Jahrbuch Hochtaunuskreis (2020)
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Jahrbuch Hochtaunuskreis 2020 28. Jahrgang Schwerpunktthema Literatur (Diese Beiträge sind farbig hinterlegt) Johannes Tuchel Normalität der Integration oder Ignoranz der Verbrechen? Überlegungen zu Manfred Roeder als Beigeordneter in Glashütten Ein 2018 im Jahrbuch Hochtaunuskreis er- Welche prägenden Erlebnisse lassen sich schienener Aufsatz hat auf der Grundlage vor 2 Der am 20. allem der lokalen und regionalen Archive die August 1900 in Kiel Geborene machte als lokalpolitische Bedeutung des ehemaligen 17-Jähriger 1917 sein „Notabitur“ an einem Generalrichters der Luftwaffe Manfred Roe- Berliner Gymnasium. Er meldete sich freiwil- der in den 1960er Jahren gewürdigt. Es ging lig zum Heer und diente beim 3. Rheinischen Feld-Artillerie-Regiment Nr. 83 als Artillerie- Manfred Roeders, nicht um seine Rolle im beobachter. Im Juli 1918 erlitt er in Frank- verbrecherischen Apparat des Dritten Rei- reich eine Gasvergiftung und eine Verletzung ches und erst recht nicht um eine Beurteilung am Oberschenkel. Das Regiment wurde nach seines Handelns nach heutigen ethischen dem Waffenstillstand nach Lohne/Oldenburg Maßstäben. Es geht vielmehr um die Rol- verlegt und im Dezember 1918 demobilisiert, le, die Manfred Roeder in der Glashüttener Roeder als Leutnant entlassen. Roeder schloss Kommunalpolitik zugekommen ist.“1 Trotz sich danach der Garde-Kavallerie-Schützen- dieser Einschränkungen nennt die Autorin In- Division an und war an den Berliner Stra- ßenkämpfen im Januar 1919 beteiligt. 1920 und liefert allgemeine Einschätzungen des kämpfte er in der Freiwilligen Russischen Roeder’schen Handelns, die nichts mit Glas- Westarmee (Westrussische Befreiungsarmee), hütten zu tun haben. Diese scheinen mir an einer weißrussischen antikommunistischen einigen Stellen ergänzungs- und korrektur- bedürftig zu sein. Vielleicht lassen sich dann auch einige Fragen an den Umgang mit Man- fred Roeders Vergangenheit in Glashütten 2 Zum Folgenden: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand Interro- gations, R 118, Vernehmung Roeders vom 9. Juli 1948. Zur präziser als bisher stellen. ausführlich: Hiska D. Bergander, Das Ermittlungsverfahren gegen Dr. jur. et rer. pol. Manfred Roeder, einen „General- richter“ Hitlers. Eine Untersuchung zur unbewältigten Rechts- geschichte der NS-Justiz, Diss. jur., Bremen 2006 sowie: Stefan Roloff mit Mario Vigl, Die Rote Kapelle. Die Wider- standsgruppe im Dritten Reich und die Geschichte Helmut Roloffs, München 2002, S. 324 ff. Instruktiv auch Heinrich Grosse, „Niemand kann zwei Herren dienen“. Zur Geschich- te der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus und in ders., Ankläger von Widerstandskämpfern und Apologet des NS-Regimes nach 1945 – Kriegsgerichtsrat Manfred Roeder, 1 Ingrid Berg, Kommunalpolitik mit NS-Vergangenheit? - Manfred Roeder als Beigeordneter in Glashütten, in: Jahrbuch onen liefert auch Roeders Personalakte aus dem Reichsjustiz- Hochtaunuskreis 26 (2018), S. 205 ff., hier S. 206. ministerium: Bundesarchiv, R 3001/72501. 173 Formation im Baltikum.3 Es ist davon auszu- lesungen, kunsthistorischen Vorlesungen.“6 gehen, dass diese Zeit für Roeders weiteres Zur selben Zeit gehörte er dem „Stahlhelm politisches Denken und Handeln prägend – Bund der Frontsoldaten“ und bis 1931 der war. Deutschnationalen Volkspartei an.7 Im Anschluss daran begann Roeder in Das Jurastudium schloss Roeder mit dem Berlin ein Jurastudium, das er in Würzburg Referendarexamen am 1. Mai 1931 mit „voll fortsetzte. Seine Eltern und eigene Ersparnisse ausreichend“ ab und ging dann ins Referen- - dariat nach Lüneburg (bis Ende April 1934), dium. In Würzburg wurde Roeder am 23. Fe- kurz nach Hannover und später nach Berlin. bruar 1922 mit einer Arbeit über den „öffent- Hier legte er am 17. August 1934 das Asses- lich-rechtlichen Arbeiterschutz der Seeleute“ sor-Examen mit „ausreichend“ ab und war promoviert.4 nach einem kurzen Dienst als Ergänzungsof- Er kehrte nach Berlin zurück und arbei- - tete – nach eigenen Angaben bis 1924 – bei tober 1934 als Einzelrichter beim Amtsgericht den Charlottenburger Wasser- und Industrie- Charlottenburg tätig.8 Dies scheint aber noch werken AG, einem damals in Berlin bedeu- keine feste Planstelle als Richter gewesen zu tenden Wasserversorger. Am 15. November sein. 1922 heiratete er Hedwig-Luise von Estorff. Roeder will sich bereits 1933 bei der Mi- Damit waren für ihn ein gesellschaftlicher litärjustiz beworben haben, angeblich, um und ein sozialer Aufstieg verbunden, denn einen NSDAP-Eintritt zu vermeiden. Hier das Gut Neetze bei Lüneburg, das Roeder konnte er seine militärischen Erfahrungen nach eigenen Angaben zwischen 1924 und im Ersten Weltkrieg und im Baltikum sowie 1928 bewirtschaftete, war mindestens seit seine juristischen Kenntnisse miteinander dem frühen 19. Jahrhundert im Estorffschen verbinden. Seit April 1935 war er dann beim Familienbesitz.5 Das Ehepaar bekam 1924, Gericht des Artillerieführers in Königsberg 1925 und 1929 drei Töchter, 1937 folgte (auf Probe) tätig, um dann zum 1. Novem- noch ein Sohn. Nach 1928 arbeitete Roeder ber 1935 eine Stelle als Kriegsgerichtsrat dann bei der Unterelbischen Einkaufs-Kom- beim Gericht des Luftkreiskommandos I in manditgesellschaft, die ihren Sitz in Hamburg Königsberg anzunehmen. Er hatte dort die hatte, und nutzte die Zeit zur Fortsetzung sei- Funktion eines „Dienstaufsichtsrichters“, lei- nes Studiums in Göttingen und Hamburg. Es tete also die Verwaltung dieses Gerichts. Mit scheint für ihn eine Zeit des Suchens gewesen derselben Aufgabe wurde er im April 1937 im zu sein: „Ich habe mich mit allem möglichen Luftkreis VII (Braunschweig) und ab Dezem- befaßt, mit Psychologie, medizinischen Vor- ber 1938 beim Luftgau-Kommando III Berlin eingesetzt. In einem Befähigungsbericht vom Sommer 1938 zur „bevorzugten Beförde- rung“ zum Oberkriegsgerichtsrat hieß es: „Er steht auf dem Boden der nationalsozialisti- 3 Bergander, Ermittlungsverfahren, S. 5. 4 In seinen Vernehmungen verlegt Roeder mehrfach den schen Staatsauffassung. Er hat es daher auch Termin auf das Jahr 1921, also ein Jahr früher. Aus der Pu- verstanden, mit den Dienststellen der Partei blikation der Dissertation ergibt sich eindeutig 1922 als Pro- motionsjahr. Vgl. zu dem strittigen Datum auch Bergander, Ermittlungsverfahren, S. 5, Anm. 11. 5 Vgl. Friedrich Wilhelm Boldewin Ferdinand von dem Kne- 6 Staatsarchiv Nürnberg, Bestand Interrogations, R 118, Ver- sebeck (Hrsg.), Die allgemeinen Stände und die Provinzial- nehmung Roeders vom 9. Juli 1948, S. 4. Landschaften des Königreichs Hannover, Hannover 1841, S. 7 Grosse, Ankläger, S. 37. 41. 8 Bergander, Ermittlungsverfahren, S. 8. 174 in engster Führung zu arbeiten.“9 Diese For- Zweiter Klasse, 1941 das Kriegsverdienst- mulierung – so Hiska Bergander – „geht über kreuz Erster Klasse und 1945 nach eigenen standardisierte Formeln [...] weit hinaus und Angaben auch das „Deutsche Kreuz“ in Sil- drückt Roeders politische Nähe zum Natio- ber, einen Orden, der für „vielfache außer- nalsozialismus aus.“10 Im Januar 1939 folgte gewöhnliche Verdienste in der militärischen die Beförderung zum Oberkriegsgerichtsrat, Kriegführung“ verliehen wurde. Worin diese im August 1941 zum Oberstkriegsgerichts- bei Roeder bestanden, bleibt unklar. rat, am 25. Januar 1945 mit Wirkung zum Von einem amerikanischen Ermittler nach 1. Dezember 1944 zum Generalrichter der seiner politischen Überzeugung gefragt, ant- Luftwaffe. wortete Roeder im Juli 1948: „Die war ab- Nach eigenen Angaben wurde Roeder solut klar, war deutsch, meine Aufgabe war, zwischen März und August 1941 zur neu er- meinem Vaterlande und meinem Volk zu richteten Dienststelle des Luftwaffenbefehls- dienen. Ich habe meinem Volke gedient in habers Mitte in Berlin-Wannsee komman- der Weimarer Republik, in der Kaiserzeit. Ich diert. Zum 1. September 1941 übernahm er habe meinem Volke auch unter dem Natio- seine alte Funktion als Dienstaufsichtsrich- nalsozialismus gedient, konnte nicht emigrie- ter im Luftgau-Kommando III erneut.11 Bald ren, weil wir volksgebunden sind und nach darauf untersuchte er die „dienstlichen und meiner Überzeugung auf dem Platz, auf den damit die technischen und rüstungsmäßigen wir gestellt waren, etwas zu leisten hatten Hintergründe“ des Selbstmords des General- und auch die Einstellung ihrer Regierungsfüh- luftzeugmeisters Ernst Udet am 17. Novem- rer ist, daß, je schlechter die Regierung ist, ber 1941.12 In diesem Fall berichtete Roeder 14 offensichtlich mehrfach Göring direkt. Seit Weder hier noch in irgendeiner anderen Aus- dieser Zeit war er der Mann der Luftwaffen- justiz für politisch heikle Fälle wie die Ver- den verbrecherischen Charakter des natio- fahren gegen die Angehörigen der Roten - Kapelle, die Untersuchung des Selbstmordes se scheinbar unpolitische Haltung lässt sich des Generalstabschefs der Luftwaffe Hans Je- nicht mit seinem Handeln während der Zeit schonnek und die Ermittlungen gegen die Wi- vor 1945 in Einklang bringen. derstandskämpfer im Amt Ausland/Abwehr. Roeder will am 17. Oktober 1942 in Win- Roeder trat nicht in die NSDAP ein, wohl niza, wohin er mit dem Chef des Luftwaffen- aber im Mai 1933 in den „Bund nationalso- rechtwesens und dem Senatspräsidenten des zialistischer Deutscher Juristen“ und im No- Reichskriegsgerichts, Dr. Alexander Kraell, vember 1933 in die SA. Dort will er auf ei- genen Antrag im Februar 1935 im Rang eines Göring den Auftrag zur Untersuchung und SA-Rottenführers ausgeschieden sein.13 1940 Anklagevertretung im Fall Rote Kapelle er- erhielt er die Spange zum Eisernen Kreuz halten haben.15 Ob dies wirklich so spät ge- 9 Zit. nach ebd., S.