Hermann Vinke. : 'Ich habe nicht um mein Leben gebettelt'. Hamburg: Arche Verlag, 2003. 224 S. + 27 s/w Abb. EUR 18.00, broschiert, ISBN 978-3-7160-2313-6.

Reviewed by Eckhard Fürlus

Published on H-Soz-u-Kult (November, 2003)

In die Diskussion über die Personen des Wi‐ und Interviews ausführlich zu Wort kommen derstands gegen die NS Diktatur, die gegenwärtig lässt. durch eine in den Feuilletons ausgetragene Aus‐ Bereits 1980 hatte Hermann Vinke eine Bio‐ einandersetzung über die Rolle Marion Gräfn grafe über Sophie Scholl geschrieben Vinke, Her‐ Dönhofs und den preußischen Adel bestimmt mann, Das kurze Leben der Sophie Scholl, Mit ei‐ wird Vgl. hierzu: Blasius, Rainer, Marion Gräfn nem Interview von Ilse Aichinger, Ravensburg Dönhof, der preußische Adel und der 20. Juli, in: 1980. , für das er 1981 den Deutschen Jugendbuch‐ Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2003. , hat preis erhielt. Nach Vinkes eigenem Bekunden war sich der Autor und Journalist Hermann Vinke mit dies „keine Biographie im herkömmlichen Sinne, einer Publikation eingebracht, die das Leben der sondern eine Beschreibung von Lebenssituatio‐ bislang wenig bekannten Cato Bontjes van Beek nen in Form von collagehaft zusammengefügten detailliert beschreibt Genannt seien an dieser Berichten, Dokumenten, Briefen, Zeugenausssa‐ Stelle die Publikationen von Kluge, Heidelore, gen und Fotos.“ ebd. S. 9. Das nun vorliegende Cato Bontjes van Beek. „Ich will nur eines sein, Porträt der Cato Bontjes van Beek, ein eher sach‐ und das ist ein Mensch“; das kurze Leben einer lich erzählender Text aus zehn Teilen, unterteilt Widerstandskämpferin 1920-1943, Stuttgart 1994; in etliche kleine Kapitel, von denen viele eine Sei‐ Flügge, Manfred, „Meine Sehnsucht ist das Leben. te nicht überschreiten, erinnert noch an dieses Eine Geschichte aus dem deutschen Widerstand“, Collageverfahren. Die Zitate, Erinnerungen der 1998; sowie Wolf, Birgit, „Bontjes van Beek, Familienmitglieder Tim, Mietje und Olga Bontjes Cato“, in: Jochens, Birgit; Miltenberger, Sonja van Beek, Freunde und Weggefährten, ebenso wie (Hgg.), „Zwischen Rebellion und Reform. Frauen Auszüge aus den Gerichtsakten, sind durch Kur‐ im Berliner Westen“, Berlin 1999, S. 92-93. und die sivschrift kenntlich gemacht und ergänzen den sowohl die Protagonistin als auch deren Familie, laufenden Text. Freunde und Bekannte in Briefen, Dokumenten H-Net Reviews

Cato Bontjes van Beek ist das älteste von drei der Funkspezialist Johann Wenzel unter der Fol‐ Kindern des Keramikers und ter sein Wissen preisgibt und es den Nazis gelingt, dessen Frau, der Ausdruckstänzerin und Malerin die Funksprüche Moskaus zu entschlüsseln, die Olga van Beek, geb. Breling. Sie war fünf Wochen Namen und Adressen des Berliner Widerstands für die Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“ enthalten. Zusammen mit ihrem Vater wird Cato tätig und wurde im Alter von 22 Jahren am 5. Au‐ Bontjes van Beek am 20. September 1942 von der gust 1943 von den Nazis in Plötzensee hingerich‐ verhaftet und in das Polizeigericht am tet. Alexanderplatz gebracht. Zusammen mit ihren beiden Geschwistern Der Prozess gegen Cato Bontjes van Beek und wächst Cato in einer Umgebung auf, „in der viel andere Häftlinge sollte am 15. Januar 1943 statt‐ diskutiert und natürlich auch manchmal gestrit‐ fnden und wurde unter extremem Zeitdruck ge‐ ten wurde. Nur eines gab es nicht: den Zwang in führt. Chefankläger ist Oberkriegsgerichtsrat Dr. religiösen und politischen Fragen. Höchstens übte Manfred Roeder, von dem Adolf Grimme behaup‐ die Schule mit ihren autoritären Erziehungsme‐ tet hat, dieser habe sich „als einer der unmensch‐ thoden Druck aus.“ (S. 27) Von 1929 bis 1933 be‐ lichsten, zynischsten und brutalsten Nationalsozi‐ sucht Cato Bontjes van Beek die Deutsche Schule alisten erwiesen, die mir überhaupt begegnet in . Sie lernt Holländisch und später sind“ (S. 120f.). Roeder fordert für Heinz Strelow auch Englisch, als sie acht Monate in Winchcombe und Cato Bontjes van Beek die Todesstrafe. Her‐ in England verlebt. Zurück in Deutschland, wird mann Vinke konstatiert: „Weder waren die Er‐ sie eine leidenschaftliche Segelfiegerin. Birgit mittlungen abgeschlossen noch Zeugen befragt Wolf beschreibt sie als „lebenslustig, sportlich und worden, als die Urteile felen.“ (S. 113) praktisch veranlagt, [...] eine ausgesprochene Cato Bontjes van Beek äußert sich über die ‚Führernatur’, die es verstand, Menschen zu be‐ Zeit nach der Urteilsverkündung: „In den ersten geistern.“ Wolf (wie Anm.2), S. 92. Ingeborg Tagen nach dem Urteil hatte ich eine ganz merk‐ Harms schildert sie als „arglos, in der Weltlitera‐ würdige Stimmung. Ich war völlig zum Sterben tur belesen, zu tiefen Gefühlen fähig – eine Idea‐ bereit – wofür, das wusste ich allerdings auch listin.“ Harms, Ingeborg, Blick aus der Zelle in die nicht –, aber der Tod an sich war nichts Grauen‐ Sterne. Hermann Vinkes ausführliches Porträt der volles für mich, und das ist er auch heute nicht. Cato Bontjes van Beek, in: Frankfurter Allgemeine [...] Eine ganz große Leichtigkeit habe ich in mir, Zeitung, 5.8.2003, S. 34. Fischerhude, den Ort ihrer und die nimmt mir alle Schwere.“ (S. 128) In die Jugend, erlebt sie als Idyll. Als sie mit siebzehn Zeit der Gefangenschaft im Frühjahr 1943 fällt nach Berlin zieht, um in der Keramikwerkstatt ih‐ ihre Beschäftigung mit dem Neuen Testament. res Vaters zu arbeiten, empfndet sie die Groß‐ „Zum Philosophieren habe ich nun gar kein Ver‐ stadt als ein furchtbar enges Steinmeer. ständnis mehr, denn mir ist in dieser Zeit alles In Berlin lernt Cato Bontjes van Beek den Ly‐ sehr einfach und klar geworden, und ich fnde, es riker Heinz Strelow kennen und kommt in Kon‐ ist die ganzen Jahrhunderte viel geschrieben wor‐ takt mit , Harro und Libertas Schul‐ den, und nur weniges hat Bestand, und dazu ge‐ ze-Boysen, drei bedeutenden Personen der Berli‐ hört doch an die erste Stelle die Bibel. Ich bin sehr ner Widerstandsorganisation „Rote Kapelle“, die froh, dass ich das Neue Testament hierhabe.“ (S. mit Moskau in Verbindung steht. Libertas und 131f.) Harro erkannten, schreibt Vinke in seinem Buch, Mietje Bontjes van Beek hat den letzten Be‐ „wie begeisterungsfähig Cato war“ (S. 71). Catos such bei ihrer Schwester am 24. Juli 1943 im Frau‐ Mitgliedschaft in der „Roten Kapelle“ fiegt auf, als engefängnis an der Barnimstraße geschildert:

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„Ich bin mit Mama zum Gefängnis in der Barnim‐ was zu spät.“ (S. 168) Ihrer Mutter schreibt sie in straße gegangen. Da war so ein großer, schreckli‐ ihrer Todesstunde, sie sei gefasst und habe sich cher Raum, kalt und dunkel. Und wir warteten. mit dem Schicksal ausgesöhnt. „Die Menschen Und dann wurde Cato hereingeführt, in Pantinen, sind alle lieb und gut, das weiß ich, und daran Socken und einem grauen Kittel ... Zwischen uns denke ich.“ (S. 169) Dem Gefängnispfarrer Dr. Au‐ war eine Art Tresen. Cato stand da, und wir stan‐ gust Ohm antwortet sie in ihrem letzten Gespräch den ihr gegenüber, und die Wärter waren dabei. auf die Frage, „was sie so erstaunlich ruhig sein Und sie hat gefragt: ‚Wie geht es dir?’ Und ob mei‐ lässt. ‚Einmal’, sagt sie, ‚dass dies kein Ende be‐ ne Krankheit vorbei sei; ich müsse mich schonen deutet. Und dann, dass die Entwicklung, so wie usw. Sie interessierte sich vor allem für meine wir sie alle ersehnt haben, voranschreitet.’“ ebd. Krankheit. Ich konnte immer noch nicht richtig Und, befragt nach dem Gedanken an das körperli‐ Luft bekommen wegen dieser furchtbaren Rip‐ che Ende, antwortet Cato: „‚Ich mache einfach die penfellentzündung.[...] Und Mama hat auch ir‐ Augen zu im letzten Moment.’- Und zuletzt: ‚Wenn gend etwas gesagt. Und dann war die Viertelstun‐ doch der Haß getilgt wäre und die Menschen zu de mit einemmal vorbei. Die Wärterin hat sie Gott kämen! Wir brauchen uns nicht wie Diebe weggeführt. Sie war verschwunden. Und plötzlich aus der Welt zu schleichen.“ (S. 171) kam Cato zurück und winkte uns noch einmal zu mit einem Blick, den ich nicht vergessen kann. Ich hatte sie vorher noch gefragt: ‚Wie lange wirst du das hier noch schafen?’ Und da sagte sie: ‚Bis da‐ hin ...!’ Und zeigte auf die braune Binde an ihrem Arm, auf der die Buchstaben ‚TK’ standen – ‚Todes‐ kandidat’.“ (S. 163f.) Obwohl selbst Reichsmarschall Hermann Gö‐ ring und der Rechtsgutachter, Senatspräsident Friedrich-Wilhelm Neuroth, sich für die Umwand‐ lung der Todesstrafe in eine zeitlich befristete Zuchthausstrafe eingesetzt hatten, verweigert dem Dokument, das die Begnadigung hätte erwirken können, seine Unterschrift und be‐ siegelt so das Schicksal der Cato Bontjes van Beek. Letzte, im Buch abgedruckte Briefe an ihren Bru‐ der Tim, an die Schwester Mietje und an ihre Mut‐ ter sind erschütternd in ihrer Deutlichkeit und Klarheit und in der von Cato geäußerten Gewiss‐ heit, in den Zurückbleibenden weiterzuleben. Ih‐ rer Schwester empfehlt sie, in den vier Evangeli‐ en zu lesen. „Du glaubst gar nicht, wie stark man durch dieses systematische Lesen wird. Sei nicht allzu traurig, dass ich nicht mehr bei Euch auf der Welt sein werde, sondern nur noch in Euch wei‐ terlebe. Du musst im Leben all das liegenlassen, was Dich nicht geistig weiterbringt. Es gibt sehr vieles, das unnütz ist. Leider weiß man es erst et‐

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Citation: Eckhard Fürlus. Review of Vinke, Hermann. Cato Bontjes van Beek: 'Ich habe nicht um mein Leben gebettelt'. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. November, 2003.

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