: a powerful, controversial, inspirational critique of the society, the brainwashing and ‚the Almighty State‘“. Auch diese Funktion kann die Übersetzung von Belmont und Chabrier also scheinbar übertragen.

5.2 Nadsat in französischer Übersetzung Dem Prinzip der vorherigen beiden Kapitel folgend werden zuerst die Nadsat- spezifischen W-Fragen beantwortet, bevor die Besonderheiten angeführt und schließlich die Funktionen erläutert werden.

5.2.1 Intention und Wirkung Wie auch bei der deutschen Übersetzung von Nadsat sind die noch ungeklärten W- Fragen in Bezug auf die französische Übersetzung, die Übersetzerintention und die Wirkung zu beantworten. Darauf folgt die Anführung der Besonderheiten des französi- schen Nadsat (mit welchen Worten, Sätzen).

Übersetzerintention Was Belmont und Chabrier mit der fiktionalen Sprachvarietät bezwecken, erwähnen sie nicht explizit. In der Note des traducteurs (Belmont/Chabrier 1972: 5) schreibt das Übersetzerpaar aber: Le langage de l’Humble Narrateur et Martyr, héros de ce roman, est surprenant à la fois par sa simplicité et par les ‚infiltrations’ qui ont fini par le conditionner. La simplicité appartient à la jeunesse du personnage ; les ‚infiltrations’ relèvent d’une pénétration de la brutalité et d’un viol de la conscience dont nous voyons et pouvons mesurer presque chaque jour la croissance et les effets. L’argot (un ‚méta-argot’, souvent, si l’on peut dire), le manouche (le parler romani), le russe (‚la propagande’, déclare Burgess lui-même) marquent l’intrusion et cet aspect d’une révolution, subie sinon passive, du langage. Belmont und Chabrier erkennen folglich in der Sprachverwendung die Manifestierung der stetig steigenden Brutalität und des ‚Missbrauchs von Bewusstsein‘, das heißt einer Verrenkung der eigenen Überzeugungen. Sie sehen diese Veränderung und die wach- sende Gewalt auch im Alltag. Die von ihnen identifizierten Sprachvarietäten (Argot, Sprache der Roma31 (ebda.) und Russisch) drückten all das aus. Den von ihnen verwen- deten Begriff Meta-Argot (ebda.) erklären sie jedoch nicht weiter. Die Erwähnung des

31 Der Bezug ist das von Burgess (1990: 37) angeführte „gipsy’s bolo“, das sich vermutlich, wie bereits in Kapitel 3.2.1 unter dem Punkt Kommunikationsanlass gezeigt wurde, nicht spezifisch auf Romanes (also die Sprache der Roma) bezieht, sondern als subversive Sprachverwendung zu verstehen ist.

78 Bewusstseins weist zwar grundsätzlich darauf hin, dass auch das Übersetzerpaar eine Veränderung der Denkprozesse erkennt, allerdings ist diese gänzlich anders gelagert als bei Burgess. Während der Autor die Menschen dazu auffordern will, wieder für sich selbst zu denken und niemanden – insbesondere nicht den Staat – die Kontrolle über das eigene Denken übernehmen zu lassen, sehen Belmont und Chabrier eine Art Missbrauch oder Gehirnwäsche als Ursache. Diese kleine Verschiebung hat aber eine relativ große Auswirkung: Der Mensch scheint passiv und unschuldig an dieser Veränderung, anstatt selbst dafür verantwortlich zu sein, die eigene Integrität aufrechtzuerhalten. Nadsat scheint für Belmont und Chabrier (1972: 5) die Gewalt und Brutalität deutlich zu machen, anstatt sie zu verschleiern, wie es Burgess‘ Absicht war. Die Sprachver- wendung des Protagonisten sei der Ausdruck dieser Veränderungen (ebda.).

Wirkung Analog zur Textwirkung in 5.1 können aufgrund fehlender Quellen kaum Aussagen zur tatsächlichen Wirkung gemacht werden: Rezensionen oder andere Zeitungsartikel o. Ä. zu diesem Thema konnten nicht gefunden werden. Lediglich Bogic (2017: 12) äußert sich hierzu: „As much as the source text is a linguistic adventure for the English- speaking readers, the translation offers its own linguistic challenges and grabs the attention of the French readers“. Und sie wird noch spezifischer und nennt explizit die Funktionen, die Nadsat als – wie sie sagt – Soziolekt oder Jugendsprache (ebd.: 13) er- füllt: First, it represents the language appropriated by teenagers and is meant to exclude others. Second, it builds a barrier between the violence in the novel and the readers’ sensitivity. It does not fully mask the sexual content and the ultra-violence, but it certainly distracts from the actual rawness of the actions. Lastly, as Burgess has suggested, it attempts to brainwash the readers into learning minimal Russian, and by drawing from the ‘two chief political languages of the age’ (Burgess 1990: 38) it creates a meeting point of the West and the East at the height of the Cold War. (Bogic 2017: 13)

5.2.2 Nadsat-spezifische sprachinterne Merkmale Im Folgenden werden die merkmalhaften Elemente des französischen Nadsat angeführt. Daraus lässt sich auch erkennen, welche Merkmale Belmont und Chabrier selektiert haben. Die Einteilung erfolgt, wie auch in den Kapiteln 3.2.3 und 4.2.2, nach Leech und Short (1981: 75–79) und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

79 Lexik Syntax Stilfiguren • Literarisierende Re- de • Wortspiele, Meta- • Russizismen • Satzlänge phern • Wortneubildung • Wiederholung von • Einfacher Satzbau • Onomatopoetika Konstruktionen und

• Kindersprache Worten • Reim/Rhythmus • Direkte Leseranspra- che Tabelle 14: Besonderheiten des französischen Nadsat.

Lexik Auch hier sollen anfangs die lexikalischen Besonderheiten der französischen Nadsat- Variation aufgezeigt werden. Überschneidungen zwischen den Kategorien und den Un- terpunkten sind nicht zu vermeiden.

• Russizismen Das Glossar der Ausgabe von 1972, die ohne das letzte Kapitel vorliegt, enthält 218 Einträge, davon wurden 177 aus dem Russischen abgeleitet. Letztere werden in das französische System eingebettet, sodass die Fremdheit zwar erhalten bleibt, der Klang jedoch natürlich ist. Veck – Mann – wird im Glossar interessanterweise mit mec über- setzt, das als populaire bezeichnet wird (TLFi 1994: s. v. mec). Verben werden mit der französischen Endung -er versehen und entsprechend dekliniert, Adjektive ebenfalls in das französische Sprachsystem eingebettet (pouglé – ängstlich). Teilweise aber auch eine ungewöhnliche Endung erhalten (nagoï – nackt), die sich jedoch phonetisch in die Sprache einfügt.

• Wortneubildung Im Französischen gibt es die Möglichkeit der Wortneubildung durch das Zusammenset- zen mit Bindestrich oder durch Einfügen eines Prä- oder Suffixes, durch den Wechsel der Wortart etc. Hervorstechend sind gänzlich neue und ungewöhnliche Kombinationen wie „rockhanchant et hippypopant“ (ACO-F: 78) oder „après-bouffe“ (ACO-F: 80), während Konstruktionen mit de bei Nomen („glu de sommeil“, ACO-F: 64) und à la bei Adjektiven („à la clown“; ACO-F: 49) gängig/beschreibend sind, ohne besonders auf- fällig zu sein.

80 Auch Abänderungen von existierenden Wörtern sind in L’Orange mécanique vorhan- den. Wie auch bei anderen Besonderheiten kann die Grenze zum Wortspiel nicht trenn- genau gezogen werden, wie an den folgenden Beispielen deutlich wird: „un plein baquet de vomi biéreux“ (Adjektiv von bière; ACO-F: 31) oder „malenkyscules armées“ (von malenky – klein und miniscule; ebda.).

• Onomatopoetika Die französische Übersetzung von Nadsat schließt viele Onomatopoetika mit ein. Teil- weise werden die Ausdrücke auch als Verben verwendet, etwa „il m’a swouishé raide dans le dos“ (ACO-F: 96). An dieser Stelle ist jedoch zu hinterfragen, ob swouish bzw. die verbale Form swouisher tatsächlich einen ‚natürlichen‘ französischen Eindruck ma- chen. Sie scheinen aus dem Englischen abgeleitet bzw. an das Englische angelehnt. Über reine Lautmalerei hinaus geht die Verbalisierung von Geräuschen, die beim Foto- grafieren entstehen: „les photos qu’on prenait flash flash clic-clac-codac“ (ACO-F: 229). Hier zeigt sich erneut, dass die Grenze zwischen einzelnen Besonderheiten (in diesem Fall Onomatopoetika und Wortspiel) verschwimmt und sich einer eindeutigen Fixierung entzieht. Eine typische Konstruktion, um Geräusche jemandem oder etwas zuzuordnen, ist das Gerundium (en) faisant mit der darauffolgenden dreimaligen Wiederholung des Geräu- sches: „en faisant hah hah hah pendant qu’elle faisait hi hi hi“ (ACO-F: 230f.), „faisant glouip glouip glouip“ (ACO-F: 230). Diese Konstruktion (going + 3 x Onomatopo- etikon) wird im Französischen jedoch häufig mit einem anderen, spezifischeren Verb ersetzt, etwa: „le coeur battant poum poum poum“ (ACO-F: 67; statt „my heart going bap bap bap“ in ACO: 42), „des tas de verre qui descendaient“ (ACO-F: 24; statt „glass going smash smash smash“ in ACO: 16). Das kann an der Tatsache liegen, dass im Französischen Wiederholungen tendenziell vermieden werden, oder daran, dass die Verbindung weniger idiomatisch ist. Eine weitere mögliche Begründung ist die im Ver- gleich zum Englischen relative Steifheit hinsichtlich Onomatopoetika (Dubois et al. 1994: s. v. onomatopée).

• Kindersprache Einzelne Vokabeln erinnern eindeutig an eine kindliche Sprachverwendung (etwa la conficonfiotte und le neufneuf für Marmelade/jammiwam und Ei/eggiweg), während die überaus einfache und daher ebenfalls kindlich wirkende Sprache nicht durchgehalten

81 wird (vgl. dazu bspw. die eben angeführte Besonderheit der Onomatopoetika). Stattdes- sen weichen Belmont und Chabrier öfters auf abwechslungsreichere Konstruktionen aus. Kindersprache an sich zeichnet sich wie auch jene des Englischen und Deutschen unter anderem durch Wiederholung von Lauten, Silben, Wortteilen oder Worten aus. Auch der in der Kategorie Grammatik besprochene einfache Satzbau kann als ein Cha- rakteristikum der Kindersprache verstanden werden. Im Englischen und Deutschen allgemein relativ häufig eingesetzte Diminutiva sind in der französischen Sprache restriktiver und können nicht für alle Wörter angewendet werden (Bally 1965: 249). Trotzdem sind einige Verkleinerungsformen im Text zu fin- den, etwa jeunette, miton oder jouette. Gerade ihre eingeschränkte Verwendung macht die Wirkung intensiver („presque chacque suffixal français à valeur appréciative, étant plus ou moins inattendu, frappe d’autant plus“, ebd.: 250).

Syntax • Satzlänge Da die französische Übersetzung nicht in Form einer Textdatei zugänglich war, kann keine Aussage zur durchschnittlichen Satzlänge gemacht werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass grundsätzlich die Struktur des Originals eingehalten wurde, weil es keinen Grund zur Annahme des Gegenteils gibt. Der im Original als am längsten identi- fizierte Satz besteht in der französischen Version aus 143 Wörtern32. Als Kontrast dazu ist der darauffolgende Satz mit sieben Wörtern relativ kurz: „Parce que je savais ce qu’elle chantait“ (ACO-F: 52). Eben dieser Kontrast kann hier als bedeutsames Merk- mal festgehalten werden, der die Rede mündlicher wirken lässt. Auch hier sind die einleitenden Formulierungen einer direkten oder indirekten Rede oft ähnlich und vor allem kurz. Dabei reicht meist ein Subjekt und das Verb in der Vergan- genheitsform aus.

32 « Et puis le disque de la stéréo a fini de nasiller (c’était Jonny Jivago, un koshka russkof qui chantait ‘Jamais plus d’un Jour sur Deux’), et dans l’espèce d’entracte, dans le bref silence avant le disque suivant, une de ces dévotchkas – très blonde et avec une grosse rote rouge et souriante, la fin de la trentaine, j’aurais dit – s’est mise tout à coup à en pousser une, pas plus d’une mesure ou deux, comme pour donner un exemple d’un truc dont toute la bande venait de govoriter, et l’espace d’un instant ce fut, O mes frères, comme si un grand oiseau était entré à tire d’ailes dans le milkbar et j’ai senti chaque malenky petit poil de mon plott se hérisser tout debout et des frissons me courir dans le dos comme qui dirait des malenkys lézards et me redescendre dans les reins. » (ACO-F: 52)

82 • Einfacher Satzbau In Bezug auf den Satzbau ist festzustellen, dass dieser meist einfach gehalten ist, es werden kaum komplizierte Konstruktionen oder elaborierte Konnektoren verwendet. Zusammenhänge werden häufig mit et, puis oder et puis ausgedrückt. Eigen- oder Fremdaussagen werden meist mit einer Form von dire eingeleitet und in direkte Rede gestellt, teilweise kommt auch die indirekte Rede zum Einsatz, die aber ebenfalls mit dire eingeführt wird. Allerdings wird auch hier deutlich, dass an manchen Stellen ab- wechslungsreichere Wörter verwendet wurden, so heißt es beispielsweise statt zweimal dire wie im Original „j’ai repris“ und „a répété Momo“ (ACO-F: 55). Aufgrund der fehlenden kompletten Textdateiversion können auch für diesen Punkt keine Zahlen angeführt werden. Stattdessen soll der Textauszug als Vergleichsgröße herangezogen werden. Es ist davon auszugehen, dass dieser weitestgehend repräsentativ für den gesamten Roman ist.

Korpus frTenTen1233 ACO-F Textauszug Lemma et puis 106,50 1 197,96 très 1 258,80 2 395,93 dit 600,00 3 593,89 il y 757,00 2 395,93 Tabelle 15: Häufigkeit der Lemmata pro einer Million Wörter. Errechnet mit Sketch Engine. Diese Zahlen machen deutlich, dass die jeweiligen Lemmata im Textauszug deutlich häufiger vorkommen als im Referenzkorpus. Im Vergleich mit der Normalsprache kann also auch der Satzbau im französischen Zieltext als einfach bezeichnet werden. Jedoch ist auch hier der Kontrast zu der teilweise literarisierenden Rede von Alex festzustellen, die im nächsten Punkt angeführt wird.

Stilfiguren • Literarisierende Rede Veraltendes oder archaisches Französisch wird eher nicht anhand von bestimmten grammatikalischen Formen markiert (im Gegensatz zu den im Englischen eindeutig als archaisierend gekennzeichneten Pronomen thee und thine oder die Verwendung der zweiten Person Singular auf -eth). Solch einschlägige ‚Prototypen‘ von Archaismen

33 Das Korpus frTenTen12 ist das französischsprachige Äquivalent zu enTenTen und deTenTen. Es ent- hält fast zehn Milliarden Wörter und wurde aus etwa zwanzig Millionen Websites zusammengestellt; die meisten Domains enden auf com, fr, org und net (Lexical Computing CZ s.r.o. o. D.: s. v. frTenTen: French corpus from the web).

83 bzw. archaisierender Sprachverwendung sind im Französischen nicht vorhanden bzw. nicht verbreitet. Am auffälligsten am Moyen français ist die völlig abweichende Ortho- graphie. Das darauf folgende Français classique orientierte sich dagegen bereits damals an literarischen Texten und hat sich bis heute nicht grundlegend verändert.34 In L‘Orange mécanique wird stattdessen über die Anrufung mittels O ein literarisch gehobener Stil ausgedrückt: „O toi mon fils et fruit unique de mes entrailles“ (ACO-F: 86) als Kompensation für „to thee fruit of my womb, my only son“ (ACO: 53). Zudem wird versucht, eine eher untypische Satzstellung zur Herausstreichung zu verwenden: „Mais incapable il était de rien sentir, mes frères“ (ACO-Fe: 7. Kapitel) weist eine un- gewöhnliche Satzstellung auf. Üblicherweise stehen Subjekt und Verb noch vor den anderen Satzteilen; die Umstellung deutet auf eine Betonung von incapable hin. Teilweise werden auch Anspielungen auf die Bibel eingeführt. Hier ist insbesondere „grâces soient rendues“ (ACO-F: 106) zu nennen. Solche indirekten Zitate beschränken sich jedoch auf wenige Stellen. Archaisierende Wortformen oder Archaismen sind also kaum zu finden. Das Überset- zerpaar setzt stattdessen literarisierende Rede ein, die in bestimmten Satzstrukturen (siehe etwa das Beispiel oben), der Wortauswahl und der Anrufung (O) zu erkennen ist.

• Wortspiele, Metaphern Ein besonders kreatives und facettenreiches Wortspiel stellt minotché dar (notché von ночь [notsch] – Nacht). Der Russizismus wird an die französische Sprache angepasst, zusätzlich wird hier die Vorsilbe mi- vorangestellt, die mitten ausdrücken soll. Außer- dem bleibt eine gewisse phonetische Nähe zu minuit bestehen. Der Begriff cancerette – eine Mischung aus cancer und cigarette – für Zigarette vereint Wortspiel und Metapher. Damit geht die Übersetzung weiter als das englische Original (wo ja dasselbe Wortspiel möglich gewesen wäre).

34 In Frankreich wurde bereits 1635 die Académie française gegründet, deren Aufgabe die Normierung, Fixierung und Reglementierung der Sprache ist. Eine Vereinheitlichung der Sprachverwendung wurde also bereits früh eingeleitet bzw. durchgeführt. Im Zuge dessen wurde ein Wörterbuch erstellt, dessen Grundlage literarische Werke bzw. Autoren waren (Berschin/Felixberger/Goebl 2008: 238). Damit hielt auch das Français Classique Einzug, das bereits stark dem modernen Französisch ähnelt. Das zu dieser Zeit (zumindest in bestimmten Kreisen) verwendete oder angestrebte Französisch war also ein eher litera- risches oder literarisierendes. Auf Ebene der Orthographie veränderte sich das Französische bis ins 18. Jahrhundert erheblich (Le Littré 2007: 119) Reformen wurden auch in den folgenden Jahren durchgeführt, darunter auch überaus signifi- kante. Grammatikalsiche Regeln dagegen wurden zwar teilweise verändert, sie sind jedoch weniger auf- fällig.

84 • Wiederholungen von Konstruktionen und Worten Wie bereits angesprochen wurde, ist das Französische an häufige Wortwiederholungen nicht gewöhnt und tendiert dazu, abwechslungsreicher zu formulieren. In der französischen Übersetzung wird die rhetorische Figur der Epizeuxis zwar eben- falls eingesetzt, wenn Geräusche oder Bewegungen beschrieben werden, allerdings handelt es sich dabei selten um ein Verb, wie in folgendem Beispiel: „le vieux krovvi de familles s’est mis a goutte-goutter“ (ACO-F: 128). Stattdessen wird das Geräusch mit einem passenden Verb eingeführt und anstelle eines Adverbs eingesetzt: „[E]t puis j’ai cogné au mur bang bang“ (ACO-F: 289) und „et bang bang bang j’ai recogné au mur“ (ACO-F: 290). Die Wendung O mes frères und Abwandlungen sind auch im französischen Nadsat ein häufig vorkommendes Merkmal. Ebenfalls auffällig ist die Verwendung von des familles zur Kennzeichnung der Einfachheit oder Qualität einer Sache („Pour évoquer la simplicité, la tranquillité, la sérénité de la vie de famille ou le côté solide et inusable, la qualité de certains produits“: Bernet/Rézeau 1989: s. v. famille). Die Häufung von well wird in einem Fall mit „Ça alors alors alors alors“ (ACO-F: 298) übersetzt, ein anderes Mal mit mehrfacher Wiederholung von tiens (ACO-F: 304). Das im Englischen besonders häufig vorkommende like wird in der Übersetzung auf vier verschiedene Arten wiedergegeben: genre, comme, comme qui dirait und comment on appelle ça. Dadurch ist erneut die Wiederholung abgeschwächt. Die Verstärkung, die im Englischen konstant mit very very gebildet wird, wird im Fran- zösischen auf verschiedene Arten ausgedrückt. Neben der Eins-zu-Eins-Übersetzung mit très très wird einmal auch grand grand + Substantiv und mehrmals tout ce que + Verb bzw. tout ce qu’il y a de + Adjektiv eingesetzt. Der Grund für die Abwechslung ist vermutlich die Idiomatik. Eine weitere immer wiederkehrende Wendung ist à la super plus énième mode, die ausdrücken soll, dass etwas als toll und modisch gilt.

• Reim/Rhythmus Die französische Sprache basiert auf dem Prinzip der Silbenzählung (im Gegensatz zum Deutschen, wo die Betonung der Silben bei Rhythmus/Metrik zählt). Aus diesem Grund ist ein Rhythmus wohl schwieriger zu identifizieren und festzumachen als bspw. im Deutschen. Daher scheint der Rhythmus auch weniger stark ausgeprägt als im Aus- gangstext und im deutschen Zieltext. Lauthäufungen und Reime dagegen sind genauso

85 einfach zu erkennen wie in anderen Sprachen und auch im untersuchten Text vorhan- den. Die eben festgestellte Abschwächung der Wiederholungen führt ebenfalls zu einer Verminderung der Rhythmizität des Texts. Vorkommende Dopplungen oder auch Rei- me wie razedraze (Russizismus für wütend, vermutlich von раздразнить [rasdrasnit] – necken, reizen) sind dagegen Beispiele für diese Kategorie.

• Direkte Leseransprache Wie unter Wiederholungen bereits aufgezeigt wurde, ist die Wendung O mes frères und ihren Abwandlungen auch im französischen Nadsat erhalten. Teilweise wird sie auch als Ansprache an die Leserschaft verwendet, etwa in folgendem Beispiel: „Ce qui s’est ré- ellement fait cet après-midi-là, inutile de le décrire, frères, vu que vous n’aurez pas de mal à deviner“ (ACO-F: 82).

Die Einteilung in die verschiedenen Besonderheiten stellt keine endgültige Kategorisie- rung dar, sondern dient zur besseren Übersichtlichkeit. Wörter bzw. Aussagen können in vielen Fällen auch mehreren Kategorien zugeordnet werden – was auch erfolgt. Rus- sizismen können Wortspiele sein, Kindersprache kann Reime enthalten etc.

5.2.3 Kommunikative Funktionen des französischen Nadsat Wie auch für das englische und deutsche Nadsat vorgegangen wurde, werden in diesem Kapitel die kommunikativen Funktionen nach Nord und Jakobson (siehe Kapitel 2.1.3) angeführt, die die Sprachvarietät in der französischen Übersetzung erfüllt. Dabei werden die eben identifizierten Besonderheiten auch den einzelnen Funktionen zugeordnet. Ein Merkmal kann – wie bereits in den vorherigen Analysen deutlich wurde – auf mehrere Weisen fungieren. Beispiele wurden im vorangehenden Kapitel 5.2.2 angeführt, wes- halb an dieser Stelle auf weitere verzichtet wird.

Emotive Funktion Auch der französische Idiolekt des Protagonisten dient in erster Linie der Charakteri- sierung desselben. Alle Merkmale tragen zur Erfüllung dieser Funktion bei, weil jedes einzelne für den Protagonisten steht und etwas über ihn aussagt. Die literarisierende Rede anhand von Anrufungen mittels O soll zeigen, dass er diese gehobene Stilschicht

86 beherrscht. Dies wiederum drückt bis zu einem gewissen Grad seine Überlegenheit gegenüber anderen, die nicht über ihre Umgangssprache hinauskommen, aus. Wort- spiele, Metaphern und Wortneubildung zeugen von Alex‘ Kreativität und Fantasie. Die russischstämmigen Wörter drücken durch ihre Fremdheit eine gewisse Distanz zum Erzählten aus: Der Protagonist muss nicht eindeutig benennen, was vor sich geht, sondern kann auf kryptischere Sprachformen ausweichen. Auf diese Weise werden Alex die Gewalttaten nicht in aller Härte zu Lasten gelegt. Denselben Effekt hat auch die Verwendung von Kindersprache: Alex vermittelt so eine gewisse Unschuld und Ver- harmlosung.

Konative Funktion Die Russizismen helfen den Lesenden auch, eine Distanz zu den Geschehnissen aufzu- bauen. Gleichzeitig werden sie unbewusst gelernt und demonstrieren so die im Buch thematisierte ‚Gehirnwäsche‘. Der relativ einfache Satzbau soll Alex nicht zu weit von der Leserschaft entfernen, während die direkte Ansprache eine tatsächliche Verbindung zwischen den Rezipie- renden und dem Protagonisten ermöglicht. Auch die Annäherung an kindliche Sprach- verwendung, die auch durch Verwendung und Wiederholung einfacher Satzbauteile erfüllt wird, soll es den Lesenden erleichtern, eine Verbindung zu Alex aufzubauen, und Sympathie zu ermöglichen. Lautmalereien suggerieren eine Nähe zu den Geschehnissen und hinterlassen stärkere Eindrücke. Sprachspiele, Metaphern und Wortneubildungen haben eine illustrie- rende Funktion und sprechen somit die RezipientInnen an.

Referentielle Funktion Die aus dem Russischen abgeleiteten Wörter verweisen auf die russische Sprache und teilweise auch Kultur. Etwa zehn Jahre nach Erscheinen des Originals, zur Zeit, als die Übersetzung veröffentlicht wurde, existiert die Sowjetunion noch und die Konnotatio- nen, die bei den Lesenden geweckt werden, sind vermutlich ähnlich wie im Falle des Originals, wobei die französische Bevölkerung womöglich von der englischen abwei- chende Meinungen hat. Auch die kindersprachlichen Elemente verweisen auf diese spezifische Gruppe und gehören somit der referentiellen Funktion an. Damit einhergehend wird wieder die Un- schuld und Kindlichkeit des Sprechers verdeutlicht.

87 Während (die seltenen) Anspielungen auf die Bibel eine eindeutige referentielle Funk- tion erfüllen, bleiben die in den anderen Versionen gegenwärtigen Verweise auf veralte- ten Sprachgebrauch weitgehend aus. Die literarisierende Rede, die die archaisierende Rede ersetzen soll, verweist eher auf eine konkrete Stilschicht als auf bestimmte Wer- ke.

Poetische Funktion Da die Russizismen durch ihre Fremdartigkeit und gleichzeitige Vertrautheit mehrere Bedeutungen suggerieren, kann dieses Merkmal auch als eine poetische Funktion erfül- lend eingeordnet werden. Aus demselben Grund erfüllen auch Wortspiele, Metaphern und hier auch Wortneubildungen eine poetische Funktion. Teilweise wird auch die ästhetische Komponente über die der Bedeutung gestellt, was ebenso zu dieser Funkti- on zählt. Aus diesem Grund erfüllt eine Kunstsprache immer auch eine poetische Funk- tion. In diesem konkreten Beispiel übertönen auch bei Onomatopoetika die Ästhetik und der Klang die Bedeutung. Zusätzlich wird hier eine Unmittelbarkeit und Intensität ausgedrückt. Eine solche Unmittelbarkeit bewirkt auch die variierende Satzlänge (also der Kontrast zwischen überaus langen und sehr kurzen Sätzen) sowie der Satzbau. Bei- de syntaktischen Merkmale tragen dazu bei, Mündlichkeit auszudrücken.

Metasprachliche Funktion Den Code thematisieren wiederum russischstämmige Wörter, Wortneubildungen, Wiederholungen und Wortspiele. Dabei wird aufgrund von ungewöhnlichen Kon- struktionen oder ungewohnten Mechanismen die Aufmerksamkeit auf die Sprache selbst gelenkt.

Phatische Funktion Die direkte Leseransprache dient dem Kontakterhalt und somit der phatischen Funk- tion. Ebenso können Russizismen, besonders kreative Wortneubildungen sowie Me- taphern und insgesamt ungewöhnliche Sprachverwendung die Aufmerksamkeit der Lesenden erregen bzw. erhalten.

Die Analyse hat gezeigt, dass Nadsat auch im Französischen vor allem der Charakteri- sierung von Alex dient. Alle selektierten Merkmale tragen dazu bei. Die literarisierende Rede verliert jedoch an Stärke, weshalb sie nicht mehr als das dominante Merkmal die-

88 ser Funktion bezeichnet werden kann. Die zweite Hauptfunktion ist die referentielle, genauer die fehlende zeitliche und geographische Verortung der Geschehnisse. Hier sind in erster Linie die Russizismen ausschlaggebend. Die letzte dominierende Funktion ist die konative, in Gestalt der unbemerkten ‚Gehirnwäsche‘ durch Lernen russischer Vorkabeln. Diese wurde auch von Bogic (2017: 13, siehe 4.2.1) erkannt. Hier sind die Russizismen ausschlaggebend. Die anderen beiden von Bogic (ebda.) benannten Haupt- funktionen sind der Ausschluss anderer aus der Gruppe und die durch Russizismen her- gestellte Distanz zur Gewalt. Während die Distanz zwar durchaus eine Rolle spielt, jedoch nicht als Hauptfunktion von Nadsat bezeichnet werden kann, wird in der vorlie- genden Arbeit die Funktion einer Gruppensprache nicht behandelt und bleibt daher un- kommentiert.

5.3 Zusammenfassung der Analysen Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Original drei Hauptfunktionen von Nadsat identifiziert wurden: Charakterisierung (emotive Funktion), unklare zeitliche und geo- graphische Verortung (referentielle Funktion) sowie unbewusstes Lernen (konative Funktion). Realisiert wird die Charakterisierung über die Kunstsprache an sich, das heißt über alle sprachlichen Besonderheiten, am bedeutendsten sind in diesem Zusam- menhang jedoch Russizismen, archaisierende Rede und Kindersprache. Die Selbstdar- stellung gegenüber anderen Charakteren wird hauptsächlich über archaisierende Rede erreicht. Die fehlende Verortung ist ebenfalls ein Spezifikum der fiktionalen Sprachva- rietät, also aller Merkmale; Russizismen sind jedoch auch hier das zentrale Element. Das unbewusste Lernen schließlich geschieht ebenfalls über die geschickte Positionie- rung der Russizismen im Text. In der deutschen Übersetzung von Blumenbach werden ebenfalls sowohl die Charakte- risierung als auch die fehlende zeitliche und örtliche Fixierung sowie die ‚Gehirnwä- sche‘ im Sinne unbewussten Lernens realisiert. Fast alle Merkmale finden Eingang in die deutsche Übersetzung. Wie auch im Ausgangstext sind die stärksten Besonderheiten die Russizismen, die Archaismen (anstelle der archaisierenden Rede) und die Kinder- sprache. Da die französische fiktionale Sprachvarietät ebenfalls als eine Art Kunstsprache einge- ordnet werden kann, bleibt ihre grundsätzliche Funktion der Charakterisierung erhalten. Die Darstellung der eigenen Überlegenheit gegenüber anderen Charakteren im Buch wird allerdings weniger deutlich, da die Imitation archaischer Sprachverwendung im

89 Französischen nur durch eine literarisierende Rede und damit durch eine Änderung der Stilebene ausgedrückt wird. Auch die fehlende Verortung ist im Französischen realisiert – es werden kaum aktuelle jugendsprachliche Ausdrücke eingefügt. Die ‚Gehirnwäsche‘ funktioniert im Französischen ebenfalls. Als auffälligstes und am meisten Funktionen erfüllendes Merkmal können die Russi- zismen genannt werden. Weil sie gänzlich unbekannt sind (obwohl sie in die jeweilige Sprache eingebettet werden), sind sie besonders auffällig und somit eines der stärksten Merkmale. Gleichzeitig stellt ihre Übertragung auch kein Problem dar, da Russisch für alle drei Sprachen etwa gleich fremd ist. Eventuell auftretende Probleme können durch Änderungen des Russizismus umgangen werden (wie dies tatsächlich im Französischen gehandhabt wurde – siehe 5.2.2). In Hinblick auf die Besonderheiten treten in den jeweiligen Versionen Verschiebungen auf. So sind Wortneubildungen jeglicher Art (insbesondere Komposition) im Deutschen signifikant üblicher als im Englischen oder Französischen (Bußmann 2002: s. v. Kom- position). Die kreative Sprachverwendung wird aber nicht essentiell gemildert. In der französischen Übersetzung musste das Merkmal der archaisierenden Rede kompensiert werden, weil eine eindeutig ältere Form des Französischen nicht wie im Englischen über prototypische Ausdrücke markiert werden könnte. Bisher scheint Greiner (2004: 903) mit seiner Aussage, dass die Übersetzung von Spra- chen wie Nadsat relativ einfach sei, recht zu haben: Auch neu geschaffene Sprachstrukturen mit Scheinvarietäten- charakter – etwa einzeltext-spezifische Kunstsprachen – werfen erfah- rungsgemäß geringe Probleme auf, da keine lebensweltlichen Konno- tationen zu berücksichtigen sind und nötigenfalls andere Sprachstrukturen mit gleicher Stilfunktion substituiert werden können. Jedoch ist das Finden einer solchen Sprachstruktur nicht immer einfach, insbesondere da diese, wie im vorliegenden Fall, nicht nur eine Funktion erfüllen sollen. Das zeigt sich in der Substitution der archaisierenden Rede mit literarisierender Rede im französi- schen Zieltext.

Im folgenden Kapitel 6 sollen die festgestellten Besonderheiten nochmals an einer kon- kreten Textstelle aufgezeigt werden. Zudem wird ein direkter Vergleich zwischen dem Original und den beiden Übersetzungen ermöglicht. Die eventuellen Abweichungen werden im Anschluss erklärt.

90 6 Beispielanalyse In diesem Kapitel sollen die bisherigen Erkenntnisse (d. h. die selektierten sprachlichen Elemente) an einer Textstelle veranschaulicht und mit Zahlen untermauert werden. Gleichzeitig erlaubt eine eingeschränkte Textauswahl auch einen spezifischeren Ver- gleich zwischen den einzelnen Texten (Original, deutsche und französische Überset- zung). Zudem soll auf diese Weise eruiert werden, welche sprachlichen Elemente und damit auch welche kommunikativen Funktionen von den ÜbersetzerInnen jeweils hie- rarchisiert wurden. Daraus kann schließlich gefolgert werden, welche Übersetzung in- wiefern ein Äquivalent des Originals darstellt. Um diese Ziele zu erreichen, werden die in den vorangehenden Kapiteln im Zuge der Beantwortung von Nords W-Fragen selektierten sprachlichen Elemente in einem Text- auszug näher betrachtet. Eingesetzt wird an dieser Stelle vor allem eine korpusbasierte Analyse mittels Sketch Engine. Der Auszug aus dem Ausgangs- und den beiden Ziel- texten wird mit dem Analysetool auf bestimmte Merkmale hin untersucht und die Er- gebnisse einem normalsprachlichen Korpus (die weiter oben eingeführten Korpora enTenTen15, deTenTen13 und frTenTen12, die den tatsächlichen Sprachgebrauch dar- stellen – im Gegensatz zum Nadsat enthaltenden hier untersuchten Text) gegenüberge- stellt. Auf diese Weise können die bisherigen Annahmen mit Zahlen belegt werden und die Sprachvarietät Nadsat sowohl mit der jeweiligen Normalsprache als auch über die Sprachgrenzen hinaus miteinander verglichen werden. Wo eine korpusbasierte Analyse nicht zielführend ist, werden einzelne Beispiele aus dem Textauszug herangezogen. Bei der ausgewählten Textstelle handelt es sich um den Anfang des zweiten Kapitels des ersten Teils von A Clockwork Orange35. Ausgewählt wurde diese Stelle einerseits, weil sie in Besprechungen etc. oft hervorgehoben wird, um das Buch bzw. die jugendli- che Bande zu charakterisieren, und andererseits, weil kaum Sprachverwendungen von anderen vorkommen. So ist die Verfälschung durch ‚normalen‘ Sprachgebrauch nicht gegeben. In diesem Kapitel begehen Alex und seine drei Droogs mehrere Verbrechen und leben ihre Gewalt aus. Zu Beginn verprügeln sie einen betrunkenen Obdachlosen, anschlie- ßend treffen sie auf eine verfeindete Bande, mit der sie einen Kampf ausfechten, und schließlich stehlen sie ein Auto, mit dem sie durch die Straßen rasen, bis sie vor einem Haus mit der Aufschrift HOME stehen bleiben. Sie beschließen, in das Haus einzudrin-

35 ACO: 19–26, ACO-D: 24–32, ACO-F: 28–39; die Textstellen sind im Anhang zu finden.

91 gen. Mit dem Anklopfen an der Tür des Hauses endet der Textausschnitt. Anschließend verschaffen sich Alex und seine Droogs durch eine List Zutritt ins Haus des Schriftstel- lers Alexander F., wo sie seine Frau vor seinen Augen vergewaltigen, ihn brutal verprü- geln und das Wohnzimmer verwüsten. An den Folgen dieser Gewalttaten stirbt die Frau, wie die Leserschaft im dritten Teil des Buchs erfährt.

Dem Aufbau der vorangehenden Kapitel folgend, wird auch hier auf die drei Kategorien Lexik, Syntax und Stilfiguren eingegangen. Die anderen Analysefragen wurden bereits in den letzten drei Kapiteln geklärt. Hier soll es in erster Linie um die Veranschauli- chung des bereits Angeführten gehen.

6.1 Lexik Die erste der drei Kategorien ist erneut die Lexik. Es wurde bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass die Kategorien und die ihnen zugerechneten Merkmale nicht eindeu- tig voneinander zu trennen sind. Dass in dieser Arbeit trotzdem eine Einteilung vorge- nommen wird, dient der besseren Übersicht und somit dem Verständnis. Festzuhalten ist aber erneut, dass dies keine allgemeingültige oder unbestreitbare Kategorisierung, son- dern ein Versuch derselben sein soll.

6.1.1 Russizismen Die aus dem Russischen stammenden Wörter stellen die auffälligste und in der Literatur am meisten beachtete Besonderheit dar. Die folgende Tabelle zeigt die zehn am häufigs- ten im Textauszug vorkommenden Russizismen in den jeweiligen Sprachen. ACO ACO-D ACO-F 1 to viddy viddieren relucher 2 horrorshow horrorshow platrusques 3 droog Plattys tzarrible 4 platties Droogs drougs 5 britva Jarbeln rote 6 malenky malenkig litso 7 litso starig britva 8 yarble krischen nodz 9 dratsing Britwa dévotchka 10 veshch Dewuschka yarbilles Tabelle 16: Russizismen in der Textstelle aus ACO, ACO-D und ACO-F. Keywords mit den Vergleichs- korpora enTenTen15, deTenTen13 und frTenTen12. Erstellt mit Sketch Engine.

92 Die Keywords wurden jeweils mit einem Referenzkorpus erstellt. Hierfür wurden die Webkorpora enTenTen15, deTenTen13 und frTenTen12 herangezogen, um eine mög- lichst hohe Vergleichbarkeit zu garantieren. Die Tabelle macht deutlich, dass zwar an- nähernd die gleichen Wörter in der Top-Ten-Liste enthalten sind, dass aber der Rang teilweise abweicht. In der französischen Übersetzung wurde statt der Russizismen viddy von видеть [widjet] die Wortneubildung relucher (möglicherweise aus der Stickerei- Fachsprache: lucher = „Frotter la dentelle avec un outil de verre, pour lui donner du lustre (Larousse o. D.: s. v. lucher), d. h. in etwa polieren) verwendet. Eine mögliche Erklärung für diese zentrale Veränderung ist, dass eine französische Version von видеть – beispielsweise vidier – zu sehr an vider erinnern könnte. Da im Russischen allerdings für (fast) jedes Verb zwei Aspekte und somit zwei Wortformen zur Verfü- gung stehen (Imperfektiv und Perfektiv)36 wäre die andere Form (смотреть [smotrjet]) durchaus in Frage gekommen. Vermutlich sind Belmont und Chabrier des Russischen nicht mächtig und waren sich daher der Alternative nicht bewusst. Das ebenfalls vom Original (horrorshow) abweichende tzarrible dagegen scheint eine durchaus gelungene Übersetzung zu sein: Einerseits wird durch die Einarbeitung von tsar auf die russische Komponente hingewiesen, andererseits hat sie eine positive, eben königliche Konnotation, die dem englischen horrorshow relativ nahe kommt (die posi- tive Komponente darin ist der Ursprung vom Russischen Wort für gut, nämlich хорошо [choroscho]). Gleichzeitig erinnert tzarrible auch an das Adjektive horrible oder terrible, das als äquivalent gelten kann. Aus der Tabelle geht also auch hervor, dass alle Versionen Russizismen einsetzen. Es handelt sich dabei großteils um Substantive – nur zwei Verben und ein Adjektiv sind in der Liste enthalten. Die russischstämmigen Wörter wurden jeweils in jedes Sprachsys- tem eingebettet – das heißt mit passenden Endungen versehen und an die Phonetik an- gepasst. Die Auswahl zeigt zum Teil auch die vorhandene Gewalt: auch dratsing (von драться [dratsja] – sich prügeln/sich schlagen) und britva (von бритва [britwa] – Rasiermesser) kommen häufig vor. Die harmloseren Ausdrücke yarbles (vermutlich von яблако [jablako] – Apfel), platties (von платье [platje] – Kleidung) oder auch litso (von лицо [lizo] – Gesicht) sind im Kontext ebenfalls mit Gewalt verbunden: Die yarbles will Alex jemandem abreißen, die platties wurden einem Mädchen noch nicht

36 „Eine grundlegende A.[= Aspekt]-Unterscheidung ist Imperfektiv vs. Perfektiv, wodurch ein Vorgang entweder als ein zeitlich nicht weiter strukturierter, kontinuierlicher Verlauf oder als eine in Phasen ge- gliederter Verlauf mit Spezifizierung er Endphase präsentiert werden kann“ (Bußmann 2002: s. v. As- pekt).

93 ausgezogen und das litso wurde jemandem mit der britva zerschlitzt. Hier zeigt sich in allen drei Versionen die emotive Funktion, nämlich die Distanzierung des Protagonisten von den eigenen Taten, indem sie nicht genau benannt, sondern hinter fremdartigen Wörtern versteckt werden. Gleichzeitig macht die Verwendung von Russizismen auch die Leserschaft empfänglicher für Alex und zeigt hier ihre konative Funktion. Auch die zentrale Funktion der fehlenden Verortung wird sowohl im Original als auch in den Übersetzungen erfüllt. Während zwar Assoziationen geweckt werden, bleibt eine genaue Verortung durch die Sprachmischung unrealisiert (referentielle Funktion). Be- sonders bei horrorshow/tzarrible ist auch die poetische Funktion in der Polysemie ver- wirklicht. Sie stehen auch an der Schnittstelle zwischen Russizismen und Wortspiel. Besonders zu Beginn des Buchs erfüllen Russizismen auch eine metasprachliche Funk- tion: Jedes ungewöhnliche Wort ist eine Thematisierung des Codes (der Sprache). Zu- dem wecken sie die Aufmerksamkeit der Leserschaft und können somit auch als phatisch erkannt werden. Neben horrorshow (tzarrible) und viddy (relucher) wird im Französischen auch smeck (von смеяться [smjejatsa] – lachen bzw. смех [smjech] – Lachen) anders übersetzt, nämlich als se bidonsker. Die Herkunft dieses Verbs ist nicht eindeutig zu benennen; es ist jedenfalls kein existierendes französisches Wort (es taucht weder in TLFi 1994 noch in Larousse o. D. auf). Vermutlich spielt das Übersetzerpaar hier mit se bidonner (etwa: sich schieflachen). Möglicherweise soll der Einschub von sk den Eindruck eines russi- schen Einschlags machen. Für die Änderung des Russizismus spricht die übermäßige Fremdheit der Lautfolge in der französischen Sprache. Wie bereits als Zwischenfazit bzw. Zusammenfassung in 5.3 angemerkt wurde, sind die Russizismen die auffälligste Besonderheit des Nadsat – und zwar in allen Sprachen – und auch die Kategorie, die die meisten kommunikativen Funktionen nach Jakobson erfüllt: eine emotive Funktion, weil Alex sich anhand von Russizismen von seinen eige- nen Taten distanzieren kann; er muss sie nicht direkt benennen, sondern weicht auf eine kryptischere Bezeichnung aus. Aus demselben Grund wird auch eine konative Funktion erfüllt: Distanz wird auch zwischen den RezipientInnen und den vom Protagonisten ausgeführten Gewalttaten geschaffen. So wird es weiters ermöglicht, dass die LeserIn- nen – zumindest bis zu einem gewissen Grad – mit Alex sympathisieren und ihn später auch als Opfer wahrnehmen. Dass aus dem Russischen stammende Wörter auf eine be- stimmte Sprache verweisen und somit eine referentielle Funktion erfüllen, ist eindeutig. Lediglich die Konnotationen, die mit dieser Sprache verbunden werden, haben sich im

94 Laufe der Zeit wohl verändert (insbesondere ist hier das Ende des Kalten Krieges zu nennen). Die hervorgerufenen Konnotationen und Assoziationen variieren wohl nicht nur zwischen verschiedenen Nationalitäten, sondern auch zwischen den einzelnen Indi- viduen. Daher ist eine genauere Untersuchung hier nicht möglich. Umso neuer und ungewöhnlicher die Russizismen sind, desto stärker fungieren sie auch metasprachlich. Das unbekannte Wort thematisiert den Code und die Sprache. Damit hängt außerdem zusammen, dass die LeserInnen, zumindest am Anfang des Buchs, noch mit einer erhöhten Aufmerksamkeit reagieren, weil sie versuchen, den Sinn hinter der Bezeichnung zu verstehen (bzw. das Bezeichnete hinter dem Bezeichnenden zu er- kennen). Zuletzt können die Worte dieser Kategorie auch eine poetische Funktion inne- haben: Erstens wird aufgrund von lautlichen oder auf andere Art und Weise hervorgerufene Assoziationen bzw. Konnotationen eine Polysemie erreicht und zwei- tens wird die Bedeutung hinter dem Wort von seinem Klang oder seiner Ästhetik zu- rückgedrängt.

6.1.2 Wortneubildung In dem kurzen Abschnitt sind bereits mehrere Strategien von Wortneubildung zu erken- nen. Ein Wortartwechsel ist bei blueing on („the worldcast blueing on on either side“; ACO: 24) zu verzeichnen. In diesem Satz kommt auch die zweite Art der Wortneubil- dung vor, nämlich die Bezeichnung für eine weltweit ausgestrahlte Sendung worldcast. Eine Kürzung von decrepitude („the state of being old and no longer in good condition“ (Macmillan Dictionary 2008–2018: s. v. decrepitude) stellt decreps (ACO: 20) dar. Und schließlich wird mit beer-vomit (ACO: 20) ein neues Kompositum gebildet. Da Wortneubildung, insbesondere Komposition (d. h. Zusammensetzung von zwei oder mehr Morphemen), in der deutschen Sprache eine relativ häufig verwendete Strategie ist, ist sie auch weniger auffällig (Bußmann 2002: s. v. Komposition). Allerdings ver- sucht der Übersetzer den ungleichen Stellenwert mit höherer Frequenz von Wortneubil- dungen auszugleichen: Grinselitso, Kehlschlitzbritwa, Glotzensatellit, Landhauswesch u. Ä. m. (ACO-D: 26, 27, 29) sind Beispiele für ungewöhnliche Kompositionen, die nicht (alle) im Ausgangstext vorkommen. Neben Komposita bringt Blumenbach eben- falls andere Wortneubildungsmuster mit ein. Ein Beispiel hierfür ist sirenend (ACO-D: 29), das vom Substantiv Sirene abgeleitet wird. Der Wortartwechsel bei blue von Ad- jektiv zu Verb ist im Deutschen mit blauen (blau werden) bereits ein im Duden einge- tragenes Wort. Die Bedeutung weicht etwas von der im Buch angedeuteten ab: Dort

95 geht es nicht um das Blau-Werden, sondern um das Blau-Scheinen. Insofern kann der Einsatz dieses in diesem Kontext nicht existierenden Worts auch als kreative Sprach- verwendung bezeichnet werden. Weil das Französische wiederum eine eher nicht an Wortneubildungen gewöhnte Spra- che ist, sind diese im Französischen noch ungewöhnlicher als im Englischen (Bußmann 2002: s. v. Komposition). Zwar kommen dieselben Wortneubildungsmuster zum Ein- satz, jedoch ist ihr Gebrauch bei Weitem seltener als im Deutschen (ebda.). So wird to blue auch mit einer existierenden Wendung übersetzt: das Adjektiv bleuté (= bläulich) ersetzt das Verb. Und auch das Kompositum fly-dirted wird zu plein de chiures de mouches (ACO-D: fliegendreckgetüpfelt). Dagegen werden mehrmals Amalgamierun- gen (Wortmischungen) eingeflochten: tripouilles (vermutlich eine Mischung aus tripes und entrailles – jeweils Eingeweide), ricanocher (von ricaner – hämisch lachen und möglicherweise nocher – Fährmann für grin), malenkyscule (vom Russizismus malenky – klein und miniscule). Statt dem Kompositum beer-vomit bedienen sich Belmont und Chabrier der Strategie des Wortartwechsels mit vomi biéreux (ACO-F: 31). Eine Ver- kürzung, wie sie bei decreps vorgenomen wurde, kommt jedoch nicht vor, stattdessen bleibt ein Wortspiel mit déchets (ACO-F: 29) erhalten. Wortneubildungen fungieren einerseits konativ, weil sie illustrierend und ansprechend auf die Leserschaft wirken. Zweitens wird eine besonders starke metasprachliche Funk- tion erfüllt: Wortneubildungen thematisieren indirekt den Code (die Sprache) und len- ken die Aufmerksamkeit darauf. Umso ungewöhnlicher die Wortneubildung ist, desto stärker ist auch die metasprachliche Funktion. Dasselbe gilt auch für die phatische Funktion des Kontakterhaltes. Im Deutschen ist dies weniger der Fall, da die angeführ- ten Wortbildungsstrategien relativ häufig verwendet werden und somit nicht übermäßig auffallen. Im Original und in der französischen Übersetzung dagegen zeigt Alex mit diesen Strategien seine Kreativität. In diesen beiden Versionen erfüllen Wortneubildun- gen also auch eine emotive Funktion.

6.1.3 Onomatopoetika In der ausgewählten Textstelle kommen fünf verschiedene Onomatopoetika vor: „going blerp blerp“, „blurp blurp“ (als Substantiv), „whooshing“, „boohooing“, „whisssssshhhhhhhhh“ (ACO: 19, 20, ebda., 21, 22). Aus whooshing, das im Engli- schen zumindest onomatopoetischen Ursprungs sein dürfte, wird bei Blumenbach raus- schießen (ACO-D: 26). Die Beibehaltung sowohl des lautmalerischen Charakters als

96 auch der durchaus existierenden Wortform ist wahrscheinlich kaum möglich. Ansonsten behält Blumenbach die Onomatopoetika bei: „‚Börpbörp‘ machen“, „Blörpblörp“ (Sub- stantiv), „buhuhuhend“, „wisssscccchhhh“ (ACO-D: 24, 25, 27, 28). Dabei werden sie jeweils in das deutsche Sprachsystem eingepasst. In der französischen Übersetzung wird einem bekannten Wort ein Onomatopoetikon vorgezogen (swoouuush; ACO-F: 31). Die anderen vier Lautmalereien werden ebenfalls übertragen: „faisant hhoc hhoc“, „hhoc hhoc“ (Substantiv), „swoouuush“, „uhu-uhuer“, „en swouissshant“ (ACO-F: 28, 29, 31, 32, 33f.). Auffallend hierbei ist, dass swouuush bzw. swuoissshant eher den Eindruck machen, englischen Ursprungs zu sein als französischen. Eventuell wollten Belmont und Chabrier so auf den englischsprachigen Ausgangstext hinweisen. Da Onomatopoetika keine festgelegte Bedeutung haben, sondern vielmehr mit unter- schiedlichen Bedeutungen aufgeladen werden können, erfüllen sie eine poetische Funk- tion. Zudem dominiert häufig der Klang die Bedeutung, was also die Ästhetik in den Vordergrund und die Bedeutung in den Hintergrund rücken lässt. Gleichzeitig wird eine gewisse Nähe zum Beschriebenen hergestellt; die lautmalerischen Worte wirken unmit- telbarer als eine reine Beschreibung und transportieren leichter Gefühle und Eindrücke.

6.1.4 Kindersprache Die französische Übersetzung hat im ausgewählten Textteil Schwierigkeiten, die im Englischen vorhandenen kindersprachlichen Ausdrücke zu übertragen. Die Verkleine- rung von fist, also fisties, wird mit einem populärem Ausdruck châtaigne (eigentlich coup de poing (TLFi 1994: s. v. châtaigne), d. h. Faustschlag) übersetzt, während im Deutschen ebenfalls die Verkleinerungsform verwendet wird (Fäustchen). Das gleich- ermaßen als Verniedlichung anzusehende cheeky dagegen wird als jouette und somit ebenfalls verniedlichend übersetzt. Auch im Deutschen bleibt die kindersprachliche Komponente mit Bäckchen erhalten. Für die im gesamten Buch mehrmals vorkommen- de Bezeichnung guttiwuts finden die Übersetzenden weder im Deutschen noch im Fran- zösischen eine der Kindersprache zuzuordnende Bezeichnung. Belmont und Chabrier versuchen mit einer Vermischung von zwei Wörtern eine Entsprechung zu finden, die möglicherweise als kindlich verstanden werden kann: tripouilles (siehe dazu den Punkt Wortneubildung). Blumenbach weicht dagegen auf das nicht besonders markierte Ge- kröse aus. Allerdings findet er auf derselben Seite eine Möglichkeit der Kompensation, indem er den ohnehin bereits kindlich anmutenden Lubbilubb mit einer für Kinder typi- sche Konstruktion verbindet: Lubbilubbi machen (ACO-D: 31).

97 Ausdrücke und Konstruktionen, die an den Sprachgebrauch von Kindern erinnern, müs- sen natürlich auf diese Sprachgruppe verweisen. Diese Tatsache ist als referentielle Funktion anzusehen. Erst durch diesen Verweis kann die Kindersprache den Sprechen- den auch an diese Gruppe annähern. Kinder wiederum werden mit Unschuld in Verbin- dung gebracht. Daher fungieren diese Ausdrücke einerseits emotiv (weil sie Alex als einen unschuldigen und vielleicht verspielten Jungen darstellen) und andererseits als konativ (weil die Leserschaft Alex ebendiese Eigenschaften zuschreibt und ihn somit bis zu einem gewissen Grad sympathisch finden kann). Diese Kategorie ist im Französischen etwas abgeschwächt, weil die Diminutiva restrik- tiverem Gebrauch unterliegen (Bally 1965: 249). Folglich wird der Eindruck von Alex‘ Unschuld nicht so stark wiedergegeben wie im Original oder in der deutschen Überset- zung. Allerdings ist dieses Merkmal nicht das einzige, das einen einfachen Sprachge- brauch darstellt (vgl. insbesondere 6.2.2) und auch nicht das einzige, das eine konative Funktion im Sinne eines möglichen Sympathisierens oder einer potentiellen Identifika- tion der LeserInnen mit dem Protagonisten erfüllt (siehe dazu Kapitel 5.2.3.).

6.2 Syntax/Grammatik Als zweite Kategorie wird auch hier die Syntax angeführt. Behandelt werden die Satz- länge, der Satzbau und grammatikalische Abweichungen von der Normalsprache.

6.2.1 Satzlänge ACO ACO-D ACO-F Wörter gesamt 2393 2183 2965 Sätze 96 99 98 durchschnittliche Satzlänge Text- 24,9 22,1 30,3 auszug durchschnittliche 17,5 16,2 − Satzlänge Buch Tabelle 17: Durchschnittliche Satzlänge Textauszug; ACO, ACO-D und ACO-F.

Im Vergleich mit der durchschnittlichen Satzlänge des gesamten Buchs besteht der ge- wählte Ausschnitt aus besonders langen Sätzen, wie die Tabelle zeigt. Ein Grund hierfür könnte sein, dass in diesem Abschnitt vergleichsweise wenig direkte Rede wiedergege- ben wird, die für gewöhnlich kürzere Sätze aufweist als Erzählungen von Alex.

98 Zudem fällt auf, dass die deutsche Übersetzung des Textauszugs am wenigsten Wörter aller drei Versionen aufweist, während die französische Übersetzung ca. ein Fünftel mehr Wörter enthält als das Original. Die Satzanzahl dagegen bleibt beinahe gleich. Möglicherweise wird die Kombination von sehr langen, zum Teil kurzen Sätzen und insbesondere das recht simple Aneinanderfügen von Hauptsätzen zur Markierung von Mündlichkeit bzw. innerem Monolog eingesetzt. Im Textausschnitt kommt relativ we- nig direkte Rede vor, hauptsächlich erzählt Alex selbst. In Funktionen ausgedrückt erfüllt auch die insgesamt lange, aber variierende Satzlänge eine poetische Funktion: Die Sprache an sich wird als gesprochene gekennzeichnet. Auf diese Weise wird eine Intensivierung des Ausgedrückten erreicht. Diese Intensivierung und die Unmittelbarkeit der Mündlichkeit erfüllen eine poetische Funktion.

6.2.2 Einfacher Satzbau Trotz der langen Sätze ist der Satzbau in A Clockwork Orange recht einfach gestaltet. Obwohl die Konjunktoren im ausgewählten Textausschnitt insgesamt elaborierter aus- fallen (beispielsweise kommt im Textausschnitt but dreimal und damit auf eine Million Wörter häufiger vor als im Vergleich mit dem gesamten Buch, in dem but 408-mal ver- wendet wird), enthalten sieben der 96 Sätze and then, weitere 25 then. Sehr häufig greift Burgess auch auf Partizipialkonstruktionen zurück. Auf diese Weise vermeidet er den Einsatz von Konjunktionen, ohne zwei Sätze zu bilden: „Going north we came to the filthy Filmdrome, peeling and dropping to bits through nobody going there much except malchicks like me and my droogs, and then only for a yell or a rarez or a bit of in-out-in-out in the dark.“ (ACO: 24) Zwar ist auch im Deutschen der Einsatz von Parti- zipialkonstruktionen nicht ungewöhnlich, allerdings setzt Blumenbach hier einen Rela- tivsatz ein: „Weiter im Norden kamen wir zum dreckigen alten Filmodrom, das abblätterte und -bröselte, weil da außer Maltschicks wie mir und meinen Droogs kaum noch wer hinging, und auch wir suchten da nur Bambule, Rasurieren oder ein bisschen Rein-raus-rein-raus im Dunkeln.“ (ACO-D: 30). Die französische Version bleibt dagegen ebenfalls nah an der englischen Struktur: Direction nord, on est arrivés à cette vieille saloperie de cinédrome, tout pelé et tombant en miettes vu que personne n’y allait plus beaucoup sauf les maltchiks comme moi et mes drougs – et encore, rien que pour le coup de gueule ou le razrez, ou pour une petite partie de dedans-dehors dans le noir. (ACO-F: 37)

99 Ein besonders herausstechendes Beispiel für die einfache Aneinanderreihung von Sätzen dagegen ist der folgende Satz: „then a bolt drawn, then the door inched open an inch or so, then I could viddy this one glaz looking at me and the door was on a chain“ (ACO: 26). Die dreimalige Wiederholung von then und das Anhängen des letzten Sat- zes mit and zeigen die simple Aneinanderreihung von Sätzen. Blumenbach verwendet eine abwechslungsreichere Formulierung statt der Wiederholung von dann: „und jetzt sluschte ich jemanden kommen, ein Riegel wurde zurückgeschoben, die Tür öffnete sich einen Spalt, und ich viddierte, dass mich ein Glasi ansah und dass die Tür an einer Kette hing“ (ACO-D: 32). Obwohl die Komplexität des Satzes dadurch nicht steigt, zeigt sich doch, dass die Wiederholungen etwas abgeschwächt werden. Burgess hätte ebenfalls then weglassen und die Sätze mit Kommata verbinden können, um die Wie- derholung zu vermeiden. Doch genau das war seine Absicht. Daher wirkt die deutsche Übersetzung – obwohl sie keinen literarischen Stil an den Tag legt – weniger umgangs- sprachlich. Auch die französische Version vermeidet die Wiederholungen und weicht auf eine Konstruktion mit Gerundium aus: „J’ai slouché […] puis qu’on tirait un ver- rou, et la porte s’étant entrebâillé d’un centimètre ou deux, j’ai reluché un seul glaze qui me lorgnait ; la chaîne était mise“ (ACO-F: 39). Weil im untersuchten Abschnitt kaum direkte oder indirekte Rede angeführt wird, kommen auch Abwandlungen von say ‚nur‘ siebenmal vor. In den Übersetzungen wird sagen bzw. dire im Zusammenhang mit der Redeeinleitung ebenfalls siebenmal ver- wendet. Die häufige Verwendung von very wird in beiden Zielsprachen vermieden (siehe für Beispiele den Punkt Wiederholungen von Konstruktionen und Worten weiter unten in diesem Kapitel). Während im Englischen zwölfmal very vorkommt, weicht Blumenbach häufiger auf andere Wörter aus, sodass sehr nur viermal übernommen wird. Die franzö- sische Version weist acht très und damit ebenfalls weniger als im Original auf. Statt die Wiederholung zu übernehmen, weicht Blumenbach viermal auf voll und ein weiteres Mal auf super- aus. Siebenmal überträgt er die Verstärkung nicht oder umschreibt sie (etwa einmal mit einem Superlativ, einmal als riesengroß). Obwohl laut Tabelle 18 die Verwendung von sehr im Deutschen Referenzkorpus häufiger ist als im Englischen, entscheidet sich der Übersetzer für idiomatischere oder ‚schönere‘ Strategien, sodass schließlich im deutschen Textausschnitt sehr nur 1,2-mal häufiger vorkommt als im Vergleichskorpus (zu 5,9-mal häufiger im Auszug von ACO im Vergleich zum normal- sprachlichen Korpus). Die französische Version enthält immerhin acht Nennungen von

100 très, jeweils eine Verstärkung mit extra- bzw. tout ce qu’il y a de sowie Auslassungen. Trotzdem ist die Frequenz von très fast doppelt so hoch wie im Referenzkorpus und somit jedenfalls stärker ausgeprägt als in der deutschen Übersetzung (wenn auch nicht annähernd so häufig wie im englischen Original). Wie bereits mehrmals angesprochen wurde, liegt dies zum Teil an der grundsätzlichen Vermeidung von Wiederholungen im Französischen. Des Weiteren ist die Anzahl der verwendeten Konjunktionen bezeichnend: Während Burgess mit zehn unterschiedlichen auskommt (darunter besonders häufig so, aber auch that und when), sind es im Französischen elf und bei Blumenbach vierzehn. Dagegen trennt Blumenbach 28-mal Hauptsätze mit Kommata voneinander ab. Im Vergleich da- zu sind acht Kommata in ACO und ACO-F nur wenig. Ebenfalls auffällig ist die Tren- nung von Hauptsätzen mit Strichpunkt: Während dieses Satzzeichen bei Burgess gar nicht vorkommt, setzt es Blumenbach dreimal ein und Belmont und Chabrier achtmal. Lemma said/sagte/ very/sehr/ then/dann/ but/aber/ and/und/et Korpus dit très puis mais enTenTen15 828,00 752,00 27 875,10 527,50 2 268,30 ACO 7 671,81 5 069,32 29 675,86 4 045,59 5 032,32 ACO Aus- 2 205,88 4 411,76 40 441,18 6 617,65 6 250,00 zug deTenTen13 176,80 1 350,00 23 599,00 1 682,20 2 957,10 ACO-D 8 773,76 1 635,79 37 117,45 4 029,98 6 245,72 ACO-D 2 739,73 1 565,56 43 835,62 3 131,12 6 653,62 Auszug frTenTen12 600,00 1 258,80 18 656,20 426,70 3 441,90 ACO-F 1 497,45 2 395,93 31 007,75 2 395,93 4 791,85 Auszug Tabelle 18: Häufigkeiten ausgewählter Lemmata in ACO, ACO-D und ACO-F. Jeweils im Vergleichs- korpus, im gesamten Werk und im Textauszug. Errechnet mit Sketch Engine.

In erster Linie trägt der Satzbau zur Etablierung von Mündlichkeit bei. Dadurch entsteht für die LeserInnen ein Eindruck von Unmittelbarkeit – es handelt sich daher um eine poetische Funktion. Der besonders im Englischen auffallende einfache Satzbau nähert Alex an einen kindlichen Sprachgebrauch an, auch hier wird also eine konative Funkti- on in den Vordergrund gestellt, weil der Protagonist dadurch nahbar wird. Obwohl sowohl im Deutschen als auch im Französischen mehr Konnektoren eingeführt und abwechslungsreicher verwendet werden, bleibt die Nahbarkeit des Protagonisten im selben Maß ausgeprägt. Die so ausgedrückte Mündlichkeit seiner Aussagen ist zwar im Ausgangstext stärker vorhanden, in den Übersetzungen aber trotzdem bemerkbar und eindeutig zu erkennen. Die komplexeren Satzstrukturen könnten eventuell auch darauf zurückzuführen sein, dass die Übersetzungen aus mehr Wörtern, aber etwa gleich vielen

101 Sätzen bestehen (siehe dazu den vorherigen Punkt Satzlänge). Das heißt, die Sätze fal- len insgesamt länger aus. Im Französischen ist der Grund für den komplexeren Satzbau vor allem die literarisierende Rede: Satzkonstruktionen werden verkompliziert, um ei- nen gehobeneren Stil zu erreichen und Alex somit als überlegen darzustellen (siehe 6.3.1).

6.2.3 Grammatikalisch fehlerhafte Verwendung von like Wie bereits in Kapitel 3.2.3 aufgezeigt wurde, kommt like in A Clockwork Orange nicht nur in korrekten Konstruktionen vor, sondern wird auch fehlerhaft eingesetzt. Zu nen- nen ist hier beispielsweise der Einschub von like zwischen Artikel und Adjektiv. Im vorliegenden Kapitel ist ein Beispiel „in these like small numbers“ (ACO: 21). Like soll hier wohl nicht nur als Marker von Mündlichkeit fungieren, sondern auch als Zeichen von Alex‘ Idiolekt oder Soziolekt. Es gibt keine Entsprechung einer solch ausgeprägten Verwendung von like in der Realsprache (vgl. die Definitoinen in OED online 2018: s. v. like). Aufgrund dieser ungewöhnlichen und als falsch zu bezeichnenden Sprach- verwendung wird die Aufmerksamkeit auf den Code gelenkt und somit eine meta- sprachliche Funktion erfüllt. Weder die deutsche noch die französische Übersetzung finden einen Weg, die ungram- matikalische Verwendungsweise dieses (mittlerweile) überaus typischen englischen Worts zu übertragen. Eine Möglichkeit der Übersetzung wären übermäßig häufig und teilweise grammatikalisch falsch eingesetzte Füllwörter. Die deutsche Übersetzung ent- hält teilweise quasi, das aber an keiner Stelle falsch eingesetzt wird. Zwar ist die Ver- wendung teilweise etwas ungewöhnlich, doch nicht falsch und auch nicht so häufig wie im Ausgangstext (aber doch häufiger als in der Normalsprache mit einer Häufigkeit von 297,42 zu 33,3 pro einer Million Wörter – errechnet mit Sketch Engine). In der franzö- sischen Übersetzung wird teilweise versucht, die Vagheit, die das englische like aus- drückt, zu übertragen (siehe dazu den Punkt Wiederholungen von Konstruktionen und Worten in Kapitel 5.2.2), allerdings nicht auf eine ebenso ungrammatikalische Weise – im Gegenteil: Belmont und Chabrier ‚normalisieren‘ like und passen es mittels unter- schiedlicher Übertragungen an die französische Sprache an. So wird aus „so that like two curtains of blood“ das grammatikalisch korrekte „de sorte que deux rideaux de sang semblaient ruisseler“ und aus „this blood poured in like red curtains“ „rouge coulait ce sang comme deux rouges rideaux“ (ACO-F: 34, 35; Hervorhebungen von K. K.). Im Deutschen wurden beide Verwendungen ausgelassen: „so dass gleich zwei

102 Blutschleier hervorquollen“ und „Das Blut floss in roten Strömen“ (ACO-D: 28). Wenn gleich auch als Übersetzung von like angesehen werden könnte, so fällt es im Deutschen nicht auf, weil es als zeitliches Adverb interpretiert wird. Diese Ignoranz bzw. Glättung in den Übersetzungen führt dazu, dass eine ungewöhnli- che Sprachkomponente verloren geht. Die Unterbrechung des Leseflusses ist weder in der deutschen noch in der französischen Funktion vorhanden. Folglich ist auch die Aufmerksamkeit der Leserschaft nicht mehr gleichermaßen gegeben.

6.3 Stilfiguren Die letzte Kategorie sind die Stilfiguren. Wie bereits mehrmals erklärt wurde, sind ins- besondere hier die Grenzen zu anderen Überkategorien oder Merkmalen fließend. Die Einteilung dient in erster Linie der Übersichtlichkeit und ist nicht unumstößlich.

6.3.1 Archaisierende Rede Wie bereits in den vorherigen Kapiteln deutlich wurde, unterscheiden sich das Original und die Übersetzungen in diesem Punkt. Ein Grund dafür ist, dass ein Äquivalent von Early Modern English nicht ohne Weiteres in anderen Sprachen gefunden werden kann. Insbesondere im Französischen zeigt sich ein Problem, weil die Entwicklung dieser Sprache keine gänzlich gleich gelagerte Entsprechung aufweist. Während im Englischen anhand weniger typischer Verb- oder Pronomenformen archaisierende Rede ausge- drückt werden kann, sind solche eindeutigen Verweise im Französischen nicht im glei- chen Maße vorhanden (vgl. 5.2.2). Um sich dem archaisierenden Ton des Englischen anzunähern, bedienen sich Belmont und Chabrier daher eines eher literarischen Stils. In Frankreich waren es auch vorrangig Schriftsteller und die Académie française, nicht die Bibel, die zur Verbreitung und Vereinheitlichung der Sprache beitrugen. Dabei verwen- den sie zum einen Interjektionen und zum anderen Konstruktionen, die einen gehobene- ren Ton andeuten. So wird aus „Well, if it isn’t fat stinking billygoat Billyboy in poison. How art thou, thou globby bottle of cheap stinking chip-oil? Come and get one in the yarbles, if you have any yarbles, you eunuch jelly, thou.“ (ACO: 21 ; Hervorhebungen von K. K.) „Ma parole, mais c’est ce gros bouc puant de Willaid en personne. Comment vas-tu, O toi, espèce de fiole puante d’huile de glaviot au rabais ? Amène-toi que je t’en colle un dans les yarbilles, pour peu que t’en aies, O toi, espèce de gelée d’eunuque“ (ACO-F: 32; Hervorhebungen von K. K.). Die Wörter an sich sind zwar eher am unte- ren Register angesiedelt bzw. als salopp zu bezeichnen (insbesondere s’amener; TLFi

103 1994: s. v. amener), die Anrufung mit O dagegen wirkt literarisch/poetisch und die um- ständliche Aneinanderreihung von beschreibenden Substantiven (de … de .. de .. au) weist ebenfalls auf eine eher gehobene Stilart hin. Die vergleichsweise umständliche Subjunktivkonstruktion soll ebenfalls einen gehobenen Ton andeuten. Zwar ist der Sub- junktiv keineswegs literarisch markiert, sondern allgemeinsprachlich bekannt, allerdings wäre an dieser Stelle auch ein einfacherer Satzbau möglich gewesen. Die Mischung aus niedrigem Register und gehobenem Stil lässt somit einen Kontrast entstehen, der die Aussage noch auffälliger macht. Die deutsche Übersetzung schafft es an dieser Stelle nicht, einen archaisierenden oder literarisierenden Aspekt einzubringen, stattdessen rutscht Blumenbach tendenziell in eine umgangssprachliche Variante ab: „Na, wenn das nicht der fette Stinker Billigbock Billyboy höchstperversönlich ist. Wie geht’s, wie steht’s, du klebrige Flasche billiges stinkendes Frittenfett? Komm und hol dir einen Tritt in die Jarbeln, falls du überhaupt Jarbeln hast, du schwabblige Eunuchenwampe, du“ (ACO-D: 27; Hervorhebungen von K. K.). An anderer Stelle hingegen schafft es Blumenbach durchaus gekonnt, die archaisierende Rede mittels Archaismen wiederzugeben. Dabei verwendet er einerseits (wie auch das französische Übersetzerpaar) Interjektionen (o glupiger Sohn) und andererseits veral- tende Begriffe (geziemen, wacker, fürbass). Für die veraltete Form a-coming dagegen ist keine Entsprechung im Deutschen vorhanden. Stattdessen wendet er erneut die Stra- tegie der Kompensation an, indem er an anderer Stelle eine eindeutig höhere und veral- tende Stilebene anwendet als Burgess: „sie hielten mit ihrem Tun und Treiben inne; ihr Tun hatte darin bestanden […]“ (ACO-D: 26) für „stopped what they were doing, which was […]“ (ACO: 21). Wie bereits in den vorangehenden Kapiteln (3.2.3, 4.2.2, 5.2.2, jeweils unter dem Punkt Stilfiguren) festgestellt wurde, bedient sich Alex der archaisierenden Rede fast aus- schließlich im Dialog mit anderen. Damit möchte er seine Überlegenheit dem Ge- sprächspartner gegenüber ausdrücken (emotive Funktion). Gleichzeitig erinnert Early Modern English insbesondere an Shakespeare und die King James Bible (referentielle Funktion). Dagegen ist die Referenz im Französischen verschoben. Mit Interjektionen wird eher auf Poesie oder epische Dramen verwiesen. Eine direkte Entsprechung der King James Bible gibt es im Französischen nicht. Ansonsten versuchen Belmont und Chabrier besonders über gehobene Satzstrukturen einen literarischen Ton zu schaffen. Allerdings sind Konstruktionen mit Subjunktiv nicht wirklich literarisch, sondern in den meisten Fällen standardsprachlich. Die ausschweifenden Beschimpfungen mit einer

104 Aneinanderreihung von Substantiven kann dagegen eher auf einen solchen literarischen Ton hinweisen. Die deutsche Übersetzung wiederum kann durch die Verknüpfung der deutschen Sprache und der Lutherbibel eine ähnliche Referenz herstellen wie der engli- sche Ausgangstext. Zwar ist die Verbindung nicht so deutlich wie im Englischen, aber jedenfalls vorhanden. Deutlich wurde, dass in allen drei Versionen in erster Linie eine emotive Funktion er- füllt wird, obwohl die archaisierende Rede in den Übersetzungen etwas abweicht (als literarische Rede im Französischen und als Archaismen im Deutschen). Die Stilschicht weist auf Alex‘ Bildung hin und er drückt seine (geistige) Überlegenheit gegenüber an- deren aus. Im Zentrum steht die als gehoben wahrgenommene Sprache, die dem Spre- cher eine solche Überlegenheit zuschreiben lässt. Aufgrund der gewöhnlicheren Stilebene der literarisierenden Rede fällt die Selbstdarstellung als überlegen im franzö- sischen Zieltext schwächer aus. Die referentielle Funktion wird im Englischen am stärksten erfüllt. Auch im Deutschen wird auf die Bibel verwiesen, während diese Funk- tion im Französischen stark in den Hintergrund rückt, weil eher auf eine literarische Stilebene als auf ein konkretes Werk oder einen konkreten Autor verwiesen wird.

6.3.2 Wortspiele, Metaphern Ein weiteres zentrales Merkmal von Alex‘ Rede ist die Kreativität und Bildlichkeit. Sie drücken sich in erster Linie in Wortspielen und Metaphern aus. Im Englischen sind hierzu auch die Rhyming-Slang-Ausdrücke zu zählen. Das im Textbeispiel vorkom- mende hound-and-horny steht für corny (etwa: kitschig). Sowohl Blumenbach als auch Belmont und Chabrier versuchen diese Besonderheit der englischen Sprache mit um- gangssprachlichen bis gruppensprachlichen Ausdrücken wiederzugeben: voll stumpf bzw. à la con. Beide Entsprechungen gelten als umgangssprachlich/salopp bzw. populaire (Duden 2018: s. v. voll, LaRousse o. D: s. v. con). Ein weiteres Wortspiel baut Burgess bei der Begrüßung von Alex‘ Erzfeind Billy ein: „fat stinking Billygoat in poison“ (ACO: 21) wird im Deutschen zu „der fette Stinker Billigbock Billyboy höchstperversönlich“ (ACO-27) und „le gros bouc puant de Willaid en personne“ (ACO-F: 32). Während Blumenbach auf ein anderes Wortspiel auswei- chen muss, hätte das französische Übersetzerpaar durchaus en poison einbauen können. Blumenbach gelingt auch mit Kompostis ein weiteres Wortspiel: Statt ein Äquivalent der Verkürzung von decrepit (heruntergekommen/klapprig) einzusetzen, vergleicht er ältere Menschen mit Kompost. Auch im Französischen wird die Verbindung zu Abfall

105 mit viokchos déchets (viokcho vermutlich vom Argot-Ausdruck vioc für alt (TLFi 1994: s. v. vioc, vioque) und einer russisch anmutenden Endung) hergestellt. Des Weiteren ist Alex‘ Sprachverwendung sehr bildlich. Vom „big night-war“ über „curtains of blood“ bis hin zum Auto, das „ate up the road like spaghetti“ (ACO: 21, 23 25). Das Deutsche nimmt diese Bilder auf und gibt sie wieder: „der große Nachtkrieg“ „Blutschleier“ und „saugte die Straße ein wie Spaghetti“ (ACO-D: 27, 28, 31). Auch im Französischen bleiben die Bilder erhalten: „la grande guerre de nuit“, „deux rideaux de sang“, „bouffait la route comme qui dirait des spaghetti“ (ACO-F: 31, 35, 38). Diese kreative Sprachverwendung erfüllt wegen des Ausdrucks von Kreativität und Fantasie eine emotive Funktion. Gleichzeitig dienen Metaphern der Illustration und sind somit auch als konativ einzuordnen. Insbesondere Wortspiele können auch der poeti- schen Funktion zugeordnet werden, da sie häufig auch mit Polysemie einhergehen (et- wa: ultra-violent/Vergewohltätigung/ultra-violence für Vergewaltigung). Wortspiele lenken zudem die Aufmerksamkeit auf den Code und stellen somit eine metasprachliche Funktion dar. Besonders ungewöhnliche und auffällige Wortspiele und Metaphern kön- nen außerdem dem Kontakterhalt dienen.

6.3.3 Wiederholungen von Konstruktionen und Worten Die Dopplung von very (in Zusammenhang mit neat und razdraz) wird weder im Deut- schen noch im Französischen übernommen. Stattdessen formuliert Blumenbach eine Verstärkung mit super („supersauber“; ACO-D: 27) und mit voll („voll rasdraschiert“; ACO-D: 28), während Belmont und Chabrier toute ce qu’il y a de und raide („tout ce qu’il y a de net“ und „raide razedraze“; ACO-F: 33) verwenden. Die Tendenz des Fran- zösischen zu mehr Abwechslung in der Sprache kann an dieser Stelle bestätigt werden. Im Deutschen könnte Blumenbach eine idiomatischere Wendung gesucht haben. Dabei driftet er allerdings mit voll stumpf eher in die Umgangssprache ab (siehe dazu auch den vorherigen Punkt Wortspiele, Metaphern). Eine dreimalige Wiederholung kommt im Textauszug mit „out and out and out“ (ACO: 22) vor, die in beiden Übersetzungen wiedergegeben wird: „weg und weg und weg“ (ACO-D: 28) bei Blumenbach und das „raide kâo, out, out, out“ bei Belmont und Chabrier (ACO-F: 34) (hier verweist das Übersetzerpaar erneut auf die Ausgangsspra- che; außerdem fügt es einen französischen Zusatz an, vermutlich um das Verständnis für die Leserschaft zu erleichtern.).

106 Die typische Verbindung von going + Geräusch kommt in diesem Abschnitt zweimal vor („going blerb blerb“, „going ‚Oh oh oh‘“; ACO: 19, 21). Blumenbach hält die Wie- derholung ein und verwendet die Konstruktion mit machen + Geräusch („‚Börpbörp‘ machen“, „machte ‚Oh oh oh‘“; ACO-D: 24, 27). Belmont und Chabrier wenden eben- falls einmal die Kombination von faisant + Geräusch an („faisant hhoc hhoc“; ACO-F: 28), einmal jedoch formulieren sie um: „tout en continuant à gueuler ‚Uhu, uhu, uhu‘“ (ACO-F: 32). Zu den Wiederholungen gehören außerdem die unter Direkte Leseransprache (Kapitel 6.3.5) angeführte und immer wieder vorkommende Konstruktion. In diesem Textaus- schnitt kommt außerdem die Konstruktion the old + Substantiv vor. Im Deutschen wird diese an einer Stelle ausgelassen und an anderer Stelle mit „auf den alten Überra- schungsbesuch“ (ACO-D: 31) übersetzt. Die französische Version übernimmt beide Nennungen in Form von Substantiv + des familles. Das sich im gesamten Buch ständig wiederholende like in verschiedenen Funktionen wird im Französischen auf unterschiedliche Arten wiedergegeben. Die ungewöhnlichen like-Konstruktionen im Textausschnitt werden ‚normalisiert‘, also in eine wenig fremd- artige Konstruktion verändert; der deutsche Zieltext enthält meist keine Entsprechung oder eine grammatikalisch korrekte Verwendung von quasi (siehe dazu Kapitel 6.2.3). Weitere Wiederholungen (insbesondere von Konstruktoinen) können in Kapitel 6.2.2 nachgelesen werden. Wird ein Wort direkt hintereinander wiederholt, hat das eine intensivierende Wirkung und erfüllt also eine poetische Funktion. Ebenfalls diesem Punkt zuzuordnen ist die Etablierung eines Rhythmus durch Wortwiederholungen (vgl. hierzu den nächsten Punkt 6.3.4). Zudem fungiert dieses Stilmittel teilweise auch metasprachlich, weil Lese- rInnen eventuell kurz daran hängen bleiben und auf den Code zurückgeworden werden. Dieses Stocken im Lesefluss mag im Französischen grundsätzlich stärker sein, wenn Wortwiederholungen vorkommen, jedoch ist diese Besonderheit in L’Orange mécanique weniger ausgeprägt als im Ausgangstext oder in der deutschen Übersetzung.

6.3.4 Reim/Rhythmus Zwei in Bezug auf den Rhythmus besonders herausstechende Passagen sind die fol- genden: „all creased and untidy and covered in cal and mud and filth and stuff“ (ACO: 19) und „This would be real, this would be proper, this would be the nozh, the oozy, the britva, not just fisties and boots“ (ACO: 21). Im ersten Beispiel ist die Betonung sehr

107 regelmäßig, man könnte fast von einem beinahe genau realisierten Daktylus (X x x) mit darauffolgendem Jambus (X x) ausgehen: x X x x X x x X x x X x X x X x X. Der zweite Satz spielt auch mit der Wiederholung der Satzanfänge (this would be …). Zu- dem wird auch hier eine regelmäßige Abwechslung von betonten und unbetonten Silben deutlich: X x x X | X x x X x | X x X x X x X x x X x | X x X x x X. Der vorgebrachte Satz ist auch im Deutschen rhythmisch gestaltet: „Jetzt wurde es ernst, jetzt wurde es amtlich, jetzt kamen Nosch, Uschi und Britwa zum Einsatz, nicht nur Fäustchen und Stiefel.“ (ACO-D: 26; rhythmische Realisierung: X X x x X | X X x x X x | X x x X – X x x X x x X x | X x X x x X x). Vor allem die besonders stark be- tonten Satzanfänge und die Wiederholung von jetzt und die anschließende Folge von einem zweisilbigen Wort sind hier markant. Weniger markant, aber durchaus als rhythmisch auffällig zu bezeichnen, ist dieser Satz auch in der französischen Übersetzung: „Ça serait du vrai, du sérieux, au nodz, à l’oudzy, au britva, pas seulement à la châtaigne ni à la botte“ (ACO-F: 32). Da das Französische zu den Sprachen mit silbenzählender (und nicht mit akzentuierender) Verslehre gehört, ist die Silbenaufteilung ausschlaggebend für den Rhythmus. Hier sieht diese wie folgt aus: x x x x x | x x x | x x | x x x | x x x | x x x x x x x (x) | x x x x. Auf den ersten Blick ist die Regelmäßigkeit nicht unbedingt erkennbar, doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Einheiten zwischen den Pausen recht kurz und die Sil- benzahl ähnlich ist. In dem Textauszug kann in der französischen Übersetzung keine so starke Minderung der rhythmischen Merkmale festgestellt werden, wie sie in Kapitel 5.2.2 aufgezeigt wurde. Trotzdem ist festzuhalten, dass die englische und die deutsche Version nicht nur mit der passenden Anzahl und Betonung von Silben arbeiten, sondern auch lautliche Merkmale miteinbeziehen (etwa die Wiederholung des Satzanfangs – this would be bzw. jetzt wurde; im Französischen muss aufgrund der grammatikalischen Regeln je- weils eine Änderung des Satzbeginns folgen). Primär fungieren Reim und Rhythmus poetisch. Hierbei wird die ästhetische Kompo- nente in den Vordergrund gerückt. Andererseits unterstreicht der Rhythmus zum Teil auch Aussagen und intensiviert sie. Daher wird auch hier eine poetische Funktion er- füllt.

108 6.3.5 Direkte Leseransprache In dem relativ kurzen Ausschnitt kommt in allen Sprachen fünfmal die Leseransprache mittels (o) my brothers, (o) meine Brüder und (O) mes frères vor. Die Intensität dieses Merkmals ist in allen drei Versionen etwa gleich stark ausgeprägt.

Korpus Vorkommen Score37 enTenTen15 24 102 1,30 ACO Auszug 5 1 838,24 deTenTen13 11 028 0,60 ACO-D Auszug 5 1 956,95 frTenTen12 40 353 3,50 ACO-F Auszug 5 1 497,45 Tabelle 19: Direkte Leseransprache in den Textauszügen von ACO, ACO-D, ACO-F sowie in den Ver- gleichskorpora. Errechnet mit Sketch Engine.

Die Funktion dieser Ansprache ist in erster Linie die Erhaltung des Kontakts, also die phatische. Gleichzeitig wird dadurch jedoch eine Komplizenschaft (zumindest ver- suchsweise) hergestellt. Das entspricht wiederum der konativen Funktion.

Nachdem die einzelnen Nadsat-spezifischen Merkmale nun analysiert und in den ein- zelnen Sprachen gegenübergestellt wurden, werden die Ergebnisse im nächsten Kapitel zusammengefasst. Im Zuge dessen wird auch aufgezeigt, in welchen Funktionen bzw. Merkmalen sich die Zieltexte vom Ausgangstext unterscheiden. Darüber hinaus wird eruiert, aus welchem Grund diese Abweichungen bestehen. Zudem wird darauf einge- gangen, ob die deutsche und französische Übersetzung als dem englischen Original als äquivalent bezeichnet werden können und welche Abweichungen auf Ebene der erfüll- ten Funktionen und der entsprechenden linguistischen Merkmale auftreten.

37 Der Score entspricht der Frequenz, also der Häufigkeit eines Worts pro einer Million Wörter.

109 7 Ergebnisse und Schlussfolgerungen In den Kapiteln 3.2, 4.2 und 5.2 wurden anhand der übersetzungsrelevanten Ausgangs- textanalyse nach Nord jene sprachlichen Elemente herausgearbeitet, die für die hier un- tersuchte fiktionale Sprachvarietät Nadsat merkmalhaft sind. Daraufhin wurden einerseits jeweils die von ihnen im Einzelnen erfüllten Funktionen und andererseits, ebenfalls in Anlehnung an die W-Fragen nach Nord, die Hauptfunktionen eruiert. Im vorangehenden Kapitel 6 wurde ein in Bezug auf die festgehaltenen Merkmale mög- lichst exemplarischer Textauszug untersucht. Um die Aussagen mit Zahlen zu belegen, wurde das Korpus-Analyse-Tool Sketch Engine (zur Erklärung siehe Kapitel 1.2 sowie die einzlenen Analysekapitel) verwendet. In diesem Kapitel sollen nun die Ergebnisse der Analysen nochmals komprimiert dargestellt und mit der Theorie in Verbindung ge- bracht werden. Zu Beginn werden die einzelnen Abweichungen von den als merkmalhaft identifizierten sprachlichen Elementen sowie die Invarianzen angeführt. Dabei soll deutlich werden, welche linguistischen Merkmale von Nadsat in den Übersetzungen berücksichtigt wur- den – also welche selektiert wurden und wie. Anschließend wird darauf aufbauend ge- zeigt, welche kommunikativen Funktionen und sprachlichen Merkmale von Blumenbach in Clockwork Orange (ACO-D) sowie von Belmont und Chabrier in L’Orange mécanique (ACO-F) als dominant erkannt und übertragen wurden.

7.1 Abweichungen Anfangs werden jene sprachlichen Merkmale aufgelistet, die in der deutschen bzw. französischen Übersetzung von jenen des englischen Ausgangstexts abweichen. Die Reihenfolge lässt keine Schlüsse auf die Relevanz der genannten Elemente zu. Genaue- re Informationen zu den einzelnen Merkmalen sind den Kapiteln 3.2.3, 4.2.2, 5.2.2 so- wie der Beispielanalyse in Kapitel 6 zu entnehmen.

Kindersprache Die kindersprachlichen Elemente, die gleich drei Funktionen erfüllen (emotiv, konativ und referentiell), sind in der Übersetzung von Belmont und Chabrier nicht so stark ver- treten. Der Grund dafür liegt vor allem im spärlichen Vorkommen von Diminutiva, de- ren Verwendung im Französischen restriktiver ist als im Deutschen und im Englischen. Folglich zeigt sich in Alex‘ Sprache weniger Kindlichkeit und Unschuld, was mit dem

110 Empfinden von Sympathie und mit dem Ermöglichen von Identifikation mit dem Prota- gonisten in Zusammenhang steht.

Wortneubildung Die deutsche Übersetzung weicht in der Kategorie der Wortneubildungen von den ande- ren beiden ab: Da insbesondere Komposition in der deutschen Sprache häufig eingesetzt wird, ist sie weniger auffällig, und die konative sowie metasprachliche Funktion, die die Wortneubildung im Englischen und Französischen erfüllt, nicht gleichermaßen domi- nant. Der Übersetzer Blumenbach ist sich dessen aber scheinbar bewusst und versucht, diesen Umstand durch noch häufigere Komposita, auch in Verbindung mit Russizismen, zu kompensieren. Dagegen kommen Wortneubildungen im französischen Textaus- schnitt seltener vor. Da aber ihre Verwendung in der Normsprache auch ungewöhnli- cher ist, bleibt die Intensität und Auffälligkeit dieses Merkmals erhalten.

Einfacher Satzbau Der einfache Satzbau, der vor allem die gesprochene Sprache der Erzählung nachzeich- nen soll, ist grundsätzlich durchaus auch in den Übersetzungen vorhanden. Wie die Bei- spielanalyse gezeigt hat, tendieren sowohl der französische als auch der deutsche Text zu einer komplexeren und deutlicheren Formulierung von Satzzusammenhängen und insbesondere die französische Übersetzung zur Vermeidung von Wiederholungen. Die ausgefeiltere Satzverbindung und Satzstruktur im Allgemeinen ist möglicherweise auch im Sprachsystem begründet. Relevanter ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass das französische Übersetzerpaar Belmont und Chabrier mit literarisierender Rede die archa- isierende im Original nachzeichnen wollen. Dies geht auch mit einem komplizierteren Satzbau einher. Insgesamt kann aber keine signifikante Schwächung der konativen Funktion im Sinne der Nahbarkeit festgestellt werden. Auch die poetische Funktion, die unter anderem durch den Rückgriff auf mündliche Elemente im literarischen Text erfüllt wird, wird durch den etwas elaborierteren Satzbau zwar leicht, aber nicht ausschlagge- bend geschwächt.

Grammatikalisch fehlerhafte Verwendung von like Die ungewöhnliche bzw. falsche Verwendung von like ist weder im Deutschen noch im Französischen umgesetzt. Blumenbach setzt teilweise quasi ein, findet aber keine gleichermaßen ungrammatikalische bzw. ungewöhnliche Entsprechung und Belmont

111 und Chabrier passen die Übersetzung jeweils an den konkreten Kontext an. Abge- schwächt wird dadurch die metasprachliche Funktion: Eine grammatikalisch falsche Sprachverwendung unterbricht den Lesefluss und lässt die Lesenden auf den Code auf- merksam werden.

Archaisierende Rede Abweichungen vom Ausgangstext sind vor allem bei der referentiellen Funktion festzu- stellen: Einerseits ist insbesondere die französische Übersetzung nicht im Stande, eine ähnlich gelagerte Referenz herzustellen, wie es Burgess mit seiner Evokation des Early Modern English erreicht – nämlich der King James Bible. Ein teilweise literarisierender Stil kann festgestellt werden, er verweist aber nicht so eindeutig auf ein Werk wie es die archaisierende Sprache im Englischen tut. Die Stilfigur des Early Modern English wur- de von Belmont und Chabrier durchaus erkannt. Da im Französischen jedoch keine gleich auffällige Entsprechung existiert, die gleichzeitig auf eine veraltete, aber als ge- hoben wahrgenommene Form der Sprache sowie auf die Bibel (und auf den klassischen Schriftsteller der englischen Sprache – Shakespeare) verweist, verzichten sie weitestge- hend auf die Bibelreferenz und wenden einen literarisierenden Stil als Kompensation an. Im Deutschen ist die Verknüpfung zwischen dem Frühneuhochdeutschen und der Bibel gegenwärtiger: Luther trug mit seiner Bibelübersetzung zur Verbreitung und Vereinheit- lichung der deutschen Sprache bei (Bußmann 2002: s. v. Deutsch). Damit ist auf dieser Ebene eine Parallele zu Burgess‘ Einsatz von Archaismen gegeben. Blumenbach setzt Archaismen ein, die auf eine ältere Sprachform hinweisen und holt teilweise nicht um- gesetzte archaisierende Rede an anderer Stelle nach. Die Kompensation der archaisierenden durch literarisierende Rede im Französischen kann die Überlegenheit Alex‘ gegenüber seinen Gesprächspartnern nicht im selben Ma- ße ausdrücken. Zwar weist die höhere Stilebene durchaus auf Bildung und Intellekt hin, jedoch nicht im gleichen Ausmaß wie im Ausgangstext.

Wiederholungen von Konstruktionen und Worten Ebenfalls abgeschwächt wird die metasprachliche Funktion im Französischen in Bezug auf Wiederholungen. Die französische (Literatur-)Sprache ist grundsätzlich Wiederho- lungen gegenüber weniger aufgeschlossen. Anstatt bspw. ein Substantiv zweimal zu verwenden, wird auf ein Synonym ausgewichen. Dasselbe gilt auch für Konstruktionen. Wie bereits weiter oben aufgezeigt wurde, wird etwa like auf verschiedene Art und

112 Weise übertragen. Auch very – insbesondere die zweifache Wiederholung – wird im Französischen nicht mit der Eins-zu-Eins-Entsprechung très très, sondern abweichend übersetzt. Das doppelte very formuliert auch Blumenbach um. Damit einhergehend nimmt auch die poetische Funktion ab.

Reim/Rhythmus Im Textausschnitt steht die deutsche Übersetzung der englischen in rhythmischer Hin- sicht um nichts nach. Die besonders auffällige Passage wird auch im Deutschen regel- mäßig und beinahe metrisch übertragen. Die französische Entsprechung versucht zwar teilweise, die regelmäßigen Strukturen nachzuahmen, hat damit aber weniger Erfolg (zum Teil wegen des weniger offensichtlichen Rhythmus; vgl. Punkt Reim/Rhythmus in Kapitel 5.2.2). In erster Linie wird dabei die poetische Funktion abgeschwächt.

7.2 Invarianzen Hier werden in Ergänzung zum vorherigen Kapitel kurz jene bereits identifizierten sprachlichen Merkmale angeführt, die in den Zieltexten ebenfalls vorkommen und auch dieselben kommunikativen Funktionen wie im Original erfüllen. Für detailliertere Be- schreibungen, Beispiele etc. können die jeweiligen Punkte in den Kapiteln 3.2.3, 4.2.2, 5.2.2 und 6 konsultiert werden.

Russizismen Die auffälligste und am meisten kommunikative Funktionen erfüllende Kategorie der Russizismen ist in allen drei Versionen etwa gleich stark vertreten. Sowohl der Autor als auch die Übersetzer sowie die Übersetzerin betten die russischstämmigen Wörter in das jeweilige Sprachsystem der Zielsprachen ein. Diese Anpassung führt auch teilweise zu Änderungen im (vermeintlich russischen) Wortschatz, um zu vermeiden, dass ein im Zieltext eingeführter Russizismus Ähnlichkeiten mit der Zielsprache aufweist, die zu ungewünschten Konnotationen oder Missverständnissen führen können. Demnach bleiben auch die von den Russizismen erfüllten Funktionen erhalten. Zu be- rücksichtigen sind die Veränderungen der weltpolitischen Lage seit den 60er-Jahren und die damit einhergehenden Veränderungen auf Ebene der Assoziationen bzw. Konnotati- onen mit der russischen Sprache. Allerdings können diese kaum eindeutig und objektiv festgestellt werden, da sie wohl bereits von Person zu Person und auch im zeitlichen Verlauf stark variieren. Eindeutige Veränderungen sind jedenfalls die weniger drasti-

113 sche Aufteilung in West und Ost sowie der Zerfall der Sowjetunion, die zu jener Zeit sicherlich mit der russischen Sprache assoziiert wurde. Der Kommunismus in Russland ist einem recht autokratischen System gewichen, das mit Sicherheit ebenfalls Assoziati- onen weckt, jedoch keine so eindeutigen mehr wie zur Zeit der Publikation von A Clockwork Orange und daher auch von L’Orange mécanique.

Onomatopoetika Die Wiedergabe von Lauten bleibt in allen Sprachen etwa gleich erhalten und erfüllt auch dieselbe Funktion, nämlich die poetische (Klang über Bedeutung, Herstellung von Nähe zum Geschehen, Intensität). Belmont und Chabrier zeichnen hier teilweise die englischen Laute nach, was auf den englischsprachigen Ausgangstext verweist.

Satzlänge Obwohl die durchschnittliche Satzlänge der einzelnen Versionen abweicht, sind hier keine übermäßigen Abweichungen festzustellen, weil der Grund der variierenden Wort- anzahl die verschiedenen Sprachbeschaffenheiten sind. Durchaus auffällig dagegen ist, dass sowohl die deutsche als auch die französische Übersetzung häufiger auf Strich- punkte zurückgreifen, was eine Pause im Satz zulässt und somit die wahrgenommene Satzlänge etwas verkürzt. Der Kontrast zwischen sehr langen und sehr kurzen Sätzen sowie die insgesamt relativ langen Sätze sollen auf die Mündlichkeit bzw. Natürlichkeit der Sprachverwendung im literarischen Text hinweisen. Die Unmittelbarkeit dieser Mündlichkeit intensiviert die Aussagen und erfüllt damit eine poetische Funktion.

Wortspiele/Metaphern Die zahlreichen Wortspiele und Metaphern sind in allen Sprachen etwa gleich ausge- prägt vorhanden. Häufig gehen Wortspiele mit anderen Kategorien einher – etwa mit Russizismen oder mit Wortneubildung. Wenn auch nicht jedes Wortspiel an derselben Stelle übersetzt werden kann, hält sich das Gewicht in etwa die Waage, weil versucht wurde, nicht übertragene Wortspiele an anderer Stelle zu kompensieren. Besonders bedeutend ist dieses Merkmal für die emotive Funktion, weil Wortspiele und Metaphern die Kreativität Alex‘ ausdrücken. Gleichzeitig fungieren sie auch konativ (als Illustration), poetisch (Intensivierung) und metasprachlich (Zurückwerfen auf den Code).

114 Leseransprache Die phatische Funktion, die mit der Leseransprache erfüllt wird, bleibt in allen drei Ver- sionen erhalten. In gleicher Weise wird die konative Funktion eingehalten, weil Alex durch die direkte Ansprache eine vermeintliche Verbrüderung zwischen ihm und seinen Zuhörern (der Leserschaft) herstellt.

Die Bedeutung der hier vorgestellten Abweichungen vom Original und der Invarianzen auf Ebene der sprachlichen Merkmale für die Hierarchisierung wird im Folgenden näher betrachtet.

7.3 Hierarchisierung der Merkmale und Funktionen Nachdem die grundsätzlichen Abweichungen und Invarianzen der Nadsat-spezifischen Merkmale in Ausgangstext und Zieltexten zusammengefasst dargestellt wurden, folgt nun der Versuch, die Hierarchisierung der in den vorangegangenen Kapiteln detailliert dargestellten kommunikativen Funktionen und linguistischen Elemente nachzuzeichnen. Aufbauend auf den Analysekapiteln soll hier nun für jede Übersetzung eine Hierarchi- sierung der Merkmale aufgezeigt werden, wie sie auch von den Übersetzern und der Übersetzerin erkannt bzw. umgesetzt wurde. Sie erklärt in einigen Fällen auch bestimm- te Abweichungen von sprachlichen Elementen. Im Detail betrachtet zeigte sich in den vorangegangenen Kapiteln, dass die kommunika- tiven Funktionen stark miteinander verflochten sind. Diese Verschränkungen werden im nächsten Kapitel so weit wie möglich aufgelöst. Dadurch können die erfüllten Haupt- funktionen identifiziert werden. Aus den vorangegangenen Erläuterungen geht hervor, dass sowohl von Blumenbach als auch von Belmont und Chabrier die emotive Funkti- on als dominierend erkannt wurde. Genauer sind hier folgende Aspekte zu nennen: der Ausdruck der Überlegenheit mittels archaisierender Rede (bzw. Archaismen im Deut- schen und literarisierender Rede im Französischen), der Ausdruck von Fantasie und Kreativität durch Wortneubildungen, Wortspiele und Metaphern, die Distanzierung von der Gewalt durch Russizismen sowie die vermeintliche Unschuld durch den einfachen Satzbau und die Kindersprache. Blumenbach (2013: 333) gibt selbst an, dass die Repli- kation der Selbstpositionierung des Protagonisten sein übergeordnetes Ziel war. Diese ist ebenfalls der emotiven Funktion zuzuordnen. Trotz der von Belmont und Chabrier als zentral erkannten emotiven Funktion folgt aus der Umwandlung der archaisierenden in literarisierende Rede eine Schwächung des Überlegenheitsausdrucks und somit einer

115 zentralen Komponente der emotiven Funktion. Obwohl also der erste Platz in der Hie- rarchie erhalten bleibt, wird die emotive Funktion abgeschwächt. An zweiter Stelle rangiert bei beiden Übersetzungen die konative Funktion. Sie zeigt sich einerseits in der Ermöglichung von Identifikation mit Alex bzw. in der Sympathie oder Empathie für ihn. Erreicht wird das durch Russizismen, die auch den Lesenden Alex‘ Grausamkeiten verschleiern, durch die Kindersprache, die dazu führt, dass ihm eine gewisse Unschuld zugeschrieben wird, durch den einfachen Satzbau, der ihn kind- lich erscheinen lässt und für die RezipientInnen nahbar macht, sowie durch Wortspiele und Metaphern, die illustrierend fungieren. Obwohl der Satzbau vor allem in der franzö- sischen Übersetzung etwas komplexer ausfällt, bleibt die Stärke der konativen Funktion insgesamt erhalten, weil die anderen Merkmale zur Verharmlosung der Gewalt und Grausamkeit ausreichend sind. Andererseits wird die Etablierung einer Verbindung zwi- schen Alex und den LeserInnen vor allem durch die direkte Leseransprache hergestellt. Die phatische Funktion wird in erster Linie von einem Merkmal erfüllt, das auch ein- fach in die beiden Zielsprachen zu übertragen ist, nämlich von der direkten Leseran- sprache. Des Weiteren können Russizismen, Wortneubildungen, teilweise Wortspiele und auffällige Metaphern diese Funktion erfüllen, indem sie die Aufmerksamkeit der Leserschaft wecken. Da die Übertragung der Leseransprache (zumindest in Hinblick auf die deutsche und die französische Sprache) nicht mit anderen übersetzungsrelevanten Aspekten interferiert, ist das Hauptmerkmal der phatischen Funktion jedenfalls in bei- den Zieltexten enthalten. Wie in den beiden vorangehenden Unterkapiteln dargelegt wurde, sind auch in den anderen hier aufgeführten Punkten kaum (oder keine signifi- kanten) Abweichungen festzustellen, weshalb die Hierarchisierung der phatischen Funktion nicht eindeutig benannt werden kann. Die referentielle Funktion des Nadsat ist – neben der grundsätzlichen Referenz im Sinne von Inhalt – nicht besonders ausgeprägt. Bemerkenswert ist der Verweis auf das Early Modern English und die damit in enger Verbindung stehende Bibel sowie auf Shakespeare, der als der Schriftsteller dieser Zeit angesehen werden kann. Wie aufge- zeigt wurde, erfüllen die Archaismen im Deutschen eine ähnliche Funktion: Auch im deutschen Sprachraum wird die Bibel mit der Verbreitung und Vereinheitlichung des Frühneuhochdeutschen (und damit mit Luther) in Verbindung gebracht (Bußmann 2002: s. v. Deutsch). Die Entwicklung des Französischen dagegen stellt sich anders dar. Eine Verknüpfung der Bibelübersetzung und der solchermaßen Vereinheitlichung der französischen Sprache ist nicht gegeben. Die Normierung übernahm hauptsächlich die

116 Académie française, die von den Schriftstellern der Zeit stark beeinflusst wurde (so ar- beiteten bei der Erstellung des ersten Wörterbuchs der Académie française zahlreiche Schriftsteller mit, darunter Vaugelas, Racine, Corneille etc.; Le Littré 2007: 147). Au- ßerdem würde eine ältere französische Sprache eindeutiger bzw. augenscheinlicher über orthographische Veränderungen als über gramamtikalische ausgedrückt (ebd.: 126). Belmont und Chabrier entscheiden sich stattdessen für eine literarisierende Sprache, die zwar die referentielle Funktion nicht erfüllen kann, dafür aber zumindest bis zu einem gewissen Grad die weitaus wichtigere emotive Funktion im Sinne des Ausdrucks von Überlegenheit überträgt. Im französischen Zieltext sind es in erster Linie die metasprachliche und auch die poe- tische Funktion, die nicht übertragen werden. Folglich stehen sie in der Hierarchie weit unten. Die fehlerhafte Verwendung von like wird nicht übertragen, die teilweise irritie- rende archaisierende Rede wird in literarisierende umgewandelt, Reim und Rhythmus sowie Wiederholungen werden deutlich abgeschwächt. Auch die poetische Funktion von Nadsat nimmt im Französischen einen niedrigen Rang ein: Reim und Rhythmus sowie die Wiederholung von Konstruktionen werden eindeutig seltener eingesetzt. Blumenbachs Übersetzung weicht grundsätzlich nur in wenigen Punkten von Burgess‘ Ausgangstext ab. Die entsprechenden Aspekte betreffen vor allem die metasprachliche Funktion (die fehlerhafte Verwendung von like). Da aber alle anderen Merkmale, die diese Funktion erfüllen, übertragen wurden, ist eine signifikante Schwächung dieser Funktion nicht festzustellen. Ebenfalls von einer Kürzung betroffen ist der einfache Satzbau, der sowohl poetisch als auch konativ wirkt. Da der Satzbau etwas elaborierter ausfällt, der Unterschied aber nicht überaus groß ist und auch andere Merkmale, die diese Funktion erfüllen, übertragen wurden, ist die Schwächung dieser Funktion ledig- lich als marginal zu bezeichnen und die Hierarchisierung der Funktionen als mit jener des Ausgangstexts übereinstimmend zu bezeichnen. Wie bereits in den Analysekapiteln festgestellt wurde, sind die Russizismen sowohl im Ausgangstext als auch in beiden Zieltexten das dominierende Merkmal: Sie sind am auffälligsten, erfüllen am meisten Funktionen und spielen auch für die Hauptfunktionen eine zentrale Rolle. Während im Original und in der deutschen Übersetzung an zweiter Stelle die archaisierende Rede bzw. Archaismen stehen, ist die literarisierende Rede im Französischen nicht so dominant. Stattdessen rückt die Kindersprache in der Hierarchie auf.

117 7.4 Hauptfunktionen von Nadsat und ihre Umsetzung Die emotive, die referentielle und die konative Funktion wurden als Hauptfunktionen der fiktionalen Sprachvarietät Nadsat identifiziert. Erreicht werden sollte damit erstens die Charakterisierung des Protagonisten Alex, zweitens die fehlende zeitliche und geo- graphische Verortung (und somit zeitunabhängige Gültigkeit) und drittens die Nach- zeichnung der an Alex durchgeführten Gehirnwäsche. Sowohl die Beispielanalyse (Kapitel 6) als auch die Einzelsprachanalysen (Kapitel 3.2, 4.2 und 5.2) haben gezeigt, dass Nadsat in allen drei Sprachen in erster Linie der Cha- rakterisierung des Protagonisten Alex dient. Damit erfüllt Nadsat, obwohl es sich dabei weniger um eine Kunstsprache im engeren Sinn, sondern um eine fiktionale Sprachvari- etät des Englischen (bzw. der Zielsprache) handelt, eine zentrale Funktion von Kunst- sprache (vgl. Kapitel 2.2.1): Lautfolgen, Vokabular, Satzstellung etc. lassen Rückschlüsse auf den Charakter der Sprechenden zu (oder zumindest vermitteln sie einen Eindruck). Die Charakterisierung entspricht der emotiven Funktion nach Jakob- son. Alle festgehaltenen Besonderheiten tragen zur Etablierung dieser Funktion bei: Jede Abweichung von der Normalsprache, jede rhythmische Aussage und jede kinder- sprachliche Anlehnung sind Teil der Charakterisierung von Alex. Zweitens erfüllt Nadsat den Zweck der unbestimmten räumlichen und zeitlichen Veror- tung. Gerade die referentielle Funktion in Form dieser Referenzlosigkeit ist daher eine der zentralen Funktionen des Nadsat (sowie auch von Kunstsprachen im Allgemeinen: Die fehlende Referenz dient dazu, eine fremde Welt/Spezies/Weltanschauung o. Ä. dar- zustellen und zwar ohne sie zeitlich und geographisch zu verorten). In Kapitel 3.2.1, insbesondere unter dem Punkt Autorintention, wurde aufgezeigt, dass Burgess sich für eine Form der Kunstsprache entschieden hat, um das Buch nicht in eine bestimmte Zeit oder an einen bestimmten Raum zu binden. Blumenbachs erst wenige Jahre alte Über- setzung Zeitlosigkeit zuzuschreiben mag etwas früh sein, jedoch sieht er zumindest von aktuellem Jugendslang ab. Zwar weisen einige Aspekte darauf hin, dass die Sprache der Übersetzung doch zeitlich verankert ist (siehe hierzu die Aussagen von Blumenbach selbst sowie eine Rezension in Kapitel 4.1 und 4.2.1), jedoch ist dies nur bis zu einem gewissen Grad der Fall. Blumenbach findet die Balance zwischen Aktualität und Zeitlo- sigkeit. Jene Ausdrücke, die möglicherweise doch veralten, können in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren als Charakteristikum des deutschen Nadsat gelten. Die Umgangs- sprache bzw. die vorkommenden saloppen Ausdrücke sind zwar durchaus zeitabhängig und somit veränderbar, das gilt aber für alle Sprachen und ist daher nicht zu vermeiden.

118 Vor Blumenbach haben bereits zwei andere Übersetzer versucht, eine ebenfalls zeitlose Version von Nadsat zu kreieren. Womöglich haben die beiden zu stark an ihrer aktuel- len Sprache der Jugendlichen festgehalten und konnten die eigentliche Intention und Funktion der fehlenden Referenz nicht einhalten. Die französische Version ist dagegen noch immer die einzige französische Übersetzung und scheint nichts an Aktualität ein- gebüßt zu haben38. Als dritte allgemeine Funktion des Nadsat kann die Nachzeichnung der an Alex durge- führten ‚Gehirnwäsche‘ durch das unbemerkte Lernen von Russizismen seitens der Le- serschaft genannt werden. Auch diese Funktion ist hauptsächlich auf Burgess‘ Aussagen (siehe dazu Kapitel 3.2.1 unter Autorintention) zurückzuführen. Die beiden Übersetzungen haben keine Probleme damit, diese Funktion zu übertragen. Die fremden Wörter werden jeweils in das Zielsprachsystem eingefügt und derart plat- ziert, dass sie nach und nach verstanden werden: Manchmal folgt die Erklärung des Be- griffs sofort, manchmal wird sie aus dem Kontext klar. Die häufige Verwendung der einzelnen Begriffe führt schließlich dazu, dass sie in den (passiven) Wortschatz der Le- senden übergehen. Wird davon ausgegangen, dass das Übersetzungsziel Funktionsäquivalenz auf Ebene der Hauptfunktionen von Nadsat war, so können sowohl die deutsche als auch die fran- zösische Übersetzung als äquivalent im Sinne von Reiß und Vermeer (1991) bezeichnet werden (vgl. dazu die Erläuterungen in Kapitel 2.1.4). Die Hauptfunktionen von Nadsat bleiben also in beiden Übersetzungen erhalten.

38 Pochon (2010: 43, 125) behauptet, dass einige Begriffe veraltet wirken, kann dies jedoch nicht belegen. Ungewöhnlicher Sprachgebrauch ist bei Nadsat gang und gäbe. Wie gezeigt werden konnte, verwendet auch Burgess Archaismen oder Wortneubildungen. Daher wären insbesondere Ausdrücke „peu usitées actuellement“ (ebda.: 43) der zeitlichen Nichtverortung eher zuträglich. Die von Pochon genannten Aus- drücke waren außerdem bereits zur Zeit der Übersetzung nicht aktuell – etwa: être régul, das bereits in den 40er-Jahren als Argot verwendet wurde (TLFi 1994: s. v. régulier, -ière) – oder sind noch immer gebräuchlich – wie comme qui dirait (Larousse o. D.: s. v. comme, conjonction).

119 8 Fazit Im Rahmen dieser Arbeit sollten drei Hauptfragen beantwortet werden: Welche linguis- tischen Merkmale zeichnen Nadsat im Original und in den Übersetzungen aus, welche Funktionen erfüllt Nadsat im Original und wurde Nadsat funktionsäquivalent in die deutsche und französische Sprache übersetzt? Die übersetzungsrelevante Ausgangs- textanalyse hat ergeben, dass Nadsat im Englischen aus zahlreichen Merkmalen besteht, deren Abgrenzung voneinander nicht immer eindeutig ist. Zur besseren Übersichtlich- keit wurden die Nadsat-spezifischen Merkmale in drei Kategorien unterteilt: Lexik, Syntax/Grammatik und Stilfiguren. Die folgende Tabelle zeigt die einzelnen Merkmale und den Umgang damit in den Übersetzungen (zu den Begriffen Kompensation, Repro- duktion und Verzicht siehe Kapitel 2.1.4).

ACO ACO-D ACO-F Russizismen R R

K: gesteigerte

Wortneubildung Häufigkeit/kreative R

Sprachverwendung Lexik Onomatopoetika R R

Kindersprache R R

/ / Satzlänge R R Einfacher Satzbau R (schwach) R (schwach) Fehlerhafte Verwendung von Syntax V V

Grammatik like V/K: literarisie- Archaisierende Rede K: Archaismen rende Rede (schwach) Wortspiele, Metaphern R R Wiederholungen von Konstruk- R R (schwach)

tionen und Worten Stilfiguren Reim/Rhythmus R R (schwach) Direkte Leseransprache R R Tabelle 20: Linguistische Merkmale von Nadsat in ACO, ACO-D und ACO-F. Legende: K = Kompensation, R = Reproduktion, V = Verzicht.

Wie aus der Tabelle hervorgeht, werden die meisten Merkmale von Nadsat in den Über- setzungen reproduziert. Teilweise wird ein Element schwächer nachgezeichnet als im Original, das wurde mit einem entsprechenden Kommentar gekennzeichnet. Im Falle einer Kompensation wurde das kompensierende Merkmal angeführt. Details zu den einzelnen Merkmalen sind jeweils in den Kapiteln 3.2.3, 4.2.2 und 5.2.2 zu finden.

120 Die zweite Forschungsfrage zielt auf die Funktionen von Nadsat im Original ab. Hierbei wurden drei Hauptfunktionen identifiziert: die emotive in Form der Charakterisierung des Protagonisten, die referentielle als fehlende geographische und zeitliche Verortung und die konative im Sinne einer Nachzeichnung der im Buch tatsächlich an Alex durch- geführten ‚Gehirnwäsche‘ durch unbewusstes Lernen von Vokabeln seitens der Leser- schaft. Tabelle 20 zeigt, welche Merkmale abgeschwächt wurden. Die Schwächung eines Ele- ments führt auch zu einer Schwächung der Funktion, die es erfüllt. Für das Französische geht aus der Untersuchung und aus der Tabelle hervor, dass die poetische Funktion ein- deutig niedriger hierarchisiert wurde als im Original, das heißt als weniger dominant angesehen wurde: Wiederholungen sowie Reim und Rhythmus wurden nur vermindert reproduziert. Dieselben Merkmale erfüllen auch eine metasprachliche Funktion, die demnach in der französischen Übersetzung geschwächt wird. Besonders die nicht über- tragene falsche Verwendung von like vermindert diese Funktion ebenfalls. Der Verzicht auf die archaisierende Rede bzw. die Kompensation der Stilebene anhand literarisieren- der Rede ist vor allem eine Abstufung der referentiellen Funktion, weil der Verweis auf die Bibel sowie auf einen Schriftsteller entfällt. Schließlich lautet die dritte Forschungsfrage, ob Nadsat funktionsäquivalent ins Deut- sche und Französische übertragen wurde. Diese Frage kann in Bezug auf die Haupt- merkmale von Nadsat durchaus mit einem Ja beantwortet werden: Sowohl Blumenbach als auch Belmont und Chabrier erkennen die fiktionale Sprachvarietät und übertragen sie äquivalent in die jeweilige Zielsprache. Bei genauerem Hinsehen jedoch ergeben sich durchaus Abweichungen. So ist bei der französischen Version eindeutig zu erken- nen, dass die poetische Funktion einen niedrigeren Rang einnimmt als im Englischen. Da die Hauptfunktionen in beiden Übersetzungen erhalten bleiben, ist die vierte Frage (Können eventuelle Abweichungen mit der Übertragung der einzelnen Merkmale erklärt werden?) hinfällig. Wäre aktueller (Jugend-)Slang eingesetzt worden oder wären die russischsprachigen Elemente vernachlässigt worden, so hätte dies zu einer eindeutigen Verschiebung der Funktionshierarchie geführt. Lediglich die ‚Detailfunktionen‘ unter- liegen einer Verschiebung aufgrund der Hierarchisierung und somit der Verände- rung/Übertragung der Nadsat-spezifischen Merkmale. Obwohl 2012 eine Neuauflage von L’Orange mécanique veröffentlicht wurde (ACO- Fe), wurde keine französische Neuübersetzung in Auftrag gegeben. Während auch fi- nanzielle Motive ausschlaggebend gewesen sein können, unterstützt die Analyse die

121 Annahme, dass L’Orange mécanique von Belmont und Chabrier funktionskonstant übersetzt wurde und daher auch heute noch nicht antiquiert erscheint. Dagegen ist Blumenbachs Übersetzung bereits die dritte deutsche Version von A Clockwork Orange. Diese Tatsache weist darauf hin, dass keine der beiden existierenden Übersetzungen die Dominanz der (fehlenden) referentiellen Funktion von Nadsat ebenfalls als Haupt- merkmal aufweist (oder dass eine andere Hauptfunktion nicht erkannt/übertragen wur- de39).

39 Darauf weist auch Greiners (2004: 905) Aussage zu einer der deutschen Übersetzungen hin: „[Die d]eutsche Übersetzung (Die Uhrwerk-Orange, 1993, W. Krege) hat in vielen Fällen, in denen die Anleh- nungen an die russische Sprache hätten übertragen werden können, auf die bewährte Strategie der Slang- übersetzung zurückgegriffen und deutsche umgangssprachliche Lösungen vorgezogen.“ Das zeigt, dass der Übersetzer eines der zentralen Merkmale – die Russizismen – nicht als merkmalhaft eingeschätzt und daher anders übertragen hat.

122 9 Diskussion/Evaluation Obwohl versucht wurde, die Analyse auf möglichst objektive und neutrale Art durchzu- führen, ist ein gewisser Grad an Subjektivität nicht zu vermeiden. Funktion und Wir- kung von sprachlichen Mitteln, von Romanen u. Ä. m. basieren immer auch auf Interpretation – es gibt keine Garantie für Objektivität und Gültigkeit. Mit der korpus- basierten Analyse, insbesondere in Kapitel 6, sollte der Grad an Subjektivität so weit wie möglich eingeschränkt werden. Jedenfalls konnte sie an vielen Stellen die Unge- wöhnlichkeit und die Häufigkeit bestimmter Phänomene unterstreichen und belegen. Auch die Textanalyse anhand Nords W-Fragen wurde möglichst objektiv durchgeführt, wobei auch hier keine Garantie für Gültigkeit gegeben werden kann. Im Zuge der Analyse wurden mehr Nadsat-spezifische Besonderheiten identifiziert, als anfangs erwartet wurde. Das führte auch zu einer recht langen und ausführlichen Analy- se. Ebenfalls unerwartet sind die Ergebnisse: Insbesondere die französische Überset- zung betreffend hatte ich angenommen, dass sie aufgrund der Zeit der Übersetzung heute nicht mehr aktuell ist. Jedoch hat sich gezeigt, dass Belmont und Chabrier die Zeitlosigkeit (die fehlende Referenz) so gut umsetzen konnten, dass der Text auch heute nicht veraltet wirkt. Mögliche ungewöhnliche Wendungen können der Sprachvarietät Nadsat zugeschrieben werden, gänzlich veraltete Wendungen kommen kaum vor. Auch vom deutschen Zieltext wurde erwartet – und anfangs auch angenommen –, dass er stärker zeitlich verortet wäre. Bei genauerer Betrachtung stellte sich jedoch heraus, dass die ursprünglich als aktueller Jugendslang verstandenen Sprachelemente keines- wegs solchem zuzuordnen sind. Stattdessen handelt es sich vielmehr um umgangs- sprachliche Ausdrücke und Mittel, die weder einer bestimmten Gruppe noch einer (beschränkten) Zeit eindeutig zugeordnet werden können. Insgesamt wurde erwartet, dass vor allem die ältere Übersetzung von Belmont und Chabrier mehr Abweichungen aufweist und womöglich den stilistischen Merkmalen weniger gerecht wird. Obwohl eine niedrigere Hierarchisierung insbesondere der poeti- schen Merkmale festgestellt wurde, ist diese in Hinblick auf die Funktion von Nadsat als Ganzes insgesamt als gerechtfertigt zu bezeichnen. Die vorliegende Arbeit hatte zum Ziel, eine spezifische künstliche Sprache in Hinblick auf ihre Funktionen und ihre Übersetzung ins Deutsche und ins Französische zu unter- suchen. Zwar konnten dabei interessante Aspekte angeschnitten werden, jedoch musste vieles nur am Rande erwähnt bleiben. Weil tiefgreifendere Untersuchungen den Rah- men dieser Arbeit gesprengt hätten, wurde eine weitere Analyse der Übersetzungsme-

123 thoden oder auch die Untersuchung der Veränderung von Alex‘ Sprachverwendung im Laufe des Texts nicht weiterverfolgt. Diese Themen könnten etwa Gegenstand zukünf- tiger Untersuchungen sein. Des Weiteren interessant wäre ein Vergleich der drei deut- schen Übersetzungen – sowohl als ‚klassischer‘ Übersetzungsvergleich als auch im Hinblick auf Nadsat.

124 Literaturverzeichnis

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130 Anhang

Nadsat-Glossar Glossare, entnommen aus ACO (215–218), ACO-D (231–235) und ACO-F (309–315). Die Reihenfolge folgt den englischen Einträgen.

ACO ACO-D ACO-F appy polly apologies exqui cucuses excuses loggies usées baboochka old woman Babuschka babouchka vieille femme Banda Bande, Gang, banda bande de Meute jeunes bezoomny crazy besummst verrückt bézoumni fou biblio library Biblio Bücherei bitva battle Bitwa Kampf, bitva bagarre Schlacht bog God Bog Gott bolnoy sick bolnig krank bolshy big bolschig groß bolchoï énorme, grand, gros bratchny bastard Bratschni Bastard, un- bratchni fumier, eheliches Kind salopard, vache bratty, brat brother Bratter Bruder bratti frère (pote) britva razor Britwa Rasier-messer britva rasoir brooko stomach Brucho Bauch brouko ventre to brosat to throw brosatzen werfen brossater jeter bugatty rich bugattig reich bugatti riche cal shit Kal Scheiße gouspin merde (adj.: gouspineux) cancer cigarette Lungendübel Zigarette cancerette cigarette cantora office Kontora Büro cantora bureau carman pocket Karman Hosentasche carmane poche Entsprechung charlie nicht im Bogmann Geistlicher charlot chapelain, Glossar angeführt aumônier chasha cup Tschascha Tasse chascha tasse chasso guard Tschasso Wächter chasso gardien de prison, maton (faire le chasso: faire le guet) cheena woman Schena Frau, Gattin tchina femme to cheest to wash tschiesten waschen tchister laver chelloveck man, human Tschelloweck Typ, Kerl, tchelloveck type being Mann chepooka nonsense Tschepuscha Unsinn

i ACO ACO-D ACO-F choodessny wonderful tschudesnig wunderbar tchoudessny merveilleux cloper marcher, se diriger cluve beak Kluw Schnabel collocoll bell Kollak Glocke collocolle cloche, sonnette corner appeler to crast to steal krasten stehlen craste vol accompa- gné de violence (V.: craster) to creech to scream krischen kreischen critche cri (V.: critcher) cutter money mouizka argent Dama Dame darkmans night Ratte Nacht (Rot- welsch) Ded alter Mann, Opa deng money Deng Geld tilt argent devotchka girl Dewuschka Mädchen, dévotchka jeune fille junge Frau (Entsprechung disc-bootick (Entsprechung Plattenbutik discotic boutique de nicht im Glossar gelistet) nicht im Glossar gelistet) disques dobby good dobrig gut dobby bon domy house Domi Haus domie maison dorogoy valuable, dear dorogoi wertvoll, dorogoï cher, précieux kostbar to drats to fight draschen kämpfen dratse, dratsar- bagarre (V.: re dratser) (Entsprechung drencrom nicht Drencrom Droge methcath drogue im Glossar gelistet) droog, droogie friend Droog Freund droug ami (adj.: drougui Dschinsi Jeans (Entsprechung dook nicht im Duch Geist (Entsprechung louffe nicht im Glossar gelistet) Glossar gelistet) dumatten denken (Entsprechung dva nicht im dwa zwei dvié deux Glossar gelistet) eberloqué ébouriffé, très fatigué eegra game Igra Spiel igra jeu eemya name Ihmja Name imya nom eggiweg egg (Entsprechung Eimatsch nicht (Entsprechung neufneuf nicht im Glossar gelistet) im Glossar gelistet) (Entsprechung em nicht im Em Mama (Entsprechung ème nicht im Glossar gelistet) Glossar gelistet) encoche hanche

ii ACO ACO-D ACO-F to filly to play fillieren spielen flip very or great forella trout, woman Forella Forelle forella truite fouraille comme un four Entsprechung gazetta nicht im Gazetta Zeitung magaze magazine, Glossar gelistet illustré glaz, glazzy eye, nipple Glasis Augen glaze œil glazard regard Entsprechung glaz-ball nicht im Entsprechung Glasiapfel nicht glazebille globe de l’œil Glossar gelistet im Glossar gelistet gloopy stupid glupig dämlich gloupp, glou- idiot, stupide pide gniouker flairer golly coin Golly Geldstück goloss voice Golosse Stimme golosse voix goober lip Guba Lippe goubeuse lèvre to gooly to go gullern spazieren goulatier marcher, s’avancer gorlo throat Gorlo Kehle gorlot gosier, goulot to govoreet to talk, speak goworitzen sprechen govoritt parole, discours (V.: govoriter grazhny dirty grasig dreckig grattou sale, crado grazzy dirty grasnig dreckig gromky loud gromkig laut gromky fort groody breast Gruhdi Brust groundné sein Gruppa Gruppe groupa bande de jeunes guff laugh Entsprechung Gewieher nicht Entsprechung esclaffe nicht im im Glossar gelistet Glossar gelistet guiliguili-vice méchante chatouille gulliver head Gulliver Kopf gulliver crâne, gueule hen-korm pocket change horrorshow good, well horrorshow gut tzarrible terrible interesso- interested intéressovater intéresser vatted to itty to go itten gehen itter aller Jahudi Jude yahoudi juif jammiwam jam, jelly Entsprechung Mammilade nicht confi-confiotte confiture im Glossar angeführt Jarblocki Äpfel jeezny life Schissni Leben jiznée vie, existence Jesli bi wenn möglich moschno Kahn Gefängnis (Rotwelsch) kartoffel potato

iii ACO ACO-D ACO-F keeshkas guts Kischkas Därme, Ein- kishkas tripes geweide kleb bread Kleb Brot kleb pain klootch key Klutsch Schlüssel kloutche clef kloppen schlagen Kniga Buch knopka button Knopka Knopf knopka bouton kopat understand kopatieren verstehen kopater piger Korowa Kuh koshka cat Koschka Katze koshka chat Kott Kater kot matou krarken jaulen krovvy blood Krow Blut krovvi sang to kupet to buy kupittieren kaufen koupter acheter lapa patte Licht ausknip- umbringen sen lewdies people Ludis Leute lioudis gens lighter old woman Hutzelantin alte Frau litso face Litso Gesicht litso visage lomtick piece Lomtik Scheibe lomtick morceau to lovet to catch lavitieren schnappen, lovretter arnaquer festnehmen to lubbilub to kiss Lubbilubbi Liebe machen totonner faire joujou avec (Subst.: totonnage) Entsprechung luscious glory luxuriante chevelure nicht im Glossar angeführt splendeur malchick boy Maltschick Jugend-licher maltchick jeune gars malenky little malenkig ein bisschen malenky petit, peu malinfrat voyou maltchickicaïd jeune dur Entsprechung maskie nicht im Maski Gesichtsmas- masquard masque Glossar angeführt ke maslo butter Maslo Butter maslo beurre merzky filthy merzkig ekelhaft, dre- merdzkoï merdeux ckig messel idea Missal Gedanke messel idée mesto place Mesto Laden, Ort messtot endroit millicent policeman Millicent Polizist milichien flic minoota minute Minuta Minute Mir Frieden, Ruhe; Welt, Erde miton matou molodoy young Molodoj jung, Jugend molodoï jeune moloko milk Moloko Milch moloko lait moodge man, husband Muschkote Mann moudj mari, jules morder snout Morda Schnauze mordnaz nez

iv ACO ACO-D ACO-F moriturusse mort et bien mort mounch food mozg brain Mosg Gehirn mozg cerveau, esprit nachinat to begin natschinieren anfangen nachinater commencer nadmenny arrogant nadmennig arrogant nadmini arrogant nadsat teen Nadsat Teenager nadsat moins de vingt ans, teenager nagoy naked nagoj nackt nagoï nu nazz name Nass Name Entsprechung nazz als name im Nasser Narr popov idiot, Glossar clownesque neezhnies panties Nischnis Unterwäsche nizdni sous-vêtement féminin, slip nitschewo nichts nochy night Notschi Nacht notché nuit noga foot, leg Noga Fuß noga M.: pied – F.: jambe nozh knife Nosch Messer nodz couteau nuchern riechen, garfouiller bafouiller schnuppern oddy knocky alone oddinocki allein Entsprechung soli solo nicht im Glossar Entsprechung odin nicht im odi eins odine un Glossar okno window Okno Fenster okno fenêtre oobivat to kill ubiwatten töten oubivater tuer to ookadeet to leave uchodieren gehen, auf- ouster sortir, s’en brechen aller ooko ear Ucho Ohr ouko oreille oomny intelligent umnig klug oum cerveau, cer- velle oozhassny dreadful uschasnig schrecklich oudzassny formidable oozy chain Uschi Kette oudzy chaîne Orange Mensch to osoosh to wipe osuschen trocknen ozoucher essuyer otchkies glasses Otschkis Brille otchquises lunettes Patte Geld Entsprechung pee nicht im Pe Papa, Vater Entsprechung pé nicht im Glossar Glossar to peet to drink pitschen trinken Entsprechung drinker nicht im Glossar pishcha food Pischa Essen pischa nourriture to platch to cry plakieren weinen, jam- platcher pleurer mern platties clothes Plattys Kleider platrusques vêtements plauscheln plaudern, tu- scheln, mur- meln

v ACO ACO-D ACO-F plennies prisoners Plenni Häftling plenni prisonnier plesk splash Pleskat Spritzer plesk écablousse- ment, plof pletcho shoulder Pletscho Schulter peltcho épaule plott body Plott Fleisch, Leib plott corps Poduschka Kissen podouchka polochon, oreiller pol sex Poll Sex pol polard, sexe polezny useful polesni nützlich polezny utile pomnitten wissen, sich erinnern to pony to understand ponieren verstehen pommer comprendre Prawda Wahrheit poogly frightened pugglig verschreckt, pouglé effrayé ängstlich pooshka pistol Puschka Schusswaffe poushka revolver potronminet matou prestoopnick criminal Prestupnik Verbrecher prestoupnick criminel pretty polly money Penunzia Geld lollypop argent Priroschd- Erbsünde jonnij Grech privodieren hinführen, privoditer mener quelque eskortieren part, emmener to prod to produce protège-glaze paupière ptitsa woman Petieza Mädchen ptitsa fille pyahnitsa drunk Pjaniza Säufer pianitza ivre quarten schnappen, nehmen to rabbit to work robotern arbeiten, ma- rabiter travailler lochern (Subst.: rabitt) radosty joy Radost Freude radostie joie rassoodock mind Rassudock Verstand Entsprechung rassoudok nicht im Glossar raz time Ras Mal (wie in radze fois einmal, zwei- mal) razdraz angry rasdraschieren erregen, auf- razedraze bouleversé, regen furieux raskazz story Rasskass Geschichte raskass histoire, récit to razrez to tear rasurieren reißen, zerrei- razrézer déchirer ßen Entsprechung in-and-out nicht Rein-raus Sex dedans-dehors copulation im Glossar relucher regarder, voir rooker hand or arm Ruka Hand rouke main rot mouth Rott Mund, Fresse rote mouche rozz policeman Entsprechung Polyp nicht im rosse M.: flic – F.: Glossar police

vi ACO ACO-D ACO-F roukeur bras sabog shoe Sapog Schuh sabog soulier sakar sugar Sachar Zucker Entsprechung sakar nicht im Glossar angeführt Entsprechung sammy act nicht Entsprechung Samariternum- sammybéa B. A., bonne im Glossar angeführt mer nicht im Glossar angeführt action sarky sarcastic sarkig sarkastisch Entsprechung sarkostic nicht im Glossar angeführt scoteena beast Skotina Tier, Vieh scotina vache segodnija heute shaika gang Schaika Bande, Gang shaïka gang sharp woman sharries buttocks, arse Scharris Eier, Hoden charrière fesse shest barrier Schest Schlagbaum shest bariière shilarny interest Schelanie Anliegen, Entsprechung vava nicht im Wunsch, Be- Glossar angeführt gierde shive slice shiyah neck shiya cou shlaga club, cudgel schlaga trique shlapa hat Schlapa Hut shlapa chapeau shlem helmet Schlemm, Helm chlem casque Schlemmi shoom noise Schumm Lärm choum bruit shoomny noisy shoot fool Schut Narr, Idiot sielnig stark sinny cinema Entsprechung Kintopp nicht im Entsprechung cinédrome nicht Glossar angeführt im Glossar angeführt Sittenfiffi Sexualstraf- täter (Häft- lingsslang) to skazat to say skasern sagen skaziter dire skolliwoll school Entsprechung Penne nicht im escoliose école Glossar angeführt skorry fast skorri schnell to skvat to snatch skvater empoigner sladky sweet sladki süß sladky doux, sucré to sloochat to happen sluschatzen geschehen, slouchater arriver, se passieren passer to slooshy to hear sluschen zuhören, lau- cloucher écouter schen slovo word Slowo Wort slovo mot, parole Slowar Wörterbuch to smeck laugh smeckern lachen bidonske rigolade, marrade (V: se bidonsker) to smot to look smottern blicken, Aus- smott regard (V.: schau halten smotter)

vii ACO ACO-D ACO-F sneety dream Schnitzer Traum snity rêve snoutie tobacco Schniefie Tabak to sobirat to pick up sobiratten auflesen sobirater ramasser soomka bag, Summka Frau unattractive woman sophistoque sophistiquée Sowjet Rat, Befehl soviet conseil to spat with to have sex spaten schlafen soumka sac with spatchka sleep spatchka sommeil, pioncette spater dormir spoogy terrified spugi entsetzt, ver- ängstigt spoutnik boisson forte starry old starig alt viokcho, vieux, vieille viokcha strack horror Strack Entsetzen strack horreur, horrible swouisher siffler dans l’aire, faire siffler Entsprechung synthemesc nicht Synthomeskal Droge synthémesc drogue im Glossar angeführt tally waist tanziwatten tanzen tashtook handker-chief tass cup Ticktacker Herz tictocard cœur tiffure coiffure to tolchock to hit tolschocken schlagen, prü- toltchocke gifle, coup geln (V.: toltchocker) toofles slippers Toffeln Pantoffeln touflasques pantoufle Entsprechung tree nicht im tri drei trié trois Glossar angeführt Entsprechung chai nicht im Tschai Tee tché thé Glossar angeführt twenty-to-one fun, i. e. gang Entsprechung Zwanzig-gegen- Entsprechung vingt contre un violence einen nicht im Glossar ange- nicht im Glossar angeführt führt vareet to cook up Entsprechung waritieren nicht variter mijoter im Glossar angeführt vaysay WC, bathroom Wehzeh WC, Toilette Entsprechung hugoguenot nicht im Glossar angeführt veck man, guy Weck Mann, Typ veck mec Entsprechung vellocet nicht im Vellocet Droge vélocette drogue Glossar angeführt

viii ACO ACO-D ACO-F veshch thing Wesch Sache, Ding vesche chose to viddy to see viddieren sehen voloss hair Wolos Haar voloss cheveux, poil von smell Vonn Geruch, Ge- vonn odeur stank (mauvaise, de préférence) [Adj.: vonneux, vonnant] to vred to injure Wred anrich- Schaden an- vreder, ou: faire du tort, ten richten faire vred du mal Woina Krieg yahma mouth or hole Jama Loch yahma trou yahzick tongue Jasich Zunge yachzick langue yarbles testicles, bol- Jarbeln Hoden, Eier yarbilles, testicules locks yarblokoss to yeckate to drive jehatzen fahren yékater rouler en voiture zammechat remarkable sametschatel- bemerkens- nig wert zasnoot sleep sasnuten schlafen zaznouter dormir zheena wife Entsprechung Schena im zhina épouse Glossar als Frau, Gattin zooby tooth Subis Zähne zoubie dent zoum vite zubrick penis zvook ring, sound Swuk Geräusch zvouk son, bruit zvonock bell Swonok Türklingel zvonock sonnette à cordon

ix Textstellen Beispielanalyse

ACO (19–26) When we got outside of the Duke of New York we viddied by the main bar’s long light- ed window, a burbling old pyahnitsa or drunkie, howling away at the filthy songs of his fathers and going blerp blerp in between as though it might be a filthy old orchestra in his stinking rotten guts. One veshch I could never stand was that. I could never stand to see a moodge all filthy and rolling and burping and drunk, whatever his age might be, but more especially when he was real starry like this one was. He was sort of flattened to the wall and his platties were a disgrace, all creased and untidy and covered in cal and mud and filth and stuff. So we got hold of him and cracked him with a few good horror- show tolchocks, but he still went on singing. The song went: And I will go back to my darling, my darling, When you, my darling, are gone. But when Dim fisted him a few times on his filthy drunkard’s rot he shut up singing and started to creech: „Go on, do me in, you bastard cowards, I don’t want to live anyway, not in a stinking world like this one.“ I told Dim to lay off a bit then, because it used to interest me sometimes to slooshy what some of these starry decreps had to say about life and the world. I said: „Oh. And what’s stinking about it?“ He cried out: „It’s a stinking world because it lets the young get on to the old like you done, and there’s no law nor order no more.“ He was creeching out loud and waving his rookers and making real horrorshow with the slovos, only the odd blurp blurp coming from his keeshkas, like something was orbiting within, or like some very rude interrupting sort of a moodge making a shoom, so that this old veck kept sort of threatening it with his fists, shouting: „It’s no world for any old man any longer, and that means that I’m not one bit scared of you, my boyos, because I’m too drunk to feel the pain if you hit me, and if you kill me I’ll be glad to be dead.“ We smecked and then grinned but said nothing, and then he said: „What sort of a world is it at all? Men on the moon and men spinning round the earth like it might be midges round a lamp, and there’s not more attention paid to earthly law nor order no more. So your worst you may do, you filthy cowardly hooligans.“ Then he gave us some lip-music – „Prrrrzzzzrrrr“ – „like we’d done to those young millicents, and then he started singing again: Oh dear dear land, I fought for thee And brought thee peace and victory – So we cracked into him lovely, grinning all over our litsos, but he still went on singing. Then we tripped him so he laid down flat and heavy and a bucketload of beer-vomit came whooshing out. That was disgusting so we gave him the boot, one go each, and then it was blood, not song nor vomit, that came out of his filthy old rot. Then we went on our way. It was round by the Municipal Power Plant that we came across Billyboy and his five droogs. Now in those days, my brothers, the teaming up was mostly by fours or fives,

x these being like auto-teams, four being a comfy number for an auto, and six being the outside limit for gang-size. Sometimes gangs would gang up so as to make like malenky armies for big night-war, but mostly it was best to roam in these like small numbers. Billyboy was something that made me want to sick just to viddy his fat grinning litso, and he always had this von of very stale oil that’s been used for frying over and over, even when he was dressed in his best platties, like now. They viddied us just as we vid- died them, and there was like a very quit kind of watching each other now. This would be real, this would be proper, this would be the nozh, the oozy, the britva, not just fisties and boots. Billyboy and his droogs stopped what they were doing, which was just get- ting ready to perform something on a weepy young devotchka they had there, not more than ten, she creeching away but with her platties still on. Billyboy holding her by one rooker and his number-one, Leo, holding the other. They’d probably just been doing the dirty slovo part of the act before getting down to a malenky bit of ultra-violence. When they viddied us acoming they let go of this boo-hooing little ptitsa, there being plenty more where she came from, and she ran with her thin white legs flashing through the dark, still going „Oh oh oh“. I said, smiling very wide and droogie: „Well, if it isn’t fat stinking billygoat Billyboy in poison. How art thou, thou globby bottle of cheap stink- ing chip-oil? Come and get one in the yarbles, if you have any yarbles, you eunuch jel- ly, thou.“ And then we started. There were four of us to six of them, like I have already indicated, but poor old Dim, for all his dimness, was worth three of the others in sheer madness and dirty fighting. Dim had a real horrorshow length of oozy or chain round his waist, twice wound round, and he unwound this and began to swing it beautiful in the eyes or glazzies. Pete and Georgie had good sharp nozhes, but I for my own part had a fine starry horrorshow cut- throat britva which, at that time, I could flash and shine artistic. So there we were dratsing away in the dark, the old Luna with men on it just coming up, the stars stabbing away as it might be knives anxious to join in the dratsing. With my britva I managed to slit right down the front of one of Billyboy’s droog’s platties, very very neat and not even touching the plott under the cloth. Then in the dratsing this droog of Billyboy’s suddenly found himself all opened up like a peapod, with his belly bare and his poor old yarbles showing, and then he got very razdraz, waving and screaming and losing his guard and letting in old Dim with his chain snaking whisssssshhhhhhhhh, so that old Dim chained him right in the glazzies, and this droog of Billyboy’s went tottering off and howling his heart out. We were doing very horrorshow, and soon we had Billyboy’s number-one down underfoot, blinded with old Dim’s chain and crawling and howling about like an animal, but with one fair boot on the gulliver he was out and out and out. Of the four of us Dim, as usual, came out the worst in point of looks, that is to say his litso was all bloodied and his platties a dirty mess, but the others of us were still cool and whole. It was stinking fatty Billyboy I wanted now, and there I was dancing about with my britva like I might be a barber on board a ship on a very rough sea, trying to get in at him with a few fair slashes on his unclean oily litso. Billyboy had a nozh, a long flick-type, but he was a malenky bit too slow and heavy in his movements to vred any- one really bad. And, my brothers, it was real satisfaction to me to waltz – left two three, right two three – and carve left cheeky and right cheeky, so that like two curtains of blood seemed to pour out at the same time, one on either side of his fat filthy oily snout

xi in the winter starlight. Down this blood poured in like red curtains, but you could viddy Billyboy felt not a thing, and he went lumbering on like a filthy fatty bear, poking at me with his nozh. Then we slooshied the sirens and knew the millicents were coming with pooshkas push- ing out of the police-autowindows at the ready. That weepy little devotchka had told them, no doubt, there being a box for calling the rozzes not too far behind the Muni Power Plant. „Get you soon, fear not,“ I called, „stinking billygoat. I’ll have your yar- bles off lovely.“ Then off they ran, slow and panting, except for Number One Leo out snoring on the ground, away north towards the river, and we went the other way. Just round the next turning was an alley, dark and empty and open at both ends, and we rest- ed there, panting fast then slower, then breathing like normal. It was like resting be- tween the feet of two terrific and very enormous mountains, these being the flatblocks, and in the windows of all the flats you could viddy like blue dancing light. This would be the telly. Tonight was what they called a worldcast, meaning that the same pro- gramme was being viddied by everybody in the world that wanted to, that being mostly the middle-aged middle-class lewdies. There would be some big famous stupid comic chelloveck or black singer, and it was all being bounced off the special telly satellites in outer space, my brothers. We waited panting, and we could slooshy the sirening milli- cents going east, so we knew we were all right now. But poor old Dim kept looking up at the stars and planets and the Luna with his rot wide open like a kid who’d never vid- died any such things before, and he said: „What’s on them, I wonder. What would be up there on things like that?“ I nudged him hard, saying: „Come, gloopy bastard as thou art. Think thou not on them. There’ll be life like down here most likely, with some getting knifed and others doing the knifing. And now, with the nochy still molodoy, let us be on our way, O my broth- ers.“ The others smecked at this, but poor old Dim looked at me serious, then up again at the stars and the Luna. So we went on our way down the alley, with the worldcast blueing on on either side. What we needed now was an auto, so we turned left coming out of the alley, knowing right away we were in Priestly Place as soon as we viddied the big bronze statue of some starry poet with an apey upper lip and a pipe stuck in a droopy old rot. Going north we came to the filthy old Filmdrome, peeling and dropping to bits through nobody going there much except malchicks like me and my droogs, and then only for a yell or a razrez or a bit of in-out-in-out in the dark. We could viddy from the poster on the Filmdrome’s face, a couple of fly-dirtied spots trained on it, that there was the usual cowboy riot, with the archangels on the side of the US marshal six- shooting at the rustlers out of hell’s fighting legions, the kind of hound-and-horny veshch put out by Statefilm in those days. The autos parked by the sinny weren’t all that horrorshow, crappy starry veshches most of them, but there was a newish Durango 95 that I thought might do. Georgie had one of these polyclefs, as they called them, on his keyring, so we were soon aboard – Dim and Pete at the back, puffing away lordly at their cancers – and I turned on the ignition and started her up and she grumbled away real horrorshow, a nice warm vibraty feeling grumbling all through your guttiwuts. Then I made with the noga, and we backed out lovely, and nobody viddied us take off. We fillied round what was called the backtown for a bit, scaring old vecks and cheenas that were crossing the roads and zigzagging after cats and that. Then we took the road

xii west. There wasn’t much traffic about, so I kept pushing the old noga through the floor- boards near, and the Durango 95 ate up the road like spaghetti. Soon it was winter trees and dark, my brothers, with a country dark, and at one place I ran over something big with a snarling toothy rot in the headlamps, then it screamed and squelched under and old Dim at the back near laughed his gulliver off – „Ho ho ho“ – at that. Then we saw one young malchick with his sharp, lubbilubbing under a tree, so we stopped and cheered at them, then we bashed into them both with a couple of half-hearted tolchocks, making them cry, and on we went. What we were after now was the old surprise visit. That was a real kick and good for smecks and lashings of the ultra-violent. We came at last to a sort of village, and just outside this village was a small sort of a cottage on its own with a bit of garden. The Luna was well up now, and we could viddy this cottage fine and clear as I eased up and put the brake on, the other three giggling like bezoom- ny, and we could viddy the name on the gate of this cottage veshch was HOME, a gloomy sort of a name. I got out of the auto, ordering my droogs to shush their giggles and act like serious, and I opened this malenky gate and walked up to the front door. I knocked nice and gentle and nobody came, so I knocked a bit more and this time I could slooshy somebody coming, then a bolt drawn, then the door inched open an inch or so, then I could viddy this one glazz looking out at me and the door was on a chain. „Yes? Who is it?“ It was a sharp’s goloss, a youngish devotchka by her sound, so I said in a very refined manner of speech, a real gentleman’s goloss: „Pardon, madam, most sorry to disturb you, but my friend and me were out for a walk, and my friend has taken bad all of a sudden with a very troublesome turn, and he is out there on the road dead out and groaning. Would you have the goodness to let me use your telephone to telephone for an ambulance?“

ACO-D (24–32) Als wir aus dem Duke of New York kamen, viddierten wir vor dem langen beleuchteten Fenster der eigentlichen Bar einen brabbelnden alten Pjaniza oder Trunki, der die dre- ckigen Lieder seiner Ahnen jaulte und zwischendurch »Börpbörp« machte, als hätte er ein unflätiges altes Orchester in seinen stinkenden verrottenden Gedärmen. Solche Weschen konnte ich noch nie ab. Dreckige, torkelnde, rülpsende und besoffene Musch- koten konnte ich noch nie anschauen, egal wie alt sie waren, aber am allerwenigsten starige Männer wie den hier. Er stützte sich an der Wand ab, und seine Plattys waren eine Schande, völlig zerknittert und unordentlich und mit Kal, Schlamm, Dreck und so Zeugs bedeckt. Den schnappten wir uns und knacksten ihn mit ein paar horrorshow gu- ten Tolschocks, aber er sang trotzdem weiter. Das Lied ging so: Und ich geh zurück zum Schatz, dem Schatz, Doch du, mein Schatz, bist fort. Nachdem Dim ihm ein paar auf den dreckigen Säuferrott verpasst hatte, hörte er aber auf zu singen und fing an zu krischen: »Macht nur so weiter, schlagt mich tot, ihr feigen Mistkerle, ich will sowieso nicht mehr leben, nicht in einer Scheißwelt wie dieser.« Ich sagte zu Dim, er solle kurz mal aufhören, denn manchmal interessierte es mich zu slu- schen, was diese Kompostis über das Leben und die Welt zu sagen hatten. Ich sagte: »Ach. Und was ist an der Welt so scheiße?« Er schrie:

xiii »Eine Scheißwelt ist das, weil sie zulässt, dass die Jungen die Alten so behandeln wie ihr mich, und es gibt keine Zucht und Ordnung mehr.« Er krischte laut und wedelte mit den Rukas und machte aus den Slowos eine richtige Horrorshow. Nur aus seinen Kisch- kas kam manchmal noch das komische Blörpblörp, als würde sich da drin was drehen oder als würde ein sehr unhöflich unterbrechender Muschkote Schumm machen. Der alte Weck drohte mit den Fäusten und schrie: »Das ist keine Welt für einen alten Mann mehr, und das heißt, ich hab absolut keine Angst vor euch Jungspunden, weil ich zu betrunken bin, um den Schmerz zu spüren, wenn ihr mich schlagt, und wenn ihr mich umbringt, werde ich froh sein, dass ich tot bin.« Wir smeckerten und grinsten, sagten aber nichts, und da sagte er: »Was ist das überhaupt für eine Welt? Männer fliegen auf den Mond, und Männer umkreisen die Erde wie Motten das Licht, und niemand achtet mehr auf irdische Zucht und Ordnung. Also euer Schlechtestes tut, ihr dreckigen feigen Rowdys.« Dann bedachte er uns mit ein bisschen Lippenmusik – »Prrrrssssrrrr« – wie wir die jungen Millicents und fing wieder an zu singen: Lieb Vaterland, ich focht im Krieg, Errang den Frieden dir und Sieg – Wir knacksten ihn ein bisschen und grinsten über die ganzen Litsos, aber er sang immer weiter. Dann stellte ihm einer ein Bein, so dass er platt und schwer dalag und eine Ei- merladung Bierkotze aus ihm rausschoss. Das war ekelhaft, also ließen wir ihn die Stie- fel spüren, jeder einen, und dann kam aus seinem dreckigen alten Rott weder Lieder noch Kotze, sondern Blut. Daraufhin gingen wir unserer Wege. Beim Kommunalen Elektrizitätswerk stießen wir auf Billyboy und seine fünf Droogs. In jenen Tagen, meine Brüder, tat man sich meist zu viert oder fünft zusammen, das waren quasi Autobanden, vier passten komfortabel in ein Auto, und sechs war die Obergrenze für eine Bande. Manchmal verbündeten sich Banden, um malenkige Armeen für den großen Nachtkrieg zu bilden, aber in der Regel zog man in diesen kleinen Gruppen um- her. Bei Billyboy war mir schon zum Kübeln, wenn ich nur sein fettes Grinselitso vid- dierte, und er verströmte immer diesen Vonn nach sehr altem Öl, in dem man schon tausendmal was frittiert hat, auch wenn er wie jetzt seine besten Plattys anhatte. Sie vid- dierten uns genauso wie wir sie; beide Seiten belauerten sich quasi totenstill. Jetzt wur- de es ernst, jetzt wurde es amtlich, jetzt kamen Nosch, Uschi und Britwa zum Einsatz, nicht nur Fäustchen und Stiefel. Billyboy und seine Droogs hielten mit ihrem Tun und Treiben inne; ihr Tun hatte darin bestanden, es mit einer verheulten jungen Dewuschka treiben zu wollen, die höchstens zehn sein konnte und am Krischen war, ihre Plattys aber noch anhatte. Billyboy hielt sie an der einen Ruka und seine Nummer eins Leo an der anderen. Wahrscheinlich waren sie noch beim dreckigen Slowoteil der Geschichte gewesen und hatten mit ein bisschen malenkiger Vergewohltätigung grade erst anfangen wollen. Als sie uns kommen viddierten, ließen sie die buhuhuhende kleine Petieza lau- fen, denn die gab es ja im Dutzend billiger, und sie rannte mit ihren blitzenden dünnen weißen Beinchen durch die Dunkelheit davon und machte immer noch »Oh oh oh«. Breit lächelnd und droogig sagte ich: »Na, wenn das nicht der fette Stinker Billigbock Billyboy höchstperversönlich ist. Wie geht’s, wie steht’s, du klebrige Flasche billiges stinkendes Frittenfett? Komm und hol dir einen Tritt in die Jarbeln, falls du überhaupt Jarbeln hast, du schwabblige Eunuchenwampe, du.« Und dann ging’s los.

xiv Wir waren zu viert gegen die sechs, aber wie schon gesagt, war der arme alte Dim zwar dumm, aber an schierem Wahnsinn und fiesen Kampftricks nahm er es mit drei Män- nern auf. Dim hatte eine echt horrorshow lange Uschi oder Kette um die Taille, zweimal rumgewickelt, und die wickelte er nun ab und peitschte damit wunderschön Richtung Augen oder Glasis. Pete und Georgie hatten gute scharfe Noschen, und ich für mein Teil hatte eine schöne starige horrorshow Kehlschlitzbritwa, die ich damals geradezu kunst- voll schwingen und blitzen lassen konnte. Wir draschten also in der Dunkelheit drauf- los, die alte Luna mit ihren Männern drauf war grade aufgegangen, und die Sterne stachen auf uns ein, als wären sie Messer, die danach jieperten, beim Draschen mitzu- machen. Einem von Billyboys Droogs konnte ich mit der Britwa vorn die Plattys auf- schlitzen, supersauber und ohne den Plott unter dem Stoff zu verletzen. Deshalb platzte dieser Droog plötzlich auf wie eine Erbsenschote, sein nackter Bauch und sogar seine jämmerlichen Jarbeln quollen raus, und er war voll rasdraschiert, wavelte, krischte und achtete nicht auf seine Deckung, und da zischelte Dim schlangenmäßig mit der Kette wisssscccchhhh und zog sie ihm quer über die Glasis, so dass dieser Droog von Billy- boy davonwankte und sich das Herz aus dem Leib schrie. Wir schlugen uns horrorshow, und bald hatten wir Billyboys Nummer eins am Boden, von Dims Kette geblendet, krie- chend und jaulend wie ein Tier, aber nach einem ordentlichen Stiefel auf den Gulliver war er weg und weg und weg. Von uns vieren kam Dim in puncto Aussehen wie immer am schlechtesten weg, sein Litso war blutverschmiert, und seine Plattys sahen saumäßig aus, aber wir anderen wa- ren noch cool und ganz. Den stinkenden fetten Billyboy wollte ich für mich haben und tanzte mit meiner Britwa herum, als wäre ich Barbier auf einem Schiff in schwerer See, und setzte ihm zu, wollte seinem dreckigen öligen Litso unbedingt ein paar saubere Schlitzer verpassen. Billyboy hatte ein Nosch von der langen Schnappsorte, aber er war in seinen Bewegungen malenkig langsam und schwerfällig und konnte keinen wirklich üblen Wred anrichten. Und es war mir eine echte Genugtuung, meine Brüder, ihm im Walzerschritt – links zwei drei, rechts zwei drei – das linke Bäckchen und das rechte Bäckchen zu schlitzen, so dass gleich zwei Blutschleier hervorquollen, einer auf jeder Seite seiner fetten dreckigen öligen Schnauze unter dem winterlichen Sternenzelt. Das Blut floss in roten Strömen, aber man viddierte, dass Billyboy nichts spürte, und er trampelte weiter wie ein dreckiger fetter Bär und stieß mit seinem Nosch nach mir. Dann sluschten wir die Sirenen und wussten, dass die Millicents kamen, die Puschkas in den Autofenstern schon im Anschlag. Die verheulte kleine Dewuschka musste es ihnen erzählt haben, kurz hinter dem E-Werk gab es einen Kasten, von dem aus man die Poly- pen rufen konnte. »Dich krieg ich noch, des sei dir gewiss«, rief ich, »stinkender Billig- bock. Dann trenn ich dir sauber die Jarbeln ab.« Bis auf Nummer eins Leo, der auf dem Boden schnarchte, hauten sie da langsam und keuchend ab Richtung Norden zum Fluss, und wir gingen in die Gegenrichtung. Um die Ecke lag eine Gasse, dunkel, leer und an beiden Enden offen, wo wir Pause machten, erst heftig keuchend und dann ruhiger, bis wir wieder normal atmeten. Es war, als ruhten wir uns am Fuß zweier bombiger und riesengroßer Berge aus, zwei Mietskasernen, in deren Fenstern man überall blaues Licht tanzen viddierte. Das waren die Glotzen. An dem Abend lief eine sogenannte Weltsen- dung, das heißt, praktisch auf der ganzen Welt viddierte man dasselbe Programm, wenn man wollte, und wer wollte, das waren vor allem mittelalte Ludis aus der Mittelklasse.

xv Garantiert sang da irgendein großer berühmter blöder komischer Tschelloweck oder schwarzer Sänger, und alles wurde von den speziellen Glotzensatelliten im Weltall re- flektiert, meine Brüder. Wir warteten keuchend und sluschten, wie die sirenenden Milli- cents nach Osten fuhren, womit wir wussten, dass uns nichts mehr passieren konnte. Der arme alte Dim sah zu den Sternen und Planeten hoch und zur Luna, den Rott weit offen wie ein Kind, das sowas noch nie viddiert hat, und sagte: »Was auf denen wohl drauf ist, frag ich mich. Was könnte auf den Dingern da oben wohl drauf sein?« Ich stieß ihn in die Rippen und sagte: »Komm, o glupiger Sohn einer räudigen Hündin. Daran zu denken, geziemt sich deiner nicht. Wahrscheinlich gibt es dort Leben wie hier auch; die einen werden abgestochen, und die anderen stechen. Und jetzt, wo die Notschi noch molodoj ist, lasst wacker uns fürbass schreiten, o meine Brüder.« Da smeckerten die anderen, aber der arme alte Dim sah mich sehr ernst an und dann wieder zu den Sternen und zur Luna hoch. Also durchquerten wir die Gasse, und die Weltsendung blaute auf beiden Seiten. Wir brauchten jetzt ein Auto, also bogen wir links ab, nach- dem wir aus der Gasse kamen, denn dass wir auf dem Priestley Place waren, wussten wir sofort, als wir die große Bronzestatue irgendeines starigen Dichters mit affiger Oberlippe und in den schlaffen Hängerott gestopfter Pfeife viddierten. Weiter im Nor- den kamen wir zum dreckigen alten Filmodrom, das abblätterte und -bröselte, weil da außer Maltschicks wie mir und meinen Droogs kaum noch wer hinging, und auch wir suchten da nur Bambule, Rasurieren oder ein bisschen Rein-raus-rein-raus im Dunkeln. Am Plakat an der Fassade vom Filmodrom, auf das sich ein paar fliegendreckgetüpfelte Scheinwerfer richteten, viddierten wir, dass es den üblichen Cowboyschmonzes gab, die Erzengel kämpften an der Seite des US Marshal mit seinem Sechsschüsser gegen die Viehdiebe aus den Legionen des Satans – die voll stumpfen Weschen, die Staatsfilm damals eben so rausbrachte. Die Autos, die vor dem Kintopp parkten, waren nicht gera- de horrorshow, die meisten starige Scheißweschen, aber einen neu aussehenden Duran- go fand ich ganz geeignet. Georgie hatte einen Dietrich am Schlüsselbund, also waren wir ruckzuck an Bord – Dim und Pete schmauchten hinten voll mondän ihre Lungendü- bel –, ich schloss den Wagen kurz, er grummelte echt horrorshow, und ein schönes warmes Vibriergefühl grummelte einem durchs Gekröse. Dann gab ich mit dem Noga Gas, wir setzten lieblichst zurück, und keiner viddierte uns davonfahren. Wir fillierten ein bisschen durch die sogenannte Hinterstadt, erschreckten alte Wecks und Schenas, die die Straßen überquerten, jagten Katzen und so. Dann nahmen wir die Straße nach Westen. Es gab nicht viel Verkehr, also trat ich den Noga fast durchs Bo- denblech, und der Durango 95 saugte die Straße ein wie Spaghetti. Nach kurzer Zeit waren wir unter Winterbäumen in der Dunkelheit, meine Brüder, einer ländlichen Dun- kelheit, und irgendwo überfuhr ich etwas Großes, das im Lichtkegel einen knurrenden Beißerrott hatte, krischte und unter uns zermatscht wurde, und darüber lachte sich der alte Dim hinten fast den Gulliver weg – »Ho ho ho«. Dann sahen wir einen jungen Mal- tschick, der unter einem Baum mit seiner Schnalle Lubbilubbi machte, also hielten wir an, bejohlten sie, schlugen sie mit ein paar halbherzigen Tolschocks, bis sie flennten, und fuhren weiter. Wir hatten es jetzt auf den alten Überraschungsbesuch abgesehen. Das kam voll gut, brachte was zum Smeckern, und man kam zum Vergewohltätigen. Schließlich erreichten wir eine Art Dorf, und kurz vor dem Dorf gab es so ein freiste-

xvi hendes Landhäuschen mit ein bisschen Garten. Luna stand nun hoch am Himmel, und wir konnten das Landhaus klar und deutlich viddieren, als ich runterschaltete und bremste. Die anderen drei kicherten schon wie besummst, und wir konnten viddieren, dass auf dem Tor zu der Landhauswesch HOME stand, ein irgendwie glupiger Name. Ich stieg aus, wies meine Droogs an, das Kichern zu lassen und sich manierlich zu be- nehmen, öffnete das malenkige Tor und ging zur Haustür. Ich klopfte höflich und leise, aber niemand kam, also klopfte ich lauter, und jetzt sluschte ich jemanden kommen, ein Riegel wurde zurückgeschoben, die Tür öffnete sich einen Spalt, und ich viddierte, dass mich ein Glasi ansah und dass die Tür an einer Kette hing. »Ja? Wer ist da?« Es war die Golosse einer Schnalle, dem Klang nach eine junge Dewuschka, also sagte ich in mei- nem kultiviertesten Tonfall, einer richtigen Gentlemangolosse: »Verzeihen Sie, gute Frau, es tut mir sehr leid, Sie behelligen zu müssen, aber mein Freund und ich machten einen Spaziergang, doch dann wurde meinem Freund plötzlich auf besorgniserregende Art und Weise schlecht, und jetzt liegt er wie tot auf der Straße und stöhnt. Würden Sie womöglich die Güte haben, mich Ihr Telefon benutzen zu las- sen, auf dass ich einen Krankenwagen herbeirufen könnte?«

ACO-F (28–40) En sortant du Duc de New York, on a reluché, tout à côté de la longue fenêtre éclairée du grand bar, un vieux bafouilleux de pianitza, ou saoulot, gueulant à tout va les chansons dégueulasses de ses aïeux et faisant hhoc hhoc entre, comme s’il avait eu un vieil orchestre obscène dans ses puanteurs de tripes pourries. S’il y a une vesche que je n’ai jamais pu encaisser c’est bien ça. Je n’ai jamais pu supporter de voir un moudj soûl roter er se rouler dans sa dégueulasserie, et l’âge n’y fait rien, mais un veck raide viokcho comme celui-ci c’était la fin de tout. Il était comme aplati contre le mur et ses platrusques étaient une honte, des vraies fripes débraillées et couvertes de gouspin, de boue, d’ordure et tout. On l’a donc empoigné et on l’a sonné avec quelques bonnes toltchockes tzarribles, mais ça ne l’a pas empêché de continuer à chanter. Les paroles disaient : Et J’te reviendrai mon amour, mon amour, Le jour où tu m’aurais quitté pour toujours. N’importe, quand Momo l’a eu châtaigné deux ou trois coups sur sa sale rote d’ivrogne, il l’a bouclé pour se mettre à critcher : « Allez-y, faites-moi la peau, bande de fumiers et de lâches. Je m’en fous, j’ai pas envie de vivre, surtout dans un monde aussi dégueulasse que celui-ci. » Alors j’ai dit à Momo d’arrêter un peu, vu qu’en ce temps-là ca m’intéressait parfois de sloucher ce que certains de ces viokchos déchets avaient à dire sur la vie et le monde. Et j’ai dit : « Ah oui ? Et qu’est-ce qu’il a de si dégueulasse, le monde ? » Il a braillé : « Il a qu’il laisse les jeunes s’en prendre comme vous aux vieux, et qu’y a plus de lois ni d’ordre public qui tiennent. » Il critchait très fort en moulinant des roukeurs et en gargouillant les slovos quelque chose de tzarrible, sauf le drôle de hhoch hhoch qui lui remontait des kishkas comme

xvii s’il avait eu quelque chose qui lui orbitait dedans, genre moudj très grossier et qui interrompt tout le temps en faisant du choum, tant et si bien que ce vieux veck continuait comme qui dirait à menacer des poings le vide et l’humanité entière en criant : « Il est plus pour le vieux, ce monde, et ça fait que j’ai pas du tout peur de vous, mes petits gars, vu que vous pouvez cogner je suis bien trop soûl pour sentir que ça fait mal, et vous pouvez me tuer je serai bien content d’être mort. » On s’est bidonskés et puis on a ricanoché, mais sans répondre, et alors il a dit : « A quoi ça ressemble, ce monde, je vous demande un peu ? Y a des gars sur la lune et d’autres quo tournent autour de la terre comme qui dirait des toupies ou des moucherons autour d’une lampe, mais ici qui est-ce qui fait encore attention aux lois et à l’ordre public ? Alors, allez-y vous gênez pas, bande de truands et de lâches. » Et ensuite il nous a fait une petite musique des lèvres – « Bzzzzzbzzzzz » - comme nous un peu plus tôt avec les jeunes milichiens, et puis il a recommencé à chanter : Moi, ton enfant, j’ai combattu, chère Patrie, Pour toi j’ai moissonné la victoire et la paix. Là-dessus, on y est allés de la castagne en beauté, ricanochant tant et plus du litso, mais sans que ca l’empêche de chanter. Alors on l’a croché aux pattes, si bien qu’il s’est étalé à plat, raide lourd, et qu’un plein baquet de vomi biéreux lui est sorti swoouuush d’un coup. C’était si dégoûtant qu’on lui a shooté dedans, un coup chacun, et alors, à la place de chanson et de vomi, c’est du sang qui est sorti de sa vieille rote dégueulasse : Et puis on a continué notre chemin. C’est aux alentours de la Centrale électrique municipale qu’on est tombés sur le Gars Willie avec ses cinq drougs. Il faut dire qu’en ce temps-là, mes frères, les bandes marchaient surtout par quatre ou par cinq, de quoi faire le plein d’une bagnole en somme, quatre étant un nombre confortable pour rouler, et six marquant la limite où commençait le gang. Parfois les gangs s’associaient jusqu’à former de malenkyscules armées pour la grande guerre de nuit, mais la plupart du temps mieux valait rôder en s’en tenant à ce genre de petit nombre. Le Gars Willie était une espèce de machin qui me donnait envie de vomir rien qu’à relucher son litso de grosse lune ricanante, et il traînait toujours avec lui un vonn d’huile extra-rance, de celle qui a servi et resservi à faire la friture, même quant il mettait ses plus belles platrusques comme ce jour-là. Eux et nous, on s’est reluché en même temps, et maintenant on en était comme qui dirait à s’observer en douce. Ça serait du vrai, du sérieux, au nodz, à l’oudzy, au britva, pas seulement à la châtaigne ni à la botte. Le Gars Willie et ses drougs s’arrêtèrent dans leurs occupations, autrement dit dans leurs préparatifs d’exécution d’une jeune dévotchka en larmes qu’ils avaient agrafée, dans les dix ans maxi, et qui critchait tout ce qu’elle savait, même ayant encore sur elles toutes ses platrusques. Le Gars Willie la tenait par un roukeur tandis que Léo, son Numéro Un, la tenait par l’autre. Ils s’étaient déjà probablement acquittés de toute la partie slovos salingues de la performance avant d’en venir à un malenky peu d’ultra-violents. Quand ils ont reluché qu’on radinait, ils ont lâché la mini ptitsa qui uhu-uhuait, sachant qu’il y en avait plein d’autres là où ils l’avaient ramassée, et elle s’est sauvée en tricotant de ses jambes blanches et maigres qui jetaient comme des éclairs dans le noir, tout en continuant à gueuler : « Uhu, uhu, uhu. » J’ai dit, avec un grand sourire drougui :

xviii « Ma parole, mais c’est ce gros bouc puant de Willaid en personne. Comment vas-tu, O toi, espèce de fiole puante d’huile de glaviot au rabais ? Amène-toi que je t’en colle un dans les yarbilles, pour peu que t’en aies, O toi, espèce de gelée d’eunuque. » Là-dessus, on y est allés. On était quatre, et eux, six, comme je l’ai déjà dit, mais ce pauvre vieux Momo, tout momo qu’il était, en valait trois des autres pour ce qui était de la dinguerie pure et de la bagarre salinge. Il avait une vraie longueur tzarrible d’oudzy, ou chaîne, autour de la taille, enroulée deux fois, et il l’a déroulée et s’est mis à la leur balancer en beauté dans les yeux, autrement dit les glazes. Pierrot et Jo avaient de bons nodz bien affûtés, et pour ma part j’avais un superbe coupe-chou de britva, viokcho mais tzarrible, que je savais manier en artiste à l’époque, comme la foudre et l’éclair. Nous voilà donc dratsant à tout va dans le noir, pendant que la vieille Luna, avec les mecs qui se baladaient dessus, se levait tout juste et que les étoiles dardaient tant et plus comme des couteaux brûlant de se joindre à la dratsarre. Avec mon britva j’ai réussi à fendre tout le devant des platrusques d’un des drougs du Gars Willie, et ça tout ce qu’il y a de net, sans même toucher le plott sous l’étoffe. Du coup, dans la dratsarre, ce droug du Gars Willie s’est retrouvé soudain ouvert du haut en bas comme une cosse de petit pois, le ventre à nu et ses pauvres vieilles yarbilles à l’air, et ca l’a rendu si raide razedraze, moulinant des bras et braillant qu’il a baissé la garde et que ce vieux Momo a profité de l’ouverture, avec sa chaîne qui serpentait en swouissshant, et l’a cinglé en plein dans les glazes. Sur quoi, le droug du Gars Willie s’est sauvé en trébuchant et en gueulant plein cœur. On y allait tzarrible et on n’a pas tardé à tomber aussi le Numéro Un du Gars Willie, aveuglé par la chaîne de Momo et rampant et barrissant comme une bête ; mais d’un joli shoot dans le gulliver, on l’a étendu raide kâo, out, out, out. De nous quatre, Momo comme d’habitude, s’en sortait le plus mal en point d’allure, autrement dit le litso couvert de sang et les platrusques dans un drôle de gâchis ; mais nous autres on était encore frais et entiers. C’était ce groslard puant de Willie que je voulais me payer maintenant, et j’étais là à danser avec mon britva, qu’on aurait dit le barbier sur un bateau par très grosse mer, m’efforçant de trouver l’entrée pour lui filer deux ou trois belles estafilades sur son sale litso graisseux. Il avait un nodz, le Gars Willie, modèle long, cran d’arrêt, mais il était un malenky peu trop lent et lourd dans ses mouvements pour faire vraiment vred à quelqu’un. Et, O mes frères, ce fut un vrai plaisir pour moi de valser – gauche deux trois, droite deux trois – et de lui tailler la jouette gauche puis la droite, de sorte que deux rideaux de sang semblaient ruisseler en même temps de chaque côté de son gros groin huileux et salingue, à la lueur hivernale des étoiles. Et rouge coulait ce sang comme deux rouges rideaux, mais on reluchait bien que le Gars Willie ne sentait rien du tout, et il a continué à bûcheronner comme un gros ours dégueulasse, en essayant de me larder de son nodz. Puis on a slouché les sirènes et on a su que les milichiens arrivaient avec leur poushkas braqués tout armés aux portières du car de police. C’était la petite dévotchka chialeuse qui les avait prévenus, pas de doute, vu qu’il y avait un avertisseur pour appeler les rosses, tout près derrière la Centrale électrique municipale. « N’aie crainte, j’ai crié, je t’aurai bientôt, sale bouc puant. Je me paierai tes yarbilles en beauté. » Tous, à l’exception de Léo le Numéro Un qui ronflait sur le trottoir, ils se sont taillés en peinant et soufflant, direction nord vers la rivière, et nous on a pris de l’autre côté. Juste

xix à l’angle suivant, il y avait une petite rue sombre, déserte et ouverte aux deux bouts, et on s’est reposés là, respirant fort puis plus lentement, et normalement pour finir. C’était comme si on s’était reposés dans le creux entre deux montagnes très énormes et formid, deux blocs de HLM en la circonstance, et dans les fenêtres de tous les appartements on reluchait comme une lumière bleue qui dansait. Sans doute la télé. Il y avait ce soir-là ce qu’on appelait une mondovision, c’est-à-dire que le même programme était reluché par tous les gens qui en avaient envie dans le monde, dans le cas présent surtout les lioudis d’âge et de classe moyens. Il devait y avoir une de leurs grandes vedettes comiques, un de ces tchellovecks à la con ou de chanteur noir, le tout rebondissant dans la stratosphère sur leurs satellites télés spéciaux, mes frères. On a attendu, haletants, en slouchant les milichiens qui sirenaient en s’éloignant vers l’est, de sorte qu’on était peinards maintenant. Mais ce pauvre vieux Momo continuait à lever le nez vers les étoiles et les planètes et la Luna, la rote grande ouverte, comme un môme qui n’aurait encore jamais rien vu de pareil, et il a dit : « Qu’est-ce qu’y a dessus, là-haut, vous croyez ? Qu’est-ce qu’y peut bien y avoir sur des trucs comme ça ? » Je lui ai donné un grand coup de coude en disant : « Arrête. O gloupp et connard que tu es. Loin de toi ces pensées. Y a la même vie qu’ici, plus que probable, avec des mecs qui reçoivent des coups de couteau et d’autres qui en donnent. Et maintenant, puisque la notché est encore molodoï, allons, en route, mes frères. » Les autres se sont bidonskés à ces paroles, tandis que ce pauvre vieux Momo me regardait sans rire, puis levait de nouveau le nez vers les étoiles et la Luna. Mais enfin, on a descendu la petite rue, entre les rangées de vitres bleutées par leur mondoprogramme. Ce qui nous manquait à présent, c’était une bagnole, donc on a pris à gauche au sortir de la petite rue, et on a deviné tout de suite qu’on était place Priestly, rien qu’à relucher la grande statue en bronze d’un vague viokcho poète avec la lèvre du haut genre gorille et une pipe pantée dans sa vieille rote ramollo. Direction nord, on est arrivé à cette vieille saloperie de cinédrome, tout pelé et tombant en miettes vu que personne n’y allait plus beaucoup sauf les maltchiks comme moi et mes drougs – et encore, rien que pour le coup de gueule ou le razrez, ou pour une petite partie de dedans-dehors dans le noir. A l’affiche, sur la façade du cinédrome braquée par deux projos pleins de chiures mouches, on n’avait pas de mal à relucher que c’était la routine, genre bagarre entre cow-boys, avec les archanges du côté du shérif U. S. qui tire ses six coups sur les voleurs de bestiaux sortis tout droit des légions infernales – juste le genre de vesche à la con comme en fabriquait alors le Cinéma d’Etat. Les bagnoles parquées devant le cinoche étaient loin d’être toutes tzarribles ; c’étaient même surtout des viokchas vesches plutôt merdeuses, sauf une Durango 95 assez neuve qui pouvait faire l’affaire, je me suis dit. Jo avait à son porte-clefs une polyclé, comme on appelait ça, ce qui fait qu’on a été vite à bord – Momo et Pierrot à l’arrière, tirant comme des seigneurs sur leur cancerette. Moi, j’ai mis le contact et j’ai lancé le moulin et ça s’est mis à ronfler vraiment tzarrible, que ça faisait chouette et chaud vibrato jusque dans la tripouille. Puis j’ai joué du noga et on est sortis marche arrière en beauté, sans que personne nous ait reluchés démarrer. On a totonné un bout à travers l’arrière-ville, comme on appelait ca, en paniquant les

xx vieux vecks et les vieilles tchinas qui traversaient et en zigzaguant après des chats et autres. Puis on a pris ver l’ouest- Comme il n’y avait pas beaucoup de circulation, j’ai continué à appuyer de mon vieux noga des familles, à défoncer le plancher ou presque, et la Durango 95 bouffait la route comme qui dirait des spaghetti. Bientôt ça a été les arbres de l’hiver er la vraie nuit, mes frères, avec un paysage tout noir, et à un endroit j’ai passé sur quelque chose de gros aec une rote féroce pleine de dents à la lumière des phares, et puis ça a crié et fait de la bouillie par en dessous et ce vieux Momo s’est presque pété le gulliver de rire à l’arrière – « Ho ho ho ». Ensuite on a vu un jeune maltchick avec sa gironde niqueuniqueuniquant sous un arbre ; alors on s’est arrêtés pour leur faire un petit bravo, et après ça on leur a mis deux ou trois toltchockes pas très méchantes, ce qui les a fait tout de même pleurer, et on est repartis. Ce qu’on av ait en tête maintenant, c’était le coup de la visite surprise des familles. Ça, c’était vraiment juteux, bon pour la bidonske et pour un grand coup de fouet d’ultra-violents. On a fini par arriver à une sorte de village, et, juste à l’entrée il y avait comme un petit pavillon isolé, avec un bout de jardin. La Luna était très haute à présent, et on reluchait la b1atisse net et impec à mesure que je ralentissais et que je mettais le frein, tandis que les trois autres rigolaient comme des bézoumnis ; même qu’on pouvait relucher le nom sur le portail de cette vesche genre pavillon ; ça sait MON REFUGE – plutôt gloupp comme nom. Je suis sorti de la bagnole, j’ai ordonné à mes drougs de ne plus rigoler, fallait du sérieux, et j’ai poussé le malenky portail puis je me suis avancé jusqu’à la porte d’entrée. J’ai frappé tout gentil et tout doux ; personne n’est venu ; j’ai frappé encore un peu, et cette fois j’ai slouché qu’on venait, puis qu’on tirait un verrou, et la porte s’étant entrebâillée d’un centimètre ou deux, j’ai reluché un seul glaze me lorgnait ; la chaîne était mise. « Oui ? Qu’est-ce que c’est ? » C’était une golosse de gironde, une dévotchka jeunette, à l’entendre ; alors j’ai dit, en parlant tout ce qu’il y a de plus raffiné, vraie golosse de gentleman : « Pardonnez-moi, madame. Absolument désolé de vous déranger, mais mon ami et moi on faisait un petit tour quand il s’est senti très mal tout à coup ; la chose a pris une tournure très ennuyeuse et il est là-bas sur la route, complètement dans les pommes, à gémit. Seriez-vous assez aimable pour me permettre de me servir de votre téléphone pour appeler une ambulance ? »

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